{"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":0,"orig":"Es war Sommers-Frühe, die Nachtigallen ſangen erſt ſeit einigen Tagen durch die Straßen, und verſtummten heut in einer kühlen Nacht, welche von fernen Gewittern zu uns herwehte; der Nachtwächter rief die elfte Stunde an, da ſah ich, nach Hauſe gehend, vor der Thür eines großen Gebäudes einen Trupp von allerlei Geſellen, die vom Biere kamen, um Jemand, der auf den Thürſtufen ſaß, verſammelt.","norm":"Es war Sommersfrühe, die Nachtigallen sangen erst seit einigen Tagen durch die Straßen, und verstummten heute in einer kühlen Nacht, welche von fernen Gewittern zu uns herwehte; der Nachtwächter rief die elfte Stunde an, da sah ich, nach Hause gehend, vor der Tür eines großen Gebäudes einen Trupp von allerlei Gesellen, die vom Biere kamen, um Jemand, der auf den Türstufen saß, versammelt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":1,"orig":"Ihr Antheil ſchien mir ſo lebhaft, daß ich irgend ein Unglück beſorgte und mich näherte.","norm":"Ihr Anteil schien mir so lebhaft, dass ich irgendein Unglück besorgte und mich näherte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":2,"orig":"Eine alte Bäuerin ſaß auf der Treppe, und ſo lebhaft die Geſellen ſich um ſie bekümmerten, ſo wenig ließ ſie ſich von den neugierigen Fragen und gutmüthigen Vorſchlägen derſelben ſtören.","norm":"Eine alte Bäuerin saß auf der Treppe, und so lebhaft die Gesellen sich um sie bekümmerten, so wenig ließ sie sich von den neugierigen Fragen und gutmütigen Vorschlägen derselben stören."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":3,"orig":"Es hatte etwas ſehr Befremdendes, ja ſchier Großes, wie die gute alte Frau ſo ſehr wußte, was ſie wollte, daß ſie, als ſey ſie ganz allein in ihrem Kämmerlein, mitten unter den Leuten es ſich unter freiem Himmel zur Nachtruhe bequem machte.","norm":"Es hatte etwas sehr Befremdendes, ja schier Großes, wie die gute alte Frau so sehr wusste, was sie wollte, dass sie, als sei sie ganz allein in ihrem Kämmerlein, mitten unter den Leuten es sich unter freiem Himmel zur Nachtruhe bequem machte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":4,"orig":"Sie nahm ihre Schürze als ein Mäntelchen um, zog ihren großen ſchwarzen wachsleinenen Hut tiefer in die Augen, legte ſich ihr Bündel unter den Kopf zurecht und gab auf keine Frage Antwort.","norm":"Sie nahm ihre Schürze als ein Mäntelchen um, zog ihren großen schwarzen wachsleinenen Hut tiefer in die Augen, legte sich ihr Bündel unter den Kopf zurecht und gab auf keine Frage Antwort."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":5,"orig":"Was fehlt dieſer alten Frau?","norm":"Was fehlt dieser alten Frau?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":6,"orig":"fragte ich einen der Anweſenden; da kamen Antworten von allen Seiten:","norm":"fragte ich einen der Anwesenden; da kamen Antworten von allen Seiten:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":7,"orig":"Sie kömmt ſechs Meilen Weges vom Lande, ſie kann nicht weiter, ſie weiß nicht Beſcheid in der Stadt, ſie hat Befreundete am andern Ende der Stadt und kann nicht hin finden.","norm":"Sie kommt sechs Meilen Weges vom Lande, sie kann nicht weiter, sie weiß nicht Bescheid in der Stadt, sie hat Befreundete am anderen Ende der Stadt und kann nicht hinfinden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":8,"orig":"Ich wollte ſie führen, ſagte Einer, aber es iſt ein weiter Weg und ich habe meinen Hausſchlüſſel nicht bei mir.","norm":"Ich wollte sie führen, sagte Einer, aber es ist ein weiter Weg und ich habe meinen Hausschlüssel nicht bei mir."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":9,"orig":"Auch würde ſie das Haus nicht kennen, wo ſie hin will.","norm":"Auch würde sie das Haus nicht kennen, wo sie hin will."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":10,"orig":"Aber hier kann die Frau nicht liegen bleiben, ſagte ein Neuhinzugetretener.","norm":"Aber hier kann die Frau nicht liegen bleiben, sagte ein Neuhinzugetretener."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":11,"orig":"Sie will aber platterdings, antwortete der Erſte, ich habe es ihr längſt geſagt: ich wolle ſie nach Haus bringen, doch ſie redet ganz verwirrt, ja ſie muß wohl betrunken ſeyn.","norm":"Sie will aber platterdings, antwortete der Erste, ich habe es ihr längst gesagt: Ich wolle sie nach Haus bringen, doch sie redet ganz verwirrt, ja sie muss wohl betrunken sein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":12,"orig":"— Ich glaube, ſie iſt blödſinnig.","norm":"— Ich glaube, sie ist blödsinnig."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":13,"orig":"Aber hier kann ſie doch in keinem Fall bleiben, wiederholte Jener, die Nacht iſt kühl und lang.","norm":"Aber hier kann sie doch in keinem Fall bleiben, wiederholte jener, die Nacht ist kühl und lang."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":14,"orig":"Während allem dieſem Gerede war die Alte, gerade als ob ſie taub und blind ſey, ganz ungeſtört mit ihrer Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals ſagte:","norm":"Während allem diesem Gerede war die Alte, gerade als ob sie taub und blind sei, ganz ungestört mit ihrer Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":15,"orig":"Hier kann ſie doch nicht bleiben, erwiederte ſie, mit einer wunderlich tiefen und ernſten Stimme:","norm":"Hier kann sie doch nicht bleiben, erwiderte sie, mit einer wunderlich tiefen und ernsten Stimme:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":16,"orig":"Warum ſoll ich nicht hier bleiben, iſt dies nicht ein herzogliches Haus?","norm":"Warum soll ich nicht hier bleiben, ist dies nicht ein herzogliches Haus?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":17,"orig":"ich bin acht und achtzig Jahr alt, und der Herzog wird mich gewiß nicht von ſeiner Schwelle treiben.","norm":"Ich bin achtundachtzig Jahr alt, und der Herzog wird mich gewiss nicht von seiner Schwelle treiben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":18,"orig":"Drei Söhne ſind in ſeinem Dienſt geſtorben, und mein einziger Enkel hat ſeinen Abſchied genommen; — Gott verzeiht es ihm gewiß und ich will nicht ſterben, bis er in ſeinem ehrlichen Grabe liegt.","norm":"Drei Söhne sind in seinem Dienst gestorben, und mein einziger Enkel hat seinen Abschied genommen; — Gott verzeiht es ihm gewiss und ich will nicht sterben, bis er in seinem ehrlichen Grab liegt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":19,"orig":"Acht und achtzig Jahre und ſechs Meilen gelaufen!","norm":"Achtundachtzig Jahre und sechs Meilen gelaufen!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":20,"orig":"ſagten die Umſtehenden, ſie iſt müd', und kindiſch, in ſolchem Alter wird der Menſch ſchwach.","norm":"sagten die Umstehenden, sie ist müde, und kindisch, in solchem Alter wird der Mensch schwach."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":21,"orig":"Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und ſehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch haben, ſprach nun einer der Geſellen und beugte ſich näher zu ihr.","norm":"Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und sehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch haben, sprach nun einer der Gesellen und beugte sich näher zu ihr."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":22,"orig":"Da ſprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme, halb bittend, halb befehlend:","norm":"Da sprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme, halb bittend, halb befehlend:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":23,"orig":"O laßt mir meine Ruhe, und ſeyd nicht unvernünftig; ich brauch' keinen Schnupfen, ich brauche keine Langeweile; es iſt ja ſchon ſpät an der Zeit, acht und achtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da geh' ich zu meinen Befreundeten.","norm":"O lasst mir meine Ruhe, und seid nicht unvernünftig; ich brauche keinen Schnupfen, ich brauche keine Langeweile; es ist ja schon spät an der Zeit, achtundachtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da gehe ich zu meinen Befreundeten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":24,"orig":"Wenn ein Menſch fromm iſt, und hat Schickſale, und kann beten, ſo kann er die paar armen Stunden auch noch wohl hinbringen.","norm":"Wenn ein Mensch fromm ist, und hat Schicksale, und kann beten, so kann er die paar armen Stunden auch noch wohl hinbringen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":25,"orig":"Die Leute hatten ſich nach und nach verloren, und die letzten, welche noch da ſtanden, eilten auch hinweg, weil der Nachtwächter durch die Straße kam und ſie ſich von ihm ihre Wohnungen wollten öffnen laſſen.","norm":"Die Leute hatten sich nach und nach verloren, und die letzten, welche noch da standen, eilten auch hinweg, weil der Nachtwächter durch die Straße kam und sie sich von ihm ihre Wohnungen wollten öffnen lassen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":26,"orig":"So war ich allein noch gegenwärtig.","norm":"So war ich allein noch gegenwärtig."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":27,"orig":"Die Straße ward ruhiger.","norm":"Die Straße wurde ruhiger."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":28,"orig":"Ich wandelte nachdenkend unter den Bäumen des vor mir liegenden freien Platzes auf und nieder; das Weſen der Bäuerin, ihr beſtimmter ernſter Ton, ihre Sicherheit im Leben, das ſie acht und achtzigmal mit ſeinen Jahreszeiten hatte zurück kehren ſehen, und das ihr nur wie ein Vorſaal im Bethauſe erſchien, hatten mich mannigfach erſchüttert.","norm":"Ich wandelte nachdenkend unter den Bäumen des vor mir liegenden freien Platzes auf und nieder; das Wesen der Bäuerin, ihr bestimmter ernster Ton, ihre Sicherheit im Leben, das sie achtundachtzigmal mit seinen Jahreszeiten hatte zurückkehren sehen, und das ihr nur wie ein Vorsaal im Bethause erschien, hatten mich mannigfach erschüttert."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":29,"orig":"Was ſind alle Leiden, alle Begierden meiner Bruſt, die Sterne gehen ewig unbekümmert ihren Weg, wozu ſuche ich Erquickung und Labung und von wem ſuche ich ſie und für wen?","norm":"Was sind alle Leiden, alle Begierden meiner Brust, die Sterne gehen ewig unbekümmert ihren Weg, wozu suche ich Erquickung und Labung und von wem suche ich sie und für wen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":30,"orig":"Alles was ich hier ſuche und liebe und erringe, wird es mich je dahin bringen, ſo ruhig, wie dieſe gute fromme Seele, die Nacht auf der Schwelle des Hauſes zubringen zu können, bis der Morgen erſcheint, und werde ich dann den Freund finden, wie ſie?","norm":"Alles was ich hier suche und liebe und erringe, wird es mich je dahin bringen, so ruhig, wie diese gute fromme Seele, die Nacht auf der Schwelle des Hauses zubringen zu können, bis der Morgen erscheint, und werde ich dann den Freund finden, wie sie?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":31,"orig":"Ach, ich werde die Stadt gar nicht erreichen, ich werde, wegemüde, ſchon in dem Sande vor dem Thore umſinken und vielleicht gar in die Hände der Räuber fallen.","norm":"Ach, ich werde die Stadt gar nicht erreichen, ich werde, wegemüde, schon in dem Sande vor dem Tore umsinken und vielleicht gar in die Hände der Räuber fallen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":32,"orig":"So ſprach ich zu mir ſelbſt und als ich durch den Lindengang mich der Alten wieder näherte, hörte ich ſie halb laut mit geſenktem Kopfe vor ſich hin beten.","norm":"So sprach ich zu mir selbst und als ich durch den Lindengang mich der Alten wieder näherte, hörte ich sie halblaut mit gesenktem Kopfe vor sich hin beten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":33,"orig":"Ich war wunderbar gerührt, und trat zu ihr hin und ſprach:","norm":"Ich war wunderbar gerührt, und trat zu ihr hin und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":34,"orig":"Mit Gott, fromme Mutter, bete Sie auch ein wenig für mich!","norm":"Mit Gott, fromme Mutter, bete Sie auch ein wenig für mich!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":35,"orig":"— bei welchen Worten ich ihr einen Thaler in die Schürze warf.","norm":"— bei welchen Worten ich ihr einen Taler in die Schürze warf."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":36,"orig":"Die Alte ſagte hierauf ganz ruhig:","norm":"Die Alte sagte hierauf ganz ruhig:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":37,"orig":"Hab tauſend Dank, mein lieber Herr, daß Du mein Gebet erhört.","norm":"Habe tausend Dank, mein lieber Herr, dass Du mein Gebet erhört."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":38,"orig":"Ich glaubte, ſie ſpreche mit mir und ſagte:","norm":"Ich glaubte, sie spreche mit mir und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":39,"orig":"Mutter, habt Ihr mich denn um Etwas gebeten, ich wüßte nicht.","norm":"Mutter, habt Ihr mich denn um Etwas gebeten, Ich wüsste nicht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":40,"orig":"Da fuhr die Alte überraſcht auf und ſprach:","norm":"Da fuhr die Alte überrascht auf und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":41,"orig":"Lieber Herr, gehe Er doch nach Haus und bete Er fein und lege Er ſich ſchlafen.","norm":"Lieber Herr, gehe er doch nach Haus und bete er fein und lege er sich schlafen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":42,"orig":"Was zieht Er ſo ſpät noch auf der Gaſſe herum, das iſt jungen Geſellen gar nichts nütze, denn der Feind geht um, und ſuchet, wo er ſich Einen erfange.","norm":"Was zieht er so spät noch auf der Gasse herum, das ist jungen Gesellen gar nichts nütze, denn der Feind geht um, und suchet, wo er sich Einen erfange."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":43,"orig":"Es iſt Mancher durch ſolch Nachtlaufen verdorben; wen ſucht Er, den Herrn?","norm":"Es ist mancher durch solch Nachtlaufen verdorben; wen sucht er, den Herrn?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":44,"orig":"der iſt in des Menſchen Herz, ſo er züchtiglich lebt, und nicht auf der Gaſſe.","norm":"der ist in des Menschen Herz, so er züchtig lebt, und nicht auf der Gasse."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":45,"orig":"Sucht Er aber den Feind, ſo hat Er ihn ſchon, gehe Er hübſch nach Haus und bete Er, daß Er ihn los werde.","norm":"Sucht er aber den Feind, so hat er ihn schon, gehe er hübsch nach Haus und bete er, dass Er ihn loswerde."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":46,"orig":"Gute Nacht.","norm":"Gute Nacht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":47,"orig":"Nach dieſen Worten wendete ſie ſich ganz ruhig nach der andern Seite, und ſteckte den Thaler in ihren Reiſeſack.","norm":"Nach diesen Worten wendete sie sich ganz ruhig nach der anderen Seite, und steckte den Taler in ihren Reisesack."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":48,"orig":"Alles was die Alte that, machte einen eigenthümlichen ernſten Eindruck auf mich, und ich ſprach zu ihr:","norm":"Alles was die Alte tat, machte einen eigentümlichen ernsten Eindruck auf mich, und ich sprach zu ihr:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":49,"orig":"Liebe Mutter, Ihr habt wohl recht, aber Ihr ſelbſt ſeyd es, was mich hier hält, ich hörte Euch beten und wollte Euch anſprechen, meiner dabei zu gedenken.","norm":"Liebe Mutter, Ihr habt wohl recht, aber Ihr selbst seid es, was mich hier hält, ich hörte Euch beten und wollte Euch ansprechen, meiner dabei zu gedenken."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":50,"orig":"Das iſt ſchon geſchehen, ſagte ſie, als ich Ihn ſo durch den Lindengang wandeln ſah, bat ich Gott: er möge Euch gute Gedanken geben.","norm":"Das ist schon geschehen, sagte sie, als ich ihn so durch den Lindengang wandeln sah, bat ich Gott: Er möge Euch gute Gedanken geben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":51,"orig":"Nun habe Er ſie, und gehe Er fein ſchlafen.","norm":"Nun habe er sie, und gehe er fein schlafen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":52,"orig":"Ich aber ſetzte mich zu ihr nieder auf die Treppe, und ergriff ihre dürre Hand und ſagte:","norm":"Ich aber setzte mich zu ihr nieder auf die Treppe, und ergriff ihre Dürre Hand und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":53,"orig":"Laſſet mich hier bei Euch ſitzen die Nacht hindurch, und erzählet mir, woher Ihr ſeyd, und was Ihr hier in der Stadt ſucht;","norm":"Lasst mich hier bei Euch sitzen die Nacht hindurch, und erzählet mir, woher Ihr seid, und was Ihr hier in der Stadt sucht;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":54,"orig":"Ihr habt hier keine Hülfe, in Eurem Alter iſt man Gott näher als den Menſchen; die Welt hat ſich verändert, ſeit Ihr jung waret.","norm":"Ihr habt hier keine Hilfe, in Eurem Alter ist man Gott näher als den Menschen; die Welt hat sich verändert, seit Ihr jung wart."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":55,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":56,"orig":"Das ich nicht wüßte, erwiederte die Alte, ich hab's mein Lebetag ganz einerlei gefunden;","norm":"Dass ich nicht wüsste, erwiderte die Alte, ich habe es mein Lebetag ganz einerlei gefunden;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":57,"orig":"Er iſt noch zu jung, da verwundert man ſich über Alles; mir iſt Alles ſchon ſo oft wieder vorgekommen, daß ich es nur noch mit Freuden anſehe, weil es Gott ſo treulich damit meinet.","norm":"Er ist noch zu jung, da verwundert man sich über alles; mir ist alles schon so oft wieder vorgekommen, dass ich es nur noch mit Freuden ansehe, weil es Gott so treulich damit meinet."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":58,"orig":"Aber man ſoll keinen guten Willen von ſich weiſen, wenn er Einem auch grade nicht noth thut, ſonſt möchte der liebe Freund ausbleiben, wenn er ein andermal gar willkommen wäre; bleibe Er drum immer ſitzen, und ſehe Er, was Er mir helfen kann.","norm":"Aber man soll keinen guten Willen von sich weisen, wenn er einem auch gerade nicht not tut, sonst möchte der liebe Freund ausbleiben, wenn er ein andermal gar willkommen wäre; bleibe er darum immer sitzen, und sehe er, was Er mir helfen kann."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":59,"orig":"Ich will ihm erzählen, was mich in die Stadt den weiten Weg hertreibt.","norm":"Ich will ihm erzählen, was mich in die Stadt den weiten Weg hertreibt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":60,"orig":"Ich hätt' es nicht gedacht, wieder hierher zu kommen.","norm":"Ich hätte es nicht gedacht, wieder hierherzukommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":61,"orig":"Es ſind ſiebzig Jahre, daß ich hier im Hauſe als Magd gedient habe, auf deſſen Schwelle ich ſitze, ſeitdem war ich nicht mehr in der Stadt; was die Zeit herumgeht?","norm":"Es sind siebzig Jahre, dass ich hier im Hause als Magd gedient habe, auf dessen Schwelle ich sitze, seitdem war ich nicht mehr in der Stadt; was die Zeit herumgeht?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":62,"orig":"es iſt als wenn man eine Hand umwendet.","norm":"es ist als wenn man eine Hand umwendet."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":63,"orig":"Wie oft habe ich hier am Abend geſeſſen vor ſiebzig Jahren und habe auf meinen Schatz gewartet, der bei der Garde ſtand.","norm":"Wie oft habe ich hier am Abend gesessen vor siebzig Jahren und habe auf meinen Schatz gewartet, der bei der Garde stand."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":64,"orig":"Hier haben wir uns auch verſprochen.","norm":"Hier haben wir uns auch versprochen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":65,"orig":"Wenn er hier — aber ſtill, da kömmt die Runde vorbei.","norm":"Wenn er hier — aber still, da kommt die Runde vorbei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":66,"orig":"Da hob ſie an mit gemäßigter Stimme, wie etwa junge Mägde und Diener in ſchönen Mondnächten, vor der Thür zu ſingen, und ich hörte mit innigem Vergnügen folgendes ſchöne alte Lied von ihr:","norm":"Da hob sie an mit gemäßigter Stimme, wie etwa junge Mägde und Diener in schönen Mondnächten, vor der Tür zu singen, und ich hörte mit innigem Vergnügen folgendes schöne alte Lied von ihr:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":67,"orig":"Wann der jüngſte Tag wird werden, Dann fallen die Sternelein auf die Erden.","norm":"Wann der Jüngste Tag wird werden, dann fallen die Sternelein auf die Erden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":68,"orig":"Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſtehn, Ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte gehn, Ihr ſollt treten auf die Spitzen, Da die lieben Engelein ſitzen;","norm":"Ihr Toten, ihr Toten sollt auferstehen, Ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehen, Ihr sollt treten auf die Spitzen, da die lieben Engelein sitzen;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":69,"orig":"Da kam der liebe Gott gezogen Mit einem ſchönen Regenbogen, Da kamen die falſchen Juden gegangen, Die führten einſt unſern Herrn Chriſtum gefangen, Die hohen Bäum' erleuchten ſehr, Die harten Stein zerknirſchten ſehr.","norm":"Da kam der liebe Gott gezogen mit einem schönen Regenbogen, da kamen die falschen Juden gegangen, die führten einst unseren Herrn Christus gefangen, die hohen Bäume erleuchten sehr, die harten Stein zerknirschten sehr."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":70,"orig":"Wer dies Gebetlein beten kann, Der bet's des Tages nur einmal, Die Seele wird vor Gott beſtehn, Wann wir werden zum Himmel eingehn.","norm":"Wer dies Gebetlein beten kann, der bete es des Tages nur einmal, die Seele wird vor Gott bestehen, wann wir werden zum Himmel eingehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":71,"orig":"Amen.","norm":"Amen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":72,"orig":"Als die Runde uns näher kam, wurde die gute Alte gerührt; ach, ſagte ſie, es iſt heute der ſechszehnte Mai, es iſt doch alles einerlei, gerade wie damals, nur haben ſie andere Mützen auf, und keine Zöpfe mehr.","norm":"Als die Runde uns näher kam, wurde die gute Alte gerührt; ach, sagte sie, es ist heute der sechzehnte Mai, es ist doch alles einerlei, gerade wie damals, nur haben sie andere Mützen auf, und keine Zöpfe mehr."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":73,"orig":"Thut nichts, wenn's Herz nur gut iſt!","norm":"Tut nichts, wenn es Herz nur gut ist!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":74,"orig":"Der Offizier der Runde blieb bei uns ſtehen und wollte eben fragen, was wir hier ſo ſpät zu ſchaffen hätten, als ich den Fähnrich Graf Groſſinger, einen Bekannten in ihm erkannte.","norm":"Der Offizier der Runde blieb bei uns stehen und wollte eben fragen, was wir hier so spät zu schaffen hätten, als ich den Fähnrich Graf Grossinger, einen Bekannten in ihm erkannte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":75,"orig":"Ich ſagte ihm kurz den ganzen Handel, und er ſagte, mit einer Art von Erſchütterung: hier haben Sie einen Thaler für die Alte und eine Roſe, — die er in der Hand trug — ſo alte Bauersleute haben Freude an Blumen.","norm":"Ich sagte ihm kurz den ganzen Handel, und er sagte, mit einer Art von Erschütterung: Hier haben Sie einen Taler für die Alte und eine Rose, — die er in der Hand trug — so alte Bauersleute haben Freude an Blumen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":76,"orig":"Bitten Sie die Alte, Ihnen Morgen das Lied in die Feder zu ſagen, und bringen Sie mir es.","norm":"Bitten Sie die Alte, Ihnen Morgen das Lied in die Feder zu sagen, und bringen Sie mir es."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":77,"orig":"Ich habe lange nach dem Liede getrachtet, aber es nie ganz habhaft werden können.","norm":"Ich habe lange nach dem Lied getrachtet, aber es nie ganz habhaft werden können."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":78,"orig":"Hiermit ſchieden wir, denn der Poſten der nahgelegenen Hauptwache, bis zu welcher ich ihn über den Platz begleitet hatte, rief:","norm":"Hiermit schieden wir, denn der Posten der nahgelegenen Hauptwache, bis zu welcher ich ihn über den Platz begleitet hatte, rief:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":79,"orig":"Wer da!","norm":"Wer da!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":80,"orig":"Er ſagte mir noch, daß er die Wache am Schloſſe habe, ich ſolle ihn dort beſuchen.","norm":"Er sagte mir noch, dass er die Wache am Schlosse habe, ich solle ihn dort besuchen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":81,"orig":"Ich ging zu der Alten zurück, und gab ihr die Roſe und den Thaler.","norm":"Ich ging zu der Alten zurück, und gab ihr die Rose und den Taler."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":82,"orig":"Die Roſe ergriff ſie mit einer rührenden Heftigkeit und befeſtigte ſie ſich auf ihren Hut, indem ſie mit einer etwas feineren Stimme und faſt weinend die Worte ſprach:","norm":"Die Rose ergriff sie mit einer rührenden Heftigkeit und befestigte sie sich auf ihren Hut, indem sie mit einer etwas feineren Stimme und fast weinend die Worte sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":83,"orig":"Roſen die Blumen auf meinem Hut, Hätt' ich viel Geld, das wäre gut, Roſen und mein Liebchen.","norm":"Rosen die Blumen auf meinem Hut, hätte ich viel Geld, das wäre gut, Rosen und mein Liebchen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":84,"orig":"Ich ſagte zu ihr:","norm":"Ich sagte zu ihr:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":85,"orig":"Ei Mütterchen, Ihr ſeyd ja ganz munter geworden, und ſie erwiederte:","norm":"Ei Mütterchen, Ihr seid ja ganz munter geworden, und sie erwiderte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":86,"orig":"Munter, munter, Immer bunter Immer runder Oben ſtund er, Nun bergunter,' S iſt kein Wunder!","norm":"Munter, munter, immer bunter immer runder oben stand er, nun bergunter,' S ist kein Wunder!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":87,"orig":"Schau' Er, lieber Menſch, iſt es nicht gut, daß ich hier ſitzen geblieben, es iſt alles einerlei, glaub' Er mir; heut ſind es ſiebzig Jahre, da ſaß ich hier vor der Thüre, ich war eine flinke Magd und ſang gern alle Lieder.","norm":"Schau er, lieber Mensch, ist es nicht gut, dass ich hier sitzen geblieben, es ist alles einerlei, glaube er mir; heute sind es siebzig Jahre, da saß ich hier vor der Türe, ich war eine flinke Magd und sang gern alle Lieder."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":88,"orig":"Da ſang ich auch das Lied vom jüngſten Gericht wie heute, da die Runde vorbei ging, und da warf mir ein Grenadier im Vorübergehen eine Roſe in den Schooß,","norm":"Da sang ich auch das Lied vom Jüngsten Gericht wie heute, da die Runde vorbeiging, und da warf mir ein Grenadier im Vorübergehen eine Rose in den Schoß,"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":89,"orig":"— die Blätter hab' ich noch in meiner Bibel liegen — das war meine erſte Bekanntſchaft mit meinem ſeligen Mann.","norm":"— die Blätter habe ich noch in meiner Bibel liegen — das war meine erste Bekanntschaft mit meinem seligen Mann."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":90,"orig":"Am andern Morgen hatte ich die Roſe vorgeſteckt in der Kirche, und da fand er mich, und es ward bald richtig.","norm":"Am anderen Morgen hatte ich die Rose vorgesteckt in der Kirche, und da fand er mich, und es wurde bald richtig."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":91,"orig":"Drum hat es mich gar ſehr gefreut, daß mir heut wieder eine Roſe ward.","norm":"Darum hat es mich gar sehr gefreut, dass mir heute wieder eine Rose wurde."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":92,"orig":"Es iſt ein Zeichen, daß ich zu ihm kommen ſoll, und darauf freu' ich mich herzlich.","norm":"Es ist ein Zeichen, dass ich zu ihm kommen soll, und darauf freue ich mich herzlich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":93,"orig":"Vier Söhne und eine Tochter ſind mir geſtorben, vorgeſtern hat mein Enkel ſeinen Abſchied genommen,","norm":"Vier Söhne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen,"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":94,"orig":"— Gott helfe ihm und erbarme ſich ſeiner!","norm":"— Gott helfe ihm und erbarme sich seiner!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":95,"orig":"— und morgen verläßt mich eine andere gute Seele, aber was ſag' ich morgen, iſt es nicht ſchon Mitternacht vorbei?","norm":"— und morgen verlässt mich eine andere gute Seele, aber was sage ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":96,"orig":"Es iſt zwölfe vorüber, erwiederte ich, verwundert über ihre Rede.","norm":"Es ist zwölf vorüber, erwiderte ich, verwundert über ihre Rede."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":97,"orig":"Gott gebe ihr Troſt und Ruhe die vier Stündlein, die ſie noch hat, ſagte die Alte und ward ſtill, indem ſie die Hände faltete.","norm":"Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat, sagte die Alte und wurde still, indem sie die Hände faltete."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":98,"orig":"Ich konnte nicht ſprechen, ſo erſchütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Weſen.","norm":"Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":99,"orig":"Da ſie aber ganz ſtille blieb und der Thaler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, ſagte ich zu ihr:","norm":"Da sie aber ganz stille blieb und der Taler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":100,"orig":"Mutter, ſteckt den Thaler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren.","norm":"Mutter, steckt den Taler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":101,"orig":"Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten ſchenken in ihrer letzten Noth!","norm":"Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Not!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":102,"orig":"erwiederte ſie; den erſten Thaler nehm' ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der ſoll ihn genießen.","norm":"erwiderte sie; den ersten Taler nehme ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der soll ihn genießen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":103,"orig":"Ja ſeht, es iſt immer ein herrlicher Junge geweſen, und hielt etwas auf ſeinen Leib und auf ſeine Seele — ach Gott, auf ſeine Seele!","norm":"Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen, und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele — ach Gott, auf seine Seele!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":104,"orig":"— ich habe gebetet den ganzen Weg, es iſt nicht möglich, der liebe Herr läßt ihn gewiß nicht verderben.","norm":"— Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht möglich, der liebe Herr lässt ihn gewiss nicht verderben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":105,"orig":"Unter allen Burſchen war er immer der reinlichſte und fleißigſte in der Schule, aber auf die Ehre war er vor Allem ganz erſtaunlich.","norm":"Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und fleißigste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor allem ganz erstaunlich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":106,"orig":"Sein Lieutenant hat auch immer geſprochen: wenn meine Schwadron Ehre im Leibe hat, ſo ſitzt ſie bei dem Finkel im Quartier.","norm":"Sein Leutnant hat auch immer gesprochen: Wenn meine Schwadron Ehre im Leibe hat, so sitzt sie bei dem Finkel im Quartier."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":107,"orig":"Er war unter den Uhlanen.","norm":"Er war unter den Ulanen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":108,"orig":"Als er zum erſtenmal aus Frankreich zurück kam, erzählte er allerlei ſchöne Geſchichten, aber immer war von der Ehre dabei die Rede.","norm":"Als er zum ersten Mal aus Frankreich zurückkam, erzählte er allerlei schöne Geschichten, aber immer war von der Ehre dabei die Rede."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":109,"orig":"Sein Vater und ſein Stiefbruder waren bei dem Landſturm und kamen oft mit ihm wegen der Ehre in Streit, denn was er zuviel hatte, hatten ſie nicht genug.","norm":"Sein Vater und sein Stiefbruder waren bei dem Landsturm und kamen oft mit ihm wegen der Ehre in Streit, denn was er zu viel hatte, hatten sie nicht genug."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":110,"orig":"Gott verzeih' mir meine ſchwere Sünde, ich will nicht ſchlecht von ihnen reden, Jeder hat ſein Bündel zu tragen: aber meine ſelige Tochter: ſeine Mutter hat ſich zu Tode gearbeitet bei dem Faulpelz, ſie konnte nicht erſchwingen, ſeine Schulden zu tilgen.","norm":"Gott verzeih mir meine schwere Sünde, ich will nicht schlecht von ihnen reden, jeder hat sein Bündel zu tragen: aber meine selige Tochter: seine Mutter hat sich zu Tode gearbeitet bei dem Faulpelz, sie konnte nicht erschwingen, seine Schulden zu tilgen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":111,"orig":"Der Uhlan erzählte von den Franzoſen, und als der Vater und Stiefbruder ſie ganz ſchlecht machen wollten, ſagte der Uhlan:","norm":"Der Ulan erzählte von den Franzosen, und als der Vater und Stiefbruder sie ganz schlecht machen wollten, sagte der Ulan:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":112,"orig":"Vater, das verſteht Ihr nicht, ſie haben doch viel Ehre im Leibe; da ward der Stiefbruder tückiſch und ſagte: wie kannſt Du Deinem Vater ſo viel von der Ehre vorſchwatzen?","norm":"Vater, das versteht Ihr nicht, sie haben doch viel Ehre im Leibe; da wurde der Stiefbruder tückisch und sagte: wie kannst Du Deinem Vater so viel von der Ehre vorschwatzen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":113,"orig":"war er doch Unteroffizier im R.","norm":"war er doch Unteroffizier im R."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":114,"orig":".","norm":"."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":115,"orig":".","norm":"."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":116,"orig":"ſchen Regiment, und muß es beſſer als Du verſtehn, der nur Gemeiner iſt.","norm":"schen Regiment, und muss es besser als Du verstehen, der nur Gemeiner ist."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":117,"orig":"Ja, ſagte da der alte Finkel, der nun auch rebelliſch ward, das war ich und habe manchem vorlauten Burſchen fünf und zwanzig aufgezählt; hätte ich nur Franzoſen in der Compagnie gehabt, die ſollten ſie noch beſſer gefühlt haben, mit ihrer Ehre.","norm":"Ja, sagte da der alte Finkel, der nun auch rebellisch wurde, das war ich und habe manchem vorlauten Burschen fünfundzwanzig aufgezählt; hätte ich nur Franzosen in der Compagnie gehabt, die sollten sie noch besser gefühlt haben, mit ihrer Ehre."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":118,"orig":"Die Rede that dem UhIanen gar weh und er ſagte: ich will ein Stückchen von einem franzöſiſchen Unteroffizier erzählen, das gefällt mir beſſer.","norm":"Die Rede tat dem Ulanen gar weh und er sagte: Ich will ein Stückchen von einem französischen Unteroffizier erzählen, das gefällt mir besser."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":119,"orig":"Unterm vorigen König ſollten auf einmal die Prügel bei der franzöſiſchen Armee eingeführt werden.","norm":"Unterm vorigen König sollten auf einmal die Prügel bei der französischen Armee eingeführt werden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":120,"orig":"Der Befehl des Kriegsminiſters wurde zu Straßburg bei einer großen Parade bekannt gemacht, und die Truppen hörten in Reih und Glied die Bekanntmachung mit ſtillem Grimm an.","norm":"Der Befehl des Kriegsministers wurde zu Straßburg bei einer großen Parade bekanntgemacht, und die Truppen hörten in Reih und Glied die Bekanntmachung mit stillem Grimm an."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":121,"orig":"Da aber noch am Schluß der Parade ein Gemeiner einen Exzeß machte, wurde ſein Unteroffizier vorkommandirt, ihm zwölf Hiebe zu geben.","norm":"Da aber noch am Schluss der Parade ein Gemeiner einen Exzess machte, wurde sein Unteroffizier vorkommandiert, ihm zwölf Hiebe zu geben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":122,"orig":"Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er mußte es thun.","norm":"Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er musste es tun."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":123,"orig":"Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geſchlagen hatte, ſtellte es vor ſich an die Erde, und drückte mit dem Fuße los, daß ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er todt niederſank.","norm":"Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geschlagen hatte, stellte es vor sich an die Erde, und drückte mit dem Fuße los, dass ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er tot niedersank."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":124,"orig":"Das wurde an den König berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, ward gleich zurück genommen; ſeht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte!","norm":"Das wurde an den König berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, wurde gleich zurückgenommen; Seht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":125,"orig":"Ein Narr war es, ſprach der Bruder, — freß Deine Ehre, wenn Du Hunger haſt!","norm":"Ein Narr war es, sprach der Bruder, — fresse Deine Ehre, wenn Du Hunger hast!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":126,"orig":"brummte der Vater.","norm":"brummte der Vater."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":127,"orig":"Da nahm mein Enkel ſeinen Säbel und ging aus dem Hauſe und kam zu mir in mein Häuschen, und erzählte mir alles und weinte die bittern Thränen.","norm":"Da nahm mein Enkel seinen Säbel und ging aus dem Hause und kam zu mir in mein Häuschen, und erzählte mir alles und weinte die bitteren Tränen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":128,"orig":"Ich konnte ihm nicht helfen; die Geſchichte, die er mir auch erzählte, konnte ich zwar nicht ganz verwerfen, aber ich ſagte ihm doch immer zuletzt:","norm":"Ich konnte ihm nicht helfen; die Geschichte, die er mir auch erzählte, konnte ich zwar nicht ganz verwerfen, aber ich sagte ihm doch immer zuletzt:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":129,"orig":"Gieb Gott allein die Ehre!","norm":"Gib Gott allein die Ehre!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":130,"orig":"Ich gab ihm noch den Segen, denn ſein Urlaub war am andern Tage aus, und er wollte noch eine Meile umreiten nach dem Orte, wo ein Pathgen von mir auf dem Edelhof diente, auf die er gar viel hielt, er wollte einmal mit ihr hauſen; — ſie werden auch wohl bald zuſammen kommen, wenn Gott mein Gebet erhört.","norm":"Ich gab ihm noch den Segen, denn sein Urlaub war am anderen Tage aus, und er wollte noch eine Meile umreiten nach dem Orte, wo ein Patchen von mir auf dem Edelhof diente, auf die er gar viel hielt, er wollte einmal mit ihr hausen; — sie werden auch wohl bald zusammenkommen, wenn Gott mein Gebet erhört."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":131,"orig":"Er hat ſeinen Abſchied ſchon genommen, mein Pathgen wird ihn heut erhalten, und die Ausſteuer hab' ich auch ſchon beiſammen, es ſoll auf der Hochzeit weiter Niemand ſehn, als ich.","norm":"Er hat seinen Abschied schon genommen, mein Patchen wird ihn heute erhalten, und die Aussteuer habe ich auch schon beisammen, es soll auf der Hochzeit weiter niemand sein, als ich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":132,"orig":"Da ward die Alte wieder ſtill und ſchien zu beten.","norm":"Da wurde die Alte wieder still und schien zu beten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":133,"orig":"Ich war in allerlei Gedanken über die Ehre, und ob ein Chriſt den Tod des Unteroffiziers ſchön finden dürfe?","norm":"Ich war in allerlei Gedanken über die Ehre, und ob ein Christ den Tod des Unteroffiziers schön finden dürfe?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":134,"orig":"Ich wollte: es ſagte mir einmal Einer etwas Hinreichendes darüber.","norm":"Ich wollte: Es sagte mir einmal Einer etwas Hinreichendes darüber."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":135,"orig":"Als der Wächter Ein Uhr anrief, ſagte die Alte: nun habe ich noch zwei Stunden; ei, iſt Er noch da, warum geht Er nicht ſchlafen?","norm":"Als der Wächter ein Uhr anrief, sagte die Alte: Nun habe ich noch zwei Stunden; ei, ist er noch da, warum geht er nicht schlafen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":136,"orig":"Er wird morgen nicht arbeiten können, und mit Seinem Meiſter Händel kriegen; von welchem Handwerk iſt Er denn, mein guter Menſch?","norm":"Er wird morgen nicht arbeiten können, und mit seinem Meister Händel kriegen; von welchem Handwerk ist er denn, mein guter Mensch?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":137,"orig":"Da wußte ich nicht recht, wie ich es ihr deutlich machen ſollte, daß ich ein Schriftſteller ſey.","norm":"Da wusste ich nicht recht, wie ich es ihr deutlich machen sollte, dass ich ein Schriftsteller sei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":138,"orig":"Ich bin ein Gestudirter durfte ich nicht ſagen, ohne zu lügen.","norm":"Ich bin ein Studierter durfte ich nicht sagen, ohne zu lügen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":139,"orig":"Es iſt wunderbar, daß ein Deutſcher immer ſich ein wenig ſchämt, zu ſagen: er ſey ein Schriftſteller; zu Leuten aus den untern Ständen ſagt man es am ungernſten, weil dieſen gar leicht die Schriftgelehrten und Phariſäer aus der Bibel dabei einfallen.","norm":"Es ist wunderbar, dass ein Deutscher immer sich ein wenig schämt, zu sagen: Er sei ein Schriftsteller; zu Leuten aus den unteren Ständen sagt man es am ungernsten, weil diesen gar leicht die Schriftgelehrten und Pharisäer aus der Bibel dabei einfallen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":140,"orig":"Der Name Schriftſteller iſt nicht ſo eingebürgert bei uns, wie das homme de lettres bei den Franzoſen, welche überhaupt als Schriftſteller zünftig ſind, und in ihren Arbeiten mehr hergebrachtes Geſetz haben, ja bei denen man auch fragt: ou avez vous fait votre Philosophie, wo haben ſie ihre Philoſophie gemacht?","norm":"Der Name Schriftsteller ist nicht so eingebürgert bei uns, wie das homme de lettres bei den Franzosen, welche überhaupt als Schriftsteller zünftig sind, und in ihren Arbeiten mehr hergebrachtes Gesetz haben, ja bei denen man auch fragt: ou avez vous fait votre Philosophie, wo haben sie Ihre Philosophie gemacht?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":141,"orig":"wie denn ein Franzoſe ſelbſt viel mehr von einem gemachten Manne hat.","norm":"wie denn ein Franzose selbst viel mehr von einem gemachten Manne hat."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":142,"orig":"Doch dieſe nicht deutſche Sitte iſt es nicht allein, welche das Wort Schriftſteller ſo ſchwer auf der Zunge macht, wenn man am Thore um ſeinen Charakter gefragt wird, ſondern eine gewiſſe innere Scham hält uns zurück, ein Gefühl, welches Jeden befällt, der mit freien und geiſtigen Gütern, mit unmittelbaren Geſchenken des Himmels Handel treibt.","norm":"Doch diese nicht deutsche Sitte ist es nicht allein, welche das Wort Schriftsteller so schwer auf der Zunge macht, wenn man am Tore um seinen Charakter gefragt wird, sondern eine gewisse innere Scham hält uns zurück, ein Gefühl, welches Jeden befällt, der mit freien und geistigen Gütern, mit unmittelbaren Geschenken des Himmels Handel treibt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":143,"orig":"Gelehrte brauchen ſich weniger zu ſchämen als Dichter, denn ſie haben gewöhnlich Lehrgeld gegeben.","norm":"Gelehrte brauchen sich weniger zu schämen als Dichter, denn sie haben gewöhnlich Lehrgeld gegeben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":144,"orig":"ſind meiſt in Aemtern des Staats, ſpalten an groben Klötzen, oder arbeiten in Schachten, wo viel wilde Waſſer auszupumpen ſind.","norm":"sind meist in Ämtern des Staats, spalten an groben Klötzen, oder arbeiten in Schachten, wo viel wilde Wasser auszupumpen sind."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":145,"orig":"Aber ein ſogenannter Dichter iſt am übelſten daran, weil er meiſtens aus dem Schulgarten nach dem Parnaß entlaufen, und es iſt auch wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von Profeſſion, der es nicht nur nebenher iſt.","norm":"Aber ein sogenannter Dichter ist am übelsten daran, weil er meistens aus dem Schulgarten nach dem Parnass entlaufen, und es ist auch wirklich ein verdächtiges Ding um einen Dichter von Profession, der es nicht nur nebenher ist."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":146,"orig":"Man kann ſehr leicht zu ihm ſagen: mein Herr, ein jeder Menſch hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen, auch eine Poeſie im Leibe, wer aber eines dieſer Glieder überfüttert, verfüttert, oder mäſtet, und es über alle andre hinüber treibt, ja es gar zum Erwerbzweig macht, der muß ſich ſchämen vor ſeinem ganzen übrigen Menſchen.","norm":"Man kann sehr leicht zu ihm sagen: mein Herr, ein jeder Mensch hat, wie Hirn, Herz, Magen, Milz, Leber und dergleichen, auch eine Poesie im Leibe, wer aber eines dieser Glieder überfüttert, verfüttert, oder mästet, und es über alle andere hinübertreibt, ja es gar zum Erwerbzweig macht, der muss sich schämen vor seinem ganzen übrigen Menschen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":147,"orig":"Einer, der von der Poeſie lebt, hat das Gleichgewicht verloren, und eine übergroße Gänſeleber, ſie mag noch ſo gut ſchmecken, ſetzt doch immer eine kranke Gans voraus.","norm":"Einer, der von der Poesie lebt, hat das Gleichgewicht verloren, und eine übergroße Gänseleber, sie mag noch so gut schmecken, setzt doch immer eine kranke Gans voraus."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":148,"orig":"Alle Menſchen, welche ihr Brod nicht im Schweiß ihres Angeſichts verdienen, müſſen ſich einigermaßen ſchämen, und das fühlt Einer, der noch nicht ganz in der Tinte war, wenn er ſagen ſoll, er ſey ein Schriftſteller.","norm":"Alle Menschen, welche ihr Brot nicht im Schweiß ihres Angesichts verdienen, müssen sich einigermaßen schämen, und das fühlt Einer, der noch nicht ganz in der Tinte war, wenn er sagen soll, er sei ein Schriftsteller."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":149,"orig":"So dachte ich Allerlei, und beſann mich, was ich der Alten ſagen ſollte, welche, über mein Zögern verwundert, mich anſchaute und ſprach: Welch' ein Handwerk Er treibt?","norm":"So dachte ich Allerlei, und besann mich, was ich der Alten sagen sollte, welche, über mein Zögern verwundert, mich anschaute und sprach: Welch ein Handwerk er treibt?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":150,"orig":"frage ich, warum will Er mir's nicht ſagen, treibt Er kein ehrlich Handwerk, ſo greif Er's noch an, es hat einen goldnen Boden.","norm":"frage ich, warum will er mir es nicht sagen, treibt er kein ehrlich Handwerk, so greife er es noch an, es hat einen goldenen Boden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":151,"orig":"Er iſt doch nicht etwa gar ein Henker oder Spion, der mich ausholen will; meinet halben ſey Er wer Er will, ſag' Er's, wer Er iſt!","norm":"Er ist doch nicht etwa gar ein Henker oder Spion, der mich ausholen will; meinethalben sei er wer Er will, sage er es, wer Er ist!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":152,"orig":"Wenn Er bei Tage ſo hier ſäße, würde ich glauben, Er ſey ein Lehnerich, ſo ein Tagedieb, der ſich an die Häuſer lehnt, damit er nicht umfällt vor Faulheit.","norm":"Wenn Er bei Tage so hier säße, würde ich glauben, er sei ein Lehnerich, so ein Tagedieb, der sich an die Häuser lehnt, damit er nicht umfällt vor Faulheit."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":153,"orig":"Da fiel mir ein Wort ein, das mir vielleicht eine Brücke zu ihrem Verſtändniß ſchlagen könnte:","norm":"Da fiel mir ein Wort ein, das mir vielleicht eine Brücke zu ihrem Verständnis schlagen könnte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":154,"orig":"Liebe Mutter, ſagte ich, ich bin ein Schreiber.","norm":"Liebe Mutter, sagte ich, ich bin ein Schreiber."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":155,"orig":"Nun, ſagte ſie, das hätte Er gleich ſagen ſollen;","norm":"Nun, sagte sie, das hätte er gleich sagen sollen;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":156,"orig":"Er iſt alſo ein Mann von der Feder, dazu gehören ſeine Köpfe und ſchnelle Finger, und ein gutes Herz, ſonſt wird Einem drauf geklopft.","norm":"Er ist also ein Mann von der Feder, dazu gehören feine Köpfe und schnelle Finger, und ein gutes Herz, sonst wird einem drauf geklopft."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":157,"orig":"Ein Schreiber iſt Er?","norm":"Ein Schreiber ist er?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":158,"orig":"kann Er mir dann wohl eine Bittſchrift aufſetzen an den Herzog, die aber gewiß erhört wird, und nicht bei den vielen andern liegen bleibt?","norm":"Kann er mir dann wohl eine Bittschrift aufsetzen an den Herzog, die aber gewiss erhört wird, und nicht bei den vielen anderen liegen bleibt?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":159,"orig":"Eine Bittſchrift, liebe Mutter, ſprach ich, kann ich Ihr wohl aufſetzen, und ich will mir alle Mühe geben, daß ſie recht eindringlich abgefaßt ſeyn ſoll.","norm":"Eine Bittschrift, liebe Mutter, sprach ich, kann ich Ihr wohl aufsetzen, und ich will mir alle Mühe geben, dass sie recht eindringlich abgefasst sein soll."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":160,"orig":"Nun, das iſt brav von Ihm, erwiederte ſie;","norm":"Nun, das ist brav von ihm, erwiderte sie;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":161,"orig":"Gott lohn' es Ihm, und laſſe Ihn älter werden, als mich, und gebe Ihm auch in Seinem Alter einen ſo geruhigen Muth und eine ſo ſchöne Nacht mit Roſen und Thalern, wie mir, und auch einen Freund, der Ihm eine Bittſchrift macht, wenn es Ihm Noth thut.","norm":"Gott Lohn es Ihm, und lasse ihn älter werden, als mich, und gebe ihm auch in seinem Alter einen so geruhigen Mut und eine so schöne Nacht mit Rosen und Talern, wie mir, und auch einen Freund, der ihm eine Bittschrift macht, wenn es ihm Not tut."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":162,"orig":"Aber jetzt gehe Er nach Haus, lieber Freund, und kaufe Er ſich einen Bogen Papier und ſchreibe Er die Bittſchrift; ich will hier auf Ihn warten, noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pathe, Er kann mitgehen, ſie wird ſich auch freuen an der Bittſchrift.","norm":"Aber jetzt gehe er nach Haus, lieber Freund, und kaufe er sich einen Bogen Papier und schreibe er die Bittschrift; ich will hier auf ihn warten, noch eine Stunde, dann gehe ich zu meiner Pate, er kann mitgehen, sie wird sich auch freuen an der Bittschrift."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":163,"orig":"Sie hat gewiß ein gut Herz, aber Gottes Gerichte ſind wunderbar.","norm":"Sie hat gewiss ein gut Herz, aber Gottes Gerichte sind wunderbar."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":164,"orig":"Nach dieſen Worten ward die Alte wieder ſtill, ſenkte den Kopf und ſchien zu beten.","norm":"Nach diesen Worten wurde die Alte wieder still, senkte den Kopf und schien zu beten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":165,"orig":"Der Thaler lag noch auf ihrem Schooß.","norm":"Der Taler lag noch auf ihrem Schoß."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":166,"orig":"Sie weinte, Liebe Mutter, was fehlt Euch, was thut Euch ſo weh, Ihr weinet?","norm":"Sie weinte, Liebe Mutter, was fehlt Euch, was tut Euch so weh, Ihr weinet?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":167,"orig":"ſprach ich.","norm":"sprach ich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":168,"orig":"Nun warum ſoll ich denn nicht weinen, ich weine auf den Thaler, ich weine auf die Bittſchrift, auf Alles weine ich.","norm":"Nun warum soll ich denn nicht weinen, Ich weine auf den Taler, ich weine auf die Bittschrift, auf alles weine ich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":169,"orig":"Aber es hilft nichts, es iſt doch Alles viel, viel beſſer auf Erden, als wir Menſchen es verdienen, und gallenbittre Thränen ſind noch viel zu ſüße.","norm":"Aber es hilft nichts, es ist doch alles viel, viel besser auf Erden, als wir Menschen es verdienen, und gallenbittere Tränen sind noch viel zu süße."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":170,"orig":"Sehe Er nur einmal das goldne Kameel da drüben, an der Apotheke, wie doch Gott Alles ſo herrlich und wunderbar geſchaffen hat, aber der Menſch erkennt es nicht, und ein ſolch' Kameel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich.","norm":"Sehe er nur einmal das goldene Kamel da drüben, an der Apotheke, wie doch Gott alles so herrlich und wunderbar geschaffen hat, Aber der Mensch erkennt es nicht, und ein solch Kamel geht eher durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":171,"orig":"— Aber was ſitzt Er denn immer da, gehe Er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe Er mir die Bittſchrift.","norm":"— Aber was sitzt er denn immer da, Gehe er, den Bogen Papier zu kaufen, und bringe er mir die Bittschrift."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":172,"orig":"Liebe Mutter, ſagte ich, wie kann ich Euch die Bittſchrift machen, wenn Ihr mir nicht ſagt, was ich hinein ſchreiben ſoll.","norm":"Liebe Mutter, sagte ich, wie kann ich Euch die Bittschrift machen, wenn Ihr mir nicht sagt, was ich hineinschreiben soll."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":173,"orig":"Das muß ich Ihm ſagen?","norm":"Das muss ich ihm sagen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":174,"orig":"erwiederte ſie, dann iſt es freilich keine Kunſt, und wundre ich mich nicht mehr, daß Er ſich einen Schreiber zu nennen ſchämte, wenn man Ihm Alles ſagen ſoll.","norm":"erwiderte sie, dann ist es freilich keine Kunst, und wundre ich mich nicht mehr, dass Er sich einen Schreiber zu nennen schämte, wenn man ihm alles sagen soll."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":175,"orig":"Run, ich will mein Mögliches thun.","norm":"Nun, ich will mein Mögliches tun."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":176,"orig":"Setz' Er in die Bittſchrift, daß zwei Liebende bei einander ruhen ſollen und daß ſie Einen nicht auf die Anatomie bringen ſollen, damit man ſeine Glieder beiſammen hat, wenn es heißt: ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſtehn, ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte gehn.","norm":"Setze er in die Bittschrift, dass zwei Liebende beieinander ruhen sollen und dass sie Einen nicht auf die Anatomie bringen sollen, damit man seine Glieder beisammen hat, wenn es heißt: Ihr Toten, ihr Toten sollt auferstehen, ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":177,"orig":"Da fing ſie wieder bitterlich an zu weinen.","norm":"Da fing sie wieder bitterlich an zu weinen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":178,"orig":"Ich ahnte, ein ſchweres Leid müſſe auf ihr laſten, aber ſie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten ſich ſchmerzlich gerührt.","norm":"Ich ahnte, ein schweres Leid müsse auf ihr lasten, aber sie fühle bei der Bürde ihrer Jahre nur in einzelnen Momenten sich schmerzlich gerührt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":179,"orig":"Sie weinte ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt.","norm":"Sie weinte ohne zu klagen, ihre Worte waren immer gleich ruhig und kalt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":180,"orig":"Ich bat ſie nochmals, mir die ganze Veranlaſſung zu ihrer Reiſe in die Stadt zu erzählen, und ſie ſprach:","norm":"Ich bat sie nochmals, mir die ganze Veranlassung zu ihrer Reise in die Stadt zu erzählen, und sie sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":181,"orig":"Mein Enkel, der Uhlan, von dem ich Ihm erzählte, hatte doch mein Pathgen ſehr lieb, wie ich Ihm vorher ſagte, und ſprach der ſchönen Annerl, wie die Leute ſie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor, und ſagte ihr immer, ſie ſolle auf ihre Ehre halten, und auch auf ſeine Ehre.","norm":"Mein Enkel, der Ulan, von dem ich ihm erzählte, hatte doch mein Patchen sehr lieb, wie ich ihm vorher sagte, und sprach der schönen Annerl, wie die Leute sie ihres glatten Spiegels wegen nannten, immer von der Ehre vor, und sagte ihr immer, sie solle auf ihre Ehre halten, und auch auf seine Ehre."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":182,"orig":"Da kriegte dann das Mädchen etwas ganz Apartes in ihr Geſicht und ihre Kleidung von der Ehre, ſie war feiner und manierlicher, als alle andere Dirnen.","norm":"Da kriegte dann das Mädchen etwas ganz Apartes in ihr Gesicht und ihre Kleidung von der Ehre, sie war feiner und manierlicher, als alle andere Dirnen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":183,"orig":"Alles ſaß ihr knapper am Leibe und wenn ſie ein Burſche einmal ein wenig derb beim Tanze anfaßte oder ſie etwa höher als den Steg der Baßgeige ſchwang, ſo konnte ſie bitterlich darüber bei mir weinen, und ſprach dabei immer: es ſey wider ihre Ehre.","norm":"Alles saß ihr knapper am Leibe und wenn sie ein Bursche einmal ein wenig derb beim Tanze anfasste oder sie etwa höher als den Steg der Bassgeige schwang, so konnte sie bitterlich darüber bei mir weinen, und sprach dabei immer: Es sei wider ihre Ehre."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":184,"orig":"Ach, das Annerl iſt ein eignes Mädchen immer geweſen, manchmal, wenn kein Menſch es ſich verſah, fuhr ſie mit beiden Händen nach ihrer Schürze und riß ſie ſich vom Leibe, als ob Feuer drinn ſey, und dann fing ſie gleich entſetzlich an zu weinen; aber das hat ſeine Urſache, es hat ſie mit Zähnen hingeriſſen, der Feind ruht nicht.","norm":"Ach, das Annerl ist ein eigenes Mädchen immer gewesen, manchmal, wenn kein Mensch es sich versah, fuhr sie mit beiden Händen nach ihrer Schürze und riss sie sich vom Leibe, als ob Feuer drin sei, und dann fing sie gleich entsetzlich an zu weinen; aber das hat seine Ursache, es hat sie mit Zähnen hingerissen, der Feind ruht nicht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":185,"orig":"Wäre das Kind nur nicht ſtets ſo hinter der Ehre her geweſen, und hätte ſich lieber an unſern lieben Gott gehalten, hätte ihn nie von ſich gelaſſen, in aller Noth, und hätte ſeinetwillen Schande und Verachtung ertragen, ſtatt ihrer Menſchenehre.","norm":"Wäre das Kind nur nicht stets so hinter der Ehre her gewesen, und hätte sich lieber an unseren lieben Gott gehalten, hätte ihn nie von sich gelassen, in aller Not, und hätte seinetwillen Schande und Verachtung ertragen, statt ihrer Menschenehre."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":186,"orig":"Der Herr hätte ſich gewiß erbarmt, und wird es auch noch, ach, ſie kommen gewiß zuſammen, Gottes Wille geſchehe!","norm":"Der Herr hätte sich gewiss erbarmt, und wird es auch noch, ach, sie kommen gewiss zusammen, Gottes Wille geschehe!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":187,"orig":"Der Uhlan ſtand wieder in Frankreich, er hatte lange nicht geſchrieben, und wir glaubten ihn faſt todt und weinten oft um ihn.","norm":"Der Ulan stand wieder in Frankreich, er hatte lange nicht geschrieben, und wir glaubten ihn fast tot und weinten oft um ihn."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":188,"orig":"Er war aber im Hospital an einer ſchweren Bleſſur krank gelegen und als er wieder zu ſeinen Kameraden kam, und zum Unteroffizier ernannt wurde, fiel ihm ein, daß ihm vor zwei Jahren ſein Stiefbruder ſo über's Maul gefahren: er ſey nur Gemeiner und der Vater Korporal, und dann die Geſchichte von dem franzöſiſchen Unteroffizier und wie er ſeinem Annerl von der Ehre ſo viel geredet, als er Abſchied genommen.","norm":"Er war aber im Hospital an einer schweren Blessur krank gelegen und als er wieder zu seinen Kameraden kam, und zum Unteroffizier ernannt wurde, fiel ihm ein, dass ihm vor zwei Jahren sein Stiefbruder so übers Maul gefahren: Er sei nur gemeiner und der Vater Korporal, und dann die Geschichte von dem französischen Unteroffizier und wie er seinem Annerl von der Ehre so viel geredet, als er Abschied genommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":189,"orig":"Da verlor er ſeine Ruhe und kriegte das Heimweh und ſagte zu ſeinem Rittmeiſter, der ihn um ſein Leid fragte: ach, Herr Rittmeiſter, es iſt, als ob es mich mit den Zähnen nach Hauſe zöge.","norm":"Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Zähnen nach Hause zöge."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":190,"orig":"Da ließen ſie ihn heimreiten mit ſeinem Pferd, denn alle ſeine Offiziere trauten ihm.","norm":"Da ließen sie ihn heimreiten mit seinem Pferd, denn alle seine Offiziere trauten ihm."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":191,"orig":"Er kriegte auf drei Monate Urlaub und ſollte mit der Remonte wieder zurück kommen.","norm":"Er kriegte auf drei Monate Urlaub und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":192,"orig":"Er eilte ſo ſehr er konnte, ohne ſeinem Pferde wehe zu thun, welches er beſſer Pflegte, als jemals, weil es ihm war anvertraut worden.","norm":"Er eilte so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu tun, welches er besser Pflegte, als jemals, weil es ihm war anvertraut worden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":193,"orig":"An einem Tage trieb es ihn ganz entſetzlich, nach Hauſe zu eilen, es war der Tag vor dem Sterbetage ſeiner Mutter, und es war ihm immer als laufe ſie vor ſeinem Pferde her, und riefe:","norm":"An einem Tage trieb es ihn ganz entsetzlich, nach Hause zu eilen, es war der Tag vor dem Sterbetage seiner Mutter, und es war ihm immer als laufe sie vor seinem Pferde her, und riefe:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":194,"orig":"Kasper, thue mir eine Ehre an!","norm":"Kasper, tue mir eine Ehre an!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":195,"orig":"Ach, ich ſaß an dieſem Tage auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre; ich hatte Blümelein Vergiß nicht mein in einen Kranz gebunden und an das eingeſunkene Kreuz gehängt, und maaß mir den Platz umher aus, und dachte: hier will ich liegen, und da ſoll Kasper liegen, wenn ihm Gott ſein Grab in der Heimath ſchenkt, daß wir fein beiſammen ſind, wenn's heißt:","norm":"Ach, ich saß an diesem Tage auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre; Ich hatte Blümchen Vergißnichtmein in einen Kranz gebunden und an das eingesunkene Kreuz gehängt, und maß mir den Platz umher aus, und dachte: hier will ich liegen, und da soll Kasper liegen, wenn ihm Gott sein Grab in der Heimat schenkt, dass wir fein beisammen sind, wenn es heißt:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":196,"orig":"Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſtehn, ihr ſollt zum jüngſten Gerichte gehn!","norm":"Ihr Toten, ihr Toten sollt auferstehen, ihr sollt zum jüngsten Gerichte gehen!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":197,"orig":"Aber Kasper kam nicht, ich wußte auch nicht, daß er ſo nahe war und wohl hätte kommen können.","norm":"Aber Kasper kam nicht, ich wusste auch nicht, dass er so nahe war und wohl hätte kommen können."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":198,"orig":"Es trieb ihn auch gar ſehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an dieſen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von ſchönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab ſeiner Mutter zu ſchmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den ſollte ſie ſich bis zu ihrem Ehrentage bewahren.","norm":"Es trieb ihn auch gar sehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an diesen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von schönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab seiner Mutter zu schmücken, und auch einen Kranz für Annerl, den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentage bewahren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":199,"orig":"— Hier ward die Alte ſtill und ſchüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: den ſollte ſie ſich bis zu ihrem Ehrentag bewahren, — fuhr ſie fort: wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte!","norm":"— Hier wurde die Alte still und schüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: Den sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentag bewahren, — fuhr sie fort: Wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":200,"orig":"— Wozu, fragte ich, welch' Anliegen habt Ihr denn, Mutter?","norm":"— Wozu, fragte ich, welch Anliegen habt Ihr denn, Mutter?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":201,"orig":"da ſagte ſie ernſt:","norm":"da sagte sie ernst:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":202,"orig":"O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme, was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre!","norm":"O, was läge am ganzen Leben, wenn es kein Ende nähme, was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":203,"orig":"und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:","norm":"und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":204,"orig":"Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unſerm Dorfe angekommen, aber morgens hatte ihm ſein Wirth im Stalle gezeigt, daß ſein Pferd gedrückt ſey, und dabei geſagt: mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre.","norm":"Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserem Dorfe angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirt im Stalle gezeigt, dass sein Pferd gedrückt sei, und dabei gesagt: mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":205,"orig":"Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und ſetzte ſeine Reiſe, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort.","norm":"Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, tat alles, ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":206,"orig":"So kam er am ſpäten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unſerm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund ſeines Vaters kannte, ſprach er bei ihm ein, und wurde wie ein recht lieber Gaſt aus der Fremde empfangen.","norm":"So kam er am späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserem Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein, und wurde wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":207,"orig":"Kasper zog ſein Pferd in den Stall, legte den Sattel und ſein Felleiſen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube.","norm":"Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem Müller in die Stube."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":208,"orig":"Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, daß ich alte Großmutter noch lebe, und daß ſein Vater und ſein Stiefbruder geſund ſeyen und daß es recht gut mit ihnen gehe; ſie wären erſt geſtern mit Getreide auf der Mühle geweſen, ſein Vater habe ſich auf den Roß- und Ochſenhandel gelegt und gedeihe dabei recht gut, auch halte er jetzt etwas auf ſeine Ehre, und gehe nicht mehr ſo zerriſſen umher.","norm":"Da fragte er dann nach den Seinigen, und hörte, dass ich alte Großmutter noch lebe, und dass sein Vater und sein Stiefbruder gesund seien und dass es recht gut mit ihnen gehe; sie wären erst gestern mit Getreide auf der Mühle gewesen, sein Vater habe sich auf den Ross- und Ochsenhandel gelegt und gedeihe dabei recht gut, auch halte er jetzt etwas auf seine Ehre, und gehe nicht mehr so zerrissen umher."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":209,"orig":"Darüber war der gute Kasper nun herzlich froh, und da er nach der ſchönen Annerl fragte, ſagte ihm der Müller: er kenne ſie nicht, aber wenn es die ſey, die auf dem Roſenhof gedient habe, die hätte ſich, wie er gehört, in der Hauptſtadt vermiethet, weil ſie da eher etwas lernen könne und mehr Ehre dabei ſey; ſo habe er vor einem Jahre von dem Knecht auf dem Roſenhof gehört.","norm":"Darüber war der gute Kasper nun herzlich froh, und da er nach der schönen Annerl fragte, sagte ihm der Müller: Er kenne sie nicht, aber wenn es die sei, die auf dem Rosenhof gedient habe, die hätte sich, wie er gehört, in der Hauptstadt vermietet, weil sie da eher etwas lernen könne und mehr Ehre dabei sei; so habe er vor einem Jahre von dem Knecht auf dem Rosenhof gehört."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":210,"orig":"Das freute den Kasper auch; wenn es ihm gleich leid that, daß er ſie nicht gleich ſehen ſollte, ſo hoffte er ſie doch in der Hauptſtadt bald recht fein und ſchmuck zu finden, daß es ihm, als einem Unteroffizier, auch eine rechte Ehre ſey, mit ihr am Sonntag ſpazieren zu gehn.","norm":"Das freute den Kasper auch; wenn es ihm gleich leid tat, dass er sie nicht gleich sehen sollte, so hoffte er sie doch in der Hauptstadt bald recht fein und schmuck zu finden, dass es ihm, als einem Unteroffizier, auch eine rechte Ehre sei, mit ihr am Sonntag spazieren zu gehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":211,"orig":"Nun erzählte er dem Müller noch mancherlei aus Frankreich, ſie aßen und tranken mit einander, er half ihm Korn aufſchütten, und dann brachte ihn der Müller in die Oberſtube zu Bett, und legte ſich ſelbſt unten auf einigen Säcken zur Ruhe.","norm":"Nun erzählte er dem Müller noch mancherlei aus Frankreich, sie aßen und tranken miteinander, er half ihm Korn aufschütten, und dann brachte ihn der Müller in die Oberstube zu Bett, und legte sich selbst unten auf einigen Säcken zur Ruhe."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":212,"orig":"Das Geklapper der Mühle und die Sehnſucht nach der Heimath ließen den guten Kasper, wenn er gleich ſehr müde war, nicht feſt einſchlafen.","norm":"Das Geklapper der Mühle und die Sehnsucht nach der Heimat ließen den guten Kasper, wenn er gleich sehr müde war, nicht fest einschlafen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":213,"orig":"Er war ſehr unruhig und dachte an ſeine ſelige Mutter und an das ſchöne Annerl, und an die Ehre, die ihm bevorſtehe, wenn er als Unteroffizier vor die Seinigen treten würde.","norm":"Er war sehr unruhig und dachte an seine selige Mutter und an das schöne Annerl, und an die Ehre, die ihm bevorstehe, wenn er als Unteroffizier vor die Seinigen treten würde."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":214,"orig":"So entſchlummerte er endlich leiſ' und wurde von ängſtlichen Träumen oft aufgeſchreckt, es war ihm mehrmals: als trete ſeine ſelige Mutter zu ihm und bäte ihn händeringend um Hülfe; dann war es ihm, als ſey er geſtorben und würde begraben, gehe aber ſelbſt zu Fuße als Todter mit zu Grabe, und ſchön Annerl gehe ihm zur Seite; er weine heftig, daß ihn ſeine Kameraden nicht begleiteten, und da er auf den Kirchhof komme, ſey ſein Grab neben dem ſeiner Mutter; und Annerls Grab ſey auch dabei, und er gebe Annerl das Kränzlein, das er ihr mitgebracht und hänge das der Mutter an ihr Grab, und dann habe er ſich umgeſchaut und Niemand mehr geſehen als mich, und die Annerl die habe einer an der Schürze ins Grab geriſſen, und er ſey dann auch ins Grab geſtiegen, und habe geſagt:","norm":"So entschlummerte er endlich leis und wurde von ängstlichen Träumen oft aufgeschreckt, es war ihm mehrmals: als trete seine selige Mutter zu ihm und bäte ihn händeringend um Hilfe; dann war es ihm, als sei er gestorben und würde begraben, gehe aber selbst zu Fuße als Toter mit zu Grabe, und schön Annerl gehe ihm zur Seite; er weine heftig, dass ihn seine Kameraden nicht begleiteten, und da er auf den Kirchhof komme, sei sein Grab neben dem seiner Mutter; und Annerls Grab sei auch dabei, und er gebe Annerl das Kränzlein, das er ihr mitgebracht und hänge das der Mutter an ihr Grab, und dann habe er sich umgeschaut und niemand mehr gesehen als mich, und die Annerl die habe einer an der Schürze ins Grab gerissen, und er sei dann auch ins Grab gestiegen, und habe gesagt:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":215,"orig":"Iſt denn Niemand hier, der mir die letzte Ehre anthut, und mir ins Grab ſchießen will als einem braven Soldaten, und da habe er ſein Piſtol gezogen und ſich ſelbſt ins Grab geſchoſſen.","norm":"Ist denn niemand hier, der mir die letzte Ehre antut, und mir ins Grab schießen will als einem braven Soldaten, und da habe er sein Pistole gezogen und sich selbst ins Grab geschossen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":216,"orig":"Ueber den Schuß wachte er mit großem Schrecken auf, denn es war ihm als klirrten die Fenſter davon; er ſah um ſich in der Stube, da hörte er noch einen Schuß fallen, und hörte Getöſe in der Mühle und Geſchrei durch das Geklapper.","norm":"Über dem Schuss wachte er mit großem Schrecken auf, denn es war ihm als klirrten die Fenster davon; er sah um sich in der Stube, da hörte er noch einen Schuss fallen, und hörte Getöse in der Mühle und Geschrei durch das Geklapper."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":217,"orig":"Er ſprang aus dem Bett, und griff nach ſeinem Säbel; in dem Augenblick ging ſeine Thür auf, und er ſah beim Vollmondſchein zwei Männer mit berußten Geſichtern mit Knitteln auf ſich zuſtürzen, aber er ſetzte ſich zur Wehre, und hieb den Einen über den Arm, und ſo entflohen Beide, indem ſie die Thür, welche nach außen aufging und einen Riegel draußen hatte, hinter ſich verriegelten.","norm":"Er sprang aus dem Bett, und griff nach seinem Säbel; in dem Augenblick ging seine Tür auf, und er sah beim Vollmondschein zwei Männer mit berußten Gesichtern mit Knitteln auf sich zustürzen, aber er setzte sich zur Wehre, und hieb den Einen über den Arm, und so entflohen beide, indem sie die Tür, welche nach außen aufging und einen Riegel draußen hatte, hinter sich verriegelten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":218,"orig":"Kasper verſuchte umſonſt, ihnen nachzukommen, endlich gelang es ihm, eine Tafel in der Thür einzutreten.","norm":"Kasper versuchte umsonst, ihnen nachzukommen, endlich gelang es ihm, eine Tafel in der Tür einzutreten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":219,"orig":"Er eilte durch das Loch die Treppe hinunter, und hörte das Wehgeſchrei des Müllers, den er geknebelt zwiſchen den Kornſäcken liegend fand.","norm":"Er eilte durch das Loch die Treppe hinunter, und hörte das Wehgeschrei des Müllers, den er geknebelt zwischen den Kornsäcken liegend fand."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":220,"orig":"Kasper band ihn los, und eilte dann gleich in den Stall, noch ſeinem Pferde und Felleiſen, aber beides war geraubt.","norm":"Kasper band ihn los, und eilte dann gleich in den Stall, nach seinem Pferde und Felleisen, aber beides war geraubt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":221,"orig":"Mit großem Jammer eilte er in die Mühle zurück und klagte dem Müller ſein Unglück, daß ihm all ſein hab und Gut, und das ihm anvertraute Pferd geſtohlen ſey, über welches leztere er ſich gar nicht zufrieden geben konnte.","norm":"Mit großem Jammer eilte er in die Mühle zurück und klagte dem Müller sein Unglück, dass ihm all sein habe und Gut, und das ihm anvertraute Pferd gestohlen sei, über welches letztere er sich gar nicht zufriedengeben konnte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":222,"orig":"Der Müller aber ſtand mit einem vollen Geldſack vor ihm, er hatte ihn in der Oberſtube aus dem Schranke geholt und ſagte zu dem Hylan:","norm":"Der Müller aber stand mit einem vollen Geldsack vor ihm, er hatte ihn in der Oberstube aus dem Schranke geholt und sagte zu dem Ulan:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":223,"orig":"Lieber Kasper, ſey Er zufrieden, ich verdanke Ihm die Rettung meines Vermögens; auf dieſen Sack, der oben in Seiner Stube lag, hatten es die Räuber gemünzt, und Seiner Vertheidigung danke ich Alles, mir iſt nichts geſtohlen; die Sein Pferd und Sein Felleiſen im Stall fanden, müſſen ausgeſtellte Diebeswachen geweſen ſeyn, ſie zeigten durch die Schüſſe an, daß Gefahr da ſey.","norm":"Lieber Kasper, sei er zufrieden, ich verdanke ihm die Rettung meines Vermögens; auf diesen Sack, der oben in seiner Stube lag, hatten es die Räuber gemünzt, und seiner Verteidigung danke ich alles, mir ist nichts gestohlen; die Sein Pferd und Sein Felleisen im Stall fanden, müssen ausgestellte Diebeswachen gewesen sein, sie zeigten durch die Schüsse an, dass Gefahr da sei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":224,"orig":"Weil ſie wahrſcheinlich am Sattelzeug erkannten, daß ein Kavalleriſt im Hauſe herberge.","norm":"Weil sie wahrscheinlich am Sattelzeug erkannten, dass ein Kavallerist im Hause herberge."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":225,"orig":"Nun ſoll Er meinethalben keine Noth haben, ich will mir alle Mühe geben und kein Geld ſparen, Ihm Seinen Gaul wieder zu finden, und finde ich ihn nicht, ſo will ich Ihm einen kaufen, ſo theuer er ſeyn mag.","norm":"Nun soll er meinethalben keine Not haben, ich will mir alle Mühe geben und kein Geld sparen, ihm seinen Gaul wiederzufinden, und finde ich ihn nicht, so will ich ihm einen kaufen, so teuer er sein mag."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":226,"orig":"Kasper ſagte: geſchenkt nehme ich nichts, das iſt gegen meine Ehre, aber wenn Er mir im Nothfall ſiebzig Thaler vorſchießen will, ſo kriegt er meine Verſchreibung, ich ſchaffe ſie in zwei Jahren wieder.","norm":"Kasper sagte: Geschenkt nehme ich nichts, das ist gegen meine Ehre, aber wenn Er mir im Notfall siebzig Taler vorschießen will, so kriegt er meine Verschreibung, ich schaffe sie in zwei Jahren wieder."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":227,"orig":"Hierüber wurden ſie einig, und der Uhlan trennte ſich von ihm, um nach ſeinem Dorfe zu eilen, wo auch ein Gerichtshalter der umliegenden Edelleute wohnt, bei dem er die Sache berichten wollte.","norm":"Hierüber wurden sie einig, und der Ulan trennte sich von ihm, um nach seinem Dorfe zu eilen, wo auch ein Gerichtshalter der umliegenden Edelleute wohnt, bei dem er die Sache berichten wollte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":228,"orig":"Der Müller blieb zurück, um ſeine Frau und ſeinen Sohn zu erwarten, welche auf einem Dorfe in der Nähe bei einer Hochzeit waren.","norm":"Der Müller blieb zurück, um seine Frau und seinen Sohn zu erwarten, welche auf einem Dorfe in der Nähe bei einer Hochzeit waren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":229,"orig":"Dann wollte er dem Uhlanen nachkommen, und die Anzeige vor Gericht auch machen.","norm":"Dann wollte er dem Ulanen nachkommen, und die Anzeige vor Gericht auch machen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":230,"orig":"Er kann ſich denken, lieber Herr Schreiber, mit welcher Betrübniß der arme Kasper den Weg nach unſerm Dorfe eilte, zu Fuß und arm, wo er hatte ſtolz einreiten wollen; ein und funfzig Thaler, die er erbeutet hatte, ſein Patent als Unteroffizier, ſein Urlaub, und die Kränze auf ſeiner Mutter Grab und für die ſchöne Annerl waren ihm geſtohlen.","norm":"Er kann sich denken, lieber Herr Schreiber, mit welcher Betrübnis der arme Kasper den Weg nach unserem Dorfe eilte, zu Fuß und arm, wo er hatte stolz einreiten wollen; einundfünfzig Taler, die er erbeutet hatte, sein Patent als Unteroffizier, sein Urlaub, und die Kränze auf seiner Mutter Grab und für die schöne Annerl waren ihm gestohlen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":231,"orig":"Es war ihm ganz verzweifelt zu Muthe, und ſo kam er um ein Uhr in der Nacht in ſeiner Heimath an, und pochte gleich an der Thür des Gerichtshalters, deſſen Haus das erſte vor dem Dorfe iſt.","norm":"Es war ihm ganz verzweifelt zumute, und so kam er um ein Uhr in der Nacht in seiner Heimat an, und pochte gleich an der Tür des Gerichtshalters, dessen Haus das erste vor dem Dorfe ist."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":232,"orig":"Er ward eingelaſſen und machte ſeine Anzeige und gab Alles an, was ihm geraubt worden war.","norm":"Er wurde eingelassen und machte seine Anzeige und gab alles an, was ihm geraubt worden war."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":233,"orig":"Der Gerichtshalter trug ihm auf, er ſolle gleich zu ſeinem Vater gehn, welches der einzige Bauer im Dorfe ſey, der Pferde habe, und ſolle mit dieſem und ſeinem Bruder in der Gegend herum patroulliren, ob er vielleicht den Räubern auf die Spur komme; indeſſen wolle er andre Leute zu Fuß ausſenden, und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umſtände vernehmen.","norm":"Der Gerichtshalter trug ihm auf, er solle gleich zu seinem Vater gehen, welches der einzige Bauer im Dorfe sei, der Pferde habe, und solle mit diesem und seinem Bruder in der Gegend herum patrouillieren, ob er vielleicht den Räubern auf die Spur komme; indessen wolle er andere Leute zu Fuß aussenden, und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umstände vernehmen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":234,"orig":"Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hauſe; da er aber an meiner Hütte vorüber mußte, und durch das Fenſter hörte: daß ich ein geiſtliches Lied ſang, wie ich denn vor Gedanken an ſeine ſelige Mutter nicht ſchlafen konnte, ſo pochte er an und ſagte:","norm":"Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hause; da er aber an meiner Hütte vorüber musste, und durch das Fenster hörte: dass ich ein geistliches Lied sang, wie ich denn vor Gedanken an seine selige Mutter nicht schlafen konnte, so pochte er an und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":235,"orig":"Gelobt ſey Jeſus Chriſtus, liebe Großmutter, Kasper iſt hier.","norm":"Gelobt sei Jesus Christus, liebe Großmutter, Kasper ist hier."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":236,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":237,"orig":"wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich ſtürzte an das Fenſter, öffnete es und küßte und drückte ihn mit unendlichen Thränen.","norm":"wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, Ich stürzte an das Fenster, öffnete es und küsste und drückte ihn mit unendlichen Tränen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":238,"orig":"Er erzählte mir ſein Unglück mit großer Eile und ſagte, welchen Auftrag er an ſeinen Vater vom Gerichtshalter habe, er müſſe drum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzuſetzen, denn ſeine Ehre hänge davon ab, daß er ſein Pferd wieder erhalte.","norm":"Er erzählte mir sein Unglück mit großer Eile und sagte, welchen Auftrag er an seinen Vater vom Gerichtshalter habe, er müsse darum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn seine Ehre hänge davon ab, dass er sein Pferd wiedererhalte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":239,"orig":"Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte ſchwere Gerichte die ihm bevorſtanden.","norm":"Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wusste schwere Gerichte die ihm bevorstanden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":240,"orig":"Thue Deine Pflicht, und gieb Gott allein die Ehre, ſagte ich; und er eilte von mir nach Finkels Hof, der am andern Ende des Dorfs liegt.","norm":"Tue Deine Pflicht, und gib Gott allein die Ehre, sagte ich; und er eilte von mir nach Finkels Hof, der am anderen Ende des Dorfs liegt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":241,"orig":"Ich ſank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu Gott, er möge ihn doch in ſeinen Schutz nehmen, ach, betete mit einer Angſt wie niemals, und mußte dabei immer ſagen:","norm":"Ich sank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu Gott, er möge ihn doch in seinen Schutz nehmen, ach, betete mit einer Angst wie niemals, und musste dabei immer sagen:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":242,"orig":"Herr, Dein Wille geſchehe wie im Himmel ſo auf Erden.","norm":"Herr, Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":243,"orig":"Der Kasper lief zu ſeinem Vater mit einer entſetzlichen Angſt.","norm":"Der Kasper lief zu seinem Vater mit einer entsetzlichen Angst."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":244,"orig":"Er ſtieg hinten über den Gartenzaun, er hörte die Plumpe gehen, er hörte im Stall wiehern, das fuhr ihm durch die Seele; er ſtand ſtill, er ſah im Mondſchein, daß zwei Männer ſich wuſchen, es wollte ihm das Herz brechen; der eine ſprach: das verfluchte Zeug geht nicht herunter, da ſagte der Andre: komm' erſt in den Stall, dem Gaul den Schwanz abzuſchlagen und die Mähnen zu verſchneiden.","norm":"Er stieg hinten über den Gartenzaun, er hörte die Plumpe gehen, er hörte im Stall wiehern, das fuhr ihm durch die Seele; er stand still, er sah im Mondschein, dass zwei Männer sich wuschen, es wollte ihm das Herz brechen; der eine sprach: Das verfluchte Zeug geht nicht herunter, da sagte der Andere: komme erst in den Stall, dem Gaul den Schwanz abzuschlagen und die Mähnen zu verschneiden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":245,"orig":"Haſt Du das Felleiſen auch tief genug unterm Miſt begraben?","norm":"Hast Du das Felleisen auch tief genug unterm Mist begraben?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":246,"orig":"Ja, ſagte der Andre.","norm":"Ja, sagte der Andere."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":247,"orig":"Da gingen ſie nach dem Stall, und Kasper, vor Jammer wie ein Raſender, ſprang hervor und ſchloß die Stallthür hinter ihnen und ſchrie:","norm":"Da gingen sie nach dem Stall, und Kasper, vor Jammer wie ein Rasender, sprang hervor und schloss die Stalltüre hinter ihnen und schrie:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":248,"orig":"Im Namen des Herzogs!","norm":"Im Namen des Herzogs!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":249,"orig":"ergebt Euch; wer ſich widerſetzt, den ſchieße ich nieder!","norm":"Ergebt Euch; wer sich widersetzt, den schieße ich nieder!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":250,"orig":"Ach, da hatte er ſeinen Vater und ſeinen Stiefbruder als die Räuber ſeines Pferdes gefangen.","norm":"Ach, da hatte er seinen Vater und seinen Stiefbruder als die Räuber seines Pferdes gefangen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":251,"orig":"Meine Ehre, meine Ehre iſt verloren!","norm":"Meine Ehre, meine Ehre ist verloren!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":252,"orig":"ſchrie er, ich bin der Sohn eines ehrloſen Diebes.","norm":"schrie er, ich bin der Sohn eines ehrlosen Diebes."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":253,"orig":"Als die Beiden im Stall dieſe Worte hörten, iſt ihnen bös zu Muthe geworden; ſie ſchrieen:","norm":"Als die Beiden im Stall diese Worte hörten, ist ihnen bös zumute geworden; sie schrien:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":254,"orig":"Kasper; lieber Kasper, um Gotteswillen, bringe uns nicht ins Elend.","norm":"Kasper; lieber Kasper, um Gottes willen, bringe uns nicht ins Elend."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":255,"orig":"Kasper, Du ſollſt ja Alles wieder haben, um Deiner ſeligen Mutter willen, deren Sterbetag heute iſt, erbarme Dich Deines Vaters und Bruders.","norm":"Kasper, Du sollst ja alles wiederhaben, um Deiner seligen Mutter Willen, deren Sterbetag heute ist, erbarme Dich Deines Vaters und Bruders."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":256,"orig":"Kasper aber war wie verzweifelt, er ſchrie nur immer: meine Ehre, meine Pflicht!","norm":"Kasper aber war wie verzweifelt, er schrie nur immer: Meine Ehre, meine Pflicht!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":257,"orig":"und da ſie nun mit Gewalt die Thür erbrechen wollten, und ein Fach in der Lehmwand einſtießen, um zu entkommen, ſchoß er ein Piſtol in die Luft, und ſchrie:","norm":"und da sie nun mit Gewalt die Tür erbrechen wollten, und ein Fach in der Lehmwand einstoßen, um zu entkommen, schoss er ein Pistole in die Luft, und schrie:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":258,"orig":"Hülfe, Hülfe, Diebe, Hülfe!","norm":"Hilfe, Hilfe, Diebe, Hilfe!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":259,"orig":"Die Bauern, von dem Gerichtshalter erweckt, welche ſchon herannahten, um ſich über die verſchiedenen Wege zu bereden, auf denen ſie die Einbrecher in die Mühle verfolgen wollten, ſtürzten auf den Schuß und das Geſchrei ins Haus.","norm":"Die Bauern, von dem Gerichtshalter erweckt, welche schon herannahten, um sich über die verschiedenen Wege zu bereden, auf denen sie die Einbrecher in die Mühle verfolgen wollten, stürzten auf den Schuss und das Geschrei ins Haus."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":260,"orig":"Der alte Finkel flehte immer noch, der Sohn ſolle ihm die Thür öffnen, der aber ſagte: ich bin ein Soldat und muß der Gerechtigkeit dienen.","norm":"Der alte Finkel flehte immer noch, der Sohn solle ihm die Tür öffnen, der aber sagte: Ich bin ein Soldat und muss der Gerechtigkeit dienen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":261,"orig":"Da traten der Gerichtshalter und die Bauern heran.","norm":"Da traten der Gerichtshalter und die Bauern heran."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":262,"orig":"Kasper ſagte: um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Gerichtshalter, mein Vater, mein Bruder ſind ſelbſt die Diebe, o, daß ich nie geboren wäre!","norm":"Kasper sagte: um Gottes Barmherzigkeit Willen, Herr Gerichtshalter, mein Vater, mein Bruder sind selbst die Diebe, o, dass ich nie geboren wäre!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":263,"orig":"hier im Stall hab' ich ſie gefangen, mein Felleiſen liegt im Miſte vergraben.","norm":"Hier im Stall habe ich sie gefangen, mein Felleisen liegt im Miste vergraben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":264,"orig":"Da ſprangen die Bauern in den Stall und banden den alten Finkel und ſeinen Sohn und ſchleppten ſie in ihre Stube.","norm":"Da sprangen die Bauern in den Stall und banden den alten Finkel und seinen Sohn und schleppten sie in ihre Stube."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":265,"orig":"Kasper aber grub das Felleiſen hervor und nahm die zwei Kränze heraus, und ging nicht in die Stube, er ging nach dem Kirchhofe an das Grab ſeiner Mutter.","norm":"Kasper aber grub das Felleisen hervor und nahm die zwei Kränze heraus, und ging nicht in die Stube, er ging nach dem Kirchhofe an das Grab seiner Mutter."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":266,"orig":"Der Tag war angebrochen: ich war auf der Wieſe geweſen, und hatte für mich und für Kasper zwei Kränze von Blümelein Vergiß nicht mein geflochten, ich dachte: er ſoll mit mir das Grab ſeiner Mutter ſchmücken, wenn er von ſeinem Ritt zurück kommt.","norm":"Der Tag war angebrochen: Ich war auf der Wiese gewesen, und hatte für mich und für Kasper zwei Kränze von Blümchen Vergißnichtmein geflochten, ich dachte: Er soll mit mir das Grab seiner Mutter schmücken, wenn er von seinem Ritt zurückkommt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":267,"orig":"Da hörte ich allerlei ungewohnten Lärm im Dorf, und weil ich das Getümmel nicht mag, und am liebſten allein bin, ſo ging ich um's Dorf herum nach dem Kirchhof.","norm":"Da hörte ich allerlei ungewohnten Lärm im Dorf, und weil ich das Getümmel nicht mag, und am liebsten alleine bin, so ging ich um das Dorf herum nach dem Kirchhof."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":268,"orig":"Da fiel ein Schuß, ich ſah den Dampf in die Höhe ſteigen, ich eilte auf den Kirchhof, o Du lieber Heiland!","norm":"Da fiel ein Schuss, ich sah den Dampf in die Höhe steigen, ich eilte auf den Kirchhof, o Du lieber Heiland!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":269,"orig":"erbarme Dich ſein.","norm":"erbarme Dich sein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":270,"orig":"Kasper lag todt auf dem Grabe ſeiner Mutter, er hatte ſich die Kugel durch das Herz geſchoſſen, auf welches er ſich das Kränzlein, das er für ſchön Annerl mitgebracht, am Knopfe befeſtigt hatte, durch dieſen Kranz hatte er ſich ins Herz geſchoſſen.","norm":"Kasper lag tot auf dem Grabe seiner Mutter, er hatte sich die Kugel durch das Herz geschossen, auf welches er sich das Kränzlein, das er für schön Annerl mitgebracht, am Knopfe befestigt hatte, durch diesen Kranz hatte er sich ins Herz geschossen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":271,"orig":"Den Kranz für die Mutter hatte er ſchon an das Kreuz befeſtigt.","norm":"Den Kranz für die Mutter hatte er schon an das Kreuz befestigt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":272,"orig":"Ich meinte, die Erde thäte ſich unter mir auf bei dem Anblick, ich ſtürzte über ihn hin und ſchrie immer:","norm":"Ich meinte, die Erde täte sich unter mir auf bei dem Anblick, ich stürzte über ihn hin und schrie immer:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":273,"orig":"Kasper, o Du unglückſeliger Menſch, was haſt Du gethan?","norm":"Kasper, o Du unglückseliger Mensch, was hast Du getan?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":274,"orig":"ach, wer hat Dir denn Dein Elend erzählt, o, warum habe ich Dich von mir gelaſſen, ehe ich Dir alles geſagt!","norm":"ach, wer hat Dir denn Dein Elend erzählt, o, warum habe ich Dich von mir gelassen, ehe ich Dir alles gesagt!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":275,"orig":"Gott, was wird Dein armer Vater, Dein Bruder ſagen, wenn ſie Dich ſo finden.","norm":"Gott, was wird Dein armer Vater, Dein Bruder sagen, wenn sie Dich so finden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":276,"orig":"Ich wußte nicht, daß er ſich wegen dieſen das Leid angethan, ich glaubte, es habe eine ganz andere Urſache.","norm":"Ich wusste nicht, dass er sich wegen diesen das Leid angetan, ich glaubte, es habe eine ganz andere Ursache."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":277,"orig":"Da kam es noch ärger; der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und ſeinen Sohn mit Stricken gebunden, der Jammer erſtickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort ſprechen; der Gerichtshalter fragte mich, ob ich meinen Enkel nicht geſehn?","norm":"Da kam es noch ärger; der Gerichtshalter und die Bauern brachten den alten Finkel und seinen Sohn mit Stricken gebunden, der Jammer erstickte mir die Stimme in der Kehle, ich konnte kein Wort sprechen; der Gerichtshalter fragte mich, ob ich meinen Enkel nicht gesehen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":278,"orig":"Ich zeigte hin, wo er lag, er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe, er ſchüttelte ihn, da ſah er das Blut niederſtürzen.","norm":"Ich zeigte hin, wo er lag, er trat zu ihm, er glaubte, er weine auf dem Grabe, er schüttelte ihn, da sah er das Blut niederstürzen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":279,"orig":"Jeſus Marie!","norm":"Jesus Marie!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":280,"orig":"rief er aus, der Kasper hat Hand an ſich gelegt.","norm":"rief er aus, der Kasper hat Hand an sich gelegt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":281,"orig":"Da ſahen die beiden Gefangenen ſich ſchrecklich an; man nahm den Leib des Kaspers und trug ihn neben ihnen her nach dem Hauſe des Gerichtshalters, es war ein Wehgeſchrei im ganzen Dorfe, die Bauerweiber führten mich nach.","norm":"Da sahen die beiden Gefangenen sich schrecklich an; man nahm den Leib des Kaspers und trug ihn neben ihnen her nach dem Hause des Gerichtshalters, es war ein Wehgeschrei im ganzen Dorfe, die Bauernweiber führten mich nach."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":282,"orig":"Ach, das war wohl der ſchrecklichſte Weg in meinem Leben!","norm":"Ach, das war wohl der schrecklichste Weg in meinem Leben!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":283,"orig":"Da ward die Alte wieder ſtill und ich ſagte zu ihr:","norm":"Da wurde die Alte wieder still und ich sagte zu ihr:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":284,"orig":"Liebe Mutter, Euer Leid iſt entſetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härteſten ſchlägt, ſind ſeine liebſten Kinder.","norm":"Liebe Mutter, Euer Leid ist entsetzlich, aber Gott hat Euch auch recht lieb; die er am härtesten schlägt, sind seine liebsten Kinder."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":285,"orig":"Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten Weg hieher zu gehen, und um was Ihr die Bittſchrift einreichen wollt?","norm":"Sagt mir nun, liebe Mutter, was Euch bewogen hat, den weiten Weg hierher zu gehen, und um was Ihr die Bittschrift einreichen wollt?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":286,"orig":"Ei, das kann Er ſich doch wohl denken, fuhr ſie ganz ruhig fort, um ein ehrliches Grab für Kasper und die ſchöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentag mitbringe, es iſt ganz mit Kaspers Blut unterlaufen, ſeh' Er einmal.","norm":"Ei, das kann er sich doch wohl denken, fuhr sie ganz ruhig fort, um ein ehrliches Grab für Kasper und die schöne Annerl, der ich das Kränzlein zu ihrem Ehrentag mitbringe, es ist ganz mit Kaspers Blut unterlaufen, sehe er einmal."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":287,"orig":"Da zog ſie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir; ich konnte bei dem anbrechenden Tage ſehen, daß er vom Pulver geſchwärzt und mit Blut beſprengt war.","norm":"Da zog sie einen kleinen Kranz von Flittergold aus ihrem Bündel und zeigte ihn mir; ich konnte bei dem anbrechenden Tage sehen, dass er vom Pulver geschwärzt und mit Blut besprengt war."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":288,"orig":"Ich war ganz zerriſſen von dem Unglück der guten Alten, und die Größe und Feſtigkeit, womit ſie es trug, erfüllte mich mit Verehrung.","norm":"Ich war ganz zerrissen von dem Unglück der guten Alten, und die Größe und Festigkeit, womit sie es trug, erfüllte mich mit Verehrung."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":289,"orig":"Ach, liebe Mutter, ſagte ich: wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, daß ſie nicht gleich vor Schrecken todt niederſinkt, und was iſt denn das für ein Ehrentag, zu welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt?","norm":"Ach, liebe Mutter, sagte ich: wie werdet Ihr der armen Annerl aber ihr Elend beibringen, dass sie nicht gleich vor Schrecken tot niedersinkt, und was ist denn das für ein Ehrentag, zu welchem Ihr dem Annerl den traurigen Kranz bringt?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":290,"orig":"Lieber Menſch, ſprach ſie, komme Er nur mit, Er kann mich zu ihr begleiten, ich kann doch nicht geſchwind fort, ſo werden wir ſie gerade noch zu rechter Zeit finden.","norm":"Lieber Mensch, sprach sie, komme er nur mit, er kann mich zu ihr begleiten, ich kann doch nicht geschwind fort, so werden wir sie gerade noch zu rechter Zeit finden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":291,"orig":"Ich will Ihm unterwegs noch Alles erzählen.","norm":"Ich will ihm unterwegs noch alles erzählen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":292,"orig":"Nun ſtand ſie auf, und betete ihren Morgenſegen ganz ruhig, und brachte ihre Kleider in Ordnung, und ihren Bündel hängte ſie dann an meinen Arm; es war zwei Uhr des Morgens, der Tag grante und wir wandelten durch die ſtillen Gaſſen.","norm":"Nun stand sie auf, und betete ihren Morgensegen ganz ruhig, und brachte ihre Kleider in Ordnung, und ihren Bündel hängte sie dann an meinen Arm; es war zwei Uhr des Morgens, der Tag graute und wir wandelten durch die stillen Gassen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":293,"orig":"Seh' Er, erzählte die Alte fort, als der Finkel und ſein Sohn eingeſperrt waren, mußte ich zum Gerichtshalter auf die Gerichtsſtube; der todte Kasper wurde auf einen Tiſch gelegt und mit ſeinem Uhlanenmantel bedeckt hereingetragen, und nun mußte ich Alles dem Gerichtshalter ſagen, was ich von ihm wußte und was er mir heute Morgen durch das Fenſter geſagt hatte.","norm":"Sehe er, erzählte die Alte fort, als der Finkel und sein Sohn eingesperrt waren, musste ich zum Gerichtshalter auf die Gerichtsstube; der tote Kasper wurde auf einen Tisch gelegt und mit seinem Ulanenmantel bedeckt hereingetragen, und nun musste ich alles dem Gerichtshalter sagen, was ich von ihm wusste und was er mir heute Morgen durch das Fenster gesagt hatte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":294,"orig":"Das ſchrieb er Alles auf ſein Papier nieder, das vor ihm lag; dann ſah er die Schreibtafel durch, die ſie bei Kasper gefunden; da ſtanden mancherlei Rechnungen drin, einige Geſchichten von der Ehre und auch die von dem franzöſiſchen Unteroffizier, und hinter ihr war mit Bleiſtift etwas geſchrieben.","norm":"Das schrieb er alles auf sein Papier nieder, das vor ihm lag; dann sah er die Schreibtafel durch, die sie bei Kasper gefunden; da standen mancherlei Rechnungen drin, einige Geschichten von der Ehre und auch die von dem französischen Unteroffizier, und hinter ihr war mit Bleistift etwas geschrieben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":295,"orig":"Da gab mir die Alte die Brieftaſche, und ich las folgende letzte Worte des unglücklichen Kaspers:","norm":"Da gab mir die Alte die Brieftasche, und ich las folgende letzte Worte des unglücklichen Kaspers:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":296,"orig":"Auch ich kann meine Schande nicht überleben; mein Vater und mein Bruder ſind Diebe, ſie haben mich ſelbſt beſtohlen; mein Herz brach mir, aber ich mußte ſie gefangen nehmen und den Gerichten übergeben, denn ich bin ein Soldat meines Fürſten, und meine Ehre erlaubt mir keine Schonung.","norm":"Auch ich kann meine Schande nicht überleben; mein Vater und mein Bruder sind Diebe, sie haben mich selbst bestohlen; mein Herz brach mir, aber ich musste sie gefangen nehmen und den Gerichten übergeben, denn ich bin ein Soldat meines Fürsten, und meine Ehre erlaubt mir keine Schonung."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":297,"orig":"Ich habe meinen Vater und Bruder der Rache übergeben um der Ehre willen; ach!","norm":"Ich habe meinen Vater und Bruder der Rache übergeben um der Ehre willen; ach!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":298,"orig":"bitte doch Jedermann für mich, daß man mir hier, wo ich gefallen bin, ein ehrliches Grab neben meiner Mutter vergönne.","norm":"bitte doch jedermann für mich, dass man mir hier, wo ich gefallen bin, ein ehrliches Grab neben meiner Mutter vergönne."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":299,"orig":"Das Kränzlein, durch welches ich mich erſchoſſen, ſoll die Großmutter der ſchönen Annerl ſchicken und ſie von mir grüßen, ach!","norm":"Das Kränzlein, durch welches ich mich erschossen, soll die Großmutter der schönen Annerl schicken und sie von mir grüßen, ach!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":300,"orig":"ſie thut mir leid durch Mark und Bein, aber ſie ſoll doch den Sohn eines Diebes nicht heirathen, denn ſie hat immer viel auf Ehre gehalten.","norm":"sie tut mir leid durch Mark und Bein, aber sie soll doch den Sohn eines Diebes nicht heiraten, denn sie hat immer viel auf Ehre gehalten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":301,"orig":"Liebe ſchöne Annerl, mögeſt Du nicht ſo ſehr erſchrecken über mich, gieb Dich zufrieden, und wenn Du mir jemals ein wenig gut warſt, ſo rede nicht ſchlecht von mir.","norm":"Liebe schöne Annerl, mögest Du nicht so sehr erschrecken über mich, gib Dich zufrieden, und wenn Du mir jemals ein wenig gut warst, so rede nicht schlecht von mir."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":302,"orig":"Ich kann ja nichts für meine Schande!","norm":"Ich kann ja nichts für meine Schande!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":303,"orig":"Ich hatte mir ſo viele Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war ſchon Unteroffizier und hatte den beſten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiß noch einmal Offizier geworden, und Annerl, Dich hätte ich doch nicht verlaſſen, und hätte keine Vornehmere gefreit — aber der Sohn eines Diebes, der ſeinen Vater aus Ehre ſelbſt fangen und richten laſſen muß, kann ſeine Schande nicht überleben.","norm":"Ich hatte mir so viele Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war schon Unteroffizier und hatte den besten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiss noch einmal Offizier geworden, und Annerl, Dich hätte ich doch nicht verlassen, und hätte keine Vornehmere gefreit — aber der Sohn eines Diebes, der seinen Vater aus Ehre selbst fangen und richten lassen muss, kann seine Schande nicht überleben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":304,"orig":"Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin Dir immer treu geweſen, ſo Gott mir gnädig ſey!","norm":"Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin Dir immer treu gewesen, so Gott mir gnädig sei!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":305,"orig":"Ich gebe Dir nun Deine Freiheit wieder, aber thue mir die Ehre, und heirathe nie Einen, der ſchlechter wäre, als ich; und wenn Du kannſt, ſo bitte für mich: daß ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte, und wenn Du hier in unſerm Ort ſterben ſollteſt, ſo laſſe Dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da ſind wir Alle beiſammen.","norm":"Ich gebe Dir nun Deine Freiheit wieder, aber tue mir die Ehre, und heirate nie Einen, der schlechter wäre, als ich; und wenn Du kannst, so bitte für mich: dass ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte, und wenn Du hier in unserem Ort sterben solltest, so lasse Dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da sind wir alle beisammen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":306,"orig":"Ich habe funfzig Thaler in meinem Felleiſen, die ſollen auf Intreſſen gelegt werden für Dein erſtes Kind.","norm":"Ich habe fünfzig Taler in meinem Felleisen, die sollen auf Interessen gelegt werden für Dein erstes Kind."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":307,"orig":"Meine ſilberne Uhr ſoll der Herr Pfarrer haben, wenn ich ehrlich begraben werde.","norm":"Meine silberne Uhr soll der Herr Pfarrer haben, wenn ich ehrlich begraben werde."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":308,"orig":"Mein Pferd, die Uniform und Waffen gehören dem Herzog, dieſe meine Brieftaſche gehört Dein.","norm":"Mein Pferd, die Uniform und Waffen gehören dem Herzog, diese meine Brieftasche gehört Dein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":309,"orig":"Adies, herztauſender Schatz, Adies, liebe Großmutter, betet für mich und lebt alle wohl — Gott erbarme ſich meiner — ach, meine Verzweiflung iſt groß!","norm":"Adies, herztausender Schatz, Adies, liebe Großmutter, betet für mich und lebt alle wohl — Gott erbarme sich meiner — ach, meine Verzweiflung ist groß!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":310,"orig":"Ich konnte dieſe letzten Worte eines gewiß edeln unglücklichen Menſchen nicht ohne bittere Thränen leſen.","norm":"Ich konnte diese letzten Worte eines gewiss edlen unglücklichen Menschen nicht ohne bittere Tränen lesen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":311,"orig":"— Der Kasper muß ein gar guter Menſch geweſen ſeyn, liebe Mutter, ſagte ich zu der Alten, welche nach dieſen Worten ſtehen blieb und meine Hand drückte und mit tief bewegter Stimme ſagte: ja, es war der beſte Menſch auf der Welt.","norm":"— Der Kasper muss ein gar guter Mensch gewesen sein, liebe Mutter, sagte ich zu der Alten, welche nach diesen Worten stehenblieb und meine Hand drückte und mit tiefbewegter Stimme sagte: ja, es war der beste Mensch auf der Welt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":312,"orig":"Aber die letzten Worte von der Verzweiflung hätte er nicht ſchreiben ſollen, die bringen ihn um ſein ehrliches Grab, die bringen ihn auf die Anatomie.","norm":"Aber die letzten Worte von der Verzweiflung hätte er nicht schreiben sollen, die bringen ihn um sein ehrliches Grab, die bringen ihn auf die Anatomie."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":313,"orig":"Ach, lieber Schreiber, wenn Er hierin nur helfen könnte.","norm":"Ach, lieber Schreiber, wenn Er hierin nur helfen könnte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":314,"orig":"Wie ſo, liebe Mutter?","norm":"Wieso, liebe Mutter?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":315,"orig":"fragte ich, was können dieſe letzten Worte dazu beitragen?","norm":"fragte ich, was können diese letzten Worte dazu beitragen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":316,"orig":"Ja gewiß, erwiederte ſie, der Gerichtshalter hat es mir ſelbſt geſagt.","norm":"Ja gewiss, erwiderte sie, der Gerichtshalter hat es mir selbst gesagt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":317,"orig":"Es iſt ein Befehl an alle Gerichte ergangen, daß nur die Selbſtmörder aus Melancholie ehrlich ſollen begraben werden, Alle aber, die aus Verzweiflung Hand an ſich gelegt, ſollen auf die Anatomie, und der Gerichtshalter hat mir geſagt, daß er den Kasper, weil er ſelbſt ſeine Verzweiflung eingeſtanden, auf die Anatomie ſchicken müſſe.","norm":"Es ist ein Befehl an alle Gerichte ergangen, dass nur die Selbstmörder aus Melancholie ehrlich sollen begraben werden, alle aber, die aus Verzweiflung Hand an sich gelegt, sollen auf die Anatomie, und der Gerichtshalter hat mir gesagt, dass er den Kasper, weil er selbst seine Verzweiflung eingestanden, auf die Anatomie schicken müsse."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":318,"orig":"Das iſt ein wunderlich Geſetz, ſagte ich, denn man könnte wohl bei jedem Selbſtmörder einen Prozeß anſtellen: ob er aus Melancholie oder Verzweiflung entſtanden, der ſo lange dauern müßte, daß der Richter und die Advokaten drüber in Melancholie und Verzweiflung fielen, und auf die Anatomie kämen.","norm":"Das ist ein wunderlich Gesetz, sagte ich, denn man könnte wohl bei jedem Selbstmörder einen Prozess anstellen: ob er aus Melancholie oder Verzweiflung entstanden, der so lange dauern müsste, dass der Richter und die Advokaten drüber in Melancholie und Verzweiflung fielen, und auf die Anatomie kämen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":319,"orig":"Aber ſeyd nur getröſtet, liebe Mutter, unſer Herzog iſt ein ſo guter Herr, wenn er die ganze Sache hört, wird er dem armen Kasper gewiß ſein Plätzchen neben der Mutter vergönnen.","norm":"Aber seid nur getröstet, liebe Mutter, unser Herzog ist ein so guter Herr, wenn er die ganze Sache hört, wird er dem armen Kasper gewiss sein Plätzchen neben der Mutter vergönnen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":320,"orig":"Das gebe Gott!","norm":"Das gebe Gott!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":321,"orig":"erwiederte die Alte; ſehe Er nun, lieber Menſch, als der Gerichtshalter Alles zu Papier gebracht hatte, gab er mir die Brieftaſche und den Kranz für die ſchöne Annerl, und ſo bin ich dann geſtern hierher gelaufen, damit ich ihr an ihrem Ehrentag den Troſt noch mit auf den Weg geben kann.","norm":"erwiderte die Alte; sehe er nun, lieber Mensch, als der Gerichtshalter alles zu Papier gebracht hatte, gab er mir die Brieftasche und den Kranz für die schöne Annerl, und so bin ich dann gestern hierhergelaufen, damit ich ihr an ihrem Ehrentag den Trost noch mit auf den Weg geben kann."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":322,"orig":"— Der Kasper iſt zu rechter Zeit geſtorben, hätte er Alles gewußt, er wäre närriſch geworden vor Betrübniß.","norm":"— Der Kasper ist zu rechter Zeit gestorben, hätte er alles gewusst, er wäre närrisch geworden vor Betrübnis."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":323,"orig":"Was iſt es denn nun mit der ſchönen Annerl?","norm":"Was ist es denn nun mit der schönen Annerl?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":324,"orig":"fragte ich die Alte, bald ſagt Ihr: ſie habe nur noch wenige Stunden, bald ſprecht Ihr von ihrem Ehrentag, und ſie werde Troſt gewinnen durch Eure traurige Nachricht; ſagt mir doch Alles heraus, will ſie Hochzeit halten mit einem Andern, iſt ſie todt, krank?","norm":"fragte ich die Alte, bald sagt Ihr: Sie habe nur noch wenige Stunden, bald sprecht Ihr von ihrem Ehrentag, und sie werde Trost gewinnen durch Eure traurige Nachricht; sagt mir doch alles heraus, will sie Hochzeit halten mit einem Anderen, ist sie tot, krank?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":325,"orig":"Ich muß Alles wiſſen, damit ich es in die Bittſchrift ſetzen kann.","norm":"Ich muss alles wissen, damit ich es in die Bittschrift setzen kann."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":326,"orig":"Da erwiederte die Alte:","norm":"Da erwiderte die Alte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":327,"orig":"Ach, lieber Schreiber, es iſt nun ſo, Gottes Wille geſchehe!","norm":"Ach, lieber Schreiber, es ist nun so, Gottes Wille geschehe!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":328,"orig":"ſehe Er, als Kasper kam, war ich doch nicht recht froh, als Kasper ſich das Leben nahm, war ich doch nicht recht traurig, ich hätte es nicht überleben können, wenn Gott ſich meiner nicht erbarmt gehabt hätte mit größerem Leid.","norm":"Sehe er, als Kasper kam, war ich doch nicht recht froh, als Kasper sich das Leben nahm, war ich doch nicht recht traurig, ich hätte es nicht überleben können, wenn Gott sich meiner nicht erbarmt gehabt hätte mit größerem Leid."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":329,"orig":"Ja, ich ſage Ihm: es war mir ein Stein vor das Herz gelegt, wie ein Eisbrecher, und alle die Schmerzen, die wie Grundeis gegen mich ſtürzten und mir das Herz gewiß abgeſtoßen hätten, die zerbrachen an dieſem Stein und trieben kalt vorüber.","norm":"Ja, ich sage ihm: Es war mir ein Stein vor das Herz gelegt, wie ein Eisbrecher, und alle die Schmerzen, die wie Grundeis gegen mich stürzten und mir das Herz gewiss abgestoßen hätten, die zerbrachen an diesem Stein und trieben kalt vorüber."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":330,"orig":"Ich will Ihm etwas erzählen, das iſt betrübt:","norm":"Ich will ihm etwas erzählen, das ist betrübt:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":331,"orig":"Als mein Pathchen, die ſchöne Annerl, ihre Mutter verlor, die eine Baſe von mir war und ſieben Meilen von uns wohnte, war ich bei der kranken Frau.","norm":"Als mein Patchen, die schöne Annerl, ihre Mutter verlor, die eine Base von mir war und sieben Meilen von uns wohnte, war ich bei der kranken Frau."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":332,"orig":"Sie war die Wittwe eines armen Bauern, und hatte in ihrer Jugend einen Jäger lieb gehabt, ihn aber wegen ſeines wilden Lebens nicht genommen.","norm":"Sie war die Witwe eines armen Bauern, und hatte in ihrer Jugend einen Jäger liebgehabt, ihn aber wegen seines wilden Lebens nicht genommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":333,"orig":"Der Jäger war endlich in ſolch Elend gekommen, daß er auf Tod und Leben wegen eines Mordes gefangen ſaß.","norm":"Der Jäger war endlich in solch Elend gekommen, dass er auf Tod und Leben wegen eines Mordes gefangen saß."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":334,"orig":"Das erfuhr meine Baſe auf ihrem Krankenlager und es that ihr ſo weh, daß ſie täglich ſchlimmer wurde und endlich in ihrer Todesſtunde, als ſie mir die liebe ſchöne Annerl als mein Pathchen übergab, und Abſchied von mir nahm, noch in den letzten Augenblicken zu mir ſagte:","norm":"Das erfuhr meine Base auf ihrem Krankenlager und es tat ihr so weh, dass sie täglich schlimmer wurde und endlich in ihrer Todesstunde, als sie mir die liebe schöne Annerl als mein Patchen übergab, und Abschied von mir nahm, noch in den letzten Augenblicken zu mir sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":335,"orig":"Liebe Anne Margareth, wenn Du durch das Städtchen kömmſt, wo der arme Jürge gefangen liegt, ſo laſſe ihm ſagen durch den Gefangenwärter, daß ich ihn bitte auf meinem Todesbett: er ſolle ſich zu Gott bekehren, und daß ich herzlich für ihn gebetet habe in meiner letzten Stunde und daß ich ihn ſchön grüßen laſſe.","norm":"Liebe Anne Margret, wenn Du durch das Städtchen kommst, wo der arme Jürge gefangen liegt, so lasse ihm sagen durch den Gefangenenwärter, dass ich ihn bitte auf meinem Todesbett: Er solle sich zu Gott bekehren, und dass ich herzlich für ihn gebetet habe in meiner letzten Stunde und dass ich ihn schön grüßen lasse."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":336,"orig":"— Bald nach dieſen Worten ſtarb die gute Baſe, und als ſie begraben war, nahm ich die kleine Annerl, die drei Jahr alt war, auf den Arm und ging mit ihr nach Haus.","norm":"— Bald nach diesen Worten starb die gute Base, und als sie begraben war, nahm ich die kleine Annerl, die drei Jahr alt war, auf den Arm und ging mit ihr nach Haus."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":337,"orig":"Vor dem Städtchen, durch das ich mußte, kam ich an der Scharfrichterei vorüber, und weil der Meiſter berühmt war als ein Viehdoctor, ſollte ich einige Arznei mitnehmen für unſern Schulzen.","norm":"Vor dem Städtchen, durch das ich musste, kam ich an der Scharfrichterei vorüber, und weil der Meister berühmt war als ein Viehdoktor, sollte ich einige Arznei mitnehmen für unseren Schulzen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":338,"orig":"Ich trat in die Stube und ſagte dem Meiſter, was ich wollte, und er antwortete, daß ich ihm auf den Boden folgen ſolle, wo er die Kräuter liegen habe, und ihm helfen ausſuchen.","norm":"Ich trat in die Stube und sagte dem Meister, was ich wollte, und er antwortete, dass ich ihm auf den Boden folgen solle, wo er die Kräuter liegen habe, und ihm helfen aussuchen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":339,"orig":"Ich ließ Annerl in der Stube und folgte ihm.","norm":"Ich ließ Annerl in der Stube und folgte ihm."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":340,"orig":"Als wir zurück in die Stube traten, ſtand Annerl vor einem kleinen Schranke, der an der Wand befeſtigt war, und ſprach:","norm":"Als wir zurück in die Stube traten, stand Annerl vor einem kleinen Schranke, der an der Wand befestigt war, und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":341,"orig":"Großmutter, da iſt eine Maus drin, hört, wie es klappert, da iſt eine Maus drin!","norm":"Großmutter, da ist eine Maus drin, hört, wie es klappert, da ist eine Maus drin!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":342,"orig":"Auf dieſe Rede des Kindes machte der Meiſter ein ſehr ernſthaftes Geſicht, riß den Schrank auf und ſprach:","norm":"Auf diese Rede des Kindes machte der Meister ein sehr ernsthaftes Gesicht, riss den Schrank auf und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":343,"orig":"Gott ſey uns gnädig!","norm":"Gott sei uns gnädig!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":344,"orig":"denn er ſah ſein Richtſchwerdt, das allein in dem Schranke an einem Nagel hing, hin und her wanken.","norm":"denn er sah sein Richtschwert, das allein in dem Schranke an einem Nagel hing, hin und her wanken."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":345,"orig":"Er nahm das Schwerdt herunter und mir ſchauderte.","norm":"Er nahm das Schwert herunter und mir schauderte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":346,"orig":"Liebe Frau, ſagte er, wenn Ihr das kleine liebe Annerl lieb habt, ſo erſchreckt nicht, wenn ich ihm mit meinem Schwerdt, rings um das Hälschen, die Haut ein wenig aufritze; denn das Schwerdt hat vor ihm gewankt, es hat nach ſeinem Blut verlangt, und wenn ich ihm den Hals damit nicht ritze, ſo ſteht dem Kinde groß Elend im Leben bevor.","norm":"Liebe Frau, sagte er, wenn Ihr das kleine liebe Annerl liebhabt, so erschreckt nicht, wenn ich ihm mit meinem Schwert, rings um das Hälschen, die Haut ein wenig aufritze; denn das Schwert hat vor ihm gewankt, es hat nach seinem Blut verlangt, und wenn ich ihm den Hals damit nicht ritze, so steht dem Kinde groß Elend im Leben bevor."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":347,"orig":"Da faßte er das Kind, welches entſetzlich zu ſchreien begann, ich ſchrie auch und riß das Annerl zurück.","norm":"Da fasste er das Kind, welches entsetzlich zu schreien begann, ich schrie auch und riss das Annerl zurück."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":348,"orig":"Indem trat der Bürgermeiſter des Städtchens herein, der von der Jagd kam und dem Richter einen kranken Hund zur Heilung bringen wollte.","norm":"Indem trat der Bürgermeister des Städtchens herein, der von der Jagd kam und dem Richter einen kranken Hund zur Heilung bringen wollte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":349,"orig":"Er fragte nach der Urſache des Geſchrei's, Annerl ſchrie: er will mich umbringen; ich war außer mir vor entſetzen.","norm":"Er fragte nach der Ursache des Geschreis, Annerl schrie: Er will mich umbringen; Ich war außer mir vor Entsetzen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":350,"orig":"Der Richter erzählte dem Bürgermeiſter das Ereigniß.","norm":"Der Richter erzählte dem Bürgermeister das Ereignis."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":351,"orig":"Dieſer verwies ihm ſeinen Aberglauben, wie er es nannte, heftig und unter ſcharfen Drohungen; der Richter blieb ganz ruhig dabei und ſprach: ſo haben's meine Väter gehalten, ſo halt' ich's.","norm":"Dieser verwies ihm seinen Aberglauben, wie er es nannte, heftig und unter scharfen Drohungen; der Richter blieb ganz ruhig dabei und sprach: so haben es meine Väter gehalten, so halt ich es."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":352,"orig":"Da ſprach der Bürgermeiſter:","norm":"Da sprach der Bürgermeister:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":353,"orig":"Meiſter Franz, wenn Ihr glaubt, Euer Schwerdt habe ſich gerührt, weil ich Euch hiermit anzeige: daß morgen früh um ſechs Uhr der Jäger Jürge von Euch ſoll geköpft werden, ſo wollt' ich es noch verzeihen; aber daß Ihr daraus etwas auf dies liebe Kind ſchließen wollt, das iſt unvernünftig und toll, es könnte ſo etwas einen Menſchen in Verzweiflung bringen, wenn man es ihm ſpäter in ſeinem Alter ſagte, daß es ihm in ſeiner Jugend geſchehen ſey.","norm":"Meister Franz, wenn Ihr glaubt, Euer Schwert habe sich gerührt, weil ich Euch hiermit anzeige: dass morgen früh um sechs Uhr der Jäger Jürge von Euch soll geköpft werden, so wollte ich es noch verzeihen; aber dass Ihr daraus etwas auf dies liebe Kind schließen wollt, das ist unvernünftig und toll, es könnte so etwas einen Menschen in Verzweiflung bringen, wenn man es ihm später in seinem Alter sagte, dass es ihm in seiner Jugend geschehen sei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":354,"orig":"Man ſoll keinen Menſchen in Verſuchung führen.","norm":"Man soll keinen Menschen in Versuchung führen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":355,"orig":"— Aber auch keines Richters Schwerdt, ſagte Meiſter Franz vor ſich, und hing ſein Schwerdt wieder in den Schrank.","norm":"— Aber auch keines Richters Schwert, sagte Meister Franz vor sich, und hing sein Schwert wieder in den Schrank."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":356,"orig":"Nun küßte der Bürgermeiſter das Annerl und gab ihm eine Semmel aus ſeiner Jagdtaſche und da er mich gefragt, wer ich ſey, wo ich herkomme und hin wolle?","norm":"Nun küsste der Bürgermeister das Annerl und gab ihm eine Semmel aus seiner Jagdtasche und da er mich gefragt, wer ich sei, wo ich herkomme und hin wolle?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":357,"orig":"und ich ihm den Tod meiner Baſe erzählt hatte, und auch den Auftrag an den Jäger Jürge, ſagte er mir:","norm":"und ich ihm den Tod meiner Base erzählt hatte, und auch den Auftrag an den Jäger Jürge, sagte er mir:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":358,"orig":"Ihr ſollt ihn ausrichten, ich will Euch ſelbſt zu ihm führen; er hat ein hartes Herz, vielleicht wird ihn das Andenken einer guten Sterbenden in ſeinen letzten Stunden rühren.","norm":"Ihr sollt ihn ausrichten, ich will Euch selbst zu ihm führen; er hat ein hartes Herz, vielleicht wird ihn das Andenken einer guten Sterbenden in seinen letzten Stunden rühren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":359,"orig":"Da nahm der gute Herr mich und Annerl auf ſeinen Wagen, der vor der Thür hielt und fuhr mit uns in das Städtchen hinein.","norm":"Da nahm der gute Herr mich und Annerl auf seinen Wagen, der vor der Tür hielt und fuhr mit uns in das Städtchen hinein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":360,"orig":"Er hieß mich zu ſeiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Eſſen, und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder; und als ich dem die letzten Worte meiner Baſe erzählte, fing er bitterlich an zu weinen, und ſchrie: ach Gott!","norm":"Er hieß mich zu seiner Köchin gehen; da kriegten wir gutes Essen, und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder; und als ich dem die letzten Worte meiner Base erzählte, fing er bitterlich an zu weinen, und schrie: ach Gott!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":361,"orig":"wenn ſie mein Weib geworden, wäre es nicht ſo weit mit mir gekommen.","norm":"wenn sie mein Weib geworden, wäre es nicht so weit mit mir gekommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":362,"orig":"Dann begehrte er, man ſolle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten.","norm":"Dann begehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":363,"orig":"Das verſprach ihm der Bürgermeiſter, und lobte ihn wegen ſeiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor ſeinem Tode noch einen Wunſch hätte, den er ihm erfüllen könne.","norm":"Das versprach ihm der Bürgermeister, und lobte ihn wegen seiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor seinem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen könne."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":364,"orig":"Da ſagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß ſie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer ſeligen Baſe bei meinem Rechte zugegen ſeyn mögen, das wird mir das Herz ſtärken in meiner letzten Stunde.","norm":"Da sagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die gute alte Mutter, dass sie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen sein mögen, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten Stunde."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":365,"orig":"Da bat mich der Bürgermeiſter, und ſo graulich es mir war, ſo konnte ich es dem armen elenden Menſchen nicht abſchlagen.","norm":"Da bat mich der Bürgermeister, und so graulich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden Menschen nicht abschlagen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":366,"orig":"Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich verſprechen und er ſank weinend auf das Stroh.","norm":"Ich musste ihm die Hand geben und es ihm feierlich versprechen und er sank weinend auf das Stroh."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":367,"orig":"Der Bürgermeiſter ging dann mit mir zu ſeinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen wußte, ehe er ſich in's Gefängniß begab.","norm":"Der Bürgermeister ging dann mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals alles erzählen musste, ehe er sich ins Gefängnis begab."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":368,"orig":"Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeiſters Haus ſchlafen, und am andern Morgen ging ich den ſchweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers Jürge.","norm":"Die Nacht musste ich mit dem Kinde in des Bürgermeisters Haus schlafen, und am anderen Morgen ging ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers Jürge."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":369,"orig":"Ich ſtand neben dem Bürgermeiſter im Kreis, und ſah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger Jürge noch eine ſchöne Rede und alle Leute weinten, und er ſah mich und die kleine Annerl, die vor mit ſtand, gar beweglich an, und dann küßte er den Meiſter Franz, der Pfarrer betete mit ihm, die Augen wurden ihm verbunden, und er kniete nieder.","norm":"Ich stand neben dem Bürgermeister im Kreis, und sah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger Jürge noch eine schöne Rede und alle Leute weinten, und er sah mich und die kleine Annerl, die vor mir stand, gar beweglich an, und dann küsste er den Meister Franz, der Pfarrer betete mit ihm, die Augen wurden ihm verbunden, und er kniete nieder."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":370,"orig":"Da gab ihm der Richter den Todesſtreich.","norm":"Da gab ihm der Richter den Todesstreich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":371,"orig":"Jeſus, Maria, Joſeph!","norm":"Jesus, Maria, Joseph!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":372,"orig":"ſchrie ich aus; denn der Kopf des Jürgen flog gegen Annerl zu und biß mit ſeinen Zähnen dem Kinde in ſein Röckchen, das ganz entſetzlich ſchrie; ich riß meine Schürze vom Leibe und warf ſie über den ſcheuslichen Kopf und Meiſter Franz eilte herbei, riß ihn los, und ſprach:","norm":"schrie ich aus; denn der Kopf des Jürgen flog gegen Annerl zu und bis mit seinen Zähnen dem Kinde in sein Röckchen, das ganz entsetzlich schrie; Ich riss meine Schürze vom Leibe und warf sie über den scheußlichen Kopf und Meister Franz eilte herbei, riss ihn los, und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":373,"orig":"Mutter, Mutter, was habe ich heut Morgen geſagt; ich kenne mein Schwerdt, es iſt lebendig!","norm":"Mutter, Mutter, was habe ich heute Morgen gesagt; Ich kenne mein Schwert, es ist lebendig!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":374,"orig":"— Ich war niedergeſunken vor Schreck, das Annerl ſchrie entſetzlich.","norm":"— Ich war niedergesunken vor Schreck, das Annerl schrie entsetzlich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":375,"orig":"Der Bürgermeiſter war ganz beſtürzt und ließ mich und das Kind nach ſeinem Hauſe fahren; da ſchenkte mir ſeine Frau andre Kleider für mich und das Kind, und Nachmittag ſchenkte uns der Bürgermeiſter noch Geld, und viele Leute des Städtchens auch, die Annerl ſehen wollten, ſo daß ich an zwanzig Thaler und viele Kleider für ſie bekam.","norm":"Der Bürgermeister war ganz bestürzt und ließ mich und das Kind nach seinem Hause fahren; da schenkte mir seine Frau andere Kleider für mich und das Kind, und Nachmittag schenkte uns der Bürgermeister noch Geld, und viele Leute des Städtchens auch, die Annerl sehen wollten, so dass ich an zwanzig Taler und viele Kleider für sie bekam."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":376,"orig":"Am Abend kam der Pfarrer in's Haus und redete mir lange zu: daß ich das Annerl nur recht in der Gottesfurcht erziehen ſollte, und auf alle die betrübten Zeichen gar nichts geben, das ſeyen nur Schlingen des Satans, die man verachten müſſe; und dann ſchenkte er mir noch eine ſchöne Bibel für das Annerl, die ſie noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeiſter, am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach Haus fahren.","norm":"Am Abend kam der Pfarrer ins Haus und redete mir lange zu: dass ich das Annerl nur recht in der Gottesfurcht erziehen sollte, und auf alle die betrübten Zeichen gar nichts geben, das seien nur Schlingen des Satans, die man verachten müsse; und dann schenkte er mir noch eine schöne Bibel für das Annerl, die sie noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeister, am anderen Morgen, noch an drei Meilen weit nach Haus fahren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":377,"orig":"Ach Du mein Gott, und Alles iſt doch eingetroffen!","norm":"Ach Du mein Gott, und alles ist doch eingetroffen!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":378,"orig":"ſagte die Alte und ſchwieg.","norm":"sagte die Alte und schwieg."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":379,"orig":"Eine ſchauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzählung der Alten hatte mich ganz zermalmt.","norm":"Eine schauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzählung der Alten hatte mich ganz zermalmt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":380,"orig":"Um Gottes willen, Mutter, rief ich aus, was iſt es mit der armen Annerl geworden, iſt denn gar nicht zu helfen?","norm":"Um Gottes willen, Mutter, rief ich aus, was ist es mit der armen Annerl geworden, ist denn gar nicht zu helfen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":381,"orig":"Es hat ſie mit den Zähnen dazu geriſſen, ſagte die Alte, heut wird ſie gerichtet; aber ſie hat es in der Verzweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn; ſie war zu Schanden gekommen aus Ehrfucht, ſie wurde verführt von einem Vornehmen, er hat ſie ſitzen laſſen, ſie hat ihr Kind erſtickt in derſelben Schürze, die ich damals über den Kopf des Jägers Jügre warf, und die ſie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat ſie mit Zähnen dazu geriſſen, ſie hat es in der Verwirrung gethan.","norm":"Es hat sie mit den Zähnen dazu gerissen, sagte die Alte, heute wird sie gerichtet; aber sie hat es in der Verzweiflung getan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn; sie war zuschanden gekommen aus Ehrsucht, sie wurde verführt von einem Vornehmen, er hat sie sitzen lassen, sie hat ihr Kind erstickt in derselben Schürze, die ich damals über den Kopf des Jägers Jügre warf, und die sie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat sie mit Zähnen dazu gerissen, sie hat es in der Verwirrung getan."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":382,"orig":"Der Verführer hatte ihr die Ehe verſprochen, und geſagt: der Kasper ſey in Frankreich geblieben; dann iſt ſie verzweifelt und hat das Böſe gethan, und hat ſich ſelbſt bei den Gerichten angegeben.","norm":"Der Verführer hatte ihr die Ehe versprochen, und gesagt: Der Kasper sei in Frankreich geblieben; dann ist sie verzweifelt und hat das Böse getan, und hat sich selbst bei den Gerichten angegeben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":383,"orig":"Um vier Uhr wird ſie gerichtet.","norm":"Um vier Uhr wird sie gerichtet."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":384,"orig":"Sie hat mir geſchrieben: ich möchte noch zu ihr kommen, das will ich nun thun und ihr das Kränzlein und den Gruß von dem armen Kasper bringen, und die Roſe, die ich heut Nacht erhalten, das wird ſie tröſten.","norm":"Sie hat mir geschrieben: Ich möchte noch zu ihr kommen, das will ich nun tun und ihr das Kränzlein und den Gruß von dem armen Kasper bringen, und die Rose, die ich heute Nacht erhalten, das wird sie trösten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":385,"orig":"Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der Bittſchrift auswirken kann: daß ihr Leib und auch der Kasper dürfen auf unſern Kirchhof gebracht werden.","norm":"Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der Bittschrift auswirken kann: dass ihr Leib und auch der Kasper dürfen auf unseren Kirchhof gebracht werden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":386,"orig":"Alles, Alles will ich verſuchen!","norm":"Alles, alles will ich versuchen!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":387,"orig":"rief ich aus, gleich will ich nach dem Schloſſe laufen; mein Freund, der Ihr die Roſe gab, hat die Wache dort, er ſoll mir den Herzog wecken, ich will vor ſein Bett knieen, und ihn um Pardon für Annerl bitten.","norm":"rief ich aus, gleich will ich nach dem Schlosse laufen; mein Freund, der Ihr die Rose gab, hat die Wache dort, er soll mir den Herzog wecken, ich will vor sein Bett knien, und ihn um Pardon für Annerl bitten."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":388,"orig":"Pardon?","norm":"Pardon?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":389,"orig":"ſagte die Alte kalt, es hat ſie ja mit Zähnen dazu gezogen; hör' Er, lieber Freund, Gerechtigkeit iſt beſſer als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden, wir müſſen doch Alle vor das Gericht:","norm":"sagte die Alte kalt, es hat sie ja mit Zähnen dazu gezogen; höre er, lieber Freund, Gerechtigkeit ist besser als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden, wir müssen doch alle vor das Gericht:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":390,"orig":"Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſteh'n, Ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte geh'n.","norm":"Ihr Toten, ihr Toten sollt auferstehen, Ihr sollt vor das jüngste Gerichte gehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":391,"orig":"Seht, ſie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angeboten, wenn ſie den Vater des Kindes nennen wolle, aber das Annerl hat geſagt:","norm":"Seht, sie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angeboten, wenn sie den Vater des Kindes nennen wolle, aber das Annerl hat gesagt:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":392,"orig":"Ich habe ſein Kind ermordet und will ſterben, und ihn nicht unglücklich machen; ich muß meine Strafe leiden, daß ich zu meinem Kinde komme, aber ihn kann es verderben, wenn ich ihn nenne.","norm":"Ich habe sein Kind ermordet und will sterben, und ihn nicht unglücklich machen; ich muss meine Strafe leiden, dass ich zu meinem Kinde komme, aber ihn kann es verderben, wenn ich ihn nenne."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":393,"orig":"Darüber wurde ihr das Schwerdt zuerkannt.","norm":"Darüber wurde ihr das Schwert zuerkannt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":394,"orig":"Gehe Er zum Herzog, und bitte Er für Kasper und Annerl um ein ehrlich Grab.","norm":"Gehe er zum Herzog, und bitte er für Kasper und Annerl um ein ehrlich Grab."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":395,"orig":"Gehe Er gleich, ſeh' Er: dort geht der Herr Pfarrer in's Gefängniß, ich will ihn anſprechen, daß er mich mit hinein zum ſchönen Annerl nimmt.","norm":"Gehe er gleich, sehe er: dort geht der Herr Pfarrer ins Gefängnis, ich will ihn ansprechen, dass er mich mit hinein zum schönen Annerl nimmt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":396,"orig":"Wenn Er ſich eilt, ſo kann Er uns draußen am Gerichte vielleicht den Troſt noch bringen: mit dem ehrlichen Grab für Kasper und Annerl.","norm":"Wenn Er sich eilt, so kann er uns draußen am Gerichte vielleicht den Trost noch bringen: mit dem ehrlichen Grab für Kasper und Annerl."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":397,"orig":"Unter dieſen Worten waren wir mit dem Prediger zuſammengetroffen, die Alte erzählte ihr Verhältniß zu der Gefangenen und er nahm ſie freundlich mit zum Gefängniß.","norm":"Unter diesen Worten waren wir mit dem Prediger zusammengetroffen, die Alte erzählte ihr Verhältnis zu der Gefangenen und er nahm sie freundlich mit zum Gefängnis."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":398,"orig":"Ich aber eilte nun, wie ich noch nie gelaufen, nach dem Schloſſe, und es machte mir einen tröſtenden Eindruck, es war mir wie ein Zeichen der Hoffnung, als ich an Graf Groſſingers Hauſe vorüberſtürzte, und aus einem offnen Fenſter des Gartenhauſes eine liebliche Stimme zur Laute ſingen hörte:","norm":"Ich aber eilte nun, wie ich noch nie gelaufen, nach dem Schlosse, und es machte mir einen tröstenden Eindruck, es war mir wie ein Zeichen der Hoffnung, als ich an Graf Grossingers Hause vorüberstürzte, und aus einem offenen Fenster des Gartenhauses eine liebliche Stimme zur Laute singen hörte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":399,"orig":"Die Gnade ſprach von Liebe, Die Ehre aber wacht, Und wünſcht voll Lieb' der Gnade In Ehren gute Nacht.","norm":"Die Gnade sprach von Liebe, die Ehre aber wacht, und wünscht voll Liebe der Gnade in Ehren gute Nacht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":400,"orig":"Die Gnade nimmt den Schleier, Wenn Liebe Roſen giebt, Die Ehre grüßt den Freier, Weil ſie die Gnade liebt.","norm":"Die Gnade nimmt den Schleier, wenn Liebe Rosen gibt, die Ehre grüßt den Freier, weil sie die Gnade liebt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":401,"orig":"Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr!","norm":"Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":402,"orig":"ein hundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll von duftenden Roſen.","norm":"Einhundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll von duftenden Rosen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":403,"orig":"Ich hielt ihn in der Hand und lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das iſt die Gnade.","norm":"Ich hielt ihn in der Hand und lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das ist die Gnade."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":404,"orig":"Als ich um die Ecke bog, ſah ich einen Mann, der ſich in ſeinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vorüber eilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht geſehen zu werden.","norm":"Als ich um die Ecke bog, sah ich einen Mann, der sich in seinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vorübereilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht gesehen zu werden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":405,"orig":"Er hätte es nicht nöthig gehabt, ich ſah und hörte nichts in meinem Innern, als:","norm":"Er hätte es nicht nötig gehabt, ich sah und hörte nichts in meinem Inneren, als:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":406,"orig":"Gnade, Gnade!","norm":"Gnade, Gnade!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":407,"orig":"und ſtürzte durch das Gitterthor in den Schloßhof.","norm":"und stürzte durch das Gittertor in den Schlosshof."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":408,"orig":"Gott ſey Dank, der Fähndrich, Graf Groſſinger, der unter den blühenden Kaſtanienbäumen vor der Wache auf und ab ging, trat mir ſchon entgegen.","norm":"Gott sei Dank, der Fähndrich, Graf Grossinger, der unter den blühenden Kastanienbäumen vor der Wache auf und ab ging, trat mir schon entgegen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":409,"orig":"Lieber Graf, ſagte ich mit Ungeſtüm, Sie müſſen mich gleich zum Herzog bringen, gleich auf der Stelle, oder Alles iſt zu ſpät, Alles iſt verloren!","norm":"Lieber Graf, sagte ich mit Ungestüm, Sie müssen mich gleich zum Herzog bringen, gleich auf der Stelle, oder alles ist zu spät, alles ist verloren!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":410,"orig":"Er ſchien verlegen über dieſen Antrag und ſagte:","norm":"Er schien verlegen über diesen Antrag und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":411,"orig":"Was fällt Ihnen ein, zu dieſer ungewohnten Stunde?","norm":"Was fällt Ihnen ein, zu dieser ungewohnten Stunde?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":412,"orig":"Es iſt nicht möglich, kommen Sie zur Parade, da will ich Sie vorſtellen.","norm":"Es ist nicht möglich, kommen Sie zur Parade, da will ich Sie vorstellen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":413,"orig":"Mir brannte der Boden unter den Füßen.","norm":"Mir brannte der Boden unter den Füßen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":414,"orig":"Jetzt, rief ich aus, oder nie!","norm":"Jetzt, rief ich aus, oder nie!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":415,"orig":"es muß ſeyn, es betrifft das Leben eines Menſchen.","norm":"es muss sein, es betrifft das Leben eines Menschen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":416,"orig":"Es kann jetzt nicht ſeyn, erwiederte Groſſinger ſcharf abſprechend, es betrifft meine Ehre, es iſt mir unterſagt, heute Nacht irgend eine Meldung zu thun.","norm":"Es kann jetzt nicht sein, erwiderte Grossinger scharf absprechend, es betrifft meine Ehre, es ist mir untersagt, heute Nacht irgendeine Meldung zu tun."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":417,"orig":"Das Wort Ehre machte mich verzweifeln; ich dachte an Kaspers Ehre, an Annerls Ehre, und ſagte: die vermaledeite Ehre, gerade um die letzte Hülfe zu leiſten, welche ſo eine Ehre übrig gelaſſen, muß ich zum Herzoge, Sie müſſen mich melden oder ich ſchreie laut nach dem Herzog.","norm":"Das Wort Ehre machte mich verzweifeln; ich dachte an Kaspers Ehre, an Annerls Ehre, und sagte: Die vermaledeite Ehre, Gerade um die letzte Hilfe zu leisten, welche so eine Ehre übriggelassen, muss ich zum Herzoge, Sie müssen mich melden oder ich schreie laut nach dem Herzog."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":418,"orig":"So Sie ſich rühren, ſagte Groſſinger heftig, laſſe ich Sie in die Wache werfen, Sie ſind ein Phantaſt, Sie kennen keine Verhältniſſe.","norm":"So Sie sich rühren, sagte Grossinger heftig, lasse ich Sie in die Wache werfen, Sie sind ein Phantast, Sie kennen keine Verhältnisse."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":419,"orig":"O, ich kenne Verhältniſſe, ſchreckliche Verhältniſſe!","norm":"O, ich kenne Verhältnisse, schreckliche Verhältnisse!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":420,"orig":"ich muß zum Herzoge, jede Minute iſt unerkauflich!","norm":"Ich muss zum Herzoge, jede Minute ist unerkauflich!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":421,"orig":"verſetzte ich, wollen Sie mich nicht gleich melden, ſo eile ich allein zu ihm.","norm":"versetzte ich, wollen Sie mich nicht gleich melden, so eile ich allein zu ihm."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":422,"orig":"Mit dieſen Worten wollte ich nach der Treppe, die zu den Gemächern des Herzogs hinaufführte, als ich den Nämlichen, in einem Mantel Verhüllten, der mir begegnete, nach dieſer Treppe eilend, bemerkte.","norm":"Mit diesen Worten wollte ich nach der Treppe, die zu den Gemächern des Herzogs hinaufführte, als ich den Nämlichen, in einem Mantel verhüllten, der mir begegnete, nach dieser Treppe eilend, bemerkte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":423,"orig":"Groſſinger drehte mich mit Gewalt um, daß ich dieſen nicht ſehen ſollte.","norm":"Grossinger drehte mich mit Gewalt um, dass ich diesen nicht sehen sollte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":424,"orig":"Was machen Sie, Thöriger, flüſterte er mir zu, ſchweigen Sie, ruhen Sie, Sie machen mich unglücklich.","norm":"Was machen Sie, Törichter, flüsterte er mir zu, schweigen Sie, ruhen Sie, Sie machen mich unglücklich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":425,"orig":"Warum halten Sie den Mann nicht zurück, der da hinauf ging?","norm":"Warum halten Sie den Mann nicht zurück, der da hinauf ging?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":426,"orig":"ſagte ich; er kann nichts Dringenderes vorzubringen haben, als ich.","norm":"sagte ich; er kann nichts Dringenderes vorzubringen haben, als ich."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":427,"orig":"Ach, es iſt ſo dringend, ich muß, ich muß!","norm":"Ach, es ist so dringend, ich muss, ich muss!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":428,"orig":"Es betrifft das Schickſal eines unglücklichen verführten armen Geſchöpfs.","norm":"Es betrifft das Schicksal eines unglücklichen verführten armen Geschöpfs."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":429,"orig":"Groſſinger erwiederte:","norm":"Grossinger erwiderte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":430,"orig":"Sie haben den Mann hinauf gehen ſehen; wenn Sie je ein Wort davon äußern, ſo kommen Sie vor meine Klinge; gerade, weil Er hinauf ging, können Sie nicht hinauf, der Herzog hat Geſchäfte mit ihm.","norm":"Sie haben den Mann hinaufgehen sehen; wenn Sie je ein Wort davon äußeren, so kommen Sie vor meine Klinge; gerade, weil Er hinaufging, können Sie nicht hinauf, der Herzog hat Geschäfte mit ihm."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":431,"orig":"Da erleuchteten ſich die Fenſter des Herzogs.","norm":"Da erleuchteten sich die Fenster des Herzogs."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":432,"orig":"Gott, er hat Licht, er iſt auf!","norm":"Gott, er hat Licht, er ist auf!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":433,"orig":"ſagte ich, ich muß ihn ſprechen, um des Himmels willen, laſſen Sie mich, oder ich ſchreie Hülfe.","norm":"sagte ich, ich muss ihn sprechen, um des Himmels willen, lassen Sie mich, oder ich schreie Hilfe."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":434,"orig":"Groſſinger faßte mich beim Arm, und ſagte:","norm":"Grossinger fasste mich beim Arm, und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":435,"orig":"Sie ſind betrunken, kommen Sie in die Wache: ich bin Ihr Freund, ſchlafen Sie aus, und ſagen Sie mir das Lied, das die Alte heut Nacht an der Thüre ſang, als ich die Runde vorüber führte; das Lied intereſſirt mich ſehr.","norm":"Sie sind betrunken, kommen Sie in die Wache: Ich bin Ihr Freund, schlafen Sie aus, und sagen Sie mir das Lied, das die Alte heute Nacht an der Türe sang, als ich die Runde vorüberführte; das Lied interessiert mich sehr."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":436,"orig":"Gerade wegen der Alten und den Ihrigen muß ich mit dem Herzoge ſprechen!","norm":"Gerade wegen der Alten und den Ihrigen muss ich mit dem Herzoge sprechen!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":437,"orig":"rief ich aus.","norm":"rief ich aus."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":438,"orig":"Wegen der Alten?","norm":"Wegen der Alten?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":439,"orig":"verſetzte Groſſinger, wegen der ſprechen Sie mit mir, die großen Herren, haben keinen Sinn für ſo etwas; geſchwind kommen Sie nach der Wache.","norm":"versetzte Grossinger, wegen der sprechen Sie mit mir, die großen Herren, haben keinen Sinn für so etwas; geschwind kommen Sie nach der Wache."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":440,"orig":"Er wollte mich fortziehen, da ſchlug die Schloßuhr halb Vier, der Klang ſchnitt mir wie ein Schrei der Roth durch die Seele, und ich ſchrie aus voller Bruſt zu den Fenſtern des Herzogs hinauf:","norm":"Er wollte mich fortziehen, da schlug die Schlossuhr halb Vier, der Klang schnitt mir wie ein Schrei der Rot durch die Seele, und ich schrie aus voller Brust zu den Fenstern des Herzogs hinauf:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":441,"orig":"Hülfe!","norm":"Hilfe!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":442,"orig":"um Gottes willen, Hülfe für ein elendes, verführtes Geſchöpf!","norm":"um Gottes willen, Hilfe für ein elendes, verführtes Geschöpf!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":443,"orig":"Da ward Groſſinger wie unſinnig, er wollte mir den Mund zuhalten, aber ich rang mit ihm; er ſtieß mich in den Nacken, er ſchimpfte, ich fühlte, ich hörte nichts.","norm":"Da wurde Grossinger wie unsinnig, er wollte mir den Mund zuhalten, aber ich rang mit ihm; er stieß mich in den Nacken, er schimpfte, ich fühlte, ich hörte nichts."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":444,"orig":"Er rief nach der Wache, der Korporal eilte mit etlichen Soldaten herbei, mich zu greifen, aber in dem Augenblick ging des Herzogs Fenſter auf, und es rief herunter:","norm":"Er rief nach der Wache, der Korporal eilte mit etlichen Soldaten herbei, mich zu greifen, aber in dem Augenblick ging des Herzogs Fenster auf, und es rief herunter:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":445,"orig":"Fähndrich Graf Groſſinger, was iſt das für ein Skandal?","norm":"Fähndrich Graf Grossinger, was ist das für ein Skandal?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":446,"orig":"bringen Sie den Menſchen herauf, gleich auf der Stelle!","norm":"Bringen Sie den Menschen herauf, gleich auf der Stelle!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":447,"orig":"Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich ſtürzte die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Herzogs, der mich betroffen und unwillig aufſtehen hieß.","norm":"Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich stürzte die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Herzogs, der mich betroffen und unwillig aufstehen hieß."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":448,"orig":"Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlafrock, den er ſorgfältig über der Bruſt zuſammen hielt.","norm":"Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlafrock, den er sorgfältig über der Brust zusammenhielt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":449,"orig":"Ich trug dem Herzoge Alles, was mir die Alte von dem Selbſtmorde des Uhlanen, von der Geſchichte der ſchönen Annerl erzählt hatte, ſo gedrängt vor, als es die Noth erforderte, und flehte ihn wenigſtens um den Aufſchub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn Gnade unmöglich ſey.","norm":"Ich trug dem Herzoge alles, was mir die Alte von dem Selbstmorde des Ulanen, von der Geschichte der schönen Annerl erzählt hatte, so gedrängt vor, als es die Not erforderte, und flehte ihn wenigstens um den Aufschub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn Gnade unmöglich sei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":450,"orig":"— Ach, Gnade, Gnade!","norm":"— Ach, Gnade, Gnade!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":451,"orig":"rief ich aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll Roſen aus dem Buſen zog; dieſer Schleier, den ich auf meinem Wege hierher gefunden, ſchien mir Gnade zu verheißen.","norm":"rief ich aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll Rosen aus dem Busen zog; dieser Schleier, den ich auf meinem Wege hierher gefunden, schien mir Gnade zu verheißen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":452,"orig":"Der Herzog griff mit Ungeſtüm nach dem Schleier, und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in ſeinen Händen und als ich die Worte ausſprach, dieſes arme Mädchen iſt ein Opfer falſcher Ehrſucht; ein Vornehmer hat ſie verführt, und ihr die Ehe verſprochen, ach, ſie iſt ſo gut, daß ſie lieber ſterben will, als ihn nennen — da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den Augen, und ſagte:","norm":"Der Herzog griff mit Ungestüm nach dem Schleier, und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in seinen Händen und als ich die Worte aussprach, dieses arme Mädchen ist ein Opfer falscher Ehrsucht; ein Vornehmer hat sie verführt, und ihr die Ehe versprochen, ach, sie ist so gut, dass sie lieber sterben will, als ihn nennen — da unterbrach mich der Herzog mit Tränen in den Augen, und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":453,"orig":"Schweigen Sie, ums Himmels willen, ſchweigen Sie — und nun wendete er ſich zu dem Fähndrich, der an der Thür ſtand, und ſagte mit dringender Eile:","norm":"Schweigen Sie, um das Himmels Willen, schweigen Sie — und nun wendete er sich zu dem Fähndrich, der an der Tür stand, und sagte mit dringender Eile:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":454,"orig":"Fort, eilend zu Pferde mit dieſem Menſchen hier; reiten Sie das Pferd todt; nur nach dem Gerichte hin: heften Sie dieſen Schleier an ihren Degen, winken und ſchreien Sie Gnade, Gnade!","norm":"Fort, eilend zu Pferde mit diesem Menschen hier; reiten Sie das Pferd tot; nur nach dem Gerichte hin: heften Sie diesen Schleier an Ihren Degen, winken und schreien Sie Gnade, Gnade!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":455,"orig":"ich komme nach.","norm":"Ich komme nach."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":456,"orig":"Groſſinger nahm den Schleier; er war ganz verwandelt, er ſah aus wie ein Geſpenſt vor Angſt und Eile; wir ſtürzten in den Stall, ſaßen zu Pferde und ritten im Galopp, er ſtürmte wie ein Wahnſinniger zum Thore hinaus.","norm":"Grossinger nahm den Schleier; er war ganz verwandelt, er sah aus wie ein Gespenst vor Angst und Eile; wir stürzten in den Stall, saßen zu Pferde und ritten im Galopp, er stürmte wie ein Wahnsinniger zum Tore hinaus."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":457,"orig":"Als er den Schleier an ſeine Degenſpitze heftete, ſchrie er:","norm":"Als er den Schleier an seine Degenspitze heftete, schrie er:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":458,"orig":"Herr Jeſus, meine Schweſter!","norm":"Herr Jesus, meine Schwester!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":459,"orig":"Ich verſtand nicht, was er wollte.","norm":"Ich verstand nicht, was er wollte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":460,"orig":"Er ſtand hoch im Bügel, und wehte und ſchrie:","norm":"Er stand hoch im Bügel, und wehte und schrie:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":461,"orig":"Gnade, Gnade!","norm":"Gnade, Gnade!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":462,"orig":"wir ſahen auf dem Hügel die Menge um das Gericht verſammelt.","norm":"Wir sahen auf dem Hügel die Menge um das Gericht versammelt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":463,"orig":"Mein Pferd ſcheute vor dem wehenden Tuch.","norm":"Mein Pferd scheute vor dem wehenden Tuch."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":464,"orig":"Ich bin ein ſchlechter Reiter, ich konnte den Groſſinger nicht einholen, er flog im ſchnellſten Carriere: ich ſtrengte alle Kräfte an.","norm":"Ich bin ein schlechter Reiter, ich konnte den Grossinger nicht einholen, er flog im schnellsten Karriere: Ich strengte alle Kräfte an."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":465,"orig":"Trauriges Schickſal!","norm":"Trauriges Schicksal!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":466,"orig":"die Artillerie exerzirte in der Nähe, der Kanonendonner machte es unmöglich, unſer Geſchrei aus der Ferne zu hören.","norm":"Die Artillerie exerzierte in der Nähe, der Kanonendonner machte es unmöglich, unser Geschrei aus der Ferne zu hören."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":467,"orig":"Groſſinger ſtürzte, das Volk ſtob auseinander, ich ſah in den Kreis, ich ſah einen Stahlblitz in der frühen Sonne — ach Gott, es war der Schwerdtblitz des Richters!","norm":"Grossinger stürzte, das Volk stob auseinander, ich sah in den Kreis, ich sah einen Stahlblitz in der frühen Sonne — ach Gott, es war der Schwertblitz des Richters!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":468,"orig":"— Ich ſprengte heran, ich hörte das Wehklagen der Menge.","norm":"— Ich sprengte heran, ich hörte das Wehklagen der Menge."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":469,"orig":"Pardon, Pardon!","norm":"Pardon, Pardon!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":470,"orig":"ſchrie Groſſinger und ſtürzte mit wehendem Schleier durch den Kreis, wie ein Raſender, aber der Richter hielt ihm das blutende Haupt der ſchönen Annerl entgegen, das ihn wehmüthig anlächelte.","norm":"schrie Grossinger und stürzte mit wehendem Schleier durch den Kreis, wie ein Rasender, aber der Richter hielt ihm das blutende Haupt der schönen Annerl entgegen, das ihn wehmütig anlächelte."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":471,"orig":"Da ſchrie er:","norm":"Da schrie er:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":472,"orig":"Gott ſey mir gnädig!","norm":"Gott sei mir gnädig!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":473,"orig":"und fiel auf die Leiche hin zur Erde, tödtet mich, tödtet mich, ihr Menſchen, ich habe ſie verführt, ich bin ihr Mörder!","norm":"und fiel auf die Leiche hin zur Erde, tötet mich, tötet mich, ihr Menschen, ich habe sie verführt, ich bin ihr Mörder!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":474,"orig":"Eine rächende Wuth ergriff die Menge; die Weiber und Jungfrauen drangen heran und riſſen ihn von der Leiche, und traten ihn mit Füßen, er wehrte ſich nicht; die Wachen konnten das wüthende Volk nicht bändigen.","norm":"Eine rächende Wut ergriff die Menge; die Weiber und Jungfrauen drangen heran und rissen ihn von der Leiche, und traten ihn mit Füßen, er wehrte sich nicht; die Wachen konnten das wütende Volk nicht bändigen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":475,"orig":"Da erhob ſich das Geſchrei: der Herzog, der Herzog!","norm":"Da erhob sich das Geschrei: der Herzog, der Herzog!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":476,"orig":"— er kam im offnen Wagen gefahren, ein blutjunger Menſch, den Hut tief in's Geſicht gedrückt, in einen Mantel gehüllt, ſaß neben ihm.","norm":"— er kam im offenen Wagen gefahren, ein blutjunger Mensch, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, in einen Mantel gehüllt, saß neben ihm."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":477,"orig":"Die Menſchen ſchleifen Groſſinger herbei;","norm":"Die Menschen schleifen Grossinger herbei;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":478,"orig":"Jeſus, mein Bruder!","norm":"Jesus, mein Bruder!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":479,"orig":"ſchrie der junge Offizier mit der weiblichſten Stimme aus dem Wagen.","norm":"schrie der junge Offizier mit der weiblichsten Stimme aus dem Wagen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":480,"orig":"Der Herzog ſprach beſtürzt zu ihm: ſchweigen Sie!","norm":"Der Herzog sprach bestürzt zu ihm: Schweigen Sie!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":481,"orig":"Er ſprang aus dem Wagen, der junge Menſch wollte folgen, der Herzog drängte ihn ſchier unſanft zurück, aber ſo beförderte ſich die Entdeckung: daß der junge Menſch die, als Offizier verkleidete, Schweſter Groſſingers ſey.","norm":"Er sprang aus dem Wagen, der junge Mensch wollte folgen, der Herzog drängte ihn schier unsanft zurück, aber so beförderte sich die Entdeckung: dass der junge Mensch die, als Offizier verkleidete, Schwester Grossingers sei."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":482,"orig":"Der Herzog ließ den mißhandelten, blutenden, ohnmächtigen Groſſinger in den Wagen legen, die Schweſter nahm keine Rückſicht mehr, ſie warf ihren Mantel über ihn;","norm":"Der Herzog ließ den misshandelten, blutenden, ohnmächtigen Grossinger in den Wagen legen, die Schwester nahm keine Rücksicht mehr, sie warf ihren Mantel über ihn;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":483,"orig":"Jedermann ſah ſie in weiblicher Kleidung.","norm":"Jedermann sah sie in weiblicher Kleidung."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":484,"orig":"Der Herzog war verlegen, aber er ſammelte ſich, und befahl den Wagen ſogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren.","norm":"Der Herzog war verlegen, aber er sammelte sich, und befahl den Wagen sogleich umzuwenden, und die Gräfin mit ihrem Bruder nach ihrer Wohnung zu fahren."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":485,"orig":"Dieſes Ereigniß hatte die Wuth der Menge einigermaßen geſtillt.","norm":"Dieses Ereignis hatte die Wut der Menge einigermaßen gestillt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":486,"orig":"Der Herzog ſagte laut zu dem wachthabenden Offizier: die Gräfin Groſſinger hat ihren Bruder an ihrem Hauſe vorbei reiten ſehen, den Pardon zu bringen und wollte dieſem freudigen Ereigniß beiwohnen; als ich zu demſelben Zwecke vorüber fuhr, ſtand ſie am Fenſter, und bat mich, ſie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gutmüthigen Kinde nicht abſchlagen.","norm":"Der Herzog sagte laut zu dem wachthabenden Offizier: Die Gräfin Grossinger hat ihren Bruder an ihrem Hause vorbeireiten sehen, den Pardon zu bringen und wollte diesem freudigen Ereignis beiwohnen; als ich zu demselben Zwecke vorüberfuhr, stand sie am Fenster, und bat mich, sie in meinem Wagen mitzunehmen, ich konnte es dem gutmütigen Kinde nicht abschlagen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":487,"orig":"Sie nahm einen Mantel und Hut ihres Bruders, um kein Aufſehen zu erregen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überraſcht, die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skandal gemacht.","norm":"Sie nahm einen Mantel und Hut ihres Bruders, um kein Aufsehen zu erregen, und hat, von dem unglücklichen Zufall überrascht, die Sache gerade dadurch zu einem abenteuerlichen Skandal gemacht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":488,"orig":"Aber wie konnten Sie, Herr Lieutenant, den unglücklichen Grafen Groſſinger nicht vor dem Pöbel ſchützen?","norm":"Aber wie konnten Sie, Herr Leutnant, den unglücklichen Grafen Grossinger nicht vor dem Pöbel schützen?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":489,"orig":"es iſt ein gräßlicher Fall: daß er, mit dem Pferde ſtürzend, zu ſpät kam, er kann doch aber nichts dafür: ich will die Mißhandler des Grafen verhaftet und beſtraft wiſſen.","norm":"es ist ein grässlicher Fall: dass er, mit dem Pferde stürzend, zu spät kam, er kann doch aber nichts dafür: Ich will die Misshandler des Grafen verhaftet und bestraft wissen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":490,"orig":"Auf dieſe Rede des Herzogs erhob ſich ein allgemeines Geſchrei:","norm":"Auf diese Rede des Herzogs erhob sich ein allgemeines Geschrei:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":491,"orig":"Er iſt ein Schurke, er iſt der Verführer, der Mörder der ſchönen Annerl geweſen, er hat es ſelbſt geſagt, der elende, der ſchlechte Kerl!","norm":"Er ist ein Schurke, er ist der Verführer, der Mörder der schönen Annerl gewesen, er hat es selbst gesagt, der elende, der schlechte Kerl!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":492,"orig":"Als dies von allen Seiten her tönte und auch der Prediger und der Offizier und die Gerichtsperſonen es beſtätigten, war der Herzog ſo tief erſchüttert, daß er nichts ſagte, als:","norm":"Als dies von allen Seiten hertönte und auch der Prediger und der Offizier und die Gerichtspersonen es bestätigten, war der Herzog so tief erschüttert, dass er nichts sagte, als:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":493,"orig":"Entſetzlich, entſetzlich, o der elende Menſch!","norm":"Entsetzlich, entsetzlich, o der elende Mensch!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":494,"orig":"Nun trat der Herzog blaß und bleich in den Kreis, er wollte die Leiche der ſchönen Annerl ſehen.","norm":"Nun trat der Herzog blass und bleich in den Kreis, er wollte die Leiche der schönen Annerl sehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":495,"orig":"Sie lag auf dem grünen Raſen in einem weißen Kleide mit ſchwarzen Schleifen, die alte Großmutter, welche ſich um Alles was vorging nicht bekümmerte, hatte ihr das Haupt an den Rumpf gelegt und die ſchreckliche Trennung mit ihrer Schürze bedeckt; ſie war beſchäftigt, ihr die Hände über die Bibel zu falten, welche der Pfarrer in dem kleinen Städtchen der kleinen Annerl geſchenkt hatte, das goldene Kränzlein band ſie ihr auf den Kopf und ſteckte die Roſe vor die Bruſt, welche ihr Groſſinger in der Nacht gegeben hatte, ohne zu wiſſen, wem er","norm":"Sie lag auf dem grünen Rasen in einem weißen Kleide mit schwarzen Schleifen, die alte Großmutter, welche sich um alles was vorging nicht bekümmerte, hatte ihr das Haupt an den Rumpf gelegt und die schreckliche Trennung mit ihrer Schürze bedeckt; sie war beschäftigt, ihr die Hände über die Bibel zu falten, welche der Pfarrer in dem kleinen Städtchen der kleinen Annerl geschenkt hatte, das goldene Kränzlein band sie ihr auf den Kopf und steckte die Rose vor die Brust, welche ihr Grossinger in der Nacht gegeben hatte, ohne zu wissen, wem er"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":496,"orig":"ſie gab.","norm":"sie gab."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":497,"orig":"Der Herzog ſprach bei dieſem Anblick:","norm":"Der Herzog sprach bei diesem Anblick:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":498,"orig":"Schönes, unglückliches Annerl!","norm":"Schönes, unglückliches Annerl!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":499,"orig":"ſchändlicher Verführer, Du kamſt zu ſpät!","norm":"Schändlicher Verführer, Du kamst zu spät!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":500,"orig":"— arme alte Mutter, Du biſt ihr allein treu geblieben, bis in den Tod.","norm":"— Arme alte Mutter, Du bist ihr allein treu geblieben, bis in den Tod."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":501,"orig":"Als er mich bei dieſen Worten in ſeiner Nähe ſah, ſprach er zu mir:","norm":"Als er mich bei diesen Worten in seiner Nähe sah, sprach er zu mir:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":502,"orig":"Sie ſagten mir von einem letzten Willen des Korporal Kasper, haben Sie ihn bei ſich?","norm":"Sie sagten mir von einem letzten Willen des Korporal Kasper, haben Sie ihn bei sich?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":503,"orig":"Da wendete ich mich zu der Alten, und ſagte:","norm":"Da wendete ich mich zu der Alten, und sagte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":504,"orig":"Arme Mutter, gebt mir die Brieftaſche Kaspers;","norm":"Arme Mutter, gebt mir die Brieftasche Kaspers;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":505,"orig":"Se. Durchlaucht wollen ſeinen letzten Willen leſen.","norm":"Se. Durchlaucht wollen seinen letzten Willen lesen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":506,"orig":"Die Alte, welche ſich um nichts bekümmerte, ſagte mürriſch:","norm":"Die Alte, welche sich um nichts bekümmerte, sagte mürrisch:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":507,"orig":"Iſt Er auch wieder da?","norm":"Ist er auch wieder da?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":508,"orig":"Er hätte lieber ganz zu Hauſe bleiben können.","norm":"Er hätte lieber ganz zu Hause bleiben können."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":509,"orig":"Hat Er die Bittſchrift?","norm":"Hat er die Bittschrift?"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":510,"orig":"jetzt iſt es zu ſpät, ich habe dem armen Kinde den Troſt nicht geben können, daß ſie zu Kasper in ein ehrliches Grab ſoll; ach, ich hab' es ihr vorgelogen, aber ſie hat mir nicht geglaubt.","norm":"Jetzt ist es zu spät, ich habe dem armen Kinde den Trost nicht geben können, dass sie zu Kasper in ein ehrliches Grab soll; ach, ich habe es ihr vorgelogen, aber sie hat mir nicht geglaubt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":511,"orig":"Der Herzog unterbrach ſie und ſprach:","norm":"Der Herzog unterbrach sie und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":512,"orig":"Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter, der Menſch hat ſein Möglichſtes gethan, der Sturz des Pferdes iſt an Allem ſchuld; aber ſie ſoll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war; es ſoll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte:","norm":"Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter, der Mensch hat sein Möglichstes getan, der Sturz des Pferdes ist an allem schuld; Aber sie soll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war; es soll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":513,"orig":"Gebt Gott allein die Ehre!","norm":"Gebt Gott allein die Ehre!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":514,"orig":"Der Kasper ſoll als Fähndrich begraben werden, ſeine Schwadron ſoll ihm dreimal in's Grab ſchießen, und des Verdervers Groſſingers Degen ſoll auf ſeinen Sarg gelegt werden.","norm":"Der Kasper soll als Fähndrich begraben werden, seine Schwadron soll ihm dreimal ins Grab schießen, und des Verderbers Grossingers Degen soll auf seinen Sarg gelegt werden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":515,"orig":"Nach dieſen Worten ergriff er Groſſingers Degen, der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und ſprach:","norm":"Nach diesen Worten ergriff er Grossingers Degen, der mit dem Schleier noch an der Erde lag, nahm den Schleier herunter, bedeckte Annerl damit und sprach:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":516,"orig":"Dieſer unglückliche Schleier, der ihr ſo gern Gnade gebracht hätte, ſoll ihr die Ehre wieder geben, ſie iſt ehrlich und begnadigt geſtorben, der Schleier ſoll mit ihr begraben werden.","norm":"Dieser unglückliche Schleier, der ihr so gern Gnade gebracht hätte, soll ihr die Ehre wiedergeben, sie ist ehrlich und begnadigt gestorben, der Schleier soll mit ihr begraben werden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":517,"orig":"Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten:","norm":"Den Degen gab er dem Offizier der Wache mit den Worten:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":518,"orig":"Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Beſtattung des Uhlanen und dieſes armen Mädchens bei der Parade empfangen.","norm":"Sie werden heute noch meine Befehle wegen der Bestattung des Ulanen und dieses armen Mädchens bei der Parade empfangen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":519,"orig":"Nun las er auch die letzten Worte Kaspers laut mit vieler Rührung, die alte Großmutter umarmte mit Freudenthränen ſeine Füße, als wäre ſie das glücklichſte Weib.","norm":"Nun las er auch die letzten Worte Kaspers laut mit vieler Rührung, die alte Großmutter umarmte mit Freudentränen seine Füße, als wäre sie das glücklichste Weib."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":520,"orig":"Er ſagte zu ihr: gebe Sie ſich zufrieden, Sie ſoll eine Penſion haben bis an Ihr ſeliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkſtein ſetzen laſſen.","norm":"Er sagte zu ihr: Gebe Sie sich zufrieden, Sie soll eine Pension haben bis an Ihr seliges Ende, ich will Ihrem Enkel und der Annerl einen Denkstein setzen lassen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":521,"orig":"Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten, und einem Sarge, in welchem die Gerichtete gelegt wurde, nach ſeiner Wohnung zu fahren, und ſie dann nach ihrer Heimath zu bringen und das Begräbniß zu beſorgen.","norm":"Nun befahl er dem Prediger, mit der Alten, und einem Sarge, in welchen die Gerichtete gelegt wurde, nach seiner Wohnung zu fahren, und sie dann nach ihrer Heimat zu bringen und das Begräbnis zu besorgen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":522,"orig":"Da während dem ſeine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, ſagte er noch zu mir:","norm":"Da währenddem seine Adjutanten mit Pferden gekommen waren, sagte er noch zu mir:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":523,"orig":"Geben Sie meinem Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen laſſen, Sie haben einen ſchönen menſchlichen Eifer gezeigt.","norm":"Geben Sie meinem Adjutanten Ihren Namen an, ich werde Sie rufen lassen, Sie haben einen schönen menschlichen Eifer gezeigt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":524,"orig":"Der Adjutant ſchrieb meinen Namen in ſeine Schreibtafel, und machte mir ein verbindliches Kompliment.","norm":"Der Adjutant schrieb meinen Namen in seine Schreibtafel, und machte mir ein verbindliches Kompliment."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":525,"orig":"Dann ſprengte der Herzog, von den Segenswünſchen der Menge begleitet, in die Stadt.","norm":"Dann sprengte der Herzog, von den Segenswünschen der Menge begleitet, in die Stadt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":526,"orig":"Die Leiche der ſchönen Annerl ward nun mit der guten alten Großmutter in das Haus des Pfarrers gebracht, und in der folgenden Nacht fuhr dieſer mit ihr nach der Heimath zurück.","norm":"Die Leiche der schönen Annerl wurde nun mit der guten alten Großmutter in das Haus des Pfarrers gebracht, und in der folgenden Nacht fuhr dieser mit ihr nach der Heimat zurück."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":527,"orig":"Der Offizier traf, mit dem Degen Groſſingers und einer Schwadron Uhlanen, auch daſelbſt am folgenden Abend ein.","norm":"Der Offizier traf, mit dem Degen Grossingers und einer Schwadron Ulanen, auch daselbst am folgenden Abend ein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":528,"orig":"Da wurde nun der brave Kasper, mit Groſſingers Degen auf der Bahre und dem Fähndrichs-Patent, neben der ſchönen Annerl, zur Seite ſeiner Mutter begraben.","norm":"Da wurde nun der brave Kasper, mit Grossingers Degen auf der Bahre und dem Fähndrichspatent, neben der schönen Annerl, zur Seite seiner Mutter begraben."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":529,"orig":"Ich war auch hingeeilt und führte die alte Mutter, welche kindiſch vor Freude war, aber wenig redete; und als die Uhlanen dem Kaſper zum dritten Mal in's Grab ſchoſſen, fiel ſie mir todt in die Arme, ſie hat ihr Grab auch neben den Ihrigen empfangen.","norm":"Ich war auch hingeeilt und führte die alte Mutter, welche kindisch vor Freude war, aber wenig redete; und als die Ulanen dem Kasper zum dritten Mal ins Grab schossen, fiel sie mir tot in die Arme, sie hat ihr Grab auch neben den Ihrigen empfangen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":530,"orig":"Gott gebe ihnen Allen eine freudige Auferſtehung!","norm":"Gott gebe ihnen allen eine freudige Auferstehung!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":531,"orig":"Sie ſollen treten auf die Spitzen, Wo die lieben Engelein ſitzen, Wo kömmt der liebe Gott gezogen, Mit einem ſchönen Regenbogen;","norm":"Sie sollen treten auf die Spitzen, wo die lieben Engelein sitzen, wo kommt der liebe Gott gezogen, mit einem schönen Regenbogen;"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":532,"orig":"Da ſollen ihre Seelen vor Gott beſtehn, Wann wir werden zum Himmel eingehn.","norm":"Da sollen ihre Seelen vor Gott bestehen, wann wir werden zum Himmel eingehen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":533,"orig":"Amen.","norm":"Amen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":534,"orig":"Als ich in die Hauptſtadt zurück kam, hörte ich:","norm":"Als ich in die Hauptstadt zurückkam, hörte ich:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":535,"orig":"Graf Groſſinger ſey geſtorben: er habe Gift genommen; in meiner Wohnung fand ich einen Brief von ihm, er ſagte mir darin:","norm":"Graf Grossinger sei gestorben: Er habe Gift genommen; in meiner Wohnung fand ich einen Brief von ihm, er sagte mir darin:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":536,"orig":"Ich habe Ihnen viel zu danken, Sie haben meine Schande, die mir lange das Herz abnagte, zu Tage gebracht.","norm":"Ich habe Ihnen viel zu danken, Sie haben meine Schande, die mir lange das Herz abnagte, zutage gebracht."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":537,"orig":"Jenes Lied der Alten kannte ich wohl, die Annerl hatte es mir oft vorgeſagt, ſie war ein unbeſchreiblich edles Geſchöpf.","norm":"Jenes Lied der Alten kannte ich wohl, die Annerl hatte es mir oft vorgesagt, sie war ein unbeschreiblich edles Geschöpf."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":538,"orig":"Ich war ein elender Verbrecher, ſie hatte ein ſchriftliches Eheverſprechen von mir gehabt und hat es verbrannt.","norm":"Ich war ein elender Verbrecher, sie hatte ein schriftliches Eheversprechen von mir gehabt und hat es verbrannt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":539,"orig":"Sie diente bei einer alten Tante von mir, ſie litt oft an Melancholie.","norm":"Sie diente bei einer alten Tante von mir, sie litt oft an Melancholie."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":540,"orig":"Ich habe mich durch gewiſſe mediciniſche Mittel, die etwas Magiſches haben, ihrer Seele bemächtigt.","norm":"Ich habe mich durch gewisse medizinische Mittel, die etwas Magisches haben, ihrer Seele bemächtigt."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":541,"orig":"— Gott ſey mir gnädig!","norm":"— Gott sei mir gnädig!"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":542,"orig":"— Sie haben auch die Ehre meiner Schweſter gerettet, der Herzog liebt ſie, ich war ſein Günſtling — die Geſchichte hat ihn erſchüttert — Gott helfe mir, ich habe Gift genommen.","norm":"— Sie haben auch die Ehre meiner Schwester gerettet, der Herzog liebt sie, ich war sein Günstling — die Geschichte hat ihn erschüttert — Gott helfe mir, ich habe Gift genommen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":543,"orig":"Joſeph Graf Groſſinger.","norm":"Joseph Graf Grossinger."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":544,"orig":"Die Schürze der ſchönen Annerl, in welche ihr der Kopf des Jägers Jürge bei ſeiner Enthauptung gebiſſen, iſt auf der herzoglichen Kunſtkammer bewahrt worden.","norm":"Die Schürze der schönen Annerl, in welche ihr der Kopf des Jägers Jürge bei seiner Enthauptung gebissen, ist auf der herzoglichen Kunstkammer bewahrt worden."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":545,"orig":"Man ſagt: die Schweſter des Grafen Groſſinger werde der Herzog mit dem Namen:","norm":"Man sagt: Die Schwester des Grafen Grossinger werde der Herzog mit dem Namen:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":546,"orig":"Voil de Grace, auf deutſch:","norm":"Voil de Grace, auf Deutsch:"} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":547,"orig":"Gnadenſchleier, in den Fürſtenſtand erheben und ſich mit ihr vermählen.","norm":"Gnadenschleier, in den Fürstenstand erheben und sich mit ihr vermählen."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":548,"orig":"Bei der nächſten Revue in der Gegend von D.","norm":"Bei der nächsten Revue in der Gegend von D."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":549,"orig":".","norm":"."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":550,"orig":".","norm":"."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":551,"orig":".","norm":"."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":552,"orig":"ſoll das Monument auf den Gräbern der beiden unglücklichen Ehrenopfer, auf dem Kirchhof des Dorfs, errichtet und eingeweiht werden, der Herzog wird mit der Fürſtin ſelbſt zugegen ſeyn.","norm":"soll das Monument auf den Gräbern der beiden unglücklichen Ehrenopfer, auf dem Kirchhof des Dorfs, errichtet und eingeweiht werden, der Herzog wird mit der Fürstin selbst zugegen sein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":553,"orig":"Er iſt ausnehmend zufrieden damit; die Idee ſoll von der Fürſtin und dem Herzoge zuſammen erfunden ſeyn.","norm":"Er ist ausnehmend zufrieden damit; die Idee soll von der Fürstin und dem Herzoge zusammen erfunden sein."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":554,"orig":"Es ſtellt die falſche und wahre Ehre vor, die ſich vor einem Kreuze beiderſeits gleich tief zur Erde beugen, die Gerechtigkeit ſteht mit dem geſchwungenen Schwerdte zur einen Seite, die Gnade zur andern Seite und wirft einen Schleier heran.","norm":"Es stellt die falsche und wahre Ehre vor, die sich vor einem Kreuze beiderseits gleich tief zur Erde beugen, die Gerechtigkeit steht mit dem geschwungenen Schwerte zur einen Seite, die Gnade zur anderen Seite und wirft einen Schleier heran."} {"basename":"brentano_kasperl_1838","par_idx":555,"orig":"Man will im Kopfe der Gerechtigkeit Aehnlichkeit mit dem Herzoge, in dem Kopfe der Gnade Aehnlichkeit mit dem Geſichte der Fürſtin finden.","norm":"Man will im Kopfe der Gerechtigkeit Ähnlichkeit mit dem Herzoge, in dem Kopfe der Gnade Ähnlichkeit mit dem Gesichte der Fürstin finden."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":0,"orig":"Ach, was muß man oft von böſen Kinder hören oder leſen!","norm":"Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":1,"orig":"Wie zum Beiſpiel hier von dieſen, Welche Max und Moritz hießen.","norm":"Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Max und Moritz hießen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":2,"orig":"Die, anſtatt durch weiſe Lehren Sich zum Guten zu bekehren, Oftmals noch darüber lachten Und ſich heimlich luſtig machten.","norm":"Die, anstatt durch weise Lehren sich zum Guten zu bekehren, oftmals noch darüber lachten und sich heimlich lustig machten."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":3,"orig":"— — Ja, zur Uebelthätigkeit, Ja, dazu iſt man bereit!","norm":"— — Ja, zur Übeltätigkeit, Ja, dazu ist man bereit!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":4,"orig":"— — Menſchen necken, Thiere quälen;","norm":"— — Menschen necken, Tiere quälen;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":5,"orig":"Aepfel, Birnen, Zwetſchgen ſtehlen — Das iſt freilich angenehmer Und dazu auch viel bequemer, Als in Kirche oder Schule Feſtzuſitzen auf dem Stuhle.","norm":"Äpfel, Birnen, Zwetschen stehlen — das ist freilich angenehmer und dazu auch viel bequemer, als in Kirche oder Schule Festzusitzen auf dem Stuhle."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":6,"orig":"— — Aber wehe, wehe, wehe!","norm":"— — Aber wehe, wehe, wehe!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":7,"orig":"Wenn ich auf das Ende ſehe!!","norm":"Wenn ich auf das Ende sehe!!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":8,"orig":"— — Ach, das war ein ſchlimmes Ding, Wie es Max und Moritz ging.","norm":"— — ach, das war ein schlimmes Ding, wie es Max und Moritz ging."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":9,"orig":"— Drum iſt hier, was ſie getrieben, Abgemalt und aufgeſchrieben.","norm":"— Darum ist hier, was sie getrieben, abgemalt und aufgeschrieben."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":10,"orig":"Mancher giebt ſich viele Müh' Mit dem lieben Federvieh;","norm":"Mancher gibt sich viele Mühe mit dem lieben Federvieh;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":11,"orig":"Eines Theils der Eier wegen, Welche dieſe Vögel legen, Zweitens: weil man dann und wann Einen Braten eſſen kann;","norm":"Einesteils der Eier wegen, welche diese Vögel legen, zweitens: weil man dann und wann Einen Braten essen kann;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":12,"orig":"Drittens aber nimmt man auch Ihre Federn zum Gebrauch In die Kiſſen und die Pfühle, Denn man liegt nicht gerne kühle.","norm":"Drittens aber nimmt man auch Ihre Federn zum Gebrauch in die Kissen und die Pfühle, Denn man liegt nicht gerne kühle."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":13,"orig":"— Seht, da iſt die Wittwe Bolte, Die das auch nicht gerne wollte.","norm":"— Seht, da ist die Witwe Bolte, die das auch nicht gerne wollte."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":14,"orig":"Ihrer Hühner waren drei Und ein ſtolzer Hahn dabei.","norm":"Ihrer Hühner waren drei Und ein stolzer Hahn dabei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":15,"orig":"— Max und Moritz dachten nun:","norm":"— Max und Moritz dachten nun:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":16,"orig":"Was iſt hier jetzt wohl zu thun?","norm":"Was ist hier jetzt wohl zu tun?"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":17,"orig":"— — Ganz geſchwinde eins, zwei drei Schneiden ſie ſich Brot entzwei, In vier Theile, jedes Stück Wie ein kleiner Finger dick.","norm":"— — ganz geschwinde eins, zwei drei Schneiden sie sich Brot entzwei, in vier Teile, jedes Stück wie ein kleiner Finger dick."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":18,"orig":"Dieſe binden ſie an Fäden, Ueber's Kreuz, ein Stück an jeden Und verlegen ſie genau In den Hof der guten Frau.","norm":"Diese binden sie an Fäden, übers Kreuz, ein Stück an jeden Und verlegen sie genau In den Hof der guten Frau."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":19,"orig":"— Kaum hat dies der Hahn geſehen Fängt er auch ſchon an zu krähen:","norm":"— Kaum hat dies der Hahn gesehen fängt er auch schon an zu krähen:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":20,"orig":"Kikeriki!","norm":"Kikeriki!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":21,"orig":"Kikikerikih!!","norm":"Kikeriki!!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":22,"orig":"— Tak, tak, tak!","norm":"— Tak, tak, tak!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":23,"orig":"— da kommen ſie.","norm":"— da kommen sie."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":24,"orig":"Hahn und Hühner ſchlucken munter Jedes ein Stück Brot hinunter; Aber als ſie ſich beſinnen Konnte keines recht von hinnen.","norm":"Hahn und Hühner schlucken munter jedes ein Stück Brot hinunter; Aber als sie sich besinnen konnte keines recht von hinnen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":25,"orig":"In die Kreuz und in die Quer Reißen ſie ſich hin und her, Flattern auf und in die Höh, Ach herjeh, herjemineh!","norm":"In die Kreuz und in die quer Reißen sie sich hin und her, Flattern auf und in die Höhe, ach herrje, herrjemine!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":26,"orig":"Ach, ſie bleiben an dem langen Dürren Aſt des Baumes hangen.","norm":"Ach, sie bleiben an dem langen Dürren Ast des Baumes hangen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":27,"orig":"— — Und ihr Hals wird lang und länger, Ihr Geſang wird bang und bänger, Jedes legt noch ſchnell ein Ei Und dann kommt der Tod herbei.","norm":"— — und ihr Hals wird lang und länger, Ihr Gesang wird bang und banger, jedes legt noch schnell ein Ei und dann kommt der Tod herbei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":28,"orig":"— Wittwe Bolte, in der Kammer, Hört im Bette dieſen Jammer; Ahnungsvoll tritt ſie heraus:","norm":"— Witwe Bolte, in der Kammer, hört im Bette diesen Jammer; Ahnungsvoll tritt sie heraus:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":29,"orig":"Ach, was war das für ein Graus!","norm":"Ach, was war das für ein Graus!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":30,"orig":"Fließet aus dem Aug' ihr Thränen!","norm":"Fließet aus dem Auge ihr Tränen!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":31,"orig":"All mein Hoffen, all mein Sehnen, Meines Lebens ſchönſter Traum Hängt an dieſem Apfelbaum!“ Tiefbetrübt und ſorgenſchwer Kriegt ſie jetzt das Meſſer her, Nimmt die Todten von den Strängen, Daß ſie ſo nicht länger hängen, Dieſes war der erſte Streich Doch der zweite folgt ſogleich.","norm":"All mein Hoffen, all mein Sehnen, meines Lebens schönster Traum hängt an diesem Apfelbaum!“ Tiefbetrübt und sorgenschwer kriegt sie jetzt das Messer her, nimmt die Toten von den Strängen, dass sie so nicht länger hängen, dieses war der erste Streich doch der zweite folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":32,"orig":"Und mit ſtummen Trauerblick Kehrt ſie in ihr Haus zurück.","norm":"Und mit stummem Trauerblick kehrt sie in ihr Haus zurück."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":33,"orig":"Als die gute Wittwe Bolte Sich von ihrem Schmerz erholte, Dachte ſie ſo hin und her, Daß es wohl das Beſte wär, Die Verſtorb'nen, die hienieden Schon ſo frühe abgeſchieden, Ganz im Stillen und in Ehren Gut gebraten zu verzehren.","norm":"Als die gute Witwe Bolte sich von ihrem Schmerz erholte, dachte sie so hin und her, dass es wohl das Beste wäre, die Verstorbenen, die hienieden schon so frühe abgeschieden, ganz im Stillen und in Ehren Gut gebraten zu verzehren."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":34,"orig":"— — Freilich war die Trauer groß, Als ſie nun ſo nackt und bloß Abgerupft am Heerde lagen, Sie, die einſt in ſchönen Tagen Bald im Hofe, bald im Garten Lebensfroh im Sande ſcharrten.","norm":"— — freilich war die Trauer groß, als sie nun so nackt und bloß abgerupft am Herde lagen, Sie, die einst in schönen Tagen bald im Hofe, bald im Garten lebensfroh im Sande scharrten."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":35,"orig":"— Ach, Frau Bolte weint auf's Neu, Und der Spitz ſteht auch dabei.","norm":"— Ach, Frau Bolte weint aufs Neu, und der Spitz steht auch dabei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":36,"orig":"Max und Moritz rochen dieſes; „Schnell auf's Dach gekrochen!“ hieß es.","norm":"Max und Moritz rochen dieses; „Schnell aufs Dach gekrochen!“ hieß es."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":37,"orig":"Durch den Schornſtein mit Vergnügen Sehen ſie die Hühner liegen, Die ſchon ohne Kopf und Gurgeln Lieblich in der Pfanne ſchmurgeln.","norm":"Durch den Schornstein mit Vergnügen Sehen sie die Hühner liegen, die schon ohne Kopf und Gurgeln lieblich in der Pfanne schmurgeln."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":38,"orig":"— Eben geht mit einem Teller Wittwe Bolte in den Keller, Daß ſie von dem Sauerkohle Eine Portion ſich hole, Wofür ſie beſonders ſchwärmt, Wenn er wieder aufgewärmt.","norm":"— Eben geht mit einem Teller Witwe Bolte in den Keller, dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole, wofür sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":39,"orig":"— — Unterdeſſen auf dem Dache Iſt man thätig bei der Sache.","norm":"— — unterdessen auf dem Dache Ist man tätig bei der Sache."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":40,"orig":"Max hat ſchon mit Vorbedacht Eine Angel mitgebracht.","norm":"Max hat schon mit vorbedacht eine Angel mitgebracht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":41,"orig":"Schnupdiwup!","norm":"Schnupdiwup!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":42,"orig":"Da wird nach oben Schon ein Huhn herauf gehoben; Schnupdiwup!","norm":"Da wird nach oben Schon ein Huhn heraufgehoben; Schnupdiwup!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":43,"orig":"Jetzt Numro zwei;","norm":"Jetzt Numero zwei;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":44,"orig":"Schnupdiwup!","norm":"Schnupdiwup!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":45,"orig":"Jetzt Numro drei;","norm":"Jetzt Numero drei;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":46,"orig":"Und jetzt kommt noch Numro vier:","norm":"Und jetzt kommt noch Numero vier:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":47,"orig":"Schnupdiwup!","norm":"Schnupdiwup!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":48,"orig":"Dich haben wir!","norm":"Dich haben wir!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":49,"orig":"— — Zwar der Spitz ſah es genau, Und er bellt:","norm":"— — zwar der Spitz sah es genau, und er bellt:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":50,"orig":"Rawau!","norm":"Rawau!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":51,"orig":"Rawau!","norm":"Rawau!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":52,"orig":"Aber ſchon ſind ſie ganz munter Fort und von dem Dach herunter.","norm":"Aber schon sind sie ganz munter Fort und von dem Dach herunter."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":53,"orig":"— — Na!","norm":"— — na!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":54,"orig":"Das wird Spektakel geben, Denn Frau Bolte kommt ſoeben; — — Angewurzelt ſtand ſie da, Als ſie nach der Pfanne ſah.","norm":"Das wird Spektakel geben, denn Frau Bolte kommt soeben; — — angewurzelt stand sie da, als sie nach der Pfanne sah."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":55,"orig":"Alle Hühner waren fort, Spitz!","norm":"Alle Hühner waren fort, Spitz!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":56,"orig":"— Das war ihr erſtes Wort.","norm":"— Das war ihr erstes Wort."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":57,"orig":"Oh, du Spitz, du Ungethüm!","norm":"Oh, du Spitz, du Ungetüm!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":58,"orig":"Aber wart!","norm":"Aber wart!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":59,"orig":"ich komme ihm!","norm":"ich komme ihm!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":60,"orig":"Mit dem Löffel, groß und ſchwer, Geht es über Spitzen her;","norm":"Mit dem Löffel, groß und schwer, geht es über Spitzen her;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":61,"orig":"Laut ertönt ſein Wehgeſchrei, Denn er fühlt ſich ſchuldenfrei.","norm":"Laut ertönt sein Wehgeschrei, denn er fühlt sich schuldenfrei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":62,"orig":"Max und Moritz im Verſtecke, Schnarchen aber an der Hecke, Und vom ganzen Hühnerſchmaus Guckt nur noch ein Bein heraus.","norm":"Max und Moritz im Verstecke, Schnarchen aber an der Hecke, und vom ganzen Hühnerschmaus guckt nur noch ein Bein heraus."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":63,"orig":"Dieſes war der zweite Streich, Doch der dritte folgt ſogleich.","norm":"Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":64,"orig":"Jedermann im Dorfe kannte Einen, der ſich Böck benannte.","norm":"Jedermann im Dorfe kannte Einen, der sich Böck benannte."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":65,"orig":"Alltagsröcke, Sonntagsröcke, Lange Hoſen, ſpitze Fräcke, Weſten mit bequemen Taſchen, Warme Mäntel und Gamaſchen — Alle dieſe Kleidungsſachen Wußte Schneider Böck zu machen.","norm":"Alltagsröcke, Sonntagsröcke, Lange Hosen, spitze Fräcke, Westen mit bequemen Taschen, warme Mäntel und Gamaschen — alle diese Kleidungssachen wusste Schneider Böck zu machen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":66,"orig":"— Oder wäre was zu flicken, Abzuſchneiden, anzuſtücken, Oder gar ein Knopf der Hoſe Abgeriſſen oder loſe — Wie und wo und was es ſei, Hinten, vorne, einerlei — Alles macht der Meiſter Böck, Denn das iſt ſein Lebenszweck.","norm":"— Oder wäre was zu flicken, Abzuschneiden, anzustücken, Oder gar ein Knopf der Hose abgerissen oder lose — wie und wo und was es sei, hinten, vorne, einerlei — alles macht der Meister Böck, denn das ist sein Lebenszweck."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":67,"orig":"— D'rum ſo hat in der Gemeinde Jedermann ihn gern zum Freunde.","norm":"— Darum so hat in der Gemeinde jedermann ihn gern zum Freunde."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":68,"orig":"— — Aber Max und Moritz dachten, Wie ſie ihn verdrießlich machten.","norm":"— — Aber Max und Moritz dachten, wie sie ihn verdrießlich machten."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":69,"orig":"Nämlich vor des Meiſters Hauſe Floß ein Waſſer mit Gebrauſe.","norm":"Nämlich vor des Meisters Hause Floß ein Wasser mit Gebrause."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":70,"orig":"Ueber's Waſſer führt ein Steg Und darüber geht der Weg.","norm":"Übers Wasser führt ein Steg und darüber geht der Weg."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":71,"orig":"Max und Moritz, gar nicht träge, Sägen heimlich mit der Säge, Ritzeratze!","norm":"Max und Moritz, gar nicht träge, Sägen heimlich mit der Säge, Ritzeratze!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":72,"orig":"voller Tücke, In die Brücke eine Lücke.","norm":"voller Tücke, in die Brücke eine Lücke."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":73,"orig":"Als nun dieſe That vorbei, Hört man plötzlich ein Geſchrei: He, heraus!","norm":"Als nun diese Tat vorbei, Hört man plötzlich ein Geschrei: He, heraus!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":74,"orig":"du Ziegen-Böck!","norm":"du Ziegen-Bock!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":75,"orig":"Schneider, Schneider, meck, meck, meck!“ — — Alles konnte Böck ertragen, Ohne nur ein Wort zu ſagen;","norm":"Schneider, Schneider, meck, meck, meck!“ — — alles konnte Böck ertragen, ohne nur ein Wort zu sagen;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":76,"orig":"Aber wenn er dies erfuhr, Gings ihm wider die Natur.","norm":"Aber wenn er dies erfuhr, ging es ihm wider die Natur."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":77,"orig":"Schnelle ſpringt er mit der Elle Ueber ſeines Hauſes Schwelle, Denn ſchon wieder ihm zum Schreck Tönt ein lautes: „Meck, meck, meck!“ Und ſchon iſt er auf der Brücke, Kracks!","norm":"Schnelle springt er mit der Elle über seines Hauses Schwelle, denn schon wieder ihm zum Schreck tönt ein lautes: „Meck, meck, meck!“ Und schon ist er auf der Brücke, Kracks!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":78,"orig":"Die Brücke bricht in Stücke; Wieder tönt es: „Meck, meck, meck!“ Plums!","norm":"Die Brücke bricht in Stücke; wieder tönt es: „Meck, meck, meck!“ Plumps!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":79,"orig":"Da iſt der Schneider weg!","norm":"Da ist der Schneider weg!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":80,"orig":"Grad als dieſes vorgekommen Kommt ein Gänſepaar geſchwommen, Welches Böck in Todeshaſt Krampfhaft bei den Beinen faßt.","norm":"Grad als dieses vorgekommen Kommt ein Gänsepaar geschwommen, welches Böck in Todeshast Krampfhaft bei den Beinen fasst."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":81,"orig":"Beide Gänſe in der Hand, Flattert er auf trocknes Land.","norm":"Beide Gänse in der Hand, flattert er auf trockenes Land."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":82,"orig":"Uebrigens bei Alle dem Iſt ſo etwas nicht bequem; Wie denn Böck von der Geſchichte Auch das Magendrücken kriegte.","norm":"Übrigens bei alledem ist so etwas nicht bequem; wie denn Böck von der Geschichte auch das Magendrücken kriegte."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":83,"orig":"Hoch iſt hier Frau Böck zu preiſen!","norm":"Hoch ist hier Frau Böck zu preisen!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":84,"orig":"Denn ein heißes Bügeleiſen, Auf den kalten Leib gebracht, Hat es wieder gutgemacht.","norm":"Denn ein heißes Bügeleisen, auf den kalten Leib gebracht, hat es wieder gutgemacht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":85,"orig":"— Bald im Dorf hinauf, hinunter, Hieß es, Böck iſt wieder munter!","norm":"— Bald im Dorf hinauf, hinunter, hieß es, Böck ist wieder munter!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":86,"orig":"Dieſes war der dritte Streich, Doch der vierte folgt ſogleich.","norm":"Dieses war der dritte Streich, doch der vierte folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":87,"orig":"Alſo lautet ein Beſchluß:","norm":"Also lautet ein Beschluss:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":88,"orig":"Daß der Menſch was lernen muß.","norm":"Dass der Mensch was lernen muss."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":89,"orig":"— Nicht allein das A-B-C Bringt den Menſchen in die Höh';","norm":"— Nicht allein das Abc bringt den Menschen in die Höhe;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":90,"orig":"Nicht allein in Schreiben, Leſen Uebt ſich ein vernünftig Weſen;","norm":"Nicht allein in Schreiben, Lesen übt sich ein vernünftig Wesen;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":91,"orig":"Nicht allein in Rechnungsſachen Soll der Menſch ſich Mühe machen;","norm":"Nicht allein in Rechnungssachen Soll der Mensch sich Mühe machen;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":92,"orig":"Sondern auch der Weisheit Lehren Muß man mit Vergnügen hören.","norm":"Sondern auch der Weisheit Lehren Muss man mit Vergnügen hören."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":93,"orig":"— Daß dies mit Verſtand geſchah, War Herr Lehrer Lämpel da.","norm":"— Dass dies mit Verstand geschah, war Herr Lehrer Lämpel da."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":94,"orig":"— — Max und Moritz, dieſe beiden, Mochten ihn darum nicht leiden;","norm":"— — Max und Moritz, diese beiden, mochten ihn darum nicht leiden;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":95,"orig":"Denn wer böſe Streiche macht Giebt nicht auf den Lehrer Acht.","norm":"Denn wer böse Streiche macht gibt nicht auf den Lehrer Acht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":96,"orig":"Nun war dieſer brave Lehrer Von dem Tabak ein Verehrer, Was man ohne alle Frage Nach des Tages Müh und Plage Einem guten alten Mann Auch von Herzen gönnen kann.","norm":"Nun war dieser brave Lehrer von dem Tabak ein Verehrer, Was man ohne alle Frage nach des Tages Mühe und Plage einem guten alten Mann auch von Herzen gönnen kann."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":97,"orig":"— — Max und Moritz, unverdroſſen, Sinnen aber ſchon auf Poſſen, Ob vermittelſt ſeiner Pfeifen Dieſer Mann nicht anzugreifen.","norm":"— — Max und Moritz, unverdrossen, Sinnen aber schon auf Possen, ob vermittels seiner Pfeifen dieser Mann nicht anzugreifen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":98,"orig":"— — Einſtens, als es Sonntag wieder, Und Herr Lämpel brav und bieder, In der Kirche mit Gefühle Saß vor ſeinem Orgelſpiele, Schlichen ſich die böſen Buben In ſein Haus und ſeine Stuben, Wo die Meerſchaumpfeife ſtand;","norm":"— — Einstens, als es Sonntag wieder, und Herr Lämpel brav und bieder, in der Kirche mit Gefühle saß vor seinem Orgelspiele, Schlichen sich die bösen Buben in sein Haus und seine Stuben, wo die Meerschaumpfeife stand;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":99,"orig":"Max hält ſie in ſeiner Hand; Aber Moritz aus der Taſche Zieht die Flintenpulverflaſche, Und geſchwinde, ſtopf, ſtopf, ſtopf!","norm":"Max hält sie in seiner Hand; Aber Moritz aus der Tasche zieht die Flintenpulverflasche, und geschwinde, stopf, stopf, stopf!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":100,"orig":"Pulver in den Pfeifenkopf.","norm":"Pulver in den Pfeifenkopf."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":101,"orig":"— Jetzt nur ſtill und ſchnell nach Haus, Denn ſchon iſt die Kirche aus.","norm":"— Jetzt nur still und schnell nach Haus, denn schon ist die Kirche aus."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":102,"orig":"— Eben ſchließt in ſanfter Ruh Lämpel ſeine Kirche zu; Und mit Buch und Notenheften, Nach beſorgten Amtsgeſchäften Lenkt er freudig ſeine Schritte Zu der heimathlichen Hütte, Und voll Dankbarkeit ſodann Zündet er ſein Pfeifchen an.","norm":"— Eben schließt in sanfter Ruhe Lämpel seine Kirche zu; und mit Buch und Notenheften, nach besorgten Amtsgeschäften lenkt er freudig seine Schritte zu der heimatlichen Hütte, und voll Dankbarkeit sodann zündet er sein Pfeifchen an."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":103,"orig":"Ach!“ — ſpricht er — „die größte Freud' Iſt doch die Zufriedenheit!“ Rums!","norm":"Ach!“ — spricht er — „die größte Freude ist doch die Zufriedenheit!“ Rums!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":104,"orig":"Da geht die Pfeife los Mit Getöſe, ſchrecklich groß.","norm":"Da geht die Pfeife los mit Getöse, schrecklich groß."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":105,"orig":"Kaffeetopf und Waſſerglas, Tabaksdoſe, Dintenfaß, Ofen, Tiſch und Sorgenſitz — Alles fliegt im Pulverblitz.","norm":"Kaffeetopf und Wasserglas, Tabaksdose, Tintenfass, Ofen, Tisch und Sorgensitz — alles fliegt im Pulverblitz."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":106,"orig":"Als der Dampf ſich nun erhob, Sieht man Lämpel, der Gottlob!","norm":"Als der Dampf sich nun erhob, Sieht man Lämpel, der Gottlob!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":107,"orig":"Lebend auf dem Rücken liegt;","norm":"Lebend auf dem Rücken liegt;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":108,"orig":"Doch er hat was abgekriegt.","norm":"Doch er hat was abgekriegt."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":109,"orig":"Naſe, Hand, Geſicht und Ohren Sind ſo ſchwarz als wie die Mohren, Und des Haares letzter Schopf Iſt verbrannt bis auf den Kopf.","norm":"Nase, Hand, Gesicht und Ohren sind so schwarz als wie die Mohren, und des Haares letzter Schopf ist verbrannt bis auf den Kopf."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":110,"orig":"Wer ſoll nun die Kinder lehren Und die Wiſſenſchaft vermehren?","norm":"Wer soll nun die Kinder lehren und die Wissenschaft vermehren?"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":111,"orig":"Wer ſoll nun für Lämpel leiten Seine Amtesthätigkeiten?","norm":"Wer soll nun für Lämpel leiten Seine Amtestätigkeiten?"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":112,"orig":"Woraus ſoll der Lehrer rauchen, Wenn die Pfeife nicht zu brauchen?","norm":"Woraus soll der Lehrer rauchen, wenn die Pfeife nicht zu brauchen?"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":113,"orig":"Mit der Zeit wird alles heil, Nur die Pfeife hat ihr Theil.","norm":"Mit der Zeit wird alles heil, nur die Pfeife hat ihr Teil."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":114,"orig":"Dieſes war der vierte Streich, Doch der fünfte folgt ſogleich.","norm":"Dieses war der vierte Streich, doch der fünfte folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":115,"orig":"Wer im Dorfe oder Stadt Einen Onkel wohnen hat, Der ſei höflich und beſcheiden, Denn das mag der Onkel leiden.","norm":"Wer im Dorfe oder Stadt Einen Onkel wohnen hat, der sei höflich und bescheiden, denn das mag der Onkel leiden."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":116,"orig":"— — Morgens ſagt man: „Guten Morgen!","norm":"— — Morgens sagt man: „Guten Morgen!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":117,"orig":"Haben Sie was zu beſorgen?“ Bringt ihm was er haben muß:","norm":"Haben Sie was zu besorgen?“ Bringt ihm was er haben muss:"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":118,"orig":"Zeitung, Pfeife, Fidibus.","norm":"Zeitung, Pfeife, Fidibus."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":119,"orig":"— Oder ſollt es wo im Rücken Drücken, beißen oder zwicken, Gleich iſt man mit Freudigkeit Dienſtbefliſſen und bereit.","norm":"— Oder sollt es wo im Rücken Drücken, beißen oder zwicken, gleich ist man mit Freudigkeit Dienstbeflissen und bereit."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":120,"orig":"— Oder ſei's nach einer Priſe, Daß der Onkel heftig nieſe, Ruft man „Proſit!“ allſogleich, Danke, wohl bekomm es Euch!“ — Oder kommt er ſpät nach Haus, Zieht man ihm die Stiefel aus, Holt Pantoffel, Schlafrock, Mütze, Daß er nicht im Kalten ſitze — Kurz man iſt darauf bedacht, Was dem Onkel Freude macht.","norm":"— Oder sei es nach einer Prise, dass der Onkel heftig niese, Ruft man „Prosit!“ alsogleich, Danke, wohl bekomme es Euch!“ — Oder kommt er spät nach Haus, Zieht man ihm die Stiefel aus, holt Pantoffel, Schlafrock, Mütze, dass er nicht im Kalten sitze — Kurz man ist darauf bedacht, was dem Onkel Freude macht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":121,"orig":"— — Max und Moritz ihrerſeits Fanden darin keinen Reiz.","norm":"— — Max und Moritz ihrerseits fanden darin keinen Reiz."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":122,"orig":"— — Denkt euch nur, welch' ſchlechten Witz Machten ſie mit Onkel Fritz!","norm":"— — denkt euch nur, welch schlechten Witz machten sie mit Onkel Fritz!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":123,"orig":"— Jeder weiß was ſo ein MaiKäfer für ein Vogel ſei.","norm":"— Jeder weiß was so ein Maikäfer für ein Vogel sei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":124,"orig":"— In den Bäumen hin und her Fliegt und kriecht und krabbelt er.","norm":"— In den Bäumen hin und her fliegt und kriecht und krabbelt er."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":125,"orig":"Max und Moritz, immer munter, Schütteln ſie vom Baum herunter.","norm":"Max und Moritz, immer munter, Schütteln sie vom Baum herunter."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":126,"orig":"In die Düte von Papiere Sperren ſie die Krabbelthiere.","norm":"In die Tüte von Papiere Sperren sie die Krabbeltiere."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":127,"orig":"Fort damit, und in die Ecke Unter Onkel Fritzen's Decke!","norm":"Fort damit, und in die Ecke unter Onkel Fritzens Decke!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":128,"orig":"Bald zu Bett geht Onkel Fritze In der ſpitzen Zippelmütze;","norm":"Bald zu Bett geht Onkel Fritze in der spitzen Zippelmütze;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":129,"orig":"Seine Augen macht er zu, Hüllt ſich ein und ſchläft in Ruh.","norm":"Seine Augen macht er zu, hüllt sich ein und schläft in Ruhe."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":130,"orig":"Doch die Käfer, kritze kratze!","norm":"Doch die Käfer, kritze kratze!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":131,"orig":"Kommen ſchnell aus der Matratze.","norm":"Kommen schnell aus der Matratze."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":132,"orig":"Schon faßt einer, der voran, Onkel Fritzen's Naſe an.","norm":"Schon fasst einer, der voran, Onkel Fritzens Nase an."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":133,"orig":"Bau!“ ſchreit er — „Was iſt das hier?“ Und erfaßt das Ungethier.","norm":"Bau!“ schreit er — „Was ist das hier?“ Und erfasst das Ungetier."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":134,"orig":"Und den Onkel, voller Grauſen, Sieht man aus dem Bette ſauſen.","norm":"Und den Onkel, voller Grausen, Sieht man aus dem Bette sausen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":135,"orig":"Autſch!“ — Schon wieder hat er einen Im Genicke, an den Beinen; Hin und her und rund herum Kriecht es, fliegt es mit Gebrumm.","norm":"Autsch!“ — Schon wieder hat er einen im Genicke, an den Beinen; hin und her und rundherum kriecht es, fliegt es mit Gebrumm."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":136,"orig":"Onkel Fritz, in dieſer Noth, Haut und trampelt alles todt.","norm":"Onkel Fritz, in dieser Not, Haut und trampelt alles tot."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":137,"orig":"Guckſte wohl!","norm":"Guckst du wohl!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":138,"orig":"Jetzt iſt's vorbei Mit der Käferkrabbelei!","norm":"Jetzt ist es vorbei Mit der Käferkrabbelei!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":139,"orig":"Onkel Fritz hat wieder Ruh Und macht ſeine Augen zu.","norm":"Onkel Fritz hat wieder Ruhe und macht seine Augen zu."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":140,"orig":"Dieſes war der fünfte Streich, Doch der ſechste folgt ſogleich.","norm":"Dieses war der fünfte Streich, doch der sechste folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":141,"orig":"In der ſchönen Oſterzeit, Wenn die frommen Bäckersleut Viele ſüße Zuckerſachen Backen und zurechte machen, Wünſchten Max und Moritz auch Sich ſo Etwas zum Gebrauch.","norm":"In der schönen Osterzeit, wenn die frommen Bäckersleute viele süße Zuckersachen Backen und zurechtemachen, wünschten Max und Moritz auch sich so Etwas zum Gebrauch."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":142,"orig":"Doch der Bäcker, mit Bedacht, Hat das Backhaus zugemacht.","norm":"Doch der Bäcker, mit Bedacht, hat das Backhaus zugemacht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":143,"orig":"Alſo will hier Einer ſtehlen, Muß er durch den Schlot ſich quälen.","norm":"Also will hier Einer stehlen, muss er durch den Schlot sich quälen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":144,"orig":"Ratſch!","norm":"Ratsch!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":145,"orig":"Da kommen die zwei Knaben Durch den Schornſtein, ſchwarz wie Raben.","norm":"Da kommen die zwei Knaben durch den Schornstein, schwarz wie Raben."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":146,"orig":"Puff!","norm":"Puff!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":147,"orig":"Sie fallen in die Kiſt', Wo das Mehl darinnen iſt.","norm":"Sie fallen in die Kiste, wo das Mehl darinnen ist."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":148,"orig":"Da!","norm":"Da!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":149,"orig":"Nun ſind ſie alle beide Rund herum ſo weiß wie Kreide.","norm":"Nun sind sie alle beide Rund herum so weiß wie Kreide."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":150,"orig":"Aber ſchon mit viel Vergnügen Sehen ſie die Bretzeln liegen.","norm":"Aber schon mit viel Vergnügen Sehen sie die Brezeln liegen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":151,"orig":"Knacks!","norm":"Knacks!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":152,"orig":"— Da bricht der Stuhl entzwei; Schwapp!","norm":"— Da bricht der Stuhl entzwei; Schwapp!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":153,"orig":"— Da liegen ſie im Brei.","norm":"— Da liegen sie im Brei."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":154,"orig":"Ganz von Kuchenteig umhüllt Steh'n ſie da als Jammerbild.","norm":"Ganz von Kuchenteig umhüllt Stehen sie da als Jammerbild."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":155,"orig":"— Gleich erſcheint der Meiſter Bäcker Und bemerkt die Zuckerlecker.","norm":"— Gleich erscheint der Meister Bäcker und bemerkt die Zuckerlecker."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":156,"orig":"Eins, zwei, drei!","norm":"Eins, zwei, drei!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":157,"orig":"— eh' man's gedacht, Sind zwei Brote d'raus gemacht.","norm":"— ehe man es gedacht, sind zwei Brote draus gemacht."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":158,"orig":"In dem Ofen glüht es noch — Ruff!","norm":"In dem Ofen glüht es noch — Ruff!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":159,"orig":"— damit in's Ofenloch!","norm":"— damit ins Ofenloch!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":160,"orig":"Ruff!","norm":"Ruff!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":161,"orig":"— man zieht ſie aus der Gluht;","norm":"— man zieht sie aus der Glut;"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":162,"orig":"Denn nun ſind ſie braun und gut.","norm":"Denn nun sind sie braun und gut."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":163,"orig":"— Jeder denkt, die ſind perdü!","norm":"— Jeder denkt, die sind perdü!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":164,"orig":"Aber nein!","norm":"Aber nein!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":165,"orig":"— noch leben ſie.","norm":"— noch leben sie."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":166,"orig":"Knusper, Knasper!","norm":"Knusper, Knasper!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":167,"orig":"— wie zwei Mäuſe Freſſen ſie durch das Gehäuſe; Und der Meiſter Bäcker ſchrie: „Ach herjeh!","norm":"— wie zwei Mäuse Fressen sie durch das Gehäuse; und der Meister Bäcker schrie: „Ach herrje!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":168,"orig":"da laufen ſie!“ Dieſes war der ſechſte Streich, Doch der letzte folgt ſogleich.","norm":"da laufen sie!“ Dieses war der sechste Streich, doch der letzte folgt sogleich."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":169,"orig":"Max und Moritz, wehe euch!","norm":"Max und Moritz, wehe euch!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":170,"orig":"Jetzt kommt euer letzter Streich!","norm":"Jetzt kommt euer letzter Streich!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":171,"orig":"Wozu müſſen auch die beiden Löcher in die Säcke ſchneiden?","norm":"Wozu müssen auch die beiden Löcher in die Säcke schneiden?"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":172,"orig":"Seht, da trägt der Bauer Mecke Einen ſeiner Malterſäcke.","norm":"Seht, da trägt der Bauer Mecke Einen seiner Maltersäcke."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":173,"orig":"Aber kaum daß er von hinnen, Fängt das Korn ſchon an zu rinnen.","norm":"Aber kaum dass er von hinnen, fängt das Korn schon an zu rinnen."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":174,"orig":"Und verwundert ſteht und ſpricht er: „Sapperment!","norm":"Und verwundert steht und spricht er: „Sapperment!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":175,"orig":"Das Ding wird lichter!“ Hei!","norm":"Das Ding wird lichter!“ Hei!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":176,"orig":"Da ſieht er voller Freude Max und Moritz im Getreide.","norm":"Da sieht er voller Freude Max und Moritz im Getreide."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":177,"orig":"Rabs!","norm":"Rabs!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":178,"orig":"— in ſeinen großen Sack Schaufelt er das Lumpenpack.","norm":"— in seinen großen Sack schaufelt er das Lumpenpack."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":179,"orig":"Max und Moritz wird es ſchwüle, Denn nun geht es nach der Mühle.","norm":"Max und Moritz wird es schwüle, denn nun geht es nach der Mühle."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":180,"orig":"— Meiſter Müller, he, heran!","norm":"— Meister Müller, he, heran!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":181,"orig":"Mahl er das, ſo ſchnell er kann!“ Her damit!“ Und in den Trichter Schüttelt er die Böſewichter.","norm":"Mahl er das, so schnell er kann!“ Her damit!“ Und in den Trichter schüttelt er die Bösewichter."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":182,"orig":"— Rickeracke!","norm":"— Rickeracke!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":183,"orig":"Rickeracke!","norm":"Rickeracke!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":184,"orig":"Geht die Mühle mit Geknacke.","norm":"Geht die Mühle mit Geknacke."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":185,"orig":"Hier kann man ſie noch erblicken Fein geſchroben und in Stücken.","norm":"Hier kann man sie noch erblicken Fein geschrappt und in Stücken."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":186,"orig":"Doch ſogleich verzehret ſie Meiſter Müllers Federvieh.","norm":"Doch sogleich verzehret sie Meister Müllers Federvieh."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":187,"orig":"Als man dies im Dorf erfuhr War von Trauer keine Spur.","norm":"Als man dies im Dorf erfuhr war von Trauer keine Spur."} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":188,"orig":"— — Wittwe Bolte, mild und weich, Sprach: „Sieh da, ich dacht es gleich!“ — — „Ja, ja, ja!“ rief Meiſter Böck — Bosheit iſt kein Lebenszweck!“ — — Drauf ſo ſprach Herr Lehrer Lämpel: „Dies iſt wieder ein Exempel!“ — — „Freilich!“ meint der Zuckerbäcker Warum iſt der Menſch ſo lecker!“ — — Selbſt der gute Onkel Fritze Sprach: „Das kommt von dumme Witze!“ — — Doch der brave Bauersmann Dachte: „Wat geiht meck dat an!“ — — Kurz im ganzen Ort herum Ging ein freudiges Gebrumm: „Gott ſei Dank!","norm":"— — Witwe Bolte, mild und weich, sprach: „Sieh da, ich dachte es gleich!“ — — „Ja, ja, ja!“ rief Meister Böck — Bosheit ist kein Lebenszweck!“ — — drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel: „Dies ist wieder ein Exempel!“ — — „Freilich!“ meint der Zuckerbäcker warum ist der Mensch so lecker!“ — — Selbst der gute Onkel Fritze sprach: „Das kommt von dumme Witze!“ — — doch der brave Bauersmann dachte: „Was geht meck das an!“ — — kurz im ganzen Ort herum ging ein freudiges Gebrumm: „Gott sei Dank!"} {"basename":"busch_max_1865","par_idx":189,"orig":"Nun iſt's vorbei Mit der Uebelthäterei!!“","norm":"Nun ist es vorbei Mit der Übeltäterei!!“"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":0,"orig":"Ein Schauſpiel.","norm":"Ein Schauspiel."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1,"orig":"Iphigenie.","norm":"Iphigenie."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":2,"orig":"Thoas, König der Taurier.","norm":"Thoas, König der Taurier."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":3,"orig":"Oreſt.","norm":"Orest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":4,"orig":"Pylades.","norm":"Pylades."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":5,"orig":"Arkas.","norm":"Arkas."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":6,"orig":"Schauplatz","norm":"Schauplatz"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":7,"orig":"Hain vor Dianens Tempel.","norm":"Hain vor Dianes Tempel."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":8,"orig":"Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttinn ſtilles Heiligthum, Tret’ ich noch jetzt mit ſchauderndem Gefühl, Als wenn ich ſie zum erſtenmal beträte, Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hierher.","norm":"Heraus in eure Schatten, rege Wipfel des alten, heiligen, dichtbelaubten Haines, wie in der Göttin stilles Heiligtum, trete ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, als wenn ich sie zum ersten Mal beträte, und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":9,"orig":"So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;","norm":"So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":10,"orig":"Doch immer bin ich, wie im erſten, fremd.","norm":"Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":11,"orig":"Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer ſteh’ ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend;","norm":"Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten, und an dem Ufer stehe ich lange Tage, das Land der Griechen mit der Seele suchend;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":12,"orig":"Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brauſend mir herüber.","norm":"Und gegen meine Seufzer bringt die Welle nur dumpfe Töne brausend mir herüber."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":13,"orig":"Weh dem, der fern von Eltern und Geſchwiſtern Ein einſam Leben führt!","norm":"Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern ein einsam Leben führt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":14,"orig":"Ihm zehrt der Gram Das nächſte Glück vor ſeinen Lippen weg.","norm":"Ihm zehrt der Gram das nächste Glück vor seinen Lippen weg."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":15,"orig":"Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter Mit ſanften Banden aneinander knüpften.","norm":"Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne zuerst den Himmel vor ihm aufschloss, wo sich Mitgeborene spielend fest und fester mit sanften Banden aneinander knüpften."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":16,"orig":"Ich rechte mit den Göttern nicht; allein Der Frauen Zuſtand iſt beklagensmerth.","norm":"Ich rechte mit den Göttern nicht; allein der Frauen Zustand ist beklagenswert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":17,"orig":"Zu Hauſ’ und in dem Kriege herrſcht der Mann Und in der Fremde weiß er ſich zu helfen.","norm":"Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann und in der Fremde weiß er sich zu helfen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":18,"orig":"Ihn freuet der Beſitz; ihn krönt der Sieg;","norm":"Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":19,"orig":"Ein ehrenvoller Tod iſt ihm bereitet.","norm":"Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":20,"orig":"Wie eng-gebunden iſt des Weibes Glück!","norm":"Wie enggebunden ist des Weibes Glück!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":21,"orig":"Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen, Iſt Pflicht und Troſt; wie elend, wenn ſie gar Ein feindlich Schickſal in die Ferne treibt!","norm":"Schon einem rauen Gatten zu gehorchen, ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":22,"orig":"So hält mich Thoas hier, ein edler Mann, In ernſten, heil’gen Sklavenbanden feſt.","norm":"So hält mich Thoas hier, ein edler Mann, in ernsten, heiligen Sklavenbanden fest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":23,"orig":"O wie beſchämt geſteh’ ich, daß ich dir Mit ſtillem Widerwillen diene, Göttinn, Dir meiner Retterinn!","norm":"O wie beschämt gestehe ich, dass ich dir Mit stillem Widerwillen diene, Göttin, Dir meiner Retterin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":24,"orig":"Mein Leben ſollte Zu freyem Dienſte dir gewidmet ſeyn.","norm":"Mein Leben sollte zu freiem Dienste dir gewidmet sein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":25,"orig":"Auch hab’ ich ſtets auf dich gehofft und hoffe Noch jetzt auf dich Diana, die du mich, Des größten Königes verſtoßne Tochter, In deinen heil’gen, ſanften Arm genommen.","norm":"Auch habe ich stets auf dich gehofft und hoffe noch jetzt auf dich Diana, die du mich, des größten Königes verstoßene Tochter, in deinen heiligen, sanften Arm genommen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":26,"orig":"Ja, Tochter Zevs, wenn du den hohen Mann, Den du, die Tochter fodernd, ängſtigteſt;","norm":"Ja, Tochter Zeus, wenn du den hohen Mann, den du, die Tochter fordernd, ängstigtest;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":27,"orig":"Wenn du den göttergleichen Agamemnon, Der dir ſein Liebſtes zum Altare brachte, Von Troja’s umgewandten Mauern rühmlich Nach ſeinem Vaterland zurückbegleitet, Die Gattinn ihm, Elektren und den Sohn, Die ſchönen Schätze, wohl erhalten haſt;","norm":"Wenn du den göttergleichen Agamemnon, der dir sein Liebstes zum Altare brachte, von Trojas umgewandten Mauern rühmlich nach seinem Vaterland zurückbegleitet, die Gattin ihm, Elektra und den Sohn, die schönen Schätze, wohl erhalten hast;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":28,"orig":"So gib auch mich den Meinen endlich wieder, Und rette mich, die du vom Tod’ errettet, Auch von dem Leben hier, dem zweyten Tode.","norm":"So gib auch mich den Meinen endlich wieder, und rette mich, die du vom Tod errettet, auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":29,"orig":"Der König ſendet mich hieher und beut Der Prieſterinn Dianens Gruß und Heil.","norm":"Der König sendet mich hierher und beute der Priesterin Dianes Gruß und Heil."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":30,"orig":"Dieß iſt der Tag, da Tauris ſeiner Göttinn Für wunderbare neue Siege dankt.","norm":"Dies ist der Tag, da Tauris seiner Göttin für wunderbare neue Siege dankt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":31,"orig":"Ich eile vor dem König’ und dem Heer’, Zu melden, daß er kommt und daß es naht.","norm":"Ich eile vor dem König und dem Heer, zu melden, dass er kommt und dass es naht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":32,"orig":"Wir ſind bereit, ſie würdig zu empfangen, Und unſre Göttinn ſieht willkomm’nem Opfer Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen.","norm":"Wir sind bereit, sie würdig zu empfangen, und unsere Göttin sieht willkommenem Opfer von Thoas' Hand mit Gnadenblick entgegen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":33,"orig":"O fänd’ ich auch den Blick der Prieſterinn, Der werthen, vielgeehrten, deinen Blick O heil’ge Jungfrau, heller, leuchtender, Uns allen gutes Zeichen!","norm":"O fände ich auch den Blick der Priesterin, der werten, vielgeehrten, deinen Blick O heilige Jungfrau, heller, leuchtender, uns allen gutes Zeichen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":34,"orig":"Noch bedeckt Der Gram geheimnißvoll dein Innerſtes;","norm":"Noch bedeckt der Gram geheimnisvoll dein Innerstes;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":35,"orig":"Vergebens harren wir ſchon Jahre lang Auf ein vertraulich Wort aus deiner Bruſt.","norm":"Vergebens harren wir schon Jahre lang auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":36,"orig":"So lang’ ich dich an dieſer Stäte kenne, Iſt dieß der Blick, vor dem ich immer ſchaudre;","norm":"Solange ich dich an dieser Stätte kenne, ist dies der Blick, vor dem ich immer schaudre;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":37,"orig":"Und wie mit Eiſenbanden bleibt die Seele In’s Innerſte des Buſens dir geſchmiedet.","norm":"Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele ins Innerste des Busens dir geschmiedet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":38,"orig":"Wie’s der Vertriebnen, der Verwaiſ’ten ziemt.","norm":"Wie es der Vertriebenen, der Verwaisten ziemt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":39,"orig":"Scheinſt du dir hier vertrieben und verwaiſ’t?","norm":"Scheinst du dir hier vertrieben und verwaist?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":40,"orig":"Kann uns zum Vaterland’ die Fremde werden?","norm":"Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":41,"orig":"Und dir iſt fremd das Vaterland geworden.","norm":"Und dir ist fremd das Vaterland geworden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":42,"orig":"Das iſt’s, warum mein blutend Herz nicht heilt.","norm":"Das ist es, warum mein blutend Herz nicht heilt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":43,"orig":"In erſter Jugend, da ſich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geſchwiſter band;","norm":"In erster Jugend, da sich kaum die Seele an Vater, Mutter und Geschwister band;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":44,"orig":"Die neuen Schößlinge, geſellt und lieblich, Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen ſtrebten; leider faßte da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten, riß das ſchöne Band Mit ehrner Fauſt entzwey.","norm":"Die neuen Schösslinge, gesellt und lieblich, vom Fuß der alten Stämme himmelwärts zu dringen strebten; leider fasste da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten, riss das schöne Band mit eherner Faust entzwei."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":45,"orig":"Sie war dahin, Der Jugend beſte Freude, das Gedeihn Der erſten Jahre.","norm":"Sie war dahin, der Jugend beste Freude, das Gedeihen der ersten Jahre."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":46,"orig":"Selbſt gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und friſche Luſt Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.","norm":"Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust des Lebens blüht in mir nicht wieder auf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":47,"orig":"Wenn du dich ſo unglücklich nennen willſt;","norm":"Wenn du dich so unglücklich nennen willst;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":48,"orig":"So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.","norm":"So darf ich dich auch wohl undankbar nennen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":49,"orig":"Dank habt ihr ſtets.","norm":"Dank habt ihr stets."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":50,"orig":"Doch nicht den reinen Dank, Um deſſentwillen man die Wohlthat thut; Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt.","norm":"Doch nicht den reinen Dank, um dessentwillen man die Wohltat tut; den frohen Blick, der ein zufriedenes Leben und ein geneigtes Herz dem Wirte zeigt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":51,"orig":"Als dich ein tief-geheimnißvolles Schickſal Vor ſo viel Jahren dieſem Tempel brachte, Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb’nen Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen.","norm":"Als dich ein tief-geheimnisvolles Schicksal vor so viel Jahren diesem Tempel brachte, kam Thoas, dir als einer Gottgegebenen mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":52,"orig":"Und dieſes Ufer ward dir hold und freundlich, Das jedem Fremden ſonſt voll Grauſens war, Weil niemand unſer Reich vor dir betrat, Der an Dianens heil’gen Stufen nicht Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel.","norm":"Und dieses Ufer wurde dir hold und freundlich, das jedem Fremden sonst voll Grausens war, weil niemand unser Reich vor dir betrat, der an Dianes heiligen Stufen nicht nach altem Brauche, ein blutiges Opfer, fiel."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":53,"orig":"Frey athmen macht das Leben nicht allein.","norm":"Frei atmen macht das Leben nicht allein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":54,"orig":"Welch Leben iſt’s, das an der heil’gen Stäte, Gleich einem Schatten um ſein eigen Grab, Ich nur vertrauern muß?","norm":"Welch Leben ist es, das an der heiligen Stätte, gleich einem Schatten um sein eigen Grab, Ich nur vertrauern muss?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":55,"orig":"Und nenn’ ich das Ein fröhlich ſelbſtbewußtes Leben, wenn Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt, Zu jenen grauen Tagen vorbereitet, Die an dem Ufer Lethe’s, ſelbſtvergeſſend, Die Trauerſchaar der Abgeſchiednen feiert?","norm":"Und nenne ich das Ein fröhlich selbstbewusstes Leben, wenn Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt, zu jenen grauen Tagen vorbereitet, die an dem Ufer Lethes, selbstvergessend, die Trauerschar der Abgeschiedenen feiert?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":56,"orig":"Ein unnütz Leben iſt ein früher Tod;","norm":"Ein unnütz Leben ist ein früher Tod;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":57,"orig":"Dieß Frauenſchickſal iſt vor allen mein’s.","norm":"Dies Frauenschicksal ist vor allen meins."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":58,"orig":"Den edeln Stolz, daß du dir ſelbſt nicht g’nügeſt, Verzeih’ ich dir, ſo ſehr ich dich bedaure:","norm":"Den edlen Stolz, dass du dir selbst nicht genügest, Verzeihe ich dir, so sehr ich dich bedaure:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":59,"orig":"Er raubet den Genuß des Lebens dir.","norm":"Er raubet den Genuss des Lebens dir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":60,"orig":"Du haſt hier nichts gethan ſeit deiner Ankunft?","norm":"Du hast hier nichts getan seit deiner Ankunft?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":61,"orig":"Wer hat des Königs trüben Sinn erheitert?","norm":"Wer hat des Königs trüben Sinn erheitert?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":62,"orig":"Wer hat den alten grauſamen Gebrauch, Daß am Altar Dianens jeder Fremde Sein Leben blutend läßt, von Jahr zu Jahr Mit ſanfter Überredung aufgehalten, Und die Gefangnen vom gewiſſen Tod’ In’s Vaterland ſo oft zurückgeſchickt?","norm":"Wer hat den alten grausamen Gebrauch, dass am Altar Dianes jeder Fremde Sein Leben blutend lässt, von Jahr zu Jahr mit sanfter Überredung aufgehalten, und die Gefangenen vom gewissen Tod ins Vaterland so oft zurückgeschickt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":63,"orig":"Hat nicht Diane, ſtatt erzürnt zu ſeyn Daß ſie der blut’gen alten Opfer mangelt, Dein ſanft Gebeth in reichem Maß erhört?","norm":"Hat nicht Diane, statt erzürnt zu sein Dass sie der blutigen alten Opfer mangelt, Dein sanft Gebet in reichem Maß erhört?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":64,"orig":"Umſchwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg Das Heer?","norm":"Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg das Heer?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":65,"orig":"und eilt er nicht ſogar voraus?","norm":"und eilt er nicht sogar voraus?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":66,"orig":"Und fühlt nicht jeglicher ein beſſer Loos, Seitdem der König, der uns weiſ’ und tapfer So lang geführet, nun ſich auch der Milde In deiner Gegenwart erfreut und uns Des ſchweigenden Gehorſams Pflicht erleichtert.","norm":"Und fühlt nicht jeglicher ein besser Los, seitdem der König, der uns weise und tapfer so lang geführt, nun sich auch der Milde In deiner Gegenwart erfreut und uns Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":67,"orig":"Das nennſt du unnütz?","norm":"Das nennst du unnütz?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":68,"orig":"wenn von deinem Weſen Auf Tauſende herab ein Balſam träufelt;","norm":"wenn von deinem Wesen auf Tausende herab ein Balsam träufelt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":69,"orig":"Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte, Des neuen Glückes ew’ge Quelle wirſt, Und an dem unwirthbaren Todes-Ufer Dem Fremden Heil und Rückkehr zubereiteſt?","norm":"Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte, des neuen Glückes ewige Quelle wirst, und an dem unwirtbaren Todesufer dem Fremden Heil und Rückkehr zubereitest?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":70,"orig":"Das Wenige verſchwindet leicht dem Blick, Der vorwärts ſieht wie viel noch übrig bleibt.","norm":"Das Wenige verschwindet leicht dem Blick, der vorwärts sieht wie viel noch übrig bleibt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":71,"orig":"Doch lobſt du den, der was er thut nicht ſchätzt?","norm":"Doch lobst du den, der was er tut nicht schätzt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":72,"orig":"Man tadelt den, der ſeine Thaten wägt.","norm":"Man tadelt den, der seine Taten wägt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":73,"orig":"Auch den, der wahren Werth zu ſtolz nicht achtet, Wie den, der falſchen Werth zu eitel hebt.","norm":"Auch den, der wahren Wert zu stolz nicht achtet, wie den, der falschen Wert zu eitel hebt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":74,"orig":"Glaub’ mir und hör’ auf eines Mannes Wort, Der treu und redlich dir ergeben iſt:","norm":"Glaube mir und höre auf eines Mannes Wort, der treu und redlich dir ergeben ist:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":75,"orig":"Wenn heut der König mit dir redet, ſo Erleichtr’ ihm, was er dir zu ſagen denkt.","norm":"Wenn heute der König mit dir redet, so Erleichtere ihm, was er dir zu sagen denkt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":76,"orig":"Du ängſteſt mich mit jedem guten Worte;","norm":"Du ängstest mich mit jedem guten Worte;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":77,"orig":"Oft wich ich ſeinem Antrag mühſam aus.","norm":"Oft wich ich seinem Antrag mühsam aus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":78,"orig":"Bedenke was du thuſt und was dir nützt.","norm":"Bedenke was du tust und was dir nützt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":79,"orig":"Seitdem der König ſeinen Sohn verloren, Vertraut er wenigen der Seinen mehr, Und dieſen Wenigen nicht mehr wie ſonſt.","norm":"Seitdem der König seinen Sohn verloren, vertraut er wenigen der Seinen mehr, und diesen Wenigen nicht mehr wie sonst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":80,"orig":"Mißgünſtig ſieht er jedes Edeln Sohn Als ſeines Reiches Folger an; er fürchtet Ein einſam hülflos Alter, ja vielleicht Verwegnen Aufſtand und frühzeit’gen Tod.","norm":"Missgünstig sieht er jedes Edlen Sohn als seines Reiches Folger an; er fürchtet ein einsam hilflos Alter, ja vielleicht verwegenen Aufstand und frühzeitigen Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":81,"orig":"Der Scythe ſetzt in’s Reden keinen Vorzug, Am wenigſten der König.","norm":"Der Skythe setzt ins Reden keinen Vorzug, am wenigsten der König."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":82,"orig":"Er, der nur Gewohnt iſt zu befehlen und zu thun, Kennt nicht die Kunſt, von weitem ein Geſpräch Nach ſeiner Abſicht langſam fein zu lenken.","norm":"Er, der nur Gewohnt ist zu befehlen und zu tun, kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gespräch nach seiner Absicht langsam fein zu lenken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":83,"orig":"Erſchwer’s ihm nicht durch ein rückhaltend Weigern, Durch ein vorſetzlich Mißverſtehen.","norm":"Erschwere es ihm nicht durch ein rückhaltend Weigern, durch ein vorsätzlich Missverstehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":84,"orig":"Geh Gefällig ihm den halben Weg entgegen.","norm":"Gehe Gefällig ihm den halben Weg entgegen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":85,"orig":"Soll ich beſchleunigen was mich bedroht?","norm":"Soll ich beschleunigen was mich bedroht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":86,"orig":"Willſt du ſein Werben eine Drohung nennen?","norm":"Willst du sein Werben eine Drohung nennen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":87,"orig":"Es iſt die ſchrecklichſte von allen mir.","norm":"Es ist die schrecklichste von allen mir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":88,"orig":"Gib ihm für ſeine Neigung nur Vertraun.","norm":"Gib ihm für seine Neigung nur Vertrauen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":89,"orig":"Wenn er von Furcht erſt meine Seele löſ’t.","norm":"Wenn er von Furcht erst meine Seele löst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":90,"orig":"Warum verſchweigſt du deine Herkunft ihm?","norm":"Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":91,"orig":"Weil einer Prieſterinn Geheimniß ziemt.","norm":"Weil einer Priesterin Geheimnis ziemt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":92,"orig":"Dem König’ ſollte nichts Geheimniß ſeyn;","norm":"Dem König sollte nichts Geheimnis sein;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":93,"orig":"Und ob er’s gleich nicht fordert, fühlt er’s doch Und fühlt es tief in ſeiner großen Seele, Daß du ſorgfältig dich vor ihm verwahrſt.","norm":"Und ob er das gleich nicht fordert, fühlt er das doch Und fühlt es tief in seiner großen Seele, dass du sorgfältig dich vor ihm verwahrst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":94,"orig":"Nährt er Verdruß und Unmuth gegen mich?","norm":"Nährt er Verdruss und Unmut gegen mich?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":95,"orig":"So ſcheint es faſt.","norm":"So scheint es fast."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":96,"orig":"Zwar ſchweigt er auch von dir;","norm":"Zwar schweigt er auch von dir;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":97,"orig":"Doch haben hingeworfne Worte mich Belehrt, daß ſeine Seele feſt den Wunſch Ergriffen hat, dich zu beſitzen.","norm":"Doch haben hingeworfene Worte mich Belehrt, dass seine Seele fest den Wunsch ergriffen hat, dich zu besitzen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":98,"orig":"Laß, O überlaß ihn nicht ſich ſelbſt!","norm":"Lass, O überlasse ihn nicht sich selbst!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":99,"orig":"damit In ſeinem Buſen nicht der Unmuth reife Und dir Entſetzen bringe, du zu ſpät An meinen treuen Rath mit Reue denkeſt.","norm":"damit in seinem Busen nicht der Unmut reife und dir Entsetzen bringe, du zu spät An meinen treuen Rat mit Reue denkest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":100,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":101,"orig":"ſinnt der König, was kein edler Mann, Der ſeinen Nahmen liebt und dem Verehrung Der Himmliſchen den Buſen bändiget, Je denken ſollte?","norm":"Sinnt der König, was kein edler Mann, der seinen Namen liebt und dem Verehrung der Himmlischen den Busen bändiget, je denken sollte?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":102,"orig":"Sinnt er vom Altar Mich in ſein Bette mit Gewalt zu ziehn?","norm":"Sinnt er vom Altar mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":103,"orig":"So ruf’ ich alle Götter und vor allen Dianen die entſchloßne Göttinn an, Die ihren Schutz der Prieſterinn gewiß, Und Jungfrau einer Jungfrau, gern gewährt.","norm":"So rufe ich alle Götter und vor allen Diane die entschloßene Göttin an, die ihren Schutz der Priesterin gewiss, und Jungfrau einer Jungfrau, gern gewährt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":104,"orig":"Sey ruhig!","norm":"Sei ruhig!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":105,"orig":"Ein gewaltſam neues Blut Treibt nicht den König, ſolche Jünglingsthat Verwegen auszuüben.","norm":"Ein gewaltsam neues Blut treibt nicht den König, solche Jünglingstat Verwegen auszuüben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":106,"orig":"Wie er ſinnt, Befürcht’ ich andern harten Schluß von ihm, Den unaufhaltbar er vollenden wird:","norm":"Wie er sinnt, Befürchte ich anderen harten Schluss von ihm, den unaufhaltbar er vollenden wird:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":107,"orig":"Denn ſeine Seel’ iſt feſt und unbeweglich.","norm":"Denn seine Seele ist fest und unbeweglich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":108,"orig":"Drum bitt’ ich dich, vertrau’ ihm; ſey ihm dankbar, Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannſt.","norm":"Darum bitte ich dich, vertraue ihm; sei ihm dankbar, wenn du ihm weiter nichts gewähren kannst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":109,"orig":"O ſage was dir weiter noch bekannt iſt.","norm":"O sage was dir weiter noch bekannt ist."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":110,"orig":"Erfahr’s von ihm.","norm":"Erfahre es von ihm."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":111,"orig":"Ich ſeh’ den König kommen;","norm":"Ich sehe den König kommen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":112,"orig":"Du ehrſt ihn, und dich heißt dein eigen Herz, Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen.","norm":"Du ehrst ihn, und dich heißt dein eigen Herz, ihm freundlich und vertraulich zu begegnen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":113,"orig":"Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort Der Frauen weit geführt.","norm":"Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort der Frauen weit geführt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":114,"orig":"Zwar ſeh’ ich nicht, Wie ich dem Rath des Treuen folgen ſoll.","norm":"Zwar sehe ich nicht, wie ich dem Rat des Treuen folgen soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":115,"orig":"Doch folg’ ich gern der Pflicht, dem Könige Für ſeine Wohlthat gutes Wort zu geben, Und wünſche mir, daß ich dem Mächtigen, Was ihm gefällt, mit Wahrheit ſagen möge.","norm":"Doch folge ich gern der Pflicht, dem Könige für seine Wohltat gutes Wort zu geben, und wünsche mir, dass ich dem Mächtigen, was ihm gefällt, mit Wahrheit sagen möge."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":116,"orig":"Mit königlichen Gütern ſegne dich Die Göttinn!","norm":"Mit königlichen Gütern segne dich die Göttin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":117,"orig":"Sie gewähre Sieg und Ruhm Und Reichthum und das Wohl der Deinigen Und jedes frommen Wunſches Fülle dir!","norm":"Sie gewähre Sieg und Ruhm und Reichtum und das Wohl der Deinigen und jedes frommen Wunsches Fülle dir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":118,"orig":"Daß, der du über viele ſorgend herrſcheſt, Du auch vor vielen ſeltnes Glück genießeſt.","norm":"Dass, der du über viele sorgend herrschest, Du auch vor vielen seltenes Glück genießest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":119,"orig":"Zufrieden wär’ ich, wenn mein Volk mich rühmte:","norm":"Zufrieden wäre ich, wenn mein Volk mich rühmte:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":120,"orig":"Was ich erwarb, genießen andre mehr Als ich.","norm":"Was ich erwarb, genießen andere mehr Als ich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":121,"orig":"Der iſt am glücklichſten, er ſey Ein König oder ein Geringer, dem In ſeinem Hauſe Wohl bereitet iſt.","norm":"Der ist am glücklichsten, er sei ein König oder ein Geringer, dem In seinem Hause Wohl bereitet ist."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":122,"orig":"Du nahmeſt Theil an meinen tiefen Schmerzen, Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn, Den letzten, beſten, von der Seite riß.","norm":"Du nahmst teil an meinen tiefen Schmerzen, als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn, den letzten, besten, von der Seite riss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":123,"orig":"So lang’ die Rache meinen Geiſt beſaß, Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung; Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre, Ihr Reich zerſtört, mein Sohn gerochen iſt, Bleibt mir zu Hauſe nichts das mich ergetze.","norm":"Solange die Rache meinen Geist besaß, empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung; doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre, Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen ist, bleibt mir zu Hause nichts das mich ergötze."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":124,"orig":"Der fröhliche Gehorſam, den ich ſonſt Aus einem jeden Auge blicken ſah, Iſt nun von Sorg’ und Unmuth ſtill gedämpft.","norm":"Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst Aus einem jeden Auge blicken sah, ist nun von Sorge und Unmut still gedämpft."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":125,"orig":"Ein jeder ſinnt was künftig werden wird, Und folgt dem Kinderloſen, weil er muß.","norm":"Ein jeder sinnt was künftig werden wird, und folgt dem Kinderlosen, weil er muss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":126,"orig":"Nun komm’ ich heut in dieſen Tempel, den Ich oft betrat um Sieg zu bitten und Für Sieg zu danken.","norm":"Nun komme ich heute in diesen Tempel, den Ich oft betrat um Sieg zu bitten und für Sieg zu danken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":127,"orig":"Einen alten Wunſch Trag’ ich im Buſen, der auch dir nicht fremd, Noch unerwartet iſt: ich hoffe, dich Zum Segen meines Volks und mir zum Segen, Als Braut in meine Wohnung einzuführen.","norm":"Einen alten Wunsch Trage ich im Busen, der auch dir nicht fremd, noch unerwartet ist: Ich hoffe, dich zum Segen meines Volks und mir zum Segen, als Braut in meine Wohnung einzuführen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":128,"orig":"Der Unbekannten bietheſt du zu viel, O König, an.","norm":"Der Unbekannten bietest du zu viel, O König, an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":129,"orig":"Es ſteht die Flüchtige Beſchämt vor dir, die nichts an dieſem Ufer Als Schutz und Ruhe ſucht, die du ihr gabſt.","norm":"Es steht die Flüchtige Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":130,"orig":"Daß du in das Geheimniß deiner Abkunft Vor mir wie vor dem Letzten ſtets dich hülleſt, Wär’ unter keinem Volke recht und gut.","norm":"Dass du in das Geheimnis deiner Abkunft vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest, wäre unter keinem Volke recht und gut."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":131,"orig":"Dieß Ufer ſchreckt die Fremden: das Geſetz Gebiethet’s und die Noth. Allein von dir, Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl Von uns empfangner Gaſt nach eignem Sinn Und Willen ihres Tages ſich erfreut, Von dir hofft’ ich Vertrauen, das der Wirth Für ſeine Treue wohl erwarten darf.","norm":"Dies Ufer schreckt die Fremden: Das Gesetz gebietet es und die Not allein von dir, die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl von uns empfangener Gast nach eigenem Sinn und Willen ihres Tages sich erfreut, von dir hoffte ich Vertrauen, das der Wirt für seine Treue wohl erwarten darf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":132,"orig":"Verbarg ich meiner Eltern Nahmen und Mein Haus, o König, war’s Verlegenheit, Nicht Mißtrau’n.","norm":"Verbarg ich meiner Eltern Namen und Mein Haus, o König, war es Verlegenheit, nicht Misstrauen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":133,"orig":"Denn vielleicht, ach wüßteſt du, Wer vor dir ſteht, und welch verwünſchtes Haupt Du nährſt und ſchützeſt; ein Entſetzen faßte Dein großes Herz mit ſeltnem Schauer an, Und ſtatt die Seite deines Thrones mir Zu biethen, triebeſt du mich vor der Zeit Aus deinem Reiche; ſtießeſt mich vielleicht, Eh’ zu den Meinen frohe Rückkehr mir Und meiner Wandrung Ende zugedacht iſt, Dem Elend zu, das jeden Schweifenden, Von ſeinem Hauſ’ Vertriebnen überall Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.","norm":"Denn vielleicht, ach wüsstest du, wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt Du nährst und schützest; ein Entsetzen fasste Dein großes Herz mit seltenem Schauer an, und statt die Seite deines Thrones mir Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht, Ehe zu den Meinen frohe Rückkehr mir Und meiner Wanderung Ende zugedacht ist, dem Elend zu, das jeden Schweifenden, von seinem Haus Vertriebenen überall mit kalter fremder Schreckenshand erwartet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":134,"orig":"Was auch der Rath der Götter mit dir ſey, Und was ſie deinem Hauſ’ und dir gedenken;","norm":"Was auch der Rat der Götter mit dir sei, und was sie deinem Haus und dir gedenken;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":135,"orig":"So fehlt es doch, ſeitdem du bey uns wohnſt Und eines frommen Gaſtes Recht genießeſt, An Segen nicht, der mir von oben kommt.","norm":"So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst und eines frommen Gastes Recht genießest, an Segen nicht, der mir von oben kommt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":136,"orig":"Ich möchte ſchwer zu überreden ſeyn, Daß ich an dir ein ſchuldvoll Haupt beſchütze.","norm":"Ich möchte schwer zu überreden sein, dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":137,"orig":"Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gaſt.","norm":"Dir bringt die Wohltat Segen, nicht der Gast."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":138,"orig":"Was man Verruchten thut, wird nicht geſegnet.","norm":"Was man Verruchten tut, wird nicht gesegnet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":139,"orig":"Drum endige dein Schweigen und dein Weigern; Es fordert dieß kein ungerechter Mann.","norm":"Darum endige dein Schweigen und dein Weigern; es fordert dies kein ungerechter Mann."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":140,"orig":"Die Göttinn übergab dich meinen Händen;","norm":"Die Göttin übergab dich meinen Händen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":141,"orig":"Wie du ihr heilig warſt, ſo warſt du’s mir.","norm":"Wie du ihr heilig warst, so warst du es mir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":142,"orig":"Auch ſey ihr Wink noch künftig mein Geſetz:","norm":"Auch sei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":143,"orig":"Wenn du nach Hauſe Rückkehr hoffen kannſt, So ſprech’ ich dich von aller Fordrung los.","norm":"Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst, so spreche ich dich von aller Forderung los."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":144,"orig":"Doch iſt der Weg auf ewig dir verſperrt, Und iſt dein Stamm vertrieben, oder durch Ein ungeheures Unheil ausgelöſcht, So biſt du mein durch mehr als Ein Geſetz.","norm":"Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt, und ist dein Stamm vertrieben, oder durch Ein ungeheures Unheil ausgelöscht, so bist du mein durch mehr als ein Gesetz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":145,"orig":"Sprich offen!","norm":"Sprich offen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":146,"orig":"und du weißt, ich halte Wort.","norm":"und du weißt, ich halte Wort."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":147,"orig":"Vom alten Bande löſet ungern ſich Die Zunge los, ein langverſchwiegenes Geheimniß endlich zu entdecken.","norm":"Vom alten Bande löset ungern sich die Zunge los, ein langverschwiegenes Geheimnis endlich zu entdecken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":148,"orig":"Denn Einmal vertraut, verläßt es ohne Rückkehr Des tiefen Herzens ſichre Wohnung, ſchadet, Wie es die Götter wollen, oder nützt.","norm":"Denn einmal vertraut, verlässt es ohne Rückkehr des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet, wie es die Götter wollen, oder nützt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":149,"orig":"Vernimm!","norm":"Vernimm!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":150,"orig":"Ich bin aus Tantalus Geſchlecht.","norm":"Ich bin aus Tantalus Geschlecht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":151,"orig":"Du ſprichſt ein großes Wort gelaſſen aus.","norm":"Du sprichst ein großes Wort gelassen aus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":152,"orig":"Nennſt du Den deinen Ahnherrn, den die Welt Als einen ehmals Hochbegnadigten Der Götter kennt?","norm":"Nennst du den deinen Ahnherrn, den die Welt als einen ehemals Hochbegnadigten der Götter kennt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":153,"orig":"Iſt’s jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog, An deſſen alterfahrnen, vielen Sinn Verknüpfenden Geſprächen Götter ſelbſt, Wie an Orakelſprüchen ſich ergetzten?","norm":"Ist es jener Tantalus, den Jupiter zu Rat und Tafel zog, an dessen alterfahrenen, vielen Sinn verknüpfenden Gesprächen Götter selbst, wie an Orakelsprüchen sich ergötzten?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":154,"orig":"Er iſt es; aber Götter ſollten nicht Mit Menſchen, wie mit ihres Gleichen, wandeln;","norm":"Er ist es; aber Götter sollten nicht mit Menschen, wie mit ihresgleichen, wandeln;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":155,"orig":"Das ſterbliche Geſchlecht iſt viel zu ſchwach In ungewohnter Höhe nicht zu ſchwindeln.","norm":"Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":156,"orig":"Unedel war er nicht und kein Verräther;","norm":"Unedel war er nicht und kein Verräter;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":157,"orig":"Allein zum Knecht zu groß, und zum Geſellen Des großen Donn’rers nur ein Menſch.","norm":"Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen des großen Donnrers nur ein Mensch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":158,"orig":"So war Auch ſein Vergehen menſchlich; ihr Gericht War ſtreng, und Dichter ſingen: Übermuth Und Untreu ſtürzten ihn von Jovis Tiſch Zur Schmach des alten Tartarus hinab.","norm":"So war auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht war streng, und Dichter singen: Übermut und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch zur Schmach des alten Tartarus hinab."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":159,"orig":"Ach und ſein ganz Geſchlecht trug ihren Haß!","norm":"Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":160,"orig":"Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?","norm":"Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigene?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":161,"orig":"Zwar die gewalt’ge Bruſt und der Titanen Kraftvolles Mark war ſeiner Söhn’ und Enkel Gewiſſes Erbtheil; doch es ſchmiedete Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.","norm":"Zwar die gewaltige Brust und der Titanen Kraftvolles Mark war seiner Söhne und Enkel Gewisses Erbteil; doch es schmiedete der Gott um ihre Stirn ein ehern Band."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":162,"orig":"Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld Verbarg er ihrem ſcheuen düſtern Blick;","norm":"Rat, Mäßigung und Weisheit und Geduld verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":163,"orig":"Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier, Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.","norm":"Zur Wut wurde ihnen jegliche Begier, und grenzenlos drang ihre Wut umher."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":164,"orig":"Schon Pelops, der Gewaltig-wollende, Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb Sich durch Verrath und Mord das ſchönſte Weib, Des Önomaus Tochter, Hippodamien.","norm":"Schon Pelops, der Gewaltig-Wollende, des Tantalus geliebter Sohn, erwarb sich durch Verrat und Mord das schönste Weib, des Önomaus' Tochter, Hippodameia."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":165,"orig":"Sie bringt den Wünſchen des Gemahls zwey Söhne, Thyeſt und Atreus.","norm":"Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne, Thyest und Atreus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":166,"orig":"Neidiſch ſehen ſie Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn Aus einem andern Bette wachſend an.","norm":"Neidisch sehen sie des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn aus einem anderen Bette wachsend an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":167,"orig":"Der Haß verbindet ſie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erſte That.","norm":"Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt das Paar im Brudermord die erste Tat."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":168,"orig":"Der Vater wähnet Hippodamien Die Mörderinn, und grimmig fordert er Von ihr den Sohn zurück, und ſie entleibt Sich ſelbſt —","norm":"Der Vater wähnet Hippodameia die Mörderin, und grimmig fordert er von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt Sich selbst —"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":169,"orig":"Du ſchweigeſt?","norm":"Du schweigest?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":170,"orig":"Fahre fort zu reden!","norm":"Fahre fort zu reden!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":171,"orig":"Laß dein Vertrau’n dich nicht gereuen!","norm":"Lass dein Vertrauen dich nicht gereuen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":172,"orig":"Sprich!","norm":"Sprich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":173,"orig":"Wohl dem, der ſeiner Väter gern gedenkt, Der froh von ihren Thaten, ihrer Größe, Den Hörer unterhält und ſtill ſich freuend An’s Ende dieſer ſchönen Reihe ſich Geſchloſſen ſieht!","norm":"Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt, der froh von ihren Taten, ihrer Größe, den Hörer unterhält und still sich freuend ans Ende dieser schönen Reihe sich Geschlossen sieht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":174,"orig":"Denn es erzeugt nicht gleich Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;","norm":"Denn es erzeugt nicht gleich ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":175,"orig":"Erſt eine Reihe Böſer oder Guter Bringt endlich das Entſetzen, bringt die Freude Der Welt hervor.","norm":"Erst eine Reihe Böser oder Guter bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude der Welt hervor."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":176,"orig":"— Nach ihres Vaters Tode Gebiethen Atreus und Thyeſt der Stadt, Gemeinſam-herrſchend.","norm":"— Nach ihres Vaters Tode Gebieten Atreus und Thyest der Stadt, Gemeinsam-herrschend."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":177,"orig":"Lange konnte nicht Die Eintracht dauern.","norm":"Lange konnte nicht die Eintracht dauern."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":178,"orig":"Bald entehrt Thyeſt Des Bruders Bette.","norm":"Bald entehrt Thyest des Bruders Bette."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":179,"orig":"Rächend treibet Atreus Ihn aus dem Reiche.","norm":"Rächend treibet Atreus ihn aus dem Reiche."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":180,"orig":"Tückiſch hatte ſchon Thyeſt, auf ſchwere Thaten ſinnend, lange Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen.","norm":"Tückisch hatte schon Thyest, auf schwere Taten sinnend, lange dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":181,"orig":"Dem füllet er die Bruſt mit Wuth und Rache Und ſendet ihn zur Königsſtadt, daß er Im Oheim ſeinen eignen Vater morde.","norm":"Dem füllet er die Brust mit Wut und Rache und sendet ihn zur Königsstadt, dass er im Oheim seinen eigenen Vater morde."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":182,"orig":"Des Jünglings Vorſatz wird entdeckt; der König Straft grauſam den geſandten Mörder, wähnend Er tödte ſeines Bruders Sohn.","norm":"Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt; der König straft grausam den gesandten Mörder, wähnend er töte seines Bruders Sohn."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":183,"orig":"Zu ſpät Erfährt er, wer vor ſeinen trunknen Augen Gemartert ſtirbt; und die Begier der Rache Aus ſeiner Bruſt zu tilgen, ſinnt er ſtill Auf unerhörte That.","norm":"Zu spät Erfährt er, wer vor seinen trunkenen Augen gemartert stirbt; und die Begier der Rache aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still Auf unerhörte Tat."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":184,"orig":"Er ſcheint gelaſſen, Gleichgültig und verſöhnt, und lockt den Bruder Mit ſeinen beyden Söhnen in das Reich Zurück, ergreift die Knaben, ſchlachtet ſie Und ſetzt die ekle ſchaudervolle Speiſe Dem Vater bey dem erſten Mahle vor.","norm":"Er scheint gelassen, gleichgültig und versöhnt, und lockt den Bruder mit seinen beiden Söhnen in das Reich Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie Und setzt die ekle schaudervolle Speise dem Vater bei dem ersten Mahle vor."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":185,"orig":"Und da Thyeſt an ſeinem Fleiſche ſich Geſättigt, eine Wehmuth ihn ergreift, Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme Der Knaben an des Saales Thüre ſchon Zu hören glaubt, wirft Atreus grinſend Ihm Haupt und Füße der Erſchlagnen hin.","norm":"Und da Thyest an seinem Fleische sich Gesättigt, eine Wehmut ihn ergreift, er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme der Knaben an des Saales Türe schon zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend ihm Haupt und Füße der Erschlagenen hin."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":186,"orig":"Du wendeſt ſchaudernd dein Geſicht, o König:","norm":"Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":187,"orig":"So wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleiſe.","norm":"So wendete die Sonne ihr Antlitz weg und ihren Wagen aus dem ewigen Gleise."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":188,"orig":"Dieß ſind die Ahnherrn deiner Prieſterinn;","norm":"Dies sind die Ahnherrn deiner Priesterin;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":189,"orig":"Und viel unſeliges Geſchick der Männer, Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt Die Nacht mit ſchweren Fittigen und läßt Uns nur in grauenvolle Dämmrung ſehn.","norm":"Und viel unseliges Geschick der Männer, viel Taten des verworrenen Sinnes deckt die Nacht mit schweren Fittichen und lässt uns nur in grauenvolle Dämmerung sehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":190,"orig":"Verbirg ſie ſchweigend auch.","norm":"Verbirg sie schweigend auch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":191,"orig":"Es ſey genug Der Gräuel!","norm":"Es sei genug der Gräuel!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":192,"orig":"Sage nun, durch welch ein Wunder Von dieſem wilden Stamme Du entſprangſt.","norm":"Sage nun, durch welch ein Wunder von diesem wilden Stamme Du entsprangst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":193,"orig":"Des Atreus ältſter Sohn war Agamemnon;","norm":"Des Atreus ältster Sohn war Agamemnon;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":194,"orig":"Er iſt mein Vater.","norm":"Er ist mein Vater."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":195,"orig":"Doch ich darf es ſagen, In ihm hab’ ich ſeit meiner erſten Zeit Ein Muſter des vollkommnen Manns geſehn.","norm":"Doch ich darf es sagen, in ihm habe ich seit meiner ersten Zeit ein Muster des vollkommenen Manns gesehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":196,"orig":"Ihm brachte Clytemneſtra mich, den Erſtling Der Liebe, dann Elektren.","norm":"Ihm brachte Klytaimnestra mich, den Erstling der Liebe, dann Elektra."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":197,"orig":"Ruhig herrſchte Der König, und es war dem Hauſe Tantals Die lang’ entbehrte Raſt gewährt.","norm":"Ruhig herrschte der König, und es war dem Hause Tantals die lange entbehrte Rast gewährt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":198,"orig":"Allein Es mangelte dem Glück der Eltern noch Ein Sohn, und kaum war dieſer Wunſch erfüllt, Daß zwiſchen beyden Schweſtern nun Oreſt Der Liebling wuchs; als neues Übel ſchon Dem ſichern Hauſe zubereitet war.","norm":"Allein es mangelte dem Glück der Eltern noch ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt, dass zwischen beiden Schwestern nun Orest der Liebling wuchs; als neues Übel schon dem sichern Hause zubereitet war."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":199,"orig":"Der Ruf des Krieges iſt zu euch gekommen, Der, um den Raub der ſchönſten Frau zu rächen, Die ganze Macht der Fürſten Griechenlands Um Trojens Mauern lagerte.","norm":"Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen, der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen, die ganze Macht der Fürsten Griechenlands Um Trojas Mauern lagerte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":200,"orig":"Ob ſie Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel Erreicht, vernahm ich nicht.","norm":"Ob sie die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel erreicht, vernahm ich nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":201,"orig":"Mein Vater führte Der Griechen Heer.","norm":"Mein Vater führte der Griechen Heer."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":202,"orig":"In Aulis harrten ſie Auf günſt’gen Wind vergebens: denn Diane, Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt Die Eilenden zurück und forderte Durch Kalchas Mund des Königs ältſte Tochter.","norm":"In Aulis harrten sie Auf günstigen Wind vergebens: denn Diane, erzürnt auf ihren großen Führer, hielt die eilenden zurück und forderte durch Kalchas Mund des Königs ältste Tochter."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":203,"orig":"Sie lockten mit der Mutter mich in’s Lager;","norm":"Sie lockten mit der Mutter mich ins Lager;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":204,"orig":"Sie riſſen mich vor den Altar und weihten Der Göttinn dieſes Haupt.","norm":"Sie rissen mich vor den Altar und weihten der Göttin dieses Haupt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":205,"orig":"— Sie war verſöhnt;","norm":"— sie war versöhnt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":206,"orig":"Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend In eine Wolke mich; in dieſem Tempel Erkannt’ ich mich zuerſt vom Tode wieder.","norm":"Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend in eine Wolke mich; in diesem Tempel erkannte ich mich zuerst vom Tode wieder."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":207,"orig":"Ich bin es ſelbſt, bin Iphigenie, Des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter, Der Göttinn Eigenthum, die mit dir ſpricht.","norm":"Ich bin es selbst, bin Iphigenie, des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter, der Göttin Eigentum, die mit dir spricht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":208,"orig":"Mehr Vorzug und Vertrauen geb’ ich nicht Der Königstochter als der Unbekannten.","norm":"Mehr Vorzug und Vertrauen gebe ich nicht der Königstochter als der Unbekannten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":209,"orig":"Ich wiederhohle meinen erſten Antrag:","norm":"Ich wiederhole meinen ersten Antrag:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":210,"orig":"Komm, folge mir und theile was ich habe.","norm":"Komme, folge mir und Teile was ich habe."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":211,"orig":"Wie darf ich ſolchen Schritt, o König, wagen?","norm":"Wie darf ich solchen Schritt, o König, wagen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":212,"orig":"Hat nicht die Göttinn, die mich rettete, Allein das Recht auf mein geweihtes Leben?","norm":"Hat nicht die Göttin, die mich rettete, allein das Recht auf mein geweihtes Leben?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":213,"orig":"Sie hat für mich den Schutzort ausgeſucht, Und ſie bewahrt mich einem Vater, den Sie durch den Schein genug geſtraft, vielleicht Zur ſchönſten Freude ſeines Alters hier.","norm":"Sie hat für mich den Schutzort ausgesucht, und sie bewahrt mich einem Vater, den Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht zur schönsten Freude seines Alters hier."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":214,"orig":"Vielleicht iſt mir die frohe Rückkehr nah;","norm":"Vielleicht ist mir die frohe Rückkehr nah;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":215,"orig":"Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte Mich wieder ihren Willen hier gefeſſelt?","norm":"Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte mich wider ihren Willen hier gefesselt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":216,"orig":"Ein Zeichen bath ich, wenn ich bleiben ſollte.","norm":"Ein Zeichen bat ich, wenn ich bleiben sollte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":217,"orig":"Das Zeichen iſt, daß du noch hier verweilſt.","norm":"Das Zeichen ist, dass du noch hier verweilst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":218,"orig":"Such’ Ausflucht ſolcher Art nicht ängſtlich auf Man ſpricht vergebens viel, um zu verſagen;","norm":"Suche Ausflucht solcher Art nicht ängstlich auf man spricht vergebens viel, um zu versagen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":219,"orig":"Der andre hört von allem nur das Nein.","norm":"Der andere hört von allem nur das Nein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":220,"orig":"Nicht Worte ſind es, die nur blenden ſollen;","norm":"Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":221,"orig":"Ich habe dir mein tiefſtes Herz entdeckt.","norm":"Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":222,"orig":"Und ſagſt du dir nicht ſelbſt, wie ich dem Vater, Der Mutter, den Geſchwiſtern mich entgegen Mit ängſtlichen Gefühlen ſehnen muß?","norm":"Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater, der Mutter, den Geschwistern mich entgegen Mit ängstlichen Gefühlen sehnen muss?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":223,"orig":"Daß in den alten Hallen, wo die Trauer Noch manchmal ſtille meinen Nahmen liſpelt, Die Freude, wie um eine Neugeborne, Den ſchönſten Kranz von Säul’ an Säulen ſchlinge.","norm":"Dass in den alten Hallen, wo die Trauer noch manchmal stille meinen Namen lispelt, die Freude, wie um eine Neugeborene, den schönsten Kranz von Säule an Säulen schlinge."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":224,"orig":"O ſendeteſt du mich auf Schiffen hin!","norm":"O sendetest du mich auf Schiffen hin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":225,"orig":"Du gäbeſt mir und allen neues Leben.","norm":"Du gäbest mir und allen neues Leben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":226,"orig":"So kehr’ zurück!","norm":"So kehre zurück!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":227,"orig":"Thu’ was dein Herz dich heißt;","norm":"Tu was dein Herz dich heißt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":228,"orig":"Und höre nicht die Stimme guten Raths Und der Vernunft.","norm":"Und höre nicht die Stimme guten Rats und der Vernunft."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":229,"orig":"Sey ganz ein Weib und gib Dich hin dem Triebe, der dich zügellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt.","norm":"Sei ganz ein Weib und gib Dich hin dem Triebe, der dich zügellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":230,"orig":"Wenn ihnen eine Luſt im Buſen brennt, Hält vom Verräther ſie kein heilig Band, Der ſie dem Vater oder dem Gemahl Aus langbewährten, treuen Armen lockt;","norm":"Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt, hält vom Verräter sie kein heilig Band, der sie dem Vater oder dem Gemahl aus langbewährten, treuen Armen lockt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":231,"orig":"Und ſchweigt in ihrer Bruſt die raſche Gluth, So dringt auf ſie vergebens treu und mächtig Der Überredung goldne Zunge los.","norm":"Und schweigt in ihrer Brust die rasche Glut, so dringt auf sie vergebens treu und mächtig der Überredung goldene Zunge los."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":232,"orig":"Gedenk, o König, deines edeln Wortes!","norm":"Gedenke, o König, deines edlen Wortes!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":233,"orig":"Willſt du mein Zutrau’n ſo erwiedern?","norm":"Willst du mein Zutrauen so erwidern?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":234,"orig":"Du Schienſt vorbereitet, alles zu vernehmen.","norm":"Du schienst vorbereitet, alles zu vernehmen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":235,"orig":"Auf’s Ungehoffte war ich nicht bereitet;","norm":"Aufs Ungehoffte war ich nicht bereitet;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":236,"orig":"Doch ſollt’ ich’s auch erwarten: wußt’ ich nicht, Daß ich mit einem Weibe handeln ging?","norm":"Doch sollte ich es auch erwarten: wusste ich nicht, dass ich mit einem Weibe handeln ging?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":237,"orig":"Schilt nicht, o König, unſer arm Geſchlecht.","norm":"Scheltet nicht, o König, unser arm Geschlecht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":238,"orig":"Nicht herrlich wie die euern, aber nicht Unedel ſind die Waffen eines Weibes.","norm":"Nicht herrlich wie die euren, aber nicht unedel sind die Waffen eines Weibes."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":239,"orig":"Glaub’ es, darin bin ich dir vorzuziehn, Daß ich dein Glück mehr als du ſelber kenne.","norm":"Glaube es, darin bin ich dir vorzuziehen, dass ich dein Glück mehr als du selber kenne."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":240,"orig":"Du wähneſt, unbekannt mit dir und mir, Ein näher Band werd’ uns zum Glück vereinen, Voll guten Muthes, wie voll guten Willens, Dringſt du in mich, daß ich mich fügen ſoll;","norm":"Du wähnest, unbekannt mit dir und mir, ein näher Band werde uns zum Glück vereinen, voll guten Mutes, wie voll guten Willens, dringst du in mich, dass ich mich fügen soll;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":241,"orig":"Und hier dank’ ich den Göttern, daß ſie mir Die Feſtigkeit gegeben, dieſes Bündniß Nicht einzugehen, das ſie nicht gebilligt.","norm":"Und hier danke ich den Göttern, dass sie mir Die Festigkeit gegeben, dieses Bündnis Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":242,"orig":"Es ſpricht kein Gott; es ſpricht dein eignes Herz.","norm":"Es spricht kein Gott; es spricht dein eigenes Herz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":243,"orig":"Sie reden nur durch unſer Herz zu uns.","norm":"Sie reden nur durch unser Herz zu uns."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":244,"orig":"Und hab’ Ich, ſie zu hören, nicht das Recht?","norm":"Und habe Ich, sie zu hören, nicht das Recht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":245,"orig":"Es überbrauſt der Sturm die zarte Stimme.","norm":"Es überbraust der Sturm die zarte Stimme."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":246,"orig":"Die Prieſterinn vernimmt ſie wohl allein?","norm":"Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":247,"orig":"Vor allen andern merke ſie der Fürſt.","norm":"Vor allen anderen merke sie der Fürst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":248,"orig":"Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht An Jovis Tiſch bringt dich den Göttern näher, Als einen erdgebornen Wilden.","norm":"Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht an Jovis Tisch bringt dich den Göttern näher, als einen erdgeborenen Wilden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":249,"orig":"So Büß’ ich nun das Vertrau’n, das du erzwangſt.","norm":"So Büße ich nun das Vertrauen, das du erzwangst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":250,"orig":"Ich bin ein Menſch; und beſſer iſt’s wir enden.","norm":"Ich bin ein Mensch; und besser ist es wir enden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":251,"orig":"So bleibe denn mein Wort:","norm":"So bleibe denn mein Wort:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":252,"orig":"Sey Prieſterinn Der Göttinn, wie ſie dich erkoren hat;","norm":"Sei Priesterin der Göttin, wie sie dich erkoren hat;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":253,"orig":"Doch mir verzeih’ Diane, daß ich ihr Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf Die alten Opfer vorenthalten habe.","norm":"Doch mir verzeihe Diane, dass ich ihr Bisher mit Unrecht und mit innerem Vorwurf die alten Opfer vorenthalten habe."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":254,"orig":"Kein Fremder nahet glücklich unſerm Ufer;","norm":"Kein Fremder nahet glücklich unserem Ufer;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":255,"orig":"Von Alters her iſt ihm der Tod gewiß.","norm":"Von Alters her ist ihm der Tod gewiss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":256,"orig":"Nur Du haſt mich mit einer Freundlichkeit, In der ich bald der zarten Tochter Liebe, Bald ſtille Neigung einer Braut zu ſehn Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden Gefeſſelt, daß ich meiner Pflicht vergaß.","norm":"Nur Du hast mich mit einer Freundlichkeit, in der ich bald der zarten Tochter Liebe, bald stille Neigung einer Braut zu sehen mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden gefesselt, dass ich meiner Pflicht vergaß."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":257,"orig":"Du hatteſt mir die Sinnen eingewiegt, Das Murren meines Volks vernahm ich nicht;","norm":"Du hattest mir die Sinnen eingewiegt, das Murren meines Volks vernahm ich nicht;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":258,"orig":"Nun rufen ſie die Schuld von meines Sohnes Frühzeit’gem Tode lauter über mich.","norm":"Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes Frühzeitigem Tode lauter über mich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":259,"orig":"Um deinetwillen halt’ ich länger nicht Die Menge, die das Opfer dringend fordert.","norm":"Um deinetwillen halte ich länger nicht die Menge, die das Opfer dringend fordert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":260,"orig":"Um meinetwillen hab’ ich’s nie begehrt.","norm":"Um meinetwillen habe ich es nie begehrt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":261,"orig":"Der mißverſteht die Himmliſchen, der ſie Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur Die eignen grauſamen Begierden an.","norm":"Der missversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur Die eigenen grausamen Begierden an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":262,"orig":"Entzog die Göttinn mich nicht ſelbſt dem Prieſter?","norm":"Entzog die Göttin mich nicht selbst dem Priester?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":263,"orig":"Ihr war mein Dienſt willkommner, als mein Tod.","norm":"Ihr war mein Dienst willkommener, als mein Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":264,"orig":"Es ziemt ſich nicht für uns, den heiligen Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft Nach unſerm Sinn zu deuten und zu lenken.","norm":"Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft nach unserem Sinn zu deuten und zu lenken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":265,"orig":"Thu deine Pflicht, ich werde meine thun.","norm":"Tu deine Pflicht, ich werde meine tun."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":266,"orig":"Zwey Fremde, die wir in des Ufers Höhlen Verſteckt gefunden, und die meinem Lande Nichts gutes bringen, ſind in meiner Hand.","norm":"Zwei Fremde, die wir in des Ufers Höhlen versteckt gefunden, und die meinem Lande nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":267,"orig":"Mit dieſen nehme deine Göttinn wieder Ihr erſtes, rechtes, lang’ entbehrtes Opfer!","norm":"Mit diesen nehme deine Göttin wieder Ihr erstes, rechtes, lange entbehrtes Opfer!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":268,"orig":"Ich ſende ſie hierher; du weißt den Dienſt.","norm":"Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":269,"orig":"Du haſt Wolken, gnädige Retterinn, Einzuhüllen unſchuldig Verfolgte, Und auf Winden dem ehrnen Geſchick ſie Aus den Armen, über das Meer, Über der Erde weiteſte Strecken Und wohin es dir gut dünkt zu tragen.","norm":"Du hast Wolken, gnädige Retterin, einzuhüllen unschuldig Verfolgte, und auf Winden dem ehernen Geschick sie Aus den Armen, über das Meer, über der Erde weiteste Strecken und wohin es dir gut dünkt zu tragen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":270,"orig":"Weiſe biſt du und ſieheſt das Künftige;","norm":"Weise bist du und siehst das Künftige;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":271,"orig":"Nicht vorüber iſt dir das Vergangne, Und dein Blick ruht über den Deinen Wie dein Licht, das Leben der Nächte, Über der Erde ruhet und waltet.","norm":"Nicht vorüber ist dir das Vergangene, und dein Blick ruht über den Deinen Wie dein Licht, das Leben der Nächte, über der Erde ruhet und waltet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":272,"orig":"O enthalte vom Blut meine Hände!","norm":"O enthalte vom Blut meine Hände!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":273,"orig":"Nimmer bringt es Segen und Ruhe; Und die Geſtalt des zufällig Ermordeten Wird auf des traurig-unwilligen Mörders Böſe Stunde lauern — und ſchrecken.","norm":"Nimmer bringt es Segen und Ruhe; und die Gestalt des zufällig Ermordeten wird auf des traurig-unwilligen Mörders Böse Stunde lauern — und schrecken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":274,"orig":"Denn die Unſterblichen lieben der Menſchen Weit verbreitete gute Geſchlechter, Und ſie friſten das flüchtige Leben Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne Ihres eigenen, ewigen Himmels Mitgenießendes fröhliches Anſchau’n Eine Weile gönnen und laſſen.","norm":"Denn die Unsterblichen lieben der Menschen weit verbreitete gute Geschlechter, und sie fristen das flüchtige Leben gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne Ihres eigenen, ewigen Himmels Mitgenießendes fröhliches Anschauen eine Weile gönnen und lassen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":275,"orig":"Es iſt der Weg des Todes, den wir treten:","norm":"Es ist der Weg des Todes, den wir treten:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":276,"orig":"Mit jedem Schritt wird meine Seele ſtiller.","norm":"Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":277,"orig":"Als ich Apollen bath, das gräßliche Geleit der Rachegeiſter von der Seite Mir abzunehmen, ſchien er Hülf’ und Rettung Im Tempel ſeiner vielgeliebten Schweſter, Die über Tauris herrſcht, mit hoffnungsreichen Gewiſſen Götterworten zu verſprechen;","norm":"Als ich Apollo bat, das grässliche Geleit der Rachegeister von der Seite Mir abzunehmen, schien er Hilfe und Rettung im Tempel seiner vielgeliebten Schwester, die über Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen Gewissen Götterworten zu versprechen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":278,"orig":"Und nun erfüllet ſich’s, daß alle Noth Mit meinem Leben völlig enden ſoll.","norm":"Und nun erfüllet sich es, dass alle Not mit meinem Leben völlig enden soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":279,"orig":"Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand Das Herz zuſammendrückt, den Sinn betäubt, Dem ſchönen Licht der Sonne zu entſagen.","norm":"Wie leicht wird es mir, dem eine Götterhand das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt, dem schönen Licht der Sonne zu entsagen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":280,"orig":"Und ſollen Atreus Enkel in der Schlacht Ein ſiegbekröntes Ende nicht gewinnen;","norm":"Und sollen Atreus Enkel in der Schlacht ein siegbekröntes Ende nicht gewinnen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":281,"orig":"Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater Als Opferthier im Jammertode bluten:","norm":"Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater als Opfertier im Jammertode bluten:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":282,"orig":"So ſey es!","norm":"So sei es!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":283,"orig":"Beſſer hier vor dem Altar, Als im verworfnen Winkel, wo die Netze Der nahverwandte Meuchelmörder ſtellt.","norm":"Besser hier vor dem Altar, als im verworfenen Winkel, wo die Netze der nahverwandte Meuchelmörder stellt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":284,"orig":"Laßt mir ſo lange Ruh’, ihr Unterird’ſchen, Die nach dem Blut’ ihr, das von meinen Tritten Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet, Wie losgelaßne Hunde ſpürend hetzt.","norm":"Lasst mir so lange Ruhe, ihr Unterirdischen, die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten Hernieder träufelnd meinen Pfad bezeichnet, wie losgelaßene Hunde spürend hetzt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":285,"orig":"Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab;","norm":"Lasst mich, ich komme bald zu euch hinab;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":286,"orig":"Das Licht des Tags ſoll euch nicht ſehn, noch mich.","norm":"Das Licht des Tags soll euch nicht sehen, noch mich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":287,"orig":"Der Erde ſchöner grüner Teppich ſoll Kein Tummelplatz für Larven ſeyn.","norm":"Der Erde schöner grüner Teppich soll kein Tummelplatz für Larven sein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":288,"orig":"Dort unten Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann Ein gleich Geſchick in ew’ge matte Nacht.","norm":"Dort unten Suche ich euch auf: dort bindet alle dann Ein gleich Geschick in ewige matte Nacht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":289,"orig":"Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld Und meines Banns unſchuldigen Genoſſen, Wie ungern nehm’ ich dich in jenes Trauerland Frühzeitig mit!","norm":"Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld und meines Banns unschuldigen Genossen, wie ungern nehme ich dich in jenes Trauerland frühzeitig mit!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":290,"orig":"Dein Leben oder Tod Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.","norm":"Dein Leben oder Tod gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":291,"orig":"Ich bin noch nicht, Oreſt, wie du bereit, In jenes Schattenreich hinabzugehn.","norm":"Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit, in jenes Schattenreich hinabzugehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":292,"orig":"Ich ſinne noch, durch die verworrnen Pfade, Die nach der ſchwarzen Nacht zu führen ſcheinen, Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.","norm":"Ich sinne noch, durch die verworrenen Pfade, die nach der schwarzen Nacht zu führen scheinen, Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":293,"orig":"Ich denke nicht den Tod; ich ſinn’ und horche, Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht Die Götter Rath und Wege zubereiten.","norm":"Ich denke nicht den Tod; ich sinne und horche, ob nicht zu irgendeiner frohen Flucht die Götter Rat und Wege zubereiten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":294,"orig":"Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet, Kommt unaufhaltſam.","norm":"Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet, kommt unaufhaltsam."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":295,"orig":"Wenn die Prieſterinn Schon unſre Locken weihend abzuſchneiden Die Hand erhebt, ſoll dein’ und meine Rettung Mein einziger Gedanke ſeyn.","norm":"Wenn die Priesterin schon unsere Locken weihend abzuschneiden die Hand erhebt, soll deine und meine Rettung Mein einziger Gedanke sein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":296,"orig":"Erhebe Von dieſem Unmuth deine Seele; zweifelnd Beſchleunigeſt du die Gefahr.","norm":"Erhebe von diesem Unmut deine Seele; zweifelnd Beschleunigest du die Gefahr."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":297,"orig":"Apoll Gab uns das Wort: im Heiligthum der Schweſter Sey Troſt und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet.","norm":"Apoll gab uns das Wort: im Heiligtum der Schwester Sei Trost und Hilfe und Rückkehr dir bereitet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":298,"orig":"Der Götter Worte ſind nicht doppelſinnig, Wie der Gedrückte ſie im Unmuth wähnt.","norm":"Der Götter Worte sind nicht doppelsinnig, wie der Gedrückte sie im Unmut wähnt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":299,"orig":"Des Lebens dunkle Decke breitete Die Mutter ſchon mir um das zarte Haupt, Und ſo wuchs ich herauf, ein Ebenbild Des Vaters, und es war mein ſtummer Blick Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.","norm":"Des Lebens dunkle Decke breitete die Mutter schon mir um das zarte Haupt, und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild des Vaters, und es war mein stummer Blick ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":300,"orig":"Wie oft, wenn ſtill Elektra meine Schweſter Am Feuer in der tiefen Halle ſaß, Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos, Und ſtarrte, wie ſie bitter weinte, ſie Mit großen Augen an.","norm":"Wie oft, wenn still Elektra meine Schwester am Feuer in der tiefen Halle saß, drängte ich beklommen mich an ihren Schoß, und starrte, wie sie bitter weinte, sie Mit großen Augen an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":301,"orig":"Dann ſagte ſie Von unſerm hohen Vater viel: wie ſehr Verlangt’ ich ihn zu ſehn, bey ihm zu ſeyn!","norm":"Dann sagte sie Von unserem hohen Vater viel: wie sehr verlangte ich ihn zu sehen, bei ihm zu sein!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":302,"orig":"Mich wünſcht’ ich bald nach Troja, ihn bald her.","norm":"Mich wünschte ich bald nach Troja, ihn bald her."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":303,"orig":"Es kam der Tag —","norm":"Es kam der Tag —"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":304,"orig":"O laß von jener Stunde Sich Höllengeiſter nächtlich unterhalten!","norm":"O lass von jener Stunde sich Höllengeister nächtlich unterhalten!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":305,"orig":"Uns gebe die Erinnrung ſchöner Zeit Zu friſchem Heldenlaufe neue Kraft.","norm":"Uns gebe die Erinnerung schöner Zeit zu frischem Heldenlaufe neue Kraft."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":306,"orig":"Die Götter brauchen manchen guten Mann Zu ihrem Dienſt auf dieſer weiten Erde.","norm":"Die Götter brauchen manchen guten Mann zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":307,"orig":"Sie haben noch auf dich gezählt; ſie gaben Dich nicht dem Vater zum Geleite mit, Da er unwillig nach dem Orkus ging.","norm":"Sie haben noch auf dich gezählt; sie gaben Dich nicht dem Vater zum Geleite mit, da er unwillig nach dem Orkus ging."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":308,"orig":"O wär’ ich, ſeinen Saum ergreifend, ihm Gefolgt.","norm":"O wäre ich, seinen Saum ergreifend, ihm Gefolgt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":309,"orig":"So haben die, die dich erhielten, Für mich geſorgt: denn was ich worden wäre, Wenn Du nicht lebteſt, kann ich mir nicht denken;","norm":"So haben die, die dich erhielten, für mich gesorgt: denn was ich worden wäre, wenn Du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":310,"orig":"Da ich mit dir und deinetwillen nur Seit meiner Kindheit leb’ und leben mag.","norm":"Da ich mit dir und deinetwillen nur seit meiner Kindheit lebe und leben mag."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":311,"orig":"Erinnre mich nicht jener ſchönen Tage, Da mir dein Haus die freye Stäte gab, Dein edler Vater klug und liebevoll Die halb erſtarrte junge Blüthe pflegte;","norm":"Erinnre mich nicht jener schönen Tage, da mir dein Haus die freie Stätte gab, Dein edler Vater klug und liebevoll die halberstarrte junge Blüte pflegte;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":312,"orig":"Da du ein immer munterer Geſelle, Gleich einem leichten bunten Schmetterling Um eine dunkle Blume, jeden Tag Um mich mit neuem Leben gaukelteſt, Mir deine Luſt in meine Seele ſpielteſt, Daß ich, vergeſſend meiner Noth, mit dir In raſcher Jugend hingeriſſen ſchwärmte.","norm":"Da du ein immer munterer Geselle, gleich einem leichten bunten Schmetterling um eine dunkle Blume, jeden Tag um mich mit neuem Leben gaukeltest, mir deine Lust in meine Seele spieltest, dass ich, vergessend meiner Not, mit dir In rascher Jugend hingerissen schwärmte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":313,"orig":"Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.","norm":"Da fing mein Leben an, als ich dich liebte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":314,"orig":"Sag: meine Noth begann, und du ſprichſt wahr.","norm":"Sage: Meine Not begann, und du sprichst wahr."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":315,"orig":"Das iſt das Ängſtliche von meinem Schickſal, Daß ich, wie ein verpeſteter Vertriebner, Geheimen Schmerz und Tod im Buſen trage;","norm":"Das ist das Ängstliche von meinem Schicksal, dass ich, wie ein verpesteter Vertriebener, geheimen Schmerz und Tod im Busen trage;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":316,"orig":"Daß, wo ich den geſund’ſten Ort betrete, Gar bald um mich die blühenden Geſichter Den Schmerzenszug langſamen Tod’s verrathen.","norm":"Dass, wo ich den gesundesten Ort betrete, Gar bald um mich die blühenden Gesichter den Schmerzenszug langsamen Tods verraten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":317,"orig":"Der nächſte wär’ ich dieſen Tod zu ſterben, Wenn je dein Hauch, Oreſt, vergiftete.","norm":"Der Nächste wäre ich diesen Tod zu sterben, wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":318,"orig":"Bin ich nicht immer noch voll Muth und Luſt?","norm":"Bin ich nicht immer noch voll Mut und Lust?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":319,"orig":"Und Luſt und Liebe ſind die Fittige Zu großen Thaten.","norm":"Und Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":320,"orig":"Große Thaten?","norm":"Große Taten?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":321,"orig":"Ja, Ich weiß die Zeit, da wir ſie vor uns ſahn!","norm":"Ja, Ich weiß die Zeit, da wir sie vor uns sahen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":322,"orig":"Wenn wir zuſammen oft dem Wilde nach Durch Berg’ und Thäler rannten, und dereinſt An Bruſt und Fauſt dem hohen Ahnherrn gleich Mit Keul’ und Schwert dem Ungeheuer ſo, Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften;","norm":"Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach durch Berge und Täler rannten, und dereinst an Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich mit Keule und Schwert dem Ungeheuer so, dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":323,"orig":"Und dann wir Abends an der weiten See Uns an einander lehnend ruhig ſaßen, Die Wellen bis zu unſern Füßen ſpielten, Die Welt ſo weit, ſo offen vor uns lag;","norm":"Und dann wir Abends an der weiten See uns aneinander lehnend ruhig saßen, die Wellen bis zu unseren Füßen spielten, die Welt so weit, so offen vor uns lag;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":324,"orig":"Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert, Und künft’ge Thaten drangen wie die Sterne Rings um uns her unzählig aus der Nacht.","norm":"Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert, und künftige Taten drangen wie die Sterne Rings um uns her unzählig aus der Nacht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":325,"orig":"Unendlich iſt das Werk, das zu vollführen Die Seele dringt.","norm":"Unendlich ist das Werk, das zu vollführen die Seele dringt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":326,"orig":"Wir möchten jede That So groß gleich thun als wie ſie wächſt und wird, Wenn Jahre lang durch Länder und Geſchlechter Der Mund der Dichter ſie vermehrend wälzt.","norm":"Wir möchten jede Tat so groß gleich tun als wie sie wächst und wird, wenn Jahre lang durch Länder und Geschlechter der Mund der Dichter sie vermehrend wälzt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":327,"orig":"Es klingt ſo ſchön was unſre Väter thaten, Wenn es in ſtillen Abendſchatten ruhend Der Jüngling mit dem Ton der Harfe ſchlürft;","norm":"Es klingt so schön was unsere Väter taten, wenn es in stillen Abendschatten ruhend der Jüngling mit dem Ton der Harfe schlürft;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":328,"orig":"Und was wir thun iſt, wie es ihnen war, Voll Müh’ und eitel Stückwerk!","norm":"Und was wir tun ist, wie es ihnen war, voll Mühe und eitel Stückwerk!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":329,"orig":"So laufen wir nach dem was vor uns flieht, Und achten nicht des Weges den wir treten, Und ſehen neben uns der Ahnherrn Tritte Und ihres Erdelebens Spuren kaum.","norm":"So laufen wir nach dem was vor uns flieht, und achten nicht des Weges den wir treten, und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte und ihres Erdelebens Spuren kaum."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":330,"orig":"Wir eilen immer ihrem Schatten nach, Der göttergleich in einer weiten Ferne Der Berge Haupt auf goldnen Wolken krönt.","norm":"Wir eilen immer ihrem Schatten nach, der göttergleich in einer weiten Ferne der Berge Haupt auf goldenen Wolken krönt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":331,"orig":"Ich halte nichts von dem, der von ſich denkt Wie ihn das Volk vielleicht erheben möchte.","norm":"Ich halte nichts von dem, der von sich denkt wie ihn das Volk vielleicht erheben möchte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":332,"orig":"Allein, o Jüngling, danke du den Göttern, Daß ſie ſo früh durch dich ſo viel gethan.","norm":"Allein, o Jüngling, danke du den Göttern, dass sie so früh durch dich so viel getan."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":333,"orig":"Wenn ſie dem Menſchen frohe That beſcheren, Daß er ein Unheil von den Seinen wendet, Daß er ſein Reich vermehrt, die Gränzen ſichert, Und alte Feinde fallen oder fliehn;","norm":"Wenn sie dem Menschen frohe Tat bescheren, dass er ein Unheil von den Seinen wendet, dass er sein Reich vermehrt, die Grenzen sichert, und alte Feinde fallen oder fliehen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":334,"orig":"Dann mag er danken!","norm":"Dann mag er danken!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":335,"orig":"denn ihm hat ein Gott Des Lebens erſte, letzte Luſt gegönn.","norm":"denn ihm hat ein Gott des Lebens erste, letzte Lust gegönnt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":336,"orig":"Mich haben ſie zum Schlächter auserkoren, Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter, Und eine Schandthat ſchändlich rächend, mich Durch ihren Wink zu Grund’ gerichtet.","norm":"Mich haben sie zum Schlächter auserkoren, zum Mörder meiner doch verehrten Mutter, und eine Schandtat schändlich rächend, mich Durch ihren Wink zu Grunde gerichtet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":337,"orig":"Glaube, Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet, Und ich, der Letzte, ſoll nicht ſchuldlos, ſoll Nicht ehrenvoll vergehn.","norm":"Glaube, Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet, und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll nicht ehrenvoll vergehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":338,"orig":"Die Götter rächen Der Väter Miſſethat nicht an dem Sohn;","norm":"Die Götter rächen der Väter Missetat nicht an dem Sohn;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":339,"orig":"Ein jeglicher, gut oder böſe, nimmt Sich ſeinen Lohn mit ſeiner That hinweg.","norm":"Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":340,"orig":"Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.","norm":"Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":341,"orig":"Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher.","norm":"Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":342,"orig":"Doch wenigſtens der hohen Götter Wille.","norm":"Doch wenigstens der hohen Götter Wille."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":343,"orig":"So iſt’s ihr Wille denn, der uns verderbt.","norm":"So ist es ihr Wille denn, der uns verderbt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":344,"orig":"Thu’ was ſie dir gebiethen und erwarte.","norm":"Tu was sie dir gebieten und erwarte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":345,"orig":"Bringſt du die Schweſter zu Apollen hin, Und wohnen beyde dann vereint zu Delphis, Verehrt von einem Volk das edel denkt;","norm":"Bringst du die Schwester zu Apollo hin, und wohnen beide dann vereint zu Delphi, verehrt von einem Volk das edel denkt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":346,"orig":"So wird für dieſe That das hohe Paar Dir gnädig ſeyn, ſie werden aus der Hand Der Unterird’ſchen dich erretten.","norm":"So wird für diese Tat das hohe Paar Dir gnädig sein, sie werden aus der Hand der Unterirdischen dich erretten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":347,"orig":"Schon In dieſen heil’gen Hain wagt keine ſich.","norm":"Schon in diesen heiligen Hain wagt keine sich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":348,"orig":"So hab’ ich wenigſtens geruh’gen Tod.","norm":"So habe ich wenigstens geruhigen Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":349,"orig":"Ganz anders denk’ ich, und nicht ungeſchickt Hab’ ich das ſchon Geſcheh’ne mit dem Künft’gen Verbunden und im ſtillen ausgelegt.","norm":"Ganz anders denke ich, und nicht ungeschickt Habe ich das schon Geschehene mit dem Künftigen Verbunden und im Stillen ausgelegt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":350,"orig":"Vielleicht reift in der Götter Rath ſchon lange Das große Werk.","norm":"Vielleicht reift in der Götter Rat schon lange das große Werk."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":351,"orig":"Diane ſehnet ſich Von dieſem rauhen Ufer der Barbaren Und ihren blut’gen Menſchenopfern weg.","norm":"Diane sehnet sich Von diesem rauen Ufer der Barbaren und ihren blutigen Menschenopfern weg."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":352,"orig":"Wir waren zu der ſchönen That beſtimmt, Uns wird ſie auferlegt, und ſeltſam ſind Wir an der Pforte ſchon gezwungen hier.","norm":"Wir waren zu der schönen Tat bestimmt, uns wird sie auferlegt, und seltsam sind wir an der Pforte schon gezwungen hier."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":353,"orig":"Mit ſeltner Kunſt flichſt du der Götter Rath Und deine Wünſche klug in eins zuſammen.","norm":"Mit seltener Kunst flichst du der Götter Rat und deine Wünsche klug in eins zusammen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":354,"orig":"Was iſt des Menſchen Klugheit, wenn ſie nicht Auf Jener Willen droben achtend lauſcht?","norm":"Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht auf jener Willen droben achtend lauscht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":355,"orig":"Zu einer ſchweren That beruft ein Gott Den edlen Mann, der viel verbrach, und legt Ihm auf was uns unmöglich ſcheint zu enden.","norm":"Zu einer schweren Tat beruft ein Gott den edlen Mann, der viel verbrach, und legt ihm auf was uns unmöglich scheint zu enden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":356,"orig":"Es ſiegt der Held, und büßend dienet er Den Göttern und der Welt, die ihn verehrt.","norm":"Es siegt der Held, und büßend dient er den Göttern und der Welt, die ihn verehrt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":357,"orig":"Bin ich beſtimmt, zu leben und zu handeln;","norm":"Bin ich bestimmt, zu leben und zu handeln;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":358,"orig":"So nehm’ ein Gott von meiner ſchweren Stirn Den Schwindel weg, der auf dem ſchlüpfrigen, Mit Mutterblut beſprengten Pfade fort Mich zu den Todten reißt.","norm":"So nehme ein Gott von meiner schweren Stirn den Schwindel weg, der auf dem schlüpfrigen, mit Mutterblut besprengten Pfade fort Mich zu den Toten reißt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":359,"orig":"Er trockne gnädig Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden Entgegen ſprudelnd, ewig mich befleckt.","norm":"Er trockne gnädig die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":360,"orig":"Erwart’ es ruhiger!","norm":"Erwarte es ruhiger!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":361,"orig":"Du mehrſt das Übel Und nimmſt das Amt der Furien auf dich.","norm":"Du mehrst das Übel und nimmst das Amt der Furien auf dich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":362,"orig":"Laß mich nur ſinnen, bleibe ſtill!","norm":"Lass mich nur sinnen, bleibe still!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":363,"orig":"Zuletzt, Bedarf’s zur That vereinter Kräfte, dann Ruf’ ich dich auf, und beyde ſchreiten wir Mit überlegter Kühnheit zur Vollendung.","norm":"Zuletzt, Bedarf es zur Tat vereinter Kräfte, dann Rufe ich dich auf, und beide schreiten wir mit überlegter Kühnheit zur Vollendung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":364,"orig":"Ich hör’ Ulyſſen reden.","norm":"Ich höre Ulysses reden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":365,"orig":"Spotte nicht.","norm":"Spotte nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":366,"orig":"Ein jeglicher muß ſeinen Helden wählen, Dem er die Wege zum Olymp hinauf Sich nacharbeitet.","norm":"Ein jeglicher muss seinen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":367,"orig":"Laß es mich geſtehn:","norm":"Lass es mich gestehen:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":368,"orig":"Mir ſcheinet Liſt und Klugheit nicht den Mann Zu ſchänden, der ſich kühnen Thaten weiht.","norm":"Mir scheinet List und Klugheit nicht den Mann zu schänden, der sich kühnen Taten weiht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":369,"orig":"Ich ſchätze den, der tapfer iſt und g’rad.","norm":"Ich schätze den, der tapfer ist und gerade."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":370,"orig":"Drum hab’ ich keinen Rath von dir verlangt.","norm":"Darum habe ich keinen Rat von dir verlangt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":371,"orig":"Schon iſt ein Schritt gethan.","norm":"Schon ist ein Schritt getan."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":372,"orig":"Von unſern Wächtern Hab’ ich bisher gar vieles ausgelockt.","norm":"Von unseren Wächtern habe ich bisher gar vieles ausgelockt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":373,"orig":"Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib Hält jenes blutige Geſetz gefeſſelt;","norm":"Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib hält jenes blutige Gesetz gefesselt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":374,"orig":"Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth Bringt ſie den Göttern dar.","norm":"Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet bringt sie den Göttern dar."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":375,"orig":"Man rühmet hoch Die Gütige; man glaubet, ſie entſpringe Vom Stamm der Amazonen, ſey geflohn, Um einem großen Unheil zu entgehn.","norm":"Man rühmt hoch die gütige; man glaubet, sie entspringe vom Stamm der Amazonen, sei geflohen, um einem großen Unheil zu entgehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":376,"orig":"Es ſcheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.","norm":"Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch wie eine breite Nacht verfolgt und deckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":377,"orig":"Die fromme Blutgier löſ’t den alten Brauch Von ſeinen Feſſeln los, uns zu verderben.","norm":"Die fromme Blutgier löst den alten Brauche von seinen Fesseln los, uns zu verderben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":378,"orig":"Der wilde Sinn des Königs tödtet uns;","norm":"Der wilde Sinn des Königs tötet uns;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":379,"orig":"Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.","norm":"Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":380,"orig":"Wohl uns, daß es ein Weib iſt!","norm":"Wohl uns, dass es ein Weib ist!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":381,"orig":"denn ein Mann, Der beſte ſelbſt, gewöhnet ſeinen Geiſt An Grauſamkeit, und macht ſich auch zuletzt Aus dem, was er verabſcheut, ein Geſetz, Wird aus Gewohnheit hart und faſt unkenntlich.","norm":"denn ein Mann, der beste selbst, gewöhnet seinen Geist an Grausamkeit, und macht sich auch zuletzt Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz, wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":382,"orig":"Allein ein Weib bleibt ſtät auf Einem Sinn, Den ſie gefaßt.","norm":"Allein ein Weib bleibt stet auf einem Sinn, den sie gefasst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":383,"orig":"Du rechneſt ſicherer Auf ſie im Guten wie im Böſen.","norm":"Du rechnest sicherer auf sie im Guten wie im Bösen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":384,"orig":"— Still!","norm":"— Still!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":385,"orig":"Sie kommt; laß uns allein.","norm":"Sie kommt; lass uns allein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":386,"orig":"Ich darf nicht gleich Ihr unſre Nahmen nennen, unſer Schickſal Nicht ohne Rückhalt ihr vertrau’n.","norm":"Ich darf nicht gleich Ihr unsere Namen nennen, unser Schicksal nicht ohne Rückhalt ihr vertrauen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":387,"orig":"Du gehſt, Und eh’ ſie mit dir ſpricht treff’ ich dich noch.","norm":"Du gehst, und ehe sie mit dir spricht treffe ich dich noch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":388,"orig":"Woher du ſeyſt und kommſt, o Fremdling, ſprich!","norm":"Woher du seist und kommst, o Fremdling, sprich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":389,"orig":"Mir ſcheint es, daß ich eher einem Griechen Als einem Scythen dich vergleichen ſoll.","norm":"Mir scheint es, dass ich eher einem Griechen als einem Skythen dich vergleichen soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":390,"orig":"Gefährlich iſt die Freyheit, die ich gebe;","norm":"Gefährlich ist die Freiheit, die ich gebe;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":391,"orig":"Die Götter wenden ab was euch bedroht!","norm":"Die Götter wenden ab was euch bedroht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":392,"orig":"O ſüße Stimme!","norm":"O süße Stimme!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":393,"orig":"Vielwillkommner Ton Der Mutterſprach’ in einem fremden Lande!","norm":"Vielwillkommener Ton der Muttersprache in einem fremden Lande!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":394,"orig":"Des väterlichen Hafens blaue Berge Seh’ ich Gefangner neu willkommen wieder Vor meinen Augen.","norm":"Des väterlichen Hafens blaue Berge sehe ich Gefangener neu willkommen wieder vor meinen Augen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":395,"orig":"Laß dir dieſe Freude Verſichern, daß auch ich ein Grieche bin!","norm":"Lass dir diese Freude Versichern, dass auch ich ein Grieche bin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":396,"orig":"Vergeſſen hab’ ich einen Augenblick, Wie ſehr ich dein bedarf, und meinen Geiſt Der herrlichen Erſcheinung zugewendet.","norm":"Vergessen habe ich einen Augenblick, wie sehr ich dein Bedarf, und meinen Geist der herrlichen Erscheinung zugewendet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":397,"orig":"O ſage, wenn dir ein Verhängniß nicht Die Lippe ſchließt, aus welchem unſrer Stämme Du deine göttergleiche Herkunft zählſt.","norm":"O sage, wenn dir ein Verhängnis nicht die Lippe schließt, aus welchem unserer Stämme Du Deine göttergleiche Herkunft zählst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":398,"orig":"Die Prieſterinn, von ihrer Göttinn ſelbſt Gewählet und geheiligt, ſpricht mit dir.","norm":"Die Priesterin, von ihrer Göttin selbst Gewählt und geheiligt, spricht mit dir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":399,"orig":"Das laß dir g’nügen; ſage, wer du ſeyſt Und welch unſelig-waltendes Geſchick Mit dem Gefährten dich hierher gebracht.","norm":"Das lass dir genügen; sage, wer du seist und welch unselig-waltendes Geschick mit dem Gefährten dich hierher gebracht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":400,"orig":"Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Übel Mit laſtender Geſellſchaft uns verfolgt.","norm":"Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Übel mit lastender Gesellschaft uns verfolgt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":401,"orig":"O könnteſt du der Hoffnung frohen Blick Uns auch ſo leicht, du Göttliche, gewähren!","norm":"O könntest du der Hoffnung frohen Blick uns auch so leicht, du göttliche, gewähren!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":402,"orig":"Aus Kreta ſind wir, Söhne des Adraſts:","norm":"Aus Kreta sind wir, Söhne des Adrasts:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":403,"orig":"Ich bin der jüngſte, Cephalus genannt, Und er Laodamas, der älteſte Des Hauſes.","norm":"Ich bin der jüngste, Cephalus genannt, und er Laodamas, der älteste des Hauses."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":404,"orig":"Zwiſchen uns ſtand rauh und wild Ein mittlerer, und trennte ſchon im Spiel Der erſten Jugend Einigkeit und Luſt.","norm":"Zwischen uns stand rau und wild ein mittlerer, und trennte schon im Spiel der ersten Jugend Einigkeit und Lust."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":405,"orig":"Gelaſſen folgten wir der Mutter Worten, So lang’ des Vaters Kraft vor Troja ſtritt;","norm":"Gelassen folgten wir der Mutter Worten, Solange des Vaters Kraft vor Troja stritt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":406,"orig":"Doch als er beutereich zurücke kam Und kurz darauf verſchied, da trennte bald Der Streit um Reich und Erbe die Geſchwiſter.","norm":"Doch als er beutereich zurücke kam und kurz darauf verschied, da trennte bald der Streit um Reich und Erbe die Geschwister."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":407,"orig":"Ich neigte mich zum Ältſten.","norm":"Ich neigte mich zum Ältesten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":408,"orig":"Er erſchlug Den Bruder.","norm":"Er erschlug den Bruder."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":409,"orig":"Um der Blutſchuld willen treibt Die Furie gewaltig ihn umher.","norm":"Um der Blutschuld willen treibt die Furie gewaltig ihn umher."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":410,"orig":"Doch dieſem wilden Ufer ſendet uns Apoll, der Delphiſche, mit Hoffnung zu.","norm":"Doch diesem wilden Ufer sendet uns Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":411,"orig":"Im Tempel ſeiner Schweſter hieß er uns Der Hülfe ſegensvolle Hand erwarten.","norm":"Im Tempel seiner Schwester hieß er uns der Hilfe segensvolle Hand erwarten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":412,"orig":"Gefangen ſind wir und hierher gebracht, Und dir als Opfer dargeſtellt.","norm":"Gefangen sind wir und hierher gebracht, und dir als Opfer dargestellt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":413,"orig":"Du weißt’s.","norm":"Du weißt es."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":414,"orig":"Fiel Troja?","norm":"Fiel Troja?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":415,"orig":"Theurer Mann, verſichr’ es mir.","norm":"Teurer Mann, versichere es mir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":416,"orig":"Es liegt.","norm":"Es liegt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":417,"orig":"O ſich’re du uns Rettung zu!","norm":"O sichre du uns Rettung zu!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":418,"orig":"Beſchleunige die Hülfe, die ein Gott Verſprach.","norm":"Beschleunige die Hilfe, die ein Gott versprach."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":419,"orig":"Erbarme meines Bruders dich.","norm":"Erbarme meines Bruders dich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":420,"orig":"O ſag’ ihm bald ein gutes holdes Wort;","norm":"O sage ihm bald ein gutes holdes Wort;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":421,"orig":"Doch ſchone ſeiner wenn du mit ihm ſprichſt, Das bitt’ ich eifrig: denn es wird gar leicht Durch Freud’ und Schmerz und durch Erinnerung Sein Innerſtes ergriffen und zerrüttet.","norm":"Doch schone seiner wenn du mit ihm sprichst, das bitte ich eifrig: denn es wird gar leicht durch Freude und Schmerz und durch Erinnerung Sein Innerstes ergriffen und zerrüttet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":422,"orig":"Ein ſieberhafter Wahnſinn fällt ihn an, Und ſeine ſchöne freye Seele wird Den Furien zum Raube hingegeben.","norm":"Ein fieberhafter Wahnsinn fällt ihn an, und seine schöne freie Seele wird den Furien zum Raube hingegeben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":423,"orig":"So groß dein Unglück iſt, beſchwör’ ich dich, Vergiß es, bis du mir genug gethan.","norm":"So groß dein Unglück ist, beschwöre ich dich, Vergiss es, bis du mir genug getan."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":424,"orig":"Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre Dem ganzen Heer der Griechen widerſtand, Liegt nun im Schutte, ſteigt nicht wieder auf.","norm":"Die hohe Stadt, die zehn lange Jahre dem ganzen Heer der Griechen widerstand, liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":425,"orig":"Doch manche Gräber unſrer Beſten heißen Uns an das Ufer der Barbaren denken.","norm":"Doch manche Gräber unserer Besten heißen Uns an das Ufer der Barbaren denken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":426,"orig":"Achill liegt dort mit ſeinem ſchönen Freunde.","norm":"Achill liegt dort mit seinem schönen Freunde."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":427,"orig":"So ſeyd ihr Götterbilder auch zu Staub!","norm":"So seid ihr Götterbilder auch zu Staub!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":428,"orig":"Auch Palamedes, Ajax Telamons, Sie ſahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.","norm":"Auch Palamedes, Ajax Telamons, Sie sahen des Vaterlandes Tag nicht wieder."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":429,"orig":"Er ſchweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht Mit den Erſchlagnen.","norm":"Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht mit den Erschlagenen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":430,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":431,"orig":"er lebt mir noch!","norm":"er lebt mir noch!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":432,"orig":"Ich werd’ ihn ſehn.","norm":"Ich werde ihn sehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":433,"orig":"O hoffe, liebes Herz!","norm":"O hoffe, liebes Herz!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":434,"orig":"Doch ſelig ſind die Tauſende, die ſtarben Den bitterſüßen Tod von Feindes Hand!","norm":"Doch selig sind die Tausende, die starben den bittersüßen Tod von Feindes Hand!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":435,"orig":"Denn wüſte Schrecken und ein traurig Ende Hat den Rückkehrenden ſtatt des Triumphs Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.","norm":"Denn wüste Schrecken und ein traurig Ende hat den Rückkehrenden statt des Triumphs ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":436,"orig":"Kommt denn der Menſchen Stimme nicht zu euch?","norm":"Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":437,"orig":"So weit ſie reicht, trägt ſie den Ruf umher Von unerhörten Thaten die geſchah’n.","norm":"So weit sie reicht, trägt sie den Ruf umher von unerhörten Taten die geschahen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":438,"orig":"So iſt der Jammer, der Mycenens Hallen Mit immer wiederhohlten Seufzern füllt, Dir ein Geheimniß?","norm":"So ist der Jammer, der Mykenes Hallen mit immer wiederholten Seufzern füllt, Dir ein Geheimnis?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":439,"orig":"— Klytemneſtra hat Mit Hülſ’ Ägiſthens den Gemahl berückt, Am Tage ſeiner Rückkehr ihn ermordet!","norm":"— Klytemnestra hat mit Hilfe Ägisthes den Gemahl berückt, am Tage seiner Rückkehr ihn ermordet!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":440,"orig":"— Ja du verehreſt dieſes Königs Haus!","norm":"— Ja du verehrest dieses Königs Haus!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":441,"orig":"Ich ſeh’ es, deine Bruſt bekämpft vergebens Das unerwartet ungeheure Wort.","norm":"Ich sehe es, deine Brust bekämpft vergebens das unerwartet ungeheure Wort."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":442,"orig":"Biſt du die Tochter eines Freundes?","norm":"Bist du die Tochter eines Freundes?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":443,"orig":"biſt Du nachbarlich in dieſer Stadt geboren?","norm":"bist Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":444,"orig":"Verbirg es nicht und rechne mir’s nicht zu, Daß ich der erſte dieſe Gräuel melde.","norm":"Verbirg es nicht und rechne mir es nicht zu, dass ich der erste diese Gräuel melde."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":445,"orig":"Sag’ an, wie ward die ſchwere That vollbracht?","norm":"Sage an, wie wurde die schwere Tat vollbracht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":446,"orig":"Am Tage ſeiner Ankunft, da der König Vom Bad’ erquickt und ruhig, ſein Gewand Aus der Gemahlinn Hand verlangend, ſtieg, Warf die Verderbliche ein faltenreich Und künſtlich ſich verwirrendes Gewebe Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;","norm":"Am Tage seiner Ankunft, da der König vom Bad erquickt und ruhig, sein Gewand aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg, warf die Verderbliche ein faltenreich Und künstlich sich verwirrendes Gewebe ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":447,"orig":"Und da er wie von einem Netze ſich Vergebens zu entwickeln ſtrebte, ſchlug Ägiſth ihn, der Verräther, und verhüllt Ging zu den Todten dieſer große Fürſt.","norm":"Und da er wie von einem Netze sich Vergebens zu entwickeln strebte, schlug Ägisth ihn, der Verräter, und verhüllt Ging zu den Toten dieser große Fürst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":448,"orig":"Und welchen Lohn erhielt der Mitverſchworne?","norm":"Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworene?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":449,"orig":"Ein Reich und Bette, das er ſchon beſaß.","norm":"Ein Reich und Bette, das er schon besaß."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":450,"orig":"So trieb zur Schandthat eine böſe Luſt?","norm":"So trieb zur Schandtat eine böse Lust?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":451,"orig":"Und einer alten Rache tief Gefühl.","norm":"Und einer alten Rache tief Gefühl."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":452,"orig":"Und wie beleidigte der König ſie?","norm":"Und wie beleidigte der König sie?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":453,"orig":"Mit ſchwerer That, die, wenn Entſchuldigung Des Mordes wäre, ſie entſchuldigte.","norm":"Mit schwerer Tat, die, wenn Entschuldigung des Mordes wäre, sie entschuldigte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":454,"orig":"Nach Aulis lockt’ er ſie und brachte dort, Als eine Gottheit ſich der Griechen Fahrt Mit ungeſtümen Winden widerſetzte, Die ältſte Tochter Iphigenien Vor den Altar Dianens, und ſie fiel Ein blutig Opfer für der Griechen Heil.","norm":"Nach Aulis lockte er sie und brachte dort, als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt mit ungestümen Winden widersetzte, die ältste Tochter Iphigenie vor den Altar Dianes, und sie fiel ein blutig Opfer für der Griechen Heil."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":455,"orig":"Dieß, ſagt man, hat ihr einen Widerwillen So tief in’s Herz geprägt, daß ſie dem Werben Ägiſthens ſich ergab und den Gemahl Mit Netzen des Verderbens ſelbſt umſchlang.","norm":"Dies, sagt man, hat ihr einen Widerwillen so tief ins Herz geprägt, dass sie dem Werben Ägisthes sich ergab und den Gemahl mit Netzen des Verderbens selbst umschlang."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":456,"orig":"Es iſt genug.","norm":"Es ist genug."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":457,"orig":"Du wirſt mich wiederſehn.","norm":"Du wirst mich wiedersehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":458,"orig":"Von dem Geſchick des Königs-Hauſes ſcheint Sie tief gerührt.","norm":"Von dem Geschick des Königshauses scheint Sie tief gerührt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":459,"orig":"Wer ſie auch immer ſey, So hat ſie ſelbſt den König wohl gekannt Und iſt, zu unſerm Glück, aus hohem Hauſe Hierher verkauft.","norm":"Wer sie auch immer sei, so hat sie selbst den König wohl gekannt und ist, zu unserem Glück, aus hohem Hause hierher verkauft."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":460,"orig":"Nur ſtille, liebes Herz, Und laß dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt, Mit frohem Muth uns klug entgegen ſteuern.","norm":"Nur stille, liebes Herz, und lass dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt, mit frohem Mut uns klug entgegensteuern."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":461,"orig":"Unglücklicher, ich löſe deine Bande Zum Zeichen eines ſchmerzlichern Geſchicks.","norm":"Unglücklicher, ich löse deine Bande zum Zeichen eines schmerzlicheren Geschicks."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":462,"orig":"Die Freyheit, die das Heiligthum gewährt, Iſt wie der letzte, lichte Lebensblick Des ſchwer Erkrankten, Todesbothe.","norm":"Die Freiheit, die das Heiligtum gewährt, ist wie der letzte, lichte Lebensblick des schwer Erkrankten, Todesbote."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":463,"orig":"Noch Kann ich es mir und darf es mir nicht ſagen, Daß ihr verloren ſeyd!","norm":"Noch kann ich es mir und darf es mir nicht sagen, dass ihr verloren seid!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":464,"orig":"Wie könnt’ ich euch Mit mörderiſcher Hand dem Tode weihen?","norm":"Wie könnte ich euch Mit mörderischer Hand dem Tode weihen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":465,"orig":"Und niemand, wer es ſey, darf euer Haupt, So lang’ ich Prieſterinn Dianens bin, Berühren.","norm":"Und niemand, wer es sei, darf euer Haupt, Solange ich Priesterin Dianes bin, Berühren."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":466,"orig":"Doch verweigr’ ich jene Pflicht, Wie ſie der aufgebrachte König fordert;","norm":"Doch verweigere ich jene Pflicht, wie sie der aufgebrachte König fordert;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":467,"orig":"So wählt er eine meiner Jungfraun mir Zur Folgerinn, und ich vermag alsdann Mit heißem Wunſch allein euch beyzuſtehn.","norm":"So wählt er eine meiner Jungfrauen mir Zur Folgerin, und ich vermag alsdann mit heißem Wunsch allein euch beizustehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":468,"orig":"O werther Landsmann!","norm":"O werter Landsmann!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":469,"orig":"Selbſt der letzte Knecht, Der an den Herd der Vatergötter ſtreifte, Iſt uns in fremdem Lande hoch willkommen;","norm":"Selbst der letzte Knecht, der an den Herd der Vatergötter streifte, ist uns in fremdem Lande hochwillkommen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":470,"orig":"Wie ſoll ich euch genug mit Freud’ und Segen Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden, Die ich von Eltern her verehren lernte, Entgegen bringet und das innre Herz Mit neuer ſchöner Hoffnung ſchmeichelnd labet!","norm":"Wie soll ich euch genug mit Freude und Segen empfangen, die ihr mir das Bild der Helden, die ich von Eltern her verehren lernte, entgegen bringt und das innere Herz mit neuer schöner Hoffnung schmeichelnd labet!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":471,"orig":"Verbirgſt du deinen Nahmen, deine Herkunſt Mit klugem Vorſatz?","norm":"Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft mit klugem Vorsatz?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":472,"orig":"oder darf ich wiſſen, Wer mir, gleich einer Himmliſchen, begegnet?","norm":"oder darf ich wissen, wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":473,"orig":"Du ſollſt mich kennen.","norm":"Du sollst mich kennen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":474,"orig":"Jetzo ſag’ mir an, Was ich nur halb von deinem Bruder hörte, Das Ende derer, die von Troja kehrend Ein hartes unerwartetes Geſchick Auf ihrer Wohnung Schwelle ſtumm empfing.","norm":"Jetzt sage mir an, was ich nur halb von deinem Bruder hörte, das Ende derer, die von Troja kehrend ein hartes unerwartetes Geschick auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":475,"orig":"Zwar ward ich jung an dieſen Strand geführt;","norm":"Zwar wurde ich jung an diesen Strand geführt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":476,"orig":"Doch wohl erinnr’ ich mich des ſcheuen Blicks, Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit Auf jene Helden warf.","norm":"Doch wohl erinnere ich mich des scheuen Blicks, den ich mit Staunen und mit Bangigkeit auf jene Helden warf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":477,"orig":"Sie zogen aus, Als hätte der Olymp ſich aufgethan Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt Zum Schrecken Ilions herabgeſendet, Und Agamemnon war vor allen herrlich!","norm":"Sie zogen aus, als hätte der Olymp sich aufgetan Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt zum Schrecken Ilions herabgesendet, und Agamemnon war vor allen herrlich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":478,"orig":"O ſage mir!","norm":"O sage mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":479,"orig":"Er fiel, ſein Haus betretend, Durch ſeiner Frauen und Ägiſthus Tücke?","norm":"Er fiel, sein Haus betretend, durch seiner Frauen und Ägisthus Tücke?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":480,"orig":"Du ſagſt’s!","norm":"Du sagst es!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":481,"orig":"Weh dir, unſeliges Mycen!","norm":"Weh dir, unseliges Mykene!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":482,"orig":"So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch Mit vollen wilden Händen ausgeſät!","norm":"So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch mit vollen wilden Händen ausgesät!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":483,"orig":"Und gleich dem Unkraut, wüſte Häupter ſchüttelnd Und tauſendfält’gen Samen um ſich ſtreuend, Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder Zur ew’gen Wechſelwuth erzeugt!","norm":"Und gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd und tausendfältigen Samen um sich streuend, den Kindeskindern nahverwandte Mörder zur ewigen Wechselwut erzeugt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":484,"orig":"— Enthülle, Was von der Rede deines Bruders ſchnell Die Finſterniß des Schreckens mir verdeckte.","norm":"— Enthülle, was von der Rede deines Bruders schnell die Finsternis des Schreckens mir verdeckte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":485,"orig":"Wie iſt des großen Stammes letzter Sohn, Das holde Kind, beſtimmt des Vaters Rächer Dereinſt zu ſeyn, wie iſt Oreſt dem Tage Des Bluts entgangen?","norm":"Wie ist des großen Stammes letzter Sohn, das holde Kind, bestimmt des Vaters Rächer dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage des Bluts entgangen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":486,"orig":"Hat ein gleich Geſchick Mit des Avernus Netzen ihn umſchlungen?","norm":"Hat ein gleich Geschick Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":487,"orig":"Iſt er gerettet?","norm":"Ist er gerettet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":488,"orig":"Lebt er?","norm":"Lebt er?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":489,"orig":"Lebt Elektra?","norm":"Lebt Elektra?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":490,"orig":"Sie leben.","norm":"Sie leben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":491,"orig":"Goldne Sonne, leihe mir Die ſchönſten Strahlen, lege ſie zum Dank Vor Jovis Thron!","norm":"Goldene Sonne, leihe mir Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank vor Jovis Thron!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":492,"orig":"denn ich bin arm und ſtumm.","norm":"denn ich bin arm und stumm."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":493,"orig":"Biſt du gaſtfreundlich dieſem Königs-Hauſe, Biſt du mit nähern Banden ihm verbunden, Wie deine ſchöne Freude mir verräth:","norm":"Bist du gastfreundlich diesem Königshause, bist du mit nähern Banden ihm verbunden, wie deine schöne Freude mir verrät:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":494,"orig":"So bändige dein Herz und halt es feſt!","norm":"So bändige dein Herz und halt es fest!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":495,"orig":"Denn unerträglich muß dem Fröhlichen Ein jäher Rückfall in die Schmerzen ſeyn.","norm":"Denn unerträglich muss dem Fröhlichen Ein jäher Rückfall in die Schmerzen sein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":496,"orig":"Du weißt nur, merk’ ich, Agamemnons Tod.","norm":"Du weißt nur, merke ich, Agamemnons Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":497,"orig":"Hab’ ich an dieſer Nachricht nicht genug?","norm":"Habe ich an dieser Nachricht nicht genug?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":498,"orig":"Du haſt des Gräuels Hälfte nur erfahren.","norm":"Du hast des Gräuels Hälfte nur erfahren."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":499,"orig":"Was fürcht’ ich noch?","norm":"Was fürchte ich noch?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":500,"orig":"Oreſt, Elektra leben.","norm":"Orest, Elektra leben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":501,"orig":"Und fürchteſt du für Klytemneſtren nichts?","norm":"Und fürchtest du für Klytaimnestra nichts?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":502,"orig":"Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.","norm":"Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":503,"orig":"Auch ſchied ſie aus dem Land der Hoffnung ab.","norm":"Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":504,"orig":"Vergoß ſie reuig wüthend ſelbſt ihr Blut?","norm":"Vergoss sie reuig wütend selbst ihr Blut?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":505,"orig":"Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.","norm":"Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":506,"orig":"Sprich deutlicher, daß ich nicht länger ſinne.","norm":"Sprich deutlicher, dass ich nicht länger sinne."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":507,"orig":"Die Ungewißheit ſchlägt mir tauſendfältig Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.","norm":"Die Ungewissheit schlägt mir tausendfältig die dunkeln Schwingen um das bange Haupt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":508,"orig":"So haben mich die Götter auserſehn Zum Bothen einer That, die ich ſo gern In’s klanglos-dumpſe Höhlenreich der Nacht Verbergen möchte?","norm":"So haben mich die Götter ausersehen zum Boten einer Tat, die ich so gern Ins klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht Verbergen möchte?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":509,"orig":"Wider meinen Willen Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf Auch etwas ſchmerzlich’s fodern und erhält’s.","norm":"Wider meinen Willen zwingt mich dein holder Mund; allein er darf auch etwas Schmerzliches fordern und erhält es."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":510,"orig":"Am Tage da der Vater fiel, verbarg Elektra rettend ihren Bruder:","norm":"Am Tage da der Vater fiel, verbarg Elektra rettend ihren Bruder:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":511,"orig":"Strophius, Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf, Erzog ihn neben ſeinem eignen Sohne, Der, Pylades genannt, die ſchönſten Bande Der Freundſchaft um den Angekommnen knüpfte.","norm":"Strophius, des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf, erzog ihn neben seinem eigenen Sohne, Der, Pylades genannt, die schönsten Bande der Freundschaft um den Angekommenen knüpfte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":512,"orig":"Und wie ſie wuchſen, wuchs in ihrer Seele Die brennende Begier des Königs Tod Zu rächen.","norm":"Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele die brennende Begier des Königs Tod zu rächen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":513,"orig":"Unverſehen, fremd gekleidet, Erreichen ſie Mycen, als brächten ſie Die Trauernachricht von Oreſtens Tode Mit ſeiner Aſche.","norm":"Unversehen, fremdgekleidet, Erreichen sie Mykene, als brächten sie die Trauernachricht von Orestes Tode mit seiner Asche."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":514,"orig":"Wohl empſänget ſie Die Königinn, ſie treten in das Haus.","norm":"Wohl empfängt sie die Königin, sie treten in das Haus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":515,"orig":"Elektren gibt Oreſt ſich zu erkennen;","norm":"Elektra gibt Orest sich zu erkennen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":516,"orig":"Sie bläſ’t der Rache Feuer in ihm auf, Das vor der Mutter heil’ger Gegenwart In ſich zurückgebrannt war.","norm":"Sie bläst der Rache Feuer in ihm auf, das vor der Mutter heiliger Gegenwart in sich zurückgebrannt war."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":517,"orig":"Stille führt Sie ihn zum Orte, wo ſein Vater fiel, Wo eine alte leichte Spur des frechVergoßnen Blutes oftgewaſchnen Boden Mit blaſſen ahndungsvollen Streifen färbte.","norm":"Stille führt Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel, wo eine alte leichte Spur des frech-vergossenen Blutes oft gewaschenen Boden mit blassen ahndungsvollen Streifen färbte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":518,"orig":"Mit ihrer Feuerzunge ſchilderte Sie jeden Umſtand der verruchten That, Ihr knechtiſch elend durchgebrachtes Leben, Den Übermuth der glücklichen Verräther, Und die Gefahren, die nun der Geſchwiſter Von einer ſtiefgeword’nen Mutter warteten;","norm":"Mit ihrer Feuerzunge schilderte Sie jeden Umstand der verruchten Tat, Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben, den Übermut der glücklichen Verräter, und die Gefahren, die nun der Geschwister von einer stiefgewordenen Mutter warteten;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":519,"orig":"Hier drang ſie jenen alten Dolch ihm auf, Der ſchon in Tantals Hauſe grimmig wüthete, Und Klytemneſtra fiel durch Sohnes- Hand.","norm":"Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf, der schon in Tantals Hause grimmig wütete, und Klytemnestra fiel durch Sohnes-Hand."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":520,"orig":"Unſterbliche, die ihr den reinen Tag Auf immer neuen Wolken ſelig leber, Habt ihr nur darum mich ſo manches Jahr Von Menſchen abgeſondert, mich ſo nah Bey euch gehalten, mir die kindliche Beſchäftigung, des heil’gen Feuers Gluth Zu nähren, aufgetragen, meine Seele Der Flamme gleich in ew’ger frommer Klarheit Zu euern Wohnungen hinaufgezogen, Daß ich nur meines Hauſes Gräuel ſpäter Und tiefer fühlen ſollte?","norm":"Unsterbliche, die ihr den reinen Tag auf immer neuen Wolken selig lebt, habt ihr nur darum mich so manches Jahr von Menschen abgesondert, mich so nah Bei euch gehalten, mir die kindliche Beschäftigung, des heiligen Feuers Glut zu nähren, aufgetragen, meine Seele der Flamme gleich in ewiger frommer Klarheit zu euren Wohnungen hinaufgezogen, dass ich nur meines Hauses Gräuel später und tiefer fühlen sollte?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":521,"orig":"— Sage mir Vom Unglückſel’gen!","norm":"— Sage mir Vom Unglückseligen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":522,"orig":"Sprich mir von Oreſt!","norm":"Sprich mir von Orest!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":523,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":524,"orig":"O könnte man von ſeinem Tode ſprechen!","norm":"O könnte man von seinem Tode sprechen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":525,"orig":"Wie gährend ſtieg aus der Erſchlagnen Blut Der Mutter Geiſt Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu: „Laßt nicht den Muttermörder entfliehn!","norm":"Wie gärend stieg aus der erschlagenen Blut der Mutter Geist und ruft der Nacht uralten Töchtern zu: „Lasst nicht den Muttermörder entfliehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":526,"orig":"Verfolgt den Verbrecher!","norm":"Verfolgt den Verbrecher!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":527,"orig":"Euch iſt er geweiht!“ Sie horchen auf, es ſchaut ihr hohler Blick Mit der Begier des Adlers um ſich her.","norm":"Euch ist er geweiht!“ Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick mit der Begier des Adlers um sich her."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":528,"orig":"Sie rühren ſich in ihren ſchwarzen Höhlen, Und aus den Winkeln ſchleichen ihre Gefährten, Der Zweifel und die Reue, leiſ’ herbey.","norm":"Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen, und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten, der Zweifel und die Reue, leis herbei."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":529,"orig":"Vor ihnen ſteigt ein Dampf vom Acheron;","norm":"Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":530,"orig":"In ſeinen Wolkenkreiſen wälzet ſich Die ewige Betrachtung des Geſcheh’nen Verwirrend um des Schuld’gen Haupt umher.","norm":"In seinen Wolkenkreisen wälzet sich Die ewige Betrachtung des Geschehenen verwirrend um des schuldigen Haupt umher."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":531,"orig":"Und ſie, berechtigt zum Verderben, treten Der gottbeſäten Erde ſchönen Boden, Von dem ein alter Fluch ſie längſt verbannte.","norm":"Und sie, berechtigt zum Verderben, treten der gottbesäten Erde schönen Boden, von dem ein alter Fluch sie längst verbannte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":532,"orig":"Den Flüchtigen verfolgt ihr ſchneller Fuß;","norm":"Den Flüchtigen verfolgt ihr schneller Fuß;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":533,"orig":"Sie geben nur um neu zu ſchrecken Raſt.","norm":"Sie geben nur um neu zu schrecken Rast."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":534,"orig":"Unſeliger, du biſt in gleichem Fall, Und fühlſt was er, der arme Flüchtling, leidet!","norm":"Unseliger, du bist in gleichem Fall, und fühlst was er, der arme Flüchtling, leidet!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":535,"orig":"Was ſagſt du mir?","norm":"Was sagst du mir?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":536,"orig":"Was wähnſt du gleichen Fall?","norm":"Was wähnst du gleichen Fall?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":537,"orig":"Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir Vertraute dieß dein jüngſter Bruder ſchon.","norm":"Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir Vertraute dies dein jüngster Bruder schon."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":538,"orig":"Ich kann nicht leiden, daß du große Seele Mit einem falſchen Wort betrogen werdeſt.","norm":"Ich kann nicht leiden, dass du große Seele mit einem falschen Wort betrogen werdest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":539,"orig":"Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder Dem Fremden, ſinnreich und der Liſt gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwiſchen uns Sey Wahrheit!","norm":"Ein lügenhaft Gewebe knüpfe ein Fremder dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, zur Falle vor die Füße; zwischen uns Sei Wahrheit!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":540,"orig":"Ich bin Oreſt!","norm":"Ich bin Orest!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":541,"orig":"und dieſes ſchuld’ge Haupt Senkt nach der Grube ſich und ſucht den Tod;","norm":"und dieses schuldige Haupt senkt nach der Grube sich und sucht den Tod;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":542,"orig":"In jeglicher Geſtalt ſey er willkommen!","norm":"In jeglicher Gestalt sei er willkommen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":543,"orig":"Wer du auch ſeyſt, ſo wünſch’ ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünſch’ ich ſie nicht.","norm":"Wer du auch seist, so wünsche ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünsche ich sie nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":544,"orig":"Du ſcheinſt hier wider Willen zu verweilen;","norm":"Du scheinst hier wider Willen zu verweilen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":545,"orig":"Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier.","norm":"Erfindet Rat zur Flucht und lasst mich hier."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":546,"orig":"Es ſtürze mein entſeelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut, Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!","norm":"Es stürze mein entseelter Leib vom Fels, es rauche bis zum Meer hinab mein Blut, und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":547,"orig":"Geht ihr, daheim im ſchönen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen.","norm":"Geht ihr, daheim im schönen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":548,"orig":"So ſteigſt du denn, Erfüllung, ſchönſte Tochter Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!","norm":"So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter des größten Vaters, endlich zu mir nieder!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":549,"orig":"Wie ungeheuer ſteht dein Bild vor mir!","norm":"Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":550,"orig":"Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt Die Schätze des Olympus niederbringen.","norm":"Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die mit Frucht und Segenskränzen angefüllt die Schätze des Olympus niederbringen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":551,"orig":"Wie man den König an dem Übermaß Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen Was Tauſenden ſchon Reichthum iſt; ſo kennt Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang’ Und weiſe zubereiteten Geſchenken.","norm":"Wie man den König an dem Übermaß der Gaben kennt: denn ihm muss wenig scheinen was Tausenden schon Reichtum ist; so kennt man euch, ihr Götter, an gesparten, lange und weise zubereiteten Geschenken."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":552,"orig":"Denn ihr allein wißt was uns frommen kann, Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle Die Ausſicht uns verdeckt.","norm":"Denn ihr allein wisst was uns frommen kann, und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich, wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle die Aussicht uns verdeckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":553,"orig":"Gelaſſen hört Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung Euch kindiſch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte;","norm":"Gelassen hört Ihr unser Flehen, das um Beschleunigung Euch kindisch bittet; aber eure Hand bricht unreif nie die goldenen Himmelsfrüchte;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":554,"orig":"Und wehe dem, der ungeduldig ſie Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod’ Genießt.","norm":"Und wehe dem, der ungeduldig sie Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod genießt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":555,"orig":"O laßt das lang’ erwartete, Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten Des abgeſchiednen Freundes, eitel mir Und dreyfach ſchmerzlicher vorübergehn!","norm":"O lasst das lange erwartete, noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten des abgeschiedenen Freundes, eitel mir Und dreifach schmerzlicher vorübergehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":556,"orig":"Rufſt du die Götter an für dich und Pylades, So nenne meinen Nahmen nicht mit euerm.","norm":"Rufst du die Götter an für dich und Pylades, so nenne meinen Namen nicht mit eurem."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":557,"orig":"Du retteſt den Verbrecher nicht zu dem Du dich geſell’ſt, und theileſt Fluch und Noth.","norm":"Du rettest den Verbrecher nicht zu dem Du Dich gesellst, und teilest Fluch und Not"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":558,"orig":"Mein Schickſal iſt an deines feſt gebunden.","norm":"Mein Schicksal ist an deines fest gebunden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":559,"orig":"Mit nichten!","norm":"Mit nichten!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":560,"orig":"Laß allein und unbegleitet Mich zu den Todten gehn.","norm":"Lass allein und unbegleitet Mich zu den Toten gehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":561,"orig":"Verhüllteſt du In deinen Schleyer ſelbſt den Schuldigen;","norm":"Verhülltest du in deinen Schleier selbst den Schuldigen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":562,"orig":"Du birgſt ihn nicht vorm Blick der immer Wachen, Und deine Gegenwart, du Himmliſche, Drängt ſie nur ſeitwärts und verſcheucht ſie nicht.","norm":"Du birgst ihn nicht vorm Blick der immer Wachen, und deine Gegenwart, du himmlische, drängt sie nur seitwärts und verscheucht sie nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":563,"orig":"Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen Des heil’gen Waldes Boden nicht betreten;","norm":"Sie dürfen mit den ehernen frechen Füßen des heiligen Waldes Boden nicht betreten;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":564,"orig":"Doch hör’ ich aus der Ferne hier und da Ihr gräßliches Gelächter.","norm":"Doch höre ich aus der Ferne hier und da Ihr grässliches Gelächter."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":565,"orig":"Wölfe harren So um den Baum, auf den ein Reiſender Sich rettete.","norm":"Wölfe harren so um den Baum, auf den ein Reisender sich rettete."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":566,"orig":"Da draußen ruhen ſie Gelagert; und verlaß ich dieſen Hain, Dann ſteigen ſie, die Schlangenhäupter ſchüttelnd, Von allen Seiten Staub erregend auf Und treiben ihre Beute vor ſich her.","norm":"Da draußen ruhen sie Gelagert; und verlass ich diesen Hain, dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd, von allen Seiten Staub erregend auf Und treiben ihre Beute vor sich her."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":567,"orig":"Kannſt du, Oreſt, ein freundlich Wort vernehmen?","norm":"Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":568,"orig":"Spar’ es für einen Freund der Götter auf.","norm":"Spare es für einen Freund der Götter auf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":569,"orig":"Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.","norm":"Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":570,"orig":"Durch Rauch und Qualm ſeh’ ich den matten Schein Des Todtenfluſſes mir zur Hölle leuchten.","norm":"Durch Rauch und Qualm sehe ich den matten Schein des Totenflusses mir zur Hölle leuchten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":571,"orig":"Haſt du Elektren, Eine Schweſter nur?","norm":"Hast du Elektra, eine Schwester nur?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":572,"orig":"Die Eine kannt’ ich; doch die ältſte nahm Ihr gut Geſchick, das uns ſo ſchrecklich ſchien, Bey Zeiten aus dem Elend unſers Hauſes.","norm":"Die Eine kannte ich; doch die ältste nahm Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien, Beizeiten aus dem Elend unseres Hauses."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":573,"orig":"O laß dein Fragen, und geſelle dich Nicht auch zu den Erinnyen; ſie blaſen Mir ſchadenfroh die Aſche von der Seele, Und leiden nicht, daß ſich die letzten Kohlen Von unſers Hauſes Schreckensbrande ſtill In mir verglimmen.","norm":"O lass dein Fragen, und geselle dich Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen mir schadenfroh die Asche von der Seele, und leiden nicht, dass sich die letzten Kohlen von unseres Hauses Schreckensbrande still in mir verglimmen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":574,"orig":"Soll die Gluth denn ewig, Vorſetzlich angefacht, mit Höllenſchwefel Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?","norm":"Soll die Glut denn ewig, vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel genährt, mir auf der Seele marternd brennen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":575,"orig":"Ich bringe ſüßes Räuchwerk in die Flamme.","norm":"Ich bringe süßes Rauchwerk in die Flamme."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":576,"orig":"O laß den reinen Hauch der Liebe dir Die Gluth des Buſens leiſe wehend kühlen.","norm":"O lass den reinen Hauch der Liebe dir die Glut des Busens leise wehend kühlen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":577,"orig":"Oreſt, mein Theurer, kannſt du nicht vernehmen?","norm":"Orest, mein Teurer, kannst du nicht vernehmen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":578,"orig":"Hat das Geleit der Schreckensgötter ſo Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?","norm":"Hat das Geleit der Schreckensgötter so das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":579,"orig":"Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gorgone, Verſteinernd dir ein Zauber durch die Glieder?","norm":"Schleicht, wie vom Haupt der grässlichen Gorgonen, versteinernd dir ein Zauber durch die Glieder?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":580,"orig":"O wenn vergoßnen Mutterblutes Stimme Zur Höll’ hinab mit dumpfen Tönen ruft:","norm":"O wenn vergoßenen Mutterblutes Stimme zur Hölle hinab mit dumpfen Tönen ruft:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":581,"orig":"Soll nicht der reinen Schweſter Segenswort Hülfreiche Götter vom Olympus rufen?","norm":"Soll nicht der reinen Schwester Segenswort hilfreiche Götter vom Olympus rufen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":582,"orig":"Es ruft!","norm":"Es ruft!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":583,"orig":"es ruft!","norm":"es ruft!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":584,"orig":"So willſt du mein Verderben?","norm":"So willst du mein Verderben?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":585,"orig":"Verbirgt in dir ſich eine Rachegöttinn?","norm":"Verbirgt in dir sich eine Rachegöttin?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":586,"orig":"Wer biſt du, deren Stimme mir entſetzlich Das Innerſte in ſeinen Tiefen wendet?","norm":"Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich Das Innerste in seinen Tiefen wendet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":587,"orig":"Es zeigt ſich dir im tiefſten Herzen an:","norm":"Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":588,"orig":"Oreſt, ich bin’s!","norm":"Orest, ich bin es!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":589,"orig":"ſieh Iphigenien!","norm":"sieh Iphigenie!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":590,"orig":"Ich lebe!","norm":"Ich lebe!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":591,"orig":"Du!","norm":"Du!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":592,"orig":"Mein Bruder!","norm":"Mein Bruder!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":593,"orig":"Laß!","norm":"Lass!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":594,"orig":"Hinweg!","norm":"Hinweg!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":595,"orig":"Ich rathe dir, berühre nicht die Locken!","norm":"Ich rate dir, berühre nicht die Locken!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":596,"orig":"Wie von Kreuſa’s Brautkleid zündet ſich Ein unauslöſchlich Feuer von mir fort.","norm":"Wie von Kreusas Brautkleid zündet sich Ein unauslöschlich Feuer von mir fort."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":597,"orig":"Laß mich!","norm":"Lass mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":598,"orig":"Wie Herkules will ich Unwürd’ger Den Tod voll Schmach, in mich verſchloſſen, ſterben.","norm":"Wie Herkules will ich unwürdiger den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":599,"orig":"Du wirſt nicht untergehn!","norm":"Du wirst nicht untergehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":600,"orig":"O daß ich nur Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!","norm":"O dass ich nur Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":601,"orig":"O löſe meine Zweifel, laß des Glückes, Des lang’ erflehten, mich auch ſicher werden.","norm":"O löse meine Zweifel, lass des Glückes, des lange erflehten, mich auch sicher werden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":602,"orig":"Es wälzet ſich ein Rad von Freud’ und Schmerz Durch meine Seele.","norm":"Es wälzet sich ein Rad von Freude und Schmerz durch meine Seele."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":603,"orig":"Von dem fremden Manne Entfernet mich ein Schauer; doch es reiß’t Mein Innerſtes gewaltig mich zum Bruder.","norm":"Von dem fremden Manne entfernt mich ein Schauer; doch es reißt Mein innerstes gewaltig mich zum Bruder."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":604,"orig":"Iſt hier Lyäens Tempel?","norm":"Ist hier Lyäens Tempel?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":605,"orig":"und ergreift Unbändig-heil ’ ge Wuth die Prieſterinn?","norm":"und ergreift Unbändig-heil' ge Wut die Priesterin?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":606,"orig":"O höre mich!","norm":"O höre mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":607,"orig":"O ſieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz ſich öffnet, Der Seligkeit, dem Liebſten, was die Welt Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küſſen, Mit meinen Armen, die den leeren Winden Nur ausgebreitet waren, dich zu faſſen.","norm":"O sieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet, der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen, mit meinen Armen, die den leeren Winden nur ausgebreitet waren, dich zu fassen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":608,"orig":"O laß mich!","norm":"O lass mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":609,"orig":"Laß mich!","norm":"Lass mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":610,"orig":"Denn es quillet heller Nicht vom Parnaß die ew’ge Quelle ſprudelnd Von Fels zu Fels in’s gold’ne Thal hinab, Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt, Und wie ein ſelig Meer mich rings umfängt.","norm":"Denn es quillt heller nicht vom Parnass die ewige Quelle sprudelnd von Fels zu Fels ins goldene Tal hinab, wie Freude mir vom Herzen wallend fließt, und wie ein selig Meer mich rings umfängt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":611,"orig":"Oreſt!","norm":"Orest!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":612,"orig":"Oreſt!","norm":"Orest!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":613,"orig":"Mein Bruder!","norm":"Mein Bruder!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":614,"orig":"Schöne Nymphe, Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.","norm":"Schöne Nymphe, Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":615,"orig":"Diana fordert ſtrenge Dienerinnen Und rächet das entweih’te Heiligthum.","norm":"Diana fordert strenge Dienerinnen und rächet das entweihte Heiligtum."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":616,"orig":"Entferne deinen Arm von meiner Bruſt!","norm":"Entferne deinen Arm von meiner Brust!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":617,"orig":"Und wenn du einen Jüngling rettend lieben, Das ſchöne Glück ihm zärtlich biethen willſt;","norm":"Und wenn du einen Jüngling rettend lieben, das schöne Glück ihm zärtlich bieten willst;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":618,"orig":"So wende meinem Freunde dein Gemüth, Dem würd’gern Manne zu.","norm":"So wende meinem Freunde dein Gemüt, dem würdigeren Manne zu."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":619,"orig":"Er irr’t umher Auf jenem Felſenpfade; ſuch’ ihn auf, Weiſ’ ihn zurecht und ſchone meiner.","norm":"Er irrt umher auf jenem Felsenpfade; suche ihn auf, Weise ihn zurecht und schone meiner."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":620,"orig":"Faſſe Dich, Bruder, und erkenne die Gefund’ne!","norm":"Fasse Dich, Bruder, und erkenne die Gefundene!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":621,"orig":"Schilt einer Schweſter reine Himmelsfreude Nicht unbeſonnene, ſtrafbare Luſt.","norm":"Scheltet einer Schwester reine Himmelsfreude nicht unbesonnene, strafbare Lust."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":622,"orig":"O nehmt den Wahn ihm von dem ſtarren Auge, Daß uns der Augenblick der höchſten Freude Nicht dreyfach elend mache!","norm":"O nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge, dass uns der Augenblick der höchsten Freude nicht dreifach elend mache!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":623,"orig":"Sie iſt hier, Die längſt verlorne Schweſter.","norm":"Sie ist hier, die längst verlorene Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":624,"orig":"Vom Altar Riß mich die Göttinn weg und rettete Hierher mich in ihr eigen Heiligthum.","norm":"Vom Altar Riss mich die Göttin weg und rettete hierher mich in ihr eigen Heiligtum."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":625,"orig":"Gefangen biſt du, dargeſtellt zum Opfer, Und findeſt in der Prieſterinn die Schweſter.","norm":"Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer, und findest in der Priesterin die Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":626,"orig":"Unſelige!","norm":"Unselige!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":627,"orig":"So mag die Sonne denn Die letzten Gräuel unſers Hauſes ſehn!","norm":"So mag die Sonne denn die letzten Gräuel unseres Hauses sehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":628,"orig":"Iſt nicht Elektra hier?","norm":"Ist nicht Elektra hier?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":629,"orig":"damit auch ſie Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben Zu ſchwererem Geſchick’ und Leiden friſte.","norm":"damit auch sie Mit uns zugrunde gehe, nicht ihr Leben zu schwererem Geschick und Leiden friste."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":630,"orig":"Gut, Prieſterinn!","norm":"Gut, Priesterin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":631,"orig":"ich folge zum Altar: Der Brudermord iſt hergebrachte Sitte Des alten Stammes; und ich danke, Götter, Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten Beſchloſſen habt.","norm":"ich folge zum Altar: Der Brudermord ist hergebrachte Sitte des alten Stammes; und ich danke, Götter, dass ihr mich ohne Kinder auszurotten beschlossen habt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":632,"orig":"Und laß dir rathen, habe Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne;","norm":"Und lass dir raten, habe die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":633,"orig":"Komm, folge mir in’s dunkle Reich hinab!","norm":"Komme, folge mir ins dunkle Reich hinab!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":634,"orig":"Wie ſich vom Schwefelpfuhl’ erzeugte Drachen Bekämpfend die verwandte Brut verſchlingen, Zerſtört ſich ſelbſt das wüthende Geſchlecht;","norm":"Wie sich vom Schwefelpfuhl erzeugte Drachen bekämpfend die verwandte Brut verschlingen, zerstört sich selbst das wütende Geschlecht;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":635,"orig":"Komm kinderlos und ſchuldlos mit hinab!","norm":"Komme kinderlos und schuldlos mit hinab!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":636,"orig":"Du ſiehſt mich mit Erbarmen an?","norm":"Du siehst mich mit Erbarmen an?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":637,"orig":"Laß ab!","norm":"Lass ab!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":638,"orig":"Mit ſolchen Blicken ſuchte Klytemneſtra Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;","norm":"Mit solchen Blicken suchte Klytemnestra sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":639,"orig":"Doch ſein geſchwung’ner Arm traf ihre Bruſt.","norm":"Doch sein geschwungener Arm traf ihre Brust."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":640,"orig":"Die Mutter fiel!","norm":"Die Mutter fiel!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":641,"orig":"— Tritt auf, unwill’ger Geiſt!","norm":"— Tritt auf, unwilliger Geist!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":642,"orig":"Im Kreis geſchloſſen tretet an, ihr Furien, Und wohnet dem willkommnen Schauſpiel bey, Dem letzten, gräßlichſten, das ihr bereitet!","norm":"Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien, und wohnt dem willkommenen Schauspiel bei, dem letzten, grässlichsten, das ihr bereitet!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":643,"orig":"Nicht Haß und Rache ſchärfen ihren Dolch;","norm":"Nicht Hass und Rache schärfen ihren Dolch;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":644,"orig":"Die liebevolle Schweſter wird zur That Gezwungen.","norm":"Die liebevolle Schwester wird zur Tat gezwungen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":645,"orig":"Weine nicht!","norm":"Weine nicht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":646,"orig":"Du haſt nicht Schuld.","norm":"Du hast nicht Schuld."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":647,"orig":"Seit meinen erſten Jahren hab’ ich nichts Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schweſter.","norm":"Seit meinen ersten Jahren habe ich nichts Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":648,"orig":"Ja, ſchwinge deinen Stahl, verſchone nicht, Zerreiße dieſen Buſen, und eröffne Den Strömen die hier ſieden einen Weg.","norm":"Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht, Zerreiße diesen Busen, und eröffne den Strömen die hier sieden einen Weg."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":649,"orig":"Allein zu tragen dieſes Glück und Elend Vermag ich nicht.","norm":"Allein zu tragen dieses Glück und Elend vermag ich nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":650,"orig":"— Wo biſt du, Pylades?","norm":"— Wo bist du, Pylades?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":651,"orig":"Wo find’ ich deine Hülfe, theurer Mann?","norm":"Wo finde ich deine Hilfe, teurer Mann?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":652,"orig":"Noch einen!","norm":"Noch einen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":653,"orig":"reiche mir aus Lethe’s Fluthen Den letzten kühlen Becher der Erquickung!","norm":"reiche mir aus Lethes Fluten den letzten kühlen Becher der Erquickung!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":654,"orig":"Bald iſt der Krampf des Lebeus aus dem Buſen Hinweggeſpült; bald fließet ſtill mein Geiſt, Der Quelle des Vergeſſens hingegeben, Zu euch, ihr Schatten, in die ew’gen Nebel.","norm":"Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen hinweggespült; bald fließet still mein Geist, der Quelle des Vergessens hingegeben, zu euch, ihr Schatten, in die ewigen Nebel."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":655,"orig":"Gefällig laßt in eurer Ruhe ſich Den umgetriebnen Sohn der Erde laben!","norm":"Gefällig lasst in eurer Ruhe sich Den umgetriebenen Sohn der Erde laben!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":656,"orig":"— Welch ein Geliſpel hör’ ich in den Zweigen, Welch ein Geräuſch aus jener Dämmrung ſäuſeln?","norm":"— Welch ein Gelispel höre ich in den Zweigen, Welch ein Geräusch aus jener Dämmerung säuseln?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":657,"orig":"Sie kommen ſchon den neuen Gaſt zu ſehn!","norm":"Sie kommen schon den neuen Gast zu sehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":658,"orig":"Wer iſt die Schaar, die herrlich mit einander Wie ein verſammelt Fürſtenhaus ſich freut?","norm":"Wer ist die Schar, die herrlich miteinander Wie ein versammelt Fürstenhaus sich freut?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":659,"orig":"Sie gehen friedlich, Alt’ und Junge, Männer Mit Weibern; göttergleich und ähnlich ſcheinen Die wandelnden Geſtalten.","norm":"Sie gehen friedlich, Alte und Junge, Männer mit Weibern; göttergleich und ähnlich scheinen die wandelnden Gestalten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":660,"orig":"Ja, ſie ſind’s, Die Ahnherrn meines Hauſes!","norm":"Ja, sie sind es, die Ahnherrn meines Hauses!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":661,"orig":"— Mit Thyeſten Geht Atreus in vertraulichen Geſprächen, Die Knaben ſchlüpfen ſcherzend um ſie her.","norm":"— Mit Thyesten geht Atreus in vertraulichen Gesprächen, die Knaben schlüpfen scherzend um sie her."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":662,"orig":"Iſt keine Feindſchaft hier mehr unter euch?","norm":"Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":663,"orig":"Verloſch die Rache wie das Licht der Sonne?","norm":"Verlosch die Rache wie das Licht der Sonne?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":664,"orig":"So bin auch ich willkommen, und ich darf In euern feierlichen Zug mich miſchen.","norm":"So bin auch ich willkommen, und ich darf in euren feierlichen Zug mich mischen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":665,"orig":"Willkommen, Väter!","norm":"Willkommen, Väter!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":666,"orig":"euch grüßt Oreſt, Von euerm Stamm der letzte Mann;","norm":"euch grüßt Orest, von eurem Stamme der letzte Mann;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":667,"orig":"Was ihr geſa’t, hat er geärntet: Mit Fluch beladen ſtieg er herab.","norm":"Was ihr gesät, hat er geerntet: Mit Fluch beladen stieg er herab."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":668,"orig":"Doch leichter träger ſich hier jede Bürde:","norm":"Doch leichter trägt sich hier jede Bürde:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":669,"orig":"Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis!","norm":"Nehmt ihn, o nehmt ihn in euren Kreis!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":670,"orig":"— Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyeſten;","norm":"— Dich, Atreus, ehre ich, auch dich Thyesten;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":671,"orig":"Wir ſind hier alle der Feindſchaft los.","norm":"Wir sind hier alle der Feindschaft los."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":672,"orig":"— Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal Im Leben ſah!","norm":"— Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal im Leben sah!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":673,"orig":"— Biſt du’s, mein Vater?","norm":"— Bist du es, mein Vater?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":674,"orig":"Und führſt die Mutter vertraut mit dir?","norm":"Und führst die Mutter vertraut mit dir?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":675,"orig":"Darf Klytemneſtra die Hand dir reichen;","norm":"Darf Klytemnestra die Hand dir reichen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":676,"orig":"So darf Oreſt auch zu ihr treten Und darf ihr ſagen: ſieh deinen Sohn!","norm":"So darf Orest auch zu ihr treten und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":677,"orig":"— Seht euern Sohn!","norm":"— Seht euren Sohn!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":678,"orig":"Heißt ihn willkommen.","norm":"Heißt ihn willkommen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":679,"orig":"Auf Erden war in unſerm Hauſe Der Gruß des Mordes gewiſſe Loſung, Und das Geſchlecht des alten Tantalus Hat ſeine Freuden jenſeits der Nacht.","norm":"Auf Erden war in unserem Hause der Gruß des Mordes gewisse Losung, und das Geschlecht des alten Tantalus hat seine Freuden jenseits der Nacht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":680,"orig":"Ihr ruft, Willkommen!","norm":"Ihr ruft, Willkommen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":681,"orig":"und nehmt mich auf!","norm":"und nehmt mich auf!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":682,"orig":"O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!","norm":"O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":683,"orig":"Wo iſt der Alte?","norm":"Wo ist der Alte?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":684,"orig":"daß ich ihn ſehe, Das theure Haupt, das vielverehrte, Das mit den Göttern zu Rathe ſaß.","norm":"dass ich ihn sehe, das teure Haupt, das vielverehrte, das mit den Göttern zu Rate saß."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":685,"orig":"Ihr ſcheint zu zaudern, euch wegzuwenden?","norm":"Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":686,"orig":"Was iſt es?","norm":"Was ist es?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":687,"orig":"Leidet der Göttergleiche?","norm":"Leidet der Göttergleiche?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":688,"orig":"Weh mir!","norm":"Weh mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":689,"orig":"es haben die Übermächt’gen Der Heldenbruſt grauſame Qualen Mit ehrnen Ketten feſt aufgeſchmiedet.","norm":"es haben die Übermächtigen der Heldenbrust grausame Qualen mit ehernen Ketten fest aufgeschmiedet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":690,"orig":"Seyd ihr auch ſchon herabgekommen?","norm":"Seid ihr auch schon herabgekommen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":691,"orig":"Wohl Schweſter dir!","norm":"Wohl Schwester dir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":692,"orig":"Noch fehlt Elektra:","norm":"Noch fehlt Elektra:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":693,"orig":"Ein güt’ger Gott ſend’ uns die Eine Mit ſanften Pfeilen auch ſchnell herab.","norm":"Ein gütiger Gott sende uns die Eine mit sanften Pfeilen auch schnell herab."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":694,"orig":"Dich, armer Freund, muß ich bedauern!","norm":"Dich, armer Freund, muss ich bedauern!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":695,"orig":"Komm mit!","norm":"Komme mit!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":696,"orig":"Komm mit!","norm":"Komme mit!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":697,"orig":"zu Pluto’s Thron.","norm":"zu Plutos Thron."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":698,"orig":"Als neue Gäſte den Wirth zu grüßen.","norm":"Als neue Gäste den Wirt zu grüßen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":699,"orig":"Geſchwiſter, die ihr an dem weiten Himmel Das ſchöne Licht bey Tag und Nacht herauf Den Menſchen bringet, und den Abgeſchiednen Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geſchwiſter!","norm":"Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel das schöne Licht bei Tag und Nacht herauf den Menschen bringt, und den Abgeschiedenen Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geschwister!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":700,"orig":"Du liebſt, Diane, deinen holden Bruder Vor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet, Und wendeſt dein jungfräulich Angeſicht Nach ſeinem ew’gen Lichte ſehnend ſtill.","norm":"Du liebst, Diane, deinen holden Bruder vor allem, was dir Erde und Himmel bietet, und wendest dein jungfräulich Angesicht nach seinem ewigen Lichte sehnend still."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":701,"orig":"O laß den einz’gen ſpätgefundnen mir Nicht in der Finſterniß des Wahnſinns raſen!","norm":"O lass den einzigen spätgefundenen mir Nicht in der Finsternis des Wahnsinns rasen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":702,"orig":"Und iſt dein Wille, da du hier mich bargſt, Nunmehr vollendet, willſt du mir durch ihn Und ihm durch mich die ſel’ge Hülfe geben;","norm":"Und ist dein Wille, da du hier mich bargst, nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn Und ihm durch mich die selige Hilfe geben;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":703,"orig":"So löſ’ ihn von den Banden jenes Fluchs, Daß nicht die theure Zeit der Rettung ſchwinde.","norm":"So löse ihn von den Banden jenes Fluchs, dass nicht die teure Zeit der Rettung schwinde."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":704,"orig":"Erkennſt du uns und dieſen heil’gen Hain Und dieſes Licht, das nicht den Todten leuchtet?","norm":"Erkennst du uns und diesen heiligen Hain und dieses Licht, das nicht den Toten leuchtet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":705,"orig":"Fühlſt du den Arm des Freundes und der Schweſter, Die dich noch feſt, noch lebend halten?","norm":"Fühlst du den Arm des Freundes und der Schwester, die dich noch fest, noch lebend halten?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":706,"orig":"Faß’ Uns kräftig an; wir ſind nicht leere Schatten.","norm":"Fasse uns kräftig an; wir sind nicht leere Schatten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":707,"orig":"Merk auf mein Wort!","norm":"Merke auf mein Wort!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":708,"orig":"Vernimm es!","norm":"Vernimm es!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":709,"orig":"Raffe dich Zuſammen!","norm":"Raffe dich Zusammen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":710,"orig":"Jeder Augenblick iſt theuer, Und unſre Rückkehr hängt an zarten Fäden, Die, ſcheint es, eine günſt’ge Parze ſpinnt.","norm":"Jeder Augenblick ist teuer, und unsere Rückkehr hängt an zarten Fäden, Die, scheint es, eine günstige Parze spinnt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":711,"orig":"Laß mich zum erſtenmal mit freyem Herzen In deinen Armen reine Freude haben!","norm":"Lass mich zum ersten Mal mit freiem Herzen in deinen Armen reine Freude haben!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":712,"orig":"Ihr Götter, die mit flammender Gewalt Ihr ſchwere Wolken aufzuzehren wandelt, Und gnädig-ernſt den lang’ erflehten Regen Mit Donnerſtimmen und mit Windes-Brauſen In wilden Strömen auf die Erde ſchüttet;","norm":"Ihr Götter, die mit flammender Gewalt Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt, und gnädig-ernst den lange erflehten Regen mit Donnerstimmen und mit Windesbrausen in wilden Strömen auf die Erde schüttet;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":713,"orig":"Doch bald der Menſchen grauſendes Erwarten In Segen auflöſ’t und das bange Staunen In Freudeblick und lauten Dank verwandelt, Wenn in den Tropfen friſcherquickter Blätter Die neue Sonne tauſendfach ſich ſpiegelt, Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand Den grauen Flor der letzten Wolken trennt;","norm":"Doch bald der Menschen grausendes Erwarten in Segen auflöst und das bange Staunen in Freudenblick und lauten Dank verwandelt, wenn in den Tropfen frischerquickter Blätter die neue Sonne tausendfach sich spiegelt, und Iris freundlich bunt mit leichter Hand den grauen Flor der letzten Wolken trennt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":714,"orig":"O laßt mich auch an meiner Schweſter Armen, An meines Freundes Bruſt, was ihr mir gönnt Mit vollem Dank genießen und behalten.","norm":"O lasst mich auch an meiner Schwester Armen, an meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt mit vollem Dank genießen und behalten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":715,"orig":"Es löſet ſich der Fluch, mir ſagt’s das Herz.","norm":"Es löset sich der Fluch, mir sagt es das Herz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":716,"orig":"Die Eumeniden ziehn, ich höre ſie, Zum Tartarus und ſchlagen hinter ſich Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu.","norm":"Die Eumeniden ziehen, ich höre sie, zum Tartarus und schlagen hinter sich Die ehernen Tore fernabdonnernd zu."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":717,"orig":"Die Erde dampft erquickenden Geruch Und ladet mich auf ihren Flächen ein, Nach Lebensfreud’ und großer That zu jagen.","norm":"Die Erde dampft erquickenden Geruch und ladet mich auf ihren Flächen ein, nach Lebensfreude und großer Tat zu jagen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":718,"orig":"Verſäumt die Zeit nicht, die gemeſſen iſt!","norm":"Versäumt die Zeit nicht, die gemessen ist!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":719,"orig":"Der Wind der unſre Segel ſchwellt, er bringe Erſt unſre volle Freude zum Olymp.","norm":"Der Wind der unsere Segel schwellt, er bringe Erst unsere volle Freude zum Olymp."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":720,"orig":"Kommt!","norm":"Kommt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":721,"orig":"Es bedarf hier ſchnellen Rath und Schluß.","norm":"Es bedarf hier schnellen Rat und Schluss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":722,"orig":"Denken die Himmliſchen Einem der Erdgebornen Viele Verwirrungen zu, Und bereiten ſie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tief-erſchütternden Übergang;","norm":"Denken die Himmlischen einem der Erdgeborenen viele Verwirrungen zu, und bereiten sie ihm Von der Freude zu Schmerzen und von Schmerzen zur Freude erschütternden Übergang;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":723,"orig":"Dann erziehen ſie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Geſtade, Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit ſey, Einen ruhigen Freund.","norm":"Dann erziehen sie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Gestade, dass in Stunden der Not auch die Hilfe bereit sei, Einen ruhigen Freund."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":724,"orig":"O ſegnet, Götter, unſern Pylades Und was er immer unternehmen mag!","norm":"O segnet, Götter, unseren Pylades und was er immer unternehmen mag!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":725,"orig":"Er iſt der Arm des Jünglings in der Schlacht, Des Greiſes leuchtend Aug’ in der Verſammlung:","norm":"Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht, des Greises leuchtend Auge in der Versammlung:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":726,"orig":"Denn ſeine Seel’ iſt ſtille; ſie bewahr’t Der Ruhe heil’ges unerſchöpftes Gut, Und den Umhergetriebnen reichet er Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe.","norm":"Denn seine Seele ist stille; sie bewahrt der Ruhe heiliges unerschöpftes Gut, und den Umhergetriebenen reichet er aus ihren Tiefen Rat und Hilfe."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":727,"orig":"Mich Riß er vom Bruder los; den ſtaunt’ ich an Und immer wieder an, und konnte mir Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht Aus meinen Armen los, und fühlte nicht Die Nähe der Gefahr die uns umgibt.","norm":"Mich Riss er vom Bruder los; den staunte ich an Und immer wieder an, und konnte mir das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht aus meinen Armen los, und fühlte nicht die Nähe der Gefahr die uns umgibt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":728,"orig":"Jetzt gehn ſie ihren Anſchlag auszuführen Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten In einer Bucht verſteckt auf’s Zeichen lauert, Und haben kluges Wort mir in den Mund Gegeben, mich gelehrt was ich dem König’ Antworte, wenn er ſendet und das Opfer Mir dringender gebiethet.","norm":"Jetzt gehen sie ihren Anschlag auszuführen der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten in einer Bucht versteckt aufs Zeichen lauert, und haben kluges Wort mir in den Mund gegeben, mich gelehrt was ich dem König Antworte, wenn er sendet und das Opfer mir dringender gebietet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":729,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":730,"orig":"ich ſehe wohl, Ich muß mich leiten laſſen wie ein Kind.","norm":"ich sehe wohl, Ich muss mich leiten lassen wie ein Kind."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":731,"orig":"Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten, Noch jemand etwas abzuliſten.","norm":"Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten, noch jemand etwas abzulisten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":732,"orig":"Weh!","norm":"Weh!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":733,"orig":"O weh der Lüge!","norm":"O weh der Lüge!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":734,"orig":"Sie befreyet nicht, Wie jedes andre wahrgeſprochne Wort, Die Bruſt; ſie macht uns nicht getroſt, ſie ängſtet Den der ſie heimlich ſchmiedet, und ſie kehrt, Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte Gewendet und verſagend, ſich zurück Und trift den Schützen.","norm":"Sie befreiet nicht, wie jedes andere wahrgesprochene Wort, die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet den der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt, ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte gewendet und versagend, sich zurück Und trifft den Schützen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":735,"orig":"Sorg’ auf Sorge ſchwankt Mir durch die Bruſt.","norm":"Sorge auf Sorge schwankt mir durch die Brust."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":736,"orig":"Es greift die Furie Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder Des ungeweihten Ufers grimmig an?","norm":"Es greift die Furie vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder des ungeweihten Ufers grimmig an?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":737,"orig":"Entdeckt man ſie vielleicht?","norm":"Entdeckt man sie vielleicht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":738,"orig":"Mich dünkt, ich höre Gewaffnete ſich nahen!","norm":"Mich dünkt, ich höre Gewaffnete sich nahen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":739,"orig":"— Hier!","norm":"— Hier!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":740,"orig":"— Der Bothe Kommt von dem Könige mit ſchnellem Schritt.","norm":"— Der Bote kommt von dem Könige mit schnellem Schritt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":741,"orig":"Es ſchlägt mein Herz, es trübt ſich meine Seele, Da ich des Mannes Angeſicht erblicke, Dem ich mit falſchem Wort begegnen ſoll.","norm":"Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele, da ich des Mannes Angesicht erblicke, dem ich mit falschem Wort begegnen soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":742,"orig":"Beſchleunige das Opfer, Prieſterinn!","norm":"Beschleunige das Opfer, Priesterin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":743,"orig":"Der König wartet und es harrt das Volk.","norm":"Der König wartet und es harrt das Volk."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":744,"orig":"Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink, Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß Sich zwiſchen mich und die Erfüllung ſtellte.","norm":"Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink, wenn unvermutet nicht ein Hindernis sich zwischen mich und die Erfüllung stellte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":745,"orig":"Was iſt’s, das den Befehl des Königs hindert?","norm":"Was ist es, das den Befehl des Königs hindert?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":746,"orig":"Der Zufall, deſſen wir nicht Meiſter ſind.","norm":"Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":747,"orig":"So ſage mir’s, daß ich’s ihm ſchnell vermelde:","norm":"So sage mir es, dass ich es ihm schnell vermelde:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":748,"orig":"Denn er beſchloß bey ſich der Beyden Tod.","norm":"Denn er beschloss bei sich der beiden Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":749,"orig":"Die Götter haben ihn noch nicht beſchloſſen.","norm":"Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":750,"orig":"Der ältſte dieſer Männer trägt die Schuld Des nahverwandten Bluts, das er vergoß.","norm":"Der ältste dieser Männer trägt die Schuld des nahverwandten Bluts, das er vergoss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":751,"orig":"Die Furien verfolgen ſeinen Pfad, Ja in dem innern Tempel faßte ſelbſt Das Übel ihn, und ſeine Gegenwart Entheiligte die reine Stäte.","norm":"Die Furien verfolgen seinen Pfad, Ja in dem inneren Tempel fasste selbst das Übel ihn, und seine Gegenwart Entheiligte die reine Stätte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":752,"orig":"Nun Eil’ ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere Der Göttinn Bild mit friſcher Welle netzend Geheimnißvolle Weihe zu begehn.","norm":"Nun Eile ich mit meinen Jungfrauen, an dem Meere der Göttin Bild mit frischer Welle netzend geheimnisvolle Weihe zu begehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":753,"orig":"Es ſtöre niemand unſern ſtillen Zug!","norm":"Es störe niemand unseren stillen Zug!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":754,"orig":"Ich melde dieſes neue Hinderniß Dem Könige geſchwind, beginne du Das heil’ge Werk nicht eh’ bis er’s erlaubt.","norm":"Ich melde dieses neue Hindernis dem Könige geschwind, beginne du das heilige Werk nicht ehe bis er das erlaubt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":755,"orig":"Dieß iſt allein der Prieſt’rinn überlaſſen.","norm":"Dies ist allein der Priesterin überlassen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":756,"orig":"Solch ſeltnen Fall ſoll auch der König wiſſen.","norm":"Solch seltenen Fall soll auch der König wissen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":757,"orig":"Sein Rath wie ſein Befehl verändert nichts.","norm":"Sein Rat wie sein Befehl verändert nichts."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":758,"orig":"Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.","norm":"Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":759,"orig":"Erdringe nicht, was ich verſagen ſollte.","norm":"Erdringe nicht, was ich versagen sollte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":760,"orig":"Verſage nicht, was gut und nützlich iſt.","norm":"Versage nicht, was gut und nützlich ist."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":761,"orig":"Ich gebe nach, wenn du nicht ſäumen willſt.","norm":"Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":762,"orig":"Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager, Und ſchnell mit ſeinen Worten hier zurück.","norm":"Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager, und schnell mit seinen Worten hier zurück."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":763,"orig":"O könnt’ ich ihm noch Eine Bothſchaft bringen, Die alles löſ’te was uns jetzt verwirrt:","norm":"O könnte ich ihm noch eine Botschaft bringen, die alles löste was uns jetzt verwirrt:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":764,"orig":"Denn du haſt nicht des Treuen Rath geachtet.","norm":"Denn du hast nicht des treuen Rat geachtet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":765,"orig":"Was ich vermochte, hab’ ich gern gethan.","norm":"Was ich vermochte, habe ich gern getan."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":766,"orig":"Noch änderſt du den Sinn zur rechten Zeit.","norm":"Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":767,"orig":"Das ſteht nun einmal nicht in unſret Macht.","norm":"Das steht nun einmal nicht in unserer Macht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":768,"orig":"Du hältſt unmöglich, was dir Mühe koſtet.","norm":"Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":769,"orig":"Dir ſcheint es möglich, weil der Wunſch dich trügt.","norm":"Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":770,"orig":"Willſt du denn alles ſo gelaſſen wagen?","norm":"Willst du denn alles so gelassen wagen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":771,"orig":"Ich hab’ es in der Götter Hand gelegt.","norm":"Ich habe es in der Götter Hand gelegt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":772,"orig":"Sie pflegen Menſchen menſchlich zu erretten.","norm":"Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":773,"orig":"Auf ihren Fingerzeig kommt alles an.","norm":"Auf ihren Fingerzeig kommt alles an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":774,"orig":"Ich ſage dir, es liegt in deiner Hand.","norm":"Ich sage dir, es liegt in deiner Hand."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":775,"orig":"Des Königs aufgebrachter Sinn allein Bereitet dieſen Fremden bittern Tod.","norm":"Des Königs aufgebrachter Sinn allein bereitet diesen Fremden bitteren Tod."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":776,"orig":"Das Heer entwöhnte längſt vom harten Opfer Und von dem blut’gen Dienſte ſein Gemüth.","norm":"Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer und von dem blutigen Dienste sein Gemüt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":777,"orig":"Ja mancher, den ein widriges Geſchick An fremdes Ufer trug, empfand es ſelbſt, Wie göttergleich dem armen Irrenden, Umhergetrieben an der fremden Gränze, Ein freundlich Menſchenangeſicht begegnet.","norm":"Ja mancher, den ein widriges Geschick an fremdes Ufer trug, empfand es selbst, wie göttergleich dem armen Irrenden, umhergetrieben an der fremden Grenze, ein freundlich Menschenangesicht begegnet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":778,"orig":"O wende nicht von uns was du vermagſt!","norm":"O wende nicht von uns was du vermagst!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":779,"orig":"Du endeſt leicht was du begonnen haſt:","norm":"Du endest leicht was du begonnen hast:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":780,"orig":"Denn nirgends baut die Milde, die herab In menſchlicher Geſtalt vom Himmel kommt, Ein Reich ſich ſchneller, als wo trüb’ und wild Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft, Sich ſelbſt und banger Ahndung überlaſſen, Des Menſchenlebens ſchwere Bürden trägt.","norm":"Denn nirgends baut die Milde, die herab In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt, ein Reich sich schneller, als wo trübe und wild ein neues Volk, voll Leben, Mut und Kraft, sich selbst und banger Ahnung überlassen, des Menschenlebens schwere Bürden trägt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":781,"orig":"Erſchütt’re meine Seele nicht, die du Nach deinem Willen nicht bewegen kannſt.","norm":"Erschüttre meine Seele nicht, die du nach deinem Willen nicht bewegen kannst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":782,"orig":"So lang’ es Zeit iſt, ſchont man weder Mühe Noch eines guten Wortes Wiederhohlung.","norm":"Solange es Zeit ist, schont man weder Mühe noch eines guten Wortes Wiederholung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":783,"orig":"Du machſt dir Müh’ und mir erregſt du Schmerzen;","norm":"Du machst dir Mühe und mir erregst du Schmerzen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":784,"orig":"Vergebens beydes: darum laß mich nun.","norm":"Vergebens beides: darum lass mich nun."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":785,"orig":"Die Schmerzen ſind’s, die ich zu Hülfe rufe:","norm":"Die Schmerzen sind es, die ich zu Hilfe rufe:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":786,"orig":"Denn es ſind Freunde, Gutes rathen ſie.","norm":"Denn es sind Freunde, Gutes raten sie."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":787,"orig":"Sie faſſen meine Seele mit Gewalt, Doch tilgen ſie den Widerwillen nicht.","norm":"Sie fassen meine Seele mit Gewalt, doch tilgen sie den Widerwillen nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":788,"orig":"Fühlt eine ſchöne Seele Widerwillen Für eine Wohlthat, die der Edle reicht?","norm":"Fühlt eine schöne Seele Widerwillen für eine Wohltat, die der Edle reicht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":789,"orig":"Ja, wenn der Edle, was ſich nicht geziemt, Statt meines Dankes mich erwerben will.","norm":"Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt, statt meines Dankes mich erwerben will."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":790,"orig":"Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es An einem Worte der Entſchuld’gung nie.","norm":"Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es An einem Worte der Entschuldigung nie."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":791,"orig":"Dem Fürſten ſag’ ich an, was hier geſcheh’n.","norm":"Dem Fürsten sage ich an, was hier geschehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":792,"orig":"O wiederhohlteſt du in deiner Seele, Wie edel er ſich gegen dich betrug Von deiner Ankunft an bis dieſen Tag!","norm":"O wiederholtest du in deiner Seele, wie edel er sich gegen dich betrug von deiner Ankunft an bis diesen Tag!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":793,"orig":"Von dieſes Mannes Rede fühl’ ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Buſen Auf einmal umgewendet.","norm":"Von dieses Mannes Rede fühle ich mir Zur ungelegenen Zeit das Herz im Busen auf einmal umgewendet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":794,"orig":"Ich erſchrecke!","norm":"Ich erschrecke!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":795,"orig":"— Denn wie die Fluth mit ſchnellen Strömen wachſend Die Felſen überſpült, die in dem Sand’ Am Ufer liegen: ſo bedeckte ganz Ein Freudenſtrom mein Innerſtes.","norm":"— Denn wie die Flut mit schnellen Strömen wachsend die Felsen überspült, die in dem Sand am Ufer liegen: so bedeckte ganz ein Freudenstrom mein Innerstes."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":796,"orig":"Ich hielt In meinen Armen das Unmögliche.","norm":"Ich hielt in meinen Armen das Unmögliche."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":797,"orig":"Es ſchien ſich eine Wolke wieder ſanft Um mich zu legen, von der Erde mich Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn Um meine Schläfe legte, da ihr Arm Mich rettend faßte.","norm":"Es schien sich eine Wolke wieder sanft um mich zu legen, von der Erde mich Emporzuheben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttin um meine Schläfe legte, da ihr Arm mich rettend fasste."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":798,"orig":"— Meinen Bruder Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:","norm":"— Meinen Bruder ergriff das Herz mit einziger Gewalt:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":799,"orig":"Ich horchte nur auf ſeines Freundes Rath;","norm":"Ich horchte nur auf seines Freundes Rat;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":800,"orig":"Nur ſie zu retten drang die Seele vorwärts.","norm":"Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":801,"orig":"Und wie den Klippen einer wüſten Inſel Der Schiffer gern den Rücken wendet: ſo Lag Tauris hinter mir.","norm":"Und wie den Klippen einer wüsten Insel der Schiffer gern den Rücken wendet: so lag Tauris hinter mir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":802,"orig":"Nun hat die Stimme Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt, Daß ich auch Menſchen hier verlaſſe mich Erinnert.","norm":"Nun hat die Stimme des treuen Manns mich wieder aufgeweckt, dass ich auch Menschen hier verlasse mich Erinnert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":803,"orig":"Doppelt wird mir der Betrug Verhaßt.","norm":"Doppelt wird mir der Betrug verhasst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":804,"orig":"O bleibe ruhig, meine Seele!","norm":"O bleibe ruhig, meine Seele!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":805,"orig":"Beginnſt du nun zu ſchwanken und zu zweifeln?","norm":"Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":806,"orig":"Den feſten Boden deiner Einſamkeit Mußt du verlaſſen!","norm":"Den festen Boden deiner Einsamkeit musst du verlassen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":807,"orig":"Wieder eingeſchifft Ergreifen dich die Wellen ſchaukelnd, trüb’ Und bang verkenneſt du die Welt und dich.","norm":"Wieder eingeschifft Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trübe und bang verkennest du die Welt und dich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":808,"orig":"Wo iſt ſie?","norm":"Wo ist sie?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":809,"orig":"daß ich ihr mit ſchnellen Worten Die frohe Bothſchaft unſrer Rettung bringe!","norm":"dass ich ihr mit schnellen Worten die frohe Botschaft unserer Rettung bringe!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":810,"orig":"Du ſiehſt mich hier voll Sorgen und Erwartung Des ſichern Troſtes, den du mir verſprichſt.","norm":"Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung des sichern Trostes, den du mir versprichst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":811,"orig":"Dein Bruder iſt geheilt!","norm":"Dein Bruder ist geheilt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":812,"orig":"Den Felſenboden Des ungeweihten Ufers und den Sand Betraten wir mit fröhlichen Geſprächen;","norm":"Den Felsenboden des ungeweihten Ufers und den Sand betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":813,"orig":"Der Hain blieb hinter uns, wir merkten’s nicht.","norm":"Der Hain blieb hinter uns, wir merkten es nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":814,"orig":"Und herrlicher und immer herrlicher Umloderte der Jugend ſchöne Flamme Sein lockig Haupt; ſein volles Auge glühte Von Muth und Hoffnung, und ſein freyes Herz Ergab ſich ganz der Freude, ganz der Luſt, Dich ſeine Retterinn und mich zu retten.","norm":"Und herrlicher und immer herrlicher Umloderte der Jugend schöne Flamme Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust, Dich seine Retterin und mich zu retten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":815,"orig":"Geſegnet ſeyſt du, und es möge nie Von deiner Lippe, die ſo Gutes ſprach, Der Ton des Leidens und der Klage tönen!","norm":"Gesegnet seist du, und es möge nie von deiner Lippe, die so Gutes sprach, der Ton des Leidens und der Klage tönen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":816,"orig":"Ich bringe mehr als das: denn ſchön begleitet, Gleich einem Fürſten pflegt das Glück zu nah’n.","norm":"Ich bringe mehr als das: denn schön begleitet, gleich einem Fürsten pflegt das Glück zu nahen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":817,"orig":"Auch die Gefährten haben wir gefunden.","norm":"Auch die Gefährten haben wir gefunden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":818,"orig":"In einer Felſenbucht verbargen ſie Das Schiff und ſaßen traurig und erwartend.","norm":"In einer Felsenbucht verbargen sie das Schiff und saßen traurig und erwartend."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":819,"orig":"Sie ſahen deinen Bruder, und es regten Sich alle jauchzend, und ſie bathen dringend Der Abfahrt Stunde zu beſchleunigen.","norm":"Sie sahen deinen Bruder, und es regten sich alle jauchzend, und sie baten dringend der Abfahrt Stunde zu beschleunigen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":820,"orig":"Es ſehnet jede Fauſt ſich nach dem Ruder, Und ſelbſt ein Wind erhob vom Lande liſpelnd, Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.","norm":"Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder, und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":821,"orig":"Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel, Laß mich das Heiligthum betreten, laß Mich unſrer Wünſche Ziel verehrend faſſen.","norm":"Darum lass uns eilen, führe mich zum Tempel, Lass mich das Heiligtum betreten, lass mich unserer Wünsche Ziel verehrend fassen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":822,"orig":"Ich bin allein genug der Göttinn Bild Auf wohl geübten Schultern wegzutragen;","norm":"Ich bin allein genug der Göttin Bild auf wohlgeübten Schultern wegzutragen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":823,"orig":"Wie ſehn’ ich mich nach der erwünſchten Laſt!","norm":"Wie sehne ich mich nach der erwünschten Last!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":824,"orig":"Du ſtehſt und zauderſt — ſage mir — du ſchweigſt!","norm":"Du stehst und zauderst — sage mir — du schweigst!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":825,"orig":"Du ſcheinſt verworren!","norm":"Du scheinst verworren!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":826,"orig":"Widerſetzet ſich Ein neues Unheil unſerm Glück?","norm":"Widersetzet sich Ein neues Unheil unserem Glück?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":827,"orig":"Sag’ an!","norm":"Sage an!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":828,"orig":"Haſt du dem Könige das kluge Wort Vermelden laſſen, das wir abgeredet?","norm":"Hast du dem Könige das kluge Wort Vermelden lassen, das wir abgeredet?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":829,"orig":"Ich habe, theurer Mann; doch wirſt du ſchelten.","norm":"Ich habe, teurer Mann; doch wirst du schelten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":830,"orig":"Ein ſchweigender Verweis war mir dein Anblick!","norm":"Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":831,"orig":"Des Königs Bothe kam, und wie du es Mir in den Mund gelegt, ſo ſagt’ ich’s ihm.","norm":"Des Königs Bote kam, und wie du es Mir in den Mund gelegt, so sagte ich es ihm."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":832,"orig":"Er ſchien zu ſtaunen, und verlangte dringend Die ſeltne Feier erſt dem Könige Zu melden, ſeinen Willen zu vernehmen;","norm":"Er schien zu staunen, und verlangte dringend die seltene Feier erst dem Könige zu melden, seinen Willen zu vernehmen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":833,"orig":"Und nun erwart’ ich ſeine Wiederkehr.","norm":"Und nun erwarte ich seine Wiederkehr."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":834,"orig":"Weh’ uns!","norm":"Weh uns!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":835,"orig":"Erneuert ſchwebt nun die Gefahr Um unſre Schläfe!","norm":"Erneuert schwebt nun die Gefahr um unsere Schläfe!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":836,"orig":"Warum haſt du nicht In’s Prieſterrecht dich weislich eingehüllt?","norm":"Warum hast du nicht ins Priesterrecht dich weislich eingehüllt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":837,"orig":"Als eine Hülle hab’ ich’s nie gebraucht.","norm":"Als eine Hülle habe ich es nie gebraucht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":838,"orig":"So wirſt du, reine Seele, dich und uns Zu Grunde richten.","norm":"So wirst du, reine Seele, dich und uns Zugrunde richten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":839,"orig":"Warum dacht’ ich nicht Auf dieſen Fall voraus, und lehrte dich Auch dieſer Ford’rung auszuweichen!","norm":"Warum dachte ich nicht auf diesen Fall voraus, und lehrte dich Auch dieser Forderung auszuweichen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":840,"orig":"Schilt Nur mich, die Schuld iſt mein, ich fühl’ es wohl;","norm":"Scheltet nur mich, die Schuld ist mein, ich fühle es wohl;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":841,"orig":"Doch konnt’ ich anders nicht dem Mann begegnen, Der mit Vernunft und Ernſt von mir verlangte, Was ihm mein Herz als recht geſtehen mußte.","norm":"Doch konnte ich anders nicht dem Mann begegnen, der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte, was ihm mein Herz als recht gestehen musste."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":842,"orig":"Gefährlicher zieht ſich’s zuſammen; doch auch ſo Laß uns nicht zagen, oder unbeſonnen Und übereilt uns ſelbſt verrathen.","norm":"Gefährlicher zieht sich es zusammen; doch auch so Lass uns nicht zagen, oder unbesonnen und übereilt uns selbst verraten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":843,"orig":"Ruhig Erwarte du die Wiederkunft des Bothen, Und dann ſteh feſt, er bringe was er will:","norm":"Ruhig Erwarte du die Wiederkunft des Boten, und dann stehe fest, er bringe was er will:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":844,"orig":"Denn ſolcher Weihung Feier anzuordnen Gehört der Prieſterinn und nicht dem König.","norm":"Denn solcher Weihung Feier anzuordnen gehört der Priesterin und nicht dem König."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":845,"orig":"Und fordert er den fremden Mann zu ſehn, Der von dem Wahnſinn ſchwer belaſtet iſt;","norm":"Und fordert er den fremden Mann zu sehen, der von dem Wahnsinn schwer belastet ist;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":846,"orig":"So lehn’ es ab, als hielteſt du uns beyde Im Tempel wohl verwahrt.","norm":"So lehne es ab, als hieltest du uns beide im Tempel wohl verwahrt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":847,"orig":"So ſchaff’ uns Luft, Daß wir auf’s eiligſte, den heil’gen Schatz Dem rauh unwürd’gen Volk entwendend, fliehn.","norm":"So schaffe uns Luft, dass wir aufs eiligste, den heiligen Schatz dem rau unwürdigen Volk entwendend, fliehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":848,"orig":"Die beſten Zeichen ſendet uns Apoll, Und, eh wir die Bedingung fromm erfüllen, Erfüllt er göttlich ſein Verſprechen ſchon.","norm":"Die besten Zeichen sendet uns Apoll, Und, ehe wir die Bedingung fromm erfüllen, erfüllt er göttlich sein Versprechen schon."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":849,"orig":"Oreſt iſt frey, geheilt!","norm":"Orest ist frei, geheilt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":850,"orig":"— Mit dem Befreyten O führet uns hinüber, günſt’ge Winde, Zur Felſen-Inſel die der Gott bewohnt;","norm":"— Mit dem befreiten O führt uns hinüber, günstige Winde, zur Felseninsel die der Gott bewohnt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":851,"orig":"Dann nach Mycen, daß es lebendig werde, Daß von der Aſche des verloſch’nen Herdes Die Vatergötter fröhlich ſich erheben, Und ſchönes Feuer ihre Wohnungen Umleuchte!","norm":"Dann nach Mykene, dass es lebendig werde, dass von der Asche des verloschenen Herdes die Vatergötter fröhlich sich erheben, und schönes Feuer ihre Wohnungen Umleuchte!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":852,"orig":"Deine Hand ſoll ihnen Weihrauch Zuerſt aus gold’nen Schalen ſtreuen.","norm":"Deine Hand soll ihnen Weihrauch zuerst aus goldenen Schalen streuen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":853,"orig":"Du Bringſt über jene Schwelle Heil und Leben wieder, Entſühnſt den Fluch und ſchmückeſt neu die Deinen Mit friſchen Lebensblüthen herrlich aus.","norm":"Du bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder, Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen Mit frischen Lebensblüten herrlich aus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":854,"orig":"Vernehm’ ich dich, ſo wendet ſich, o Theurer, Wie ſich die Blume nach der Sonne wendet, Die Seele, von dem Strahle deiner Worte Getroffen, ſich dem ſüßen Troſte nach.","norm":"Vernehme ich dich, so wendet sich, o teurer, wie sich die Blume nach der Sonne wendet, die Seele, von dem Strahle deiner Worte getroffen, sich dem süßen Troste nach."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":855,"orig":"Wie köſtlich iſt des gegenwärt’gen Freundes Gewiſſe Rede, deren Himmelskraft Ein Einſamer entbehrt und ſtill verſinkt.","norm":"Wie köstlich ist des gegenwärtigen Freundes gewisse Rede, deren Himmelskraft ein Einsamer entbehrt und still versinkt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":856,"orig":"Denn langſam reift, verſchloſſen in dem Buſen, Gedank’ ihm und Entſchluß; die Gegenwart Des Liebenden entwickelte ſie leicht.","norm":"Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen, Gedanke ihm und Entschluss; die Gegenwart des Liebenden entwickelte sie leicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":857,"orig":"Leb’ wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":858,"orig":"Die Freunde will ich nun geſchwind Beruhigen, die ſehnlich wartend harren.","norm":"Die Freunde will ich nun geschwind Beruhigen, die sehnlich wartend harren."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":859,"orig":"Dann komm’ ich ſchnell zurück und lauſche hier Im Felſenbuſch verſteckt auf deinen Wink — Was ſinneſt du?","norm":"Dann komme ich schnell zurück und lausche hier im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink — was sinnest du?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":860,"orig":"Auf einmal überſchwebt Ein ſtiller Trauerzug die freye Stirne.","norm":"Auf einmal überschwebt ein stiller Trauerzug die freie Stirn."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":861,"orig":"Verzeih!","norm":"Verzeih!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":862,"orig":"Wie leichte Wolken vor der Sonne, So zieht mir vor der Seele leichte Sorge Und Bangigkeit vorüber.","norm":"Wie leichte Wolken vor der Sonne, so zieht mir vor der Seele leichte Sorge und Bangigkeit vorüber."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":863,"orig":"Fürchte nicht!","norm":"Fürchte nicht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":864,"orig":"Betrüglich ſchloß die Furcht mit der Gefahr Ein enges Bündniß; beyde ſind Geſellen.","norm":"Betrüglich schloss die Furcht mit der Gefahr ein enges Bündnis; beide sind Gesellen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":865,"orig":"Die Sorge nenn’ ich edel, die mich warnt, Den König, der mein zweyter Vater ward, Nicht tückiſch zu betrügen, zu berauben.","norm":"Die Sorge nenne ich edel, die mich warnt, den König, der mein zweiter Vater wurde, nicht tückisch zu betrügen, zu berauben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":866,"orig":"Der deinen Bruder ſchlachtet, dem entfliehſt du.","norm":"Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":867,"orig":"Es iſt derſelbe, der mir Gutes that.","norm":"Es ist derselbe, der mir Gutes tat."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":868,"orig":"Das iſt nicht Undank, was die Noth gebeut.","norm":"Das ist nicht Undank, was die Not gebietet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":869,"orig":"Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entſchuldigt’s.","norm":"Es bleibt wohl Undank; nur die Not entschuldigt es."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":870,"orig":"Vor Göttern und vor Menſchen dich gewiß.","norm":"Vor Göttern und vor Menschen dich gewiss."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":871,"orig":"Allein mein eigen Herz iſt nicht befriedigt","norm":"Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":872,"orig":"Zu ſtrenge Ford’rung iſt verborgner Stolz.","norm":"Zu strenge Forderung ist verborgener Stolz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":873,"orig":"Ich unterſuche nicht, ich fühle nur.","norm":"Ich untersuche nicht, ich fühle nur."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":874,"orig":"Fühlſt du dich recht, ſo mußt du dich verehren.","norm":"Fühlst du dich recht, so musst du dich verehren."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":875,"orig":"Ganz unbefleckt genießt ſich nur das Herz.","norm":"Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":876,"orig":"So haſt du dich im Tempel wohl bewahrt;","norm":"So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":877,"orig":"Das Leben lehrt uns, weniger mit uns Und andern ſtrenge ſeyn; du lernſt es auch.","norm":"Das Leben lehrt uns, weniger mit uns Und anderen strenge sein; du lernst es auch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":878,"orig":"So wunderbar iſt dieß Geſchlecht gebildet;","norm":"So wunderbar ist dies Geschlecht gebildet;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":879,"orig":"So vielfach iſt’s verſchlungen und verknüpft, Daß keiner in ſich ſelbſt, noch mit den andern Sich rein und unverworren halten kann.","norm":"So vielfach ist es verschlungen und verknüpft, dass keiner in sich selbst, noch mit den anderen Sich rein und unverworren halten kann."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":880,"orig":"Auch ſind wir nicht beſtellt uns ſelbſt zu richten;","norm":"Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":881,"orig":"Zu wandeln und auf ſeinen Weg zu ſehen Iſt eines Menſchen erſte, nächſte Pflicht:","norm":"Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":882,"orig":"Denn ſelten ſchätzt er recht was er gethan, Und was er thut weiß er faſt nie zu ſchätzen.","norm":"Denn selten schätzt er recht was er getan, und was er tut weiß er fast nie zu schätzen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":883,"orig":"Faſt überred’ſt du mich zu deiner Meinung.","norm":"Fast überredest du mich zu deiner Meinung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":884,"orig":"Braucht’s Überredung wo die Wahl verſagt iſt?","norm":"Braucht es Überredung wo die Wahl versagt ist?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":885,"orig":"Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten Iſt nur Ein Weg; fragt ſich’s ob wir ihn gehn?","norm":"Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten ist nur ein Weg; fragt sich es ob wir ihn gehen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":886,"orig":"O laß mich zaudern!","norm":"O lass mich zaudern!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":887,"orig":"denn du thäteſt ſelbſt Ein ſolches Unrecht keinem Mann gelaſſen, Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hielteſt.","norm":"denn du tätest selbst Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen, dem du für Wohltat dich verpflichtet hieltest."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":888,"orig":"Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein Ein härt’rer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.","norm":"Wenn wir zugrunde gehen, wartet dein Ein härterer Vorwurf, der Verzweiflung trägt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":889,"orig":"Man ſieht, du biſt nicht an Verluſt gewohnt, Da du dem großen Übel zu entgehen Ein falſches Wort nicht einmal opfern willſt.","norm":"Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt, da du dem großen Übel zu entgehen ein falsches Wort nicht einmal opfern willst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":890,"orig":"O trüg’ ich doch ein männlich Herz in mir, Das, wenn es einen kühnen Vorſatz hegt, Vor jeder andern Stimme ſich verſchließt!","norm":"O trüge ich doch ein männlich Herz in mir, das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt, vor jeder anderen Stimme sich verschließt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":891,"orig":"Du weigerſt dich umſonſt; die ehrne Hand Der Noth gebiethet, und ihr ernſter Wink Iſt oberſtes Geſetz, dem Götter ſelbſt Sich unterwerfen müſſen.","norm":"Du weigerst dich umsonst; die eherne Hand der Not gebietet, und ihr ernster Wink ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst Sich unterwerfen müssen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":892,"orig":"Schweigend herrſcht Des ew’gen Schickſals unberathne Schweſter.","norm":"Schweigend herrscht des ewigen Schicksals unberatene Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":893,"orig":"Was ſie dir auferlegt, das trage; thu’ Was ſie gebeut.","norm":"Was sie dir auferlegt, das trage; tue was sie gebietet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":894,"orig":"Das andre weißt du.","norm":"Das andere weißt du."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":895,"orig":"Bald Komm’ ich zurück, aus deiner heil’gen Hand Der Rettung ſchönes Siegel zu empfangen.","norm":"Bald Komme ich zurück, aus deiner heiligen Hand der Rettung schönes Siegel zu empfangen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":896,"orig":"Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen Seh’ ich in dringender Gefahr.","norm":"Ich muss ihm folgen: denn die Meinigen sehe ich in dringender Gefahr."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":897,"orig":"Doch ach!","norm":"Doch ach!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":898,"orig":"Mein eigen Schickſal macht mir bang’ und bänger.","norm":"Mein eigen Schicksal macht mir bang und banger."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":899,"orig":"O ſoll ich nicht die ſtille Hoffnung retten, Die in der Einſamkeit ich ſchön genährt?","norm":"O soll ich nicht die stille Hoffnung retten, die in der Einsamkeit ich schön genährt?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":900,"orig":"Soll dieſer Fluch denn ewig walten?","norm":"Soll dieser Fluch denn ewig walten?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":901,"orig":"Soll Nie dieß Geſchlecht mit einem neuen Segen Sich wieder heben?","norm":"Soll nie dies Geschlecht mit einem neuen Segen sich wieder heben?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":902,"orig":"— Nimmt doch alles ab!","norm":"— Nimmt doch alles ab!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":903,"orig":"Das beſte Glück, des Lebens ſchönſte Kraft Ermattet endlich!","norm":"Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft ermattet endlich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":904,"orig":"Warum nicht der Fluch?","norm":"Warum nicht der Fluch?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":905,"orig":"So hofft’ ich denn vergebens, hier verwahrt, Von meines Hauſes Schickſal abgeſchieden, Dereinſt mit reiner Hand und reinem Herzen Die ſchwer befleckte Wohnung zu entſühnen.","norm":"So hoffte ich denn vergebens, hier verwahrt, von meines Hauses Schicksal abgeschieden, dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":906,"orig":"Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder Vom grimm’gen Übel wundervoll und ſchnell Geheilt; kaum naht ein lang’ erflehtes Schiff Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten: So legt die taube Noth ein doppelt Laſter Mit ehrner Hand mir auf: das heilige, Mir anvertraute, viel verehrte Bild Zu rauben und den Mann zu hintergehn, Dem ich mein Leben und mein Schickſal danke.","norm":"Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder vom grimmigen Übel wundervoll und schnell geheilt; kaum naht ein lange erflehtes Schiff mich in den Port der Vaterwelt zu leiten: So legt die taube Not ein doppelt Laster mit eherner Hand mir auf: das heilige, mir anvertraute, viel verehrte Bild zu rauben und den Mann zu hintergehen, dem ich mein Leben und mein Schicksal danke."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":907,"orig":"O daß in meinem Buſen nicht zuletzt Ein Widerwillen keime!","norm":"O dass in meinem Busen nicht zuletzt ein Widerwillen keime!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":908,"orig":"der Titanen, Der alten Götter tiefer Haß auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Bruſt Mit Geierklauen faſſe!","norm":"der Titanen, der alten Götter tiefer Hass auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Brust mit Geierklauen fasse!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":909,"orig":"Rettet mich, Und rettet euer Bild in meiner Seele!","norm":"Rettet mich, und rettet euer Bild in meiner Seele!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":910,"orig":"Vor meinen Ohren tönt das alte Lied — Vergeſſen hatt’ ich’s und vergaß es gern — Das Lied der Parcen, das ſie grauſend ſangen, Als Tantalus vom gold’nen Stuhle fiel:","norm":"Vor meinen Ohren tönt das alte Lied — Vergessen hatte ich es und vergaß es gern — das Lied der Parzen, das sie grausend sangen, als Tantalus vom goldenen Stuhle fiel:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":911,"orig":"Sie litten mit dem edlen Freunde; grimmig War ihre Bruſt, und furchtbar ihr Geſang.","norm":"Sie litten mit dem edlen Freunde; grimmig war ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":912,"orig":"In unſrer Jugend ſang’s die Amme mir Und den Geſchwiſtern vor, ich merkt’ es wohl.","norm":"In unserer Jugend sang es die Amme mir Und den Geschwistern vor, ich merkte es wohl."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":913,"orig":"Es fürchte die Götter Das Menſchengeſchlecht!","norm":"Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":914,"orig":"Sie halten die Herrſchaft In ewigen Händen, Und können ſie brauchen Wie’s ihnen gefällt.","norm":"Sie halten die Herrschaft in ewigen Händen, und können sie brauchen wie es ihnen gefällt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":915,"orig":"Der fürchte ſie doppelt Den je ſie erheben!","norm":"Der fürchte sie doppelt Den je sie erheben!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":916,"orig":"Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tiſche.","norm":"Auf Klippen und Wolken sind Stühle bereitet um goldene Tische."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":917,"orig":"Erhebet ein Zwiſt ſich:","norm":"Erhebet ein Zwist sich:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":918,"orig":"So ſtürzen die Gäſte Geſchmäht und geſchändet In nächtliche Tiefen, Und harren vergebens, Im Finſtern gebunden, Gerechten Gerichtes.","norm":"So stürzen die Gäste geschmäht und geschändet in nächtliche Tiefen, und harren vergebens, im Finstern gebunden, gerechten Gerichtes."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":919,"orig":"Sie aber, ſie bleiben In ewigen Feſten An goldenen Tiſchen.","norm":"Sie aber, sie bleiben in ewigen Festen An goldenen Tischen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":920,"orig":"Sie ſchreiten vom Verge Zu Bergen hinüber:","norm":"Sie schreiten vom Berge zu Bergen hinüber:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":921,"orig":"Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Athem Erſtickter Titanen, Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölke.","norm":"Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Atem Erstickter Titanen, gleich Opfergerüchen, ein leichtes Gewölk."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":922,"orig":"Es wenden die Herrſcher Ihr ſegnendes Auge Von ganzen Geſchlechtern, Und meiden, im Enkel Die eh’mals geliebten, Still redenden Züge Des Ahnherrn zu ſehn.","norm":"Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge von ganzen Geschlechtern, und meiden, im Enkel die ehemals geliebten, Still redenden Züge des Ahnherrn zu sehen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":923,"orig":"So ſangen die Parcen;","norm":"So sangen die Parzen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":924,"orig":"Es horcht der Verbannte, In nächtlichen Höhlen Der Alte die Lieder, Denkt Kinder und Enkel Und ſchüttelt das Haupt.","norm":"Es horcht der Verbannte, in nächtlichen Höhlen der Alte die Lieder, denkt Kinder und Enkel und schüttelt das Haupt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":925,"orig":"Verwirrt muß ich geſtehn daß ich nicht weiß, Wohin ich meinen Argwohn richten ſoll.","norm":"Verwirrt muss ich gestehen dass ich nicht weiß, wohin ich meinen Argwohn richten soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":926,"orig":"Sind’s die Gefang’nen, die auf ihre Flucht Verſtohlen ſinnen?","norm":"Sind es die Gefangenen, die auf ihre Flucht verstohlen sinnen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":927,"orig":"Iſt’s die Prieſterinn, Die ihnen hilft?","norm":"Ist es die Priesterin, die ihnen hilft?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":928,"orig":"Es mehrt ſich das Gerücht:","norm":"Es mehrt sich das Gerücht:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":929,"orig":"Das Schiff, das dieſe beyden hergebracht, Sey irgend noch in einer Bucht verſteckt.","norm":"Das Schiff, das diese beiden hergebracht, Sei irgend noch in einer Bucht versteckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":930,"orig":"Und jenes Mannes Wahnſinn, dieſe Weihe, Der heil’ge Vorwand dieſer Zög’rung, rufen Den Argwohn lauter und die Vorſicht auf.","norm":"Und jenes Mannes Wahnsinn, diese Weihe, der heilige Vorwand dieser Zögerung, rufen den Argwohn lauter und die Vorsicht auf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":931,"orig":"Es komme ſchnell die Prieſterinn herbey!","norm":"Es komme schnell die Priesterin herbei!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":932,"orig":"Dann geht, durchſucht das Ufer ſcharf und ſchnell Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn.","norm":"Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttin."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":933,"orig":"Verſchonet ſeine heil’gen Tiefen, legt Bedacht’gen Hinterhalt und greift ſie an;","norm":"Verschonet seine heiligen Tiefen, legt bedächtigen Hinterhalt und greift sie an;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":934,"orig":"Wo ihr ſie findet, faßt ſie wie ihr pflegt.","norm":"Wo ihr sie findet, fasst sie wie ihr pflegt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":935,"orig":"Entſetzlich wechſelt mir der Grimm im Buſen;","norm":"Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":936,"orig":"Erſt gegen ſie, die ich ſo heilig hielt;","norm":"Erst gegen sie, die ich so heilig hielt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":937,"orig":"Dann gegen mich, der ich ſie zum Verrath Durch Nachſicht und durch Güte bildete.","norm":"Dann gegen mich, der ich sie zum Verrat durch Nachsicht und durch Güte bildete."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":938,"orig":"Zur Sklaverey gewöhnt der Menſch ſich gut Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn Der Freyheit ganz beraubt.","norm":"Zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut Und lernt leicht gehorchen, wenn man ihn der Freiheit ganz beraubt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":939,"orig":"Ja, wäre ſie In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, Und hätte ſie der heil’ge Grimm verſchont: Sie wäre froh geweſen, ſich allein Zu retten, hätte dankbar ihr Geſchick Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar Vergoſſen, hätte Pflicht genannt Was Noth war.","norm":"Ja, wäre sie in meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, und hätte sie der heilige Grimm verschont: sie wäre froh gewesen, sich allein Zu retten, hätte dankbar ihr Geschick erkannt und fremdes Blut vor dem Altar vergossen, hätte Pflicht genannt was Not war."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":940,"orig":"Nun lockt meine Güte In ihrer Bruſt verweg’nen Wunſch herauf.","norm":"Nun lockt meine Güte in ihrer Brust verwegenen Wunsch herauf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":941,"orig":"Vergebens hofft’ ich, ſie mir zu verbinden;","norm":"Vergebens hoffte ich, sie mir zu verbinden;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":942,"orig":"Sie ſinnt ſich nun ein eigen Schickſal aus.","norm":"Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":943,"orig":"Durch Schmeicheley gewann ſie mir das Herz;","norm":"Durch Schmeichelei gewann sie mir das Herz;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":944,"orig":"Nun widerſteh’ ich der: ſo ſucht ſie ſich Den Weg durch Liſt und Trug, und meine Güte Scheint ihr ein alt verjährtes Eigenthum.","norm":"Nun widerstehe ich der: so sucht sie sich den Weg durch List und Trug, und meine Güte scheint ihr ein alt verjährtes Eigentum."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":945,"orig":"Du foderſt mich!","norm":"Du forderst mich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":946,"orig":"was bringt dich zu uns her?","norm":"Was bringt dich zu uns her?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":947,"orig":"Du ſchiebſt das Opfer auf; ſag’ an, warum?","norm":"Du schiebst das Opfer auf; sage an, warum?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":948,"orig":"Ich hab’ an Arkas alles klar erzählt.","norm":"Ich habe an Arkas alles klar erzählt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":949,"orig":"Von dir möcht’ ich es weiter noch vernehmen.","norm":"Von dir möchte ich es weiter noch vernehmen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":950,"orig":"Die Göttinn gibt dir Friſt zur Überlegung.","norm":"Die Göttin gibt dir Frist zur Überlegung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":951,"orig":"Sie ſcheint dir ſelbſt gelegen, dieſe Friſt.","norm":"Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":952,"orig":"Wenn dir das Herz zum grauſamen Entſchluß Verhärtet iſt: ſo ſollteſt du nicht kommen!","norm":"Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluss verhärtet ist: so solltest du nicht kommen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":953,"orig":"Ein König, der Unmenſchliches verlangt, Find’t Diener g’nug, die gegen Gnad’ und Lohn Den halben Fluch der That begierig faſſen;","norm":"Ein König, der Unmenschliches verlangt, findet Diener genug, die gegen Gnade und Lohn den halben Fluch der Tat begierig fassen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":954,"orig":"Doch ſeine Gegenwart bleibt unbefleckt.","norm":"Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":955,"orig":"Er ſinnt den Tod in einer ſchweren Wolke, Und ſeine Bothen bringen flammendes Verderben auf des Armen Haupt hinab;","norm":"Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke, und seine Boten bringen flammendes Verderben auf des Armen Haupt hinab;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":956,"orig":"Er aber ſchwebt durch ſeine Höhen ruhig, Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.","norm":"Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig, ein unerreichter Gott, im Sturme fort."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":957,"orig":"Die heil’ge Lippe tönt ein wildes Lied.","norm":"Die heilige Lippe tönt ein wildes Lied."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":958,"orig":"Nicht Prieſterinn!","norm":"Nicht Priesterin!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":959,"orig":"nur Agamemnons Tochter.","norm":"nur Agamemnons Tochter."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":960,"orig":"Der Unbekannten Wort verehrteſt du, Der Fürſtinn willſt du raſch gebiethen?","norm":"Der Unbekannten Wort verehrtest du, der Fürstin willst du rasch gebieten?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":961,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":962,"orig":"Von Jugend auf hab’ ich gelernt gehorchen, Erſt meinen Eltern und dann einer Gottheit, Und folgſam fühlt’ ich immer meine Seele Am ſchönſten frey; allein dem harten Worte, Dem rauhen Ausſpruch eines Mannes mich Zu fügen, lernt’ ich weder dort noch hier.","norm":"Von Jugend auf habe ich gelernt gehorchen, erst meinen Eltern und dann einer Gottheit, und folgsam fühlte ich immer meine Seele am schönsten frei; allein dem harten Worte, dem rauen Ausspruch eines Mannes mich Zu fügen, lernte ich weder dort noch hier."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":963,"orig":"Ein alt Geſetz, nicht ich, gebiethet dir.","norm":"Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":964,"orig":"Wir faſſen ein Geſetz begierig an, Das unſrer Leidenſchaft zur Waffe dient.","norm":"Wir fassen ein Gesetz begierig an, das unserer Leidenschaft zur Waffe dient."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":965,"orig":"Ein andres ſpricht zu mir, ein älteres, Mich dir zu widerſetzen, das Geboth, Dem jeder Fremde heilig iſt.","norm":"Ein anderes spricht zu mir, ein älteres, mich dir zu widersetzen, das Gebot, dem jeder Fremde heilig ist."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":966,"orig":"Es ſcheinen die Gefangnen dir ſehr nah Am Herzen: denn für Antheil und Bewegung Vergiſſeſt du der Klugheit erſtes Wort, Daß man den Mächtigen nicht reitzen ſoll.","norm":"Es scheinen die Gefangenen dir sehr nah am Herzen: denn für Anteil und Bewegung vergisst du der Klugheit erstes Wort, Dass man den Mächtigen nicht reizen soll."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":967,"orig":"Red’ oder ſchweig’ ich; immer kannſt du wiſſen, Was mir im Herzen iſt und immer bleibt.","norm":"Rede oder schweige ich; immer kannst du wissen, was mir im Herzen ist und immer bleibt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":968,"orig":"Löſ’t die Erinnerung des gleichen Schickſals Nicht ein verſchloßnes Herz zum Mitleid auf?","norm":"Löst die Erinnerung des gleichen Schicksals nicht ein verschloßenes Herz zum Mitleid auf?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":969,"orig":"Wie mehr denn meins!","norm":"Wie mehr denn meins!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":970,"orig":"In ihnen ſeh’ ich mich.","norm":"In ihnen sehe ich mich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":971,"orig":"Ich habe vorm Altare ſelbſt gezittert, Und feierlich umgab der frühe Tod Die Knieende; das Meſſer zuckte ſchon Den lebenvollen Buſen zu durchbohren;","norm":"Ich habe vorm Altare selbst gezittert, und feierlich umgab der frühe Tod die Knieende; das Messer zuckte schon den lebenvollen Busen zu durchbohren;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":972,"orig":"Mein Innerſtes entſetzte wirbelnd ſich, Mein Auge brach, und — ich fand mich gerettet.","norm":"Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich, Mein Auge brach, und — ich fand mich gerettet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":973,"orig":"Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt, Unglücklichen nicht zu erſtatten ſchuldig?","norm":"Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt, unglücklichen nicht zu erstatten schuldig?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":974,"orig":"Du weißt es, kennſt mich, und du willſt mich zwingen!","norm":"Du weißt es, kennst mich, und du willst mich zwingen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":975,"orig":"Gehorche deinem Dienſte, nicht dem Herrn.","norm":"Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":976,"orig":"Laß ab!","norm":"Lass ab!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":977,"orig":"beſchönige nicht die Gewalt, Die ſich der Schwachheit eines Weibes freut.","norm":"Beschönige nicht die Gewalt, die sich der Schwachheit eines Weibes freut."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":978,"orig":"Ich bin ſo frey geboren als ein Mann.","norm":"Ich bin so frei geboren als ein Mann."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":979,"orig":"Stünd’ Agamemnons Sohn dir gegenüber, Und du verlangteſt was ſich nicht gebührt:","norm":"Stünde Agamemnons Sohn dir gegenüber, und du verlangtest was sich nicht gebührt:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":980,"orig":"So hat auch Er ein Schwert und einen Arm, Die Rechte ſeines Buſens zu vertheid’gen.","norm":"So hat auch er ein Schwert und einen Arm, die Rechte seines Busens zu verteidigen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":981,"orig":"Ich habe nichts als Worte, und es ziemt Dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten.","norm":"Ich habe nichts als Worte, und es ziemt dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":982,"orig":"Ich acht’ es mehr als eines Bruders Schwert.","norm":"Ich achte es mehr als eines Bruders Schwert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":983,"orig":"Das Loos der Waffen wechſelt hin und her:","norm":"Das Los der Waffen wechselt hin und her:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":984,"orig":"Kein kluger Streiter hält den Feind gering.","norm":"Kein kluger Streiter hält den Feind gering."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":985,"orig":"Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte Hat die Natur den Schwachen nicht gelaſſen.","norm":"Auch ohne Hilfe gegen Trutz und Härte hat die Natur den Schwachen nicht gelassen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":986,"orig":"Sie gab zur Liſt ihm Freude, lehrt’ ihn Künſte; Bald weicht er aus, verſpätet und umgeht.","norm":"Sie gab zur List ihm Freude, lehrte ihn Künste; bald weicht er aus, verspätet und umgeht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":987,"orig":"Ja der Gewaltige verdient, daß man ſie übt.","norm":"Ja der Gewaltige verdient, dass man sie übt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":988,"orig":"Die Vorſicht ſtellt der Liſt ſich klug entgegen.","norm":"Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":989,"orig":"Und eine reine Seele braucht ſie nicht.","norm":"Und eine reine Seele braucht sie nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":990,"orig":"Sprich unbehutſam nicht dein eigen Urtheil.","norm":"Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urteil."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":991,"orig":"O ſäheſt du wie meine Seele kämpft, Ein bös Geſchick, das ſie ergreifen will, Im erſten Anfall muthig abzutreiben!","norm":"O sähest du wie meine Seele kämpft, ein bös Geschick, das sie ergreifen will, im ersten Anfall mutig abzutreiben!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":992,"orig":"So ſteh’ ich denn hier wehrlos gegen dich?","norm":"So stehe ich denn hier wehrlos gegen dich?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":993,"orig":"Die ſchöne Bitte, den anmuth’gen Zweig, In einer Frauen Hand gewaltiger Als Schwert und Waffe, ſtößeſt du zurück:","norm":"Die schöne Bitte, den anmutigen Zweig, in einer Frauen Hand gewaltiger als Schwert und Waffe, stößt du zurück:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":994,"orig":"Was bleibt mir nun mein Inn’res zu vertheid’gen?","norm":"Was bleibt mir nun mein Inneres zu verteidigen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":995,"orig":"Ruf’ ich die Göttinn um ein Wunder an?","norm":"Rufe ich die Göttin um ein Wunder an?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":996,"orig":"Iſt keine Kraft in meiner Seele Tiefen?","norm":"Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":997,"orig":"Es ſcheint, der beyden Fremden Schickſal macht Unmäßig dich beſorgt.","norm":"Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht Unmäßig dich besorgt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":998,"orig":"Wer ſind ſie?","norm":"Wer sind sie?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":999,"orig":"Sprich!","norm":"Sprich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1000,"orig":"Für die dein Geiſt gewaltig ſich erhebt.","norm":"Für die dein Geist gewaltig sich erhebt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1001,"orig":"Sie ſind — ſie ſcheinen — für Griechen halt’ ich ſie.","norm":"Sie sind — sie scheinen — für Griechen halte ich sie."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1002,"orig":"Landsleute ſind es?","norm":"Landsleute sind es?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1003,"orig":"und ſie haben wohl Der Rückkehr ſchönes Bild in dir erneut?","norm":"und sie haben wohl der Rückkehr schönes Bild in dir erneut?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1004,"orig":"Hat denn zur unerhörten That der Mann Allein das Recht?","norm":"Hat denn zur unerhörten Tat der Mann allein das Recht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1005,"orig":"Drückt denn Unmögliches Nur Er an die gewalt’ge Heldenbruſt?","norm":"Drückt denn unmögliches nur er an die gewaltige Heldenbrust?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1006,"orig":"Was nennt man groß?","norm":"Was nennt man groß?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1007,"orig":"Was hebt die Seele ſchaudernd Dem immer wiederhohlenden Erzähler?","norm":"Was hebt die Seele schaudernd dem immer wiederholenden Erzähler?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1008,"orig":"Als was mit unwahrſcheinlichem Erfolg Der Muthigſte begann.","norm":"Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg der Mutigste begann."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1009,"orig":"Der in der Nacht Allein das Heer des Feindes überſchleicht, Wie unverſehen eine Flamme wüthend Die Schlafenden, Erwachenden ergreift, Zuletzt gedrängt von den Ermunterten Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt, Wird der allein geprieſen?","norm":"Der in der Nacht allein das Heer des Feindes überschleicht, wie unversehen eine Flamme wütend die Schlafenden, Erwachenden ergreift, zuletzt gedrängt von den Ermunterten auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt, Wird der allein gepriesen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1010,"orig":"der allein, Der einen ſichern Weg verachtend kühn Gebirg’ und Wälder durchzuſtreifen geht, Daß er von Räubern eine Gegend ſäub’re?","norm":"der allein, der einen sichern Weg verachtend kühn Gebirge und Wälder durchzustreifen geht, dass er von Räubern eine Gegend säubre?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1011,"orig":"Iſt uns nichts übrig?","norm":"Ist uns nichts übrig?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1012,"orig":"Muß ein zartes Weib Sich ihres angebornen Rechts entäußern, Wild gegen Wilde ſeyn, wie Amazonen Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute Die Unterdrückung rächen?","norm":"Muss ein zartes Weib sich ihres angeborenen Rechts entäußern, Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute die Unterdrückung rächen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1013,"orig":"Auf und ab Steigt in der Bruſt ein kühnes Unternehmen:","norm":"Auf und ab Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1014,"orig":"Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn, Noch ſchwerem Übel wenn es mir mißlingt;","norm":"Ich werde großem Vorwurf nicht entgehen, noch schwerem Übel wenn es mir misslingt;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1015,"orig":"Allein Euch leg’ ich’s auf die Kniee!","norm":"Allein Euch lege ich es auf die Kniee!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1016,"orig":"Wenn Ihr wahrhaft ſeyd, wie ihr geprieſen werdet;","norm":"Wenn Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1017,"orig":"So zeigt’s durch euern Beyſtand und verherrlicht Durch mich die Wahrheit!","norm":"So zeigt es durch euren Beistand und verherrlicht durch mich die Wahrheit!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1018,"orig":"— Ja, vernimm, o König, Es wird ein heimlicher Betrug geſchmiedet; Vergebens fragſt du den Gefangnen nach;","norm":"— Ja, vernimm, o König, es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet; Vergebens fragst du den Gefangenen nach;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1019,"orig":"Sie ſind hinweg und ſuchen ihre Freunde, Die mit dem Schiff’ am Ufer warten, auf.","norm":"Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde, die mit dem Schiff am Ufer warten, auf."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1020,"orig":"Der ältſte, den das Übel hier ergriffen Und nun verlaſſen hat — es iſt Oreſt, Mein Bruder, und der andre ſein Vertrauter, Sein Jugendfreund, mit Nahmen Pylades.","norm":"Der ältste, den das Übel hier ergriffen und nun verlassen hat — es ist Orest, Mein Bruder, und der andere sein Vertrauter, Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1021,"orig":"Apoll ſchickt ſie von Delphi dieſem Ufer Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild Dianens wegzurauben und zu ihm Die Schweſter hinzubringen, und dafür Verſpricht er dem von Furien Verfolgten, Des Mutterblutes Schuldigen, Befreyung.","norm":"Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer mit göttlichen Befehlen zu, das Bild Dianes wegzurauben und zu ihm die Schwester hinzubringen, und dafür verspricht er dem von Furien Verfolgten, des Mutterblutes schuldigen, Befreiung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1022,"orig":"Uns beyde hab’ ich nun, die Überbliebnen Von Tantals Hauſ’, in deine Hand gelegt:","norm":"Uns beide habe ich nun, die Überbliebnen von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1023,"orig":"Verdirb uns — wenn du darfſt.","norm":"Verdirb uns — wenn du darfst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1024,"orig":"Du glaubſt, es höre Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme Der Wahrheit und der Menſchlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm?","norm":"Du glaubst, es höre der rohe Skythe, der Barbar, die Stimme der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, der Grieche, nicht vernahm?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1025,"orig":"Es hört ſie jeder, Geboren unter jedem Himmel, dem Des Lebens Quelle durch den Buſen rein Und ungehindert fließt.","norm":"Es hört sie jeder, geboren unter jedem Himmel, dem des Lebens Quelle durch den Busen rein und ungehindert fließt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1026,"orig":"— Was ſinnſt du mir, O König, ſchweigend in der tiefen Seele?","norm":"— Was sinnst du mir, O König, schweigend in der tiefen Seele?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1027,"orig":"Iſt es Verderben?","norm":"Ist es Verderben?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1028,"orig":"ſo tödte mich zuerſt!","norm":"so töte mich zuerst!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1029,"orig":"Denn nun empfind’ ich, da uns keine Rettung Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr, Worein ich die Geliebten übereilt Vorſetzlich ſtürzte.","norm":"Denn nun empfinde ich, da uns keine Rettung mehr übrigbleibt, die grässliche Gefahr, Worein ich die Geliebten übereilt Vorsätzlich stürzte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1030,"orig":"Weh!","norm":"Weh!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1031,"orig":"ich werde ſie Gebunden vor mir ſehn!","norm":"Ich werde sie Gebunden vor mir sehen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1032,"orig":"Mit welchen Blicken Kann ich von meinem Bruder Abſchied nehmen, Den ich ermorde?","norm":"Mit welchen Blicken kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen, den ich ermorde?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1033,"orig":"Nimmer kann ich ihm Mehr in die vielgeliebten Augen ſchaun!","norm":"Nimmer kann ich ihm Mehr in die vielgeliebten Augen schauen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1034,"orig":"So haben die Betrüger künſtlich-dichtend Der lang’ Verſchloßnen, ihre Wünſche leicht Und willig Glaubenden, ein ſolch Geſpinnſt Um’s Haupt geworfen!","norm":"So haben die Betrüger künstlich der lange Verschloßenen, ihre Wünsche leicht und willig glaubenden, ein solch Gespinst um das Haupt geworfen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1035,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1036,"orig":"o König, nein!","norm":"o König, nein!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1037,"orig":"Ich könnte hintergangen werden; dieſe Sind treu und wahr.","norm":"Ich könnte hintergangen werden; diese Sind treu und wahr."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1038,"orig":"Wirſt du ſie anders finden, So laß ſie fallen und verſtoße mich, Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit An einer Klippen-Inſel traurig Ufer.","norm":"Wirst du sie anders finden, so lass sie fallen und verstoße mich, Verbanne mich zur Strafe meiner Torheit an einer Klippeninsel traurig Ufer."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1039,"orig":"Iſt aber dieſer Mann der langerflehte, Geliebte Bruder: ſo entlaß uns, ſey Auch den Geſchwiſtern wie der Schweſter freundlich.","norm":"Ist aber dieser Mann der erflehte, Geliebte Bruder: so entlaße uns, sei auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1040,"orig":"Mein Vater fiel durch ſeiner Frauen Schuld, Und ſie durch ihren Sohn.","norm":"Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld, und sie durch ihren Sohn."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1041,"orig":"Die letzte Hoffnung Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.","norm":"Die letzte Hoffnung von Atreus Stamme ruht auf ihm allein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1042,"orig":"Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand, Hinübergehn und unſer Haus entſühnen.","norm":"Lass mich mit reinem Herzen, reiner Hand, Hinübergehen und unser Haus entsühnen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1043,"orig":"Du hältſt mir Wort!","norm":"Du hältst mir Wort!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1044,"orig":"— Wenn zu den Meinen je Mir Rückkehr zubereitet wäre, ſchwurſt Du mich zu laſſen; und ſie iſt es nun.","norm":"— Wenn zu den Meinen je mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst Du mich zu lassen; und sie ist es nun."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1045,"orig":"Ein König ſagt nicht, wie gemeine Menſchen, Verlegen zu, daß er den Bittenden Auf einen Augenblick entferne; noch Verſpricht er auf den Fall den er nicht hofft:","norm":"Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen, Verlegen zu, dass er den Bittenden Auf einen Augenblick entferne; noch verspricht er auf den Fall den er nicht hofft:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1046,"orig":"Dann fühlt er erſt die Höhe ſeiner Würde, Wenn er den Harrenden beglücken kann.","norm":"Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde, wenn er den Harrenden beglücken kann."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1047,"orig":"Unwillig, wie ſich Feuer gegen Waſſer Im Kampfe wehrt und giſchend ſeinen Feind Zu tilgen ſucht, ſo wehret ſich der Zorn In meinem Buſen gegen deine Worte.","norm":"Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind zu tilgen sucht, so wehret sich der Zorn in meinem Busen gegen deine Worte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1048,"orig":"O laß die Gnade, wie das heil’ge Licht Der ſtillen Opferflamme, mir umkränzt Von Lobgeſang und Dank und Freude lodern.","norm":"O lass die Gnade, wie das heilige Licht der stillen Opferflamme, mir umkränzt von Lobgesang und Dank und Freude lodern."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1049,"orig":"Wie oft beſänftigte mich dieſe Stimme!","norm":"Wie oft besänftigte mich diese Stimme!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1050,"orig":"O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.","norm":"O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1051,"orig":"Du forderſt viel in einer kurzen Zeit.","norm":"Du forderst viel in einer kurzen Zeit."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1052,"orig":"Um Gut’s zu thun braucht’s keiner Überlegung.","norm":"Um Gutes zu tun braucht es keiner Überlegung."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1053,"orig":"Sehr viel!","norm":"Sehr viel!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1054,"orig":"denn auch dem Guten folgt das Übel.","norm":"denn auch dem Guten folgt das Übel."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1055,"orig":"Der Zweifel iſt’s, der Gutes böſe macht.","norm":"Der Zweifel ist es, der Gutes böse macht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1056,"orig":"Bedenke nicht; gewähre wie du’s fühlſt.","norm":"Bedenke nicht; gewähre wie du es fühlst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1057,"orig":"Verdoppelt eure Kräfte!","norm":"Verdoppelt eure Kräfte!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1058,"orig":"Haltet ſie Zurück!","norm":"Haltet sie Zurück!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1059,"orig":"Nur wenig Augenblicke!","norm":"Nur wenig Augenblicke!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1060,"orig":"Weicht Der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe Mir und der Schweſter.","norm":"Weicht der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe mir und der Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1061,"orig":"Komm, wir ſind verrathen.","norm":"Komme, wir sind verraten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1062,"orig":"Geringer Raum bleibt uns zur Flucht.","norm":"Geringer Raum bleibt uns zur Flucht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1063,"orig":"Geſchwind!","norm":"Geschwind!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1064,"orig":"In meiner Gegenwart führt ungeſtraft Kein Mann das nackte Schwert.","norm":"In meiner Gegenwart führt ungestraft kein Mann das nackte Schwert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1065,"orig":"Entheiliget Der Göttinn Wohnung nicht durch Wuth und Mord.","norm":"Entheiliget der Göttin Wohnung nicht durch Wut und Mord."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1066,"orig":"Gebiethet euerm Volke Stillſtand, höret Die Prieſterinn, die Schweſter.","norm":"Gebietet eurem Volke Stillstand, hört die Priesterin, die Schwester."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1067,"orig":"Sage mir!","norm":"Sage mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1068,"orig":"Wer iſt es, der uns droht?","norm":"Wer ist es, der uns droht?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1069,"orig":"Verehr’ in ihm Den König, der mein zweyter Vater ward!","norm":"Verehre in ihm den König, der mein zweiter Vater wurde!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1070,"orig":"Verzeih’ mir, Bruder; doch mein kindlich Herz Hat unſer ganz Geſchick in ſeine Hand Gelegt.","norm":"Verzeih mir, Bruder; doch mein kindlich Herz hat unser ganz Geschick in seine Hand gelegt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1071,"orig":"Geſtanden hab’ ich euern Anſchlag Und meine Seele vom Verrath gerettet.","norm":"Gestanden habe ich euren Anschlag und meine Seele vom Verrat gerettet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1072,"orig":"Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren?","norm":"Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1073,"orig":"Dein blinkend Schwert verbiethet mir die Antwort.","norm":"Dein blinkend Schwert verbietet mir die Antwort."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1074,"orig":"So ſprich!","norm":"So sprich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1075,"orig":"du ſiehſt ich horche deinen Worten.","norm":"Du siehst ich horche deinen Worten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1076,"orig":"Verweilet nicht!","norm":"Verweilet nicht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1077,"orig":"Die letzten Kräfte raffen Die Unſrigen zuſammen; weichend werden Sie nach der See langſam zurückgedrängt.","norm":"Die letzten Kräfte raffen die Unsrigen zusammen; weichend werden Sie nach der See langsam zurückgedrängt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1078,"orig":"Welch ein Geſpräch der Fürſten ſind’ ich hier!","norm":"Welch ein Gespräch der Fürsten finde ich hier!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1079,"orig":"Dieß iſt des Königes verehrtes Haupt!","norm":"Dies ist des Königes verehrtes Haupt!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1080,"orig":"Gelaſſen, wie es dir, o König, ziemt, Stehſt du den Feinden gegen über.","norm":"Gelassen, wie es dir, o König, ziemt, stehst du den Feinden gegenüber."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1081,"orig":"Gleich Iſt die Verwegenheit beſtraft; es weicht Und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff iſt unſer.","norm":"Gleich Ist die Verwegenheit bestraft; es weicht und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff ist unser."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1082,"orig":"Ein Wort von dir; ſo ſteht’s in Flammen.","norm":"Ein Wort von dir; so steht es in Flammen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1083,"orig":"Geh!","norm":"Gehe!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1084,"orig":"Gebiethe Stillſtand meinem Volke!","norm":"Gebiete Stillstand meinem Volke!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1085,"orig":"Keiner Beſchädige den Feind, ſo lang’ wir reden.","norm":"Keiner Beschädige den Feind, solange wir reden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1086,"orig":"Ich nehm’ es an.","norm":"Ich nehme es an."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1087,"orig":"Geh’, ſammle, treuer Freund, Den Reſt des Volkes; harret ſtill, welch Ende Die Götter unſern Thaten zubereiten.","norm":"Gehe, sammle, treuer Freund, den Rest des Volkes; harret still, welch Ende die Götter unseren Taten zubereiten."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1088,"orig":"Befreyt von Sorge mich, eh’ ihr zu ſprechen Beginnet.","norm":"Befreit von Sorge mich, ehe ihr zu sprechen Beginnet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1089,"orig":"Ich befürchte böſen Zwiſt, Wenn du, o König, nicht der Billigkeit Gelinde Stimme höreſt; du, mein Bruder, Der raſchen Jugend nicht gebiethen willſt.","norm":"Ich befürchte bösen Zwist, wenn du, o König, nicht der Billigkeit gelinde Stimme hörest; du, mein Bruder, der raschen Jugend nicht gebieten willst."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1090,"orig":"Ich halte meinen Zorn, wie es dem Älter’n Geziemt, zurück.","norm":"Ich halte meinen Zorn, wie es dem Älteren Geziemt, zurück."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1091,"orig":"Antworte mir!","norm":"Antworte mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1092,"orig":"Womit Bezeugſt du, daß du Agamemnons Sohn Und dieſer Bruder biſt?","norm":"Womit bezeugst du, dass du Agamemnons Sohn und dieser Bruder bist?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1093,"orig":"Hier iſt das Schwert, Mit dem er Troja’s tapfre Männer ſchlug.","norm":"Hier ist das Schwert, mit dem er Trojas tapfere Männer schlug."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1094,"orig":"Dieß nahm ich ſeinem Mörder ab, und bath Die Himmliſchen, den Muth und Arm, das Glück Des großen Königes mir zu verleihn, Und einen ſchönern Tod mir zu gewähren.","norm":"Dies nahm ich seinem Mörder ab, und bat die himmlischen, den Mut und Arm, das Glück des großen Königes mir zu verleihen, und einen schöneren Tod mir zu gewähren."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1095,"orig":"Wähl’ einen aus den Edlen deines Heers Und ſtelle mir den Beſten gegen über.","norm":"Wähle einen aus den Edlen deines Heers und stelle mir den Besten gegenüber."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1096,"orig":"So weit die Erde Heldenſöhue nährt, Iſt keinem Fremdling dieß Geſuch verweigert.","norm":"So weit die Erde Heldensöhne nährt, ist keinem Fremdling dies Gesuch verweigert."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1097,"orig":"Dieß Vorrecht hat die alte Sitte nie Dem Fremden hier geſtattet.","norm":"Dies Vorrecht hat die alte Sitte nie dem Fremden hier gestattet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1098,"orig":"So beginne Die neue Sitte denn von dir und mir!","norm":"So beginne die neue Sitte denn von dir und mir!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1099,"orig":"Nachahmend heiliget ein ganzes Volk Die edle That der Herrſcher zum Geſetz.","norm":"Nachahmend heiliget ein ganzes Volk die edle Tat der Herrscher zum Gesetz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1100,"orig":"Und laß mich nicht allein für unſre Freyheit, Laß mich, den Fremden für die Fremden, kämpfen.","norm":"Und lass mich nicht allein für unsere Freiheit, Lass mich, den Fremden für die Fremden, kämpfen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1101,"orig":"Fall’ ich, ſo iſt ihr Urtheil mit dem meinen Geſprochen: aber gönnet mir das Glück Zu überwinden; ſo betrete nie Ein Mann dieß Ufer, dem der ſchnelle Blick Hülfreicher Liebe nicht begegnet, und Getröſtet ſcheide jeglicher hinweg!","norm":"Falle ich, so ist ihr Urteil mit dem meinen Gesprochen: aber gönnet mir das Glück zu überwinden; so betrete nie ein Mann dies Ufer, dem der schnelle Blick hilfreicher Liebe nicht begegnet, und getröstet scheide jeglicher hinweg!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1102,"orig":"Nicht unwerth ſcheineſt du, o Jüngling, mir Der Ahnherrn, deren du dich rühmſt, zu ſeyn.","norm":"Nicht unwert scheinest du, o Jüngling, mir der Ahnherrn, deren du dich rühmst, zu sein."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1103,"orig":"Groß iſt die Zahl der edeln, tapfern Männer, Die mich begleiten; doch ich ſtehe ſelbſt In meinen Jahren noch dem Feinde, bin Bereit mit dir der Waffen Loos zu wagen.","norm":"Groß ist die Zahl der edlen, tapfern Männer, die mich begleiten; doch ich stehe selbst In meinen Jahren noch dem Feinde, bin Bereit mit dir der Waffen Los zu wagen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1104,"orig":"Mit nichten!","norm":"Mit nichten!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1105,"orig":"Dieſes blutigen Beweiſes Bedarf es nicht, o König!","norm":"Dieses blutigen Beweises Bedarf es nicht, o König!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1106,"orig":"Laßt die Hand Vom Schwerte!","norm":"Lasst die Hand vom Schwerte!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1107,"orig":"Denkt an mich und mein Geſchick.","norm":"Denkt an mich und mein Geschick."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1108,"orig":"Der raſche Kampf verewigt einen Mann:","norm":"Der rasche Kampf verewigt einen Mann:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1109,"orig":"Er falle gleich, ſo preiſet ihn das Lied.","norm":"Er falle gleich, so preiset ihn das Lied."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1110,"orig":"Allein die Thränen, die unendlichen Der überbliebnen, der verlaßnen Frau, Zählt keine Nachwelt, und der Dichter ſchweigt Von tauſend durchgeweinten Tag- und Nächten, Wo eine ſtille Seele den verlornen, Raſch-abgeſchied ’ nen Freund vergebens ſich Zurückzurufen bangt und ſich verzehrt.","norm":"Allein die Tränen, die unendlichen Der überbliebenen, der verlassenen Frau, zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt von tausend durchgeweinten Tage- und Nächten, wo eine stille Seele den verlorenen, rasch abgeschiednen ’ einen Freund vergebens sich Zurückzurufen bangt und sich verzehrt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1111,"orig":"Mich ſelbſt hat eine Sorge gleich gewarnt, Daß der Betrug nicht eines Räubers mich Vom ſichern Schutzort reiße, mich der Knechtſchaft Verrathe.","norm":"Mich selbst hat eine Sorge gleich gewarnt, dass der Betrug nicht eines Räubers mich Vom sichern Schutzort reiße, mich der Knechtschaft Verrate."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1112,"orig":"Fleißig hab’ ich ſie befragt, Nach jedem Umſtand mich erkundigt, Zeichen Gefordert, und gewiß iſt nun mein Herz.","norm":"Fleißig habe ich sie befragt, nach jedem Umstand mich erkundigt, Zeichen gefordert, und gewiss ist nun mein Herz."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1113,"orig":"Sieh hier an ſeiner rechten Hand das Mahl Wie von drey Sternen, das am Tage ſchon Da er geboren ward, ſich zeigte, das Auf ſchwere That mit dieſer Fauſt zu üben Der Prieſter deutete.","norm":"Sieh hier an seiner rechten Hand das Mal wie von drei Sternen, das am Tage schon da er geboren wurde, sich zeigte, das Auf schwere Tat mit dieser Faust zu üben der Priester deutete."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1114,"orig":"Dann überzeugt Mich doppelt dieſe Schramme, die ihm hier Die Augenbraue ſpaltet.","norm":"Dann überzeugt mich doppelt diese Schramme, die ihm hier die Augenbraue spaltet."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1115,"orig":"Als ein Kind Ließ ihn Elektra, raſch und unvorſichtig Nach ihrer Art, aus ihren Armen ſtürzen.","norm":"Als ein Kind ließ ihn Elektra, rasch und unvorsichtig nach ihrer Art, aus ihren Armen stürzen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1116,"orig":"Er ſchlug auf einen Dreyfuß auf — Er iſt’s —","norm":"Er schlug auf einen Dreifuß auf — er ist es —"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1117,"orig":"Soll ich dir noch die Ähnlichkeit des Vaters, Soll ich das inn’re Jauchzen meines Herzens Dir auch als Zeugen der Verſich’rung nennen?","norm":"Soll ich dir noch die Ähnlichkeit des Vaters, Soll ich das innere Jauchzen meines Herzens Dir auch als Zeugen der Versicherung nennen?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1118,"orig":"Und hübe deine Rede jeden Zweifel Und bändigt’ ich den Zorn in meiner Bruſt:","norm":"Und höbe deine Rede jeden Zweifel und bändigte ich den Zorn in meiner Brust:"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1119,"orig":"So würden doch die Waffen zwiſchen uns Entſcheiden müſſen;","norm":"So würden doch die Waffen zwischen uns Entscheiden müssen;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1120,"orig":"Friede ſeh’ ich nicht.","norm":"Friede sehe ich nicht."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1121,"orig":"Sie ſind gekommen, du bekenneſt ſelbſt, Das heil’ge Bild der Görtinn mir zu rauben.","norm":"Sie sind gekommen, du bekennest selbst, das heilige Bild der Göttin mir zu rauben."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1122,"orig":"Glaubt ihr, ich ſehe dieß gelaſſen an?","norm":"Glaubt ihr, ich sehe dies gelassen an?"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1123,"orig":"Der Grieche wendet oft ſein lüſtern Auge Den fernen Schätzen der Barbaren zu, Dem goldnen Felle, Pferden, ſchönen Töchtern;","norm":"Der Grieche wendet oft sein lüstern Auge den fernen Schätzen der Barbaren zu, dem goldenen Felle, Pferden, schönen Töchtern;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1124,"orig":"Doch führte ſie Gewalt und Liſt nicht immer Mit den erlangten Gütern glücklich heim.","norm":"Doch führte sie Gewalt und List nicht immer mit den erlangten Gütern glücklich heim."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1125,"orig":"Das Bild, o König, ſoll uns nicht entzweyen!","norm":"Das Bild, o König, soll uns nicht entzweien!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1126,"orig":"Jetzt kennen wir den Irrthum, den ein Gott Wie einen Schleyer um das Haupt uns legte, Da er den Weg hierher uns wandern hieß.","norm":"Jetzt kennen wir den Irrtum, den ein Gott wie einen Schleier um das Haupt uns legte, da er den Weg hierher uns wandern hieß."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1127,"orig":"Um Rath und um Befreyung bath ich ihn Von dem Geleit der Furien; er ſprach: „Bringſt du die Schweſter, die an Tauris Ufer Im Heiligthume wider Willen bleibt, Nach Griechenland; ſo löſet ſich der Fluch.","norm":"Um Rat und um Befreiung bat ich ihn Von dem Geleit der Furien; er sprach: „Bringst du die Schwester, die an Tauris Ufer im Heiligtume wider Willen bleibt, nach Griechenland; so löset sich der Fluch."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1128,"orig":"“ Wir legten’s von Apollens Schweſter aus, Und er gedachte dich!","norm":"“ Wir legten es von Apollos Schwester aus, und er gedachte dich!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1129,"orig":"Die ſtrengen Bande Sind nun gelöſ’t; du biſt den Deinen wieder, Du Heilige, geſchenkt.","norm":"Die strengen Bande sind nun gelöst; du bist den Deinen wieder, Du Heilige, geschenkt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1130,"orig":"Von dir berührt War ich geheilt; in deinen Armen faßte Das Übel mich mit allen ſeinen Klauen Zum letztenmal, und ſchüttelte das Mark Entſetzlich mir zuſammen; dann entfloh’s Wie eine Schlange zu der Höhle.","norm":"Von dir berührt War ich geheilt; in deinen Armen fasste das Übel mich mit allen seinen Klauen zum letzten Mal, und schüttelte das Mark entsetzlich mir zusammen; dann entfloh es Wie eine Schlange zu der Höhle."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1131,"orig":"Neu Genieß’ ich nun durch dich das weite Licht Des Tages.","norm":"Neu Genieße ich nun durch dich das weite Licht des Tages."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1132,"orig":"Schön und herrlich zeigt ſich mir Der Göttinn Rath.","norm":"Schön und herrlich zeigt sich mir der Göttin Rat."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1133,"orig":"Gleich einem heil’gen Bilde, Daran der Stadt unwandelbar Geſchick Durch ein geheimes Götterwort gebannt iſt, Nahm ſie dich weg, dich Schützerinn des Hauſes;","norm":"Gleich einem heiligen Bilde, daran der Stadt unwandelbar Geschick durch ein geheimes Götterwort gebannt ist, nahm sie dich weg, dich Schützerin des Hauses;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1134,"orig":"Bewahrte dich in einer heil’gen Stille Zum Segen deines Bruders und der Deinen.","norm":"Bewahrte dich in einer heiligen Stille Zum Segen deines Bruders und der Deinen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1135,"orig":"Da alle Rettung auf der weiten Erde Verloren ſchien, gibſt du uns alles wieder.","norm":"Da alle Rettung auf der weiten Erde verloren schien, gibst du uns alles wieder."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1136,"orig":"Laß deine Seele ſich zum Frieden wenden, O König!","norm":"Lass deine Seele sich zum Frieden wenden, O König!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1137,"orig":"Hindre nicht, daß ſie die Weihe Des väterlichen Hauſes nun vollbringe, Mich der entſühnten Halle wiedergebe, Mir auf das Haupt die alte Krone drücke!","norm":"Hindre nicht, dass sie die Weihe des väterlichen Hauses nun vollbringe, mich der entsühnten Halle wiedergebe, mir auf das Haupt die alte Krone drücke!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1138,"orig":"Vergilt den Segen, den ſie dir gebracht, Und laß des nähern Rechtes mich genießen!","norm":"Vergilt den Segen, den sie dir gebracht, und lass des nähern Rechtes mich genießen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1139,"orig":"Gewalt und Liſt, der Männer höchſter Ruhm, Wird durch die Wahrheit dieſer hohen Seele Beſchämt, und reines kindliches Vertrauen Zu einem edeln Manne wird belohnt.","norm":"Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm, wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele beschämt, und reines kindliches Vertrauen zu einem edlen Manne wird belohnt."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1140,"orig":"Denk’ an dein Wort, und laß durch dieſe Rede Aus einem g’raden treuen Munde dich Bewegen!","norm":"Denke an dein Wort, und lass durch diese Rede aus einem geraden treuen Munde dich Bewegen!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1141,"orig":"Sieh’ uns an!","norm":"Sieh uns an!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1142,"orig":"Du haſt nicht oft Zu ſolcher edeln That Gelegenheit.","norm":"Du hast nicht oft zu solcher edlen Tat Gelegenheit."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1143,"orig":"Verſagen kannſt du’s nicht; gewähr’ es bald.","norm":"Versagen kannst du es nicht; gewähre es bald."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1144,"orig":"So geht!","norm":"So geht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1145,"orig":"Nicht ſo, mein König!","norm":"Nicht so, mein König!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1146,"orig":"Ohne Segen, In Widerwillen, ſcheid’ ich nicht von dir.","norm":"Ohne Segen, in Widerwillen, scheide ich nicht von dir."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1147,"orig":"Verbann’ uns nicht!","norm":"Verbanne uns nicht!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1148,"orig":"Ein freundlich Gaſtrecht walte Von dir zu uns: ſo ſind wir nicht auf ewig Getrennt und abgeſchieden.","norm":"Ein freundlich Gastrecht walte von dir zu uns: so sind wir nicht auf ewig Getrennt und abgeschieden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1149,"orig":"Werth und theuer Wie mir mein Vater war, ſo biſt du’s mir, Und dieſer Eindruck bleibt in meiner Seele.","norm":"Wert und teuer wie mir mein Vater war, so bist du es mir, und dieser Eindruck bleibt in meiner Seele."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1150,"orig":"Bringt der Geringſte deines Volkes je Den Ton der Stimme mir in’s Ohr zurück, Den ich an euch gewohnt zu hören bin, Und ſeh’ ich an dem Ärmſten eure Tracht;","norm":"Bringt der Geringste deines Volkes je den Ton der Stimme mir ins Ohr zurück, den ich an euch gewohnt zu hören bin, und sehe ich an dem Ärmsten eure Tracht;"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1151,"orig":"Empfangen will ich ihn wie einen Gott, Ich will ihm ſelbſt ein Lager zubereiten, Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden, Und nur nach dir und deinem Schickſal fragen.","norm":"Empfangen will ich ihn wie einen Gott, Ich will ihm selbst ein Lager zubereiten, auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden, und nur nach dir und deinem Schicksal fragen."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1152,"orig":"O geben dir die Götter deiner Thaten Und deiner Milde wohlverdienten Lohn!","norm":"O geben dir die Götter deiner Taten und deiner Milde wohlverdienten Lohn!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1153,"orig":"Leb wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1154,"orig":"O wende dich zu uns und gib Ein holdes Wort des Abſchieds mir zurück!","norm":"O wende dich zu uns und gib ein holdes Wort des Abschieds mir zurück!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1155,"orig":"Dann ſchwellt der Wind die Segel ſanfter an, Und Thränen fließen lindernder vom Auge Des Scheidenden.","norm":"Dann schwellt der Wind die Segel sanfter an, und Tränen fließen lindernder vom Auge des scheidenden."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1156,"orig":"Leb’ wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1157,"orig":"und reiche mir Zum Pfand der alten Freundſchaft deine Rechte.","norm":"und reiche mir zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte."} {"basename":"goethe_iphigenie_1787","par_idx":1158,"orig":"Lebt wohl!","norm":"Lebt wohl!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":0,"orig":"Das Schauſpiel dauerte ſehr lange.","norm":"Das Schauspiel dauerte sehr lange."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1,"orig":"Die alte Barbara trat einigemal ans Fenſter und horchte, ob die Kutſchen nicht raſſeln wollten.","norm":"Die alte Barbara trat einige Mal ans Fenster und horchte, ob die Kutschen nicht rasseln wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":2,"orig":"Sie erwartete Marianen, ihre ſchöne Gebieterin, die heute im Nachſpiele, als junger Officier gekleidet, das Publikum entzückte, mit größerer Ungedult, als ſonſt, wenn ſie ihr nur ein mäßiges Abendeſſen vorzuſetzen hatte; diesmal ſollte ſie mit einem Packet überraſcht werden, das Norberg, ein junger reicher Kaufmann, durch den Poſtwagen geſchickt hatte, um zu zeigen, daß er auch in der Entfernung ſeiner Geliebten gedenke.","norm":"Sie erwartete Mariane, ihre schöne Gebieterin, die heute im Nachspiele, als junger Offizier gekleidet, das Publikum entzückte, mit größerer Ungeduld, als sonst, wenn sie ihr nur ein mäßiges Abendessen vorzusetzen hatte; diesmal sollte sie mit einem Paket überrascht werden, das Norberg, ein junger reicher Kaufmann, durch den Postwagen geschickt hatte, um zu zeigen, dass er auch in der Entfernung seiner Geliebten gedenke."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":3,"orig":"Barbara war als alte Dienerin, Vertraute, Rathgeberin, Unterhändlerin und Haushälterin im Beſitz, die Siegel zu eröffnen und auch dieſen Abend konnte ſie ihrer Neugierde um ſo weniger widerſtehen, als ihr die Gunſt des freygebigen Liebhabers mehr als ſelbſt Marianen am Herzen lag.","norm":"Barbara war als alte Dienerin, Vertraute, Ratgeberin, Unterhändlerin und Haushälterin im Besitz, die Siegel zu eröffnen und auch diesen Abend konnte sie ihrer Neugierde um so weniger widerstehen, als ihr die Gunst des freigebigen Liebhabers mehr als selbst Mariane am Herzen lag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":4,"orig":"Zu ihrer größten Freude hatte ſie in dem Packete ein feines Stück Neſſeltuch und die neuſten Bänder für Marianen, für ſich aber ein Stück Kattun, Halstücher und ein Röllchen Geld gefunden.","norm":"Zu ihrer größten Freude hatte sie in dem Paket ein feines Stück Nesseltuch und die neusten Bänder für Mariane, für sich aber ein Stück Kattun, Halstücher und ein Röllchen Geld gefunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":5,"orig":"Mit welcher Neigung, welcher Dankbarkeit erinnerte ſie ſich des abweſenden Norbergs!","norm":"Mit welcher Neigung, welcher Dankbarkeit erinnerte sie sich des abwesenden Norbergs!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":6,"orig":"wie lebhaft nahm ſie ſich vor, auch bey Marianen ſeiner im beſten zu gedenken, ſie zu erinnern, was ſie ihm ſchuldig ſey und was er von ihrer Treue hoffen und erwarten müſſe.","norm":"Wie lebhaft nahm sie sich vor, auch bei Mariane seiner im besten zu gedenken, sie zu erinnern, was sie ihm schuldig sei und was er von ihrer Treue hoffen und erwarten müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":7,"orig":"Das Neſſeltuch, durch die Farbe der halbaufgerollten Bänder belebt, lag wie ein Chriſtgeſchenk auf dem Tiſchchen; die Stellung der Lichter erhöhte den Glanz der Gabe, alles war in Ordnung, als die Alte den Tritt Marianens auf der Treppe vernahm, und ihr entgegen eilte.","norm":"Das Nesseltuch, durch die Farbe der halb aufgerollten Bänder belebt, lag wie ein Christgeschenk auf dem Tischchen; die Stellung der Lichter erhöhte den Glanz der Gabe, alles war in Ordnung, als die Alte den Tritt Marianes auf der Treppe vernahm, und ihr entgegeneilte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":8,"orig":"Aber wie ſehr verwundert trat ſie zurück, als das weibliche Officierchen, ohne auf ihre Liebkoſungen zu achten, ſich an ihr vorbey drängte, mit ungewöhnlicher Haſt und Bewegung in das Zimmer trat, Federhut und Degen auf den Tiſch warf, unruhig auf und nieder ging und den feyerlich angezündeten Lichtern keinen Blick gönnte.","norm":"Aber wie sehr verwundert trat sie zurück, als das weibliche Offizierchen, ohne auf ihre Liebkosungen zu achten, sich an ihr vorbeidrängte, mit ungewöhnlicher Hast und Bewegung in das Zimmer trat, Federhut und Degen auf den Tisch warf, unruhig auf und niederging und den feierlich angezündeten Lichtern keinen Blick gönnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":9,"orig":"Was haſt du, Liebchen?","norm":"Was hast du, Liebchen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":10,"orig":"rief die Alte verwundert aus.","norm":"rief die Alte verwundert aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":11,"orig":"Ums Himmelswillen, Töchterchen, was giebts?","norm":"Um das Himmels Willen, Töchterchen, was gibt es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":12,"orig":"Sieh hier dieſe Geſchenke!","norm":"Sieh hier diese Geschenke!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":13,"orig":"Von wem können ſie ſeyn, als von deinem zärtlichſten Freunde?","norm":"Von wem können sie sein, als von deinem zärtlichsten Freunde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":14,"orig":"Norberg ſchickt dir das Stück Mouſſelin zum Nachtkleide, bald iſt er ſelbſt da; er ſcheint mir eifriger und freygebiger als jemals.","norm":"Norberg schickt dir das Stück Musselin zum Nachtkleide, bald ist er selbst da; er scheint mir eifriger und freigebiger als jemals."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":15,"orig":"Die Alte kehrte ſich um, und wollte die Gaben, womit er auch ſie bedacht, vorweiſen, als Mariane, ſich von den Geſchenken wegwendend, mit Leidenſchaft ausrief: fort!","norm":"Die Alte kehrte sich um, und wollte die Gaben, womit er auch sie bedacht, vorweisen, als Mariane, sich von den Geschenken wegwendend, mit Leidenschaft ausrief: Fort!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":16,"orig":"fort!","norm":"Fort!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":17,"orig":"heute will ich nichts von allem dieſen hören, ich habe dir gehorcht, du haſt es gewollt, es ſey ſo!","norm":"Heute will ich nichts von allem diesen hören, ich habe dir gehorcht, du hast es gewollt, es sei so!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":18,"orig":"Wenn Norberg zurückkehrt, bin ich wieder ſein, bin ich dein, mache mit mir was du willſt, aber bis dahin will ich mein ſeyn, und hätteſt du tauſend Zungen, du ſollteſt mir meinen Vorſatz nicht ausreden.","norm":"Wenn Norberg zurückkehrt, bin ich wieder sein, bin ich dein, mache mit mir was du willst, aber bis dahin will ich mein sein, und hättest du tausend Zungen, du solltest mir meinen Vorsatz nicht ausreden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":19,"orig":"Dieſes ganze Mein will ich dem geben, der mich liebt und den ich liebe.","norm":"Dieses ganze Mein will ich dem geben, der mich liebt und den ich liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":20,"orig":"Keine Geſichter!","norm":"Keine Gesichter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":21,"orig":"Ich will mich dieſer Leidenſchaft überlaſſen, als wenn ſie ewig dauern ſollte.","norm":"Ich will mich dieser Leidenschaft überlassen, als wenn sie ewig dauern sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":22,"orig":"Der Alten fehlte es nicht an Gegenvorſtellungen und Gründen; doch da ſie in fernerem Wortwechſel heftig und bitter ward, ſprang Mariane auf ſie los und faßte ſie bey der Bruſt.","norm":"Der Alten fehlte es nicht an Gegenvorstellungen und Gründen; doch da sie in fernerem Wortwechsel heftig und bitter wurde, sprang Mariane auf sie los und fasste sie bei der Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":23,"orig":"Die Alte lachte überlaut.","norm":"Die Alte lachte überlaut."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":24,"orig":"Ich werde ſorgen müſſen, rief ſie aus, daß ſie wieder bald in lange Kleider kommt, wenn ich meines Lebens ſicher ſeyn will.","norm":"Ich werde Sorgen müssen, rief sie aus, dass sie wieder bald in lange Kleider kommt, wenn ich meines Lebens sicher sein will."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":25,"orig":"Fort, zieht euch aus!","norm":"Fort, zieht Euch aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":26,"orig":"Ich hoffe das Mädchen wird mir abbitten, was mir der flüchtige Junker Leids zugefügt hat; herunter mit dem Rock und immer ſo fort alles herunter, es iſt eine unbequeme Tracht, und für euch gefährlich wie ich merke.","norm":"Ich hoffe das Mädchen wird mir abbitten, was mir der flüchtige Junker Leide es zugefügt hat; herunter mit dem Rock und immer so fort alles herunter, es ist eine unbequeme Tracht, und für Euch gefährlich wie ich merke."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":27,"orig":"Die Achſelbänder begeiſtern euch.","norm":"Die Achselbänder begeistern Euch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":28,"orig":"Die Alte hatte Hand an ſie gelegt, Mariane riß ſich los.","norm":"Die Alte hatte Hand an sie gelegt, Mariane riss sich los."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":29,"orig":"Nicht ſo geſchwind!","norm":"Nicht so geschwind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":30,"orig":"rief ſie aus: ich habe noch heute Beſuch zu erwarten.","norm":"rief sie aus: Ich habe noch heute Besuche zu erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":31,"orig":"Das iſt nicht gut, verſetzte die Alte.","norm":"Das ist nicht gut, versetzte die Alte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":32,"orig":"Doch nicht den jungen, zärtlichen, unbefiederten Kaufmannsſohn?","norm":"Doch nicht den jungen, zärtlichen, unbefiederten Kaufmannssohn?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":33,"orig":"Eben den, verſetzte Mariane.","norm":"Eben den, versetzte Mariane."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":34,"orig":"Es ſcheint, als wenn die Großmuth eure herrſchende Leidenſchaft werden wollte, erwiederte die Alte ſpottend: ihr nehmt euch der Unmündigen, der Unvermögenden mit großem Eifer an.","norm":"Es scheint, als wenn die Großmut Eure herrschende Leidenschaft werden wollte, erwiderte die Alte spottend: Ihr nehmt Euch der Unmündigen, der Unvermögenden mit großem Eifer an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":35,"orig":"Es muß reizend ſeyn, als uneigennützige Geberinn angebetet zu werden.","norm":"Es muss reizend sein, als uneigennützige Geberin angebetet zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":36,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":37,"orig":"Spotte wie du willſt.","norm":"Spotte wie du willst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":38,"orig":"Ich lieb’ ihn!","norm":"Ich liebe ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":39,"orig":"ich lieb’ ihn!","norm":"ich liebe ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":40,"orig":"Mit welchem Entzücken ſprech ich zum erſtenmal dieſe Worte aus!","norm":"Mit welchem Entzücken spreche ich zum ersten Mal diese Worte aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":41,"orig":"Das iſt dieſe Leidenſchaft, die ich ſo oft vorgeſtellt habe, von der ich keinen Begriff hatte.","norm":"Das ist diese Leidenschaft, die ich so oft vorgestellt habe, von der ich keinen Begriff hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":42,"orig":"Ja, ich will mich ihm um den Hals werfen!","norm":"Ja, ich will mich ihm um den Hals werfen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":43,"orig":"ich will ihn faſſen, als wenn ich ihn ewig halten wollte.","norm":"ich will ihn fassen, als wenn ich ihn ewig halten wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":44,"orig":"Ich will ihm meine ganze Liebe zeigen, ſeine Liebe in ihrem ganzen Umfang genießen.","norm":"Ich will ihm meine ganze Liebe zeigen, seine Liebe in ihrem ganzen Umfang genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":45,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":46,"orig":"Mäßigt euch, ſagte die Alte gelaſſen: mäßigt euch!","norm":"Mäßigt Euch, sagte die Alte gelassen: mäßigt Euch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":47,"orig":"Ich muß eure Freude durch Ein Wort unterbrechen:","norm":"Ich muss Eure Freude durch ein Wort unterbrechen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":48,"orig":"Norberg kommt!","norm":"Norberg kommt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":49,"orig":"in vierzehn Tagen kommt er!","norm":"In vierzehn Tagen kommt er!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":50,"orig":"Hier iſt ſein Brief, der die Geſchenke begleitet hat.","norm":"Hier ist sein Brief, der die Geschenke begleitet hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":51,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":52,"orig":"Und wenn mir die Morgenſonne meinen Freund rauben ſollte, will ich mirs verbergen.","norm":"Und wenn mir die Morgensonne meinen Freund rauben sollte, will ich mir es verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":53,"orig":"Vierzehn Tage!","norm":"Vierzehn Tage!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":54,"orig":"Welche Ewigkeit!","norm":"Welche Ewigkeit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":55,"orig":"In vierzehn Tagen, was kann da nicht vorfallen, was kann ſich da nicht verändern!","norm":"In vierzehn Tagen, was kann da nicht vorfallen, was kann sich da nicht verändern!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":56,"orig":"Wilhelm trat herein.","norm":"Wilhelm trat herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":57,"orig":"Mit welcher Lebhaftigkeit flog ſie ihm entgegen!","norm":"Mit welcher Lebhaftigkeit flog sie ihm entgegen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":58,"orig":"mit welchem Entzücken umſchlang er die rothe Uniform!","norm":"mit welchem Entzücken umschlang er die rote Uniform!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":59,"orig":"drückte er das weiße Atlaßweſtchen an ſeine Bruſt!","norm":"drückte er das weiße Atlaswestchen an seine Brust!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":60,"orig":"Wer wagte hier zu beſchreiben, wem geziemt es, die Seeligkeit zweyer Liebenden auszuſprechen.","norm":"Wer wagte hier zu beschreiben, wem geziemt es, die Seligkeit zweier Liebenden auszusprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":61,"orig":"Die Alte ging murrend bey Seite, wir entfernen uns mit ihr und laſſen die Glücklichen allein.","norm":"Die Alte ging murrend beiseite, wir entfernen uns mit ihr und lassen die Glücklichen allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":62,"orig":"Als Wilhelm ſeine Mutter des andern Morgens begrüßte, eröffnete ſie ihm, daß der Vater ſehr verdrießlich ſey, und ihm den täglichen Beſuch des Schauſpiels nächſtens unterſagen werde.","norm":"Als Wilhelm seine Mutter des anderen Morgens begrüßte, eröffnete sie ihm, dass der Vater sehr verdrießlich sei, und ihm den täglichen Besuche des Schauspiels nächstens untersagen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":63,"orig":"Wenn ich gleich ſelbſt, fuhr ſie fort, manchmal gern ins Theater gehe; ſo möchte ich es doch oft verwünſchen, da meine häuſliche Ruhe durch deine unmäßige Leidenſchaft zu dieſem Vergnügen geſtört wird.","norm":"Wenn ich gleich selbst, fuhr sie fort, manchmal gern ins Theater gehe; so möchte ich es doch oft verwünschen, da meine häusliche Ruhe durch deine unmäßige Leidenschaft zu diesem Vergnügen gestört wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":64,"orig":"Der Vater wiederholt immer, wozu es nur nütze ſey?","norm":"Der Vater wiederholt immer, wozu es nur nütze sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":65,"orig":"Wie man ſeine Zeit nur ſo verderben könne?","norm":"Wie man seine Zeit nur so verderben könne?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":66,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":67,"orig":"Ich habe es auch ſchon von ihm hören müſſen, verſetzte Wilhelm: und habe ihm vielleicht zu haſtig geantwortet; aber ums Himmelswillen Mutter!","norm":"Ich habe es auch schon von ihm hören müssen, versetzte Wilhelm: und habe ihm vielleicht zu hastig geantwortet; aber um das Himmels Willen Mutter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":68,"orig":"iſt denn alles unnütz, was uns nicht unmittelbar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allernächſten Beſitz verſchafft?","norm":"ist denn alles unnütz, was uns nicht unmittelbar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allernächsten Besitz verschafft?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":69,"orig":"Hatten wir in dem alten Hauſe nicht Raum genug?","norm":"Hatten wir in dem alten Hause nicht Raum genug?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":70,"orig":"und war es nöthig ein neues zu bauen?","norm":"und war es nötig ein neues zu bauen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":71,"orig":"Verwendet der Vater nicht jährlich einen anſehnlichen Theil ſeines Handelsgewinnes zur Verſchönerung der Zimmer?","norm":"Verwendet der Vater nicht jährlich einen ansehnlichen Teil seines Handelsgewinnes zur Verschönerung der Zimmer?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":72,"orig":"Dieſe ſeidenen Tapeten, dieſe engliſchen Mobilien ſind ſie nicht auch unnütz?","norm":"Diese seidenen Tapeten, diese englischen Mobilien sind sie nicht auch unnütz?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":73,"orig":"Könnten wir uns nicht mit geringeren begnügen?","norm":"Könnten wir uns nicht mit geringeren begnügen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":74,"orig":"Wenigſtens bekenne ich, daß mir dieſe geſtreiften Wände, dieſe hundertmal wiederholten Blumen, Schnörkel, Körbchen und Figuren einen durchaus unangenehmen Eindruck machen.","norm":"Wenigstens bekenne ich, dass mir diese gestreiften Wände, diese hundertmal wiederholten Blumen, Schnörkel, Körbchen und Figuren einen durchaus unangenehmen Eindruck machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":75,"orig":"Sie kommen mir höchſtens vor wie unſer Theatervorhang.","norm":"Sie kommen mir höchstens vor wie unser Theatervorhang."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":76,"orig":"Aber wie anders iſts vor dieſem zu ſitzen!","norm":"Aber wie anders ist es vor diesem zu sitzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":77,"orig":"Wenn man noch ſo lange warten muß, ſo weiß man doch, er wird in die Höhe gehen, und wir werden die mannigfaltigſten Gegenſtände ſehen, die uns unterhalten, aufklären und erheben.","norm":"Wenn man noch so lange warten muss, so weiß man doch, er wird in die Höhe gehen, und wir werden die mannigfaltigsten Gegenstände sehen, die uns unterhalten, aufklären und erheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":78,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":79,"orig":"Mach' es nur mäßig, ſagte die Mutter: der Vater will auch Abends unterhalten ſeyn, und dann glaubt er, es zerſtreue dich, und am Ende trag ich, wenn er verdrießlich wird, die Schuld.","norm":"Mache es nur mäßig, sagte die Mutter: Der Vater will auch Abends unterhalten sein, und dann glaubt er, es zerstreue dich, und am Ende trage ich, wenn er verdrießlich wird, die Schuld."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":80,"orig":"Wie oft mußte ich mir das verwünſchte Puppenſpiel vorwerfen laſſen, das ich euch vor zwölf Jahren zum heiligen Chriſt gab, und das euch zuerſt Geſchmack am Schauſpiele beybrachte!","norm":"Wie oft musste ich mir das verwünschte Puppenspiel vorwerfen lassen, das ich euch vor zwölf Jahren zum heiligen Christ gab, und das euch zuerst Geschmack am Schauspiele beibrachte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":81,"orig":"Schelten Sie das Puppenſpiel nicht, laſſen Sie ſich Ihre Liebe und Vorſorge nicht gereuen.","norm":"Schelten Sie das Puppenspiel nicht, lassen Sie sich Ihre Liebe und Vorsorge nicht gereuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":82,"orig":"Es waren die erſten vergnügten Augenblicke, die ich in dem neuen leeren Hauſe genoß, ich ſehe es dieſen Augenblick noch vor mir, ich weiß, wie ſonderbar es mir vorkam, als man uns, nach Empfang der gewöhnlichen Chriſtgeſchenke, vor einer Thüre niederſitzen hieß, die aus einem andern Zimmer herein ging.","norm":"Es waren die ersten vergnügten Augenblicke, die ich in dem neuen leeren Hause genoss, ich sehe es diesen Augenblick noch vor mir, ich weiß, wie sonderbar es mir vorkam, als man uns, nach Empfang der gewöhnlichen Christgeschenke, vor einer Türe niedersitzen hieß, die aus einem anderen Zimmer hereinging."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":83,"orig":"Sie eröffnete ſich; allein nicht wie ſonſt zum hin und wiederlaufen, der Eingang war durch eine unerwartete Feſtlichkeit ausgefüllt.","norm":"Sie eröffnete sich; allein nicht wie sonst zum hin und wiederlaufen, der Eingang war durch eine unerwartete Festlichkeit ausgefüllt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":84,"orig":"Es baute ſich ein Portal in die Höhe, das von einem myſtiſchen Vorhang verdeckt war.","norm":"Es baute sich ein Portal in die Höhe, das von einem mystischen Vorhang verdeckt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":85,"orig":"Erſt ſtanden wir alle von ferne, und wie unſre Neugierde größer ward, um zu ſehen was wohl blinkendes und raſſelndes ſich hinter der halb durchſichtigen Hülle verbergen möchte, wieß man jedem ſein Stühlchen an und gebot uns in Geduld zu warten.","norm":"Erst standen wir alle von ferne, und wie unsere Neugierde größer wurde, um zu sehen was wohl Blinkendes und Rasselndes sich hinter der halb durchsichtigen Hülle verbergen möchte, wies man jedem sein Stühlchen an und gebot uns in Geduld zu warten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":86,"orig":"So ſaß nun alles und war ſtill; eine Pfeife gab das Signal, der Vorhang rollte in die Höhe, und zeigte eine hochroth gemahlte Ausſicht in den Tempel.","norm":"So saß nun alles und war still; eine Pfeife gab das Signal, der Vorhang rollte in die Höhe, und zeigte eine hochrot gemalte Aussicht in den Tempel."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":87,"orig":"Der Hoheprieſter Samuel erſchien mit Jonathan, und ihre wechſelnden wunderlichen Stimmen kamen mir höchſt ehrwürdig vor.","norm":"Der Hohepriester Samuel erschien mit Jonathan, und ihre wechselnden wunderlichen Stimmen kamen mir höchst ehrwürdig vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":88,"orig":"Kurz darauf betrat Saul die Scene, in großer Verlegenheit über die Impertinenz des ſchwerlöthigen Kriegers, der ihn und die ſeinigen herausgefordert hatte.","norm":"Kurz darauf betrat Saul die Szene, in großer Verlegenheit über die Impertinenz des schwerlötigen Kriegers, der ihn und die Seinigen herausgefordert hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":89,"orig":"Wie wohl ward es mir daher als der zwerggeſtaltete Sohn Iſai mit Schäferſtab, Hirtentaſche und Schleuder hervorhüpfte und ſprach.","norm":"Wie wohl wurde es mir daher als der zwerggestaltete Sohn Isai mit Schäferstab, Hirtentasche und Schleuder hervorhüpfte und sprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":90,"orig":"Grosmächtigſter König und Herr Herr!","norm":"Großmächtigster König und Herr Herr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":91,"orig":"es entfalle keinem der Muth um deßwillen; wenn Ihro Majeſtät mir erlauben wollen, ſo will ich hingehen und mit dem gewaltigen Rieſen in den Streit treten.","norm":"es entfalle keinem der Mut um deswillen; wenn Ihre Majestät mir erlauben wollen, so will ich hingehen und mit dem gewaltigen Riesen in den Streit treten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":92,"orig":"— Der erſte Akt war geendet und die Zuſchauer höchſt begierig zu ſehen was nun weiter vorgehen ſollte, jedes wünſchte die Muſik möchte nur bald aufhören.","norm":"— Der erste Akt war geendet und die Zuschauer höchst begierig zu sehen was nun weiter vorgehen sollte, jedes wünschte die Musik möchte nur bald aufhören."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":93,"orig":"Endlich ging der Vorhang wieder in die Höhe.","norm":"Endlich ging der Vorhang wieder in die Höhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":94,"orig":"David weihte das Fleiſch des Ungeheuers den Vögeln unter dem Himmel und den Thieren auf dem Felde, der Philiſter ſprach Hohn, ſtampfte viel mit beyden Füßen, fiel endlich wie ein Klotz und gab der ganzen Sache einen herrlichen Ausſchlag.","norm":"David weihte das Fleisch des Ungeheuers den Vögeln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde, der Philister sprach Hohn, stampfte viel mit beiden Füßen, fiel endlich wie ein Klotz und gab der ganzen Sache einen herrlichen Ausschlag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":95,"orig":"Wie dann nachher die Jungfrauen ſangen:","norm":"Wie dann nachher die Jungfrauen sangen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":96,"orig":"Saul hat Tauſend geſchlagen, David aber Zehntauſend!","norm":"Saul hat Tausend geschlagen, David aber Zehntausend!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":97,"orig":"der Kopf des Rieſen vor dem kleinen Überwinder hergetragen wurde, und er die ſchöne Königstochter zur Gemahlinn erhielt; verdroß es mich doch bey aller Freude, daß der Glücksprinz ſo zwergmäßig gebildet ſey.","norm":"der Kopf des Riesen vor dem kleinen Überwinder hergetragen wurde, und er die schöne Königstochter zur Gemahlin erhielt; verdross es mich doch bei aller Freude, dass der Glücksprinz so zwergmäßig gebildet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":98,"orig":"Denn nach der Idee vom großen Goliath und kleinen David hatte man nicht verfehlt beyde recht charakteriſtiſch zu machen.","norm":"Denn nach der Idee vom großen Goliath und kleinen David hatte man nicht verfehlt beide recht charakteristisch zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":99,"orig":"Ich bitte Sie, wo ſind die Puppen hingekommen?","norm":"Ich bitte Sie, wo sind die Puppen hingekommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":100,"orig":"Ich habe verſprochen, ſie einem Freunde zu zeigen, dem ich viel Vergnügen machte, indem ich ihn neulich von dieſem Kinderſpiel unterhielt.","norm":"Ich habe versprochen, sie einem Freunde zu zeigen, dem ich viel Vergnügen machte, indem ich ihn neulich von diesem Kinderspiel unterhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":101,"orig":"Es wundert mich nicht, daß du dich dieſer Dinge ſo lebhaft erinnerſt: denn du nahmſt gleich den größten Antheil daran.","norm":"Es wundert mich nicht, dass du dich dieser Dinge so lebhaft erinnerst: denn du nahmst gleich den größten Anteil daran."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":102,"orig":"Ich weiß, wie du mir das Büchelchen entwendeteſt und das ganze Stück auswendig lernteſt, ich wurde es erſt gewahr, als du eines Abends dir einen Goliath und David von Wachs machteſt, ſie beyde gegen einander peroriren lieſſeſt, dem Rieſen endlich einen Stoß gabſt und ſein unförmliches Haupt auf einer großen Stecknadel mit wächſernem Griff dem kleinen David in die Hand klebteſt.","norm":"Ich weiß, wie du mir das Büchlein entwendetest und das ganze Stück auswendig lerntest, ich wurde es erst gewahr, als du eines Abends dir einen Goliath und David von Wachs machtest, sie beide gegeneinander perorieren ließest, dem Riesen endlich einen Stoß gabst und sein unförmliches Haupt auf einer großen Stecknadel mit wächsernem Griff dem kleinen David in die Hand klebtest."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":103,"orig":"Ich hatte damals ſo eine herzliche mütterliche Freude über dein gutes Gedächtniß und deine pathetiſche Rede, daß ich mir ſogleich vornahm, dir die hölzerne Truppe nun ſelbſt zu übergeben.","norm":"Ich hatte damals so eine herzliche mütterliche Freude über dein gutes Gedächtnis und deine pathetische Rede, dass ich mir sogleich vornahm, dir die hölzerne Truppe nun selbst zu übergeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":104,"orig":"Ich dachte damals nicht, daß es mir ſo manche verdrießliche Stunde machen ſollte.","norm":"Ich dachte damals nicht, dass es mir so manche verdrießliche Stunde machen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":105,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":106,"orig":"Laſſen Sie ſich’s nicht gereuen, verſetzte Wilhelm: denn es haben uns dieſe Scherze manche vergnügte Stunde gemacht.","norm":"Lassen Sie sich es nicht gereuen, versetzte Wilhelm: denn es haben uns diese Scherze manche vergnügte Stunde gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":107,"orig":"Und mit dieſem erbat er ſich die Schlüſſel, eilte, fand die Puppen und war einen Augenblick in jene Zeiten verſetzt, wo ſie ihm noch belebt ſchienen, wo er ſie durch die Lebhaftigkeit ſeiner Stimme, durch die Bewegung ſeiner Hände zu beleben glaubte.","norm":"Und mit diesem erbat er sich die Schlüssel, eilte, fand die Puppen und war einen Augenblick in jene Zeiten versetzt, wo sie ihm noch belebt schienen, wo er sie durch die Lebhaftigkeit seiner Stimme, durch die Bewegung seiner Hände zu beleben glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":108,"orig":"Er nahm ſie mit auf ſeine Stube und verwahrte ſie ſorgfältig.","norm":"Er nahm sie mit auf seine Stube und verwahrte sie sorgfältig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":109,"orig":"Wenn die erſte Liebe, wie ich allgemein behaupten höre, das Schönſte iſt, was ein Herz früher oder ſpäter empfinden kann; ſo müſſen wir unſern Helden dreyfach glücklich preiſen, daß ihm gegönnt ward, die Wonne dieſer einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu genießen.","norm":"Wenn die erste Liebe, wie ich allgemein behaupten höre, das Schönste ist, was ein Herz früher oder später empfinden kann; so müssen wir unseren Helden dreifach glücklich preisen, dass ihm gegönnt wurde, die Wonne dieser einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":110,"orig":"Nur wenig Menſchen werden ſo vorzüglich begünſtigt, indeß die meiſten von ihren frühern Empfindungen nur durch eine harte Schule geführt werden, in welcher ſie, nach einem kümmerlichen Genuß, gezwungen ſind, ihren beſten Wünſchen entſagen, und das, was ihnen als höchſte Glückſeligkeit vorſchwebte, für immer entbehren zu lernen.","norm":"Nur wenig Menschen werden so vorzüglich begünstigt, indes die meisten von ihren früheren Empfindungen nur durch eine harte Schule geführt werden, in welcher sie, nach einem kümmerlichen Genuss, gezwungen sind, ihren besten Wünschen entsagen, und das, was ihnen als höchste Glückseligkeit vorschwebte, für immer entbehren zu lernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":111,"orig":"Auf den Flügeln der Einbildungskraft hatte ſich Wilhelms Begierde zu dem reizenden Mädchen erhoben, nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand ſich im Beſitz einer Perſon, die er ſo ſehr liebte, ja verehrte: denn ſie war ihm zuerſt in dem günſtigen Lichte theatraliſcher Vorſtellung erſchienen, und ſeine Leidenſchaft zur Bühne verband ſich mit der erſten Liebe zu einem weiblichen Geſchöpfe.","norm":"Auf den Flügeln der Einbildungskraft hatte sich Wilhelms Begierde zu dem reizenden Mädchen erhoben, nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand sich im Besitz einer Person, die er so sehr liebte, ja verehrte: denn sie war ihm zuerst in dem günstigen Lichte theatralischer Vorstellung erschienen, und seine Leidenschaft zur Bühne verband sich mit der ersten Liebe zu einem weiblichen Geschöpfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":112,"orig":"Seine Jugend ließ ihn reiche Freuden genießen, die von einer lebhaften Dichtung erhöht und erhalten wurden.","norm":"Seine Jugend ließ ihn reiche Freuden genießen, die von einer lebhaften Dichtung erhöht und erhalten wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":113,"orig":"Auch der Zuſtand ſeiner Geliebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche ſeinen Empfindungen ſehr zu Hülfe kam; die Furcht, ihr Geliebter möchte ihre übrigen Verhältniſſe vor der Zeit entdecken, verbreitete über ſie einen liebenswürdigen Anſchein von Sorge und Schaam, ihre Leidenſchaft für ihn war lebhaft, ſelbſt ihre Unruhe ſchien ihre Zärtlichkeit zu vermehren; ſie war das lieblichſte Geſchöpf in ſeinen Armen.","norm":"Auch der Zustand seiner Geliebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche seinen Empfindungen sehr zu Hilfe kam; die Furcht, ihr Geliebter möchte ihre übrigen Verhältnisse vor der Zeit entdecken, verbreitete über sie einen liebenswürdigen Anschein von Sorge und Scham, ihre Leidenschaft für ihn war lebhaft, selbst ihre Unruhe schien ihre Zärtlichkeit zu vermehren; sie war das lieblichste Geschöpf in seinen Armen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":114,"orig":"Als er aus dem erſten Taumel der Freude erwachte, und auf ſein Leben und ſeine Verhältniſſe zurückblickte, erſchien ihm alles neu, ſeine Pflichten heiliger, ſeine Liebhabereyen lebhafter, ſeine Kenntniſſe deutlicher, ſeine Talente kräftiger, ſeine Vorſätze entſchiedener.","norm":"Als er aus dem ersten Taumel der Freude erwachte, und auf sein Leben und seine Verhältnis zurückblickte, erschien ihm alles neu, seine Pflichten heiliger, seine Liebhabereien lebhafter, seine Kenntnisse deutlicher, seine Talente kräftiger, seine Vorsätze entschiedener."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":115,"orig":"Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen ſeines Vaters zu entgehen, ſeine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungeſtört zu genießen.","norm":"Es wurde ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen seines Vaters zu entgehen, seine Mutter zu beruhigen und Marianes Liebe ungestört zu genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":116,"orig":"Er verrichtete des Tags ſeine Geſchäfte pünktlich, entſagte gewöhnlich dem Schauſpiel, war Abends bey Tiſche unterhaltend, und ſchlich, wenn alles zu Bette war, in ſeinen Mantel gehüllt, ſachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Buſen, unaufhaltſam zu ſeiner Geliebten.","norm":"Er verrichtete des Tags seine Geschäfte pünktlich, entsagte gewöhnlich dem Schauspiel, war Abends bei Tische unterhaltend, und schlich, wenn alles zu Bette war, in seinen Mantel gehüllt, sachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Busen, unaufhaltsam zu seiner Geliebten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":117,"orig":"Was bringen Sie?","norm":"Was bringen Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":118,"orig":"fragte Mariane, als er eines Abends ein Bündel hervorwies, das die Alte, in Hoffnung angenehmer Geſchenke, ſehr aufmerkſam betrachtete.","norm":"fragte Mariane, als er eines Abends ein Bündel hervorwies, das die Alte, in Hoffnung angenehmer Geschenke, sehr aufmerksam betrachtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":119,"orig":"Sie werden es nicht errathen, verſetzte Wilhelm.","norm":"Sie werden es nicht erraten, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":120,"orig":"Wie verwunderte ſich Mariane, wie entſetzte ſich Barbara, als die aufgebundene Serviette einen verworrnen Haufen ſpannenlanger Puppen ſehen ließ.","norm":"Wie verwunderte sich Mariane, wie entsetzte sich Barbara, als die aufgebundene Serviette einen verworrenen Haufen spannenlanger Puppen sehen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":121,"orig":"Mariane lachte laut, als Wilhelm die verworrenen Dräte auseinander zu wickeln und jede Figur einzeln vorzuzeigen bemühet war.","norm":"Mariane lachte laut, als Wilhelm die verworrenen Drähte auseinander zu wickeln und jede Figur einzeln vorzuzeigen bemüht war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":122,"orig":"Die Alte ſchlich verdrüßlich bey Seite.","norm":"Die Alte schlich verdrießlich beiseite."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":123,"orig":"Es bedarf nur einer Kleinigkeit, um zwey Liebende zu unterhalten, und ſo vergnügten ſich unſre Freunde dieſen Abend aufs beſte.","norm":"Es bedarf nur einer Kleinigkeit, um zwei Liebende zu unterhalten, und so vergnügten sich unsere Freunde diesen Abend aufs beste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":124,"orig":"Die kleine Truppe wurde gemuſtert, jede Figur genau betrachtet und belacht.","norm":"Die kleine Truppe wurde gemustert, jede Figur genau betrachtet und belacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":125,"orig":"König Saul im ſchwarzen Sammtrocke mit der goldenen Krone wollte Marianen gar nicht gefallen; er ſähe ihr, ſagte ſie, zu ſteif und pedantiſch aus.","norm":"König Saul im schwarzen Samtrocke mit der goldenen Krone wollte Mariane gar nicht gefallen; er sähe ihr, sagte sie, zu steif und pedantisch aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":126,"orig":"Deſto beſſer behagte ihr Jonathan, ſein glattes Kinn, ſein gelb und rothes Kleid und der Turban.","norm":"Desto besser behagte ihr Jonathan, sein glattes Kinn, sein gelb und rotes Kleid und der Turban."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":127,"orig":"Auch wußte ſie ihn gar artig am Drate hin und her zu drehen, ließ ihn Reverenzen machen und Liebeserklärungen herſagen.","norm":"Auch wusste sie ihn gar artig am Drahte hin und her zu drehen, ließ ihn Reverenzen machen und Liebeserklärungen hersagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":128,"orig":"Dagegen wollte ſie dem Propheten Samuel nicht die mindeſte Aufmerkſamkeit ſchenken, wenn ihr gleich Wilhelm das Bruſtſchildchen anpries und erzählte, daß der Schillertaft des Leibrocks von einem alten Kleide der Großmutter genommen ſey.","norm":"Dagegen wollte sie dem Propheten Samuel nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenken, wenn ihr gleich Wilhelm das Brustschildchen anpries und erzählte, dass der Schillertaft des Leibrocks von einem alten Kleide der Großmutter genommen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":129,"orig":"David war ihr zu klein, und Goliath zu groß, ſie hielt ſich an ihren Jonathan.","norm":"David war ihr zu klein, und Goliath zu groß, sie hielt sich an ihren Jonathan."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":130,"orig":"Sie wußte ihm ſo artig zu thun, und zuletzt ihre Liebkoſungen von der Puppe auf unſern Freund herüber zu tragen, daß auch dießmal wieder ein geringes Spiel die Einleitung glücklicher Stunden ward.","norm":"Sie wusste ihm so artig zu tun, und zuletzt ihre Liebkosungen von der Puppe auf unseren Freund herüberzutragen, dass auch diesmal wieder ein geringes Spiel die Einleitung glücklicher Stunden wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":131,"orig":"Aus der Süßigkeit ihrer zärtlichen Träume wurden ſie durch einen Lerm geweckt, welcher auf der Straße entſtand.","norm":"Aus der Süßigkeit ihrer zärtlichen Träume wurden sie durch einen Lärm geweckt, welcher auf der Straße entstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":132,"orig":"Mariane rief der Alten, die, nach ihrer Gewohnheit noch fleißig, die veränderlichen Materialien der Theatergarderobe zum Gebrauch des nächſten Stückes anzupaſſen beſchäftigt war.","norm":"Mariane rief der Alten, die, nach ihrer Gewohnheit noch fleißig, die veränderlichen Materialien der Theatergarderobe zum Gebrauch des nächsten Stückes anzupassen beschäftigt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":133,"orig":"Sie gab die Auſkunft, daß eben eine Geſellſchaft luſtiger Geſellen aus dem Italiäner Keller neben an heraus taumle, wo ſie bey friſchen Auſtern, die eben angekommen, des Champagners nicht geſchont hätten.","norm":"Sie gab die Auskunft, dass eben eine Gesellschaft lustiger Gesellen aus dem Italiener Keller nebenan heraustaumle, wo sie bei frischen Austern, die eben angekommen, des Champagners nicht geschont hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":134,"orig":"Schade, ſagte Mariane: daß es uns nicht früher eingefallen iſt, wir hätten uns auch was zu Gute thun ſollen.","norm":"Schade, sagte Mariane: dass es uns nicht früher eingefallen ist, wir hätten uns auch was zugute tun sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":135,"orig":"Es iſt wohl noch Zeit, verſetzte Wilhelm und reichte der Alten einen Louisdor hin: verſchaft Sie uns, was wir wünſchen, ſo ſoll Sie’s mit genießen.","norm":"Es ist wohl noch Zeit, versetzte Wilhelm und reichte der Alten einen Louisdor hin: verschafft Sie uns, was wir wünschen, so soll Sie es mitgenießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":136,"orig":"Die Alte war behend, und in kurzer Zeit ſtand ein artig beſtellter Tiſch mit einer wohlgeordneten Collation vor den Liebenden.","norm":"Die Alte war behände, und in kurzer Zeit stand ein artig bestellter Tisch mit einer wohlgeordneten Kollation vor den Liebenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":137,"orig":"Die Alte mußte ſich dazu ſetzen, man aß, trank und ließ ſich’s wohl ſeyn.","norm":"Die Alte musste sich dazusetzen, man aß, trank und ließ sich es wohl sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":138,"orig":"In ſolchen Fällen fehlt es nie an Unterhaltung.","norm":"In solchen Fällen fehlt es nie an Unterhaltung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":139,"orig":"Mariane nahm ihren Jonathan wieder vor, und die Alte wußte das Geſpräch auf Wilhelms Lieblingsmaterie zu wenden.","norm":"Mariane nahm ihren Jonathan wieder vor, und die Alte wusste das Gespräch auf Wilhelms Lieblingsmaterie zu wenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":140,"orig":"Sie haben uns ſchon einmal, ſagte ſie, von der erſten Aufführung eines Puppenſpiels am Weihnachtsabend unterhalten, es war luſtig zu hören.","norm":"Sie haben uns schon einmal, sagte sie, von der ersten Aufführung eines Puppenspiels am Weihnachtsabend unterhalten, es war lustig zu hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":141,"orig":"Sie wurden eben unterbrochen, als das Ballet angehen ſollte.","norm":"Sie wurden eben unterbrochen, als das Ballett angehen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":142,"orig":"Nun kennen wir das herrliche Perſonal, das jene großen Wirkungen hervorbrachte.","norm":"Nun kennen wir das herrliche Personal, das jene großen Wirkungen hervorbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":143,"orig":"Ja, ſagte Mariane: erzähle uns weiter, wie war dir’s zu Muthe?","norm":"Ja, sagte Mariane: erzähle uns weiter, wie war dir es zumute?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":144,"orig":"Es iſt eine ſchöne Empfindung, liebe Mariane, verſetzte Wilhelm: wenn wir uns alter Zeiten und alter unſchädlicher Irrthümer erinnern, beſonders wenn es in einem Augenblicke geſchieht, da wir eine Höhe glücklich erreicht haben, von welcher wir uns umſehen und den zurückgelegten Weg überſchauen können.","norm":"Es ist eine schöne Empfindung, liebe Mariane, versetzte Wilhelm: wenn wir uns alter Zeiten und alter unschädlicher Irrtümer erinnern, besonders wenn es in einem Augenblicke geschieht, da wir eine Höhe glücklich erreicht haben, von welcher wir uns umsehen und den zurückgelegten Weg überschauen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":145,"orig":"Es iſt ſo angenehm, ſelbſtzufrieden, ſich mancher Hinderniſſe zu erinnern, die wir oft mit einem peinlichen Gefühle für unüberwindlich hielten, und dasjenige, was wir jetzt entwickelt ſind, mit dem zu vergleichen, was wir damals unentwickelt waren.","norm":"Es ist so angenehm, selbstzufrieden, sich mancher Hindernisse zu erinnern, die wir oft mit einem peinlichen Gefühle für unüberwindlich hielten, und dasjenige, was wir jetzt entwickelt sind, mit dem zu vergleichen, was wir damals unentwickelt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":146,"orig":"Aber unausſprechlich glücklich fühl’ ich mich jetzt, da ich in dieſem Augenblicke mit dir von dem Vergangnen rede, weil ich zugleich vorwärts in das reizende Land ſchaue, das wir zuſammen Hand in Hand durchwandern können.","norm":"Aber unaussprechlich glücklich fühle ich mich jetzt, da ich in diesem Augenblicke mit dir von dem Vergangenen rede, weil ich zugleich vorwärts in das reizende Land schaue, das wir zusammen Hand in Hand durchwandern können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":147,"orig":"Wie war es mit dem Ballet?","norm":"Wie war es mit dem Ballett?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":148,"orig":"fiel die","norm":"fiel die"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":149,"orig":"Alte ihm ein.","norm":"Alte ihm ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":150,"orig":"Ich fürchte, es iſt nicht alles abgelaufen, wie es ſollte.","norm":"Ich fürchte, es ist nicht alles abgelaufen, wie es sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":151,"orig":"O ja, verſetzte Wilhelm: ſehr gut!","norm":"O ja, versetzte Wilhelm: sehr gut!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":152,"orig":"Von jenen wunderlichen Sprüngen der Mohren und Mohrinnen, Schäfer und Schäferinnen, Zwerge und Zwerginnen, iſt mir eine dunkle Erinnerung auf mein ganzes Leben geblieben.","norm":"Von jenen wunderlichen Sprüngen der Mohren und Mohrinnen, Schäfer und Schäferinnen, Zwerge und Zwerginnen, ist mir eine dunkle Erinnerung auf mein ganzes Leben geblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":153,"orig":"Nun fiel der Vorhang, die Thüre ſchloß ſich und die ganze kleine Geſellſchaft eilte wie betrunken und taumelnd zu Bette; ich weiß aber wohl, daß ich nicht einſchlafen konnte, daß ich noch etwas erzählt haben wollte, daß ich noch viele Fragen that, und daß ich nur ungern die Wärterin entließ, die uns zur Ruhe gebracht hatte.","norm":"Nun fiel der Vorhang, die Türe schloss sich und die ganze kleine Gesellschaft eilte wie betrunken und taumelnd zu Bette; ich weiß aber wohl, dass ich nicht einschlafen konnte, dass ich noch etwas erzählt haben wollte, dass ich noch viele Fragen tat, und dass ich nur ungern die Wärterin entließ, die uns zur Ruhe gebracht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":154,"orig":"Den andern Morgen war leider das magiſche Gerüſte wieder verſchwunden, der myſtiſche Schleyer weggehoben, man ging durch jene Thüre wieder frey aus einer Stube in die andere, und ſo viel Abentheuer hatten keine Spur zurückgelaſſen.","norm":"Den anderen Morgen war leider das magische Gerüste wieder verschwunden, der mystische Schleier weggehoben, man ging durch jene Türe wieder frei aus einer Stube in die andere, und so viel Abenteuer hatten keine Spur zurückgelassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":155,"orig":"Meine Geſchwiſter liefen mit ihren Spielſachen auf und ab, ich allein ſchlich hin und her, es ſchien mir unmöglich, daß da nur zwo Thürpfoſten ſeyn ſollten, wo geſtern noch ſo viel Zauberey geweſen war.","norm":"Meine Geschwister liefen mit ihren Spielsachen auf und ab, ich allein schlich hin und her, es schien mir unmöglich, dass da nur zwei Türpfosten sein sollten, wo gestern noch so viel Zauberei gewesen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":156,"orig":"Ach wer eine verlorne Liebe ſucht, kann nicht unglücklicher ſeyn, als ich mir damals ſchien!","norm":"Ach wer eine verlorene Liebe sucht, kann nicht unglücklicher sein, als ich mir damals schien!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":157,"orig":"Ein freudetrunkner Blick, den er auf Marianen warf, überzeugte ſie, daß er nicht fürchtete, jemals in dieſen Fall kommen zu können.","norm":"Ein freudetrunkener Blick, den er auf Mariane warf, überzeugte sie, dass er nicht fürchtete, jemals in diesen Fall kommen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":158,"orig":"Mein einziger Wunſch war nunmehr, fuhr Wilhelm fort, eine zweyte Aufführung des Stücks zu ſehen.","norm":"Mein einziger Wunsch war nunmehr, fuhr Wilhelm fort, eine zweite Aufführung des Stücks zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":159,"orig":"Ich lag der Mutter an, und dieſe ſuchte zu einer gelegenen Stunde den Vater zu bereden; allein ihre Mühe war vergebens.","norm":"Ich lag der Mutter an, und diese suchte zu einer gelegenen Stunde den Vater zu bereden; allein ihre Mühe war vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":160,"orig":"Er behauptete, nur ein ſeltenes Vergnügen könne bey den Menſchen einen Werth haben, Kinder und Alte wüßten nicht zu ſchätzen, was ihnen Gutes täglich begegnete.","norm":"Er behauptete, nur ein seltenes Vergnügen könne bei den Menschen einen Wert haben, Kinder und Alte wüssten nicht zu schätzen, was ihnen Gutes täglich begegnete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":161,"orig":"Wir hätten auch noch lange, vielleicht bis wieder Weihnachten, warten müſſen, hätte nicht der Erbauer und heimliche Director unſers Schauſpiels ſelbſt Luſt gefühlt, die Vorſtellung zu wiederholen und dabey in einem Nachſpiele einen ganz friſch fertig gewordenen Hanswurſt zu produziren.","norm":"Wir hätten auch noch lange, vielleicht bis wieder Weihnachten, warten müssen, hätte nicht der Erbauer und heimliche Direktor unseres Schauspiels selbst Lust gefühlt, die Vorstellung zu wiederholen und dabei in einem Nachspiele einen ganz frisch fertig gewordenen Hanswurst zu produzieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":162,"orig":"Ein junger Mann von der Artillerie, mit vielen Talenten begabt, beſonders in mechaniſchen Arbeiten geſchickt, der dem Vater während des Baues viele weſentliche Dienſte geleiſtet hatte und von ihm reichlich beſchenkt worden war, wollte ſich am Chriſtfeſte der kleinen Familie dankbar erzeigen, und machte dem Hauſe ſeines Gönners ein Geſchenk mit dieſem ganz eingerichteten Theater, das er ehmals in müßigen Stunden zuſammen gebaut, geſchnitzt und gemahlt hatte.","norm":"Ein junger Mann von der Artillerie, mit vielen Talenten begabt, besonders in mechanischen Arbeiten geschickt, der dem Vater während des Baues viele wesentliche Dienste geleistet hatte und von ihm reichlich beschenkt worden war, wollte sich am Christfeste der kleinen Familie dankbar erzeigen, und machte dem Hause seines Gönners ein Geschenk mit diesem ganz eingerichteten Theater, das er ehemals in müßigen Stunden zusammengebaut, geschnitzt und gemalt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":163,"orig":"Er war es, der mit Hülfe eines Bedienten ſelbſt die Puppen regierte und mit verſtellter Stimme die verſchiedenen Rollen herſagte.","norm":"Er war es, der mit Hilfe eines Bedienten selbst die Puppen regierte und mit verstellter Stimme die verschiedenen Rollen hersagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":164,"orig":"Ihm ward nicht ſchwer, den Vater zu bereden, der einem Freunde aus Gefälligkeit zugeſtand, was er ſeinen Kindern aus Überzeugung abgeſchlagen hatte.","norm":"Ihm wurde nicht schwer, den Vater zu bereden, der einem Freunde aus Gefälligkeit zugestand, was er seinen Kindern aus Überzeugung abgeschlagen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":165,"orig":"Genug, das Theater ward wieder aufgeſtellt, einige Nachbarskinder gebeten und das Stück wiederhohlt.","norm":"Genug, das Theater wurde wieder aufgestellt, einige Nachbarskinder gebeten und das Stück wiederholt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":166,"orig":"Hatte ich das erſtemal die Freude der Ueberraſchung und des Staunens, ſo war zum zweytenmale die Wolluſt des Aufmerkens und Forſchens groß.","norm":"Hatte ich das erste Mal die Freude der Überraschung und des Staunens, so war zum zweiten Mal die Wollust des Aufmerkens und Forschens groß."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":167,"orig":"Wie das zugehe?","norm":"Wie das zugehe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":168,"orig":"war jetzt mein Anliegen.","norm":"war jetzt mein Anliegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":169,"orig":"Daß die Puppen nicht ſelbſt redeten, hatte ich mir ſchon das erſtemal geſagt, daß ſie ſich nicht von ſelbſt bewegten, vermuthete ich auch; aber warum das alles doch ſo hübſch war?","norm":"Dass die Puppen nicht selbst redeten, hatte ich mir schon das erste Mal gesagt, dass sie sich nicht von selbst bewegten, vermutete ich auch; aber warum das alles doch so hübsch war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":170,"orig":"und es doch ſo ausſah, als wenn ſie ſelbſt redeten und ſich bewegten?","norm":"und es doch so aussah, als wenn sie selbst redeten und sich bewegten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":171,"orig":"und wo die Lichter und die Leute ſeyn möchten?","norm":"und wo die Lichter und die Leute sein möchten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":172,"orig":"dieſe Räthſel beunruhigten mich um deſto mehr, je mehr ich wünſchte, zugleich unter den Bezauberten und Zauberern zu ſeyn, zugleich meine Hände verdeckt im Spiel zu haben und als Zuſchauer die Freude der Illuſion zu genießen.","norm":"diese Rätsel beunruhigten mich um desto mehr, je mehr ich wünschte, zugleich unter den Bezauberten und Zauberern zu sein, zugleich meine Hände verdeckt im Spiel zu haben und als Zuschauer die Freude der Illusion zu genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":173,"orig":"Das Stück war zu Ende, man machte Vorbereitungen zum Nachſpiel, die Zuſchauer waren aufgeſtanden und ſchwatzten durcheinander.","norm":"Das Stück war zu Ende, man machte Vorbereitungen zum Nachspiel, die Zuschauer waren aufgestanden und schwatzten durcheinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":174,"orig":"Ich drängte mich näher an die Thüre und hörte inwendig am Klappern, daß man mit Aufräumen beſchäftigt ſey.","norm":"Ich drängte mich näher an die Türe und hörte inwendig am Klappern, dass man mit Aufräumen beschäftigt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":175,"orig":"Ich hub den untern Teppich auf und guckte zwiſchen dem Geſtelle durch.","norm":"Ich hob den unteren Teppich auf und guckte zwischen dem Gestelle durch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":176,"orig":"Meine Mutter bemerkte es und zog mich zurück; allein ich hatte doch ſo viel geſehen, daß man Freunde und Feinde, Saul und Goliath und wie ſie alle heißen mochten, in Einen Schiebkaſten packte, und ſo erhielt meine halbbefriedigte Neugierde friſche Nahrung.","norm":"Meine Mutter bemerkte es und zog mich zurück; allein ich hatte doch so viel gesehen, dass man Freunde und Feinde, Saul und Goliath und wie sie alle heißen mochten, in Einen Schiebkasten packte, und so erhielt meine halbbefriedigte Neugierde frische Nahrung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":177,"orig":"Dabey hatte ich zu meinem größten Erſtaunen den Lieutenant im Heiligthume ſehr geſchäftig erblickt.","norm":"Dabei hatte ich zu meinem größten Erstaunen den Lieutenant im Heiligtume sehr geschäftig erblickt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":178,"orig":"Nunmehr konnte mich der Hanswurſt, ſo ſehr er mit ſeinen Abſätzen klapperte, nicht unterhalten.","norm":"Nunmehr konnte mich der Hanswurst, so sehr er mit seinen Absätzen klapperte, nicht unterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":179,"orig":"Ich verlohr mich in tiefes Nachdenken und war nach dieſer Entdeckung ruhiger und unruhiger als vorher.","norm":"Ich verlor mich in tiefes Nachdenken und war nach dieser Entdeckung ruhiger und unruhiger als vorher."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":180,"orig":"Nachdem ich etwas erfahren hatte, kam es mir erſt vor, als ob ich gar nichts wiſſe, und ich hatte Recht: denn es fehlte mir der Zuſammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an.","norm":"Nachdem ich etwas erfahren hatte, kam es mir erst vor, als ob ich gar nichts wisse, und ich hatte Recht: denn es fehlte mir der Zusammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":181,"orig":"Die Kinder haben, fuhr Wilhelm fort, in wohleingerichteten und geordneten Häuſern eine Empfindung, wie ungefähr Ratten und Mäuſe haben mögen: ſie ſind aufmerkſam auf alle Ritzen und Löcher, wo ſie zu einem verbotenen Naſchwerk gelangen können; ſie genießen es mit einer ſolchen verſtohlnen wollüſtigen Furcht, die einen großen Theil des kindiſchen Glücks ausmacht.","norm":"Die Kinder haben, fuhr Wilhelm fort, in wohleingerichteten und geordneten Häusern eine Empfindung, wie ungefähr Ratten und Mäuse haben mögen: Sie sind aufmerksam auf alle Ritzen und Löcher, wo sie zu einem verbotenen Naschwerk gelangen können; sie genießen es mit einer solchen verstohlenen wollüstigen Furcht, die einen großen Teil des kindischen Glücks ausmacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":182,"orig":"Ich war vor allen meinen Geſchwiſtern aufmerkſam, wenn irgend ein Schlüſſel ſtekken blieb.","norm":"Ich war vor allen meinen Geschwistern aufmerksam, wenn irgendein Schlüssel steckenblieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":183,"orig":"Je größer die Ehrfurcht war, die ich für die verſchloſſenen Thüren in meinem Herzen herumtrug, an denen ich Wochen und Monate lang vorbeygehen mußte, und in die ich nur manchmal, wenn die Mutter das Heiligthum öfnete, um etwas heraus zu holen, einen verſtohlnen Blick that; deſto ſchneller war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachläſſigkeit der Wirthſchafterinnen manchmal treffen ließ.","norm":"Je größer die Ehrfurcht war, die ich für die verschlossenen Türen in meinem Herzen herumtrug, an denen ich Wochen und Monate lang vorbeigehen musste, und in die ich nur manchmal, wenn die Mutter das Heiligtum öffnete, um etwas herauszuholen, einen verstohlenen Blick tat; desto schneller war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachlässigkeit der Wirtschafterinnen manchmal treffen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":184,"orig":"Unter allen Thüren war, wie man leicht erachten kann, die Thüre der Speiſekammer diejenige, auf die meine Sinne am ſchärfſten gerichtet waren.","norm":"Unter allen Türen war, wie man leicht erachten kann, die Türe der Speisekammer diejenige, auf die meine Sinne am schärfsten gerichtet waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":185,"orig":"Wenig ahndungsvolle Freuden des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hineinrief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich denn einige gedörrte Pflaumen entweder ihrer Güte oder meiner Liſt zu danken hatte.","norm":"Wenig ahnungsvolle Freuden des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hineinrief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich dann einige gedörrte Pflaumen entweder ihrer Güte oder meiner List zu danken hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":186,"orig":"Die aufgehäuften Schätze übereinander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Fülle, und ſelbſt der wunderliche Geruch, den ſo mancherley Spezereyen durcheinander aushauchten, hatte ſo eine leckere Wirkung auf mich, daß ich niemals verſäumte, ſo oft ich in der Nähe war, mich wenigſtens an der eröfneten Atmoſphäre zu weiden.","norm":"Die aufgehäuften Schätze übereinander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer Fülle, und selbst der wunderliche Geruch, den so mancherlei Spezereien durcheinander aushauchten, hatte so eine leckere Wirkung auf mich, dass ich niemals versäumte, sooft ich in der Nähe war, mich wenigstens an der eröffneten Atmosphäre zu weiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":187,"orig":"Dieſer merkwürdige Schlüſſel blieb eines Sonntag Morgens, da die Mutter von dem Geläute übereilt ward, und das ganze Haus in einer tiefen Sabbathſtille lag, ſtecken.","norm":"Dieser merkwürdige Schlüssel blieb eines Sonntagmorgens, da die Mutter von dem Geläute übereilt wurde, und das ganze Haus in einer tiefen Sabbatstille lag, stecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":188,"orig":"Kaum hatte ich es bemerkt, als ich etlichemal ſachte an der Wand hin und her ging, mich endlich ſtill und fein andrängte, die Thüre öfnete, und mich mit Einem Schritt in der Nähe ſo vieler langgewünſchter Glückſeligkeit fühlte.","norm":"Kaum hatte ich es bemerkt, als ich etliche Mal sachte an der Wand hin und her ging, mich endlich still und fein andrängte, die Türe öffnete, und mich mit einem Schritt in der Nähe so vieler langgewünschter Glückseligkeit fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":189,"orig":"Ich beſah Käſten, Säcke, Schachteln, Büchſen, Gläſer mit einem ſchnellen zweifelnden Blicke, was ich wählen und nehmen ſollte?","norm":"Ich besah Kästen, Säcke, Schachteln, Büchsen, Gläser mit einem schnellen zweifelnden Blicke, was ich wählen und nehmen sollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":190,"orig":"griff endlich nach den vielgeliebten gewelkten Pflaumen, verſah mich mit einigen getrockneten Äpfeln, und nahm genügſam noch eine eingemachte Pomeranzenſchaale dazu: mit welcher Beute ich meinen Weg wieder rückwärts glitſchen wollte, als mir ein paar nebeneinanderſtehende Kaſten in die Augen fielen, aus deren einem Dräte, oben mit Häkchen verſehen, durch den übel verſchloſſenen Schieber heraushingen.","norm":"griff endlich nach den vielgeliebten gewelkten Pflaumen, versah mich mit einigen getrockneten Äpfeln, und nahm genügsam noch eine eingemachte Pomeranzenschale dazu: mit welcher Beute ich meinen Weg wieder rückwärts glitschen wollte, als mir ein paar nebeneinanderstehende Kasten in die Augen fielen, aus deren einem Drähte, oben mit Häkchen versehen, durch den übel verschlossenen Schieber heraushingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":191,"orig":"Ahndungsvoll fiel ich darüber her; und mit welcher überirdiſchen Empfindung entdeckte ich, daß darin meine Heldenund Freudenwelt aufeinander gepackt ſey?","norm":"Ahnungsvoll fiel ich darüber her; und mit welcher überirdischen Empfindung entdeckte ich, dass darin meine Helden- und Freudenwelt aufeinandergepackt sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":192,"orig":"Ich wollte die oberſten aufheben, betrachten, die unterſten hervorziehen; allein gar bald verwirrte ich die leichten Dräte, kam darüber in Unruhe und Bangigkeit, beſonders da die Köchin in der benachbarten Küche einige Bewegungen machte, daß ich alles, ſo gut ich konnte, zuſammendrückte, den Kaſten zuſchob, nur ein geſchriebenes Büchelchen, worin die Comödie von David und Goliath aufgezeichnet war, das oben aufgelegen hatte, zu mir ſteckte, und mich mit dieſer Beute leiſe die Treppe hinauf in eine Dachkammer rettete.","norm":"Ich wollte die obersten aufheben, betrachten, die untersten hervorziehen; allein gar bald verwirrte ich die leichten Drähte, kam darüber in Unruhe und Bangigkeit, besonders da die Köchin in der benachbarten Küche einige Bewegungen machte, dass ich alles, so gut ich konnte, zusammendrückte, den Kasten zuschob, nur ein geschriebenes Büchelchen, worin die Komödie von David und Goliath aufgezeichnet war, das oben aufgelegen hatte, zu mir steckte, und mich mit dieser Beute leise die Treppe hinauf in eine Dachkammer rettete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":193,"orig":"Von der Zeit an wandte ich alle verſtohlenen einſamen Stunden darauf, mein Schauſpiel wiederholt zu leſen, es auswendig zu lernen, und mir in Gedanken vorzuſtellen, wie herrlich es ſeyn müßte, wenn ich auch die Geſtalten dazu mit meinen Fingern beleben könnte.","norm":"Von der Zeit an wandte ich alle verstohlenen einsamen Stunden darauf, mein Schauspiel wiederholt zu lesen, es auswendig zu lernen, und mir in Gedanken vorzustellen, wie herrlich es sein müsste, wenn ich auch die Gestalten dazu mit meinen Fingern beleben könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":194,"orig":"Ich ward darüber in meinen Gedanken ſelbſt zum David und zum Goliath.","norm":"Ich wurde darüber in meinen Gedanken selbst zum David und zum Goliath."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":195,"orig":"In allen Winkeln des Bodens, der Ställe, des Gartens, unter allerley Umſtänden, ſtudierte ich das Stück ganz in mich hinein, ergriff alle Rollen, und lernte ſie auswendig, nur daß ich mich meiſt an den Platz der Haupthelden zu ſetzen pflegte, und die übrigen wie Trabanten nur im Gedächtniſſe mitlaufen ließ.","norm":"In allen Winkeln des Bodens, der Ställe, des Gartens, unter allerlei Umständen, studierte ich das Stück ganz in mich hinein, ergriff alle Rollen, und lernte sie auswendig, nur dass ich mich meist an den Platz der Haupthelden zu setzen pflegte, und die übrigen wie Trabanten nur im Gedächtnisse mitlaufen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":196,"orig":"So lagen mir die großmüthigen Reden Davids, mit denen er den übermüthigen Rieſen Goliath herausforderte, Tag und Nacht im Sinne; ich murmelte ſie oft vor mich hin, niemand gab Acht darauf, als der Vater, der manchmal einen ſolchen Ausruf bemerkte, und bey ſich ſelbſt das gute Gedächtniß ſeines Knabens prieß, der von ſo wenigem Zuhören ſo mancherley habe behalten können.","norm":"So lagen mir die großmütigen Reden Davids, mit denen er den übermütigen Riesen Goliath herausforderte, Tag und Nacht im Sinne; ich murmelte sie oft vor mich hin, niemand gab Acht darauf, als der Vater, der manchmal einen solchen Ausruf bemerkte, und bei sich selbst das gute Gedächtnis seines Knaben pries, der von so wenigem Zuhören so mancherlei habe behalten können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":197,"orig":"Hierdurch ward ich immer verwegener, und rezitirte eines Abends das Stück zum größten Theile vor meiner Mutter, indem ich mir einige Wachsklümpchen zu Schauſpielern bereitete.","norm":"Hierdurch wurde ich immer verwegener, und rezitierte eines Abends das Stück zum größten Teile vor meiner Mutter, indem ich mir einige Wachsklümpchen zu Schauspielern bereitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":198,"orig":"Sie merkte auf, drang in mich, und ich geſtand.","norm":"Sie merkte auf, drang in mich, und ich gestand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":199,"orig":"Glücklicher Weiſe fiel dieſe Entdeckung in die Zeit, da der Lieutenant ſelbſt den Wunſch geäuſſert hatte, mich in dieſe Geheimniſſe einweihen zu dürfen.","norm":"Glücklicherweise fiel diese Entdeckung in die Zeit, da der Lieutenant selbst den Wunsch geäußert hatte, mich in diese Geheimnisse einweihen zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":200,"orig":"Meine Mutter gab ihm ſogleich Nachricht von dem unerwarteten Talente ihres Sohnes, und er wußte nun einzuleiten, daß man ihm ein Paar Zimmer im oberſten Stocke, die gewöhnlich leer ſtanden, überließ, in deren einem wieder die Zuſchauer ſitzen, in dem andern die Schauſpieler ſeyn, da denn das Proſcenium abermals die Öfnung der Thüre ausfüllen ſollte.","norm":"Meine Mutter gab ihm sogleich Nachricht von dem unerwarteten Talente ihres Sohnes, und er wusste nun einzuleiten, dass man ihm ein paar Zimmer im obersten Stocke, die gewöhnlich leer standen, überließ, in deren einem wieder die Zuschauer sitzen, in dem anderen die Schauspieler sein, da denn das Proszenium abermals die Öffnung der Türe ausfüllen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":201,"orig":"Der Vater hatte ſeinem Freunde das alles zu veranſtalten erlaubt, er ſelbſt ſchien nur durch die Finger zu ſehen, nach dem Grundſatze, man müſſe den Kindern nicht merken laſſen, wie lieb man ſie habe, ſie griffen immer zu weit um ſich; er meynte, man müſſe bey ihren Freuden ernſt ſcheinen, und ſie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit ſie nicht übermäßig und übermüthig mache.","norm":"Der Vater hatte seinem Freunde das alles zu veranstalten erlaubt, er selbst schien nur durch die Finger zu sehen, nach dem Grundsatze, man müsse den Kindern nicht merken lassen, wie lieb man sie habe, sie griffen immer zu weit um sich; er meinte, man müsse bei ihren Freuden ernst scheinen, und sie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit sie nicht übermäßig und übermütig mache."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":202,"orig":"Der Lieutenant ſchlug nunmehr das Theater auf, und beſorgte das Übrige.","norm":"Der Lieutenant schlug nunmehr das Theater auf, und besorgte das Übrige."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":203,"orig":"Ich merkte wohl, daß er die Woche mehrmals zu ungewöhnlicher Zeit ins Haus kam, und vermuthete die Abſicht.","norm":"Ich merkte wohl, dass er die Woche mehrmals zu ungewöhnlicher Zeit ins Haus kam, und vermutete die Absicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":204,"orig":"Meine Begierde wuchs unglaublich, da ich wohl fühlte, daß ich vor Sonnabends keinen Theil an dem, was zubereitet wurde, nehmen durfte.","norm":"Meine Begierde wuchs unglaublich, da ich wohl fühlte, dass ich vor sonnabends keinen Teil an dem, was zubereitet wurde, nehmen durfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":205,"orig":"Endlich erſchien der gewünſchte Tag.","norm":"Endlich erschien der gewünschte Tag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":206,"orig":"Abends fünfe kam mein Führer, und nahm mich mit hinauf.","norm":"Abends fünf kam mein Führer, und nahm mich mit hinauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":207,"orig":"Zitternd vor Freude trat ich hinein, und erblickte auf beyden Seiten des Geſtelles die herabhängenden Puppen in der Ordnung, wie ſie auftreten ſollten; ich betrachtete ſie ſorgfältig, ſtieg auf den Tritt, der mich über das Theater erhub, ſo daß ich nun über der kleinen Welt ſchwebte.","norm":"Zitternd vor Freude trat ich hinein, und erblickte auf beiden Seiten des Gestelles die herabhängenden Puppen in der Ordnung, wie sie auftreten sollten; ich betrachtete sie sorgfältig, stieg auf den Tritt, der mich über das Theater erhob, so dass ich nun über der kleinen Welt schwebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":208,"orig":"Ich ſah nicht ohne Ehrfurcht zwiſchen die Bretchen hinunter, weil die Erinnerung, welche herrliche Wirkung das Ganze von auſſen thue, und das Gefühl, in welche Geheimniſſe ich eingeweiht ſey, mich umfaßten.","norm":"Ich sah nicht ohne Ehrfurcht zwischen die Brettchen hinunter, weil die Erinnerung, welche herrliche Wirkung das Ganze von außen tue, und das Gefühl, in welche Geheimnisse ich eingeweiht sei, mich umfassten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":209,"orig":"Wir machten einen Verſuch, und es ging gut.","norm":"Wir machten einen Versuch, und es ging gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":210,"orig":"Den andern Tag, da eine Geſellſchaft Kinder geladen war, hielten wir uns trefflich, auſſer daß ich in dem Feuer der Aktion meinen Jonathan fallen ließ, und genöthigt war, mit der Hand hinunter zu greifen, und ihn zu holen: ein Zufall, der die Illuſion ſehr unterbrach, ein großes Gelächter verurſachte, und mich unſäglich kränkte.","norm":"Den anderen Tag, da eine Gesellschaft Kinder geladen war, hielten wir uns trefflich, außer dass ich in dem Feuer der Aktion meinen Jonathan fallen ließ, und genötigt war, mit der Hand hinunterzugreifen, und ihn zu holen: ein Zufall, der die Illusion sehr unterbrach, ein großes Gelächter verursachte, und mich unsäglich kränkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":211,"orig":"Auch ſchien dieſes Verſehn dem Vater ſehr willkommen zu ſeyn, der das große Vergnügen, ſein Söhnchen ſo fähig zu ſehen, wohlbedächtig nicht an den Tag gab, nach geendigtem Stücke ſich gleich an die Fehler hing, und ſagte, es wäre recht artig geweſen, wenn nur dies oder das nicht verſagt hätte.","norm":"Auch schien dieses Versehen dem Vater sehr willkommen zu sein, der das große Vergnügen, sein Söhnchen so fähig zu sehen, wohlbedächtig nicht an den Tag gab, nach geendigtem Stücke sich gleich an die Fehler hing, und sagte, es wäre recht artig gewesen, wenn nur dies oder das nicht versagt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":212,"orig":"Mich kränkte das innig, ich ward traurig für den Abend, hatte aber am kommenden Morgen allen Verdruß ſchon wieder verſchlafen, und war in dem Gedanken ſelig, daß ich, auſſer jenem Unglück, trefflich geſpielt habe.","norm":"Mich kränkte das innig, ich wurde traurig für den Abend, hatte aber am kommenden Morgen allen Verdruss schon wieder verschlafen, und war in dem Gedanken selig, dass ich, außer jenem Unglück, trefflich gespielt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":213,"orig":"Dazu kam der Beyfall der Zuſchauer, welche durchaus behaupteten: obgleich der Lieutenant in Abſicht der groben und feinen Stimme ſehr viel gethan habe, ſo perorire er doch meiſt zu affektirt und ſteif; dagegen ſpreche der neue Anfänger ſeinen David und Jonathan vortrefflich, beſonders lobte die Mutter den freymüthigen Ausdruck, wie ich den Goliath herausgefordert, und dem Könige den beſcheidenen Sieger vorgeſtellt habe.","norm":"Dazu kam der Beifall der Zuschauer, welche durchaus behaupteten: obgleich der Lieutenant in Absicht der groben und feinen Stimme sehr viel getan habe, so peroriere er doch meist zu affektiert und steif; dagegen spreche der neue Anfänger seinen David und Jonathan vortrefflich, besonders lobte die Mutter den freimütigen Ausdruck, wie ich den Goliath herausgefordert, und dem Könige den bescheidenen Sieger vorgestellt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":214,"orig":"Nun blieb zu meiner größten Freude das Theater aufgeſchlagen, und da der Frühling herbeykam, und man ohne Feuer beſtehen konnte, lag ich in meinen Frey- und Spielſtunden in der Kammer, und ließ die Puppen wacker durch einander ſpielen.","norm":"Nun blieb zu meiner größten Freude das Theater aufgeschlagen, und da der Frühling herbeikam, und man ohne Feuer bestehen konnte, lag ich in meinen Frei- und Spielstunden in der Kammer, und ließ die Puppen wacker durcheinander spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":215,"orig":"Oft lud ich meine Geſchwiſter und Kameraden hinauf; wenn ſie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein.","norm":"Oft lud ich meine Geschwister und Kameraden hinauf; wenn sie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":216,"orig":"Meine Einbildungskraft brütete über der kleinen Welt, die gar bald eine andere Geſtalt gewann.","norm":"Meine Einbildungskraft brütete über der kleinen Welt, die gar bald eine andere Gestalt gewann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":217,"orig":"Ich hatte kaum das erſte Stück, wozu Theater und Schauſpieler geſchaffen und geſtempelt waren, etlichemal aufgeführt, als es mir ſchon keine Freude mehr machte.","norm":"Ich hatte kaum das erste Stück, wozu Theater und Schauspieler geschaffen und gestempelt waren, etliche Mal aufgeführt, als es mir schon keine Freude mehr machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":218,"orig":"Dagegen waren mir unter den Büchern des Großvaters die deutſche Schaubühne und verſchiedene italieniſch – deutſche Opern in die Hände gekommen, in die ich mich ſehr vertiefte und jedesmal nur erſt vorne die Perſonen überrechnete, und dann ſogleich, ohne weiters, zur Aufführung des Stückes ſchritt.","norm":"Dagegen waren mir unter den Büchern des Großvaters die deutsche Schaubühne und verschiedene italienisch - deutsche Opern in die Hände gekommen, in die ich mich sehr vertiefte und jedes Mal nur erst vorne die Personen überrechnete, und dann sogleich, ohne Weiteres, zur Aufführung des Stückes schritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":219,"orig":"Da mußte nun König Saul in ſeinem ſchwarzen Sammtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius ſpielen; wobey zu bemerken iſt, daß die Stücke niemals ganz, ſondern meiſtentheils nur die fünften Akte, wo es an ein Todtſtechen ging, aufgeführt wurden.","norm":"Da musste nun König Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen; wobei zu bemerken ist, dass die Stücke niemals ganz, sondern meistenteils nur die fünften Akte, wo es an ein Totstechen ging, aufgeführt wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":220,"orig":"Auch war es natürlich, daß mich die Oper mit ihren manichfaltigen Veränderungen und Abenteuern mehr als alles anziehen mußte.","norm":"Auch war es natürlich, dass mich die Oper mit ihren mannigfaltigen Veränderungen und Abenteuern mehr als alles anziehen musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":221,"orig":"Ich fand darin ſtürmiſche Meere, Götter, die in Wolken herabkommen, und, was mich vorzüglich glücklich machte, Blitz und Donner.","norm":"Ich fand darin stürmische Meere, Götter, die in Wolken herabkommen, und, was mich vorzüglich glücklich machte, Blitz und Donner."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":222,"orig":"Ich half mir mit Pappe, Farbe und Papier, wußte gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war fürchterlich anzuſehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte ſo viel nicht zu ſagen.","norm":"Ich half mir mit Pappe, Farbe und Papier, wusste gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war fürchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte so viel nicht zu sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":223,"orig":"Auch fand ſich in den Opern mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im regelmäßigen Drama gar nicht angehen wollte.","norm":"Auch fand sich in den Opern mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im regelmäßigen Drama gar nicht angehen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":224,"orig":"Ich fühlte täglich mehr Anhänglichkeit für das enge Plätzchen, wo ich ſo manche Freude genoß; und ich geſtehe, daß der Geruch, den die Puppen aus der Speiſekammer an ſich gezogen hatten, nicht wenig dazu beytrug.","norm":"Ich fühlte täglich mehr Anhänglichkeit für das enge Plätzchen, wo ich so manche Freude genoss; und ich gestehe, dass der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":225,"orig":"Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher Vollkommenheit; denn, daß ich von Jugend auf ein Geſchick gehabt hatte, mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuſchneiden, und Bilder zu illuminiren, kam mir jetzt wohl zu ſtatten.","norm":"Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher Vollkommenheit; denn, dass ich von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte, mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuschneiden, und Bilder zu illuminieren, kam mir jetzt wohl zustatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":226,"orig":"Um deſto weher that es mir, wenn mich gar oft das Perſonal an Ausführung großer Sachen hinderte.","norm":"Um desto weher tat es mir, wenn mich gar oft das Personal an Ausführung großer Sachen hinderte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":227,"orig":"Meine Schweſtern, indem ſie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche Kleider zu verſchaffen.","norm":"Meine Schwestern, indem sie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche Kleider zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":228,"orig":"Man trennte ihnen die Läppchen vom Leibe, ſetzte ſie, ſo gut man konnte, zuſammen, ſparte ſich etwas Geld, kaufte neues Band und Flittern, bettelte ſich manches Stückchen Taft zuſammen, und ſchaffte nach und nach eine Theater-Garderobe an, in welcher beſonders die Reifröcke für die Damen nicht vergeſſen waren.","norm":"Man trennte ihnen die Läppchen vom Leibe, setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld, kaufte neues Band und Flittern, bettelte sich manches Stückchen Taft zusammen, und schaffte nach und nach eine Theatergarderobe an, in welcher besonders die Reifröcke für die Damen nicht vergessen waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":229,"orig":"Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern für das größte Stück verſehen, und man hätte denken ſollen, es würde nun erſt recht eine Auſführung der andern folgen; aber es ging mir, wie es den Kindern öfter zu gehen pflegt, ſie faſſen weite Plane, machen große Anſtalten, auch wohl einige Verſuche, und es bleibt alles zuſammen liegen.","norm":"Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern für das größte Stück versehen, und man hätte denken sollen, es würde nun erst recht eine Aufführung der anderen folgen; aber es ging mir, wie es den Kindern öfter zu gehen pflegt, sie fassen weite Plane, machen große Anstalten, auch wohl einige Versuche, und es bleibt alles zusammen liegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":230,"orig":"Dieſes Fehlers muß ich mich auch anklagen.","norm":"Dieses Fehlers muss ich mich auch anklagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":231,"orig":"Die größte Freude lag bey mir in der Erfindung, und in der Beſchäftigung der Einbildungskraft.","norm":"Die größte Freude lag bei mir in der Erfindung, und in der Beschäftigung der Einbildungskraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":232,"orig":"Dieß oder jenes Stück intereſſirte mich um irgend einer Scene willen, und ich ließ gleich wieder neue Kleider dazu machen.","norm":"Dies oder jenes Stück interessierte mich um irgendeiner Szene Willen, und ich ließ gleich wieder neue Kleider dazu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":233,"orig":"Über ſolchen Anſtalten waren die urſprünglichen Kleidungsſtücke meiner Helden in Unordnung gerathen und verſchleppt worden, daß alſo nicht einmal das erſte große Stück mehr aufgeführt werden konnte.","norm":"Über solchen Anstalten waren die ursprünglichen Kleidungsstücke meiner Helden in Unordnung geraten und verschleppt worden, dass also nicht einmal das erste große Stück mehr aufgeführt werden konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":234,"orig":"Ich überließ mich meiner Phantaſie, probirte und bereitete ewig, baute tauſend Luftſchlöſſer, und ſpürte nicht, daß ich den Grund des kleinen Gebäudes zerſtört hatte.","norm":"Ich überließ mich meiner Phantasie, probierte und bereitete ewig, baute tausend Luftschlösser, und spürte nicht, dass ich den Grund des kleinen Gebäudes zerstört hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":235,"orig":"Während dieſer Erzählung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verbergen.","norm":"Während dieser Erzählung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schläfrigkeit zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":236,"orig":"So ſcherzhaft die Begebenheit von einer Seite ſchien, ſo war ſie ihr doch zu einfach, und die Betrachtungen dabey zu ernſthaft.","norm":"So scherzhaft die Begebenheit von einer Seite schien, so war sie ihr doch zu einfach, und die Betrachtungen dabei zu ernsthaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":237,"orig":"Sie ſetzte zärtlich ihren Fuß auf den Fuß des Geliebten, und gab ihm ſcheinbare Zeichen ihrer Aufmerkſamkeit und ihres Beyfalls.","norm":"Sie setzte zärtlich ihren Fuß auf den Fuß des Geliebten, und gab ihm scheinbare Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":238,"orig":"Sie trank aus ſeinem Glaſe, und Wilhelm war überzeugt, es ſey kein Wort ſeiner Geſchichte auf die Erde gefallen.","norm":"Sie trank aus seinem Glase, und Wilhelm war überzeugt, es sei kein Wort seiner Geschichte auf die Erde gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":239,"orig":"Nach einer kleinen Pauſe rief er aus: es iſt nun an dir, Mariane, mir auch deine erſten jugendlichen Freuden mitzutheilen.","norm":"Nach einer kleinen Pause rief er aus: Es ist nun an dir, Mariane, mir auch deine ersten jugendlichen Freuden mitzuteilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":240,"orig":"Noch waren wir immer zu ſehr mit dem Gegenwärtigen beſchäftigt, als daß wir uns wechſelſeitig um unſere vorige Lebensweiſe hätten bekümmern können, ſage mir: unter welchen Umſtänden biſt du erzogen?","norm":"Noch waren wir immer zu sehr mit dem Gegenwärtigen beschäftigt, als dass wir uns wechselseitig um unsere vorige Lebensweise hätten bekümmern können, Sage mir: unter welchen Umständen bist du erzogen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":241,"orig":"Welche ſind die erſten lebhaften Eindrücke, deren du dich erinnerſt?","norm":"Welche sind die ersten lebhaften Eindrücke, deren du dich erinnerst?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":242,"orig":"Dieſe Fragen würden Marianen in große Verlegenheit geſetzt haben, wenn ihr die Alte nicht ſogleich zu Hülfe gekommen wäre.","norm":"Diese Fragen würden Mariane in große Verlegenheit gesetzt haben, wenn ihr die Alte nicht sogleich zu Hilfe gekommen wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":243,"orig":"Glauben Sie denn, ſagte das kluge Weib, daß wir auf das, was uns früh begegnet, ſo aufmerkſam ſind, daß wir ſo artige Begebenheiten zu erzählen haben, und, wenn wir ſie zu erzählen hätten, daß wir der Sache auch ein ſolches Geſchick zu geben wüßten?","norm":"Glauben Sie denn, sagte das kluge Weib, dass wir auf das, was uns früh begegnet, so aufmerksam sind, dass wir so artige Begebenheiten zu erzählen haben, und, wenn wir sie zu erzählen hätten, dass wir der Sache auch ein solches Geschick zu geben wüssten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":244,"orig":"Als wenn es deſſen bedürfte!","norm":"Als wenn es dessen bedürfte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":245,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":246,"orig":"Ich liebe dieſes zärtliche, gute, liebliche Geſchöpf ſo ſehr, daß mich jeder Augenblick meines Lebens verdrießt, den ich ohne ſie zugebracht habe.","norm":"Ich liebe dieses zärtliche, gute, liebliche Geschöpf so sehr, dass mich jeder Augenblick meines Lebens verdrießt, den ich ohne sie zugebracht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":247,"orig":"Laß mich wenigſtens durch die Einbildungskraft Theil an deinem vergangenen Leben nehmen!","norm":"Lass mich wenigstens durch die Einbildungskraft Teil an deinem vergangenen Leben nehmen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":248,"orig":"erzähle mir alles, ich will dir alles erzählen.","norm":"Erzähle mir alles, ich will dir alles erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":249,"orig":"Wir wollen uns wo möglich täuſchen, und jene für die Liebe verlorne Zeiten wieder zu gewinnen ſuchen.","norm":"Wir wollen uns womöglich täuschen, und jene für die Liebe verlorene Zeiten wiederzugewinnen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":250,"orig":"Wenn Sie ſo eifrig darauf beſtehen, können wir Sie wohl befriedigen, ſagte die Alte.","norm":"Wenn Sie so eifrig darauf bestehen, können wir Sie wohl befriedigen, sagte die Alte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":251,"orig":"Erzählen Sie uns nur erſt, wie Ihre Liebhaberey zum Schauſpiele nach und nach gewachſen ſey, wie Sie Sich geübt, wie Sie ſo glücklich zugenommen haben, daß Sie nunmehr für einen guten Schauſpieler gelten können?","norm":"Erzählen Sie uns nur erst, wie Ihre Liebhaberei zum Schauspiele nach und nach gewachsen sei, wie Sie Sich geübt, wie Sie so glücklich zugenommen haben, dass Sie nunmehr für einen guten Schauspieler gelten können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":252,"orig":"Es hat Ihnen dabey gewiß nicht an luſtigen Begebenheiten gemangelt.","norm":"Es hat Ihnen dabei gewiss nicht an lustigen Begebenheiten gemangelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":253,"orig":"Es iſt nicht der Mühe werth, daß wir uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flaſche in Reſerve; und wer weiß, ob wir bald wieder ſo ruhig und zufrieden zuſammenſitzen?","norm":"Es ist nicht der Mühe wert, dass wir uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flasche in Reserve; und wer weiß, ob wir bald wieder so ruhig und zufrieden zusammensitzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":254,"orig":"Mariane ſchaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm nicht bemerkte, und in ſeiner Erzählung fortfuhr.","norm":"Mariane schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm nicht bemerkte, und in seiner Erzählung fortfuhr."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":255,"orig":"Die Zerſtreuungen der Jugend, da meine Geſpannſchaft ſich zu vermehren anfing, thaten dem einſamen ſtillen Vergnügen Eintrag.","norm":"Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespannschaft sich zu vermehren anfing, taten dem einsamen stillen Vergnügen Eintrag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":256,"orig":"Ich war wechſelsweiſe bald Jäger, bald Soldat, bald Reuter, wie es unſre Spiele mit ſich brachten; doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den andern, daß ich im Stande war, ihnen die nöthigen Geräthſchaften ſchicklich auszubilden.","norm":"Ich war wechselweise bald Jäger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsere Spiele mit sich brachten; doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den anderen, dass ich imstande war, ihnen die nötigen Gerätschaften schicklich auszubilden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":257,"orig":"So waren die Schwerter meiſtens aus meiner Fabrik, ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Inſtinkt ließ mich nicht ruhen, bis ich unſre Miliz ins Antike umgeſchaffen hatte.","norm":"So waren die Schwerter meistens aus meiner Fabrik, ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Instinkt ließ mich nicht ruhen, bis ich unsere Miliz ins Antike umgeschaffen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":258,"orig":"Helme wurden verfertiget, mit papiernen Büſchen geſchmückt, Schilde, ſogar Harniſche wurden gemacht, Arbeiten, bey denen die Bedienten im Hauſe, die etwa Schneider waren, und die Nätherinnen manche Nadel zerbrachen.","norm":"Helme wurden verfertiget, mit papiernen Büschen geschmückt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten, bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die Nähterinnen manche Nadel zerbrachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":259,"orig":"Einen Theil meiner jungen Geſellen ſah ich nun wohlgerüſtet, die übrigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausſtaffirt, und es kam ein ſtattliches Korps zuſammen.","norm":"Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohlgerüstet, die übrigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es kam ein stattliches Korps zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":260,"orig":"Wir marſchirten in Höfen und Gärten, ſchlugen uns brav auf die Schilde und auf die Köpfe; es gab manche Mißhelligkeit, die aber bald beygelegt war.","norm":"Wir marschierten in Höfen und Gärten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die Köpfe; es gab manche Misshelligkeit, die aber bald beigelegt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":261,"orig":"Dieſes Spiel, das die andern ſehr unterhielt, war kaum etlichemal getrieben worden, als es mich ſchon nicht mehr befriedigte.","norm":"Dieses Spiel, das die anderen sehr unterhielt, war kaum etliche Mal getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":262,"orig":"Der Anblick ſo vieler gerüſteten Geſtalten mußte in mir nothwendig die Ritterideen aufreizen, die ſeit einiger Zeit, da ich in das Leſen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfüllten.","norm":"Der Anblick so vieler gerüsteten Gestalten musste in mir notwendig die Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfüllten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":263,"orig":"Das befreyte Jeruſalem, davon mir Koppens Überſetzung in die Hände fiel, gab meinen herumſchweifenden Gedanken endlich eine beſtimmte Richtung.","norm":"Das befreite Jerusalem, davon mir Koppens Übersetzung in die Hände fiel, gab meinen herumschweifenden Gedanken endlich eine bestimmte Richtung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":264,"orig":"Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht leſen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wußte, deren Bilder mich umſchwebten.","norm":"Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wusste, deren Bilder mich umschwebten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":265,"orig":"Beſonders feſſelte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Thun und Laſſen.","norm":"Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":266,"orig":"Die Mannweiblichkeit, die ruhige Fülle ihres Daſeyns, thaten mehr Wirkung auf den Geiſt, der ſich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Aemidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.","norm":"Die Mannweiblichkeit, die ruhige Fülle ihres Daseins, taten mehr Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Armides, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":267,"orig":"Aber hundert und hundertmal, wenn ich Abends auf dem Altan, der zwiſchen den Giebeln des Hauſes angebracht iſt, ſpazierte, über die Gegend hinſah, und von der hinabgewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufdämmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tiefen die Nacht hervordrang, und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille ſchrillte, ſagte ich mir die Geſchichte des traurigen Zweykampfs zwiſchen Tancred und Chlorinden vor.","norm":"Aber hundertundhundert Mal, wenn ich Abends auf dem Altan, der zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, über die Gegend hinsah, und von der herabgewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufdämmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tiefen die Nacht hervordrang, und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille schrillte, sagte ich mir die Geschichte des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":268,"orig":"So ſehr ich, wie billig, von der Partey der Chriſten war, ſtand ich doch der heidniſchen Heldin mit ganzem Herzen bey, als ſie unternahm, den großen Thurm der Belagerer anzuzünden.","norm":"So sehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm, den großen Turm der Belagerer anzuzünden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":269,"orig":"Und wie nun Tancred dem vermeynten Krieger in der Nacht begegnet, unter der düſtern Hülle der Streit beginnt, und ſie gewaltig kämpfen!","norm":"Und wie nun Tankred dem vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der düstern Hülle der Streit beginnt, und sie gewaltig kämpfen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":270,"orig":"— Ich konnte nie die Worte ausſprechen:","norm":"— Ich konnte nie die Worte aussprechen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":271,"orig":"Allein das Lebensmaß Chlorindens iſt nun voll, Und ihre Stunde kommt, in der ſie ſterben ſoll!","norm":"Allein das Lebensmaß Chlorindes ist nun voll, und ihre Stunde kommt, in der sie sterben soll!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":272,"orig":"daß mir nicht die Thränen in die Augen kamen, die reichlich floſſen, wie der unglückliche Liebhaber ihr das Schwert in die Bruſt ſtöst, der Sinkenden den Helm löst, ſie erkennt, und zur Taufe bebend das Waſſer holt.","norm":"dass mir nicht die Tränen in die Augen kamen, die reichlich flossen, wie der unglückliche Liebhaber ihr das Schwert in die Brust stößt, der Sinkenden den Helm löst, sie erkennt, und zur Taufe bebend das Wasser holt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":273,"orig":"Aber wie ging mir das Herz über, wenn in dem bezauberten Walde Tancredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fließt, und eine Stimme ihm in die Ohren tönt, daß er auch hier Chlorinden verwunde, daß er vom Schickſal beſtimmt ſey, das was er liebt überall unwiſſend zu verletzen!","norm":"Aber wie ging mir das Herz über, wenn in dem bezauberten Walde Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fließt, und eine Stimme ihm in die Ohren tönt, dass er auch hier Chlorinden verwunde, dass er vom Schicksal bestimmt sei, das was er liebt überall unwissend zu verletzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":274,"orig":"Es bemächtigte ſich die Geſchichte meiner Einbildungskraft ſo, daß ſich mir, was ich von dem Gedichte geleſen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergeſtalt eingenommen war, daß ich es auf irgend eine Weiſe vorzuſtellen gedachte.","norm":"Es bemächtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, dass sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt eingenommen war, dass ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":275,"orig":"Ich wollte Tancreden und Reinalden ſpielen, und fand dazu zwey Rüſtungen ganz bereit, die ich ſchon gefertiget hatte.","norm":"Ich wollte Tankreden und Reinald spielen, und fand dazu zwei Rüstungen ganz bereit, die ich schon gefertigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":276,"orig":"Die eine von dunkelgrauem Papier mit Schuppen ſollte den ernſten Tancred, die andre von Silber- und Goldpapier den glänzenden Reinald zieren.","norm":"Die eine von dunkelgrauem Papier mit Schuppen sollte den ernsten Tankred, die andere von Silber- und Goldpapier den glänzenden Reinald zieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":277,"orig":"In der Lebhaftigkeit meiner Vorſtellung erzählte ich alles meinen Geſpannen, die davon ganz entzückt wurden, und nur nicht wohl begreifen konnten, daß das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden ſollte.","norm":"In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzählte ich alles meinen Gespannen, die davon ganz entzückt wurden, und nur nicht wohl begreifen konnten, dass das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":278,"orig":"Dieſen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab.","norm":"Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":279,"orig":"Ich diſponirte gleich über ein paar Zimmer in eines benachbarten Geſpielen Haus, ohne zu berechnen, daß die alte Tante ſie nimmermehr hergeben würde; eben ſo war es mit dem Theater, wovon ich auch keine beſtimmte Idee hatte, auſſer daß man es auf Balken ſetzen, die Couliſſen von getheilten ſpaniſchen Wänden hinſtellen und zum Grund ein großes Tuch nehmen müſſe.","norm":"Ich disponierte gleich über ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne zu berechnen, dass die alte Tante sie nimmermehr hergeben würde; ebenso war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte, außer dass man es auf Balken setzen, die Kulissen von geteilten spanischen Wänden hinstellen und zum Grund ein großes Tuch nehmen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":280,"orig":"Woher aber die Materialien und Geräthſchaften kommen ſollten, hatte ich nicht bedacht.","norm":"Woher aber die Materialien und Gerätschaften kommen sollten, hatte ich nicht bedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":281,"orig":"Für den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten Bedienten aus einem der Häuſer, der nun Förſter geworden war, gute Worte, daß er uns junge Birken und Fichten ſchaffen möchte, die auch wirklich geſchwinder als wir hoffen konnten herbeygebracht wurden.","norm":"Für den Wald fanden wir eine gute Auskunft: Wir gaben einem alten Bedienten aus einem der Häuser, der nun Förster geworden war, gute Worte, dass er uns junge Birken und Fichten schaffen möchte, die auch wirklich geschwinder als wir hoffen konnten herbeigebracht wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":282,"orig":"Nun aber fand man ſich in großer Verlegenheit, wie man das Stück, eh die Bäume verdorrten, zu Stande bringen könne.","norm":"Nun aber fand man sich in großer Verlegenheit, wie man das Stück, ehe die Bäume verdorrten, zustande bringen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":283,"orig":"Da war guter Rath theuer, es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhängen.","norm":"Da war guter Rat teuer, es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhängen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":284,"orig":"Die ſpaniſchen Wände waren das einzige was wir hatten.","norm":"Die spanischen Wände waren das einzige was wir hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":285,"orig":"In dieſer Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitläuftige Beſchreibung von der Herrlichkeit machten, die es geben ſollte.","norm":"In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitläufige Beschreibung von der Herrlichkeit machten, die es geben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":286,"orig":"So wenig er uns begriff, ſo behülflich war er, ſchob in eine kleine Stube, was ſich von Tiſchen im Hauſe und der Nachbarſchaft nur finden wollte an einander, ſtellte die Wände darauf, machte eine hintere Ausſicht von grünen Vorhängen, die Bäume wurden auch gleich mit in die Reihe geſtellt.","norm":"So wenig er uns begriff, so behilflich war er, schob in eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und der Nachbarschaft nur finden wollte aneinander, stellte die Wände darauf, machte eine hintere Aussicht von grünen Vorhängen, die Bäume wurden auch gleich mit in die Reihe gestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":287,"orig":"Indeſſen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezündet, die Mägde und Kinder ſaßen auf ihren Plätzen, das Stück ſollte angehn, die ganze Heldenſchaar war angezogen; nun ſpürte aber jeder zum erſtenmal, daß er nicht wiſſe, was er zu ſagen habe.","norm":"Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezündet, die Mägde und Kinder saßen auf ihren Plätzen, das Stück sollte angehen, die ganze Heldenschar war angezogen; nun spürte aber jeder zum ersten Mal, dass er nicht wisse, was er zu sagen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":288,"orig":"In der Hitze der Erfindung, da ich ganz von meinem Gegenſtande durchdrungen war, hatte ich vergeſſen, daß doch jeder wiſſen müſſe, was und wo er es zu ſagen habe; und in der Lebhaftigkeit der Ausführung war es den übrigen auch nicht beygefallen: ſie glaubten ſie würden ſich leicht als Helden darſtellen, leicht ſo handeln und reden können, wie die Perſonen, in deren Welt ich ſie verſetzt hatte.","norm":"In der Hitze der Erfindung, da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich vergessen, dass doch jeder wissen müsse, was und wo er es zu sagen habe; und in der Lebhaftigkeit der Ausführung war es den übrigen auch nicht eingefallen: Sie glaubten sie würden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden können, wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":289,"orig":"Sie ſtanden alle erſtaunt, fragten ſich einander, was zuerſt kommen ſollte?","norm":"Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":290,"orig":"und ich, der ich mich als Tancred vorne an gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verſe aus dem Heldengedichte herzuſagen an.","norm":"und ich, der ich mich als Tankred vorne angedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse aus dem Heldengedichte herzusagen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":291,"orig":"Weil aber die Stelle gar zu bald ins Erzählende überging, und ich in meiner eignen Rede endlich als dritte Perſon vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte; ſo mußte ich eben unter großem Gelächter meiner Zuſchauer wieder abziehen, ein Unfall, der mich tief in der Seele kränkte.","norm":"Weil aber die Stelle gar zu bald ins Erzählende überging, und ich in meiner eigenen Rede endlich als dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte; so musste ich eben unter großem Gelächter meiner Zuschauer wieder abziehen, ein Unfall, der mich tief in der Seele kränkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":292,"orig":"Verunglückt war die Expedition; die Zuſchauer ſaßen da, und wollten etwas ſehen.","norm":"Verunglückt war die Expedition; die Zuschauer saßen da, und wollten etwas sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":293,"orig":"Gekleidet waren wir, ich raffte mich zuſammen, und entſchloß mich kurz und gut, David und Goliath zu ſpielen.","norm":"Gekleidet waren wir, ich raffte mich zusammen, und entschloss mich kurz und gut, David und Goliath zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":294,"orig":"Einige der Geſellſchaft hatten ehemals das Puppenſpiel mit mir aufgeführt, alle hatten es oft geſehn, man theilte die Rollen aus, es verſprach jeder ſein Beſtes zu thun, und ein kleiner drolliger Junge mahlte ſich einen ſchwarzen Bart, um, wenn ja eine Lücke einfallen ſollte, ſie als Hanswurſt mit einer Poſſe auszufüllen.","norm":"Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir aufgeführt, alle hatten es oft gesehen, man teilte die Rollen aus, es versprach jeder sein Bestes zu tun, und ein kleiner drolliger Junge malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine Lücke einfallen sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszufüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":295,"orig":"Eine Anſtalt, die ich, als dem Ernſte des Stükkes zuwider, ſehr ungern geſchehen ließ.","norm":"Eine Anstalt, die ich, als dem Ernste des Stückes zuwider, sehr ungern geschehen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":296,"orig":"Doch ſchwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieſer Verlegenheit gerettet wäre, mich nie, als mit der größten Überlegung, an die Vorſtellung eines Stücks zu wagen.","norm":"Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser Verlegenheit gerettet wäre, mich nie, als mit der größten Überlegung, an die Vorstellung eines Stücks zu wagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":297,"orig":"Mariane, vom Schlaf überwältigt, lehnte ſich an ihren Geliebten, der ſie feſt an ſich drückte und in ſeiner Erzählung fortfuhr, indeß die Alte den Überreſt des Weins mit gutem Bedachte genoß.","norm":"Mariane, vom Schlaf überwältigt, lehnte sich an ihren Geliebten, der sie fest an sich drückte und in seiner Erzählung fortfuhr, indes die Alte den Überrest des Weins mit gutem Bedachte genoss."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":298,"orig":"Die Verlegenheit, ſagte er, in der ich mich mit meinen Freunden gefunden hatte, indem wir ein Stück das nicht exiſtirte zu ſpielen unternahmen, war bald vergeſſen.","norm":"Die Verlegenheit, sagte er, in der ich mich mit meinen Freunden gefunden hatte, indem wir ein Stück das nicht existierte zu spielen unternahmen, war bald vergessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":299,"orig":"Meiner Leidenſchaft, jeden Roman, den ich las, jede Geſchichte die man mich lehrte, in einem Schauſpiele darzuſtellen, konnte ſelbſt der unbiegſamſte Stoff nicht widerſtehen.","norm":"Meiner Leidenschaft, jeden Roman, den ich las, jede Geschichte die man mich lehrte, in einem Schauspiele darzustellen, konnte selbst der unbiegsamste Stoff nicht widerstehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":300,"orig":"Ich war völlig überzeugt, daß alles was in der Erzählung ergötzte, vorgeſtellt eine viel größere Wirkung thun müſſe; alles ſollte vor meinen Augen, alles auf der Bühne vorgehen.","norm":"Ich war völlig überzeugt, dass alles was in der Erzählung ergötzte, vorgestellt eine viel größere Wirkung tun müsse; alles sollte vor meinen Augen, alles auf der Bühne vorgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":301,"orig":"Wenn uns in der Schule die Weltgeſchichte vorgetragen wurde, zeichnete ich mir ſorgfältig aus, wo einer auf eine beſondere Weiſe erſtochen oder vergiftet wurde, und meine Einbildungskraft ſah über Expoſition und Verwicklung hinweg und eilte dem intereſſanten fünften Akte zu; ſo fing ich auch wirklich an, einige Stücke von hinten hervor zu ſchreiben, ohne daß ich auch nur bey einem einzigen bis zum Anfange gekommen wäre.","norm":"Wenn uns in der Schule die Weltgeschichte vorgetragen wurde, zeichnete ich mir sorgfältig aus, wo einer auf eine besondere Weise erstochen oder vergiftet wurde, und meine Einbildungskraft sah über Exposition und Verwicklung hinweg und eilte dem interessanten fünften Akte zu; so fing ich auch wirklich an, einige Stücke von hinten hervor zu schreiben, ohne dass ich auch nur bei einem einzigen bis zum Anfange gekommen wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":302,"orig":"Zu gleicher Zeit las ich, theils aus eignem Antrieb, theils auf Veranlaſſung meiner guten Freunde, welche in den Geſchmack gekommen waren Schauſpiele aufzuführen, einen ganzen Wuſt theatraliſcher Productionen durch, wie ſie der Zufall mir in die Hände führte.","norm":"Zu gleicher Zeit las ich, teils aus eigenem Antrieb, teils auf Veranlassung meiner guten Freunde, welche in den Geschmack gekommen waren Schauspiele aufzuführen, einen ganzen Wust theatralischer Produktionen durch, wie sie der Zufall mir in die Hände führte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":303,"orig":"Ich war in den glücklichen Jahren, wo uns noch alles gefällt, wo wir in der Menge und Abwechslung unſre Befriedigung finden.","norm":"Ich war in den glücklichen Jahren, wo uns noch alles gefällt, wo wir in der Menge und Abwechslung unsere Befriedigung finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":304,"orig":"Leider aber ward mein Urtheil noch auf eine andere Weiſe beſtochen.","norm":"Leider aber wurde mein Urteil noch auf eine andere Weise bestochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":305,"orig":"Die Stücke gefielen mir beſonders, in denen ich zu gefallen hoffte, und es waren wenige, die ich nicht in dieſer angenehmen Täuſchung durchlas; und meine lebhafte Vorſtellungskraft, da ich mich in alle Rollen denken konnte, verführte mich zu glauben, daß ich auch alle darſtellen würde: gewöhnlich wählte ich daher bey der Austheilung diejenigen, welche ſich gar nicht für mich ſchickten, und wenn es nur einigermaßen angehn wollte, wohl gar ein paar Rollen.","norm":"Die Stücke gefielen mir besonders, in denen ich zu gefallen hoffte, und es waren wenige, die ich nicht in dieser angenehmen Täuschung durchlas; und meine lebhafte Vorstellungskraft, da ich mich in alle Rollen denken konnte, verführte mich zu glauben, dass ich auch alle darstellen würde: gewöhnlich wählte ich daher bei der Austeilung diejenigen, welche sich gar nicht für mich schickten, und wenn es nur einigermaßen angehen wollte, wohl gar ein paar Rollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":306,"orig":"Kinder wiſſen beym Spiele aus allem alles zu machen; ein Stab wird zur Flinte, ein Stückchen Holz zum Degen, jedes Bündelchen zur Puppe, und jeder Winkel zur Hütte.","norm":"Kinder wissen beim Spiele aus allem alles zu machen; ein Stab wird zur Flinte, ein Stückchen Holz zum Degen, jedes Bündelchen zur Puppe, und jeder Winkel zur Hütte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":307,"orig":"In dieſem Sinne entwickelte ſich unſer Privattheater.","norm":"In diesem Sinne entwickelte sich unser Privattheater."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":308,"orig":"Bey der völligen Unkenntniß unſrer Kräfte unternahmen wir alles, bemerkten kein qui pro quo, und waren überzeugt, jeder müſſe uns dafür nehmen, wofür wir uns gaben.","norm":"Bei der völligen Unkenntnis unserer Kräfte unternahmen wir alles, bemerkten kein qui pro quo, und waren überzeugt, jeder müsse uns dafür nehmen, wofür wir uns gaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":309,"orig":"Leider ging alles einen ſo gemeinen Gang, daß mir nicht einmal eine merkwürdige Albernheit zu erzählen übrig bleibt.","norm":"Leider ging alles einen so gemeinen Gang, dass mir nicht einmal eine merkwürdige Albernheit zu erzählen übrigbleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":310,"orig":"Erſt ſpielten wir die wenigen Stücke durch, in welchen nur Mannsperſonen auftreten; dann verkleideten wir einige aus unſerm Mittel, und zogen zuletzt die Schweſtern mit ins Spiel.","norm":"Erst spielten wir die wenigen Stücke durch, in welchen nur Mannspersonen auftreten; dann verkleideten wir einige aus unserem Mittel, und zogen zuletzt die Schwestern mit ins Spiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":311,"orig":"In einigen Häuſern hielt man es für eine nützliche Beſchäftigung und lud Geſellſchaften darauf.","norm":"In einigen Häusern hielt man es für eine nützliche Beschäftigung und lud Gesellschaften darauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":312,"orig":"Unſer Artillerielieutenant verließ uns auch hier nicht.","norm":"Unser Artillerielieutenant verließ uns auch hier nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":313,"orig":"Er zeigte uns, wie wir kommen und gehen, deklamiren und geſtikuliren ſollten; allein er erntete für ſeine Bemühung meiſtens wenig Dank, indem wir die theatraliſchen Künſte ſchon beſſer als er zu verſtehen glaubten.","norm":"Er zeigte uns, wie wir kommen und gehen, deklamieren und gestikulieren sollten; allein er erntete für seine Bemühung meistens wenig Dank, indem wir die theatralischen Künste schon besser als er zu verstehen glaubten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":314,"orig":"Wir verfielen gar bald auf das Trauerſpiel: denn wir hatten oft ſagen hören, und glaubten ſelbſt, es ſey leichter eine Tragödie zu ſchreiben und vorzuſtellen, als im Luſtſpiele vollkommen zu ſeyn.","norm":"Wir verfielen gar bald auf das Trauerspiel: denn wir hatten oft sagen hören, und glaubten selbst, es sei leichter eine Tragödie zu schreiben und vorzustellen, als im Lustspiele vollkommen zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":315,"orig":"Auch fühlten wir uns beym erſten tragiſchen Verſuche ganz in unſerm Elemente, wir ſuchten uns der Höhe des Standes, der Vortreflichkeit der Charaktere, durch Steifheit und Affectation zu nähern, und dünkten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen glücklich waren wir nur, wenn wir recht raſen, mit den Füßen ſtampfen und uns wohl gar vor Wuth und Verzweiflung auf die Erde werfen durften.","norm":"Auch fühlten wir uns beim ersten tragischen Versuche ganz in unserem Elemente, wir suchten uns der Höhe des Standes, der Vortrefflichkeit der Charaktere, durch Steifheit und Affektation zu nähern, und dünkten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen glücklich waren wir nur, wenn wir recht rasen, mit den Füßen stampfen und uns wohl gar vor Wut und Verzweiflung auf die Erde werfen durften."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":316,"orig":"Knaben und Mädchen waren in dieſen Spielen nicht lange beyſammen, als die Natur ſich zu regen, und die Geſellſchaft ſich in verſchiedene kleine Liebesgeſchichten zu theilen anfing, da denn meiſtentheils Comödie in der Comödie geſpielt wurde.","norm":"Knaben und Mädchen waren in diesen Spielen nicht lange beisammen, als die Natur sich zu regen, und die Gesellschaft sich in verschiedene kleine Liebesgeschichten zu teilen anfing, da denn meistenteils Komödie in der Komödie gespielt wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":317,"orig":"Die glücklichen Paare drückten ſich hinter den Theaterwänden die Hände auf das zärtlichſte; ſie verſchwammen in Glückſeligkeit, wenn ſie einander, ſo bebändert und aufgeſchmückt, recht idealiſch vorkamen, indeß gegen über die unglücklichen Nebenbuhler ſich vor Neid verzehrten, und mit Trutz und Schadenfreude allerley Unheil anrichteten.","norm":"Die glücklichen Paare drückten sich hinter den Theaterwänden die Hände auf das zärtlichste; sie verschwammen in Glückseligkeit, wenn sie einander, so bebändert und aufgeschmückt, recht idealisch vorkamen, indes gegenüber die unglücklichen Nebenbuhler sich vor Neid verzehrten, und mit Trotz und Schadenfreude allerlei Unheil anrichteten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":318,"orig":"Dieſe Spiele, obgleich ohne Verſtand unternommen und ohne Anleitung durchgeführt, waren doch nicht ohne Nutzen für uns.","norm":"Diese Spiele, obgleich ohne Verstand unternommen und ohne Anleitung durchgeführt, waren doch nicht ohne Nutzen für uns."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":319,"orig":"Wir übten unſer Gedächtniß und unſern Körper, und erlangten mehr Geſchmeidigkeit im Sprechen und Betragen, als man ſonſt in ſo frühen Jahren gewinnen kann.","norm":"Wir übten unser Gedächtnis und unseren Körper, und erlangten mehr Geschmeidigkeit im Sprechen und Betragen, als man sonst in so frühen Jahren gewinnen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":320,"orig":"Für mich aber war jene Zeit beſonders Epoke, mein Geiſt richtete ſich ganz nach dem Theater, und ich fand kein größer Glück, als Schauſpiele zu leſen, zu ſchreiben und zu ſpielen.","norm":"Für mich aber war jene Zeit besonders Epoche, mein Geist richtete sich ganz nach dem Theater, und ich fand kein größer Glück, als Schauspiele zu lesen, zu schreiben und zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":321,"orig":"Der Unterricht meiner Lehrer dauerte fort, man hatte mich dem Handelsſtand gewidmet, und zu unſerm Nachbar auf das Comptoir gethan; aber eben zu ſelbiger Zeit entfernte ſich mein Geiſt nur gewaltſamer von allem, was ich für ein niedriges Geſchäft halten mußte.","norm":"Der Unterricht meiner Lehrer dauerte fort, man hatte mich dem Handelsstand gewidmet, und zu unserem Nachbar auf das Comptoir getan; aber eben zu selbiger Zeit entfernte sich mein Geist nur gewaltsamer von allem, was ich für ein niedriges Geschäft halten musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":322,"orig":"Der Bühne wollte ich meine ganze Thätigkeit widmen, auf ihr mein Glück und meine Zufriedenheit finden.","norm":"Der Bühne wollte ich meine ganze Tätigkeit widmen, auf ihr mein Glück und meine Zufriedenheit finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":323,"orig":"Ich erinnere mich noch eines Gedichtes, das ſich unter meinen Papieren finden muß, in welchem die Muſe der tragiſchen Dichtkunſt und eine andere Frauensgeſtalt, in der ich das Gewerbe perſonifizirt hatte, ſich um meine werthe Perſon recht wacker zanken.","norm":"Ich erinnere mich noch eines Gedichtes, das sich unter meinen Papieren finden muss, in welchem die Muse der tragischen Dichtkunst und eine andere Frauengestalt, in der ich das Gewerbe personifiziert hatte, sich um meine werte Person recht wacker zanken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":324,"orig":"Die Erfindung iſt gemein, und ich erinnere mich nicht, ob die Verſe etwas taugen; aber Ihr ſollt es ſehen, um der Furcht, des Abſcheues, der Liebe und der Leidenſchaft willen, die darin herrſchen.","norm":"Die Erfindung ist gemein, und ich erinnere mich nicht, ob die Verse etwas taugen; aber Ihr sollt es sehen, um der Furcht, des Abscheus, der Liebe und der Leidenschaft Willen, die darin herrschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":325,"orig":"Wie ängſtlich hatte ich die alte Hausmutter geſchildert mit dem Rocken im Gürtel, mit Schlüſſeln an der Seite, Brillen auf der Naſe, immer fleißig, immer in Unruhe, zänkiſch und haushältiſch, kleinlich und beſchwerlich!","norm":"Wie ängstlich hatte ich die alte Hausmutter geschildert mit dem Rocken im Gürtel, mit Schlüsseln an der Seite, Brüllen auf der Nase, immer fleißig, immer in Unruhe, zänkisch und haushältisch, kleinlich und beschwerlich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":326,"orig":"Wie kümmerlich beſchrieb ich den Zuſtand deſſen, der ſich unter ihrer Ruthe bücken und ſein knechtiſches Tagewerk im Schweiße des Angeſichtes verdienen ſollte!","norm":"Wie kümmerlich beschrieb ich den Zustand dessen, der sich unter ihrer Rute bücken und sein knechtisches Tagewerk im Schweiße des Angesichtes verdienen sollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":327,"orig":"Wie anders trat jene dagegen auf!","norm":"Wie anders trat jene dagegen auf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":328,"orig":"Welche Erſcheinung ward ſie dem bekümmerten Herzen!","norm":"Welche Erscheinung wurde sie dem bekümmerten Herzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":329,"orig":"Herrlich gebildet, in ihrem Weſen und Betragen als eine Tochter der Freyheit anzuſehen.","norm":"Herrlich gebildet, in ihrem Wesen und Betragen als eine Tochter der Freiheit anzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":330,"orig":"Das Gefühl ihrer ſelbſt gab ihr Würde ohne Stolz; ihre Kleider ziemten ihr, ſie umhüllten jedes Glied, ohne es zu zwängen, und die reichlichen Falten des Stoffes wiederholten, wie ein tauſendfaches Echo, die reizenden Bewegungen der Göttlichen.","norm":"Das Gefühl ihrer selbst gab ihr Würde ohne Stolz; ihre Kleider ziemten ihr, sie umhüllten jedes Glied, ohne es zu zwängen, und die reichlichen Falten des Stoffes wiederholten, wie ein tausendfaches Echo, die reizenden Bewegungen der Göttlichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":331,"orig":"Welch ein Contraſt!","norm":"Welch ein Kontrast!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":332,"orig":"Und auf welche Seite ſich mein Herz wandte, kannſt du leicht denken.","norm":"Und auf welche Seite sich mein Herz wandte, kannst du leicht denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":333,"orig":"Auch war nichts vergeſſen, um meine Muſe kenntlich zu machen.","norm":"Auch war nichts vergessen, um meine Muse kenntlich zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":334,"orig":"Kronen und Dolche, Ketten und Masken, wie ſie mir meine Vorgänger überliefert hatten, waren ihr auch hier zugetheilt.","norm":"Kronen und Dolche, Ketten und Masken, wie sie mir meine Vorgänger überliefert hatten, waren ihr auch hier zugeteilt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":335,"orig":"Der Wettſtreit war heftig, die Reden beider Perſonen kontraſtirten gehörig, da man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das Schwarze und Weiße recht nah an einander zu mahlen pflegt.","norm":"Der Wettstreit war heftig, die Reden beider Personen kontrastierten gehörig, da man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das Schwarze und Weiße recht nah aneinander zu malen pflegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":336,"orig":"Die Alte redete, wie es einer Perſon geziemt, die eine Stecknadel aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche verſchenkt.","norm":"Die Alte redete, wie es einer Person geziemt, die eine Stecknadel aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche verschenkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":337,"orig":"Die warnenden Drohungen der Alten wurden verſchmäht; ich ſah die mir verſprochenen Reichthümer ſchon mit dem Rücken an: enterbt und nackt übergab ich mich der Muſe, die mir ihren goldnen Schleyer zuwarf und meine Blöße bedeckte.","norm":"Die warnenden Drohungen der Alten wurden verschmäht; ich sah die mir versprochenen Reichtümer schon mit dem Rücken an: enterbt und nackt übergab ich mich der Muse, die mir ihren goldenen Schleier zuwarf und meine Blöße bedeckte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":338,"orig":"— Hätte ich denken können, o meine Geliebte!","norm":"— Hätte ich denken können, o meine Geliebte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":339,"orig":"rief er aus, indem er Marianen feſt an ſich drückte, daß eine ganz andere, eine lieblichere Gottheit kommen, mich in meinem Vorſatz ſtärken, mich auf meinem Wege begleiten würde; welch eine ſchönere Wendung würde mein Gedicht genommen haben, wie intereſſant würde nicht der Schluß deſſelben geworden ſeyn!","norm":"rief er aus, indem er Mariane fest an sich drückte, dass eine ganz andere, eine lieblichere Gottheit kommen, mich in meinem Vorsatz stärken, mich auf meinem Wege begleiten würde; welch eine schönere Wendung würde mein Gedicht genommen haben, wie interessant würde nicht der Schluss desselben geworden sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":340,"orig":"Doch es iſt kein Gedicht, es iſt Wahrheit und Leben, was ich in deinen Armen finde; laß uns das ſüße Glück mit Bewußtſeyn genießen!","norm":"Doch es ist kein Gedicht, es ist Wahrheit und Leben, was ich in deinen Armen finde; lass uns das süße Glück mit Bewusstsein genießen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":341,"orig":"Durch den Druck ſeines Armes, durch die Lebhaftigkeit ſeiner erhöhten Stimme, war Mariane erwacht, und verbarg durch Liebkoſungen ihre Verlegenheit: denn ſie hatte auch nicht ein Wort von dem letzten Theile ſeiner Erzählung vernommen, und es iſt zu wünſchen, daß unſer Held für ſeine Lieblingsgeſchichten aufmerkſamere Zuhörer künftig finden möge.","norm":"Durch den Druck seines Armes, durch die Lebhaftigkeit seiner erhöhten Stimme, war Mariane erwacht, und verbarg durch Liebkosungen ihre Verlegenheit: denn sie hatte auch nicht ein Wort von dem letzten Teile seiner Erzählung vernommen, und es ist zu wünschen, dass unser Held für seine Lieblingsgeschichten aufmerksamere Zuhörer künftig finden möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":342,"orig":"So brachte Wilhelm ſeine Nächte im Genuſſe vertraulicher Liebe, ſeine Tage in Erwartung neuer ſeliger Stunden zu.","norm":"So brachte Wilhelm seine Nächte im Genusse vertraulicher Liebe, seine Tage in Erwartung neuer seliger Stunden zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":343,"orig":"Schon zu jener Zeit, als ihn Verlangen und Hoffnung zu Marianen hinzog, fühlte er ſich wie neu belebt, er fühlte, daß er ein anderer Menſch zu werden beginne; nun war er mit ihr vereinigt, die Befriedigung ſeiner Wünſche ward eine reizende Gewohnheit.","norm":"Schon zu jener Zeit, als ihn Verlangen und Hoffnung zu Mariane hinzog, fühlte er sich wie neu belebt, er fühlte, dass er ein anderer Mensch zu werden beginne; nun war er mit ihr vereinigt, die Befriedigung seiner Wünsche wurde eine reizende Gewohnheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":344,"orig":"Sein Herz ſtrebte, den Gegenſtand ſeiner Leidenſchaft zu veredlen, ſein Geiſt, das geliebte Mädchen mit ſich empor zu heben.","norm":"Sein Herz strebte, den Gegenstand seiner Leidenschaft zu veredeln, sein Geist, das geliebte Mädchen mit sich emporzuheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":345,"orig":"In der kleinſten Abweſenheit ergriff ihn ihr Andenken.","norm":"In der kleinsten Abwesenheit ergriff ihn ihr Andenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":346,"orig":"War ſie ihm ſonſt nothwendig geweſen, ſo war ſie ihm jetzt unentbehrlich, da er mit allen Banden der Menſchheit an ſie geknüpft war.","norm":"War sie ihm sonst notwendig gewesen, sowar sie ihm jetzt unentbehrlich, da er mit allen Banden der Menschheit an sie geknüpft war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":347,"orig":"Seine reine Seele fühlte, daß ſie die Hälfte, mehr als die Hälfte ſeiner ſelbſt ſey.","norm":"Seine reine Seele fühlte, dass sie die Hälfte, mehr als die Hälfte seiner selbst sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":348,"orig":"Er war dankbar und hingegeben ohne Gränzen.","norm":"Er war dankbar und hingegeben ohne Grenzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":349,"orig":"Auch Mariane konnte ſich eine Zeitlang täuſchen, ſie theilte die Empfindung ſeines lebhaften Glücks mit ihm.","norm":"Auch Mariane konnte sich eine Zeitlang täuschen, sie teilte die Empfindung seines lebhaften Glücks mit ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":350,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":351,"orig":"wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vorwurfs ihr über das Herz gefahren wäre!","norm":"wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vorwurfs ihr über das Herz gefahren wäre!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":352,"orig":"Selbſt an dem Buſen Wilhelms war ſie nicht ſicher davor, ſelbſt unter den Flügeln ſeiner Liebe.","norm":"Selbst an dem Busen Wilhelms war sie nicht sicher davor, selbst unter den Flügeln seiner Liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":353,"orig":"Und wenn ſie nun gar wieder allein war, und aus den Wolken, in denen ſeine Leidenſchaft ſie emportrug, in das Bewußtſeyn ihres Zuſtandes herabſank; dann war ſie zu bedauern.","norm":"Und wenn sie nun gar wieder allein war, und aus den Wolken, in denen seine Leidenschaft sie emportrug, in das Bewusstsein ihres Zustandes herabsank; dann war sie zu bedauern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":354,"orig":"Denn Leichtſinn kam ihr zu Hülfe, ſo lange ſie in niedriger Verworrenheit lebte, ſich über ihre Verhältniſſe betrog, oder vielmehr ſie nicht kannte; da erſchienen ihr die Vorfälle, denen ſie ausgeſetzt war, nur einzeln:","norm":"Denn Leichtsinn kam ihr zu Hilfe, solange sie in niedriger Verworrenheit lebte, sich über ihre Verhältnisse betrog, oder vielmehr sie nicht kannte; da erschienen ihr die Vorfälle, denen sie ausgesetzt war, nur einzeln:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":355,"orig":"Vergnügen und Verdruß löſten ſich ab, Demüthigung wurde durch Eitelkeit, und Mangel oft durch augenblicklichen Überfluß vergütet; ſie konnte Noth und Gewohnheit ſich als Geſetz und Rechtfertigung anführen, und ſo lange ließen ſich alle unangenehme Empfindungen von Stund zu Stunde, von Tag zu Tage abſchütteln.","norm":"Vergnügen und Verdruss lösten sich ab, Demütigung wurde durch Eitelkeit, und Mangel oft durch augenblicklichen Überfluss vergütet; sie konnte Not und Gewohnheit sich als Gesetz und Rechtfertigung anführen, und solange ließen sich alle unangenehme Empfindungen von Stand zu Stunde, von Tag zu Tage abschütteln."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":356,"orig":"Nun aber hatte das arme Mädchen ſich Augenblicke in eine beſſere Welt hinüber gerückt gefühlt, hatte, wie von oben herab, aus Licht und Freude ins öde, verworfene ihres Lebens herunter geſehen, hatte gefühlt, welche elende Creatur ein Weib iſt, das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe und Ehrfurcht einflöst, und fand ſich äußerlich und innerlich um nichts gebeſſert.","norm":"Nun aber hatte das arme Mädchen sich Augenblicke in eine bessere Welt hinübergerückt gefühlt, hatte, wie von oben herab, aus Licht und Freude ins Öde, Verworfene ihres Lebens heruntergesehen, hatte gefühlt, welche elende Kreatur ein Weib ist, das mit dem Verlangen nicht zugleich Liebe und Ehrfurcht einflößt, und fand sich äußerlich und innerlich um nichts gebessert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":357,"orig":"Sie hatte nichts, was ſie aufrichten konnte.","norm":"Sie hatte nichts, was sie aufrichten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":358,"orig":"Wenn ſie in ſich blickte und ſuchte, war es in ihrem Geiſte leer, und ihr Herz hatte keinen Widerhalt.","norm":"Wenn sie in sich blickte und suchte, war es in ihrem Geiste leer, und ihr Herz hatte keinen Widerhalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":359,"orig":"Je trauriger dieſer Zuſtand war, deſto heftiger ſchloß ſich ihre Neigung an den Geliebten feſt; ja die Leidenſchaft wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn zu verlieren, mit jedem Tage näher rückte.","norm":"Je trauriger dieser Zustand war, desto heftiger schloss sich ihre Neigung an den Geliebten fest; ja die Leidenschaft wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn zu verlieren, mit jedem Tage näher rückte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":360,"orig":"Dagegen ſchwebte Wilhelm glücklich in höheren Regionen, ihm war auch eine neue Welt aufgegangen, aber reich an herrlichen Ausſichten.","norm":"Dagegen schwebte Wilhelm glücklich in höheren Regionen, ihm war auch eine neue Welt aufgegangen, aber reich an herrlichen Aussichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":361,"orig":"Kaum ließ das Uebermaaß der erſten Freude nach, ſo ſtellte ſich das hell vor ſeine Seele, was ihn bisher dunkel durchwühlt hatte.","norm":"Kaum ließ das Übermaß der ersten Freude nach, so stellte sich das hell vor seine Seele, was ihn bisher dunkel durchwühlt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":362,"orig":"Sie iſt dein!","norm":"Sie ist dein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":363,"orig":"Sie hat ſich dir hingegeben!","norm":"Sie hat sich dir hingegeben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":364,"orig":"Sie, das geliebte, geſuchte, angebetete Geſchöpf, dir auf Treu und Glauben hingegeben; aber ſie hat ſich keinem Undankbaren überlaſſen.","norm":"Sie, das geliebte, gesuchte, angebetete Geschöpf, dir auf Treu und Glauben hingegeben; aber sie hat sich keinem Undankbaren überlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":365,"orig":"Wo er ſtand und ging, redete er mit ſich ſelbſt, ſein Herz floß beſtändig über, und er ſagte ſich in einer Fülle von prächtigen Worten die erhabenſten Geſinnungen vor.","norm":"Wo er stand und ging, redete er mit sich selbst, sein Herz floss beständig über, und er sagte sich in einer Fülle von prächtigen Worten die erhabensten Gesinnungen vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":366,"orig":"Er glaubte den hellen Wink des Schickſals zu verſtehen, das ihm durch Marianen die Hand reichte, ſich aus dem ſtockenden, ſchleppenden bürgerlichen Leben heraus zu reißen, aus dem er ſchon ſo lange ſich zu retten gewünſcht hatte.","norm":"Er glaubte den hellen Wink des Schicksals zu verstehen, das ihm durch Mariane die Hand reichte, sich aus dem stockenden, schleppenden bürgerlichen Leben herauszureißen, aus dem er schon so lange sich zu retten gewünscht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":367,"orig":"Seines Vaters Haus, die Seinigen zu verlaſſen, ſchien ihm etwas leichtes.","norm":"Seines Vaters Haus, die Seinigen zu verlassen, schien ihm etwas Leichtes."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":368,"orig":"Er war jung und neu in der Welt, und ſein Muth, in ihren Weiten nach Glück und Befriedigung zu rennen, durch die Liebe erhöht.","norm":"Er war jung und neu in der Welt, und sein Mut, in ihren Weiten nach Glück und Befriedigung zu rennen, durch die Liebe erhöht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":369,"orig":"Seine Beſtimmung zum Theater war ihm nunmehr klar; das hohe Ziel, das er ſich vorgeſteckt ſah, ſchien ihm näher, indem er an Marianens Hand hinſtrebte, und in ſelbſtgefälliger Beſcheidenheit erblickte er in ſich den trefflichen Schauſpieler, den Schöpfer eines künftigen National – Theaters, nach dem er ſo vielfältig hatte ſeufzen hören.","norm":"Seine Bestimmung zum Theater war ihm nunmehr klar; das hohe Ziel, das er sich vorgesteckt sah, schien ihm näher, indem er an Marianes Hand hinstrebte, und in selbstgefälliger Bescheidenheit erblickte er in sich den trefflichen Schauspieler, den Schöpfer eines künftigen Nationaltheaters, nach dem er so vielfältig hatte seufzen hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":370,"orig":"Alles, was in den innerſten Winkeln ſeiner Seele bisher geſchlummert hatte, wurde rege.","norm":"Alles, was in den innersten Winkeln seiner Seele bisher geschlummert hatte, wurde rege."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":371,"orig":"Er bildete aus den vielerley Ideen mit Farben der Liebe ein Gemählde auf Nebelgrund, deſſen Geſtalten freylich ſehr in einander floſſen; dafür aber auch das Ganze eine deſto reizendere Wirkung that.","norm":"Er bildete aus den vielerlei Ideen mit Farben der Liebe ein Gemälde auf Nebelgrund, dessen Gestalten freilich sehr ineinander flossen; dafür aber auch das Ganze eine desto reizendere Wirkung tat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":372,"orig":"Er ſaß nun zu Hauſe, kramte unter ſeinen Papieren, und rüſtete ſich zur Abreiſe.","norm":"Er saß nun zu Hause, kramte unter seinen Papieren, und rüstete sich zur Abreise."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":373,"orig":"Was nach ſeiner bisherigen Beſtimmung ſchmeckte, ward bey Seite gelegt, er wollte bey ſeiner Wanderung in die Welt auch von jeder unangenehmen Erinnerung frey ſeyn.","norm":"Was nach seiner bisherigen Bestimmung schmeckte, wurde beiseitegelegt, er wollte bei seiner Wanderung in die Welt auch von jeder unangenehmen Erinnerung frei sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":374,"orig":"Nur Werke des Geſchmacks, Dichter und Critiker wurden als bekannte Freunde unter die Erwählten geſtellt; und da er bisher die Kunſtrichter ſehr wenig genutzt hatte, ſo erneuerte ſich ſeine Begierde nach Belehrung, als er ſeine Bücher wieder durchſah und fand, daß die theoretiſchen Schriften noch meiſt unaufgeſchnitten waren.","norm":"Nur Werke des Geschmacks, Dichter und Kritiker wurden als bekannte Freunde unter die Erwählten gestellt; und da er bisher die Kunstrichter sehr wenig genutzt hatte, so erneuerte sich seine Begierde nach Belehrung, als er seine Bücher wieder durchsah und fand, dass die theoretischen Schriften noch meist unaufgeschnitten waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":375,"orig":"Er hatte ſich, in der völligen Überzeugung von der Nothwendigkeit ſolcher Werke, viele davon angeſchaft, und mit dem beſten Willen in keines auch nur bis in die Hälfte ſich hinein leſen können.","norm":"Er hatte sich, in der völligen Überzeugung von der Notwendigkeit solcher Werke, viele davon angeschafft, und mit dem besten Willen in keines auch nur bis in die Hälfte sich hineinlesen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":376,"orig":"Dagegen hatte er ſich deſto eifriger an Beyſpiele gehalten, und in allen Arten die ihm bekannt worden waren, ſelbſt Verſuche gemacht.","norm":"Dagegen hatte er sich desto eifriger an Beispiele gehalten, und in allen Arten die ihm bekannt worden waren, selbst Versuche gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":377,"orig":"Werner trat herein, und als er ſeinen Freund mit den bekannten Heften beſchäftigt ſah, rief er aus:","norm":"Werner trat herein, und als er seinen Freund mit den bekannten Heften beschäftigt sah, rief er aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":378,"orig":"Biſt du ſchon wieder über dieſen Papieren?","norm":"Bist du schon wieder über diesen Papieren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":379,"orig":"Ich wette, du haſt nicht die Abſicht, eins oder das andere zu vollenden!","norm":"Ich wette, du hast nicht die Absicht, eins oder das andere zu vollenden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":380,"orig":"Du ſiehſt ſie durch und wieder durch, und beginnſt allenfalls etwas neues.","norm":"Du siehst sie durch und wieder durch, und beginnst allenfalls etwas Neues."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":381,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":382,"orig":"Zu vollenden iſt nicht die Sache des Schülers, es iſt genug, wenn er ſich übt —","norm":"Zu vollenden ist nicht die Sache des Schülers, es ist genug, wenn er sich übt —"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":383,"orig":"Aber doch fertig macht, ſo gut er kann.","norm":"Aber doch fertig macht, so gut er kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":384,"orig":"Und doch ließe ſich wohl die Frage aufwerfen: ob man nicht eben gute Hoffnung von einem jungen Menſchen faſſen könne, der bald gewahr wird, wenn er etwas Ungeſchicktes unternommen hat, in der Arbeit nicht fortfährt, und an etwas, das niemals einen Werth haben kann, weder Mühe noch Zeit verſchwenden mag.","norm":"Und doch ließe sich wohl die Frage aufwerfen: ob man nicht eben gute Hoffnung von einem jungen Menschen fassen könne, der bald gewahr wird, wenn er etwas Ungeschicktes unternommen hat, in der Arbeit nicht fortfährt, und an etwas, das niemals einen Wert haben kann, weder Mühe noch Zeit verschwenden mag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":385,"orig":"Ich weiß wohl, es war nie deine Sache, etwas zu Stande zu bringen, du warſt immer müde, eh’ es zur Hälfte kam.","norm":"Ich weiß wohl, es war nie deine Sache, etwas zustande zu bringen, du warst immer müde, ehe es zur Hälfte kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":386,"orig":"Da du noch Direktor unſers Puppenſpiels warſt, wie oft wurden neue Kleider für die Zwerggeſellſchaft gemacht?","norm":"Da du noch Direktor unseres Puppenspiels warst, wie oft wurden neue Kleider für die Zwerggesellschaft gemacht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":387,"orig":"neue Dekorationen ausgeſchnitten?","norm":"neue Dekorationen ausgeschnitten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":388,"orig":"Bald ſollte dieſes, bald jenes Trauerſpiel aufgeführt werden, und höchſtens gabſt du einmal den fünften Akt, wo alles recht bunt durch einander ging, und die Leute ſich erſtachen.","norm":"Bald sollte dieses, bald jenes Trauerspiel aufgeführt werden, und höchstens gabst du einmal den fünften Akt, wo alles recht bunt durcheinander ging, und die Leute sich erstachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":389,"orig":"Wenn du von jenen Zeiten ſprechen willſt, wer war denn Schuld, daß wir die Kleider, die unſern Puppen angepaßt und auf den Leib feſt genäht waren, herunter trennen ließen, und den Aufwand einer weitläuftigen und unnützen Garderobe machten?","norm":"Wenn du von jenen Zeiten sprechen willst, wer war denn schuld, dass wir die Kleider, die unseren Puppen angepasst und auf den Leib festgenäht waren, heruntertrennen ließen, und den Aufwand einer weitläufigen und unnützen Garderobe machten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":390,"orig":"Warſt du’s nicht, der immer ein neues Stück Band zu verhandeln hatte, der meine Liebhaberey anzufeuern und zu nutzen wußte? —","norm":"Warst du es nicht, der immer ein neues Stück Band zu verhandeln hatte, der meine Liebhaberei anzufeuern und zu nutzen wusste? —"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":391,"orig":"Werner lachte und rief aus:","norm":"Werner lachte und rief aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":392,"orig":"Ich erinnere mich immer noch mit Freuden, daß ich von euern theatraliſchen Feldzügen Vortheil zog, wie Lieferanten vom Kriege.","norm":"Ich erinnere mich immer noch mit Freuden, dass ich von euren theatralischen Feldzügen Vorteil zog, wie Lieferanten vom Kriege."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":393,"orig":"Als Ihr euch zur Befreyung Jeruſalems rüſtetet, machte ich auch einen ſchönen Profit, wie ehemals die Venetianer im ähnlichen Falle.","norm":"Als Ihr Euch zur Befreiung Jerusalems rüstetet, machte ich auch einen schönen Profit, wie ehemals die Venezianer im ähnlichen Falle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":394,"orig":"Ich finde nichts vernünftiger in der Welt, als von den Thorheiten anderer Vortheil zu ziehen.","norm":"Ich finde nichts vernünftiger in der Welt, als von den Torheiten anderer Vorteil zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":395,"orig":"Ich weiß nicht, ob es nicht ein edleres Vergnügen wäre, die Menſchen von ihren Thorheiten zu heilen.","norm":"Ich weiß nicht, ob es nicht ein edleres Vergnügen wäre, die Menschen von ihren Torheiten zu heilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":396,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":397,"orig":"Wie ich ſie kenne, möchte das wohl ein eitles Beſtreben ſeyn.","norm":"Wie ich sie kenne, möchte das wohl ein eitles Bestreben sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":398,"orig":"Es gehört ſchon etwas dazu, wenn ein einziger Menſch klug und reich werden ſoll, und meiſtens wird er es auf Unkoſten der Andern.","norm":"Es gehört schon etwas dazu, wenn ein einziger Mensch klug und reich werden soll, und meistens wird er es auf Unkosten der Anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":399,"orig":"Es fällt mir eben recht der Jüngling am Scheidewege in die Hände, verſetzte Wilhelm, indem er ein Heft aus den übrigen Papieren herauszog: das iſt doch fertig geworden, es mag übrigens ſeyn wie es will.","norm":"Es fällt mir eben recht der Jüngling am Scheidewege in die Hände, versetzte Wilhelm, indem er ein Heft aus den übrigen Papieren herauszog: Das ist doch fertig geworden, es mag übrigens sein wie es will."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":400,"orig":"Leg es bey Seite, wirf es ins Feuer!","norm":"Lege es beiseite, wirf es ins Feuer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":401,"orig":"verſetzte Werner.","norm":"versetzte Werner."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":402,"orig":"Die Erfindung iſt nicht im geringſten lobenswürdig; ſchon vormals ärgerte mich dieſe Compoſition genug, und zog dir den Unwillen des Vaters zu.","norm":"Die Erfindung ist nicht im Geringsten lobenswürdig; schon vormals ärgerte mich diese Komposition genug, und zog dir den Unwillen des Vaters zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":403,"orig":"Es mögen ganz artige Verſe ſeyn; aber die Vorſtellungsart iſt grundfalſch.","norm":"Es mögen ganz artige Verse sein; aber die Vorstellungsart ist grundfalsch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":404,"orig":"Ich erinnere mich noch deines perſonifizirten Gewerbes, deiner zuſammengeſchrumpften erbärmlichen Sybille.","norm":"Ich erinnere mich noch deines personifizierten Gewerbes, deiner zusammengeschrumpften erbärmlichen Sibylle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":405,"orig":"Du magſt das Bild in irgend einem elenden Kramladen aufgeſchnappt haben.","norm":"Du magst das Bild in irgendeinem elenden Kramladen aufgeschnappt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":406,"orig":"Von der Handlung hatteſt du damals keinen Begriff; ich wüßte nicht, weſſen Geiſt ausgebreiteter wäre, ausgebreiteter ſeyn müßte, als der Geiſt eines ächten Handelsmanns.","norm":"Von der Handlung hattest du damals keinen Begriff; ich wüsste nicht, wessen Geist ausgebreiteter wäre, ausgebreiteter sein müsste, als der Geist eines echten Handelsmanns."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":407,"orig":"Welchen Überblick verſchaft uns nicht die Ordnung, in der wir unſre Geſchäfte führen!","norm":"Welchen Überblick verschafft uns nicht die Ordnung, in der wir unsere Geschäfte führen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":408,"orig":"Sie läßt uns jederzeit das Ganze überſchauen, ohne daß wir nöthig hätten, uns durch das Einzelne verwirren zu laſſen.","norm":"Sie lässt uns jederzeit das Ganze überschauen, ohne dass wir nötig hätten, uns durch das Einzelne verwirren zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":409,"orig":"Welche Vortheile gewährt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne!","norm":"Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":410,"orig":"Es iſt eine der ſchönſten Erfindungen des menſchlichen Geiſtes, und ein jeder guter Haushalter ſollte ſie in ſeiner Wirthſchaft einführen.","norm":"Es ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes, und ein jeder guter Haushalter sollte sie in seiner Wirtschaft einführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":411,"orig":"Verzeih mir, ſagte Wilhelm lächelnd, du fängſt von der Form an, als wenn das die Sache wäre; gewöhnlich vergeßt ihr aber auch über eurem Addiren und Bilanciren das eigentliche Facit des Lebens.","norm":"Verzeih mir, sagte Wilhelm lächelnd, du fängst von der Form an, als wenn das die Sache wäre; gewöhnlich vergesst ihr aber auch über eurem Addieren und Bilanzieren das eigentliche Fazit des Lebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":412,"orig":"Leider ſiehſt du nicht, mein Freund, wie Form und Sache hier nur eins iſt, eins ohne das andere nicht beſtehen könnte.","norm":"Leider siehst du nicht, mein Freund, wie Form und Sache hier nur eins ist, eins ohne das andere nicht bestehen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":413,"orig":"Ordnung und Klarheit vermehrt die Luſt zu ſparen und zu erwerben.","norm":"Ordnung und Klarheit vermehrt die Lust zu sparen und zu erwerben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":414,"orig":"Ein Menſch, der übel haushält, befindet ſich in der Dunkelheit ſehr wohl, er mag die Poſten nicht gerne zuſammen rechnen, die er ſchuldig iſt.","norm":"Ein Mensch, der übel haushält, befindet sich in der Dunkelheit sehr wohl, er mag die Posten nicht gerne zusammenrechnen, die er schuldig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":415,"orig":"Dagegen kann einem guten Wirthe nichts angenehmer ſeyn, als ſich alle Tage die Summe ſeines wachſenden Glückes zu ziehen.","norm":"Dagegen kann einem guten Wirte nichts angenehmer sein, als sich alle Tage die Summe seines wachsenden Glückes zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":416,"orig":"Selbſt ein Unfall, wenn er ihn verdrießlich überraſcht, erſchreckt ihn nicht; denn er weiß ſogleich, was für erworbene Vortheile er auf die andere Waagſchale zu legen hat.","norm":"Selbst ein Unfall, wenn er ihn verdrießlich überrascht, erschreckt ihn nicht; denn er weiß sogleich, was für erworbene Vorteile er auf die andere Waagschale zu legen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":417,"orig":"Ich bin überzeugt, mein lieber Freund, wenn du nur einmal einen rechten Geſchmack an unſern Geſchäften finden könnteſt, ſo würdeſt du dich überzeugen, daß manche Fähigkeiten des Geiſtes auch dabey ihr freyes Spiel haben können.","norm":"Ich bin überzeugt, mein lieber Freund, wenn du nur einmal einen rechten Geschmack an unseren Geschäften finden könntest, so würdest du dich überzeugen, dass manche Fähigkeiten des Geistes auch dabei ihr freies Spiel haben können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":418,"orig":"Es iſt möglich, daß mich die Reiſe, die ich vorhabe, auf andere Gedanken bringt.","norm":"Es ist möglich, dass mich die Reise, die ich vorhabe, auf andere Gedanken bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":419,"orig":"O gewiß!","norm":"O gewiss!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":420,"orig":"Glaube mir, es fehlt dir nur der Anblick einer großen Thätigkeit, um dich auf immer zu dem unſern zu machen; und wenn du zurück kommſt, wirſt du dich gern zu denen geſellen, die durch alle Arten von Spedition und Spekulation einen Theil des Geldes und Wohlbefindens, das in der Welt ſeinen nothwendigen Kreiſlauf führt, an ſich zu reißen wiſſen.","norm":"Glaube mir, es fehlt dir nur der Anblick einer großen Tätigkeit, um dich auf immer zu dem unseren zu machen; und wenn du zurückkommst, wirst du dich gern zu denen gesellen, die durch alle Arten von Spedition und Spekulation einen Teil des Geldes und Wohlbefindens, das in der Welt seinen notwendigen Kreislauf führt, an sich zu reißen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":421,"orig":"Wirf einen Blick auf die natürlichen und künſtlichen Producte aller Welttheile, betrachte wie ſie wechſelsweiſe zur Nothdurft geworden ſind!","norm":"Wirf einen Blick auf die natürlichen und künstlichen Produkte aller Weltteile, betrachte wie sie wechselweise zur Notdurft geworden sind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":422,"orig":"Welch eine angenehme geiſtreiche Sorgfalt iſt es, alles, was in dem Augenblicke am meiſten geſucht wird, und doch bald fehlt, bald ſchwer zu haben iſt, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und ſchnell zu verſchaffen, ſich vorſichtig in Vorrath zu ſetzen, und den Vortheil jedes Augenblickes dieſer großen Cirkulation zu genießen!","norm":"Welch eine angenehme geistreiche Sorgfalt ist es, alles, was in dem Augenblicke am meisten gesucht wird, und doch bald fehlt, bald schwer zu haben ist, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und schnell zu verschaffen, sich vorsichtig in Vorrat zu setzen, und den Vorteil jedes Augenblickes dieser großen Zirkulation zu genießen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":423,"orig":"Dieß iſt, dünkt mich, was jedem, der Kopf hat, eine große Freude machen wird.","norm":"Dies ist, dünkt mich, was jedem, der Kopf hat, eine große Freude machen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":424,"orig":"Wilhelm ſchien nicht abgeneigt, und Werner fuhr fort:","norm":"Wilhelm schien nicht abgeneigt, und Werner fuhr fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":425,"orig":"Beſuche nur erſt ein paar große Handelsſtädte, ein paar Häfen, und du wirſt gewiß mit fortgeriſſen werden.","norm":"Besuche nur erst ein paar große Handelsstädte, ein paar Häfen, und du wirst gewiss mit fortgerissen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":426,"orig":"Wenn du ſiehſt, wie viele Menſchen beſchäftiget ſind, wenn du ſiehſt, wo ſo manches herkommt, wo es hingeht, ſo wirſt du es gewiß auch mit Vergnügen durch deine Hände gehen ſehen.","norm":"Wenn du siehst, wie viele Menschen beschäftiget sind, wenn du siehst, wo so manches herkommt, wo es hingeht, so wirst du es gewiss auch mit Vergnügen durch deine Hände gehen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":427,"orig":"Die geringſte Waare ſiehſt du im Zuſammenhange mit dem ganzen Handel, und eben darum hältſt du nichts für gering, weil alles die Cirkulation vermehrt, von welcher dein Leben ſeine Nahrung zieht.","norm":"Die geringste Ware siehst du im Zusammenhange mit dem ganzen Handel, und eben darum hältst du nichts für gering, weil alles die Zirkulation vermehrt, von welcher dein Leben seine Nahrung zieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":428,"orig":"Werner, der ſeinen richtigen Verſtand in dem Umgange mit Wilhelmen ausbildete, hatte ſich gewöhnt, auch an ſein Gewerbe, an ſeine Geſchäfte mit Erhebung der Seele zu denken, und glaubte immer, daß er es mit mehrerem Rechte thue, als ſein ſonſt verſtändiger und geſchätzter Freund, der, wie es ihm ſchien, auf das unreellſte von der Welt einen ſo großen Werth, und das Gewicht ſeiner ganzen Seele legte.","norm":"Werner, der seinen richtigen Verstand in dem Umgange mit Wilhelm ausbildete, hatte sich gewöhnt, auch an sein Gewerbe, an seine Geschäfte mit Erhebung der Seele zu denken, und glaubte immer, dass er es mit mehrerem Rechte tue, als sein sonst verständiger und geschätzter Freund, der, wie es ihm schien, auf das Unreellste von der Welt einen so großen Wert, und das Gewicht seiner ganzen Seele legte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":429,"orig":"Manchmal dachte er, es könne gar nicht fehlen, dieſer falſche Enthuſiasmus müſſe zu überwältigen, und ein ſo guter Menſch auf den rechten Weg zu bringen ſeyn.","norm":"Manchmal dachte er, es könne gar nicht fehlen, dieser falsche Enthusiasmus müsse zu überwältigen, und ein so guter Mensch auf den rechten Weg zu bringen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":430,"orig":"In dieſer Hoffnung fuhr er fort:","norm":"In dieser Hoffnung fuhr er fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":431,"orig":"Es haben die Großen dieſer Welt ſich der Erde bemächtiget, ſie leben in Herrlichkeit und Überfluß.","norm":"Es haben die Großen dieser Welt sich der Erde bemächtiget, sie leben in Herrlichkeit und Überfluss."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":432,"orig":"Der kleinſte Raum unſers Welttheils iſt ſchon in Beſitz genommen, jeder Beſitz befeſtiget, Ämter und andere bürgerliche Geſchäfte tragen wenig ein; wo giebt es nun noch einen rechtmäßigeren Erwerb, eine billigere Eroberung als den Handel?","norm":"Der kleinste Raum unseres Weltteils ist schon in Besitz genommen, jeder Besitz befestigt, Ämter und andere bürgerliche Geschäfte tragen wenig ein; wo gibt es nun noch einen rechtmäßigeren Erwerbe, eine billigere Eroberung als den Handel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":433,"orig":"Haben die Fürſten dieſer Welt die Flüſſe, die Wege, die Häfen in ihrer Gewalt, und nehmen von dem, was durch und vorbey geht, einen ſtarken Gewinn: ſollen wir nicht mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, und durch unſere Thätigkeit auch Zoll von jenen Artikeln nehmen, die theils das Bedürfniß, theils der Übermuth den Menſchen unentbehrlich gemacht hat?","norm":"Haben die Fürsten dieser Welt die Flüsse, die Wege, die Häfen in ihrer Gewalt, und nehmen von dem, was durch und vorbeigeht, einen starken Gewinn: sollen wir nicht mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, und durch unsere Tätigkeit auch Zoll von jenen Artikeln nehmen, die teils das Bedürfnis, teils der Übermut den Menschen unentbehrlich gemacht hat?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":434,"orig":"Und ich kann dir verſichern, wenn du nur deine dichteriſche Einbildungskraft anwenden wollteſt, ſo könnteſt du meine Göttin als eine unüberwindliche Siegerin der deinigen kühn entgegenſtellen.","norm":"Und ich kann dir versichern, wenn du nur deine dichterische Einbildungskraft anwenden wolltest, so könntest du meine Göttin als eine unüberwindliche Siegerin der deinigen kühn entgegenstellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":435,"orig":"Sie führt freylich lieber den Ölzweig als das Schwert;","norm":"Sie führt freilich lieber den Ölzweig als das Schwert;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":436,"orig":"Dolch und Ketten kennt ſie gar nicht: aber Kronen theilet ſie auch ihren Lieblingen aus, die, es ſey ohne Verachtung jener geſagt, von ächtem aus der Quelle geſchöpftem Golde und von Perlen glänzen, die ſie aus der Tiefe des Meeres durch ihre immer geſchäftigen Diener geholt hat.","norm":"Dolch und Ketten kennt sie gar nicht: aber Kronen teilet sie auch ihren Lieblingen aus, die, es sei ohne Verachtung jener gesagt, von echtem aus der Quelle geschöpftem Golde und von Perlen glänzen, die sie aus der Tiefe des Meeres durch ihre immer geschäftigen Diener geholt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":437,"orig":"Wilhelmen verdroß dieſer Ausfall ein wenig, doch verbarg er ſeine Empfindlichkeit; denn er erinnerte ſich, daß Werner auch ſeine Apoſtrophen mit Gelaſſenheit anzuhören pflegte.","norm":"Wilhelmen verdross dieser Ausfall ein wenig, doch verbarg er seine Empfindlichkeit; denn er erinnerte sich, dass Werner auch seine Apostrophen mit Gelassenheit anzuhören pflegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":438,"orig":"Übrigens war er billig genug, um gerne zu ſehen, wenn jeder von ſeinem Handwerk aufs beſte dachte; nur mußte man ihm das ſeinige, dem er ſich mit Leidenſchaft gewidmet hatte, unangefochten laſſen.","norm":"Übrigens war er billig genug, um gerne zu sehen, wenn jeder von seinem Handwerk aufs beste dachte; nur musste man ihm das seinige, dem er sich mit Leidenschaft gewidmet hatte, unangefochten lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":439,"orig":"Und dir, rief Werner aus, der du an menſchlichen Dingen ſo herzlichen Antheil nimmſt, was wird es dir für ein Schauſpiel ſeyn, wenn du das Glück, das muthige Unternehmungen begleitet, vor deinen Augen den Menſchen wirſt gewährt ſehen!","norm":"Und dir, rief Werner aus, der du an menschlichen Dingen so herzlichen Anteil nimmst, was wird es dir für ein Schauspiel sein, wenn du das Glück, das mutige Unternehmungen begleitet, vor deinen Augen den Menschen wirst gewährt sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":440,"orig":"Was iſt reizender als der Anblick eines Schiffes, das von einer glücklichen Fahrt wieder anlangt, das von einem reichen Fange frühzeitig zurückkehrt!","norm":"Was ist reizender als der Anblick eines Schiffes, das von einer glücklichen Fahrt wieder anlangt, das von einem reichen Fange frühzeitig zurückkehrt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":441,"orig":"Nicht der Verwandte, der Bekannte, der Theilnehmer allein, ein jeder fremder Zuſchauer wird hingeriſſen, wenn er die Freude ſieht, mit welcher der eingeſperrte Schiffer ans Land ſpringt, noch ehe ſein Fahrzeug es ganz berührt, ſich wieder frey fühlt, und nunmehr das, was er dem falſchen Waſſer entzogen, der getreuen Erde anvertrauen kann.","norm":"Nicht der Verwandte, der Bekannte, der Teilnehmer allein, ein jeder fremder Zuschauer wird hingerissen, wenn er die Freude sieht, mit welcher der eingesperrte Schiffer ans Land springt, noch ehe sein Fahrzeug es ganz berührt, sich wieder frei fühlt, und nunmehr das, was er dem falschen Wasser entzogen, der getreuen Erde anvertrauen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":442,"orig":"Nicht in Zahlen allein, mein Freund, erſcheint uns der Gewinn; das Glück iſt die Göttin der lebendigen Menſchen, und um ihre Gunſt wahrhaft zu empfinden, muß man leben und Menſchen ſehen, die ſich recht lebendig bemühen und recht ſinnlich genießen.","norm":"Nicht in Zahlen allein, mein Freund, erscheint uns der Gewinn; das Glück ist die Göttin der lebendigen Menschen, und um ihre Gunst wahrhaft zu empfinden, muss man leben und Menschen sehen, die sich recht lebendig bemühen und recht sinnlich genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":443,"orig":"Es iſt nun Zeit, daß wir auch die Väter unſrer beiden Freunde näher kennen lernen; ein paar Männer von ſehr verſchiedener Denkungsart, deren Geſinnungen aber darin übereinkamen, daß ſie den Handel für das edelſte Geſchäft hielten, und beide höchſt aufmerkſam auf jeden Vortheil waren, den ihnen irgend eine Spekulation bringen konnte.","norm":"Es ist nun Zeit, dass wir auch die Väter unserer beiden Freunde näher kennenlernen; ein paar Männer von sehr verschiedener Denkungsart, deren Gesinnungen aber darin übereinkamen, dass sie den Handel für das edelste Geschäft hielten, und beide höchst aufmerksam auf jeden Vorteil waren, den ihnen irgendeine Spekulation bringen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":444,"orig":"Der alte Meiſter hatte gleich nach dem Tode ſeines Vaters eine koſtbare Sammlung von Gemählden, Zeichnungen, Kupferſtichen und Antiquitäten ins Geld geſetzt, ſein Haus nach dem neuſten Geſchmacke von Grund aus aufgebaut und möblirt, und ſein übriges Vermögen auf alle mögliche Weiſe gelten gemacht.","norm":"Der alte Meister hatte gleich nach dem Tode seines Vaters eine kostbare Sammlung von Gemälden, Zeichnungen, Kupferstichen und Antiquitäten ins Geld gesetzt, sein Haus nach dem neusten Geschmacke von Grund aus aufgebaut und möbliert, und sein übriges Vermögen auf alle mögliche Weise gelten gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":445,"orig":"Einen anſehnlichen Theil davon hatte er dem alten Werner in die Handlung gegeben, der als ein thätiger Handelsmann berühmt war, und deſſen Spekulationen gewöhnlich durch das Glück begünſtigt wurden.","norm":"Einen ansehnlichen Teil davon hatte er dem alten Werner in die Handlung gegeben, der als ein tätiger Handelsmann berühmt war, und dessen Spekulationen gewöhnlich durch das Glück begünstigt wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":446,"orig":"Nichts wünſchte aber der alte Meiſter ſo ſehr, als ſeinem Sohne Eigenſchaften zu geben, die ihm ſelbſt fehlten, und ſeinen Kindern Güter zu hinterlaſſen, auf deren Beſitz er den größten Werth legte; ſo war er ein beſonderer Freund vom Prächtigen, von dem was in die Augen fällt, was aber auch zugleich einen innern Werth und eine Dauer hat.","norm":"Nichts wünschte aber der alte Meister so sehr, als seinem Sohne Eigenschaften zu geben, die ihm selbst fehlten, und seinen Kindern Güter zu hinterlassen, auf deren Besitz er den größten Wert legte; so war er ein besonderer Freund vom Prächtigen, von dem was in die Augen fällt, was aber auch zugleich einen inneren Wert und eine Dauer hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":447,"orig":"In ſeinem Hauſe mußte alles ſolid und maſſiv ſeyn, der Vorrath reichlich, das Silbergeſchirr ſchwer, das Tafelſervice koſtbar; dagegen waren die Gäſte ſelten, denn eine jede Mahlzeit ward ein Feſt, das ſowohl wegen der Koſten als wegen der Unbequemlichkeit nicht oft wiederholt werden konnte.","norm":"In seinem Hause musste alles solid und massiv sein, der Vorrat reichlich, das Silbergeschirr schwer, das Tafelservice kostbar; dagegen waren die Gäste selten, denn eine jede Mahlzeit wurde ein Fest, das sowohl wegen der Kosten als wegen der Unbequemlichkeit nicht oft wiederholt werden konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":448,"orig":"Sein Haushalt ging einen gelaſſenen und einförmigen Schritt, und alles was ſich darin bewegte und erneuerte, war gerade das, was niemanden einigen Genuß gab.","norm":"Sein Haushalt ging einen gelassenen und einförmigen Schritt, und alles was sich darin bewegte und erneuerte, war gerade das, was niemanden einigen Genuss gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":449,"orig":"Ein ganz entgegengeſetztes Leben führte der alte Werner in einem dunkeln und finſtern Hauſe.","norm":"Ein ganz entgegengesetztes Leben führte der alte Werner in einem dunkeln und finstern Hause."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":450,"orig":"Hatte er ſeine Geſchäfte in der engen Schreibſtube am uralten Pulte vollendet; ſo wollte er gut eſſen, und wo möglich noch beſſer trinken, auch konnte er das Gute nicht allein genießen: neben ſeiner Familie mußte er ſeine Freunde, alle Fremde, die nur mit ſeinem Hauſe in einiger Verbindung ſtanden, immer bey Tiſche ſehen, ſeine Stühle waren uralt, aber er lud täglich jemanden ein, darauf zu ſitzen.","norm":"Hatte er seine Geschäfte in der engen Schreibstube am uralten Pulte vollendet; so wollte er gut essen, und womöglich noch besser trinken, auch konnte er das Gute nicht allein genießen: neben seiner Familie musste er seine Freunde, alle Fremden, die nur mit seinem Hause in einiger Verbindung standen, immer bei Tische sehen, seine Stühle waren uralt, aber er lud täglich jemanden ein, darauf zu sitzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":451,"orig":"Die guten Speiſen zogen die Aufmerkſamkeit der Gäſte auf ſich, und niemand bemerkte, daß ſie in gemeinem Geſchirr aufgetragen wurden.","norm":"Die guten Speisen zogen die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich, und niemand bemerkte, dass sie in gemeinem Geschirr aufgetragen wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":452,"orig":"Sein Keller hielt nicht viel Wein, aber der ausgetrunkene ward gewöhnlich durch einen beſſern erſetzt.","norm":"Sein Keller hielt nicht viel Wein, aber der ausgetrunkene wurde gewöhnlich durch einen besseren ersetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":453,"orig":"So lebten die beiden Väter, welche öfter zuſammen kamen, ſich wegen gemeinſchaftlicher Geſchäfte berathſchlagten, und eben heute die Verſendung Wilhelms in Handelsangelegenheiten beſchloſſen.","norm":"So lebten die beiden Väter, welche öfter zusammenkamen, sich wegen gemeinschaftlicher Geschäfte beratschlagten, und eben heute die Versendung Wilhelms in Handelsangelegenheiten beschlossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":454,"orig":"Er mag ſich in der Welt umſehen, ſagte der alte Meiſter, und zugleich unſre Geſchäfte an fremden Orten betreiben; man kann einem jungen Menſchen keine größere Wohlthat erweiſen, als wenn man ihn zeitig in die Beſtimmung ſeines Lebens einweiht.","norm":"Er mag sich in der Welt umsehen, sagte der alte Meister, und zugleich unsere Geschäfte an fremden Orten betreiben; man kann einem jungen Menschen keine größere Wohltat erweisen, als wenn man ihn zeitig in die Bestimmung seines Lebens einweiht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":455,"orig":"Ihr Sohn iſt von ſeiner Expedition ſo glücklich zurück gekommen, hat ſeine Geſchäfte ſo gut zu machen gewußt, daß ich recht neugierig bin, wie ſich der meinige beträgt; ich fürchte, er wird mehr Lehrgeld geben, als der Ihrige.","norm":"Ihr Sohn ist von seiner Expedition so glücklich zurückgekommen, hat seine Geschäfte so gut zu machen gewusst, dass ich recht neugierig bin, wie sich der meinige beträgt; ich fürchte, er wird mehr Lehrgeld geben, als der Ihrige."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":456,"orig":"Der alte Meiſter, welcher von ſeinem Sohne und deſſen Fähigkeiten einen großen Begriff hatte, ſagte dieſe Worte in Hoffnung, daß ſein Freund ihm widerſprechen und die vortrefflichen Gaben des jungen Mannes herausſtreichen ſollte.","norm":"Der alte Meister, welcher von seinem Sohne und dessen Fähigkeiten einen großen Begriff hatte, sagte diese Worte in Hoffnung, dass sein Freund ihm widersprechen und die vortrefflichen Gaben des jungen Mannes herausstreichen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":457,"orig":"Allein hierin betrog er ſich; der alte Werner, der in praktiſchen Dingen niemanden traute, als dem, den er geprüft hatte, verſetzte gelaſſen:","norm":"Allein hierin betrog er sich; der alte Werner, der in praktischen Dingen niemanden traute, als dem, den er geprüft hatte, versetzte gelassen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":458,"orig":"Man muß alles verſuchen, wir können ihn eben denſelben Weg ſchicken, wir geben ihm eine Vorſchrift, wornach er ſich richtet; es ſind verſchiedene Schulden einzukaſſiren, alte Bekanntſchaften zu erneuern, neue zu machen.","norm":"Man muss alles versuchen, wir können ihn eben denselben Weg schicken, wir geben ihm eine Vorschrift, wonach er sich richtet; es sind verschiedene Schulden einzukassieren, alte Bekanntschaften zu erneuern, neue zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":459,"orig":"Er kann auch die Spekulation mit der ich Sie neulich unterhielt, befördern helfen, denn ohne genaue Nachrichten an Ort und Stelle zu ſammeln, läßt ſich dabey wenig thun.","norm":"Er kann auch die Spekulation mit der ich Sie neulich unterhielt, befördern helfen, denn ohne genaue Nachrichten an Ort und Stelle zu sammeln, lässt sich dabei wenig tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":460,"orig":"Er mag ſich vorbereiten, verſetzte der alte Meiſter, und ſobald als möglich aufbrechen.","norm":"Er mag sich vorbereiten, versetzte der alte Meister, und so bald als möglich aufbrechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":461,"orig":"Wo nehmen wir ein Pferd für ihn her, das ſich zu dieſer Expedition ſchickt?","norm":"Wo nehmen wir ein Pferd für ihn her, das sich zu dieser Expedition schickt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":462,"orig":"Wir werden nicht weit darnach ſuchen.","norm":"Wir werden nicht weit danach suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":463,"orig":"Ein Krämer in H * * *, der uns noch einiges ſchuldig, aber ſonſt ein guter Mann iſt, hat mir eins an Zahlungsſtatt angeboten; mein Sohn kennt es, es ſoll ein recht brauchbares Thier ſeyn.","norm":"Ein Krämer in H * * *, der uns noch einiges schuldig, aber sonst ein guter Mann ist, hat mir eins an Zahlungsstatt angeboten; mein Sohn kennt es, es soll ein recht brauchbares Tier sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":464,"orig":"Er mag es ſelbſt hohlen, mag mit dem Poſtwagen hinüber fahren, ſo iſt er übermorgen bey Zeiten wieder da, man macht ihm indeſſen den Mantelſack und die Briefe zurechte, und ſo kann er zu Anfang der künftigen Woche aufbrechen.","norm":"Er mag es selbst holen, mag mit dem Postwagen hinüberfahren, so ist er übermorgen beizeiten wieder da, man macht ihm indessen den Mantelsack und die Briefe zurechte, und so kann er zu Anfang der künftigen Woche aufbrechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":465,"orig":"Wilhelm wurde gerufen und man machte ihm den Entſchluß bekannt.","norm":"Wilhelm wurde gerufen und man machte ihm den Entschluss bekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":466,"orig":"Wer war froher als er, da er die Mittel zu ſeinem Vorhaben in ſeinen Händen ſah, da ihm die Gelegenheit ohne ſein Mitwirken zubereitet worden!","norm":"Wer war froher als er, da er die Mittel zu seinem Vorhaben in seinen Händen sah, da ihm die Gelegenheit ohne sein Mitwirken zubereitet worden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":467,"orig":"So groß war ſeine Leidenſchaft, ſo rein ſeine Überzeugung, er handle vollkommen recht, ſich dem Drucke ſeines bisherigen Lebens zu entziehen, und einer neuen edlern Bahn zu folgen, daß ſein Gewiſſen ſich nicht im mindeſten regte, keine Sorge in ihm entſtand, ja daß er vielmehr dieſen Betrug für heilig hielt.","norm":"So groß war seine Leidenschaft, so rein seine Überzeugung, er handle vollkommen recht, sich dem Drucke seines bisherigen Lebens zu entziehen, und einer neuen edleren Bahn zu folgen, dass sein Gewissen sich nicht im mindesten regte, keine Sorge in ihm entstand, ja dass er vielmehr diesen Betrug für heilig hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":468,"orig":"Er war gewiß, daß ihn Eltern und Verwandte in der Folge für dieſen Schritt preiſen und ſegnen ſollten, er erkannte den Wink eines leitenden Schickſals an dieſen zuſammentreffenden Umſtänden.","norm":"Er war gewiss, dass ihn Eltern und Verwandte in der Folge für diesen Schritt preisen und segnen sollten, er erkannte den Wink eines leitenden Schicksals an diesen zusammentreffenden Umständen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":469,"orig":"Wie lang ward ihm die Zeit bis zur Nacht, bis zur Stunde, in der er ſeine Geliebte wieder ſehen ſollte!","norm":"Wie lang wurde ihm die Zeit bis zur Nacht, bis zur Stunde, in der er seine Geliebte wiedersehen sollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":470,"orig":"Er ſaß auf ſeinem Zimmer und überdachte ſeinen Reiſeplan.","norm":"Er saß auf seinem Zimmer und überdachte seinen Reiseplan."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":471,"orig":"Wie ein künſtlicher Dieb oder Zauberer in der Gefangenſchaft manchmal die Füße aus den feſtgeſchloſſenen Ketten herauszieht, um die Überzeugung bey ſich zu nähren, daß ſeine Rettung möglich, ja noch näher ſey als kurzſichtige Wächter glauben.","norm":"Wie ein künstlicher Dieb oder Zauberer in der Gefangenschaft manchmal die Füße aus den festgeschlossenen Ketten herauszieht, um die Überzeugung bei sich zu nähren, dass seine Rettung möglich, ja noch näher sei als kurzsichtige Wächter glauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":472,"orig":"Endlich ſchlug die nächtliche Stunde; er entfernte ſich aus ſeinem Hauſe, ſchüttelte allen Druck ab, und wandelte durch die ſtillen Gaſſen.","norm":"Endlich schlug die nächtliche Stunde; er entfernte sich aus seinem Hause, schüttelte allen Druck ab, und wandelte durch die stillen Gassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":473,"orig":"Auf dem großen Platze hub er ſeine Hände gen Himmel, fühlte alles hinter und unter ſich, er hatte ſich von allem los gemacht.","norm":"Auf dem großen Platze hob er seine Hände gen Himmel, fühlte alles hinter und unter sich, er hatte sich von allem losgemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":474,"orig":"Nun dachte er ſich in den Armen ſeiner Geliebten, dann wieder mit ihr auf dem blendenden Theatergerüſte, er ſchwebte in einer Fülle von Hoffnungen, und nur manchmal erinnerte ihn der Ruf des Nachtwächters, daß er noch auf dieſer Erde wandle.","norm":"Nun dachte er sich in den Armen seiner Geliebten, dann wieder mit ihr auf dem blendenden Theatergerüste, er schwebte in einer Fülle von Hoffnungen, und nur manchmal erinnerte ihn der Ruf des Nachtwächters, dass er noch auf dieser Erde wandle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":475,"orig":"Seine Geliebte kam ihm an der Treppe entgegen, und wie ſchön!","norm":"Seine Geliebte kam ihm an der Treppe entgegen, und wie schön!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":476,"orig":"wie lieblich!","norm":"wie lieblich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":477,"orig":"In dem neuen weißen Negligee empfing ſie ihn, er glaubte ſie noch nie ſo reizend geſehen zu haben.","norm":"In dem neuen weißen Negligé empfing sie ihn, er glaubte sie noch nie so reizend gesehen zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":478,"orig":"So weihte ſie das Geſchenk des abweſenden Liebhabers in den Armen des gegenwärtigen ein, und mit wahrer Leidenſchaft verſchwendete ſie den ganzen Reichthum ihrer Liebkoſungen, welche ihr die Natur eingab, welche die Kunſt ſie gelehrt hatte, an ihren Liebling, und man frage, ob er ſich glücklich, ob er ſich ſelig fühlte?","norm":"So weihte sie das Geschenk des abwesenden Liebhabers in den Armen des gegenwärtigen ein, und mit wahrer Leidenschaft verschwendete sie den ganzen Reichtum ihrer Liebkosungen, welche ihr die Natur eingab, welche die Kunst sie gelehrt hatte, an ihren Liebling, und man frage, ob er sich glücklich, ob er sich selig fühlte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":479,"orig":"Er entdeckte ihr was vorgegangen war, und ließ ihr im allgemeinen ſeinen Plan, ſeine Wünſche ſehen.","norm":"Er entdeckte ihr was vorgegangen war, und ließ ihr im Allgemeinen seinen Plan, seine Wünsche sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":480,"orig":"Er wolle unter zu kommen ſuchen, ſie alsdann abhohlen, er hoffe, ſie werde ihm ihre Hand nicht verſagen.","norm":"Er wolle unterzukommen suchen, sie alsdann abholen, er hoffe, sie werde ihm ihre Hand nicht versagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":481,"orig":"Das arme Mädchen aber ſchwieg, verbarg ihre Thränen und drückte den Freund an ihre Bruſt, der, ob er gleich ihr Verſtummen auf das günſtigſte auslegte, doch eine Antwort gewünſcht hätte, beſonders da er ſie zuletzt auf das beſcheidenſte, auf das freundlichſte fragte: ob er ſich denn nicht Vater glauben dürfe?","norm":"Das arme Mädchen aber schwieg, verbarg ihre Tränen und drückte den Freund an ihre Brust, der, ob er gleich ihr Verstummen auf das günstigste auslegte, doch eine Antwort gewünscht hätte, besonders da er sie zuletzt auf das bescheidenste, auf das freundlichste fragte: ob er sich denn nicht Vater glauben dürfe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":482,"orig":"Aber auch darauf antwortete ſie nur mit einem Seufzer, einem Kuſſe.","norm":"Aber auch darauf antwortete sie nur mit einem Seufzer, einem Kusse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":483,"orig":"Den andern Morgen erwachte Mariane nur zu neuer Betrübniß; ſie fand ſich ſehr allein, mochte den Tag nicht ſehen, blieb im Bette und weinte.","norm":"Den anderen Morgen erwachte Mariane nur zu neuer Betrübnis; sie fand sich sehr allein, mochte den Tag nicht sehen, blieb im Bette und weinte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":484,"orig":"Die Alte ſetzte ſich zu ihr, ſuchte ihr einzureden, ſie zu tröſten; aber es gelang ihr nicht, das verwundete Herz ſo ſchnell zu heilen.","norm":"Die Alte setzte sich zu ihr, suchte ihr einzureden, sie zu trösten; aber es gelang ihr nicht, das verwundete Herz so schnell zu heilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":485,"orig":"Nun war der Augenblick nahe, dem das arme Mädchen wie dem letzten ihres Lebens entgegen geſehen hatte.","norm":"Nun war der Augenblick nahe, dem das arme Mädchen wie dem letzten ihres Lebens entgegengesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":486,"orig":"Konnte man ſich auch in einer ängſtlichern Lage fühlen?","norm":"Konnte man sich auch in einer ängstlicheren Lage fühlen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":487,"orig":"Ihr Geliebter entfernte ſich, ein unbequemer Liebhaber drohte zu kommen, und das größte Unheil ſtand bevor, wenn beide, wie es leicht möglich war, einmal zuſammentreffen ſollten.","norm":"Ihr Geliebter entfernte sich, ein unbequemer Liebhaber drohte zu kommen, und das größte Unheil stand bevor, wenn beide, wie es leicht möglich war, einmal zusammentreffen sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":488,"orig":"Beruhige dich, Liebchen, rief die Alte: verweine mir deine ſchönen Augen nicht!","norm":"Beruhige dich, Liebchen, rief die Alte: verweine mir deine schönen Augen nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":489,"orig":"Iſt es denn ein ſo großes Unglück, zwey Liebhaber zu beſitzen?","norm":"Ist es denn ein so großes Unglück, zwei Liebhaber zu besitzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":490,"orig":"Und wenn du auch deine Zärtlichkeit nur dem einen ſchenken kannſt; ſo ſey wenigſtens dankbar gegen den andern, der, nach der Art wie er für dich ſorgt, gewiß dein Freund genannt zu werden verdient.","norm":"Und wenn du auch deine Zärtlichkeit nur dem einen schenken kannst; so sei wenigstens dankbar gegen den anderen, der, nach der Art wie er für dich sorgt, gewiss dein Freund genannt zu werden verdient."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":491,"orig":"Es ahndete meinem Geliebten, verſetzte Mariane dagegen mit Thränen, daß uns eine Trennung bevorſtehe; ein Traum hat ihm entdeckt, was wir ihm ſo ſorgfältig zu verbergen ſuchen.","norm":"Es ahndete meinem Geliebten, versetzte Mariane dagegen mit Tränen, dass uns eine Trennung bevorstehe; ein Traum hat ihm entdeckt, was wir ihm so sorgfältig zu verbergen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":492,"orig":"Er ſchlief ſo ruhig an meiner Seite.","norm":"Er schlief so ruhig an meiner Seite."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":493,"orig":"Auf einmal höre ich ihn ängſtliche, unvernehmliche Töne ſtammeln.","norm":"Auf einmal höre ich ihn ängstliche, unvernehmliche Töne stammeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":494,"orig":"Mir wird bange, und ich wecke ihn auf.","norm":"Mir wird bange, und ich wecke ihn auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":495,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":496,"orig":"mit welcher Liebe, mit welcher Zärtlichkeit, mit welchem Feuer umarmt’ er mich!","norm":"mit welcher Liebe, mit welcher Zärtlichkeit, mit welchem Feuer umarmt er mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":497,"orig":"O Mariane!","norm":"O Mariane!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":498,"orig":"rief er aus, welchem ſchrecklichen Zuſtande haſt du mich entriſſen!","norm":"rief er aus, welchem schrecklichen Zustande hast du mich entrissen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":499,"orig":"Wie ſoll ich dir danken.","norm":"Wie soll ich dir danken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":500,"orig":"daß du mich aus dieſer Hölle befreyt haſt?","norm":"dass du mich aus dieser Hölle befreit hast?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":501,"orig":"Mir träumte, fuhr er fort, ich befände mich, entfernt von dir, in einer unbekannten Gegend; aber dein Bild ſchwebte mir vor; ich ſah dich auf einem ſchönen Hügel, die Sonne beſchien den ganzen Platz, wie reizend kamſt du mir vor!","norm":"Mir träumte, fuhr er fort, ich befände mich, entfernt von dir, in einer unbekannten Gegend; aber dein Bild schwebte mir vor; ich sah dich auf einem schönen Hügel, die Sonne beschien den ganzen Platz, wie reizend kamst du mir vor!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":502,"orig":"Aber es währte nicht lange, ſo ſah ich dein Bild hinunter gleiten, immer hinunter gleiten, ich ſtreckte meine Arme nach dir aus, ſie reichten nicht durch die Ferne.","norm":"Aber es währte nicht lange, so sah ich dein Bild hinuntergleiten, immer hinuntergleiten, ich streckte meine Arme nach dir aus, sie reichten nicht durch die Ferne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":503,"orig":"Immer ſank dein Bild und näherte ſich einem großen See, der am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag, eher ein Sumpf als ein See.","norm":"Immer sank dein Bild und näherte sich einem großen See, der am Fuße des Hügels weit ausgebreitet lag, eher ein Sumpf als ein See."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":504,"orig":"Auf einmal gab dir ein Mann die Hand, er ſchien dich hinaufführen zu wollen, aber leitete dich ſeitwärts, und ſchien dich nach ſich zu ziehen.","norm":"Auf einmal gab dir ein Mann die Hand, er schien dich hinaufführen zu wollen, aber leitete dich seitwärts, und schien dich nach sich zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":505,"orig":"Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte, ich hoffte dich zu warnen.","norm":"Ich rief, da ich dich nicht erreichen konnte, ich hoffte dich zu warnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":506,"orig":"Wollte ich gehen, ſo ſchien der Boden mich feſt zu halten; konnt’ ich gehen, ſo hinderte mich das Waſſer, und ſogar mein Schreyen erſtickte in der beklemmten Bruſt.","norm":"Wollte ich gehen, so schien der Boden mich festzuhalten; konnte ich gehen, so hinderte mich das Wasser, und sogar mein Schreien erstickte in der beklemmten Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":507,"orig":"So erzählte der Arme, indem er ſich von ſeinem Schrecken an meinem Buſen erholte, und ſich glücklich pries, einen fürchterlichen Traum durch die ſeligſte Wirklichkeit verdrängt zu ſehen.","norm":"So erzählte der Arme, indem er sich von seinem Schrecken an meinem Busen erholte, und sich glücklich pries, einen fürchterlichen Traum durch die seligste Wirklichkeit verdrängt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":508,"orig":"Die Alte ſuchte ſo viel möglich durch ihre Proſe die Poeſie ihrer Freundin ins Gebiet des gemeinen Lebens herunter zu locken, und bediente ſich dabey der guten Art, welche Vogelſtellern zu gelingen pflegt, indem ſie durch ein Pfeifchen die Töne derjenigen nachzuahmen ſuchen, welche ſie bald und häufig in ihrem Garne zu ſehen wünſchen.","norm":"Die Alte suchte so viel möglich durch ihre Prosa die Poesie ihrer Freundin ins Gebiet des gemeinen Lebens herunterzulocken, und bediente sich dabei der guten Art, welche Vogelstellern zu gelingen pflegt, indem sie durch ein Pfeifchen die Töne derjenigen nachzuahmen suchen, welche sie bald und häufig in ihrem Gar nicht zu sehen wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":509,"orig":"Sie lobte Wilhelmen, rühmte ſeine Geſtalt, ſeine Augen, ſeine Liebe.","norm":"Sie lobte Wilhelm, rühmte seine Gestalt, seine Augen, seine Liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":510,"orig":"Das arme Mädchen hörte ihr gerne zu, ſtand auf, ließ ſich ankleiden, und ſchien ruhiger.","norm":"Das arme Mädchen hörte ihr gerne zu, stand auf, ließ sich ankleiden, und schien ruhiger."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":511,"orig":"Mein Kind, mein Liebchen, fuhr die Alte ſchmeichelnd fort, ich will dich nicht betrüben, nicht beleidigen, ich denke dir nicht dein Glück zu rauben.","norm":"Mein Kind, mein Liebchen, fuhr die Alte schmeichelnd fort, ich will dich nicht betrüben, nicht beleidigen, ich denke dir nicht dein Glück zu rauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":512,"orig":"Darfſt du meine Abſicht verkennen, und haſt du vergeſſen, daß ich jederzeit mehr für dich als für mich geſorgt habe?","norm":"Darfst du meine Absicht verkennen, und hast du vergessen, dass ich jederzeit mehr für dich als für mich gesorgt habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":513,"orig":"Sag mir nur was du willſt, wir wollen ſchon ſehen, wie wir es ausführen.","norm":"Sage mir nur was du willst, wir wollen schon sehen, wie wir es ausführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":514,"orig":"Was kann ich wollen?","norm":"Was kann ich wollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":515,"orig":"verſetzte Mariane; ich bin elend, auf mein ganzes Leben elend, ich liebe ihn, der mich liebt, ſehe, daß ich mich von ihm trennen muß, und weiß nicht, wie ich es überleben kann.","norm":"versetzte Mariane; ich bin elend, auf mein ganzes Leben elend, ich liebe ihn, der mich liebt, sehe, dass ich mich von ihm trennen muss, und weiß nicht, wie ich es überleben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":516,"orig":"Norberg kommt, dem wir unſere ganze Exiſtenz ſchuldig ſind, den wir nicht entbehren können.","norm":"Norberg kommt, dem wir unsere ganze Existenz schuldig sind, den wir nicht entbehren können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":517,"orig":"Wilhelm iſt ſehr eingeſchränkt, er kann nichts für mich thun.","norm":"Wilhelm ist sehr eingeschränkt, er kann nichts für mich tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":518,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":519,"orig":"Ja, er iſt unglücklicherweiſe von denen Liebhabern, die nichts als ihr Herz bringen, und eben dieſe haben die meiſten Prätenſionen.","norm":"Ja, er ist unglücklicherweise von jenen Liebhabern, die nichts als ihr Herz bringen, und eben diese haben die meisten Prätentionen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":520,"orig":"Spotte nicht!","norm":"Spotte nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":521,"orig":"der Unglückliche denkt ſein Haus zu verlaſſen, auf das Theater zu gehen, mir ſeine Hand anzubieten.","norm":"der Unglückliche denkt sein Haus zu verlassen, auf das Theater zu gehen, mir seine Hand anzubieten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":522,"orig":"Leere Hände haben wir ſchon vier.","norm":"Leere Hände haben wir schon vier."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":523,"orig":"Ich habe keine Wahl, fuhr Mariane fort, entſcheide du!","norm":"Ich habe keine Wahl, fuhr Mariane fort, entscheide du!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":524,"orig":"Stoße mich da oder dort hin, nur wiſſe noch eins: wahrſcheinlich trag’ ich ein Pfand im Buſen, das uns noch mehr an einander feſſeln ſollte, das bedenke und entſcheide, wen ſoll ich laſſen?","norm":"Stoße mich da oder dort hin, nur wisse noch eins: wahrscheinlich trage ich ein Pfand im Busen, das uns noch mehr aneinander fesseln sollte, das bedenke und entscheide, wen soll ich lassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":525,"orig":"wem ſoll ich folgen?","norm":"wem soll ich folgen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":526,"orig":"Nach einigem Stillſchweigen rief die Alte: daß doch die Jugend immer zwiſchen den Extremen ſchwankt!","norm":"Nach einigem Stillschweigen rief die Alte: dass doch die Jugend immer zwischen den Extremen schwankt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":527,"orig":"Ich finde nichts natürlicher, als alles zu verbinden, was uns Vergnügen und Vortheil bringt.","norm":"Ich finde nichts natürlicher, als alles zu verbinden, was uns Vergnügen und Vorteil bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":528,"orig":"Liebſt du den Einen, ſo mag der Andere bezahlen, es kommt nur darauf an, daß wir klug genug ſind, ſie beide auseinander zu halten.","norm":"Liebst du den Einen, so mag der Andere bezahlen, es kommt nur darauf an, dass wir klug genug sind, sie beide auseinander zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":529,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":530,"orig":"Mache was du willſt, ich kann nichts denken; aber folgen will ich.","norm":"Mache was du willst, ich kann nichts denken; aber folgen will ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":531,"orig":"Wir haben den Vortheil, daß wir den Eigenſinn des Directors, der auf die Sitten ſeiner Truppe ſtolz iſt, vorſchützen können.","norm":"Wir haben den Vorteil, dass wir den Eigensinn des Direktors, der auf die Sitten seiner Truppe stolz ist, vorschützen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":532,"orig":"Beide Liebhaber ſind ſchon gewohnt, heimlich und vorſichtig zu Werke zu gehen.","norm":"Beide Liebhaber sind schon gewohnt, heimlich und vorsichtig zu Werke zu gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":533,"orig":"Für Stunde und Gelegenheit will ich ſorgen, nur mußt du hernach die Rolle ſpielen, die ich dir vorſchreibe.","norm":"Für Stunde und Gelegenheit will ich Sorgen, nur musst du hernach die Rolle spielen, die ich dir vorschreibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":534,"orig":"Wer weiß welcher Umſtand uns hilft.","norm":"Wer weiß welcher Umstand uns hilft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":535,"orig":"Käme Norberg nur jetzt, da Wilhelm entfernt iſt!","norm":"Käme Norberg nur jetzt, da Wilhelm entfernt ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":536,"orig":"Wer wehrt dir, in den Armen des einen an den andern zu denken?","norm":"Wer wehrt dir, in den Armen des einen an den anderen zu denken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":537,"orig":"Ich wünſche dir zu einem Sohne Glück, er ſoll einen reichen Vater haben.","norm":"Ich wünsche dir zu einem Sohne Glück, er soll einen reichen Vater haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":538,"orig":"Mariane war durch dieſe Vorſtellungen nur für kurze Zeit gebeſſert.","norm":"Mariane war durch diese Vorstellungen nur für kurze Zeit gebessert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":539,"orig":"Sie konnte ihren Zuſtand nicht in Harmonie mit ihrer Empfindung, ihrer Ueberzeugung bringen; ſie wünſchte dieſe ſchmerzlichen Verhältniſſe zu vergeſſen, und tauſend kleine Umſtände mußten ſie jeden Augenblick daran erinnern.","norm":"Sie konnte ihren Zustand nicht in Harmonie mit ihrer Empfindung, ihrer Überzeugung bringen; sie wünschte diese schmerzlichen Verhältnisse zu vergessen, und tausend kleine Umstände mussten sie jeden Augenblick daran erinnern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":540,"orig":"Wilhelm hatte indeſſen die kleine Reiſe vollendet, und überreichte, da er ſeinen Handelsfreund nicht zu Hauſe fand, das Empfehlungsſchreiben der Gattin des Abweſenden.","norm":"Wilhelm hatte indessen die kleine Reise vollendet, und überreichte, da er seinen Handelsfreund nicht zu Hause fand, das Empfehlungsschreiben der Gattin des Abwesenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":541,"orig":"Aber auch dieſe gab ihm auf ſeine Fragen wenig Beſcheid; ſie war in einer heftigen Gemüthsbewegung, und das ganze Haus in großer Verwirrung.","norm":"Aber auch diese gab ihm auf seine Fragen wenig Bescheid; sie war in einer heftigen Gemütsbewegung, und das ganze Haus in großer Verwirrung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":542,"orig":"Es währte jedoch nicht lange, ſo vertraute ſie ihm (und es war auch nicht zu verheimlichen) daß ihre Stieftochter mit einem Schauſpieler davon gegangen ſey, mit einem Menſchen, der ſich von einer kleinen Geſellſchaft vor kurzem los gemacht, ſich im Orte aufgehalten, und im Franzöſiſchen Unterricht gegeben habe.","norm":"Es währte jedoch nicht lange, so vertraute sie ihm (und es war auch nicht zu verheimlichen) dass ihre Stieftochter mit einem Schauspieler davongegangen sei, mit einem Menschen, der sich von einer kleinen Gesellschaft vor kurzem losgemacht, sich im Orte aufgehalten, und im französischen Unterricht gegeben habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":543,"orig":"Der Vater, auſſer ſich vor Schmerz und Verdruß, ſey ins Amt gelaufen, um die Flüchtigen verfolgen zu laſſen.","norm":"Der Vater, außer sich vor Schmerz und Verdruss, sei ins Amt gelaufen, um die Flüchtigen verfolgen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":544,"orig":"Sie ſchalt ihre Tochter heftig, ſchmähte den Liebhaber, ſo daß an beiden nichts Lobenswürdiges übrig blieb, beklagte mit vielen Worten die Schande, die dadurch auf die Familie gekommen, und ſetzte Wilhelmen in nicht geringe Verlegenheit, der ſich und ſein heimliches Vorhaben durch dieſe Sibylle gleichſam mit prophetiſchem Geiſte voraus getadelt und geſtraft fühlte.","norm":"Sie schalt ihre Tochter heftig, schmähte den Liebhaber, so dass an beiden nichts Lobenswürdiges übrigblieb, beklagte mit vielen Worten die Schande, die dadurch auf die Familie gekommen, und setzte Wilhelm in nicht geringe Verlegenheit, der sich und sein heimliches Vorhaben durch diese Sibylle gleichsam mit prophetischem Geiste voraus getadelt und gestraft fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":545,"orig":"Noch ſtärkern und innigern Antheil mußte er aber an den Schmerzen des Vaters nehmen, der aus dem Amte zurückkam, mit ſtiller Trauer und halben Worten ſeine Expedition der Frau erzählte, und, indem er, nach eingeſehenen Briefe, das Pferd Wilhelmen vorführen ließ, ſeine Zerſtreuung und Verwirrung nicht verbergen konnte.","norm":"Noch stärkeren und innigeren Anteil musste er aber an den Schmerzen des Vaters nehmen, der aus dem Amte zurückkam, mit stiller Trauer und halben Worten seine Expedition der Frau erzählte, und, indem er, nach eingesehenen Briefe, das Pferd Wilhelm vorführen ließ, seine Zerstreuung und Verwirrung nicht verbergen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":546,"orig":"Wilhelm gedachte ſogleich das Pferd zu beſteigen, und ſich aus einem Hauſe zu entfernen, in welchem ihm, unter den gegebenen Umſtänden, unmöglich wohl werden konnte; allein der gute Mann wollte den Sohn eines Hauſes, dem er ſo viel ſchuldig war, nicht unbewirthet und ohne ihn eine Nacht unter ſeinem Dache behalten zu haben, entlaſſen.","norm":"Wilhelm gedachte sogleich das Pferd zu besteigen, und sich aus einem Hause zu entfernen, in welchem ihm, unter den gegebenen Umständen, unmöglich wohl werden konnte; allein der gute Mann wollte den Sohn eines Hauses, dem er so viel schuldig war, nicht unbewirtet und ohne ihn eine Nacht unter seinem Dache behalten zu haben, entlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":547,"orig":"Unſer Freund hatte ein trauriges Abendeſſen eingenommen, eine unruhige Nacht ausgeſtanden, und eilte frühmorgens ſobald als möglich ſich von Leuten zu entfernen, die, ohne es zu wiſſen, ihn mit ihren Erzählungen und Äuſſerungen auf das empfindlichſte gequält hatten.","norm":"Unser Freund hatte ein trauriges Abendessen eingenommen, eine unruhige Nacht ausgestanden, und eilte frühmorgens so bald als möglich sich von Leuten zu entfernen, die, ohne es zu wissen, ihn mit ihren Erzählungen und Äußerungen auf das empfindlichste gequält hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":548,"orig":"Er ritt langſam und nachdenkend die Straße hin, als er auf einmal eine Anzahl gewaffneter Leute durchs Feld kommen ſah, die er an ihren weiten und langen Röcken, großen Aufſchlägen, unförmlichen Hüten und plumpen Gewehren, an ihrem treuherzigen Gange und dem bequemen Tragen ihres Körpers ſogleich für ein Commando Landmiliz erkannte.","norm":"Er ritt langsam und nachdenkend die Straße hin, als er auf einmal eine Anzahl bewaffneter Leute durchs Feld kommen sah, die er an ihren weiten und langen Röcken, großen Aufschlägen, unförmlichen Hüten und plumpen Gewehren, an ihrem treuherzigen Gange und dem bequemen Tragen ihres Körpers sogleich für ein Kommando Landmiliz erkannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":549,"orig":"Unter einer alten Eiche hielten ſie ſtille, ſetzten ihre Flinten nieder, und lagerten ſich bequem auf dem Raſen, um eine Pfeife zu rauchen.","norm":"Unter einer alten Eiche hielten sie stille, setzten ihre Flinten nieder, und lagerten sich bequem auf dem Rasen, um eine Pfeife zu rauchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":550,"orig":"Wilhelm verweilte bey ihnen, und ließ ſich mit einem jungen Menſchen, der zu Pferde herbeykam, in ein Geſpräch ein.","norm":"Wilhelm verweilte bei ihnen, und ließ sich mit einem jungen Menschen, der zu Pferde herbeikam, in ein Gespräch ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":551,"orig":"Er mußte die Geſchichte der beiden Entflohenen, die ihm nur zu ſehr bekannt war, leider noch einmal und zwar mit Bemerkungen, die weder dem jungen Paare noch den Eltern ſonderlich günſtig waren, vernehmen.","norm":"Er musste die Geschichte der beiden Entflohenen, die ihm nur zu sehr bekannt war, leider noch einmal und zwar mit Bemerkungen, die weder dem jungen Paare noch den Eltern sonderlich günstig waren, vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":552,"orig":"Zugleich erfuhr er, daß man hieher gekommen ſey, die jungen Leute wirklich in Empfang zu nehmen, die in dem benachbarten Städtchen eingehohlt und angehalten worden waren.","norm":"Zugleich erfuhr er, dass man hierhergekommen sei, die jungen Leute wirklich in Empfang zu nehmen, die in dem benachbarten Städtchen eingeholt und angehalten worden waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":553,"orig":"Nach einiger Zeit ſah man von ferne einen Wagen herbeykommen, der von einer Bürgerwache mehr lächerlich als fürchterlich umgeben war.","norm":"Nach einiger Zeit sah man von ferne einen Wagen herbeikommen, der von einer Bürgerwache mehr lächerlich als fürchterlich umgeben war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":554,"orig":"Ein unförmlicher Stadtſchreiber ritt voraus, und komplimentirte mit dem gegenſeitigen Aktuarius (denn das war der junge Mann, mit dem Wilhelm geſprochen hatte) an der Gränze mit großer Gewiſſenhaftigkeit und wunderlichen Gebärden, wie es etwa Geiſt und Zauberer, der eine inner- der andere außerhalb des Kreiſes, bey gefährlichen nächtlichen Operationen thun mögen.","norm":"Ein unförmlicher Stadtschreiber ritt voraus, und komplimentierte mit dem gegenseitigen Aktuar (denn das war der junge Mann, mit dem Wilhelm gesprochen hatte) an der Grenze mit großer Gewissenhaftigkeit und wunderlichen Gebärden, wie es etwa Geist und Zauberer, der eine inner- der andere außerhalb des Kreises, bei gefährlichen nächtlichen Operationen tun mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":555,"orig":"Die Aufmerkſamkeit der Zuſchauer war indeß auf den Bauerwagen gerichtet, und man betrachtete die armen Verirrten nicht ohne Mitleiden, die auf ein paar Bündeln Stroh bey einander ſaßen, ſich zärtlich anblickten, und die Umſtehenden kaum zu bemerken ſchienen.","norm":"Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war indes auf den Bauerwagen gerichtet, und man betrachtete die armen Verirrten nicht ohne Mitleiden, die auf ein paar Bündeln Stroh beieinandersaßen, sich zärtlich anblickten, und die Umstehenden kaum zu bemerken schienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":556,"orig":"Zufälligerweiſe hatte man ſich genöthigt geſehen, ſie von dem letzten Dorfe auf eine ſo unſchickliche Art fort zu bringen, indem die alte Kutſche, in welcher man die Schöne transportirte, zerbrochen war.","norm":"Zufälligerweise hatte man sich genötigt gesehen, sie von dem letzten Dorfe auf eine so unschickliche Art fortzubringen, indem die alte Kutsche, in welcher man die Schöne transportierte, zerbrochen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":557,"orig":"Sie erbat ſich bey dieſer Gelegenheit die Geſellſchaft ihres Freundes, den man, aus Ueberzeugung, er ſey auf einem capitalen Verbrechen betroffen, bis dahin mit Ketten beſchwert nebenher gehen laſſen.","norm":"Sie erbat sich bei dieser Gelegenheit die Gesellschaft ihres Freundes, den man, aus Überzeugung, er sei auf einem kapitalen Verbrechen betroffen, bis dahin mit Ketten beschwert nebenher gehen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":558,"orig":"Dieſe Ketten trugen denn freylich nicht wenig bey, den Anblick der zärtlichen Gruppe intereſſanter zu machen, beſonders weil der junge Mann ſie mit vielem Anſtand bewegte, indem er wiederholt ſeiner Geliebten die Hände küßte.","norm":"Diese Ketten trugen denn freilich nicht wenig bei, den Anblick der zärtlichen Gruppe interessanter zu machen, besonders weil der junge Mann sie mit vielem Anstand bewegte, indem er wiederholt seiner Geliebten die Hände küsste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":559,"orig":"Wir ſind ſehr unglücklich!","norm":"Wir sind sehr unglücklich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":560,"orig":"rief ſie den Umſtehenden zu; aber nicht ſo ſchuldig wie wir ſcheinen.","norm":"rief sie den Umstehenden zu; aber nicht so schuldig wie wir scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":561,"orig":"So belohnen grauſame Menſchen treue Liebe, und Eltern, die das Glück ihrer Kinder gänzlich vernachläſſigen, reiſſen ſie mit Ungeſtüm aus den Armen der Freude, die ſich ihrer nach langen trüben Tagen bemächtigte!","norm":"So belohnen grausame Menschen treue Liebe, und Eltern, die das Glück ihrer Kinder gänzlich vernachlässigen, reißen sie mit Ungestüm aus den Armen der Freude, die sich ihrer nach langen trüben Tagen bemächtigte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":562,"orig":"Indeß die Umſtehenden auf verſchiedene Weiſe ihre Theilnahme zu erkennen gaben, hatten die Gerichte ihre Zeremonien abſolvirt, der Wagen ging weiter, und Wilhelm, der an dem Schickſal der Verliebten großen Theil nahm, eilte auf dem Fußpfade voraus, um mit dem Amtmanne, noch ehe der Zug ankäme, Bekanntſchaft zu machen.","norm":"Indes die Umstehenden auf verschiedene Weise ihre Teilnahme zu erkennen gaben, hatten die Gerichte ihre Zeremonien absolviert, der Wagen ging weiter, und Wilhelm, der an dem Schicksal der Verliebten großen Teil nahm, eilte auf dem Fußpfade voraus, um mit dem Amtmanne, noch ehe der Zug ankäme, Bekanntschaft zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":563,"orig":"Er erreichte aber kaum das Amthaus, wo alles in Bewegung und zum Empfang der Flüchtlinge bereit war, als ihn der Aktuarius einholte, und durch eine umſtändliche Erzählung, wie alles gegangen, beſonders aber durch ein weitläuftiges Lob ſeines Pferdes, das er erſt geſtern vom Juden getauſcht, jedes andere Geſpräch verhinderte.","norm":"Er erreichte aber kaum das Amthaus, wo alles in Bewegung und zum Empfang der Flüchtlinge bereit war, als ihn der Aktuar einholte, und durch eine umständliche Erzählung, wie alles gegangen, besonders aber durch ein weitläufiges Lob seines Pferdes, das er erst gestern vom Juden getauscht, jedes andere Gespräch verhinderte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":564,"orig":"Schon hatte man das unglückliche Paar auſſen am Garten, der durch eine kleine Pforte mit dem Amthauſe zuſammenhing, abgeſetzt, und ſie in der Stille hineingeführt.","norm":"Schon hatte man das unglückliche Paar außen am Garten, der durch eine kleine Pforte mit dem Amtshause zusammenhing, abgesetzt, und sie in der Stille hineingeführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":565,"orig":"Der Aktuarius nahm über dieſe ſchonende Behandlung von Wilhelmen ein aufrichtiges Lob an, ob er gleich eigentlich dadurch nur das vor dem Amthauſe verſammelte Volk necken, und ihm das angenehme Schauſpiel einer gedemüthigten Mitbürgerin entziehen wollte.","norm":"Der Aktuar nahm über diese schonende Behandlung von Wilhelm ein aufrichtiges Lob an, ob er gleich eigentlich dadurch nur das vor dem Amtshause versammelte Volk necken, und ihm das angenehme Schauspiel einer gedemütigten Mitbürgerin entziehen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":566,"orig":"Der Amtmann, der von ſolchen außerordentlichen Fällen kein ſonderlicher Liebhaber war, weil er meiſtentheils dabey einen und den andern Fehler machte, und für den beſten Willen gewöhnlich von fürſtlicher Regierung mit einem derben Verweiſe belohnt wurde, ging mit ſchweren Schritten nach der Amtsſtube, wohin ihm der Aktuarius, Wilhelm und einige angeſehene Bürger folgten.","norm":"Der Amtmann, der von solchen außerordentlichen Fällen kein sonderlicher Liebhaber war, weil er meistenteils dabei einen und den anderen Fehler machte, und für den besten Willen gewöhnlich von fürstlicher Regierung mit einem derben Verweise belohnt wurde, ging mit schweren Schritten nach der Amtsstube, wohin ihm der Aktuar, Wilhelm und einige angesehene Bürger folgten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":567,"orig":"Zuerſt ward die Schöne vorgeführt, die, ohne Frechheit, gelaſſen und rnit Bewußtſeyn ihrer ſelbſt hereintrat.","norm":"Zuerst wurde die Schöne vorgeführt, die, ohne Frechheit, gelassen und mit Bewusstsein ihrer selbst hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":568,"orig":"Die Art, wie ſie gekleidet war und ſich überhaupt betrug, zeigte, daß ſie ein Mädchen ſey, die etwas auf ſich halte.","norm":"Die Art, wie sie gekleidet war und sich überhaupt betrug, zeigte, dass sie ein Mädchen sei, die etwas auf sich halte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":569,"orig":"Sie fing auch, ohne gefragt zu werden, über ihren Zuſtand nicht unſchicklich zu reden an.","norm":"Sie fing auch, ohne gefragt zu werden, über ihren Zustand nicht unschicklich zu reden an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":570,"orig":"Der Aktuarius gebot ihr zu ſchweigen, und hielt ſeine Feder über dem gebrochenen Blatte.","norm":"Der Aktuar gebot ihr zu schweigen, und hielt seine Feder über dem gebrochenen Blatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":571,"orig":"Der Amtmann ſetzte ſich in Faſſung, ſah ihn an, räuſperte ſich, und fragte das arme Kind, wie ihr Nahme heiße und wie alt ſie ſey?","norm":"Der Amtmann setzte sich in Fassung, sah ihn an, räusperte sich, und fragte das arme Kind, wie ihr Name heiße und wie alt sie sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":572,"orig":"Ich bitte Sie, mein Herr, verſetzte ſie, es muß mir gar wunderbar vorkommen, daß Sie mich um meinen Nahmen und mein Alter fragen, da Sie ſehr gut wiſſen, wie ich heiße, und daß ich ſo alt wie Ihr älteſter Sohn bin.","norm":"Ich bitte Sie, mein Herr, versetzte sie, es muss mir gar wunderbar vorkommen, dass Sie mich um meinen Namen und mein Alter fragen, da Sie sehr gut wissen, wie ich heiße, und dass ich so alt wie Ihr ältester Sohn bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":573,"orig":"Was Sie von mir wiſſen wollen, und was Sie wiſſen müſſen, will ich gern ohne Umſchweife ſagen.","norm":"Was Sie von mir wissen wollen, und was Sie wissen müssen, will ich gern ohne Umschweife sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":574,"orig":"Seit meines Vaters zweiter Heirath werde ich zu Hauſe nicht zum beſten gehalten.","norm":"Seit meines Vaters zweiter Heirat werde ich zu Hause nicht zum besten gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":575,"orig":"Ich hätte einige hübſche Parthien thun können, wenn nicht meine Stiefmutter aus Furcht vor der Ausſtattung ſie zu vereiteln gewußt hätte.","norm":"Ich hätte einige hübsche Partien tun können, wenn nicht meine Stiefmutter aus Furcht vor der Ausstattung sie zu vereiteln gewusst hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":576,"orig":"Nun habe ich den jungen Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben müſſen, und da wir die Hinderniſſe vorausſahen, die unſerer Verbindung im Wege ſtunden, entſchloſſen wir uns mit einander in der weiten Welt ein Glück zu ſuchen, das uns zu Hauſe nicht gewährt ſchien.","norm":"Nun habe ich den jungen Melina kennen lernen, ich habe ihn lieben müssen, und da wir die Hindernisse voraussahen, die unserer Verbindung im Wege standen, entschlossen wir uns miteinander in der weiten Welt ein Glück zu suchen, das uns zu Hause nicht gewährt schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":577,"orig":"Ich habe nichts mitgenommen, als was mein eigen war, wir ſind nicht als Diebe und Räuber entflohen, und mein Geliebter verdient nicht, daß er mit Ketten und Banden belegt herumgeſchleppt werde.","norm":"Ich habe nichts mitgenommen, als was mein eigen war, wir sind nicht als Diebe und Räuber entflohen, und mein Geliebter verdient nicht, dass er mit Ketten und Banden belegt herumgeschleppt werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":578,"orig":"Der Fürſt iſt gerecht, er wird dieſe Härte nicht billigen.","norm":"Der Fürst ist gerecht, er wird diese Härte nicht billigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":579,"orig":"Wenn wir ſtrafbar ſind, ſo ſind wir es nicht auf dieſe Weiſe.","norm":"Wenn wir strafbar sind, so sind wir es nicht auf diese Weise."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":580,"orig":"Der alte Amtmann kam hierüber doppelt und dreyfach in Verlegenheit.","norm":"Der alte Amtmann kam hierüber doppelt und dreifach in Verlegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":581,"orig":"Die gnädigſten Ausputzer ſummten ihm ſchon um den Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänzlich zerrüttet.","norm":"Die gnädigsten Ausputzer summten ihm schon um den Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänzlich zerrüttet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":582,"orig":"Das Übel wurde noch größer, als ſie bey wiederholten ordentlichen Fragen ſich nicht weiter einlaſſen wollte, ſondern ſich auf das, was ſie eben geſagt, ſtandhaft berief.","norm":"Das Übel wurde noch größer, als sie bei wiederholten ordentlichen Fragen sich nicht weiter einlassen wollte, sondern sich auf das, was sie eben gesagt, standhaft berief."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":583,"orig":"Ich bin keine Verbrecherin, ſagte ſie.","norm":"Ich bin keine Verbrecherin, sagte sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":584,"orig":"Man hat mich auf Strohbündeln zur Schande hierher geführt; es iſt eine höhere Gerechtigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen ſoll.","norm":"Man hat mich auf Strohbündeln zur Schande hierhergeführt; es ist eine höhere Gerechtigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":585,"orig":"Der Aktuarius hatte indeſſen immer ihre Worte nachgeſchrieben, und flüſterte dem Amtmanne zu: er ſolle nur weiter gehen, ein förmliches Protokoll würde ſich nachher ſchon verfaſſen laſſen.","norm":"Der Aktuar hatte indessen immer ihre Worte nachgeschrieben, und flüsterte dem Amtmanne zu: Er solle nur weitergehen, ein förmliches Protokoll würde sich nachher schon verfassen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":586,"orig":"Der Alte nahm wieder Muth, und fing nun an, nach den ſüßen Geheimniſſen der Liebe mit dürren Worten und in hergebrachten trockenen Formeln ſich zu erkundigen.","norm":"Der Alte nahm wieder Mut, und fing nun an, nach den süßen Geheimnissen der Liebe mit dürren Worten und in hergebrachten trockenen Formeln sich zu erkundigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":587,"orig":"Wilhelmen ſtieg die Röthe ins Geſicht, und die Wangen der artigen Verbrecherin belebten ſich gleichfalls durch die reizende Farbe der Schamhaftigkeit.","norm":"Wilhelm stieg die Röte ins Gesicht, und die Wangen der artigen Verbrecherin belebten sich gleichfalls durch die reizende Farbe der Schamhaftigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":588,"orig":"Sie ſchwieg und ſtockte, bis die Verlegenheit ſelbſt zuletzt ihren Muth zu erhöhen ſchien.","norm":"Sie schwieg und stockte, bis die Verlegenheit selbst zuletzt ihren Mut zu erhöhen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":589,"orig":"Seyn Sie verſichert, rief ſie aus, daß ich ſtark genug ſeyn würde, die Wahrheit zu bekennen, wenn ich auch gegen mich ſelbſt ſprechen müßte; ſollte ich nun zaudern und ſtocken, da ſie mir Ehre macht?","norm":"Sein Sie versichert, rief sie aus, dass ich stark genug sein würde, die Wahrheit zu bekennen, wenn ich auch gegen mich selbst sprechen müsste; sollte ich nun zaudern und stocken, da sie mir Ehre macht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":590,"orig":"Ja, ich habe ihn von dem Augenblicke an, da ich ſeiner Neigung und ſeiner Treue gewiß war, als meinen Ehemann angeſehen, ich habe ihm alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert, und was ein überzeugtes Herz nicht verſagen kann.","norm":"Ja, ich habe ihn von dem Augenblicke an, da ich seiner Neigung und seiner Treue gewiss war, als meinen Ehemann angesehen, ich habe ihm alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert, und was ein überzeugtes Herz nicht versagen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":591,"orig":"Machen Sie nun mit mir, was Sie wollen.","norm":"Machen Sie nun mit mir, was Sie wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":592,"orig":"Wenn ich einen Augenblick zu geſtehen zauderte, ſo war die Furcht, daß mein Bekenntniß für meinen Geliebten ſchlimme Folgen haben könnte, allein daran Urſache.","norm":"Wenn ich einen Augenblick zu gestehen zauderte, so war die Furcht, dass mein Bekenntnis für meinen Geliebten schlimme Folgen haben könnte, allein daran Ursache."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":593,"orig":"Wilhelm faßte, als er ihr Geſtändniß hörte, einen hohen Begriff von den Geſinnungen des Mädchens, indeß ſie die Gerichtsperſonen für eine freche Dirne erkannten, und die gegenwärtigen Bürger Gott dankten, daß dergleichen Fälle in ihren Familien entweder nicht vorgekommen oder nicht bekannt geworden waren.","norm":"Wilhelm fasste, als er ihr Geständnis hörte, einen hohen Begriff von den Gesinnungen des Mädchens, indes sie die Gerichtspersonen für eine freche Dirne erkannten, und die gegenwärtigen Bürger Gott dankten, dass dergleichen Fälle in ihren Familien entweder nicht vorgekommen oder nicht bekannt geworden waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":594,"orig":"Wilhelm verſetzte ſeine Mariane in dieſem Augenblicke vor den Richtſtuhl, legte ihr noch ſchönere Worte in den Mund, ließ ihre Aufrichtigkeit noch herzlicher und ihr Bekenntniß noch edler werden.","norm":"Wilhelm versetzte seine Mariane in diesem Augenblicke vor den Richterstuhl, legte ihr noch schönere Worte in den Mund, ließ ihre Aufrichtigkeit noch herzlicher und ihr Bekenntnis noch edler werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":595,"orig":"Die heftigſte Leidenſchaft, beiden Liebenden zu helfen, bemächtigte ſich ſeiner.","norm":"Die heftigste Leidenschaft, beiden Liebenden zu helfen, bemächtigte sich seiner."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":596,"orig":"Er verbarg ſie nicht, und bat den zaudernden Amtmann heimlich, er mögte doch der Sache ein Ende machen, es ſey ja alles ſo klar als möglich, und bedürfe keiner weiteren Unterſuchung.","norm":"Er verbarg sie nicht, und bat den zaudernden Amtmann heimlich, er möchte doch der Sache ein Ende machen, es sei ja alles so klar als möglich, und bedürfe keiner weiteren Untersuchung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":597,"orig":"Dieſes half ſo viel, daß man das Mädchen abtreten, dafür aber den jungen Menſchen, nachdem man ihm vor der Thüre die Feſſeln abgenommen hatte, hereinkommen ließ.","norm":"Dieses half so viel, dass man das Mädchen abtreten, dafür aber den jungen Menschen, nachdem man ihm vor der Türe die Fesseln abgenommen hatte, hereinkommen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":598,"orig":"Dieſer ſchien über ſein Schickſal mehr nachdenkend.","norm":"Dieser schien über sein Schicksal mehr nachdenkend."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":599,"orig":"Seine Antworten waren geſetzter, und wenn er von einer Seite weniger heroiſche Freymüthigkeit zeigte, ſo empfahl er ſich hingegen durch Beſtimmtheit und Ordnung ſeiner Ausſage.","norm":"Seine Antworten waren gesetzter, und wenn er von einer Seite weniger heroische Freimütigkeit zeigte, so empfahl er sich hingegen durch Bestimmtheit und Ordnung seiner Aussage."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":600,"orig":"Da auch dieſes Verhör geendiget war, welches mit dem vorigen in allem übereinſtimmte, nur daß er, um das Mädchen zu ſchonen, hartnäckig läugnete, was ſie ſelbſt ſchon bekannt hatte, ließ man auch ſie endlich wieder vortreten, und es entſtand zwiſchen beiden eine Scene, welche ihnen das Herz unſers Freundes gänzlich zu eigen machte.","norm":"Da auch dieses Verhör geendigt war, welches mit dem vorigen in allem übereinstimmte, nur dass er, um das Mädchen zu schonen, hartnäckig leugnete, was sie selbst schon bekannt hatte, ließ man auch sie endlich wieder vortreten, und es entstand zwischen beiden eine Szene, welche ihnen das Herz unseres Freundes gänzlich zu eigen machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":601,"orig":"Was nur in Romanen und Komödien vorzugehen pflegt, ſah er hier in einer unangenehmen Gerichtsſtube vor ſeinen Augen: den Streit wechſelſeitiger Großmuth, die Stärke der Liebe im Unglück.","norm":"Was nur in Romanen und Komödien vorzugehen pflegt, sah er hier in einer unangenehmen Gerichtsstube vor seinen Augen: den Streit wechselseitiger Großmut, die Stärke der Liebe im Unglück."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":602,"orig":"Iſt es denn alſo wahr, ſagte er bey ſich ſelbſt, daß die ſchüchterne Zärtlichkeit, die vor dem Auge der Sonne und der Menſchen ſich verbirgt, und nur in abgeſonderter Einſamkeit, in tiefem Geheimniſſe zu genießen wagt, wenn ſie durch einen feindſeligen Zufall hervorgeſchleppt wird, ſich alsdann muthiger, ſtärker, tapferer zeigt, als andere brauſende und großthuende Leidenſchaften?","norm":"Ist es denn also wahr, sagte er bei sich selbst, dass die schüchterne Zärtlichkeit, die vor dem Auge der Sonne und der Menschen sich verbirgt, und nur in abgesonderter Einsamkeit, in tiefem Geheimnisse zu genießen wagt, wenn sie durch einen feindseligen Zufall hervorgeschleppt wird, sich alsdann mutiger, stärker, tapferer zeigt, als andere brausende und großtuende Leidenschaften?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":603,"orig":"Zu ſeinem Troſte ſchloß ſich die ganze Handlung noch ziemlich bald.","norm":"Zu seinem Troste schloss sich die ganze Handlung noch ziemlich bald."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":604,"orig":"Sie wurden beide in leidliche Verwahrung genommen, und wenn es möglich geweſen wäre, ſo hätte er noch dieſen Abend das Frauenzimmer zu ihren Eltern hinüber gebracht.","norm":"Sie wurden beide in leidliche Verwahrung genommen, und wenn es möglich gewesen wäre, so hätte er noch diesen Abend das Frauenzimmer zu ihren Eltern hinübergebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":605,"orig":"Denn er ſetzte ſich feſt vor, hier ein Mittelsmann zu werden, und die glückliche und anſtändige Verbindung beider Liebenden zu befördern.","norm":"Denn er setzte sich fest vor, hier ein Mittelsmann zu werden, und die glückliche und anständige Verbindung beider Liebenden zu befördern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":606,"orig":"Er erbat ſich von dem Amtmanne die Erlaubniß, mit Melina allein zu reden, welche ihm denn auch ohne Schwierigkeit verſtattet wurde.","norm":"Er erbat sich von dem Amtmann die Erlaubnis, mit Melina allein zu reden, welche ihm denn auch ohne Schwierigkeit verstattet wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":607,"orig":"Das Geſpräch der beiden neuen Bekannten wurde gar bald vertraut und lebhaft.","norm":"Das Gespräch der beiden neuen Bekannten wurde gar bald vertraut und lebhaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":608,"orig":"Denn als Wilhelm dem niedergeſchlagnen Jüngling ſein Verhältniß zu den Eltern des Frauenzimmers entdeckte, ſich zum Mittler anbot, und ſelbſt die beſten Hoffnungen zeigte, erheiterte ſich das traurige und ſorgenvolle Gemüth des Gefangnen, er fühlte ſich ſchon wieder befreyt, mit ſeinen Schwiegereltern verſöhnt, und es war nun von künftigem Erwerb und Unterkommen die Rede.","norm":"Denn als Wilhelm dem niedergeschlagenen Jüngling sein Verhältnis zu den Eltern des Frauenzimmers entdeckte, sich zum Mittler anbot, und selbst die besten Hoffnungen zeigte, erheiterte sich das traurige und sorgenvolle Gemüt des Gefangenen, er fühlte sich schon wieder befreit, mit seinen Schwiegereltern versöhnt, und es war nun von künftigem Erwerbe und Unterkommen die Rede."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":609,"orig":"Darüber werden Sie doch nicht in Verlegenheit ſeyn, verſetzte Wilhelm; denn Sie ſcheinen mir beiderſeits von der Natur beſtimmt, in dem Stande, den Sie gewählt haben, Ihr Glück zu machen.","norm":"Darüber werden Sie doch nicht in Verlegenheit sein, versetzte Wilhelm; denn Sie scheinen mir beiderseits von der Natur bestimmt, in dem Stande, den Sie gewählt haben, Ihr Glück zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":610,"orig":"Eine angenehme Geſtalt, eine wohlklingende Stimme, ein gefühlvolles Herz!","norm":"Eine angenehme Gestalt, eine wohlklingende Stimme, ein gefühlvolles Herz!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":611,"orig":"können Schauſpieler beſſer ausgeſtattet ſeyn?","norm":"Können Schauspieler besser ausgestattet sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":612,"orig":"Kann ich Ihnen mit einigen Empfehlungen dienen, ſo wird es mir viel Freude machen.","norm":"Kann ich Ihnen mit einigen Empfehlungen dienen, so wird es mir viel Freude machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":613,"orig":"Ich danke Ihnen von Herzen, verſetzte der andere; aber ich werde wohl ſchwerlich davon Gebrauch machen können, denn ich denke, wo möglich, nicht auf das Theater zurück zu kehren.","norm":"Ich danke Ihnen von Herzen, versetzte der andere; aber ich werde wohl schwerlich davon Gebrauch machen können, denn ich denke, womöglich, nicht auf das Theater zurückzukehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":614,"orig":"Daran thun Sie ſehr übel, ſagte Wilhelm nach einer Pauſe, in welcher er ſich von ſeinem Erſtaunen erholt hatte, denn er dachte nicht anders, als daß der Schauſpieler, ſo bald er mit ſeiner jungen Gattin befreyt worden, das Theater aufſuchen werde.","norm":"Daran tun Sie sehr übel, sagte Wilhelm nach einer Pause, in welcher er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, denn er dachte nicht anders, als dass der Schauspieler, sobald er mit seiner jungen Gattin befreit worden, das Theater aufsuchen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":615,"orig":"Es ſchien ihm eben ſo natürlich und nothwendig, als daß der Froſch das Waſſer ſucht.","norm":"Es schien ihm ebenso natürlich und notwendig, als dass der Frosch das Wasser sucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":616,"orig":"Nicht einen Augenblick hatte er daran gezweifelt, und mußte nun zu ſeinem Erſtaunen das Gegentheil erfahren.","norm":"Nicht einen Augenblick hatte er daran gezweifelt, und musste nun zu seinem Erstaunen das Gegenteil erfahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":617,"orig":"Ja, verſetzte der andere, ich habe mir vorgenommen, nicht wieder auf das Theater zurück zu kehren, vielmehr eine bürgerliche Bedienung, ſie ſey auch welche ſie wolle, anzunehmen, wenn ich nur eine erhalten kann.","norm":"Ja, versetzte der andere, ich habe mir vorgenommen, nicht wieder auf das Theater zurückzukehren, vielmehr eine bürgerliche Bedienung, sie sei auch welche sie wolle, anzunehmen, wenn ich nur eine erhalten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":618,"orig":"Das iſt ein ſonderbarer Entſchluß, den ich nicht billigen kann; denn ohne beſondere Urſache iſt es niemals rathſam, die Lebensart, die man ergriffen hat, zu verändern, und überdieß wüßte ich keinen Stand, der ſo viel Annehmlichkeiten, ſo viel reizende Ausſichten darböte, als den eines Schauſpielers.","norm":"Das ist ein sonderbarer Entschluss, den ich nicht billigen kann; denn ohne besondere Ursache ist es niemals ratsam, die Lebensart, die man ergriffen hat, zu verändern, und überdies wüsste ich keinen Stand, der so viel Annehmlichkeiten, so viel reizende Aussichten darböte, als den eines Schauspielers."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":619,"orig":"Man ſieht, daß Sie keiner geweſen ſind, verſetzte jener.","norm":"Man sieht, dass Sie keiner gewesen sind, versetzte jener."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":620,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":621,"orig":"Darauf ſagte Wilhelm: mein Herr, wie ſelten iſt der Menſch mit dem Zuſtande zufrieden, in dem er ſich befindet, er wünſcht ſich immer den ſeines Nächſten, aus welchem ſich dieſer gleichfalls herausſehnt!","norm":"Darauf sagte Wilhelm: mein Herr, wie selten ist der Mensch mit dem Zustande zufrieden, in dem er sich befindet, er wünscht sich immer den seines Nächsten, aus welchem sich dieser gleichfalls heraussehnt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":622,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":623,"orig":"Indeß bleibt doch ein Unterſchied, verſetzte Melina, zwiſchen dem ſchlimmen und dem ſchlimmern;","norm":"Indes bleibt doch ein Unterschied, versetzte Melina, zwischen dem Schlimmen und dem schlimmeren;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":624,"orig":"Erfahrung, nicht Ungeduld, macht mich ſo handeln.","norm":"Erfahrung, nicht Ungeduld, macht mich so handeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":625,"orig":"Iſt wohl irgend ein","norm":"Ist wohl irgendein"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":626,"orig":"Stückchen Brot kümmerlicher, unſicherer und mühſeliger in der Welt?","norm":"Stückchen Brot kümmerlicher, unsicherer und mühseliger in der Welt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":627,"orig":"Beynahe wäre es eben ſo gut, vor den Thüren zu betteln.","norm":"Beinahe wäre es ebenso gut, vor den Türen zu betteln."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":628,"orig":"Was hat man von dem Neide ſeiner Mitgenoſſen, von der Partheylichkeit des Directors, von der veränderlichen Laune des Publikums auszuſtehen?","norm":"Was hat man von dem Neide seiner Mitgenossen, von der Parteilichkeit des Direktors, von der veränderlichen Laune des Publikums auszustehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":629,"orig":"Wahrhaftig, man muß ein Fell haben wie ein Bär, der in Geſellſchaft von Affen und Hunden an der Kette herumgeführt und geprügelt wird, um bey dem Tone eines Dudelſacks vor Kindern und Pöbel zu tanzen.","norm":"Wahrhaftig, man muss ein Fell haben wie ein Bär, der in Gesellschaft von Affen und Hunden an der Kette herumgeführt und geprügelt wird, um bei dem Tone eines Dudelsacks vor Kindern und Pöbel zu tanzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":630,"orig":"Wilhelm dachte allerley bey ſich ſelbſt, was er jedoch dem guten Menſchen nicht ins Geſicht ſagen wollte.","norm":"Wilhelm dachte allerlei bei sich selbst, was er jedoch dem guten Menschen nicht ins Gesicht sagen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":631,"orig":"Er ging alſo nur von ferne mit dem Geſpräch um ihn herum.","norm":"Er ging also nur von ferne mit dem Gespräch um ihn herum."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":632,"orig":"Jener ließ ſich deſto aufrichtiger und weitläuftiger heraus.","norm":"Jener ließ sich desto aufrichtiger und weitläufiger heraus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":633,"orig":"— Thäte es nicht Noth, ſagte er, daß ein Director jedem Stadtrathe zu Füßen fiele, um nur die Erlaubniß zu haben, vier Wochen zwiſchen der Meſſe ein paar Groſchen mehr an einem Orte cirkuliren zu laſſen.","norm":"— Täte es nicht Not, sagte er, dass ein Direktor jedem Stadtrate zu Füßen fiele, um nur die Erlaubnis zu haben, vier Wochen zwischen der Messe ein paar Groschen mehr an einem Orte zirkulieren zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":634,"orig":"Ich habe den unſrigen, der ſo weit ein guter Mann war, oft bedauret, wenn er mir gleich zu anderer Zeit Urſache zu Mißvergnügen gab.","norm":"Ich habe den unsrigen, der so weit ein guter Mann war, oft bedauert, wenn er mir gleich zu anderer Zeit Ursache zu Missvergnügen gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":635,"orig":"Ein guter Akteur ſteigert ihn, die ſchlechten kann er nicht los werden; und wenn er ſeine Einnahme einigermaßen der Ausgabe gleich ſetzen will; ſo iſt es dem Publikum gleich zu viel, das Haus ſteht leer, und man muß, um nur nicht gar zu Grunde zu gehen, mit Schaden und Kummer ſpielen.","norm":"Ein guter Akteur steigert ihn, die schlechten kann er nicht loswerden; und wenn er seine Einnahme einigermaßen der Ausgabe gleichsetzen will; so ist es dem Publikum gleich zu viel, das Haus steht leer, und man muss, um nur nicht gar zugrunde zu gehen, mit Schaden und Kummer spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":636,"orig":"Nein, mein Herr, da Sie ſich unſrer, wie Sie ſagen, annehmen mögen; ſo bitte ich Sie, ſprechen Sie auf das ernſtlichſte mit den Eltern meiner Geliebten!","norm":"Nein, mein Herr, da Sie sich unserer, wie Sie sagen, annehmen mögen; so bitte ich Sie, sprechen Sie auf das ernstlichste mit den Eltern meiner Geliebten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":637,"orig":"Man verſorge mich hier, man gebe mir einen kleinen Schreiber- oder Einnehmer-Dienſt, und ich will mich glücklich ſchätzen.","norm":"Man versorge mich hier, man gebe mir einen kleinen Schreiber- oder Einnehmerdienst, und ich will mich glücklich schätzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":638,"orig":"Nachdem ſie noch einige Worte gewechſelt hatten, ſchied Wilhelm mit dem Verſprechen, Morgen ganz früh die Eltern anzugehen und zu ſehen, was er ausrichten könne.","norm":"Nachdem sie noch einige Worte gewechselt hatten, schied Wilhelm mit dem Versprechen, Morgen ganz früh die Eltern anzugehen und zu sehen, was er ausrichten könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":639,"orig":"Kaum war er allein, ſo mußte er ſich in folgenden Ausrufungen Luft machen: unglücklicher Melina, nicht in deinem Stande, ſondern in dir liegt das armſelige, über das du nicht Herr werden kannſt!","norm":"Kaum war er allein, so musste er sich in folgenden Ausrufungen Luft machen: Unglücklicher Melina, nicht in deinem Stande, sondern in dir liegt das Armselige, über das du nicht Herr werden kannst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":640,"orig":"Welcher Menſch in der Welt, der ohne innern Beruf ein Handwerk, eine Kunſt oder irgend eine Lebensart ergriffe, müßte nicht wie du ſeinen Zuſtand unerträglich finden?","norm":"Welcher Mensch in der Welt, der ohne inneren Beruf ein Handwerk, eine Kunst oder irgendeine Lebensart ergriffe, müsste nicht wie du seinen Zustand unerträglich finden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":641,"orig":"Wer mit einem Talente zu einem Talente gebohren iſt, findet in demſelben ſein ſchönſtes Daſeyn!","norm":"Wer mit einem Talente zu einem Talente geboren ist, findet in demselben sein schönstes Dasein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":642,"orig":"Nichts iſt auf der Erde ohne Beſchwerlichkeit, nur der innre Trieb, die Luſt, die Liebe helfen uns Hinderniſſe überwinden, Wege bahnen, und uns aus dem engen Kreiſe, worin ſich andere kümmerlich abängſtigen, emporheben.","norm":"Nichts ist auf der Erde ohne Beschwerlichkeit, nur der innere Trieb, die Lust, die Liebe helfen uns Hindernisse überwinden, Wege bahnen, und uns aus dem engen Kreise, worin sich andere kümmerlich abängstigen, emporheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":643,"orig":"Dir ſind die Breter nichts als Breter, und die Rollen, was einem Schulknaben ſein Penſum iſt.","norm":"Dir sind die Bretter nichts als Bretter, und die Rollen, was einem Schulknaben sein Pensum ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":644,"orig":"Die Zuſchauer ſiehſt du an, wie ſie ſich ſelbſt an Werkeltagen vorkommen.","norm":"Die Zuschauer siehst du an, wie sie sich selbst an Werkeltagen vorkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":645,"orig":"Dir könnte es alſo freylich einerley ſeyn, hinter einem Pult über liniirten Büchern zu ſitzen, Zinſen einzutragen und Reſte herauszuſtochern.","norm":"Dir könnte es also freilich einerlei sein, hinter einem Pult über liniierten Büchern zu sitzen, Zinsen einzutragen und Reste herauszustochern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":646,"orig":"Du fühlſt nicht das zuſammenbrennende, zuſammentreffende Ganze, das allein durch den Geiſt erfunden, begriffen und ausgeführt wird, du fühlſt nicht, daß in den Menſchen ein beſſerer Funke lebt, der, wenn er keine Nahrung erhält, wenn er nicht geregt wird, von der Aſche täglicher Bedürfniſſe und Gleichgültigkeit tiefer bedeckt, und doch ſo ſpät und faſt nie erſtickt wird.","norm":"Du fühlst nicht das zusammenbrennende, zusammentreffende Ganze, das allein durch den Geist erfunden, begriffen und ausgeführt wird, du fühlst nicht, dass in den Menschen ein besserer Funke lebt, der, wenn er keine Nahrung erhält, wenn er nicht geregt wird, von der Asche täglicher Bedürfnisse und Gleichgültigkeit tiefer bedeckt, und doch so spät und fast nie erstickt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":647,"orig":"Du fühlſt in deiner Seele keine Kraft ihn aufzublaſen, in deinem eignen Herzen keinen Reichthum, um dem erweckten Nahrung zu geben.","norm":"Du fühlst in deiner Seele keine Kraft ihn aufzublasen, in deinem eigenen Herzen keinen Reichtum, um dem erweckten Nahrung zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":648,"orig":"Der Hunger treibt dich, die Unbequemlichkeiten ſind dir zuwider, und es iſt dir verborgen, daß in jedem Stande dieſe Feinde lauren, die nur mit Freudigkeit und Gleichmuth zu überwinden ſind.","norm":"Der Hunger treibt dich, die Unbequemlichkeiten sind dir zuwider, und es ist dir verborgen, dass in jedem Stande diese Feinde lauern, die nur mit Freudigkeit und Gleichmut zu überwinden sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":649,"orig":"Du thuſt wohl, dich in jene Gränzen einer gemeinen Stelle zu ſehnen; denn welche würdeſt du wohl ausfüllen, die Geiſt und Muth verlangt?","norm":"Du tust wohl, dich in jene Grenzen einer gemeinen Stelle zu sehnen; denn welche würdest du wohl ausfüllen, die Geist und Mut verlangt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":650,"orig":"Gieb einem Soldaten, einem Staatsmanne, einem Geiſtlichen deine Geſinnungen, und mit eben ſo viel Recht wird er ſich über das Kümmerliche ſeines Standes beſchweren können.","norm":"Gib einem Soldaten, einem Staatsmanne, einem Geistlichen deine Gesinnungen, und mit ebenso viel Recht wird er sich über das Kümmerliche seines Standes beschweren können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":651,"orig":"Ja, hat es nicht ſogar Menſchen gegeben, die von allem Lebensgefühl ſo ganz verlaſſen waren, daß ſie das ganze Leben und Weſen der Sterblichen für ein Nichts, für ein kummervolles und ſtaubgleiches Daſeyn erklärt haben?","norm":"Ja, hat es nicht sogar Menschen gegeben, die von allem Lebensgefühl so ganz verlassen waren, dass sie das ganze Leben und Wesen der Sterblichen für ein Nichts, für ein kummervolles und staubgleiches Dasein erklärt haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":652,"orig":"Regten ſich lebendig in deiner Seele die Geſtalten würkender Menſchen, wärmte deine Bruſt ein theilnehmendes Feuer, verbreitete ſich über deine ganze Geſtalt die Stimmung, die aus dem innerſten kommt, wären die Töne deiner Kehle, die Worte deiner Lippen lieblich anzuhören, fühlteſt du dich genug in dir ſelbſt, ſo würdeſt du dir gewiß Ort und Gelegenheit aufſuchen, dich in andern fühlen zu können.","norm":"Regten sich lebendig in deiner Seele die Gestalten wirkender Menschen, wärmte deine Brust ein teilnehmendes Feuer, verbreitete sich über deine ganze Gestalt die Stimmung, die aus dem Innersten kommt, wären die Töne deiner Kehle, die Worte deiner Lippen lieblich anzuhören, fühltest du dich genug in dir selbst, so würdest du dir gewiss Ort und Gelegenheit aufsuchen, dich in anderen fühlen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":653,"orig":"Unter ſolchen Worten und Gedanken hatte ſich unſer Freund ausgekleidet, und ſtieg mit einem Gefühle des innigſten Behagens zu Bette.","norm":"Unter solchen Worten und Gedanken hatte sich unser Freund ausgekleidet, und stieg mit einem Gefühle des innigsten Behagens zu Bette."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":654,"orig":"Ein ganzer Roman, was er an der Stelle des Unwürdigen morgenden Tages thun würde, entwickelte ſich in ſeiner Seele, angenehme Phantaſien begleiteten ihn in das Reich des Schlafes ſanft hinüber, und überließen ihn dort ihren Geſchwiſtern, den Träumen, die ihn mit offenen Armen aufnahmen, und das ruhende Haupt unſers Freundes mit dem Vorbilde des Himmels umgaben.","norm":"Ein ganzer Roman, was er an der Stelle des Unwürdigen morgenden Tages tun würde, entwickelte sich in seiner Seele, angenehme Phantasien begleiteten ihn in das Reich des Schlafes sanft hinüber, und überließen ihn dort ihren Geschwistern, den Träumen, die ihn mit offenen Armen aufnahmen, und das ruhende Haupt unseres Freundes mit dem Vorbilde des Himmels umgaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":655,"orig":"Am frühen Morgen war er ſchon wieder erwacht, und dachte ſeiner vorſtehenden Unterhandlung nach.","norm":"Am frühen Morgen war er schon wieder erwacht, und dachte seiner vorstehenden Unterhandlung nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":656,"orig":"Er kehrte in das Haus der verlaßnen Eltern zurück, wo man ihn mit Verwundrung aufnahm.","norm":"Er kehrte in das Haus der verlassenen Eltern zurück, wo man ihn mit Verwunderung aufnahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":657,"orig":"Er trug ſein Anbringen beſcheiden vor, und fand gar bald mehr und weniger Schwierigkeiten, als er ſich vermuthet hatte.","norm":"Er trug sein Anbringen bescheiden vor, und fand gar bald mehr und weniger Schwierigkeiten, als er sich vermutet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":658,"orig":"Geſchehen war es einmal, und wenn gleich außerordentlich ſtrenge und harte Leute ſich gegen das Vergangene und Nichtzuändernde mit Gewalt zu ſetzen, und das Übel dadurch zu vermehren pflegen, ſo hat dagegen das Geſchehene auf die Gemüther der meiſten eine unwiderſtehliche Gewalt, und was unmöglich ſchien, nimmt ſogleich, als es geſchehen iſt, neben dem Gemeinen ſeinen Platz ein.","norm":"Geschehen war es einmal, und wenngleich außerordentlich strenge und harte Leute sich gegen das Vergangene und Nichtzuändernde mit Gewalt zu setzen, und das Übel dadurch zu vermehren pflegen, so hat dagegen das Geschehene auf die Gemüter der meisten eine unwiderstehliche Gewalt, und was unmöglich schien, nimmt sogleich, als es geschehen ist, neben dem Gemeinen seinen Platz ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":659,"orig":"Es war alſo bald ausgemacht, daß der Herr Melina die Tochter heirathen ſollte, dagegen ſollte ſie wegen ihrer Unart kein Heirathsgut mitnehmen und verſprechen, das Vermächtniß einer Tante, noch einige Jahre, gegen geringe Intereſſen, in des Vaters Händen zu laſſen.","norm":"Es war also bald ausgemacht, dass der Herr Melina die Tochter heiraten sollte, dagegen sollte sie wegen ihrer Unart kein Heiratsgut mitnehmen und versprechen, das Vermächtnis einer Tante, noch einige Jahre, gegen geringe Interessen, in des Vaters Händen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":660,"orig":"Der zweyte Punkt, wegen einer bürgerlichen Verſorgung fand ſchon größere Schwierigkeiten.","norm":"Der zweite Punkt, wegen einer bürgerlichen Versorgung fand schon größere Schwierigkeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":661,"orig":"Man wollte das ungerathene Kind nicht vor Augen ſehen, man wollte die Verbindung eines hergelaufenen Menſchen mit einer ſo angeſehenen Familie, welche ſogar mit einem Superintendenten verwandt war, ſich durch die Gegenwart nicht beſtändig aufrücken laſſen, man konnte eben ſo wenig hoffen, daß die fürſtlichen Collegien ihm eine Stelle anvertrauen würden.","norm":"Man wollte das ungeratene Kind nicht vor Augen sehen, man wollte die Verbindung eines hergelaufenen Menschen mit einer so angesehenen Familie, welche sogar mit einem Superintendenten verwandt war, sich durch die Gegenwart nicht beständig aufrücken lassen, man konnte ebensowenig hoffen, dass die fürstlichen Kollegien ihm eine Stelle anvertrauen würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":662,"orig":"Beide Eltern waren gleich ſtark dagegen, und Wilhelm, der ſehr eifrig dafür ſprach, weil er dem Menſchen, den er geringſchätzte, die Rückkehr auf das Theater nicht gönnte, und überzeugt war, daß er eines ſolchen Glückes nicht werth ſey, konnte mit allen ſeinen Argumenten nichts ausrichten.","norm":"Beide Eltern waren gleich stark dagegen, und Wilhelm, der sehr eifrig dafür sprach, weil er dem Menschen, den er geringschätzte, die Rückkehr auf das Theater nicht gönnte, und überzeugt war, dass er eines solchen Glückes nicht wert sei, konnte mit allen seinen Argumenten nichts ausrichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":663,"orig":"Hätte er die geheimen Triebfedern gekannt, ſo würde er ſich die Mühe gar nicht gegeben haben, die Eltern überreden zu wollen.","norm":"Hätte er die geheimen Triebfedern gekannt, so würde er sich die Mühe gar nicht gegeben haben, die Eltern überreden zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":664,"orig":"Denn der Vater, der ſeine Tochter gerne bey ſich behalten hätte, haßte den jungen Menſchen, weil ſeine Frau ſelbſt ein Auge auf ihn geworfen hatte, und dieſe konnte in ihrer Stieftochter eine glückliche Nebenbuhlerin nicht vor Augen leiden.","norm":"Denn der Vater, der seine Tochter gerne bei sich behalten hätte, hasste den jungen Menschen, weil seine Frau selbst ein Auge auf ihn geworfen hatte, und diese konnte in ihrer Stieftochter eine glückliche Nebenbuhlerin nicht vor Augen leiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":665,"orig":"Und ſo mußte Melina wider ſeinen Willen mit ſeiner jungen Braut, die ſchon größere Luſt bezeigte, die Welt zu ſehen, und ſich der Welt ſehen zu laſſen, nach einigen Tagen abreiſen, um bey irgend einer Geſellſchaft ein Unterkommen zu finden.","norm":"Und so musste Melina wider seinen Willen mit seiner jungen Braut, die schon größere Lust bezeigte, die Welt zu sehen, und sich der Welt sehen zu lassen, nach einigen Tagen abreisen, um bei irgendeiner Gesellschaft ein Unterkommen zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":666,"orig":"Glückliche Jugend!","norm":"Glückliche Jugend!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":667,"orig":"glückliche Zeiten des erſten Liebesbedürfniſſes!","norm":"Glückliche Zeiten des ersten Liebesbedürfnisses!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":668,"orig":"Der Menſch iſt dann wie ein Kind, das ſich am Echo ſtundenlang ergötzt, die Unkoſten des Geſpräches allein trägt, und mit der Unterhaltung wohl zufrieden iſt, wenn der unſichtbare Gegenmann auch nur die letzten Sylben der ausgerufenen Worte wiederholt.","norm":"Der Mensch ist dann wie ein Kind, das sich am Echo stundenlang ergötzt, die Unkosten des Gespräches allein trägt, und mit der Unterhaltung wohl zufrieden ist, wenn der unsichtbare Gegenmann auch nur die letzten Silben der ausgerufenen Worte wiederholt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":669,"orig":"So war Wilhelm in den frühern, beſonders aber in den ſpätern Zeiten ſeiner Leidenſchaft für Marianen, als er den ganzen Reichthum ſeines Gefühls auf ſie hinübertrug, und ſich dabey als einen Bettler anſah, der von ihren Almoſen lebte.","norm":"So war Wilhelm in den früheren, besonders aber in den späteren Zeiten seiner Leidenschaft für Mariane, als er den ganzen Reichtum seines Gefühls auf sie hinübertrug, und sich dabei als einen Bettler ansah, der von ihren Almosen lebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":670,"orig":"Und wie uns eine Gegend reizender, ja allein reizend vorkommt, wenn ſie von der Sonne beſchienen wird, ſo war auch alles in ſeinen Augen verſchönert und verherrlicht, was ſie umgab, was ſie berührte.","norm":"Und wie uns eine Gegend reizender, ja allein reizend vorkommt, wenn sie von der Sonne beschienen wird, so war auch alles in seinen Augen verschönert und verherrlicht, was sie umgab, was sie berührte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":671,"orig":"Wie oft ſtand er auf dem Theater hinter den Wänden, wozu er ſich das Privilegium von dem Direktor erbeten hatte!","norm":"Wie oft stand er auf dem Theater hinter den Wänden, wozu er sich das Privilegium von dem Direktor erbeten hatte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":672,"orig":"Dann war freylich die perſpectiviſche Magie verſchwunden, aber die viel mächtigere Zauberey der Liebe fing erſt an zu wirken.","norm":"Dann war freilich die perspektivische Magie verschwunden, aber die viel mächtigere Zauberei der Liebe fing erst an zu wirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":673,"orig":"Stundenlang konnte er am ſchmutzigen Lichtwagen ſtehen, den Qualm der Unſchlitt-Lampen einziehen, nach der Geliebten hinaus blicken, und, wenn ſie wieder hereintrat und ihn freundlich anſah, ſich in Wonne verloren dicht an dem Balken- und Latten-Gerippe, in einen paradieſiſchen Zuſtand verſetzt fühlen.","norm":"Stundenlang konnte er am schmutzigen Lichtwagen stehen, den Qualm der Unschlittlampen einziehen, nach der Geliebten hinausblicken, und, wenn sie wieder hereintrat und ihn freundlich ansah, sich in Wonne verloren dicht an dem Balken- und Lattengerippe, in einen paradiesischen Zustand versetzt fühlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":674,"orig":"Die ausgeſtopften Lämmchen, die Waſſerfälle von Zindel, die pappenen Roſenſtöcke und die einſeitigen Strohhütten erregten in ihm liebliche dichteriſche Bilder uralter Schäferwelt.","norm":"Die ausgestopften Lämmchen, die Wasserfälle von Zindel, die pappenen Rosenstöcke und die einseitigen Strohhütten erregten in ihm liebliche dichterische Bilder uralter Schäferwelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":675,"orig":"Sogar die in der Nähe häßlich erſcheinenden Tänzerinnen waren ihm nicht immer zuwider, weil ſie auf Einem Brete mit ſeiner Vielgeliebten ſtanden.","norm":"Sogar die in der Nähe hässlich erscheinenden Tänzerinnen waren ihm nicht immer zuwider, weil sie auf einem Brette mit seiner Vielgeliebten standen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":676,"orig":"Und ſo iſt es gewiß, daß Liebe, die Roſenlauben, Myrthenwäldchen und Mondſchein erſt beleben muß, auch ſogar Hobelſpänen und Papierſchnitzeln einen Anſchein belebter Naturen geben kann.","norm":"Und so ist es gewiss, dass Liebe, die Rosenlauben, Myrtenwäldchen und Mondschein erst beleben muss, auch sogar Hobelspänen und Papierschnitzeln einen Anschein belebter Naturen geben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":677,"orig":"Sie iſt eine ſo ſtarke Würze, daß ſelbſt ſchaale und ekle Brühen davon ſchmackhaft werden.","norm":"Sie ist eine so starke Würze, dass selbst schale und ekle Brühen davon schmackhaft werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":678,"orig":"Solch einer Würze bedurft es freylich, um jenen Zuſtand leidlich, ja in der Folge angenehm zu machen, in welchem er gewöhnlich ihre Stube, ja gelegentlich ſie ſelbſt antraf.","norm":"Solch einer Würze bedurfte es freilich, um jenen Zustand leidlich, ja in der Folge angenehm zu machen, in welchem er gewöhnlich ihre Stube, ja gelegentlich sie selbst antraf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":679,"orig":"In einem feinen Bürgerhauſe erzogen, war Ordnung und Reinlichkeit das Element, worin er athmete, und indem er von ſeines Vaters Prunkliebe einen Theil geerbt hatte, wußte er, in den Knabenjahren, ſein Zimmer, das er als ſein kleines Reich anſah, ſtattlich auszuſtaffiren.","norm":"In einem feinen Bürgerhause erzogen, war Ordnung und Reinlichkeit das Element, worin er atmete, und indem er von seines Vaters Prunkliebe einen Teil geerbt hatte, wusste er, in den Knabenjahren, sein Zimmer, das er als ein kleines Reich ansah, stattlich auszustaffieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":680,"orig":"Seine Bettvorhänge waren in große Falten aufgezogen und mit Quaſten befeſtigt, wie man Thronen vorzuſtellen pflegt, er hatte ſich einen Teppich in die Mitte des Zimmers, und einen feinern auf den Tiſch anzuſchaffen gewußt, ſeine Bücher und Geräthſchaften legte und ſtellte er faſt mechaniſch ſo, daß ein niederländiſcher Mahler gute Gruppen zu ſeinen Still-Leben hätte heraus nehmen können.","norm":"Seine Bettvorhänge waren in große Falten aufgezogen und mit Quasten befestigt, wie man Thronen vorzustellen pflegt, er hatte sich einen Teppich in die Mitte des Zimmers, und einen feineren auf den Tisch anzuschaffen gewusst, seine Bücher und Gerätschaften legte und stellte er fast mechanisch so, dass ein niederländischer Maler gute Gruppen zu seinen Stillleben hätte herausnehmen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":681,"orig":"Eine weiße Mütze hatte er wie einen Turban zurecht gebunden, und die Ermel ſeines Schlafrocks nach orientaliſchen Coſtüme kurz ſtutzen laſſen.","norm":"Eine weiße Mütze hatte er wie einen Turban zurechtgebunden, und die Ärmel seines Schlafrocks nach orientalischen Kostüme kurz stutzen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":682,"orig":"Doch gab er hiervon die Urſache an, daß die langen weiten Ermel ihn im Schreiben hinderten.","norm":"Doch gab er hiervon die Ursache an, dass die langen weiten Ärmel ihn im Schreiben hinderten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":683,"orig":"Wenn er Abends ganz allein war, und nicht mehr fürchten durfte, geſtört zu werden, trug er gewöhnlich eine ſeidene Schärpe um den Leib, und er ſoll manchmal einen Dolch, den er ſich aus einer alten Rüſtkammer zugeeignet, in den Gürtel geſteckt, und ſo die ihm zugetheilten tragiſchen Rollen memorirt und probirt, ja in eben dem Sinne ſein Gebet kniend auf dem Teppich verrichtet haben.","norm":"Wenn er Abends ganz allein war, und nicht mehr fürchten durfte, gestört zu werden, trug er gewöhnlich eine seidene Schärpe um den Leib, und er soll manchmal einen Dolch, den er sich aus einer alten Rüstkammer zugeeignet, in den Gürtel gesteckt, und so die ihm zugeteilten tragischen Rollen memoriert und probiert, ja in eben dem Sinne sein Gebet kniend auf dem Teppich verrichtet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":684,"orig":"Wie glücklich prieß er daher in früheren Zeiten den Schauſpieler, den er im Beſitz ſo mancher majeſtätiſchen Kleider, Rüſtungen und Waffen, und in ſteter Übung eines edlen Betragens ſah, deſſen Geiſt einen Spiegel des herrlichſten und prächtigſten, was die Welt an Verhältniſſen, Geſinnungen und Leidenſchaften hervorgebracht, darzuſtellen ſchien.","norm":"Wie glücklich pries er daher in früheren Zeiten den Schauspieler, den er im Besitz so mancher majestätischen Kleider, Rüstungen und Waffen, und in steter Übung eines edlen Betragens sah, dessen Geist einen Spiegel des Herrlichsten und Prächtigsten, was die Welt an Verhältnissen, Gesinnungen und Leidenschaften hervorgebracht, darzustellen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":685,"orig":"Eben ſo dachte ſich Wilhelm auch das häusliche Leben eines Schauſpielers als eine Reihe von würdigen Handlungen und Beſchäftigungen, davon die Erſcheinung auf dem Theater die äuſſerſte Spitze ſey.","norm":"Ebenso dachte sich Wilhelm auch das häusliche Leben eines Schauspielers als eine Reihe von würdigen Handlungen und Beschäftigungen, davon die Erscheinung auf dem Theater die äußerste Spitze sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":686,"orig":"Etwa wie ein Silber, das vom Läuter-Feuer lange herum getrieben worden, endlich farbig ſchön vor den Augen des Arbeiters erſcheint, und ihm zugleich andeutet, daß das Metall nunmehr von allen fremden Zuſätzen gereiniget ſey.","norm":"Etwa wie ein Silber, das vom Läuterfeuer lange herumgetrieben worden, endlich farbigschön vor den Augen des Arbeiters erscheint, und ihm zugleich andeutet, dass das Metall nunmehr von allen fremden Zusätzen gereinigt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":687,"orig":"Wie ſehr ſtutzte er daher Anfangs, wenn er ſich bey ſeiner Geliebten befand, und durch den glücklichen Nebel, der ihn umgab, neben aus auf Tiſche, Stühle und Boden ſah.","norm":"Wie sehr stutzte er daher Anfangs, wenn er sich bei seiner Geliebten befand, und durch den glücklichen Nebel, der ihn umgab, nebenaus auf Tisch, Stühle und Boden sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":688,"orig":"Die Trümmer eines augenblicklichen, leichten und falſchen Putzes lagen wie das glänzende Kleid eines abgeſchuppten Fiſches zerſtreut in wilder Unordnung durch einander.","norm":"Die Trümmer eines augenblicklichen, leichten und falschen Putzes lagen wie das glänzende Kleid eines abgeschuppten Fisches zerstreut in wilder Unordnung durcheinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":689,"orig":"Die Werkzeuge menſchlicher Reinlichkeit, als Kämme, Seife, Tücher und Pomade waren mit den Spuren ihrer Beſtimmung gleichfalls nicht verſteckt.","norm":"Die Werkzeuge menschlicher Reinlichkeit, als Kämme, Seife, Tücher und Pomade waren mit den Spuren ihrer Bestimmung gleichfalls nicht versteckt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":690,"orig":"Muſik, Rollen und Schuhe, Wäſche und italieniſche Blumen, Etuis, Haarnadeln, Schminktöpfchen und Bänder, Bücher und Strohhüte, keines verſchmähte die Nachbarſchaft des andern, alle waren durch ein gemeinſchaftliches Element, durch Puder und Staub, vereinigt.","norm":"Musik, Rollen und Schuhe, Wäsche und italienische Blumen, Etuis, Haarnadeln, Schminktöpfchen und Bänder, Bücher und Strohhüte, keines verschmähte die Nachbarschaft des anderen, alle waren durch ein gemeinschaftliches Element, durch Puder und Staub, vereinigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":691,"orig":"Jedoch da Wilhelm in ihrer Gegenwart wenig von allem andern bemerkte, ja vielmehr ihm alles, was ihr gehörte, ſie berührt hatte, lieb werden mußte; ſo fand er zuletzt in dieſer verworrnen Wirthſchaft einen Reiz, den er in ſeiner ſtattlichen Prunkordnung niemals empfunden hatte.","norm":"Jedoch da Wilhelm in ihrer Gegenwart wenig von allem anderen bemerkte, ja vielmehr ihm alles, was ihr gehörte, sie berührt hatte, lieb werden musste; so fand er zuletzt in dieser verworrenen Wirtschaft einen Reiz, den er in seiner stattlichen Prunkordnung niemals empfunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":692,"orig":"Es war ihm — wenn er hier ihre Schnürbruſt wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bette legte, um ſich ſetzen zu können, wenn ſie ſelbſt mit unbefangener Freymüthigkeit manches Natürliche, das man ſonſt gegen einen andern aus Anſtand zu verheimlichen pflegt, vor ihm nicht zu verbergen ſuchte — es war ihm, ſag’ ich, als wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher würde, als wenn eine Gemeinſchaft zwiſchen ihnen durch unſichtbare Bande befeſtigt würde.","norm":"Es war ihm — wenn er hier ihre Schnürbrust wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bette legte, um sich setzen zu können, wenn sie selbst mit unbefangener Freimütigkeit manches Natürliche, das man sonst gegen einen anderen aus Anstand zu verheimlichen pflegte, vor ihm nicht zu verbergen suchte — es war ihm, sage ich, als wenn er ihr mit jedem Augenblicke näher würde, als wenn eine Gemeinschaft zwischen ihnen durch unsichtbare Bande befestigt würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":693,"orig":"Nicht eben ſo leicht konnte er die Aufführung der übrigen Schauſpieler, die er bey ſeinen erſten Beſuchen manchmal bey ihr antraf, mit ſeinen Begriffen vereinigen.","norm":"Nicht ebenso leicht konnte er die Aufführung der übrigen Schauspieler, die er bei seinen ersten Besuchen manchmal bei ihr antraf, mit seinen Begriffen vereinigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":694,"orig":"Geſchäftig im Müſſiggange ſchienen ſie an ihren Beruf und Zweck am wenigſten zu denken, über den poetiſchen Werth eines Stücks hörte er ſie niemals reden, und weder richtig noch unrichtig darüber urtheilen; es war immer nur die Frage: was wird das Stück machen?","norm":"Geschäftig im Müßiggange schienen sie an ihren Beruf und Zweck am wenigsten zu denken, über den poetischen Wert eines Stücks hörte er sie niemals reden, und weder richtig noch unrichtig darüber urteilen; es war immer nur die Frage: Was wird das Stück machen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":695,"orig":"Iſt es ein Zugſtück?","norm":"Ist es ein Zugstück?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":696,"orig":"Wie lange wird es ſpielen?","norm":"Wie lange wird es spielen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":697,"orig":"Wie oft kann es wohl gegeben werden?","norm":"Wie oft kann es wohl gegeben werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":698,"orig":"und was Fragen und Bemerkungen dieſer Art mehr waren.","norm":"und was Fragen und Bemerkungen dieser Art mehr waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":699,"orig":"Dann ging es gewöhnlich auf den Director los, daß er mit der Gage zu karg, und beſonders gegen den einen und den andern ungerecht ſey, dann auf das Publikum, daß es mit ſeinem Beyfall ſelten den rechten Mann belohne, daß das deutſche Theater ſich täglich verbeſſere, daß der Schauſpieler nach ſeinen Verdienſten immer mehr geehrt werde, und nicht genug geehrt werden könne.","norm":"Dann ging es gewöhnlich auf den Direktor los, dass er mit der Gage zu karg, und besonders gegen den einen und den anderen ungerecht sei, dann auf das Publikum, dass es mit seinem Beifall selten den rechten Mann belohne, dass das deutsche Theater sich täglich verbessere, dass der Schauspieler nach seinen Verdiensten immer mehr geehrt werde, und nicht genug geehrt werden könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":700,"orig":"Dann ſprach man viel von Kaffeehäuſern und Weingärten, und was daſelbſt vorgefallen, wieviel irgend ein Camerad Schulden habe und Abzug leiden müſſe, von Disproportion der wöchentlichen Gage, von Cabalen einer Gegenparthey, wobey denn doch zuletzt die große und verdiente Aufmerkſamkeit des Publikums wieder in Betracht kam, und der Einfluß des Theaters auf die Bildung einer Nation und der Welt nicht vergeſſen wurde.","norm":"Dann sprach man viel von Kaffeehäusern und Weingärten, und was daselbst vorgefallen, wie viel irgendein Kamerad Schulden habe und Abzug leiden müsse, von Disproportion der wöchentlichen Gage, von Kabalen einer Gegenpartei, wobei denn doch zuletzt die große und verdiente Aufmerksamkeit des Publikums wieder in Betracht kam, und der Einfluss des Theaters auf die Bildung einer Nation und der Welt nicht vergessen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":701,"orig":"Alle dieſe Dinge, die Wilhelmen ſonſt ſchon manche unruhige Stunde gemacht hatten, kamen ihm gegenwärtig wieder ins Gedächtniß, als ihn ſein Pferd langſam nach Hauſe trug, und er die verſchiedenen Vorfälle, die ihm begegnet waren, überlegte.","norm":"Alle diese Dinge, die Wilhelm sonst schon manche unruhige Stunde gemacht hatten, kamen ihm gegenwärtig wieder ins Gedächtnis, als ihn sein Pferd langsam nach Hause trug, und er die verschiedenen Vorfälle, die ihm begegnet waren, überlegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":702,"orig":"Die Bewegung, welche durch die Flucht eines Mädchens in eine gute Bürgerfamilie, ja in ein ganzes Städtchen gekommen war, hatte er mit Augen geſehen, die Scenen auf der Landſtraße und im Amthauſe, die Geſinnungen Melinas, und was ſonſt noch vorgegangen war, ſtellten ſich ihm wieder dar, und brachten ſeinen lebhaften, vordringenden Geiſt in eine Art von ſorglicher Unruhe, die er nicht lange ertrug, ſondern ſeinem Pferde die Sporen gab und nach der Stadt zueilte.","norm":"Die Bewegung, welche durch die Flucht eines Mädchens in eine gute Bürgerfamilie, ja in ein ganzes Städtchen gekommen war, hatte er mit Augen gesehen, die Szenen auf der Landstraße und im Amtshause, die Gesinnungen Melinas, und was sonst noch vorgegangen war, stellten sich ihm wieder dar, und brachten seinen lebhaften, vordringenden Geist in eine Art von sorglicher Unruhe, die er nicht lange ertrug, sondern seinem Pferde die Sporen gab und nach der Stadt zueilte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":703,"orig":"Allein auch auf dieſem Wege rannte er nur neuen Unannehmlichkeiten entgegen.","norm":"Allein auch auf diesem Wege rannte er nur neuen Unannehmlichkeiten entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":704,"orig":"Werner, ſein Freund und vermuthlicher Schwager, wartete auf ihn, um ein ernſthaftes, bedeutendes und unerwartetes Geſpräch mit ihm anzufangen.","norm":"Werner, sein Freund und vermutlicher Schwager, wartete auf ihn, um ein ernsthaftes, bedeutendes und unerwartetes Gespräch mit ihm anzufangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":705,"orig":"Werner war einer von den geprüften, in ihrem Daſeyn beſtimmten Leuten, die man gewöhnlich kalte Leute zu nennen pflegt, weil ſie bey Anläſſen weder ſchnell noch ſichtlich auflodern; auch war ſein Umgang mit Wilhelmen ein anhaltender Zwiſt, wodurch ſich ihre Liebe aber nur deſto feſter knüpfte: denn ungeachtet ihrer verſchiedenen Denkungsart fand jeder ſeine Rechnung bey dem andern.","norm":"Werner war einer von den geprüften, in ihrem Dasein bestimmten Leuten, die man gewöhnlich kalte Leute zu nennen pflegt, weil sie bei Anlässen weder schnell noch sichtlich auflodern; auch war sein Umgang mit Wilhelm ein anhaltender Zwist, wodurch sich ihre Liebe aber nur desto fester knüpfte: denn ungeachtet ihrer verschiedenen Denkungsart fand jeder seine Rechnung bei dem anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":706,"orig":"Werner that ſich darauf etwas zu gute, daß er dem vortrefflichen, obgleich gelegentlich ausſchweifenden Geiſt Wilhelms mit unter Zügel und Gebiß anzulegen ſchien, und Wilhelm fühlte oft einen herrlichen Triumph, wenn er ſeinen bedächtlichen Freund in warmer Aufwallung mit ſich fortnahm.","norm":"Werner tat sich darauf etwas zugute, dass er dem vortrefflichen, obgleich gelegentlich ausschweifenden Geist Wilhelms mitunter Zügel und Gebiss anzulegen schien, und Wilhelm fühlte oft einen herrlichen Triumph, wenn er seinen bedächtigen Freund in warmer Aufwallung mit sich fortnahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":707,"orig":"So übte ſich einer an dem andern, ſie wurden gewohnt ſich täglich zu ſehen, und man hätte ſagen ſollen, das Verlangen einander zu finden, ſich mit einander zu beſprechen, ſey durch die Unmöglichkeit, einander verſtändlich zu werden, vermehrt worden.","norm":"So übte sich einer an dem anderen, sie wurden gewohnt sich täglich zu sehen, und man hätte sagen sollen, das Verlangen einander zu finden, sich miteinander zu besprechen, sei durch die Unmöglichkeit, einander verständlich zu werden, vermehrt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":708,"orig":"Im Grunde aber gingen ſie doch, weil ſie beide gute Menſchen waren, neben einander, mit einander nach Einem Ziel, und konnten niemals begreifen, warum denn keiner den andern auf ſeine Geſinnung reduciren könne.","norm":"Im Grunde aber gingen sie doch, weil sie beide gute Menschen waren, nebeneinander, miteinander nach einem Ziel, und konnten niemals begreifen, warum denn keiner den anderen auf seine Gesinnung reduzieren könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":709,"orig":"Werner bemerkte ſeit einiger Zeit, daß Wilhelms Beſuche ſeltner wurden, daß er in Lieblingsmaterien kurz und zerſtreut abbrach, daß er ſich nicht mehr in lebhafte Ausbildung ſeltſamer Vorſtellungen vertiefte, an welcher ſich freylich ein freyes, in der Gegenwart des Freundes Ruhe und Zufriedenheit findendes Gemüth am ſicherſten erkennen läßt.","norm":"Werner bemerkte seit einiger Zeit, dass Wilhelms Besuche seltener wurden, dass er in Lieblingsmaterien kurz und zerstreut abbrach, dass er sich nicht mehr in lebhafte Ausbildung seltsamer Vorstellungen vertiefte, an welcher sich freilich ein freies, in der Gegenwart des Freundes Ruhe und Zufriedenheit findendes Gemüt am sichersten erkennen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":710,"orig":"Der pünktliche und bedächtige Werner ſuchte anfangs den Fehler in ſeinem eignen Betragen, bis ihn einige Stadtgeſpräche auf die rechte Spur brachten, und einige Unvorſichtigkeiten Wilhelms ihn der Gewißheit näher führten.","norm":"Der pünktliche und bedächtige Werner suchte anfangs den Fehler in seinem eigenen Betragen, bis ihn einige Stadtgespräche auf die rechte Spur brachten, und einige Unvorsichtigkeiten Wilhelms ihn der Gewissheit näher führten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":711,"orig":"Er ließ ſich auf eine Unterſuchung ein, und entdeckte gar bald, daß Wilhelm vor einiger Zeit eine Schauſpielerin öffentlich beſucht, mit ihr auf dem Theater geſprochen und ſie nach Hauſe gebracht habe; er wäre troſtlos geweſen, wenn ihm auch die nächtlichen Zuſammenkünfte bekannt geworden wären; denn er hörte, daß Mariane ein verführeriſches Mädchen ſey, die ſeinen Freund wahrſcheinlich ums Geld bringe, und ſich noch nebenher von dem unwürdigſten Liebhaber unterhalten laſſe.","norm":"Er ließ sich auf eine Untersuchung ein, und entdeckte gar bald, dass Wilhelm vor einiger Zeit eine Schauspielerin öffentlich besucht, mit ihr auf dem Theater gesprochen und sie nach Hause gebracht habe; er wäre trostlos gewesen, wenn ihm auch die nächtlichen Zusammenkünfte bekannt geworden wären; denn er hörte, dass Mariane ein verführerisches Mädchen sei, die seinen Freund wahrscheinlich um das Geld bringe, und sich noch nebenher von dem unwürdigsten Liebhaber unterhalten lasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":712,"orig":"Sobald er ſeinen Verdacht ſo viel möglich zur Gewißheit erhoben, beſchloß er einen Angriff auf Wilhelmen, und war mit allen Anſtalten völlig in Bereitſchaft, als dieſer eben verdrießlich und verſtimmt von ſeiner Reiſe zurückkam.","norm":"Sobald er seinen Verdacht soviel möglich zur Gewissheit erhoben, beschloss er einen Angriff auf Wilhelm, und war mit allen Anstalten völlig in Bereitschaft, als dieser eben verdrießlich und verstimmt von seiner Reise zurückkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":713,"orig":"Werner trug ihm noch denſelbigen Abend alles, was er wußte, erſt gelaſſen, dann mit dem dringenden Ernſte einer wohldenkenden Freundſchaft vor, ließ keinen Zug unbeſtimmt, und gab ſeinem Freunde alle die Bitterkeiten zu koſten, die ruhige Menſchen an Liebende mit tugendhafter Schadenfreude ſo freygebig auszuſpenden pflegen.","norm":"Werner trug ihm noch denselbigen Abend alles, was er wusste, erst gelassen, dann mit dem dringenden Ernste einer wohldenkenden Freundschaft vor, ließ keinen Zug unbestimmt, und gab seinem Freunde alle die Bitterkeiten zu kosten, die ruhige Menschen an Liebende mit tugendhafter Schadenfreude so freigebig auszuspenden pflegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":714,"orig":"Aber wie man ſich denken kann, richtete er wenig aus.","norm":"Aber wie man sich denken kann, richtete er wenig aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":715,"orig":"Wilhelm verſetzte mit inniger Bewegung, doch mit großer Sicherheit: du kennſt das Mädchen nicht, der Schein iſt vielleicht nicht zu ihrem Vortheil, aber ich bin ihrer Treue und Tugend ſo gewiß als meiner Liebe.","norm":"Wilhelm versetzte mit inniger Bewegung, doch mit großer Sicherheit: Du kennst das Mädchen nicht, der Schein ist vielleicht nicht zu ihrem Vorteil, aber ich bin ihrer Treue und Tugend so gewiss als meiner Liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":716,"orig":"Werner beharrte auf ſeiner Anklage, und erbot ſich zu Beweiſen und Zeugen.","norm":"Werner beharrte auf seiner Anklage, und erbot sich zu Beweisen und Zeugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":717,"orig":"Wilhelm verwarf ſie, und entfernte ſich von ſeinem Freunde verdrießlich und erſchüttert, wie einer, dem ein ungeſchickter Zahnarzt einen ſchadhaft feſtſitzenden Zahn gefaßt und vergebens daran geruckt hat.","norm":"Wilhelm verwarf sie, und entfernte sich von seinem Freunde verdrießlich und erschüttert, wie einer, dem ein ungeschickter Zahnarzt einen schadhaft festsitzenden Zahn gefasst und vergebens daran gerückt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":718,"orig":"Höchſt unbehaglich fand ſich Wilhelm, das ſchöne Bild Marianens erſt durch die Grillen der Reiſe, dann durch Werners Unfreundlichkeit in ſeiner Seele getrübt und beynahe entſtellt zu ſehen.","norm":"Höchst unbehaglich fand sich Wilhelm, das schöne Bild Marianes erst durch die Grillen der Reise, dann durch Werners Unfreundlichkeit in seiner Seele getrübt und beinahe entstellt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":719,"orig":"Er griff zum ſicherſten Mittel, ihm die völlige Klarheit und Schönheit wieder herzuſtellen, indem er Nachts auf den gewöhnlichen Wegen zu ihr hineilte.","norm":"Er griff zum sichersten Mittel, ihm die völlige Klarheit und Schönheit wiederherzustellen, indem er Nachts auf den gewöhnlichen Wegen zu ihr hineilte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":720,"orig":"Sie empfing ihn mit lebhafter Freude; denn er war bey ſeiner Ankunft vorbey geritten, ſie hatte ihn dieſe Nacht erwartet, und es läßt ſich denken, daß alle Zweifel bald aus ſeinem Herzen vertrieben wurden.","norm":"Sie empfing ihn mit lebhafter Freude; denn er war bei seiner Ankunft vorbeigeritten, sie hatte ihn diese Nacht erwartet, und es lässt sich denken, dass alle Zweifel bald aus seinem Herzen vertrieben wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":721,"orig":"Ja ihre Zärtlichkeit ſchloß ſein ganzes Vertrauen wieder auf, und er erzählte ihr, wie ſehr ſich das Publikum, wie ſehr ſich ſein Freund an ihr verſündiget.","norm":"Ja ihre Zärtlichkeit schloss sein ganzes Vertrauen wieder auf, und er erzählte ihr, wie sehr sich das Publikum, wie sehr sich sein Freund an ihr versündiget."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":722,"orig":"Mancherley lebhafte Geſpräche führten ſie auf die erſten Zeiten ihrer Bekanntſchaft, deren Erinnerung eine der ſchönſten Unterhaltungen zweyer Liebenden bleibt.","norm":"Mancherlei lebhafte Gespräche führten sie auf die ersten Zeiten ihrer Bekanntschaft, deren Erinnerung eine der schönsten Unterhaltungen zweier Liebenden bleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":723,"orig":"Die erſten Schritte, die uns in den Irrgarten der Liebe bringen, ſind ſo angenehm, die erſten Ausſichten ſo reizend, daß man ſie gar zu gern in ſein Gedächtniß zurück ruft.","norm":"Die ersten Schritte, die uns in den Irrgarten der Liebe bringen, sind so angenehm, die ersten Aussichten so reizend, dass man sie gar zu gern in sein Gedächtnis zurückruft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":724,"orig":"Jeder Theil ſucht einen Vorzug vor dem andern zu behalten; er habe früher, uneigennütziger geliebt, und jedes wünſcht in dieſem Wettſtreite lieber überwunden zu werden, als zu überwinden.","norm":"Jeder Teil sucht einen Vorzug vor dem anderen zu behalten; er habe früher, uneigennütziger geliebt, und jedes wünscht in diesem Wettstreit lieber überwunden zu werden, als zu überwinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":725,"orig":"Wilhelm wiederholte Marianen, was ſie ſchon ſo oft gehört hatte, daß ſie bald ſeine Aufmerkſamkeit von dem Schauſpiel ab und auf ſich allein gezogen habe, daß ihre Geſtalt, ihr Spiel, ihre Stimme ihn gefeſſelt, wie er zuletzt nur die Stücke, in denen ſie geſpielt, beſucht habe, wie er endlich aufs Theater geſchlichen ſey, oft, ohne von ihr bemerkt zu werden, neben ihr geſtanden habe; dann ſprach er mit Entzücken von dem glücklichen Abende, an dem er eine Gelegenheit gefunden, ihr eine Gefälligkeit zu erzeigen, und ein Geſpräch einzuleiten.","norm":"Wilhelm wiederholte Mariane, was sie schon so oft gehört hatte, dass sie bald seine Aufmerksamkeit von dem Schauspiel ab und auf sich allein gezogen habe, dass ihre Gestalt, ihr Spiel, ihre Stimme ihn gefesselt, wie er zuletzt nur die Stücke, in denen sie gespielt, besucht habe, wie er endlich aufs Theater geschlichen sei, oft, ohne von ihr bemerkt zu werden, neben ihr gestanden habe; dann sprach er mit Entzücken von dem glücklichen Abende, an dem er eine Gelegenheit gefunden, ihr eine Gefälligkeit zu erzeigen, und ein Gespräch einzuleiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":726,"orig":"Mariane dagegen wollte nicht Wort haben, daß ſie ihn ſo lange nicht bemerkt hätte; ſie behauptete, ihn ſchon auf dem Spaziergange geſehen zu haben, und bezeichnete ihm zum Beweis das Kleid, das er am ſelbigen Tage angehabt; ſie behauptete, daß er ihr damals vor allen andern gefallen, und daß ſie ſeine Bekanntſchaft gewünſcht habe.","norm":"Mariane dagegen wollte nicht Wort haben, dass sie ihn so lange nicht bemerkt hätte; sie behauptete, ihn schon auf dem Spaziergange gesehen zu haben, und bezeichnete ihm zum Beweis das Kleid, das er am selbigen Tage angehabt; sie behauptete, dass er ihr damals vor allen anderen gefallen, und dass sie seine Bekanntschaft gewünscht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":727,"orig":"Wie gern glaubte Wilhelm das alles!","norm":"Wie gern glaubte Wilhelm das alles!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":728,"orig":"wie gern ließ er ſich überreden, daß ſie zu ihm, als er ſich ihr genähert, durch einen unwiderſtehlichen Zug hingeführt worden, daß ſie abſichtlich zwiſchen die Couliſſen neben ihn getreten ſey, um ihn näher zu ſehen, und Bekanntſchaft mit ihm zu machen, und daß ſie zuletzt, da ſeine Zurückhaltung und Blödigkeit nicht zu überwinden geweſen, ihm ſelbſt Gelegenheit gegeben, und ihn gleichſam genöthigt habe, ein Glas Limonade herbeyzuholen.","norm":"wie gern ließ er sich überreden, dass sie zu ihm, als er sich ihr genähert, durch einen unwiderstehlichen Zug hingeführt worden, dass sie absichtlich zwischen die Kulissen neben ihn getreten sei, um ihn näher zu sehen, und Bekanntschaft mit ihm zu machen, und dass sie zuletzt, da seine Zurückhaltung und Blödigkeit nicht zu überwinden gewesen, ihm selbst Gelegenheit gegeben, und ihn gleichsam genötigt habe, ein Glas Limonade herbeizuholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":729,"orig":"Unter dieſem liebevollen Wettſtreit, den ſie durch alle kleine Umſtände ihres kurzen Romans verfolgten, vergingen ihnen die Stunden ſehr ſchnell, und Wilhelm verließ völlig beruhigt ſeine Geliebte, mit dem feſten Vorſatze, ſein Vorhaben unverzüglich ins Werk zu richten.","norm":"Unter diesem liebevollen Wettstreit, den sie durch alle kleine Umstände ihres kurzen Romans verfolgten, vergingen ihnen die Stunden sehr schnell, und Wilhelm verließ völlig beruhigt seine Geliebte, mit dem festen Vorsatze, sein Vorhaben unverzüglich ins Werk zu richten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":730,"orig":"Was zu ſeiner Abreiſe nöthig war, hatten Vater und Mutter beſorgt, nur einige Kleinigkeiten, die an der Equipage fehlten, verzögerten ſeinen Aufbruch um einige Tage.","norm":"Was zu seiner Abreise nötig war, hatten Vater und Mutter besorgt, nur einige Kleinigkeiten, die an der Equipage fehlten, verzögerten seinen Aufbruch um einige Tage."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":731,"orig":"Wilhelm benutzte dieſe Zeit, um an Marianen einen Brief zu ſchreiben, wodurch er die Angelegenheit endlich zur Sprache bringen wollte, über welche ſie ſich mit ihm zu unterhalten bisher immer vermieden hatte.","norm":"Wilhelm benutzte diese Zeit, um an Mariane einen Brief zu schreiben, wodurch er die Angelegenheit endlich zur Sprache bringen wollte, über welche sie sich mit ihm zu unterhalten bisher immer vermieden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":732,"orig":"Folgendermaßen lautete der Brief:","norm":"Folgendermaßen lautete der Brief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":733,"orig":"„Unter der lieben Hülle der Nacht, die mich ſonſt in deinen Armen bedeckte, ſitze ich und denke und ſchreibe an dich, und was ich ſinne und treibe, iſt nur um deinetwillen.","norm":"„Unter der lieben Hülle der Nacht, die mich sonst in Deinen Armen bedeckte, sitze ich und denke und schreibe an Dich, und was ich sinne und treibe, ist nur um Deinetwillen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":734,"orig":"O Mariane!","norm":"O Mariane!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":735,"orig":"mir, dem glücklichſten unter den Männern, iſt es wie einem Bräutigam, der ahndungsvoll, welch’ eine neue Welt ſich in ihm und durch ihn entwickeln wird, auf den feſtlichen Teppichen ſteht, und, während der heiligen Zeremonien, ſich gedankenvoll lüſtern vor die geheimnißreichen Vorhänge verſetzt, woher ihm die Lieblichkeit der Liebe entgegen ſäuſelt.","norm":"mir, dem glücklichsten unter den Männern, ist es wie einem Bräutigam, der ahnungsvoll, welch eine neue Welt sich in ihm und durch ihn entwickeln wird, auf den festlichen Teppichen steht, und, während der heiligen Zeremonien, sich gedankenvoll lüstern vor die geheimnisreichen Vorhänge versetzt, woher ihm die Lieblichkeit der Liebe entgegensäuselt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":736,"orig":"Ich habe über mich gewonnen, dich in einigen Tagen nicht zu ſehen, es war leicht in Hoffnung einer ſolchen Entſchädigung, ewig mit dir zu ſeyn, ganz der deinige zu bleiben!","norm":"Ich habe über mich gewonnen, Dich in einigen Tagen nicht zu sehen, es war leicht in Hoffnung einer solchen Entschädigung, ewig mit Dir zu sein, ganz der Deinige zu bleiben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":737,"orig":"Soll ich wiederholen was ich wünſche?","norm":"Soll ich wiederholen was ich wünsche?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":738,"orig":"und doch iſt es nöthig; denn es ſcheint, als habeſt du mich bisher nicht verſtanden.","norm":"und doch ist es nötig; denn es scheint, als habest du mich bisher nicht verstanden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":739,"orig":"Wie oft habe ich mit leiſen Tönen der Treue, die, weil ſie alles zu halten wünſcht, wenig zu ſagen wagt, an deinem Herzen geforſcht nach dem Verlangen einer ewigen Verbindung, Verſtanden haſt du mich gewiß, denn in deinem Herzen muß eben der Wunſch keimen; vernommen haſt du mich in jedem Kuſſe, in der anſchmiegenden Ruhe jener glücklichen Abende.","norm":"Wie oft habe ich mit leisen Tönen der Treue, die, weil sie alles zu halten wünscht, wenig zu sagen wagt, an Deinem Herzen geforscht nach dem Verlangen einer ewigen Verbindung, verstanden hast du mich gewiss, denn in Deinem Herzen muss eben der Wunsch keimen; vernommen hast du mich in jedem Kusse, in der anschmiegenden Ruhe jener glücklichen Abende."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":740,"orig":"Da lernt ich deine Beſcheidenheit kennen, und wie vermehrte ſich meine Liebe!","norm":"Da lernte ich Deine Bescheidenheit kennen, und wie vermehrte sich meine Liebe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":741,"orig":"Wo eine andere ſich künſtlich betragen hätte, um durch überflüſſigen Sonnenſchein einen Entſchluß in dem Herzen ihres Liebhabers zur Reife zu bringen, eine Erklärung hervor zu locken, und ein Verſprechen zu befeſtigen, eben da ziehſt du dich zurück, ſchließeſt die halbgeöffnete Bruſt deines Geliebten wieder zu, und ſuchſt durch eine anſcheinende Gleichgültigkeit deine Beyſtimmung zu verbergen; aber ich verſtehe dich!","norm":"Wo eine andere sich künstlich betragen hätte, um durch überflüssigen Sonnenschein einen Entschluss in dem Herzen ihres Liebhabers zur Reife zu bringen, eine Erklärung hervorzulocken, und ein Versprechen zu befestigen, eben da ziehst Du Dich zurück, schließt die halbgeöffnete Brust Deines Geliebten wieder zu, und suchst durch eine anscheinende Gleichgültigkeit Deine Beistimmung zu verbergen; aber ich verstehe Dich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":742,"orig":"Welch ein Elender müßte ich ſeyn, wenn ich an dieſen Zeichen die reine, uneigennützige, nur für den Freund beſorgte Liebe nicht erkennen wollte!","norm":"Welch ein Elender müsste ich sein, wenn ich an diesen Zeichen die reine, uneigennützige, nur für den Freund besorgte Liebe nicht erkennen wollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":743,"orig":"Vertraue mir und ſey ruhig.","norm":"Vertraue mir und sei ruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":744,"orig":"Wir gehören einander an, und keins von beiden verläßt oder verliert etwas, wenn wir für einander leben.","norm":"Wir gehören einander an, und keins von beiden verlässt oder verliert etwas, wenn wir füreinander leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":745,"orig":"Nimm ſie hin, dieſe Hand!","norm":"Nimm sie hin, diese Hand!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":746,"orig":"feyerlich noch dieß überflüſſige Zeichen.","norm":"feierlich noch dies überflüssige Zeichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":747,"orig":"Alle Freuden der Liebe haben wir empfunden, aber es ſind neue Seligkeiten in dem beſtätigten Gedanken der Dauer.","norm":"Alle Freuden der Liebe haben wir empfunden, aber es sind neue Seligkeiten in dem bestätigten Gedanken der Dauer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":748,"orig":"Frage nicht wie?","norm":"Frage nicht wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":749,"orig":"Sorge nicht!","norm":"Sorge nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":750,"orig":"Das Schickſal ſorgt für die Liebe, und um ſo gewiſſer, da Liebe genügſam iſt.","norm":"Das Schicksal sorgt für die Liebe, und um so gewisser, da Liebe genügsam ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":751,"orig":"Mein Herz hat ſchon lange meiner Eltern Haus verlaſſen, es iſt bey dir, wie mein Geiſt auf der Bühne ſchwebt.","norm":"Mein Herz hat schon lange meiner Eltern Haus verlassen, es ist bei Dir, wie mein Geist auf der Bühne schwebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":752,"orig":"O meine Geliebte!","norm":"O meine Geliebte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":753,"orig":"iſt wohl einem Menſchen ſo gewährt, ſeine Wünſche zu verbinden, wie mir?","norm":"ist wohl einem Menschen so gewährt, seine Wünsche zu verbinden, wie mir?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":754,"orig":"Kein Schlaf kömmt in meine Augen, und wie eine ewige Morgenröthe ſteigt deine Liebe und dein Glück vor mir auf und ab.","norm":"Kein Schlaf kommt in meine Augen, und wie eine ewige Morgenröte steigt Deine Liebe und Dein Glück vor mir auf und ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":755,"orig":"Kaum daß ich mich halte, nicht auffahre, zu dir hinrenne und mir deine Einwilligung erzwinge, und gleich morgen frühe weiter in die Welt nach meinem Ziele hinſtrebe.","norm":"Kaum dass ich mich halte, nicht auffahre, zu Dir hinrenne und mir Deine Einwilligung erzwinge, und gleich morgen frühe weiter in die Welt nach meinem Ziele hinstrebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":756,"orig":"— Nein, ich will mich bezwingen!","norm":"— Nein, ich will mich bezwingen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":757,"orig":"ich will nicht unbeſonnen thörigte, verwegene Schritte thun; mein Plan iſt entworfen, und ich will ihn ruhig ausführen.","norm":"Ich will nicht unbesonnen törichte, verwegene Schritte tun; mein Plan ist entworfen, und ich will ihn ruhig ausführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":758,"orig":"Ich bin mit Director Serlo bekannt, meine Reiſe geht gerade zu ihm, er hat vor einem Jahre oft ſeinen Leuten etwas von meiner Lebhaftigkeit und Freude am Theater gewünſcht, und ich werde ihm gewiß willkommen ſeyn; denn bey eurer Truppe möchte ich aus mehr als einer Urſache nicht eintreten, auch ſpielt Serlo ſo weit von hier, daß ich anfangs meinen Schritt verbergen kann.","norm":"Ich bin mit Direktor Serlo bekannt, meine Reise geht gerade zu ihm, er hat vor einem Jahre oft seinen Leuten etwas von meiner Lebhaftigkeit und Freude am Theater gewünscht, und ich werde ihm gewiss willkommen sein; denn bei Eurer Truppe möchte ich aus mehr als einer Ursache nicht eintreten, auch spielt Serlo so weit von hier, dass ich anfangs meinen Schritt verbergen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":759,"orig":"Einen leidlichen Unterhalt finde ich da gleich, ich ſehe mich in dem Publiko um, lerne die Geſellſchaft kennen, und hole dich nach.","norm":"Einen leidlichen Unterhalt finde ich da gleich, ich sehe mich in dem Publikum um, lerne die Gesellschaft kennen, und hole Dich nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":760,"orig":"Mariane du ſiehſt, was ich über mich gewinnen kann, um dich gewiß zu haben; denn dich ſo lange nicht zu ſehen, dich in der weiten Welt zu wiſſen!","norm":"Mariane du siehst, was ich über mich gewinnen kann, um Dich gewiss zu haben; denn Dich so lange nicht zu sehen, Dich in der weiten Welt zu wissen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":761,"orig":"recht lebhaft darf ich mir’s nicht denken.","norm":"recht lebhaft darf ich mir es nicht denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":762,"orig":"Wenn ich mir dann aber wieder deine Liebe vorſtelle, die mich vor allem ſichert, wenn du meine Bitte nicht verſchmähſt, ehe wir uns ſcheiden, und du mir deine Hand vor dem Prieſter reichſt; ſo werde ich ruhig gehen.","norm":"Wenn ich mir dann aber wieder Deine Liebe vorstelle, die mich vor allem sichert, wenn du meine Bitte nicht verschmähst, ehe wir uns scheiden, und du mir Deine Hand vor dem Priester reichst; so werde ich ruhig gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":763,"orig":"Es iſt nur eine Formel unter uns, aber eine ſo ſchöne Formel, der Seegen des Himmels zu dem Seegen der Erde.","norm":"Es ist nur eine Formel unter uns, aber eine so schöne Formel, der Segen des Himmels zu dem Segen der Erde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":764,"orig":"In der Nachbarſchaft, im ritterſchaftlichen, geht es leicht und heimlich an.","norm":"In der Nachbarschaft, im Ritterschaftlichen, geht es leicht und heimlich an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":765,"orig":"Für den Anfang habe ich Geld genug, wir wollen theilen, es wird für uns beide hinreichen; ehe das verzehrt iſt, wird der Himmel weiter helfen.","norm":"Für den Anfang habe ich Geld genug, wir wollen teilen, es wird für uns beide hinreichen; ehe das verzehrt ist, wird der Himmel weiterhelfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":766,"orig":"Ja, Liebſte, es iſt mir gar nicht bange.","norm":"Ja, Liebste, es ist mir gar nicht bange."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":767,"orig":"Was mit ſo viel Fröhlichkeit begonnen wird, muß ein glückliches Ende erreichen.","norm":"Was mit so viel Fröhlichkeit begonnen wird, muss ein glückliches Ende erreichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":768,"orig":"Ich habe nie gezweifelt, daß man ſein Fortkommen in der Welt finden könne, wenn es einem Ernſt iſt, und ich fühle Muth genug für zwey, ja für mehrere einen reichlichen Unterhalt zu gewinnen.","norm":"Ich habe nie gezweifelt, dass man sein Fortkommen in der Welt finden könne, wenn es einem Ernst ist, und ich fühle Mut genug für zwei, ja für mehrere einen reichlichen Unterhalt zu gewinnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":769,"orig":"Die Welt iſt undankbar, ſagen viele, ich habe noch nicht gefunden, daß ſie undankbar ſey, wenn man auf die rechte Art etwas für ſie zu thun weiß.","norm":"Die Welt ist undankbar, sagen viele, ich habe noch nicht gefunden, dass sie undankbar sei, wenn man auf die rechte Art etwas für sie zu tun weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":770,"orig":"Mir glüht die ganze Seele bey dem Gedanken, endlich einmal aufzutreten und den Menſchen in das Herz hinein zu reden, was ſie ſich ſo lange zu hören ſehnen.","norm":"Mir glüht die ganze Seele bei dem Gedanken, endlich einmal aufzutreten und den Menschen in das Herz hineinzureden, was sie sich so lange zu hören sehnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":771,"orig":"Wie tauſendmal iſt es freylich mir, der ich von der Herrlichkeit des Theaters ſo eingenommen bin, bang durch die Seele gegangen, wenn ich die elendeſten geſehen habe ſich einbilden, ſie könnten uns ein großes treffliches Wort ans Herz reden.","norm":"Wie tausendmal ist es freilich mir, der ich von der Herrlichkeit des Theaters so eingenommen bin, bang durch die Seele gegangen, wenn ich die Elendesten gesehen habe sich einbilden, sie könnten uns ein großes treffliches Wort ans Herz reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":772,"orig":"Ein Ton, der durch die Fiſtel gezwungen wird, klingt viel beſſer und reiner; es iſt unerhört, wie ſich dieſe Burſche in ihrer groben Ungeſchicklichkeit verſündigen.","norm":"Ein Ton, der durch die Fistel gezwungen wird, klingt viel besser und reiner; es ist unerhört, wie sich diese Burschen in ihrer groben Ungeschicklichkeit versündigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":773,"orig":"Das Theater hat oft einen Streit mit der Kanzel gehabt, ſie ſollten, dünkt mich, nicht mit einander hadern.","norm":"Das Theater hat oft einen Streit mit der Kanzel gehabt, sie sollten, dünkt mich, nicht miteinander hadern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":774,"orig":"Wie ſehr wäre zu wünſchen, daß an beiden Orten nur durch edle Menſchen Gott und Natur verherrlicht würden!","norm":"Wie sehr wäre zu wünschen, dass an beiden Orten nur durch edle Menschen Gott und Natur verherrlicht würden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":775,"orig":"Es ſind keine Träume, meine Liebſte.","norm":"Es sind keine Träume, meine Liebste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":776,"orig":"Wie ich an deinem Herzen habe fühlen können, daß du in Liebe biſt; ſo ergreife ich auch den glänzenden Gedanken und ſage — ich wills nicht ausſagen, aber hoffen will ich, daß wir einſt als ein Paar gute Geiſter den Menſchen erſcheinen werden, ihre Herzen aufzuſchlieſſen, ihre Gemüther zu berühren, und ihnen himmliſche Genüſſe zu bereiten, ſo gewiß mir an deinem Buſen Freuden gewährt waren, die immer himmliſch genennt werden müſſen, weil wir uns in jenen Augenblicken aus uns ſelbſt gerückt, über uns ſelbſt erhaben fühlen.","norm":"Wie ich an Deinem Herzen habe fühlen können, dass du in Liebe bist; so ergreife ich auch den glänzenden Gedanken und sage — ich will es nicht aussagen, aber hoffen will ich, dass wir einst als ein Paar gute Geister den Menschen erscheinen werden, ihre Herzen aufzuschließen, ihre Gemüter zu berühren, und ihnen himmlische Genüsse zu bereiten, so gewiss mir an Deinem Busen Freuden gewährt waren, die immer himmlisch genannt werden müssen, weil wir uns in jenen Augenblicken aus uns selbst gerückt, über uns selbst erhaben fühlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":777,"orig":"Ich kann nicht ſchließen, ich habe ſchon zu viel geſagt, und weiß nicht, ob ich dir ſchon alles geſagt habe, alles was dich angeht; denn die Bewegung des Rades, das ſich in meinem Herzen dreht, ſind keine Worte vermögend auszudrücken.","norm":"Ich kann nicht schließen, ich habe schon zu viel gesagt, und weiß nicht, ob ich Dir schon alles gesagt habe, alles was Dich angeht; denn die Bewegung des Rades, das sich in meinem Herzen dreht, sind keine Worte vermögend auszudrücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":778,"orig":"Nimm dieſes Blatt indeß, meine Liebe, ich habe es wieder durchgeleſen und finde, daß ich von vorne anfangen ſollte, doch enthält es alles, was du zu wiſſen nöthig haſt, was dir Vorbereitung iſt, wenn ich bald mit Fröhlichkeit der ſüßen Liebe an deinen Buſen zurückkehre.","norm":"Nimm dieses Blatt indes, meine Liebe, ich habe es wieder durchgelesen und finde, dass ich von vorne anfangen sollte, doch enthält es alles, was du zu wissen nötig hast, was Dir Vorbereitung ist, wenn ich bald mit Fröhlichkeit der süßen Liebe an Deinen Busen zurückkehre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":779,"orig":"Ich komme mir vor wie ein Gefangener, der in einem Kerker lauſchend ſeine Feſſeln abfeilt; ich ſage gute Nacht meinen ſorglos ſchlafenden Eltern.","norm":"Ich komme mir vor wie ein Gefangener, der in einem Kerker lauschend seine Fesseln abfeilt; Ich sage gute Nacht meinen sorglos schlafenden Eltern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":780,"orig":"— Lebe wohl, Geliebte!","norm":"— Lebe wohl, Geliebte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":781,"orig":"Lebe wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":782,"orig":"Für dießmal ſchließ ich; die Augen ſind mir zwey, dreymal zugefallen, es iſt ſchon tief in der Nacht.","norm":"Für diesmal schließe ich; die Augen sind mir zwei, dreimal zugefallen, es ist schon tief in der Nacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":783,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":784,"orig":"Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm, ſeinen Brief ſchön gefaltet in der Taſche, ſich zu Marianen hinſehnte, auch war es kaum düſter geworden, als er ſich wider ſeine Gewohnheit nach ihrer Wohnung hinſchlich.","norm":"Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm, seinen Brief schön gefaltet in der Tasche, sich zu Mariane hinsehnte, auch war es kaum düster geworden, als er sich wider seine Gewohnheit nach ihrer Wohnung hinschlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":785,"orig":"Sein Plan war: ſich auf die Nacht anzumelden, ſeine Geliebte auf kurze Zeit wieder zu verlaſſen, ihr, eh’ er wegginge, den Brief in die Hand zu drücken, und bey ſeiner Rückkehr in tiefer Nacht ihre Antwort, ihre Einwilligung zu erhalten, oder durch die Macht ſeiner Liebkoſungen zu erzwingen.","norm":"Sein Plan war: sich auf die Nacht anzumelden, seine Geliebte auf kurze Zeit wieder zu verlassen, ihr, ehe er wegginge, den Brief in die Hand zu drücken, und bei seiner Rückkehr in tiefer Nacht ihre Antwort, ihre Einwilligung zu erhalten, oder durch die Macht seiner Liebkosungen zu erzwingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":786,"orig":"Er flog in ihre Arme, und konnte ſich an ihrem Buſen kaum wieder faſſen.","norm":"Er flog in ihre Arme, und konnte sich an ihrem Busen kaum wieder fassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":787,"orig":"Die Lebhaftigkeit ſeiner Empfindungen verbarg ihm anfangs, daß ſie nicht wie ſonſt mit Herzlichkeit antwortete; doch konnte ſie einen ängſtlichen Zuſtand nicht lange verbergen, ſie ſchützte eine Krankheit, eine Unpäßlichkeit vor, ſie beklagte ſich über Kopfweh, ſie wollte ſich auf den Vorſchlag, daß er heute Nacht wieder kommen wolle, nicht einlaſſen.","norm":"Die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen verbarg ihm anfangs, dass sie nicht wie sonst mit Herzlichkeit antwortete; doch konnte sie einen ängstlichen Zustand nicht lange verbergen, sie schützte eine Krankheit, eine Unpässlichkeit vor, sie beklagte sich über Kopfweh, sie wollte sich auf den Vorschlag, dass er heute Nacht wiederkommen wolle, nicht einlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":788,"orig":"Er ahndete nichts Böſes, drang nicht weiter in ſie; fühlte aber, daß es nicht die Stunde ſey, ihr ſeinen Brief zu übergeben.","norm":"Er ahnte nichts Böses, drang nicht weiter in sie; fühlte aber, dass es nicht die Stunde sei, ihr seinen Brief zu übergeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":789,"orig":"Er behielt ihn bey ſich, und da verſchiedene ihrer Bewegungen und Reden ihn auf eine höfliche Weiſe wegzugehen nöthigten, ergriff er im Taumel ſeiner ungenügſamen Liebe eines ihrer Halstücher, ſteckte es in die Taſche, und verließ wider Willen ihre Lippen und ihre Thüre.","norm":"Er behielt ihn bei sich, und da verschiedene ihrer Bewegungen und Reden ihn auf eine höfliche Weise wegzugehen nötigten, ergriff er im Taumel seiner ungenügsamen Liebe eines ihrer Halstücher, steckte es in die Tasche, und verließ wider Willen ihre Lippen und ihre Türe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":790,"orig":"Er ſchlich nach Hauſe, konnte aber auch da nicht lange bleiben, kleidete ſich um, und ſuchte wieder die freye Luft.","norm":"Er schlich nach Hause, konnte aber auch da nicht lange bleiben, kleidete sich um, und suchte wieder die freie Luft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":791,"orig":"Als er einige Straßen auf und abgegangen war, begegnete ihm ein Unbekannter, der nach einen gewiſſen Gaſthofe fragte;","norm":"Als er einige Straßen auf und abgegangen war, begegnete ihm ein Unbekannter, der nach einen gewissen Gasthofe fragte;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":792,"orig":"Wilhelm erbot ſich, ihm das Haus zu zeigen; der Fremde erkundigte ſich nach dem Nahmen der Straße, nach den Beſitzern verſchiedener großer Gebäude, vor denen ſie vorbey gingen, ſodann nach einigen Polizey – Einrichtungen der Stadt, und ſie waren in einem ganz intereſſanten Geſpräche begriffen, als ſie am Thore des Wirthshauſes ankamen.","norm":"Wilhelm erbot sich, ihm das Haus zu zeigen; der Fremde erkundigte sich nach dem Namen der Straße, nach den Besitzern verschiedener großer Gebäude, vor denen sie vorbeigingen, sodann nach einigen Polizei – Einrichtungen der Stadt, und sie waren in einem ganz interessanten Gespräche begriffen, als sie am Tore des Wirtshauses ankamen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":793,"orig":"Der Fremde nöthigte ſeinen Führer hinein zu treten, und ein Glas Punſch mit ihm zu trinken, zugleich gab er ſeinen Nahmen an und ſeinen Geburtsort, auch die Geſchäfte, die ihn hierher gebracht hätten, und erſuchte Wilhelmen um ein gleiches Vertrauen.","norm":"Der Fremde nötigte seinen Führer hineinzutreten, und ein Glas Punsch mit ihm zu trinken, zugleich gab er seinen Namen an und seinen Geburtsort, auch die Geschäfte, die ihn hierher gebracht hätten, und ersuchte Wilhelm um ein gleiches Vertrauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":794,"orig":"Dieſer verſchwieg eben ſo wenig ſeinen Nahmen, als ſeine Wohnung.","norm":"Dieser verschwieg ebensowenig seinen Namen, als seine Wohnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":795,"orig":"Sind Sie nicht ein Enkel des alten Meiſters, der die ſchöne Kunſtſammlung beſaß?","norm":"Sind Sie nicht ein Enkel des alten Meisters, der die schöne Kunstsammlung besaß?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":796,"orig":"fragte der Fremde.","norm":"fragte der Fremde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":797,"orig":"Ja, ich bins, ich war zehn Jahre als der Großvater ſtarb, und es ſchmerzte mich lebhaft, die ſchönen Sachen verkaufen zu ſehen.","norm":"Ja, ich bin es, Ich war zehn Jahre als der Großvater starb, und es schmerzte mich lebhaft, die schönen Sachen verkaufen zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":798,"orig":"Ihr Vater hat eine große Summe Geldes dafür erhalten.","norm":"Ihr Vater hat eine große Summe Geldes dafür erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":799,"orig":"Sie wiſſen alſo davon?","norm":"Sie wissen also davon?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":800,"orig":"O ja, ich habe dieſen Schatz noch in Ihrem Hauſe geſehen.","norm":"O ja, ich habe diesen Schatz noch in Ihrem Hause gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":801,"orig":"Ihr Großvater war nicht blos ein Sammler, er verſtand ſich auf die Kunſt, er war in einer frühern glücklichen Zeit in Italien geweſen, und hatte Schätze von dort mit zurück gebracht, welche jetzt um keinen Preis mehr zu haben wären.","norm":"Ihr Großvater war nicht bloß ein Sammler, er verstand sich auf die Kunst, er war in einer früheren glücklichen Zeit in Italien gewesen, und hatte Schätze von dort mit zurückgebracht, welche jetzt um keinen Preis mehr zu haben wären."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":802,"orig":"Er beſaß treffliche Gemählde von den beſten Meiſtern, man traute kaum ſeinen Augen, wenn man ſeine Handzeichnungen durchſah; unter ſeinen Marmorn waren einige unſchätzbare Fragmente; von Bronzen beſaß er eine ſehr inſtructive Suite; ſo hatte er auch ſeine Münzen für Kunſt und Geſchichte zweckmäßig geſammelt, ſeine wenigen geſchnittenen Steine verdienten alles Lob; auch war das Ganze gut aufgeſtellt, wenn gleich die Zimmer und Säle des alten Hauſes nicht ſymmetriſch gebaut waren.","norm":"Er besaß treffliche Gemälde von den besten Meistern, man traute kaum seinen Augen, wenn man seine Handzeichnungen durchsah; unter seinen Marmorn waren einige unschätzbare Fragmente; von Bronzen besaß er eine sehr instruktive Suite; so hatte er auch seine Münzen für Kunst und Geschichte zweckmäßig gesammelt, seine wenigen geschnittenen Steine verdienten alles Lob; auch war das Ganze gut aufgestellt, wenngleich die Zimmer und Säle des alten Hauses nicht symmetrisch gebaut waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":803,"orig":"Sie können denken, was wir Kinder verloren, als alle die Sachen herunter genommen und eingepackt wurden.","norm":"Sie können denken, was wir Kinder verloren, als alle die Sachen heruntergenommen und eingepackt wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":804,"orig":"Es waren die erſten traurigen Zeiten meines Lebens.","norm":"Es waren die ersten traurigen Zeiten meines Lebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":805,"orig":"Ich weiß noch, wie leer uns die Zimmer vorkamen, als wir die Gegenſtände nach und nach verſchwinden ſahen, die uns von Jugend auf unterhalten hatten, und die wir eben ſo unveränderlich hielten, als das Haus und die Stadt ſelbſt.","norm":"Ich weiß noch, wie leer uns die Zimmer vorkamen, als wir die Gegenstände nach und nach verschwinden sahen, die uns von Jugend auf unterhalten hatten, und die wir ebenso unveränderlich hielten, als das Haus und die Stadt selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":806,"orig":"Wenn ich nicht irre, ſo gab Ihr Vater das gelöſte Capital in die Handlung eines Nachbars, mit dem er eine Art GeſellſchaftsHandel einging?","norm":"Wenn ich nicht irre, so gab Ihr Vater das gelöste Kapital in die Handlung eines Nachbarn, mit dem er eine Art Gesellschaftshandel einging?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":807,"orig":"Ganz richtig!","norm":"Ganz richtig!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":808,"orig":"und ihre geſellſchaftlichen Speculationen ſind ihnen wohl geglückt; ſie haben in dieſen zwölf Jahren ihr Vermögen ſehr vermehrt, und ſind beide nur deſto heftiger auf den Erwerb geſtellt; auch hat der alte Werner einen Sohn, der ſich viel beſſer zu dieſem Handwerke ſchickt, als ich.","norm":"und ihre gesellschaftlichen Spekulationen sind ihnen wohl geglückt; sie haben in diesen zwölf Jahren ihr Vermögen sehr vermehrt, und sind beide nur desto heftiger auf den Erwerbe gestellt; auch hat der alte Werner einen Sohn, der sich viel besser zu diesem Handwerke schickt, als ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":809,"orig":"Es thut mir leid, daß dieſer Ort eine ſolche Zierde verloren hat, als das Cabinet Ihres Großvaters war.","norm":"Es tut mir leid, dass dieser Ort eine solche Zierde verloren hat, als das Cabinet Ihres Großvaters war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":810,"orig":"Ich ſah es noch kurz vorher, ehe es verkauft wurde, und ich darf wohl ſagen, ich war Urſache, daß der Kauf zu Stande kam.","norm":"Ich sah es noch kurz vorher, ehe es verkauft wurde, und ich darf wohl sagen, ich war Ursache, dass der Kauf zustande kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":811,"orig":"Ein reicher Edelmann, ein großer Liebhaber, der aber bey ſo einem wichtigen Handel ſich nicht allein auf ſein eigen Urtheil verließ, hatte mich hierher geſchickt, und verlangte meinen Rath.","norm":"Ein reicher Edelmann, ein großer Liebhaber, der aber bei so einem wichtigen Handel sich nicht allein auf sein eigen Urteil verließ, hatte mich hierher geschickt, und verlangte meinen Rat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":812,"orig":"Sechs Tage beſah ich das Cabinet, und am ſiebenten rieth ich meinem Freunde, die ganze geforderte Summe ohne Anſtand zu bezahlen.","norm":"Sechs Tage besah ich das Cabinet, und am siebenten riet ich meinem Freunde, die ganze geforderte Summe ohne Anstand zu bezahlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":813,"orig":"Sie waren als ein munterer Knabe oft um mich herum;","norm":"Sie waren als ein munterer Knabe oft um mich herum;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":814,"orig":"Sie erklärten mir die Gegenſtände der Gemählde, und wußten überhaupt das Cabinet recht gut auszulegen.","norm":"Sie erklärten mir die Gegenstände der Gemälde, und wussten überhaupt das Cabinet recht gut auszulegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":815,"orig":"Ich erinnere mich einer ſolchen Perſon, aber in Ihnen hätte ich ſie nicht wieder erkannt.","norm":"Ich erinnere mich einer solchen Person, aber in Ihnen hätte ich sie nicht wiedererkannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":816,"orig":"Es iſt auch ſchon eine Zeit, in der wir uns mehr oder weniger verändern.","norm":"Es ist auch schon eine Zeit, in der wir uns mehr oder weniger verändern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":817,"orig":"Sie hatten, wenn ich mich recht erinnere, ein Lieblings-Bild darunter, von dem Sie mich gar nicht weglaſſen wollten.","norm":"Sie hatten, wenn ich mich recht erinnere, ein Lieblingsbild darunter, von dem Sie mich gar nicht weglassen wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":818,"orig":"Ganz richtig, es ſtellte die Geſchichte vor, wie der kranke Königsſohn ſich über die Braut ſeines Vaters in Liebe verzehrt.","norm":"Ganz richtig, es stellte die Geschichte vor, wie der kranke Königssohn sich über die Braut seines Vaters in Liebe verzehrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":819,"orig":"Es war eben nicht das beſte Gemählde, nicht gut zuſammengeſetzt, von keiner ſonderlichen Farbe, und die Ausführung durchaus manierirt.","norm":"Es war eben nicht das beste Gemälde, nicht gut zusammengesetzt, von keiner sonderlichen Farbe, und die Ausführung durchaus manieriert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":820,"orig":"Das verſtand ich nicht, und verſteh es noch nicht; der Gegenſtand iſt es, der mich an einem Gemählde reizt, nicht die Kunſt.","norm":"Das verstand ich nicht, und verstehe es noch nicht; der Gegenstand ist es, der mich an einem Gemälde reizt, nicht die Kunst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":821,"orig":"Da ſchien Ihr Großvater anders zu denken; denn der größte Theil ſeiner Sammlung beſtand aus trefflichen Sachen, in denen man immer das Verdienſt ihres Meiſters bewunderte, ſie mochten vorſtellen was ſie wollten; auch hing dieſes Bild in dem äuſſerſten Vorſaale, zum Zeichen, daß er es wenig ſchätzte.","norm":"Da schien Ihr Großvater anders zu denken; denn der größte Teil seiner Sammlung bestand aus trefflichen Sachen, in denen man immer das Verdienst ihres Meisters bewunderte, sie mochten vorstellen was sie wollten; auch hing dieses Bild in dem äußersten Vorsaale, zum Zeichen, dass er es wenig schätzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":822,"orig":"Da war es eben, wo wir Kinder immer ſpielen durften, und wo dieſes Bild einen unauslöſchlichen Eindruck auf mich machte, den mir ſelbſt Ihre Kritik, die ich übrigens verehre, nicht auslöſchen könnte, wenn wir auch jetzt vor dem Bilde ſtünden.","norm":"Da war es eben, wo wir Kinder immer spielen durften, und wo dieses Bild einen unauslöschlichen Eindruck auf mich machte, den mir selbst Ihre Kritik, die ich übrigens verehre, nicht auslöschen könnte, wenn wir auch jetzt vor dem Bilde stünden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":823,"orig":"Wie jammerte mich, wie jammert mich noch ein Jüngling, der die ſüßen Triebe, das ſchönſte Erbtheil, das uns die Natur gab, in ſich verſchließen, und das Feuer, das ihn und andere erwärmen und beleben ſollte, in ſeinem Buſen verbergen muß, ſo daß ſein Innerſtes unter ungeheuren Schmerzen verzehrt wird.","norm":"Wie jammerte mich, wie jammert mich noch ein Jüngling, der die süßen Triebe, das schönste Erbteil, das uns die Natur gab, in sich verschließen, und das Feuer, das ihn und andere erwärmen und beleben sollte, in seinem Busen verbergen muss, so dass sein Innerstes unter ungeheuren Schmerzen verzehrt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":824,"orig":"Wie bedaure ich die Unglückliche, die ſich einem andern widmen ſoll, wenn ihr Herz ſchon den würdigen Gegenſtand eines wahren und reinen Verlangens gefunden hat.","norm":"Wie bedaure ich die Unglückliche, die sich einem anderen widmen soll, wenn ihr Herz schon den würdigen Gegenstand eines wahren und reinen Verlangens gefunden hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":825,"orig":"Dieſe Gefühle ſind freylich ſehr weit von jenen Betrachtungen entfernt, unter denen ein Kunſtliebhaber die Werke großer Meiſter anzuſehen pflegt; wahrſcheinlich würde Ihnen aber, wenn das Cabinet ein Eigenthum Ihres Hauſes geblieben wäre, nach und nach der Sinn für die Werke ſelbſt aufgegangen ſeyn, ſo daß Sie nicht immer nur ſich ſelbſt und Ihre Neigung in den Kunſtwerken geſehen hätten.","norm":"Diese Gefühle sind freilich sehr weit von jenen Betrachtungen entfernt, unter denen ein Kunstliebhaber die Werke großer Meister anzusehen pflegt; wahrscheinlich würde Ihnen aber, wenn das Cabinet ein Eigentum Ihres Hauses geblieben wäre, nach und nach der Sinn für die Werke selbst aufgegangen sein, so dass Sie nicht immer nur sich selbst und Ihre Neigung in den Kunstwerken gesehen hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":826,"orig":"Gewiß that mir der Verkauf des Cabinettes gleich ſehr leid, und ich habe es auch in reifern Jahren öfters vermißt; wenn ich aber bedenke, daß es gleichſam ſo ſeyn mußte, um eine Liebhaberey, um ein Talent in mir zu entwickeln, die weit mehr auf mein Leben wirken ſollten, als jene lebloſen Bilder je gethan hätten; ſo beſcheide ich mich denn gern, und verehre das Schickſal das mein Beſtes und eines jeden Beſtes einzuleiten weiß.","norm":"Gewiss tat mir der Verkaufe des Kabinetts gleich sehr leid, und ich habe es auch in reiferen Jahren öfters vermisst; wenn ich aber bedenke, dass es gleichsam so sein musste, um eine Liebhaberei, um ein Talent in mir zu entwickeln, die weit mehr auf mein Leben wirken sollten, als jene leblosen Bilder je getan hätten; so bescheide ich mich denn gern, und verehre das Schicksal das mein Bestes und eines jeden Bestes einzuleiten weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":827,"orig":"Leider höre ich ſchon wieder das Wort Schickſal von einem jungen Manne ausſprechen, der ſich eben in einem Alter befindet, wo man gewöhnlich ſeinen lebhaften Neigungen den Willen höherer Weſen unterzuſchieben pflegt.","norm":"Leider höre ich schon wieder das Wort Schicksal von einem jungen Manne aussprechen, der sich eben in einem Alter befindet, wo man gewöhnlich seinen lebhaften Neigungen den Willen höherer Wesen unterzuschieben pflegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":828,"orig":"So glauben Sie kein Schickſal?","norm":"So glauben Sie kein Schicksal?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":829,"orig":"Keine Macht, die über uns waltet, und alles zu unſerm Beſten lenkt?","norm":"Keine Macht, die über uns waltet, und alles zu unserem Besten lenkt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":830,"orig":"Es iſt hier die Rede nicht von meinem Glauben, noch der Ort auszulegen, wie ich mir Dinge, die uns allen unbegreiflich ſind, einigermaßen denkbar zu machen ſuche; hier iſt nur die Frage, welche Vorſtellungsart zu unſerm Beſten gereicht.","norm":"Es ist hier die Rede nicht von meinem Glauben, noch der Ort auszulegen, wie ich mir Dinge, die uns allen unbegreiflich sind, einigermaßen denkbar zu machen suche; hier ist nur die Frage, welche Vorstellungsart zu unserem Besten gereicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":831,"orig":"Das Gewebe dieſer Welt iſt aus Nothwendigkeit und Zufall gebildet, die Vernunft des Menſchen ſtellt ſich zwiſchen beide, und weiß ſie zu beherrſchen, ſie behandelt das Nothwendige als den Grund ihres Daſeyns, das Zufällige weiß ſie zu lenken, zu leiten und zu nutzen, und nur, indem ſie feſt und unerſchütterlich ſteht, verdient der Menſch ein Gott der Erde genannt zu werden.","norm":"Das Gewebe dieser Welt ist aus Notwendigkeit und Zufall gebildet, die Vernunft des Menschen stellt sich zwischen beide, und weiß sie zu beherrschen, sie behandelt das Notwendige als den Grund ihres Daseins, das Zufällige weiß sie zu lenken, zu leiten und zu nutzen, und nur, indem sie fest und unerschütterlich steht, verdient der Mensch ein Gott der Erde genannt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":832,"orig":"Wehe dem, der ſich von Jugend auf gewöhnt, in dem Nothwendigen etwas Willkürliches finden zu wollen, der dem Zufälligen eine Art von Vernunft zuſchreiben möchte, welcher zu folgen ſogar eine Religion ſey.","norm":"Wehe dem, der sich von Jugend auf gewöhnt, in dem Notwendigen etwas Willkürliches finden zu wollen, der dem Zufälligen eine Art von Vernunft zuschreiben möchte, welcher zu folgen sogar eine Religion sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":833,"orig":"Heißt das etwas weiter, als ſeinem eignem Verſtande entſagen, und ſeinen Neigungen unbedingten Raum geben?","norm":"Heißt das etwas weiter, als seinem eigenem Verstande entsagen, und seinen Neigungen unbedingten Raum geben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":834,"orig":"Wir bilden uns ein, fromm zu ſeyn, indem wir ohne Überlegung hinſchlendern, uns durch angenehme Zufälle determiniren laſſen, und endlich dem Reſultate eines ſolchen ſchwankenden Lebens den Nahmen einer göttlichen Führung geben.","norm":"Wir bilden uns ein, fromm zu sein, indem wir ohne Überlegung hinschlendern, uns durch angenehme Zufälle determinieren lassen, und endlich dem Resultate eines solchen schwankenden Lebens den Namen einer göttlichen Führung geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":835,"orig":"Waren Sie niemals in dem Falle, daß ein kleiner Umſtand Sie veranlaßte, einen gewiſſen Weg einzuſchlagen, auf welchem bald eine gefällige Gelegenheit Ihnen entgegen kam, und eine Reihe von unerwarteten Vorfällen Sie endlich ans Ziel brachte, das Sie ſelbſt noch kaum ins Auge gefaßt hatten?","norm":"Waren Sie niemals in dem Falle, dass ein kleiner Umstand Sie veranlasste, einen gewissen Weg einzuschlagen, auf welchem bald eine gefällige Gelegenheit Ihnen entgegenkam, und eine Reihe von unerwarteten Vorfällen Sie endlich ans Ziel brachte, das Sie selbst noch kaum ins Auge gefasst hatten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":836,"orig":"Sollte das nicht Ergebenheit in das Schickſal, Zutrauen zu einer ſolchen Leitung einflößen?","norm":"Sollte das nicht Ergebenheit in das Schicksal, Zutrauen zu einer solchen Leitung einflößen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":837,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":838,"orig":"Mit dieſen Geſinnungen könnte kein Mädchen ihre Tugend, niemand ſein Geld im Beutel behalten; denn es giebt Anläſſe genug, beides los zu werden.","norm":"Mit diesen Gesinnungen könnte kein Mädchen ihre Tugend, niemand sein Geld im Beutel behalten; denn es gibt Anlässe genug, beides loszuwerden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":839,"orig":"Ich kann mich nur über den Menſchen freuen, der weiß, was ihm und andern nütze iſt, und ſeine Willkür zu beſchränken arbeitet.","norm":"Ich kann mich nur über den Menschen freuen, der weiß, was ihm und anderen nütze ist, und seine Willkür zu beschränken arbeitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":840,"orig":"Jeder hat ſein eigen Glück unter den Händen, wie der Künſtler eine rohe Materie, die er zu einer Geſtalt umbilden will.","norm":"Jeder hat sein eigen Glück unter den Händen, wie der Künstler eine rohe Materie, die er zu einer Gestalt umbilden will."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":841,"orig":"Aber es iſt mit dieſer Kunſt wie mit allen, nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren, ſie will gelernt und ſorgfältig ausgeübt ſeyn.","norm":"Aber es ist mit dieser Kunst wie mit allen, nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren, sie will gelernt und sorgfältig ausgeübt sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":842,"orig":"Dieſes und mehreres wurde noch unter ihnen abgehandelt; endlich trennten ſie ſich, ohne daß ſie einander ſonderlich überzeugt zu haben ſchienen, doch beſtimmten ſie auf den folgenden Tag einen Ort der Zuſammenkunft.","norm":"Dieses und mehreres wurde noch unter ihnen abgehandelt; endlich trennten sie sich, ohne dass sie einander sonderlich überzeugt zu haben schienen, doch bestimmten sie auf den folgenden Tag einen Ort der Zusammenkunft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":843,"orig":"Wilhelm ging noch einige Straßen auf und nieder; er hörte Clarinetten, Waldhörner und Fagotte, es ſchwoll ſein Buſen.","norm":"Wilhelm ging noch einige Straßen auf und nieder; er hörte Klarinetten, Waldhörner und Fagotte, es schwoll sein Busen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":844,"orig":"Durchreiſende Spielleute machten eine angenehme Nachtmuſik.","norm":"Durchreisende Spielleute machten eine angenehme Nachtmusik."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":845,"orig":"Er ſprach mit ihnen, und um ein Stück Geld folgten ſie ihm zu Marianens Wohnung.","norm":"Er sprach mit ihnen, und um ein Stück Geld folgten sie ihm zu Marianes Wohnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":846,"orig":"Hohe Bäume zierten den Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz den ſchwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn ſäuſelten.","norm":"Hohe Bäume zierten den Platz vor ihrem Hause, darunter stellte er seine Sänger, er selbst ruhte auf einer Bank in einiger Entfernung, und überließ sich ganz den schwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn säuselten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":847,"orig":"Unter den holden Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn wie ein goldner Traum.","norm":"Unter den holden Sternen hingestreckt war ihm sein Dasein wie ein goldener Traum."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":848,"orig":"— Sie hört auch dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die Nacht wohlklingend macht, auch in der Entfernung ſind wir durch dieſe Melodien zuſammen gebunden, wie in jeder Entfernung durch die feinſte Stimmung der Liebe.","norm":"— Sie hört auch diese Flöten, sagte er in seinem Herzen; sie fühlt, wessen Andenken, wessen Liebe die Nacht wohlklingend macht, auch in der Entfernung sind wir durch diese Melodien zusammengebunden, wie in jeder Entfernung durch die feinste Stimmung der Liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":849,"orig":"Ach zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey Magnetuhren, was in der einen ſich regt, muß auch die andere mit bewegen, denn es iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine Kraft, die ſie durchgeht.","norm":"Ach zwei liebende Herzen, sie sind wie zwei Magnetuhren, was in der einen sich regt, muss auch die andere mitbewegen, denn es ist nur Eins, was in beiden wirkt, eine Kraft, die sie durchgeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":850,"orig":"Kann ich in ihren Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr zu trennen?","norm":"Kann ich in ihren Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr zu trennen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":851,"orig":"und doch, ich werde fern von ihr ſeyn, werde einen Heilort für unſere Liebe ſuchen, und werde ſie immer mit mir haben.","norm":"und doch, ich werde fern von ihr sein, werde einen Heilort für unsere Liebe suchen, und werde sie immer mit mir haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":852,"orig":"Wie oft iſt mirs geſchehen, daß ich abweſend von ihr, in Gedanken an ſie verloren, ein Buch, ein Kleid oder ſonſt etwas berührte, und glaubte ihre Hand zu fühlen, ſo ganz war ich mit ihrer Gegenwart umkleidet.","norm":"Wie oft ist mir es geschehen, dass ich abwesend von ihr, in Gedanken an sie verloren, ein Buch, ein Kleid oder sonst etwas berührte, und glaubte ihre Hand zu fühlen, so ganz war ich mit ihrer Gegenwart umkleidet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":853,"orig":"Und jener Augenblicke mich zu erinnern, die das Licht des Tages wie das Auge","norm":"Und jener Augenblicke mich zu erinnern, die das Licht des Tages wie das Auge"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":854,"orig":"des kalten Zuſchauers fliehen, die zu genieſſen Götter den ſchmerzloſen Zuſtand der reinen Seligkeit zu verlaſſen ſich entſchließen dürften.","norm":"des kalten Zuschauers fliehen, die zu genießen Götter den schmerzlosen Zustand der reinen Seligkeit zu verlassen sich entschließen dürften."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":855,"orig":"— Mich zu erinnern?","norm":"— Mich zu erinnern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":856,"orig":"— Als wenn man den Rauſch des Taumelkelchs in der Erinnerung erneuern könnte, der unſere Sinne an himmliſchen Stricken gebunden aus aller ihrer Faſſung reißt.","norm":"— Als wenn man den Rausch des Taumelkelchs in der Erinnerung erneuern könnte, der unsere Sinne an himmlischen Stricken gebunden aus aller ihrer Fassung reißt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":857,"orig":"— Und ihre Geſtalt — — Er verlor ſich im Andenken an ſie, ſeine Ruhe ging in Verlangen über, er umfaßte einen Baum, kühlte ſeine heiße Wange an der Rinde, und die Winde der Nacht ſaugten begierig den Hauch auf, der aus dem reinen Buſen bewegt hervordrang.","norm":"— Und ihre Gestalt — — er verlor sich im Andenken an sie, seine Ruhe ging in Verlangen über, er umfasste einen Baum, kühlte seine heiße Wange an der Rinde, und die Winde der Nacht saugten begierig den Hauch auf, der aus dem reinen Busen bewegt hervordrang."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":858,"orig":"Er fühlte nach dem Halstuch, das er von ihr mitgenommen hatte, es war vergeſſen, es ſteckte im vorigen Kleide.","norm":"Er fühlte nach dem Halstuch, das er von ihr mitgenommen hatte, es war vergessen, es steckte im vorigen Kleide."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":859,"orig":"Seine Lippen lechzten, ſeine Glieder zitterten vor Verlangen.","norm":"Seine Lippen lechzten, seine Glieder zitterten vor Verlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":860,"orig":"Die Muſik hörte auf, und es war ihm, als wär’ er aus dem Elemente gefallen, in dem ſeine Empfindungen bisher empor getragen wurden.","norm":"Die Musik hörte auf, und es war ihm, als wäre er aus dem Elemente gefallen, in dem seine Empfindungen bisher emporgetragen wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":861,"orig":"Seine Unruhe vermehrte ſich, da ſeine Gefühle nicht mehr von den ſanften Tönen genährt und gelindert wurden.","norm":"Seine Unruhe vermehrte sich, da seine Gefühle nicht mehr von den sanften Tönen genährt und gelindert wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":862,"orig":"Er ſetzte ſich auf ihre Schwelle nieder, und war ſchon mehr beruhigt.","norm":"Er setzte sich auf ihre Schwelle nieder, und war schon mehr beruhigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":863,"orig":"Er küßte den meſſingenen Ring, womit man an ihre Thüre pochte, er küßte die Schwelle, über die ihre Füße aus und ein gingen, und erwärmte ſie durch das Feuer ſeiner Bruſt.","norm":"Er küsste den messingenen Ring, womit man an ihre Türe pochte, er küsste die Schwelle, über die ihre Füße aus und ein gingen, und erwärmte sie durch das Feuer seiner Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":864,"orig":"Dann ſaß er wieder eine Weile ſtille, und dachte ſie hinter ihren Vorhängen, im weißen Nachtkleide mit dem rothen Band um den Kopf in ſüßer Ruhe, und dachte ſich ſelbſt ſo nahe zu ihr hin, daß ihm vorkam, ſie müßte nun von ihm träumen.","norm":"Dann saß er wieder eine Weile stille, und dachte sie hinter ihren Vorhängen, im weißen Nachtkleide mit dem roten Band um den Kopf in süßer Ruhe, und dachte sich selbst so nahe zu ihr hin, dass ihm vorkam, sie müsste nun von ihm träumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":865,"orig":"Seine Gedanken waren lieblich, wie die Geiſter der Dämmerung;","norm":"Seine Gedanken waren lieblich, wie die Geister der Dämmerung;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":866,"orig":"Ruhe und Verlangen wechſelten in ihm, die Liebe lief mit ſchaudernder Hand tauſendfältig über alle Saiten ſeiner Seele, es war, als wenn der Geſang der Sphären über ihm ſtille ſtünde, um die leiſen Melodien ſeines Herzens zu belauſchen.","norm":"Ruhe und Verlangen wechselten in ihm, die Liebe lief mit schaudernder Hand tausendfältig über alle Saiten seiner Seele, es war, als wenn der Gesang der Sphären über ihm stille stünde, um die leisen Melodien seines Herzens zu belauschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":867,"orig":"Hätte er den Hauptſchlüſſel bey ſich gehabt, der ihm ſonſt Marianens Thüre öffnete, er würde ſich nicht gehalten haben, würde ins Heiligthum der Liebe eingedrungen ſeyn.","norm":"Hätte er den Hauptschlüssel bei sich gehabt, der ihm sonst Marianes Türe öffnete, er würde sich nicht gehalten haben, würde ins Heiligtum der Liebe eingedrungen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":868,"orig":"Doch er entfernte ſich langſam, ſchwankte halb träumend unter den Bäumen hin, wollte nach Hauſe, und ward immer wieder umgewendet; endlich als er’s über ſich vermochte, ging, und an der Ecke noch einmal zurück ſah, kam es ihm vor, als wenn Marianens Thüre ſich öffnete, und eine dunkle Geſtalt ſich heraus bewegte.","norm":"Doch er entfernte sich langsam, schwankte halb träumend unter den Bäumen hin, wollte nach Hause, und wurde immer wieder umgewendet; endlich als er das über sich vermochte, ging, und an der Ecke noch einmal zurücksah, kam es ihm vor, als wenn Marianes Türe sich öffnete, und eine dunkle Gestalt sich herausbewegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":869,"orig":"Er war zu weit, um deutlich zu ſehen, und eh er ſich faßte und recht aufſah, hatte ſich die Erſcheinung ſchon in der Nacht verloren, nur ganz weit glaubte er ſie wieder an einem weißen Hauſe vorbey ſtreifen zu ſehen.","norm":"Er war zu weit, um deutlich zu sehen, und ehe er sich fasste und recht aufsah, hatte sich die Erscheinung schon in der Nacht verloren, nur ganz weit glaubte er sie wieder an einem weißen Hause vorbeistreifen zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":870,"orig":"Er ſtund und blinzte, und ehe er ſich ermannte und nacheilte, war das Phantom verſchwunden.","norm":"Er stand und blinzte, und ehe er sich ermannte und nacheilte, war das Phantom verschwunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":871,"orig":"Wohin ſollt’ er ihm folgen?","norm":"Wohin sollte er ihm folgen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":872,"orig":"Welche Straße hatte den Menſchen aufgenommen, wenn es einer war?","norm":"Welche Straße hatte den Menschen aufgenommen, wenn es einer war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":873,"orig":"Wie einer, dem der Blitz die Gegend in einem Winkel erhellte, gleich darauf mit geblendeten Augen die vorigen Geſtalten, den Zuſammenhang der Pfade in der Finſterniß vergebens ſucht, ſo war’s vor ſeinen Augen, ſo war’s in ſeinem Herzen.","norm":"Wie einer, dem der Blitz die Gegend in einem Winkel erhellte, gleich darauf mit geblendeten Augen die vorigen Gestalten, den Zusammenhang der Pfade in der Finsternis vergebens sucht, so war es vor seinen Augen, so war es in seinem Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":874,"orig":"Und wie ein Geſpenſt der Mitternacht, das ungeheure Schrecken erzeugt, in folgenden Augenblicken der Faſſung für ein Kind des Schreckens gehalten wird, und die fürchterliche Erſcheinung Zweifel ohne Ende in der Seele zurück läßt; ſo war auch Wilhelm in der größten Unruhe, als er an einen Eckſtein gelehnt, die Helle des Morgens und das Geſchrey der Hähne nicht achtete, bis die frühen Gewerbe lebendig zu werden anfingen, und ihn nach Hauſe trieben.","norm":"Und wie ein Gespenst der Mitternacht, das ungeheure Schrecken erzeugt, in folgenden Augenblicken der Fassung für ein Kind des Schreckens gehalten wird, und die fürchterliche Erscheinung Zweifel ohne Ende in der Seele zurücklässt; so war auch Wilhelm in der größten Unruhe, als er an einen Eckstein gelehnt, die Helle des Morgens und das Geschrei der Hähne nicht achtete, bis die frühen Gewerbe lebendig zu werden anfingen, und ihn nach Hause trieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":875,"orig":"Er hatte, wie er zurück kam, das unerwartete Blendwerk mit den triftigſten Gründen beynahe aus der Seele vertrieben; doch die ſchöne Stimmung der Nacht, an die er jetzt auch nur wie an eine Erſcheinung zurück dachte, war auch dahin.","norm":"Er hatte, wie er zurückkam, das unerwartete Blendwerk mit den triftigsten Gründen beinahe aus der Seele vertrieben; doch die schöne Stimmung der Nacht, an die er jetzt auch nur wie an eine Erscheinung zurückdachte, war auch dahin."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":876,"orig":"Sein Herz zu letzen, ein Siegel ſeinem wiederkehrenden Glauben aufzudrücken, nahm er das Halstuch aus der vorigen Taſche.","norm":"Sein Herz zu lechzen, ein Siegel seinem wiederkehrenden Glauben aufzudrücken, nahm er das Halstuch aus der vorigen Tasche."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":877,"orig":"Das Rauſchen eines Zettels, der herausfiel, zog ihm das Tuch von den Lippen; er hob auf und las:","norm":"Das Rauschen eines Zettels, der herausfiel, zog ihm das Tuch von den Lippen; er hob auf und las:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":878,"orig":"»So hab ich dich lieb, kleiner Narre, was war dir auch geſtern?","norm":"»So habe ich Dich lieb, kleiner Narre, was war Dir auch gestern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":879,"orig":"Heute Nacht komm ich zu dir.","norm":"Heute Nacht komme ich zu Dir."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":880,"orig":"Ich glaube wohl, daß dir’s leid thut, von hier wegzugehen; aber habe Geduld, auf die Meſſe komm ich dir nach.","norm":"Ich glaube wohl, dass dir es leid tut, von hier wegzugehen; aber habe Geduld, auf die Messe komme ich Dir nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":881,"orig":"Höre, thu mir nicht wieder die ſchwarz – grün – braune Jacke an, du ſiehſt drin aus wie die Hexe von Endor.","norm":"Höre, tu mir nicht wieder die schwarz – grün – braune Jacke an, du siehst drin aus wie die Hexe von Endor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":882,"orig":"Hab’ ich dir nicht das weiße Neglige darum geſchickt, daß ich ein weißes Schäfchen in meinen Armen haben will.","norm":"Habe ich Dir nicht das weiße Negligé darum geschickt, dass ich ein weißes Schäfchen in meinen Armen haben will."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":883,"orig":"Schick mir deine Zettel immer durch die alte Sibylle, die hat der Teufel ſelbſt zur Iris beſtellt.","norm":"Schick mir Deine Zettel immer durch die alte Sibylle, die hat der Teufel selbst zur Iris bestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":884,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":885,"orig":"Jeder, der, mit lebhaften Kräften, vor unſern Augen, eine Abſicht zu erreichen ſtrebt, kann, wir mögen ſeinen Zweck loben oder tadeln, ſich unſre Theilnahme verſprechen; ſobald über die Sache entſchieden iſt, wenden wir unſer Auge ſogleich von ihm weg; alles was geendigt, was abgethan da liegt, kann unſre Aufmerkſamkeit keineswegs feſſeln, beſonders wenn wir ſchon frühe der Unternehmung einen übeln Ausgang prophezeiht haben.","norm":"Jeder, der, mit lebhaften Kräften, vor unseren Augen, eine Absicht zu erreichen strebt, kann, wir mögen seinen Zweck loben oder tadeln, sich unsere Teilnahme versprechen; sobald über die Sache entschieden ist, wenden wir unser Auge sogleich von ihm weg; alles was geendigt, was abgetan daliegt, kann unsere Aufmerksamkeit keineswegs fesseln, besonders wenn wir schon frühe der Unternehmung einen üblen Ausgang prophezeit haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":886,"orig":"Deſwegen ſollen unſre Leſer nicht umſtändlich mit dem Jammer und der Noth unſers verunglückten Freundes unterhalten werden, die ihn befielen, als er ſeine Hoffnungen und Wünſche, auf eine ſo unerwartete Weiſe, zerſtört ſah.","norm":"Deswegen sollen unsere Leser nicht umständlich mit dem Jammer und der Not unseres verunglückten Freundes unterhalten werden, die ihn befielen, als er seine Hoffnungen und Wünsche, auf eine so unerwartete Weise, zerstört sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":887,"orig":"Wir überſpringen vielmehr einige Jahre, und ſuchen ihn erſt da wieder auf, wo wir ihn in einer Art von Thätigkeit und Genuß zu finden hoffen, wenn wir vorher nur kürzlich ſo viel, als zum Zuſammenhang der Geſchichte nöthig iſt, vorgetragen haben.","norm":"Wir überspringen vielmehr einige Jahre, und suchen ihn erst da wieder auf, wo wir ihn in einer Art von Tätigkeit und Genuss zu finden hoffen, wenn wir vorher nur kürzlich so viel, als zum Zusammenhang der Geschichte nötig ist, vorgetragen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":888,"orig":"Die Peſt, oder ein böſes Fieber raſen in einem geſunden, vollſaftigen Körper, den ſie anfallen, ſchneller und heftiger, und ſo ward der arme Wilhelm unvermuthet von einem unglücklichen Schickſale überwältigt, daß in Einem Augenblicke ſein ganzes Weſen zerrüttet war.","norm":"Die Pest, oder ein böses Fieber rasen in einem gesunden, vollsaftigen Körper, den sie anfallen, schneller und heftiger, und so wurde der arme Wilhelm unvermutet von einem unglücklichen Schicksale überwältigt, dass in einem Augenblicke sein ganzes Wesen zerrüttet war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":889,"orig":"Wie wenn von ohngefähr unter der Zurüſtung ein Feuerwerk in Brand geräth, und die künſtlich gebohrten und gefüllten Hülſen, die, nach einem gewiſſen Plane geordnet und abgebrannt, prächtig abwechſelnde Feuer-Bilder in die Luft zeichnen ſollten, nunmehr unordentlich und gefährlich durch einander ziſchen und ſauſen; ſo gingen auch jetzt in ſeinem Buſen Glück und Hoffnung, Wolluſt und Freuden, Wirkliches und Geträumtes auf einmal ſcheiternd durch einander.","norm":"Wie wenn von ungefähr unter der Zurüstung ein Feuerwerk in Brand gerät, und die künstlich gebohrten und gefüllten Hülsen, die, nach einem gewissen Plane geordnet und abgebrannt, prächtig abwechselnde Feuerbilder in die Luft zeichnen sollten, nunmehr unordentlich und gefährlich durcheinander zischen und sausen; so gingen auch jetzt in seinem Busen Glück und Hoffnung, Wollust und Freuden, Wirkliches und Geträumtes auf einmal scheiternd durcheinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":890,"orig":"In ſolchen wüſten Augenblicken erſtarrt der Freund, der zur Rettung hinzu eilt, und dem, den es trift, iſt es eine Wohlthat, daß ihn die Sinne verlaſſen.","norm":"In solchen wüsten Augenblicken erstarrt der Freund, der zur Rettung hinzueilt, und dem, den es trifft, ist es eine Wohltat, dass ihn die Sinne verlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":891,"orig":"Tage des lauten, ewig wiederkehrenden und mit Vorſatz erneuerten Schmerzens folgten darauf; doch ſind auch dieſe für eine Gnade der Natur zu achten.","norm":"Tage des lauten, ewig wiederkehrenden und mit Vorsatz erneuerten Schmerzes folgten darauf; doch sind auch diese für eine Gnade der Natur zu achten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":892,"orig":"In ſolchen Stunden hatte Wilhelm ſeine Geliebte noch nicht ganz verloren; ſeine Schmerzen waren unermüdet erneuerte Verſuche, das Glück, das ihm aus der Seele entfloh, noch feſt zu halten, die Möglichkeit deſſelben in der Vorſtellung wieder zu erhaſchen, ſeinen auf immer abgeſchiedenen Freuden ein kurzes Nachleben zu verſchaffen.","norm":"In solchen Stunden hatte Wilhelm seine Geliebte noch nicht ganz verloren; seine Schmerzen waren unermüdet erneuerte Versuche, das Glück, das ihm aus der Seele entfloh, noch festzuhalten, die Möglichkeit desselben in der Vorstellung wieder zu erhaschen, seinen auf immer abgeschiedenen Freuden ein kurzes Nachleben zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":893,"orig":"Wie man einen Körper, ſo lange die Verweſung dauert, nicht ganz todt nennen kann, ſo lange die Kräfte, die vergebens nach ihren alten Beſtimmungen zu wirken ſuchen, an der Zerſtörung der Theile, die ſie ſonſt belebten, ſich abarbeiten; nur dann, wenn ſich alles an einander aufgerieben hat, wenn wir das Ganze in gleichgültigen Staub zerlegt ſehen, dann entſteht in uns das erbärmliche, leere Gefühl des Todes, nur durch den Athem des Ewiglebenden zu erquicken.","norm":"Wie man einen Körper, solange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann, solange die Kräfte, die vergebens nach ihren alten Bestimmungen zu wirken suchen, an der Zerstörung der Teile, die sie sonst belebten, sich abarbeiten; nur dann, wenn sich alles aneinander aufgerieben hat, wenn wir das Ganze in gleichgültigen Staub zerlegt sehen, dann entsteht in uns das erbärmliche, leere Gefühl des Todes, nur durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":894,"orig":"In einem ſo neuen, ganzen, lieblichen Gemüthe war viel zu zerreiſſen, zu zerſtören, zu ertödten, und die ſchnellheilende Kraft der Jugend gab ſelbſt der Gewalt des Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit.","norm":"In einem so neuen, ganzen, lieblichen Gemüte war viel zu zerreißen, zu zerstören, zu ertöten, und die schnellheilende Kraft der Jugend gab selbst der Gewalt des Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":895,"orig":"Der Streich hatte ſein ganzes Daſeyn an der Wurzel getroffen.","norm":"Der Streich hatte sein ganzes Dasein an der Wurzel getroffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":896,"orig":"Werner, aus Noth ſein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert, um einer verhaßten Leidenſchaft, dem Ungeheuer, ins innerſte Leben zu dringen.","norm":"Werner, aus Not sein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert, um einer verhassten Leidenschaft, dem Ungeheuer, ins innerste Leben zu dringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":897,"orig":"Die Gelegenheit war ſo glücklich, das Zeugniß ſo bey der Hand, und wieviel Geſchichten und Erzählungen wußt’ er nicht zu nutzen.","norm":"Die Gelegenheit war so glücklich, das Zeugnis so bei der Hand, und wie viel Geschichten und Erzählungen wusste er nicht zu nutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":898,"orig":"Er trieb’s mit ſolcher Heftigkeit und Grauſamkeit Schritt vor Schritt, ließ dem Freunde nicht das Labſal des mindeſten augenblicklichen Betruges, vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, in welchen er ſich vor der Verzweiflung hätte retten können, daß die Natur, die ihren Liebling nicht wollte zu Grunde gehen laſſen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der andern Seite Luft zu machen.","norm":"Er trieb es mit solcher Heftigkeit und Grausamkeit Schritt vor Schritt, ließ dem Freunde nicht das Labsal des mindesten augenblicklichen Betruges, vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, in welchen er sich vor der Verzweiflung hätte retten können, dass die Natur, die ihren Liebling nicht wollte zugrunde gehen lassen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der anderen Seite Luft zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":899,"orig":"Ein lebhaftes Fieber mit ſeinem Gefolge, den Arzeneyen, der Überſpannung und der Mattigkeit; dabey die Bemühungen der Familie, die Liebe der Mitgebohrnen, die durch Mangel und Bedürfniſſe ſich erſt recht fühlbar macht, waren ſo viele Zerſtreuungen eines veränderten Zuſtandes, und eine kümmerliche Unterhaltung.","norm":"Ein lebhaftes Fieber mit seinem Gefolge, den Arzneien, der Überspannung und der Mattigkeit; dabei die Bemühungen der Familie, die Liebe der Mitgeborenen, die durch Mangel und Bedürfnisse sich erst recht fühlbar macht, waren so viele Zerstreuungen eines veränderten Zustandes, und eine kümmerliche Unterhaltung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":900,"orig":"Erſt als er wieder beſſer wurde, das heißt, als ſeine Kräfte erſchöpft waren, ſah Wilhelm, mit Entſetzen, in den qualvollen Abgrund eines dürren Elendes hinab, wie man in den ausgebrannten hohlen Becher eines Vulkans hinunter blickt.","norm":"Erst als er wieder besser wurde, das heißt, als seine Kräfte erschöpft waren, sah Wilhelm, mit Entsetzen, in den qualvollen Abgrund eines dürren Elendes hinab, wie man in den ausgebrannten hohlen Becher eines Vulkans hinunterblickt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":901,"orig":"Nunmehr machte er ſich ſelbſt die bitterſten Vorwürfe, daß er, nach ſo großem Verluſt, noch einen ſchmerzloſen, ruhigen, gleichgültigen Augenblick haben könne.","norm":"Nunmehr machte er sich selbst die bittersten Vorwürfe, dass er, nach so großem Verlust, noch einen schmerzlosen, ruhigen, gleichgültigen Augenblick haben könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":902,"orig":"Er verachtete ſein eigen Herz, und ſehnte ſich nach dem Labſal des Jammers und der Thränen.","norm":"Er verachtete sein eigen Herz, und sehnte sich nach dem Labsal des Jammers und der Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":903,"orig":"Um dieſe wieder in ſich zu erwecken, brachte er vor ſein Andenken alle Scenen des vergangnen Glücks.","norm":"Um diese wieder in sich zu erwecken, brachte er vor sein Andenken alle Szenen des vergangenen Glücks."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":904,"orig":"Mit der größten Lebhaftigkeit mahlte er ſie ſich aus, ſtrebte wieder in ſie hinein, und wenn er ſich zur möglichſten Höhe hinauf gearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenſchein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, den Buſen zu heben ſchien, ſah er rückwärts auf den ſchrecklichen Abgrund, labte ſein Auge an der zerſchmetternden Tiefe, warf ſich hinunter, und erzwang von der Natur die bitterſten Schmerzen.","norm":"Mit der größten Lebhaftigkeit malte er sie sich aus, strebte wieder in sie hinein, und wenn er sich zur möglichsten Höhe hinaufgearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, den Busen zu heben schien, sah er rückwärts auf den schrecklichen Abgrund, labte sein Auge an der zerschmetternden Tiefe, warf sich hinunter, und erzwang von der Natur die bittersten Schmerzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":905,"orig":"Mit ſo wiederholter Grauſamkeit zerriß er ſich ſelbſt, denn die Jugend, die ſo reich an eingehüllten Kräften iſt, weiß nicht, was ſie verſchleudert, wenn ſie dem Schmerz, den ein Verluſt erregt, noch ſo viele erzwungene Leiden zugeſellt, als wollte ſie dem Verlornen dadurch noch erſt einen rechten Werth geben.","norm":"Mit so wiederholter Grausamkeit zerriss er sich selbst, denn die Jugend, die so reich an eingehüllten Kräften ist, weiß nicht, was sie verschleudert, wenn sie dem Schmerz, den ein Verlust erregt, noch so viele erzwungene Leiden zugesellt, als wollte sie dem Verlorenen dadurch noch erst einen rechten Wert geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":906,"orig":"Auch war er ſo überzeugt, daß dieſer Verluſt der Einzige, der erſte und letzte ſey, den er in ſeinem Leben empfinden könne, daß er jeden Troſt verabſcheute, der ihm dieſe Leiden als endlich vorzuſtellen unternahm.","norm":"Auch war er so überzeugt, dass dieser Verlust der Einzige, der erste und letzte sei, den er in seinem Leben empfinden könne, dass er jeden Trost verabscheute, der ihm diese Leiden als endlich vorzustellen unternahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":907,"orig":"Gewöhnt, auf dieſe Weiſe ſich ſelbſt zu quälen, griff er nun auch das übrige, was ihm nach der Liebe und mit der Liebe die größten Freuden und Hoffnungen gegeben hatte, ſein Talent als Dichter und Schauſpieler, mit hämiſcher Kritik von allen Seiten an.","norm":"Gewöhnt, auf diese Weise sich selbst zu quälen, griff er nun auch das übrige, was ihm nach der Liebe und mit der Liebe die größten Freuden und Hoffnungen gegeben hatte, sein Talent als Dichter und Schauspieler, mit hämischer Kritik von allen Seiten an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":908,"orig":"Er ſah in ſeinen Arbeiten nichts als eine geiſtloſe Nachahmung einiger hergebrachten Formen, ohne innern Werth; er wollte darin nur ſteife Schulexercitien erkennen, denen es an jedem Funken von Naturell, Wahrheit und Begeiſterung fehle.","norm":"Er sah in seinen Arbeiten nichts als eine geistlose Nachahmung einiger hergebrachten Formen, ohne inneren Wert; er wollte darin nur steife Schulexerzitien erkennen, denen es an jedem Funken von Naturell, Wahrheit und Begeisterung fehle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":909,"orig":"In ſeinen Gedichten fand er nur ein monotones Sylbenmaaß, in welchem, durch einen armſeligen Reim zuſammen gehalten, ganz gemeine Gedanken und Empfindungen ſich hinſchleppten, und ſo benahm er ſich auch jede Ausſicht, jede Luſt, die ihn von dieſer Seite noch allenfalls hätte wieder aufrichten können.","norm":"In seinen Gedichten fand er nur ein monotones Silbenmaß, in welchem, durch einen armseligen Reim zusammengehalten, ganz gemeine Gedanken und Empfindungen sich hinschleppten, und so benahm er sich auch jede Aussicht, jede Lust, die ihn von dieser Seite noch allenfalls hätte wieder aufrichten können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":910,"orig":"Seinem Schauſpieler-Talente ging es nicht beſſer.","norm":"Seinem Schauspielertalente ging es nicht besser."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":911,"orig":"Er ſchalt ſich, daß er nicht früher die Eitelkeit entdeckt, die allein dieſer Anmaßung zum Grunde gelegen.","norm":"Er schalt sich, dass er nicht früher die Eitelkeit entdeckt, die allein dieser Anmaßung zum Grunde gelegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":912,"orig":"Seine Figur, ſein Gang, ſeine Bewegung und Deklamation mußten herhalten, und ſo ſprach er ſich jede Art von Vorzug, jedes Verdienſt, das ihn über das Gemeine empor gehoben hätte, entſcheidend ab, und vermehrte ſeine ſtumme Verzweiflung dadurch auf den höchſten Grad.","norm":"Seine Figur, sein Gang, seine Bewegung und Deklamation mussten herhalten, und so sprach er sich jede Art von Vorzug, jedes Verdienst, das ihn über das Gemeine emporgehoben hätte, entscheidend ab, und vermehrte seine stumme Verzweiflung dadurch auf den höchsten Grad."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":913,"orig":"Denn, wenn es hart iſt, der Liebe eines Weibes zu entſagen, ſo iſt die Empfindung nicht weniger ſchmerzlich, von dem Umgange der Muſen ſich los zu reiſſen, ſich ihrer Gemeinſchaft auf immer unwürdig zu erklären, und auf den ſchönſten und nächſten Beyfall, der unſrer Perſon, unſerm Betragen, unſrer Stimme öffentlich gegeben wird, Verzicht zu thun.","norm":"Denn, wenn es hart ist, der Liebe eines Weibes zu entsagen, so ist die Empfindung nicht weniger schmerzlich, von dem Umgange der Musen sich loszureißen, sich ihrer Gemeinschaft auf immer unwürdig zu erklären, und auf den schönsten und nächsten Beifall, der unserer Person, unserem Betragen, unserer Stimme öffentlich gegeben wird, Verzicht zu tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":914,"orig":"Auf dieſe Weiſe hatte ſich unſer Freund völlig reſignirt, und ſich zugleich mit großen Eifer den Handelsgeſchäften gewidmet.","norm":"Auf diese Weise hatte sich unser Freund völlig resigniert, und sich zugleich mit großen Eifer den Handelsgeschäften gewidmet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":915,"orig":"Zum Erſtaunen ſeines Freundes und zur größten Zufriedenheit ſeines Vaters war niemand auf dem Comtoir und der Börſe, im Laden und Gewölbe thätiger, als er;","norm":"Zum Erstaunen seines Freundes und zur größten Zufriedenheit seines Vaters war niemand auf dem Comptoir und der Börse, im Laden und Gewölbe tätiger, als er;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":916,"orig":"Correſpondenz und Rechnungen, und was ihm aufgetragen wurde, beſorgte und verrichtete er mit größten Fleiß und Eifer.","norm":"Korrespondenz und Rechnungen, und was ihm aufgetragen wurde, besorgte und verrichtete er mit größten Fleiß und Eifer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":917,"orig":"Freylich nicht mit dem heitern Fleiße, der zugleich dem Geſchäftigen Belohnung iſt, wenn wir dasjenige, wozu wir geboren ſind, mit Ordnung und Folge verrichten, ſondern mit dem ſtillen Fleiße der Pflicht, der den beſten Vorſatz zum Grunde hat, der durch Überzeugung genährt und durch ein innres Selbſtgefühl belohnt wird; der aber doch oft, ſelbſt dann, wenn ihm das ſchönſte Bewußtſeyn die Krone reicht, einen vordringenden Seufzer kaum zu erſticken vermag.","norm":"Freilich nicht mit dem heiteren Fleiße, der zugleich dem geschäftigen Belohnung ist, wenn wir dasjenige, wozu wir geboren sind, mit Ordnung und Folge verrichten, sondern mit dem stillen Fleiße der Pflicht, der den besten Vorsatz zum Grunde hat, der durch Überzeugung genährt und durch ein inneres Selbstgefühl belohnt wird; der aber doch oft, selbst dann, wenn ihm das schönste Bewusstsein die Krone reicht, einen vordringenden Seufzer kaum zu ersticken vermag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":918,"orig":"Auf dieſe Weiſe hatte Wilhelm eine Zeitlang ſehr emſig fortgelebt und ſich überzeugt, daß jene harte Prüfung vom Schickſale zu ſeinem Beſten veranſtaltet worden.","norm":"Auf diese Weise hatte Wilhelm eine Zeitlang sehr emsig fortgelebt und sich überzeugt, dass jene harte Prüfung vom Schicksale zu seinem Besten veranstaltet worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":919,"orig":"Er war froh, auf dem Wege des Lebens ſich bey Zeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt zu ſehen, anſtatt daß andere ſpäter und ſchwerer die Mißgriffe büßen, wozu ſie ein jugendlicher Dünkel verleitet hat.","norm":"Er war froh, auf dem Wege des Lebens sich beizeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt zu sehen, anstatt dass andere später und schwerer die Missgriffe büßen, wozu sie ein jugendlicher Dünkel verleitet hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":920,"orig":"Denn gewöhnlich wehrt ſich der Menſch ſo lange als er kann, den Thoren, den er im Buſen hegt, zu verabſchieden, einen Hauptirrthum zu bekennen, und eine Wahrheit einzugeſtehen, die ihn zur Verzweiflung bringt.","norm":"Denn gewöhnlich wehrt sich der Mensch so lange als er kann, den Toren, den er im Busen hegt, zu verabschieden, einen Hauptirrtum zu bekennen, und eine Wahrheit einzugestehen, die ihn zur Verzweiflung bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":921,"orig":"So entſchloſſen er war, ſeinen liebſten Vorſtellungen zu entſagen, ſo war doch einige Zeit nöthig, um ihn von ſeinem Unglücke völlig zu überzeugen.","norm":"So entschlossen er war, seinen liebsten Vorstellungen zu entsagen, so war doch einige Zeit nötig, um ihn von seinem Unglücke völlig zu überzeugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":922,"orig":"Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetiſchen Hervorbringens und der perſönlichen Darſtellung, mit triftigen Gründen, ſo ganz in ſich vernichtet, daß er Muth faßte, alle Spuren ſeiner Thorheit, alles, was ihn irgend noch daran erinnern könnte, völlig auszulöſchen.","norm":"Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetischen Hervorbringens und der persönlichen Darstellung, mit triftigen Gründen, so ganz in sich vernichtet, dass er Mut fasste, alle Spuren seiner Torheit, alles, was ihn irgend noch daran erinnern könnte, völlig auszulöschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":923,"orig":"Er hatte daher an einem kühlen Abende ein Kaminfeuer angezündet, und holte ein Reliquienkäſtchen hervor, in welchem ſich hunderterley Kleinigkeiten fanden, die er in bedeutenden Augenblicken von Marianen erhalten, oder derſelben geraubt hatte.","norm":"Er hatte daher an einem kühlen Abende ein Kaminfeuer angezündet, und holte ein Reliquienkästchen hervor, in welchem sich hunderterlei Kleinigkeiten fanden, die er in bedeutenden Augenblicken von Mariane erhalten, oder derselben geraubt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":924,"orig":"Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da ſie noch friſch in ihren Haaren blühte, jedes Zettelchen an die glückliche Stunde, wozu ſie ihn dadurch einlud, jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz ſeines Hauptes, ihren ſchönen Buſen.","norm":"Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da sie noch frisch in ihren Haaren blühte, jedes Zettelchen an die glückliche Stunde, wozu sie ihn dadurch einlud, jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz seines Hauptes, ihren schönen Busen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":925,"orig":"Mußte nicht auf dieſe Weiſe jede Empfindung, die er ſchon lange getödtet glaubte, ſich wieder zu bewegen anfangen?","norm":"Musste nicht auf diese Weise jede Empfindung, die er schon lange getötet glaubte, sich wieder zu bewegen anfangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":926,"orig":"Mußte nicht die Leidenſchaft, über die er, abgeſchieden von ſeiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart dieſer Kleinigkeiten wieder mächtig werden?","norm":"Musste nicht die Leidenschaft, über die er, abgeschieden von seiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart dieser Kleinigkeiten wieder mächtig werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":927,"orig":"Denn wir merken erſt, wie traurig und unangenehm ein trüber Tag iſt, wenn ein einziger, durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heitern Stunde darſtellt.","norm":"Denn wir merken erst, wie traurig und unangenehm ein trüber Tag ist, wenn ein einziger, durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heiteren Stunde darstellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":928,"orig":"Nicht ohne Bewegung ſah er daher dieſe ſo lange bewahrten Heiligthümer nach einander in Rauch und Flamme vor ſich aufgehen.","norm":"Nicht ohne Bewegung sah er daher diese so lange bewahrten Heiligtümer nacheinander in Rauch und Flamme vor sich aufgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":929,"orig":"Einigemal hielt er zaudernd inne, und hatte noch eine Perlenſchnur und ein flohrnes Halstuch übrig, als er ſich entſchloß, mit den dichteriſchen Verſuchen ſeiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufriſchen.","norm":"Einigemal hielt er zaudernd inne, und hatte noch eine Perlenschnur und ein flohrenes Halstuch übrig, als er sich entschloss, mit den dichterischen Versuchen seiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufrischen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":930,"orig":"Bis jetzt hatte er alles ſorgfältig aufgehoben, was ihm, von der frühſten Entwicklung ſeines Geiſtes an, aus der Feder gefloſſen war.","norm":"Bis jetzt hatte er alles sorgfältig aufgehoben, was ihm, von der frühsten Entwicklung seines Geistes an, aus der Feder geflossen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":931,"orig":"Noch lagen ſeine Schriften in Bündel gebunden auf dem Boden des Koffers, wohin er ſie gepackt hatte, als er ſie auf ſeiner Flucht mitzunehmen hoffte.","norm":"Noch lagen seine Schriften in Bündel gebunden auf dem Boden des Koffers, wohin er sie gepackt hatte, als er sie auf seiner Flucht mitzunehmen hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":932,"orig":"Wie ganz anders eröffnete er ſie jetzt, als er ſie damals zuſammen band!","norm":"Wie ganz anders eröffnete er sie jetzt, als er sie damals zusammenband!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":933,"orig":"Wenn wir einen Brief, den wir unter gewiſſen Umſtänden geſchrieben und geſiegelt haben, der aber den Freund, an den er gerichtet war, nicht antrift, ſondern wieder zu uns zurück gebracht wird, nach einiger Zeit eröffnen, überfällt uns eine ſonderbare Empfindung, indem wir unſer eignes Siegel erbrechen, und uns mit unſern veränderten Selbſt wie mit einer dritten Perſon unterhalten.","norm":"Wenn wir einen Brief, den wir unter gewissen Umständen geschrieben und gesiegelt haben, der aber den Freund, an den er gerichtet war, nicht antrifft, sondern wieder zu uns zurückgebracht wird, nach einiger Zeit eröffnen, überfällt uns eine sonderbare Empfindung, indem wir unser eigenes Siegel erbrechen, und uns mit unseren veränderten Selbst wie mit einer dritten Person unterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":934,"orig":"Ein ähnliches Gefühl ergriff mit Heftigkeit unſern Freund, als er das erſte Paquet eröffnete, die zertheilten Hefte ins Feuer warf, die eben gewaltſam aufloderten, als Werner hereintrat, ſich über die lebhafte Flamme verwunderte, und fragte, was hier vorgehe?","norm":"Ein ähnliches Gefühl ergriff mit Heftigkeit unseren Freund, als er das erste Paket eröffnete, die zerteilten Hefte ins Feuer warf, die eben gewaltsam aufloderten, als Werner hereintrat, sich über die lebhafte Flamme verwunderte, und fragte, was hier vorgehe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":935,"orig":"Ich gebe einen Beweis, ſagte Wilhelm, daß es mir ernſt ſey, ein Handwerk aufzugeben, wozu ich nicht geboren ward; und mit dieſen Worten warf er das zweyte Paquet in das Feuer.","norm":"Ich gebe einen Beweis, sagte Wilhelm, dass es mir Ernst sei, ein Handwerk aufzugeben, wozu ich nicht geboren wurde; und mit diesen Worten warf er das zweite Paket in das Feuer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":936,"orig":"Werner wollte ihn abhalten, allein es war geſchehen.","norm":"Werner wollte ihn abhalten, allein es war geschehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":937,"orig":"Ich ſehe nicht ein, wie du zu dieſem Extrem kommſt, ſagte dieſer.","norm":"Ich sehe nicht ein, wie du zu diesem Extrem kommst, sagte dieser."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":938,"orig":"Warum ſollen denn nun dieſe Arbeiten, wenn ſie nicht vortrefflich ſind, gar vernichtet werden?","norm":"Warum sollen denn nun diese Arbeiten, wenn sie nicht vortrefflich sind, gar vernichtet werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":939,"orig":"Weil ein Gedicht entweder vortrefflich ſeyn, oder gar nicht exiſtiren ſoll.","norm":"Weil ein Gedicht entweder vortrefflich sein, oder gar nicht existieren soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":940,"orig":"Weil jeder, der keine Anlage hat, das Beſte zu leiſten, ſich der Kunſt enthalten, und ſich vor jeder Verführung dazu ernſtlich in Acht nehmen ſollte.","norm":"Weil jeder, der keine Anlage hat, das Beste zu leisten, sich der Kunst enthalten, und sich vor jeder Verführung dazu ernstlich in Acht nehmen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":941,"orig":"Denn freylich regt ſich in jedem Menſchen ein gewiſſes unbeſtimmtes Verlangen, dasjenige was er ſieht, nachzuahmen; aber dieſes Verlangen beweiſt gar nicht, daß auch in uns die Kraft wohne, mit dem, was wir unternehmen, zu Stande zu kommen.","norm":"Denn freilich regt sich in jedem Menschen ein gewisses unbestimmtes Verlangen, dasjenige was er sieht, nachzuahmen; aber dieses Verlangen beweist gar nicht, dass auch in uns die Kraft wohne, mit dem, was wir unternehmen, zustande zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":942,"orig":"Sieh nur die Knaben an, wie ſie jedesmal, ſo oft Seiltänzer in der Stadt geweſen, auf allen Planken und Balken hin und wieder gehen und balanciren, bis ein anderer Reiz ſie wieder zu einem ähnlichen Spiele hinzieht.","norm":"Sieh nur die Knaben an, wie sie jedes Mal, sooft Seiltänzer in der Stadt gewesen, auf allen Planken und Balken hin und wieder gehen und balancieren, bis ein anderer Reiz sie wieder zu einem ähnlichen Spiele hinzieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":943,"orig":"Haſt du es nicht in dem Zirkel unſrer Freunde bemerkt?","norm":"Hast du es nicht in dem Zirkel unserer Freunde bemerkt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":944,"orig":"So oft ſich ein Virtuoſe hören läßt, finden ſich immer einige, die ſogleich daſſelbe Inſtrument zu lernen anfangen.","norm":"Sooft sich ein Virtuose hören lässt, finden sich immer einige, die sogleich dasselbe Instrument zu lernen anfangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":945,"orig":"Wie viele irren auf dieſem Wege herum; glücklich wer den Fehlſchluß von ſeinen Wünſchen auf ſeine Kräfte bald gewahr wird!","norm":"Wie viele irren auf diesem Wege herum; glücklich wer den Fehlschluss von seinen Wünschen auf seine Kräfte bald gewahr wird!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":946,"orig":"Werner widerſprach; die Unterredung ward lebhaft, und Wilhelm konnte nicht ohne Bewegung die Argumente, mit denen er ſich ſelbſt ſo oft gequält hatte, gegen ſeinen Freund wiederholen.","norm":"Werner widersprach; die Unterredung wurde lebhaft, und Wilhelm konnte nicht ohne Bewegung die Argumente, mit denen er sich selbst so oft gequält hatte, gegen seinen Freund wiederholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":947,"orig":"Werner behauptete, es ſey nicht vernünftig, ein Talent, zu dem man nur einigermaßen Neigung und Geſchick habe, deswegen, weil man es niemals in der größten Vollkommenheit ausüben werde, ganz aufzugeben.","norm":"Werner behauptete, es sei nicht vernünftig, ein Talent, zu dem man nur einigermaßen Neigung und Geschick habe, deswegen, weil man es niemals in der größten Vollkommenheit ausüben werde, ganz aufzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":948,"orig":"Es finde ſich ja ſo manche leere Zeit, die man dadurch ausfüllen, und nach und nach etwas hervorbringen könne, wodurch wir uns und andern ein Vergnügen bereiten.","norm":"Es finde sich ja so manche leere Zeit, die man dadurch ausfüllen, und nach und nach etwas hervorbringen könne, wodurch wir uns und anderen ein Vergnügen bereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":949,"orig":"Unſer Freund, der hierin ganz anderer Meynung war, fiel ihm ſogleich ein, und ſagte mit großer Lebhaftigkeit:","norm":"Unser Freund, der hierin ganz anderer Meinung war, fiel ihm sogleich ein, und sagte mit großer Lebhaftigkeit:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":950,"orig":"Wie ſehr irrſt du, lieber Freund, wenn du glaubſt, daß ein Werk, deſſen erſte Vorſtellung die ganze Seele füllen muß, in unterbrochenen, zuſammen gegeizten Stunden könne hervorgebracht werden.","norm":"Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst, dass ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele füllen muss, in unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden könne hervorgebracht werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":951,"orig":"Nein, der Dichter muß ganz ſich, ganz in ſeinen geliebten Gegenſtänden leben.","norm":"Nein, der Dichter muss ganz sich, ganz in seinen geliebten Gegenständen leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":952,"orig":"Er, der vom Himmel innerlich auf das köſtlichſte begabt iſt, der einen, ſich immer ſelbſt vermehrenden Schatz im Buſen bewahrt, er muß auch von auſſen ungeſtört mit ſeinen Schätzen in der ſtillen Glückſeligkeit leben, die ein Reicher vergebens mit aufgehäuften Gütern um ſich hervorzubringen ſucht.","norm":"Er, der vom Himmel innerlich auf das köstlichste begabt ist, der einen, sich immer selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er muss auch von außen ungestört mit seinen Schätzen in der stillen Glückseligkeit leben, die ein Reicher vergebens mit aufgehäuften Gütern um sich hervorzubringen sucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":953,"orig":"Sieh die Menſchen an, wie ſie nach Glück und Vergnügen rennen!","norm":"Sieh die Menschen an, wie sie nach Glück und Vergnügen rennen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":954,"orig":"Ihre Wünſche, ihre Mühe, ihr Geld jagen raſtlos, und wornach?","norm":"Ihre Wünsche, ihre Mühe, ihr Geld jagen rastlos, und wonach?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":955,"orig":"Nach dem, was der Dichter von der Natur erhalten hat, nach dem Genuß der Welt, nach dem Mitgefühl ſeiner ſelbſt in andern, nach einem harmoniſchen Zuſammenſeyn mit vielen oft unvereinbaren Dingen.","norm":"Nach dem, was der Dichter von der Natur erhalten hat, nach dem Genuss der Welt, nach dem Mitgefühl seiner selbst in anderen, nach einem harmonischen Zusammensein mit vielen oft unvereinbaren Dingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":956,"orig":"Was beunruhiget die Menſchen, als daß ſie ihre Begriffe nicht mit den Sachen verbinden können, daß der Genuß ſich ihnen unter den Händen wegſtiehlt, daß das gewünſchte zu ſpät kommt, und daß alles erreichte und erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung thut, welche die Begierde uns in der Ferne ahnden läßt.","norm":"Was beunruhiget die Menschen, als dass sie ihre Begriffe nicht mit den Sachen verbinden können, dass der Genuss sich ihnen unter den Händen wegstiehlt, dass das Gewünschte zu spät kommt, und dass alles Erreichte und Erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung tut, welche die Begierde uns in der Ferne ahnen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":957,"orig":"Gleichſam wie einen Gott hat das Schickſal den Dichter über dieſes alles hinüber geſetzt.","norm":"Gleichsam wie einen Gott hat das Schicksal den Dichter über dieses alles hinübergesetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":958,"orig":"Er ſieht das Gewirre der Leidenſchaften, Familien und Reiche ſich zwecklos bewegen, er ſieht die unauflöslichen Räzel der Mißverſtändniſſe, denen oft nur ein einſylbiges Wort zur Entwicklung fehlt, unſäglich verderbliche Verwirrungen verurſachen.","norm":"Er sieht das Gewirre der Leidenschaften, Familien und Reiche sich zwecklos bewegen, er sieht die unauflöslichen Rätsel der Missverständnisse, denen oft nur ein einsilbiges Wort zur Entwicklung fehlt, unsäglich verderbliche Verwirrungen verursachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":959,"orig":"Er fühlt das Traurige und das Freudige jedes Menſchenſchickſals mit.","norm":"Er fühlt das Traurige und das Freudige jedes Menschenschicksals mit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":960,"orig":"Wenn der Weltmenſch in einer abzehrenden Melancholie über großen Verluſt ſeine Tage hinſchleicht, oder in ausgelaſſener Freude ſeinem Schickſale entgegen geht, ſo ſchreitet die empfängliche leichtbewegliche Seele des Dichters, wie die wandelnde Sonne, von Nacht zu Tag fort, und mit leiſen Übergängen ſtimmt ſeine Harfe zu Freude und Leid.","norm":"Wenn der Weltmensch in einer abzehrenden Melancholie über großen Verlust seine Tage hinschleicht, oder in ausgelassener Freude seinem Schicksale entgegengeht, so schreitet die empfängliche leichtbewegliche Seele des Dichters, wie die wandelnde Sonne, von Nacht zu Tag fort, und mit leisen Übergängen stimmt seine Harfe zu Freude und Leid."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":961,"orig":"Eingeboren auf den Grund ſeines Herzens wächſt die ſchöne Blume der Weisheit hervor, und wenn die andern wachend träumen, und von ungeheuren Vorſtellungen aus allen ihren Sinnen geängſtiget werden, ſo lebt er den Traum des Lebens als ein wachender, und das ſeltenſte, was geſchieht, iſt ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft.","norm":"Eingeboren auf dem Grund seines Herzens wächst die schöne Blume der Weisheit hervor, und wenn die anderen wachend träumen, und von ungeheuren Vorstellungen aus allen ihren Sinnen geängstigt werden, so lebt er den Traum des Lebens als ein Wachender, und das Seltenste, was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":962,"orig":"Und ſo iſt der Dichter zugleich Lehrer, Wahrſager, Freund der Götter und der Menſchen.","norm":"Und so ist der Dichter zugleich Lehrer, Wahrsager, Freund der Götter und der Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":963,"orig":"Wie!","norm":"Wie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":964,"orig":"willſt du, daß er zu einem kümmerlichen Gewerbe herunter ſteige, er, der wie ein Vogel gebaut iſt, um die Welt zu überſchweben, auf hohen Gipfeln zu niſten, und ſeine Nahrung von Knospen und Früchten, einen Zweig mit dem andern leicht verwechſelnd, zu nehmen, der ſollte zugleich wie der Stier am Pfluge ziehen, wie der Hund ſich auf eine Fährte gewöhnen, oder vielleicht gar an die Kette geſchloſſen einen Meyerhof durch ſein Bellen ſichern?","norm":"willst du, dass er zu einem kümmerlichen Gewerbe heruntersteige, er, der wie ein Vogel gebaut ist, um die Welt zu überschweben, auf hohen Gipfeln zu nisten, und seine Nahrung von Knospen und Früchten, einen Zweig mit dem anderen leicht verwechselnd, zu nehmen, der sollte zugleich wie der Stier am Pfluge ziehen, wie der Hund sich auf eine Fährte gewöhnen, oder vielleicht gar an die Kette geschlossen einen Meierhof durch sein Bellen sichern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":965,"orig":"Werner hatte, wie man ſich denken kann, mit Verwunderung zugehört.","norm":"Werner hatte, wie man sich denken kann, mit Verwunderung zugehört."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":966,"orig":"Wenn nur auch die Menſchen, fiel er ihm ein, wie die Vögel gemacht wären, und ohne daß ſie ſpinnen und weben, holdſelige Tage in beſtändigem Genuß zubringen könnten.","norm":"Wenn nur auch die Menschen, fiel er ihm ein, wie die Vögel gemacht wären, und ohne dass sie spinnen und weben, holdselige Tage in beständigem Genuss zubringen könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":967,"orig":"Wenn ſie nur auch bey Ankunft des Winters ſich ſo leicht in ferne Gegenden begäben, dem Mangel auszuweichen, und ſich vor dem Froſte zu ſichern.","norm":"Wenn sie nur auch bei Ankunft des Winters sich so leicht in ferne Gegenden begäben, dem Mangel auszuweichen, und sich vor dem Froste zu sichern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":968,"orig":"So haben die Dichter in Zeiten gelebt, wo das Ehrwürdige mehr erkannt ward, rief Wilhelm aus, und ſo ſollten ſie immer leben.","norm":"So haben die Dichter in Zeiten gelebt, wo das Ehrwürdige mehr erkannt wurde, rief Wilhelm aus, und so sollten sie immer leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":969,"orig":"Genugſam in ihrem Innerſten ausgeſtattet bedurften ſie wenig von auſſen; die Gabe, ſchöne Empfindungen, herrliche Bilder den Menſchen in ſüßen, ſich an jeden Gegenſtand anſchmiegenden, Worten und Melodien mitzutheilen, bezauberte von jeher die Welt, und war für den Begabten ein reichliches Erbtheil.","norm":"Genugsam in ihrem Innersten ausgestattet bedurften sie wenig von außen; die Gabe, schöne Empfindungen, herrliche Bilder den Menschen in süßen, sich an jeden Gegenstand anschmiegenden, Worten und Melodien mitzuteilen, bezauberte von jeher die Welt, und war für den Begabten ein reichliches Erbteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":970,"orig":"An der Könige Höfen, an den Tiſchen der Reichen, vor den Thüren der Verliebten horchte man auf ſie, indem ſich das Ohr und die Seele für alles andere verſchloß; wie man ſich ſelig preiſt und entzückt ſtille ſteht, wenn aus den Gebüſchen, durch die man wandelt, die Stimme der Nachtigall gewaltig rührend hervordringt!","norm":"An der Könige Höfen, an den Tischen der Reichen, vor den Türen der Verliebten horchte man auf sie, indem sich das Ohr und die Seele für alles andere verschloss; wie man sich selig preist und entzückt stille steht, wenn aus den Gebüschen, durch die man wandelt, die Stimme der Nachtigall gewaltig rührend hervordringt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":971,"orig":"Sie fanden eine gaſtfreye Welt, und ihr niedrig ſcheinender Stand erhöhte ſie nur deſto mehr; der Held lauſchte ihren Geſängen, und der Überwinder der Welt huldigte einem Dichter, weil er fühlte, daß, ohne dieſen, ſein ungeheures Daſeyn nur wie ein Sturmwind vorüberfahren würde; der Liebende wünſchte ſein Verlangen und ſeinen Genuß ſo tauſendfach und ſo harmoniſch zu fühlen, als ihn die beſeelte Lippe zu ſchildern verſtand, und ſelbſt der Reiche konnte ſeine Beſitzthümer, ſeine Abgötter nicht mit eigenen Augen ſo koſtbar ſehen, als ſie ihm vom Glanze des, allen Werth fühlenden und erhöhenden Geiſtes beleuchtet erſchienen.","norm":"Sie fanden eine gastfreie Welt, und ihr niedrig scheinender Stand erhöhte sie nur desto mehr; der Held lauschte ihren Gesängen, und der Überwinder der Welt huldigte einem Dichter, weil er fühlte, dass, ohne diesen, sein ungeheures Dasein nur wie ein Sturmwind vorüberfahren würde; der Liebende wünschte sein Verlangen und seinen Genuss so tausendfach und so harmonisch zu fühlen, als ihn die beseelte Lippe zu schildern verstand, und selbst der Reiche konnte seine Besitztümer, seine Abgötter nicht mit eigenen Augen so kostbar sehen, als sie ihm vom Glanz des, allen Wert fühlenden und erhöhenden Geistes beleuchtet erschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":972,"orig":"Ja, wer hat, wenn du willſt, Götter gebildet, uns zu ihnen erhoben, ſie zu uns herniedergebracht, als der Dichter?","norm":"Ja, wer hat, wenn du willst, Götter gebildet, uns zu ihnen erhoben, sie zu uns herniedergebracht, als der Dichter?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":973,"orig":"Mein Freund, verſetzte Werner nach einigem Nachdenken, ich habe ſchon oft bedauert, daß du das, was du ſo lebhaft fühlſt, mit Gewalt aus deiner Seele zu verbannen ſtrebſt.","norm":"Mein Freund, versetzte Werner nach einigem Nachdenken, ich habe schon oft bedauert, dass du das, was du so lebhaft fühlst, mit Gewalt aus deiner Seele zu verbannen strebst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":974,"orig":"Ich müßte mich ſehr irren, wenn du nicht beſſer thäteſt, dir ſelbſt einigermaßen nachzugeben, als dich durch die Widerſprüche eines ſo harten Entſagens aufzureiben, und dir mit der Einen unſchuldigen Freude den Genuß aller übrigen zu entziehen.","norm":"Ich müsste mich sehr irren, wenn du nicht besser tätest, dir selbst einigermaßen nachzugeben, als dich durch die Widersprüche eines so harten Entsagens aufzureiben, und dir mit der Einen unschuldigen Freude den Genuss aller übrigen zu entziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":975,"orig":"Darf ich dir’s geſtehen, mein Freund, verſetzte der andre, und wirſt du mich nicht lächerlich finden, wenn ich dir bekenne, daß jene Bilder mich noch immer verfolgen, ſo ſehr ich ſie fliehe, und daß, wenn ich mein Herz unterſuche, alle frühen Wünſche feſt, ja noch feſter als ſonſt darin haften?","norm":"Darf ich dir es gestehen, mein Freund, versetzte der andere, und wirst du mich nicht lächerlich finden, wenn ich dir bekenne, dass jene Bilder mich noch immer verfolgen, so sehr ich sie fliehe, und dass, wenn ich mein Herz untersuche, alle frühen Wünsche fest, ja noch fester als sonst darin haften?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":976,"orig":"Doch was bleibt mir Unglücklichen gegenwärtig übrig?","norm":"Doch was bleibt mir Unglücklichem gegenwärtig übrig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":977,"orig":"Ach wer mir vorausgeſagt hätte, daß die Arme meines Geiſtes ſobald zerſchmettert werden ſollten, mit denen ich ins Unendliche griff, und mit denen ich doch gewiß ein Großes zu umfaſſen hofte.","norm":"Ach wer mir vorausgesagt hätte, dass die Arme meines Geistes sobald zerschmettert werden sollten, mit denen ich ins Unendliche griff, und mit denen ich doch gewiss ein Großes zu umfassen hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":978,"orig":"Wer mir das vorausgeſagt hätte, würde mich zur Verzweiflung gebracht haben.","norm":"Wer mir das vorausgesagt hätte, würde mich zur Verzweiflung gebracht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":979,"orig":"Und noch jetzt, da das Gericht über mich ergangen iſt, jetzt, da ich die verloren habe, die anſtatt einer Gottheit mich zu meinen Wünſchen hinüber führen ſollte, was bleibt mir übrig, als mich den bitterſten Schmerzen zu überlaſſen?","norm":"Und noch jetzt, da das Gericht über mich ergangen ist, jetzt, da ich die verloren habe, die anstatt einer Gottheit mich zu meinen Wünschen hinüberführen sollte, was bleibt mir übrig, als mich den bittersten Schmerzen zu überlassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":980,"orig":"O mein Bruder, fuhr er fort, ich leugne nicht, ſie war mir bey meinen heimlichen Anſchlägen der Kloben, an den eine Strickleiter befeſtigt iſt; gefährlich hoffend ſchwebt der Abentheurer in der Luft, das Eiſen bricht, und er liegt zerſchmettert am Fuße ſeiner Wünſche.","norm":"O mein Bruder, fuhr er fort, ich leugne nicht, sie war mir bei meinen heimlichen Anschlägen der Kloben, an dem eine Strickleiter befestigt ist; gefährlich hoffend schwebt der Abenteurer in der Luft, das Eisen bricht, und er liegt zerschmettert am Fuße seiner Wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":981,"orig":"Es iſt auch nun für mich kein Troſt, keine Hofnung mehr!","norm":"Es ist auch nun für mich kein Trost, keine Hoffnung mehr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":982,"orig":"Ich werde, rief er aus, indem er aufſprang, von dieſen unglückſeligen Papieren keines übrig laſſen.","norm":"Ich werde, rief er aus, indem er aufsprang, von diesen unglückseligen Papieren keines übriglassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":983,"orig":"Er faßte abermals ein Paar Hefte an, riß ſie auf und warf ſie ins Feuer.","norm":"Er fasste abermals ein paar Hefte an, riss sie auf und warf sie ins Feuer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":984,"orig":"Werner wollte ihn abhalten, aber vergebens.","norm":"Werner wollte ihn abhalten, aber vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":985,"orig":"Laß mich!","norm":"Lass mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":986,"orig":"rief Wilhelm, was ſollen dieſe elenden Blätter?","norm":"rief Wilhelm, was sollen diese elenden Blätter?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":987,"orig":"Für mich ſind ſie weder Stufe noch Aufmunterung mehr.","norm":"Für mich sind sie weder Stufe noch Aufmunterung mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":988,"orig":"Sollen ſie übrig bleiben, um mich bis ans Ende meines Lebens zu peinigen?","norm":"Sollen sie übrigbleiben, um mich bis ans Ende meines Lebens zu peinigen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":989,"orig":"Sollen ſie vielleicht einmal der Welt zum Geſpötte dienen, anſtatt Mitleiden und Schauer zu erregen?","norm":"Sollen sie vielleicht einmal der Welt zum Gespötte dienen, anstatt Mitleiden und Schauer zu erregen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":990,"orig":"Weh über mich und über mein Schickſal!","norm":"Wehe über mich und über mein Schicksal!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":991,"orig":"Nun verſtehe ich erſt die Klagen der Dichter, der aus Noth weiſe gewordnen Traurigen.","norm":"Nun verstehe ich erst die Klagen der Dichter, der aus Not weise gewordenen Traurigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":992,"orig":"Wie lange hielt ich mich für unzerſtörbar, für unverwundlich, und ach!","norm":"Wie lange hielt ich mich für unzerstörbar, für unverwundlich, und ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":993,"orig":"nun ſeh ich, daß ein tiefer früher Schade nicht wieder auswachſen, ſich nicht wieder herſtellen kann; ich fühle, daß ich ihn mit ins Grab nehmen muß.","norm":"nun sehe ich, dass ein tiefer früher Schade nicht wieder auswachsen, sich nicht wieder herstellen kann; ich fühle, dass ich ihn mit ins Grab nehmen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":994,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":995,"orig":"keinen Tag des Lebens ſoll der Schmerz von mir weichen, der mich noch zuletzt umbringt, und auch ihr Andenken ſoll bey mir bleiben, mit mir leben und ſterben, das Andenken der Unwürdigen — ach, mein Freund!","norm":"keinen Tag des Lebens soll der Schmerz von mir weichen, der mich noch zuletzt umbringt, und auch ihr Andenken soll bei mir bleiben, mit mir leben und sterben, das Andenken der Unwürdigen — ach, mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":996,"orig":"wenn ich von Herzen reden ſoll — der gewiß nicht ganz Unwürdigen!","norm":"wenn ich von Herzen reden soll — der gewiss nicht ganz unwürdigen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":997,"orig":"Ihr Stand, ihre Schickſale haben ſie tauſendmal bey mir entſchuldigt.","norm":"Ihr Stand, ihre Schicksale haben sie tausendmal bei mir entschuldigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":998,"orig":"Ich bin zu grauſam geweſen, du haſt mich in deine Kälte, in deine Härte unbarmherzig eingeweiht, meine zerrütteten Sinne gefangen gehalten und mich verhindert, das für ſie und für mich zu thun, was ich uns beiden ſchuldig war.","norm":"Ich bin zu grausam gewesen, du hast mich in deine Kälte, in deine Härte unbarmherzig eingeweiht, meine zerrütteten Sinne gefangengehalten und mich verhindert, das für sie und für mich zu tun, was ich uns beiden schuldig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":999,"orig":"Wer weiß, in welchen Zuſtand ich ſie verſetzt habe, und erſt nach und nach fällt mir’s auf's Gewiſſen, in welcher Verzweiflung, in welcher Hülfloſigkeit ich ſie verließ.","norm":"Wer weiß, in welchen Zustand ich sie versetzt habe, und erst nach und nach fällt mir es aufs Gewissen, in welcher Verzweiflung, in welcher Hilflosigkeit ich sie verließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1000,"orig":"War’s nicht möglich, daß ſie ſich entſchuldigen konnte?","norm":"War es nicht möglich, dass sie sich entschuldigen konnte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1001,"orig":"War’s nicht möglich?","norm":"War es nicht möglich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1002,"orig":"Wieviel Mißverſtändniſſe können die Welt verwirren, wieviel Umſtände können dem größten Fehler Vergebung erflehen?","norm":"Wie viel Missverständnisse können die Welt verwirren, wie viel Umstände können dem größten Fehler Vergebung erflehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1003,"orig":"— Wie oft denke ich mir ſie, in der Stille für ſich ſitzend, auf ihren Ellenbogen geſtützt.","norm":"— Wie oft denke ich mir sie, in der Stille für sich sitzend, auf ihren Ellenbogen gestützt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1004,"orig":"— Das iſt, ſagt ſie, die Treue, die Liebe, die er mir zuſchwur!","norm":"— Das ist, sagt sie, die Treue, die Liebe, die er mir zuschwur!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1005,"orig":"Mit dieſem unſanften Schlag das ſchöne Leben zu endigen, das uns verband!","norm":"Mit diesem unsanften Schlag das schöne Leben zu endigen, das uns verband!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1006,"orig":"— Er brach in einen Strom von Thränen aus, indem er ſich mit dem Geſichte auf den Tiſch warf, und die übergebliebenen Papiere benetzte.","norm":"— Er brach in einen Strom von Tränen aus, indem er sich mit dem Gesichte auf den Tisch warf, und die übriggebliebenen Papiere benetzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1007,"orig":"Werner ſtand in der größten Verlegenheit dabey.","norm":"Werner stand in der größten Verlegenheit dabei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1008,"orig":"Er hatte ſich dieſes raſche Auflodern der Leidenſchaft nicht vermuthet.","norm":"Er hatte sich dieses rasche Auflodern der Leidenschaft nicht vermutet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1009,"orig":"Etlichemal wollte er ſeinem Freunde in die Rede fallen, etlichemal das Geſpräch wo anders hinlenken, vergebens!","norm":"Etliche Mal wollte er seinem Freunde in die Rede fallen, etliche Mal das Gespräch woanders hinlenken, vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1010,"orig":"er widerſtand dem Strome nicht.","norm":"er widerstand dem Strome nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1011,"orig":"Auch hier übernahm die ausdauernde Freundſchaft wieder ihr Amt.","norm":"Auch hier übernahm die ausdauernde Freundschaft wieder ihr Amt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1012,"orig":"Er ließ den heftigſten Anfall des Schmerzens vorüber, indem er, durch ſeine ſtille Gegenwart, eine aufrichtige reine Theilnehmung am beſten ſehen ließ, und ſo blieben ſie dieſen Abend;","norm":"Er ließ den heftigsten Anfall des Schmerzens vorüber, indem er, durch seine stille Gegenwart, eine aufrichtige reine Teilnehmung am besten sehen ließ, und so blieben sie diesen Abend;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1013,"orig":"Wilhelm ins ſtille Nachgefühl des Schmerzens verſenkt, und der andere erſchreckt durch den neuen Ausbruch einer Leidenſchaft, die er lange bemeiſtert und durch guten Rath und eifriges Zureden überwältigt zu haben glaubte.","norm":"Wilhelm ins stille Nachgefühl des Schmerzens versenkt, und der andere erschreckt durch den neuen Ausbruch einer Leidenschaft, die er lange bemeistert und durch guten Rat und eifriges Zureden überwältigt zu haben glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1014,"orig":"Nach ſolchen Rückfällen pflegte Wilhelm meiſt nur deſto eifriger ſich den Geſchäften und der Thätigkeit zu widmen, und es war der beſte Weg, dem Labyrinthe, das ihn wieder anzulocken ſuchte, zu entfliehen.","norm":"Nach solchen Rückfällen pflegte Wilhelm meist nur desto eifriger sich den Geschäften und der Tätigkeit zu widmen, und es war der beste Weg, dem Labyrinthe, das ihn wieder anzulocken suchte, zu entfliehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1015,"orig":"Seine gute Art, ſich gegen Fremde zu betragen, ſeine Leichtigkeit, faſt in allen lebenden Sprachen Correſpondenz zu führen, gaben ſeinem Vater und deſſen Handelsfreunde immer mehr Hoffnung, und tröſteten ſie über die Krankheit, deren Urſache ihnen nicht bekannt geworden war, und über die Pauſe, die ihren Plan unterbrochen hatte.","norm":"Seine gute Art, sich gegen Fremde zu betragen, seine Leichtigkeit, fast in allen lebenden Sprachen Korrespondenz zu führen, gaben seinem Vater und dessen Handelsfreunde immer mehr Hoffnung, und trösteten sie über die Krankheit, deren Ursache ihnen nicht bekannt geworden war, und über die Pause, die ihren Plan unterbrochen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1016,"orig":"Man beſchloß Wilhelms Abreiſe zum zweytenmal, und wir finden ihn auf ſeinem Pferde, den Mantelſack hinter ſich, erheitert durch freye Luft und Bewegung, dem Gebirge ſich nähern, wo er einige Aufträge ausrichten ſollte.","norm":"Man beschloss Wilhelms Abreise zum zweiten Mal, und wir finden ihn auf seinem Pferde, den Mantelsack hinter sich, erheitert durch freie Luft und Bewegung, dem Gebirge sich nähern, wo er einige Aufträge ausrichten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1017,"orig":"Er durchſtrich langſam Thäler und Berge mit der Empfindung des größten Vergnügens.","norm":"Er durchstrich langsam Täler und Berge mit der Empfindung des größten Vergnügens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1018,"orig":"Überhangende Felſen, rauſchende Waſſerbäche, bewachſene Wände, tiefe Gründe ſah er hier zum erſtenmal, und doch hatten ſeine frühſten Jugendträume ſchon in ſolchen Gegenden geſchwebt.","norm":"Überhangende Felsen, rauschende Wasserbäche, bewachsene Wände, tiefe Gründe sah er hier zum ersten Mal, und doch hatten seine frühsten Jugendträume schon in solchen Gegenden geschwebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1019,"orig":"Er fühlte ſich bey dieſem Anblicke wieder verjüngt, alle erduldete Schmerzen waren aus ſeiner Seele weggewaſchen, und mit völliger Heiterkeit ſagte er ſich Stellen aus verſchiedenen Gedichten, beſonders aus dem Paſtor fido vor, die an dieſen einſamen Plätzen ſchaarenweis ſeinem Gedächtniſſe zufloſſen.","norm":"Er fühlte sich bei diesem Anblicke wieder verjüngt, all erduldeten Schmerzen waren aus seiner Seele weggewaschen, und mit völliger Heiterkeit sagte er sich Stellen aus verschiedenen Gedichten, besonders aus dem Pastor fido vor, die an diesen einsamen Plätzen scharenweise seinem Gedächtnisse zuflossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1020,"orig":"Auch erinnerte er ſich mancher Stellen aus ſeinen eigenen Liedern, die er mit einer beſondern Zufriedenheit rezitirte.","norm":"Auch erinnerte er sich mancher Stellen aus seinen eigenen Liedern, die er mit einer besonderen Zufriedenheit rezitierte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1021,"orig":"Er belebte die Welt, die vor ihm lag, mit allen Geſtalten der Vergangenheit, und jeder Schritt in die Zukunft war ihm voll Ahndung wichtiger Handlungen und merkwürdiger Begebenheiten.","norm":"Er belebte die Welt, die vor ihm lag, mit allen Gestalten der Vergangenheit, und jeder Schritt in die Zukunft war ihm voll Ahnung wichtiger Handlungen und merkwürdiger Begebenheiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1022,"orig":"Mehrere Menſchen, die, auf einander folgend, hinter ihm herkamen, an ihm mit einem Gruße vorbeygingen, und den Weg ins Gebirge, durch ſteile Fußpfade, eilig fortſetzten, unterbrachen einigemal ſeine ſtille Unterhaltung, ohne daß er jedoch aufmerkſam auf ſie geworden wäre.","norm":"Mehrere Menschen, die, aufeinander folgend, hinter ihm herkamen, an ihm mit einem Gruße vorbeigingen, und den Weg ins Gebirge, durch steile Fußpfade, eilig fortsetzten, unterbrachen einige Mal seine stille Unterhaltung, ohne dass er jedoch aufmerksam auf sie geworden wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1023,"orig":"Endlich geſellte ſich ein geſprächiger Gefährte zu ihm, und erzählte die Urſache der ſtarken Pilgerſchaft.","norm":"Endlich gesellte sich ein gesprächiger Gefährte zu ihm, und erzählte die Ursache der starken Pilgerschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1024,"orig":"Zu Hochdorf, ſagte er, wird heute Abend eine Comödie gegeben, wozu ſich die ganze Nachbarſchaft verſammlet.","norm":"Zu Hochdorf, sagte er, wird heute Abend eine Komödie gegeben, wozu sich die ganze Nachbarschaft versammelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1025,"orig":"Wie, rief Wilhelm, in dieſen einſamen Gebirgen, zwiſchen dieſen undurchdringlichen Wäldern hat die Schauſpielkunſt einen Weg gefunden, und ſich einen Tempel aufgebaut?","norm":"Wie, rief Wilhelm, in diesen einsamen Gebirgen, zwischen diesen undurchdringlichen Wäldern hat die Schauspielkunst einen Weg gefunden, und sich einen Tempel aufgebaut?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1026,"orig":"und ich muß zu ihrem Feſte wallfahrten?","norm":"und ich muss zu ihrem Feste wallfahrten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1027,"orig":"Sie werden ſich noch mehr wundern, ſagte der andere, wenn Sie hören, durch wen das Stück aufgeführt wird.","norm":"Sie werden sich noch mehr wundern, sagte der andere, wenn Sie hören, durch wen das Stück aufgeführt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1028,"orig":"Es iſt eine große Fabrik in dem Orte, die viel Leute ernährt.","norm":"Es ist eine große Fabrik in dem Orte, die viel Leute ernährt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1029,"orig":"Der Unternehmer, der ſo zu ſagen von aller menſchlichen Geſellſchaft entfernt lebt, weiß ſeine Arbeiter im Winter nicht beſſer zu beſchäftigen, als daß er ſie veranlaßt hat, Comödie zu ſpielen.","norm":"Der Unternehmer, der sozusagen von aller menschlichen Gesellschaft entfernt lebt, weiß seine Arbeiter im Winter nicht besser zu beschäftigen, als dass er sie veranlasst hat, Komödie zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1030,"orig":"Er leidet keine Karten unter ihnen, und wünſcht ſie auch ſonſt von rohen Sitten abzuhalten.","norm":"Er leidet keine Karten unter ihnen, und wünscht sie auch sonst von rohen Sitten abzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1031,"orig":"So bringen ſie die langen Abende zu, und heute, da des Alten Geburtstag iſt, geben ſie ihm zu Ehren eine beſondere Feſtlichkeit.","norm":"So bringen sie die langen Abende zu, und heute, da des Alten Geburtstag ist, geben sie ihm zu Ehren eine besondere Festlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1032,"orig":"Wilhelm kam zu Hochdorf an, wo er übernachten ſollte, und ſtieg bey der Fabrik ab, deren Unternehmer auch als Schuldner auf ſeiner Liſte ſtand.","norm":"Wilhelm kam zu Hochdorf an, wo er übernachten sollte, und stieg bei der Fabrik ab, deren Unternehmer auch als Schuldner auf seiner Liste stand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1033,"orig":"Als er ſeinen Nahmen nannte, rief der Alte verwundert aus: ey, mein Herr, ſind Sie der Sohn des braven Mannes, dem ich ſo viel Dank und bis jetzt noch Geld ſchuldig bin?","norm":"Als er seinen Namen nannte, rief der Alte verwundert aus: Ei, mein Herr, sind Sie der Sohn des braven Mannes, dem ich so viel Dank und bis jetzt noch Geld schuldig bin?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1034,"orig":"Ihr Herr Vater hat ſo viel Geduld mit mir gehabt, daß ich ein Böſewicht ſeyn müßte, wenn ich nicht eilig und fröhlich bezahlte.","norm":"Ihr Herr Vater hat so viel Geduld mit mir gehabt, dass ich ein Bösewicht sein müsste, wenn ich nicht eilig und fröhlich bezahlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1035,"orig":"Sie kommen eben zur rechten Zeit, um zu ſehen, daß es mir Ernſt iſt.","norm":"Sie kommen eben zur rechten Zeit, um zu sehen, dass es mir Ernst ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1036,"orig":"Er rief ſeine Frau herbey, welche eben ſo erfreut war, den jungen Mann zu ſehen; ſie verſicherte, daß er ſeinem Vater gleiche, und bedauerte, daß ſie ihn wegen der vielen Fremden die Nacht nicht beherbergen könne.","norm":"Er rief seine Frau herbei, welche ebenso erfreut war, den jungen Mann zu sehen; sie versicherte, dass er seinem Vater gleiche, und bedauerte, dass sie ihn wegen der vielen Fremden die Nacht nicht beherbergen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1037,"orig":"Das Geſchäft war klar und bald berichtigt, Wilhelm ſteckte ein Röllchen Gold in die Taſche, und wünſchte, daß ſeine übrigen Geſchäfte auch ſo leicht gehen möchten.","norm":"Das Geschäft war klar und bald berichtigt, Wilhelm steckte ein Röllchen Gold in die Tasche, und wünschte, dass seine übrigen Geschäfte auch so leicht gehen möchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1038,"orig":"Die Stunde des Schauſpiels kam heran, man erwartete nur noch den Oberforſtmeiſter, der endlich auch anlangte, mit einigen Jägern eintrat, und mit der größten Verehrung empfangen wurde.","norm":"Die Stunde des Schauspiels kam heran, man erwartete nur noch den Oberforstmeister, der endlich auch anlangte, mit einigen Jägern eintrat, und mit der größten Verehrung empfangen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1039,"orig":"Die Geſellſchaft wurde nunmehr ins Schauſpielhaus geführt, wozu man eine Scheune eingerichtet hatte, die gleich am Garten lag.","norm":"Die Gesellschaft wurde nunmehr ins Schauspielhaus geführt, wozu man eine Scheune eingerichtet hatte, die gleich am Garten lag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1040,"orig":"Haus und Theater waren, ohne ſonderlichen Geſchmack, munter und artig genug angelegt.","norm":"Haus und Theater waren, ohne sonderlichen Geschmack, munter und artig genug angelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1041,"orig":"Einer von den Mahlern, die auf der Fabrik arbeiteten, hatte bey dem Theater in der Reſidenz gehandlangt, und hatte nun Wald, Straße und Zimmer, freylich etwas roh, hingeſtellt.","norm":"Einer von den Malern, die auf der Fabrik arbeiteten, hatte bei dem Theater in der Residenz gehandlangt, und hatte nun Wald, Straße und Zimmer, freilich etwas roh, hingestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1042,"orig":"Das Stück hatten ſie von einer herumziehenden Truppe geborgt, und nach ihrer eigenen Weiſe zurecht geſchnitten.","norm":"Das Stück hatten sie von einer herumziehenden Truppe geborgt, und nach ihrer eigenen Weise zurechtgeschnitten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1043,"orig":"So wie es war, unterhielt es.","norm":"So wie es war, unterhielt es."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1044,"orig":"Die Intrigue, daß zwey Liebhaber ein Mädchen ihrem Vormunde und wechſelsweiſe ſich ſelbſt entreiſſen wollen, brachte allerley intereſſante Situationen hervor.","norm":"Die Intrige, dass zwei Liebhaber ein Mädchen ihrem Vormunde und wechselweise sich selbst entreißen wollen, brachte allerlei interessante Situationen hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1045,"orig":"Es war das erſte Stück, das unſer Freund nach einer ſo langen Zeit wieder ſah; er machte mancherley Betrachtungen; es war voller Handlung, aber ohne Schilderung wahrer Charactere.","norm":"Es war das erste Stück, das unser Freund nach einer so langen Zeit wieder sah; er machte mancherlei Betrachtungen; es war voller Handlung, aber ohne Schilderung wahrer Charaktere."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1046,"orig":"Es gefiel und ergötzte.","norm":"Es gefiel und ergötzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1047,"orig":"So ſind die Anfänge aller Schauſpielkunſt.","norm":"So sind die Anfänge aller Schauspielkunst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1048,"orig":"Der rohe Menſch iſt zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen ſieht: der gebildete will empfinden, und Nachdenken iſt nur dem ganz ausgebildeten angenehm.","norm":"Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht: Der gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz ausgebildeten angenehm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1049,"orig":"Den Schauſpielern hätte er hie und da gerne nachgeholfen; denn es fehlte nur wenig, ſo hätten ſie um vieles beſſer ſeyn können.","norm":"Den Schauspielern hätte er hie und da gerne nachgeholfen; denn es fehlte nur wenig, so hätten sie um vieles besser sein können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1050,"orig":"In ſeinen ſtillen Betrachtungen ſtörte ihn der Tabacksdampf, der immer ſtärker und ſtärker wurde.","norm":"In seinen stillen Betrachtungen störte ihn der Tabaksdampf, der immer stärker und stärker wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1051,"orig":"Der Oberforſtmeiſter hatte bald nach Anfang des Stücks ſeine Pfeife angezündet, und nach und nach nahmen ſich mehrere dieſe Freyheit heraus.","norm":"Der Oberforstmeister hatte bald nach Anfang des Stücks seine Pfeife angezündet, und nach und nach nahmen sich mehrere diese Freiheit heraus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1052,"orig":"Auch machten die großen Hunde dieſes Herrn ſchlimme Auftritte.","norm":"Auch machten die großen Hunde dieses Herrn schlimme Auftritte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1053,"orig":"Man hatte ſie zwar ausgeſperrt; allein ſie fanden bald den Weg zur Hinterthüre herein, liefen auf das Theater, rannten wider die Acteurs, und geſellten ſich endlich durch einen Sprung über das Orcheſter zu ihrem Herrn, der den erſten Platz im Parterr eingenommen hatte.","norm":"Man hatte sie zwar ausgesperrt; allein sie fanden bald den Weg zur Hintertür herein, liefen auf das Theater, rannten wider die Akteurs, und gesellten sich endlich durch einen Sprung über das Orchester zu ihrem Herrn, der den ersten Platz im Parterre eingenommen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1054,"orig":"Zum Nachſpiel ward ein Opfer dargebracht.","norm":"Zum Nachspiel wurde ein Opfer dargebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1055,"orig":"Ein Portrait, das den Alten in ſeinem Bräutigamskleide vorſtellte, ſtand auf einem Altar mit Kränzen behangen.","norm":"Ein Porträt, das den Alten in seinem Bräutigamskleide vorstellte, stand auf einem Altar mit Kränzen behangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1056,"orig":"Alle Schauſpieler huldigten ihm in demuthsvollen Stellungen.","norm":"Alle Schauspieler huldigten ihm in demutvollen Stellungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1057,"orig":"Das jüngſte Kind trat, weiß gekleidet, hervor, und hielt eine Rede in Verſen, wodurch die ganze Familie und ſogar der Oberforſtmeiſter, der ſich dabey an ſeine Kinder erinnerte, zu Thränen bewegt wurde.","norm":"Das jüngste Kind trat, weiß gekleidet, hervor, und hielt eine Rede in Versen, wodurch die ganze Familie und sogar der Oberforstmeister, der sich dabei an seine Kinder erinnerte, zu Tränen bewegt wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1058,"orig":"So endigte ſich das Stück, und Wilhelm konnte nicht umhin, das Theater zu beſteigen, die Actricen in der Nähe zu beſehen, ſie wegen ihres Spiels zu loben, und ihnen auf die Zukunft einigen Rath zu geben.","norm":"So endigte sich das Stück, und Wilhelm konnte nicht umhin, das Theater zu besteigen, die Aktricen in der Nähe zu besehen, sie wegen ihres Spiels zu loben, und ihnen auf die Zukunft einigen Rat zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1059,"orig":"Die übrigen Geſchäfte unſers Freundes, die er nach und nach in größeren und kleineren Gebirgsorten verrichtete, liefen nicht alle ſo glücklich, noch ſo vergnügt ab.","norm":"Die übrigen Geschäfte unseres Freundes, die er nach und nach in größeren und kleineren Gebirgsorten verrichtete, liefen nicht alle so glücklich, noch so vergnügt ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1060,"orig":"Manche Schuldner baten um Aufſchub, manche waren unhöflich, manche leugneten.","norm":"Manche Schuldner baten um Aufschub, manche waren unhöflich, manche leugneten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1061,"orig":"Nach ſeinem Auftrage ſollte er einige verklagen; er mußte einen Advokaten aufſuchen, dieſen inſtruiren, ſich vor Gericht ſtellen, und was dergleichen verdrießliche Geſchäfte noch mehr waren.","norm":"Nach seinem Auftrage sollte er einige verklagen; er musste einen Advokaten aufsuchen, diesen instruieren, sich vor Gericht stellen, und was dergleichen verdrießliche Geschäfte noch mehr waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1062,"orig":"Eben ſo ſchlimm erging es ihm, wenn man ihm eine Ehre erzeigen wollte.","norm":"Ebenso schlimm erging es ihm, wenn man ihm eine Ehre erzeigen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1063,"orig":"Nur wenig Leute fand er, die ihn einigermaßen unterrichten konnten; wenige, mit denen er in ein nützliches Handelsverhältniß zu kommen hofte.","norm":"Nur wenig Leute fand er, die ihn einigermaßen unterrichten konnten; wenige, mit denen er in ein nützliches Handelsverhältnis zu kommen hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1064,"orig":"Da nun auch unglücklicherweiſe Regentage einfielen, und eine Reiſe zu Pferd in dieſen Gegenden mit unerträglichen Beſchwerden verknüpft war; ſo dankte er dem Himmel, als er ſich dem flachen Lande wieder näherte, und am Fuße des Gebirges, in einer ſchönen und fruchtbaren Ebene, an einem ſanften Fluſſe, im Sonnenſcheine, ein heiteres Landſtädtchen liegen ſah, in welchem er zwar keine Geſchäfte hatte, aber eben deswegen ſich entſchloß, ein Paar Tage daſelbſt zu verweilen, um ſich und ſeinem Pferde, das von dem ſchlimmen Wege ſehr gelitten hatte, einige Erholung zu verſchaffen.","norm":"Da nun auch unglücklicherweise Regentage einfielen, und eine Reise zu Pferd in diesen Gegenden mit unerträglichen Beschwerden verknüpft war; so dankte er dem Himmel, als er sich dem flachen Lande wieder näherte, und am Fuße des Gebirges, in einer schönen und fruchtbaren Ebene, an einem sanften Flusse, im Sonnenscheine, ein heiteres Landstädtchen liegen sah, in welchem er zwar keine Geschäfte hatte, aber eben deswegen sich entschloss, ein paar Tage daselbst zu verweilen, um sich und seinem Pferde, das von dem schlimmen Wege sehr gelitten hatte, einige Erholung zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1065,"orig":"Als er in einem Wirthshauſe auf dem Markte abtrat, ging es darin ſehr luſtig, wenigſtens ſehr lebhaft zu.","norm":"Als er in einem Wirtshause auf dem Markte abtrat, ging es darin sehr lustig, wenigstens sehr lebhaft zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1066,"orig":"Eine große Geſellſchaft Seiltänzer, Springer und Gaukler, die einen ſtarken Mann bey ſich hatten, waren mit Weib und Kindern eingezogen, und machten, indem ſie ſich auf eine öffentliche Erſcheinung bereiteten, einen Unfug über den andern.","norm":"Eine große Gesellschaft Seiltänzer, Springer und Gaukler, die einen starken Mann bei sich hatten, waren mit Weib und Kindern eingezogen, und machten, indem sie sich auf eine öffentliche Erscheinung bereiteten, einen Unfug über den anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1067,"orig":"Bald ſtritten ſie mit dem Wirthe, bald unter ſich ſelbſt, und wenn ihr Zank unleidlich war, ſo waren die Äuſſerungen ihres Vergnügens ganz und gar unerträglich.","norm":"Bald stritten sie mit dem Wirte, bald unter sich selbst, und wenn ihr Zank unleidlich war, so waren die Äußerungen ihres Vergnügens ganz und gar unerträglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1068,"orig":"Unſchlüſſig, ob er gehen oder bleiben ſollte, ſtand er unter dem Thore, und ſah den Arbeitern zu, die auf dem Platze ein Gerüſt aufzuſchlagen anfingen.","norm":"Unschlüssig, ob er gehen oder bleiben sollte, stand er unter dem Tore, und sah den Arbeitern zu, die auf dem Platze ein Gerüst aufzuschlagen anfingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1069,"orig":"Ein Mädchen, das Roſen und andere Blumen herumtrug, bot ihm ihren Korb dar, und er kaufte ſich einen ſchönen Strauß, den er mit Liebhaberey anders band und mit Zufriedenheit betrachtete, als das Fenſter eines, an der Seite des Platzes ſtehenden, andern Gaſthauſes ſich aufthat, und ein wohlgebildetes Frauenzimmer ſich an demſelben zeigte.","norm":"Ein Mädchen, das Rosen und andere Blumen herumtrug, bot ihm ihren Korb dar, und er kaufte sich einen schönen Strauß, den er mit Liebhaberei anders band und mit Zufriedenheit betrachtete, als das Fenster eines, an der Seite des Platzes stehenden, anderen Gasthauses sich auftat, und ein wohlgebildetes Frauenzimmer sich an demselben zeigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1070,"orig":"Er konnte ohngeachtet der Entfernung bemerken, daß eine angenehme Heiterkeit ihr Geſicht belebte.","norm":"Er konnte ungeachtet der Entfernung bemerken, dass eine angenehme Heiterkeit ihr Gesicht belebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1071,"orig":"Ihre blonden Haare fielen nachläſſig aufgelößt um ihren Nacken, ſie ſchien ſich nach dem Fremden umzuſehen.","norm":"Ihre blonden Haare fielen nachlässig aufgelöst um ihren Nacken, sie schien sich nach dem Fremden umzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1072,"orig":"Einige Zeit darauf trat ein junger Menſch, der eine Friſirſchürze umgegürtet, und ein weißes Jäckchen an hatte, aus der Thüre jenes Hauſes, ging auf Wilhelmen los, begrüßte ihn und ſagte, das Frauenzimmer am Fenſter läßt Sie fragen, ob Sie ihr nicht einen Theil der ſchönen Blumen abtreten wollen?","norm":"Einige Zeit darauf trat ein junger Mensch, der eine Frisierschürze umgegürtet, und ein weißes Jäckchen anhatte, aus der Türe jenes Hauses, ging auf Wilhelm los, begrüßte ihn und sagte, das Frauenzimmer am Fenster lässt Sie fragen, ob Sie ihr nicht einen Teil der schönen Blumen abtreten wollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1073,"orig":"— Sie ſtehn ihr alle zu Dienſten, verſetzte Wilhelm, indem er dem leichten Boten das Bouquet überreichte, und zugleich der Schönen ein Kompliment machte, welches ſie mit einem freundlichen Gegengruß erwiederte, und ſich vom Fenſter zurückzog.","norm":"— Sie stehen ihr alle zu Diensten, versetzte Wilhelm, indem er dem leichten Boten das Bouquet überreichte, und zugleich der Schönen ein Kompliment machte, welches sie mit einem freundlichen Gegengruß erwiderte, und sich vom Fenster zurückzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1074,"orig":"Nachdenkend über dieſes artige Abentheuer ging er nach ſeinem Zimmer die Treppe hinauf, als ein junges Geſchöpf ihm entgegen ſprang, das ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zog.","norm":"Nachdenkend über dieses artige Abenteuer ging er nach seinem Zimmer die Treppe hinauf, als ein junges Geschöpf ihm entgegensprang, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1075,"orig":"Ein kurzes ſeidnes Weſtchen mit geſchlitzten ſpaniſchen Ermeln, knappe, lange Beinkleider mit Puffen ſtanden dem Kinde gar artig.","norm":"Ein kurzes seidenes Westchen mit geschlitzten spanischen Ärmeln, knappe, lange Beinkleider mit Puffen standen dem Kinde gar artig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1076,"orig":"Lange ſchwarze Haare waren in Locken und Zöpfen um den Kopf gekräuſelt und gewunden.","norm":"Lange schwarze Haare waren in Locken und Zöpfen um den Kopf gekräuselt und gewunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1077,"orig":"Er ſah die Geſtalt mit Verwunderung an, und konnte nicht mit ſich einig werden, ob er ſie für einen Knaben oder für ein Mädchen erklären ſollte.","norm":"Er sah die Gestalt mit Verwunderung an, und konnte nicht mit sich einig werden, ob er sie für einen Knaben oder für ein Mädchen erklären sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1078,"orig":"Doch entſchied er ſich bald für das letzte, und hielt ſie auf, da ſie bey ihm vorbey kam, bot ihr einen guten Tag, und fragte ſie, wem ſie angehöre?","norm":"Doch entschied er sich bald für das letzte, und hielt sie auf, da sie bei ihm vorbeikam, bot ihr einen guten Tag, und fragte sie, wem sie angehöre?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1079,"orig":"ob er ſchon leicht ſehen konnte, daß ſie ein Glied der ſpringenden und tanzenden Geſellſchaft ſeyn müſſe.","norm":"ob er schon leicht sehen konnte, dass sie ein Glied der springenden und tanzenden Gesellschaft sein müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1080,"orig":"Mit einem ſcharfen, ſchwarzen Seitenblick ſah ſie ihn an, indem ſie ſich von ihm losmachte, und in die Küche lief, ohne zu antworten.","norm":"Mit einem scharfen, schwarzen Seitenblick sah sie ihn an, indem sie sich von ihm losmachte, und in die Küche lief, ohne zu antworten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1081,"orig":"Als er die Treppe hinauf kam, fand er auf dem weiten Vorſaale zwey Mannsperſonen, die ſich im Fechten übten, oder vielmehr ihre Geſchicklichkeit an einander zu verſuchen ſchienen.","norm":"Als er die Treppe hinaufkam, fand er auf dem weiten Vorsaale zwei Mannspersonen, die sich im Fechten übten, oder vielmehr ihre Geschicklichkeit aneinander zu versuchen schienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1082,"orig":"Der eine war offenbar von der Geſellſchaft, die ſich im Hauſe befand, der andere hatte ein weniger wildes Anſehn.","norm":"Der eine war offenbar von der Gesellschaft, die sich im Hause befand, der andere hatte ein weniger wildes Ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1083,"orig":"Wilhelm ſah ihnen zu, und hatte Urſache, ſie beide zu bewundern, und als nicht lange darauf der ſchwarzbärtige nervige Streiter den Kampfplatz verließ, bot der andere, mit vieler Artigkeit, Wilhelmen das Rappier an.","norm":"Wilhelm sah ihnen zu, und hatte Ursache, sie beide zu bewundern, und als nicht lange darauf der schwarzbärtige nervige Streiter den Kampfplatz verließ, bot der andere, mit vieler Artigkeit, Wilhelm das Rapier an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1084,"orig":"Wenn Sie einen Schüler, verſetzte dieſer, in die Lehre nehmen wollen, ſo bin ich wohl zufrieden, mit Ihnen einige Gänge zu wagen.","norm":"Wenn Sie einen Schüler, versetzte dieser, in die Lehre nehmen wollen, so bin ich wohl zufrieden, mit Ihnen einige Gänge zu wagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1085,"orig":"Sie fochten zuſammen, und obgleich der Fremde dem Ankömmling weit überlegen war, ſo war er doch höflich genug zu verſichern, daß alles nur auf Übung ankomme, und wirklich hatte Wilhelm auch gezeigt, daß er früher von einem guten und gründlichen deutſchen Fechtmeiſter unterrichtet worden war.","norm":"Sie fochten zusammen, und obgleich der Fremde dem Ankömmling weit überlegen war, so war er doch höflich genug zu versichern, dass alles nur auf Übung ankomme, und wirklich hatte Wilhelm auch gezeigt, dass er früher von einem guten und gründlichen deutschen Fechtmeister unterrichtet worden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1086,"orig":"Ihre Unterhaltung ward durch das Getöſe unterbrochen, mit welchem die bunte Geſellſchaft aus dem Wirthshauſe auszog, um die Stadt von ihrem Schauſpiel zu benachrichtigen, und auf ihre Künſte begierig zu machen.","norm":"Ihre Unterhaltung wurde durch das Getöse unterbrochen, mit welchem die bunte Gesellschaft aus dem Wirtshause auszog, um die Stadt von ihrem Schauspiel zu benachrichtigen, und auf ihre Künste begierig zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1087,"orig":"Einem Tambour folgte der Entrepreneur zu Pferde, hinter ihm eine Tänzerin auf einem ähnlichen Gerippe, die ein Kind vor ſich hielt, das mit Bändern und Flintern wohl herausgeputzt war.","norm":"Einem Tambour folgte der Entrepreneur zu Pferde, hinter ihm eine Tänzerin auf einem ähnlichen Gerippe, die ein Kind vor sich hielt, das mit Bändern und Flintern wohl herausgeputzt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1088,"orig":"Darauf kam die übrige Truppe zu Fuß, wovon einige auf ihren Schultern Kinder, in abentheuerlichen Stellungen, leicht und bequem daher trugen, unter denen die junge, ſchwarzköpfige, düſtere Geſtalt Wilhelms Aufmerkſamkeit aufs neue erregte.","norm":"Darauf kam die übrige Truppe zu Fuß, wovon einige auf ihren Schultern Kinder, in abenteuerlichen Stellungen, leicht und bequem dahertrugen, unter denen die junge, schwarzköpfige, düstere Gestalt Wilhelms Aufmerksamkeit aufs neue erregte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1089,"orig":"Pagliaſſo lief unter der andringenden Menge drollig hin und her, und theilte mit ſehr begreiflichen Späßen, indem er bald ein Mädchen küßte, bald einen Knaben pritſchte, ſeine Zettel aus, und erweckte unter dem Volke eine unüberwindliche Begierde, ihn näher kennen zu lernen.","norm":"Pagliasso lief unter der andringenden Menge drollig hin und her, und teilte mit sehr begreiflichen Späßen, indem er bald ein Mädchen küsste, bald einen Knaben pritschte, seine Zettel aus, und erweckte unter dem Volke eine unüberwindliche Begierde, ihn näher kennenzulernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1090,"orig":"In den gedruckten Anzeigen waren die mannichfaltigen Künſte der Geſellſchaft, beſonders eines Monſieur Narciß und der Demoiſelle Landrinette herausgeſtrichen, welche beide, als Hauptperſonen, die Klugheit gehabt hatten, ſich von dem Zuge zu enthalten, ſich dadurch ein vornehmeres Anſehn zu geben, und größre Neugier zu erwecken.","norm":"In den gedruckten Anzeigen waren die mannigfaltigen Künste der Gesellschaft, besonders eines Monsieur Narziss und der Demoiselle Landrinette herausgestrichen, welche beide, als Hauptpersonen, die Klugheit gehabt hatten, sich von dem Zuge zu enthalten, sich dadurch ein vornehmeres Ansehen zu geben, und größere Neugier zu erwecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1091,"orig":"Während des Zuges hatte ſich auch die ſchöne Nachbarin wieder am Fenſter ſehen laſſen, und Wilhelm hatte nicht verfehlt, ſich bey ſeinem Geſellſchafter nach ihr zu erkundigen.","norm":"Während des Zuges hatte sich auch die schöne Nachbarin wieder am Fenster sehen lassen, und Wilhelm hatte nicht verfehlt, sich bei seinem Gesellschafter nach ihr zu erkundigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1092,"orig":"Dieſer, den wir einſtweilen Laertes nennen wollen, erbot ſich, Wilhelmen zu ihr hinüber zu begleiten.","norm":"Dieser, den wir einstweilen Laertes nennen wollen, erbot sich, Wilhelm zu ihr hinüber zu begleiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1093,"orig":"Ich und das Frauenzimmer, ſagte er lächelnd, ſind ein paar Trümmer einer Schauſpielergeſellſchaft, die vor kurzem hier ſcheiterte.","norm":"Ich und das Frauenzimmer, sagte er lächelnd, sind ein paar Trümmer einer Schauspielergesellschaft, die vor kurzem hier scheiterte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1094,"orig":"Die Anmuth des Orts hat uns bewogen, einige Zeit hier zu bleiben, und unſre wenige geſammelte Baarſchaft in Ruhe zu verzehren, indeß ein Freund ausgezogen iſt, ein Unterkommen für ſich und uns zu ſuchen.","norm":"Die Anmut des Orts hat uns bewogen, einige Zeit hier zu bleiben, und unsere wenige gesammelte Barschaft in Ruhe zu verzehren, indes ein Freund ausgezogen ist, ein Unterkommen für sich und uns zu suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1095,"orig":"Laertes begleitete ſogleich ſeinen neuen Bekannten zu Philinens Thüre, wo er ihn einen Augenblick ſtehen ließ, um in einem benachbarten Laden Zuckerwerk zu holen.","norm":"Laertes begleitete sogleich seinen neuen Bekannten zu Philines Türe, wo er ihn einen Augenblick stehen ließ, um in einem benachbarten Laden Zuckerwerk zu holen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1096,"orig":"Sie werden mir es gewiß danken, ſagte er, indem er zurück kam, daß ich Ihnen dieſe artige Bekanntſchaft verſchaffe.","norm":"Sie werden mir es gewiss danken, sagte er, indem er zurückkam, dass ich Ihnen diese artige Bekanntschaft verschaffe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1097,"orig":"Das Frauenzimmer kam ihnen auf ein paar leichten Pantöffelchen mit hohen Abſätzen aus der Stube entgegen getreten.","norm":"Das Frauenzimmer kam ihnen auf ein paar leichten Pantöffelchen mit hohen Absätzen aus der Stube entgegengetreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1098,"orig":"Sie hatte eine ſchwarze Mantille über ein weißes Negligee geworfen, das, eben weil es nicht ganz reinlich war, ihr ein häusliches und bequemes Anſehn gab; ihr kurzes Röckchen ließ die niedlichſten Füße von der Welt ſehen.","norm":"Sie hatte eine schwarze Mantille über ein weißes Negligé geworfen, das, eben weil es nicht ganz reinlich war, ihr ein häusliches und bequemes Ansehen gab; ihr kurzes Röckchen ließ die niedlichsten Füße von der Welt sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1099,"orig":"Seyn Sie mir willkommen!","norm":"Sein Sie mir willkommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1100,"orig":"rief ſie Wilhelmen zu, und nehmen Sie meinen Dank für die ſchönen Blumen.","norm":"rief sie Wilhelm zu, und nehmen Sie meinen Dank für die schönen Blumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1101,"orig":"Sie führte ihn mit der einen Hand ins Zimmer, indem ſie mit der andern den Strauß an die Bruſt drückte.","norm":"Sie führte ihn mit der einen Hand ins Zimmer, indem sie mit der anderen den Strauß an die Brust drückte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1102,"orig":"Als ſie ſich niedergeſetzt hatten, und in gleichgültigen Geſprächen begriffen waren, denen ſie eine reizende Wendung zu geben wußte, ſchüttete ihr Laertes gebrannte Mandeln in den Schooß, von denen ſie ſogleich zu naſchen anfing.","norm":"Als sie sich niedergesetzt hatten, und in gleichgültigen Gesprächen begriffen waren, denen sie eine reizende Wendung zu geben wusste, schüttete ihr Laertes gebrannte Mandeln in den Schoß, von denen sie sogleich zu naschen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1103,"orig":"Sehn Sie, welch ein Kind dieſer junge Menſch iſt!","norm":"Sehen Sie, welch ein Kind dieser junge Mensch ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1104,"orig":"rief ſie aus, er wird Sie überreden wollen, daß ich eine große Freundin von ſolchen Näſchereyen ſey, und er iſt’s, der nicht leben kann, ohne irgend etwas Leckeres zu genießen.","norm":"rief sie aus, er wird Sie überreden wollen, dass ich eine große Freundin von solchen Naschereien sei, und er ist es, der nicht leben kann, ohne irgendetwas Leckeres zu genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1105,"orig":"Laſſen Sie uns nur geſtehn, verſetzte Laertes, daß wir hierin, wie in mehrerem, einander gern Geſellſchaft leiſten.","norm":"Lassen Sie uns nur gestehen, versetzte Laertes, dass wir hierin, wie in mehrerem, einander gern Gesellschaft leisten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1106,"orig":"Zum Beyſpiel, ſagte er, es iſt heute ein ſehr ſchöner Tag, ich dächte wir führen ſpatzieren und nähmen unſer Mittagsmahl auf der Mühle.","norm":"Zum Beispiel, sagte er, es ist heute ein sehr schöner Tag, ich dächte wir führen spazieren und nähmen unser Mittagsmahl auf der Mühle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1107,"orig":"— Recht gern, ſagte Philine, wir müſſen unſerm neuen Bekannten eine kleine Veränderung machen.","norm":"— Recht gern, sagte Philine, wir müssen unserem neuen Bekannten eine kleine Veränderung machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1108,"orig":"Laertes ſprang fort, denn er ging niemals, und Wilhelm wollte einen Augenblick nach Hauſe, um ſeine Haare, die von der Reiſe noch verworren ausſahen, in Ordnung bringen zu laſſen.","norm":"Laertes sprang fort, denn er ging niemals, und Wilhelm wollte einen Augenblick nach Hause, um seine Haare, die von der Reise noch verworren aussahen, in Ordnung bringen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1109,"orig":"Das können Sie hier, ſagte ſie, rief ihren kleinen Diener, nöthigte Wilhelmen auf die artigſte Weiſe, ſeinen Rock auszuziehn, ihren Pudermantel anzulegen, und ſich in ihrer Gegenwart friſiren zu laſſen.","norm":"Das können Sie hier, sagte sie, rief ihren kleinen Diener, nötigte Wilhelm auf die artigste Weise, seinen Rock auszuziehen, ihren Pudermantel anzulegen, und sich in ihrer Gegenwart frisieren zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1110,"orig":"Man muß ja keine Zeit verſäumen, ſagte ſie, man weiß nicht, wie lange man beyſammen bleibt.","norm":"Man muss ja keine Zeit versäumen, sagte sie, man weiß nicht, wie lange man beisammen bleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1111,"orig":"Der Knabe, mehr trotzig und unwillig als ungeſchickt, benahm ſich nicht zum Beſten, raufte Wilhelmen, und ſchien ſo bald nicht fertig werden zu wollen.","norm":"Der Knabe, mehr trotzig und unwillig als ungeschickt, benahm sich nicht zum Besten, raufte Wilhelm, und schien so bald nicht fertig werden zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1112,"orig":"Philine verwies ihm einigemal ſeine Unart, ſtieß ihn endlich ungeduldig hinweg, und jagte ihn zur Thüre hinaus.","norm":"Philine verwies ihm einige Mal seine Unart, stieß ihn endlich ungeduldig hinweg, und jagte ihn zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1113,"orig":"Nun übernahm ſie ſelbſt die Bemühung, und kräuſelte die Haare unſers Freundes mit großer Leichtigkeit und Zierlichkeit, ob ſie gleich auch nicht zu eilen ſchien, und bald dieſes bald jenes an ihrer Arbeit auszuſetzen hatte, indem ſie nicht vermeiden konnte mit ihren Knieen die ſeinigen zu berühren, und Strauß und Buſen ſo nahe an ſeine Lippen zu bringen, daß er mehr als einmal in Verſuchung geſetzt ward, einen Kuß darauf zu drücken.","norm":"Nun übernahm sie selbst die Bemühung, und kräuselte die Haare unseres Freundes mit großer Leichtigkeit und Zierlichkeit, ob sie gleich auch nicht zu eilen schien, und bald dieses bald jenes an ihrer Arbeit auszusetzen hatte, indem sie nicht vermeiden konnte mit ihren Knien die seinigen zu berühren, und Strauß und Busen so nahe an seine Lippen zu bringen, dass er mehr als einmal in Versuchung gesetzt wurde, einen Kuss darauf zu drücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1114,"orig":"Als Wilhelm mit einem kleinen Pudermeſſer ſeine Stirne gereinigt hatte, ſagte ſie zu ihm: ſtecken Sie es ein, und gedenken Sie meiner dabey.","norm":"Als Wilhelm mit einem kleinen Pudermesser seine Stirn gereinigt hatte, sagte sie zu ihm: Stecken Sie es ein, und gedenken Sie meiner dabei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1115,"orig":"Es war ein artiges Meſſer; der Griff von eingelegten Stahl zeigte die freundlichen Worte: gedenkt mein.","norm":"Es war ein artiges Messer; der Griff von eingelegten Stahl zeigte die freundlichen Worte: Gedenkt mein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1116,"orig":"Wilhelm ſteckte es zu ſich, dankte ihr, und bat um die Erlaubniß, ihr ein kleines Gegengeſchenk machen zu dürfen.","norm":"Wilhelm steckte es zu sich, dankte ihr, und bat um die Erlaubnis, ihr ein kleines Gegengeschenk machen zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1117,"orig":"Nun war man fertig geworden.","norm":"Nun war man fertig geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1118,"orig":"Laertes hatte die Kutſche gebracht, und nun begann eine ſehr luſtige Fahrt.","norm":"Laertes hatte die Kutsche gebracht, und nun begann eine sehr lustige Fahrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1119,"orig":"Philine warf jedem Armen, der ſie anbettelte, etwas zum Schlage hinaus, indem ſie ihm zugleich ein munteres und freundliches Wort zurief.","norm":"Philine warf jedem Armen, der sie anbettelte, etwas zum Schlage hinaus, indem sie ihm zugleich ein munteres und freundliches Wort zurief."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1120,"orig":"Sie waren kaum auf der Mühle angekommen, und hatten ein Eſſen beſtellt, als eine Muſik vor dem Hauſe ſich hören ließ.","norm":"Sie waren kaum auf der Mühle angekommen, und hatten ein Essen bestellt, als eine Musik vor dem Hause sich hören ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1121,"orig":"Es waren Bergleute, die, zu Zitter und Triangel, mit lebhaften und grellen Stimmen, verſchiedene artige Lieder vortrugen.","norm":"Es waren Bergleute, die, zu Zither und Triangel, mit lebhaften und grellen Stimmen, verschiedene artige Lieder vortrugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1122,"orig":"Es dauerte nicht lange, ſo hatte eine herbeyſtrömende Menge einen Kreis um ſie geſchloſſen, und die Geſellſchaft nickte ihnen ihren Beyfall aus den Fenſtern zu.","norm":"Es dauerte nicht lange, so hatte eine herbeiströmende Menge einen Kreis um sie geschlossen, und die Gesellschaft nickte ihnen ihren Beifall aus den Fenstern zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1123,"orig":"Als ſie dieſe Aufmerkſamkeit geſehen, erweiterten ſie ihren Kreis, und ſchienen ſich zu ihren wichtigſten Stückchen vorzubereiten.","norm":"Als sie diese Aufmerksamkeit gesehen, erweiterten sie ihren Kreis, und schienen sich zu ihren wichtigsten Stückchen vorzubereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1124,"orig":"Nach einer Pauſe trat ein Bergmann mit einer Hacke hervor, und ſtellte, indeß die andern eine ernſthafte Melodie ſpielten, die Handlung des Schürfens vor.","norm":"Nach einer Pause trat ein Bergmann mit einer Hacke hervor, und stellte, indes die anderen eine ernsthafte Melodie spielten, die Handlung des Schürfens vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1125,"orig":"Es währte nicht lange, ſo trat ein Bauer aus der Menge, und gab jenem pantomimiſch drohend zu verſtehen, daß er ſich von hier hinwegbegeben ſolle.","norm":"Es währte nicht lange, so trat ein Bauer aus der Menge, und gab jenem pantomimisch drohend zu verstehen, dass er sich von hier hinwegbegeben solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1126,"orig":"Die Geſellſchaft war darüber verwundert, und erkannte erſt den, in einen Bauer verkleideten, Bergmann, als er den Mund aufthat, und in einer Art von Rezitativ den andern ſchalt, daß er wage, auf ſeinem Acker zu handthieren.","norm":"Die Gesellschaft war darüber verwundert, und erkannte erst den, in einen Bauer verkleideten, Bergmann, als er den Mund auftat, und in einer Art von Rezitativ den anderen schalt, dass er wage, auf seinem Acker zu hantieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1127,"orig":"Jener kam nicht aus der Faſſung, ſondern fing an, den Landmann zu belehren, daß er Recht habe hier einzuſchlagen, und gab ihm dabey die erſten Begriffe vom Bergbau.","norm":"Jener kam nicht aus der Fassung, sondern fing an, den Landmann zu belehren, dass er Recht habe hier einzuschlagen, und gab ihm dabei die ersten Begriffe vom Bergbau."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1128,"orig":"Der Bauer, der die fremde Terminologie nicht verſtand, that allerley alberne Fragen, worüber die Zuſchauer, die ſich klüger fühlten, ein herzliches Gelächter aufſchlugen.","norm":"Der Bauer, der die fremde Terminologie nicht verstand, tat allerlei alberne Fragen, worüber die Zuschauer, die sich klüger fühlten, ein herzliches Gelächter aufschlugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1129,"orig":"Der Bergmann ſuchte ihn zu rectificiren, und bewies ihm den Vortheil, der zuletzt auch auf ihn fließe, wenn die unterirrdiſchen Schätze des Landes herausgewühlt würden.","norm":"Der Bergmann suchte ihn zu rechtifizieren, und bewies ihm den Vorteil, der zuletzt auch auf ihn fließe, wenn die unterirdischen Schätze des Landes herausgewühlt würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1130,"orig":"Der Bauer, der jenem zuerſt mit Schlägen gedroht hatte, ließ ſich nach und nach beſänftigen, und ſie ſchieden als gute Freunde von einander; beſonders aber zog ſich der Bergmann auf die honorabelſte Art aus dieſem Streite.","norm":"Der Bauer, der jenem zuerst mit Schlägen gedroht hatte, ließ sich nach und nach besänftigen, und sie schieden als gute Freunde voneinander; besonders aber zog sich der Bergmann auf die honorabelste Art aus diesem Streite."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1131,"orig":"Wir haben, ſagte Wilhelm bey Tiſche, an dieſem kleinen Dialog das lebhafteſte Beyſpiel, wie nützlich allen Ständen das Theater ſeyn könnte, wie vielen Vortheil der Staat ſelbſt daraus ziehen müßte, wenn man die Handlungen, Gewerbe und Unternehmungen der Menſchen von ihrer guten, lobenswürdigen Seite und in dem Geſichtspunkte auf das Theater brächte, aus welchem ſie der Staat ſelbſt ehren und ſchützen muß.","norm":"Wir haben, sagte Wilhelm bei Tische, an diesem kleinen Dialog das lebhafteste Beispiel, wie nützlich allen Ständen das Theater sein könnte, wie vielen Vorteil der Staat selbst daraus ziehen müsste, wenn man die Handlungen, Gewerbe und Unternehmungen der Menschen von ihrer guten, lobenswürdigen Seite und in dem Gesichtspunkte auf das Theater brächte, aus welchem sie der Staat selbst ehren und schützen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1132,"orig":"Jetzt ſtellen wir nur die lächerliche Seite der Menſchen dar; der Luſtſpieldichter iſt gleichſam nur ein hämiſcher Controlleur, der auf die Fehler ſeiner Mitbürger überall ein wachſames Auge hat, und froh zu ſeyn ſcheint, wenn er ihnen eins anhängen kann.","norm":"Jetzt stellen wir nur die lächerliche Seite der Menschen dar; der Lustspieldichter ist gleichsam nur ein hämischer Kontrolleur, der auf die Fehler seiner Mitbürger überall ein wachsames Auge hat, und froh zu sein scheint, wenn er ihnen eins anhängen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1133,"orig":"Sollte es nicht eine angenehme und würdige Arbeit für einen Staatsmann ſeyn, den natürlichen, wechſelſeitigen Einfluß aller Stände zu überſchauen, und einen Dichter, der Humor genug hätte, bey ſeinen Arbeiten zu leiten?","norm":"Sollte es nicht eine angenehme und würdige Arbeit für einen Staatsmann sein, den natürlichen, wechselseitigen Einfluss aller Stände zu überschauen, und einen Dichter, der Humor genug hätte, bei seinen Arbeiten zu leiten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1134,"orig":"Ich bin überzeugt, es könnten auf dieſem Wege manche ſehr unterhaltende, zugleich nützliche und luſtige Stücke erſonnen werden.","norm":"Ich bin überzeugt, es könnten auf diesem Wege manche sehr unterhaltende, zugleich nützliche und lustige Stücke ersonnen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1135,"orig":"So viel ich, ſagte Laertes, überall wo ich herumgeſchwärmt bin, habe bemerken können, weiß man nur zu verbieten, zu hindern und abzulehnen; ſelten aber zu gebieten, zu befördern und zu belohnen.","norm":"Soviel ich, sagte Laertes, überall wo ich herumgeschwärmt bin, habe bemerken können, weiß man nur zu verbieten, zu hindern und abzulehnen; selten aber zu gebieten, zu befördern und zu belohnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1136,"orig":"Man läßt alles in der Welt gehn, bis es ſchädlich wird, dann zürnt man und ſchlägt drein.","norm":"Man lässt alles in der Welt gehen, bis es schädlich wird, dann zürnt man und schlägt drein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1137,"orig":"Laßt mir den Staat und die Staatsleute weg, ſagte Philine, ich kann mir ſie nicht anders als in Perücken vorſtellen, und eine Perücke, es mag ſie aufhaben wer da will erregt in meinen Fingern eine krampfhafte Bewegung; ich möchte ſie gleich dem ehrwürdigen Herrn herunter nehmen, in der Stube herumſpringen und den Kahlkopf auslachen.","norm":"Lasst mir den Staat und die Staatsleute weg, sagte Philine, ich kann mir sie nicht anders als in Perücken vorstellen, und eine Perücke, es mag sie aufhaben wer da will erregt in meinen Fingern eine krampfhafte Bewegung; ich möchte sie gleich dem ehrwürdigen Herrn herunternehmen, in der Stube herumspringen und den Kahlkopf auslachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1138,"orig":"Mit einigen lebhaften Geſängen, welche ſie ſehr ſchön vortrug, ſchnitt Philine das Geſpräch ab, und trieb zu einer ſchnellen Rückfahrt, damit man die Künſte der Seiltänzer am Abende zu ſehen nicht verſäumen möchte.","norm":"Mit einigen lebhaften Gesängen, welche sie sehr schön vortrug, schnitt Philine das Gespräch ab, und trieb zu einer schnellen Rückfahrt, damit man die Künste der Seiltänzer am Abende zu sehen nicht versäumen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1139,"orig":"Drollig bis zur Ausgelaſſenheit, ſetzte ſie ihre Freygebigkeit gegen die Armen auf dem Heimwege fort, indem ſie zuletzt, da ihr und ihren Reiſegefährten das Geld ausging, einem Mädchen ihren Strohhut und einem alten Weibe ihr Halstuch zum Schlage hinaus warf.","norm":"Drollig bis zur Ausgelassenheit, setzte sie ihre Freigebigkeit gegen die Armen auf dem Heimwege fort, indem sie zuletzt, da ihr und ihren Reisegefährten das Geld ausging, einem Mädchen ihren Strohhut und einem alten Weibe ihr Halstuch zum Schlage hinauswarf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1140,"orig":"Philine lud beide Begleiter zu ſich in ihre Wohnung, weil man, wie ſie ſagte, aus ihren Fenſtern das öffentliche Schauſpiel beſſer als im andern Wirthshauſe ſehen könne.","norm":"Philine lud beide Begleiter zu sich in ihre Wohnung, weil man, wie sie sagte, aus ihren Fenstern das öffentliche Schauspiel besser als im anderen Wirtshause sehen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1141,"orig":"Als ſie ankamen, fanden ſie das Gerüſt aufgeſchlagen, und den Hintergrund mit aufgehängten Teppichen geziert.","norm":"Als sie ankamen, fanden sie das Gerüst aufgeschlagen, und den Hintergrund mit aufgehängten Teppichen geziert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1142,"orig":"Die Schwungbreter waren ſchon gelegt, das Schlappſeil an die Pfoſten befeſtigt, und das ſtraffe Seil über die Böcke gezogen.","norm":"Die Schwungbretter waren schon gelegt, das Schlappseil an die Pfosten befestigt, und das straffe Seil über die Böcke gezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1143,"orig":"Der Platz war ziemlich mit Volk gefüllt, und die Fenſter mit Zuſchauern einiger Art beſetzt.","norm":"Der Platz war ziemlich mit Volk gefüllt, und die Fenster mit Zuschauern einiger Art besetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1144,"orig":"Pagliaß bereitete erſt die Verſammlung mit einigen Albernheiten, worüber die Zuſchauer immer zu lachen pflegen, zur Aufmerkſamkeit und guten Laune vor.","norm":"Pagliaß bereitete erst die Versammlung mit einigen Albernheiten, worüber die Zuschauer immer zu lachen pflegen, zur Aufmerksamkeit und guten Laune vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1145,"orig":"Einige Kinder, deren Körper die ſeltſamſten Verrenkungen darſtellten, erregten bald Verwunderung, bald Grauſen, und Wilhelm konnte ſich des tiefen Mitleidens nicht enthalten, als er das Kind, an dem er beym erſten Anblicke Theil genommen, mit einiger Mühe, die ſonderbaren Stellungen hervorbringen ſah.","norm":"Einige Kinder, deren Körper die seltsamsten Verrenkungen darstellten, erregten bald Verwunderung, bald Grausen, und Wilhelm konnte sich des tiefen Mitleidens nicht enthalten, als er das Kind, an dem er beim ersten Anblicke teilgenommen, mit einiger Mühe, die sonderbaren Stellungen hervorbringen sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1146,"orig":"Doch bald erregten die luſtigen Springer ein lebhaftes Vergnügen, wenn ſie erſt einzeln, dann hinter einander und zuletzt alle zuſammen ſich vorwärts und rückwärts in der Luft überſchlugen.","norm":"Doch bald erregten die lustigen Springer ein lebhaftes Vergnügen, wenn sie erst einzeln, dann hintereinander und zuletzt alle zusammen sich vorwärts und rückwärts in der Luft überschlugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1147,"orig":"Ein lautes Händeklatſchen und Jauchzen erſcholl aus der ganzen Verſammlung.","norm":"Ein lautes Händeklatschen und Jauchzen erscholl aus der ganzen Versammlung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1148,"orig":"Nun aber ward die Aufmerkſamkeit auf einen andern Gegenſtand gewendet.","norm":"Nun aber wurde die Aufmerksamkeit auf einen anderen Gegenstand gewendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1149,"orig":"Die Kinder, eins nach dem andern, mußten das Seil betreten, und zwar die Lehrlinge zuerſt, damit ſie durch ihre Übungen das Schauſpiel verlängerten, und die Schwierigkeit der Kunſt ins Licht ſetzten.","norm":"Die Kinder, eins nach dem anderen, mussten das Seil betreten, und zwar die Lehrlinge zuerst, damit sie durch ihre Übungen das Schauspiel verlängerten, und die Schwierigkeit der Kunst ins Licht setzten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1150,"orig":"Es zeigten ſich auch einige Männer und erwachſene Frauensperſonen mit ziemlicher Geſchicklichkeit; allein es war noch nicht Monſieur Narciß, noch nicht Demoiſelle Landrinette.","norm":"Es zeigten sich auch einige Männer und erwachsene Frauenspersonen mit ziemlicher Geschicklichkeit; allein es war noch nicht Monsieur Narziss, noch nicht Demoiselle Landrinette."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1151,"orig":"Endlich traten auch dieſe aus einer Art von Zelt, hinter aufgeſpannten rothen Vorhängen hervor, und erfüllten durch ihre angenehme Geſtalt und zierlichen Putz die bisher glücklich genährte Hoffnung der Zuſchauer.","norm":"Endlich traten auch diese aus einer Art von Zelt, hinter aufgespannten roten Vorhängen hervor, und erfüllten durch ihre angenehme Gestalt und zierlichen Putz die bisher glücklich genährte Hoffnung der Zuschauer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1152,"orig":"Er, ein munteres Bürſchchen von mittlerer Größe, ſchwarzen Augen und einem ſtarken Haarzopf; ſie, nicht weniger niedlich doch ſtark gebildet; beide zeigten ſich nach einander auf dem Seile mit leichten Bewegungen, Sprüngen und ſeltſamen Poſituren.","norm":"Er, ein munteres Bürschchen von mittlerer Größe, schwarzen Augen und einem starken Haarzopf; sie, nicht weniger niedlich doch stark gebildet; beide zeigten sich nacheinander auf dem Seile mit leichten Bewegungen, Sprüngen und seltsamen Posituren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1153,"orig":"Ihre Leichtigkeit, ſeine Verwegenheit, die Genauigkeit, womit beide ihre Kunſtſtücke ausführten, erhöhten mit jedem Schritt und Sprung das allgemeine Vergnügen.","norm":"Ihre Leichtigkeit, seine Verwegenheit, die Genauigkeit, womit beide ihre Kunststücke ausführten, erhöhten mit jedem Schritt und Sprung das allgemeine Vergnügen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1154,"orig":"Der Anſtand, womit ſie ſich betrugen, die anſcheinende Bemühungen der andern um ſie, gaben ihnen das Anſehn, als wenn ſie Herr und Meiſter der ganzen Truppe wären, und jedermann hielt ſie des Ranges werth.","norm":"Der Anstand, womit sie sich betrugen, die anscheinende Bemühungen der anderen um sie, gaben ihnen das Ansehen, als wenn sie Herr und Meister der ganzen Truppe wären, und jedermann hielt sie des Ranges wert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1155,"orig":"Die Begeiſterung des Volks theilte ſich den Zuſchauern an den Fenſtern mit, die Damen ſahen unverwandt nach Narciſſen, die Herrn nach Landrinetten.","norm":"Die Begeisterung des Volkes teilte sich den Zuschauern an den Fenstern mit, die Damen sahen unverwandt nach Narzissen, die Herrn nach Landrinette."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1156,"orig":"Das Volk jauchzte, und das feinere Publikum enthielt ſich nicht des Klatſchens, kaum daß man noch über Pagliaſſen lachte.","norm":"Das Volk jauchzte, und das feinere Publikum enthielt sich nicht des Klatschens, kaum dass man noch über Pagliassen lachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1157,"orig":"Wenige nur ſchlichen ſich weg, als einige von der Truppe, um Geld zu ſammlen, ſich mit zinnernen Tellern durch die Menge drängten.","norm":"Wenige nur schlichen sich weg, als einige von der Truppe, um Geld zu sammeln, sich mit zinnernen Tellern durch die Menge drängten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1158,"orig":"Sie haben ihre Sache, dünkt mich, gut gemacht, ſagte Wilhelm zu Philinen, die bey ihm am Fenſter lag, ich bewundere ihren Verſtand, womit ſie auch geringe Kunſtſtückchen, nach und nach und zur rechten Zeit angebracht, gelten zu machen wußten, und wie ſie aus der Ungeſchicklichkeit ihrer Kinder und aus der Virtuoſität ihrer Beſten ein Ganzes zuſammen arbeiteten, das erſt unſre Aufmerkſamkeit erregte, und dann uns auf das angenehmſte unterhielt.","norm":"Sie haben ihre Sache, dünkt mich, gut gemacht, sagte Wilhelm zu Philine, die bei ihm am Fenster lag, ich bewundere ihren Verstand, womit sie auch geringe Kunststückchen, nach und nach und zur rechten Zeit angebracht, gelten zu machen wussten, und wie sie aus der Ungeschicklichkeit ihrer Kinder und aus der Virtuosität ihrer Besten ein Ganzes zusammenarbeiteten, das erst unsere Aufmerksamkeit erregte, und dann uns auf das angenehmste unterhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1159,"orig":"Das Volk hatte ſich nach und nach verlaufen, und der Platz war leer geworden, indeß Philine und Laertes über die Geſtalt und die Geſchicklichkeit Narciſſens und Landrinettens in Streit geriethen, und ſich wechſelsweiſe neckten.","norm":"Das Volk hatte sich nach und nach verlaufen, und der Platz war leer geworden, indes Philine und Laertes über die Gestalt und die Geschicklichkeit Narzisses und Landrinettes in Streit gerieten, und sich wechselweise neckten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1160,"orig":"Wilhelm ſah das wunderbare Kind auf der Straße bey andern ſpielenden Kindern ſtehen, machte Philinen darauf aufmerkſam, die ſogleich, nach ihrer lebhaften Art, dem Kinde rief und winkte, und da es nicht kommen wollte, ſingend die Treppe hinunter klapperte und es heraufführte.","norm":"Wilhelm sah das wunderbare Kind auf der Straße bei anderen spielenden Kindern stehen, machte Philine darauf aufmerksam, die sogleich, nach ihrer lebhaften Art, dem Kinde rief und winkte, und da es nicht kommen wollte, singend die Treppe hinunter klapperte und es heraufführte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1161,"orig":"Hier iſt das Räthſel, rief ſie, als ſie das Kind zur Thüre herein zog.","norm":"Hier ist das Rätsel, rief sie, als sie das Kind zur Türe hereinzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1162,"orig":"Es blieb am Eingange ſtehen, eben als wenn es gleich wieder hinaus ſchlüpfen wollte, legte die rechte Hand vor die Bruſt, die linke vor die Stirn, und bückte ſich tief.","norm":"Es blieb am Eingange stehen, eben als wenn es gleich wieder hinausschlüpfen wollte, legte die rechte Hand vor die Brust, die linke vor die Stirn, und bückte sich tief."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1163,"orig":"Fürchte dich nicht, liebe Kleine, ſagte Wilhelm, indem er auf ſie los ging.","norm":"Fürchte dich nicht, liebe kleine, sagte Wilhelm, indem er auf sie losging."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1164,"orig":"Sie ſah ihn mit unſicherm Blick an, und trat einige Schritte näher.","norm":"Sie sah ihn mit unsicherem Blick an, und trat einige Schritte näher."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1165,"orig":"Wie nennſt du dich?","norm":"Wie nennst du dich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1166,"orig":"fragte er.","norm":"fragte er."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1167,"orig":"— Sie heißen mich Mignon.","norm":"— Sie heißen mich Mignon."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1168,"orig":"— Wie viel Jahre haſt du?","norm":"— Wie viel Jahre hast du?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1169,"orig":"— Es hat ſie niemand gezählt.","norm":"— Es hat sie niemand gezählt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1170,"orig":"— Wer war dein Vater?","norm":"— Wer war dein Vater?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1171,"orig":"— Der große Teufel iſt todt.","norm":"— Der große Teufel ist tot."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1172,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1173,"orig":"Nun das iſt wunderlich genug!","norm":"Nun das ist wunderlich genug!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1174,"orig":"rief Philine aus.","norm":"rief Philine aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1175,"orig":"Man fragte ſie noch einiges; ſie brachte ihre Antworten in einem gebrochnen Deutſch und mit einer ſonderbar feyerlichen Art vor, dabey legte ſie jedesmal die Hände an Bruſt und Haupt, und neigte ſich tief.","norm":"Man fragte sie noch einiges; sie brachte ihre Antworten in einem gebrochenen Deutsch und mit einer sonderbar feierlichen Art vor, dabei legte sie jedes Mal die Hände an Brust und Haupt, und neigte sich tief."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1176,"orig":"Wilhelm konnte ſie nicht genug anſehen.","norm":"Wilhelm konnte sie nicht genug ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1177,"orig":"Seine Augen und ſein Herz wurden unwiderſtehlich von dem geheimnißvollen Zuſtande dieſes Weſens angezogen.","norm":"Seine Augen und sein Herz wurden unwiderstehlich von dem geheimnisvollen Zustande dieses Wesens angezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1178,"orig":"Er ſchätzte ſie zwölf bis dreyzehn Jahre; ihr Körper war gut gebaut, nur daß ihre Glieder einen ſtärkern Wuchs verſprachen, oder einen zurückgehaltenen ankündigten.","norm":"Er schätzte sie zwölf bis dreizehn Jahre; ihr Körper war gut gebaut, nur dass ihre Glieder einen stärkeren Wuchs versprachen, oder einen zurückgehaltenen ankündigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1179,"orig":"Ihre Bildung war nicht regelmäßig aber auffallend; ihre Stirne geheimnißvoll, ihre Naſe auſſerordentlich ſchön, und der Mund, ob er ſchon für ihr Alter zu ſehr geſchloſſen ſchien, und ſie manchmal mit den Lippen nach einer Seite zuckte, noch immer treuherzig und reizend genug.","norm":"Ihre Bildung war nicht regelmäßig aber auffallend; ihre Stirn geheimnisvoll, ihre Nase außerordentlich schön, und der Mund, ob er schon für ihr Alter zu sehr geschlossen schien, und sie manchmal mit den Lippen nach einer Seite zuckte, noch immer treuherzig und reizend genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1180,"orig":"Ihre bräunliche Geſichtsfarbe konnte man durch die Schminke kaum erkennen.","norm":"Ihre bräunliche Gesichtsfarbe konnte man durch die Schminke kaum erkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1181,"orig":"Dieſe Geſtalt prägte ſich Wilhelmen ſehr tief ein; er ſah ſie noch immer an, ſchwieg und vergaß der Gegenwärtigen über ſeinen Betrachtungen.","norm":"Diese Gestalt prägte sich Wilhelmen sehr tief ein; er sah sie noch immer an, schwieg und vergaß der Gegenwärtigen über seinen Betrachtungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1182,"orig":"Philine weckte ihn aus ſeinem Halbtraume, indem ſie dem Kinde etwas übriggebliebenes Zuckerwerk reichte, und ihm ein Zeichen gab, ſich zu entfernen.","norm":"Philine weckte ihn aus seinem Halbtraume, indem sie dem Kinde etwas übriggebliebenes Zuckerwerk reichte, und ihm ein Zeichen gab, sich zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1183,"orig":"Es machte ſeinen Bückling, wie oben, und fuhr blitzſchnell zur Thüre hinaus.","norm":"Es machte seinen Bückling, wie oben, und fuhr blitzschnell zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1184,"orig":"Die Zeit kam nunmehr herbey, daß unſere neue Bekannten ſich für dieſen Abend trennen ſollten, und redeten vorher noch eine Spatzierfahrt auf den morgenden Tag ab.","norm":"Die Zeit kam nunmehr herbei, dass unsere neuen Bekannten sich für diesen Abend trennen sollten, und redeten vorher noch eine Spazierfahrt auf den morgenden Tag ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1185,"orig":"Sie wollten abermals an einem andern Orte, auf einem benachbarten Jägerhauſe, ihr Mittagsmahl einnehmen.","norm":"Sie wollten abermals an einem anderen Orte, auf einem benachbarten Jägerhause, ihr Mittagsmahl einnehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1186,"orig":"Wilhelm ſprach dieſen Abend noch manches zu Philinens Lobe, worauf Laertes nur kurz und leichtſinnig antwortete.","norm":"Wilhelm sprach diesen Abend noch manches zu Philines Lobe, worauf Laertes nur kurz und leichtsinnig antwortete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1187,"orig":"Den andern Morgen, als ſie ſich abermals eine Stunde im Fechten geübt hatten, gingen ſie nach Philinens Gaſthofe, vor welchem ſie die beſtellte Kutſche ſchon hatten anfahren ſehen.","norm":"Den anderen Morgen, als sie sich abermals eine Stunde im Fechten geübt hatten, gingen sie nach Philines Gasthofe, vor welchem sie die bestellte Kutsche schon hatten anfahren sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1188,"orig":"Aber wie verwundert war Wilhelm, als die Kutſche verſchwunden, und wie noch mehr, als Philine nicht zu Hauſe, anzutreffen war.","norm":"Aber wie verwundert war Wilhelm, als die Kutsche verschwunden, und wie noch mehr, als Philine nicht zu Hause, anzutreffen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1189,"orig":"Sie hatte ſich, ſo erzählte man, mit ein paar Fremden, die dieſen Morgen angekommen waren, in den Wagen geſetzt, und war mit ihnen davon gefahren.","norm":"Sie hatte sich, so erzählte man, mit ein paar Fremden, die diesen Morgen angekommen waren, in den Wagen gesetzt, und war mit ihnen davongefahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1190,"orig":"Unſer Freund, der ſich in ihrer Geſellſchaft eine angenehme Unterhaltung verſprochen hatte, konnte ſeinen Verdruß nicht verbergen.","norm":"Unser Freund, der sich in ihrer Gesellschaft eine angenehme Unterhaltung versprochen hatte, konnte seinen Verdruss nicht verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1191,"orig":"Dagegen lachte Laertes, und rief: ſo gefällt ſie mir!","norm":"Dagegen lachte Laertes, und rief: So gefällt sie mir!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1192,"orig":"das ſieht ihr ganz ähnlich!","norm":"Das sieht ihr ganz ähnlich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1193,"orig":"Laſſen Sie uns nur gerade nach dem Jagdhauſe gehen, ſie mag ſeyn, wo ſie will, wir wollen ihretwegen unſere Promenade nicht verſäumen.","norm":"Lassen Sie uns nur gerade nach dem Jagdhause gehen, sie mag sein, wo sie will, wir wollen ihretwegen unsere Promenade nicht versäumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1194,"orig":"Als Wilhelm unterweges dieſe Inconſequenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, ſagte Laertes: ich kann nicht inconſequent finden, wenn jemand ſeinem Character treu bleibt.","norm":"Als Wilhelm unterwegs diese Inkonsequenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, sagte Laertes: Ich kann nicht inkonsequent finden, wenn jemand seinem Charakter treu bleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1195,"orig":"Wenn ſie ſich etwas vornimmt oder jemanden etwas verſpricht, ſo geſchieht es nur unter der ſtillſchweigenden Bedingung, daß es ihr auch bequem ſeyn werde, den Vorſatz auszuführen oder ihr Verſprechen zu halten.","norm":"Wenn sie sich etwas vornimmt oder jemanden etwas verspricht, so geschieht es nur unter der stillschweigenden Bedingung, dass es ihr auch bequem sein werde, den Vorsatz auszuführen oder ihr Versprechen zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1196,"orig":"Sie verſchenkt gern, aber man muß immer bereit ſeyn, ihr das Geſchenkte wieder zu geben.","norm":"Sie verschenkt gern, aber man muss immer bereit sein, ihr das Geschenkte wiederzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1197,"orig":"Dieß iſt ein ſeltſamer Character, verſetzte","norm":"Dies ist ein seltsamer Charakter, versetzte"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1198,"orig":"Nichts weniger als ſeltſam, nur daß ſie keine Heuchlerin iſt.","norm":"Nichts weniger als seltsam, nur dass sie keine Heuchlerin ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1199,"orig":"Ich liebe ſie deswegen, ja ich bin ihr Freund, weil ſie mir das Geſchlecht ſo rein darſtellt, das ich zu haſſen ſo viel Urſache habe.","norm":"Ich liebe sie deswegen, ja ich bin ihr Freund, weil sie mir das Geschlecht so rein darstellt, das ich zu hassen so viel Ursache habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1200,"orig":"Sie iſt mir die wahre Eva, die Stammmutter des weiblichen Geſchlechts; ſo ſind alle, nur wollen ſie es nicht Wort haben.","norm":"Sie ist mir die wahre Eva, die Stammmutter des weiblichen Geschlechts; so sind alle, nur wollen sie es nicht Wort haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1201,"orig":"Unter mancherley Geſprächen, in welchen Laertes ſeinen Haß gegen das weibliche Geſchlecht ſehr lebhaft ausdruckte, ohne jedoch die Urſache davon anzugeben, waren ſie in den Wald gekommen, in welchen Wilhelm ſehr verſtimmt eintrat, weil die Äuſſerungen des Laertes ihm die Erinnerung an ſein Verhältniß zu Marianen wieder lebendig gemacht hatten.","norm":"Unter mancherlei Gesprächen, in welchen Laertes seinen Hass gegen das weibliche Geschlecht sehr lebhaft ausdrückte, ohne jedoch die Ursache davon anzugeben, waren sie in den Wald gekommen, in welchen Wilhelm sehr verstimmt eintrat, weil die Äußerungen des Laertes ihm die Erinnerung an sein Verhältnis zu Mariane wieder lebendig gemacht hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1202,"orig":"Sie fanden nicht weit von einer beſchatteten Quelle, unter herrlichen alten Bäumen, Philinen allein, an einem ſteinernen Tiſche, ſitzen.","norm":"Sie fanden nicht weit von einer beschatteten Quelle, unter herrlichen alten Bäumen, Philine allein, an einem steinernen Tische, sitzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1203,"orig":"Sie ſang ihnen ein luſtiges Liedchen entgegen, und als Laertes nach ihrer Geſellſchaft fragte, rief ſie aus: ich habe ſie ſchön angeführt, ich habe ſie zum Beſten gehabt, wie ſie es verdienten.","norm":"Sie sang ihnen ein lustiges Liedchen entgegen, und als Laertes nach ihrer Gesellschaft fragte, rief sie aus: Ich habe sie schön angeführt, ich habe sie zum Besten gehabt, wie sie es verdienten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1204,"orig":"Schon unterwegs ſetzte ich ihre Freygebigkeit auf die Probe, und da ich bemerkte, daß ſie von den kargen Näſchern waren, nahm ich mir gleich vor, ſie zu beſtrafen.","norm":"Schon unterwegs setzte ich ihre Freigebigkeit auf die Probe, und da ich bemerkte, dass sie von den kargen Näschern waren, nahm ich mir gleich vor, sie zu bestrafen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1205,"orig":"Nach unſrer Ankunft fragten ſie den Kellner, was zu haben ſey?","norm":"Nach unserer Ankunft fragten sie den Kellner, was zu haben sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1206,"orig":"der mit der gewöhnlichen Geläufigkeit ſeiner Zunge alles, was da war, und mehr als da war, hererzählte.","norm":"der mit der gewöhnlichen Geläufigkeit seiner Zunge alles, was da war, und mehr als da war, hererzählte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1207,"orig":"Ich ſah ihre Verlegenheit, ſie blickten einander an, ſtotterten, und fragten nach dem Preiſe.","norm":"Ich sah ihre Verlegenheit, sie blickten einander an, stotterten, und fragten nach dem Preise."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1208,"orig":"Was bedenken Sie ſich lange, rief ich aus, die Tafel iſt das Geſchäft eines Frauenzimmers, laſſen Sie mich dafür ſorgen.","norm":"Was bedenken Sie sich lange, rief ich aus, die Tafel ist das Geschäft eines Frauenzimmers, lassen Sie mich dafür Sorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1209,"orig":"Ich fing darauf an, ein unſinniges Mittagmahl zu beſtellen, wozu noch manches durch Boten aus der Nachbarſchaft geholt werden ſollte.","norm":"Ich fing darauf an, ein unsinniges Mittagmahl zu bestellen, wozu noch manches durch Boten aus der Nachbarschaft geholt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1210,"orig":"Der Kellner, den ich durch ein paar ſchiefe Mäuler zum Vertrauten gemacht hatte, half mir endlich, und ſo haben wir ſie durch die Vorſtellung eines herrlichen Gaſtmahls dergeſtalt geängſtigt, daß ſie ſich kurz und gut zu einem Spatziergange in den Wald entſchloſſen, von dem ſie wohl ſchwerlich zurück kommen werden.","norm":"Der Kellner, den ich durch ein paar schiefe Mäuler zum Vertrauten gemacht hatte, half mir endlich, und so haben wir sie durch die Vorstellung eines herrlichen Gastmahls dergestalt geängstigt, dass sie sich kurz und gut zu einem Spaziergange in den Wald entschlossen, von dem sie wohl schwerlich zurückkommen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1211,"orig":"Ich habe eine Viertelſtunde auf meine eigene Hand gelacht, und werde lachen, ſo oft ich an die Geſichter denke.","norm":"Ich habe eine Viertelstunde auf meine eigene Hand gelacht, und werde lachen, sooft ich an die Gesichter denke."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1212,"orig":"Bey Tiſche erinnerte ſie Laertes an ähnliche Fälle; ſie kamen in den Gang, luſtige Geſchichten, Mißverſtändniſſe und Prellereyen zu erzählen.","norm":"Bei Tische erinnerte sie Laertes an ähnliche Fälle; sie kamen in den Gang, lustige Geschichten, Missverständnisse und Prellereien zu erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1213,"orig":"Ein junger Mann, von ihrer Bekanntſchaft aus der Stadt, kam mit einem Buche durch den Wald geſchlichen, ſetzte ſich zu ihnen, und rühmte den ſchönen Platz.","norm":"Ein junger Mann, von ihrer Bekanntschaft aus der Stadt, kam mit einem Buche durch den Wald geschlichen, setzte sich zu ihnen, und rühmte den schönen Platz."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1214,"orig":"Er machte ſie auf das Rieſeln der Quelle, auf die Bewegung der Zweige, auf die einfallenden Lichter und auf den Geſang der Vögel aufmerkſam.","norm":"Er machte sie auf das Rieseln der Quelle, auf die Bewegung der Zweige, auf die einfallenden Lichter und auf den Gesang der Vögel aufmerksam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1215,"orig":"Philine ſang ein Liedchen vom Kuckuk, welches dem Ankömmling nicht zu behagen ſchien; er empfahl ſich bald.","norm":"Philine sang ein Liedchen vom Kuckuck, welches dem Ankömmling nicht zu behagen schien; er empfahl sich bald."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1216,"orig":"Wenn ich nur nichts mehr von Natur und Naturſcenen hören ſollte, rief Philine aus, als er weg war, es iſt nichts unerträglicher, als ſich das Vergnügen vorrechnen zu laſſen, das man genießt.","norm":"Wenn ich nur nichts mehr von Natur und Naturszenen hören sollte, rief Philine aus, als er weg war, es ist nichts unerträglicher, als sich das Vergnügen vorrechnen zu lassen, das man genießt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1217,"orig":"Wenn ſchön Wetter iſt, geht man ſpatzieren, wie man tanzt, wenn aufgeſpielt wird.","norm":"Wenn schön Wetter ist, geht man spazieren, wie man tanzt, wenn aufgespielt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1218,"orig":"Wer mag aber nur einen Augenblick an die Muſik, wer an’s ſchöne Wetter denken?","norm":"Wer mag aber nur einen Augenblick an die Musik, wer ans schöne Wetter denken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1219,"orig":"Der Tänzer intereſſirt uns, nicht die Violine, und in ein paar ſchöne ſchwarze Augen zu ſehen, thut einem paar blauen Augen gar zu wohl.","norm":"Der Tänzer interessiert uns, nicht die Violine, und in ein paar schöne schwarze Augen zu sehen, tut ein Paar blauen Augen gar zu wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1220,"orig":"Was ſollen dagegen Quellen und Brunnen, und alte morſche Linden!","norm":"Was sollen dagegen Quellen und Brunnen, und alte morsche Linden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1221,"orig":"Sie ſah, indem ſie ſo ſprach, Wilhelmen, der ihr gegenüber ſaß, mit einem Blick in die Augen, dem er nicht wehren konnte, wenigſtens bis an die Thüre ſeines Herzens vorzudringen.","norm":"Sie sah, indem sie so sprach, Wilhelmen, der ihr gegenüber saß, mit einem Blick in die Augen, dem er nicht wehren konnte, wenigstens bis an die Türe seines Herzens vorzudringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1222,"orig":"Sie haben Recht, verſetzte er mit einiger Verlegenheit, der Menſch iſt dem Menſchen das Intereſſanteſte, und ſollte ihn vielleicht ganz allein intereſſiren.","norm":"Sie haben Recht, versetzte er mit einiger Verlegenheit, der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste, und sollte ihn vielleicht ganz allein interessieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1223,"orig":"Alles andere, was uns umgiebt, iſt entweder nur Element, in dem wir leben, oder Werkzeug, deſſen wir uns bedienen.","norm":"Alles andere, was uns umgibt, ist entweder nur Element, in dem wir leben, oder Werkzeug, dessen wir uns bedienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1224,"orig":"Jemehr wir uns dabey aufhalten, jemehr wir darauf merken und Theil daran nehmen, deſto ſchwächer wird das Gefühl unſers eignen Werthes und das Gefühl der Geſellſchaft.","norm":"Je mehr wir uns dabei aufhalten, je mehr wir darauf merken und Teil daran nehmen, desto schwächer wird das Gefühl unseres eigenen Wertes und das Gefühl der Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1225,"orig":"Die Menſchen, die einen großen Werth auf Gärten, Gebäude, Kleider, Schmuck oder irgend ein Beſitzthum legen, ſind weniger geſellig und gefällig; ſie verlieren die Menſchen aus den Augen, welche zu erfreuen und zu verſammlen nur ſehr wenigen glückt.","norm":"Die Menschen, die einen großen Wert auf Gärten, Gebäude, Kleider, Schmuck oder irgendein Besitztum legen, sind weniger gesellig und gefällig; sie verlieren die Menschen aus den Augen, welche zu erfreuen und zu versammeln nur sehr wenigen glückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1226,"orig":"Sehn wir es nicht auch auf dem Theater?","norm":"Sehen wir es nicht auch auf dem Theater?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1227,"orig":"Ein guter Schauſpieler macht uns bald eine elende, unſchickliche Dekoration vergeſſen, dahingegen das ſchönſte Theater den Mangel an guten Schauſpielern erſt recht fühlbar macht.","norm":"Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, unschickliche Dekoration vergessen, dahingegen das schönste Theater den Mangel an guten Schauspielern erst recht fühlbar macht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1228,"orig":"Nach Tiſche ſetzte Philine ſich in das beſchattete hohe Gras.","norm":"Nach Tische setzte Philine sich in das beschattete hohe Gras."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1229,"orig":"Ihre beiden Freunde mußten ihr Blumen in Menge herbeyſchaffen.","norm":"Ihre beiden Freunde mussten ihr Blumen in Menge herbeischaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1230,"orig":"Sie wand ſich einen vollen Kranz, und ſetzte ihn auf; ſie ſah unglaublich reizend aus.","norm":"Sie wand sich einen vollen Kranz, und setzte ihn auf; sie sah unglaublich reizend aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1231,"orig":"Die Blumen reichten noch zu einem andern hin, auch den flocht ſie, indem ſich beide Männer neben ſie ſetzten.","norm":"Die Blumen reichten noch zu einem anderen hin, auch den flocht sie, indem sich beide Männer neben sie setzten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1232,"orig":"Als er unter allerley Scherz und Anſpielungen fertig geworden war, drückte ſie ihn Wilhelmen mit der größten Anmuth auf’s Haupt, und rückte ihn mehr als einmal anders, bis er recht zu ſitzen ſchien.","norm":"Als er unter allerlei Scherz und Anspielungen fertig geworden war, drückte sie ihn Wilhelm mit der größten Anmut aufs Haupt, und rückte ihn mehr als einmal anders, bis er recht zu sitzen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1233,"orig":"Und ich werde, wie es ſcheint, leer ausgehen?","norm":"Und ich werde, wie es scheint, leer ausgehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1234,"orig":"ſagte Laertes.","norm":"sagte Laertes."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1235,"orig":"Mit nichten, verſetzte Philine.","norm":"Mit nichten, versetzte Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1236,"orig":"Ihr ſollt Euch keinesweges beklagen.","norm":"Ihr sollt Euch keineswegs beklagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1237,"orig":"Sie nahm ihren Kranz vom Haupte, und ſetzte ihn Laertes auf.","norm":"Sie nahm ihren Kranz vom Haupte, und setzte ihn Laertes auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1238,"orig":"Wären wir Nebenbuhler, ſagte dieſer, ſo würden wir ſehr heftig ſtreiten können, welchen von beiden du am meiſten begünſtigſt.","norm":"Wären wir Nebenbuhler, sagte dieser, so würden wir sehr heftig streiten können, welchen von beiden du am meisten begünstigst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1239,"orig":"Da wär’t ihr rechte Thoren, verſetzte ſie, indem ſie ſich zu ihm hinüberbog, und ihm den Mund zum Kuß reichte; ſich aber ſogleich umwendete, ihren Arm um Wilhelmen ſchlang, und einen lebhaften Kuß auf ſeine Lippen drückte.","norm":"Da wärt ihr rechte Toren, versetzte sie, indem sie sich zu ihm hinüberbog, und ihm den Mund zum Kuss reichte; sich aber sogleich umwendete, ihren Arm um Wilhelm schlang, und einen lebhaften Kuss auf seine Lippen drückte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1240,"orig":"Welcher ſchmeckt am beſten?","norm":"Welcher schmeckt am besten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1241,"orig":"fragte ſie neckiſch.","norm":"fragte sie neckisch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1242,"orig":"Wunderlich!","norm":"Wunderlich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1243,"orig":"rief Laertes.","norm":"rief Laertes."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1244,"orig":"Es ſcheint als wenn ſo etwas niemals nach Wermuth ſchmekken könne.","norm":"Es scheint als wenn so etwas niemals nach Wermut schmecken könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1245,"orig":"So wenig, ſagte Philine, als irgend eine Gabe, die jemand ohne Neid und Eigenſinn genießt.","norm":"So wenig, sagte Philine, als irgendeine Gabe, die jemand ohne Neid und Eigensinn genießt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1246,"orig":"Nun hätte ich, rief ſie aus, noch Luſt, eine Stunde zu tanzen, und dann müſſen wir wohl wieder nach unſern Springern ſehen.","norm":"Nun hätte ich, rief sie aus, noch Lust, eine Stunde zu tanzen, und dann müssen wir wohl wieder nach unseren Springern sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1247,"orig":"Man ging nach dem Hauſe, und fand Muſik daſelbſt.","norm":"Man ging nach dem Hause, und fand Musik daselbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1248,"orig":"Philine, die eine gute Tänzerin war, belebte ihre beiden Geſellſchafter.","norm":"Philine, die eine gute Tänzerin war, belebte ihre beiden Gesellschafter."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1249,"orig":"Wilhelm war nicht ungeſchickt, allein es fehlte ihm an einer künſtlichen Übung.","norm":"Wilhelm war nicht ungeschickt, allein es fehlte ihm an einer künstlichen Übung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1250,"orig":"Seine beiden Freunde nahmen ſich vor, ihn zu unterrichten.","norm":"Seine beiden Freunde nahmen sich vor, ihn zu unterrichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1251,"orig":"Man verſpätete ſich.","norm":"Man verspätete sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1252,"orig":"Die Seiltänzer hatten ihre Künſte ſchon zu produziren angefangen.","norm":"Die Seiltänzer hatten ihre Künste schon zu produzieren angefangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1253,"orig":"Auf dem Platze hatten ſich viele Zuſchauer eingefunden, doch war unſern Freunden, als ſie ausſtiegen, ein Getümmel merkwürdig, das eine große Anzahl Menſchen nach dem Thore des Gaſthofes, in welchem Wilhelm eingekehrt war, hingezogen hatte.","norm":"Auf dem Platze hatten sich viele Zuschauer eingefunden, doch war unseren Freunden, als sie ausstiegen, ein Getümmel merkwürdig, das eine große Anzahl Menschen nach dem Tore des Gasthofes, in welchem Wilhelm eingekehrt war, hingezogen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1254,"orig":"Wilhelm ſprang hinüber, um zu ſehen, was es ſey, und mit Entſetzen erblickte er, als er ſich durch's Volk drängte, den Herrn der Seiltänzergeſellſchaft, der das intereſſante Kind bey den Haaren aus dem Hauſe zu ſchleppen bemüht war, und mit einem Peitſchenſtiel unbarmherzig auf den kleinen Körper losſchlug.","norm":"Wilhelm sprang hinüber, um zu sehen, was es sei, und mit Entsetzen erblickte er, als er sich durchs Volk drängte, den Herrn der Seiltänzergesellschaft, der das interessante Kind bei den Haaren aus dem Hause zu schleppen bemüht war, und mit einem Peitschenstiel unbarmherzig auf den kleinen Körper losschlug."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1255,"orig":"Wilhelm fuhr wie ein Blitz auf den Mann zu, und faßte ihn bey der Bruſt.","norm":"Wilhelm fuhr wie ein Blitz auf den Mann zu, und fasste ihn bei der Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1256,"orig":"Laß das Kind los!","norm":"Lass das Kind los!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1257,"orig":"ſchrie er wie ein Raſender, oder einer von uns bleibt hier auf der Stelle.","norm":"schrie er wie ein Rasender, oder einer von uns bleibt hier auf der Stelle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1258,"orig":"Er faßte zugleich den Kerl mit einer Gewalt, die nur der Zorn geben kann ‚bey der Kehle, daß dieſer zu erſticken glaubte, das Kind losließ, und ſich gegen den Angreifenden zu vertheidigen ſuchte.","norm":"Er fasste zugleich den Kerl mit einer Gewalt, die nur der Zorn geben kann, bei der Kehle, dass dieser zu ersticken glaubte, das Kind losließ, und sich gegen den Angreifenden zu verteidigen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1259,"orig":"Einige Leute, die mit dem Kinde Mitleiden fühlten ‚aber Streit anzufangen nicht gewagt hatten, fielen dem Seiltänzer ſogleich in die Arme, entwaffneten ihn, und drohten ihm mit vielen Schimpfreden.","norm":"Einige Leute, die mit dem Kinde Mitleiden fühlten, aber Streit anzufangen nicht gewagt hatten, fielen dem Seiltänzer sogleich in die Arme, entwaffneten ihn, und drohten ihm mit vielen Schimpfreden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1260,"orig":"Dieſer, der ſich jetzt nur auf die Waffen ſeines Mundes reduzirt ſah, fing gräßlich zu drohen und zu fluchen an, die faule unnütze Kreatur wolle ihre Schuldigkeit nicht thun; ſie verweigere den Eiertanz zu tanzen, den er dem Publiko verſprochen habe; er wolle ſie todtſchlagen, und es ſolle ihn niemand daran hindern.","norm":"Dieser, der sich jetzt nur auf die Waffen seines Mundes reduziert sah, fing grässlich zu drohen und zu fluchen an, die faule unnütze Kreatur wolle ihre Schuldigkeit nicht tun; sie verweigere den Eiertanz zu tanzen, den er dem Publikum versprochen habe; er wolle sie totschlagen, und es solle ihn niemand daran hindern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1261,"orig":"Er ſuchte ſich los zu machen, um das Kind, das ſich unter der Menge verkrochen hatte, aufzuſuchen.","norm":"Er suchte sich loszumachen, um das Kind, das sich unter der Menge verkrochen hatte, aufzusuchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1262,"orig":"Wilhelm hielt ihn zurück, und rief: du ſollſt nicht eher dieſes Geſchöpf weder ſehen noch berühren, bis du vor Gericht Rechenſchaft giebſt, wo du es geſtohlen haſt; ich werde dich auf’s äuſſerſte treiben, du ſollſt mir nicht entgehen.","norm":"Wilhelm hielt ihn zurück, und rief: Du sollst nicht eher dieses Geschöpf weder sehen noch berühren, bis du vor Gericht Rechenschaft gibst, wo du es gestohlen hast; ich werde dich aufs Äußerste treiben, du sollst mir nicht entgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1263,"orig":"Dieſe Rede, welche Wilhelm in der Hitze, ohne Gedanken und Abſicht, aus einem dunklen Gefühl, oder wenn man will, aus Inſpiration ausgeſprochen hatte, brachte den wüthenden Menſchen auf einmal zur Ruhe.","norm":"Diese Rede, welche Wilhelm in der Hitze, ohne Gedanken und Absicht, aus einem dunklen Gefühl, oder wenn man will, aus Inspiration ausgesprochen hatte, brachte den wütenden Menschen auf einmal zur Ruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1264,"orig":"Er rief: was hab’ ich mit der unnützen Kreatur zu ſchaffen!","norm":"Er rief: Was habe ich mit der unnützen Kreatur zu schaffen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1265,"orig":"Zahlen Sie mir, was mich ihre Kleider koſten, und Sie mögen ſie behalten, wir wollen dieſen Abend noch einig werden.","norm":"Zahlen Sie mir, was mich ihre Kleider kosten, und Sie mögen sie behalten, wir wollen diesen Abend noch einig werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1266,"orig":"Er eilte darauf, die unterbrochene Vorſtellung fortzuſetzen, und die Unruhe des Publikums durch einige bedeutende Kunſtſtücke zu befriedigen.","norm":"Er eilte darauf, die unterbrochene Vorstellung fortzusetzen, und die Unruhe des Publikums durch einige bedeutende Kunststücke zu befriedigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1267,"orig":"Wilhelm ſuchte nunmehr, da es ſtille geworden war, nach dem Kinde, das ſich aber nirgends fand.","norm":"Wilhelm suchte nunmehr, da es stille geworden war, nach dem Kinde, das sich aber nirgends fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1268,"orig":"Einige wollten es auf dem Boden, andere auf den Dächern der benachbarten Häuſer geſehen haben.","norm":"Einige wollten es auf dem Boden, andere auf den Dächern der benachbarten Häuser gesehen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1269,"orig":"Nachdem man es aller Orten geſucht hatte, mußte man ſich beruhigen, und abwarten, ob es nicht von ſelbſt wieder herbey kommen wolle.","norm":"Nachdem man es allerorten gesucht hatte, musste man sich beruhigen, und abwarten, ob es nicht von selbst wieder herbeikommen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1270,"orig":"Indeß war Narciß nach Hauſe gekommen, welchen Wilhelm über die Schickſale und die Herkunft des Kindes befragte.","norm":"Indes war Narziss nach Hause gekommen, welchen Wilhelm über die Schicksale und die Herkunft des Kindes befragte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1271,"orig":"Dieſer wußte nichts davon, denn er war nicht lange bey der Geſellſchaft; erzählte dagegen mit großer Leichtigkeit und vielem Leichtſinne ſeine eigenen Schickſale.","norm":"Dieser wusste nichts davon, denn er war nicht lange bei der Gesellschaft; erzählte dagegen mit großer Leichtigkeit und vielem Leichtsinne seine eigenen Schicksale."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1272,"orig":"Als ihm Wilhelm zu dem großen Beyfall Glück wünſchte, deſſen er ſich zu erfreuen hatte, äuſſerte er ſich ſehr gleichgültig darüber.","norm":"Als ihm Wilhelm zu dem großen Beifall Glück wünschte, dessen er sich zu erfreuen hatte, äußerte er sich sehr gleichgültig darüber."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1273,"orig":"Wir ſind gewohnt, ſagte er, daß man über uns lacht, und unſre Künſte bewundert; aber wir werden durch den auſſerordentlichen Beyfall um nichts gebeſſert.","norm":"Wir sind gewohnt, sagte er, dass man über uns lacht, und unsere Künste bewundert; aber wir werden durch den außerordentlichen Beifall um nichts gebessert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1274,"orig":"Der Entrepreneur zahlt uns, und mag ſehen, wie er zurechte kömmt.","norm":"Der Entrepreneur zahlt uns, und mag sehen, wie er zurechte kommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1275,"orig":"Er beurlaubte ſich darauf, und wollte ſich eilig entfernen.","norm":"Er beurlaubte sich darauf, und wollte sich eilig entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1276,"orig":"Auf die Frage, wo er ſo ſchnell hin wolle?","norm":"Auf die Frage, wo er so schnell hinwolle?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1277,"orig":"lächelte der junge Menſch, und geſtand, daß ſeine Figur und Talente ihm einen ſolidern Beyfall zugezogen, als der des großen Publikums ſey.","norm":"lächelte der junge Mensch, und gestand, dass seine Figur und Talente ihm einen solideren Beifall zugezogen, als der des großen Publikums sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1278,"orig":"Er habe von einigen Frauenzimmern Botſchaft erhalten, die ſehr eifrig verlangten, ihn näher kennen zu lernen, und er fürchte, mit den Beſuchen, die er abzulegen habe, vor Mitternacht kaum fertig zu werden.","norm":"Er habe von einigen Frauenzimmern Botschaft erhalten, die sehr eifrig verlangten, ihn näher kennen zu lernen, und er fürchte, mit den Besuchen, die er abzulegen habe, vor Mitternacht kaum fertig zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1279,"orig":"Er fuhr fort mit der größten Aufrichtigkeit ſeine Abentheuer zu erzählen, und hätte die Namen, Straßen und Häuſer angezeigt, wenn nicht Wilhelm eine ſolche Indiſcretion abgelehnt und ihn höflich entlaſſen hätte.","norm":"Er fuhr fort mit der größten Aufrichtigkeit seine Abenteuer zu erzählen, und hätte die Namen, Straßen und Häuser angezeigt, wenn nicht Wilhelm eine solche Indiskretion abgelehnt und ihn höflich entlassen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1280,"orig":"Laertes hatte indeſſen Landrinetten unterhalten, und verſicherte, ſie ſey vollkommen würdig, ein Weib zu ſeyn und zu bleiben.","norm":"Laertes hatte indessen Landrinette unterhalten, und versicherte, sie sei vollkommen würdig, ein Weib zu sein und zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1281,"orig":"Nun ging die Unterhandlung mit dem Entrepreneur wegen des Kindes an, das unſerm Freunde für dreyßig Thaler überlaſſen wurde, gegen welche der ſchwarzbärtige heftige Italiener ſeine Anſprüche völlig abtrat; von der Herkunft des Kindes aber weiter nichts bekennen wollte, als daß er ſolches nach dem Tode ſeines Bruders, den man, wegen ſeiner auſſerordentlichen Geſchicklichkeit, den großen Teufel genannt, zu ſich genommen habe.","norm":"Nun ging die Unterhandlung mit dem Entrepreneur wegen des Kindes an, das unserem Freunde für dreißig Taler überlassen wurde, gegen welche der schwarzbärtige heftige Italiener seine Ansprüche völlig abtrat; von der Herkunft des Kindes aber weiter nichts bekennen wollte, als dass er solches nach dem Tode seines Bruders, den man, wegen seiner außerordentlichen Geschicklichkeit, den großen Teufel genannt, zu sich genommen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1282,"orig":"Der andere Morgen ging meiſt mit Aufſuchen des Kindes hin.","norm":"Der andere Morgen ging meist mit Aufsuchen des Kindes hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1283,"orig":"Vergebens durchkroch man alle Winkel des Hauſes und der Nachbarſchaft; es war verſchwunden, und man fürchtete, es mögte in ein Waſſer geſprungen ſeyn, oder ſich ſonſt ein Leid angethan haben.","norm":"Vergebens durchkroch man alle Winkel des Hauses und der Nachbarschaft; es war verschwunden, und man fürchtete, es möchte in ein Wasser gesprungen sein, oder sich sonst ein Leid angetan haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1284,"orig":"Philinens Reize konnten die Unruhe unſers Freundes nicht ableiten.","norm":"Philines Reize konnten die Unruhe unseres Freundes nicht ableiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1285,"orig":"Er brachte einen traurigen nachdenklichen Tag zu.","norm":"Er brachte einen traurigen nachdenklichen Tag zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1286,"orig":"Auch des Abends, da Springer und Tänzer alle ihre Kräfte aufboten, um ſich dem Publiko auf’s Beſte zu empfehlen, konnte ſein Gemüth nicht erheitert und zerſtreut werden.","norm":"Auch des Abends, da Springer und Tänzer alle ihre Kräfte aufboten, um sich dem Publikum aufs Beste zu empfehlen, konnte sein Gemüt nicht erheitert und zerstreut werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1287,"orig":"Durch den Zulauf aus benachbarten Ortſchaften hatte die Anzahl der Menſchen auſſerordentlich zugenommen, und ſo wälzte ſich auch der Schneeball des Beyfalls zu einer ungeheuren Größe.","norm":"Durch den Zulauf aus benachbarten Ortschaften hatte die Anzahl der Menschen außerordentlich zugenommen, und so wälzte sich auch der Schneeball des Beifalls zu einer ungeheuren Größe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1288,"orig":"Der Sprung über die Degen und durch das Faß mit papiernen Böden machte eine große Senſation.","norm":"Der Sprung über die Degen und durch das Faße mit papiernen Böden machte eine große Sensation."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1289,"orig":"Der ſtarke Mann ließ zum allgemeinen Grauſen, Entſetzen und Erſtaunen, indem er ſich mit dem Kopf und den Füßen auf ein Paar auseinander geſchobene Stühle legte, auf ſeinen hohlſchwebenden Leib einen Ambos heben und auf demſelben, von einigen wackern Schmiedegeſellen, ein Hufeiſen fertig ſchmieden.","norm":"Der starke Mann ließ zum allgemeinen Grausen, Entsetzen und Erstaunen, indem er sich mit dem Kopf und den Füßen auf ein Paar auseinander geschobene Stühle legte, auf seinen hohlschwebenden Leib einen Amboss heben und auf demselben, von einigen wackeren Schmiedegesellen, ein Hufeisen fertig schmieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1290,"orig":"Auch war die ſogenannte Herkules-Stärke, da eine Reihe Männer auf den Schultern einer erſten Reihe ſtehend, abermals Frauen und Jünglinge trägt, ſo daß zuletzt eine lebendige Pyramide entſteht, deren Spitze ein Kind auf den Kopf geſtellt, als Knopf und Wetterfahne ziert, in dieſen Gegenden noch nie geſehen worden, und endigte würdig das ganze Schauſpiel.","norm":"Auch war die sogenannte Herkulesstärke, da eine Reihe Männer auf den Schultern einer ersten Reihe stehend, abermals Frauen und Jünglinge trägt, so dass zuletzt eine lebendige Pyramide entsteht, deren Spitze ein Kind auf den Kopf gestellt, als Knopf und Wetterfahne ziert, in diesen Gegenden noch nie gesehen worden, und endigte würdig das ganze Schauspiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1291,"orig":"Narciß und Landrinette ließen ſich in Tragſeſſeln auf den Schultern der übrigen durch die vornehmſten Straßen der Stadt unter lautem Freudengeſchrey des Volks tragen.","norm":"Narziss und Landrinette ließen sich in Tragsesseln auf den Schultern der übrigen durch die vornehmsten Straßen der Stadt unter lautem Freudengeschrei des Volkes tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1292,"orig":"Man warf ihnen Bänder, Blumenſträuße und ſeidene Tücher zu, und drängte ſich, ſie ins Geſicht zu faſſen.","norm":"Man warf ihnen Bänder, Blumensträuße und seidene Tücher zu, und drängte sich, sie ins Gesicht zu fassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1293,"orig":"Jedermann ſchien glücklich zu ſeyn, ſie anzuſehn, und von ihnen eines Blicks gewürdigt zu werden.","norm":"Jedermann schien glücklich zu sein, sie anzusehen, und von ihnen eines Blickes gewürdigt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1294,"orig":"Welcher Schauſpieler, welcher Schriftſteller, ja welcher Menſch überhaupt würde ſich nicht auf dem Gipfel ſeiner Wünſche ſehen, wenn er durch irgend ein edles Wort oder eine gute That einen ſo allgemeinen Eindruck hervorbrächte?","norm":"Welcher Schauspieler, welcher Schriftsteller, ja welcher Mensch überhaupt würde sich nicht auf dem Gipfel seiner Wünsche sehen, wenn er durch irgendein edles Wort oder eine gute Tat einen so allgemeinen Eindruck hervorbrächte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1295,"orig":"Welche köſtliche Empfindung müßte es ſeyn, wenn man gute, edle, der Menſchheit würdige Gefühle eben ſo ſchnell durch einen elektriſchen Schlag ausbreiten, ein ſolches Entzücken unter dem Volke erregen könnte, als dieſe Leute durch ihre körperliche Geſchicklichkeit gethan haben; wenn man der Menge das Mitgefühl alles Menſchlichen geben, wenn man ſie mit der Vorſtellung des Glücks und Unglücks, der Weisheit und Thorheit, ja des Unſinns und der Albernheit entzünden, erſchüttern, und ihr ſtockendes Innere in freye, lebhafte und reine Bewegung ſetzen könnte!","norm":"Welche köstliche Empfindung müsste es sein, wenn man gute, edle, der Menschheit würdige Gefühle ebenso schnell durch einen elektrischen Schlag ausbreiten, ein solches Entzücken unter dem Volke erregen könnte, als diese Leute durch ihre körperliche Geschicklichkeit getan haben; wenn man der Menge das Mitgefühl alles Menschlichen geben, wenn man sie mit der Vorstellung des Glücks und Unglücks, der Weisheit und Torheit, ja des Unsinns und der Albernheit entzünden, erschüttern, und ihr stockendes Innere in freie, lebhafte und reine Bewegung setzen könnte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1296,"orig":"So ſprach unſer Freund, und da weder Philine noch Laertes geſtimmt ſchienen, einen ſolchen Diskurs fortzuſetzen, unterhielt er ſich allein mit dieſen Lieblingsbetrachtungen, als er bis ſpät in die Nacht um die Stadt ſpazierte, und ſeinen alten Wunſch, das Gute, Edle, Große durch das Schauſpiel zu verſinnlichen, wieder einmal mit aller Lebhaftigkeit und aller Freyheit einer losgebundenen Einbildungskraft verfolgte.","norm":"So sprach unser Freund, und da weder Philine noch Laertes gestimmt schienen, einen solchen Diskurs fortzusetzen, unterhielt er sich allein mit diesen Lieblingsbetrachtungen, als er bis spät in die Nacht um die Stadt spazierte, und seinen alten Wunsch, das Gute, Edle, Große durch das Schauspiel zu versinnlichen, wieder einmal mit aller Lebhaftigkeit und aller Freiheit einer losgebundenen Einbildungskraft verfolgte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1297,"orig":"Des andern Tages, als die Seiltänzer mit großem Geräuſch abgezogen waren, fand ſich Mignon ſogleich wieder ein, und trat hinzu, als Wilhelm und Laertes ihre Fechtübungen auf dem Saale fortſetzten.","norm":"Des anderen Tages, als die Seiltänzer mit großem Geräusch abgezogen waren, fand sich Mignon sogleich wieder ein, und trat hinzu, als Wilhelm und Laertes ihre Fechtübungen auf dem Saale fortsetzten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1298,"orig":"Wo haſt du geſteckt?","norm":"Wo hast du gesteckt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1299,"orig":"fragte Wilhelm freundlich, du haſt uns viel Sorge gemacht.","norm":"fragte Wilhelm freundlich, du hast uns viel Sorge gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1300,"orig":"Das Kind antwortete nichts, und ſah ihn an.","norm":"Das Kind antwortete nichts, und sah ihn an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1301,"orig":"Du biſt nun unſer, rief Laertes, wir haben dich gekauft.","norm":"Du bist nun unser, rief Laertes, wir haben dich gekauft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1302,"orig":"— Was haſt du bezahlt?","norm":"— Was hast du bezahlt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1303,"orig":"fragte das Kind ganz trocken.","norm":"fragte das Kind ganz trocken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1304,"orig":"— Hundert Dukaten, verſetzte Laertes, wenn du ſie wieder giebſt, kannſt du frey ſeyn.","norm":"— Hundert Dukaten, versetzte Laertes, wenn du sie wiedergibst, kannst du frei sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1305,"orig":"— Das iſt wohl viel?","norm":"— Das ist wohl viel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1306,"orig":"fragte das Kind.","norm":"fragte das Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1307,"orig":"— O ja, du magſt dich nur gut aufführen.","norm":"— O ja, du magst dich nur gut aufführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1308,"orig":"— Ich will dienen, verſetzte ſie.","norm":"— Ich will dienen, versetzte sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1309,"orig":"Von dem Augenblicke an merkte ſie genau, was der Kellner den beiden Freunden für Dienſte zu leiſten hatte, und litt ſchon des andern Tages nicht mehr, daß er ins Zimmer kam.","norm":"Von dem Augenblicke an merkte sie genau, was der Kellner den beiden Freunden für Dienste zu leisten hatte, und litt schon des anderen Tages nicht mehr, dass er ins Zimmer kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1310,"orig":"Sie wollte alles ſelbſt thun, und machte auch ihre Geſchäfte zwar langſam und mit unter unbehülflich, doch genau und mit großer Sorgfalt.","norm":"Sie wollte alles selbst tun, und machte auch ihre Geschäfte zwar langsam und mitunter unbehilflich, doch genau und mit großer Sorgfalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1311,"orig":"Sie ſtellte ſich oft an ein Gefäß mit Waſſer, und wuſch ihr Geſicht mit ſo großer Emſigkeit und Heftigkeit, daß ſie ſich faſt die Backen aufrieb, und Laertes erfuhr durch Fragen und Necken, daß ſie die Schminke von ihren Wangen auf alle Weiſe los zu werden ſuche, und über dem Eifer, womit ſie es that, die Röthe, die ſie durchs Reiben hervorgebracht hatte, für die hartnäckigſte Schminke halte.","norm":"Sie stellte sich oft an ein Gefäß mit Wasser, und wusch ihr Gesicht mit so großer Emsigkeit und Heftigkeit, dass sie sich fast die Backen aufrieb, und Laertes erfuhr durch Fragen und Necken, dass sie die Schminke von ihren Wangen auf alle Weise loszuwerden suche, und über dem Eifer, womit sie es tat, die Röte, die sie durchs Reiben hervorgebracht hatte, für die hartnäckigste Schminke halte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1312,"orig":"Man bedeutete ſie, und ſie ließ ab, und nachdem ſie wieder zur Ruhe gekommen war, zeigte ſich eine ſchöne braune, obgleich nur von wenigem Roth erhöhte Geſichtsfarbe.","norm":"Man bedeutete sie, und sie ließ ab, und nachdem sie wieder zur Ruhe gekommen war, zeigte sich eine schöne braune, obgleich nur von wenigem Rot erhöhte Gesichtsfarbe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1313,"orig":"Durch die frevelhaften Reize Philinens, durch die geheimnißvolle Gegenwart des Kindes, mehr als er ſich ſelbſt geſtehen durfte, unterhalten, brachte Wilhelm verſchiedene Tage in dieſer ſonderbaren Geſellſchaft zu, und rechtfertigte ſich bey ſich ſelbſt durch eine fleißige Übung in der Fecht- und TanzKunſt, wozu er ſo leicht nicht wieder Gelegenheit zu finden glaubte.","norm":"Durch die frevelhaften Reize Philines, durch die geheimnisvolle Gegenwart des Kindes, mehr als er sich selbst gestehen durfte, unterhalten, brachte Wilhelm verschiedene Tage in dieser sonderbaren Gesellschaft zu, und rechtfertigte sich bei sich selbst durch eine fleißige Übung in der Fecht- und Tanzkunst, wozu er so leicht nicht wieder Gelegenheit zu finden glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1314,"orig":"Nicht wenig verwundert, und gewiſſermaßen erfreut war er, als er eines Tages Herrn und Frau Melina ankommen ſah, welche, gleich nach dem erſten frohen Gruße, ſich nach der Directrice und den übrigen Schauſpielern erkundigten, und mit großem Schrecken vernahmen, daß jene ſich ſchon lange entfernt habe, und dieſe bis auf wenige zerſtreut ſeyen.","norm":"Nicht wenig verwundert, und gewissermaßen erfreut war er, als er eines Tages Herrn und Frau Melina ankommen sah, welche, gleich nach dem ersten frohen Gruße, sich nach der Direktrice und den übrigen Schauspielern erkundigten, und mit großem Schrecken vernahmen, dass jene sich schon lange entfernt habe, und diese bis auf wenige zerstreut seien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1315,"orig":"Das junge Paar hatte ſich nach ihrer Verbindung, zu der, wie wir wiſſen, Wilhelm behülflich geweſen, an einigen Orten nach Engagement umgeſehen, keines gefunden, und war endlich in dieſes Städtchen gewieſen worden, wo einige Perſonen, die ihnen unterwegs begegneten, ein gutes Theater geſehen haben wollten.","norm":"Das junge Paar hatte sich nach ihrer Verbindung, zu der, wie wir wissen, Wilhelm behilflich gewesen, an einigen Orten nach Engagement umgesehen, keines gefunden, und war endlich in dieses Städtchen gewiesen worden, wo einige Personen, die ihnen unterwegs begegneten, ein gutes Theater gesehen haben wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1316,"orig":"Philinen wollte Madam Melina, und Herr Melina dem lebhaften Laertes, als ſie Bekanntſchaft machten, keinesweges gefallen.","norm":"Philine wollte Madame Melina, und Herr Melina dem lebhaften Laertes, als sie Bekanntschaft machten, keineswegs gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1317,"orig":"Sie wünſchten die neuen Ankömmlinge gleich wieder los zu ſeyn, und Wilhelm konnte ihnen keine günſtige Geſinnungen beybringen, ob er ihnen gleich wiederholt verſicherte, daß es recht gute Leute ſeyen.","norm":"Sie wünschten die neuen Ankömmlinge gleich wieder los zu sein, und Wilhelm konnte ihnen keine günstige Gesinnungen beibringen, ob er ihnen gleich wiederholt versicherte, dass es recht gute Leute seien."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1318,"orig":"Eigentlich war auch das bisherige luſtige Leben unſrer drey Abentheurer durch die Erweiterung der Geſellſchaft auf mehr als eine Weiſe geſtört; denn Melina fing im Wirthshauſe (er hatte in eben demſelben, in welchem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich zu markten und zu quängeln an.","norm":"Eigentlich war auch das bisherige lustige Leben unserer drei Abenteurer durch die Erweiterung der Gesellschaft auf mehr als eine Weise gestört; denn Melina fing im Wirtshause (er hatte in ebendemselben, in welchem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich zu markten und zu quengeln an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1319,"orig":"Er wollte für weniges Geld beſſeres Quartier, reichlichere Mahlzeit und promptere Bedienung haben.","norm":"Er wollte für weniges Geld besseres Quartier, reichlichere Mahlzeit und promptere Bedienung haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1320,"orig":"In kurzer Zeit machten Wirth und Kellner verdrießliche Geſichter, und wenn die andern, um froh zu leben, ſich alles gefallen ließen, und nur geſchwind bezahlten, um nicht länger an das zu denken, was ſchon verzehrt war; ſo mußte die Mahlzeit, die Melina regelmäßig ſogleich berichtigte, jederzeit von vorn wieder durchgenommen werden, ſo daß Philine ihn, ohne Umſtände, ein wiederkäuendes Thier nannte.","norm":"In kurzer Zeit machten Wirt und Kellner verdrießliche Gesichter, und wenn die anderen, um froh zu leben, sich alles gefallen ließen, und nur geschwind bezahlten, um nicht länger an das zu denken, was schon verzehrt war; so musste die Mahlzeit, die Melina regelmäßig sogleich berichtigte, jederzeit von vorn wieder durchgenommen werden, so dass Philine ihn, ohne Umstände, ein wiederkäuendes Tier nannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1321,"orig":"Noch verhaßter war Madam Melina dem luſtigen Mädchen.","norm":"Noch verhasster war Madame Melina dem lustigen Mädchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1322,"orig":"Dieſe junge Frau war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr gänzlich an Geiſt und Seele.","norm":"Diese junge Frau war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr gänzlich an Geist und Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1323,"orig":"Sie deklamirte nicht übel, und wollte immer deklamiren; allein man merkte bald, daß es nur eine Wortdeklamation war, die auf einzelne Stellen laſtete, und die Empfindung des Ganzen nicht ausdruckte.","norm":"Sie deklamierte nicht übel, und wollte immer deklamieren; allein man merkte bald, dass es nur eine Wortdeklamation war, die auf einzelne Stellen lastete, und die Empfindung des Ganzen nicht ausdruckte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1324,"orig":"Bey dieſem allen war ſie nicht leicht jemanden, beſonders Männern, unangenehm.","norm":"Bei diesem allen war sie nicht leicht jemanden, besonders Männern, unangenehm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1325,"orig":"Vielmehr ſchrieben ihr diejenigen, die mit ihr umgingen, gewöhnlich einen ſchönen Verſtand zu; denn ſie war, was ich mit Einem Worte eine Anempfinderinn nennen möchte; ſie wußte einem Freunde, um deſſen Achtung ihr zu thun war, mit einer beſondern Aufmerkſamkeit zu ſchmeicheln, in ſeine Ideen ſo lange als möglich einzugehen; ſo bald ſie aber ganz über ihren Horizont waren, mit Extaſe eine ſolche neue Erſcheinung aufzunehmen.","norm":"Vielmehr schrieben ihr diejenigen, die mit ihr umgingen, gewöhnlich einen schönen Verstand zu; denn sie war, was ich mit einem Worte eine Anempfinderin nennen möchte; sie wusste einem Freunde, um dessen Achtung ihr zu tun war, mit einer besonderen Aufmerksamkeit zu schmeicheln, in seine Ideen so lange als möglich einzugehen; sobald sie aber ganz über ihren Horizont waren, mit Ekstase eine solche neue Erscheinung aufzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1326,"orig":"Sie verſtand zu ſprechen und zu ſchweigen, und ob ſie gleich kein tückiſches Gemüth hatte, mit großer Vorſicht aufzupaſſen, wo des andern ſchwache Seite ſeyn möchte.","norm":"Sie verstand zu sprechen und zu schweigen, und ob sie gleich kein tückisches Gemüt hatte, mit großer Vorsicht aufzupassen, wo des anderen schwache Seite sein möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1327,"orig":"Melina hatte ſich indeſſen nach den Trümmern der vorigen Direction genau erkundigt.","norm":"Melina hatte sich indessen nach den Trümmern der vorigen Direktion genau erkundigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1328,"orig":"Sowohl Dekorationen als Garderobe waren an einige Handelsleute verſetzt, und ein Notarius hatte den Auftrag von der Directrice erhalten, unter gewiſſen Bedingungen, wenn ſich Liebhaber fänden, in den Verkauf aus freyer Hand zu willigen.","norm":"Sowohl Dekorationen als Garderobe waren an einige Handelsleute versetzt, und ein Notarius hatte den Auftrag von der Direktrice erhalten, unter gewissen Bedingungen, wenn sich Liebhaber fänden, in den Verkaufe aus freier Hand zu willigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1329,"orig":"Melina wollte die Sachen beſehen, und zog Wilhelmen mit ſich.","norm":"Melina wollte die Sachen besehen, und zog Wilhelm mit sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1330,"orig":"Dieſer empfand, als man ihnen die Zimmer eröffnete, eine gewiſſe Neigung dazu, die er ſich jedoch ſelbſt nicht geſtand.","norm":"Dieser empfand, als man ihnen die Zimmer eröffnete, eine gewisse Neigung dazu, die er sich jedoch selbst nicht gestand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1331,"orig":"In ſo einem ſchlechten Zuſtande auch die gekleckſten Dekorationen waren, ſo wenig ſcheinbar auch türkiſche und heidniſche Kleider, alte Karikatur – Röcke für Männer und Frauen, Kutten für Zauberer, Juden und Pfaffen ſeyn mochten; ſo konnt’ er ſich doch der Empfindung nicht erwehren, daß er die glücklichſten Augenblicke ſeines Lebens in der Nähe eines ähnlichen Trödelkrams gefunden hatte.","norm":"In so einem schlechten Zustande auch die geklecksten Dekorationen waren, so wenig scheinbar auch türkische und heidnische Kleider, alte Karikaturröcke für Männer und Frauen, Kutten für Zauberer, Juden und Pfaffen sein mochten; so konnte er sich doch der Empfindung nicht erwehren, dass er die glücklichsten Augenblicke seines Lebens in der Nähe eines ähnlichen Trödelkrams gefunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1332,"orig":"Hätte Melina in ſein Herz ſehen können, ſo würde er ihm eifriger zugeſetzt haben, eine Summe Geldes auf die Befreyung, Aufſtellung und neue Belebung dieſer zerſtreuten Glieder zu einem ſchönen Ganzen herzugeben.","norm":"Hätte Melina in sein Herz sehen können, so würde er ihm eifriger zugesetzt haben, eine Summe Geldes auf die Befreiung, Aufstellung und neue Belebung dieser zerstreuten Glieder zu einem schönen Ganzen herzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1333,"orig":"Welch ein glücklicher Menſch, rief Melina aus, könnte ich ſeyn, wenn ich nur zwey hundert Thaler beſäße, um zum Anfange den Beſitz dieſer erſten theatraliſchen Bedürfniſſe zu erlangen.","norm":"Welch ein glücklicher Mensch, rief Melina aus, könnte ich sein, wenn ich nur zweihundert Taler besäße, um zum Anfange den Besitz dieser ersten theatralischen Bedürfnisse zu erlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1334,"orig":"Wie bald wollt’ ich ein kleines Schauſpiel beyſammen haben, das uns in dieſer Stadt, in dieſer Gegend gewiß ſogleich ernähren ſollte.","norm":"Wie bald wollte ich ein kleines Schauspiel beisammen haben, das uns in dieser Stadt, in dieser Gegend gewiss sogleich ernähren sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1335,"orig":"Wilhelm ſchwieg, und beide verließen nachdenklich die wieder eingeſperrten Schätze.","norm":"Wilhelm schwieg, und beide verließen nachdenklich die wieder eingesperrten Schätze."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1336,"orig":"Melina hatte von dieſer Zeit an keinen andern Diskurs als Projecte und Vorſchläge, wie man ein Theater einrichten, und dabey ſeinen Vortheil finden könnte.","norm":"Melina hatte von dieser Zeit an keinen anderen Diskurs als Projekte und Vorschläge, wie man ein Theater einrichten, und dabei seinen Vorteil finden könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1337,"orig":"Er ſuchte Philinen und Laertes zu intereſſiren, und man that Wilhelmen Vorſchläge, Geld herzuſchießen, und Sicherheit dagegen anzunehmen.","norm":"Er suchte Philine und Laertes zu interessieren, und man tat Wilhelmen Vorschläge, Geld herzuschießen, und Sicherheit dagegen anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1338,"orig":"Dieſem fiel aber erſt bey dieſer Gelegenheit recht auf, daß er hier ſo lange nicht hätte verweilen ſollen; er entſchuldigte ſich, und wollte Anſtalten machen, ſeine Reiſe fortzuſetzen.","norm":"Diesem fiel aber erst bei dieser Gelegenheit recht auf, dass er hier so lange nicht hätte verweilen sollen; er entschuldigte sich, und wollte Anstalten machen, seine Reise fortzusetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1339,"orig":"Indeſſen war ihm Mignons Geſtalt und Weſen immer reizender geworden.","norm":"Indessen war ihm Mignons Gestalt und Wesen immer reizender geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1340,"orig":"In allem ſeinem Thun und Laſſen hatte das Kind etwas ſonderbares.","norm":"In allem seinem Tun und Lassen hatte das Kind etwas Sonderbares."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1341,"orig":"Es ging die Treppe weder auf noch ab, ſondern ſprang; es ſtieg auf den Geländern der Gänge weg, und eh' man ſich’s verſah, ſaß es oben auf dem Schranke, und blieb eine Weile ruhig.","norm":"Es ging die Treppe weder auf noch ab, sondern sprang; es stieg auf den Geländern der Gänge weg, und ehe man sich es versah, saß es oben auf dem Schranke, und blieb eine Weile ruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1342,"orig":"Auch hatte Wilhelm bemerkt, daß es für jeden eine beſondere Art von Gruß hatte.","norm":"Auch hatte Wilhelm bemerkt, dass es für jeden eine besondere Art von Gruß hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1343,"orig":"Ihn grüßte ſie, ſeit einiger Zeit, mit über die Bruſt geſchlagenen Armen.","norm":"Ihn grüßte sie, seit einiger Zeit, mit über die Brust geschlagenen Armen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1344,"orig":"Manche Tage war ſie ganz ſtumm, zu Zeiten antwortete ſie mehr auf verſchiedene Fragen, immer ſonderbar, doch ſo, daß man nicht unterſcheiden konnte, ob es Witz oder Unkenntniß der Sprache war, indem ſie ein gebrochnes mit franzöſiſch und italieniſch durchflochtenes Deutſch ſprach.","norm":"Manche Tage war sie ganz stumm, zuzeiten antwortete sie mehr auf verschiedene Fragen, immer sonderbar, doch so, dass man nicht unterscheiden konnte, ob es Witz oder Unkenntnis der Sprache war, indem sie ein gebrochenes mit Französisch und Italienisch durchflochtenes Deutsch sprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1345,"orig":"In ſeinem Dienſte war das Kind unermüdet, und früh mit der Sonne auf; es verlor ſich dagegen Abends zeitig, ſchlief in einer Kammer auf der nackten Erde, und war durch nichts zu bewegen, ein Bette oder einen Strohſack anzunehmen.","norm":"In seinem Dienste war das Kind unermüdet, und früh mit der Sonne auf; es verlor sich dagegen Abends zeitig, schlief in einer Kammer auf der nackten Erde, und war durch nichts zu bewegen, ein Bette oder einen Strohsack anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1346,"orig":"Er fand ſie oft, daß ſie ſich wuſch.","norm":"Er fand sie oft, dass sie sich wusch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1347,"orig":"Auch ihre Kleider waren reinlich, obgleich alles faſt doppelt und dreyfach an ihr geflickt war.","norm":"Auch ihre Kleider waren reinlich, obgleich alles fast doppelt und dreifach an ihr geflickt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1348,"orig":"Man ſagte Wilhelmen auch, daß ſie alle Morgen ganz früh in die Meſſe gehe, wohin er ihr einmal folgte, und ſie in der Ecke der Kirche mit dem Roſenkranze knien und andächtig beten ſah.","norm":"Man sagte Wilhelmen auch, dass sie alle Morgen ganz früh in die Messe gehe, wohin er ihr einmal folgte, und sie in der Ecke der Kirche mit dem Rosenkranze knien und andächtig beten sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1349,"orig":"Sie bemerkte ihn nicht, er ging nach Hauſe, machte ſich vielerley Gedanken über dieſe Geſtalt, und konnte ſich bey ihr nichts beſtimmtes denken.","norm":"Sie bemerkte ihn nicht, er ging nach Hause, machte sich vielerlei Gedanken über diese Gestalt, und konnte sich bei ihr nichts Bestimmtes denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1350,"orig":"Neues Andringen Melinas um eine Summe Geldes, zur Auslöſung der mehr erwähnten Theatergeräthſchaften, beſtimmte Wilhelmen noch mehr, an ſeine Abreiſe zu denken.","norm":"Neues Andringen Melinas um eine Summe Geldes, zur Auslösung der mehr erwähnten Theatergerätschaften, bestimmte Wilhelmen noch mehr, an seine Abreise zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1351,"orig":"Er wollte den Seinigen, die lange nichts von ihm gehört hatten, noch mit dem heutigen Poſttage ſchreiben, er fing auch wirklich einen Brief an Wernern an, und war mit Erzählung ſeiner Abenteuer, wobey er, ohne es ſelbſt zu bemerken, ſich mehrmal von der Wahrheit entfernt hatte, ſchon ziemlich weit gekommen, als er, zu ſeinem Verdruß, auf der hintern Seite des Briefblatts ſchon einige Verſe geſchrieben fand, die er für Madam Melina aus ſeiner Schreibtafel zu copiren angefangen hatte.","norm":"Er wollte den Seinigen, die lange nichts von ihm gehört hatten, noch mit dem heutigen Posttage schreiben, er fing auch wirklich einen Brief an Wernern an, und war mit Erzählung seiner Abenteuer, wobei er, ohne es selbst zu bemerken, sich mehrmals von der Wahrheit entfernt hatte, schon ziemlich weit gekommen, als er, zu seinem Verdruss, auf der hinteren Seite des Briefblatts schon einige Verse geschrieben fand, die er für Madame Melina aus seiner Schreibtafel zu kopieren angefangen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1352,"orig":"Unwillig zerriß er das Blatt und verſchob die Wiederholung ſeines Bekenntniſſes auf den nächſten Poſttag.","norm":"Unwillig zerriss er das Blatt und verschob die Wiederholung seines Bekenntnisses auf den nächsten Posttag."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1353,"orig":"Unſre Geſellſchaft befand ſich abermals beyſammen, und Philine, die auf jedes Pferd, das vorbey kam, auf jeden Wagen, der anfuhr, äuſſerſt aufmerkſam war, rief mit großer Lebhaftigkeit: unſer Pedant!","norm":"Unsere Gesellschaft befand sich abermals beisammen, und Philine, die auf jedes Pferd, das vorbeikam, auf jeden Wagen, der anfuhr, äußerst aufmerksam war, rief mit großer Lebhaftigkeit: unser Pedant!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1354,"orig":"da kommt unſer allerliebſter Pedant!","norm":"Da kommt unser allerliebster Pedant!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1355,"orig":"Wen mag er bey ſich haben?","norm":"Wen mag er bei sich haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1356,"orig":"Sie rief und winkte zum Fenſter hinaus, und der Wagen hielt ſtille.","norm":"Sie rief und winkte zum Fenster hinaus, und der Wagen hielt stille."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1357,"orig":"Ein kümmerlich armer Teufel, den man an ſeinem verſchabten, graulich-braunem Rocke und an ſeinen übelconditionirten Unterkleidern für einen Magiſter, wie ſie auf Akademien zu vermodern pflegen, hätte halten ſollen, ſtieg aus dem Wagen, und entblößte, indem er Philinen zu grüßen den Hut abthat, eine übelgepuderte, aber übrigens ſehr ſteife Perrücke, und Philine warf ihm hundert Kußhände zu.","norm":"Ein kümmerlich armer Teufel, den man an seinem verschabten, graulich-braunen Rocke und an seinen übelkonditionierten Unterkleidern für einen Magister, wie sie auf Akademien zu vermodern pflegen, hätte halten sollen, stieg aus dem Wagen, und entblößte, indem er Philine zu grüßen den Hut abtat, eine übelgepuderte, aber übrigens sehr steife Perücke, und Philine warf ihm hundert Kusshände zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1358,"orig":"So wie ſie ihre Glückſeligkeit fand, einen Theil der Männer zu lieben und ihrer Liebe zu genießen; ſo war das Vergnügen nicht viel geringer, das ſie ſich ſo oft als möglich gab, die übrigen, die ſie eben in dieſem Augenblicke nicht liebte, auf eine ſehr leichtfertige Weiſe zum Beſten zu haben.","norm":"So wie sie ihre Glückseligkeit fand, einen Teil der Männer zu lieben und ihre Liebe zu genießen; so war das Vergnügen nicht viel geringer, das sie sich so oft als möglich gab, die übrigen, die sie eben in diesem Augenblicke nicht liebte, auf eine sehr leichtfertige Weise zum Besten zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1359,"orig":"Über den Lärm, womit ſie dieſen alten Freund empfing, vergaß man auf die übrigen zu achten, die ihm nachfolgten.","norm":"Über den Lärm, womit sie diesen alten Freund empfing, vergaß man auf die übrigen zu achten, die ihm nachfolgten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1360,"orig":"Doch glaubte Wilhelm die zwey Frauenzimmer und einen ältlichen Mann, der mit ihnen hereintrat, zu kennen.","norm":"Doch glaubte Wilhelm die zwei Frauenzimmer und einen ältlichen Mann, der mit ihnen hereintrat, zu kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1361,"orig":"Auch entdeckte ſich’s bald, daß er ſie alle drey, vor einigen Jahren, bey der Geſellſchaft, die in ſeiner Vaterſtadt ſpielte, mehrmals geſehen hatte.","norm":"Auch entdeckte sich es bald, dass er sie alle drei, vor einigen Jahren, bei der Gesellschaft, die in seiner Vaterstadt spielte, mehrmals gesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1362,"orig":"Die Töchter waren ſeit der Zeit heran gewachſen; der Alte aber hatte ſich wenig verändert.","norm":"Die Töchter waren seit der Zeit herangewachsen; der Alte aber hatte sich wenig verändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1363,"orig":"Dieſer ſpielte gewöhnlich die gutmüthigen, polternden Alten, wovon das deutſche Theater nicht leer wird, und die man auch im gemeinen Leben nicht ſelten antrift.","norm":"Dieser spielte gewöhnlich die gutmütigen, polternden Alten, wovon das deutsche Theater nicht leer wird, und die man auch im gemeinen Leben nicht selten antrifft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1364,"orig":"Denn da es der Character unſrer Landsleute iſt, das Gute ohne viel Prunk zu thun und zu leiſten; ſo denken ſie ſelten daran, daß es auch eine Art gebe, das Rechte mit Zierlichkeit und Anmuth zu thun, und verfallen vielmehr, von einem Geiſte des Widerſpruchs getrieben, leicht in den Fehler, durch ein mürriſches Weſen, ihre liebſte Tugend im Contraſte darzuſtellen.","norm":"Denn da es der Charakter unserer Landsleute ist, das Gute ohne viel Prunk zu tun und zu leisten; so denken sie selten daran, dass es auch eine Art gebe, das Rechte mit Zierlichkeit und Anmut zu tun, und verfallen vielmehr, von einem Geiste des Widerspruchs getrieben, leicht in den Fehler, durch ein mürrisches Wesen, ihre liebste Tugend im Kontraste darzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1365,"orig":"Solche Rollen ſpielte unſer Schauſpieler ſehr gut, und er ſpielte ſie ſo oft und ausſchließlich, daß er darüber eine ähnliche Art ſich zu betragen im gemeinen Leben angenommen hatte.","norm":"Solche Rollen spielte unser Schauspieler sehr gut, und er spielte sie so oft und ausschließlich, dass er darüber eine ähnliche Art sich zu betragen im gemeinen Leben angenommen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1366,"orig":"Wilhelm gerieth in große Bewegung, ſobald er ihn erkannte, denn er erinnerte ſich, wie oft er dieſen Mann neben ſeiner geliebten Mariane auf dem Theater geſehen hatte; er hörte ihn noch ſchelten, er hörte ihre ſchmeichelnde Stimme, mit der ſie ſeinem rauhen Weſen in manchen Rollen zu begegnen hatte.","norm":"Wilhelm geriet in große Bewegung, sobald er ihn erkannte, denn er erinnerte sich, wie oft er diesen Mann neben seiner geliebten Mariane auf dem Theater gesehen hatte; er hörte ihn noch schelten, er hörte ihre schmeichelnde Stimme, mit der sie seinem rauen Wesen in manchen Rollen zu begegnen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1367,"orig":"Die erſte lebhafte Frage an die neuen Ankömmlinge, ob ein Unterkommen auswärts zu finden und zu hoffen ſey?","norm":"Die erste lebhafte Frage an die neuen Ankömmlinge, ob ein Unterkommen auswärts zu finden und zu hoffen sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1368,"orig":"ward leider mit nein beantwortet, und man mußte vernehmen, daß die Geſellſchaften, bey denen man ſich erkundigt, beſetzt, und einige davon ſogar in Sorgen ſeyen, wegen des bevorſtehenden Krieges auseinander gehen zu müſſen.","norm":"wurde leider mit Nein beantwortet, und man musste vernehmen, dass die Gesellschaften, bei denen man sich erkundigt, besetzt, und einige davon sogar in Sorgen seien, wegen des bevorstehenden Krieges auseinandergehen zu müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1369,"orig":"Der polternde Alte hatte mit ſeinen Töchtern aus Verdruß und Liebe zur Abwechſelung ein vortheilhaftes Engagement aufgegeben, hatte mit dem Pedanten, den er unterwegs antraf, einen Wagen gemiethet, um hieher zu kommen, wo denn auch, wie ſie fanden, guter Rath theuer war.","norm":"Der polternde Alte hatte mit seinen Töchtern aus Verdruss und Liebe zur Abwechslung ein vorteilhaftes Engagement aufgegeben, hatte mit dem Pedanten, den er unterwegs antraf, einen Wagen gemietet, um hierherzukommen, wo denn auch, wie sie fanden, guter Rat teuer war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1370,"orig":"Die Zeit, in welcher ſich die übrigen über ihre Angelegenheiten ſehr lebhaft unterhielten, brachte Wilhelm nachdenklich zu.","norm":"Die Zeit, in welcher sich die übrigen über ihre Angelegenheiten sehr lebhaft unterhielten, brachte Wilhelm nachdenklich zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1371,"orig":"Er wünſchte den Alten allein zu ſprechen, wünſchte und fürchtete von Marianen zu hören, und befand ſich in der größten Unruhe.","norm":"Er wünschte den Alten allein zu sprechen, wünschte und fürchtete von Mariane zu hören, und befand sich in der größten Unruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1372,"orig":"Die Artigkeiten der neuangekommenen Frauenzimmer konnten ihn nicht aus ſeinem Traume reiſſen; aber ein Wortwechſel, der ſich erhub, machte ihn aufmerkſam.","norm":"Die Artigkeiten der neuangekommenen Frauenzimmer konnten ihn nicht aus seinem Traume reißen; aber ein Wortwechsel, der sich erhob, machte ihn aufmerksam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1373,"orig":"Es war Friedrich, der blonde Knabe, der Philinen aufzuwarten pflegte, ſich aber diesmal lebhaft widerſetzte, als er den Tiſch decken und Eſſen herbeyſchaffen ſollte.","norm":"Es war Friedrich, der blonde Knabe, der Philine aufzuwarten pflegte, sich aber diesmal lebhaft widersetzte, als er den Tisch decken und Essen herbeischaffen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1374,"orig":"Ich habe mich verpflichtet, rief er aus, Ihnen zu dienen, aber nicht allen Menſchen aufzuwarten.","norm":"Ich habe mich verpflichtet, rief er aus, Ihnen zu dienen, aber nicht allen Menschen aufzuwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1375,"orig":"Sie geriethen darüber in einen heftigen Streit.","norm":"Sie gerieten darüber in einen heftigen Streit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1376,"orig":"Philine beſtand darauf, er habe ſeine Schuldigkeit zu thun, und als er ſich hartnäckig widerſetzte, ſagte ſie ihm ohne Umſtände, er könne gehn, wohin er wolle.","norm":"Philine bestand darauf, er habe seine Schuldigkeit zu tun, und als er sich hartnäckig widersetzte, sagte sie ihm ohne Umstände, er könne gehen, wohin er wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1377,"orig":"Glauben Sie etwa, daß ich mich nicht von Ihnen entfernen könne?","norm":"Glauben Sie etwa, dass ich mich nicht von Ihnen entfernen könne?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1378,"orig":"rief er aus, ging trotzig weg, machte ſeinen Bündel zuſammen, und eilte ſogleich zum Hauſe hinaus.","norm":"rief er aus, ging trotzig weg, machte seinen Bündel zusammen, und eilte sogleich zum Hause hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1379,"orig":"Geh, Mignon, ſagte Philine, und ſchaff uns, was wir brauchen; ſag es dem Kellner, und hilf aufwarten.","norm":"Gehe, Mignon, sagte Philine, und schaffe uns, was wir brauchen; sage es dem Kellner, und hilf aufwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1380,"orig":"Mignon trat vor Wilhelm hin, und fragte in ſeiner lakoniſchen Art: ſoll ich?","norm":"Mignon trat vor Wilhelm hin, und fragte in seiner lakonischen Art: Soll ich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1381,"orig":"darf ich?","norm":"darf ich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1382,"orig":"und Wilhelm verſetzte: thu mein Kind, was Mademoiſelle dir ſagt.","norm":"und Wilhelm versetzte: Tu mein Kind, was Mademoiselle dir sagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1383,"orig":"Das Kind beſorgte alles, und wartete den ganzen Abend mit großer Sorgfalt den Gäſten auf.","norm":"Das Kind besorgte alles, und wartete den ganzen Abend mit großer Sorgfalt den Gästen auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1384,"orig":"Nach Tiſche ſuchte Wilhelm mit dem Alten einen Spatziergang allein zu machen; es gelang ihm, und nach mancherley Fragen, wie es ihm bisher gegangen?","norm":"Nach Tisch suchte Wilhelm mit dem Alten einen Spaziergang allein zu machen; es gelang ihm, und nach mancherlei Fragen, wie es ihm bisher gegangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1385,"orig":"wendete ſich das Geſpräch auf die ehmalige Geſellſchaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach","norm":"wendete sich das Gespräch auf die ehemalige Gesellschaft, und Wilhelm wagte zuletzt nach"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1386,"orig":"Marianen zu fragen.","norm":"Mariane zu fragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1387,"orig":"Sagen Sie mir nichts von dem abſcheulichen Geſchöpf!","norm":"Sagen Sie mir nichts von dem abscheulichen Geschöpf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1388,"orig":"rief der Alte, ich habe verſchworen, nicht mehr an ſie zu denken.","norm":"rief der Alte, ich habe verschworen, nicht mehr an sie zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1389,"orig":"Wilhelm erſchrak über dieſe Äußerung, war aber noch in größerer Verlegenheit, als der Alte fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Liederlichkeit zu ſchmählen.","norm":"Wilhelm erschrak über diese Äußerung, war aber noch in größerer Verlegenheit, als der Alte fortfuhr, auf ihre Leichtfertigkeit und Liederlichkeit zu schmälen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1390,"orig":"Wie gern hätte unſer Freund das Geſpräch abgebrochen; allein er mußte nun einmal die polternden Ergießungen des wunderlichen Mannes aushalten.","norm":"Wie gern hätte unser Freund das Gespräch abgebrochen; allein er musste nun einmal die polternden Ergießungen des wunderlichen Mannes aushalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1391,"orig":"Ich ſchäme mich, fuhr dieſer fort, daß ich ihr ſo geneigt war.","norm":"Ich schäme mich, fuhr dieser fort, dass ich ihr so geneigt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1392,"orig":"Doch hätten Sie das Mädchen näher gekannt, Sie würden mich gewiß entſchuldigen.","norm":"Doch hätten Sie das Mädchen näher gekannt, Sie würden mich gewiss entschuldigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1393,"orig":"Sie war ſo artig, natürlich und gut, ſo gefällig und in jedem Sinne leidlich.","norm":"Sie war so artig, natürlich und gut, so gefällig und in jedem Sinne leidlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1394,"orig":"Nie hätt’ ich mir vorgeſtellt, daß Frechheit und Undank die Hauptzüge ihres Characters ſeyn ſollten.","norm":"Nie hätte ich mir vorgestellt, dass Frechheit und Undank die Hauptzüge ihres Characters sein sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1395,"orig":"Schon hatte ſich Wilhelm gefaßt gemacht, das Schlimmſte von ihr zu hören, als er auf einmal mit Verwunderung bemerkte, daß der Ton des Alten milder wurde, ſeine Rede endlich ſtockte, und er ein Schnupftuch aus der Taſche nahm, um die Thränen zu trocknen, die zuletzt ſeine Rede völlig unterbrachen.","norm":"Schon hatte sich Wilhelm gefasst gemacht, das Schlimmste von ihr zu hören, als er auf einmal mit Verwunderung bemerkte, dass der Ton des Alten milder wurde, seine Rede endlich stockte, und er ein Schnupftuch aus der Tasche nahm, um die Tränen zu trocknen, die zuletzt seine Rede völlig unterbrachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1396,"orig":"Was iſt Ihnen?","norm":"Was ist Ihnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1397,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1398,"orig":"Was giebt Ihren Empfindungen auf einmal eine ſo entgegengeſetzte Richtung?","norm":"Was gibt Ihren Empfindungen auf einmal eine so entgegengesetzte Richtung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1399,"orig":"Verbergen Sie mir es nicht, ich nehme an dem Schickſale dieſes Mädchens mehr Antheil als Sie glauben, nur laſſen Sie mich alles wiſſen.","norm":"Verbergen Sie mir es nicht, ich nehme an dem Schicksale dieses Mädchens mehr Anteil als Sie glauben, nur lassen Sie mich alles wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1400,"orig":"Ich habe wenig zu ſagen, verſetzte der Alte, indem er wieder in ſeinen ernſtlichen, verdrießlichen Ton überging ich werde es ihr nie vergeben, was ich um ſie geduldet habe.","norm":"Ich habe wenig zu sagen, versetzte der Alte, indem er wieder in seinen ernstlichen, verdrießlichen Ton überging Ich werde es ihr nie vergeben, was ich um sie geduldet habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1401,"orig":"Sie hatte, fuhr er fort, immer ein gewiſſes Zutrauen zu mir; ich liebte ſie wie meine Tochter, und hatte, da meine Frau noch lebte, den Entſchluß gefaßt, ſie zu mir zu nehmen, und ſie aus den Händen der Alten zu retten, von deren Anleitung ich mir nicht viel Gutes verſprach.","norm":"Sie hatte, fuhr er fort, immer ein gewisses Zutrauen zu mir; ich liebte sie wie meine Tochter, und hatte, da meine Frau noch lebte, den Entschluss gefasst, sie zu mir zu nehmen, und sie aus den Händen der Alten zu retten, von deren Anleitung ich mir nicht viel Gutes versprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1402,"orig":"Meine Frau ſtarb, das Project zerſchlug ſich.","norm":"Meine Frau starb, das Projekt zerschlug sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1403,"orig":"Gegen das Ende des Aufenthalts in Ihrer Vaterſtadt, es ſind nicht gar drey Jahre, merkte ich ihr eine ſichtbare Traurigkeit an; ich fragte ſie, aber ſie wich aus.","norm":"Gegen das Ende des Aufenthalts in Ihrer Vaterstadt, es sind nicht gar drei Jahre, merkte ich ihr eine sichtbare Traurigkeit an; ich fragte sie, aber sie wich aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1404,"orig":"Endlich machten wir uns auf die Reiſe.","norm":"Endlich machten wir uns auf die Reise."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1405,"orig":"Sie fuhr mit mir in Einem Wagen, und ich bemerkte, was ſie mir auch bald geſtand, daß ſie guter Hoffnung ſey, und in der größten Furcht ſchwebe, von unſerm Director verſtoßen zu werden.","norm":"Sie fuhr mit mir in einem Wagen, und ich bemerkte, was sie mir auch bald gestand, dass sie guter Hoffnung sei, und in der größten Furcht schwebe, von unserem Direktor verstoßen zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1406,"orig":"Auch dauerte es nur kurze Zeit, ſo machte er die Entdeckung, kündigte ihr den Contract, der ohnedies nur auf ſechs Wochen ſtand, ſogleich auf, zahlte was ſie zu fordern hatte, und ließ ſie, aller Vorſtellungen ungeachtet, in einem kleinen Städtchen, in einem ſchlechten Wirthshauſe zurück.","norm":"Auch dauerte es nur kurze Zeit, so machte er die Entdeckung, kündigte ihr den Kontrakt, der ohnedies nur auf sechs Wochen stand, sogleich auf, zahlte was sie zu fordern hatte, und ließ sie, aller Vorstellungen ungeachtet, in einem kleinen Städtchen, in einem schlechten Wirtshause zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1407,"orig":"Der Henker hole alle liederliche Dirnen!","norm":"Der Henker hole alle liederliche Dirnen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1408,"orig":"rief der Alte mit Verdruß, und beſonders dieſe, die mir ſo manche Stunde meines Lebens verdorben hat.","norm":"rief der Alte mit Verdruss, und besonders diese, die mir so manche Stunde meines Lebens verdorben hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1409,"orig":"Was ſoll ich lange erzählen, wie ich mich ihrer angenommen, was ich für ſie gethan, was ich an ſie gehängt, wie ich auch in der Abweſenheit für ſie geſorgt habe.","norm":"Was soll ich lange erzählen, wie ich mich ihrer angenommen, was ich für sie getan, was ich an sie gehängt, wie ich auch in der Abwesenheit für sie gesorgt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1410,"orig":"Ich wollte lieber mein Geld in den Teich werfen, und meine Zeit anwenden, räudige Hunde zu erziehen, als nur jemals wieder auf ſo ein Geſchöpf die mindeſte Aufmerkſamkeit zu wenden.","norm":"Ich wollte lieber mein Geld in den Teich werfen, und meine Zeit anwenden, räudige Hunde zu erziehen, als nur jemals wieder auf so ein Geschöpf die mindeste Aufmerksamkeit zu wenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1411,"orig":"Was war’s?","norm":"Was war es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1412,"orig":"Im Anfang erhielt ich Dankſagungsbriefe, Nachricht von einigen Orten ihres Aufenthalts, und zuletzt kein Wort mehr, nicht einmal Dank für das Geld, das ich ihr zu ihren Wochen geſchickt hatte.","norm":"Im Anfang erhielt ich Danksagungsbriefe, Nachricht von einigen Orten ihres Aufenthalts, und zuletzt kein Wort mehr, nicht einmal Dank für das Geld, das ich ihr zu ihren Wochen geschickt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1413,"orig":"O die Verſtellung und der Leichtſinn der Weiber iſt ſo recht zuſammengepaart, um ihnen ein bequemes Leben, und einem ehrlichen Kerl manche verdrießliche Stunde zu ſchaffen!","norm":"O die Verstellung und der Leichtsinn der Weiber ist so recht zusammengepaart, um ihnen ein bequemes Leben, und einem ehrlichen Kerl manche verdrießliche Stunde zu schaffen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1414,"orig":"Man denke ſich Wilhelms Zuſtand, als er von dieſer Unterredung nach Hauſe kam.","norm":"Man denke sich Wilhelms Zustand, als er von dieser Unterredung nach Hause kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1415,"orig":"Alle ſeine alten Wunden waren wieder aufgeriſſen, und das Gefühl, daß ſie ſeiner Liebe nicht ganz unwürdig geweſen, wieder lebhaft geworden; denn in dem Intereſſe des Alten, in dem Lobe, das er ihr wider Willen geben mußte, war unſerm Freunde ihre ganze Liebenswürdigkeit wieder erſchienen; ja ſelbſt die heftige Anklage des leidenſchaftlichen Mannes enthielt nichts, das ſie vor Wilhelms Augen hätte herabſetzen können.","norm":"Alle seine alten Wunden waren wieder aufgerissen, und das Gefühl, dass sie seiner Liebe nicht ganz unwürdig gewesen, wieder lebhaft geworden; denn in dem Interesse des Alten, in dem Lobe, das er ihr wider Willen geben musste, war unserem Freunde ihre ganze Liebenswürdigkeit wieder erschienen; ja selbst die heftige Anklage des leidenschaftlichen Mannes enthielt nichts, das sie vor Wilhelms Augen hätte herabsetzen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1416,"orig":"Denn dieſer bekannte ſich ſelbſt als Mitſchuldigen ihrer Vergehungen, und ihr Schweigen zuletzt ſchien ihm nicht tadelhaft, er machte ſich vielmehr nur traurige Gedanken darüber, ſah ſie als Wöchnerin, als Mutter in der Welt ohne Hülfe herumirren, wahrſcheinlich mit ſeinem eigenen Kinde herumirren.","norm":"Denn dieser bekannte sich selbst als Mitschuldigen ihrer Vergehungen, und ihr Schweigen zuletzt schien ihm nicht tadelhaft, er machte sich vielmehr nur traurige Gedanken darüber, sah sie als Wöchnerin, als Mutter in der Welt ohne Hilfe herumirren, wahrscheinlich mit seinem eigenen Kinde herumirren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1417,"orig":"Vorſtellungen, welche das ſchmerzlichſte Gefühl in ihm erregten.","norm":"Vorstellungen, welche das schmerzlichste Gefühl in ihm erregten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1418,"orig":"Mignon hatte auf ihn gewartet, und leuchtete ihn die Treppe hinauf.","norm":"Mignon hatte auf ihn gewartet, und leuchtete ihn die Treppe hinauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1419,"orig":"Als ſie das Licht niedergeſetzt hatte, bat ſie ihn, zu erlauben, daß ſie ihm heute Abend mit einem Kunſtſtücke aufwarten dürfe.","norm":"Als sie das Licht niedergesetzt hatte, bat sie ihn, zu erlauben, dass sie ihm heute Abend mit einem Kunststücke aufwarten dürfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1420,"orig":"Er hätte es lieber verbeten, beſonders da er nicht wußte, was es werden ſollte.","norm":"Er hätte es lieber verbeten, besonders da er nicht wusste, was es werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1421,"orig":"Allein er konnte dieſem guten Geſchöpfe nichts abſchlagen.","norm":"Allein er konnte diesem guten Geschöpfe nichts abschlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1422,"orig":"Nach einer kurzen Zeit trat ſie wieder herein.","norm":"Nach einer kurzen Zeit trat sie wieder herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1423,"orig":"Sie trug einen Teppich unter dem Arme, den ſie auf der Erde ausbreitete.","norm":"Sie trug einen Teppich unter dem Arme, den sie auf der Erde ausbreitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1424,"orig":"Wilhelm ließ ſie gewähren.","norm":"Wilhelm ließ sie gewähren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1425,"orig":"Sie brachte darauf vier Lichter, ſtellte eins in jeden Winkel des Teppichs.","norm":"Sie brachte darauf vier Lichter, stellte eins in jeden Winkel des Teppichs."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1426,"orig":"Ein Körbchen mit Eiern, das ſie darauf holte, machte die Abſicht deutlicher.","norm":"Ein Körbchen mit Eiern, das sie darauf holte, machte die Absicht deutlicher."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1427,"orig":"Künſtlich abgemeſſen ſchritt ſie nunmehr auf dem Teppich hin und her, und legte in gewiſſen Maaßen die Eier auseinander, dann rief ſie einen Menſchen herein, der im Hauſe aufwartete und die Violine ſpielte.","norm":"Künstlich abgemessen schritt sie nunmehr auf dem Teppich hin und her, und legte in gewissen Maßen die Eier auseinander, dann rief sie einen Menschen herein, der im Hause aufwartete und die Violine spielte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1428,"orig":"Er trat mit ſeinem Inſtrumente in die Ecke, ſie verband ſich die Augen, gab das Zeichen, und fing zugleich mit der Muſik, wie ein aufgezogenes Räderwerk, ihre Bewegungen an, indem ſie Takt und Melodie rnit dem Schlage der Caſtagnetten begleitete.","norm":"Er trat mit seinem Instrumente in die Ecke, sie verband sich die Augen, gab das Zeichen, und fing zugleich mit der Musik, wie ein aufgezogenes Räderwerk, ihre Bewegungen an, indem sie Takt und Melodie mit dem Schlage der Kastagnetten begleitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1429,"orig":"Behende, leicht, raſch, genau führte ſie den Tanz.","norm":"Behende, leicht, rasch, genau führte sie den Tanz."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1430,"orig":"Sie trat ſo ſcharf und ſo ſicher zwiſchen die Eier hinein, bey den Eiern nieder, daß man jeden Augenblick dachte, ſie müſſe eins zertreten, oder bey ſchnellen Wendungen das andre fortſchleudern.","norm":"Sie trat so scharf und so sicher zwischen die Eier hinein, bei den Eiern nieder, dass man jeden Augenblick dachte, sie müsse eins zertreten, oder bei schnellen Wendungen das andere fortschleudern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1431,"orig":"Mit nichten!","norm":"Mit nichten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1432,"orig":"Sie berührte keines, ob ſie gleich mit allen Arten von Schritten, engen und weiten, ja ſogar mit Sprüngen, und zuletzt halb kniend ſich durch die Reihen durchwand.","norm":"Sie berührte keines, ob sie gleich mit allen Arten von Schritten, engen und weiten, ja sogar mit Sprüngen, und zuletzt halb kniend sich durch die Reihen durchwand."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1433,"orig":"Unaufhaltſam, wie ein Uhrwerk, lief ſie ihren Weg, und die ſonderbare Muſik gab dem immer wieder von vorne anfangenden und losrauſchenden Tanze bey jeder Wiederholung einen neuen Stoß.","norm":"Unaufhaltsam, wie ein Uhrwerk, lief sie ihren Weg, und die sonderbare Musik gab dem immer wieder von vorne anfangenden und losrauschenden Tanze bei jeder Wiederholung einen neuen Stoß."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1434,"orig":"Wilhelm war von dem ſonderbaren Schauſpiele ganz hingeriſſen, er vergas ſeiner Sorgen, folgte jeder Bewegung der geliebten Creatur, und war verwundert, wie in dieſem Tanze ſich ihr Charakter vorzüglich entwickelte.","norm":"Wilhelm war von dem sonderbaren Schauspiele ganz hingerissen, er vergaß seiner Sorgen, folgte jeder Bewegung der geliebten Kreatur, und war verwundert, wie in diesem Tanze sich ihr Charakter vorzüglich entwickelte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1435,"orig":"Streng, ſcharf, trocken, heftig, und in ſanften Stellungen mehr feyerlich als angenehm, zeigte ſie ſich.","norm":"Streng, scharf, trocken, heftig, und in sanften Stellungen mehr feierlich als angenehm, zeigte sie sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1436,"orig":"Er empfand, was er ſchon für Mignon gefühlt, in dieſem Augenblicke auf einmal.","norm":"Er empfand, was er schon für Mignon gefühlt, in diesem Augenblicke auf einmal."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1437,"orig":"Er ſehnte ſich, dieſes verlaſſene Weſen an Kindesſtatt ſeinem Herzen einzuverleiben, es in ſeine Arme zu nehmen, und mit der Liebe eines Vaters Freude des Lebens in ihm zu erwecken.","norm":"Er sehnte sich, dieses verlassene Wesen an Kindesstatt seinem Herzen einzuverleiben, es in seine Arme zu nehmen, und mit der Liebe eines Vaters Freude des Lebens in ihm zu erwecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1438,"orig":"Der Tanz ging zu Ende; ſie rollte die Eier mit den Füßen ſachte zuſammen auf ein Häufchen, ließ keines zurück, beſchädigte keines, und ſtellte ſich dazu, indem ſie die Binde von den Augen nahm, und ihr Kunſtſtück mit einem Bücklinge endigte.","norm":"Der Tanz ging zu Ende; sie rollte die Eier mit den Füßen sachte zusammen auf ein Häufchen, ließ keines zurück, beschädigte keines, und stellte sich dazu, indem sie die Binde von den Augen nahm, und ihr Kunststück mit einem Bücklinge endigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1439,"orig":"Wilhelm dankte ihr, daß ſie ihm den Tanz, den er zu ſehen gewünſcht, ſo artig und unvermuthet vorgetragen habe.","norm":"Wilhelm dankte ihr, dass sie ihm den Tanz, den er zu sehen gewünscht, so artig und unvermutet vorgetragen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1440,"orig":"Er ſtreichelte ſie, und bedauerte, daß ſie ſich’s habe ſo ſauer werden laſſen.","norm":"Er streichelte sie, und bedauerte, dass sie sich es habe so sauer werden lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1441,"orig":"Er verſprach ihr ein neues Kleid, worauf ſie heftig antwortete: deine Farbe!","norm":"Er versprach ihr ein neues Kleid, worauf sie heftig antwortete: Deine Farbe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1442,"orig":"Auch das verſprach er ihr, ob er gleich nicht deutlich wußte, was ſie darunter meyne.","norm":"Auch das versprach er ihr, ob er gleich nicht deutlich wusste, was sie darunter meine."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1443,"orig":"Sie nahm die Eier zuſammen, den Teppich unter den Arm, fragte ob er noch etwas zu befehlen habe, und ſchwang ſich zur Thüre hinaus.","norm":"Sie nahm die Eier zusammen, den Teppich unter den Arm, fragte ob er noch etwas zu befehlen habe, und schwang sich zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1444,"orig":"Von dem Muſicus erfuhr er, daß ſie ſich ſeit einiger Zeit viele Mühe gegeben, ihm den Tanz, welches der bekannte Fandango war, ſo lange vorzuſingen, bis er ihn habe ſpielen können.","norm":"Von dem Musikus erfuhr er, dass sie sich seit einiger Zeit viele Mühe gegeben, ihm den Tanz, welches der bekannte Fandango war, so lange vorzusingen, bis er ihn habe spielen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1445,"orig":"Auch habe ſie ihm für ſeine Bemühungen etwas Geld angeboten, das er aber nicht nehmen wollen.","norm":"Auch habe sie ihm für seine Bemühungen etwas Geld angeboten, das er aber nicht nehmen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1446,"orig":"Nach einer unruhigen Nacht, die unſer Freund theils wachend, theils von ſchweren Träumen geängſtigt, zubrachte, in denen er Marianen bald in aller Schönheit, bald in kümmerlicher Geſtalt, jetzt mit einem Kinde auf dem Arm, bald deſſelben beraubt ſah, war der Morgen kaum angebrochen, als Mignon ſchon mit einem Schneider hereintrat.","norm":"Nach einer unruhigen Nacht, die unser Freund teils wachend, teils von schweren Träumen geängstigt, zubrachte, in denen er Mariane bald in aller Schönheit, bald in kümmerlicher Gestalt, jetzt mit einem Kinde auf dem Arm, bald desselben beraubt sah, war der Morgen kaum angebrochen, als Mignon schon mit einem Schneider hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1447,"orig":"Sie brachte graues Tuch und blauen Taffet, und erklärte nach ihrer Art, daß ſie ein neues Weſtchen und Schifferhoſen, wie ſie ſolche an den Knaben in der Stadt geſehen, mit blauen Aufſchlägen und Bändern haben wolle.","norm":"Sie brachte graues Tuch und blauen Taft, und erklärte nach ihrer Art, dass sie ein neues Westchen und Schifferhosen, wie sie solche an den Knaben in der Stadt gesehen, mit blauen Aufschlägen und Bändern haben wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1448,"orig":"Wilhelm hatte ſeit dem Verluſt Marianens alle muntere Farben abgelegt.","norm":"Wilhelm hatte seit dem Verlust Marianes alle muntere Farben abgelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1449,"orig":"Er hatte ſich an das Grau, an die Kleidung der Schatten, gewöhnt, und nur etwa ein himmelblaues Futter oder ein kleiner Kragen von dieſer Farbe belebte einigermaßen jene ſtille Kleidung.","norm":"Er hatte sich an das Grau, an die Kleidung der Schatten, gewöhnt, und nur etwa ein himmelblaues Futter oder ein kleiner Kragen von dieser Farbe belebte einigermaßen jene stille Kleidung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1450,"orig":"Mignon, begierig ſeine Farbe zu tragen, trieb den Schneider, der in kurzem die Arbeit zu liefern verſprach.","norm":"Mignon, begierig seine Farbe zu tragen, trieb den Schneider, der in kurzem die Arbeit zu liefern versprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1451,"orig":"Die Tanz – und Fecht – Stunden, die unſer Freund heute mit Laertes nahm, wollten nicht zum Beſten glücken.","norm":"Die Tanz – und Fechtstunden, die unser Freund heute mit Laertes nahm, wollten nicht zum Besten glücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1452,"orig":"Auch wurden ſie bald durch Melinas Ankunft unterbrochen, der umſtändlich zeigte, wie jetzt eine kleine Geſellſchaft beyſammen ſey, mit welcher man ſchon Stücke genug aufführen könne.","norm":"Auch wurden sie bald durch Melinas Ankunft unterbrochen, der umständlich zeigte, wie jetzt eine kleine Gesellschaft beisammen sei, mit welcher man schon Stücke genug aufführen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1453,"orig":"Er erneuerte ſeinen Antrag, daß Wilhelm einiges Geld zum Etabliſſement vorſtrecken ſolle, wobey dieſer auch wie vormals ſeine Unentſchloſſenheit zeigte.","norm":"Er erneuerte seinen Antrag, dass Wilhelm einiges Geld zum Etablissement vorstrecken solle, wobei dieser auch wie vormals seine Unentschlossenheit zeigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1454,"orig":"Philine und die Mädchen kamen bald hierauf mit Lachen und Lärmen herein.","norm":"Philine und die Mädchen kamen bald hierauf mit Lachen und Lärmen herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1455,"orig":"Sie hatten ſich abermals eine Spatzierfahrt ausgedacht.","norm":"Sie hatten sich abermals eine Spazierfahrt ausgedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1456,"orig":"Denn Veränderung des Orts und der Gegenſtände war eine Luſt, nach der ſie ſich immer ſehnten.","norm":"Denn Veränderung des Orts und der Gegenstände war eine Lust, nach der sie sich immer sehnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1457,"orig":"Täglich an’ einem andern Orte zu eſſen, war ihr höchſter Wunſch.","norm":"Täglich an einem anderen Orte zu essen, war ihr höchster Wunsch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1458,"orig":"Diesmal ſollte es eine Waſſerfahrt werden.","norm":"Diesmal sollte es eine Wasserfahrt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1459,"orig":"Das Schiff, womit ſie die Krümmungen des angenehmen Fluſſes hinunterfahren wollten, war ſchon durch den Pedanten beſtellt.","norm":"Das Schiff, womit sie die Krümmungen des angenehmen Flusses hinunterfahren wollten, war schon durch den Pedanten bestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1460,"orig":"Philine trieb, die Geſellſchaft zauderte nicht, und war bald eingeſchifft.","norm":"Philine trieb, die Gesellschaft zauderte nicht, und war bald eingeschifft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1461,"orig":"Was fangen wir nun an?","norm":"Was fangen wir nun an?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1462,"orig":"ſagte Philine, indem ſich alle auf die Bänke niedergelaſſen hatten.","norm":"sagte Philine, indem sich alle auf die Bänke niedergelassen hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1463,"orig":"Das Kürzeſte wäre, verſetzte Laertes, wir extemporirten ein Stück.","norm":"Das Kürzeste wäre, versetzte Laertes, wir extemporierten ein Stück."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1464,"orig":"Nehme jeder eine Rolle, die ſeinem Character am angemeſſenſten iſt, und wir wollen ſehen, wie es uns gelingt.","norm":"Nehme jeder eine Rolle, die seinem Charakter am angemessensten ist, und wir wollen sehen, wie es uns gelingt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1465,"orig":"Fürtrefflich!","norm":"Fürtrefflich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1466,"orig":"ſagte Wilhelm, denn in einer Geſellſchaft, in der man ſich nicht verſtellt, in welcher jedes nur ſeinem Sinne folgt, kann Anmuth und Zufriedenheit nicht lange wohnen, und wo man ſich immer verſtellt, dahin kommen ſie gar nicht.","norm":"sagte Wilhelm, denn in einer Gesellschaft, in der man sich nicht verstellt, in welcher jedes nur seinem Sinne folgt, kann Anmut und Zufriedenheit nicht lange wohnen, und wo man sich immer verstellt, dahin kommen sie gar nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1467,"orig":"Es iſt alſo nicht übel gethan, wir geben uns die Verſtellung gleich von Anfange zu, und ſind nachher unter der Maſke ſo aufrichtig, als wir wollen.","norm":"Es ist also nicht übel getan, wir geben uns die Verstellung gleich von Anfang zu, und sind nachher unter der Maske so aufrichtig, als wir wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1468,"orig":"Ja, ſagte Laertes, deswegen geht ſich’s ſo angenehm mit Weibern um, die ſich niemals in ihrer natürlichen Geſtalt ſehen laſſen.","norm":"Ja, sagte Laertes, deswegen geht sich es so angenehm mit Weibern um, die sich niemals in ihrer natürlichen Gestalt sehen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1469,"orig":"Das macht, verſetzte Madam Melina, daß ſie nicht ſo eitel ſind wie Männer, welche ſich einbilden, ſie ſeyen ſchon immer liebenswürdig genug, wie ſie die Natur hervorgebracht hat.","norm":"Das macht, versetzte Madame Melina, dass sie nicht so eitel sind wie Männer, welche sich einbilden, sie seien schon immer liebenswürdig genug, wie sie die Natur hervorgebracht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1470,"orig":"Indeſſen war man zwiſchen angenehmen Büſchen und Hügeln, zwiſchen Gärten und Weinbergen hingefahren, und die jungen Frauenzimmer, beſonders aber Madam Melina, druckten ihr Entzücken über die Gegend aus.","norm":"Indessen war man zwischen angenehmen Büschen und Hügeln, zwischen Gärten und Weinbergen hingefahren, und die jungen Frauenzimmer, besonders aber Madame Melina, drückten ihr Entzücken über die Gegend aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1471,"orig":"Letztre fing ſogar ein artiges Gedicht von der beſchreibenden Gattung über eine ähnliche Naturſcene feyerlich herzuſagen an allein Philine unterbrach ſie, und ſchlug ein Geſetz vor, daß ſich niemand unterfangen ſolle, von einem unbelebten Gegenſtande zu ſprechen; ſie ſetzte vielmehr den Vorſchlag zur extemporirten Komödie mit Eifer durch.","norm":"Letztere fing sogar ein artiges Gedicht von der beschreibenden Gattung über eine ähnliche Naturszene feierlich herzusagen an allein Philine unterbrach sie, und schlug ein Gesetz vor, dass sich niemand unterfangen solle, von einem unbelebten Gegenstand zu sprechen; sie setzte vielmehr den Vorschlag zur extemporierten Komödie mit Eifer durch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1472,"orig":"Der polternde Alte ſollte einen penſionirten Officier, Laertes einen vacirenden Fechtmeiſter, der Pedant einen Juden vorſtellen; ſie ſelbſt wolle eine Tyrolerin machen, und überließ den übrigen ſich ihre Rollen zu wählen.","norm":"Der polternde Alte sollte einen pensionierten Offizier, Laertes einen vazierenden Fechtmeister, der Pedant einen Juden vorstellen; sie selbst wolle eine Tirolerin machen, und überließ den übrigen sich ihre Rollen zu wählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1473,"orig":"Man ſollte fingiren, als ob ſie eine Geſellſchaft weltfremder Menſchen ſeyen, die ſo eben auf einem Marktſchiffe zuſammen komme.","norm":"Man sollte fingieren, als ob sie eine Gesellschaft weltfremder Menschen seien, die soeben auf einem Marktschiffe zusammenkomme."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1474,"orig":"Sie fing ſogleich mit dem Juden ihre Rolle zu ſpielen an, und eine allgemeine Heiterkeit verbreitete ſich.","norm":"Sie fing sogleich mit dem Juden ihre Rolle zu spielen an, und eine allgemeine Heiterkeit verbreitete sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1475,"orig":"Man war nicht lange gefahren, als der Schiffer ſtille hielt, um mit Erlaubniß der Geſellſchaft noch jemand einzunehmen, der am Ufer ſtand, und gewinkt hatte.","norm":"Man war nicht lange gefahren, als der Schiffer stille hielt, um mit Erlaubnis der Gesellschaft noch jemand einzunehmen, der am Ufer stand, und gewinkt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1476,"orig":"Das iſt eben noch, was wir brauchten, rief Philine, ein blinder Paſſagier fehlte noch der Reiſegeſellſchaft.","norm":"Das ist eben noch, was wir brauchten, rief Philine, ein blinder Passagier fehlte noch der Reisegesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1477,"orig":"Ein wohlgebildeter Mann ſtieg in das Schiff, den man an ſeiner Kleidung und ſeiner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geiſtlichen hätte nehmen können.","norm":"Ein wohlgebildeter Mann stieg in das Schiff, den man an seiner Kleidung und seiner ehrwürdigen Miene wohl für einen Geistlichen hätte nehmen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1478,"orig":"Er begrüßte die Geſellſchaft, die ihm nach ihrer Weiſe dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz bekannt machte.","norm":"Er begrüßte die Gesellschaft, die ihm nach ihrer Weise dankte, und ihn bald mit ihrem Scherz bekannt machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1479,"orig":"Er nahm darauf die Rolle eines Landgeiſtlichen an, die er zur Verwunderung aller auf das artigſte durchſetzte, indem er bald ermahnte, bald Hiſtörchen erzählte, einige ſchwache Seiten blicken ließ, und ſich doch im Reſpekt zu erhalten wußte.","norm":"Er nahm darauf die Rolle eines Landgeistlichen an, die er zur Verwunderung aller auf das artigste durchsetzte, indem er bald ermahnte, bald Histörchen erzählte, einige schwache Seiten blicken ließ, und sich doch im Respekt zu erhalten wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1480,"orig":"Indeſſen hatte jeder, der nur ein einzigesmal aus ſeinem Character herausgegangen war, ein Pfand geben müſſen.","norm":"Indessen hatte jeder, der nur ein einziges Mal aus seinem Charakter herausgegangen war, ein Pfand geben müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1481,"orig":"Philine hatte ſie mit großer Sorgfalt geſammlet, und beſonders den geiſtlichen Herrn mit vielen Küſſen bey der künftigen Einlöſung bedroht, ob er gleich ſelbſt nie in Strafe genommen ward.","norm":"Philine hatte sie mit großer Sorgfalt gesammelt, und besonders den geistlichen Herrn mit vielen Küssen bei der künftigen Einlösung bedroht, ob er gleich selbst nie in Strafe genommen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1482,"orig":"Melina dagegen war völlig ausgeplündert, Hemdenknöpfe und Schnallen, und alles was Bewegliches an ſeinem Leibe war ‚hatte Philine zu ſich genommen.","norm":"Melina dagegen war völlig ausgeplündert, Hemdenknöpfe und Schnallen, und alles was Bewegliches an seinem Leibe war, hatte Philine zu sich genommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1483,"orig":"Denn er wollte einen reiſenden Engländer vorſtellen, und konnte auf keine Weiſe in ſeine Rolle hineinkommen.","norm":"Denn er wollte einen reisenden Engländer vorstellen, und konnte auf keine Weise in seine Rolle hineinkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1484,"orig":"Die Zeit war indeß auf das angenehmſte vergangen, jedes hatte ſeine Einbildungskraft und ſeinen Witz auf’s möglichſte angeſtrengt, und jedes ſeine Rolle mit angenehmen und unterhaltenden Scherzen ausſtaffirt.","norm":"Die Zeit war indes auf das angenehmste vergangen, jedes hatte seine Einbildungskraft und seinen Witz aufs möglichste angestrengt, und jedes seine Rolle mit angenehmen und unterhaltenden Scherzen ausstaffiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1485,"orig":"So kam man an dem Orte an, wo man ſich den Tag über aufhalten wollte, und Wilhelm gerieth mit dem Geiſtlichen, wie wir ihn, ſeinem Ausſehn und ſeiner Rolle nach, nennen wollen, auf dem Spatziergange bald in ein intereſſantes Geſpräch.","norm":"So kam man an dem Orte an, wo man sich den Tag über aufhalten wollte, und Wilhelm geriet mit dem Geistlichen, wie wir ihn, seinem Aussehen und seiner Rolle nach, nennen wollen, auf dem Spaziergange bald in ein interessantes Gespräch."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1486,"orig":"Ich finde dieſe Übung, ſagte der Unbekannte, unter Schauſpielern, ja in Geſellſchaft von Freunden und Bekannten, ſehr nützlich.","norm":"Ich finde diese Übung, sagte der Unbekannte, unter Schauspielern, ja in Gesellschaft von Freunden und Bekannten, sehr nützlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1487,"orig":"Es iſt die beſte Art, die Menſchen aus ſich heraus und durch einen Umweg wieder in ſich hinein zu führen.","norm":"Es ist die beste Art, die Menschen aus sich heraus und durch einen Umweg wieder in sich hineinzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1488,"orig":"Es ſollte bey jeder Truppe eingeführt ſeyn, daß ſie ſich manchmal auf dieſe Weiſe üben müßte, und das Publikum würde gewiß dabey gewinnen, wenn alle Monate ein nicht geſchriebenes Stück aufgeführt würde, worauf ſich freylich die Schauſpieler in mehreren Proben müßten vorbereitet haben.","norm":"Es sollte bei jeder Truppe eingeführt sein, dass sie sich manchmal auf diese Weise üben müsste, und das Publikum würde gewiss dabei gewinnen, wenn alle Monate ein nicht geschriebenes Stück aufgeführt würde, worauf sich freilich die Schauspieler in mehreren Proben müssten vorbereitet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1489,"orig":"Man dürfte ſich, verſetzte Wilhelm, ein extemporirtes Stück nicht als ein ſolches denken, das aus dem Stegreife ſogleich componirt würde, ſondern als ein ſolches, wovon zwar Plan, Handlung und Scenen-Eintheilung gegeben wären, deſſen Ausführung aber dem Schauſpieler überlaſſen bliebe.","norm":"Man dürfte sich, versetzte Wilhelm, ein extemporiertes Stück nicht als ein solches Denken, das aus dem Stegreife sogleich komponiert würde, sondern als ein solches, wovon zwar Plan, Handlung und Szeneneinteilung gegeben wären, dessen Ausführung aber dem Schauspieler überlassen bliebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1490,"orig":"Ganz richtig, ſagte der Unbekannte, und eben was dieſe Ausführung betrifft, würde ein ſolches Stück, ſobald die Schauſpieler nur einmal im Gang wären, auſſerordentlich gewinnen.","norm":"Ganz richtig, sagte der Unbekannte, und eben was diese Ausführung betrifft, würde ein solches Stück, sobald die Schauspieler nur einmal im Gang wären, außerordentlich gewinnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1491,"orig":"Nicht die Ausführung durch Worte, denn durch dieſe muß freylich der überlegende Schriftſteller ſeine Arbeit zieren, ſondern die Ausführung durch Gebährden und Minen, Ausrufungen und was dazu gehört; kurz das ſtumme, halblaute Spiel, welches nach und nach bey uns ganz verloren zu gehen ſcheint.","norm":"Nicht die Ausführung durch Worte, denn durch diese muss freilich der überlegende Schriftsteller seine Arbeit zieren, sondern die Ausführung durch Gebärden und Meinen, Ausrufungen und was dazugehört; kurz das stumme, halblaute Spiel, welches nach und nach bei uns ganz verlorenzugehen scheint."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1492,"orig":"Es ſind wohl Schauſpieler in Deutſchland, deren Körper das zeigt, was ſie denken und fühlen, die durch Schweigen, Zaudern, durch Winke, durch zarte anmuthige Bewegungen des Körpers eine Rede vorzubereiten, und die Pauſen des Geſprächs durch eine gefällige Pantomime mit dem Ganzen zu verbinden wiſſen; aber eine Übung, die einem glücklichen Naturell zu Hülfe käme, und es lehrte, mit dem Schriftſteller zu wetteifern, iſt nicht ſo im Gange, als es zum Troſte derer, die das Theater beſuchen, wohl zu wünſchen wäre.","norm":"Es sind wohl Schauspieler in Deutschland, deren Körper das zeigt, was sie denken und fühlen, die durch Schweigen, Zaudern, durch Winke, durch zarte anmutige Bewegungen des Körpers eine Rede vorzubereiten, und die Pausen des Gesprächs durch eine gefällige Pantomime mit dem Ganzen zu verbinden wissen; aber eine Übung, die einem glücklichen Naturell zu Hilfe käme, und es lehrte, mit dem Schriftsteller zu wetteifern, ist nicht so im Gange, als es zum Troste derer, die das Theater besuchen, wohl zu wünschen wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1493,"orig":"Sollte aber nicht, verſetzte Wilhelm, ein glückliches Naturell, als das erſte und letzte, einen Schauſpieler, wie jeden andern Künſtler, ja vielleicht wie jeden Menſchen, allein zu einem ſo hochaufgeſteckten Ziele bringen?","norm":"Sollte aber nicht, versetzte Wilhelm, ein glückliches Naturell, als das Erste und Letzte, einen Schauspieler, wie jeden anderen Künstler, ja vielleicht wie jeden Menschen, allein zu einem so hochaufgesteckten Ziele bringen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1494,"orig":"Das erſte und letzte, Anfang und Ende möchte es wohl ſeyn und bleiben; aber in der Mitte dürfte dem Künſtler manches fehlen, wenn nicht Bildung das erſt aus ihm macht, was er ſeyn ſoll, und zwar frühe Bildung; denn vielleicht iſt derjenige, dem man Genie zuſchreibt, übler daran als der, der nur gewöhnliche Fähigkeiten beſitzt; denn jener kann leichter verbildet und viel heftiger auf falſche Wege geſtoßen werden, als dieſer.","norm":"Das Erste und Letzte, Anfang und Ende möchte es wohl sein und bleiben; aber in der Mitte dürfte dem Künstler manches fehlen, wenn nicht Bildung das erst aus ihm macht, was er sein soll, und zwar frühe Bildung; denn vielleicht ist derjenige, dem man Genie zuschreibt, übler daran als der, der nur gewöhnliche Fähigkeiten besitzt; denn jener kann leichter verbildet und viel heftiger auf falsche Wege gestoßen werden, als dieser."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1495,"orig":"Aber, verſetzte Wilhelm, wird das Genie ſich nicht ſelbſt retten, die Wunden, die es ſich geſchlagen, ſelbſt heilen?","norm":"Aber, versetzte Wilhelm, wird das Genie sich nicht selbst retten, die Wunden, die es sich geschlagen, selbst heilen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1496,"orig":"Mit nichten, verſetzte der andere, oder wenigſtens nur nothdürftig; denn niemand glaube die erſten Eindrücke der Jugend verwinden zu können.","norm":"Mitnichten, versetzte der andere, oder wenigstens nur notdürftig; denn niemand glaube die ersten Eindrücke der Jugend verwinden zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1497,"orig":"Iſt er in einer löblichen Freyheit, umgeben von ſchönen und edlen Gegenſtänden, in dem Umgange mit guten Menſchen aufgewachſen, haben ihn ſeine Meiſter das gelehrt, was er zuerſt wiſſen mußte, um das übrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen braucht, wurden ſeine erſten Handlungen ſo geleitet, daß er das Gute künftig leichter und bequemer vollbringen kann, ohne ſich irgend etwas abgewöhnen zu müſſen; ſo wird dieſer Menſch ein reineres, vollkommneres und glücklicheres Leben führen, als ein anderer, der ſeine erſten Jugendkräfte im Widerſtand und im Irrthum zugeſetzt hat.","norm":"Ist er in einer löblichen Freiheit, umgeben von schönen und edlen Gegenständen, in dem Umgange mit guten Menschen aufgewachsen, haben ihn seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen musste, um das übrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen braucht, wurden seine ersten Handlungen so geleitet, dass er das Gute künftig leichter und bequemer vollbringen kann, ohne sich irgendetwas abgewöhnen zu müssen; so wird dieser Mensch ein reineres, vollkommneres und glücklicheres Leben führen, als ein anderer, der seine ersten Jugendkräfte im Widerstand und im Irrtum zugesetzt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1498,"orig":"Es wird ſo viel von Erziehung geſprochen und geſchrieben, und ich ſehe nur wenig Menſchen, die den einfachen aber großen Begriff, der alles andere in ſich ſchließt, faſſen und in die Ausführung übertragen können.","norm":"Es wird so viel von Erziehung gesprochen und geschrieben, und ich sehe nur wenig Menschen, die den einfachen aber großen Begriff, der alles andere in sich schließt, fassen und in die Ausführung übertragen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1499,"orig":"Das mag wohl wahr ſeyn, ſagte Wilhelm, denn jeder Menſch iſt beſchränkt genug, den andern zu ſeinem Ebenbild erziehen zu wollen.","norm":"Das mag wohl wahr sein, sagte Wilhelm, denn jeder Mensch ist beschränkt genug, den anderen zu seinem Ebenbild erziehen zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1500,"orig":"Glücklich ſind diejenigen daher, deren ſich das Schickſal annimmt, das jeden nach ſeiner Weiſe erzieht!","norm":"Glücklich sind diejenigen daher, deren sich das Schicksal annimmt, das jeden nach seiner Weise erzieht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1501,"orig":"Das Schickſal, verſetzte lächelnd der andere, iſt ein vornehmer, aber theurer Hofmeiſter.","norm":"Das Schicksal, versetzte lächelnd der andere, ist ein vornehmer, aber teurer Hofmeister."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1502,"orig":"Ich würde mich immer lieber an die Vernunft eines menſchlichen Meiſters halten.","norm":"Ich würde mich immer lieber an die Vernunft eines menschlichen Meisters halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1503,"orig":"Das Schickſal, für deſſen Weisheit ich alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall, durch den es wirkt, ein ſehr ungelenkes Organ haben.","norm":"Das Schicksal, für dessen Weisheit ich alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall, durch den es wirkt, ein sehr ungelenkes Organ haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1504,"orig":"Denn ſelten ſcheint dieſer genau und rein auszuführen, was jenes beſchloſſen","norm":"Denn selten scheint dieser genau und rein auszuführen, was jenes beschlossen"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1505,"orig":"hatte.","norm":"hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1506,"orig":"Sie ſcheinen einen ſehr ſonderbaren Gedanken auszuſprechen, verſetzte Wilhelm.","norm":"Sie scheinen einen sehr sonderbaren Gedanken auszusprechen, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1507,"orig":"Mit nichten!","norm":"Mitnichten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1508,"orig":"Das meiſte, was in der Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung.","norm":"Das meiste, was in der Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1509,"orig":"Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht einen großen Sinn, und gehen die meiſten nicht auf etwas albernes hinaus?","norm":"Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht einen großen Sinn, und gehen die meisten nicht auf etwas Albernes hinaus?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1510,"orig":"Sie wollen ſcherzen.","norm":"Sie wollen scherzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1511,"orig":"Und iſt es nicht, fuhr der andere fort, mit dem, was einzelnen Menſchen begegnet, eben ſo?","norm":"Und ist es nicht, fuhr der andere fort, mit dem, was einzelnen Menschen begegnet, ebenso?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1512,"orig":"Geſetzt, das Schickſal hätte einen zu einem guten Schauſpieler beſtimmt, (und warum ſollt’ es uns nicht auch mit guten Schauſpielern verſorgen?","norm":"Gesetzt, das Schicksal hätte einen zu einem guten Schauspieler bestimmt, (und warum sollte es uns nicht auch mit guten Schauspielern versorgen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1513,"orig":") unglücklicherweiſe führte der Zufall aber den jungen Mann in ein Puppenſpiel, wo er ſich früh nicht enthalten könnte, an etwas Abgeſchmackten Theil zu nehmen, etwas Albernes leidlich, wohl gar intereſſant zu finden, und ſo die jugendlichen Eindrücke, welche nie verlöſchen, denen wir eine gewiſſe Anhänglichkeit nie entziehen können, von einer falſchen Seite zu empfangen.","norm":") unglücklicherweise führte der Zufall aber den jungen Mann in ein Puppenspiel, wo er sich früh nicht enthalten könnte, an etwas abgeschmacktem Teil zu nehmen, etwas Albernes leidlich, wohl gar interessant zu finden, und so die jugendlichen Eindrücke, welche nie verlöschen, denen wir eine gewisse Anhänglichkeit nie entziehen können, von einer falschen Seite zu empfangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1514,"orig":"Wie kommen Sie auf’s Puppenſpiel?","norm":"Wie kommen Sie aufs Puppenspiel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1515,"orig":"fiel ihm Wilhelm mit einiger Beſtürzung ein.","norm":"fiel ihm Wilhelm mit einiger Bestürzung ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1516,"orig":"Es war nur ein willkürliches Beyſpiel; wenn es Ihnen nicht gefällt, ſo nehmen wir ein anderes.","norm":"Es war nur ein willkürliches Beispiel; wenn es Ihnen nicht gefällt, so nehmen wir ein anderes."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1517,"orig":"Geſetzt das Schickſal hätte einen zu einem großen Mahler beſtimmt, und dem Zufall beliebte es, ſeine Jugend in ſchmutzige Hütten, Ställe und Scheunen zu verſtoßen, glauben Sie, daß ein ſolcher Mann ſich jemals zur Reinlichkeit, zum Adel, zur Freyheit der Seele erheben werde?","norm":"Gesetzt das Schicksal hätte einen zu einem großen Maler bestimmt, und dem Zufall beliebte es, seine Jugend in schmutzige Hütten, Ställe und Scheunen zu verstoßen, glauben Sie, dass ein solcher Mann sich jemals zur Reinlichkeit, zum Adel, zur Freiheit der Seele erheben werde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1518,"orig":"Mit je lebhafterm Sinne er das Unreine in ſeiner Jugend angefaßt, und nach ſeiner Art veredelt hat, deſto gewaltſamer wird es ſich in der Folge ſeines Lebens an ihm rächen, indem es ſich, inzwiſchen daß er es zu überwinden ſuchte, mit ihm auf's innigſte verbunden hat.","norm":"Mit je lebhafterem Sinne er das Unreine in seiner Jugend angefasst, und nach seiner Art veredelt hat, desto gewaltsamer wird es sich in der Folge seines Lebens an ihm rächen, indem es sich, inzwischen dass er es zu überwinden suchte, mit ihm aufs innigste verbunden hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1519,"orig":"Wer früh in ſchlechter unbedeutender Geſellſchaft gelebt hat, wird ſich, wenn er auch ſpäter eine beſſere haben kann, immer nach jener zurückſehnen deren Eindruck ihm, zugleich mit der Erinnerung jugendlicher, nur ſelten zu wiederholender Freuden, geblieben iſt.","norm":"Wer früh in schlechter unbedeutender Gesellschaft gelebt hat, wird sich, wenn er auch später eine bessere haben kann, immer nach jener zurücksehnen deren Eindruck ihm, zugleich mit der Erinnerung jugendlicher, nur selten zu wiederholender Freuden, geblieben ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1520,"orig":"Man kann denken, daß unter dieſem Geſpräche ſich nach und nach die übrige Geſellſchaft entfernt hatte.","norm":"Man kann denken, dass unter diesem Gespräche sich nach und nach die übrige Gesellschaft entfernt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1521,"orig":"Beſonders war Philine gleich vom Anfang auf die Seite getreten.","norm":"Besonders war Philine gleich vom Anfang auf die Seite getreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1522,"orig":"Man kam durch einen Seitenweg zu ihnen zurück.","norm":"Man kam durch einen Seitenweg zu ihnen zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1523,"orig":"Philine brachte die Pfänder hervor, welche auf allerley Weiſe gelöſt werden mußten, wobey der Fremde ſich durch die artigſten Erfindungen und durch eine ungezwungene Theilnahme der ganzen Geſellſchaft, und beſonders den Frauenzimmern, ſehr empfahl, und ſo floſſen die Stunden des Tages unter Scherzen, Singen, Küſſen und allerley Neckereyen auf das angenehmſte vorbey.","norm":"Philine brachte die Pfänder hervor, welche auf allerlei Weise gelöst werden mussten, wobei der Fremde sich durch die artigsten Erfindungen und durch eine ungezwungene Teilnahme der ganzen Gesellschaft, und besonders den Frauenzimmern, sehr empfahl, und so flossen die Stunden des Tages unter Scherzen, Singen, Küssen und allerlei Neckereien auf das angenehmste vorbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1524,"orig":"Als ſie ſich wieder nach Hauſe begeben wollten, ſahen ſie ſich nach ihrem Geiſtlichen um; allein er war verſchwunden, und an keinem Orte zu finden.","norm":"Als sie sich wieder nach Hause begeben wollten, sahen sie sich nach ihrem Geistlichen um; allein er war verschwunden, und an keinem Orte zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1525,"orig":"Es iſt nicht artig von dem Manne, der ſonſt viel Lebensart zu haben ſcheint, ſagte Madam Melina, eine Geſellſchaft, die ihn ſo freundlich aufgenommen, ohne Abſchied zu verlaſſen.","norm":"Es ist nicht artig von dem Manne, der sonst viel Lebensart zu haben scheint, sagte Madame Melina, eine Gesellschaft, die ihn so freundlich aufgenommen, ohne Abschied zu verlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1526,"orig":"Ich habe mich die ganze Zeit her ſchon beſonnen, ſagte Laertes, wo ich dieſen ſonderbaren Mann ſchon ehemals möchte geſehen haben.","norm":"Ich habe mich die ganze Zeit her schon besonnen, sagte Laertes, wo ich diesen sonderbaren Mann schon ehemals möchte gesehen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1527,"orig":"Ich war eben im Begriff, ihn beym Abſchiede darüber zu befragen.","norm":"Ich war eben im Begriff, ihn beim Abschiede darüber zu befragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1528,"orig":"Mir ging es eben ſo, verſetzte Wilhelm, und ich hätte ihn gewiß nicht entlaſſen, bis er uns etwas Näheres von ſeinen Umſtänden entdeckt hätte.","norm":"Mir ging es eben so, versetzte Wilhelm, und ich hätte ihn gewiss nicht entlassen, bis er uns etwas Näheres von seinen Umständen entdeckt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1529,"orig":"Ich müßte mich ſehr irren, wenn ich ihn nicht ſchon irgendwo geſprochen hätte.","norm":"Ich müsste mich sehr irren, wenn ich ihn nicht schon irgendwo gesprochen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1530,"orig":"Und doch könntet ihr euch, ſagte Philine, darin wirklich irren.","norm":"Und doch könntet ihr euch, sagte Philine, darin wirklich irren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1531,"orig":"Dieſer Mann hat eigentlich nur das falſche Anſehn eines Bekannten, weil er ausſieht wie ein Menſch, und nicht wie Hans oder Kunz.","norm":"Dieser Mann hat eigentlich nur das falsche Ansehen eines Bekannten, weil er aussieht wie ein Mensch, und nicht wie Hans oder Kunz."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1532,"orig":"Was ſoll das heißen, ſagte Laertes, ſehen wir nicht auch aus wie Menſchen?","norm":"Was soll das heißen, sagte Laertes, Sehen wir nicht auch aus wie Menschen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1533,"orig":"Ich weiß, was ich ſage, verſetzte Philine, und wenn ihr mich nicht begreift, ſo laßt’s gut ſeyn.","norm":"Ich weiß, was ich sage, versetzte Philine, und wenn ihr mich nicht begreift, so lasst es gut sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1534,"orig":"Ich werde nicht am Ende noch gar meine Worte auslegen ſollen.","norm":"Ich werde nicht am Ende noch gar meine Worte auslegen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1535,"orig":"Zwey Kutſchen fuhren vor.","norm":"Zwei Kutschen fuhren vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1536,"orig":"Man lobte die Sorgfalt des Laertes, der ſie beſtellt hatte.","norm":"Man lobte die Sorgfalt des Laertes, der sie bestellt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1537,"orig":"Philine nahm neben Madam Melina Wilhelmen gegenüber Platz, und die übrigen richteten ſich ein, ſo gut ſie konnten.","norm":"Philine nahm neben Madame Melina Wilhelmen gegenüber Platz, und die übrigen richteten sich ein, so gut sie konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1538,"orig":"Laertes ſelbſt ritt auf Wilhelms Pferde, das auch mit heraus gekommen war, nach der Stadt zurück.","norm":"Laertes selbst ritt auf Wilhelms Pferde, das auch mit herausgekommen war, nach der Stadt zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1539,"orig":"Philine ſaß kaum in dem Wagen, als ſie artige Lieder zu ſingen und das Geſpräch auf Geſchichten zu lenken wußte, von denen ſie behauptete, daß ſie mit Glück dramatiſch behandelt werden könnten.","norm":"Philine saß kaum in dem Wagen, als sie artige Lieder zu singen und das Gespräch auf Geschichten zu lenken wusste, von denen sie behauptete, dass sie mit Glück dramatisch behandelt werden könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1540,"orig":"Durch dieſe kluge Wendung hatte ſie gar bald ihren jungen Freund in ſeine beſte Laune geſetzt, und er komponirte aus dem Reichthum ſeines lebendigen Bildervorraths ſogleich ein ganzes Schauſpiel mit allen ſeinen Akten, Scenen, Characteren und Verwicklungen.","norm":"Durch diese kluge Wendung hatte sie gar bald ihren jungen Freund in seine beste Laune gesetzt, und er komponierte aus dem Reichtum seines lebendigen Bildervorrats sogleich ein ganzes Schauspiel mit allen seinen Akten, Szenen, Charakteren und Verwicklungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1541,"orig":"Man fand für gut, einige Arien und Geſänge einzuflechten; man dichtete ſie und Philine, die in alles einging, paßte ihnen gleich bekannte Melodien an, und ſang ſie aus dem Stegreife.","norm":"Man fand für gut, einige Arien und Gesänge einzuflechten; man dichtete sie und Philine, die in alles einging, passte ihnen gleich bekannte Melodien an, und sang sie aus dem Stegreife."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1542,"orig":"Sie hatte eben heute ihren ſchönen, ſehr ſchönen Tag, ſie wußte mit allerley Neckereyen unſern Freund zu beleben; es ward ihm wohl, wie es ihm lange nicht geweſen war.","norm":"Sie hatte eben heute ihren schönen, sehr schönen Tag, sie wusste mit allerlei Neckereien unseren Freund zu beleben; es wurde ihm wohl, wie es ihm lange nicht gewesen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1543,"orig":"Seitdem ihn jene grauſame Entdeckung von der Seite Marianens geriſſen hatte, war er dem Gelübde treu geblieben, ſich vor der zuſammenſchlagenden Falle einer weiblichen Umarmung zu hüthen, das treuloſe Geſchlecht zu meiden, ſeine Schmerzen, ſeine Neigung, ſeine ſüßen Wünſche in ſeinem Buſen zu verſchließen.","norm":"Seitdem ihn jene grausame Entdeckung von der Seite Marianes gerissen hatte, war er dem Gelübde treu geblieben, sich vor der zusammenschlagenden Falle einer weiblichen Umarmung zu hüten, das treulose Geschlecht zu meiden, seine Schmerzen, seine Neigung, seine süßen Wünsche in seinem Busen zu verschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1544,"orig":"Die Gewiſſenhaftigkeit, womit er dieß Gelübde beobachtete, gab ſeinem ganzen Weſen eine geheime Nahrung, und wenn ſein Herz nicht ohne Theilnehmung bleiben konnte, ſo ward eine liebevolle Mittheilung nun zum Bedürfniſſe.","norm":"Die Gewissenhaftigkeit, womit er dies Gelübde beobachtete, gab seinem ganzen Wesen eine geheime Nahrung, und wenn sein Herz nicht ohne Teilnehmung bleiben konnte, so wurde eine liebevolle Mitteilung nun zum Bedürfnisse."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1545,"orig":"Er ging wieder wie von dem erſten Jugendnebel begleitet umher, ſeine Augen faßten jeden reizenden Gegenſtand mit Freuden auf, und nie war ſein Urtheil über eine liebenswürdige Geſtalt ſchonender geweſen.","norm":"Er ging wieder wie von dem ersten Jugendnebel begleitet umher, seine Augen fassten jeden reizenden Gegenstand mit Freuden auf, und nie war sein Urteil über eine liebenswürdige Gestalt schonender gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1546,"orig":"Wie gefährlich ihm in einer ſolchen Lage das verwegene Mädchen werden mußte, läßt ſich leider nur zu gut einſehen.","norm":"Wie gefährlich ihm in einer solchen Lage das verwegene Mädchen werden musste, lässt sich leider nur zu gut einsehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1547,"orig":"Zu Hauſe fanden ſie auf Wilhelms Zimmer ſchon alles zum Empfang bereit, die Stühle zu einer Vorleſung zurechte geſtellt, und den Tiſch in die Mitte geſetzt, auf welchem der Punſchnapf ſeinen Platz nehmen ſollte.","norm":"Zu Hause fanden sie auf Wilhelms Zimmer schon alles zum Empfang bereit, die Stühle zu einer Vorlesung zurechte gestellt, und den Tisch in die Mitte gesetzt, auf welchem der Punschnapf seinen Platz nehmen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1548,"orig":"Die deutſchen Ritterſtücke waren damals eben neu, und hatten die Aufmerkſamkeit und Neigung des Publikums an ſich gezogen.","norm":"Die deutschen Ritterstücke waren damals eben neu, und hatten die Aufmerksamkeit und Neigung des Publikums an sich gezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1549,"orig":"Der alte Polterer hatte eines dieſer Art mitgebracht, und die Vorleſung war beſchloſſen worden.","norm":"Der alte Polterer hatte eines dieser Art mitgebracht, und die Vorlesung war beschlossen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1550,"orig":"Man ſetzte ſich nieder.","norm":"Man setzte sich nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1551,"orig":"Wilhelm bemächtigte ſich des Exemplars, und fing zu leſen an.","norm":"Wilhelm bemächtigte sich des Exemplars, und fing zu lesen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1552,"orig":"Die geharniſchten Ritter, die alten Burgen, die Treuherzigkeit, Rechtlichkeit und Redlichkeit, beſonders aber die Unabhängigkeit der handelnden Perſonen wurden mit großem Beyfall aufgenommen.","norm":"Die geharnischten Ritter, die alten Burgen, die Treuherzigkeit, Rechtlichkeit und Redlichkeit, besonders aber die Unabhängigkeit der handelnden Personen wurden mit großem Beifall aufgenommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1553,"orig":"Der Vorleſer that ſein Möglichſtes, und die Geſellſchaft kam ganz auſſer ſich.","norm":"Der Vorleser tat sein Möglichstes, und die Gesellschaft kam ganz außer sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1554,"orig":"Zwiſchen dem zweyten und dritten Akte kam der Punſch in einem großen Napfe, und da in dem Stücke ſelbſt ſehr viel getrunken und angeſtoßen wurde; ſo war nichts natürlicher, als daß die Geſellſchaft, bey jedem ſolchen Falle, ſich lebhaft an den Platz der Helden verſetzte, gleichfalls anſtieß, und die Günſtlinge unter den handelnden Perſonen hoch leben ließ.","norm":"Zwischen dem zweiten und dritten Akte kam der Punsch in einem großen Napfe, und da in dem Stücke selbst sehr viel getrunken und angestoßen wurde; so war nichts natürlicher, als dass die Gesellschaft, bei jedem solchen Falle, sich lebhaft an den Platz der Helden versetzte, gleichfalls anstieß, und die Günstlinge unter den handelnden Personen hochleben ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1555,"orig":"Jedermann war von dem Feuer des edelſten Nationalgeiſtes entzündet.","norm":"Jedermann war von dem Feuer des edelsten Nationalgeistes entzündet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1556,"orig":"Wie ſehr gefiel es dieſer deutſchen Geſellſchaft, ſich, ihrem Character gemäß, auf eignem Grund und Boden poetiſch zu ergötzen!","norm":"Wie sehr gefiel es dieser deutschen Gesellschaft, sich, ihrem Charakter gemäß, auf eigenem Grund und Boden poetisch zu ergötzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1557,"orig":"Beſonders thaten die Gewölbe und Keller, die verfallenen Schlöſſer, das Moos und die hohlen Bäume, über alles aber die nächtlichen Zigeunerſcenen und das heimliche Gericht eine ganz unglaubliche Wirkung.","norm":"Besonders taten die Gewölbe und Keller, die verfallenen Schlösser, das Moos und die hohlen Bäume, über alles aber die nächtlichen Zigeunerszenen und das heimliche Gericht eine ganz unglaubliche Wirkung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1558,"orig":"Jeder Schauſpieler ſah nun, wie er bald in Helm und Harniſch, jede Schauſpielerin, wie ſie mit einem großen ſtehenden Kragen ihre Deutſchheit vor dem Publiko produziren werde.","norm":"Jeder Schauspieler sah nun, wie er bald in Helm und Harnisch, jede Schauspielerin, wie sie mit einem großen stehenden Kragen ihre Deutschheit vor dem Publikum produzieren werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1559,"orig":"Jeder wollte ſich ſogleich einen Namen aus dem Stücke oder aus der deutſchen Geſchichte zueignen, und Madam Melina betheuerte, Sohn oder Tochter, wozu ſie Hoffnung hatte, nicht anders als Adelbert oder Mathilde taufen zu laſſen.","norm":"Jeder wollte sich sogleich einen Namen aus dem Stücke oder aus der deutschen Geschichte zueignen, und Madame Melina beteuerte, Sohn oder Tochter, wozu sie Hoffnung hatte, nicht anders als Adelbert oder Mathilde taufen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1560,"orig":"Gegen den fünften Akt ward der Beyfall lärmender und lauter, ja zuletzt, als der Held wirklich ſeinem Unterdrücker entging, und der Tyrann geſtraft wurde, war das Entzücken ſo groß, daß man ſchwur, man habe nie ſo glückliche Stunden gehabt.","norm":"Gegen den fünften Akt wurde der Beifall lärmender und lauter, ja zuletzt, als der Held wirklich seinem Unterdrücker entging, und der Tyrann gestraft wurde, war das Entzücken so groß, dass man schwur, man habe nie so glückliche Stunden gehabt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1561,"orig":"Melina, den der Trank begeiſtert hatte, war der lauteſte, und da der zweyte Punſchnapf geleert war, und Mitternacht herannahete, ſchwur Laertes hoch und theuer, es ſey kein Menſch würdig, an dieſe Gläſer jemals wieder eine Lippe zu ſetzen, und warf mit dieſer Betheuerung ſein Glas hinter ſich und durch die Scheiben auf die Gaſſe hinaus.","norm":"Melina, den der Trank begeistert hatte, war der Lauteste, und da der zweite Punschnapf geleert war, und Mitternacht herannahte, schwur Laertes hoch und teuer, es sei kein Mensch würdig, an diese Gläser jemals wieder eine Lippe zu setzen, und warf mit dieser Beteuerung sein Glas hinter sich und durch die Scheiben auf die Gasse hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1562,"orig":"Die übrigen folgten ſeinem Beyſpiele, und ohnerachtet der Proteſtationen des Wirthes, der herbeylief, wurde der Punſchnapf ſelbſt, der nach einem ſolchen Feſte durch unheiliges Getränk nicht wieder entweiht werden ſollte, in tauſend Stücke geſchlagen.","norm":"Die übrigen folgten seinem Beispiele, und ungeachtet der Proteste des Wirtes, der herbeilief, wurde der Punschnapf selbst, der nach einem solchen Feste durch unheiliges Getränk nicht wieder entweiht werden sollte, in tausend Stücke geschlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1563,"orig":"Philine, der man ihren Rauſch am wenigſten anſah, indeß die beiden Mädchen nicht in den anſtändigſten Stellungen auf dem Kanape lagen, reizte die andern mit Schadenfreude zum Lärm.","norm":"Philine, der man ihren Rausch am wenigsten ansah, indes die beiden Mädchen nicht in den anständigsten Stellungen auf dem Kanapee lagen, reizte die anderen mit Schadenfreude zum Lärm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1564,"orig":"Madam Melina rezitirte einige erhabene Gedichte, und ihr Mann, der im Rauſche nicht ſehr liebenswürdig war, fing an auf die ſchlechte Bereitung des Punſches zu ſchelten, verſicherte, daß er ein Feſt ganz anders einzurichten verſtehe, und ward zuletzt, als Laertes Stillſchweigen gebot, immer gröber und lauter, ſo daß dieſer, ohne ſich lange zu bedenken, ihm die Scherben des Napfs an den Kopf warf, und dadurch den Lärm nicht wenig vermehrte.","norm":"Madame Melina rezitierte einige erhabene Gedichte, und ihr Mann, der im Rausche nicht sehr liebenswürdig war, fing an auf die schlechte Bereitung des Punsches zu schelten, versicherte, dass er ein Fest ganz anders einzurichten verstehe, und wurde zuletzt, als Laertes Stillschweigen gebot, immer gröber und lauter, so dass dieser, ohne sich lange zu bedenken, ihm die Scherben des Napfes an den Kopf warf, und dadurch den Lärm nicht wenig vermehrte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1565,"orig":"Indeſſen war die Schaarwache herbey gekommen, und verlangte ins Haus eingelaſſen zu werden.","norm":"Indessen war die Scharwache herbeigekommen, und verlangte ins Haus eingelassen zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1566,"orig":"Wilhelm, vom Leſen ſehr erhitzt, ob er gleich nur wenig getrunken, hatte genug zu thun, um mit Beyhülfe des Wirths die Leute durch Geld und gute Worte zu befriedigen, und die Glieder der Geſellſchaft in ihren mißlichen Umſtänden nach Hauſe zu ſchaffen.","norm":"Wilhelm, vom Lesen sehr erhitzt, ob er gleich nur wenig getrunken, hatte genug zu tun, um mit Beihilfe des Wirts die Leute durch Geld und gute Worte zu befriedigen, und die Glieder der Gesellschaft in ihren misslichen Umständen nach Hause zu schaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1567,"orig":"Er warf ſich, als er zurück kam, vom Schlafe überwältigt, voller Unmuth, unausgekleidet auf’s Bette, und nichts glich der unangenehmen Empfindung, zu der er des andern Morgens erwachte, und, als er die Augen aufſchlug, mit düſterm Blick auf die Verwüſtungen des vergangenen Tages, den Unrath und die böſen Wirkungen hinſah, die ein geiſtreiches, lebhaftes und wohlgemeyntes Dichterwerk hervorgebracht hatte.","norm":"Er warf sich, als er zurückkam, vom Schlafe überwältigt, voller Unmut, unausgekleidet aufs Bette, und nichts glich der unangenehmen Empfindung, zu der er des anderen Morgens erwachte, und, als er die Augen aufschlug, mit düsterem Blick auf die Verwüstungen des vergangenen Tages, den Unrat und die bösen Wirkungen hinsah, die ein geistreiches, lebhaftes und wohlgemeintes Dichterwerk hervorgebracht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1568,"orig":"Nach einem kurzen Bedenken rief er ſogleich den Wirth herbey, und ließ ſowohl den Schaden als die Zeche auf ſeine Rechnung ſchreiben.","norm":"Nach einem kurzen Bedenken rief er sogleich den Wirt herbei, und ließ sowohl den Schaden als die Zeche auf seine Rechnung schreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1569,"orig":"Zugleich vernahm er nicht ohne Verdruß, daß ſein Pferd von Laertes geſtern bey dem Hereinreiten dergeſtalt angegriffen worden, daß es wahrſcheinlich, wie man zu ſagen pflegt, verſchlagen habe, und daß der Schmidt wenig Hoffnung zu ſeinem Auſkommen gebe.","norm":"Zugleich vernahm er nicht ohne Verdruss, dass sein Pferd von Laertes gestern bei dem Hereinreiten dergestalt angegriffen worden, dass es wahrscheinlich, wie man zu sagen pflegt, verschlagen habe, und dass der Schmied wenig Hoffnung zu seinem Aufkommen gebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1570,"orig":"Ein Gruß von Philinen, den ſie ihm aus ihrem Fenſter zuwinkte, verſetzte ihn dagegen wieder in einen heitern Zuſtand, und er ging ſogleich in den nächſten Laden, um ihr ein kleines Geſchenk, das er ihr gegen das Pudermeſſer noch ſchuldig war, zu kaufen, und wir müſſen bekennen, er hielt ſich nicht in den Grenzen eines proportionirten Gegengeſchenks.","norm":"Ein Gruß von Philine, den sie ihm aus ihrem Fenster zuwinkte, versetzte ihn dagegen wieder in einen heiteren Zustand, und er ging sogleich in den nächsten Laden, um ihr ein kleines Geschenk, das er ihr gegen das Pudermesser noch schuldig war, zu kaufen, und wir müssen bekennen, er hielt sich nicht in den Grenzen eines proportionierten Gegengeschenks."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1571,"orig":"Er kaufte ihr nicht allein ein Paar ſehr niedliche Ohrringe, ſondern nahm dazu noch einen Hut und Halstuch, und einige andere Kleinigkeiten, die er ſie den erſten Tag hatte verſchwenderiſch wegwerfen ſehen.","norm":"Er kaufte ihr nicht allein ein Paar sehr niedliche Ohrringe, sondern nahm dazu noch einen Hut und Halstuch, und einige andere Kleinigkeiten, die er sie den ersten Tag hatte verschwenderisch wegwerfen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1572,"orig":"Madam Melina, die ihn eben als er ſeine Gaben überreichte, zu beobachten kam, ſuchte noch vor Tiſche eine Gelegenheit, ihn ſehr ernſtlich über die Empfindung für dieſes Mädchen zur Rede zu ſetzen, und er war um ſo erſtaunter, als er nichts weniger als dieſe Vorwürfe zu verdienen glaubte.","norm":"Madame Melina, die ihn eben als er seine Gaben überreichte, zu beobachten kam, suchte noch vor Tische eine Gelegenheit, ihn sehr ernstlich über die Empfindung für dieses Mädchen zur Rede zu setzen, und er war um so erstaunter, als er nichts weniger als diese Vorwürfe zu verdienen glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1573,"orig":"Er ſchwur hoch und theuer, daß es ihm keineswegs eingefallen ſey, ſich an dieſe Perſon, deren ganzen Wandel er wohl kenne, zu wenden, er entſchuldigte ſich ſo gut er konnte über ſein freundliches und artiges Betragen gegen ſie, und befriedigte Madam Melina auf keine Weiſe, vielmehr ward dieſe immer verdrießlicher, da ſie bemerken mußte, daß die Schmeicheley, wodurch ſie ſich eine Art von Neigung unſers Freundes erworben hatte, nicht hinreiche, dieſen Beſitz gegen die Angriffe einer lebhaften, jüngern und von der Natur glücklicher begabten Perſon zu vertheidigen.","norm":"Er schwur hoch und teuer, dass es ihm keineswegs eingefallen sei, sich an diese Person, deren ganzen Wandel er wohl kenne, zu wenden, er entschuldigte sich so gut er konnte über sein freundliches und artiges Betragen gegen sie, und befriedigte Madame Melina auf keine Weise, vielmehr wurde diese immer verdrießlicher, da sie bemerken musste, dass die Schmeichelei, wodurch sie sich eine Art von Neigung unseres Freundes erworben hatte, nicht hinreiche, diesen Besitz gegen die Angriffe einer lebhaften, jüngeren und von der Natur glücklicher begabten Person zu verteidigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1574,"orig":"Ihren Mann fanden ſie gleichfalls, da ſie zu Tiſche kamen, bey ſehr üblem Humor, und er fing ſchon an, ihn über Kleinigkeiten auszulaſſen, als der Wirth hereintrat und einen Harfenſpieler anmeldete.","norm":"Ihren Mann fanden sie gleichfalls, da sie zu Tische kamen, bei sehr üblem Humor, und er fing schon an, ihn über Kleinigkeiten auszulassen, als der Wirt hereintrat und einen Harfenspieler anmeldete."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1575,"orig":"Sie werden, ſagte er, gewiß Vergnügen an der Muſik und an den Geſängen dieſes Mannes finden, es kann ſich niemand, der ihn hört, enthalten, ihn zu bewundern, und ihm etwas weniges mitzutheilen.","norm":"Sie werden, sagte er, gewiss Vergnügen an der Musik und an den Gesängen dieses Mannes finden, es kann sich niemand, der ihn hört, enthalten, ihn zu bewundern, und ihm etwas Weniges mitzuteilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1576,"orig":"Laſſen Sie ihn weg, verſetzte Melina, ich bin nichts weniger als geſtimmt einen Leyermann zu hören, und wir haben allenfalls Sänger unter uns, die gern etwas verdienten.","norm":"Lassen Sie ihn weg, versetzte Melina, ich bin nichts weniger als gestimmt einen Leiermann zu hören, und wir haben allenfalls Sänger unter uns, die gern etwas verdienten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1577,"orig":"Er begleitete dieſe Worte mit einem tückiſchen Seitenblicke, den er auf Philinen warf.","norm":"Er begleitete diese Worte mit einem tückischen Seitenblicke, den er auf Philine warf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1578,"orig":"Sie verſtand ihn, und war gleich bereit, zu ſeinem Verdruß, den angemeldeten Sänger zu beſchützen.","norm":"Sie verstand ihn, und war gleich bereit, zu seinem Verdruss, den angemeldeten Sänger zu beschützen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1579,"orig":"Sie wendete ſich zu Wilhelmen, und ſagte, ſollen wir den Mann nicht hören, ſollen wir nichts thun, um uns aus der erbärmlichen Langenweile zu retten?","norm":"Sie wendete sich zu Wilhelm, und sagte, sollen wir den Mann nicht hören, sollen wir nichts tun, um uns aus der erbärmlichen Langenweile zu retten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1580,"orig":"Melina wollte ihr antworten, und der Streit wäre lebhafter geworden, wenn nicht Wilhelm den im Augenblick hereintretenden Mann begrüßt und ihn herbeygewinkt hätte.","norm":"Melina wollte ihr antworten, und der Streit wäre lebhafter geworden, wenn nicht Wilhelm den im Augenblick hereintretenden Mann begrüßt und ihn herbeigewinkt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1581,"orig":"Die Geſtalt dieſes ſeltſamen Gaſtes ſetzte die ganze Geſellſchaft in Erſtaunen, und er hatte ſchon von einem Stuhle Beſitz genommen, ehe jemand ihn zu fragen oder ſonſt etwas vorzubringen das Herz hatte.","norm":"Die Gestalt dieses seltsamen Gastes setzte die ganze Gesellschaft in Erstaunen, und er hatte schon von einem Stuhle Besitz genommen, ehe jemand ihn zu fragen oder sonst etwas vorzubringen das Herz hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1582,"orig":"Sein kahler Scheitel war von wenig grauen Haaren umkränzt, große blaue Augen blickten ſanft unter langen weißen Augenbraunen hervor.","norm":"Sein kahler Scheitel war von wenig grauen Haaren umkränzt, große blaue Augen blickten sanft unter langen weißen Augenbrauen hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1583,"orig":"An eine wohlgebildete Naſe ſchloß ſich ein langer weißer Bart an, ohne die gefällige Lippe zu bedecken, und ein langes dunkelbraunes Gewand umhüllte den ſchlanken Körper vom Halſe bis zu den Füßen, und ſo fing er auf der Harfe, die er vor ſich genommen hatte, zu präludiren an.","norm":"An eine wohlgebildete Nase schloss sich ein langer weißer Bart an, ohne die gefällige Lippe zu bedecken, und ein langes dunkelbraunes Gewand umhüllte den schlanken Körper vom Halse bis zu den Füßen, und so fing er auf der Harfe, die er vor sich genommen hatte, zu präludieren an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1584,"orig":"Die angenehmen Töne, die er aus dem Inſtrumente hervorlockte, erheiterten gar bald die Geſellſchaft.","norm":"Die angenehmen Töne, die er aus dem Instrumente hervorlockte, erheiterten gar bald die Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1585,"orig":"Ihr pflegt auch zu ſingen, guter Alter, ſagte Philine.","norm":"Ihr pflegt auch zu singen, guter Alter, sagte Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1586,"orig":"Gebt uns etwas, das Herz und Geiſt zugleich mit den Sinnen ergötze, ſagte Wilhelm.","norm":"Gebt uns etwas, das Herz und Geist zugleich mit den Sinnen ergötze, sagte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1587,"orig":"Das Inſtrument ſollte nur die Stimme begleiten; denn Melodien, Gänge und Läufe ohne Worte und Sinn, ſcheinen mir Schmetterlingen oder ſchönen bunten Vögeln ähnlich zu ſeyn, die in der Luft vor unſern Augen herum ſchweben, die wir allenfalls haſchen und uns zueignen mögten; da ſich der Geſang dagegen wie ein Genius gen Himmel hebt, und das beſſere Ich in uns ihn zu begleiten anreizt.","norm":"Das Instrument sollte nur die Stimme begleiten; denn Melodien, Gänge und Läufe ohne Worte und Sinn, scheinen mir Schmetterlingen oder schönen bunten Vögeln ähnlich zu sein, die in der Luft vor unseren Augen herumschweben, die wir allenfalls haschen und uns zueignen möchten; da sich der Gesang dagegen wie ein Genius gen Himmel hebt, und das bessere Ich in uns ihn zu begleiten anreizt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1588,"orig":"Der Alte ſah Wilhelmen an, alsdann in die Höhe, that einige Griffe auf der Harfe, und begann ſein Lied.","norm":"Der Alte sah Wilhelm an, alsdann in die Höhe, tat einige Griffe auf der Harfe, und begann sein Lied."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1589,"orig":"Es enthielt ein Lob auf den Geſang, pries das Glück der Sänger, und ermahnte die Menſchen, ſie zu ehren.","norm":"Es enthielt ein Lob auf den Gesang, pries das Glück der Sänger, und ermahnte die Menschen, sie zu ehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1590,"orig":"Er trug das Lied mit ſo viel Leben und Wahrheit vor, daß es ſchien, als hätte er es in dieſem Augenblicke und bey dieſem Anlaſſe gedichtet.","norm":"Er trug das Lied mit so viel Leben und Wahrheit vor, dass es schien, als hätte er es in diesem Augenblicke und bei diesem Anlasse gedichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1591,"orig":"Wilhelm enthielt ſich kaum, ihm um den Hals zu fallen, nur die Furcht, ein lautes Gelächter zu erregen, zog ihn auf ſeinen Stuhl zurück; denn die übrigen machten ſchon halb laut einige alberne Anmerkungen, und ſtritten, ob es ein Pfaffe oder Jude ſey.","norm":"Wilhelm enthielt sich kaum, ihm um den Hals zu fallen, nur die Furcht, ein lautes Gelächter zu erregen, zog ihn auf seinen Stuhl zurück; denn die übrigen machten schon halblaut einige alberne Anmerkungen, und stritten, ob es ein Pfaffe oder Jude sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1592,"orig":"Als man nach dem Verfaſſer des Liedes fragte, gab er keine beſtimmte Antwort, nur verſicherte er, daß er reich an Geſängen ſey, und wünſche nur, daß ſie gefallen möchten.","norm":"Als man nach dem Verfasser des Liedes fragte, gab er keine bestimmte Antwort, nur versicherte er, dass er reich an Gesängen sei, und wünsche nur, dass sie gefallen möchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1593,"orig":"Der größte Theil der Geſellſchaft war fröhlig und freudig, ja ſelbſt Melina nach ſeiner Art offen geworden, und indem man unter einander ſchwatzte und ſcherzte, fing der Alte das Lob des geſelligen Lebens auf das geiſtreichſte zu ſingen an.","norm":"Der größte Teil der Gesellschaft war fröhlich und freudig, ja selbst Melina nach seiner Art offen geworden, und indem man untereinander schwatzte und scherzte, fing der Alte das Lob des geselligen Lebens auf das geistreichste zu singen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1594,"orig":"Er pries Einigkeit und Gefälligkeit mit einſchmeichelnden Tönen.","norm":"Er pries Einigkeit und Gefälligkeit mit einschmeichelnden Tönen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1595,"orig":"Auf einmal ward ſein Geſang trocken, rauh und verworren, als er gehäſſige Verſchloſſenheit, kurzſinnige Feindſchaft und gefährlichen Zwieſpalt bedauerte, und gern warf jede Seele dieſe unbequemen Feſſeln ab, als er, auf den Fittigen einer vordringenden Melodie getragen, die Friedensſtifter prieß, und das Glück der Seelen, die ſich wieder finden, ſang.","norm":"Auf einmal wurde sein Gesang trocken, rau und verworren, als er gehässige Verschlossenheit, kurzsinnige Feindschaft und gefährlichen Zwiespalt bedauerte, und gern warf jede Seele diese unbequemen Fesseln ab, als er, auf den Fittichen einer vordringenden Melodie getragen, die Friedensstifter pries, und das Glück der Seelen, die sich wiederfinden, sang."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1596,"orig":"Kaum hatte er geendigt, als ihm Wilhelm zurief: wer du auch ſeyſt, der du als ein hülfreicher Schutzgeiſt mit einer ſegnenden und belebenden Stimme zu uns kommſt, nimm meine Verehrung und meinen Dank, fühle, daß wir alle dich bewundern, und vertrau uns, wenn du etwas bedarfſt.","norm":"Kaum hatte er geendigt, als ihm Wilhelm zurief: Wer du auch seist, der du als ein hilfreicher Schutzgeist mit einer segnenden und belebenden Stimme zu uns kommst, nimm meine Verehrung und meinen Dank, Fühle, dass wir alle dich bewundern, und vertraue uns, wenn du etwas bedarfst."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1597,"orig":"Der Alte ſchwieg, ließ erſt ſeine Finger über die Saiten ſchleichen, dann griff er ſie ſtärker an, und ſang:","norm":"Der Alte schwieg, ließ erst seine Finger über die Saiten schleichen, dann griff er sie stärker an, und sang:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1598,"orig":"Was hör’ ich draußen vor dem Thor?","norm":"Was höre ich draußen vor dem Tor?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1599,"orig":"Was auf der Brücke ſchallen?","norm":"Was auf der Brücke schallen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1600,"orig":"Laßt den Geſang zu unſerm Ohr Im Saale wiederhallen!","norm":"Lasst den Gesang zu unserem Ohr im Saale widerhallen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1601,"orig":"Der König ſprach's, der Page lief, Der Knabe kam, der König rief:","norm":"Der König sprach es, der Page lief, der Knabe kam, der König rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1602,"orig":"Bring ihn herein den Alten.","norm":"Bringe ihn herein den Alten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1603,"orig":"Gegrüßet ſeyd ihr hohe Herrn, Gegrüßt ihr ſchöne Damen!","norm":"Gegrüßt seid ihr hohe Herrn, gegrüßt ihr schönen Damen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1604,"orig":"Welch reicher Himmel!","norm":"Welch reicher Himmel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1605,"orig":"Stern bey Stern!","norm":"Stern bei Stern!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1606,"orig":"Wer kennet ihre Namen?","norm":"Wer kennet ihre Namen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1607,"orig":"Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schließt Augen euch, hier iſt nicht Zeit Sich ſtaunend zu ergötzen.","norm":"Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit schließt Augen euch, hier ist nicht Zeit sich staunend zu ergötzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1608,"orig":"Der Sänger drückt die Augen ein, Und ſchlug die vollen Töne, Der Ritter ſchaute muthig drein, Und in den Schoos die Schöne.","norm":"Der Sänger drückte die Augen ein, und schlug die vollen Töne, der Ritter schaute mutig drein, und in den Schoß die Schöne."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1609,"orig":"Der König, dem das Lied gefiel, Ließ ihm, zum Lohne für ſein Spiel, Eine goldne Kette holen.","norm":"Der König, dem das Lied gefiel, ließ ihm, zum Lohne für sein Spiel, eine goldene Kette holen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1610,"orig":"Die goldne Kette gieb mir nicht, Die Kette gieb den Rittern, Vor deren kühnem Angeſicht Der Feinde Lanzen ſplittern.","norm":"Die goldene Kette gib mir nicht, die Kette gib den Rittern, vor deren kühnem Angesicht der Feinde Lanzen splittern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1611,"orig":"Gieb ſie dem Kanzler, den du haſt, Und laß ihn noch die goldne Laſt Zu andern Laſten tragen.","norm":"Gib sie dem Kanzler, den du hast, und lass ihn noch die goldene Last zu anderen Lasten tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1612,"orig":"Ich ſinge, wie der Vogel ſingt, Der in den Zweigen wohnet.","norm":"Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1613,"orig":"Das Lied, das aus der Kehle dringt, Iſt Lohn, der reichlich lohnet; Doch darf ich bitten, bitt’ eins, Laßt einen Trunk des beſten Weins In reinem Glaſe bringen.","norm":"Das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet; doch darf ich bitten, bitte eins, lasst einen Trunk des besten Weins in reinem Glase bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1614,"orig":"Er ſetzt es an, er trank es aus.","norm":"Er setzte es an, er trank es aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1615,"orig":"O Trank der ſüßen Labe!","norm":"O Trank der süßen Labe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1616,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1617,"orig":"dreymal hochbeglücktes Haus Wo das iſt kleine Gabe!","norm":"dreimal hochbeglücktes Haus wo das ist kleine Gabe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1618,"orig":"Ergeht’s euch wohl, ſo denkt an mich, Und danket Gott, ſo warm als ich Für dieſen Trunk euch danke.","norm":"Ergeht es euch wohl, so denkt an mich, und danket Gott, so warm als ich für diesen Trunk euch danke."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1619,"orig":"Da der Sänger nach geendigtem Liede ein Glas Wein, das für ihn eingeſchenkt da ſtand, ergriff, und es mit freundlicher Miene, ſich gegen ſeine Wohlthäter wendend, austrank, entſtand eine allgemeine Freude in der Verſammlung.","norm":"Da der Sänger nach geendigtem Liede ein Glas Wein, das für ihn eingeschenkt dastand, ergriff, und es mit freundlicher Miene, sich gegen seine Wohltäter wendend, austrank, entstand eine allgemeine Freude in der Versammlung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1620,"orig":"Man klatſchte, und rief ihm zu, es möge dieſes Glas zu ſeiner Geſundheit, zur Stärkung ſeiner alten Glieder gereichen.","norm":"Man klatschte, und rief ihm zu, es möge dieses Glas zu seiner Gesundheit, zur Stärkung seiner alten Glieder gereichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1621,"orig":"Er ſang noch einige Romanzen, und erregte immer mehr Munterkeit in der Geſellſchaft.","norm":"Er sang noch einige Romanzen, und erregte immer mehr Munterkeit in der Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1622,"orig":"Kannſt du die Melodie, Alter, rief Philine, der Schäfer putzte ſich zum Tanz?","norm":"Kannst du die Melodie, Alter, rief Philine, der Schäfer putzte sich zum Tanz?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1623,"orig":"O ja, verſetzte er, wenn Sie das Lied ſingen und aufführen wollen, an mir ſoll es nicht fehlen.","norm":"O ja, versetzte er, wenn Sie das Lied singen und aufführen wollen, an mir soll es nicht fehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1624,"orig":"Philine ſtand auf, und hielt ſich fertig.","norm":"Philine stand auf, und hielt sich fertig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1625,"orig":"Der Alte begann die Melodie, und ſie ſang ein Lied, das wir unſern Leſern nicht mittheilen können, weil ſie es vielleicht abgeſchmackt oder wohl gar unanſtändig finden könnten.","norm":"Der Alte begann die Melodie, und sie sang ein Lied, das wir unseren Lesern nicht mitteilen können, weil sie es vielleicht abgeschmackt oder wohl gar unanständig finden könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1626,"orig":"Inzwiſchen hatte die Geſellſchaft, die immer heiterer geworden war, noch manche Flaſche Wein ausgetrunken, und fing an ſehr laut zu werden.","norm":"Inzwischen hatte die Gesellschaft, die immer heiterer geworden war, noch manche Flasche Wein ausgetrunken, und fing an sehr laut zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1627,"orig":"Da aber unſerm Freunde die böſen Folgen ihrer Luſt noch in friſchen Andenken ſchwebten, ſuchte er abzubrechen, ſteckte dem Alten für ſeine Bemühung eine reichliche Belohnung in die Hand, die andern thaten auch etwas, man ließ ihn abtreten und ruhen, und verſprach ſich auf den Abend eine wiederholte Freude von ſeiner Geſchicklichkeit.","norm":"Da aber unserem Freunde die bösen Folgen ihrer Lust noch in frischen Andenken schwebten, suchte er abzubrechen, steckte dem Alten für seine Bemühung eine reichliche Belohnung in die Hand, die anderen taten auch etwas, man ließ ihn abtreten und ruhen, und versprach sich auf den Abend eine wiederholte Freude von seiner Geschicklichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1628,"orig":"Als er hinweg war, ſagte Wilhelm zu Philinen, ich kann zwar in Ihrem Leibgeſange weder ein dichteriſches noch ſittliches Verdienſt finden; doch wenn Sie mit eben der Naivität, Eigenheit und Zierlichkeit etwas ſchickliches auf dem Theater jemals ausführen, ſo wird Ihnen allgemeiner lebhafter Beyfall gewiß zu Theil werden.","norm":"Als er hinweg war, sagte Wilhelm zu Philine, Ich kann zwar in Ihrem Leibgesange weder ein dichterisches noch sittliches Verdienst finden; doch wenn Sie mit eben der Naivität, Eigenheit und Zierlichkeit etwas Schickliches auf dem Theater jemals ausführen, so wird Ihnen allgemeiner lebhafter Beifall gewiss zuteilwerden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1629,"orig":"Ja, ſagte Philine, es müßte eine recht angenehme Empfindung ſeyn, ſich am Eiſe zu wärmen.","norm":"Ja, sagte Philine, es müsste eine recht angenehme Empfindung sein, sich am Eise zu wärmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1630,"orig":"Überhaupt, ſagte Wilhelm, wie ſehr beſchämt dieſer Mann manchen Schauſpieler.","norm":"Überhaupt, sagte Wilhelm, wie sehr beschämt dieser Mann manchen Schauspieler."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1631,"orig":"Haben Sie bemerkt, wie richtig der dramatiſche Ausdruck ſeiner Romanzen war?","norm":"Haben Sie bemerkt, wie richtig der dramatische Ausdruck seiner Romanzen war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1632,"orig":"Gewiß es lebte mehr Darſtellung in ſeinem Geſang, als in unſern ſteifen Perſonen auf der Bühne; man ſollte die Aufführung mancher Stücke eher für eine Erzählung halten, und dieſen muſikaliſchen Erzählungen eine ſinnliche Gegenwart zuſchreiben.","norm":"Gewiss es lebte mehr Darstellung in seinem Gesang, als in unseren steifen Personen auf der Bühne; man sollte die Aufführung mancher Stücke eher für eine Erzählung halten, und diesen musikalischen Erzählungen eine sinnliche Gegenwart zuschreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1633,"orig":"Sie ſind ungerecht, verſetzte Laertes, ich gebe mich weder für einen großen Schauſpieler noch Sänger; aber das weiß ich, daß, wenn die Muſik die Bewegungen des Körpers leitet, ihnen Leben giebt, und ihnen zugleich das Maaß vorſchreibt; wenn Declamation und Ausdruck ſchon von dem Compoſiteur auf mich übertragen werden: ſo bin ich ein ganz anderer Menſch, als wenn ich im proſaiſchen Drama das alles erſt erſchaffen, und Takt und Declamation mir erſt erfinden ſoll, worin mich noch dazu jeder Mitſpielende ſtören kann.","norm":"Sie sind ungerecht, versetzte Laertes, Ich gebe mich weder für einen großen Schauspieler noch Sänger; aber das weiß ich, dass, wenn die Musik die Bewegungen des Körpers leitet, ihnen Leben gibt, und ihnen zugleich das Maß vorschreibt; wenn Deklamation und Ausdruck schon von dem Kompositeur auf mich übertragen werden: so bin ich ein ganz anderer Mensch, als wenn ich im prosaischen Drama das alles erst erschaffen, und Takt und Deklamation mir erst erfinden soll, worin mich noch dazu jeder Mitspielende stören kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1634,"orig":"So viel weiß ich, ſagte Melina, daß uns dieſer Mann in Einem Punkte gewiß beſchämt, und zwar in einem Hauptpunkte.","norm":"So viel weiß ich, sagte Melina, dass uns dieser Mann in einem Punkte gewiss beschämt, und zwar in einem Hauptpunkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1635,"orig":"Die Stärke ſeiner Talente zeigt ſich in dem Nutzen, den er davon zieht.","norm":"Die Stärke seiner Talente zeigt sich in dem Nutzen, den er davon zieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1636,"orig":"Uns, die wir vielleicht bald in Verlegenheit ſeyn werden, wo wir eine Mahlzeit hernehmen, bewegt er, unſre Mahlzeit mit ihm zu theilen.","norm":"Uns, die wir vielleicht bald in Verlegenheit sein werden, wo wir eine Mahlzeit hernehmen, bewegt er, unsere Mahlzeit mit ihm zu teilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1637,"orig":"Er weiß uns das Geld, das wir anwenden könnten, um uns in einige Verfaſſung zu ſetzen, durch ein Liedchen aus der Taſche zu locken.","norm":"Er weiß uns das Geld, das wir anwenden könnten, um uns in einige Verfassung zu setzen, durch ein Liedchen aus der Tasche zu locken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1638,"orig":"Es ſcheint ſo angenehm zu ſeyn, das Geld zu verſchleudern, womit man ſich und andern eine Exiſtenz verſchaffen könnte.","norm":"Es scheint so angenehm zu sein, das Geld zu verschleudern, womit man sich und anderen eine Existenz verschaffen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1639,"orig":"Das Geſpräch bekam durch dieſe Bemerkung nicht die angenehmſte Wendung.","norm":"Das Gespräch bekam durch diese Bemerkung nicht die angenehmste Wendung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1640,"orig":"Wilhelm, auf den der Vorwurf eigentlich gerichtet war, antwortete mit einiger Leidenſchaft, und Melina, der ſich eben nicht der größten Feinheit befliß, brachte zuletzt ſeine Beſchwerden mit ziemlich trocknen Worten vor.","norm":"Wilhelm, auf den der Vorwurf eigentlich gerichtet war, antwortete mit einiger Leidenschaft, und Melina, der sich eben nicht der größten Feinheit befliss, brachte zuletzt seine Beschwerden mit ziemlich trocknen Worten vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1641,"orig":"Es ſind nun ſchon vierzehn Tage, ſagte er, daß wir das hier verpfändete Theater und die Garderobe beſehen haben, und beides konnten wir für eine ſehr leidliche Summe haben.","norm":"Es sind nun schon vierzehn Tage, sagte er, dass wir das hier verpfändete Theater und die Garderobe besehen haben, und beides konnten wir für eine sehr leidliche Summe haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1642,"orig":"Sie machten mir damals Hoffnung, daß Sie mir ſo viel creditiren würden, und bis jetzt habe ich noch nicht geſehen, daß Sie die Sache weiter bedacht oder ſich einem Entſchluß genähert hätten.","norm":"Sie machten mir damals Hoffnung, dass Sie mir so viel kreditieren würden, und bis jetzt habe ich noch nicht gesehen, dass Sie die Sache weiter bedacht oder sich einem Entschluss genähert hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1643,"orig":"Griffen Sie damals zu, ſo wären wir jetzt im Gange.","norm":"Griffen Sie damals zu, so wären wir jetzt im Gange."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1644,"orig":"Ihre Abſicht zu verreiſen haben Sie auch noch nicht ausgeführt, und Geld ſcheinen Sie mir dieſe Zeit über auch nicht geſpart zu haben; wenigſtens giebt es Perſonen, die immer Gelegenheit zu verſchaffen wiſſen, daß es geſchwinder weggehe.","norm":"Ihre Absicht zu verreisen haben Sie auch noch nicht ausgeführt, und Geld scheinen Sie mir diese Zeit über auch nicht gespart zu haben; wenigstens gibt es Personen, die immer Gelegenheit zu verschaffen wissen, dass es geschwinder weggehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1645,"orig":"Dieſer nicht ganz ungerechte Vorwurf traf unſern Freund.","norm":"Dieser nicht ganz ungerechte Vorwurf traf unseren Freund."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1646,"orig":"Er verſetzte einiges darauf mit Lebhaftigkeit, ja mit Heftigkeit, und ergriff, da die Geſellſchaft aufſtund und ſich zerſtreute, die Thüre, indem er nicht undeutlich zu erkennen gab, daß er ſich nicht lange mehr bey ſo unfreundlichen und undankbaren Menſchen aufhalten wolle.","norm":"Er versetzte einiges darauf mit Lebhaftigkeit, ja mit Heftigkeit, und ergriff, da die Gesellschaft aufstand und sich zerstreute, die Türe, indem er nicht undeutlich zu erkennen gab, dass er sich nicht lange mehr bei so unfreundlichen und undankbaren Menschen aufhalten wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1647,"orig":"Er eilte verdrießlich hinunter, ſich auf eine ſteinerne Bank zu ſetzen, die vor dem Thore ſeines Gaſthofs ſtand, und bemerkte nicht, daß er halb aus Luſt, halb aus Verdruß mehr als gewöhnlich getrunken hatte.","norm":"Er eilte verdrießlich hinunter, sich auf eine steinerne Bank zu setzen, die vor dem Tore seines Gasthofs stand, und bemerkte nicht, dass er halb aus Lust, halb aus Verdruss mehr als gewöhnlich getrunken hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1648,"orig":"Nach einer kurzen Zeit, die er, beunruhigt von mancherley Gedanken, ſitzend und vor ſich hinſehend zugebracht hatte, ſchlenderte Philine ſingend zur Hausthüre heraus, ſetzte ſich zu ihm, ja man dürfte beynahe ſagen, auf ihn, ſo nahe rückte ſie an ihn heran, lehnte ſich auf ſeine Schultern, ſpielte mit ſeinen Locken, ſtreichelte ihn, und gab ihm die beſten Worte von der Welt.","norm":"Nach einer kurzen Zeit, die er, beunruhigt von mancherlei Gedanken, sitzend und vor sich hinsehend zugebracht hatte, schlenderte Philine singend zur Haustür heraus, setzte sich zu ihm, ja man dürfte beinahe sagen, auf ihn, so nahe rückte sie an ihn heran, lehnte sich auf seine Schultern, spielte mit seinen Locken, streichelte ihn, und gab ihm die besten Worte von der Welt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1649,"orig":"Sie bat ihn, er mögte ja bleiben, und ſie nicht in der Geſellſchaft allein laſſen, in der ſie vor langer Weile ſterben müßte; ſie könne es nicht mehr mit Melina unter Einem Dache ausdauern, und habe ſich deswegen herüber quartirt.","norm":"Sie bat ihn, er möchte ja bleiben, und sie nicht in der Gesellschaft allein lassen, in der sie vor langer Weile sterben müsste; sie könne es nicht mehr mit Melina unter einem Dache ausdauern, und habe sich deswegen herüberquartiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1650,"orig":"Vergebens ſuchte er ſie abzuweiſen, ihr begreiflich zu machen, daß er länger weder bleiben könne noch dürfe.","norm":"Vergebens suchte er sie abzuweisen, ihr begreiflich zu machen, dass er länger weder bleiben könne noch dürfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1651,"orig":"Sie ließ mit Bitten nicht ab, ja unvermuthet ſchlang ſie ihren Arm um ſeinen Hals, und küßte ihn mit dem lebhafteſten Ausdrucke des Verlangens.","norm":"Sie ließ mit Bitten nicht ab, ja unvermutet schlang sie ihren Arm um seinen Hals, und küsste ihn mit dem lebhaftesten Ausdrucke des Verlangens."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1652,"orig":"Sind Sie toll, Philine?","norm":"Sind Sie toll, Philine?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1653,"orig":"rief Wilhelm aus, indem er ſich loszumachen ſuchte.","norm":"rief Wilhelm aus, indem er sich loszumachen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1654,"orig":"Die öffentliche Straße zum Zeugen ſolcher Liebkoſungen zu machen, die ich auf keine Weiſe verdiene.","norm":"Die öffentliche Straße zum Zeugen solcher Liebkosungen zu machen, die ich auf keine Weise verdiene."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1655,"orig":"Laſſen Sie mich los, ich kann nicht und ich werde nicht bleiben.","norm":"Lassen Sie mich los, ich kann nicht und ich werde nicht bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1656,"orig":"Und ich werde dich feſt halten, ſagte ſie, und ich werde dich hier auf öffentlicher Gaſſe ſo lange küſſen, bis du mir verſprichſt, was ich wünſche.","norm":"Und ich werde dich festhalten, sagte sie, und ich werde dich hier auf öffentlicher Gasse so lange küssen, bis du mir versprichst, was ich wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1657,"orig":"Ich lache mich zu Tode, fuhr ſie fort; nach dieſer Vertraulichkeit halten mich die Leute gewiß für deine Frau von vier Wochen, und die Ehemänner, die eine ſo anmuthige Scene ſehen, werden mich ihren Weibern als ein Muſter einer kindlich unbefangenen Zärtlichkeit anpreiſen.","norm":"Ich lache mich zu Tode, fuhr sie fort; nach dieser Vertraulichkeit halten mich die Leute gewiss für deine Frau von vier Wochen, und die Ehemänner, die eine so anmutige Szene sehen, werden mich ihren Weibern als ein Muster einer kindlich unbefangenen Zärtlichkeit anpreisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1658,"orig":"Eben gingen einige Leute vorbey, und ſie liebkoſte ihn auf das anmuthigſte, und er, um kein Skandal zu geben, war gezwungen, die Rolle des geduldigen Ehemannes zu ſpielen.","norm":"Eben gingen einige Leute vorbei, und sie liebkoste ihn auf das anmutigste, und er, um kein Skandal zu geben, war gezwungen, die Rolle des geduldigen Ehemannes zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1659,"orig":"Dann ſchnitt ſie den Leuten Geſichter im Rücken, und trieb voll Übermuth allerhand Ungezogenheiten, bis er zuletzt verſprechen mußte, noch heute und morgen und übermorgen zu bleiben.","norm":"Dann schnitt sie den Leuten Gesichter im Rücken, und trieb voll Übermut allerhand Ungezogenheiten, bis er zuletzt versprechen musste, noch heute und morgen und übermorgen zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1660,"orig":"Sie ſind ein rechter Stock, ſagte ſie darauf, indem ſie von ihm abließ, und ich eine Thörin, daß ich ſo viel Freundlichkeit an Sie verſchwende.","norm":"Sie sind ein rechter Stock, sagte sie darauf, indem sie von ihm abließ, und ich eine Törin, dass ich so viel Freundlichkeit an Sie verschwende."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1661,"orig":"Sie ſtand verdrießlich auf und ging einige Schritte; dann kehrte ſie lachend zurück, und rief: ich glaube eben, daß ich darum in dich vernarrt bin, ich will nur gehen und meinen Strickſtrumpf holen, daß ich etwas zu thun habe.","norm":"Sie stand verdrießlich auf und ging einige Schritte; dann kehrte sie lachend zurück, und rief: Ich glaube eben, dass ich darum in dich vernarrt bin, ich will nur gehen und meinen Strickstrumpf holen, dass ich etwas zu tun habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1662,"orig":"Bleibe ja, damit ich den ſteinernen Mann auf der ſteinernen Bank wieder finde.","norm":"Bleibe ja, damit ich den steinernen Mann auf der steinernen Bank wiederfinde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1663,"orig":"Dießmal that ſie ihm unrecht; denn ſo ſehr er ſich von ihr zu enthalten ſtrebte, ſo würde er doch in dieſem Augenblicke, hätte er ſich mit ihr in einer einſamen Laube befunden, ihre Liebkoſungen wahrſcheinlich nicht unerwiedert gelaſſen haben.","norm":"Diesmal tat sie ihm Unrecht; denn so sehr er sich von ihr zu enthalten strebte, so würde er doch in diesem Augenblicke, hätte er sich mit ihr in einer einsamen Laube befunden, ihre Liebkosungen wahrscheinlich nicht unerwidert gelassen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1664,"orig":"Sie ging, nachdem ſie ihm einen leichtfertigen Blick zugeworfen, in das Haus.","norm":"Sie ging, nachdem sie ihm einen leichtfertigen Blick zugeworfen, in das Haus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1665,"orig":"Er hatte keinen Beruf, ihr zu folgen, vielmehr hatte ihr Betragen einen neuen Widerwillen in ihm erregt; doch hob er ſich, ohne ſelbſt recht zu wiſſen warum, von der Bank, um ihr nachzugehen.","norm":"Er hatte keinen Beruf, ihr zu folgen, vielmehr hatte ihr Betragen einen neuen Widerwillen in ihm erregt; doch hob er sich, ohne selbst recht zu wissen warum, von der Bank, um ihr nachzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1666,"orig":"Er war eben im Begriff in die Thüre zu treten, als Melina herbeykam, ihn beſcheiden anredete, und ihn wegen einiger im Wortwechſel zu hart ausgeſprochener Ausdrücke um Verzeihung bat.","norm":"Er war eben im Begriff in die Türe zu treten, als Melina herbeikam, ihn bescheiden anredete, und ihn wegen einiger im Wortwechsel zu hart ausgesprochener Ausdrücke um Verzeihung bat."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1667,"orig":"Sie nehmen mir nicht übel, fuhr er fort, wenn ich in dem Zuſtande, in dem ich mich befinde, mich vielleicht zu ängſtlich bezeige; aber die Sorge für eine Frau, vielleicht bald für ein Kind, verhindert mich von einem Tag in dem andern, ruhig zu leben, und meine Zeit mit dem Genuß angenehmer Empfindungen hinzubringen, wie Ihnen noch erlaubt iſt.","norm":"Sie nehmen mir nicht übel, fuhr er fort, wenn ich in dem Zustande, in dem ich mich befinde, mich vielleicht zu ängstlich bezeige; aber die Sorge für eine Frau, vielleicht bald für ein Kind, verhindert mich von einem Tag in dem anderen, ruhig zu leben, und meine Zeit mit dem Genuss angenehmer Empfindungen hinzubringen, wie Ihnen noch erlaubt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1668,"orig":"Überdenken Sie, und wenn es Ihnen möglich iſt, ſo ſetzen Sie mich in den Beſitz der theatraliſchen Geräthſchaften, die ſich hier vorfinden.","norm":"Überdenken Sie, und wenn es Ihnen möglich ist, so setzen Sie mich in den Besitz der theatralischen Gerätschaften, die sich hier vorfinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1669,"orig":"Ich werde nicht lange Ihr Schuldner und Ihnen dafür ewig dankbar bleiben.","norm":"Ich werde nicht lange Ihr Schuldner und Ihnen dafür ewig dankbar bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1670,"orig":"Wilhelm, der ſich ungern auf der Schwelle aufgehalten ſah, über die ihn eine unwiderſtehliche Neigung in dieſem Augenblicke zu Philinen hinüberzog, ſagte mit einer überraſchten Zerſtreuung und eilfertigen Gutmüthigkeit: wenn ich Sie dadurch glücklich und zufrieden machen kann, ſo will ich mich nicht länger bedenken.","norm":"Wilhelm, der sich ungern auf der Schwelle aufgehalten sah, über die ihn eine unwiderstehliche Neigung in diesem Augenblicke zu Philine hinüberzog, sagte mit einer überraschten Zerstreuung und eilfertigen Gutmütigkeit: Wenn ich Sie dadurch glücklich und zufrieden machen kann, so will ich mich nicht länger bedenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1671,"orig":"Gehn Sie hin, machen Sie alles richtig.","norm":"Gehen Sie hin, machen Sie alles richtig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1672,"orig":"Ich bin bereit, noch dieſen Abend oder morgen früh das Geld zu zahlen.","norm":"Ich bin bereit, noch diesen Abend oder morgen früh das Geld zu zahlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1673,"orig":"Er gab hierauf Melina'n die Hand zur Beſtätigung ſeines Verſprechens, und war ſehr zufrieden, als er ihn eilig über die Straße weggehen ſah; leider aber wurde er von ſeinem Eindringen ins Haus zum zweytenmal und auf eine unangenehmere Weiſe zurück gehalten.","norm":"Er gab hierauf Meline die Hand zur Bestätigung seines Versprechens, und war sehr zufrieden, als er ihn eilig über die Straße weggehen sah; leider aber wurde er von seinem Eindringen ins Haus zum zweiten Mal und auf eine unangenehmere Weise zurückgehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1674,"orig":"Ein junger Menſch mit einem Bündel auf dem Rücken kam eilig die Straße her, und trat zu Wilhelmen, der ihn gleich für Friedrichen erkannte.","norm":"Ein junger Mensch mit einem Bündel auf dem Rücken kam eilig die Straße her, und trat zu Wilhelmen, der ihn gleich für Friedrich erkannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1675,"orig":"Da bin ich wieder!","norm":"Da bin ich wieder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1676,"orig":"rief er aus, indem er ſeine großen blauen Augen freudig umher und hinauf an alle Fenſter gehen ließ; wo iſt Mamſell?","norm":"rief er aus, indem er seine großen blauen Augen freudig umher und hinauf an alle Fenster gehen ließ; wo ist Mamsell?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1677,"orig":"Der Henker mag es länger in der Welt aushalten, ohne ſie zu ſehen!","norm":"Der Henker mag es länger in der Welt aushalten, ohne sie zu sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1678,"orig":"Der Wirth, der eben dazu getreten war, verſetzte, ſie iſt oben, und mit wenigen Sprüngen war er die Treppe hinauf, und Wilhelm blieb wie auf der Schwelle eingewurzelt ſtehen.","norm":"Der Wirt, der eben dazugetreten war, versetzte, sie ist oben, und mit wenigen Sprüngen war er die Treppe hinauf, und Wilhelm blieb wie auf der Schwelle eingewurzelt stehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1679,"orig":"Er hätte in den erſten Augenblicken den Jungen bey den Haaren rückwärts die Treppe herunterreiſſen mögen; dann hemmte der heftige Kampf einer gewaltſamen Eiferſucht auf einmal den Lauf ſeiner Lebensgeiſter und ſeiner Ideen, und da er ſich nach und nach von ſeiner Erſtarrung erholte, überfiel ihn eine Unruhe, ein Unbehagen, dergleichen er in ſeinem Leben noch nicht empfunden hatte.","norm":"Er hätte in den ersten Augenblicken den Jungen bei den Haaren rückwärts die Treppe herunterreißen mögen; dann hemmte der heftige Kampf einer gewaltsamen Eifersucht auf einmal den Lauf seiner Lebensgeister und seiner Ideen, und da er sich nach und nach von seiner Erstarrung erholte, überfiel ihn eine Unruhe, ein Unbehagen, dergleichen er in seinem Leben noch nicht empfunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1680,"orig":"Er ging auf ſeine Stube, und fand Mignon mit Schreiben beſchäftigt.","norm":"Er ging auf seine Stube, und fand Mignon mit Schreiben beschäftigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1681,"orig":"Das Kind hatte ſich eine Zeit her mit großem Fleiße bemüht, alles, was es auswendig wußte, zu ſchreiben, und hatte ſeinem Herrn und Freund das Geſchriebene zu korrigiren gegeben.","norm":"Das Kind hatte sich eine Zeit her mit großem Fleiße bemüht, alles, was es auswendig wusste, zu schreiben, und hatte seinem Herrn und Freund das Geschriebene zu korrigieren gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1682,"orig":"Sie war unermüdet, und faßte gut; aber die Buchſtaben blieben ungleich, und die Linien krumm.","norm":"Sie war unermüdet, und fasste gut; aber die Buchstaben blieben ungleich, und die Linien krumm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1683,"orig":"Auch hier ſchien ihr Körper dem Geiſte zu widerſprechen.","norm":"Auch hier schien ihr Körper dem Geist zu widersprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1684,"orig":"Wilhelm, dem die Aufmerkſamkeit des Kindes, wenn er ruhigen Sinnes war, große Freude machte, achtete dießmal wenig auf das, was ſie ihm zeigte; ſie fühlte es, und betrübte ſich darüber nur deſtomehr, als ſie glaubte, dießmal ihre Sache recht gut gemacht zu haben.","norm":"Wilhelm, dem die Aufmerksamkeit des Kindes, wenn er ruhigen Sinnes war, große Freude machte, achtete diesmal wenig auf das, was sie ihm zeigte; sie fühlte es, und betrübte sich darüber nur desto mehr, als sie glaubte, diesmal ihre Sache recht gut gemacht zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1685,"orig":"Wilhelms Unruhe trieb ihn auf den Gängen des Hauſes auf und ab, und bald wieder an die Hausthüre.","norm":"Wilhelms Unruhe trieb ihn auf den Gängen des Hauses auf und ab, und bald wieder an die Haustür."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1686,"orig":"Ein Reiter ſprengte vor, der ein gutes Anſehn hatte, und der bey geſetzten Jahren noch viel Munterkeit verrieth.","norm":"Ein Reiter sprengte vor, der ein gutes Ansehen hatte, und der bei gesetzten Jahren noch viel Munterkeit verriet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1687,"orig":"Der Wirth eilte ihm entgegen, reichte ihm als einem bekannten Freunde die Hand, und rief: ey, Herr Stallmeiſter, ſieht man Sie auch einmal wieder?","norm":"Der Wirt eilte ihm entgegen, reichte ihm als einem bekannten Freunde die Hand, und rief: Ei, Herr Stallmeister, sieht man Sie auch einmal wieder?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1688,"orig":"Ich will nur hier füttern, verſetzte der Fremde, ich muß gleich hinüber auf das Gut, um in der Geſchwindigkeit allerley einrichten zu laſſen.","norm":"Ich will nur hier füttern, versetzte der Fremde, ich muss gleich hinüber auf das Gut, um in der Geschwindigkeit allerlei einrichten zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1689,"orig":"Der Graf kömmt morgen mit ſeiner Gemahlin, ſie werden ſich eine Zeitlang drüben aufhalten, um den Prinzen von * * * auf das Beſte zu bewirthen, der in dieſer Gegend wahrſcheinlich ſein Hauptquartier aufſchlägt.","norm":"Der Graf kommt morgen mit seiner Gemahlin, sie werden sich eine Zeitlang drüben aufhalten, um den Prinzen von * * * auf das Beste zu bewirten, der in dieser Gegend wahrscheinlich sein Hauptquartier aufschlägt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1690,"orig":"Es iſt Schade, daß Sie nicht bey uns bleiben können, verſetzte der Wirth, wir haben gute Geſellſchaft.","norm":"Es ist schade, dass Sie nicht bei uns bleiben können, versetzte der Wirt, wir haben gute Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1691,"orig":"Der Reitknecht, der nachſprengte, nahm dem Stallmeiſter das Pferd ab, der ſich unter der Thüre mit dem Wirth unterhielt, und Wilhelmen von der Seite anſah.","norm":"Der Reitknecht, der nachsprengte, nahm dem Stallmeister das Pferd ab, der sich unter der Türe mit dem Wirt unterhielt, und Wilhelm von der Seite ansah."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1692,"orig":"Dieſer, da er merkte, daß von ihm die Rede ſey, begab ſich weg, und ging einige Straßen auf und ab.","norm":"Dieser, da er merkte, dass von ihm die Rede sei, begab sich weg, und ging einige Straßen auf und ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1693,"orig":"In der verdrießlichen Unruhe, in der er ſich befand, fiel ihm ein, den Alten aufzuſuchen, durch deſſen Harfe er die böſen Geiſter zu verſcheuchen hofte.","norm":"In der verdrießlichen Unruhe, in der er sich befand, fiel ihm ein, den Alten aufzusuchen, durch dessen Harfe er die bösen Geister zu verscheuchen hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1694,"orig":"Man wies ihn, als er nach dem Manne fragte, an ein ſchlechtes Wirthshaus in einem entfernten Winkel des Städtchens, und in demſelben die Treppe hinauf bis auf den Boden, wo ihm der ſüße Harfenklang aus einer Kammer entgegen ſchallte.","norm":"Man wies ihn, als er nach dem Manne fragte, an ein schlechtes Wirtshaus in einem entfernten Winkel des Städtchens, und in demselben die Treppe hinauf bis auf den Boden, wo ihm der süße Harfenklang aus einer Kammer entgegenschallte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1695,"orig":"Es waren herzrührende, klagende Töne, von einem traurigen, ängſtlichen Geſange begleitet.","norm":"Es waren herzrührende, klagende Töne, von einem traurigen, ängstlichen Gesange begleitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1696,"orig":"Wilhelm ſchlich an die Thüre, und da der gute Alte eine Art von Phantaſie vortrug, und wenige Strophen theils ſingend theils recitirend immer wiederholte, konnte der Horcher, nach einer kurzen Aufmerkſamkeit, ungefähr folgendes verſtehen:","norm":"Wilhelm schlich an die Türe, und da der gute Alte eine Art von Phantasie vortrug, und wenige Strophen teils singend teils rezitierend immer wiederholte, konnte der Horcher, nach einer kurzen Aufmerksamkeit, ungefähr folgendes verstehen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1697,"orig":"Wer nie ſein Brod mit Thränen as, Wer nie die kummervollen Nächte Auf ſeinem Bette weinend ſas, Der kennt euch nicht, ihr himmliſchen Mächte.","norm":"Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wer nie die kummervollen Nächte auf seinem Bette weinend saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1698,"orig":"Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen ſchuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein;","norm":"Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr lasst den Armen schuldig werden, dann überlasst ihr ihn der Pein;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1699,"orig":"Denn alle Schuld rächt ſich auf Erden.","norm":"Denn alle Schuld rächt sich auf Erden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1700,"orig":"Die wehmüthige herzliche Klage drang tief in die Seele des Hörers.","norm":"Die wehmütige herzliche Klage drang tief in die Seele des Hörers."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1701,"orig":"Es ſchien ihm, als ob der Alte manchmal von Thränen gehindert würde fortzufahren; dann klangen die Saiten allein, bis ſich wieder die Stimme leiſe in gebrochenen Lauten dazwiſchen miſchte.","norm":"Es schien ihm, als ob der Alte manchmal von Tränen gehindert würde fortzufahren; dann klangen die Saiten allein, bis sich wieder die Stimme leise in gebrochenen Lauten dazwischenmischte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1702,"orig":"Wilhelm ſtand an dem Pfoſten, ſeine Seele war tief gerührt, die Trauer des Unbekannten ſchloß ſein beklommenes Herz auf; er widerſtand nicht dem Mitgefühl, und konnte und wollte die Thränen nicht zurück halten, die des Alten herzliche Klage endlich auch aus ſeinen Augen hervorlockte.","norm":"Wilhelm stand an dem Pfosten, seine Seele war tief gerührt, die Trauer des Unbekannten schloss sein beklommenes Herz auf; er widerstand nicht dem Mitgefühl, und konnte und wollte die Tränen nicht zurückhalten, die des Alten herzliche Klage endlich auch aus seinen Augen hervorlockte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1703,"orig":"Alle Schmerzen, die ſeine Seele drückten, löſten ſich zu gleicher Zeit auf, er überließ ſich ihnen ganz, ſtieß die Kammerthüre auf, und ſtand vor dem Alten, der ein ſchlechtes Bette, den einzigen Hausrath dieſer armſeligen Wohnung, zu ſeinem Sitze zu nehmen genöthigt geweſen.","norm":"Alle Schmerzen, die seine Seele drückten, lösten sich zu gleicher Zeit auf, er überließ sich ihnen ganz, stieß die Kammertüre auf, und stand vor dem Alten, der ein schlechtes Bette, den einzigen Hausrat dieser armseligen Wohnung, zu seinem Sitze zu nehmen genötigt gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1704,"orig":"Was haſt du mir für Empfindungen rege gemacht, guter Alter?","norm":"Was hast du mir für Empfindungen rege gemacht, guter Alter?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1705,"orig":"rief er aus:","norm":"rief er aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1706,"orig":"Alles, was in meinem Herzen ſtockte, haſt du los gelöst; laß dich nicht ſtören, ſondern fahre fort, indem du deine Leiden linderſt, einen Freund glücklich zu machen.","norm":"Alles, was in meinem Herzen stockte, hast du losgelöst; lass dich nicht stören, sondern fahre fort, indem du deine Leiden linderst, einen Freund glücklich zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1707,"orig":"Der Alte wollte aufſtehen und etwas reden, Wilhelm verhinderte ihn daran; denn er hatte zu Mittage bemerkt, daß der Mann ungern ſprach; er ſetzte ſich vielmehr zu ihm auf den Strohſack nieder.","norm":"Der Alte wollte aufstehen und etwas reden, Wilhelm verhinderte ihn daran; denn er hatte zu Mittage bemerkt, dass der Mann ungern sprach; er setzte sich vielmehr zu ihm auf den Strohsack nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1708,"orig":"Der Alte trocknete ſeine Thränen, und fragte mit einem freundlichen Lächeln: wie kommen Sie hierher?","norm":"Der Alte trocknete seine Tränen, und fragte mit einem freundlichen Lächeln: Wie kommen Sie hierher?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1709,"orig":"Ich wollte Ihnen dieſen Abend wieder aufwarten.","norm":"Ich wollte Ihnen diesen Abend wieder aufwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1710,"orig":"Wir ſind hier ruhiger, verſetzte Wilhelm, ſinge mir, was du willſt, was zu deiner Lage paßt, und thue nur, als ob ich gar nicht hier wäre.","norm":"Wir sind hier ruhiger, versetzte Wilhelm, singe mir, was du willst, was zu deiner Lage passt, und tue nur, als ob ich gar nicht hier wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1711,"orig":"Es ſcheint mir, als ob du heute nicht irren könnteſt, ich finde dich ſehr glücklich, daß du dich in der Einſamkeit ſo angenehm beſchäftigen und unterhalten kannſt, und da du überall ein Fremdling biſt, in deinem Herzen die angenehme Bekanntſchaft findeſt.","norm":"Es scheint mir, als ob du heute nicht irren könntest, Ich finde dich sehr glücklich, dass du dich in der Einsamkeit so angenehm beschäftigen und unterhalten kannst, und da du überall ein Fremdling bist, in deinem Herzen die angenehme Bekanntschaft findest."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1712,"orig":"Der Alte blickte auf ſeine Saiten, und nachdem er ſanft präludirt, ſtimmte er an und ſang:","norm":"Der Alte blickte auf seine Saiten, und nachdem er sanft präludiert, stimmte er an und sang:"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1713,"orig":"Wer ſich der Einſamkeit ergiebt Ach!","norm":"Wer sich der Einsamkeit ergibt ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1714,"orig":"der iſt bald allein, Ein jeder lebt, ein jeder liebt, Und läßt ihn ſeiner Pein.","norm":"der ist bald allein, ein jeder lebt, ein jeder liebt, und lässt ihn seiner Pein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1715,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1716,"orig":"laßt mich meiner Qual!","norm":"lasst mich meiner Qual!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1717,"orig":"Und kann ich nur einmal Recht einſam ſeyn, Dann bin ich nicht allein.","norm":"Und kann ich nur einmal Recht einsam sein, dann bin ich nicht allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1718,"orig":"Es ſchleicht ein Liebender lauſchend ſacht, Ob ſeine Freundin allein?","norm":"Es schleicht ein Liebender lauschend sacht, ob seine Freundin allein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1719,"orig":"So überſchleicht bey Tag und Nacht Mich Einſamen die Pein, Mich Einſamen die Qual.","norm":"So überschleicht bei Tag und Nacht mich Einsamen die Pein, mich einsamen die Qual."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1720,"orig":"Ach werd’ ich erſt einmal Einſam im Grabe ſeyn, Da läßt ſie mich allein!","norm":"Ach werde ich erst einmal Einsam im Grabe sein, da lässt sie mich allein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1721,"orig":"Wir würden zu weitläuftig werden, und doch die Anmuth der ſeltſamen Unterredung nicht ausdrucken können, die unſer Freund mit dem abentheuerlichen Fremden hielt.","norm":"Wir würden zu weitläufig werden, und doch die Anmut der seltsamen Unterredung nicht ausdrücken können, die unser Freund mit dem abenteuerlichen Fremden hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1722,"orig":"Auf alles, was der Jüngling zu ihm ſagte, antwortete der Alte mit der reinſten Übereinſtimmung durch Anklänge, die alle verwandte Empfindungen rege machten, und der Einbildungskraft ein weites Feld eröffneten.","norm":"Auf alles, was der Jüngling zu ihm sagte, antwortete der Alte mit der reinsten Übereinstimmung durch Anklänge, die alle verwandte Empfindungen rege machten, und der Einbildungskraft ein weites Feld eröffneten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1723,"orig":"Wer einer Verſammlung frommer Menſchen, die ſich, abgeſondert von der Kirche, reiner, herzlicher und geiſtreicher zu erbauen glauben, beygewohnt hat, wird ſich auch einen Begriff von der gegenwärtigen Scene machen können; er wird ſich erinnern, wie der Liturg ſeinen Worten den Vers eines Geſanges anzupaſſen weiß, der die Seele dahin erhebt, wohin der Redner wünſcht, daß ſie ihren Flug nehmen möge, wie bald darauf ein anderer aus der Gemeinde, in einer andern Melodie, den Vers eines andern Liedes hinzufügt, und an dieſen wieder ein dritter einen dritten anknüpft, wodurch die verwandten Ideen der Lieder, aus denen ſie entlehnt ſind, zwar erregt werden, jede Stelle aber durch die neue Verbindung neu und individuell wird, als wenn ſie in dem Augenblicke erfunden worden wäre; wodurch denn aus einem bekannten Kreiſe von Ideen, aus bekannten Liedern und Sprüchen, für dieſe beſondere Geſellſchaft, für dieſen Augenblick ein eigenes Ganze entſteht, durch deſſen Genuß ſie belebt, geſtärkt und erquickt wird.","norm":"Wer einer Versammlung frommer Menschen, die sich, abgesondert von der Kirche, reiner, herzlicher und geistreicher zu erbauen glauben, beigewohnt hat, wird sich auch einen Begriff von der gegenwärtigen Szene machen können; er wird sich erinnern, wie der Liturg seinen Worten den Vers eines Gesanges anzupassen weiß, der die Seele dahin erhebt, wohin der Redner wünscht, dass sie ihren Flug nehmen möge, wie bald darauf ein anderer aus der Gemeinde, in einer anderen Melodie, den Vers eines anderen Liedes hinzufügt, und an diesen wieder ein Dritter einen dritten anknüpft, wodurch die verwandten Ideen der Lieder, aus denen sie entlehnt sind, zwar erregt werden, jede Stelle aber durch die neue Verbindung neu und individuell wird, als wenn sie in dem Augenblicke erfunden worden wäre; wodurch denn aus einem bekannten Kreise von Ideen, aus bekannten Liedern und Sprüchen, für diese besondere Gesellschaft, für diesen Augenblick ein eigenes Ganze entsteht, durch dessen Genuss sie belebt, gestärkt und erquickt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1724,"orig":"So erbaute der Alte ſeinen Gaſt, indem er, durch bekannte und unbekannte Lieder und Stellen, nahe und ferne Gefühle, wachende und ſchlummernde, angenehme und ſchmerzliche Empfindungen in eine Zirkulation brachte, von der in dem gegenwärtigen Zuſtande unſers Freundes das Beſte zu hoffen war.","norm":"So erbaute der Alte seinen Gast, indem er, durch bekannte und unbekannte Lieder und Stellen, nahe und ferne Gefühle, wachende und schlummernde, angenehme und schmerzliche Empfindungen in eine Zirkulation brachte, von der in dem gegenwärtigen Zustande unseres Freundes das Beste zu hoffen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1725,"orig":"Denn wirklich fing er auf dem Rückwege über ſeine Lage lebhafter, als bisher geſchehen, zu denken an, und war mit dem Vorſatze, ſich aus derſelben heraus zu reiſſen, nach Hauſe gelangt, als ihm der Wirth ſogleich im Vertrauen eröffnete, daß Mademoiſelle Philine an dem Stallmeiſter des Grafen eine Eroberung gemacht habe, der, nachdem er ſeinen Auftrag auf dem Guthe ausgerichtet, in höchſter Eile zurück gekommen ſey, und ein gutes Abendeſſen oben auf ihrem Zimmer mit ihr verzehre.","norm":"Denn wirklich fing er auf dem Rückwege über seine Lage lebhafter, als bisher geschehen, zu denken an, und war mit dem Vorsatze, sich aus derselben herauszureißen, nach Hause gelangt, als ihm der Wirt sogleich im Vertrauen eröffnete, dass Mademoiselle Philine an dem Stallmeister des Grafen eine Eroberung gemacht habe, der, nachdem er seinen Auftrag auf dem Gute ausgerichtet, in höchster Eile zurückgekommen sei, und ein gutes Abendessen oben auf ihrem Zimmer mit ihr verzehre."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1726,"orig":"In eben dieſem Augenblicke trat Melina mit dem Notarius herein; ſie gingen zuſammen auf Wilhelms Zimmer, wo dieſer, wiewohl mit einigem Zaudern, ſeinem Verſprechen Genüge leiſtete, dreyhundert Thaler, auf Wechſel, an Melina auszahlte, welche dieſer ſogleich dem Notarius übergab, und dagegen das Document über den geſchloſſenen Kauf der ganzen theatraliſchen Geräthſchaft erhielt, welche ihm morgen früh übergeben werden ſollte.","norm":"In eben diesem Augenblicke trat Melina mit dem Notarius herein; sie gingen zusammen auf Wilhelms Zimmer, wo dieser, wiewohl mit einigem Zaudern, seinem Versprechen Genüge leistete, dreihundert Taler, auf Wechsel, an Melina auszahlte, welche dieser sogleich dem Notarius übergab, und dagegen das Dokument über den geschlossenen Kauf der ganzen theatralischen Gerätschaft erhielt, welche ihm morgen früh übergeben werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1727,"orig":"Kaum waren ſie auseinander gegangen, als Wilhelm ein entſetzliches Geſchrey in dem Hauſe vernahm.","norm":"Kaum waren sie auseinander gegangen, als Wilhelm ein entsetzliches Geschrei in dem Hause vernahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1728,"orig":"Er hörte eine jugendliche Stimme, die, zornig und drohend, durch ein unmäßiges Weinen und Heulen, durchbrach.","norm":"Er hörte eine jugendliche Stimme, die, zornig und drohend, durch ein unmäßiges Weinen und Heulen, durchbrach."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1729,"orig":"Er hörte dieſe Wehklage von oben herunter an ſeiner Stube vorbey nach dem Hausplatze eilen.","norm":"Er hörte diese Wehklage von oben herunter an seiner Stube vorbei nach dem Hausplatze eilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1730,"orig":"Als die Neugierde unſern Freund herunter lockte, fand er Friedrichen in einer Art von Raſerey.","norm":"Als die Neugierde unseren Freund herunterlockte, fand er Friedrich in einer Art von Raserei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1731,"orig":"Der Knabe weinte, knirſchte, ſtampfte, drohte mit geballten Fäuſten, und ſtellte ſich ganz ungebährdig vor Zorn und Verdruß.","norm":"Der Knabe weinte, knirschte, stampfte, drohte mit geballten Fäusten, und stellte sich ganz ungebärdig vor Zorn und Verdruss."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1732,"orig":"Mignon ſtand gegenüber und ſah mit Verwunderung zu, und der Wirth erklärte einigermaßen dieſe Erſcheinung.","norm":"Mignon stand gegenüber und sah mit Verwunderung zu, und der Wirt erklärte einigermaßen diese Erscheinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1733,"orig":"Der Knabe ſey nach ſeiner Rückkunft, da ihn Philine gut aufgenommen, zufrieden, luſtig und munter geweſen, habe geſungen und geſprungen bis zur Zeit, da der Stallmeiſter mit Philinen Bekanntſchaft gemacht.","norm":"Der Knabe sei nach seiner Rückkunft, da ihn Philine gut aufgenommen, zufrieden, lustig und munter gewesen, habe gesungen und gesprungen bis zur Zeit, da der Stallmeister mit Philine Bekanntschaft gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1734,"orig":"Nun habe das Mittelding zwiſchen Kind und Jüngling angefangen, ſeinen Verdruß zu zeigen, die Thüren zuzuſchlagen, und auf und nieder zu rennen.","norm":"Nun habe das Mittelding zwischen Kind und Jüngling angefangen, seinen Verdruss zu zeigen, die Türen zuzuschlagen, und auf und nieder zu rennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1735,"orig":"Philine habe ihm befohlen, heute Abend bey Tiſche aufzuwarten, worüber er nur noch mürriſcher und trotziger geworden; endlich habe er eine Schüſſel mit Ragout, anſtatt ſie auf den Tiſch zu ſetzen, zwiſchen Mademoiſelle und den Gaſt, die ziemlich nahe zuſammen geſeſſen, hineingeworfen, worauf ihm der Stallmeiſter ein paar tüchtige Ohrfeigen gegeben, und ihn zur Thüre hinausgeſchmiſſen.","norm":"Philine habe ihm befohlen, heute Abend bei Tische aufzuwarten, worüber er nur noch mürrischer und trotziger geworden; endlich habe er eine Schüssel mit Ragout, anstatt sie auf den Tisch zu setzen, zwischen Mademoiselle und den Gast, die ziemlich nahe zusammen gesessen, hineingeworfen, worauf ihm der Stallmeister ein paar tüchtige Ohrfeigen gegeben, und ihn zur Türe hinausgeschmissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1736,"orig":"Er, der Wirth, habe darauf die beiden Perſonen ſäubern helfen, deren Kleider ſehr übel zugerichtet geweſen.","norm":"Er, der Wirt, habe darauf die beiden Personen säubern helfen, deren Kleider sehr übel zugerichtet gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1737,"orig":"Als der Knabe die gute Wirkung ſeiner Rache vernahm, fing er laut zu lachen an, indem ihm noch immer die Thränen die Bakken herunter liefen.","norm":"Als der Knabe die gute Wirkung seiner Rache vernahm, fing er laut zu lachen an, indem ihm noch immer die Tränen die Backen herunterliefen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1738,"orig":"Er freute ſich einige Zeit herzlich, bis ihm der Schimpf, den ihm der Stärkere angethan, wieder einfiel, da er denn von neuem zu heulen und zu drohen anfing.","norm":"Er freute sich einige Zeit herzlich, bis ihm der Schimpf, den ihm der Stärkere angetan, wieder einfiel, da er denn von neuem zu heulen und zu drohen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1739,"orig":"Wilhelm ſtand nachdenklich und beſchämt vor dieſer Scene.","norm":"Wilhelm stand nachdenklich und beschämt vor dieser Szene."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1740,"orig":"Er ſah ſein eignes Innerſtes, mit ſtarken und übertriebenen Zügen dargeſtellt, auch er war von einer unüberwindlichen Eiferſucht entzündet, auch er, wenn ihn der Wohlſtand nicht zurückgehalten hätte, würde gern ſeine wilde Laune befriedigt, gern, mit tückiſcher Schadenfreude, den geliebten Gegenſtand verletzt, und ſeinen Nebenbuhler ausgefordert haben; er hätte die Menſchen, die nur zu ſeinem Verdruſſe da zu ſeyn ſchienen, vertilgen mögen.","norm":"Er sah sein eigenes Innerstes, mit starken und übertriebenen Zügen dargestellt, auch er war von einer unüberwindlichen Eifersucht entzündet, auch er, wenn ihn der Wohlstand nicht zurückgehalten hätte, würde gern seine wilde Laune befriedigt, gern, mit tückischer Schadenfreude, den geliebten Gegenstand verletzt, und seinen Nebenbuhler ausgefordert haben; er hätte die Menschen, die nur zu seinem Verdrusse da zu sein schienen, vertilgen mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1741,"orig":"Laertes, der auch herbey gekommen war, und die Geſchichte vernommen hatte, beſtärkte ſchelmiſch den aufgebrachten Knaben, als dieſer betheuerte und ſchwur, der Stallmeiſter müſſe ihm Satisfaction geben, er habe noch keine Beleidigung auf ſich ſitzen laſſen; weigere ſich der Stallmeiſter, ſo werde er ſich zu rächen wiſſen.","norm":"Laertes, der auch herbeigekommen war, und die Geschichte vernommen hatte, bestärkte schelmisch den aufgebrachten Knaben, als dieser beteuerte und schwur, der Stallmeister müsse ihm Satisfaktion geben, er habe noch keine Beleidigung auf sich sitzen lassen; weigere sich der Stallmeister, so werde er sich zu rächen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1742,"orig":"Laertes war hier gerade in ſeinem Fache.","norm":"Laertes war hier gerade in seinem Fache."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1743,"orig":"Er ging ernſthaft hinauf, den Stallmeiſter im Namen des Knaben heraus zu fordern.","norm":"Er ging ernsthaft hinauf, den Stallmeister im Namen des Knaben herauszufordern."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1744,"orig":"Das iſt luſtig, ſagte dieſer, einen ſolchen Spaß hätte ich mir heut Abend kaum vorgeſtellt.","norm":"Das ist lustig, sagte dieser, einen solchen Spaß hätte ich mir heute Abend kaum vorgestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1745,"orig":"Sie gingen hinunter, und Philine folgte ihnen.","norm":"Sie gingen hinunter, und Philine folgte ihnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1746,"orig":"Mein Sohn, ſagte der Stallmeiſter zu Friedrichen, du biſt ein braver Junge, und ich weigere mich nicht, mit dir zu fechten; nur da die Ungleichheit unſrer Jahre und Kräfte die Sache ohnehin etwas abentheuerlich macht, ſo ſchlag ich ſtatt anderer Waffen ein Paar Rappiere vor, wir wollen die Knöpfe mit Kreide beſtreichen, und wer dem andern den erſten, oder die meiſten Stöße auf den Rock zeichnet, ſoll für den Überwinder gehalten, und von dem andern mit dem beſten Weine, der in der Stadt zu haben iſt, tractirt werden.","norm":"Mein Sohn, sagte der Stallmeister zu Friedrich, du bist ein braver Junge, und ich weigere mich nicht, mit dir zu fechten; nur da die Ungleichheit unserer Jahre und Kräfte die Sache ohnehin etwas abenteuerlich macht, so Schlag ich statt anderer Waffen ein Paar Rapiere vor, wir wollen die Knöpfe mit Kreide bestreichen, und wer dem anderen den ersten, oder die meisten Stöße auf den Rock zeichnet, soll für den Überwinder gehalten, und von dem anderen mit dem besten Weine, der in der Stadt zu haben ist, traktiert werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1747,"orig":"Laertes entſchied, daß dieſer Vorſchlag angenommen werden könnte;","norm":"Laertes entschied, dass dieser Vorschlag angenommen werden könnte;"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1748,"orig":"Friedrich gehorchte ihm als ſeinem Lehrmeiſter.","norm":"Friedrich gehorchte ihm als seinem Lehrmeister."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1749,"orig":"Die Rappiere kamen herbey.","norm":"Die Rapiere kamen herbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1750,"orig":"Philine ſetzte ſich hin, ſtrickte, und ſah beiden Kämpfern mit großer Gemüthsruhe zu.","norm":"Philine setzte sich hin, strickte, und sah beiden Kämpfern mit großer Gemütsruhe zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1751,"orig":"Der Stallmeiſter, der ſehr gut focht, war gefällig genug, ſeinen Gegner zu ſchonen, und ſich einige Kreidenflecke auf den Rock bringen zu laſſen, worauf ſie ſich umarmten, und Wein herbeygeſchaft wurde.","norm":"Der Stallmeister, der sehr gut focht, war gefällig genug, seinen Gegner zu schonen, und sich einige Kreidenflecke auf den Rock bringen zu lassen, worauf sie sich umarmten, und Wein herbeigeschafft wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1752,"orig":"Der Stallmeiſter wollte Friedrichs Herkunft und ſeine Geſchichte wiſſen, der denn ein Mährchen erzählte, das er ſchon oft wiederholt hatte, und mit dem wir ein andermal unſre Leſer bekannt zu machen denken.","norm":"Der Stallmeister wollte Friedrichs Herkunft und seine Geschichte wissen, der denn ein Märchen erzählte, das er schon oft wiederholt hatte, und mit dem wir ein andermal unsere Leser bekannt zu machen gedenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1753,"orig":"In Wilhelms Seele vollendete indeſſen dieſer Zweykampf die Darſtellung ſeiner eigenen Gefühle; denn er konnte ſich nicht leugnen, daß er das Rappier, ja lieber noch einen Degen ſelbſt gegen den Stallmeiſter zu führen wünſchte, wenn er ſchon einſah, daß ihm dieſer in der Fechtkunſt weit überlegen ſey.","norm":"In Wilhelms Seele vollendete indessen dieser Zweikampf die Darstellung seiner eigenen Gefühle; denn er konnte sich nicht leugnen, dass er das Rapier, ja lieber noch einen Degen selbst gegen den Stallmeister zu führen wünschte, wenn er schon einsah, dass ihm dieser in der Fechtkunst weit überlegen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1754,"orig":"Doch würdigte er Philinen nicht eines Blicks, hütete ſich vor jeder Äuſſerung, die ſeine Empfindung hätte verrathen können, und eilte, nachdem er einigemal auf die Geſundheit der Kämpfer Beſcheid gethan, auf ſein Zimmer, wo ſich tauſend unangenehme Gedanken auf ihn zudrängten.","norm":"Doch würdigte er Philine nicht eines Blicks, hütete sich vor jeder Äußerung, die seine Empfindung hätte verraten können, und eilte, nachdem er einige Mal auf die Gesundheit der Kämpfer Bescheid getan, auf sein Zimmer, wo sich tausend unangenehme Gedanken auf ihn zudrängten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1755,"orig":"Er erinnerte ſich der Zeit, in der ſein Geiſt durch ein unbedingtes hoffnungsreiches Streben empor gehoben wurde, wo er in dem lebhafteſten Genuſſe aller Art, wie in einem Elemente ſchwamm.","norm":"Er erinnerte sich der Zeit, in der sein Geist durch ein unbedingtes hoffnungsreiches Streben emporgehoben wurde, wo er in dem lebhaftesten Genusse aller Art, wie in einem Elemente schwamm."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1756,"orig":"Es ward ihm deutlich, wie er jetzt in ein unbeſtimmtes Schlendern gerathen war, in welchem er nur noch ſchlürfend koſtete, was er ſonſt mit vollen Zügen eingeſogen hatte; aber deutlich konnte er nicht ſehen, welches unüberwindliche Bedürfniß ihm die Natur zum Geſetz gemacht hatte, und wie ſehr dieſes Bedürfniß durch Umſtände nur gereizt, halb befriedigt und irre geführt worden war.","norm":"Es wurde ihm deutlich, wie er jetzt in ein unbestimmtes Schlendern geraten war, in welchem er nur noch schlürfend kostete, was er sonst mit vollen Zügen eingesogen hatte; aber deutlich konnte er nicht sehen, welches unüberwindliche Bedürfnis ihm die Natur zum Gesetz gemacht hatte, und wie sehr dieses Bedürfnis durch Umstände nur gereizt, halb befriedigt und irregeführt worden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1757,"orig":"Es darf alſo niemand wundern, wenn er bey Betrachtung ſeines Zuſtandes, und indem er ſich aus demſelben heraus zu denken arbeitete, in die größte Verwirrung gerieth.","norm":"Es darf also niemand wundern, wenn er bei Betrachtung seines Zustandes, und indem er sich aus demselben herauszudenken arbeitete, in die größte Verwirrung geriet."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1758,"orig":"Es war nicht genug, daß er durch ſeine Freundſchaft zu Laertes, durch ſeine Neigung zu Philinen, durch ſeinen Antheil den er an Mignon nahm, länger als billig an einem Ort und in einer Geſellſchaft feſtgehalten wurde, in welcher er ſeine Lieblingsneigung hegen, gleichſam verſtohlen ſeine Wünſche befriedigen, und ohne ſich einen Zweck vorzuſetzen, ſeinen alten Träumen nachſchleichen konnte.","norm":"Es war nicht genug, dass er durch seine Freundschaft zu Laertes, durch seine Neigung zu Philine, durch seinen Anteil den er an Mignon nahm, länger als billig an einem Ort und in einer Gesellschaft festgehalten wurde, in welcher er seine Lieblingsneigung hegen, gleichsam verstohlen seine Wünsche befriedigen, und ohne sich einen Zweck vorzusetzen, seinen alten Träumen nachschleichen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1759,"orig":"Aus dieſen Verhältniſſen ſich los zu reiſſen, und gleich zu ſcheiden, glaubte er Kraft genug zu beſitzen.","norm":"Aus diesen Verhältnissen sich loszureißen, und gleich zu scheiden, glaubte er Kraft genug zu besitzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1760,"orig":"Nun hatte er aber vor wenigen Augenblicken ſich mit Melina in ein Geldgeſchäft eingelaſſen, er hatte den räthſelhaften Alten kennen lernen, welchen zu entziffern er eine unbeſchreibliche Begierde fühlte.","norm":"Nun hatte er aber vor wenigen Augenblicken sich mit Melina in ein Geldgeschäft eingelassen, er hatte den rätselhaften Alten kennen lernen, welchen zu entziffern er eine unbeschreibliche Begierde fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1761,"orig":"Allein auch dadurch ſich nicht zurück halten zu laſſen, war er nach lang hin und her geworfenen Gedanken entſchloſſen, oder glaubte wenigſtens entſchloſſen zu ſeyn.","norm":"Allein auch dadurch sich nicht zurückhalten zu lassen, war er nach lang hin und hergeworfenen Gedanken entschlossen, oder glaubte wenigstens entschlossen zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1762,"orig":"Ich muß fort, rief er aus, ich will fort!","norm":"Ich muss fort, rief er aus, ich will fort!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1763,"orig":"Er warf ſich in einen Seſſel, und war ſehr bewegt.","norm":"Er warf sich in einen Sessel, und war sehr bewegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1764,"orig":"Mignon trat herein und fragte, ob ſie ihn aufwickeln dürfe?","norm":"Mignon trat herein und fragte, ob sie ihn aufwickeln dürfe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1765,"orig":"Sie kam ſtill; es ſchmerzte ſie tief, daß er ſie heute ſo kurz abfertigte.","norm":"Sie kam still; es schmerzte sie tief, dass er sie heute so kurz abfertigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1766,"orig":"Nichts iſt rührender, als wenn eine Liebe, die ſich im Stillen genährt, eine Treue, die ſich im Verborgenen befeſtiget hat, endlich dem, der ihrer bisher nicht werth geweſen, zur rechten Stunde nahe kommt, und ihm offenbar wird.","norm":"Nichts ist rührender, als wenn eine Liebe, die sich im Stillen genährt, eine Treue, die sich im Verborgenen befestigt hat, endlich dem, der ihrer bisher nicht wert gewesen, zur rechten Stunde nahe kommt, und ihm offenbar wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1767,"orig":"Die lange und ſtreng verſchloſſene Knoſpe war reif, und Wilhelms Herz konnte nicht empfänglicher ſeyn.","norm":"Die lange und streng verschlossene Knospe war reif, und Wilhelms Herz konnte nicht empfänglicher sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1768,"orig":"Sie ſtand vor ihm, und ſah ſeine Unruhe.","norm":"Sie stand vor ihm, und sah seine Unruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1769,"orig":"— Herr!","norm":"— Herr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1770,"orig":"rief ſie aus, wenn du unglücklich biſt, was ſoll Mignon werden?","norm":"rief sie aus, wenn du unglücklich bist, was soll Mignon werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1771,"orig":"— Liebes Geſchöpf, ſagte er, indem er ihre Hände nahm, du biſt auch mit unter meinen Schmerzen.","norm":"— Liebes Geschöpf, sagte er, indem er ihre Hände nahm, du bist auch mitunter meinen Schmerzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1772,"orig":"— Ich muß fort.","norm":"— Ich muss fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1773,"orig":"— Sie ſah ihm in die Augen, die von verhaltenen Thränen blinkten, und kniete mit Heftigkeit vor ihm nieder.","norm":"— Sie sah ihm in die Augen, die von verhaltenen Tränen blinkten, und kniete mit Heftigkeit vor ihm nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1774,"orig":"Er behielt ihre Hände, ſie legte ihr Haupt auf ſeine Knie, und war ganz ſtill.","norm":"Er behielt ihre Hände, sie legte ihr Haupt auf seine Knie, und war ganz still."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1775,"orig":"Er ſpielte mit ihren Haaren, und war freundlich.","norm":"Er spielte mit ihren Haaren, und war freundlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1776,"orig":"Sie blieb lange ruhig.","norm":"Sie blieb lange ruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1777,"orig":"Endlich fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz ſachte anfing, und ſich durch alle Glieder wachſend verbreitete — Was iſt dir Mignon?","norm":"Endlich fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz sachte anfing, und sich durch alle Glieder wachsend verbreitete — was ist dir Mignon?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1778,"orig":"rief er aus, was iſt dir?","norm":"rief er aus, was ist dir?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1779,"orig":"— Sie richtete ihr Köpfchen auf, und ſah ihn an, fuhr auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer Gebährde, die Schmerzen verbeißt.","norm":"— Sie richtete ihr Köpfchen auf, und sah ihn an, fuhr auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer Gebärde, die Schmerzen verbeißt."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1780,"orig":"Er hub ſie auf, und ſie fiel auf ſeinen Schoos, er druckte ſie an ſich, und küßte ſie.","norm":"Er hob sie auf, und sie fiel auf seinen Schoß, er drückte sie an sich, und küsste sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1781,"orig":"Sie antwortete durch keinen Händedruck, durch keine Bewegung.","norm":"Sie antwortete durch keinen Händedruck, durch keine Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1782,"orig":"Sie hielt ihr Herz feſt, und auf einmal that ſie einen Schrey, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers begleitet war.","norm":"Sie hielt ihr Herz fest, und auf einmal tat sie einen Schrei, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers begleitet war."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1783,"orig":"Sie fuhr auf, und fiel auch ſogleich wie an allen Gelenken gebrochen vor ihm nieder.","norm":"Sie fuhr auf, und fiel auch sogleich wie an allen Gelenken gebrochen vor ihm nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1784,"orig":"Es war ein gräßlicher Anblick!","norm":"Es war ein grässlicher Anblick!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1785,"orig":"— Mein Kind!","norm":"— Mein Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1786,"orig":"rief er aus, indem er ſie aufhob und feſt umarmte, mein Kind, was iſt dir?","norm":"rief er aus, indem er sie aufhob und fest umarmte, mein Kind, was ist dir?"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1787,"orig":"— Die Zuckung dauerte fort, die vom Herzen ſich den ſchlotternden Gliedern mittheilte; ſie hing nur in ſeinen Armen.","norm":"— Die Zuckung dauerte fort, die vom Herzen sich den schlotternden Gliedern mitteilte; sie hing nur in seinen Armen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1788,"orig":"Er ſchloß ſie an ſein Herz, und benetzte ſie mit ſeinen Thränen.","norm":"Er schloss sie an sein Herz, und benetzte sie mit seinen Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1789,"orig":"Auf einmal ſchien ſie wieder angeſpannt, wie eins, das den höchſten körperlichen Schmerz erträgt; und bald mit einer neuen Heftigkeit wurden alle ihre Glieder wieder lebendig, und ſie warf ſich ihm, wie ein Reſſort, das zuſchlägt, um den Hals, indem in ihrem Innerſten wie ein gewaltiger Riß geſchah, und in dem Augenblicke floß ein Strom von Thränen aus ihren geſchloſſenen Augen in ſeinen Buſen.","norm":"Auf einmal schien sie wieder angespannt, wie eins, das den höchsten körperlichen Schmerz erträgt; und bald mit einer neuen Heftigkeit wurden alle ihre Glieder wieder lebendig, und sie warf sich ihm, wie ein Ressort, das zuschlägt, um den Hals, indem in ihrem Innersten wie ein gewaltiger Riss geschah, und in dem Augenblicke floss ein Strom von Tränen aus ihren geschlossenen Augen in seinen Busen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1790,"orig":"Er hielt ſie feſt.","norm":"Er hielt sie fest."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1791,"orig":"Sie weinte, und keine Zunge ſpricht die Gewalt dieſer Thränen aus.","norm":"Sie weinte, und keine Zunge spricht die Gewalt dieser Tränen aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1792,"orig":"Ihre langen Haare waren aufgegangen, und hingen von der Weinenden nieder, und ihr ganzes Weſen ſchien in einen Bach von Thränen unaufhaltſam dahin zu ſchmelzen.","norm":"Ihre langen Haare waren aufgegangen, und hingen von der Weinenden nieder, und ihr ganzes Wesen schien in einen Bach von Tränen unaufhaltsam dahinzuschmelzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1793,"orig":"Ihre ſtarren Glieder wurden gelinde, es ergoß ſich ihr Innerſtes, und in der Verirrung des Augenblickes fürchtete Wilhelm, ſie werde in ſeinen Armen zerſchmelzen, und er nichts von ihr übrig behalten.","norm":"Ihre starren Glieder wurden gelinde, es ergoss sich ihr Innerstes, und in der Verirrung des Augenblickes fürchtete Wilhelm, sie werde in seinen Armen zerschmelzen, und er nichts von ihr übrig behalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1794,"orig":"Er hielt ſie nur feſter und feſter.","norm":"Er hielt sie nur fester und fester."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1795,"orig":"— Mein Kind!","norm":"— Mein Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1796,"orig":"rief er aus, mein Kind!","norm":"rief er aus, mein Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1797,"orig":"du biſt ja mein!","norm":"Du bist ja mein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1798,"orig":"wenn dich das Wort tröſten kann.","norm":"Wenn dich das Wort trösten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1799,"orig":"Du biſt mein!","norm":"Du bist mein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1800,"orig":"ich werde dich behalten, dich nicht verlaſſen!","norm":"Ich werde dich behalten, dich nicht verlassen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1801,"orig":"— Ihre Thränen floſſen noch immer.","norm":"— Ihre Tränen flossen noch immer."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1802,"orig":"— Endlich richtete ſie ſich auf.","norm":"— Endlich richtete sie sich auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1803,"orig":"Eine weiche Heiterkeit glänzte von ihrem Geſichte.","norm":"Eine weiche Heiterkeit glänzte von ihrem Gesichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1804,"orig":"— Mein Vater!","norm":"— Mein Vater!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1805,"orig":"rief ſie, du willſt mich nicht verlaſſen!","norm":"rief sie, du willst mich nicht verlassen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1806,"orig":"willſt mein Vater ſeyn!","norm":"willst mein Vater sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1807,"orig":"— Ich bin dein Kind!","norm":"— Ich bin dein Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre01_1795","par_idx":1808,"orig":"Sanft fing vor der Thüre die Harfe an zu klingen; der Alte brachte ſeine herzlichſten Lieder dem Freunde zum Abendopfer, der, ſein Kind immer feſter in Armen haltend, des reinſten unbeſchreiblichſten Glückes genoß.","norm":"Sanft fing vor der Türe die Harfe an zu klingen; der Alte brachte seine herzlichsten Lieder dem Freunde zum Abendopfer, der, sein Kind immer fester in Armen haltend, des reinsten unbeschreiblichsten Glückes genoss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":0,"orig":"Kennſt du das Land?","norm":"Kennst du das Land?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1,"orig":"wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, Ein ſanfter Wind vom blauen Himmel weht.","norm":"wo die Zitronen blühen, im dunkeln Laub die Goldorangen glühen, ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":2,"orig":"Die Myrthe ſtill und hoch der Lorbeer ſteht.","norm":"Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":3,"orig":"Kennſt du es wohl?","norm":"Kennst du es wohl?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":4,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":5,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":6,"orig":"Mögt ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.","norm":"Möchte ich mit dir, o mein Geliebter, ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":7,"orig":"Kennſt du das Haus?","norm":"Kennst du das Haus?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":8,"orig":"auf Säulen ruht ſein Dach, Es glänzt der Saal, es ſchimmert das Gemach, Und Marmorbilder ſtehn und ſehn mich an:","norm":"auf Säulen ruht sein Dach, es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, und Marmorbilder stehen und sehen mich an:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":9,"orig":"Was hat man dir, du armes Kind, gethan?","norm":"Was hat man dir, du armes Kind, getan?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":10,"orig":"Kennſt du es wohl?","norm":"Kennst du es wohl?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":11,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":12,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":13,"orig":"Mögt ich mit dir, o mein Beſchützer, ziehn.","norm":"Möchte ich mit dir, o mein Beschützer, ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":14,"orig":"Kennſt du den Berg und ſeinen Wolkenſteg?","norm":"Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":15,"orig":"Das Maulthier ſucht im Nebel ſeinen Weg, In Hölen wohnt der Drachen alte Brut, Es ſtürzt der Fels und über ihn die Fluth.","norm":"Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg, in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut, es stürzt der Fels und über ihn die Flut."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":16,"orig":"Kennſt du ihn wohl?","norm":"Kennst du ihn wohl?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":17,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":18,"orig":"Dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":19,"orig":"Geht unſer Weg!","norm":"Geht unser Weg!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":20,"orig":"o Vater, laß uns ziehn!","norm":"o Vater, lass uns ziehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":21,"orig":"Als Wilhelm des Morgens ſich nach Mignon im Hauſe umſah, fand er ſie nicht, hörte aber, daß ſie früh mit Melina ausgegangen ſey, welcher ſich, um die Garderobe und die übrigen Theater-Geräthſchaften zu übernehmen, bey Zeiten aufgemacht hatte.","norm":"Als Wilhelm des Morgens sich nach Mignon im Hause umsah, fand er sie nicht, hörte aber, dass sie früh mit Melina ausgegangen sei, welcher sich, um die Garderobe und die übrigen Theatergerätschaften zu übernehmen, beizeiten aufgemacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":22,"orig":"Nach Verlauf einiger Stunden hörte Wilhelm Muſik vor ſeiner Thüre.","norm":"Nach Verlauf einiger Stunden hörte Wilhelm Musik vor seiner Türe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":23,"orig":"Er glaubte anfänglich, der Harfenſpieler ſey ſchon wieder zugegen; allein er unterſchied bald die Töne einer Zitter und die Stimme, welche zu ſingen anfing, war Mignons Stimme.","norm":"Er glaubte anfänglich, der Harfenspieler sei schon wieder zugegen; allein er unterschied bald die Töne einer Zither und die Stimme, welche zu singen anfing, war Mignons Stimme."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":24,"orig":"Wilhelm öfnete die Thüre, das Kind trat herein und ſang das Lied, das wir ſo eben aufgezeichnet haben.","norm":"Wilhelm öffnete die Türe, das Kind trat herein und sang das Lied, das wir soeben aufgezeichnet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":25,"orig":"Melodie und Ausdruck gefielen unſerm Freunde beſonders, ob er gleich die Worte nicht alle verſtehen konnte.","norm":"Melodie und Ausdruck gefielen unserem Freunde besonders, ob er gleich die Worte nicht alle verstehen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":26,"orig":"Er ließ ſich die Strophen wiederholen und erklären, ſchrieb ſie auf und überſetzte ſie ins Deutſche.","norm":"Er ließ sich die Strophen wiederholen und erklären, schrieb sie auf und übersetzte sie ins Deutsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":27,"orig":"Aber die Originalität der Wendungen konnte er nur von ferne nachahmen.","norm":"Aber die Originalität der Wendungen konnte er nur von ferne nachahmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":28,"orig":"Die kindliche Unſchuld des Ausdrucks verſchwand, indem die gebrochene Sprache übereinſtimmend, und das Unzuſammenhängende verbunden ward.","norm":"Die kindliche Unschuld des Ausdrucks verschwand, indem die gebrochene Sprache übereinstimmend, und das Unzusammenhängende verbunden wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":29,"orig":"Auch konnte der Reiz der Melodie mit nichts verglichen werden.","norm":"Auch konnte der Reiz der Melodie mit nichts verglichen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":30,"orig":"Sie fing jeden Vers feyerlich und prächtig an, als ob ſie auf etwas ſonderbares aufmerkſam machen, als ob ſie etwas wichtiges vortragen wollte.","norm":"Sie fing jeden Vers feierlich und prächtig an, als ob sie auf etwas Sonderbares aufmerksam machen, als ob sie etwas Wichtiges vortragen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":31,"orig":"Bey der dritten Zeile ward der Geſang dumpfer und düſterer, das: kennſt du es wohl?","norm":"Bei der dritten Zeile wurde der Gesang dumpfer und düsterer, das: Kennst du es wohl?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":32,"orig":"drückte ſie geheimnißvoll und bedächtig aus, in dem: dahin!","norm":"drückte sie geheimnisvoll und bedächtig aus, in dem: dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":33,"orig":"dahin!","norm":"Dahin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":34,"orig":"lag eine unwiderſtehliche Sehnſucht, und ihr:","norm":"lag eine unwiderstehliche Sehnsucht, und ihr:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":35,"orig":"Laß uns ziehn!","norm":"Lass uns ziehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":36,"orig":"wußte ſie, bey jeder Wiederholung, dergeſtalt zu modifiziren, daß es bald bittend und dringend, bald treibend und vielverſprechend war.","norm":"wusste sie, bei jeder Wiederholung, dergestalt zu modifizieren, dass es bald bittend und dringend, bald treibend und vielversprechend war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":37,"orig":"Nachdem ſie das Lied zum zweytenmal geendigt hatte, hielt ſie einen Augenblick inne, ſah Wilhelmen ſcharf an und fragte: kennſt du das Land?","norm":"Nachdem sie das Lied zum zweiten Mal geendigt hatte, hielt sie einen Augenblick inne, sah Wilhelm scharf an und fragte: Kennst du das Land?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":38,"orig":"— Es muß wohl Italien gemeynt ſeyn, verſetzte Wilhelm, woher haſt du das Liedchen?","norm":"— Es muss wohl Italien gemeint sein, versetzte Wilhelm, woher hast du das Liedchen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":39,"orig":"— Italien?","norm":"— Italien?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":40,"orig":"ſagte Mignon bedeutend: gehſt du nach Italien, ſo nimm mich mit, es friert mich hier.","norm":"sagte Mignon bedeutend: gehst du nach Italien, so nimm mich mit, es friert mich hier."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":41,"orig":"— Biſt du ſchon dort geweſen, liebe Kleine?","norm":"— Bist du schon dort gewesen, liebe Kleine?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":42,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":43,"orig":"— Das Kind war ſtill und nichts weiter aus ihm zu bringen.","norm":"— Das Kind war still und nichts weiter aus ihm zu bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":44,"orig":"Melina, der hereinkam, beſah die Zitter und freute ſich, daß ſie ſchon ſo hübſch zurecht gemacht ſey.","norm":"Melina, der hereinkam, besah die Zither und freute sich, dass sie schon so hübsch zurechtgemacht sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":45,"orig":"Das Inſtrument war ein Inventarienſtück der alten Garderobe, Mignon hatte ſich’s dieſen Morgen ausgebeten, der Harfenſpieler bezog es ſogleich, und das Kind entwickelte bey dieſer Gelegenheit ein Talent, das man an ihm bisher noch nicht kannte.","norm":"Das Instrument war ein Inventarstück der alten Garderobe, Mignon hatte sich es diesen Morgen ausgebeten, der Harfenspieler bezog es sogleich, und das Kind entwickelte bei dieser Gelegenheit ein Talent, das man an ihm bisher noch nicht kannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":46,"orig":"Melina hatte ſchon die Garderobe mit allem Zugehör übernommen; einige Glieder des Stadtraths verſprachen ihm gleich die Erlaubniß, einige Zeit im Orte zu ſpielen.","norm":"Melina hatte schon die Garderobe mit allem Zugehör übernommen; einige Glieder des Stadtrats versprachen ihm gleich die Erlaubnis, einige Zeit im Orte zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":47,"orig":"Mit frohem Herzen und erheitertem Geſicht kam er nunmehr wieder zurück.","norm":"Mit frohem Herzen und erheitertem Gesicht kam er nunmehr wieder zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":48,"orig":"Er ſchien ein ganz anderer Menſch zu ſeyn.","norm":"Er schien ein ganz anderer Mensch zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":49,"orig":"Denn er war ſanft, höflich gegen jedermann, ja zuvorkommend und einnehmend.","norm":"Denn er war sanft, höflich gegen jedermann, ja zuvorkommend und einnehmend."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":50,"orig":"Er wünſchte ſich Glück, daß er nunmehr ſeine Freunde, die bisher verlegen und müßig geweſen, werde beſchäftigen und auf eine Zeitlang engagiren können, wobey er zugleich bedauerte, daß er freylich zum Anfange nicht im Stande ſey, die vortrefflichen Subjecte, die das Glück ihm zugeführt, nach ihren Fähigkeiten und Talenten zu belohnen, da er ſeine Schuld einem ſo großmüthigen Freunde, als Wilhelm ſich gezeigt habe, vor allen Dingen abtragen müſſe.","norm":"Er wünschte sich Glück, dass er nunmehr seine Freunde, die bisher verlegen und müßig gewesen, werde beschäftigen und auf eine Zeitlang engagieren können, wobei er zugleich bedauerte, dass er freilich zum Anfange nicht imstande sei, die vortrefflichen Subjekte, die das Glück ihm zugeführt, nach ihren Fähigkeiten und Talenten zu belohnen, da er seine Schuld einem so großmütigen Freunde, als Wilhelm sich gezeigt habe, vor allen Dingen abtragen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":51,"orig":"Ich kann Ihnen nicht ausdrücken, ſagte Melina zu ihm, welche Freundſchaft Sie mir erzeigen, indem Sie mir zur Direction eines Theaters verhelfen.","norm":"Ich kann Ihnen nicht ausdrücken, sagte Melina zu ihm, welche Freundschaft Sie mir erzeigen, indem Sie mir zur Direktion eines Theaters verhelfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":52,"orig":"Denn als ich Sie antraf, befand ich mich in einer ſehr wunderlichen Lage.","norm":"Denn als ich Sie antraf, befand ich mich in einer sehr wunderlichen Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":53,"orig":"Sie erinnern ſich, wie lebhaft ich Ihnen bey unſrer erſten Bekanntſchaft meine Abneigung gegen das Theater ſehen ließ, und doch mußte ich mich, ſobald ich verheirathet war, aus Liebe zu meiner Frau, welche ſich viel Freude und Beyfall verſprach, nach einem Engagement umſehen.","norm":"Sie erinnern sich, wie lebhaft ich Ihnen bei unserer ersten Bekanntschaft meine Abneigung gegen das Theater sehen ließ, und doch musste ich mich, sobald ich verheiratet war, aus Liebe zu meiner Frau, welche sich viel Freude und Beifall versprach, nach einem Engagement umsehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":54,"orig":"Ich fand keins, wenigſtens kein beſtändiges, dagegen aber, glücklicherweiſe, einige Geſchäftsmänner, die eben in außerordentlichen Fällen jemanden brauchen konnten, der mit der Feder umzugehen wußte, Franzöſiſch verſtand, und im Rechnen nicht ganz unerfahren war.","norm":"Ich fand keins, wenigstens kein beständiges, dagegen aber, glücklicherweise, einige Geschäftsmänner, die eben in außerordentlichen Fällen jemanden brauchen konnten, der mit der Feder umzugehen wusste, Französisch verstand, und im Rechnen nicht ganz unerfahren war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":55,"orig":"So ging es mir eine Zeitlang recht gut, ich ward leidlich bezahlt, ſchaffte mir manches an, und meine Verhältniſſe machten mir keine Schande.","norm":"So ging es mir eine Zeitlang recht gut, ich wurde leidlich bezahlt, schaffte mir manches an, und meine Verhältnisse machten mir keine Schande."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":56,"orig":"Allein die auſſerordentlichen Aufträge meiner Gönner gingen zu Ende, an eine dauerhafte Verſorgung war nicht zu denken, und meine Frau verlangte nur deſto eifriger nach dem Theater, leider zu einer Zeit, wo ihre Umſtände nicht die vortheilhafteſten ſind, um ſich dem Publico mit Ehren darzuſtellen.","norm":"Allein die außerordentlichen Aufträge meiner Gönner gingen zu Ende, an eine dauerhafte Versorgung war nicht zu denken, und meine Frau verlangte nur desto eifriger nach dem Theater, leider zu einer Zeit, wo ihre Umstände nicht die vorteilhaftesten sind, um sich dem Publikum mit Ehren darzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":57,"orig":"Nun, hoffe ich, ſoll die Anſtalt, die ich durch Ihre Hülfe einrichten werde, für mich und die meinigen ein guter Anfang ſeyn, und ich verdanke Ihnen mein künftiges Glück, es werde auch wie es wolle.","norm":"Nun, hoffe ich, soll die Anstalt, die ich durch Ihre Hilfe einrichten werde, für mich und die Meinigen ein guter Anfang sein, und ich verdanke Ihnen mein künftiges Glück, es werde auch wie es wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":58,"orig":"Wilhelm hörte dieſe Äußerungen mit Zufriedenheit an, und die ſämmtlichen Schauſpieler waren gleichfalls mit den Erklärungen des neuen Directors ſo ziemlich zufrieden, freuten ſich heimlich, daß ſich ſo ſchnell ein Engagement zeige, und waren geneigt, für den Anfang, mit einer geringen Gage vorlieb zu nehmen, weil die meiſten dasjenige, was ihnen ſo unvermuthet angeboten wurde, als einen Zuſchuß anſahen, auf den ſie vor kurzem noch nicht Rechnung machen konnten.","norm":"Wilhelm hörte diese Äußerungen mit Zufriedenheit an, und die sämtlichen Schauspieler waren gleichfalls mit den Erklärungen des neuen Direktors so ziemlich zufrieden, freuten sich heimlich, dass sich so schnell ein Engagement zeige, und waren geneigt, für den Anfang, mit einer geringen Gage vorliebzunehmen, weil die meisten dasjenige, was ihnen so unvermutet angeboten wurde, als einen Zuschuss ansahen, auf den sie vor kurzem noch nicht Rechnung machen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":59,"orig":"Melina war im Begriff dieſe Dispoſition zu benutzen, ſuchte auf eine geſchickte Weiſe jeden beſonders zu ſprechen, und hatte bald den einen auf dieſe, den andern auf eine andere Weiſe zu bereden gewußt, daß ſie die Contracte geſchwind abzuſchließen geneigt waren, über das neue Verhältniß kaum nachdachten, und ſich ſchon geſichert glaubten, mit ſechswöchentlicher Aufkündigung wieder loskommen zu können.","norm":"Melina war im Begriff diese Disposition zu benutzen, suchte auf eine geschickte Weise jeden besonders zu sprechen, und hatte bald den einen auf diese, den anderen auf eine andere Weise zu bereden gewusst, dass sie die Kontrakte geschwind abzuschließen geneigt waren, über das neue Verhältnis kaum nachdachten, und sich schon gesichert glaubten, mit sechswöchentlicher Aufkündigung wieder loskommen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":60,"orig":"Nun ſollten die Bedingungen in gehörige Form gebracht werden, und Melina dachte ſchon an die Stücke, mit denen er zuerſt das Publicum anlocken wollte, als ein Courier dem Stallmeiſter die Ankunft der Herrſchaft verkündigte, und dieſer die untergelegten Pferde vorzuführen befahl.","norm":"Nun sollten die Bedingungen in gehörige Form gebracht werden, und Melina dachte schon an die Stücke, mit denen er zuerst das Publikum anlocken wollte, als ein Kurier dem Stallmeister die Ankunft der Herrschaft verkündigte, und dieser die untergelegten Pferde vorzuführen befahl."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":61,"orig":"Bald darauf fuhr der hochbepackte Wagen, von deſſen Bocke zwey Bedienten herunterſprangen, vor dem Gaſthauſe vor, und Philine war nach ihrer Art am erſten bey der Hand und ſtellte ſich unter die Thüre.","norm":"Bald darauf fuhr der hochbepackte Wagen, von dessen Bocke zwei Bedienten heruntersprangen, vor dem Gasthause vor, und Philine war nach ihrer Art am ersten bei der Hand und stellte sich unter die Türe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":62,"orig":"Wer iſt Sie?","norm":"Wer ist Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":63,"orig":"fragte die Gräfin im Hereintreten.","norm":"fragte die Gräfin im Hereintreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":64,"orig":"Eine Schauſpielerin, Ihro Excellenz zu dienen, war die Antwort, indem der Schalk mit einem gar frommen Geſichte und demüthigen Gebährden ſich neigte und der Dame den Rock küßte.","norm":"Eine Schauspielerin, Ihre Exzellenz zu dienen, war die Antwort, indem der Schalk mit einem gar frommen Gesichte und demütigen Gebärden sich neigte und der Dame den Rock küsste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":65,"orig":"Der Graf, der noch einige Perſonen umher ſtehen ſah, die ſich gleichfalls für Schauſpieler ausgaben, erkundigte ſich nach der Stärke der Geſellſchaft, nach dem letzten Orte ihres Auffenthalts und ihrem Director.","norm":"Der Graf, der noch einige Personen umherstehen sah, die sich gleichfalls für Schauspieler ausgaben, erkundigte sich nach der Stärke der Gesellschaft, nach dem letzten Orte ihres Aufenthalts und ihrem Direktor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":66,"orig":"Wenn es Franzoſen wären, ſagte er zu ſeiner Gemahlin, könnten wir dem Prinzen eine unerwartete Freude machen, und ihm bey uns ſeine Lieblingsunterhaltung verſchaffen.","norm":"Wenn es Franzosen wären, sagte er zu seiner Gemahlin, könnten wir dem Prinzen eine unerwartete Freude machen, und ihm bei uns seine Lieblingsunterhaltung verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":67,"orig":"Es käme darauf an, verſetzte die Gräfin: ob wir nicht dieſe Leute, wenn ſie ſchon unglücklicherweiſe nur Deutſche ſind, auf dem Schloß, ſo lange der Fürſt bey uns bleibt, ſpielen ließen.","norm":"Es käme darauf an, versetzte die Gräfin: ob wir nicht diese Leute, wenn sie schon unglücklicherweise nur Deutsche sind, auf dem Schloss, solange der Fürst bei uns bleibt, spielen ließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":68,"orig":"Sie haben doch wohl einige Geſchicklichkeit.","norm":"Sie haben doch wohl einige Geschicklichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":69,"orig":"Eine große Societät läßt ſich am beſten durch ein Theater unterhalten, und der Baron würde ſie ſchon zuſtutzen.","norm":"Eine große Sozietät lässt sich am besten durch ein Theater unterhalten, und der Baron würde sie schon zustutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":70,"orig":"Unter dieſen Worten gingen ſie die Treppe hinauf, und Melina präſentirte ſich oben als Director.","norm":"Unter diesen Worten gingen sie die Treppe hinauf, und Melina präsentierte sich oben als Direktor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":71,"orig":"Ruf Er ſeine Leute zuſammen, ſagte der Graf: und ſtell Er ſie mir vor, damit ich ſehe, was an ihnen iſt.","norm":"Rufe er Seine Leute zusammen, sagte der Graf: und stelle er sie mir vor, damit ich sehe, was an ihnen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":72,"orig":"Ich will auch zugleich die Liſte von den Stükken ſehen, die ſie allenfalls aufführen könnten.","norm":"Ich will auch zugleich die Liste von den Stücken sehen, die sie allenfalls aufführen könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":73,"orig":"Melina eilte mit einem tiefen Bücklinge aus dem Zimmer, und kam bald mit den Schauſpielern zurück.","norm":"Melina eilte mit einem tiefen Bücklinge aus dem Zimmer, und kam bald mit den Schauspielern zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":74,"orig":"Sie drückten ſich vor und hinter einander, die einen präſentirten ſich ſchlecht, aus großer Begierde zu gefallen, und die andern nicht beſſer, weil ſie ſich leichtſinnig darſtellten.","norm":"Sie drückten sich vor und hintereinander, die einen präsentierten sich schlecht, aus großer Begierde zu gefallen, und die anderen nicht besser, weil sie sich leichtsinnig darstellten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":75,"orig":"Philine bezeigte der Gräfin, die außerordentlich gnädig und freundlich war, alle Ehrfurcht; der Graf muſterte indeß die übrigen.","norm":"Philine bezeigte der Gräfin, die außerordentlich gnädig und freundlich war, alle Ehrfurcht; der Graf musterte indes die übrigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":76,"orig":"Er fragte einen jeden nach ſeinem Fache, und äußerte gegen Melina: daß man ſtreng auf Fächer halten müſſe, welchen Ausſpruch dieſer in der größten Devotion aufnahm.","norm":"Er fragte einen jeden nach seinem Fache, und äußerte gegen Melina: dass man streng auf Fächer halten müsse, welchen Ausspruch dieser in der größten Devotion aufnahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":77,"orig":"Der Graf bemerkte darauf einem jeden, worauf er beſonders zu ſtudiren, was er an ſeiner Figur und Stellung zu beſſern habe, zeigte ihnen einleuchtend, woran es den Deutſchen immer fehle, und ließ ſo außerordentliche Kenntniſſe ſehen, daß alle in der größten Demuth vor ſo einem erleuchteten Kenner und erlauchten Beſchützer ſtanden, und kaum Athem zu holen ſich getrauten.","norm":"Der Graf bemerkte darauf einem jeden, worauf er besonders zu studieren, was er an seiner Figur und Stellung zu besseren habe, zeigte ihnen einleuchtend, woran es den Deutschen immer fehle, und ließ so außerordentliche Kenntnisse sehen, dass alle in der größten Demut vor so einem erleuchteten Kenner und erlauchten Beschützer standen, und kaum Atem zu holen sich getrauten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":78,"orig":"Wer iſt der Menſch dort in der Ecke?","norm":"Wer ist der Mensch dort in der Ecke?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":79,"orig":"fragte der Graf, indem er nach einem Subjecte ſah, das ihm noch nicht vorgeſtellt worden war, und eine hagre Figur nahte ſich in einem abgetragenen, auf dem Ellbogen mit Fleckchen beſetzten, Rocke; eine kümmerliche Perücke bedeckte das Haupt des demüthigen Klienten.","norm":"fragte der Graf, indem er nach einem Subjekte sah, das ihm noch nicht vorgestellt worden war, und eine hagre Figur nahte sich in einem abgetragenen, auf dem Ellbogen mit Fleckchen besetzten, Rocke; eine kümmerliche Perücke bedeckte das Haupt des demütigen Klienten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":80,"orig":"Dieſer Menſch, den wir ſchon aus dem vorigen Buche als Philinens Liebling kennen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magiſter und Poeten zu ſpielen, und meiſtens die Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge kriegen oder begoſſen werden ſollte.","norm":"Dieser Mensch, den wir schon aus dem vorigen Buche als Philines Liebling kennen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magister und Poeten zu spielen, und meistens die Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge kriegen oder begossen werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":81,"orig":"Er hatte ſich gewiſſe kriechende, lächerliche, furchtſame Bücklinge angewöhnt, und ſeine ſtockende Sprache, die zu ſeinen Rollen paßte, machte die Zuſchauer lachen, ſo daß er immer noch als ein brauchbares Glied der Geſellſchaft angeſehen wurde, beſonders da er übrigens ſehr dienſtfertig und gefällig war.","norm":"Er hatte sich gewisse kriechende, lächerliche, furchtsame Bücklinge angewöhnt, und seine stockende Sprache, die zu seinen Rollen passte, machte die Zuschauer lachen, so dass er immer noch als ein brauchbares Glied der Gesellschaft angesehen wurde, besonders da er übrigens sehr dienstfertig und gefällig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":82,"orig":"Er nahte ſich auf ſeine Weiſe dem Grafen, neigte ſich vor demſelben, und beantwortete jede Frage auf die Art, wie er ſich in ſeinen Rollen auf dem Theater zu gebährden pflegte.","norm":"Er nahte sich auf seine Weise dem Grafen, neigte sich vor demselben, und beantwortete jede Frage auf die Art, wie er sich in seinen Rollen auf dem Theater zu gebärden pflegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":83,"orig":"Der Graf ſah ihn mit gefälliger Aufmerkſamkeit und mit Überlegung eine Zeitlang an, alsdann rief er, indem er ſich zu der Gräfin wendete: mein Kind, betrachte mir dieſen Mann genau, ich hafte dafür, das iſt ein großer Schauſpieler, oder kann es werden.","norm":"Der Graf sah ihn mit gefälliger Aufmerksamkeit und mit Überlegung eine Zeitlang an, alsdann rief er, indem er sich zu der Gräfin wendete: mein Kind, betrachte mir diesen Mann genau, ich hafte dafür, das ist ein großer Schauspieler, oder kann es werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":84,"orig":"Der Menſch machte von ganzem Herzen einen albernen Bückling, ſo daß der Graf laut über ihn lachen mußte, und ausrief:","norm":"Der Mensch machte von ganzem Herzen einen albernen Bückling, so dass der Graf laut über ihn lachen musste, und ausrief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":85,"orig":"Er macht ſeine Sachen excellent, ich wette, dieſer Menſch kann ſpielen was er will, und es iſt Schade, daß man ihn bisher zu nichts beſſerm gebraucht hat.","norm":"Er macht seine Sachen exzellent, Ich wette, dieser Mensch kann spielen was er will, und es ist schade, dass man ihn bisher zu nichts Besserem gebraucht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":86,"orig":"Ein ſo außerordentlicher Vorzug war für die übrigen ſehr kränkend, nur Melina empfand nichts davon, er gab vielmehr dem Grafen vollkommen recht, und verſetzte mit ehrfurchtsvoller Mine: ach ja, es hat wohl ihm und mehreren von uns nur ein ſolcher Kenner und eine ſolche Aufmunterung gefehlt, wie wir ſie gegenwärtig an Ew. Excellenz gefunden haben.","norm":"Ein so außerordentlicher Vorzug war für die übrigen sehr kränkend, nur Melina empfand nichts davon, er gab vielmehr dem Grafen vollkommen recht, und versetzte mit ehrfurchtsvoller Mine: ach ja, es hat wohl ihm und mehreren von uns nur ein solcher Kenner und eine solche Aufmunterung gefehlt, wie wir sie gegenwärtig an Ew. Exzellenz gefunden haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":87,"orig":"Iſt das die ſämmtliche Geſellſchaft?","norm":"Ist das die sämtliche Gesellschaft?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":88,"orig":"ſagte der Graf.","norm":"sagte der Graf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":89,"orig":"Es ſind einige Glieder abweſend, verſetzte der kluge Melina, und überhaupt könnten wir, wenn wir nur Unterſtützung fänden, ſehr bald aus der Nachbarſchaft vollzählig ſeyn.","norm":"Es sind einige Glieder abwesend, versetzte der kluge Melina, und überhaupt könnten wir, wenn wir nur Unterstützung fänden, sehr bald aus der Nachbarschaft vollzählig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":90,"orig":"Indeſſen ſagte Philine zur Gräfin: es iſt noch ein recht hübſcher junger Mann oben, der ſich gewiß bald zum erſten Liebhaber qualifiziren würde.","norm":"Indessen sagte Philine zur Gräfin: Es ist noch ein recht hübscher junger Mann oben, der sich gewiss bald zum ersten Liebhaber qualifizieren würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":91,"orig":"Warum läßt er ſich nicht ſehen?","norm":"Warum lässt er sich nicht sehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":92,"orig":"verſetzte die Gräfin.","norm":"versetzte die Gräfin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":93,"orig":"Ich will ihn holen, rief Philine, und eilte zur Thüre hinaus.","norm":"Ich will ihn holen, rief Philine, und eilte zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":94,"orig":"Sie fand Wilhelmen noch mit Mignon beſchäftigt, und beredete ihn mit hinunter zu gehen.","norm":"Sie fand Wilhelm noch mit Mignon beschäftigt, und beredete ihn mit hinunterzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":95,"orig":"Er folgte ihr mit einigem Unwillen, doch trieb ihn die Neugier; denn da er von vornehmen Perſonen hörte, war er voll Verlangen, ſie näher kennen zu lernen.","norm":"Er folgte ihr mit einigem Unwillen, doch trieb ihn die Neugier; denn da er von vornehmen Personen hörte, war er voll Verlangen, sie näher kennen zu lernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":96,"orig":"Er trat ins Zimmer, und ſeine Augen begegneten ſogleich den Augen der Gräfin, die auf ihn gerichtet waren Philine zog ihn zu der Dame, indeß der Graf ſich mit den übrigen beſchäftigte.","norm":"Er trat ins Zimmer, und seine Augen begegneten sogleich den Augen der Gräfin, die auf ihn gerichtet waren Philine zog ihn zu der Dame, indes der Graf sich mit den übrigen beschäftigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":97,"orig":"Wilhelm neigte ſich, und gab auf verſchiedene Fragen, welche die reizende Dame an ihn that, nicht ohne Verwirrung Antwort.","norm":"Wilhelm neigte sich, und gab auf verschiedene Fragen, welche die reizende Dame an ihn tat, nicht ohne Verwirrung Antwort."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":98,"orig":"Ihre Schönheit, Jugend, Anmuth, Zierlichkeit und feines Betragen machten den angenehmſten Eindruck auf ihn, um ſo mehr, da ihre Reden und Gebärden mit einer gewiſſen Schamhaftigkeit, ja man dürfte ſagen, Verlegenheit, begleitet waren.","norm":"Ihre Schönheit, Jugend, Anmut, Zierlichkeit und feines Betragen machten den angenehmsten Eindruck auf ihn, um so mehr, da ihre Reden und Gebärden mit einer gewissen Schamhaftigkeit, ja man dürfte sagen, Verlegenheit, begleitet waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":99,"orig":"Auch dem Grafen ward er vorgeſtellt, der aber wenig Acht auf ihn hatte, ſondern zu ſeiner Gemahlin ans Fenſter trat, und ſie um etwas zu fragen ſchien.","norm":"Auch dem Grafen wurde er vorgestellt, der aber wenig Acht auf ihn hatte, sondern zu seiner Gemahlin ans Fenster trat, und sie um etwas zu fragen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":100,"orig":"Man konnte bemerken, daß ihre Meinung auf das lebhafteſte mit der ſeinigen übereinſtimmte, ja daß ſie ihn eifrig zu bitten und ihn in ſeiner Geſinnung zu beſtärken ſchien.","norm":"Man konnte bemerken, dass ihre Meinung auf das lebhafteste mit der seinigen übereinstimmte, ja dass sie ihn eifrig zu bitten und ihn in seiner Gesinnung zu bestärken schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":101,"orig":"Er kehrte ſich darauf bald zu der Geſellſchaft, und ſagte: ich kann mich gegenwärtig nicht aufhalten, aber ich will einen Freund zu euch ſchicken, und wenn ihr billige Bedingungen macht, und euch recht viel Mühe geben wollt, ſo bin ich nicht abgeneigt, euch auf dem Schloſſe ſpielen zu laſſen.","norm":"Er kehrte sich darauf bald zu der Gesellschaft, und sagte: Ich kann mich gegenwärtig nicht aufhalten, aber ich will einen Freund zu euch schicken, und wenn ihr billige Bedingungen macht, und euch recht viel Mühe geben wollt, so bin ich nicht abgeneigt, euch auf dem Schlosse spielen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":102,"orig":"Alle bezeigten ihre große Freude darüber, und beſonders küßte Philine mit der größten Lebhaftigkeit der Gräfin die Hände.","norm":"Alle bezeigten ihre große Freude darüber, und besonders küsste Philine mit der größten Lebhaftigkeit der Gräfin die Hände."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":103,"orig":"Sieht Sie Kleine, ſagte die Dame, indem ſie dem leichtfertigen Mädchen die Bakken klopfte: ſieht Sie, mein Kind: da kommt Sie wieder zu mir, ich will ſchon mein Verſprechen halten, Sie muß ſich nur beſſer anziehen.","norm":"Sieht Sie kleine, sagte die Dame, indem sie dem leichtfertigen Mädchen die Backen klopfte: sieht Sie, mein Kind: da kommt Sie wieder zu mir, ich will schon mein Versprechen halten, Sie muss sich nur besser anziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":104,"orig":"Philine entſchuldigte ſich, daß ſie wenig auf ihre Garderobe zu verwenden habe, und ſogleich befahl die Gräfin ihren Kammerfrauen, einen engliſchen Hut und ein ſeidnes Halstuch, die leicht auszupacken waren, herauf zu geben.","norm":"Philine entschuldigte sich, dass sie wenig auf ihre Garderobe zu verwenden habe, und sogleich befahl die Gräfin ihren Kammerfrauen, einen englischen Hut und ein seidenes Halstuch, die leicht auszupacken waren, heraufzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":105,"orig":"Nun putzte die Gräfin ſelbſt Philinen an, die fortfuhr ſich mit einer ſcheinheiligen, unſchuldigen Miene gar artig zu gebährden und zu betragen.","norm":"Nun putzte die Gräfin selbst Philine an, die fortfuhr sich mit einer scheinheiligen, unschuldigen Miene gar artig zu gebärden und zu betragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":106,"orig":"Der Graf bot ſeiner Gemahlin die Hand und führte ſie hinunter.","norm":"Der Graf bot seiner Gemahlin die Hand und führte sie hinunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":107,"orig":"Sie grüßte die ganze Geſellſchaft im Vorbeygehn freundlich, und kehrte ſich nochmals gegen Wilhelmen um, indem ſie mit der huldreichſten Miene zu ihm ſagte: wir ſehen uns bald wieder.","norm":"Sie grüßte die ganze Gesellschaft im Vorbeigehen freundlich, und kehrte sich nochmals gegen Wilhelm um, indem sie mit der huldreichsten Miene zu ihm sagte: Wir sehen uns bald wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":108,"orig":"So glückliche Ausſichten belebten die ganze Geſellſchaft; jeder ließ nunmehr ſeinen Hoffnungen, Wünſchen und Einbildungen freyen Lauf, ſprach von den Rollen, die er ſpielen, von dem Beyfall, den er erhalten wollte.","norm":"So glückliche Aussichten belebten die ganze Gesellschaft; jeder ließ nunmehr seinen Hoffnungen, Wünschen und Einbildungen freien Lauf, sprach von den Rollen, die er spielen, von dem Beifall, den er erhalten wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":109,"orig":"Melina überlegte, wie er noch geſchwind, durch einige Vorſtellungen, den Einwohnern des Städtchens etwas Geld abnehmen und zugleich die Geſellſchaft in Athem ſetzen könne, indeß andre in die Küche gingen, um ein beſſeres Mittagseſſen zu beſtellen, als man ſonſt einzunehmen gewohnt war.","norm":"Melina überlegte, wie er noch geschwind, durch einige Vorstellungen, den Einwohnern des Städtchens etwas Geld abnehmen und zugleich die Gesellschaft in Atem setzen könne, indes andere in die Küche gingen, um ein besseres Mittagsessen zu bestellen, als man sonst einzunehmen gewohnt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":110,"orig":"Nach einigen Tagen kam der Baron, und Melina empfing ihn nicht ohne Furcht.","norm":"Nach einigen Tagen kam der Baron, und Melina empfing ihn nicht ohne Furcht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":111,"orig":"Der Graf hatte ihn als einen Kenner angekündigt, und es war zu beſorgen, er werde gar bald die ſchwache Seite des kleinen Haufens entdecken, und einſehen, daß er keine formirte Truppe vor ſich habe, indem ſie kaum Ein Stück gehörig beſetzen konnten; allein ſowohl der Director als die ſämmtlichen Glieder waren bald aus aller Sorge, da ſie an dem Baron einen Mann fanden, der mit dem größten Enthuſiasmus das vaterländiſche Theater betrachtete, dem ein jeder Schauſpieler und jede Geſellſchaft willkommen und erfreulich war.","norm":"Der Graf hatte ihn als einen Kenner angekündigt, und es war zu besorgen, er werde gar bald die schwache Seite des kleinen Haufens entdecken, und einsehen, dass er keine formierte Truppe vor sich habe, indem sie kaum ein Stück gehörig besetzen konnten; allein sowohl der Direktor als die sämtlichen Glieder waren bald aus aller Sorge, da sie an dem Baron einen Mann fanden, der mit dem größten Enthusiasmus das vaterländische Theater betrachtete, dem ein jeder Schauspieler und jede Gesellschaft willkommen und erfreulich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":112,"orig":"Er begrüßte ſie alle mit Feyerlichkeit, prieß ſich glücklich eine deutſche Bühne ſo unvermuthet anzutreffen, mit ihr in Verbindung zu kommen, und die vaterländiſchen Muſen in das Schloß ſeines Verwandten einzuführen.","norm":"Er begrüßte sie alle mit Feierlichkeit, pries sich glücklich eine deutsche Bühne so unvermutet anzutreffen, mit ihr in Verbindung zu kommen, und die vaterländischen Musen in das Schloss seines Verwandten einzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":113,"orig":"Er brachte bald darauf ein Heft aus der Taſche, in welchem Melina die Puncte des Contracts zu erblikken hofte; allein es war ganz etwas anderes.","norm":"Er brachte bald darauf ein Heft aus der Tasche, in welchem Melina die Punkte des Kontraktes zu erblicken hoffte; allein es war ganz etwas anderes."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":114,"orig":"Der Baron bat ſie, ein Drama, das er ſelbſt verfertigt, und das er von ihnen geſpielt zu ſehen wünſchte, mit Aufmerkſamkeit anzuhören.","norm":"Der Baron bat sie, ein Drama, das er selbst verfertigt, und das er von ihnen gespielt zu sehen wünschte, mit Aufmerksamkeit anzuhören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":115,"orig":"Willig ſchloſſen ſie einen Kreis, und waren erfreut, mit ſo geringen Koſten ſich in der Gunſt eines ſo nothwendigen Mannes befeſtigen zu können, obgleich ein jeder nach der Dicke des Heftes übermäßig lange Zeit befürchtete.","norm":"Willig schlossen sie einen Kreis, und waren erfreut, mit so geringen Kosten sich in der Gunst eines so notwendigen Mannes befestigen zu können, obgleich ein jeder nach der Dicke des Heftes übermäßig lange Zeit befürchtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":116,"orig":"Auch war es wirklich ſo, das Stück war in fünf Akten geſchrieben, und von der Art, die gar kein Ende nimmt.","norm":"Auch war es wirklich so, das Stück war in fünf Akten geschrieben, und von der Art, die gar kein Ende nimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":117,"orig":"Der Held war ein vornehmer, tugendhafter, großmüthiger und dabey verkannter und verfolgter Mann, der aber denn doch zuletzt den Sieg über ſeine Feinde davon trug, über welche ſodann die ſtrengſte poetiſche Gerechtigkeit ausgeübt worden wäre, wenn er ihnen nicht auf der Stelle verziehen hätte.","norm":"Der Held war ein vornehmer, tugendhafter, großmütiger und dabei verkannter und verfolgter Mann, der aber denn doch zuletzt den Sieg über seine Feinde davontrug, über welche sodann die strengste poetische Gerechtigkeit ausgeübt worden wäre, wenn er ihnen nicht auf der Stelle verziehen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":118,"orig":"Indem dieſes Stück vorgetragen wurde, hatte jeder Zuhörer Raum genug an ſich ſelbſt zu denken, und ganz ſachte aus der Demuth, zu der er ſich noch vor kurzem geneigt fühlte, zu einer glücklichen Selbſtgefälligkeit empor zu ſteigen, und von da aus die anmuthigſten Ausſichten in die Zukunft zu überſchauen.","norm":"Indem dieses Stück vorgetragen wurde, hatte jeder Zuhörer Raum genug an sich selbst zu denken, und ganz sachte aus der Demut, zu der er sich noch vor kurzem geneigt fühlte, zu einer glücklichen Selbstgefälligkeit emporzusteigen, und von da aus die anmutigsten Aussichten in die Zukunft zu überschauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":119,"orig":"Diejenigen, die keine ihnen angemeſſene Rolle in dem Stück fanden, erklärten es bey ſich für ſchlecht, und hielten den Baron für einen unglücklichen Autor, dagegen die andern eine Stelle, bey der ſie beklatſcht zu werden hoften, mit dem größten Lobe zur möglichſten Zufriedenheit des Verfaſſers verfolgten.","norm":"Diejenigen, die keine ihnen angemessene Rolle in dem Stück fanden, erklärten es bei sich für schlecht, und hielten den Baron für einen unglücklichen Autor, dagegen die anderen eine Stelle, bei der sie beklatscht zu werden hofften, mit dem größten Lobe zur möglichsten Zufriedenheit des Verfassers verfolgten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":120,"orig":"Mit dem Ökonomiſchen waren ſie geſchwind fertig.","norm":"Mit dem Ökonomischen waren sie geschwind fertig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":121,"orig":"Melina wußte zu ſeinem Vortheil mit dem Baron den Contract abzuſchließen, und ihn vor den übrigen Schauſpielern geheim zu halten.","norm":"Melina wusste zu seinem Vorteil mit dem Baron den Kontrakt abzuschließen, und ihn vor den übrigen Schauspielern geheimzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":122,"orig":"Über Wilhelmen ſprach Melina den Baron im vorbeygehen, und verſicherte, daß er ſich ſehr gut zum Theaterdichter qualifizire, und zum Schauſpieler ſelbſt keine üble Anlagen habe.","norm":"Über Wilhelm sprach Melina den Baron im Vorbeigehen, und versicherte, dass er sich sehr gut zum Theaterdichter qualifiziere, und zum Schauspieler selbst keine üble Anlagen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":123,"orig":"Der Baron machte ſogleich mit ihm als einen Collegen Bekanntſchaft und Wilhelm produzirte einige kleine Stücke, die nebſt wenigen Reliquien an jenem Tage, als er den größten Theil ſeiner Arbeiten in Feuer aufgehen ließ, durch einen Zufall gerettet wurden.","norm":"Der Baron machte sogleich mit ihm als einen Kollegen Bekanntschaft und Wilhelm produzierte einige kleine Stücke, die nebst wenigen Reliquien an jenem Tage, als er den größten Teil seiner Arbeiten in Feuer aufgehen ließ, durch einen Zufall gerettet wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":124,"orig":"Der Baron lobte ſowohl die Stücke als den Vortrag, nahm als bekannt an, daß er mit hinüber auf das Schloß kommen würde, verſprach, bey ſeinem Abſchiede, allen die beſte Aufnahme, bequeme Wohnung, gutes Eſſen, Beyfall und Geſchenke, und Melina ſetzte noch die Verſicherung eines beſtimmten Taſchengeldes hinzu.","norm":"Der Baron lobte sowohl die Stücke als den Vortrag, nahm als bekannt an, dass er mit hinüber auf das Schloss kommen würde, versprach, bei seinem Abschiede, allen die beste Aufnahme, bequeme Wohnung, gutes Essen, Beifall und Geschenke, und Melina setzte noch die Versicherung eines bestimmten Taschengeldes hinzu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":125,"orig":"Man kann denken, in welche gute Stimmung durch dieſen Beſuch die Geſellſchaft geſetzt war, indem ſie ſtatt eines ängſtlichen und niedrigen Zuſtandes auf einmal Ehre und Behagen vor ſich ſah.","norm":"Man kann denken, in welche gute Stimmung durch diesen Besuche die Gesellschaft gesetzt war, indem sie statt eines ängstlichen und niedrigen Zustandes auf einmal Ehre und Behagen vor sich sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":126,"orig":"Sie machten ſich ſchon zum voraus auf jene Rechnung luſtig, und jedes hielt vor unſchicklich, nur noch irgend einen Groſchen Geld in der Taſche zu behalten.","norm":"Sie machten sich schon zum voraus auf jene Rechnung lustig, und jedes hielt vor unschicklich, nur noch irgendeinen Groschen Geld in der Tasche zu behalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":127,"orig":"Wilhelm ging indeſſen mit ſich zu Rathe, ob er die Geſellſchaft auf das Schloß begleiten ſolle?","norm":"Wilhelm ging indessen mit sich zu Rate, ob er die Gesellschaft auf das Schloss begleiten solle?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":128,"orig":"und fand in mehr als einem Sinne räthlich dahin zu gehen.","norm":"und fand in mehr als einem Sinne rätlich dahin zu gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":129,"orig":"Melina hofte bey dieſem vortheilhaften Engagement ſeine Schuld wenigſtens zum Theil abtragen zu können, und unſer Freund, der auf Menſchenkenntniß ausging, wollte die Gelegenheit nicht verſäumen, die große Welt näher kennen zu lernen, in der er viele Aufſchlüſſe über das Leben, über ſich ſelbſt und die Kunſt zu erlangen hofte.","norm":"Melina hoffte bei diesem vorteilhaften Engagement seine Schuld wenigstens zum Teil abtragen zu können, und unser Freund, der auf Menschenkenntnis ausging, wollte die Gelegenheit nicht versäumen, die große Welt näher kennen zu lernen, in der er viele Aufschlüsse über das Leben, über sich selbst und die Kunst zu erlangen hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":130,"orig":"Dabey durfte er ſich nicht geſtehen, wie ſehr er wünſche, der ſchönen Gräfin wieder näher zu kommen.","norm":"Dabei durfte er sich nicht gestehen, wie sehr er wünsche, der schönen Gräfin wieder näherzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":131,"orig":"Er ſuchte ſich vielmehr im Allgemeinen zu überzeugen, welchen großen Vortheil ihm die nähere Kenntniß der vornehmen und reichen Welt bringen würde.","norm":"Er suchte sich vielmehr im Allgemeinen zu überzeugen, welchen großen Vorteil ihm die nähere Kenntnis der vornehmen und reichen Welt bringen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":132,"orig":"Er machte ſeine Betrachtungen über den Grafen, die Gräfin, den Baron, über die Sicherheit, Bequemlichkeit und Anmuth ihres Betragens, und rief, als er allein war, mit Entzücken aus:","norm":"Er machte seine Betrachtungen über den Grafen, die Gräfin, den Baron, über die Sicherheit, Bequemlichkeit und Anmut ihres Betragens, und rief, als er allein war, mit Entzücken aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":133,"orig":"Dreymal glücklich ſind diejenigen zu preiſen, die ihre Geburt ſogleich über die untern Stufen der Menſchheit hinaus hebt; die durch jene Verhältniſſe, in welchen ſich manche gute Menſchen die ganze Zeit ihres Lebens abängſtigen, nicht durchzugehen, auch nicht einmal darin als Gäſte zu verweilen brauchen.","norm":"Dreimal glücklich sind diejenigen zu preisen, die ihre Geburt sogleich über die unteren Stufen der Menschheit hinaushebt; die durch jene Verhältnisse, in welchen sich manche gute Menschen die ganze Zeit ihres Lebens abängstigen, nicht durchzugehen, auch nicht einmal darin als Gäste zu verweilen brauchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":134,"orig":"Allgemein und richtig muß ihr Blick auf dem höheren Standpunkte werden, leicht ein jeder Schritt ihres Lebens!","norm":"Allgemein und richtig muss ihr Blick auf dem höheren Standpunkte werden, leicht ein jeder Schritt ihres Lebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":135,"orig":"Sie ſind von Geburt an gleichſam in ein Schiff geſetzt, um bey der Überfahrt, die wir alle machen müſſen, ſich des günſtigen Windes zu bedienen, und den widrigen abzuwarten, anſtatt daß andere nur für ihre Perſon ſchwimmend ſich abarbeiten, vom günſtigen Winde wenig Vortheil genießen, und im Sturme mit bald erſchöpften Kräften untergehen.","norm":"Sie sind von Geburt an gleichsam in ein Schiff gesetzt, um bei der Überfahrt, die wir alle machen müssen, sich des günstigen Windes zu bedienen, und den widrigen abzuwarten, anstatt dass andere nur für ihre Person schwimmend sich abarbeiten, vom günstigen Winde wenig Vorteil genießen, und im Sturme mit bald erschöpften Kräften untergehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":136,"orig":"Welche Bequemlichkeit, welche Leichtigkeit giebt ein angebohrnes Vermögen!","norm":"Welche Bequemlichkeit, welche Leichtigkeit gibt ein angeborenes Vermögen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":137,"orig":"und wie ſicher blühet ein Handel, der auf ein gutes Kapital gegründet iſt, ſo daß nicht jeder mißlungene Verſuch ſogleich in Unthätigkeit verſetzt!","norm":"und wie sicher blühet ein Handel, der auf ein gutes Kapital gegründet ist, so dass nicht jeder misslungene Versuch sogleich in Untätigkeit versetzt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":138,"orig":"Wer kann den Werth und Unwerth irrdiſcher Dinge beſſer kennen, als der ſie zu genießen von Jugend auf im Falle war, und wer kann ſeinen Geiſt früher auf das Nothwendige, das Nützliche, das Wahre leiten, als der ſich von ſo vielen Irrthümern in einem Alter überzeugen muß, wo es ihm noch an Kräften nicht gebricht, ein neues Leben anzufangen.","norm":"Wer kann den Wert und Unwert irdischer Dinge besser kennen, als der sie zu genießen von Jugend auf im Falle war, und wer kann seinen Geist früher auf das Notwendige, das Nützliche, das Wahre leiten, als der sich von so vielen Irrtümern in einem Alter überzeugen muss, wo es ihm noch an Kräften nicht gebricht, ein neues Leben anzufangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":139,"orig":"So rief unſer Freund allen denenjenigen Glück zu, die ſich in den höheren Regionen befinden; aber auch denen, die ſich einem ſolchen Kreiſe nähern, aus dieſen Quellen ſchöpfen können, und pries ſeinen Genius, der Anſtalt machte, auch ihn dieſe Stufen hinan zu führen.","norm":"So rief unser Freund allen denjenigen Glück zu, die sich in den höheren Regionen befinden; aber auch denen, die sich einem solchen Kreise nähern, aus diesen Quellen schöpfen können, und pries seinen Genius, der Anstalt machte, auch ihn diese Stufen hinanzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":140,"orig":"Indeſſen mußte Melina, nachdem er lange ſich den Kopf zerbrochen, wie er nach dem Verlangen des Grafen und nach ſeiner eigenen Überzeugung die Geſellſchaft in Fächer eintheilen und einem jeden ſeine beſtimmte Mitwirkung übertragen wollte, zuletzt, da es an die Ausführung kam, ſehr zufrieden ſeyn, wenn er bey einem ſo geringen Perſonal die Schauſpieler willig fand, ſich nach Möglichkeit in dieſe oder jene Rollen zu ſchicken.","norm":"Indessen musste Melina, nachdem er lange sich den Kopf zerbrochen, wie er nach dem Verlangen des Grafen und nach seiner eigenen Überzeugung die Gesellschaft in Fächer einteilen und einem jeden seine bestimmte Mitwirkung übertragen wollte, zuletzt, da es an die Ausführung kam, sehr zufrieden sein, wenn er bei einem so geringen Personal die Schauspieler willig fand, sich nach Möglichkeit in diese oder jene Rollen zu schicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":141,"orig":"Doch übernahm gewöhnlich Laertes die Liebhaber, Philine die Kammermädchen, die beiden jungen Frauenzimmer theilten ſich in die naiven und zärtlichen Liebhaberinnen, der alte Polterer ward am beſten geſpielt, Melina ſelbſt glaubte als Chevalier auftreten zu dürfen, Madam Melina mußte, zu ihrem größten Verdruß, in das Fach der jungen Frauen, ja ſogar der zärtlichen Mütter übergehen, und weil in den neuern Stükken nicht leicht mehr ein Pedant oder Poet, wenn er auch vorkommen ſollte, lächerlich gemacht wird; ſo mußte der bekannte Günſtling des Grafen nunmehr die Präſidenten und Miniſter ſpielen, weil dieſe gewöhnlich als Böſewichter vorgeſtellt und im fünften Akte übel behandelt werden.","norm":"Doch übernahm gewöhnlich Laertes die Liebhaber, Philine die Kammermädchen, die beiden jungen Frauenzimmer teilten sich in die naiven und zärtlichen Liebhaberinnen, der alte Polterer wurde am besten gespielt, Melina selbst glaubte als Chevalier auftreten zu dürfen, Madame Melina musste, zu ihrem größten Verdruss, in das Fach der jungen Frauen, ja sogar der zärtlichen Mütter übergehen, und weil in den neueren Stücken nicht leicht mehr ein Pedant oder Poet, wenn er auch vorkommen sollte, lächerlich gemacht wird; so musste der bekannte Günstling des Grafen nunmehr die Präsidenten und Minister spielen, weil diese gewöhnlich als Bösewichter vorgestellt und im fünften Akte übel behandelt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":142,"orig":"Eben ſo ſteckte Melina mit Vergnügen, als Kammerjunker oder Kammerherr, die Grobheiten ein, welche ihm von biedern deutſchen Männern hergebrachter Maßen in mehreren beliebten Stükken aufgedrungen wurden, weil er ſich doch bey dieſer Gelegenheit artig herausputzen konnte, und das Air eines Hofmannes, das er vollkommen zu beſitzen glaubte, anzunehmen die Erlaubniß hatte.","norm":"Ebenso steckte Melina mit Vergnügen, als Kammerjunker oder Kammerherr, die Grobheiten ein, welche ihm von biederen deutschen Männern hergebrachtermaßen in mehreren beliebten Stücken aufgedrungen wurden, weil er sich doch bei dieser Gelegenheit artig herausputzen konnte, und das Air eines Hofmannes, das er vollkommen zu besitzen glaubte, anzunehmen die Erlaubnis hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":143,"orig":"Es dauerte nicht lange, ſo kamen von verſchiedenen Gegenden mehrere Schauſpieler herbeygefloſſen, welche ohne ſonderliche Prüfung angenommen, aber auch ohne ſonderliche Bedingungen feſtgehalten wurden.","norm":"Es dauerte nicht lange, so kamen von verschiedenen Gegenden mehrere Schauspieler herbeigeflossen, welche ohne sonderliche Prüfung angenommen, aber auch ohne sonderliche Bedingungen festgehalten wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":144,"orig":"Wilhelm, den Melina vergebens einigemal zu einer Liebhaberrolle zu bereden ſuchte, nahm ſich der Sache mit vielem guten Willen an, ohne daß unſer neuer Director ſeine Bemühungen im mindeſten anerkannte, vielmehr glaubte dieſer mit ſeiner Würde auch alle nöthige Einſicht überkommen zu haben; beſonders war das Streichen eine ſeiner angenehmſten Beſchäftigungen, wodurch er ein jedes Stück auf das gehörige Zeitmaaß herunter zu ſetzen wußte, ohne irgend eine andere Rückſicht zu nehmen.","norm":"Wilhelm, den Melina vergebens einige Mal zu einer Liebhaberrolle zu bereden suchte, nahm sich der Sache mit vielem guten Willen an, ohne dass unser neuer Direktor seine Bemühungen im mindesten anerkannte, vielmehr glaubte dieser mit seiner Würde auch alle nötige Einsicht überkommen zu haben; besonders war das Streichen eine seiner angenehmsten Beschäftigungen, wodurch er ein jedes Stück auf das gehörige Zeitmaß herunterzusetzen wusste, ohne irgendeine andere Rücksicht zu nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":145,"orig":"Er hatte viel Zuſpruch, das Publikum war ſehr zufrieden, und die geſchmackvollſten Einwohner des Städtchens behaupteten, daß das Theater in der Reſidenz keinesweges ſo gut als das ihre beſtellt ſey.","norm":"Er hatte viel Zuspruch, das Publikum war sehr zufrieden, und die geschmackvollsten Einwohner des Städtchens behaupteten, dass das Theater in der Residenz keineswegs so gut als das ihre bestellt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":146,"orig":"Endlich kam die Zeit herbey, da man ſich zur Überfahrt ſchicken, die Kutſchen und Wagen erwarten ſollte, die unſere ganze Truppe nach dem Schloſſe des Grafen hinüber zu führen beſtellt waren.","norm":"Endlich kam die Zeit herbei, da man sich zur Überfahrt schicken, die Kutschen und Wagen erwarten sollte, die unsere ganze Truppe nach dem Schlosse des Grafen hinüberzuführen bestellt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":147,"orig":"Schon zum voraus fielen große Streitigkeiten vor, wer mit dem andern fahren?","norm":"Schon zum voraus fielen große Streitigkeiten vor, wer mit dem anderen fahren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":148,"orig":"wie man ſitzen ſollte?","norm":"wie man sitzen sollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":149,"orig":"Die Ordnung und Eintheilung ward endlich nur mit Mühe ausgemacht und feſtgeſetzt, doch leider ohne Wirkung.","norm":"Die Ordnung und Einteilung wurde endlich nur mit Mühe ausgemacht und festgesetzt, doch leider ohne Wirkung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":150,"orig":"Zur beſtimmten Stunde kamen weniger Wagen als man erwartet hatte, und man mußte ſich einrichten.","norm":"Zur bestimmten Stunde kamen weniger Wagen als man erwartet hatte, und man musste sich einrichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":151,"orig":"Der Baron, der zu Pferde nicht lange hinterdrein folgte, gab zur Urſache an: daß im Schloſſe alles in großer Bewegung ſey, weil nicht allein der Fürſt einige Tage früher eintreffen werde, als man geglaubt, ſondern weil auch unerwarteter Beſuch ſchon gegenwärtig angelangt ſey; der Platz gehe ſehr zuſammen, ſie würden auch deswegen nicht ſo gut logiren, als man es ihnen vorher beſtimmt habe, welches ihm außerordentlich leid thue.","norm":"Der Baron, der zu Pferde nicht lange hinterdrein folgte, gab zur Ursache an: dass im Schlosse alles in großer Bewegung sei, weil nicht allein der Fürst einige Tage früher eintreffen werde, als man geglaubt, sondern weil auch unerwarteter Besuche schon gegenwärtig angelangt sei; der Platz gehe sehr zusammen, sie würden auch deswegen nicht so gut logieren, als man es ihnen vorher bestimmt habe, welches ihm außerordentlich leid tue."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":152,"orig":"Man theilte ſich in die Wagen, ſo gut es gehen wollte, und da leidlich Wetter und das Schloß nur einige Stunden entfernt war, machten ſich die Luſtigſten lieber zu Fuße auf den Weg, als daß ſie die Rückkehr der Kutſchen hätten abwarten ſollen.","norm":"Man teilte sich in die Wagen, so gut es gehen wollte, und da leidlich Wetter und das Schloss nur einige Stunden entfernt war, machten sich die Lustigsten lieber zu Fuße auf den Weg, als dass sie die Rückkehr der Kutschen hätten abwarten sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":153,"orig":"Die Caravane zog mit Freudengeſchrey aus, zum erſtenmal ohne Sorgen, wie der Wirth zu bezahlen ſey.","norm":"Die Karawane zog mit Freudengeschrei aus, zum ersten Mal ohne Sorgen, wie der Wirt zu bezahlen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":154,"orig":"Das Schloß des Grafen ſtand ihnen wie ein Feengebäude vor der Seele, ſie waren die glücklichſten und fröhlichſten Menſchen von der Welt, und jeder knüpfte unterweges an dieſen Tag, nach ſeiner Art zu denken, eine Reihe von Glück, Ehre und Wohlſtand.","norm":"Das Schloss des Grafen stand ihnen wie ein Feengebäude vor der Seele, sie waren die glücklichsten und fröhlichsten Menschen von der Welt, und jeder knüpfte unterwegs an diesen Tag, nach seiner Art zu denken, eine Reihe von Glück, Ehre und Wohlstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":155,"orig":"Ein ſtarker Regen, der unerwartet einfiel, konnte ſie nicht aus dieſen angenehmen Empfindungen reiſſen; da er aber immer anhaltender und ſtärker wurde, ſpürten viele von ihnen eine ziemliche Unbequemlichkeit.","norm":"Ein starker Regen, der unerwartet einfiel, konnte sie nicht aus diesen angenehmen Empfindungen reißen; da er aber immer anhaltender und stärker wurde, spürten viele von ihnen eine ziemliche Unbequemlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":156,"orig":"Die Nacht kam herbey, und erwünſchter konnte ihnen nichts erſcheinen, als der durch alle Stockwerke erleuchtete Pallaſt des Grafen, der ihnen von einem Hügel entgegen glänzte, ſo daß ſie die Fenſter zählen konnten.","norm":"Die Nacht kam herbei, und erwünschter konnte ihnen nichts erscheinen, als der durch alle Stockwerke erleuchtete Palast des Grafen, der ihnen von einem Hügel entgegenglänzte, so dass sie die Fenster zählen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":157,"orig":"Als ſie näher heran kamen, fanden ſie auch alle Fenſter der Seitengebäude erhellet.","norm":"Als sie näher herankamen, fanden sie auch alle Fenster der Seitengebäude erhellet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":158,"orig":"Ein jeder dachte bey ſich, welches wohl ſein Zimmer werden möchte?","norm":"Ein jeder dachte bei sich, welches wohl sein Zimmer werden möchte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":159,"orig":"und die meiſten begnügten ſich beſcheiden mit einer Stube im Manſarde oder in den Flügeln.","norm":"und die meisten begnügten sich bescheiden mit einer Stube im Mansarde oder in den Flügeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":160,"orig":"Nun fuhren ſie durch das Dorf und am Wirthshauſe vorbey.","norm":"Nun fuhren sie durch das Dorf und am Wirtshause vorbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":161,"orig":"Wilhelm ließ halten, um dort abzuſteigen; allein der Wirth verſicherte, daß er ihm nicht den geringſten Raum anweiſen könne.","norm":"Wilhelm ließ halten, um dort abzusteigen; allein der Wirt versicherte, dass er ihm nicht den geringsten Raum anweisen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":162,"orig":"Der Herr Graf habe, weil unvermuthete Gäſte angekommen, ſogleich das ganze Wirthshaus beſprochen, an allen Zimmern ſtehe ſchon ſeit geſtern mit Kreide deutlich angeſchrieben, wer darinne wohnen ſolle.","norm":"Der Herr Graf habe, weil unvermutete Gäste angekommen, sogleich das ganze Wirtshaus besprochen, an allen Zimmern stehe schon seit gestern mit Kreide deutlich angeschrieben, wer darin wohnen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":163,"orig":"Wider ſeinen Willen mußte alſo unſer Freund mit der übrigen Geſellſchaft zum Schloßhofe hineinfahren.","norm":"Wider seinen Willen musste also unser Freund mit der übrigen Gesellschaft zum Schlosshofe hineinfahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":164,"orig":"Um die Küchenfeuer in einem Seitengebäude ſahen ſie geſchäftige Köche ſich hin und her bewegen, und waren durch dieſen Anblick ſchon erquickt; eilig kamen Bediente mit Lichtern auf die Treppe des Hauptgebäudes geſprungen, und das Herz der guten Wanderer quoll über dieſen Ausſichten auf.","norm":"Um die Küchenfeuer in einem Seitengebäude sahen sie geschäftige Köche sich hin und her bewegen, und waren durch diesen Anblick schon erquickt; eilig kamen Bediente mit Lichtern auf die Treppe des Hauptgebäudes gesprungen, und das Herz der guten Wanderer quoll über diesen Aussichten auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":165,"orig":"Wie ſehr verwunderten ſie ſich dagegen, als ſich dieſer Empfang in ein entſetzliches Fluchen auflöste.","norm":"Wie sehr verwunderten sie sich dagegen, als sich dieser Empfang in ein entsetzliches Fluchen auflöste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":166,"orig":"Die Bedienten ſchimpften auf die Fuhrleute, daß ſie hier herein gefahren ſeyen; ſie ſollten umwenden, rief man, und wieder hinaus nach dem alten Schloſſe zu, hier ſey kein Raum für dieſe Gäſte!","norm":"Die Bedienten schimpften auf die Fuhrleute, dass sie hier hereingefahren seien; sie sollten umwenden, rief man, und wieder hinaus nach dem alten Schlosse zu, hier sei kein Raum für diese Gäste!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":167,"orig":"Einem ſo unfreundlichen und unerwarteten Beſcheide fügten ſie noch allerley Spöttereyen hinzu, und lachten ſich unter einander aus, daß ſie durch dieſen Irrthum in den Regen geſprengt worden.","norm":"Einem so unfreundlichen und unerwarteten Bescheide fügten sie noch allerlei Spöttereien hinzu, und lachten sich untereinander aus, dass sie durch diesen Irrtum in den Regen gesprengt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":168,"orig":"Es goß noch immer, keine Sterne ſtanden am Himmel, und nun wurde die Geſellſchaft durch einen holprichten Weg zwiſchen zwey Mauern in das alte hintere Schloß gezogen, welches unbewohnt da ſtand, ſeit der Vater des Grafen das vordere gebaut hatte.","norm":"Es goss noch immer, keine Sterne standen am Himmel, und nun wurde die Gesellschaft durch einen holprigen Weg zwischen zwei Mauern in das alte hintere Schloss gezogen, welches unbewohnt dastand, seit der Vater des Grafen das vordere gebaut hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":169,"orig":"Theils im Hofe, theils unter einem langen gewölbten Thorwege hielten die Wagen ſtill, und die Fuhrleute, Anſpänner aus dem Dorfe, ſpannten aus und ritten ihrer Wege.","norm":"Teils im Hofe, teils unter einem langen gewölbten Torwege hielten die Wagen still, und die Fuhrleute, Anspanner aus dem Dorfe, spannten aus und ritten ihrer Wege."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":170,"orig":"Da niemand zum Empfange der Geſellſchaft ſich zeigte, ſtiegen ſie aus, riefen, ſuchten; vergebens!","norm":"Da niemand zum Empfange der Gesellschaft sich zeigte, stiegen sie aus, riefen, suchten; vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":171,"orig":"Alles blieb finſter und ſtille.","norm":"Alles blieb finster und stille."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":172,"orig":"Der Wind blies durch das hohe Thor, und grauerlich waren die alten Thürme und Höfe, wovon ſie kaum die Geſtalten in der Finſterniß unterſchieden.","norm":"Der Wind blies durch das hohe Tor, und grauerlich waren die alten Türme und Höfe, wovon sie kaum die Gestalten in der Finsternis unterschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":173,"orig":"Sie froren und ſchauerten, die Frauen fürchteten ſich, die Kinder fingen an zu weinen, ihre Ungeduld vermehrte ſich mit jedem Augenblicke, und ein ſo ſchneller Glückswechſel, auf den niemand vorbereitet war, brachte ſie alle ganz und gar aus der Faſſung.","norm":"Sie froren und schauerten, die Frauen fürchteten sich, die Kinder fingen an zu weinen, ihre Ungeduld vermehrte sich mit jedem Augenblicke, und ein so schneller Glückswechsel, auf den niemand vorbereitet war, brachte sie alle ganz und gar aus der Fassung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":174,"orig":"Da ſie jeden Augenblick erwarteten, daß jemand kommen und ihnen aufſchließen werde, da bald Regen bald Sturm ſie täuſchte, und ſie mehr als einmal den Tritt des erwünſchten Schloßvoigts zu hören glaubten, blieben ſie eine lange Zeit unmuthig und unthätig, es fiel keinem ein, in das neue Schloß zu gehen, und dort mitleidige Seelen um Hülfe anzurufen.","norm":"Da sie jeden Augenblick erwarteten, dass jemand kommen und ihnen aufschließen werde, da bald Regen bald Sturm sie täuschte, und sie mehr als einmal den Tritt des erwünschten Schlossvogts zu hören glaubten, blieben sie eine lange Zeit unmutig und untätig, es fiel keinem ein, in das neue Schloss zu gehen, und dort mitleidige Seelen um Hilfe anzurufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":175,"orig":"Sie konnten nicht begreifen, wo ihr Freund, der Baron, geblieben ſey, und waren in einer höchſtbeſchwerlichen Lage.","norm":"Sie konnten nicht begreifen, wo ihr Freund, der Baron, geblieben sei, und waren in einer höchst beschwerlichen Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":176,"orig":"Endlich kamen wirklich Menſchen an, und man erkannte an ihren Stimmen jene Fußgänger, die auf dem Wege hinter den Fahrenden zurück geblieben waren.","norm":"Endlich kamen wirklich Menschen an, und man erkannte an ihren Stimmen jene Fußgänger, die auf dem Wege hinter den Fahrenden zurückgeblieben waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":177,"orig":"Sie erzählten, daß der Baron mit dem Pferde geſtürzt ſey, ſich am Fuße ſtark beſchädigt habe, und daß man auch ſie, da ſie im Schloſſe nachgefragt, mit Ungeſtüm hieher gewieſen habe.","norm":"Sie erzählten, dass der Baron mit dem Pferde gestürzt sei, sich am Fuße stark beschädigt habe, und dass man auch sie, da sie im Schlosse nachgefragt, mit Ungestüm hierher gewiesen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":178,"orig":"Die ganze Geſellſchaft war in der größten Verlegenheit, man rathſchlagte, was man thun ſollte, und konnte keinen Entſchluß faſſen.","norm":"Die ganze Gesellschaft war in der größten Verlegenheit, man ratschlagte, was man tun sollte, und konnte keinen Entschluss fassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":179,"orig":"Endlich ſah man von weitem eine Laterne kommen, und holte friſchen Athem; allein die Hofnung einer baldigen Erlöſung verſchwand auch wieder, indem die Erſcheinung näher kam und deutlich ward.","norm":"Endlich sah man von weitem eine Laterne kommen, und holte frischen Atem; allein die Hoffnung einer baldigen Erlösung verschwand auch wieder, indem die Erscheinung näher kam und deutlich wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":180,"orig":"Ein Reitknecht leuchtete dem bekannten Stallmeiſter des Grafen vor, und dieſer erkundigte ſich, als er näher kam, ſehr eifrig nach Mademoiſelle Philinen.","norm":"Ein Reitknecht leuchtete dem bekannten Stallmeister des Grafen vor, und dieser erkundigte sich, als er näher kam, sehr eifrig nach Mademoiselle Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":181,"orig":"Sie war kaum aus dem übrigen Haufen hervorgetreten, als er ihr ſehr dringend anbot, ſie in das neue Schloß zu führen, wo ein Plätzchen für ſie bey den Kammerjungfern der Gräfin bereitet ſey.","norm":"Sie war kaum aus dem übrigen Haufen hervorgetreten, als er ihr sehr dringend anbot, sie in das neue Schloss zu führen, wo ein Plätzchen für sie bei den Kammerjungfern der Gräfin bereitet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":182,"orig":"Sie beſann ſich nicht lange das Anerbieten dankbar zu ergreifen, faßte ihn bey dem Arme und wollte, da ſie den andern ihren Koffer empfohlen, mit ihm forteilen; allein man trat ihnen in den Weg, fragte, bat, beſchwor den Stallmeiſter, daß er endlich, um nur mit ſeiner Schönen los zu kommen, alles verſprach, und verſicherte: in kurzem ſolle das Schloß eröffnet und ſie auf das Beſte einquartiert werden.","norm":"Sie besann sich nicht lange das Anerbieten dankbar zu ergreifen, fasste ihn bei dem Arme und wollte, da sie den anderen ihren Koffer empfohlen, mit ihm forteilen; allein man trat ihnen in den Weg, fragte, bat, beschwor den Stallmeister, dass er endlich, um nur mit seiner Schönen loszukommen, alles versprach, und versicherte: in kurzem solle das Schloss eröffnet und sie auf das Beste einquartiert werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":183,"orig":"Bald darauf ſahen ſie den Schein ſeiner Laterne verſchwinden, und hoften lange vergebens auf das neue Licht, das ihnen endlich nach vielen Worten, Schelten und Schmähen erſchien, und ſie mit einigem Troſte und Hofnung belebte.","norm":"Bald darauf sahen sie den Schein seiner Laterne verschwinden, und hofften lange vergebens auf das neue Licht, das ihnen endlich nach vielen Worten, Schelten und Schmähen erschien, und sie mit einigem Troste und Hoffnung belebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":184,"orig":"Ein alter Hausknecht eröfnete die Thüre des alten Gebäudes, in das ſie mit Gewalt eindrangen.","norm":"Ein alter Hausknecht eröffnete die Türe des alten Gebäudes, in das sie mit Gewalt eindrangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":185,"orig":"Ein jeder ſorgte nun für ſeine Sachen, ſie abzupacken, ſie hereinzuſchaffen.","norm":"Ein jeder sorgte nun für seine Sachen, sie abzupacken, sie hereinzuschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":186,"orig":"Das meiſte war, wie die Perſonen ſelbſt, tüchtig durchweicht.","norm":"Das meiste war, wie die Personen selbst, tüchtig durchweicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":187,"orig":"Bey dem Einen Lichte ging alles ſehr langſam.","norm":"Bei dem Einen Lichte ging alles sehr langsam."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":188,"orig":"Im Gebäude ſtieß man ſich, ſtolperte, fiel.","norm":"Im Gebäude stieß man sich, stolperte, fiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":189,"orig":"Man bat um mehr Lichter, man bat um Feuerung.","norm":"Man bat um mehr Lichter, man bat um Feuerung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":190,"orig":"Der einſylbige Hausknecht ließ mit genauer Noth ſeine Laterne da, ging, und kam nicht wieder.","norm":"Der einsilbige Hausknecht ließ mit genauer Not seine Laterne da, ging, und kam nicht wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":191,"orig":"Nun fing man an das Haus zu durchſuchen, die Thüren aller Zimmer waren offen, große Öfen, gewirkte Tapeten, eingelegte Fußböden waren von ſeiner vorigen Pracht noch übrig; von anderm Hausgeräthe aber nichts zu finden, kein Tiſch, kein Stuhl, kein Spiegel, kaum einige ungeheuere leere Bettſtellen, alles Schmuckes und alles Nothwendigen beraubt.","norm":"Nun fing man an das Haus zu durchsuchen, die Türen aller Zimmer waren offen, große Öfen, gewirkte Tapeten, eingelegte Fußböden waren von seiner vorigen Pracht noch übrig; von anderem Hausgeräte aber nichts zu finden, kein Tisch, kein Stuhl, kein Spiegel, kaum einige ungeheure leere Bettstellen, alles Schmuckes und alles Notwendigen beraubt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":192,"orig":"Die naſſen Koffer und Mantelſäcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Theil der müden Wanderer bequemten ſich auf dem Fußboden, Wilhelm hatte ſich auf einige Stufen geſetzt, Mignon lag auf ſeinen Knieen; das Kind war unruhig, und auf ſeine Frage was ihm fehlte?","norm":"Die nassen Koffer und Mantelsäcke wurden zu Sitzen gewählt, ein Teil der müden Wanderer bequemten sich auf dem Fußboden, Wilhelm hatte sich auf einige Stufen gesetzt, Mignon lag auf seinen Knien; das Kind war unruhig, und auf seine Frage was ihm fehlte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":193,"orig":"antwortete es: mich hungert!","norm":"antwortete es: Mich hungert!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":194,"orig":"Er fand nichts bey ſich, um das Verlangen des Kindes zu ſtillen, die übrige Geſellſchaft hatte ſich auch aufgezehrt, und er mußte die arme Kreatur ohne Erquickung laſſen.","norm":"Er fand nichts bei sich, um das Verlangen des Kindes zu stillen, die übrige Gesellschaft hatte sich auch aufgezehrt, und er musste die arme Kreatur ohne Erquickung lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":195,"orig":"Er blieb bey dem ganzen Vorfalle unthätig, ſtill in ſich gekehrt: denn er war ſehr verdrießlich und grimmig, daß er nicht auf ſeinem Sinne beſtanden und bey dem Wirthshauſe abgeſtiegen ſey; wenn er auch auf dem oberſten Boden hätte ſein Lager nehmen ſollen.","norm":"Er blieb bei dem ganzen Vorfall untätig, still in sich gekehrt: denn er war sehr verdrießlich und grimmig, dass er nicht auf seinem Sinne bestanden und bei dem Wirtshause abgestiegen sei; wenn er auch auf dem obersten Boden hätte sein Lager nehmen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":196,"orig":"Die übrigen gebährdeten ſich jeder nach ſeiner Art. Einige hatten einen Haufen altes Gehölz in einen ungeheuren Kamin des Saals geſchaft und zündeten, mit großem Jauchzen, den Scheiterhaufen an.","norm":"Die übrigen gebärdeten sich jeder nach seiner Art. Einige hatten einen Haufen altes Gehölz in einen ungeheuren Kamin des Saals geschafft und zündeten, mit großem Jauchzen, den Scheiterhaufen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":197,"orig":"Unglücklicherweiſe ward auch dieſe Hoffnung ſich zu trocknen und zu wärmen auf das ſchrecklichſte getäuſcht, denn dieſer Kamin ſtand nur zur Zierde da, und war von oben herein vermauert, der Dampf trat ſchnell zurück und erfüllte auf einmal die Zimmer; das dürre Holz ſchlug raſſelnd in Flammen auf, und auch die Flamme ward herausgetrieben, der Zug, der durch die zerbrochenen Fenſterſcheiben drang, gab ihr eine unſtäte Richtung, man fürchtete das Schloß anzuzünden, mußte das Feuer auseinander ziehen, austreten, dämpfen, der Rauch vermehrte ſich, der Zuſtand wurde unerträglicher, man kam der Verzweiflung nahe.","norm":"Unglücklicherweise wurde auch diese Hoffnung sich zu trocknen und zu wärmen auf das schrecklichste getäuscht, denn dieser Kamin stand nur zur Zierde da, und war von oben herein vermauert, der Dampf trat schnell zurück und erfüllte auf einmal die Zimmer; das dürre Holz schlug rasselnd in Flammen auf, und auch die Flamme wurde herausgetrieben, der Zug, der durch die zerbrochenen Fensterscheiben drang, gab ihr eine unstete Richtung, man fürchtete das Schloss anzuzünden, musste das Feuer auseinander ziehen, austreten, dämpfen, der Rauch vermehrte sich, der Zustand wurde unerträglicher, man kam der Verzweiflung nahe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":198,"orig":"Wilhelm war vor dem Rauch in ein entferntes Zimmer gewichen, wohin ihm bald Mignon folgte und einen wohlgekleideten Bedienten, der eine hohe hellbrennende, doppelt erleuchtete Laterne trug, hereinführte; dieſer wendete ſich an Wilhelmen, und indem er ihm auf einem ſchönen porzelanenen Teller Konfekt und Früchte überreichte, ſagte er: dieß ſchickt Ihnen das junge Frauenzimmer von drüben, mit der Bitte, zur Geſellſchaft zu kommen, ſie läßt ſagen, ſetzte der Bediente mit einer leichtfertigen Mine hinzu: es gehe ihr ſehr wohl, und ſie wünſche ihre Zufriedenheit mit ihren Freunden zu theilen.","norm":"Wilhelm war vor dem Rauch in ein entferntes Zimmer gewichen, wohin ihm bald Mignon folgte und einen wohl gekleideten Bedienten, der eine hohe hellbrennende, doppelt erleuchtete Laterne trug, hereinführte; dieser wendete sich an Wilhelm, und indem er ihm auf einem schönen porzellanenen Teller Konfekt und Früchte überreichte, sagte er: Dies schickt Ihnen das junge Frauenzimmer von drüben, mit der Bitte, zur Gesellschaft zu kommen, sie lässt sagen, setzte der Bediente mit einer leichtfertigen Mine hinzu: Es gehe ihr sehr wohl, und sie wünsche ihre Zufriedenheit mit ihren Freunden zu teilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":199,"orig":"Wilhelm erwartete nichts weniger als dieſen Antrag, denn er hatte Philinen, ſeit dem Abentheuer, der ſteinernen Bank, mit entſchiedener Verachtung begegnet, und war ſo feſt entſchloſſen, keine Gemeinſchaft mehr mit ihr zu haben, daß er im Begriff ſtand, die ſüße Gabe wieder zurück zu ſchicken, als ein bittender Blick Mignons ihn vermogte, ſie anzunehmen, und im Namen des Kindes dafür zu danken; die Einladung ſchlug er ganz aus.","norm":"Wilhelm erwartete nichts weniger als diesen Antrag, denn er hatte Philine, seit dem Abenteuer, der steinernen Bank, mit entschiedener Verachtung begegnet, und war so fest entschlossen, keine Gemeinschaft mehr mit ihr zu haben, dass er im Begriff stand, die süße Gabe wieder zurückzuschicken, als ein bittender Blick Mignons ihn vermochte, sie anzunehmen, und im Namen des Kindes dafür zu danken; die Einladung schlug er ganz aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":200,"orig":"Er bat den Bedienten, einige Sorge für die angekommene Geſellſchaft zu haben, und erkundigte ſich nach dem Baron.","norm":"Er bat den Bedienten, einige Sorge für die angekommene Gesellschaft zu haben, und erkundigte sich nach dem Baron."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":201,"orig":"Dieſer lag zu Bette, hatte aber ſchon, ſoviel der Bediente zu ſagen wußte, einem Andern Auftrag gegeben, für die elend Beherbergten zu ſorgen.","norm":"Dieser lag zu Bette, hatte aber schon, soviel der Bediente zu sagen wusste, einem anderen Auftrag gegeben, für die elend Beherbergten zu Sorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":202,"orig":"Der Bediente ging und hinterließ Wilhelmen eins von ſeinen Lichtern, das dieſer in Ermanglung eines Leuchters auf das Fenſtergeſims kleben mußte, und nun wenigſtens bey ſeinen Betrachtungen die vier Wände des Zimmers erhellt ſah.","norm":"Der Bediente ging und hinterließ Wilhelm eins von seinen Lichtern, das dieser in Ermangelung eines Leuchters auf das Fenstergesims kleben musste, und nun wenigstens bei seinen Betrachtungen die vier Wände des Zimmers erhellt sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":203,"orig":"Denn es währte noch lange, ehe die Anſtalten rege wurden, die unſere Gäſte zur Ruhe bringen ſollten.","norm":"Denn es währte noch lange, ehe die Anstalten rege wurden, die unsere Gäste zur Ruhe bringen sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":204,"orig":"Nach und nach kamen Lichter, jedoch ohne Lichtputzen, dann einige Stühle, eine Stunde darauf Deckbetten, dann Kiſſen, alles wohl durchnetzt, und es war ſchon weit über Mitternacht, als endlich Strohſäcke und Matratzen herbeygeſchaft wurden, die, wenn man ſie zuerſt gehabt hätte, höchſtwillkommen geweſen ſeyn würden.","norm":"Nach und nach kamen Lichter, jedoch ohne Lichtputzen, dann einige Stühle, eine Stunde darauf Deckbetten, dann Kissen, alles wohl durchnetzt, und es war schon weit über Mitternacht, als endlich Strohsäcke und Matratzen herbeigeschafft wurden, die, wenn man sie zuerst gehabt hätte, höchst willkommen gewesen sein würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":205,"orig":"In der Zwiſchenzeit war auch etwas von Eſſen und Trinken angelangt, das ohne viele Kritik genoſſen wurde, ob es gleich einem ſehr unordentlichen Abhub ähnlich ſah, und von der Achtung, die man für die Gäſte hatte, kein ſonderliches Zeugniß ablegte.","norm":"In der Zwischenzeit war auch etwas von Essen und Trinken angelangt, das ohne viele Kritik genossen wurde, ob es gleich einem sehr unordentlichen Abhub ähnlich sah, und von der Achtung, die man für die Gäste hatte, kein sonderliches Zeugnis ablegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":206,"orig":"Durch die Unart und den Übermuth einiger leichtfertigen Geſellen, vermehrte ſich die Unruhe und das Übel der Nacht, indem ſie ſich einander neckten, aufweckten und ſich wechſelsweiſe allerley Streiche ſpielten.","norm":"Durch die Unart und den Übermut einiger leichtfertigen Gesellen, vermehrte sich die Unruhe und das Übel der Nacht, indem sie sich einander neckten, aufweckten und sich wechselweise allerlei Streiche spielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":207,"orig":"Der andere Morgen brach an, unter lauten Klagen über ihren Freund, den Baron, daß er ſie ſo getäuſcht und ihnen ein ganz anderes Bild von der Ordnung und Bequemlichkeit, in die ſie kommen würden, gemacht habe.","norm":"Der andere Morgen brach an, unter lauten Klagen über ihren Freund, den Baron, dass er sie so getäuscht und ihnen ein ganz anderes Bild von der Ordnung und Bequemlichkeit, in die sie kommen würden, gemacht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":208,"orig":"Doch zur Verwunderung und Troſt erſchien in aller Frühe der Graf ſelbſt mit einigen Bedienten, und erkundigte ſich nach ihren Umſtänden.","norm":"Doch zur Verwunderung und Trost erschien in aller Frühe der Graf selbst mit einigen Bedienten, und erkundigte sich nach ihren Umständen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":209,"orig":"Er war ſehr entrüſtet, als er hörte, wie übel es ihnen ergangen, und der Baron, der, geführt, herbey hinkte, verklagte den Haushofmeiſter, wie befehlswidrig er ſich bey dieſer Gelegenheit gezeigt, und glaubte ihm ein rechtes Bad angerichtet zu haben.","norm":"Er war sehr entrüstet, als er hörte, wie übel es ihnen ergangen, und der Baron, der, geführt, herbeihinkte, verklagte den Haushofmeister, wie befehlswidrig er sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, und glaubte ihm ein rechtes Bad angerichtet zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":210,"orig":"Der Graf befahl ſogleich, daß alles in ſeiner Gegenwart zur möglichſten Bequemlichkeit der Gäſte geordnet werden ſolle.","norm":"Der Graf befahl sogleich, dass alles in seiner Gegenwart zur möglichsten Bequemlichkeit der Gäste geordnet werden solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":211,"orig":"Darauf kamen einige Offiziere, die von den Aktrizen ſogleich Kundſchaft nahmen, und der Graf ließ ſich die ganze Geſellſchaft vorſtellen, redete einen jeden bey ſeinem Namen an, und miſchte einige Scherze in die Unterredung, daß alle über einen ſo gnädigen Herrn ganz entzückt waren.","norm":"Darauf kamen einige Offiziere, die von den Aktricen sogleich Kundschaft nahmen, und der Graf ließ sich die ganze Gesellschaft vorstellen, redete einen jeden bei seinem Namen an, und mischte einige Scherze in die Unterredung, dass alle über einen so gnädigen Herrn ganz entzückt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":212,"orig":"Endlich mußte Wilhelm auch an die Reihe, an den ſich Mignon anhing.","norm":"Endlich musste Wilhelm auch an die Reihe, an den sich Mignon anhing."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":213,"orig":"Wilhelm entſchuldigte ſich ſo gut er konnte über ſeine Freyheit, der Graf hingegen ſchien ſeine Gegenwart als bekannt anzunehmen.","norm":"Wilhelm entschuldigte sich so gut er konnte über seine Freiheit, der Graf hingegen schien seine Gegenwart als bekannt anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":214,"orig":"Ein Herr, der neben dem Grafen ſtand, den man für einen Offizier hielte, ob er gleich keine Uniform anhatte, ſprach beſonders mit unſerm Freunde, und zeichnete ſich vor allen andern aus.","norm":"Ein Herr, der neben dem Grafen stand, den man für einen Offizier hielt, ob er gleich keine Uniform anhatte, sprach besonders mit unserem Freunde, und zeichnete sich vor allen anderen aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":215,"orig":"Große hellblaue Augen leuchteten unter einer hohen Stirne hervor, nachläſſig waren ſeine blonden Haare aufgeſchlagen, und ſeine mittlere Statur zeigte ein ſehr wackres, feſtes und beſtimmtes Weſen.","norm":"Große hellblaue Augen leuchteten unter einer hohen Stirn hervor, nachlässig waren seine blonden Haare aufgeschlagen, und seine mittlere Statur zeigte ein sehr wackeres, festes und bestimmtes Wesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":216,"orig":"Seine Fragen waren lebhaft, und er ſchien ſich auf alles zu verſtehen, wornach er fragte.","norm":"Seine Fragen waren lebhaft, und er schien sich auf alles zu verstehen, wonach er fragte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":217,"orig":"Wilhelm erkundigte ſich nach dieſem Manne bey dem Baron, der aber nicht viel Gutes von ihm zu ſagen wußte.","norm":"Wilhelm erkundigte sich nach diesem Manne bei dem Baron, der aber nicht viel Gutes von ihm zu sagen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":218,"orig":"Er habe den Character als Major, ſey eigentlich der Günſtling des Prinzen, verſehe deſſen geheimſte Geſchäfte und werde für deſſen rechten Arm gehalten, ja man habe Urſache zu glauben, er ſey ſein natürlicher Sohn.","norm":"Er habe den Charakter als Major, sei eigentlich der Günstling des Prinzen, versehe dessen geheimste Geschäfte und werde für dessen rechten Arm gehalten, ja man habe Ursache zu glauben, er sei sein natürlicher Sohn."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":219,"orig":"In Frankreich, England, Italien ſey er mit Geſandtſchaften geweſen, er werde überall ſehr diſtinguirt, und das mache ihn einbildiſch, er wähne, die deutſche Litteratur aus dem Grunde zu kennen, und erlaube ſich allerley ſchaale Spöttereyen gegen dieſelbe.","norm":"In Frankreich, England, Italien sei er mit Gesandtschaften gewesen, er werde überall sehr distinguiert, und das mache ihn einbildisch, er wähne, die deutsche Literatur aus dem Grunde zu kennen, und erlaube sich allerlei schale Spöttereien gegen dieselbe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":220,"orig":"Er, der Baron, vermeide alle Unterredung mit ihm, und Wilhelm werde wohl thun, ſich auch von ihm entfernt zu halten, denn am Ende gebe er jedermann etwas ab.","norm":"Er, der Baron, vermeide alle Unterredung mit ihm, und Wilhelm werde wohltun, sich auch von ihm entfernt zu halten, denn am Ende gebe er jedermann etwas ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":221,"orig":"Man nenne ihn Jarno, wiſſe aber nicht recht, was man aus dem Namen machen ſolle.","norm":"Man nenne ihn Jarno, wisse aber nicht recht, was man aus dem Namen machen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":222,"orig":"Wilhelm hatte darauf nichts zu ſagen, denn er empfand gegen den Fremden, ob er gleich etwas Kaltes und Abſtoßendes hatte, eine gewiſſe Neigung.","norm":"Wilhelm hatte darauf nichts zu sagen, denn er empfand gegen den Fremden, ob er gleich etwas Kaltes und Abstoßendes hatte, eine gewisse Neigung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":223,"orig":"Die Geſellſchaft wurde in dem Schloſſe eingetheilt, und Melina befahl ſehr ſtrenge, ſie ſollten ſich nunmehr ordentlich halten, die Frauen ſollten beſonders wohnen, und jeder nur auf ſeine Rollen, auf die Kunſt ſein Augenmerk und ſeine Neigung richten.","norm":"Die Gesellschaft wurde in dem Schlosse eingeteilt, und Melina befahl sehr strenge, sie sollten sich nunmehr ordentlich halten, die Frauen sollten besonders wohnen, und jeder nur auf seine Rollen, auf die Kunst sein Augenmerk und seine Neigung richten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":224,"orig":"Er ſchlug Vorſchriften und Geſetze, die aus vielen Puncten beſtanden, an alle Thüren.","norm":"Er schlug Vorschriften und Gesetze, die aus vielen Punkten bestanden, an alle Türen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":225,"orig":"Die Summe der Strafgelder war beſtimmt, die ein jeder Übertreter in eine gemeine Büchſe entrichten ſollte.","norm":"Die Summe der Strafgelder war bestimmt, die ein jeder Übertreter in eine gemeine Büchse entrichten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":226,"orig":"Dieſe Verordnungen wurden wenig geachtet.","norm":"Diese Verordnungen wurden wenig geachtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":227,"orig":"Junge Offiziere gingen aus und ein, ſpaßten nicht eben auf das feinſte mit den Aktrizen, hatten die Akteure zum beſten, und vernichteten die ganze kleine Polizeyordnung, noch ehe ſie Wurzel faſſen konnte.","norm":"Junge Offiziere gingen aus und ein, spaßten nicht eben auf das feinste mit den Aktricen, hatten die Akteure zum besten, und vernichteten die ganze kleine Polizeiordnung, noch ehe sie Wurzel fassen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":228,"orig":"Man jagte ſich durch die Zimmer, verkleidete ſich, verſteckte ſich.","norm":"Man jagte sich durch die Zimmer, verkleidete sich, versteckte sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":229,"orig":"Melina, der Anfangs einigen Ernſt zeigen wollte, ward mit allerley Muthwillen auf das äußerſte gebracht, und als ihn bald darauf der Graf holen ließ, um den Platz zu ſehen, wo das Theater aufgerichtet werden ſollte, ward das Übel nur immer ärger.","norm":"Melina, der Anfangs einigen Ernst zeigen wollte, wurde mit allerlei Mutwillen auf das äußerste gebracht, und als ihn bald darauf der Graf holen ließ, um den Platz zu sehen, wo das Theater aufgerichtet werden sollte, wurde das Übel nur immer ärger."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":230,"orig":"Die jungen Herren erſannen ſich allerley platte Späße, durch Hülfe einiger Akteure wurden ſie noch plumper, und es ſchien, als wenn das ganze alte Schloß vom wüthenden Heere beſeſſen ſey, auch endigte der Unfug nicht eher, als bis man zur Tafel ging.","norm":"Die jungen Herren ersannen sich allerlei platte Späße, durch Hilfe einiger Akteure wurden sie noch plumper, und es schien, als wenn das ganze alte Schloss vom wütenden Heere besessen sei, auch endigte der Unfug nicht eher, als bis man zur Tafel ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":231,"orig":"Der Graf hatte Melina in einen großen Saal geführt, der noch zum alten Schloſſe gehörte, durch eine Gallerie mit dem neuen verbunden war, und worin ein kleines Theater ſehr wohl aufgeſtellt werden konnte.","norm":"Der Graf hatte Melina in einen großen Saal geführt, der noch zum alten Schlosse gehörte, durch eine Galerie mit dem neuen verbunden war, und worin ein kleines Theater sehr wohl aufgestellt werden konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":232,"orig":"Daſelbſt zeigte der einſichtsvolle Hausherr, wie er alles wolle eingerichtet haben.","norm":"Daselbst zeigte der einsichtsvolle Hausherr, wie er alles Wolle eingerichtet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":233,"orig":"Nun ward die Arbeit in großer Eile vorgenommen, das Theatergerüſte aufgeſchlagen und ausgeziert; was man von Dekorationen in dem Gepäcke hatte und brauchen konnte, angewendet, und das übrige mit Hülfe einiger geſchickten Leute des Grafen verfertiget.","norm":"Nun wurde die Arbeit in großer Eile vorgenommen, das Theatergerüste aufgeschlagen und ausgeziert; was man von Dekorationen in dem Gepäcke hatte und brauchen konnte, angewendet, und das übrige mit Hilfe einiger geschickten Leute des Grafen verfertiget."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":234,"orig":"Wilhelm griff ſelbſt mit an, half die Perſpektive beſtimmen, die Umriſſe abſchnüren, und war höchſt beſchäftigt, daß es nicht unſchicklich werden ſollte.","norm":"Wilhelm griff selbst mit an, half die Perspektive bestimmen, die Umrisse abschnüren, und war höchst beschäftigt, dass es nicht unschicklich werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":235,"orig":"Der Graf, der öfters dazu kam, war ſehr zufrieden damit, zeigte wie ſie das, was ſie wirklich thaten, eigentlich machen ſollten, und ließ dabey ungemeine Kenntniſſe jeder Kunſt ſehen.","norm":"Der Graf, der öfters dazu kam, war sehr zufrieden damit, zeigte wie sie das, was sie wirklich taten, eigentlich machen sollten, und ließ dabei ungemeine Kenntnisse jeder Kunst sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":236,"orig":"Nun fing das Probiren recht ernſtlich an, wozu ſie auch Raum und Muße genug gehabt hätten, wenn ſie nicht von den vielen anweſenden Fremden immer geſtört worden wären.","norm":"Nun fing das Probieren recht ernstlich an, wozu sie auch Raum und Muße genug gehabt hätten, wenn sie nicht von den vielen anwesenden Fremden immer gestört worden wären."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":237,"orig":"Denn es kamen täglich neue Gäſte an, und ein jeder wollte die Geſellſchaft in Augenſchein nehmen.","norm":"Denn es kamen täglich neue Gäste an, und ein jeder wollte die Gesellschaft in Augenschein nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":238,"orig":"Der Baron hatte Wilhelmen einige Tage mit der Hoffnung hingehalten, daß er der Gräfin noch beſonders vorgeſtellt werden ſollte.","norm":"Der Baron hatte Wilhelmen einige Tage mit der Hoffnung hingehalten, dass er der Gräfin noch besonders vorgestellt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":239,"orig":"— Ich habe, ſagte er, dieſer vortrefflichen Dame ſo viel von Ihren geiſtreichen und empfindungsvollen Stücken erzählt, daß ſie nicht erwarten kann, Sie zu ſprechen und ſich ein und das andere vorleſen zu laſſen.","norm":"— Ich habe, sagte er, dieser vortrefflichen Dame so viel von Ihren geistreichen und empfindungsvollen Stücken erzählt, dass sie nicht erwarten kann, Sie zu sprechen und sich ein und das andere vorlesen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":240,"orig":"Halten Sie ſich ja gefaßt auf den erſten Wink hinüber zu kommen, denn bey dem nächſten ruhigen Morgen werden Sie gewiß gerufen werden.","norm":"Halten Sie sich ja gefasst auf den ersten Wink hinüberzukommen, denn bei dem nächsten ruhigen Morgen werden Sie gewiss gerufen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":241,"orig":"Er bezeichnete ihm darauf das Nachſpiel, welches er zuerſt vorleſen ſollte, wodurch er ſich ganz beſonders empfehlen würde.","norm":"Er bezeichnete ihm darauf das Nachspiel, welches er zuerst vorlesen sollte, wodurch er sich ganz besonders empfehlen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":242,"orig":"Die Dame bedaure gar ſehr, daß er zu einer ſolchen unruhigen Zeit eingetroffen ſey, und ſich mit der übrigen Geſellſchaft in dem alten Schloſſe ſchlecht behelfen müſſe.","norm":"Die Dame bedaure gar sehr, dass er zu einer solchen unruhigen Zeit eingetroffen sei, und sich mit der übrigen Gesellschaft in dem alten Schlosse schlecht behelfen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":243,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":244,"orig":"Mit großer Sorgfalt nahm darauf Wilhelm das Stück vor, womit er ſeinen Eintritt in die große Welt machen ſollte.","norm":"Mit großer Sorgfalt nahm darauf Wilhelm das Stück vor, womit er seinen Eintritt in die große Welt machen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":245,"orig":"Du haſt, ſagte er, bisher im Stillen für dich gearbeitet, nur von einzelnen Freunden Beyfall erhalten; du haſt eine Zeit lang ganz an deinem Talente verzweifelt, und du mußt immer noch in Sorgen ſeyn, ob du dann auch auf dem rechten Wege biſt, und ob du ſo viel Talent als Neigung zum Theater haſt?","norm":"Du hast, sagte er, bisher im Stillen für dich gearbeitet, nur von einzelnen Freunden Beifall erhalten; du hast eine Zeitlang ganz an deinem Talente verzweifelt, und du musst immer noch in Sorgen sein, ob du dann auch auf dem rechten Wege bist, und ob du so viel Talent als Neigung zum Theater hast?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":246,"orig":"Vor den Ohren ſolcher geübten Kenner, im Kabinette, wo keine Illuſion ſtatt findet, iſt der Verſuch weit gefährlicher als anderwärts, und ich möchte doch auch nicht gerne zurück bleiben, dieſen Genuß an meine vorigen Freuden knüpfen, und die Hoffnung auf die Zukunft erweitern.","norm":"Vor den Ohren solcher geübten Kenner, im Kabinette, wo keine Illusion stattfindet, ist der Versuch weit gefährlicher als anderwärts, und ich möchte doch auch nicht gerne zurückbleiben, diesen Genuss an meine vorigen Freuden knüpfen, und die Hoffnung auf die Zukunft erweitern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":247,"orig":"Er nahm darauf einige Stücke durch, las ſie mit der größten Aufmerkſamkeit, korrigirte hier und da, rezitirte ſie ſich laut vor, um auch in Sprache und Ausdruck recht gewandt zu ſeyn, und ſteckte dasjenige, welches er am meiſten geübt, womit er die größte Ehre einzulegen glaubte, in die Taſche, als er an einem Morgen hinüber vor die Gräfin gefordert wurde.","norm":"Er nahm darauf einige Stücke durch, las sie mit der größten Aufmerksamkeit, korrigierte hier und da, rezitierte sie sich laut vor, um auch in Sprache und Ausdruck recht gewandt zu sein, und steckte dasjenige, welches er am meisten geübt, womit er die größte Ehre einzulegen glaubte, in die Tasche, als er an einem Morgen hinüber vor die Gräfin gefordert wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":248,"orig":"Der Baron hatte ihn verſichert, ſie würde allein mit einer guten Freundin ſeyn.","norm":"Der Baron hatte ihm versichert, sie würde allein mit einer guten Freundin sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":249,"orig":"Als er in das Zimmer trat, kam die Baroneſſe von C * * ihm mit vieler Freundlichkeit entgegen, freute ſich ſeine Bekanntſchaft zu machen, und präſentirte ihn der Gräfin, die ſich eben friſiren ließ, und ihn mit freundlichen Worten und Blicken empfing; neben deren Stuhl er aber leider Philinen knieen und allerley Thorheiten machen ſah.","norm":"Als er in das Zimmer trat, kam die Baronesse von C * * ihm mit vieler Freundlichkeit entgegen, freute sich seine Bekanntschaft zu machen, und präsentierte ihn der Gräfin, die sich eben frisieren ließ, und ihn mit freundlichen Worten und Blicken empfing; neben deren Stuhl er aber leider Philine knien und allerlei Torheiten machen sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":250,"orig":"— Das ſchöne Kind, ſagte die Baroneſſe, hat uns verſchiedenes vorgeſungen.","norm":"— Das schöne Kind, sagte die Baronesse, hat uns verschiedenes vorgesungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":251,"orig":"Endige Sie doch das angefangene Liedchen, damit wir nichts davon verlieren.","norm":"Endige Sie doch das angefangene Liedchen, damit wir nichts davon verlieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":252,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":253,"orig":"Wilhelm hörte das Stückchen mit großer Geduld an, indem er die Entfernung des Friſeurs wünſchte, ehe er ſeine Vorleſung anfangen wollte.","norm":"Wilhelm hörte das Stückchen mit großer Geduld an, indem er die Entfernung des Friseurs wünschte, ehe er seine Vorlesung anfangen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":254,"orig":"Man bot ihm eine Taſſe Chokolade an, wozu ihm die Baroneſſe ſelbſt den Zwieback reichte.","norm":"Man bot ihm eine Tasse Schokolade an, wozu ihm die Baronesse selbst den Zwieback reichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":255,"orig":"Demohngeachtet ſchmeckte ihm das Frühſtück nicht, denn er wünſchte zu lebhaft der ſchönen Gräfin irgend etwas vorzutragen, was ſie intereſſiren, wodurch er ihr gefallen könnte.","norm":"Dem ungeachtet schmeckte ihm das Frühstück nicht, denn er wünschte zu lebhaft der schönen Gräfin irgendetwas vorzutragen, was sie interessieren, wodurch er ihr gefallen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":256,"orig":"Auch Philine war ihm nur zu ſehr im Wege, die ihm als Zuhörerin oft ſchon unbequem geweſen war.","norm":"Auch Philine war ihm nur zu sehr im Wege, die ihm als Zuhörerin oft schon unbequem gewesen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":257,"orig":"Er ſah mit Schmerzen dem Friſeur auf die Hände, und hoffte in jedem Augenblicke mehr auf die Vollendung des Baues.","norm":"Er sah mit Schmerzen dem Friseur auf die Hände, und hoffte in jedem Augenblicke mehr auf die Vollendung des Baues."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":258,"orig":"Indeſſen war der Graf hereingetreten, und erzählte von den heut zu erwartenden Gäſten, von der Eintheilung des Tages, und was ſonſt etwa Häusliches vorkommen möchte.","norm":"Indessen war der Graf hereingetreten, und erzählte von den heute zu erwartenden Gästen, von der Einteilung des Tages, und was sonst etwa Häusliches vorkommen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":259,"orig":"Da er hinaus ging, ließen einige Offiziere bey der Gräfin um die Erlaubniß, ihr, weil ſie noch vor Tafel wegreiten müßten, aufwarten zu dürfen.","norm":"Da er hinausging, ließen einige Offiziere bei der Gräfin um die Erlaubnis, ihr, weil sie noch vor Tafel wegreiten müssten, aufwarten zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":260,"orig":"Der Kammerdiener war indeſſen fertig geworden, und ſie ließ die Herren hereinkommen.","norm":"Der Kammerdiener war indessen fertig geworden, und sie ließ die Herren hereinkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":261,"orig":"Die Baroneſſe gab ſich inzwiſchen Mühe unſern Freund zu unterhalten, und ihm viele Achtung zu bezeigen, die er mit Ehrfurcht, obgleich etwas zerſtreut, aufnahm.","norm":"Die Baronesse gab sich inzwischen Mühe unseren Freund zu unterhalten, und ihm viele Achtung zu bezeigen, die er mit Ehrfurcht, obgleich etwas zerstreut, aufnahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":262,"orig":"Er fühlte manchmal nach dem Manuſcripte in der Taſche, hoffte auf jeden Augenblick, und faſt wollte ſeine Geduld reiſſen, als ein Galanteriehändler hereingelaſſen wurde, der ſeine Pappen, Kaſten, Schachteln unbarmherzig eine nach der andern eröfnete, und jede Sorte ſeiner Waaren mit einer dieſem Geſchlechte eigenen Zudringlichkeit vorwies.","norm":"Er fühlte manchmal nach dem Manuskripte in der Tasche, hoffte auf jeden Augenblick, und fast wollte seine Geduld reißen, als ein Galanteriehändler hereingelassen wurde, der seine Pappen, Kasten, Schachteln unbarmherzig eine nach der anderen eröffnete, und jede Sorte seiner Waren mit einer diesem Geschlecht eigenen Zudringlichkeit vorwies."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":263,"orig":"Die Geſellſchaft vermehrte ſich.","norm":"Die Gesellschaft vermehrte sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":264,"orig":"Die Baroneſſe ſah Wilhelmen an, und ſprach leiſe mit der Gräfin; er bemerkte es ohne die Abſicht zu verſtehen, die ihm endlich zu Hauſe klar wurde, als er ſich nach einer ängſtlich und vergebens durchharrten Stunde wegbegab.","norm":"Die Baronesse sah Wilhelmen an, und sprach leise mit der Gräfin; er bemerkte es ohne die Absicht zu verstehen, die ihm endlich zu Hause klar wurde, als er sich nach einer ängstlich und vergebens durchharrten Stunde wegbegab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":265,"orig":"Er fand ein ſchönes engliſches Portefeuille in der Taſche.","norm":"Er fand ein schönes englisches Portefeuille in der Tasche."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":266,"orig":"Die Baroneſſe hatte es ihm heimlich beyzuſtecken gewußt, und gleich darauf folgte der Gräfin kleiner Mohr, der ihm eine artig geſtickte Weſte überbrachte, ohne recht deutlich zu ſagen, woher ſie komme.","norm":"Die Baronesse hatte es ihm heimlich beizustecken gewusst, und gleich darauf folgte der Gräfin kleiner Mohr, der ihm eine artig gestickte Weste überbrachte, ohne recht deutlich zu sagen, woher sie komme."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":267,"orig":"Das Gemiſch der Empfindungen von Verdruß und Dankbarkeit verdarb ihm den ganzen Reſt des Tages, bis er gegen Abend wieder Beſchäftigung fand, indem Melina ihm eröfnete, der Graf habe von einem Vorſpiele geſprochen, das dem Prinzen zu Ehren, den Tag ſeiner Ankunft, aufgeführt werden ſollte.","norm":"Das Gemisch der Empfindungen von Verdruss und Dankbarkeit verdarb ihm den ganzen Rest des Tages, bis er gegen Abend wieder Beschäftigung fand, indem Melina ihm eröffnete, der Graf habe von einem Vorspiele gesprochen, das dem Prinzen zu Ehren, den Tag seiner Ankunft, aufgeführt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":268,"orig":"Er wolle darin die Eigenſchaften dieſes großen Helden und Menſchenfreundes perſonifiziret haben.","norm":"Er wolle darin die Eigenschaften dieses großen Helden und Menschenfreundes personifizieret haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":269,"orig":"Dieſe Tugenden ſollten mit einander auftreten, ſein Lob verkündigen und zuletzt ſeine Büſte mit Blumen – und Lorbeerkränzen umwinden, wobey ſein verzogener Name mit dem Fürſtenhute durchſcheinend glänzen ſollte.","norm":"Diese Tugenden sollten miteinander auftreten, sein Lob verkündigen und zuletzt seine Büste mit Blumen – und Lorbeerkränzen umwinden, wobei sein verzogener Name mit dem Fürstenhute durchscheinend glänzen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":270,"orig":"Der Graf habe ihm aufgegeben, für die Verſifikation und übrige Einrichtung dieſes Stückes zu ſorgen, und er hoffe, daß ihm Wilhelm, dem es etwas leichtes ſey, hierin gerne beyſtehen werde.","norm":"Der Graf habe ihm aufgegeben, für die Versifikation und übrige Einrichtung dieses Stückes zu Sorgen, und er hoffe, dass ihm Wilhelm, dem es etwas Leichtes sei, hierin gerne beistehen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":271,"orig":"Wie!","norm":"Wie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":272,"orig":"rief dieſer verdrießlich aus, haben wir nichts als Porträte, verzogene Namen und allegoriſche Figuren, um einen Fürſten zu ehren, der nach meiner Meinung ein ganz anderes Lob verdient?","norm":"rief dieser verdrießlich aus, haben wir nichts als Porträte, verzogene Namen und allegorische Figuren, um einen Fürsten zu ehren, der nach meiner Meinung ein ganz anderes Lob verdient?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":273,"orig":"Wie kann es einem vernünftigen Manne ſchmeicheln, ſich in Effigie aufgeſtellt und ſeinen Namen auf geöhltem Papiere ſchimmern zu ſehen!","norm":"Wie kann es einem vernünftigen Manne schmeicheln, sich in Effigie aufgestellt und seinen Namen auf geöltem Papiere schimmern zu sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":274,"orig":"Ich fürchte ſehr, die Allegorien würden, beſonders bey unſerer Garderobe, zu manchen Zweydeutigkeiten und Späßen Anlaß geben.","norm":"Ich fürchte sehr, die Allegorien würden, besonders bei unserer Garderobe, zu manchen Zweideutigkeiten und Späßen Anlass geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":275,"orig":"Wollen Sie das Stück machen oder machen laſſen, ſo kann ich nichts dawider haben, nur bitte ich, daß ich damit verſchont bleibe.","norm":"Wollen Sie das Stück machen oder machen lassen, so kann ich nichts dawider haben, nur bitte ich, dass ich damit verschont bleibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":276,"orig":"Melina entſchuldigte ſich, es ſey nur die ohngefähre Angabe des Herrn Grafen, der ihnen übrigens ganz überlaſſe, wie ſie das Stück arrangiren wollten.","norm":"Melina entschuldigte sich, es sei nur die ungefähre Angabe des Herrn Grafen, der ihnen übrigens ganz überlasse, wie sie das Stück arrangieren wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":277,"orig":"Herzlich gerne, verſetzte Wilhelm, trage ich etwas zum Vergnügen dieſer vortrefflichen Herrſchaft bey, und meine Muſe hat noch kein ſo angenehmes Geſchäfte gehabt, als zum Lob eines Fürſten, der ſo viel Verehrung verdient, auch nur ſtammelnd ſich hören zu laſſen.","norm":"Herzlich gerne, versetzte Wilhelm, trage ich etwas zum Vergnügen dieser vortrefflichen Herrschaft bei, und meine Muse hat noch kein so angenehmes Geschäfte gehabt, als zum Lob eines Fürsten, der so viel Verehrung verdient, auch nur stammelnd sich hören zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":278,"orig":"Ich will der Sache nachdenken, vielleicht gelingt es mir, unſere kleine Truppe ſo zu ſtellen, daß wir doch wenigſtens einigen Effekt machen.","norm":"Ich will der Sache nachdenken, vielleicht gelingt es mir, unsere kleine Truppe so zu stellen, dass wir doch wenigstens einigen Effekt machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":279,"orig":"Von dieſem Augenblicke an ſann Wilhelm eifrig dem Auftrage nach.","norm":"Von diesem Augenblicke an sann Wilhelm eifrig dem Auftrage nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":280,"orig":"Ehe er einſchlief, hatte er alles ſchon ziemlich geordnet, und den andern Morgen, bey früher Zeit, war der Plan fertig, die Scenen entworfen, ja ſchon einige der vornehmſten Stellen und Geſänge in Verſe und zu Papiere gebracht.","norm":"Ehe er einschlief, hatte er alles schon ziemlich geordnet, und den anderen Morgen, bei früher Zeit, war der Plan fertig, die Szenen entworfen, ja schon einige der vornehmsten Stellen und Gesänge in Verse und zu Papiere gebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":281,"orig":"Wilhelm eilte morgens gleich den Baron wegen gewiſſer Umſtände zu ſprechen, und legte ihm ſeinen Plan vor.","norm":"Wilhelm eilte morgens gleich den Baron wegen gewisser Umstände zu sprechen, und legte ihm seinen Plan vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":282,"orig":"Dieſem gefiel er ſehr wohl, doch bezeigte er einige Verwunderung.","norm":"Diesem gefiel er sehr wohl, doch bezeigte er einige Verwunderung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":283,"orig":"Denn er hatte den Grafen geſtern Abend von einem ganz andern Stücke ſprechen hören, welches nach ſeiner Angabe in Verſe gebracht werden ſollte.","norm":"Denn er hatte den Grafen gestern Abend von einem ganz anderen Stücke sprechen hören, welches nach seiner Angabe in Verse gebracht werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":284,"orig":"Es iſt mir nicht wahrſcheinlich, verſetzte Wilhelm, daß es die Abſicht des Herrn Grafen geweſen ſey, gerade das Stück, ſo wie er es Melinen angegeben, fertigen zu laſſen; wenn ich nicht irre, ſo wollte er uns blos durch einen Fingerzeig auf den rechten Weg weiſen.","norm":"Es ist mir nicht wahrscheinlich, versetzte Wilhelm, dass es die Absicht des Herrn Grafen gewesen sei, gerade das Stück, so wie er es Meline angegeben, fertigen zu lassen; wenn ich nicht irre, so wollte er uns bloß durch einen Fingerzeig auf den rechten Weg weisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":285,"orig":"Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künſtler an, was er wünſcht, und überläßt ihm alsdann die Sorge das Werk hervorzubringen.","norm":"Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künstler an, was er wünscht, und überlässt ihm alsdann die Sorge das Werk hervorzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":286,"orig":"Mitnichten, verſetzte der Baron, der Herr Graf verläßt ſich darauf, daß das Stück ſo und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde.","norm":"Mitnichten, versetzte der Baron, der Herr Graf verlässt sich darauf, dass das Stück so und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":287,"orig":"Das Ihrige hat freylich eine entfernte Ähnlichkeit mit ſeiner Idee, und wenn wir es durchſetzen und ihn von ſeinen erſten Gedanken abbringen wollen, ſo müſſen wir es durch die Damen bewirken.","norm":"Das Ihrige hat freilich eine entfernte Ähnlichkeit mit seiner Idee, und wenn wir es durchsetzen und ihn von seinen ersten Gedanken abbringen wollen, so müssen wir es durch die Damen bewirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":288,"orig":"Vorzüglich weiß die Baroneſſe dergleichen Operationen meiſterlich anzulegen, es wird die Frage ſeyn, ob ihr der Plan ſo gefällt, daß ſie ſich der Sache annehmen mag, und dann wird es gewiß gehen.","norm":"Vorzüglich weiß die Baronesse dergleichen Operationen meisterlich anzulegen, es wird die Frage sein, ob ihr der Plan so gefällt, dass sie sich der Sache annehmen mag, und dann wird es gewiss gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":289,"orig":"Wir brauchen ohnedieß die Hülfe der Damen, ſagte Wilhelm, denn es möchte unſer Perſonale und unſere Garderobe zu der Ausführung nicht hinreichen.","norm":"Wir brauchen ohnedies die Hilfe der Damen, sagte Wilhelm, denn es möchte unser Personal und unsere Garderobe zu der Ausführung nicht hinreichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":290,"orig":"Ich habe auf einige hübſche Kinder gerechnet, die im Hauſe hin und wieder laufen, und die dem Kammerdiener und dem Haushofmeiſter zugehören.","norm":"Ich habe auf einige hübsche Kinder gerechnet, die im Hause hin und wieder laufen, und die dem Kammerdiener und dem Haushofmeister zugehören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":291,"orig":"Darauf erſuchte er den Baron, die Damen mit ſeinem Plane bekannt zu machen.","norm":"Darauf ersuchte er den Baron, die Damen mit seinem Plane bekannt zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":292,"orig":"Dieſer kam bald zurück und brachte die Nachricht, ſie wollten ihn ſelbſt ſprechen.","norm":"Dieser kam bald zurück und brachte die Nachricht, sie wollten ihn selbst sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":293,"orig":"Heute Abend, wenn die Herren ſich zum Spiele ſetzten, das ohnedieß wegen der Ankunft eines gewiſſen Generals ernſthafter werden würde, als gewöhnlich, wollten ſie ſich unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit in ihr Zimmer zurück ziehen, er ſollte durch die geheime Treppe eingeführt werden, und könne alsdann ſeine Sache auf das beſte vortragen.","norm":"Heute Abend, wenn die Herren sich zum Spiele setzten, das ohnedies wegen der Ankunft eines gewissen Generals ernsthafter werden würde, als gewöhnlich, wollten sie sich unter dem Vorwande einer Unpässlichkeit in ihr Zimmer zurückziehen, er sollte durch die geheime Treppe eingeführt werden, und könne alsdann seine Sache auf das beste vortragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":294,"orig":"Dieſe Art von Geheimniß gebe der Angelegenheit nunmehr einen doppelten Reiz, und die Baroneſſe beſonders freue ſich wie ein Kind auf dieſen Rendesvous, und noch mehr darauf, daß es heimlich und geſchickt gegen den Willen des Grafen unternommen werden ſollte.","norm":"Diese Art von Geheimnis gebe der Angelegenheit nunmehr einen doppelten Reiz, und die Baronesse besonders freue sich wie ein Kind auf dieses Rendezvous, und noch mehr darauf, dass es heimlich und geschickt gegen den Willen des Grafen unternommen werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":295,"orig":"Gegen Abend, um die beſtimmte Zeit, ward Wilhelm abgeholt und mit Vorſicht hinauf geführt.","norm":"Gegen Abend, um die bestimmte Zeit, wurde Wilhelm abgeholt und mit Vorsicht hinaufgeführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":296,"orig":"Die Art, mit der ihm die Baroneſſe in einem kleinen Kabinette entgegen kam, erinnerte ihn einen Augenblick an vorige glückliche Zeiten.","norm":"Die Art, mit der ihm die Baronesse in einem kleinen Kabinette entgegenkam, erinnerte ihn einen Augenblick an vorige glückliche Zeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":297,"orig":"Sie brachte ihn in das Zimmer der Gräfin, und nun ging es an ein Fragen, an ein Unterſuchen.","norm":"Sie brachte ihn in das Zimmer der Gräfin, und nun ging es an ein Fragen, an ein Untersuchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":298,"orig":"Er legte ſeinen Plan mit der möglichſten Wärme und Lebhaftigkeit vor, ſo daß die Damen dafür ganz eingenommen wurden, und unſere Leſer werden erlauben, daß wir ſie auch in der Kürze damit bekannt machen.","norm":"Er legte seinen Plan mit der möglichsten Wärme und Lebhaftigkeit vor, so dass die Damen dafür ganz eingenommen wurden, und unsere Leser werden erlauben, dass wir sie auch in der Kürze damit bekannt machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":299,"orig":"In einer ländlichen Scene ſollten Kinder das Stück mit einem Tanze eröfnen, der jenes Spiel vorſtellte, wo eins herum gehen und dem andern einen Platz abgewinnen muß.","norm":"In einer ländlichen Szene sollten Kinder das Stück mit einem Tanze eröffnen, der jenes Spiel vorstellte, wo eins herumgehen und dem anderen einen Platz abgewinnen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":300,"orig":"Darauf ſollten ſie mit andern Scherzen abwechſeln und zuletzt zu einem immer wiederkehrenden Reihentanze ein fröhliches Lied ſingen.","norm":"Darauf sollten sie mit anderen Scherzen abwechseln und zuletzt zu einem immer wiederkehrenden Reihentanze ein fröhliches Lied singen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":301,"orig":"Darauf ſollte der Harfner mit Mignon herbeykommen, Neugierde erregen und mehrere Landleute herbeylocken, der Alte ſollte verſchiedene Lieder zum Lobe des Friedens, der Ruhe, der Freude ſingen, und Mignon darauf den Eyertanz tanzen.","norm":"Darauf sollte der Harfner mit Mignon herbeikommen, Neugierde erregen und mehrere Landleute herbeilocken, der Alte sollte verschiedene Lieder zum Lobe des Friedens, der Ruhe, der Freude singen, und Mignon darauf den Eiertanz tanzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":302,"orig":"In dieſer unſchuldigen Freude werden ſie durch eine kriegeriſche Muſik geſtört, und die Geſellſchaft von einem Trupp Soldaten überfallen.","norm":"In dieser unschuldigen Freude werden sie durch eine kriegerische Musik gestört, und die Gesellschaft von einem Trupp Soldaten überfallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":303,"orig":"Die Mannsperſonen ſetzen ſich zur Wehre und werden überwunden, die Mädchen fliehen und werden eingeholt.","norm":"Die Mannspersonen setzen sich zur Wehre und werden überwunden, die Mädchen fliehen und werden eingeholt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":304,"orig":"Es ſcheint alles im Getümmel zu Grunde zu gehen, als eine Perſon, über deren Beſtimmung der Dichter noch ungewiß war, herbey kommt und durch die Nachricht, daß der Heerführer nicht weit ſey, die Ruhe wieder herſtellt.","norm":"Es scheint alles im Getümmel zugrunde zu gehen, als eine Person, über deren Bestimmung der Dichter noch ungewiss war, herbeikommt und durch die Nachricht, dass der Heerführer nicht weit sei, die Ruhe wiederherstellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":305,"orig":"Hier wird der Charakter des Helden mit den ſchönſten Zügen geſchildert, mitten unter den Waffen Sicherheit verſprochen, dem Übermuth und der Gewaltthätigkeit Schranken geſetzt.","norm":"Hier wird der Charakter des Helden mit den schönsten Zügen geschildert, mitten unter den Waffen Sicherheit versprochen, dem Übermut und der Gewalttätigkeit Schranken gesetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":306,"orig":"Es wird ein allgemeines Feſt zu Ehren des großmüthigen Heerführers begangen.","norm":"Es wird ein allgemeines Fest zu Ehren des großmütigen Heerführers begangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":307,"orig":"Die Damen waren mit dem Plane ſehr zufrieden, nur behaupteten ſie, es müſſe nothwendig etwas Allegoriſches in dem Stücke ſeyn, um es dem Herrn Grafen angenehm zu machen.","norm":"Die Damen waren mit dem Plane sehr zufrieden, nur behaupteten sie, es müsse notwendig etwas Allegorisches in dem Stücke sein, um es dem Herrn Grafen angenehm zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":308,"orig":"Der Baron that den Vorſchlag, den Anführer der Soldaten als den Genius der Zwietracht und der Gewaltthätigkeit zu bezeichnen; zuletzt aber müſſe Minerva herbey kommen, ihm Feſſeln anzulegen, Nachricht von der Ankunft des Helden zu geben und deſſen Lob zu preiſen.","norm":"Der Baron tat den Vorschlag, den Anführer der Soldaten als den Genius der Zwietracht und der Gewalttätigkeit zu bezeichnen; zuletzt aber müsse Minerva herbeikommen, ihm Fesseln anzulegen, Nachricht von der Ankunft des Helden zu geben und dessen Lob zu preisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":309,"orig":"Die Baroneſſe übernahm das Geſchäft, den Grafen zu überzeugen, daß der von ihm angegebene Plan, nur mit einiger Veränderung, ausgeführt worden ſey; dabey verlangte ſie ausdrücklich: daß am Ende des Stücks nothwendig die Büſte, der verzogene Namen und der Fürſtenhut erſcheinen müßten, weil ſonſt alle Unterhandlung vergeblich ſeyn würde.","norm":"Die Baronesse übernahm das Geschäft, den Grafen zu überzeugen, dass der von ihm angegebene Plan, nur mit einiger Veränderung, ausgeführt worden sei; dabei verlangte sie ausdrücklich: dass am Ende des Stücks notwendig die Büste, der verzogene Namen und der Fürstenhut erscheinen müssten, weil sonst alle Unterhandlung vergeblich sein würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":310,"orig":"Wilhelm, der ſich ſchon im Geiſte vorgeſtellt hatte, wie fein er ſeinen Helden aus dem Munde der Minerva preiſen wollte, gab nur nach langem Widerſtande in dieſem Punkte nach, allein er fühlte ſich auf eine ſehr angenehme Weiſe gezwungen.","norm":"Wilhelm, der sich schon im Geiste vorgestellt hatte, wie fein er seinen Helden aus dem Munde der Minerva preisen wollte, gab nur nach langem Widerstande in diesem Punkte nach, allein er fühlte sich auf eine sehr angenehme Weise gezwungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":311,"orig":"Die ſchönen Augen der Gräfin, und ihr liebenswürdiges Betragen hätten ihn gar leicht bewogen, auch auf die ſchönſte und angenehmſte Erfindung, auf die ſo erwünſchte Einheit einer Compoſition und auf alle ſchickliche Details Verzicht zu thun, und gegen ſein poetiſches Gewiſſen zu handeln.","norm":"Die schönen Augen der Gräfin, und ihr liebenswürdiges Betragen hätten ihn gar leicht bewogen, auch auf die schönste und angenehmste Erfindung, auf die so erwünschte Einheit einer Komposition und auf alle schickliche Details Verzicht zu tun, und gegen sein poetisches Gewissen zu handeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":312,"orig":"Eben ſo ſtand auch ſeinem bürgerlichen Gewiſſen ein harter Kampf bevor, indem, bey beſtimmterer Austheilung der Rollen, die Damen ausdrücklich darauf beſtanden, daß er mitſpielen müſſe.","norm":"Ebenso stand auch seinem bürgerlichen Gewissen ein harter Kampf bevor, indem, bei bestimmterer Austeilung der Rollen, die Damen ausdrücklich darauf bestanden, dass er mitspielen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":313,"orig":"Laertes hatte zu ſeinem Theil jenen gewaltthätigen Kriegsgott erhalten, Wilhelm ſollte den Anführer der Landleute vorſtellen, der einige ſehr artige und gefühlvolle Verſe zu ſagen hatte.","norm":"Laertes hatte zu seinem Teil jenen gewalttätigen Kriegsgott erhalten, Wilhelm sollte den Anführer der Landleute vorstellen, der einige sehr artige und gefühlvolle Verse zu sagen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":314,"orig":"Nachdem er ſich eine Zeitlang geſträubt, mußte er ſich endlich doch ergeben, beſonders fand er keine Entſchuldigung, da die Baroneſſe ihm vorſtellte, die Schaubühne hier auf dem Schloſſe ſey ohnedem nur als ein Geſellſchaftstheater anzuſehen, auf dem ſie gern, wenn man nur eine ſchickliche Einleitung machen könnte, mitzuſpielen wünſchte.","norm":"Nachdem er sich eine Zeitlang gesträubt, musste er sich endlich doch ergeben, besonders fand er keine Entschuldigung, da die Baronesse ihm vorstellte, die Schaubühne hier auf dem Schlosse sei ohnedem nur als ein Gesellschaftstheater anzusehen, auf dem sie gern, wenn man nur eine schickliche Einleitung machen könnte, mitzuspielen wünschte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":315,"orig":"Darauf entließen die Damen unſern Freund mit vieler Freundlichkeit.","norm":"Darauf entließen die Damen unseren Freund mit vieler Freundlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":316,"orig":"Die Baroneſſe verſicherte ihn, daß er ein unvergleichlicher Menſch ſey, und begleitete ihn bis an die kleine Treppe, wo ſie ihm mit einem Händedruck gute Nacht gab.","norm":"Die Baronesse versicherte ihn, dass er ein unvergleichlicher Mensch sei, und begleitete ihn bis an die kleine Treppe, wo sie ihm mit einem Händedruck gute Nacht gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":317,"orig":"Befeuert durch den aufrichtigen Antheil, den die Frauenzimmer an der Sache nahmen, ward der Plan, der ihm durch die Erzählung gegenwärtiger geworden war, ganz lebendig.","norm":"Befeuert durch den aufrichtigen Anteil, den die Frauenzimmer an der Sache nahmen, wurde der Plan, der ihm durch die Erzählung gegenwärtiger geworden war, ganz lebendig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":318,"orig":"Er brachte den größten Theil der Nacht und den andern Morgen mit der ſorgfältigſten Verſification des Dialogs und der Lieder zu.","norm":"Er brachte den größten Teil der Nacht und den anderen Morgen mit der sorgfältigsten Versifikation des Dialogs und der Lieder zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":319,"orig":"Er war ſo ziemlich fertig, als er in das neue Schloß gerufen wurde, wo er hörte, daß die Herrſchaft, die eben frühſtückte, ihn ſprechen wollte.","norm":"Er war so ziemlich fertig, als er in das neue Schloss gerufen wurde, wo er hörte, dass die Herrschaft, die eben frühstückte, ihn sprechen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":320,"orig":"Er trat in den Saal, die Baroneſſe kam ihm wieder zuerſt entgegen, und unter dem Vorwande, als wenn ſie ihm einen guten Morgen bieten wollte, liſpelte ſie heimlich zu ihm:","norm":"Er trat in den Saal, die Baronesse kam ihm wieder zuerst entgegen, und unter dem Vorwande, als wenn sie ihm einen guten Morgen bieten wollte, lispelte sie heimlich zu ihm:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":321,"orig":"Sagen Sie nichts von Ihrem Stücke, als was Sie gefragt werden.","norm":"Sagen Sie nichts von Ihrem Stücke, als was Sie gefragt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":322,"orig":"Ich höre, rief ihm der Graf zu, Sie ſind recht fleißig und arbeiten an meinem Vorſpiele, das ich zu Ehren des Prinzen geben will.","norm":"Ich höre, rief ihm der Graf zu, Sie sind recht fleißig und arbeiten an meinem Vorspiele, das ich zu Ehren des Prinzen geben will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":323,"orig":"Ich billige, daß Sie eine Minerva darin anbringen wollen, und ich denke bey Zeiten darauf, wie die Göttin zu kleiden iſt, damit man nicht gegen das Koſtüme verſtößt.","norm":"Ich billige, dass Sie eine Minerva darin anbringen wollen, und ich denke beizeiten darauf, wie die Göttin zu kleiden ist, damit man nicht gegen das Kostüm verstößt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":324,"orig":"Ich laſſe deswegen aus meiner Bibliothek alle Bücher herbeybringen, worin ſich das Bild derſelben befindet.","norm":"Ich lasse deswegen aus meiner Bibliothek alle Bücher herbeibringen, worin sich das Bild derselben befindet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":325,"orig":"In eben dem Augenblicke traten einige Bediente mit großen Körben voll Büchern allerley Formats in den Saal.","norm":"In eben dem Augenblicke traten einige Bedienten mit großen Körben voll Büchern allerlei Formats in den Saal."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":326,"orig":"Montfaucon, die Sammlungen antiker Statüen, Gemmen und Münzen, alle Arten mythologiſcher Schriften wurden aufgeſchlagen und die Figuren verglichen.","norm":"Montfaucon, die Sammlungen antiker Statuen, Gemmen und Münzen, alle Arten mythologischer Schriften wurden aufgeschlagen und die Figuren verglichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":327,"orig":"Aber auch daran war es noch nicht genug!","norm":"Aber auch daran war es noch nicht genug!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":328,"orig":"Des Grafen vortreffliches Gedächtniß ſtellte ihm alle Minerven vor, die etwa noch auf Titelkupfern, Vignetten, oder ſonſt vorkommen mochten.","norm":"Des Grafen vortreffliches Gedächtnis stellte ihm alle Minerva vor, die etwa noch auf Titelkupfern, Vignetten, oder sonst vorkommen mochten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":329,"orig":"Es mußte deßhalb ein Buch nach dem andern aus der Bibliothek herbeygeſchafft werden, ſo daß der Graf zuletzt in einem Haufen von Büchern ſaß.","norm":"Es musste deshalb ein Buch nach dem anderen aus der Bibliothek herbeigeschafft werden, so dass der Graf zuletzt in einem Haufen von Büchern saß."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":330,"orig":"Endlich, da ihm keine Minerva mehr einfiel, rief er mit Lachen aus:","norm":"Endlich, da ihm keine Minerva mehr einfiel, rief er mit Lachen aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":331,"orig":"Ich wollte wetten, daß nun keine Minerva mehr in der ganzen Bibliothek ſey, und es möchte wohl das erſtemal vorkommen, daß eine Bücherſammlung ſo ganz und gar des Bildes ihrer Schutzgöttin entbehren muß.","norm":"Ich wollte wetten, dass nun keine Minerva mehr in der ganzen Bibliothek sei, und es möchte wohl das erste Mal vorkommen, dass eine Büchersammlung so ganz und gar des Bildes ihrer Schutzgöttin entbehren muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":332,"orig":"Die ganze Geſellſchaft freute ſich über den Einfall, und beſonders Jarno, der den Grafen immer mehr Bücher herbeyzuſchaffen gereizt hatte, lachte ganz unmäßig.","norm":"Die ganze Gesellschaft freute sich über den Einfall, und besonders Jarno, der den Grafen immer mehr Bücher herbeizuschaffen gereizt hatte, lachte ganz unmäßig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":333,"orig":"Nunmehr, ſagte der Graf, indem er ſich zu Wilhelmen wendete, iſt es eine Hauptſache, welche Göttin meynen Sie?","norm":"Nunmehr, sagte der Graf, indem er sich zu Wilhelm wendete, ist es eine Hauptsache, welche Göttin meinen Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":334,"orig":"Minerva oder Pallas?","norm":"Minerva oder Pallas?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":335,"orig":"die Göttin des Krieges oder der Künſte?","norm":"Die Göttin des Krieges oder der Künste?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":336,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":337,"orig":"Sollte es nicht am ſchicklichſten ſeyn, Euere Excellenz, verſetzte Wilhelm, wenn man hierüber ſich nicht beſtimmt ausdrückte, und ſie, eben weil ſie in der Mythologie eine doppelte Perſon ſpielt, auch hier in doppelter Qualität erſcheinen ließe.","norm":"Sollte es nicht am schicklichsten sein, Eure Exzellenz, versetzte Wilhelm, wenn man hierüber sich nicht bestimmt ausdrückte, und sie, eben weil sie in der Mythologie eine doppelte Person spielt, auch hier in doppelter Qualität erscheinen ließe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":338,"orig":"Sie meldet einen Krieger an, aber nur um das Volk zu beruhigen, ſie preißt einen Helden, indem ſie ſeine Menſchlichkeit erhebt, ſie überwindet die Gewaltthätigkeit und ſtellt die Freude und Ruhe unter dem Volke wieder her.","norm":"Sie meldet einen Krieger an, aber nur um das Volk zu beruhigen, sie preist einen Helden, indem sie seine Menschlichkeit erhebt, sie überwindet die Gewalttätigkeit und stellt die Freude und Ruhe unter dem Volke wieder her."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":339,"orig":"Die Baroneſſe, der es bange wurde, Wilhelm möchte ſich verrathen, ſchob geſchwinde den Leibſchneider der Gräfin dazwiſchen, der ſeine Meinung abgeben mußte, wie ein ſolcher antiker Rock auf das beſte gefertiget werden könnte.","norm":"Die Baronesse, der es bange wurde, Wilhelm möchte sich verraten, schob geschwinde den Leibschneider der Gräfin dazwischen, der seine Meinung abgeben musste, wie ein solcher antiker Rock auf das Beste gefertigt werden könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":340,"orig":"Dieſer Mann, in Maskenarbeiten erfahren, wußte die Sache ſehr leicht zu machen, und da Madam Melina, ohngeachtet ihrer hohen Schwangerſchaft, die Rolle der himmliſchen Jungfrau übernommen hatte, ſo wurde er angewieſen, ihr das Maas zu nehmen, und die Gräfin bezeichnete, wiewohl mit einigem Unwillen ihrer Kammerjungfern, die Kleider aus der Garderobe, welche dazu verſchnitten werden ſollten.","norm":"Dieser Mann, in Maskenarbeiten erfahren, wusste die Sache sehr leicht zu machen, und da Madame Melina, ungeachtet ihrer hohen Schwangerschaft, die Rolle der himmlischen Jungfrau übernommen hatte, so wurde er angewiesen, ihr das Maß zu nehmen, und die Gräfin bezeichnete, wiewohl mit einigem Unwillen ihrer Kammerjungfern, die Kleider aus der Garderobe, welche dazu verschnitten werden sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":341,"orig":"Auf eine geſchickte Weiſe wußte die Baroneſſe Wilhelmen wieder bey Seite zu ſchaffen, und ließ ihn bald darauf wiſſen, ſie habe die übrigen Sachen auch beſorgt.","norm":"Auf eine geschickte Weise wusste die Baronesse Wilhelm wieder beiseitezuschaffen, und ließ ihn bald darauf wissen, sie habe die übrigen Sachen auch besorgt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":342,"orig":"Sie ſchickte ihm zugleich den Muſikum, der des Grafen Hauskapelle dirigirte, damit dieſer theils die nothwendigen Stücke komponiren, theils ſchickliche Melodien aus dem Muſikvorrathe dazu ausſuchen ſollte.","norm":"Sie schickte ihm zugleich den Musikus, der des Grafen Hauskapelle dirigierte, damit dieser teils die notwendigen Stücke komponieren, teils schickliche Melodien aus dem Musikvorrate dazu aussuchen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":343,"orig":"Nunmehr ging alles nach Wunſche, der Graf fragte dem Stücke nicht weiter nach, ſondern war hauptſächlich mit der transparenten Dekoration beſchäftigt, welche am Ende des Stükkes die Zuſchauer überraſchen ſollte.","norm":"Nunmehr ging alles nach Wunsche, der Graf fragte dem Stücke nicht weiter nach, sondern war hauptsächlich mit der transparenten Dekoration beschäftigt, welche am Ende des Stückes die Zuschauer überraschen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":344,"orig":"Seine Erfindung und die Geſchicklichkeit ſeines Konditors brachten zuſammen wirklich eine recht angenehme Erleuchtung zuwege.","norm":"Seine Erfindung und die Geschicklichkeit seines Konditors brachten zusammen wirklich eine recht angenehme Erleuchtung zuwege."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":345,"orig":"Denn auf ſeinen Reiſen hatte er die größten Feyerlichkeiten dieſer Art geſehen, viele Kupfer und Zeichnungen mitgebracht, und wußte, was dazu gehörte, mit vielem Geſchmacke anzugeben.","norm":"Denn auf seinen Reisen hatte er die größten Feierlichkeiten dieser Art gesehen, viele Kupfer und Zeichnungen mitgebracht, und wusste, was dazugehörte, mit vielem Geschmacke anzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":346,"orig":"Unterdeſſen endigte Wilhelm ſein Stück, gab einem jeden ſeine Rolle, übernahm die ſeinige, und der Muſikus, der ſich zugleich ſehr gut auf den Tanz verſtund, richtete das Ballet ein, und ſo ging alles zum beſten.","norm":"Unterdessen endigte Wilhelm sein Stück, gab einem jeden seine Rolle, übernahm die seinige, und der Musikus, der sich zugleich sehr gut auf den Tanz verstand, richtete das Ballett ein, und so ging alles zum besten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":347,"orig":"Nur ein unerwartetes Hinderniß legte ſich in den Weg, das ihm eine böſe Lücke zu machen drohte.","norm":"Nur ein unerwartetes Hindernis legte sich in den Weg, das ihm eine böse Lücke zu machen drohte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":348,"orig":"Er hatte ſich den größten Effekt von Mignons Eyertanze verſprochen, und wie erſtaunt war er daher, als das Kind ihm, mit ſeiner gewöhnlichen Trokkenheit, abſchlug zu tanzen, verſicherte, es ſey nunmehr ſein und werde nicht mehr auf das Theater gehen.","norm":"Er hatte sich den größten Effekt von Mignons Eiertanze versprochen, und wie erstaunt war er daher, als das Kind ihm, mit seiner gewöhnlichen Trockenheit, abschlug zu tanzen, versicherte, es sei nunmehr sein und werde nicht mehr auf das Theater gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":349,"orig":"Er ſuchte es durch allerley Zureden zu bewegen, und ließ nicht eher ab, als bis es bitterlich zu weinen anfing, ihm zu Füßen fiel und rief: lieber Vater!","norm":"Er suchte es durch allerlei Zureden zu bewegen, und ließ nicht eher ab, als bis es bitterlich zu weinen anfing, ihm zu Füßen fiel und rief: lieber Vater!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":350,"orig":"bleib auch du von den Brettern!","norm":"bleibe auch du von den Brettern!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":351,"orig":"Er merkte nicht auf dieſen Wink, und ſann, wie er durch eine andere Wendung die Scene intereſſant machen wollte.","norm":"Er merkte nicht auf diesen Wink, und sann, wie er durch eine andere Wendung die Szene interessant machen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":352,"orig":"Philine, die eins von den Landmädchen machte, und in dem Reihentanz die einzelne Stimme ſingen und die Verſe dem Chore zubringen ſollte, freute ſich recht ausgelaſſen darauf.","norm":"Philine, die eins von den Landmädchen machte, und in dem Reihentanz die einzelne Stimme singen und die Verse dem Chore zubringen sollte, freute sich recht ausgelassen darauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":353,"orig":"Übrigens ging ihr es vollkommen nach Wunſche, ſie hatte ihr beſonderes Zimmer, war immer um die Gräfin, die ſie mit ihren Affenpoſſen unterhielt, und dafür täglich etwas geſchenkt bekam.","norm":"Übrigens ging ihr es vollkommen nach Wunsche, sie hatte ihr besonderes Zimmer, war immer um die Gräfin, die sie mit ihren Affenpossen unterhielt, und dafür täglich etwas geschenkt bekam."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":354,"orig":"Ein Kleid zu dieſem Stücke wurde auch für ſie zurechte gemacht, und weil ſie von einer leichten nachahmenden Natur war, ſo hatte ſie ſich bald aus dem Umgange der Damen ſo viel gemerkt, als ſich für ſie ſchickte, und war in kurzer Zeit voller Lebensart und guten Betragens geworden.","norm":"Ein Kleid zu diesem Stücke wurde auch für sie zurechte gemacht, und weil sie von einer leichten nachahmenden Natur war, so hatte sie sich bald aus dem Umgange der Damen so viel gemerkt, als sich für sie schickte, und war in kurzer Zeit voller Lebensart und guten Betragens geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":355,"orig":"Die Sorgfalt des Stallmeiſters nahm mehr zu als ab, und da die Offiziere auch ſtark auf ſie eindrangen, und ſie ſich in einem ſo reichlichen Elemente befand, fiel es ihr ein, auch einmal die Spröde zu ſpielen, und auf eine geſchickte Weiſe ſich in einem gewiſſen vornehmen Anſehn zu üben.","norm":"Die Sorgfalt des Stallmeisters nahm mehr zu als ab, und da die Offiziere auch stark auf sie eindrangen, und sie sich in einem so reichlichen Elemente befand, fiel es ihr ein, auch einmal die Spröde zu spielen, und auf eine geschickte Weise sich in einem gewissen vornehmen Ansehen zu üben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":356,"orig":"Kalt und fein wie ſie war, kannte ſie in acht Tagen die Schwächen des ganzen Hauſes, daß, wenn ſie abſichtlich hätte verfahren können, ſie gar leicht ihr Glück würde gemacht haben.","norm":"Kalt und fein wie sie war, kannte sie in acht Tagen die Schwächen des ganzen Hauses, dass, wenn sie absichtlich hätte verfahren können, sie gar leicht ihr Glück würde gemacht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":357,"orig":"Allein auch hier bediente ſie ſich ihres Vortheils nur, um ſich zu beluſtigen, um ſich einen guten Tag zu machen und impertinent zu ſeyn, wo ſie merkte, daß es ohne Gefahr geſchehen konnte.","norm":"Allein auch hier bediente sie sich ihres Vorteils nur, um sich zu belustigen, um sich einen guten Tag zu machen und impertinent zu sein, wo sie merkte, dass es ohne Gefahr geschehen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":358,"orig":"Die Rollen waren gelernt, eine Hauptprobe des Stücks ward befohlen, der Graf wollte dabey ſeyn, und ſeine Gemahlin fing an zu ſorgen, wie er es aufnehmen mögte?","norm":"Die Rollen waren gelernt, eine Hauptprobe des Stücks wurde befohlen, der Graf wollte dabei sein, und seine Gemahlin fing an zu Sorgen, wie er es aufnehmen möchte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":359,"orig":"Die Baroneſſe berief Wilhelmen heimlich, und man zeigte, je näher die Stunde herbey rückte, immer mehr Verlegenheit: denn es war doch eben ganz und gar nichts von der Idee des Grafen übrig geblieben.","norm":"Die Baronesse berief Wilhelm heimlich, und man zeigte, je näher die Stunde herbeirückte, immer mehr Verlegenheit: denn es war doch eben ganz und gar nichts von der Idee des Grafen übriggeblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":360,"orig":"Jarno, der eben herein trat, wurde in das Geheimniß gezogen.","norm":"Jarno, der eben hereintrat, wurde in das Geheimnis gezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":361,"orig":"Es freute ihn herzlich, und er war geneigt, ſeine gute Dienſte den Damen anzubieten.","norm":"Es freute ihn herzlich, und er war geneigt, seine gute Dienste den Damen anzubieten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":362,"orig":"Es wäre gar ſchlimm, ſagte er, gnädige Frau, wenn Sie ſich aus dieſer Sache nicht allein heraus helfen wollten; doch auf alle Fälle will ich im Hinterhalte liegen bleiben.","norm":"Es wäre gar schlimm, sagte er, gnädige Frau, wenn Sie sich aus dieser Sache nicht allein heraushelfen wollten; doch auf alle Fälle will ich im Hinterhalte liegen bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":363,"orig":"Die Baroneſſe erzählte hierauf, wie ſie bisher dem Grafen das ganze Stück, aber nur immer ſtellenweiſe und ohne Ordnung erzählt habe, daß er alſo auf jedes Einzelne vorbereitet ſey, nur ſtehe er freylich in Gedanken, das Ganze werde mit ſeiner Idee zuſammentreffen.","norm":"Die Baronesse erzählte hierauf, wie sie bisher dem Grafen das ganze Stück, aber nur immer stellenweise und ohne Ordnung erzählt habe, dass er also auf jedes Einzelne vorbereitet sei, nur stehe er freilich in Gedanken, das Ganze werde mit seiner Idee zusammentreffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":364,"orig":"Ich will mich, ſagte ſie, heute Abend in der Probe zu ihm ſetzen, und ihn zu zerſtreuen ſuchen.","norm":"Ich will mich, sagte sie, heute Abend in der Probe zu ihm setzen, und ihn zu zerstreuen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":365,"orig":"Den Konditor habe ich auch ſchon vorgehabt, daß er ja die Dekoration am Ende recht ſchön macht, dabey aber doch etwas geringes fehlen läßt.","norm":"Den Konditor habe ich auch schon vorgehabt, dass er ja die Dekoration am Ende recht schön macht, dabei aber doch etwas Geringes fehlen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":366,"orig":"Ich wüßte einen Hof, verſetzte Jarno, wo wir ſo thätige und kluge Freunde brauchten, als Sie ſind.","norm":"Ich wüsste einen Hof, versetzte Jarno, wo wir so tätige und kluge Freunde brauchten, als Sie sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":367,"orig":"Will es heut Abend mit Ihren Künſten nicht mehr fort, ſo winken Sie mir, und ich will den Grafen heraus holen, und ihn nicht eher wieder hinein laſſen, bis Minerva auftritt, und von der Illumination bald Sukkurs zu hoffen iſt.","norm":"Will es heute Abend mit Ihren Künsten nicht mehr fort, so winken Sie mir, und ich will den Grafen herausholen, und ihn nicht eher wieder hineinlassen, bis Minerva auftritt, und von der Illumination bald Sukkurs zu hoffen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":368,"orig":"Ich habe ihm ſchon ſeit einigen Tagen etwas zu eröffnen, das ſeinen Vetter betrift, und das ich noch immer aus Urſachen aufgeſchoben habe.","norm":"Ich habe ihm schon seit einigen Tagen etwas zu eröffnen, das seinen Vetter betrifft, und das ich noch immer aus Ursachen aufgeschoben habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":369,"orig":"Es wird ihm auch das eine Distraktion geben, und zwar nicht die angenehmſte.","norm":"Es wird ihm auch das eine Distraktion geben, und zwar nicht die angenehmste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":370,"orig":"Einige Geſchäfte hinderten den Grafen, zu Anfange der Probe zu ſeyn, dann unterhielt ihn die Baroneſſe.","norm":"Einige Geschäfte hinderten den Grafen, zu Anfange der Probe zu sein, dann unterhielt ihn die Baronesse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":371,"orig":"Jarnos Hülfe war gar nicht nöthig.","norm":"Jarnos Hilfe war gar nicht nötig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":372,"orig":"Denn indem der Graf genug zurecht zu weiſen, zu verbeſſern und anzuordnen hatte, vergas er ſich ganz und gar darüber, und da Frau Melina zuletzt nach ſeinem Sinne ſprach, und die Illumination gut ausfiel, bezeigte er ſich vollkommen zufrieden.","norm":"Denn indem der Graf genug zurechtzuweisen, zu verbessern und anzuordnen hatte, vergaß er sich ganz und gar darüber, und da Frau Melina zuletzt nach seinem Sinne sprach, und die Illumination gut ausfiel, bezeigte er sich vollkommen zufrieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":373,"orig":"Erſt als alles vorbey war, und man zum Spiele ging, ſchien ihm der Unterſchied aufzufallen, und er fing an nachzudenken, ob denn das Stück auch wirklich von ſeiner Erfindung ſey?","norm":"Erst als alles vorbei war, und man zum Spiele ging, schien ihm der Unterschied aufzufallen, und er fing an nachzudenken, ob denn das Stück auch wirklich von seiner Erfindung sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":374,"orig":"Auf einen Wink fiel nun Jarno aus ſeinem Hinterhalte hervor, der Abend verging, die Nachricht, daß der Prinz wirklich komme, beſtätigte ſich, man ritt einigemal aus, die Avantgarde in der Nachbarſchaft kampiren zu ſehen, das Haus war voller Lärmen und Unruhe, und unſere Schauſpieler, die nicht immer zum beſten von den unwilligen Bedienten verſorgt wurden, mußten, ohne daß jemand ſonderlich ſich ihrer erinnerte, in dem alten Schloſſe ihre Zeit in Erwartungen und Übungen zubringen.","norm":"Auf einen Wink fiel nun Jarno aus seinem Hinterhalte hervor, der Abend verging, die Nachricht, dass der Prinz wirklich komme, bestätigte sich, man ritt einige Mal aus, die Avantgarde in der Nachbarschaft kampieren zu sehen, das Haus war voller Lärmen und Unruhe, und unsere Schauspieler, die nicht immer zum besten von den unwilligen Bedienten versorgt wurden, mussten, ohne dass jemand sonderlich sich ihrer erinnerte, in dem alten Schlosse ihre Zeit in Erwartungen und Übungen zubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":375,"orig":"Endlich war der Prinz angekommen, die Generalität, die Staabsofficiere und das übrige Gefolge, das zu gleicher Zeit eintraf, die vielen Menſchen, die theils zum Beſuche, theils geſchäftswegen einſprachen, machten das Schloß einem Bienenſtocke ähnlich, der eben ſchwärmen will.","norm":"Endlich war der Prinz angekommen, die Generalität, die Stabsoffiziere und das übrige Gefolge, das zu gleicher Zeit eintraf, die vielen Menschen, die teils zum Besuche, teils Geschäftswegen einsprachen, machten das Schloss einem Bienenstocke ähnlich, der eben schwärmen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":376,"orig":"Jederman drängte ſich herbey, den vortrefflichen Fürſten zu ſehen, und jedermann bewunderte ſeine Leutſeligkeit und Herablaſſung, jedermann erſtaunte in dem Helden und Heerführer zugleich den gefälligſten Hofmann zu erblicken.","norm":"Jedermann drängte sich herbei, den vortrefflichen Fürsten zu sehen, und jedermann bewunderte seine Leutseligkeit und Herablassung, jedermann erstaunte in dem Helden und Heerführer zugleich den gefälligsten Hofmann zu erblicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":377,"orig":"Alle Hausgenoſſen mußten nach Order des Grafen bey der Ankunft des Fürſten auf ihrem Poſten ſeyn, kein Schauſpieler durfte ſich blicken laſſen, weil der Prinz mit den vorbereiteten Feyerlichkeiten überraſcht werden ſollte, und ſo ſchien er auch des Abends, als man ihn in den großen wohlerleuchteten und mit gewirkten Tapeten des vorigen Jahrhunderts ausgezierten Saal führte, ganz und gar nicht auf ein Schauſpiel, vielweniger auf ein Vorſpiel zu ſeinem Lobe, vorbereitet zu ſeyn.","norm":"Alle Hausgenossen mussten nach Order des Grafen bei der Ankunft des Fürsten auf ihrem Posten sein, kein Schauspieler durfte sich blicken lassen, weil der Prinz mit den vorbereiteten Feierlichkeiten überrascht werden sollte, und so schien er auch des Abends, als man ihn in den großen wohlerleuchteten und mit gewirkten Tapeten des vorigen Jahrhunderts verzierten Saal führte, ganz und gar nicht auf ein Schauspiel, viel weniger auf ein Vorspiel zu seinem Lobe, vorbereitet zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":378,"orig":"Alles lief auf das beſte ab, und die Truppe mußte nach vollendeter Vorſtellung herbey und ſich dem Prinzen zeigen, der jeden auf die freundlichſte Weiſe etwas zu fragen, jedem auf die gefälligſte Art etwas zu ſagen wußte.","norm":"Alles lief auf das Beste ab, und die Truppe musste nach vollendeter Vorstellung herbei und sich dem Prinzen zeigen, der jeden auf die freundlichste Weise etwas zu fragen, jedem auf die gefälligste Art etwas zu sagen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":379,"orig":"Wilhelm als Autor mußte beſonders vortreten, und ihm ward gleichfalls ſein Theil Beyfall zugeſpendet.","norm":"Wilhelm als Autor musste besonders vortreten, und ihm wurde gleichfalls sein Teil Beifall zugespendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":380,"orig":"Nach dem Vorſpiele fragte niemand ſonderlich, in einigen Tagen war es, als wenn nichts dergleichen wäre aufgeführt worden, außer daß Jarno mit Wilhelmen gelegentlich davon ſprach, und es ſehr verſtändig lobte, nur ſetzte er hinzu: es iſt Schade, daß Sie mit hohlen Nüſſen um hohle Nüſſe ſpielen.","norm":"Nach dem Vorspiele fragte niemand sonderlich, in einigen Tagen war es, als wenn nichts dergleichen wäre aufgeführt worden, außer dass Jarno mit Wilhelm gelegentlich davon sprach, und es sehr verständig lobte, nur setzte er hinzu: Es ist schade, dass Sie mit hohlen Nüssen um hohle Nüsse spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":381,"orig":"— Mehrere Tage lag Wilhelmen dieſer Ausdruck im Sinne, er wußte nicht, wie er ihn auslegen, noch was er daraus nehmen ſollte.","norm":"— Mehrere Tage lag Wilhelm dieser Ausdruck im Sinne, er wusste nicht, wie er ihn auslegen, noch was er daraus nehmen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":382,"orig":"Unterdeſſen ſpielte die Geſellſchaft jeden Abend ſo gut, als ſie es nach ihren Kräften vermochte, und that das mögliche, um die Aufmerkſamkeit der Zuſchauer auf ſich zu ziehen.","norm":"Unterdessen spielte die Gesellschaft jeden Abend so gut, als sie es nach ihren Kräften vermochte, und tat das mögliche, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":383,"orig":"Ein unverdienter Beyfall munterte ſie auf, und in ihrem alten Schloſſe glaubten ſie nun wirklich, eigentlich um ihretwillen dränge ſich die große Verſammlung herbey, nach ihren Vorſtellungen ziehe ſich die Menge der Fremden, und ſie ſeyen der Mittelpunkt, um den und um deswillen ſich alles drehe und bewege.","norm":"Ein unverdienter Beifall munterte sie auf, und in ihrem alten Schlosse glaubten sie nun wirklich, eigentlich um ihretwillen dränge sich die große Versammlung herbei, nach ihren Vorstellungen ziehe sich die Menge der Fremden, und sie seien der Mittelpunkt, um den und um deswillen sich alles drehe und bewege."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":384,"orig":"Wilhelm allein bemerkte zu ſeinem großen Verdruſſe gerade das Gegentheil.","norm":"Wilhelm allein bemerkte zu seinem großen Verdrusse gerade das Gegenteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":385,"orig":"Denn obgleich der Prinz die erſten Vorſtellungen von Anfange bis zu Ende auf ſeinem Seſſel ſitzend, mit der größten Gewiſſenhaftigkeit abwartete, ſo ſchien er ſich doch nach und nach auf eine gute Weiſe davon zu diſpenſiren.","norm":"Denn obgleich der Prinz die ersten Vorstellungen von Anfange bis zu Ende auf seinem Sessel sitzend, mit der größten Gewissenhaftigkeit abwartete, so schien er sich doch nach und nach auf eine gute Weise davon zu dispensieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":386,"orig":"Gerade diejenigen, welche Wilhelm im Geſpräche als die Verſtändigſten gefunden hatte, Jarno an ihrer Spitze, brachten nur flüchtige Augenblicke im Theaterſaale zu, übrigens ſaßen ſie im Vorzimmer, ſpielten, oder ſchienen ſich von Geſchäften zu unterhalten.","norm":"Gerade diejenigen, welche Wilhelm im Gespräche als die Verständigsten gefunden hatte, Jarno an ihrer Spitze, brachten nur flüchtige Augenblicke im Theatersaale zu, übrigens saßen sie im Vorzimmer, spielten, oder schienen sich von Geschäften zu unterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":387,"orig":"Wilhelmen verdroß gar ſehr, bey ſeinen anhaltenden Bemühungen des erwünſchteſten Beyfalls zu entbehren.","norm":"Wilhelm verdross gar sehr, bei seinen anhaltenden Bemühungen des erwünschtesten Beifalls zu entbehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":388,"orig":"Bey der Auswahl der Stücke, der Abſchrift der Rollen, den häufigen Proben, und was ſonſt nur immer vorkommen konnte, ging er Melinen eifrig zur Hand, der ihn denn auch, ſeine eigene Unzulänglichkeit im ſtillen fühlend, zuletzt gewähren ließ.","norm":"Bei der Auswahl der Stücke, der Abschrift der Rollen, den häufigen Proben, und was sonst nur immer vorkommen konnte, ging er Meline eifrig zur Hand, der ihn denn auch, seine eigene Unzulänglichkeit im Stillen fühlend, zuletzt gewähren ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":389,"orig":"Die Rollen memorirte Wilhelm mit Fleiß, und trug ſie mit Wärme und Lebhaftigkeit, und mit ſo viel Anſtand vor, als die wenige Bildung erlaubte, die er ſich ſelbſt gegeben hatte.","norm":"Die Rollen memorierte Wilhelm mit Fleiß, und trug sie mit Wärme und Lebhaftigkeit, und mit so viel Anstand vor, als die wenige Bildung erlaubte, die er sich selbst gegeben hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":390,"orig":"Die fortgeſetzte Theilnahme des Barons benahm indeß der übrigen Geſellſchaft jeden Zweifel, indem er ſie verſicherte, daß ſie die größten Effekte hervorbringe, beſonders indem ſie eins ſeiner eigenen Stücke aufführte, nur bedauerte er, daß der Prinz eine ausſchließende Neigung für das franzöſiſche Theater habe, daß ein Theil ſeiner Leute hingegen, worunter ſich Jarno beſonders auszeichne, den Ungeheuren der engliſchen Bühne einen leidenſchaftlichen Vorzug gebe.","norm":"Die fortgesetzte Teilnahme des Barons benahm indes der übrigen Gesellschaft jeden Zweifel, indem er sie versicherte, dass sie die größten Effekte hervorbringe, besonders indem sie eins seiner eigenen Stücke aufführte, nur bedauerte er, dass der Prinz eine ausschließliche Neigung für das französische Theater habe, dass ein Teil seiner Leute hingegen, worunter sich Jarno besonders auszeichne, den Ungeheuren der englischen Bühne einen leidenschaftlichen Vorzug gebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":391,"orig":"War nun auf dieſe Weiſe die Kunſt unſrer Schauſpieler nicht auf das beſte bemerkt und bewundert; ſo waren dagegen ihre Perſonen den Zuſchauern und Zuſchauerinnen nicht völlig gleichgültig.","norm":"War nun auf diese Weise die Kunst unserer Schauspieler nicht auf das Beste bemerkt und bewundert; so waren dagegen ihre Personen den Zuschauern und Zuschauerinnen nicht völlig gleichgültig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":392,"orig":"Wir haben ſchon oben angezeigt, daß die Schauſpielerinnen gleich von Anfang die Aufmerkſamkeit junger Officiere erregten; allein ſie waren in der Folge glücklicher, und machten wichtigere Eroberungen.","norm":"Wir haben schon oben angezeigt, dass die Schauspielerinnen gleich von Anfang die Aufmerksamkeit junger Offiziere erregten; allein sie waren in der Folge glücklicher, und machten wichtigere Eroberungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":393,"orig":"Doch wir ſchweigen davon und bemerken nur, daß Wilhelm der Gräfin von Tag zu Tag intereſſanter vorkam, ſo wie auch in ihm eine ſtille Neigung gegen ſie aufzukeimen anfing.","norm":"Doch wir schweigen davon und bemerken nur, dass Wilhelm der Gräfin von Tag zu Tag interessanter vorkam, so wie auch in ihm eine stille Neigung gegen sie aufzukeimen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":394,"orig":"Sie konnte, wenn er auf dem Theater war, die Augen nicht von ihm abwenden, und er ſchien bald nur allein gegen ſie gerichtet zu ſpielen und zu rezitiren.","norm":"Sie konnte, wenn er auf dem Theater war, die Augen nicht von ihm abwenden, und er schien bald nur allein gegen sie gerichtet zu spielen und zu rezitieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":395,"orig":"Sich wechſelſeitig anzuſehen, war ihnen ein unausſprechliches Vergnügen, dem ſich ihre harmloſen Seelen ganz überließen, ohne lebhaftere Wünſche zu nähren, oder für irgend eine Folge beſorgt zu ſeyn.","norm":"Sich wechselseitig anzusehen, war ihnen ein unaussprechliches Vergnügen, dem sich ihre harmlosen Seelen ganz überließen, ohne lebhaftere Wünsche zu nähren, oder für irgendeine Folge besorgt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":396,"orig":"Wie über einen Fluß hinüber, der ſie ſcheidet, zwey feindliche Vorpoſten ſich ruhig und luſtig zuſammen beſprechen, ohne an den Krieg zu denken, in welchen ihre beiderſeitigen Partheyen begriffen ſind: ſo wechſelte die Gräfin mit Wilhelm bedeutende Blicke über die ungeheure Kluft der Geburt und des Standes hinüber, und jedes glaubte an ſeiner Seite, ſicher ſeinen Empfindungen nachhängen zu dürfen.","norm":"Wie über einen Fluss hinüber, der sie scheidet, zwei feindliche Vorposten sich ruhig und lustig zusammen besprechen, ohne an den Krieg zu denken, in welchen ihre beiderseitigen Parteien begriffen sind: so wechselte die Gräfin mit Wilhelm bedeutende Blicke über die ungeheure Kluft der Geburt und des Standes hinüber, und jedes glaubte an seiner Seite, sicher seinen Empfindungen nachhängen zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":397,"orig":"Die Baroneſſe hatte ſich indeſſen den Laertes ausgeſucht, der ihr als ein wackerer, munterer Jüngling beſonders wohlgefiel, und der, ſo ſehr Weiberfeind er war, doch ein vorbeygehendes Abentheuer nicht verſchmähete, und wirklich dießmal wider Willen durch die Leutſeligkeit und das einnehmende Weſen der Baroneſſe gefeſſelt worden wäre, hätte ihm der Baron zufällig nicht einen guten, oder, wenn man will, einen ſchlimmen Dienſt erzeigt, indem er ihn mit den Geſinnungen dieſer Dame näher bekannt machte.","norm":"Die Baronesse hatte sich indessen den Laertes ausgesucht, der ihr als ein wackerer, munterer Jüngling besonders wohl gefiel, und der, so sehr Weiberfeind er war, doch ein vorbeigehendes Abenteuer nicht verschmähte, und wirklich diesmal wider Willen durch die Leutseligkeit und das einnehmende Wesen der Baronesse gefesselt worden wäre, hätte ihm der Baron zufällig nicht einen guten, oder, wenn man will, einen schlimmen Dienst erzeigt, indem er ihn mit den Gesinnungen dieser Dame näher bekannt machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":398,"orig":"Denn als Laertes ſie einſt laut rühmte, und ſie allen andern ihres Geſchlechts vorzog, verſetzte der Baron ſcherzend: ich merke ſchon wie die Sachen ſtehen, unſre liebe Freundin hat wieder einen für ihre Ställe gewonnen.","norm":"Denn als Laertes sie einst laut rühmte, und sie allen anderen ihres Geschlechts vorzog, versetzte der Baron scherzend: Ich merke schon wie die Sachen stehen, unsere liebe Freundin hat wieder einen für ihre Ställe gewonnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":399,"orig":"Dieſes unglückliche Gleichniß, das nur zu klar auf die gefährlichen Liebkoſungen einer Circe deutete, verdroß Laertes über die maaßen, und er konnte dem Baron nicht ohne Ärgerniß zuhören, der ohne Barmherzigkeit fortfuhr:","norm":"Dieses unglückliche Gleichnis, das nur zu klar auf die gefährlichen Liebkosungen einer Circe deutete, verdross Laertes über die Maßen, und er konnte dem Baron nicht ohne Ärgernis zuhören, der ohne Barmherzigkeit fortfuhr:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":400,"orig":"Jeder Fremde glaubt, daß er der erſte ſey, dem ein ſo angenehmes Betragen gelte; aber er irrt gewaltig, denn wir alle ſind einmal auf dieſem Wege herum geführt worden;","norm":"Jeder Fremde glaubt, dass er der erste sei, dem ein so angenehmes Betragen gelte; aber er irrt gewaltig, denn wir alle sind einmal auf diesem Wege herumgeführt worden;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":401,"orig":"Mann, Jüngling oder Knabe, er ſey wer er ſey, muß ſich eine Zeitlang ihr ergeben, ihr anhängen, und ſich mit Sehnſucht um ſie bemühen.","norm":"Mann, Jüngling oder Knabe, er sei wer er sei, muss sich eine Zeitlang ihr ergeben, ihr anhängen, und sich mit Sehnsucht um sie bemühen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":402,"orig":"Den Glücklichen, der eben, in die Gärten einer Zauberin hinein tretend, von allen Seligkeiten eines künſtlichen Frühlings empfangen wird, kann nichts unangenehmer überraſchen, als wenn ihm, deſſen Ohr ganz auf den Geſang der Nachtigall lauſcht, irgend ein verwandelter Vorfahr unvermuthet entgegen grunzt.","norm":"Den Glücklichen, der eben, in die Gärten einer Zauberin hineintretend, von allen Seligkeiten eines künstlichen Frühlings empfangen wird, kann nichts unangenehmer überraschen, als wenn ihm, dessen Ohr ganz auf den Gesang der Nachtigall lauscht, irgendein verwandelter Vorfahr unvermutet entgegengrunzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":403,"orig":"Laertes ſchämte ſich nach dieſer Entdekkung recht von Herzen, daß ihn ſeine Eitelkeit nochmals verleitet habe, von irgend einer Frau auch nur im mindeſten gut zu denken.","norm":"Laertes schämte sich nach dieser Entdeckung recht von Herzen, dass ihn seine Eitelkeit nochmals verleitet habe, von irgendeiner Frau auch nur im mindesten gut zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":404,"orig":"Er vernachläſſigte ſie nunmehr völlig, hielt ſich zu dem Stallmeiſter, mit dem er fleißig focht und auf die Jagd ging; bey Proben und Vorſtellungen aber ſich betrug, als wenn dieß blos eine Nebenſache wäre.","norm":"Er vernachlässigte sie nunmehr völlig, hielt sich zu dem Stallmeister, mit dem er fleißig focht und auf die Jagd ging; bei Proben und Vorstellungen aber sich betrug, als wenn dies bloß eine Nebensache wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":405,"orig":"Der Graf und die Gräfin ließen manchmal morgens einige von der Geſellſchaft rufen, da jeder denn immer Philinens unverdientes Glück zu beneiden Urſache fand.","norm":"Der Graf und die Gräfin ließen manchmal morgens einige von der Gesellschaft rufen, da jeder denn immer Philines unverdientes Glück zu beneiden Ursache fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":406,"orig":"Der Graf hatte ſeinen Liebling, den Pedanten, oft Stundenlang bey ſeiner Toilette.","norm":"Der Graf hatte seinen Liebling, den Pedanten, oft stundenlang bei seiner Toilette."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":407,"orig":"Dieſer Menſch ward nach und nach bekleidet, und bis auf Uhr und Doſe equipirt und ausgeſtattet.","norm":"Dieser Mensch wurde nach und nach bekleidet, und bis auf Uhr und Dose equipiert und ausgestattet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":408,"orig":"Auch wurde die Geſellſchaft manchmal ſammt und ſonders nach Tafel vor die hohen Herrſchaften gefordert.","norm":"Auch wurde die Gesellschaft manchmal samt und sonders nach Tafel vor die hohen Herrschaften gefordert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":409,"orig":"Sie ſchätzten ſich es zur größten Ehre, und bemerkten nicht, daß man zu eben derſelben Zeit durch Jäger und Bediente eine Anzahl Hunde hereinbringen, und Pferde im Schloßhofe vorführen ließ.","norm":"Sie schätzten sich es zur größten Ehre, und bemerkten nicht, dass man zu ebenderselben Zeit durch Jäger und Bediente eine Anzahl Hunde hereinbringen, und Pferde im Schlosshofe vorführen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":410,"orig":"Man hatte Wilhelmen geſagt, daß er ja gelegentlich des Prinzen Liebling, Racine, loben, und dadurch auch von ſich eine gute Meinung erwecken ſolle.","norm":"Man hatte Wilhelm gesagt, dass er ja gelegentlich des Prinzen Liebling, Racine, loben, und dadurch auch von sich eine gute Meinung erwecken solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":411,"orig":"Er fand dazu an einem ſolchen Nachmittage Gelegenheit, da er auch mit vorgefordert worden war, und der Prinz ihn fragte, ob er auch fleißig die großen franzöſiſchen Theaterſchriftſteller leſe?","norm":"Er fand dazu an einem solchen Nachmittage Gelegenheit, da er auch mit vorgefordert worden war, und der Prinz ihn fragte, ob er auch fleißig die großen französischen Theaterschriftsteller lese?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":412,"orig":"darauf ihm denn Wilhelm mit einem ſehr lebhaften Ja antwortete.","norm":"darauf ihm denn Wilhelm mit einem sehr lebhaften Ja antwortete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":413,"orig":"Er bemerkte nicht, daß der Fürſt, ohne ſeine Antwort abzuwarten, ſchon im Begriff war ſich weg und zu jemand anders zu wenden, er faßte ihn vielmehr ſogleich und trat ihm beynah in den Weg, indem er fortfuhr: er ſchätze das franzöſiſche Theater ſehr hoch und leſe die Werke der großen Meiſter mit Entzücken, beſonders habe er zu wahrer Freude gehört, daß der Fürſt den großen Talenten eines Racine völlige Gerechtigkeit wiederfahren laſſe.","norm":"Er bemerkte nicht, dass der Fürst, ohne seine Antwort abzuwarten, schon im Begriff war sich weg und zu jemand anders zu wenden, er fasste ihn vielmehr sogleich und trat ihm beinahe in den Weg, indem er fortfuhr: Er schätze das französische Theater sehr hoch und lese die Werke der großen Meister mit Entzücken, besonders habe er zu wahrer Freude gehört, dass der Fürst den großen Talenten eines Racine völlige Gerechtigkeit widerfahren lasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":414,"orig":"Ich kann es mir vorſtellen, fuhr er fort, wie vornehme und erhabene Perſonen einen Dichter ſchätzen müſſen, der die Zuſtände ihrer höheren Verhältniſſe ſo vortrefflich und richtig ſchildert.","norm":"Ich kann es mir vorstellen, fuhr er fort, wie vornehme und erhabene Personen einen Dichter schätzen müssen, der die Zustände ihrer höheren Verhältnisse so vortrefflich und richtig schildert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":415,"orig":"Corneille hat, wenn ich ſo ſagen darf, große Menſchen dargeſtellt, und Racine vornehme Perſonen.","norm":"Corneille hat, wenn ich so sagen darf, große Menschen dargestellt, und Racine vornehme Personen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":416,"orig":"Ich kann mir, wenn ich ſeine Stücke leſe, immer den Dichter denken, der an einem glänzenden Hofe lebt, einen großen König vor Augen hat, mit den Beſten umgeht, und in die Geheimniſſe der Menſchheit dringt, wie ſie ſich hinter koſtbar gewürkten Tapeten verbergen.","norm":"Ich kann mir, wenn ich seine Stücke lese, immer den Dichter denken, der an einem glänzenden Hofe lebt, einen großen König vor Augen hat, mit den Besten umgeht, und in die Geheimnisse der Menschheit dringt, wie sie sich hinter kostbar gewirkten Tapeten verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":417,"orig":"Wenn ich ſeinen Brittanikus, ſeine Berenice ſtudire, ſo kommt es mir wirklich vor, ich ſey am Hofe, ſey in das Große und Kleine dieſer Wohnungen der irrdiſchen Götter eingeweyht, und ich ſehe, durch die Augen eines feinfühlenden Franzoſen, Könige, die eine ganze Nation anbetet, Hofleute, die von viel tauſenden beneidet werden, in ihrer natürlichen Geſtalt mit ihren Fehlern und Schmerzen.","norm":"Wenn ich seinen Britannicus, seine Berenice studiere, so kommt es mir wirklich vor, ich sei am Hofe, sei in das Große und Kleine dieser Wohnungen der irdischen Götter eingeweiht, und ich sehe, durch die Augen eines feinfühlenden Franzosen, Könige, die eine ganze Nation anbetet, Hofleute, die von viel Tausenden beneidet werden, in ihrer natürlichen Gestalt mit ihren Fehlern und Schmerzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":418,"orig":"Die Anekdote, daß Racine ſich zu Tode gegrämt habe, weil Ludwig der vierzehnte ihn nicht mehr angeſehen, ihn ſeine Unzufriedenheit fühlen laſſen, iſt mir ein Schlüſſel zu allen ſeinen Werken, und es iſt unmöglich, daß ein Dichter von ſo großen Talenten, deſſen Leben und Tod an den Augen eines Königes hängt, nicht auch Stücke ſchreiben ſolle, die des Beyfalls eines Königes und eines Fürſten werth ſeyen.","norm":"Die Anekdote, dass Racine sich zu Tode gegrämt habe, weil Ludwig der Vierzehnte ihn nicht mehr angesehen, ihn seine Unzufriedenheit fühlen lassen, ist mir ein Schlüssel zu allen seinen Werken, und es ist unmöglich, dass ein Dichter von so großen Talenten, dessen Leben und Tod an den Augen eines Königs hängt, nicht auch Stücke schreiben solle, die des Beifalls eines Königs und eines Fürsten wert seien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":419,"orig":"Jarno war herbey getreten und hörte unſerem Freunde mit Verwunderung zu; der Fürſt, der nicht geantwortet und nur mit einem gefälligen Blicke ſeinen Beyfall gezeigt hatte, wandte ſich ſeitwärts, obgleich Wilhelm, dem es noch unbekannt war, daß es nicht anſtändig ſey, unter ſolchen Umſtänden einen Diskurs fortſetzen und eine Materie erſchöpfen zu wollen, noch gerne mehr geſprochen und dem Fürſten gezeigt hätte, daß er nicht ohne Nutzen und Gefühl ſeinen Lieblingsdichter geleſen.","norm":"Jarno war herbeigetreten und hörte unserem Freunde mit Verwunderung zu; der Fürst, der nicht geantwortet und nur mit einem gefälligen Blicke seinen Beifall gezeigt hatte, wandte sich seitwärts, obgleich Wilhelm, dem es noch unbekannt war, dass es nicht anständig sei, unter solchen Umständen einen Diskurs fortzusetzen und eine Materie erschöpfen zu wollen, noch gerne mehr gesprochen und dem Fürsten gezeigt hätte, dass er nicht ohne Nutzen und Gefühl seinen Lieblingsdichter gelesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":420,"orig":"Haben Sie denn niemals, ſagte Jarno, indem er ihn beyſeite nahm, ein Stück von Shakeſpearen geſehen?","norm":"Haben Sie denn niemals, sagte Jarno, indem er ihn beiseitenahm, ein Stück von Shakespeare gesehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":421,"orig":"Nein, verſetzte Wilhelm: denn ſeit der Zeit, daß ſie in Deutſchland bekannter geworden ſind, bin ich mit dem Theater unbekannt worden, und ich weiß nicht, ob ich mich freuen ſoll, daß ſich zufällig eine alte jugendliche Liebhaberey und Beſchäftigung gegenwärtig wieder erneuerte.","norm":"Nein, versetzte Wilhelm: denn seit der Zeit, dass sie in Deutschland bekannter geworden sind, bin ich mit dem Theater unbekannt worden, und ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, dass sich zufällig eine alte jugendliche Liebhaberei und Beschäftigung gegenwärtig wieder erneuerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":422,"orig":"Indeſſen hat mich alles, was ich von jenen Stücken gehört, nicht neugierig gemacht, ſolche ſeltſame Ungeheuer näher kennen zu lernen, die über alle Wahrſcheinlichkeit, allen Wohlſtand hinauszuſchreiten ſcheinen.","norm":"Indessen hat mich alles, was ich von jenen Stücken gehört, nicht neugierig gemacht, solche seltsame Ungeheuer näher kennen zu lernen, die über alle Wahrscheinlichkeit, allen Wohlstand hinauszuschreiten scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":423,"orig":"Ich will Ihnen denn doch rathen, verſetzte jener, einen Verſuch zu machen, es kann nichts ſchaden, wenn man auch das ſeltſame mit eigenen Augen ſieht.","norm":"Ich will Ihnen denn doch raten, versetzte jener, einen Versuch zu machen, es kann nichts schaden, wenn man auch das Seltsame mit eigenen Augen sieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":424,"orig":"Ich will Ihnen ein Paar Theile borgen, und Sie können Ihre Zeit nicht beſſer anwenden, als wenn Sie ſich gleich von allen losmachen, und in der Einſamkeit Ihrer alten Wohnung in die Zauberlaterne dieſer unbekannten Welt ſehen.","norm":"Ich will Ihnen ein paar Teile borgen, und Sie können Ihre Zeit nicht besser anwenden, als wenn Sie sich gleich von allen losmachen, und in der Einsamkeit Ihrer alten Wohnung in die Zauberlaterne dieser unbekannten Welt sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":425,"orig":"Es iſt ſündlich, daß Sie Ihre Stunden verderben, dieſe Affen menſchlicher auszuputzen, und dieſe Hunde tanzen zu lehren.","norm":"Es ist sündlich, dass Sie Ihre Stunden verderben, diese Affen menschlicher auszuputzen, und diese Hunde tanzen zu lehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":426,"orig":"Nur eins halte ich mir aus, daß Sie ſich an die Form nicht ſtoßen, das übrige kann ich Ihrem richtigen Gefühle überlaſſen.","norm":"Nur eins halte ich mir aus, dass Sie sich an die Form nicht stoßen, das Übrige kann ich Ihrem richtigen Gefühle überlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":427,"orig":"Die Pferde ſtanden vor der Thüre, und Jarno ſetzte ſich mit einigen Cavalieren auf, um ſich mit der Jagd zu erluſtigen.","norm":"Die Pferde standen vor der Türe, und Jarno setzte sich mit einigen Kavalieren auf, um sich mit der Jagd zu erlustigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":428,"orig":"Wilhelm ſah ihm traurig nach.","norm":"Wilhelm sah ihm traurig nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":429,"orig":"Er hätte gerne mit dieſem Manne noch vieles geſprochen, der ihm, wiewohl auf eine unfreundliche Art, neue Ideen gab, Ideen deren er bedurfte.","norm":"Er hätte gerne mit diesem Manne noch vieles gesprochen, der ihm, wiewohl auf eine unfreundliche Art, neue Ideen gab, Ideen deren er bedurfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":430,"orig":"Der Menſch kommt manchmal, indem er ſich einer Entwicklung ſeiner Kräfte, Fähigkeiten und Begriffe nähert, in eine Verlegenheit, aus der ihm ein guter Freund leicht helfen könnte.","norm":"Der Mensch kommt manchmal, indem er sich einer Entwicklung seiner Kräfte, Fähigkeiten und Begriffe nähert, in eine Verlegenheit, aus der ihm ein guter Freund leicht helfen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":431,"orig":"Er gleicht einem Wanderer, der nicht weit von der Herberge ins Waſſer fällt; griffe jemand ſogleich zu, riſſe ihn ans Land, ſo wäre es um einmal naß werden gethan, anſtatt daß er ſich auch wohl ſelbſt, aber am jenſeitigen Ufer, heraus hilft, und einen beſchwerlichen weiten Umweg nach ſeinem beſtimmten Ziele zu machen hat.","norm":"Er gleicht einem Wanderer, der nicht weit von der Herberge ins Wasser fällt; griffe jemand sogleich zu, risse ihn ans Land, so wäre es um einmal nass werden getan, anstatt dass er sich auch wohl selbst, aber am jenseitigen Ufer, heraushilft, und einen beschwerlichen weiten Umweg nach seinem bestimmten Ziele zu machen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":432,"orig":"Wilhelm fing an zu wittern, daß es in der Welt anders zugehe, als er ſich es gedacht, er ſah das wichtige und bedeutungsvolle Leben der Vornehmen und Großen in der Nähe, und verwunderte ſich, wie einen leichten Anſtand ſie ihm zu geben wußten.","norm":"Wilhelm fing an zu wittern, dass es in der Welt anders zugehe, als er sich es gedacht, er sah das wichtige und bedeutungsvolle Leben der Vornehmen und Großen in der Nähe, und verwunderte sich, wie einen leichten Anstand sie ihm zu geben wussten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":433,"orig":"Ein Heer auf dem Marſche, ein fürſtlicher Held an ſeiner Spitze, ſo viele mitwürkende Krieger, ſo viele zudringende Verehrer erhöhten ſeine Einbildungskraft.","norm":"Ein Heer auf dem Marsche, ein fürstlicher Held an seiner Spitze, so viele mitwirkende Krieger, so viele zudringende Verehrer erhöhten seine Einbildungskraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":434,"orig":"In dieſer Stimmung erhielt er die verſprochenen Bücher, und in kurzem, wie man es vermuthen kann, ergriff ihn der Strom jenes großen Genius, und führte ihn einem unüberſehlichen Meere zu, worin er ſich gar bald völlig vergaß und verlor.","norm":"In dieser Stimmung erhielt er die versprochenen Bücher, und in kurzem, wie man es vermuten kann, ergriff ihn der Strom jenes großen Genius, und führte ihn einem unübersehbaren Meere zu, worin er sich gar bald völlig vergaß und verlor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":435,"orig":"Das Verhältniß des Barons zu den Schauſpielern hatte ſeit ihrem Auffenthalte im Schloſſe verſchiedene Veränderungen erlitten.","norm":"Das Verhältnis des Barons zu den Schauspielern hatte seit ihrem Aufenthalte im Schlosse verschiedene Veränderungen erlitten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":436,"orig":"Im Anfange gereichte es zu beiderſeitiger Zufriedenheit: denn indem der Baron das erſtemal in ſeinem Leben eines ſeiner Stücke, mit denen er ein Geſellſchaftstheater ſchon belebt hatte, in den Händen wirklicher Schauſpieler und auf dem Wege zu einer anſtändigen Vorſtellung ſah, war er von dem beſten Humor, bewies ſich freygebig, und kaufte bey jedem Galanteriehändler, deren ſich manche einſtellten, kleine Geſchenke für die Schauſpielerinnen, und wußte den Schauſpielern manche Bouteille Champagner extra zu verſchaffen; dagegen gaben ſie ſich auch mit ſeinen Stücken alle Mühe, und Wilhelm ſparte keinen Fleiß, die herrlichen Reden des vortrefflichen Helden, deſſen Rolle ihm zugefallen war, auf das genauſte zu memoriren.","norm":"Im Anfange gereichte es zu beiderseitiger Zufriedenheit: denn indem der Baron das erste Mal in seinem Leben eines seiner Stücke, mit denen er ein Gesellschaftstheater schon belebt hatte, in den Händen wirklicher Schauspieler und auf dem Wege zu einer anständigen Vorstellung sah, war er von dem besten Humor, bewies sich freigebig, und kaufte bei jedem Galanteriehändler, deren sich manche einstellten, kleine Geschenke für die Schauspielerinnen, und wusste den Schauspielern manche Bouteille Champagner extra zu verschaffen; dagegen gaben sie sich auch mit seinen Stücken alle Mühe, und Wilhelm sparte keinen Fleiß, die herrlichen Reden des vortrefflichen Helden, dessen Rolle ihm zugefallen war, auf das genaueste zu memorieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":437,"orig":"Indeſſen hatten ſich doch auch nach und nach einige Mißhelligkeiten eingeſchlichen.","norm":"Indessen hatten sich doch auch nach und nach einige Misshelligkeiten eingeschlichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":438,"orig":"Die Vorliebe des Barons für gewiſſe Schauſpieler wurde von Tag zu Tag merklicher, und nothwendig mußte dieß die übrigen verdrießen.","norm":"Die Vorliebe des Barons für gewisse Schauspieler wurde von Tag zu Tag merklicher, und notwendig musste dies die übrigen verdrießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":439,"orig":"Er erhob ſeine Günſtlinge ganz ausſchließlich, und brachte dadurch Eiferſucht und Uneinigkeit unter die Geſellſchaft.","norm":"Er erhob seine Günstlinge ganz ausschließlich, und brachte dadurch Eifersucht und Uneinigkeit unter die Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":440,"orig":"Melina, der ſich bey ſtreitigen Fällen ohnedem nicht zu helfen wußte, befand ſich in einem ſehr unangenehmen Zuſtande.","norm":"Melina, der sich bei streitigen Fällen ohnehin nicht zu helfen wusste, befand sich in einem sehr unangenehmen Zustande."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":441,"orig":"Die Geprieſenen nahmen das Lob an, ohne ſonderlich dankbar zu ſeyn, und die Zurückgeſetzten ließen auf allerley Weiſe ihren Verdruß ſpühren, und wußten ihrem erſt hochverehrten Gönner den Aufenthalt unter ihnen auf eine oder die andere Weiſe unangenehm zu machen, ja es war ihrer Schadenfreude keine geringe Nahrung, als ein gewiſſes Gedicht, deſſen Verfaſſer man nicht kannte, im Schloſſe viele Bewegung verurſachte.","norm":"Die Gepriesenen nahmen das Lob an, ohne sonderlich dankbar zu sein, und die Zurückgesetzten ließen auf allerlei Weise ihren Verdruss spüren, und wussten ihrem erst hochverehrten Gönner den Aufenthalt unter ihnen auf eine oder die andere Weise unangenehm zu machen, ja es war ihrer Schadenfreude keine geringe Nahrung, als ein gewisses Gedicht, dessen Verfasser man nicht kannte, im Schlosse viele Bewegung verursachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":442,"orig":"Bisher hatte man ſich immer, doch auf eine ziemlich feine Weiſe, über den Umgang des Barons mit den Comödianten aufgehalten, man hatte allerley Geſchichten auf ihn gebracht, gewiſſe Vorfälle ausgeputzt, und ihnen eine luſtige und intereſſante Geſtalt gegeben.","norm":"Bisher hatte man sich immer, doch auf eine ziemlich feine Weise, über den Umgang des Barons mit den Komödianten aufgehalten, man hatte allerlei Geschichten auf ihn gebracht, gewisse Vorfälle ausgeputzt, und ihnen eine lustige und interessante Gestalt gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":443,"orig":"Zuletzt fing man an zu erzählen, es entſtehe eine Art von Handwerksneid zwiſchen ihm und einigen Schauſpielern, die ſich auch einbildeten, Schriftſteller zu ſeyn, und auf dieſe Sage gründet ſich das Gedicht, von welchem wir ſprachen, und welches lautete wie folgt:","norm":"Zuletzt fing man an zu erzählen, es entstehe eine Art von Handwerksneid zwischen ihm und einigen Schauspielern, die sich auch einbildeten, Schriftsteller zu sein, und auf diese Sage gründet sich das Gedicht, von welchem wir sprachen, und welches lautete wie folgt:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":444,"orig":"Ich armer Teufel, Herr Baron, Beneide Sie um Ihren Stand, Um Ihren Platz ſo nah am Thron, Und um manch ſchön Stück Acker Land, Um Ihres Vaters feſtes Schloß, Um ſeine Wildbahn und Geſchoß.","norm":"Ich armer Teufel, Herr Baron, Beneide Sie um Ihren Stand, um Ihren Platz so nah am Thron, und um manch schön Stück Ackerland, um Ihres Vaters festes Schloss, um seine Wildbahn und Geschoss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":445,"orig":"Mich armen Teufel, Herr Baron, Beneiden Sie, ſo wie es ſcheint, Weil die Natur vom Knaben ſchon Mit mir es mütterlich gemeint.","norm":"Mich armen Teufel, Herr Baron, Beneiden Sie, so wie es scheint, weil die Natur vom Knaben schon mit mir es mütterlich gemeint."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":446,"orig":"Ich ward, mit leichtem Muth und Kopf, Zwar arm, doch nicht ein armer Tropf.","norm":"Ich wurde, mit leichtem Mut und Kopf, zwar arm, doch nicht ein armer Tropf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":447,"orig":"Nun dächt’ ich, lieber Herr Baron, Wir ließen’s beide wie wir ſind:","norm":"Nun dächte ich, lieber Herr Baron, wir ließen es beide wie wir sind:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":448,"orig":"Sie blieben des Herrn Vaters Sohn, Und ich blieb meiner Mutter Kind.","norm":"Sie blieben des Herrn Vaters Sohn, und ich blieb meiner Mutter Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":449,"orig":"Wir leben ohne Neid und Haß, Begehren nicht des andern Titel, Sie keinen Platz auf dem Parnaß, Und keinen ich in dem Capitel.","norm":"Wir leben ohne Neid und Hass, Begehren nicht des anderen Titel, Sie keinen Platz auf dem Parnass, und keinen ich in dem Kapitel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":450,"orig":"Die Stimmen über dieſes Gedicht, das in einigen faſt unleſerlichen Abſchriften ſich in verſchiedenen Händen befand, waren ſehr getheilt, auf den Verfaſſer aber wußte niemand zu muthmaßen, und als man mit einiger Schadenfreude ſich darüber zu ergötzen anfing, erklärte ſich Wilhelm ſehr dagegen.","norm":"Die Stimmen über dieses Gedicht, das in einigen fast unleserlichen Abschriften sich in verschiedenen Händen befand, waren sehr geteilt, auf den Verfasser aber wusste niemand zu mutmaßen, und als man mit einiger Schadenfreude sich darüber zu ergötzen anfing, erklärte sich Wilhelm sehr dagegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":451,"orig":"Wir Deutſchen, rief er aus, verdienten, daß unſre Muſen in der Verachtung blieben, in der ſie ſo lange geſchmachtet haben, da wir nicht Männer von Stande zu ſchätzen wiſſen, die ſich mit unſrer Litteratur auf irgend eine Weiſe abgeben mögen.","norm":"Wir Deutschen, rief er aus, verdienten, dass unsere Musen in der Verachtung blieben, in der sie so lange geschmachtet haben, da wir nicht Männer von Stande zu schätzen wissen, die sich mit unserer Literatur auf irgendeine Weise abgeben mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":452,"orig":"Geburt, Stand und Vermögen ſtehen in keinem Widerſpruch mit Genie und Geſchmack, das haben uns fremde Nationen gelehrt, welche unter ihren beſten Köpfen eine große Anzahl Edelleute zählen.","norm":"Geburt, Stand und Vermögen stehen in keinem Widerspruch mit Genie und Geschmack, das haben uns fremde Nationen gelehrt, welche unter ihren besten Köpfen eine große Anzahl Edelleute zählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":453,"orig":"War es bisher in Deutſchland ein Wunder, wenn ein Mann von Geburt ſich den Wiſſenſchaften widmete, wurden bisher nur weniger berühmte Nahmen durch ihre Neigung zu Kunſt und Wiſſenſchaft noch berühmter; ſtiegen dagegen manche aus der Dunkelheit hervor, und traten wie unbekannte Sterne an den Horizont, ſo wird das nicht immer ſo ſeyn, und wenn ich mich nicht ſehr irre, ſo iſt die erſte Klaſſe der Nation auf dem Wege, ſich ihrer Vortheile auch zu Erringung des ſchönſten Kranzes der Muſen in Zukunft zu bedienen.","norm":"War es bisher in Deutschland ein Wunder, wenn ein Mann von Geburt sich den Wissenschaften widmete, wurden bisher nur weniger berühmte Namen durch ihre Neigung zu Kunst und Wissenschaft noch berühmter; stiegen dagegen manche aus der Dunkelheit hervor, und traten wie unbekannte Sterne an den Horizont, so wird das nicht immer so sein, und wenn ich mich nicht sehr irre, so ist die erste Klasse der Nation auf dem Wege, sich ihrer Vorteile auch zu Erringung des schönsten Kranzes der Musen in Zukunft zu bedienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":454,"orig":"Es iſt mir daher nichts unangenehmer, als wenn ich nicht allein den Bürger oft über den Edelmann, der die Muſen zu ſchätzen weiß, ſpotten, ſondern auch Perſonen von Stande ſelbſt mit unüberlegter Laune und niemals zu billigender Schadenfreude ihres Gleichen von einem Wege abſchrecken ſehe, auf dem einen jeden Ehre und Zufriedenheit erwartet.","norm":"Es ist mir daher nichts unangenehmer, als wenn ich nicht allein den Bürger oft über den Edelmann, der die Musen zu schätzen weiß, spotten, sondern auch Personen von Stande selbst mit unüberlegter Laune und niemals zu billigender Schadenfreude ihresgleichen von einem Wege abschrecken sehe, auf dem einen jeden Ehre und Zufriedenheit erwartet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":455,"orig":"Es ſchien die letzte Äuſſerung gegen den Grafen gerichtet zu ſeyn, von welchem Wilhelm gehört hatte, daß er das Gedicht wirklich gut finde.","norm":"Es schien die letzte Äußerung gegen den Grafen gerichtet zu sein, von welchem Wilhelm gehört hatte, dass er das Gedicht wirklich gut finde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":456,"orig":"Freylich war dieſem Herrn, der immer auf ſeine Art mit dem Baron zu ſcherzen pflegte, ein ſolcher Anlaß ſehr erwünſcht, ſeinen Verwandten auf alle Weiſe zu plagen.","norm":"Freilich war diesem Herrn, der immer auf seine Art mit dem Baron zu scherzen pflegte, ein solcher Anlass sehr erwünscht, seinen Verwandten auf alle Weise zu plagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":457,"orig":"Jedermann hatte ſeine eigne Muthmaßungen, wer der Verfaſſer des Gedichtes ſeyn könnte, und der Graf, der ſich nicht gern im Scharfſinn von jemand übertroffen ſah, fiel auf einen Gedanken, den er ſogleich zu beſchwören bereit war: das Gedicht könne ſich nur von ſeinem Pedanten herſchreiben, der ein ſehr feiner Burſche ſey, und an dem er ſchon lange ſo etwas poetiſches Genie gemerkt habe.","norm":"Jedermann hatte seine eigene Mutmaßungen, wer der Verfasser des Gedichtes sein könnte, und der Graf, der sich nicht gern im Scharfsinn von jemand übertroffen sah, fiel auf einen Gedanken, den er sogleich zu beschwören bereit war: Das Gedicht könne sich nur von seinem Pedanten herschreiben, der ein sehr feiner Bursche sei, und an dem er schon lange so etwas poetisches Genie gemerkt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":458,"orig":"Um ſich ein rechtes Vergnügen zu machen, ließ er deswegen an einem Morgen dieſen Schauſpieler rufen, der ihm in Gegenwart der Gräfin, der Baroneſſe und Jarnos das Gedicht nach ſeiner Art vorleſen mußte, und dafür Lob, Beyfall und ein Geſchenk einerndtete, und die Frage des Grafen, ob er nicht ſonſt noch einige Gedichte von früheren Zeiten beſitze?","norm":"Um sich ein rechtes Vergnügen zu machen, ließ er deswegen an einem Morgen diesen Schauspieler rufen, der ihm in Gegenwart der Gräfin, der Baronesse und Jarnos das Gedicht nach seiner Art vorlesen musste, und dafür Lob, Beifall und ein Geschenk einerntete, und die Frage des Grafen, ob er nicht sonst noch einige Gedichte von früheren Zeiten besitze?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":459,"orig":"mit Klugheit abzulehnen wußte.","norm":"mit Klugheit abzulehnen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":460,"orig":"So kam der Pedant zum Rufe eines Dichters, eines Witzlings, und in den Augen derer, die dem Baron günſtig waren, eines Pasquillanten und ſchlechten Menſchen.","norm":"So kam der Pedant zum Rufe eines Dichters, eines Witzlings, und in den Augen derer, die dem Baron günstig waren, eines Pasquillanten und schlechten Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":461,"orig":"Von der Zeit an applaudirte ihn der Graf nur immer mehr, er mochte ſeine Rolle ſpielen wie er wollte, ſo daß der arme Menſch zuletzt aufgeblaſen, ja beynahe verrückt wurde, und darauf ſann, gleich Philinen ein Zimmer im neuen Schloſſe zu beziehen.","norm":"Von der Zeit an applaudierte ihm der Graf nur immer mehr, er mochte seine Rolle spielen wie er wollte, so dass der arme Mensch zuletzt aufgeblasen, ja beinahe verrückt wurde, und darauf sann, gleich Philine ein Zimmer im neuen Schlosse zu beziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":462,"orig":"Wäre dieſer Plan ſogleich zu vollführen geweſen, ſo möchte er einen großen Unfall vermieden haben.","norm":"Wäre dieser Plan sogleich zu vollführen gewesen, so möchte er einen großen Unfall vermieden haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":463,"orig":"Denn als er eines Abends ſpät nach dem alten Schloſſe ging, und in dem dunkeln engen Wege herum tappte, ward er auf einmal angefallen, von einigen Perſonen feſtgehalten, indeſſen andere auf ihn wacker losſchlugen, und ihn im Finſtern ſo zerdraſchen, daß er beynahe liegen blieb, und nur mit Mühe zu ſeinen Kameraden hinauf kroch, die, ſo ſehr ſie ſich entrüſtet ſtellten, über dieſen Unfall ihre heimliche Freude fühlten, und ſich kaum des Lachens erwehren konnten, als ſie ihn ſo wohl durchwalkt und ſeinen neuen braunen Rock über und über weiß, als wenn er mit Müllern Händel gehabt, beſtäubt und befleckt ſahen.","norm":"Denn als er eines Abends spät nach dem alten Schlosse ging, und in dem Dunkeln engen Wege herumtappte, wurde er auf einmal angefallen, von einigen Personen festgehalten, indessen andere auf ihn wacker losschlugen, und ihn im Finstern so zerdroschen, dass er beinahe liegenblieb, und nur mit Mühe zu seinen Kameraden hinaufkroch, die, so sehr sie sich entrüstet stellten, über diesen Unfall ihre heimliche Freude fühlten, und sich kaum des Lachens erwehren konnten, als sie ihn so wohl durchwalkt und seinen neuen braunen Rock über und über weiß, als wenn er mit Müllern Händel gehabt, bestäubt und befleckt sahen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":464,"orig":"Der Graf, der ſogleich hiervon Nachricht erhielt, brach in einen unbeſchreiblichen Zorn aus.","norm":"Der Graf, der sogleich hiervon Nachricht erhielt, brach in einen unbeschreiblichen Zorn aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":465,"orig":"Er behandelte dieſe That als das größte Verbrechen, qualifizirte ſie zu einem beleidigten Burgfrieden, und ließ durch ſeinen Gerichtshalter die ſtrengſte Inquiſition vornehmen.","norm":"Er behandelte diese Tat als das größte Verbrechen, qualifizierte sie zu einem beleidigten Burgfrieden, und ließ durch seinen Gerichtshalter die strengste Inquisition vornehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":466,"orig":"Der weißbeſtäubte Rock ſollte eine Hauptanzeige geben.","norm":"Der weißbestäubte Rock sollte eine Hauptanzeige geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":467,"orig":"Alles was nur irgend mit Puder und Mehl im Schloſſe zu ſchaffen haben konnte, wurde mit in die Unterſuchung gezogen, jedoch vergebens.","norm":"Alles was nur irgend mit Puder und Mehl im Schlosse zu schaffen haben konnte, wurde mit in die Untersuchung gezogen, jedoch vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":468,"orig":"Der Baron verſicherte bey ſeiner Ehre feyerlich: jene Art zu ſcherzen habe ihm freylich ſehr mißfallen, und das Betragen des Herrn Grafen ſey nicht das freundſchaftlichſte geweſen, aber er habe ſich darüber hinauszuſetzen gewußt, und an dem Unfall, der dem Poeten oder Pasquillanten, wie man ihn nennen wolle, begegnet, habe er nicht den mindeſten Antheil.","norm":"Der Baron versicherte bei seiner Ehre feierlich: Jene Art zu scherzen habe ihm freilich sehr missfallen, und das Betragen des Herrn Grafen sei nicht das freundschaftlichste gewesen, aber er habe sich darüber hinauszusetzen gewusst, und an dem Unfall, der dem Poeten oder Pasquillanten, wie man ihn nennen wolle, begegnet, habe er nicht den mindesten Anteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":469,"orig":"Die übrigen Bewegungen der Fremden und die Unruhe des Hauſes brachten bald die ganze Sache in Vergeſſenheit, und der unglückliche Günſtling mußte das Vergnügen, fremde Federn eine kurze Zeit getragen zu haben, theuer bezahlen.","norm":"Die übrigen Bewegungen der Fremden und die Unruhe des Hauses brachten bald die ganze Sache in Vergessenheit, und der unglückliche Günstling musste das Vergnügen, fremde Federn eine kurze Zeit getragen zu haben, teuer bezahlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":470,"orig":"Unſere Truppe, die regelmäßig alle Abende fortſpielte, und im Ganzen ſehr wohl gehalten wurde, fing nun an, je beſſer es ihr ging, deſto größere Anforderungen zu machen.","norm":"Unsere Truppe, die regelmäßig alle Abende fortspielte, und im Ganzen sehr wohl gehalten wurde, fing nun an, je besser es ihr ging, desto größere Anforderungen zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":471,"orig":"In kurzer Zeit war ihnen Eſſen, Trinken, Aufwartung, Wohnung zu gering, und ſie lagen ihrem Beſchützer, dem Baron, an, daß er für ſie beſſer ſorgen, und ihnen zu dem Genuſſe und der Bequemlichkeit, die er ihnen verſprochen, doch endlich verhelfen ſolle.","norm":"In kurzer Zeit war ihnen Essen, Trinken, Aufwartung, Wohnung zu gering, und sie lagen ihrem Beschützer, dem Baron, an, dass er für sie besser Sorgen, und ihnen zu dem Genusse und der Bequemlichkeit, die er ihnen versprochen, doch endlich verhelfen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":472,"orig":"Ihre Klagen wurden lauter, und die Bemühungen ihres Freundes, ihnen genug zu thun, immer fruchtloſer.","norm":"Ihre Klagen wurden lauter, und die Bemühungen ihres Freundes, ihnen genugzutun, immer fruchtloser."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":473,"orig":"Wilhelm kam indeſſen, auſſer in Proben und Spielſtunden, wenig mehr zum Vorſcheine.","norm":"Wilhelm kam indessen, außer in Proben und Spielstunden, wenig mehr zum Vorscheine."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":474,"orig":"In einem der hinterſten Zimmer verſchloſſen, wozu nur Mignon und dem Harfner der Zutritt gerne verſtattet wurde, lebte und webte er in der ſhakeſpeariſchen Welt, ſo daß er auſſer ſich nichts kannte noch empfand.","norm":"In einem der hintersten Zimmer verschlossen, wozu nur Mignon und dem Harfner der Zutritt gerne verstattet wurde, lebte und webte er in der shakespearischen Welt, so dass er außer sich nichts kannte noch empfand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":475,"orig":"Man erzählt von Zauberern, die durch magiſche Formeln eine ungeheure Menge allerley geiſtiger Geſtalten in ihre Stube herbeyziehen.","norm":"Man erzählt von Zauberern, die durch magische Formeln eine ungeheure Menge allerlei geistiger Gestalten in ihre Stube herbeiziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":476,"orig":"Die Beſchwörungen ſind ſo kräftig, daß ſich bald der Raum des Zimmers ausfüllt, und die Geiſter bis an den kleinen gezogenen Kreis hinan gedrängt, um denſelben und über dem Haupte des Meiſters in ewig drehender Verwandlung ſich bewegend vermehren.","norm":"Die Beschwörungen sind so kräftig, dass sich bald der Raum des Zimmers ausfüllt, und die Geister bis an den kleinen gezogenen Kreis hinangedrängt, um denselben und über dem Haupte des Meisters in ewig drehender Verwandlung sich bewegend vermehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":477,"orig":"Jeder Winkel iſt vollgepfropft, und jedes Geſims beſetzt, Eier dehnen ſich aus und Rieſengeſtalten ziehen ſich in Pilzen zuſammen.","norm":"Jeder Winkel ist vollgepfropft, und jedes Gesims besetzt, Eier dehnen sich aus und Riesengestalten ziehen sich in Pilzen zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":478,"orig":"Unglücklicher Weiſe hat der Schwarzkünſtler das Wort vergeſſen, womit er dieſe Geiſterfluth wieder zur Ebbe bringen könnte.","norm":"Unglücklicherweise hat der Schwarzkünstler das Wort vergessen, womit er diese Geisterflut wieder zur Ebbe bringen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":479,"orig":"— So ſaß Wilhelm, und mit unbekannter Bewegung wurden tauſend Empfindungen und Fähigkeiten in ihm rege, von denen er keinen Begrif und keine Ahndung gehabt hatte.","norm":"— So saß Wilhelm, und mit unbekannter Bewegung wurden tausend Empfindungen und Fähigkeiten in ihm rege, von denen er keinen Begriff und keine Ahnung gehabt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":480,"orig":"Nichts konnte ihn aus dieſem Zuſtande reiſſen, und er war ſehr unzufrieden, wenn irgend jemand zu kommen Gelegenheit nahm, um ihn von dem, was auswärts vorging, zu unterhalten.","norm":"Nichts konnte ihn aus diesem Zustande reißen, und er war sehr unzufrieden, wenn irgendjemand zu kommen Gelegenheit nahm, um ihn von dem, was auswärts vorging, zu unterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":481,"orig":"So merkte er kaum auf, als man ihm die Nachricht brachte, es ſollte in dem Schloßhof eine Execution vorgehen und ein Knabe geſtäupt werden, der ſich eines nächtlichen Einbruchs verdächtig gemacht habe, und da er den Rock eines Perückenmachers trage, wahrſcheinlich mit unter den Meuchelmördern geweſen ſey.","norm":"So merkte er kaum auf, als man ihm die Nachricht brachte, es sollte in dem Schlosshof eine Exekution vorgehen und ein Knabe gestäupt werden, der sich eines nächtlichen Einbruchs verdächtig gemacht habe, und da er den Rock eines Perückenmachers trage, wahrscheinlich mit unter den Meuchelmördern gewesen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":482,"orig":"Der Knabe läugne zwar auf das hartnäckigſte, und man könne ihn deswegen nicht förmlich beſtrafen, wolle ihm aber als einem Vagabunden einen Denkzettel geben und ihn weiter ſchicken, weil er einige Tage in der Gegend herumgeſchwärmt ſey, ſich des Nachts in den Mühlen aufgehalten, endlich eine Leiter an die Gartenmauer angelehnt habe, und herüber geſtiegen ſey.","norm":"Der Knabe leugne zwar auf das hartnäckigste, und man könne ihn deswegen nicht förmlich bestrafen, wolle ihm aber als einem Vagabunden einen Denkzettel geben und ihn weiterschicken, weil er einige Tage in der Gegend herumgeschwärmt sei, sich des Nachts in den Mühlen aufgehalten, endlich eine Leiter an die Gartenmauer angelehnt habe, und herübergestiegen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":483,"orig":"Wilhelm fand an dem ganzen Handel nichts ſonderlich merkwürdig, als Mignon haſtig herein kam und ihn verſicherte, der Gefangene ſey Friedrich, der ſich ſeit den Händeln mit dem Stallmeiſter von der Geſellſchaft und aus unſern Augen verlohren hatte.","norm":"Wilhelm fand an dem ganzen Handel nichts sonderlich merkwürdig, als Mignon hastig hereinkam und ihn versicherte, der Gefangene sei Friedrich, der sich seit den Händeln mit dem Stallmeister von der Gesellschaft und aus unseren Augen verloren hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":484,"orig":"Wilhelm, den der Knabe intereſſirte, machte ſich eilends auf, und fand im Schloßhofe ſchon Zurüſtungen.","norm":"Wilhelm, den der Knabe interessierte, machte sich eilends auf, und fand im Schlosshofe schon Zurüstungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":485,"orig":"Denn der Graf liebte die Feyerlichkeit auch in dergleichen Fällen.","norm":"Denn der Graf liebte die Feierlichkeit auch in dergleichen Fällen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":486,"orig":"Der Knabe wurde herbeygebracht.","norm":"Der Knabe wurde herbeigebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":487,"orig":"Wilhelm trat dazwiſchen und bat, daß man inne halten mögte, indem er den Knaben kenne, und vorher erſt verſchiedenes ſeinetwegen anzubringen habe.","norm":"Wilhelm trat dazwischen und bat, dass man innehalten möchte, indem er den Knaben kenne, und vorher erst verschiedenes seinetwegen anzubringen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":488,"orig":"Er hatte Mühe mit ſeinen Vorſtellungen durchzudringen, und erhielt endlich die Erlaubniß, mit dem Delinquenten allein zu ſprechen.","norm":"Er hatte Mühe mit seinen Vorstellungen durchzudringen, und erhielt endlich die Erlaubnis, mit dem Delinquenten allein zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":489,"orig":"Dieſer verſicherte, von dem Überfalle, bey dem ein Akteur ſollte gemißhandelt worden ſeyn, wiſſe er gar nichts.","norm":"Dieser versicherte, von dem Überfall, bei dem ein Akteur sollte misshandelt worden sein, wisse er gar nichts."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":490,"orig":"Er ſey nur um das Schloß herum geſtreift, und des Nachts herein geſchlichen, um Philinen aufzuſuchen, deren Schlafzimmer er ausgekundſchaftet gehabt, und es auch gewiß würde getroffen haben, wenn er nicht unterwegens aufgefangen worden wäre.","norm":"Er sei nur um das Schloss herumgestreift, und des Nachts hereingeschlichen, um Philine aufzusuchen, deren Schlafzimmer er ausgekundschaftet gehabt, und es auch gewiss würde getroffen haben, wenn er nicht unterwegs aufgefangen worden wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":491,"orig":"Wilhelm, der, zur Ehre der Geſellſchaft, das Verhältniß nicht gerne entdecken wollte, eilte zu dem Stallmeiſter und bat ihn, nach ſeiner Kenntniß der Perſonen und des Hauſes, dieſe Angelegenheit zu vermitteln, und den Knaben zu befreyen.","norm":"Wilhelm, der, zur Ehre der Gesellschaft, das Verhältnis nicht gerne entdecken wollte, eilte zu dem Stallmeister und bat ihn, nach seiner Kenntnis der Person und des Hauses, diese Angelegenheit zu vermitteln, und den Knaben zu befreien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":492,"orig":"Dieſer launigte Mann erdachte, unter Wilhelms Beyſtand, eine kleine Geſchichte, daß der Knabe zur Truppe gehört habe, von ihr entlaufen ſey, doch wieder gewünſcht, ſich bey ihr einzufinden und aufgenommen zu werden.","norm":"Dieser launige Mann erdachte, unter Wilhelms Beistand, eine kleine Geschichte, dass der Knabe zur Truppe gehört habe, von ihr entlaufen sei, doch wieder gewünscht, sich bei ihr einzufinden und aufgenommen zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":493,"orig":"Er habe deswegen die Abſicht gehabt, bey Nachtzeit einige ſeiner Gönner aufzuſuchen, und ſich ihnen zu empfehlen.","norm":"Er habe deswegen die Absicht gehabt, bei Nachtzeit einige seiner Gönner aufzusuchen, und sich ihnen zu empfehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":494,"orig":"Man bezeugte übrigens, daß er ſich ſonſt gut aufgeführt, die Damen miſchten ſich darein, und er ward entlaſſen.","norm":"Man bezeugte übrigens, dass er sich sonst gut aufgeführt, die Damen mischten sich darein, und er wurde entlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":495,"orig":"Wilhelm nahm ihn auf, und er war nunmehr die dritte Perſon der wunderbaren Familie, die Wilhelm ſeit einiger Zeit als ſeine eigene anſah.","norm":"Wilhelm nahm ihn auf, und er war nunmehr die dritte Person der wunderbaren Familie, die Wilhelm seit einiger Zeit als seine eigene ansah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":496,"orig":"Der Alte und Mignon nahmen den Wiederkehrenden freundlich auf, und alle drey verbanden ſich nunmehr, ihrem Freunde und Beſchützer aufmerkſam zu dienen, und ihm etwas angenehmes zu erzeigen.","norm":"Der Alte und Mignon nahmen den Wiederkehrenden freundlich auf, und alle drei verbanden sich nunmehr, ihrem Freunde und Beschützer aufmerksam zu dienen, und ihm etwas Angenehmes zu erzeigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":497,"orig":"Philine wußte ſich nun täglich beſſer bey den Damen einzuſchmeicheln.","norm":"Philine wusste sich nun täglich besser bei den Damen einzuschmeicheln."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":498,"orig":"Wenn ſie zuſammen allein waren, leitete ſie meiſtentheils das Geſpräch auf die Männer, die kamen und gingen, und Wilhelm war nicht der letzte, mit dem man ſich beſchäftigte.","norm":"Wenn sie zusammen allein waren, leitete sie meistenteils das Gespräch auf die Männer, die kamen und gingen, und Wilhelm war nicht der letzte, mit dem man sich beschäftigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":499,"orig":"Dem klugen Mädchen blieb es nicht verborgen, daß er einen tiefen Eindruck auf das Herz der Gräfin gemacht habe; ſie erzählte daher von ihm was ſie wußte und nicht wußte; hütete ſich aber irgend etwas vorzubringen, das man zu ſeinem Nachtheil hätte deuten können, und rühmte dagegen ſeinen Edelmuth, ſeine Freygebigkeit und beſonders ſeine Sittſamkeit im Betragen gegen das weibliche Geſchlecht.","norm":"Dem klugen Mädchen blieb es nicht verborgen, dass er einen tiefen Eindruck auf das Herz der Gräfin gemacht habe; sie erzählte daher von ihm was sie wusste und nicht wusste; hütete sich aber irgendetwas vorzubringen, das man zu seinem Nachteil hätte deuten können, und rühmte dagegen seinen Edelmut, seine Freigebigkeit und besonders seine Sittsamkeit im Betragen gegen das weibliche Geschlecht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":500,"orig":"Alle übrigen Fragen, die an ſie geſchahen, beantwortete ſie mit Klugheit, und als die Baroneſſe die zunehmende Neigung ihrer ſchönen Freundin bemerkte, war auch ihr dieſe Entdeckung ſehr willkommen.","norm":"Alle übrigen Fragen, die an sie geschahen, beantwortete sie mit Klugheit, und als die Baronesse die zunehmende Neigung ihrer schönen Freundin bemerkte, war auch ihr diese Entdeckung sehr willkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":501,"orig":"Denn ihre Verhältniſſe zu mehreren Männern, beſonders in dieſen letzten Tagen zu Jarno, blieben der Gräfin nicht verborgen, deren reine Seele einen ſolchen Leichtſinn nicht ohne Mißbilligung und ohne ſanften Tadel bemerken konnte.","norm":"Denn ihre Verhältnisse zu mehreren Männern, besonders in diesen letzten Tagen zu Jarno, blieben der Gräfin nicht verborgen, deren reine Seele einen solchen Leichtsinn nicht ohne Missbilligung und ohne sanften Tadel bemerken konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":502,"orig":"Auf dieſe Weiſe hatte die Baroneſſe ſowohl als Philine, jede ein beſonderes Intereſſe, unſern Freund der Gräfin näher zu bringen, und Philine hoffte noch überdieß bey Gelegenheit, wieder für ſich zu arbeiten, und die verlohrne Gunſt des jungen Mannes ſich wo möglich wieder zu erwerben.","norm":"Auf diese Weise hatte die Baronesse sowohl als Philine, jede ein besonderes Interesse, unseren Freund der Gräfin näherzubringen, und Philine hoffte noch überdies bei Gelegenheit, wieder für sich zu arbeiten, und die verlorene Gunst des jungen Mannes sich womöglich wieder zu erwerben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":503,"orig":"Eines Tags, als der Graf mit der übrigen Geſellſchaft auf die Jagd geritten war, und man die Herren erſt den andern Morgen zurück erwartete, erſann ſich die Baroneſſe einen Scherz, der völlig in ihrer Art war, denn ſie liebte die Verkleidungen und kam, um die Geſellſchaft zu überraſchen, bald als Bauermädchen, bald als Page, bald als Jägerburſche zum Vorſchein.","norm":"Eines Tags, als der Graf mit der übrigen Gesellschaft auf die Jagd geritten war, und man die Herren erst den anderen Morgen zurückerwartete, ersann sich die Baronesse einen Scherz, der völlig in ihrer Art war, denn sie liebte die Verkleidungen und kam, um die Gesellschaft zu überraschen, bald als Bauernmädchen, bald als Page, bald als Jägerbursche zum Vorschein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":504,"orig":"Sie gab ſich dadurch das Anſehn einer kleinen Fee, die überall, und gerade da, wo man ſie am wenigſten vermuthet, gegenwärtig iſt.","norm":"Sie gab sich dadurch das Ansehen einer kleinen Fee, die überall, und gerade da, wo man sie am wenigsten vermutet, gegenwärtig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":505,"orig":"Nichts glich ihrer Freude, wenn ſie unerkannt eine Zeitlang die Geſellſchaft bedient, oder ſonſt unter ihr gewandelt hatte, und ſie ſich zuletzt auf eine ſcherzhafte Weiſe zu entdecken wußte.","norm":"Nichts glich ihrer Freude, wenn sie unerkannt eine Zeitlang die Gesellschaft bedient, oder sonst unter ihr gewandelt hatte, und sie sich zuletzt auf eine scherzhafte Weise zu entdecken wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":506,"orig":"Gegen Abend ließ ſie Wilhelmen auf ihr Zimmer fordern, und da ſie eben noch etwas zu thun hatte, ſollte Philine ihn vorbereiten.","norm":"Gegen Abend ließ sie Wilhelm auf ihr Zimmer fordern, und da sie eben noch etwas zu tun hatte, sollte Philine ihn vorbereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":507,"orig":"Er kam und fand nicht ohne Verwunderung, ſtatt der gnädigen Frauen, das leichtfertige Mädchen im Zimmer.","norm":"Er kam und fand nicht ohne Verwunderung, statt der gnädigen Frauen, das leichtfertige Mädchen im Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":508,"orig":"Sie begegnete ihm mit einer gewiſſen anſtändigen Freymüthigkeit, in der ſie ſich bisher geübt hatte, und nöthigte ihn dadurch gleichfalls zur Höflichkeit.","norm":"Sie begegnete ihm mit einer gewissen anständigen Freimütigkeit, in der sie sich bisher geübt hatte, und nötigte ihn dadurch gleichfalls zur Höflichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":509,"orig":"Zuerſt ſcherzte ſie im Allgemeinen über das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn auch, wie ſie wohl merke, gegenwärtig hierher gebracht habe, ſodann warf ſie ihm auf eine angenehme Art ſein Betragen vor, womit er ſie bisher gequält habe, ſchalt und beſchuldigte ſich ſelbſt, geſtand, daß ſie ſonſt wohl ſo ſeine Begegnung verdient, machte eine ſo aufrichtige Beſchreibung ihres Zuſtandes, den ſie den vorigen nannte, und ſetzte hinzu: daß ſie ſich ſelbſt verachten müſſe, wenn ſie nicht fähig wäre ſich zu ändern, und ſich ſeiner Freundſchaft werth zu machen.","norm":"Zuerst scherzte sie im Allgemeinen über das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn auch, wie sie wohl merke, gegenwärtig hierher gebracht habe, sodann warf sie ihm auf eine angenehme Art sein Betragen vor, womit er sie bisher gequält habe, schalt und beschuldigte sich selbst, gestand, dass sie sonst wohl so seine Begegnung verdient, machte eine so aufrichtige Beschreibung ihres Zustandes, den sie den vorigen nannte, und setzte hinzu: dass sie sich selbst verachten müsse, wenn sie nicht fähig wäre sich zu ändern, und sich seiner Freundschaft wert zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":510,"orig":"Wilhelm war über dieſe Rede betroffen.","norm":"Wilhelm war über diese Rede betroffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":511,"orig":"Er hatte zu wenig Kenntniß der Welt, um zu wiſſen, daß eben ganz leichtſinnige und der Beſſerung unfähige Menſchen ſich oft am lebhafteſten anklagen, ihre Fehler mit großer Freymüthigkeit bekennen und bereuen, ob ſie gleich nicht die mindeſte Kraft in ſich haben, von dem Wege zurück zu treten, auf den eine übermächtige Natur ſie hinreißt.","norm":"Er hatte zu wenig Kenntnis der Welt, um zu wissen, dass eben ganz leichtsinnige und der Besserung unfähige Menschen sich oft am lebhaftesten anklagen, ihre Fehler mit großer Freimütigkeit bekennen und bereuen, ob sie gleich nicht die mindeste Kraft in sich haben, von dem Wege zurückzutreten, auf den eine übermächtige Natur sie hinreißt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":512,"orig":"Er konnte daher nicht unfreundlich gegen die zierliche Sünderin bleiben; er ließ ſich mit ihr in ein Geſpräch ein, und vernahm von ihr den Vorſchlag zu einer ſonderbaren Verkleidung, womit man die ſchöne Gräfin zu überraſchen gedachte.","norm":"Er konnte daher nicht unfreundlich gegen die zierliche Sünderin bleiben; er ließ sich mit ihr in ein Gespräch ein, und vernahm von ihr den Vorschlag zu einer sonderbaren Verkleidung, womit man die schöne Gräfin zu überraschen gedachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":513,"orig":"Er fand dabey einiges Bedenken, das er Philinen nicht verheelte; allein die Baroneſſe, welche in dem Augenblick herein trat, ließ ihm keine Zeit zu Zweifeln übrig, ſie zog ihn vielmehr mit ſich fort, indem ſie verſicherte, es ſey eben die rechte Stunde.","norm":"Er fand dabei einiges Bedenken, das er Philine nicht verhehlte; allein die Baronesse, welche in dem Augenblick hereintrat, ließ ihm keine Zeit zu Zweifeln übrig, sie zog ihn vielmehr mit sich fort, indem sie versicherte, es sei eben die rechte Stunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":514,"orig":"Es war dunkel geworden, und ſie führte ihn in die Garderobe des Grafen, ließ ihn ſeinen Rock ausziehen, und in den ſeidnen Schlafrock des Grafen hinein ſchlupfen, ſetzte ihm darauf die Mütze mit dem rothen Bande auf, führte ihn ins Kabinet und hieß ihn, ſich in den großen Seſſel ſetzen und ein Buch nehmen, zündete die argantiſche Lampe ſelbſt an, die vor ihm ſtand, und unterrichtete ihn, was er zu thun, und was er für eine Rolle zu ſpielen habe.","norm":"Es war dunkel geworden, und sie führte ihn in die Garderobe des Grafen, ließ ihn seinen Rock ausziehen, und in den seidenen Schlafrock des Grafen hineinschlupfen, setzte ihm darauf die Mütze mit dem roten Bande auf, führte ihn ins Kabinett und hieß ihn, sich in den großen Sessel setzen und ein Buch nehmen, zündete die Argantische Lampe selbst an, die vor ihm stand, und unterrichtete ihn, was er zu tun, und was er für eine Rolle zu spielen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":515,"orig":"Man werde, ſagte ſie, der Gräfin die unvermuthete Ankunft ihres Gemahls, und ſeine üble Laune ankündigen, ſie werde kommen, einigemal im Zimmer auf und abgehn, ſich alsdann auf die Lehne des Seſſels ſetzen, ihren Arm auf ſeine Schulter legen, und einige Worte ſprechen.","norm":"Man werde, sagte sie, der Gräfin die unvermutete Ankunft ihres Gemahls, und seine üble Laune ankündigen, sie werde kommen, einige Mal im Zimmer auf und abgehen, sich alsdann auf die Lehne des Sessels setzen, ihren Arm auf seine Schulter legen, und einige Worte sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":516,"orig":"Er ſolle ſeine Ehmannsrolle ſo lange und ſo gut als möglich ſpielen, wenn er ſich aber endlich entdecken müßte, ſo ſolle er hübſch artig und galant ſeyn.","norm":"Er solle seine Ehemannsrolle so lange und so gut als möglich spielen, wenn er sich aber endlich entdecken müsste, so solle er hübsch artig und galant sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":517,"orig":"Wilhelm ſaß nun unruhig genug in dieſer wunderlichen Maske, der Vorſchlag hatte ihn überraſcht, und die Ausführung eilte der Überlegung zuvor.","norm":"Wilhelm saß nun unruhig genug in dieser wunderlichen Maske, der Vorschlag hatte ihn überrascht, und die Ausführung eilte der Überlegung zuvor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":518,"orig":"Schon war die Baroneſſe wieder zum Zimmer hinaus, als er erſt bemerkte, wie gefährlich der Poſten war, den er eingenommen hatte.","norm":"Schon war die Baronesse wieder zum Zimmer hinaus, als er erst bemerkte, wie gefährlich der Posten war, den er eingenommen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":519,"orig":"Er leugnete ſich nicht, daß die Schönheit, die Jugend, die Anmuth der Gräfin einigen Eindruck auf ihn gemacht hatten; allein da er ſeiner Natur nach von aller leeren Galanterie weit entfernt war, und ihm ſeine Grundſätze einen Gedanken an ernſthaftere Unternehmungen nicht erlaubten, ſo war er wirklich in dieſem Augenblicke in nicht geringer Verlegenheit.","norm":"Er leugnete sich nicht, dass die Schönheit, die Jugend, die Anmut der Gräfin einigen Eindruck auf ihn gemacht hatten; allein da er seiner Natur nach von aller leeren Galanterie weit entfernt war, und ihm seine Grundsätze einen Gedanken an ernsthaftere Unternehmungen nicht erlaubten, so war er wirklich in diesem Augenblicke in nicht geringer Verlegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":520,"orig":"Die Furcht, der Gräfin zu mißfallen, oder ihr mehr als billig zu gefallen, war gleich groß bey ihm.","norm":"Die Furcht, der Gräfin zu missfallen, oder ihr mehr als billig zu gefallen, war gleich groß bei ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":521,"orig":"Jeder weibliche Reiz, der jemals auf ihn gewirkt hatte, zeigte ſich wieder vor ſeiner Einbildungskraft.","norm":"Jeder weibliche Reiz, der jemals auf ihn gewirkt hatte, zeigte sich wieder vor seiner Einbildungskraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":522,"orig":"Mariane erſchien ihm im weißen Morgenkleide, und flehte um ſein Andenken.","norm":"Mariane erschien ihm im weißen Morgenkleide, und flehte um sein Andenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":523,"orig":"Philinens Liebenswürdigkeit, ihre ſchönen Haare, und ihr einſchmeichelndes Betragen waren durch ihre neuſte Gegenwart wieder wirkſam geworden, doch alles trat wie hinter den Flor der Entfernung zurück, wenn er ſich die edle, blühende Gräfin dachte, deren Arm er in wenig Minuten an ſeinem Halſe fühlen ſollte, deren unſchuldige Liebkoſungen er zu erwiedern aufgefordert war.","norm":"Philines Liebenswürdigkeit, ihre schönen Haare, und ihr einschmeichelndes Betragen waren durch ihre neueste Gegenwart wieder wirksam geworden, doch alles trat wie hinter den Flor der Entfernung zurück, wenn er sich die edle, blühende Gräfin dachte, deren Arm er in wenig Minuten an seinem Halse fühlen sollte, deren unschuldige Liebkosungen er zu erwidern aufgefordert war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":524,"orig":"Die ſonderbare Art, wie er aus dieſer Verlegenheit ſollte gezogen werden, ahndete er freylich nicht.","norm":"Die sonderbare Art, wie er aus dieser Verlegenheit sollte gezogen werden, ahnte er freilich nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":525,"orig":"Denn wie groß war ſein Erſtaunen, ja ſein Schrecken, als hinter ihm die Thüre ſich aufthat, und er bey dem erſten verſtohlnen Blick, den er in den Spiegel warf, den Grafen ganz deutlich erblickte, der mit einem Lichte in der Hand herein trat.","norm":"Denn wie groß war sein Erstaunen, ja sein Schrecken, als hinter ihm die Türe sich auftat, und er bei dem ersten verstohlenen Blick, den er in den Spiegel warf, den Grafen ganz deutlich erblickte, der mit einem Lichte in der Hand hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":526,"orig":"Sein Zweifel, was er zu thun habe, ob er ſitzen bleiben oder aufſtehen, fliehen, bekennen, leugnen oder um Vergebung bitten ſolle, dauerte nur einige Augenblicke.","norm":"Sein Zweifel, was er zu tun habe, ob er sitzenbleiben oder aufstehen, fliehen, bekennen, leugnen oder um Vergebung bitten solle, dauerte nur einige Augenblicke."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":527,"orig":"Der Graf, der unbeweglich in der Thüre ſtehen geblieben war, trat zurück und machte ſie ſachte zu.","norm":"Der Graf, der unbeweglich in der Türe stehengeblieben war, trat zurück und machte sie sachte zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":528,"orig":"In dem Moment ſprang die Baroneſſe zur Seitenthüre herein, löſchte die Lampe aus, riß Wilhelmen vom Stuhle, und zog ihn nach ſich in das Kabinet.","norm":"In dem Moment sprang die Baronesse zur Seitentüre herein, löschte die Lampe aus, riss Wilhelm vom Stuhle, und zog ihn nach sich in das Kabinett."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":529,"orig":"Geſchwind warf er den Schlafrock ab, der ſogleich wieder ſeinen gewöhnlichen Platz erhielt.","norm":"Geschwind warf er den Schlafrock ab, der sogleich wieder seinen gewöhnlichen Platz erhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":530,"orig":"Die Baroneſſe nahm Wilhelms Rock über den Arm, und eilte mit ihm durch einige Stuben, Gänge und Verſchläge in ihr Zimmer, wo Wilhelm, nachdem ſie ſich erhohlt hatte, von ihr vernahm: ſie ſey zu der Gräfin gekommen, um ihr die erdichtete Nachricht von der Ankunft des Grafen zu bringen.","norm":"Die Baronesse nahm Wilhelms Rock über den Arm, und eilte mit ihm durch einige Stuben, Gänge und Verschläge in ihr Zimmer, wo Wilhelm, nachdem sie sich erholt hatte, von ihr vernahm: Sie sei zu der Gräfin gekommen, um ihr die erdichtete Nachricht von der Ankunft des Grafen zu bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":531,"orig":"Ich weiß es ſchon, ſagte die Gräfin: was mag wohl begegnet ſeyn?","norm":"Ich weiß es schon, sagte die Gräfin: Was mag wohl begegnet sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":532,"orig":"Ich habe ihn ſo eben zum Seitenthore herein reiten ſehen.","norm":"Ich habe ihn soeben zum Seitentor hereinreiten sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":533,"orig":"Erſchrocken ſey die Baroneſſe ſogleich auf des Grafen Zimmer gelaufen, um ihn abzuholen.","norm":"Erschrocken sei die Baronesse sogleich auf des Grafen Zimmer gelaufen, um ihn abzuholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":534,"orig":"Unglücklicherweiſe ſind Sie zu ſpät gekommen!","norm":"Unglücklicherweise sind Sie zu spät gekommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":535,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":536,"orig":"Der Graf war vorhin im Zimmer, und hat mich ſitzen ſehen.","norm":"Der Graf war vorhin im Zimmer, und hat mich sitzen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":537,"orig":"Hat er Sie erkannt?","norm":"Hat er Sie erkannt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":538,"orig":"Ich weis es nicht.","norm":"Ich weiß es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":539,"orig":"Er ſah mich im Spiegel, ſo wie ich ihn, und eh’ ich wußte, ob es ein Geſpenſt oder er ſelbſt war, trat er ſchon wieder zurück, und drückte die Thüre hinter ſich zu.","norm":"Er sah mich im Spiegel, so wie ich ihn, und ehe ich wusste, ob es ein Gespenst oder er selbst war, trat er schon wieder zurück, und drückte die Türe hinter sich zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":540,"orig":"Die Verlegenheit der Baroneſſe vermehrte ſich, als ein Bedienter ſie zu rufen kam, und anzeigte, der Graf befinde ſich bey ſeiner Gemahlin.","norm":"Die Verlegenheit der Baronesse vermehrte sich, als ein Bedienter sie zu rufen kam, und anzeigte, der Graf befinde sich bei seiner Gemahlin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":541,"orig":"Mit ſchwerem Herzen ging ſie hin, und fand den Grafen zwar ſtill und in ſich gekehrt, aber in ſeinen Äuſſerungen milder und freundlicher als gewöhnlich.","norm":"Mit schwerem Herzen ging sie hin, und fand den Grafen zwar still und in sich gekehrt, aber in seinen Äußerungen milder und freundlicher als gewöhnlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":542,"orig":"Sie wußte nicht, was ſie denken ſollte.","norm":"Sie wusste nicht, was sie denken sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":543,"orig":"Man ſprach von den Vorfällen der Jagd und den Urſachen ſeiner früheren Zurückkunft.","norm":"Man sprach von den Vorfällen der Jagd und den Ursachen seiner früheren Zurückkunft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":544,"orig":"Das Geſpräch ging bald aus.","norm":"Das Gespräch ging bald aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":545,"orig":"Der Graf ward ſtille, und beſonders mußte der Baroneſſe auffallen, als er nach Wilhelmen fragte, und den Wunſch äuſſerte: man möchte ihn rufen laſſen, damit er etwas vorleſe.","norm":"Der Graf wurde stille, und besonders musste der Baronesse auffallen, als er nach Wilhelm fragte, und den Wunsch äußerte: Man möchte ihn rufen lassen, damit er etwas vorlese."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":546,"orig":"Wilhelm, der ſich im Zimmer der Baroneſſe wieder angekleidet und einigermaßen erholt hatte, kam nicht ohne Sorgen auf den Befehl herbey.","norm":"Wilhelm, der sich im Zimmer der Baronesse wieder angekleidet und einigermaßen erholt hatte, kam nicht ohne Sorgen auf den Befehl herbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":547,"orig":"Der Graf gab ihm ein Buch, aus welchem er eine abentheuerliche Novelle nicht ohne Beklemmung vorlas.","norm":"Der Graf gab ihm ein Buch, aus welchem er eine abenteuerliche Novelle nicht ohne Beklemmung vorlas."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":548,"orig":"Sein Ton hatte etwas Unſicheres, Zitterndes, das ſich glücklicherweiſe zu dem Inhalt der Geſchichte ſchickte.","norm":"Sein Ton hatte etwas Unsicheres, Zitterndes, das sich glücklicherweise zu dem Inhalt der Geschichte schickte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":549,"orig":"Der Graf gab einigemal freundliche Zeichen des Beyfalls, und lobte den beſondern Ausdruck der Vorleſung, da er zuletzt unſern Freund entließ.","norm":"Der Graf gab einige Mal freundliche Zeichen des Beifalls, und lobte den besonderen Ausdruck der Vorlesung, da er zuletzt unseren Freund entließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":550,"orig":"Wilhelm hatte kaum einige Stücke Shakeſpears geleſen, als ihre Wirkung auf ihn ſo ſtark wurde, daß er weiter fortzufahren nicht im Stande war.","norm":"Wilhelm hatte kaum einige Stücke Shakespeares gelesen, als ihre Wirkung auf ihn so stark wurde, dass er weiter fortzufahren nicht imstande war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":551,"orig":"Seine ganze Seele gerieth in Bewegung.","norm":"Seine ganze Seele geriet in Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":552,"orig":"Er ſuchte Gelegenheit, mit Jarno zu ſprechen, und konnte ihm nicht genug für die verſchafte Freude danken.","norm":"Er suchte Gelegenheit, mit Jarno zu sprechen, und konnte ihm nicht genug für die verschaffte Freude danken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":553,"orig":"Ich habe es wohl vorausgeſehen, ſagte dieſer, daß Sie gegen die Trefflichkeiten des auſſerordentlichſten und wunderbarſten aller Schriftſteller nicht unempfindlich bleiben würden.","norm":"Ich habe es wohl vorausgesehen, sagte dieser, dass Sie gegen die Trefflichkeiten des außerordentlichsten und wunderbarsten aller Schriftsteller nicht unempfindlich bleiben würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":554,"orig":"Ja, rief Wilhelm aus, ich erinnere mich nicht, daß ein Buch, ein Menſch oder irgend eine Begebenheit des Lebens ſo große Wirkungen auf mich hervorgebracht hätte, als die köſtlichen Stücke, die ich durch Ihre Gütigkeit habe kennen lernen.","norm":"Ja, rief Wilhelm aus, ich erinnere mich nicht, dass ein Buch, ein Mensch oder irgendeine Begebenheit des Lebens so große Wirkungen auf mich hervorgebracht hätte, als die köstlichen Stücke, die ich durch Ihre Gütigkeit habe kennen lernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":555,"orig":"Sie ſcheinen ein Werk eines himmliſchen Genius zu ſeyn, der ſich den Menſchen nähert, um ſie mit ſich ſelbſt auf die gelindeſte Weiſe bekannt zu machen.","norm":"Sie scheinen ein Werk eines himmlischen Genius zu sein, der sich den Menschen nähert, um sie mit sich selbst auf die gelindeste Weise bekannt zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":556,"orig":"Es ſind keine Gedichte!","norm":"Es sind keine Gedichte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":557,"orig":"man glaubt vor den aufgeſchlagenen, ungeheuren Büchern des Schickſals zu ſtehen, in denen der Sturmwind des bewegteſten Lebens ſauſt, und ſie mit Gewalt raſch hin und wieder blättert.","norm":"Man glaubt vor den aufgeschlagenen, ungeheuren Büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust, und sie mit Gewalt rasch hin und wieder blättert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":558,"orig":"Ich bin über die Stärke und Zartheit, über die Gewalt und Ruhe ſo erſtaunt, und auſſer aller Faſſung gebracht, daß ich nur mit Sehnſucht auf die Zeit warte, da ich mich in einem Zuſtande befinden werde, weiter zu leſen.","norm":"Ich bin über die Stärke und Zartheit, über die Gewalt und Ruhe so erstaunt, und außer aller Fassung gebracht, dass ich nur mit Sehnsucht auf die Zeit warte, da ich mich in einem Zustande befinden werde, weiterzulesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":559,"orig":"Bravo, ſagte Jarno, indem er unſerm Freunde die Hand reichte und ſie ihm drückte, ſo wollte ich es haben!","norm":"Bravo, sagte Jarno, indem er unserem Freunde die Hand reichte und sie ihm drückte, so wollte ich es haben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":560,"orig":"und die Folgen, die ich hoffe, werden gewiß auch nicht ausbleiben.","norm":"und die Folgen, die ich hoffe, werden gewiss auch nicht ausbleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":561,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":562,"orig":"Ich wünſchte, verſetzte Wilhelm, daß ich Ihnen alles, was gegenwärtig in mir vorgeht, entdecken könnte!","norm":"Ich wünschte, versetzte Wilhelm, dass ich Ihnen alles, was gegenwärtig in mir vorgeht, entdecken könnte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":563,"orig":"Alle Vorgefühle, die ich jemals über Menſchheit und ihre Schickſale gehabt, die mich von Jugend auf, mir ſelbſt unbemerkt, begleiteten, finde ich in Shakeſpears Stücken erfüllt und entwickelt.","norm":"Alle Vorgefühle, die ich jemals über Menschheit und ihre Schicksale gehabt, die mich von Jugend auf, mir selbst unbemerkt, begleiteten, finde ich in Shakespeares Stücken erfüllt und entwickelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":564,"orig":"Es ſcheint, als wenn er uns alle Räthſel offenbarte, ohne daß man doch ſagen kann: hier oder da iſt das Wort der Auflöſung.","norm":"Es scheint, als wenn er uns alle Rätsel offenbarte, ohne dass man doch sagen kann: hier oder da ist das Wort der Auflösung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":565,"orig":"Seine Menſchen ſcheinen natürliche Menſchen zu ſeyn, und ſie ſind es doch nicht.","norm":"Seine Menschen scheinen natürliche Menschen zu sein, und sie sind es doch nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":566,"orig":"Dieſe geheimnißvollſten und zuſammengeſetzteſten Geſchöpfe der Natur handeln vor uns in ſeinen Stücken, als wenn ſie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäuſe man von Kriſtall gebildet hätte, ſie zeigen nach ihrer Beſtimmung den Lauf der Stunden an, und man kann zugleich das Räder- und Federwerk erkennen, das ſie treibt.","norm":"Diese geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfe der Natur handeln vor uns in seinen Stücken, als wenn sie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäuse man von Kristall gebildet hätte, sie zeigen nach ihrer Bestimmung den Lauf der Stunden an, und man kann zugleich das Räder- und Federwerk erkennen, das sie treibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":567,"orig":"Dieſe wenigen Blicke, die ich in Shakeſpears Welt gethan, reizen mich mehr als irgend etwas anders, in der wirklichen Welt ſchnellere Forſchritte vorwärts zu thun, mich in die Fluth der Schickſale zu miſchen, die über ſie verhängt ſind, und dereinſt, wenn es mir glücken ſollte, aus dem großen Meere der wahren Natur wenige Becher zu ſchöpfen, und ſie von der Schaubühne dem lechzenden Publikum meines Vaterlandes auszuſpenden.","norm":"Diese wenigen Blicke, die ich in Shakespeares Welt getan, reizen mich mehr als irgendetwas anderes, in der wirklichen Welt schnellere Fortschritte vorwärts zu tun, mich in die Flut der Schicksale zu mischen, die über sie verhängt sind, und dereinst, wenn es mir glücken sollte, aus dem großen Meere der wahren Natur wenige Becher zu schöpfen, und sie von der Schaubühne dem lechzenden Publikum meines Vaterlandes aus zu spenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":568,"orig":"Wie freut mich die Gemüthsverfaſſung, in der ich Sie ſehe, verſetzte Jarno, und legte dem bewegten Jüngling die Hand auf die Schulter.","norm":"Wie freut mich die Gemütsverfassung, in der ich Sie sehe, versetzte Jarno, und legte dem bewegten Jüngling die Hand auf die Schulter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":569,"orig":"Laſſen Sie den Vorſatz nicht fahren, in ein thätiges Leben überzugehen, und eilen Sie die guten Jahre, die Ihnen gegönnt ſind, wacker zu nutzen.","norm":"Lassen Sie den Vorsatz nicht fahren, in ein tätiges Leben überzugehen, und eilen Sie die guten Jahre, die Ihnen gegönnt sind, wacker zu nutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":570,"orig":"Kann ich Ihnen behülflich ſeyn, ſo geſchieht es von ganzem Herzen.","norm":"Kann ich Ihnen behilflich sein, so geschieht es von ganzem Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":571,"orig":"Noch habe ich nicht gefragt, wie Sie in dieſe Geſellſchaft gekommen ſind, für die Sie weder gebohren noch erzogen ſeyn können.","norm":"Noch habe ich nicht gefragt, wie Sie in diese Gesellschaft gekommen sind, für die Sie weder geboren noch erzogen sein können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":572,"orig":"So viel hoffe ich und ſehe ich, daß Sie ſich heraus ſehnen.","norm":"So viel hoffe ich und sehe ich, dass Sie sich heraussehnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":573,"orig":"Ich weiß nichts von Ihrer Herkunft, von Ihren häuslichen Umſtänden, überlegen Sie, was Sie mir vertrauen wollen.","norm":"Ich weiß nichts von Ihrer Herkunft, von Ihren häuslichen Umständen, überlegen Sie, was Sie mir vertrauen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":574,"orig":"So viel kann ich Ihnen nur ſagen, die Zeiten des Krieges, in denen wir leben, können ſchnelle Wechſel des Glückes hervorbringen; mögen Sie Ihre Kräfte und Talente unſerm Dienſte widmen, Mühe, und wenn es Noth thut, Gefahr nicht ſcheuen, ſo habe ich eben jetzo eine Gelegenheit, Sie an einen Platz zu ſtellen, den eine Zeitlang bekleidet zu haben, Sie in der Folge nicht gereuen wird.","norm":"So viel kann ich Ihnen nur sagen, die Zeiten des Krieges, in denen wir leben, können schnelle Wechsel des Glückes hervorbringen; mögen Sie Ihre Kräfte und Talente unserem Dienste widmen, Mühe, und wenn es Not tut, Gefahr nicht scheuen, so habe ich eben jetzt eine Gelegenheit, Sie an einen Platz zu stellen, den eine Zeitlang bekleidet zu haben, sie in der Folge nicht gereuen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":575,"orig":"Wilhelm konnte ſeinen Dank nicht genug ausdrücken, und war willig, ſeinem Freunde und Beſchützer die ganze Geſchichte ſeines Lebens zu erzählen.","norm":"Wilhelm konnte seinen Dank nicht genug ausdrücken, und war willig, seinem Freunde und Beschützer die ganze Geschichte seines Lebens zu erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":576,"orig":"Sie hatten ſich unter dieſem Geſpräch weit in den Park verloren, und waren auf die Landſtraße, welche durch denſelben durchging, gekommen.","norm":"Sie hatten sich unter diesem Gespräch weit in den Park verloren, und waren auf die Landstraße, welche durch denselben durchging, gekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":577,"orig":"Jarno ſtand einen Augenblick ſtill, und ſagte: bedenken Sie meinen Vorſchlag, entſchließen Sie ſich, geben Sie mir in einigen Tagen Antwort, und ſchenken Sie mir Ihr Vertrauen.","norm":"Jarno stand einen Augenblick still, und sagte: Bedenken Sie meinen Vorschlag, entschließen Sie sich, geben Sie mir in einigen Tagen Antwort, und schenken Sie mir Ihr Vertrauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":578,"orig":"Ich verſichre Sie, es iſt mir bisher unbegreiflich geweſen, wie Sie ſich mit ſolchem Volk haben gemein machen können.","norm":"Ich versichere Sie, es ist mir bisher unbegreiflich gewesen, wie Sie sich mit solchem Volk haben gemein machen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":579,"orig":"Ich hab’ es oft mit Ekel und Verdruß geſehen, wie Sie, um nur einigermaßen leben zu können, Ihr Herz an einen herumziehenden Bänkelſänger und an ein albernes zwitterhaftes Geſchöpf hängen mußten.","norm":"Ich habe es oft mit Ekel und Verdruss gesehen, wie Sie, um nur einigermaßen leben zu können, Ihr Herz an einen herumziehenden Bänkelsänger und an ein albernes zwitterhaftes Geschöpf hängen mussten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":580,"orig":"Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein Officier zu Pferde eilends herankam, dem ein Reitknecht mit einem Handpferd folgte.","norm":"Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein Offizier zu Pferde eilends herankam, dem ein Reitknecht mit einem Handpferd folgte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":581,"orig":"Jarno rief ihm einen lebhaften Gruß zu.","norm":"Jarno rief ihm einen lebhaften Gruß zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":582,"orig":"Der Officier ſprang vom Pferde, beide umarmten ſich und unterhielten ſich mit einander, indem Wilhelm, beſtürzt über die letzten Worte ſeines kriegeriſchen Freundes, in ſich gekehrt an der Seite ſtand.","norm":"Der Offizier sprang vom Pferde, beide umarmten sich und unterhielten sich miteinander, indem Wilhelm, bestürzt über die letzten Worte seines kriegerischen Freundes, in sich gekehrt an der Seite stand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":583,"orig":"Jarno durchblätterte einige Papiere, die ihm der Ankommende überreicht hatte, dieſer aber ging auf Wilhelmen zu, reichte ihm die Hand, und rief mit Emphaſe: ich treffe Sie in einer würdigen Geſellſchaft, folgen Sie dem Rathe Ihres Freundes, und erfüllen Sie dadurch zugleich die Wünſche eines Unbekannten, der herzlichen Theil an Ihnen nimmt.","norm":"Jarno durchblätterte einige Papiere, die ihm der Ankommende überreicht hatte, dieser aber ging auf Wilhelmen zu, reichte ihm die Hand, und rief mit Emphase: Ich treffe Sie in einer würdigen Gesellschaft, folgen Sie dem Rate Ihres Freundes, und erfüllen Sie dadurch zugleich die Wünsche eines Unbekannten, der herzlichen Teil an Ihnen nimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":584,"orig":"Er ſprachs, umarmte Wilhelmen, drückte ihn mit Lebhaftigkeit an ſeine Bruſt.","norm":"Er sprach es, umarmte Wilhelmen, drückte ihn mit Lebhaftigkeit an seine Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":585,"orig":"Zu gleicher Zeit trat Jarno herbey, und ſagte zu dem Fremden: es iſt am beſten, ich reite gleich mit ihnen hinein, ſo können Sie die nöthigen Ordres erhalten, und Sie reiten noch vor Nacht wieder fort.","norm":"Zu gleicher Zeit trat Jarno herbei, und sagte zu dem Fremden: Es ist am besten, ich reite gleich mit Ihnen hinein, so können Sie die nötigen Ordres erhalten, und Sie reiten noch vor Nacht wieder fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":586,"orig":"Beide ſchwangen ſich darauf zu Pferde, und überließen unſern verwunderten Freund ſeinen eigenen Betrachtungen.","norm":"Beide schwangen sich darauf zu Pferde, und überließen unseren verwunderten Freund seinen eigenen Betrachtungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":587,"orig":"Die letzten Worte Jarnos klangen noch in ſeinen Ohren.","norm":"Die letzten Worte Jarnos klangen noch in seinen Ohren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":588,"orig":"Ihm war unerträglich, das Paar menſchlicher Weſen, das ihm unſchuldigerweiſe ſeine Neigung abgewonnen hatte, durch einen Mann, den er ſo ſehr verehrte, ſo tief heruntergeſetzt zu ſehen.","norm":"Ihm war unerträglich, das Paar menschlicher Wesen, das ihm unschuldigerweise seine Neigung abgewonnen hatte, durch einen Mann, den er so sehr verehrte, so tief heruntergesetzt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":589,"orig":"Die ſonderbare Umarmung des Officiers, den er nicht kannte, machte wenig Eindruck auf ihn, ſie beſchäftigte ſeine Neugierde und Einbildungskraft einen Augenblick; aber Jarnos Reden hatten ſein Herz getroffen; er war tief verwundet, und nun brach er auf ſeinem Rückwege gegen ſich ſelbſt in Vorwürfe aus, daß er nur einen Augenblick die hartherzige Kälte Jarnos, die ihm aus den Augen herausſehe, und aus allen ſeinen Gebährden ſpreche, habe verkennen und vergeſſen mögen.","norm":"Die sonderbare Umarmung des Offiziers, den er nicht kannte, machte wenig Eindruck auf ihn, sie beschäftigte seine Neugierde und Einbildungskraft einen Augenblick; aber Jarnos Reden hatten sein Herz getroffen; er war tief verwundet, und nun brach er auf seinem Rückwege gegen sich selbst in Vorwürfe aus, dass er nur einen Augenblick die hartherzige Kälte Jarnos, die ihm aus den Augen heraussehe, und aus allen seinen Gebärden spreche, habe verkennen und vergessen mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":590,"orig":"— Nein, rief er aus, du bildeſt dir nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß du ein Freund ſeyn könneſt!","norm":"— Nein, rief er aus, du bildest dir nur ein, du abgestorbener Weltmann, dass du ein Freund sein könntest!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":591,"orig":"Alles, was du mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet.","norm":"Alles, was du mir anbieten magst, ist der Empfindung nicht wert, die mich an diese Unglücklichen bindet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":592,"orig":"Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten entdecke, was ich von dir zu erwarten hatte!","norm":"Welch ein Glück, dass ich noch beizeiten entdecke, was ich von dir zu erwarten hatte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":593,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":594,"orig":"Er ſchloß Mignon, die ihm eben entgegen kam, in die Arme, und rief aus: nein, uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Geſchöpf!","norm":"Er schloss Mignon, die ihm eben entgegenkam, in die Arme, und rief aus: Nein, uns soll nichts trennen, du gutes kleines Geschöpf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":595,"orig":"Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin.","norm":"Die scheinbare Klugheit der Welt soll mich nicht vermögen, dich zu verlassen, noch zu vergessen, was ich dir schuldig bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":596,"orig":"Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit Mühe zuletzt los werden konnte.","norm":"Das Kind, dessen heftige Liebkosungen er sonst abzulehnen pflegte, erfreute sich dieses unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und hing sich so fest an ihn, dass er es nur mit Mühe zuletzt loswerden konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":597,"orig":"Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos Handlungen acht, die ihm nicht alle lobenswürdig ſchienen: ja es kam wohl manches vor, das ihm durchaus mißfiel.","norm":"Seit dieser Zeit gab er mehr auf Jarnos Handlungen acht, die ihm nicht alle lobenswürdig schienen: ja es kam wohl manches vor, das ihm durchaus missfiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":598,"orig":"So hatte er zum Beyſpiel ſtarken Verdacht, das Gedicht auf den Baron, welches der arme Pedant ſo theuer hatte bezahlen müſſen, ſey Jarnos Arbeit.","norm":"So hatte er zum Beispiel starken Verdacht, das Gedicht auf den Baron, welches der arme Pedant so teuer hatte bezahlen müssen, sei Jarnos Arbeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":599,"orig":"Da nun dieſer in Wilhelms Gegenwart über den Vorfall geſcherzt hatte, glaubte unſer Freund hierin das Zeichen eines höchſt verdorbenen Herzens zu erkennen; denn was konnte boshafter ſeyn, als einen Unſchuldigen, deſſen Leiden man verurſacht, zu verſpotten, und weder an Genugthuung noch Entſchädigung zu denken.","norm":"Da nun dieser in Wilhelms Gegenwart über den Vorfall gescherzt hatte, glaubte unser Freund hierin das Zeichen eines höchst verdorbenen Herzens zu erkennen; denn was konnte boshafter sein, als einen Unschuldigen, dessen Leiden man verursacht, zu verspotten, und weder an Genugtuung noch Entschädigung zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":600,"orig":"Gern hätte Wilhelm ſie ſelbſt veranlaßt, denn er war durch einen ſehr ſonderbaren Zufall den Thätern jener nächtlichen Mißhandlung auf die Spur gekommen.","norm":"Gern hätte Wilhelm sie selbst veranlasst, denn er war durch einen sehr sonderbaren Zufall den Tätern jener nächtlichen Misshandlung auf die Spur gekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":601,"orig":"Man hatte ihm bisher immer zu verbergen gewußt, daß einige junge Officiere, im unteren Saale des alten Schloſſes, mit einem Theile der Schauſpieler und Schauſpielerinnen ganze Nächte auf eine luſtige Weiſe zubrachten.","norm":"Man hatte ihm bisher immer zu verbergen gewusst, dass einige junge Offiziere, im unteren Saale des alten Schlosses, mit einem Teile der Schauspieler und Schauspielerinnen ganze Nächte auf eine lustige Weise zubrachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":602,"orig":"Eines Morgens, als er nach ſeiner Gewohnheit früh aufgeſtanden, kam er von ohngefähr in das Zimmer, und fand die jungen Herren, die eine höchſt ſonderbare Toilette zu machen im Begriff ſtunden.","norm":"Eines Morgens, als er nach seiner Gewohnheit früh aufgestanden, kam er von ungefähr in das Zimmer, und fand die jungen Herren, die eine höchst sonderbare Toilette zu machen im Begriff stunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":603,"orig":"Sie hatten in einen Napf mit Waſſer Kreide eingerieben, und trugen den Teig mit einer Bürſte auf ihre Weſten und Beinkleider, ohne ſie auszuziehen, und ſtellten alſo die Reinlichkeit ihrer Garderobe auf das ſchnellſte wieder her.","norm":"Sie hatten in einen Napf mit Wasser Kreide eingerieben, und trugen den Teig mit einer Bürste auf ihre Westen und Beinkleider, ohne sie auszuziehen, und stellten also die Reinlichkeit ihrer Garderobe auf das schnellste wieder her."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":604,"orig":"Unſerm Freunde, der ſich über dieſe Handgriffe wunderte, fiel der weiß beſtäubte und befleckte Rock des Pedanten ein, der Verdacht wurde um ſo viel ſtärker, als er erfuhr, daß einige Verwandten des Barons ſich unter der Geſellſchaft befänden.","norm":"Unserem Freunde, der sich über diese Handgriffe wunderte, fiel der weiß bestäubte und befleckte Rock des Pedanten ein, der Verdacht wurde um soviel stärker, als er erfuhr, dass einige Verwandten des Barons sich unter der Gesellschaft befänden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":605,"orig":"Um dieſem Verdacht näher aus die Spur zu kommen, ſuchte er die jungen Herren mit einem kleinen Frühſtücke zu beſchäftigen.","norm":"Um diesem Verdacht näher auf die Spur zu kommen, suchte er die jungen Herren mit einem kleinen Frühstücke zu beschäftigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":606,"orig":"Sie waren ſehr lebhaft, und erzählten viele luſtige Geſchichten.","norm":"Sie waren sehr lebhaft, und erzählten viele lustige Geschichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":607,"orig":"Der eine beſonders, der eine Zeitlang auf Werbung geſtanden, wußte nicht genug die Liſt und Thätigkeit ſeines Hauptmanns zu rühmen, der alle Arten von Menſchen an ſich zu ziehen, und jeden nach ſeiner Art zu überliſten verſtand.","norm":"Der eine besonders, der eine Zeitlang auf Werbung gestanden, wusste nicht genug die List und Tätigkeit seines Hauptmanns zu rühmen, der alle Arten von Menschen an sich zu ziehen, und jeden nach seiner Art zu überlisten verstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":608,"orig":"Umſtändlich erzählte er, wie junge Leute von gutem Hauſe und ſorgfältiger Erziehung, durch allerley Vorſpiegelungen einer anſtändigen Verſorgung betrogen worden, und lachte herzlich über die Gimpel, denen es im Anfange ſo wohl gethan habe, ſich von einem angeſehenen, tapferen, klugen und freygebigen Officier geſchätzt und hervorgezogen zu ſehen.","norm":"Umständlich erzählte er, wie junge Leute von gutem Hause und sorgfältiger Erziehung, durch allerlei Vorspiegelungen einer anständigen Versorgung betrogen worden, und lachte herzlich über die Gimpel, denen es im Anfange so wohlgetan habe, sich von einem angesehenen, tapferen, klugen und freigebigen Offizier geschätzt und hervorgezogen zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":609,"orig":"Wie ſegnete Wilhelm ſeinen Genius, der ihm ſo unvermuthet den Abgrund zeigte, deſſen Rande er ſich unſchuldigerweiſe genähert hatte.","norm":"Wie segnete Wilhelm seinen Genius, der ihm so unvermutet den Abgrund zeigte, dessen Rande er sich unschuldigerweise genähert hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":610,"orig":"Er ſah nun in Jarno nichts als den Werber; die Umarmung des fremden Officiers war ihm leicht erklärlich.","norm":"Er sah nun in Jarno nichts als den Werber; die Umarmung des fremden Offiziers war ihm leicht erklärlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":611,"orig":"Er verabſcheuete die Geſinnungen dieſer Männer, und vermied von dem Augenblicke mit irgend jemand, der eine Uniform trug, zuſammen zu kommen, und ihm wäre die Nachricht, daß die Armee weiter vorwärts rücke, in dieſem Sinne ſehr angenehm geweſen, wenn er nicht zugleich hätte fürchten müſſen, aus der Nähe ſeiner ſchönen Freundin, vielleicht auf immer, verbannt zu werden.","norm":"Er verabscheute die Gesinnungen dieser Männer, und vermied von dem Augenblicke mit irgendjemand, der eine Uniform trug, zusammenzukommen, und ihm wäre die Nachricht, dass die Armee weiter vorwärtsrücke, in diesem Sinne sehr angenehm gewesen, wenn er nicht zugleich hätte fürchten müssen, aus der Nähe seiner schönen Freundin, vielleicht auf immer, verbannt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":612,"orig":"Inzwiſchen hatte die Baroneſſe mehrere Tage, von Sorgen und einer unbefriedigten Neugierde gepeinigt, zugebracht, Denn das Betragen des Grafen ſeit jenem Abentheuer war ihr ein völliges Räthſel.","norm":"Inzwischen hatte die Baronesse mehrere Tage, von Sorgen und einer unbefriedigten Neugierde gepeinigt, zugebracht, denn das Betragen des Grafen seit jenem Abenteuer war ihr ein völliges Rätsel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":613,"orig":"Er war ganz aus ſeiner Manier herausgegangen, von ſeinen gewöhnlichen Scherzen hörte man keinen.","norm":"Er war ganz aus seiner Manier herausgegangen, von seinen gewöhnlichen Scherzen hörte man keinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":614,"orig":"Seine Forderungen an die Geſellſchaft und an die Bedienten hatten ſehr nachgelaſſen.","norm":"Seine Forderungen an die Gesellschaft und an die Bedienten hatten sehr nachgelassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":615,"orig":"Von Pedanterie und gebieteriſchem Weſen merkte man wenig, vielmehr war er ſtill und in ſich gekehrt, jedoch ſchien er heiter, und wirklich ein anderer Menſch zu ſeyn.","norm":"Von Pedanterie und gebieterischem Wesen merkte man wenig, vielmehr war er still und in sich gekehrt, jedoch schien er heiter, und wirklich ein anderer Mensch zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":616,"orig":"Bey Vorleſungen, zu denen er zuweilen Anlaß gab, wählte er ernſthafte, oft religiöſe Bücher, und die Baroneſſe lebte in beſtändiger Furcht, es möchte hinter dieſer anſcheinenden Ruhe ſich ein geheimer Groll verbergen, ein ſtiller Vorſatz, den Frevel, den er ſo zufällig entdeckt, zu rächen.","norm":"Bei Vorlesungen, zu denen er zuweilen Anlass gab, wählte er ernsthafte, oft religiöse Bücher, und die Baronesse lebte in beständiger Furcht, es mochte hinter dieser anscheinenden Ruhe sich ein geheimer Groll verbergen, ein stiller Vorsatz, den Frevel, den er so zufällig entdeckt, zu rächen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":617,"orig":"Sie entſchloß ſich daher, Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und ſie konnte es um ſo mehr, als ſie mit ihm in einem Verhältniſſe ſtand, in dem man ſich ſonſt wenig zu verbergen pflegt.","norm":"Sie entschloss sich daher, Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und sie konnte es um so mehr, als sie mit ihm in einem Verhältnisse stand, in dem man sich sonst wenig zu verbergen pflegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":618,"orig":"Jarno war ſeit kurzer Zeit ihr entſchiedner Freund, doch waren ſie klug genug, ihre Neigung und ihre Freuden vor der lermenden Welt, die ſie umgab, zu verbergen.","norm":"Jarno war seit kurzer Zeit ihr entschiedener Freund, doch waren sie klug genug, ihre Neigung und ihre Freuden vor der lärmenden Welt, die sie umgab, zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":619,"orig":"Nur den Augen der Gräfin war dieſer neue Roman nicht entgangen, und höchſt wahrſcheinlich ſuchte die Baroneſſe ihre Freundin gleichfalls zu beſchäftigen, um den ſtillen Vorwürfen zu entgehen, welche ſie denn doch manchmal von jener edlen Seele zu erdulden hatte.","norm":"Nur den Augen der Gräfin war dieser neue Roman nicht entgangen, und höchstwahrscheinlich suchte die Baronesse ihre Freundin gleichfalls zu beschäftigen, um den stillen Vorwürfen zu entgehen, welche sie denn doch manchmal von jener edlen Seele zu erdulden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":620,"orig":"Kaum hatte die Baroneſſe ihrem Freunde die Geſchichte erzählt, als er lachend ausrief: da glaubt der Alte gewiß ſich ſelbſt geſehen zu haben, er fürchtet, daß ihm dieſe Erſcheinung Unglück, ja vielleicht gar den Tod bedeute, und nun iſt er zahm geworden wie alle die Halbmenſchen, wenn ſie an die Auflöſung denken, welcher niemand entgangen iſt, noch entgehen wird.","norm":"Kaum hatte die Baronesse ihrem Freunde die Geschichte erzählt, als er lachend ausrief: Da glaubt der Alte gewiss sich selbst gesehen zu haben, er fürchtet, dass ihm diese Erscheinung Unglück, ja vielleicht gar den Tod bedeute, und nun ist er zahm geworden wie alle die Halbmenschen, wenn sie an die Auflösung denken, welcher niemand entgangen ist, noch entgehen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":621,"orig":"Nur ſtille, da ich hoffe, daß er noch lange leben ſoll, ſo wollen wir ihn bey dieſer Gelegenheit wenigſtens ſo formiren, daß er ſeiner Frau und ſeinen Hausgenoſſen nicht mehr zur Laſt ſeyn ſoll.","norm":"Nur stille, da ich hoffe, dass er noch lange leben soll, so wollen wir ihn bei dieser Gelegenheit wenigstens so formieren, dass er seiner Frau und seinen Hausgenossen nicht mehr zur Last sein soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":622,"orig":"Sie fingen nun, ſo bald es nur ſchicklich war, in Gegenwart des Grafen an, von Ahndungen, Erſcheinungen und dergleichen zu ſprechen.","norm":"Sie fingen nun, sobald es nur schicklich war, in Gegenwart des Grafen an, von Ahnungen, Erscheinungen und dergleichen zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":623,"orig":"Jarno ſpielte den Zweifler, ſeine Freundin gleichfalls, und ſie trieben es ſo weit, daß der Graf endlich Jarno bey Seite nahm, ihm ſeine Freygeiſterey verwies, und ihn, durch ſein eignes Beyſpiel, von der Möglichkeit und Wirklichkeit ſolcher Geſchichten zu überzeugen ſuchte.","norm":"Jarno spielte den Zweifler, seine Freundin gleichfalls, und sie trieben es so weit, dass der Graf endlich Jarno beiseitenahm, ihm seine Freigeisterei verwies, und ihn, durch sein eigenes Beispiel, von der Möglichkeit und Wirklichkeit solcher Geschichten zu überzeugen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":624,"orig":"Jarno ſpielte den Betroffenen, Zweifelnden und endlich den Überzeugten, machte ſich aber gleich darauf in ſtiller Nacht mit ſeiner Freundin deſto luſtiger über den ſchwachen Weltmann, der nun auf einmal von ſeinen Unarten durch einen Popanz bekehrt worden, und der nur noch deswegen zu loben ſey, weil er mit ſo vieler Faſſung ein bevorſtehendes Unglück, ja vielleicht gar den Tod erwarte.","norm":"Jarno spielte den Betroffenen, zweifelnden und endlich den Überzeugten, machte sich aber gleich darauf in stiller Nacht mit seiner Freundin desto lustiger über den schwachen Weltmann, der nun auf einmal von seinen Unarten durch einen Popanz bekehrt worden, und der nur noch deswegen zu loben sei, weil er mit so vieler Fassung ein bevorstehendes Unglück, ja vielleicht gar den Tod erwarte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":625,"orig":"Auf die natürlichſte Folge, welche dieſe Erſcheinung hätte haben können, möchte er doch wohl nicht gefaßt ſeyn, rief die Baroneſſe mit ihrer gewöhnlichen Munterkeit, zu der ſie, ſo bald ihr eine Sorge vom Herzen genommen war, gleich wieder übergehen konnte.","norm":"Auf die natürlichste Folge, welche diese Erscheinung hätte haben können, möchte er doch wohl nicht gefasst sein, rief die Baronesse mit ihrer gewöhnlichen Munterkeit, zu der sie, sobald ihr eine Sorge vom Herzen genommen war, gleich wieder übergehen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":626,"orig":"Jarno ward reichlich belohnt, und man ſchmiedete neue Anſchläge, den Grafen noch mehr kirre zu machen, und die Neigung der Gräfin zu Wilhelm noch mehr zu reizen und zu beſtärken.","norm":"Jarno wurde reichlich belohnt, und man schmiedete neue Anschläge, den Grafen noch mehr kirre zu machen, und die Neigung der Gräfin zu Wilhelm noch mehr zu reizen und zu bestärken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":627,"orig":"In dieſer Abſicht erzählte man der Gräfin die ganze Geſchichte, die ſich zwar anfangs unwillig darüber zeigte, aber ſeit der Zeit nachdenklicher ward, und in ruhigen Augenblicken jene Scene, die ihr zubereitet war, zu bedenken, zu verfolgen und auszumahlen ſchien.","norm":"In dieser Absicht erzählte man der Gräfin die ganze Geschichte, die sich zwar anfangs unwillig darüber zeigte, aber seit der Zeit nachdenklicher wurde, und in ruhigen Augenblicken jene Szene, die ihr zubereitet war, zu bedenken, zu verfolgen und auszumalen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":628,"orig":"Die Anſtalten, welche nunmehr von allen Seiten getroffen wurden, ließen keinen Zweifel mehr übrig, daß die Armeen bald vorwärts rücken, und der Prinz zugleich ſein Hauptquartier verändern würde; ja es hieß, daß der Graf zugleich auch das Gut verlaſſen und wieder nach der Stadt zurückkehren werde.","norm":"Die Anstalten, welche nunmehr von allen Seiten getroffen wurden, ließen keinen Zweifel mehr übrig, dass die Armeen bald vorwärtsrücken, und der Prinz zugleich sein Hauptquartier verändern würde; ja es hieß, dass der Graf zugleich auch das Gut verlassen und wieder nach der Stadt zurückkehren werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":629,"orig":"Unſere Schauſpieler konnten ſich alſo leicht die Nativität ſtellen, doch nur der einzige Melina nahm ſeine Maaßregeln darnach, die andern ſuchten nur noch von dem Augenblicke ſo viel als möglich das Vergnüglichſte zu erhaſchen.","norm":"Unsere Schauspieler konnten sich also leicht die Nativität stellen, doch nur der einzige Melina nahm seine Maßregeln danach, die anderen suchten nur noch von dem Augenblicke soviel als möglich das Vergnüglichste zu erhaschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":630,"orig":"Wilhelm war indeſſen auf eine eigene Weiſe beſchäftigt.","norm":"Wilhelm war indessen auf eine eigene Weise beschäftigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":631,"orig":"Die Gräfin hatte von ihm die Abſchrift ſeiner Stücke verlangt, und er ſah dieſen Wunſch der liebenswürdigen Frau als die ſchönſte Belohnung an.","norm":"Die Gräfin hatte von ihm die Abschrift seiner Stücke verlangt, und er sah diesen Wunsch der liebenswürdigen Frau als die schönste Belohnung an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":632,"orig":"Ein junger Autor, der ſich noch nicht gedruckt geſehn, wendet in einem ſolchen Falle die größte Aufmerkſamkeit auf eine reinliche und zierliche Abſchrift ſeiner Werke.","norm":"Ein junger Autor, der sich noch nicht gedruckt gesehen, wendet in einem solchen Falle die größte Aufmerksamkeit auf eine reinliche und zierliche Abschrift seiner Werke."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":633,"orig":"Es iſt gleichſam das goldne Zeitalter der Autorſchaft; man ſieht ſich in jene Jahrhunderte verſetzt, in denen die Preſſe noch nicht die Welt mit ſo viel unnützen Schriften überſchwemmt hatte, wo nur würdige Geiſtesproducte abgeſchrieben, und von den edelſten Menſchen verwahrt wurden, und wie leicht begeht man alsdann den Fehlſchluß, daß ein ſorgfältig abgezirkeltes Manuſcript auch ein würdiges Geiſtesproduct ſey, werth von einem Kenner und Beſchützer beſeſſen und aufgeſtellt zu werden.","norm":"Es ist gleichsam das goldene Zeitalter der Autorschaft; man sieht sich in jene Jahrhunderte versetzt, in denen die Presse noch nicht die Welt mit so viel unnützen Schriften überschwemmt hatte, wo nur würdige Geistesprodukte abgeschrieben, und von den edelsten Menschen verwahrt wurden, und wie leicht begeht man alsdann den Fehlschluss, dass ein sorgfältig abgezirkeltes Manuskript auch ein würdiges Geistesprodukt sei, wert von einem Kenner und Beschützer besessen und aufgestellt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":634,"orig":"Man hatte zu Ehren des Prinzen, der nun in kurzem abgehen ſollte, noch ein großes Gaſtmahl angeſtellt.","norm":"Man hatte zu Ehren des Prinzen, der nun in kurzem abgehen sollte, noch ein großes Gastmahl angestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":635,"orig":"Viele Damen aus der Nachbarſchaft waren geladen, und die Gräfin hatte ſich bey Zeiten angezogen.","norm":"Viele Damen aus der Nachbarschaft waren geladen, und die Gräfin hatte sich beizeiten angezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":636,"orig":"Sie hatte dieſen Tag ein reicheres Kleid angelegt, als ſie ſonſt zu thun gewohnt war.","norm":"Sie hatte diesen Tag ein reicheres Kleid angelegt, als sie sonst zu tun gewohnt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":637,"orig":"Friſur und Aufſatz waren geſuchter, ſie war mit allen ihren Juwelen geſchmückt.","norm":"Frisur und Aufsatz waren gesuchter, sie war mit allen ihren Juwelen geschmückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":638,"orig":"Eben ſo hatte die Baroneſſe das Mögliche gethan, um ſich mit Pracht und Geſchmack anzukleiden.","norm":"Ebenso hatte die Baronesse das Mögliche getan, um sich mit Pracht und Geschmack anzukleiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":639,"orig":"Philine, als ſie merkte, daß den beiden Damen, in Erwartung ihrer Gäſte, die Zeit lang wurde, ſchlug vor, Wilhelmen kommen zu laſſen, der ſein fertiges Manuſcript zu überreichen und noch einige Kleinigkeiten vorzuleſen wünſchte.","norm":"Philine, als sie merkte, dass den beiden Damen, in Erwartung ihrer Gäste, die Zeit lang wurde, schlug vor, Wilhelm kommen zu lassen, der sein fertiges Manuskript zu überreichen und noch einige Kleinigkeiten vorzulesen wünschte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":640,"orig":"Er kam und erſtaunte im Hereintreten über die Geſtalt, über die Anmuth der Gräfin, die durch ihren Putz nur ſichtbarer geworden waren.","norm":"Er kam und erstaunte im Hereintreten über die Gestalt, über die Anmut der Gräfin, die durch ihren Putz nur sichtbarer geworden waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":641,"orig":"Er las nach dem Befehle der Damen; allein ſo zerſtreut und ſchlecht, daß wenn die Zuhörerinnen nicht ſo nachſichtig geweſen wären, ſie ihn gar bald würden entlaſſen haben.","norm":"Er las nach dem Befehle der Damen; allein so zerstreut und schlecht, dass wenn die Zuhörerinnen nicht so nachsichtig gewesen wären, sie ihn gar bald würden entlassen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":642,"orig":"So oft er die Gräfin anblickte, ſchien es ihm, als wenn ein elektriſcher Funke ſich vor ſeinen Augen zeigte; er wußte zuletzt nicht mehr, wo er Athem zu ſeiner Recitation hernehmen ſolle.","norm":"Sooft er die Gräfin anblickte, schien es ihm, als wenn ein elektrischer Funke sich vor seinen Augen zeigte; er wusste zuletzt nicht mehr, wo er Atem zu seiner Rezitation hernehmen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":643,"orig":"Die ſchöne Dame hatte ihm immer gefallen; aber jetzt ſchien es ihm, als ob er nie etwas vollkommneres geſehen hätte, und von den tauſenderley Gedanken, die ſich in ſeiner Seele kreuzten, mochte ohngefähr folgendes der Inhalt ſeyn:","norm":"Die schöne Dame hatte ihm immer gefallen; aber jetzt schien es ihm, als ob er nie etwas vollkommneres gesehen hätte, und von den tausenderlei Gedanken, die sich in seiner Seele kreuzten, mochte ungefähr folgendes der Inhalt sein:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":644,"orig":"Wie thörigt lehnen ſich doch ſo viele Dichter und ſogenannte gefühlvolle Menſchen gegen Putz und Pracht auf, und verlangen nur in einfachen, der Natur angemeſſenen Kleidern die Frauen alles Standes zu ſehen.","norm":"Wie töricht lehnen sich doch so viele Dichter und sogenannte gefühlvolle Menschen gegen Putz und Pracht auf, und verlangen nur in einfachen, der Natur angemessenen Kleidern die Frauen alles Standes zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":645,"orig":"Sie ſchelten den Putz, ohne zu bedenken, daß es der arme Putz nicht iſt, der uns mißfällt, wenn wir eine häßliche oder minder ſchöne Perſon reich und ſonderbar gekleidet erblikken; aber ich wollte alle Kenner der Welt hier verſammeln und ſie fragen, ob ſie wünſchten etwas von dieſen Falten, von dieſen Bändern und Spitzen, von dieſen Puffen, Locken und leuchtenden Steinen wegzunehmen?","norm":"Sie schelten den Putz, ohne zu bedenken, dass es der arme Putz nicht ist, der uns missfällt, wenn wir eine hässliche oder minder schöne Person reich und sonderbar gekleidet erblicken; aber ich wollte alle Kenner der Welt hier versammeln und sie fragen, ob sie wünschten etwas von diesen Falten, von diesen Bändern und Spitzen, von diesen Puffen, Locken und leuchtenden Steinen wegzunehmen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":646,"orig":"Würden ſie nicht fürchten, den angenehmen Eindruck zu ſtöhren, der ihnen hier ſo willig und natürlich entgegen kommt?","norm":"Würden sie nicht fürchten, den angenehmen Eindruck zu stören, der ihnen hier so willig und natürlich entgegenkommt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":647,"orig":"Ja, natürlich darf ich wohl ſagen!","norm":"Ja, natürlich darf ich wohl sagen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":648,"orig":"Wenn Minerva ganz gerüſtet aus dem Haupte des Jupiter entſprang, ſo ſcheinet dieſe Göttin in ihrem vollen Putze aus irgend einer Blume mit leichtem Fuße hervorgetreten zu ſeyn.","norm":"Wenn Minerva ganz gerüstet aus dem Haupte des Jupiter entsprang, so scheinet diese Göttin in ihrem vollen Putze aus irgendeiner Blume mit leichtem Fuße hervorgetreten zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":649,"orig":"Er ſah ſie ſo oft im Leſen an, als wenn er dieſen Eindruck ſich auf ewig einprägen wollte, und las einigemal falſch, ohne darüber in Verwirrung zu gerathen, ob er gleich ſonſt über der Verwechſelung eines Wortes oder eines Buchſtabens als über einen leidigen Schandfleck einer ganzen Vorleſung verzweifeln konnte.","norm":"Er sah sie so oft im Lesen an, als wenn er diesen Eindruck sich auf ewig einprägen wollte, und las einige Mal falsch, ohne darüber in Verwirrung zu geraten, ob er gleich sonst über der Verwechselung eines Wortes oder eines Buchstabens als über einen leidigen Schandfleck einer ganzen Vorlesung verzweifeln konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":650,"orig":"Ein falſcher Lerm, als wenn die Gäſte angefahren kämen, machte der Vorleſung ein Ende.","norm":"Ein falscher Lärm, als wenn die Gäste angefahren kämen, machte der Vorlesung ein Ende."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":651,"orig":"Die Baroneſſe ging weg, und die Gräfin, im Begriff ihren Schreibtiſch zuzumachen, der noch offen ſtand, ergriff ein Ringkäſtchen und ſteckte noch einige Ringe an die Finger.","norm":"Die Baronesse ging weg, und die Gräfin, im Begriff ihren Schreibtisch zuzumachen, der noch offenstand, ergriff ein Ringkästchen und steckte noch einige Ringe an die Finger."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":652,"orig":"Wir werden uns bald trennen, ſagte ſie, indem ſie ihre Augen auf das Käſtchen heftete: nehmen Sie ein Andenken von einer guten Freundin, die nichts lebhafter wünſcht, als daß es Ihnen wohlgehen möge.","norm":"Wir werden uns bald trennen, sagte sie, indem sie ihre Augen auf das Kästchen heftete: nehmen Sie ein Andenken von einer guten Freundin, die nichts lebhafter wünscht, als dass es Ihnen wohlgehen möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":653,"orig":"Sie nahm darauf einen Ring heraus, der unter einem Cryſtall ein ſchön von Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit Steinen beſetzt war.","norm":"Sie nahm darauf einen Ring heraus, der unter einem Kristall ein schön von Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit Steinen besetzt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":654,"orig":"Sie überreichte ihn Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts zu ſagen und nichts zu thun wußte, ſondern wie eingewurzelt in den Boden da ſtand.","norm":"Sie überreichte ihn Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts zu sagen und nichts zu tun wusste, sondern wie eingewurzelt in den Boden dastand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":655,"orig":"Die Gräfin ſchloß den Schreibtiſch zu, und ſetzte ſich auf ihren Sopha.","norm":"Die Gräfin schloss den Schreibtisch zu, und setzte sich auf ihren Sofa."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":656,"orig":"Und ich ſoll leer ausgehn, ſagte Philine, indem ſie ſich zur rechten Hand der Gräfin niederkniete: ſeht nur den Menſchen, der zur Unzeit ſo viele Worte im Munde führt, und jetzt nicht einmal eine armſelige Dankſagung herſtammeln kann.","norm":"Und ich soll leer ausgehen, sagte Philine, indem sie sich zur rechten Hand der Gräfin niederkniete: seht nur den Menschen, der zur Unzeit so viele Worte im Munde führt, und jetzt nicht einmal eine armselige Danksagung herstammeln kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":657,"orig":"Friſch, mein Herr, thun Sie wenigſtens pantomimiſch Ihre Schuldigkeit, und wenn Sie heute ſelbſt nichts zu erfinden wiſſen, ſo ahmen Sie mir wenigſtens nach.","norm":"Frisch, mein Herr, tun Sie wenigstens pantomimisch Ihre Schuldigkeit, und wenn Sie heute selbst nichts zu erfinden wissen, so ahmen Sie mir wenigstens nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":658,"orig":"Philine ergriff die rechte Hand der Gräfin, und küßte ſie mit Lebhaftigkeit.","norm":"Philine ergriff die rechte Hand der Gräfin, und küsste sie mit Lebhaftigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":659,"orig":"Wilhelm ſtürzte auf ſeine Kniee, faßte die linke, und drückte ſie an ſeine Lippen.","norm":"Wilhelm stürzte auf seine Kniee, fasste die linke, und drückte sie an seine Lippen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":660,"orig":"Die Gräfin ſchien verlegen, aber ohne Widerwillen.","norm":"Die Gräfin schien verlegen, aber ohne Widerwillen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":661,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":662,"orig":"rief Philine aus, ſo viel Schmuck hab’ ich wohl ſchon geſehen, aber noch nie eine Dame, ſo würdig ihn zu tragen.","norm":"rief Philine aus, so viel Schmuck habe ich wohl schon gesehen, aber noch nie eine Dame, so würdig ihn zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":663,"orig":"Welche Armbänder!","norm":"Welche Armbänder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":664,"orig":"aber auch welche Hand!","norm":"aber auch welche Hand!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":665,"orig":"Welcher Halsſchmuck!","norm":"Welcher Halsschmuck!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":666,"orig":"aber welche Bruſt!","norm":"aber welche Brust!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":667,"orig":"Stille, Schmeichlerin, rief die Gräfin.","norm":"Stille, Schmeichlerin, rief die Gräfin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":668,"orig":"Stellt denn das den Herrn Grafen vor?","norm":"Stellt denn das den Herrn Grafen vor?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":669,"orig":"ſagte Philine, indem ſie auf ein reiches Medaillon deutete, das die Gräfin an koſtbaren Ketten an der linken Seite trug.","norm":"sagte Philine, indem sie auf ein reiches Medaillon deutete, das die Gräfin an kostbaren Ketten an der linken Seite trug."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":670,"orig":"Er iſt als Bräutigam gemahlt, verſetzte die Gräfin.","norm":"Er ist als Bräutigam gemalt, versetzte die Gräfin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":671,"orig":"War er denn damals ſo jung?","norm":"War er denn damals so jung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":672,"orig":"fragte Philine:","norm":"fragte Philine:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":673,"orig":"Sie ſind ja nur erſt, wie ich weiß, wenige Jahre verheyrathet.","norm":"Sie sind ja nur erst, wie ich weiß, wenige Jahre verheiratet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":674,"orig":"Dieſe Jugend kommt auf die Rechnung des Mahlers, verſetzte die Gräfin.","norm":"Diese Jugend kommt auf die Rechnung des Malers, versetzte die Gräfin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":675,"orig":"Es iſt ein ſchöner Mann, ſagte Philine.","norm":"Es ist ein schöner Mann, sagte Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":676,"orig":"Doch ſollte wohl niemals, fuhr ſie fort, indem ſie die Hand auf das Herz der Gräfin legte, in dieſe verborgene Kapſel ſich ein ander Bild eingeſchlichen haben?","norm":"Doch sollte wohl niemals, fuhr sie fort, indem sie die Hand auf das Herz der Gräfin legte, in diese verborgene Kapsel sich ein ander Bild eingeschlichen haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":677,"orig":"Du biſt ſehr verwegen, Philine!","norm":"Du bist sehr verwegen, Philine!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":678,"orig":"rief ſie aus: ich habe dich verzogen.","norm":"rief sie aus: Ich habe dich verzogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":679,"orig":"Laß mich ſo etwas nicht zum zweytenmal hören.","norm":"Lass mich so etwas nicht zum zweiten Mal hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":680,"orig":"Wenn Sie zürnen, bin ich unglücklich, rief Philine, ſprang auf und eilte zur Thüre hinaus.","norm":"Wenn Sie zürnen, bin ich unglücklich, rief Philine, sprang auf und eilte zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":681,"orig":"Wilhelm hielt die ſchönſte Hand noch in ſeinen Händen.","norm":"Wilhelm hielt die schönste Hand noch in seinen Händen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":682,"orig":"Er ſah unverwandt auf das Armſchloß, das, zu ſeiner größten Verwunderung, die Anfangsbuchſtaben ſeiner Nahmen in brillantenen Zügen ſehen ließ.","norm":"Er sah unverwandt auf das Armschloss, das, zu seiner größten Verwunderung, die Anfangsbuchstaben seiner Namen in brillantenen Zügen sehen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":683,"orig":"Beſitz ich, fragte er beſcheiden, in dem koſtbaren Ringe, denn wirklich Ihre Haare?","norm":"Besitze ich, fragte er bescheiden, in dem kostbaren Ringe, denn wirklich Ihre Haare?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":684,"orig":"Ja, verſetzte ſie mit halber Stimme; dann nahm ſie ſich zuſammen, und ſagte, indem ſie ihm die Hand drückte: ſtehen Sie auf, und leben Sie wohl.","norm":"Ja, versetzte sie mit halber Stimme; dann nahm sie sich zusammen, und sagte, indem sie ihm die Hand drückte: Stehen Sie auf, und leben Sie wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":685,"orig":"Hier ſteht mein Nahme, rief er aus: durch den ſonderbarſten Zufall!","norm":"Hier steht mein Name, rief er aus: durch den sonderbarsten Zufall!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":686,"orig":"Er zeigte auf das Armſchloß.","norm":"Er zeigte auf das Armschloss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":687,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":688,"orig":"rief die Gräfin: es iſt die Chiffer einer Freundin!","norm":"rief die Gräfin: Es ist die Ziffer einer Freundin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":689,"orig":"Es ſind die Anfangsbuchſtaben meines Nahmens.","norm":"Es sind die Anfangsbuchstaben meines Namens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":690,"orig":"Vergeſſen Sie meiner nicht.","norm":"Vergessen Sie meiner nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":691,"orig":"Ihr Bild ſteht unauslöſchlich in meinem Herzen.","norm":"Ihr Bild steht unauslöschlich in meinem Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":692,"orig":"Leben Sie wohl, laſſen Sie mich fliehen!","norm":"Leben Sie wohl, lassen Sie mich fliehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":693,"orig":"Er küßte ihre Hand, und wollte aufſtehn; aber wie im Traum das Seltſamſte aus dem Seltſamſten ſich entwickelnd uns überraſcht; ſo hielt er, ohne zu wiſſen wie es geſchah, die Gräfin in ſeinen Armen, ihre Lippen ruhten auf den ſeinigen, und ihre wechſelſeitigen lebhaften Küſſe gewährten ihnen eine Seligkeit, die wir nur aus dem erſten aufbrauſenden Schaum des friſch eingeſchenkten Bechers der Liebe ſchlürfen.","norm":"Er küsste ihre Hand, und wollte aufstehen; aber wie im Traum das Seltsamste aus dem Seltsamsten sich entwickelnd uns überrascht; so hielt er, ohne zu wissen wie es geschah, die Gräfin in seinen Armen, ihre Lippen ruhten auf den seinigen, und ihre wechselseitigen lebhaften Küsse gewährten ihnen eine Seligkeit, die wir nur aus dem ersten aufbrausenden Schaum des frisch eingeschenkten Bechers der Liebe schlürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":694,"orig":"Ihr Haupt ruhte auf ſeiner Schulter, und der zerdrückten Locken und Bänder ward nicht gedacht.","norm":"Ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter, und der zerdrückten Locken und Bänder wurde nicht gedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":695,"orig":"Sie hatte ihren Arm um ihn geſchlungen; er umfaßte ſie mit Lebhaftigkeit, und drückte ſie wiederholend an ſeine Bruſt.","norm":"Sie hatte ihren Arm um ihn geschlungen; er umfasste sie mit Lebhaftigkeit, und drückte sie wiederholend an seine Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":696,"orig":"O daß ein ſolcher Augenblick nicht Ewigkeiten währen kann, und wehe dem neidiſchen Geſchick, das auch unſern Freunden dieſe kurzen Augenblicke unterbrach.","norm":"O dass ein solcher Augenblick nicht Ewigkeiten währen kann, und wehe dem neidischen Geschick, das auch unseren Freunden diese kurzen Augenblicke unterbrach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":697,"orig":"Wie erſchrak Wilhelm, wie betäubt fuhr er aus einem glücklichen Traume auf, als die Gräfin ſich auf einmal mit einem Schrey von ihm losriß, und mit der Hand nach ihrem Herzen fuhr.","norm":"Wie erschrak Wilhelm, wie betäubt fuhr er aus einem glücklichen Traume auf, als die Gräfin sich auf einmal mit einem Schrei von ihm losriss, und mit der Hand nach ihrem Herzen fuhr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":698,"orig":"Er ſtand betäubt vor ihr da; ſie hielt die andere Hand vor die Augen, und rief nach einer Pauſe: entfernen Sie ſich, eilen Sie!","norm":"Er stand betäubt vor ihr da; sie hielt die andere Hand vor die Augen, und rief nach einer Pause: Entfernen Sie sich, eilen Sie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":699,"orig":"Er ſtand noch immer.","norm":"Er stand noch immer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":700,"orig":"Verlaſſen Sie mich, rief ſie, und indem ſie die Hand von den Augen nahm, und ihn mit einem unbeſchreiblichen Blicke anſah, ſetzte ſie mit der lieblichſten Stimme hinzu: fliehen Sie mich, wenn Sie mich lieben.","norm":"Verlassen Sie mich, rief sie, und indem sie die Hand von den Augen nahm, und ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke ansah, setzte sie mit der lieblichsten Stimme hinzu: Fliehen Sie mich, wenn Sie mich lieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":701,"orig":"Wilhelm war aus dem Zimmer, und wieder auf ſeiner Stube, eh’ er wußte, wo er ſich befand.","norm":"Wilhelm war aus dem Zimmer, und wieder auf seiner Stube, ehe er wusste, wo er sich befand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":702,"orig":"Die Unglücklichen!","norm":"Die Unglücklichen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":703,"orig":"welche ſonderbare Warnung des Zufalls oder der Schickung riß ſie aus einander?","norm":"Welche sonderbare Warnung des Zufalls oder der Schickung riss sie auseinander?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":704,"orig":"Laertes ſtand nachdenklich am Fenſter und blickte, auf ſeinen Arm geſtützt, in das Feld hinaus.","norm":"Laertes stand nachdenklich am Fenster und blickte, auf seinen Arm gestützt, in das Feld hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":705,"orig":"Philine ſchlich über den großen Saal herbey, lehnte ſich auf den Freund, und verſpottete ſein ernſthaftes Anſehn.","norm":"Philine schlich über den großen Saal herbei, lehnte sich auf den Freund, und verspottete sein ernsthaftes Ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":706,"orig":"Lache nur nicht, verſetzte er, es iſt abſcheulich, wie die Zeit vergeht, wie alles ſich verändert und ein Ende nimmt!","norm":"Lache nur nicht, versetzte er, es ist abscheulich, wie die Zeit vergeht, wie alles sich verändert und ein Ende nimmt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":707,"orig":"Sieh nur, hier ſtand vor kurzem noch ein ſchönes Lager, wie luſtig ſahen die Zelte aus!","norm":"Sieh nur, hier stand vor kurzem noch ein schönes Lager, wie lustig sahen die Zelte aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":708,"orig":"wie lebhaft ging es darin zu!","norm":"wie lebhaft ging es darin zu!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":709,"orig":"wie ſorgfältig bewachte man den ganzen Bezirk!","norm":"wie sorgfältig bewachte man den ganzen Bezirk!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":710,"orig":"und nun iſt alles auf einmal verſchwunden.","norm":"und nun ist alles auf einmal verschwunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":711,"orig":"Nur kurze Zeit wird das zertretne Stroh und die eingegrabenen Kochlöcher noch eine Spur zeigen, dann wird alles bald umgepflügt ſeyn, und die Gegenwart ſo vieler tauſend rüſtigen Menſchen in dieſer Gegend wird nur noch in den Köpfen einiger alten Leute ſpuken.","norm":"Nur kurze Zeit wird das zertretene Stroh und die eingegrabenen Kochlöcher noch eine Spur zeigen, dann wird alles bald umgepflügt sein, und die Gegenwart so vieler tausend rüstigen Menschen in dieser Gegend wird nur noch in den Köpfen einiger alten Leute spuken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":712,"orig":"Philine fing an zu ſingen, und zog ihren Freund zu einem Tanze in den Saal.","norm":"Philine fing an zu singen, und zog ihren Freund zu einem Tanze in den Saal."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":713,"orig":"Laß uns, rief ſie, da wir der Zeit nicht nachlaufen können, wenn ſie vorüber iſt, ſie wenigſtens als eine ſchöne Göttin, indem ſie bey uns vorbeyzieht, fröhlich und zierlich verehren.","norm":"Lass uns, rief sie, da wir der Zeit nicht nachlaufen können, wenn sie vorüber ist, sie wenigstens als eine schöne Göttin, indem sie bei uns vorbeizieht, fröhlich und zierlich verehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":714,"orig":"Sie hatten kaum einige Wendungen gemacht, als Madam Melina durch den Saal ging.","norm":"Sie hatten kaum einige Wendungen gemacht, als Madame Melina durch den Saal ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":715,"orig":"Philine war boshaft genug, ſie gleichfalls zum Tanze einzuladen, und ſie dadurch an die Mißgeſtalt zu erinnern, in welche ſie durch ihre Schwangerſchaft verſetzt war.","norm":"Philine war boshaft genug, sie gleichfalls zum Tanze einzuladen, und sie dadurch an die Missgestalt zu erinnern, in welche sie durch ihre Schwangerschaft versetzt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":716,"orig":"Wenn ich nur, ſagte Philine hinter ihrem Rücken, keine Frau mehr guter Hoffnung ſehen ſollte!","norm":"Wenn ich nur, sagte Philine hinter ihrem Rücken, keine Frau mehr guter Hoffnung sehen sollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":717,"orig":"Sie hofft doch, ſagte Laertes.","norm":"Sie hofft doch, sagte Laertes."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":718,"orig":"Aber es kleidet ſie ſo häßlich.","norm":"Aber es kleidet sie so hässlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":719,"orig":"Haſt du die vordere Wackelfalte des verkürzten Rocks geſehen, die immer voraus ſpaziert, wenn ſie ſich bewegt?","norm":"Hast du die vordere Wackelfalte des verkürzten Rocks gesehen, die immer vorausspaziert, wenn sie sich bewegt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":720,"orig":"Sie hat gar keine Art noch Geſchick, ſich nur ein bischen zu muſtern und ihren Zuſtand zu verbergen.","norm":"Sie hat gar keine Art noch Geschick, sich nur ein bisschen zu mustern und ihren Zustand zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":721,"orig":"Laß nur, ſagte Laertes, die Zeit wird ihr ſchon zu Hülfe kommen.","norm":"Lass nur, sagte Laertes, die Zeit wird ihr schon zu Hilfe kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":722,"orig":"Es wäre doch immer hübſcher, rief Philine, wenn man die Kinder von den Bäumen ſchüttelte.","norm":"Es wäre doch immer hübscher, rief Philine, wenn man die Kinder von den Bäumen schüttelte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":723,"orig":"Der Baron trat herein, und ſagte ihnen etwas freundliches im Nahmen des Grafen und der Gräfin, die ganz früh abgereiſt waren, und machte ihnen einige Geſchenke.","norm":"Der Baron trat herein, und sagte ihnen etwas Freundliches im Namen des Grafen und der Gräfin, die ganz früh abgereist waren, und machte ihnen einige Geschenke."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":724,"orig":"Er ging darauf zu Wilhelmen, der ſich im Nebenzimmer mit Mignon beſchäftigte.","norm":"Er ging darauf zu Wilhelm, der sich im Nebenzimmer mit Mignon beschäftigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":725,"orig":"Das Kind hatte ſich ſehr freundlich und zuthätig bezeigt, nach Wilhelms Eltern, Geſchwiſtern und Verwandten gefragt, und ihn dadurch an ſeine Pflicht erinnert, den Seinigen von ſich einige Nachricht zu geben.","norm":"Das Kind hatte sich sehr freundlich und zutätig bezeigt, nach Wilhelms Eltern, Geschwistern und Verwandten gefragt, und ihn dadurch an seine Pflicht erinnert, den Seinigen von sich einige Nachricht zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":726,"orig":"Der Baron brachte ihm nebſt einem Abſchiedsgruße von den Herrſchaften, die Verſicherung, wie ſehr der Graf mit ihm, ſeinem Spiele, ſeinen poetiſchen Arbeiten und ſeinen theatraliſchen Bemühungen zufrieden geweſen ſey.","norm":"Der Baron brachte ihm nebst einem Abschiedsgruße von den Herrschaften, die Versicherung, wie sehr der Graf mit ihm, seinem Spiele, seinen poetischen Arbeiten und seinen theatralischen Bemühungen zufrieden gewesen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":727,"orig":"Er zog darauf zum Beweis dieſer Geſinnung einen Beutel hervor, durch deſſen ſchönes Gewebe die reizende Farbe neuer Goldſtücke durchſchimmerte;","norm":"Er zog darauf zum Beweis dieser Gesinnung einen Beutel hervor, durch dessen schönes Gewebe die reizende Farbe neuer Goldstücke durchschimmerte;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":728,"orig":"Wilhelm trat zurück, und weigerte ſich ihn anzunehmen.","norm":"Wilhelm trat zurück, und weigerte sich ihn anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":729,"orig":"Sehen Sie, fuhr der Baron fort, dieſe Gabe als einen Erſatz für Ihre Zeit, als eine Erkenntlichkeit für Ihre Mühe, nicht als eine Belohnung Ihres Talents an.","norm":"Sehen Sie, fuhr der Baron fort, diese Gabe als einen Ersatz für Ihre Zeit, als eine Erkenntlichkeit für Ihre Mühe, nicht als eine Belohnung Ihres Talents an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":730,"orig":"Wenn uns dieſes einen guten Nahmen und die Neigung der Menſchen verſchaft, ſo iſt billig, daß wir durch Fleiß und Anſtrengung zugleich die Mittel erwerben, unſre Bedürfniſſe zu befriedigen, da wir doch einmal nicht ganz Geiſt ſind.","norm":"Wenn uns dieses einen guten Namen und die Neigung der Menschen verschafft, so ist billig, dass wir durch Fleiß und Anstrengung zugleich die Mittel erwerben, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, da wir doch einmal nicht ganz Geist sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":731,"orig":"Wären wir in der Stadt, wo alles zu finden iſt; ſo hätte man dieſe kleine Summe in eine Uhr, einen Ring oder ſonſt etwas verwandelt; nun gebe ich aber den Zauberſtab unmittelbar in Ihre Hände, ſchaffen Sie ſich ein Kleinod dafür, das Ihnen am liebſten und am dienlichſten iſt, und verwahren Sie es zu unſerm Andenken.","norm":"Wären wir in der Stadt, wo alles zu finden ist; so hätte man diese kleine Summe in eine Uhr, einen Ring oder sonst etwas verwandelt; nun gebe ich aber den Zauberstab unmittelbar in Ihre Hände, schaffen Sie sich ein Kleinod dafür, das Ihnen am liebsten und am dienlichsten ist, und verwahren Sie es zu unserem Andenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":732,"orig":"Dabey halten Sie ja den Beutel in Ehren.","norm":"Dabei halten Sie ja den Beutel in Ehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":733,"orig":"Die Damen haben ihn ſelbſt geſtrickt, und ihre Abſicht war, durch das Gefäß dem Inhalt die annehmlichſte Form zu geben.","norm":"Die Damen haben ihn selbst gestrickt, und ihre Absicht war, durch das Gefäß dem Inhalt die annehmlichste Form zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":734,"orig":"Vergeben Sie, verſetzte Wilhelm, meiner Verlegenheit und meinen Zweifeln, dieſes Geſchenk anzunehmen.","norm":"Vergeben Sie, versetzte Wilhelm, meiner Verlegenheit und meinen Zweifeln, dieses Geschenk anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":735,"orig":"Es vernichtet gleichſam das Wenige was ich gethan habe, und hindert das freye Spiel einer glücklichen Erinnerung.","norm":"Es vernichtet gleichsam das Wenige was ich getan habe, und hindert das freie Spiel einer glücklichen Erinnerung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":736,"orig":"Geld iſt eine ſchöne Sache, wo etwas abgethan werden ſoll, und ich wünſchte nicht in dem Andenken Ihres Hauſes ſo ganz abgethan zu ſeyn.","norm":"Geld ist eine schöne Sache, wo etwas abgetan werden soll, und ich wünschte nicht in dem Andenken Ihres Hauses so ganz abgetan zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":737,"orig":"Das iſt nicht der Fall, verſetzte der Baron; aber indem Sie ſelbſt zart empfinden, werden Sie nicht verlangen, daß der Graf ſich völlig als Ihren Schuldner denken ſoll: ein Mann der ſeinen größten Ehrgeiz darin ſetzt, aufmerkſam und gerecht zu ſeyn.","norm":"Das ist nicht der Fall, versetzte der Baron; aber indem Sie selbst zart empfinden, werden Sie nicht verlangen, dass der Graf sich völlig als Ihren Schuldner denken soll: ein Mann der seinen größten Ehrgeiz darinsetzt, aufmerksam und gerecht zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":738,"orig":"Ihm iſt nicht entgangen, welche Mühe Sie ſich gegeben, und wie Sie ſeinen Abſichten ganz Ihre Zeit gewidmet haben, ja er weiß, daß Sie, um gewiſſe Anſtalten zu beſchleunigen, Ihr eignes Geld nicht ſchonten.","norm":"Ihm ist nicht entgangen, welche Mühe Sie sich gegeben, und wie Sie seinen Absichten ganz Ihre Zeit gewidmet haben, ja er weiß, dass Sie, um gewisse Anstalten zu beschleunigen, Ihr eigenes Geld nicht schonten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":739,"orig":"Wie will ich wieder vor ihm erſcheinen, wenn ich ihn nicht verſichern kann, daß ſeine Erkenntlichkeit Ihnen Vergnügen gemacht hat.","norm":"Wie will ich wieder vor ihm erscheinen, wenn ich ihn nicht versichern kann, dass seine Erkenntlichkeit Ihnen Vergnügen gemacht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":740,"orig":"Wenn ich nur an mich ſelbſt denken, wenn ich nur meinen eigenen Empfindungen folgen dürfte, verſetzte Wilhelm, würde ich mich, ohnerachtet aller Gründe, hartnäckig weigern, dieſe Gabe, ſo ſchön und ehrenvoll ſie iſt, anzunehmen; aber ich leugne nicht, daß ſie mich in dem Augenblicke, indem ſie mich in Verlegenheit ſetzt, aus einer Verlegenheit reißt, in der ich mich bisher gegen die Meinigen befand, und die mir manchen ſtillen Kummer verurſachte.","norm":"Wenn ich nur an mich selbst denken, wenn ich nur meinen eigenen Empfindungen folgen dürfte, versetzte Wilhelm, würde ich mich, ungeachtet aller Gründe, hartnäckig weigern, diese Gabe, so schön und ehrenvoll sie ist, anzunehmen; aber ich leugne nicht, dass sie mich in dem Augenblicke, in dem sie mich in Verlegenheit setzt, aus einer Verlegenheit reißt, in der ich mich bisher gegen die Meinigen befand, und die mir manchen stillen Kummer verursachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":741,"orig":"Ich habe ſowohl mit dem Gelde als mit der Zeit, von denen ich Rechenſchaft zu geben habe, nicht zum Beſten hausgehalten, nun wird es mir durch den Edelmuth des Herrn Grafen möglich, den Meinigen getroſt von dem Glücke Nachricht zu geben, zu dem mich dieſer ſonderbare Seitenweg geführt hat.","norm":"Ich habe sowohl mit dem Gelde als mit der Zeit, von denen ich Rechenschaft zu geben habe, nicht zum Besten hausgehalten, nun wird es mir durch den Edelmut des Herrn Grafen möglich, den Meinigen getrost von dem Glücke Nachricht zu geben, zu dem mich dieser sonderbare Seitenweg geführt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":742,"orig":"Ich opfre die Delikateſſe, die uns wie ein zartes Gewiſſen bey ſolchen Gelegenheiten warnt, einer höhern Pflicht auf, und um meinem Vater muthig unter die Augen treten zu können, ſteh ich beſchämt vor den Ihrigen.","norm":"Ich opfre die Delikatesse, die uns wie ein zartes Gewissen bei solchen Gelegenheiten warnt, einer höheren Pflicht auf, und um meinem Vater mutig unter die Augen treten zu können, stehe ich beschämt vor den Ihrigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":743,"orig":"Es iſt ſonderbar, verſetzte der Baron, welch ein wunderlich Bedenken man ſich macht, Geld von Freunden und Gönnern anzunehmen, von denen man jede andere Gabe mit Dank und Freude empfangen würde.","norm":"Es ist sonderbar, versetzte der Baron, welch ein wunderlich Bedenken man sich macht, Geld von Freunden und Gönnern anzunehmen, von denen man jede andere Gabe mit Dank und Freude empfangen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":744,"orig":"Die menſchliche Natur hat mehr ähnliche Eigenheiten, ſolche Skrupel gern zu erzeugen und ſorgfältig zu nähren.","norm":"Die menschliche Natur hat mehr ähnliche Eigenheiten, solche Skrupel gern zu erzeugen und sorgfältig zu nähren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":745,"orig":"Iſt es nicht das nemliche mit allen Ehrenpunkten?","norm":"Ist es nicht das nämliche mit allen Ehrenpunkten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":746,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":747,"orig":"Ach ja, verſetzte der Baron, und andern Vorurtheilen.","norm":"Ach ja, versetzte der Baron, und anderen Vorurteilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":748,"orig":"Wir wollen ſie nicht ausjäten, um nicht vielleicht edle Pflanzen zugleich mit auszuraufen.","norm":"Wir wollen sie nicht ausjäten, um nicht vielleicht edle Pflanzen zugleich mit auszuraufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":749,"orig":"Aber mich freut immer, wenn einzelne Perſonen fühlen, über was man ſich hinausſetzen kann und ſoll, und ich denke mit Vergnügen an die Geſchichte des geiſtreichen Dichters, der für ein Hoftheater einige Stücke verfertigte, welche den ganzen Beyfall des Monarchen erhielten.","norm":"Aber mich freut immer, wenn einzelne Personen fühlen, über was man sich hinaussetzen kann und soll, und ich denke mit Vergnügen an die Geschichte des geistreichen Dichters, der für ein Hoftheater einige Stücke verfertigte, welche den ganzen Beifall des Monarchen erhielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":750,"orig":"Ich muß ihn anſehnlich belohnen, ſagte der großmüthige Fürſt, man forſche an ihm, ob ihm irgend ein Kleinod Vergnügen macht, oder ob er nicht verſchmäht Geld anzunehmen.","norm":"Ich muss ihn ansehnlich belohnen, sagte der großmütige Fürst, man forsche an ihm, ob ihm irgendein Kleinod Vergnügen macht, oder ob er nicht verschmäht Geld anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":751,"orig":"Nach ſeiner ſcherzhaften Art antwortete der Dichter dem abgeordneten Hofmann, ich danke lebhaft für die gnädigen Geſinnungen, und da der Kaiſer alle Tage Geld von uns nimmt, ſo ſehe ich nicht ein, warum ich mich ſchämen ſollte, Geld von ihm anzunehmen.","norm":"Nach seiner scherzhaften Art antwortete der Dichter dem abgeordneten Hofmann, Ich danke lebhaft für die gnädigen Gesinnungen, und da der Kaiser alle Tage Geld von uns nimmt, so sehe ich nicht ein, warum ich mich schämen sollte, Geld von ihm anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":752,"orig":"Der Baron hatte kaum das Zimmer verlaſſen, als Wilhelm eifrig die Baarſchaft zählte, die ihm ſo unvermuthet, und wie er glaubte, ſo unverdient zugekommen war.","norm":"Der Baron hatte kaum das Zimmer verlassen, als Wilhelm eifrig die Barschaft zählte, die ihm so unvermutet, und wie er glaubte, so unverdient zugekommen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":753,"orig":"Es ſchien, als ob ihm der Werth und die Würde des Goldes, die uns in ſpätern Jahren erſt fühlbar werden, ahndungsweiſe zum erſtenmal entgegen blickten, als die ſchönen blinkenden Stücke aus dem zierlichen Beutel hervorrollten.","norm":"Es schien, als ob ihm der Wert und die Würde des Goldes, die uns in späteren Jahren erst fühlbar werden, ahnungsweise zum ersten Mal entgegenblickten, als die schönen blinkenden Stücke aus dem zierlichen Beutel hervorrollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":754,"orig":"Er machte ſeine Rechnung und fand, daß er, beſonders da Melina den Vorſchuß ſogleich wieder zu bezahlen verſprochen hatte, eben ſo viel, ja noch mehr in Caſſa habe, als an jenem Tage, da Philine ihm den erſten Strauß abfordern ließ.","norm":"Er machte seine Rechnung und fand, dass er, besonders da Melina den Vorschuss sogleich wieder zu bezahlen versprochen hatte, ebenso viel, ja noch mehr in Kassa habe, als an jenem Tage, da Philine ihm den ersten Strauß abfordern ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":755,"orig":"Mit heimlicher Zufriedenheit blickte er auf ſein Talent, mit einem kleinen Stolze auf das Glück, das ihn geleitet und begleitet hatte.","norm":"Mit heimlicher Zufriedenheit blickte er auf sein Talent, mit einem kleinen Stolze auf das Glück, das ihn geleitet und begleitet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":756,"orig":"Er ergriff nunmehr mit Zuverſicht die Feder, um einen Brief zu ſchreiben, der auf einmal die Familie aus aller Verlegenheit und ſein bisheriges Betragen in das beſte Licht ſetzen ſollte.","norm":"Er ergriff nunmehr mit Zuversicht die Feder, um einen Brief zu schreiben, der auf einmal die Familie aus aller Verlegenheit und sein bisheriges Betragen in das beste Licht setzen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":757,"orig":"Er vermied eine eigentliche Erzählung, und ließ nur in bedeutenden und myſtiſchen Ausdrücken dasjenige, was ihm begegnet ſeyn könnte, errathen.","norm":"Er vermied eine eigentliche Erzählung, und ließ nur in bedeutenden und mystischen Ausdrücken dasjenige, was ihm begegnet sein könnte, erraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":758,"orig":"Der gute Zuſtand ſeiner Caſſe, der Erwerb, den er ſeinem Talent ſchuldig war, die Gunſt der Großen, die Neigung der Frauen, die Bekanntſchaft in einem weiten Kreiſe, die Ausbildung ſeiner körperlichen und geiſtigen Anlagen, die Hoffnung für die Zukunft bildeten ein ſolches wunderliches Luftgemählde, daß Fata Morgagna ſelbſt es nicht ſeltſamer hätte durcheinander wirken können.","norm":"Der gute Zustand seiner Kasse, der Erwerbe, den er seinem Talent schuldig war, die Gunst der Großen, die Neigung der Frauen, die Bekanntschaft in einem weiten Kreise, die Ausbildung seiner körperlichen und geistigen Anlagen, die Hoffnung für die Zukunft bildeten ein solches wunderliches Luftgemälde, dass Fata Morgana selbst es nicht seltsamer hätte durcheinander wirken können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":759,"orig":"In dieſer glücklichen Exaltation fuhr er fort, nachdem der Brief geſchloſſen war, ein langes Selbſtgeſpräch zu unterhalten, in welchem er den Inhalt des Schreibens recapitulirte, und ſich eine thätige und würdige Zukunft ausmahlte.","norm":"In dieser glücklichen Exaltation fuhr er fort, nachdem der Brief geschlossen war, ein langes Selbstgespräch zu unterhalten, in welchem er den Inhalt des Schreibens rekapitulierte, und sich eine tätige und würdige Zukunft ausmalte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":760,"orig":"Das Beyſpiel ſo vieler edler Krieger hatte ihn angefeuert, die Shakeſpeariſche Dichtung hatte ihm eine neue Welt eröfnet, und von den Lippen der ſchönen Gräfin hatte er ein unausſprechliches Feuer in ſich geſogen.","norm":"Das Beispiel so vieler edler Krieger hatte ihn angefeuert, die Shakespearische Dichtung hatte ihm eine neue Welt eröffnet, und von den Lippen der schönen Gräfin hatte er ein unaussprechliches Feuer in sich gesogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":761,"orig":"Das alles konnte, das ſollte nicht ohne Wirkung aufs Leben bleiben.","norm":"Das alles konnte, das sollte nicht ohne Wirkung aufs Leben bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":762,"orig":"Der Stallmeiſter kam und fragte: ob ſie mit Einpacken fertig ſeyen?","norm":"Der Stallmeister kam und fragte: ob sie mit Einpacken fertig seien?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":763,"orig":"Leider hatte auſſer Melina noch niemand daran gedacht.","norm":"Leider hatte außer Melina noch niemand daran gedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":764,"orig":"Nun ſollte man eilig aufbrechen.","norm":"Nun sollte man eilig aufbrechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":765,"orig":"Der Graf hatte verſprochen, die ganze Geſellſchaft einige Tagereiſen weit transportiren zu laſſen, die Pferde waren eben bereit, und konnten nicht lange entbehrt werden.","norm":"Der Graf hatte versprochen, die ganze Gesellschaft einige Tagereisen weit transportieren zu lassen, die Pferde waren eben bereit, und konnten nicht lange entbehrt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":766,"orig":"Wilhelm fragte nach ſeinem Koffer;","norm":"Wilhelm fragte nach seinem Koffer;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":767,"orig":"Madam Melina hatte ſich ihn zu Nutze gemacht; er verlangte nach ſeinem Gelde, Herr Melina hatte es ganz unten in den Koffer mit großer Sorgfalt gepackt.","norm":"Madame Melina hatte sich ihn zunutze gemacht; er verlangte nach seinem Gelde, Herr Melina hatte es ganz unten in den Koffer mit großer Sorgfalt gepackt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":768,"orig":"Philine ſagte: ich habe in dem meinigen noch Platz, nahm Wilhelms Kleider, und befahl Mignon das Übrige nachzubringen.","norm":"Philine sagte: Ich habe in dem meinigen noch Platz, nahm Wilhelms Kleider, und befahl Mignon das Übrige nachzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":769,"orig":"Wilhelm mußte es nicht ohne Widerwillen geſchehen laſſen.","norm":"Wilhelm musste es nicht ohne Widerwillen geschehen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":770,"orig":"Indem man aufpackte, und alles zubereitete, ſagte Melina: es iſt mir verdrießlich, daß wir wie Seiltänzer und Marktſchreyer reiſen; ich wünſchte, daß Mignon Weiberkleider anzöge, und daß der Harfenſpieler ſich noch geſchwinde den Bart ſcheren ließe.","norm":"Indem man aufpackte, und alles zubereitete, sagte Melina: Es ist mir verdrießlich, dass wir wie Seiltänzer und Marktschreier reisen; ich wünschte, dass Mignon Weiberkleider anzöge, und dass der Harfenspieler sich noch geschwinde den Bart scheren ließe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":771,"orig":"Mignon hielt ſich feſt an Wilhelm, und ſagte mit großer Lebhaftigkeit: ich bin ein Knabe, ich will kein Mädchen ſeyn.","norm":"Mignon hielt sich fest an Wilhelm, und sagte mit großer Lebhaftigkeit: Ich bin ein Knabe, ich will kein Mädchen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":772,"orig":"Der Alte ſchwieg, und Philine machte bey dieſer Gelegenheit über die Eigenheit des Grafen, ihres Beſchützers, einige luſtige Anmerkungen.","norm":"Der Alte schwieg, und Philine machte bei dieser Gelegenheit über die Eigenheit des Grafen, ihres Beschützers, einige lustige Anmerkungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":773,"orig":"Wenn der Harfner ſeinen Bart abſchneidet, ſagte ſie, ſo mag er ihn nur ſorgfältig auf Band nähen und bewahren, daß er ihn gleich wieder vornehmen kann, ſobald er dem Herrn Grafen irgendwo in der Welt begegnet; denn dieſer Bart allein hat ihm die Gnade dieſes Herrn verſchaft.","norm":"Wenn der Harfner seinen Bart abschneidet, sagte sie, so mag er ihn nur sorgfältig auf Band nähen und bewahren, dass er ihn gleich wieder vornehmen kann, sobald er dem Herrn Grafen irgendwo in der Welt begegnet; denn dieser Bart allein hat ihm die Gnade dieses Herrn verschafft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":774,"orig":"Als man in ſie drang und eine Erklärung dieſer ſonderbaren Äuſſerung verlangte, ließ ſie ſich folgendergeſtalt vernehmen: der Graf glaubt, daß es zur Illuſion ſehr viel beytrage, wenn der Schauſpieler auch im gemeinen Leben ſeine Rolle fortſpielt, und ſeinen Character ſoutenirt, deswegen war er dem Pedanten ſo günſtig, und er fand, es ſey recht geſcheid, daß der Harfner ſeinen falſchen Bart nicht allein Abends auf dem Theater, ſondern auch beſtändig bey Tage trage, und freute ſich ſehr über das natürliche Ausſehen der Maskerade.","norm":"Als man in sie drang und eine Erklärung dieser sonderbaren Äußerung verlangte, ließ sie sich folgendergestalt vernehmen: Der Graf glaubt, dass es zur Illusion sehr viel beitrage, wenn der Schauspieler auch im gemeinen Leben seine Rolle fortspielt, und seinen Charakter souteniert, deswegen war er dem Pedanten so günstig, und er fand, es sei recht gescheit, dass der Harfner seinen falschen Bart nicht allein Abends auf dem Theater, sondern auch beständig bei Tage trage, und freute sich sehr über das natürliche Aussehen der Maskerade."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":775,"orig":"Als die andern über dieſen Irrthum und über die ſonderbaren Meinungen des Grafen ſpotteten, ging der Harfner mit Wilhelm bey Seite, nahm von ihm Abſchied, und bat mit Thränen, ihn ja ſogleich zu entlaſſen.","norm":"Als die anderen über diesen Irrtum und über die sonderbaren Meinungen des Grafen spotteten, ging der Harfner mit Wilhelm beiseite, nahm von ihm Abschied, und bat mit Tränen, ihn ja sogleich zu entlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":776,"orig":"Wilhelm redete ihm zu, und verſicherte, daß er ihn gegen jedermann ſchützen werde, daß ihm niemand ein Haar krümmen, vielweniger ohne ſeinen Willen abſchneiden ſollte.","norm":"Wilhelm redete ihm zu, und versicherte, dass er ihn gegen jedermann schützen werde, dass ihm niemand ein Haar krümmen, viel weniger ohne seinen Willen abschneiden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":777,"orig":"Der Alte war ſehr bewegt, und in ſeinen Augen glühte ein ſonderbares Feuer.","norm":"Der Alte war sehr bewegt, und in seinen Augen glühte ein sonderbares Feuer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":778,"orig":"Nicht dieſer Anlaß treibt mich hinweg, rief er aus, ſchon lange mache ich mir ſtille Vorwürfe, daß ich um Sie bleibe.","norm":"Nicht dieser Anlass treibt mich hinweg, rief er aus, schon lange mache ich mir stille Vorwürfe, dass ich um Sie bleibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":779,"orig":"Ich ſollte nirgends verweilen, denn das Unglück ereilt mich und beſchädigt die, die ſich zu mir geſellen.","norm":"Ich sollte nirgends verweilen, denn das Unglück ereilt mich und beschädigt die, die sich zu mir gesellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":780,"orig":"Fürchten Sie alles, wenn Sie mich nicht entlaſſen, aber fragen Sie mich nicht, ich gehöre nicht mir zu, ich kann nicht bleiben.","norm":"Fürchten Sie alles, wenn Sie mich nicht entlassen, aber fragen Sie mich nicht, ich gehöre nicht mir zu, ich kann nicht bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":781,"orig":"Wem gehörſt du an?","norm":"Wem gehörst du an?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":782,"orig":"Wer kann eine ſolche Gewalt über dich ausüben?","norm":"Wer kann eine solche Gewalt über dich ausüben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":783,"orig":"Mein Herr, laſſen Sie mir mein ſchaudervolles Geheimniß, und geben Sie mich los.","norm":"Mein Herr, lassen Sie mir mein schaudervolles Geheimnis, und geben Sie mich los."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":784,"orig":"Die Rache, die mich verfolgt, iſt nicht des irrdiſchen Richters; ich gehöre einem unerbittlichen Schickſale; ich kann nicht bleiben, und ich darf nicht!","norm":"Die Rache, die mich verfolgt, ist nicht des irdischen Richters; ich gehöre einem unerbittlichen Schicksale; ich kann nicht bleiben, und ich darf nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":785,"orig":"In dieſem Zuſtande, in dem ich dich ſehe, werde ich dich gewiß nicht laſſen.","norm":"In diesem Zustande, in dem ich dich sehe, werde ich dich gewiss nicht lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":786,"orig":"Es iſt Hochverrath an Ihnen, mein Wohlthäter, wenn ich zaudre.","norm":"Es ist Hochverrat an Ihnen, mein Wohltäter, wenn ich zaudre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":787,"orig":"Ich bin ſicher bey Ihnen, aber Sie ſind in Gefahr.","norm":"Ich bin sicher bei Ihnen, aber Sie sind in Gefahr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":788,"orig":"Sie wiſſen nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen.","norm":"Sie wissen nicht, wen Sie in Ihrer Nähe hegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":789,"orig":"Ich bin ſchuldig, aber unglücklicher als ſchuldig.","norm":"Ich bin schuldig, aber unglücklicher als schuldig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":790,"orig":"Meine Gegenwart verſcheucht das Glück, und die gute That wird ohnmächtig, wenn ich dazu trete.","norm":"Meine Gegenwart verscheucht das Glück, und die gute Tat wird ohnmächtig, wenn ich dazu trete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":791,"orig":"Flüchtig und unſtät ſollt ich ſeyn, daß mein unglücklicher Genius mich nicht einholet, der mich nur langſam verfolgt, und nur dann ſich merken läßt, wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen will.","norm":"Flüchtig und unstät sollte ich sein, dass mein unglücklicher Genius mich nicht einholet, der mich nur langsam verfolgt, und nur dann sich merken lässt, wenn ich mein Haupt niederlegen und ruhen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":792,"orig":"Dankbarer kann ich mich nicht bezeigen, als wenn ich Sie verlaſſe.","norm":"Dankbarer kann ich mich nicht bezeigen, als wenn ich Sie verlasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":793,"orig":"Sonderbarer Menſch!","norm":"Sonderbarer Mensch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":794,"orig":"du kannſt mir das Vertrauen in dich ſo wenig nehmen, als die Hoffnung, dich glücklich zu ſehen.","norm":"du kannst mir das Vertrauen in dich so wenig nehmen, als die Hoffnung, dich glücklich zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":795,"orig":"Ich will in die Geheimniſſe deines Aberglaubens nicht eindringen, aber wenn du ja in Ahndung wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeutungen lebſt; ſo ſage ich dir zu deinem Troſt und zu deiner Aufmunterung: geſelle dich zu meinem Glücke, und wir wollen ſehen, welcher Genius der ſtärkſte iſt, dein ſchwarzer oder mein weißer!","norm":"Ich will in die Geheimnisse deines Aberglaubens nicht eindringen, aber wenn du ja in Ahnung wunderbarer Verknüpfungen und Vorbedeutungen lebst; so sage ich dir zu deinem Trost und zu deiner Aufmunterung: geselle dich zu meinem Glücke, und wir wollen sehen, welcher Genius der stärkste ist, dein schwarzer oder mein weißer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":796,"orig":"Wilhelm ergriff dieſe Gelegenheit, um ihm noch mancherley Tröſtliches zu ſagen; denn er hatte ſchon ſeit einiger Zeit in ſeinem wunderbaren Begleiter einen Menſchen zu ſehen geglaubt, der durch Zufall oder Geſchick eine große Schuld auf ſich geladen hat, und nun die Erinnerung derſelben immer mit ſich fortſchleppt.","norm":"Wilhelm ergriff diese Gelegenheit, um ihm noch mancherlei Tröstliches zu sagen; denn er hatte schon seit einiger Zeit in seinem wunderbaren Begleiter einen Menschen zu sehen geglaubt, der durch Zufall oder Geschick eine große Schuld auf sich geladen hat, und nun die Erinnerung derselben immer mit sich fortschleppt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":797,"orig":"Noch vor wenigen Tagen hatte Wilhelm ſeinen Geſang behorcht, und folgende Zeilen wohl gemerkt:","norm":"Noch vor wenigen Tagen hatte Wilhelm seinen Gesang behorcht, und folgende Zeilen wohlgemerkt:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":798,"orig":"Ihm färbt der Morgenſonne Licht Den reinen Horizont mit Flammen, Und über ſeinem ſchuldigen Haupte bricht Das ſchöne Bild der ganzen Welt zuſammen.","norm":"Ihm färbt der Morgensonne Licht den reinen Horizont mit Flammen, und über seinem schuldigen Haupte bricht das schöne Bild der ganzen Welt zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":799,"orig":"Der Alte mochte nun ſagen was er wollte, ſo hatte Wilhelm immer ein ſtärker Argument, wußte alles zum Beſten zu kehren und zu wenden, wußte ſo brav, ſo herzlich und tröſtlich zu ſprechen, daß der Alte ſelbſt wieder aufzuleben und ſeinen Grillen zu entſagen ſchien.","norm":"Der Alte mochte nun sagen was er wollte, so hatte Wilhelm immer ein stärker Argument, wusste alles zum Besten zu kehren und zu wenden, wusste so brav, so herzlich und tröstlich zu sprechen, dass der Alte selbst wieder aufzuleben und seinen Grillen zu entsagen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":800,"orig":"Melina hatte Hoffnung, in einer kleinen aber wohlhabenden Stadt mit ſeiner Geſellſchaft unterzukommen.","norm":"Melina hatte Hoffnung, in einer kleinen aber wohlhabenden Stadt mit seiner Gesellschaft unterzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":801,"orig":"Schon befanden ſie ſich an dem Orte, wohin ſie die Pferde des Grafen gebracht hatten, und ſahen ſich nach andern Wagen und Pferden um, mit denen ſie weiter zu kommen hofften.","norm":"Schon befanden sie sich an dem Orte, wohin sie die Pferde des Grafen gebracht hatten, und sahen sich nach anderen Wagen und Pferden um, mit denen sie weiterzukommen hofften."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":802,"orig":"Melina hatte den Transport übernommen, und zeigte ſich, nach ſeiner Gewohnheit, übrigens ſehr karg.","norm":"Melina hatte den Transport übernommen, und zeigte sich, nach seiner Gewohnheit, übrigens sehr karg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":803,"orig":"Dagegen hatte Wilhelm die ſchönen Dukaten der Gräfin in der Taſche, auf deren fröhliche Verwendung er das größte Recht zu haben glaubte, und ſehr leicht vergaß er, daß er ſie in der ſtattlichen Bilanz, die er den Seinigen zuſchickte, ſchon ſehr ruhmredig aufgeführt hatte.","norm":"Dagegen hatte Wilhelm die schönen Dukaten der Gräfin in der Tasche, auf deren fröhliche Verwendung er das größte Recht zu haben glaubte, und sehr leicht vergaß er, dass er sie in der stattlichen Bilanz, die er den Seinigen zuschickte, schon sehr ruhmredig aufgeführt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":804,"orig":"Sein Freund Shakeſpear, den er mit großer Freude auch als ſeinen Pathen anerkannte, und ſich nur um ſo lieber Wilhelm nennen ließ, hatte ihm einen Prinzen bekannt gemacht, der ſich unter geringer, ja ſogar ſchlechter Geſellſchaft eine Zeitlang aufhält, und, ohngeachtet ſeiner edlen Natur, an der Roheit, Unſchicklichkeit und Albernheit ſolcher ganz ſinnlichen Burſche ſich ergötzt.","norm":"Sein Freund Shakespeare, den er mit großer Freude auch als seinen Paten anerkannte, und sich nur um so lieber Wilhelm nennen ließ, hatte ihm einen Prinzen bekannt gemacht, der sich unter geringer, ja sogar schlechter Gesellschaft eine Zeitlang aufhält, und, ungeachtet seiner edlen Natur, an der Rohheit, Unschicklichkeit und Albernheit solcher ganz sinnlichen Bursche sich ergötzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":805,"orig":"Höchſt willkommen war ihm das Ideal, womit er ſeinen gegenwärtigen Zuſtand vergleichen konnte, und der Selbſtbetrug, wozu er eine faſt unüberwindliche Neigung ſpürte, ward ihm dadurch auſſerordentlich erleichtert.","norm":"Höchst willkommen war ihm das Ideal, womit er seinen gegenwärtigen Zustand vergleichen konnte, und der Selbstbetrug, wozu er eine fast unüberwindliche Neigung spürte, wurde ihm dadurch außerordentlich erleichtert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":806,"orig":"Er fing nun an über ſeine Kleidung nachzudenken.","norm":"Er fing nun an über seine Kleidung nachzudenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":807,"orig":"Er fand, daß ein Weſtchen, über das man im Nothfall einen kurzen Mantel würfe, für einen Wanderer eine ſehr angemeſſene Tracht ſey.","norm":"Er fand, dass ein Westchen, über das man im Notfall einen kurzen Mantel würfe, für einen Wanderer eine sehr angemessene Tracht sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":808,"orig":"Lange geſtrickte Beinkleider und ein Paar Schnürſtiefeln ſchienen die wahre Tracht eines Fußgängers.","norm":"Lange gestrickte Beinkleider und ein paar Schnürstiefeln schienen die wahre Tracht eines Fußgängers."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":809,"orig":"Dann verſchafte er ſich eine ſchöne ſeidne Schärpe, die er zuerſt unter dem Vorwande, den Leib warm zu halten, umband; dagegen befreyte er ſeinen Hals von der Knechtſchaft einer Binde, und ließ ſich einige Streifen Neſſeltuch ans Hemde heften, die aber etwas breit geriethen, und das völlige Anſehn eines antiken Kragens erhielten.","norm":"Dann verschaffte er sich eine schöne seidene Schärpe, die er zuerst unter dem Vorwande, den Leib warmzuhalten, umband; dagegen befreite er seinen Hals von der Knechtschaft einer Binde, und ließ sich einige Streifen Nesseltuch ans Hemde heften, die aber etwas breit gerieten, und das völlige Ansehen eines antiken Kragens erhielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":810,"orig":"Das ſchöne ſeidne Halstuch, das gerettete Andenken Marianens, lag nur locker geknüpft unter der neſſeltuchnen Krauſe.","norm":"Das schöne seidene Halstuch, das gerettete Andenken Marianes, lag nur locker geknüpft unter der nesseltuchenen Krause."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":811,"orig":"Ein runder Hut mit einem bunten Bande und einer großen Feder machte die Maskerade vollkommen.","norm":"Ein runder Hut mit einem bunten Bande und einer großen Feder machte die Maskerade vollkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":812,"orig":"Die Frauen betheuerten, dieſe Tracht laſſe ihm vorzüglich gut.","norm":"Die Frauen beteuerten, diese Tracht lasse ihm vorzüglich gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":813,"orig":"Philine ſtellte ſich ganz bezaubert darüber, und bat ſich ſeine ſchönen Haare aus, die er, um dem natürlichen Ideal nur deſto näher zu kommen, unbarmherzig abgeſchnitten hatte.","norm":"Philine stellte sich ganz bezaubert darüber, und bat sich seine schönen Haare aus, die er, um dem natürlichen Ideal nur desto näherzukommen, unbarmherzig abgeschnitten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":814,"orig":"Sie empfahl ſich dadurch nicht übel, und unſer Freund, der durch ſeine Freygebigkeit ſich das Recht erworben hatte, auf Prinz Harry’s Manier mit den übrigen umzugehen, kam bald ſelbſt in den Geſchmack, einige tolle Streiche anzugeben und zu befördern.","norm":"Sie empfahl sich dadurch nicht übel, und unser Freund, der durch seine Freigebigkeit sich das Recht erworben hatte, auf Prinz Harrys Manier mit den übrigen umzugehen, kam bald selbst in den Geschmack, einige tolle Streiche anzugeben und zu befördern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":815,"orig":"Man focht, man tanzte, man erfand allerley Spiele, und in der Fröhlichkeit des Herzens genoß man des leidlichen Weins, den man angetroffen hatte, in ſtarkem Maaße, und Philine lauerte in der Unordnung dieſer Lebensart dem ſpröden Helden auf, für den ſein guter Genius Sorge tragen möge.","norm":"Man focht, man tanzte, man erfand allerlei Spiele, und in der Fröhlichkeit des Herzens genoss man des leidlichen Weins, den man angetroffen hatte, in starkem Maße, und Philine lauerte in der Unordnung dieser Lebensart dem spröden Helden auf, für den sein guter Genius Sorge tragen möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":816,"orig":"Eine vorzügliche Unterhaltung, mit der ſich die Geſellſchaft beſonders ergötzte, beſtand in einem extemporirten Spiel, in welchem ſie ihre bisherigen Gönner und Wohlthäter nachahmten und durchzogen.","norm":"Eine vorzügliche Unterhaltung, mit der sich die Gesellschaft besonders ergötzte, bestand in einem extemporierten Spiel, in welchem sie ihre bisherigen Gönner und Wohltäter nachahmten und durchzogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":817,"orig":"Einige unter ihnen hatten ſich ſehr gut die Eigenheiten des äuſſern Anſtands verſchiedner vornehmer Perſonen gemerkt, und die Nachbildung derſelben ward von der übrigen Geſellſchaft mit dem größten Beyfall aufgenommen, und als Philine aus dem geheimen Archiv ihrer Erfahrungen einige beſondere Liebeserklärungen, die an ſie geſchehen waren, vorbrachte, wußte man ſich vor Lachen und Schadenfreude kaum zu laſſen.","norm":"Einige unter ihnen hatten sich sehr gut die Eigenheiten des äußeren Anstandes verschiedener vornehmer Personen gemerkt, und die Nachbildung derselben wurde von der übrigen Gesellschaft mit dem größten Beifall aufgenommen, und als Philine aus dem geheimen Archiv ihrer Erfahrungen einige besondere Liebeserklärungen, die an sie geschehen waren, vorbrachte, wusste man sich vor Lachen und Schadenfreude kaum zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":818,"orig":"Wilhelm ſchalt ihre Undankbarkeit; allein man ſetzte ihm entgegen, daß ſie das, was ſie dort erhalten, genugſam abverdient, und daß überhaupt das Betragen gegen ſo verdienſtvolle Leute, wie ſie ſich zu ſeyn rühmten, nicht das beſte geweſen ſey.","norm":"Wilhelm schalt ihre Undankbarkeit; allein man setzte ihm entgegen, dass sie das, was sie dort erhalten, genugsam abverdient, und dass überhaupt das Betragen gegen so verdienstvolle Leute, wie sie sich zu sein rühmten, nicht das beste gewesen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":819,"orig":"Nun beſchwerte man ſich, mit wie wenig Achtung man ihnen begegnet, wie ſehr man ſie zurück geſetzt habe.","norm":"Nun beschwerte man sich, mit wie wenig Achtung man ihnen begegnet, wie sehr man sie zurückgesetzt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":820,"orig":"Das Spotten, Necken und Nachahmen ging wieder an, und man ward immer bitterer und ungerechter.","norm":"Das Spotten, Necken und Nachahmen ging wieder an, und man wurde immer bitterer und ungerechter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":821,"orig":"Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß durch euere Äuſſerungen weder Neid noch","norm":"Ich wünschte, sagte Wilhelm darauf, dass durch eure Äußerungen weder Neid noch"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":822,"orig":"Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene","norm":"Eigenliebe durchschiene, und dass ihr jene"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":823,"orig":"Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rechten Geſichtspunkte betrachtetet.","norm":"Personen und ihre Verhältnisse aus dem rechten Gesichtspunkte betrachtetet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":824,"orig":"Es iſt eine eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf einen erhabenen Platz in der menſchlichen","norm":"Es ist eine eigene Sache, schon durch die Geburt auf einen erhabenen Platz in der menschlichen"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":825,"orig":"Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn.","norm":"Gesellschaft gesetzt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":826,"orig":"Wem ererbte","norm":"Wem ererbte"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":827,"orig":"Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Beyweſen der Menſchheit, von Jugend auf, reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt dieſe Güter als das Erſte und Größte zu betrachten, und der Werth einer von der","norm":"Reichtümer eine vollkommene Leichtigkeit des Daseins verschafft haben, wer sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, von allem Beiwesen der Menschheit, von Jugend auf, reichlich umgeben findet, gewöhnt sich meist diese Güter als das Erste und Größte zu betrachten, und der Wert einer von der"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":828,"orig":"Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird ihm nicht ſo deutlich.","norm":"Natur schön ausgestatteten Menschheit wird ihm nicht so deutlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":829,"orig":"Das Betragen der","norm":"Das Betragen der"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":830,"orig":"Vornehmen gegen Geringere und auch unter einander, iſt nach äuſſern Vorzügen abgemeſſen; ſie erlauben jedem ſeinen Titel, ſeinen Rang, ſeine Kleider und Equipage, nur nicht ſeine Verdienſte geltend zu machen.","norm":"Vornehmen gegen Geringere und auch untereinander, ist nach äußeren Vorzügen abgemessen; sie erlauben jedem seinen Titel, seinen Rang, seine Kleider und Equipage, nur nicht seine Verdienste geltend zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":831,"orig":"Dieſen Worten gab die Geſellſchaft einen unmäßigen Beyfall.","norm":"Diesen Worten gab die Gesellschaft einen unmäßigen Beifall."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":832,"orig":"Man fand abſcheulich, daß der Mann von Verdienſt immer zurück ſtehen müſſe, und daß in der großen Welt keine Spur von natürlichem und herzlichem Umgang zu finden ſey.","norm":"Man fand abscheulich, dass der Mann von Verdienst immer zurückstehen müsse, und dass in der großen Welt keine Spur von natürlichem und herzlichem Umgang zu finden sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":833,"orig":"Sie kamen beſonders über dieſen letzten Punkt aus dem Hundertſten ins Tauſendſte.","norm":"Sie kamen besonders über diesen letzten Punkt aus dem Hundertsten ins Tausendste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":834,"orig":"Scheltet ſie nicht darüber, rief Wilhelm aus, bedauert ſie vielmehr.","norm":"Scheltet sie nicht darüber, rief Wilhelm aus, bedauert sie vielmehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":835,"orig":"Denn von jenem Glück, das wir als das höchſte erkennen, das aus dem innern Reichthum der Natur fließt, haben ſie ſelten eine erhöhte Empfindung.","norm":"Denn von jenem Glück, das wir als das höchste erkennen, das aus dem inneren Reichtum der Natur fließt, haben sie selten eine erhöhte Empfindung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":836,"orig":"Nur uns Armen, die wir wenig oder nichts beſitzen, iſt es gegönnt, das Glück der Freundſchaft in reichem Maaße zu genießen.","norm":"Nur uns Armen, die wir wenig oder nichts besitzen, ist es gegönnt, das Glück der Freundschaft in reichem Maße zu genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":837,"orig":"Wir können unſre Geliebten weder durch Gnade erheben, noch durch Gunſt befördern, noch durch Geſchenke beglücken.","norm":"Wir können unsere Geliebten weder durch Gnade erheben, noch durch Gunst befördern, noch durch Geschenke beglücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":838,"orig":"Wir haben nichts als uns ſelbſt.","norm":"Wir haben nichts als uns selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":839,"orig":"Dieſes ganze Selbſt müſſen wir hingeben, und, wenn es einigen Werth haben ſoll, dem Freunde das Gut auf ewig verſichern.","norm":"Dieses ganze Selbst müssen wir hingeben, und, wenn es einigen Wert haben soll, dem Freunde das Gut auf ewig versichern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":840,"orig":"Welch ein Genuß, welch ein Glück für den Geber und Empfänger!","norm":"Welch ein Genuss, welch ein Glück für den Geber und Empfänger!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":841,"orig":"In welchen ſeeligen Zuſtand verſetzt uns die Treue, ſie giebt dem vorübergehenden Menſchenleben eine himmliſche Gewißheit; ſie macht das Hauptcapital unſres Reichthums aus.","norm":"In welchen seligen Zustand versetzt uns die Treue, sie gibt dem vorübergehenden Menschenleben eine himmlische Gewissheit; sie macht das Hauptkapital unseres Reichtums aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":842,"orig":"Mignon hatte ſich ihm unter dieſen Worten genähert, ſchlang ſeine zarten Arme um ihn, und blieb mit dem Köpfchen an ſeine Bruſt gelehnt ſtehen.","norm":"Mignon hatte sich ihm unter diesen Worten genähert, schlang seine zarten Arme um ihn, und blieb mit dem Köpfchen an seine Brust gelehnt stehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":843,"orig":"Er legte die Hand auf des Kindes Haupt, und fuhr fort:","norm":"Er legte die Hand auf des Kindes Haupt, und fuhr fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":844,"orig":"Wie leicht wird es einem Großen, die Gemüther zu gewinnen, wie leicht eignet er ſich die Herzen zu.","norm":"Wie leicht wird es einem Großen, die Gemüter zu gewinnen, wie leicht eignet er sich die Herzen zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":845,"orig":"Ein gefälliges, bequemes, nur einigermaßen menſchliches Betragen thut Wunder, und wie viele Mittel hat er, die einmal erworbenen Geiſter feſt zu halten.","norm":"Ein gefälliges, bequemes, nur einigermaßen menschliches Betragen tut Wunder, und wie viele Mittel hat er, die einmal erworbenen Geister festzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":846,"orig":"Uns kommt alles ſeltner, wird alles ſchwerer, und wie natürlich iſt es, daß wir auf das, was wir erwerben und leiſten, einen größern Werth legen.","norm":"Uns kommt alles seltener, wird alles schwerer, und wie natürlich ist es, dass wir auf das, was wir erwerben und leisten, einen größeren Wert legen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":847,"orig":"Welche rührende Beyſpiele von treuen Dienern, die ſich für ihre Herren aufopferten!","norm":"Welche rührenden Beispiele von treuen Dienern, die sich für ihre Herren aufopferten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":848,"orig":"Wie ſchön hat uns Shakeſpear ſolche geſchildert!","norm":"Wie schön hat uns Shakespeare solche geschildert!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":849,"orig":"Die Treue iſt, in dieſem Falle, ein Beſtreben einer edlen Seele, einem Größern gleich zu werden.","norm":"Die Treue ist, in diesem Falle, ein Bestreben einer edlen Seele, einem Größeren gleich zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":850,"orig":"Durch fortdauernde Anhänglichkeit und Liebe wird der Diener ſeinem Herrn gleich, der ihn ſonſt nur als einen bezahlten Sklaven anzuſehen berechtigt iſt.","norm":"Durch fortdauernde Anhänglichkeit und Liebe wird der Diener seinem Herrn gleich, der ihn sonst nur als einen bezahlten Sklaven anzusehen berechtigt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":851,"orig":"Ja, dieſe Tugenden ſind nur für den geringen Stand; er kann ſie nicht entbehren, und ſie kleiden ihn ſchön.","norm":"Ja, diese Tugenden sind nur für den geringen Stand; er kann sie nicht entbehren, und sie kleiden ihn schön."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":852,"orig":"Wer ſich leicht loskaufen kann, wird ſo leicht verſucht, ſich auch der Erkenntlichkeit zu überheben.","norm":"Wer sich leicht loskaufen kann, wird so leicht versucht, sich auch der Erkenntlichkeit zu überheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":853,"orig":"Ja, in dieſem Sinne glaube ich behaupten zu können, daß ein Großer wohl Freunde haben, aber nicht Freund ſeyn könne.","norm":"Ja, in diesem Sinne glaube ich behaupten zu können, dass ein Großer wohl Freunde haben, aber nicht Freund sein könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":854,"orig":"Mignon drückte ſich immer feſter an ihn.","norm":"Mignon drückte sich immer fester an ihn."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":855,"orig":"Nun gut, verſetzte einer aus der Geſellſchaft: wir brauchen ihre Freundſchaft nicht, und haben ſie niemals verlangt.","norm":"Nun gut, versetzte einer aus der Gesellschaft: Wir brauchen ihre Freundschaft nicht, und haben sie niemals verlangt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":856,"orig":"Nur ſollten ſie ſich beſſer auf Künſte verſtehen, die ſie doch beſchützen wollen.","norm":"Nur sollten sie sich besser auf Künste verstehen, die sie doch beschützen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":857,"orig":"Wenn wir am beſten geſpielt haben, hat uns niemand zugehört; alles war lauter Partheylichkeit.","norm":"Wenn wir am besten gespielt haben, hat uns niemand zugehört; alles war lauter Parteilichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":858,"orig":"Wem man günſtig war, der gefiel, und man war dem nicht günſtig, der zu gefallen verdiente.","norm":"Wem man günstig war, der gefiel, und man war dem nicht günstig, der zu gefallen verdiente."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":859,"orig":"Es war nicht erlaubt, wie oft das Alberne und Abgeſchmackte Aufmerkſamkeit und Beyfall auf ſich zog.","norm":"Es war nicht erlaubt, wie oft das Alberne und abgeschmackte Aufmerksamkeit und Beifall auf sich zog."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":860,"orig":"Wenn ich abrechne, verſetzte Wilhelm, was Schadenfreude und Ironie geweſen ſeyn mag: ſo denk ich, es geht in der Kunſt wie in der Liebe!","norm":"Wenn ich abrechne, versetzte Wilhelm, was Schadenfreude und Ironie gewesen sein mag: so denke ich, es geht in der Kunst wie in der Liebe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":861,"orig":"Wie will der Weltmann bey ſeinem zerſtreuten Leben die Innigkeit erhalten, in der ein Künſtler bleiben muß, wenn er etwas Vollkommenes hervorzubringen denkt, und die ſelbſt demjenigen nicht fremd ſeyn darf, der einen ſolchen Antheil am Werke nehmen will, wie der Künſtler ihn wünſcht und hofft.","norm":"Wie will der Weltmann bei seinem zerstreuten Leben die Innigkeit erhalten, in der ein Künstler bleiben muss, wenn er etwas Vollkommenes hervorzubringen denkt, und die selbst demjenigen nicht fremd sein darf, der einen solchen Anteil am Werke nehmen will, wie der Künstler ihn wünscht und hofft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":862,"orig":"Glaubt mir, meine Freunde, es iſt mit den Talenten wie mit der Tugend: man muß ſie um ihrer ſelbſt willen lieben, oder ſie ganz aufgeben.","norm":"Glaubt mir, meine Freunde, es ist mit den Talenten wie mit der Tugend: Man muss sie um ihrer selbst willen lieben, oder sie ganz aufgeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":863,"orig":"Und doch werden ſie beide nicht anders erkannt und belohnt, als wenn man ſie, gleich einem gefährlichen Geheimniß, im Verborgnen üben kann.","norm":"Und doch werden sie beide nicht anders erkannt und belohnt, als wenn man sie, gleich einem gefährlichen Geheimnis, im Verborgenen üben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":864,"orig":"Unterdeſſen, bis ein Kenner uns auffindet, kann man Hungers ſterben, rief einer aus der Ecke.","norm":"Unterdessen, bis ein Kenner uns auffindet, kann man Hungers sterben, rief einer aus der Ecke."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":865,"orig":"Nicht eben ſogleich, verſetzte Wilhelm.","norm":"Nicht eben sogleich, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":866,"orig":"Ich habe geſehen, ſo lange einer lebt und ſich rührt, findet er immer ſeine Nahrung, und wenn ſie auch gleich nicht die reichlichſte iſt.","norm":"Ich habe gesehen, solange einer lebt und sich rührt, findet er immer seine Nahrung, und wenn sie auch gleich nicht die reichlichste ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":867,"orig":"Und worüber habt ihr euch denn zu beſchweren?","norm":"Und worüber habt ihr euch denn zu beschweren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":868,"orig":"Sind wir nicht ganz unvermuthet, eben da es mit uns am ſchlimmſten ausſah, gut aufgenommen und bewirthet worden?","norm":"Sind wir nicht ganz unvermutet, eben da es mit uns am schlimmsten aussah, gut aufgenommen und bewirtet worden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":869,"orig":"Und jetzt, da es uns noch an nichts gebricht, fällt es uns denn ein, etwas zu unſerer Übung zu thun, und nur einigermaßen weiter zu ſtreben?","norm":"Und jetzt, da es uns noch an nichts gebricht, fällt es uns denn ein, etwas zu unserer Übung zu tun, und nur einigermaßen weiter zu streben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":870,"orig":"Wir treiben fremde Dinge, und entfernen, den Schulkindern ähnlich, alles, was uns nur an unſre Lection erinnern könnte.","norm":"Wir treiben fremde Dinge, und entfernen, den Schulkindern ähnlich, alles, was uns nur an unsere Lektion erinnern könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":871,"orig":"Wahrhaftig, ſagte Philine, eſ iſt unverantwortlich!","norm":"Wahrhaftig, sagte Philine, es ist unverantwortlich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":872,"orig":"laßt uns ein Stück wählen; wir wollen es auf der Stelle ſpielen.","norm":"Lasst uns ein Stück wählen; wir wollen es auf der Stelle spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":873,"orig":"Jeder muß ſein Möglichſtes thun, als wenn er vor dem größten Auditorium ſtünde.","norm":"Jeder muss sein Möglichstes tun, als wenn er vor dem größten Auditorium stünde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":874,"orig":"Man überlegte nicht lange; das Stück ward beſtimmt.","norm":"Man überlegte nicht lange; das Stück wurde bestimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":875,"orig":"Es war eines deren, die damals in Deutſchland großen Beyfall fanden, und nun verſchollen ſind.","norm":"Es war eines deren, die damals in Deutschland großen Beifall fanden, und nun verschollen sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":876,"orig":"Einige pfiffen eine Symphonie, jeder beſann ſich ſchnell auf ſeine Rolle, man fing an und ſpielte mit der größten Aufmerkſamkeit das Stück durch, und wirklich über Erwartung gut.","norm":"Einige pfiffen eine Symphonie, jeder besann sich schnell auf seine Rolle, man fing an und spielte mit der größten Aufmerksamkeit das Stück durch, und wirklich über Erwartung gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":877,"orig":"Man applaudirte ſich wechſelsweiſe; man hatte ſich ſelten ſo wohl gehalten.","norm":"Man applaudierte sich wechselweise; man hatte sich selten so wohl gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":878,"orig":"Als ſie fertig waren, empfanden ſie alle ein ausnehmendes Vergnügen, theils über ihre wohlzugebrachte Zeit, theils weil jeder beſonders mit ſich zufrieden ſeyn konnte.","norm":"Als sie fertig waren, empfanden sie alle ein ausnehmendes Vergnügen, teils über ihre wohlzugebrachte Zeit, teils weil jeder besonders mit sich zufrieden sein konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":879,"orig":"Wilhelm ließ ſich weitläuftig zu ihrem Lobe heraus, und ihre Unterhaltung war heiter und fröhlich.","norm":"Wilhelm ließ sich weitläufig zu ihrem Lobe heraus, und ihre Unterhaltung war heiter und fröhlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":880,"orig":"Ihr ſolltet ſehen, rief unſer Freund, wie weit wir kommen müßten, wenn wir unſre Übungen auf dieſe Art fortſetzten, und nicht blos auf Auswendiglernen, Probiren und Spielen uns mechaniſch pflicht- und handwerksmäßig einſchränkten.","norm":"Ihr solltet sehen, rief unser Freund, wie weit wir kommen müssten, wenn wir unsere Übungen auf diese Art fortsetzten, und nicht bloß auf Auswendiglernen, Probieren und Spielen uns mechanisch pflicht- und handwerksmäßig einschränkten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":881,"orig":"Wie viel mehr Lob verdienen die Tonkünſtler, wie ſehr ergötzen ſie ſich, wie genau ſind ſie nicht, wenn ſie gemeinſchaftlich ihre Übungen vornehmen.","norm":"Wie viel mehr Lob verdienen die Tonkünstler, wie sehr ergötzen sie sich, wie genau sind sie nicht, wenn sie gemeinschaftlich ihre Übungen vornehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":882,"orig":"Wie ſind ſie bemüht, ihre Inſtrumente übereinzuſtimmen, wie genau halten ſie Takt, wie zart wiſſen ſie die Stärke und Schwäche des Tons auszudrücken!","norm":"Wie sind sie bemüht, ihre Instrumente Übereinzustimmen, wie genau halten sie Takt, wie zart wissen sie die Stärke und Schwäche des Tons auszudrücken!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":883,"orig":"Keinem fällt es ein, ſich bey dem Solo eines andern durch ein vorlautes Accompagniren Ehre zu machen.","norm":"Keinem fällt es ein, sich bei dem Solo eines anderen durch ein vorlautes Akkompagnieren Ehre zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":884,"orig":"Jeder ſucht in dem Geiſt und Sinne des Componiſten zu ſpielen, und jeder das, was ihm aufgetragen iſt, es mag viel oder wenig ſeyn, gut auszudrücken.","norm":"Jeder sucht in dem Geist und Sinne des Komponisten zu spielen, und jeder das, was ihm aufgetragen ist, es mag viel oder wenig sein, gut auszudrücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":885,"orig":"Sollten wir nicht eben ſo genau und eben ſo geiſtreich zu Werke gehen, da wir eine Kunſt treiben, die noch viel zarter als jede Art von Muſik iſt, da wir die gewöhnlichſten und ſeltenſten Äuſſerungen der Menſchheit geſchmackvoll und ergötzend darzuſtellen berufen ſind?","norm":"Sollten wir nicht ebenso genau und ebenso geistreich zu Werke gehen, da wir eine Kunst treiben, die noch viel zarter als jede Art von Musik ist, da wir die gewöhnlichsten und seltensten Äußerungen der Menschheit geschmackvoll und ergötzend darzustellen berufen sind?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":886,"orig":"Kann etwas abſcheulicher ſeyn, als in den Proben zu ſudeln, und ſich bey der Vorſtellung auf Laune und gut Glück zu verlaſſen?","norm":"Kann etwas abscheulicher sein, als in den Proben zu sudeln, und sich bei der Vorstellung auf Laune und gut Glück zu verlassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":887,"orig":"Wir ſollten unſer größtes Glück und Vergnügen darin ſetzen, mit einander übereinzuſtimmen, um uns wechſelsweiſe zu gefallen, und auch nur in ſo fern den Beyfall des Publikums zu ſchätzen, als wir ihn uns gleichſam unter einander ſchon ſelbſt garantirt hätten.","norm":"Wir sollten unser größtes Glück und Vergnügen darin setzen, miteinander übereinzustimmen, um uns wechselweise zu gefallen, und auch nur insofern den Beifall des Publikums zu schätzen, als wir ihn uns gleichsam untereinander schon selbst garantiert hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":888,"orig":"Warum iſt der Kapellmeiſter ſeines Orcheſters gewiſſer, als der Director ſeines Schauſpiels?","norm":"Warum ist der Kapellmeister seines Orchesters gewisser, als der Direktor seines Schauspiels?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":889,"orig":"Weil dort jeder ſich ſeines Mißgriffs, der das äußere Ohr beleidigt, ſchämen muß; aber wie ſelten hab’ ich einen Schauſpieler verzeihliche und unverzeihliche Mißgriffe, durch die das innere Ohr ſo ſchnöde beleidigt wird, anerkennen und ſich ihrer ſchämen ſehen!","norm":"Weil dort jeder sich seines Missgriffs, der das äußere Ohr beleidigt, schämen muss; aber wie selten habe ich einen Schauspieler verzeihliche und unverzeihliche Missgriffe, durch die das innere Ohr so schnöde beleidigt wird, anerkennen und sich ihrer schämen sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":890,"orig":"Ich wünſchte nur, daß das Theater ſo ſchmal wäre, als der Draht eines Seiltänzers, damit ſich kein Ungeſchickter hinauf wagte, anſtatt daß jetzo ein jeder ſich Fähigkeit genug fühlt, darauf zu paradiren.","norm":"Ich wünschte nur, dass das Theater so schmal wäre, als der Draht eines Seiltänzers, damit sich kein Ungeschickter hinaufwagte, anstatt dass jetzt ein jeder sich Fähigkeit genug fühlt, darauf zu paradieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":891,"orig":"Die Geſellſchaft nahm dieſe Apoſtrophe gut auf, indem jeder überzeugt war, daß nicht von ihm die Rede ſeyn könne, da er ſich noch vor kurzem nebſt den übrigen ſo gut gehalten.","norm":"Die Gesellschaft nahm diese Apostrophe gut auf, indem jeder überzeugt war, dass nicht von ihm die Rede sein könne, da er sich noch vor kurzem nebst den übrigen so gut gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":892,"orig":"Man kam vielmehr überein, daß man in dem Sinne, wie man angefangen, auf dieſer Reiſe und künftig, wenn man zuſammen bliebe, eine geſellige Bearbeitung wolle obwalten laſſen.","norm":"Man kam vielmehr überein, dass man in dem Sinne, wie man angefangen, auf dieser Reise und künftig, wenn man zusammenbliebe, eine gesellige Bearbeitung wolle obwalten lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":893,"orig":"Man fand nur, daß weil dieſes eine Sache der guten Laune und des freyen Willens ſey, ſo müſſe ſich eigentlich kein Director darein miſchen.","norm":"Man fand nur, dass weil dieses eine Sache der guten Laune und des freien Willens sei, so müsse sich eigentlich kein Direktor darein mischen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":894,"orig":"Man nahm als ausgemacht an, daß unter guten Menſchen die republikaniſche Form die beſte ſey; man behauptete, das Amt eines Directors müſſe herum gehen; er müſſe von allen gewählt werden, und eine Art von kleinem Senat ihm jederzeit beygeſetzt bleiben.","norm":"Man nahm als ausgemacht an, dass unter guten Menschen die republikanische Form die beste sei; man behauptete, das Amt eines Direktors müsse herumgehen; er müsse von allen gewählt werden, und eine Art von kleinem Senat ihm jederzeit beigesetzt bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":895,"orig":"Sie waren ſo von dieſem Gedanken eingenommen, daß ſie wünſchten, ihn gleich ins Werk zu richten.","norm":"Sie waren so von diesem Gedanken eingenommen, dass sie wünschten, ihn gleich ins Werk zu richten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":896,"orig":"Ich habe nichts dagegen, ſagte Melina, wenn ihr auf der Reiſe einen ſolchen Verſuch machen wollt; ich ſuſpendire meine Directorſchaft gern, bis wir wieder an Ort und Stelle kommen.","norm":"Ich habe nichts dagegen, sagte Melina, wenn ihr auf der Reise einen solchen Versuch machen wollt; ich suspendiere meine Direktorschaft gern, bis wir wieder an Ort und Stelle kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":897,"orig":"Er hofte, dabey zu ſparen, und manche Ausgaben der kleinen Republik oder dem Interimsdirector aufzuwälzen.","norm":"Er hoffte, dabei zu sparen, und manche Ausgaben der kleinen Republik oder dem Interimsdirektor aufzuwälzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":898,"orig":"Nun ging man ſehr lebhaft zu Rath, wie man die Form des neuen Staates aufs Beſte einrichten wolle.","norm":"Nun ging man sehr lebhaft zu Rat, wie man die Form des neuen Staates aufs Beste einrichten wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":899,"orig":"Es iſt ein wanderndes Reich, ſagte Laertes, wir werden wenigſtens keine Grenzſtreitigkeiten haben.","norm":"Es ist ein wanderndes Reich, sagte Laertes, wir werden wenigstens keine Grenzstreitigkeiten haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":900,"orig":"Man ſchritt ſogleich zur Sache, und erwählte Wilhelm zum erſten Director.","norm":"Man schritt sogleich zur Sache, und erwählte Wilhelm zum ersten Direktor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":901,"orig":"Der Senat ward beſtellt, die Frauen erhielten Sitz und Stimme, man ſchlug Geſetze vor.","norm":"Der Senat wurde bestellt, die Frauen erhielten Sitz und Stimme, man schlug Gesetze vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":902,"orig":"man verwarf, man genehmigte.","norm":"man verwarf, man genehmigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":903,"orig":"Die Zeit ging unvermerkt unter dieſem Spiele vorüber, und weil man ſie angenehm zubrachte, glaubte man auch wirklich etwas Nützliches gethan und durch die neue Form eine neue Ausſicht für die vaterländiſche Bühne eröfnet zu haben.","norm":"Die Zeit ging unvermerkt unter diesem Spiele vorüber, und weil man sie angenehm zubrachte, glaubte man auch wirklich etwas Nützliches getan und durch die neue Form eine neue Aussicht für die vaterländische Bühne eröffnet zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":904,"orig":"Wilhelm hoffte nunmehr, da er die Geſellſchaft in ſo guter Dispoſition ſah, ſich auch mit ihr über das dichteriſche Verdienſt der Stücke unterhalten zu können.","norm":"Wilhelm hoffte nunmehr, da er die Gesellschaft in so guter Disposition sah, sich auch mit ihr über das dichterische Verdienst der Stücke unterhalten zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":905,"orig":"Es iſt nicht genug, ſagte er zu ihnen, als ſie des andern Tages wieder zuſammen kamen, daß der Schauſpieler ein Stück nur ſo oben hin anſehe, daſſelbe nach dem erſten Eindruck beurtheile, und ohne Prüfung ſein Gefallen oder Mißfallen daran zu erkennen gebe.","norm":"Es ist nicht genug, sagte er zu ihnen, als sie des anderen Tages wieder zusammenkamen, dass der Schauspieler ein Stück nur so obenhin ansehe, dasselbe nach dem ersten Eindruck beurteile, und ohne Prüfung sein Gefallen oder Missfallen daran zu erkennen gebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":906,"orig":"Dieß iſt dem Zuſchauer wohl erlaubt, der gerührt und unterhalten ſeyn, aber eigentlich nicht urtheilen will.","norm":"Dies ist dem Zuschauer wohl erlaubt, der gerührt und unterhalten sein, aber eigentlich nicht urteilen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":907,"orig":"Der Schauſpieler dagegen ſoll von dem Stücke und von den Urſachen ſeines Lobes und Tadels Rechenſchaft geben können: und wie will er das, wenn er nicht in den Sinn ſeines Autors, wenn er nicht in die Abſichten deſſelben einzudringen verſteht?","norm":"Der Schauspieler dagegen soll von dem Stücke und von den Ursachen seines Lobes und Tadels Rechenschaft geben können: und wie will er das, wenn er nicht in den Sinn seines Autors, wenn er nicht in die Absichten desselben einzudringen versteht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":908,"orig":"Ich habe den Fehler, ein Stück aus einer Rolle zu beurtheilen, eine Rolle nur an ſich und nicht im Zuſammenhange mit dem Stück zu betrachten, an mir ſelbſt in dieſen Tagen ſo lebhaft bemerkt, daß ich euch das Beyſpiel erzählen will, wenn ihr mir ein geneigtes Gehör gönnen wollt.","norm":"Ich habe den Fehler, ein Stück aus einer Rolle zu beurteilen, eine Rolle nur an sich und nicht im Zusammenhange mit dem Stück zu betrachten, an mir selbst in diesen Tagen so lebhaft bemerkt, dass ich euch das Beispiel erzählen will, wenn ihr mir ein geneigtes Gehör gönnen wollt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":909,"orig":"Ihr kennt Shakeſpears unvergleichlichen Hamlet aus einer Vorleſung, die euch noch auf dem Schloſſe das größte Vergnügen machte.","norm":"Ihr kennt Shakespeares unvergleichlichen Hamlet aus einer Vorlesung, die euch noch auf dem Schlosse das größte Vergnügen machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":910,"orig":"Wir ſetzten uns vor, das Stück zu ſpielen, und ich hatte, ohne zu wiſſen was ich that, die Rolle des Prinzen übernommen; ich glaubte ſie zu ſtudieren, indem ich anfing die ſtärkſten Stellen, die Selbſtgeſpräche und jene Auftritte zu memoriren, in denen Kraft der Seele, Erhebung des Geiſtes und Lebhaftigkeit freyen Spielraum haben, wo das bewegte Gemüth ſich in einem gefühlvollen Ausdrucke zeigen kann.","norm":"Wir setzten uns vor, das Stück zu spielen, und ich hatte, ohne zu wissen was ich tat, die Rolle des Prinzen übernommen; ich glaubte sie zu studieren, indem ich anfing die stärksten Stellen, die Selbstgespräche und jene Auftritte zu memorieren, in denen Kraft der Seele, Erhebung des Geistes und Lebhaftigkeit freien Spielraum haben, wo das bewegte Gemüt sich in einem gefühlvollen Ausdrucke zeigen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":911,"orig":"Auch glaubte ich recht in den Geiſt der Rolle einzudringen, wenn ich die Laſt der tiefen Schwermuth gleichſam ſelbſt auf mich nähme, und unter dieſem Druck meinem Vorbilde durch das ſeltſame Labyrinth ſo mancher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen ſuchte.","norm":"Auch glaubte ich recht in den Geist der Rolle einzudringen, wenn ich die Last der tiefen Schwermut gleichsam selbst auf mich nähme, und unter diesem Druck meinem Vorbilde durch das seltsame Labyrinth so mancher Launen und Sonderbarkeiten zu folgen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":912,"orig":"So memorirte ich, und ſo übte ich mich, und glaubte nach und nach, mit meinem Helden zu einer Perſon zu werden.","norm":"So memorierte ich, und so übte ich mich, und glaubte nach und nach, mit meinem Helden zu einer Person zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":913,"orig":"Allein je weiter ich kam, deſto ſchwerer ward mir die Vorſtellung des Ganzen, und mir ſchien zuletzt faſt unmöglich, zu einer Überſicht zu gelangen.","norm":"Allein je weiter ich kam, desto schwerer wurde mir die Vorstellung des Ganzen, und mir schien zuletzt fast unmöglich, zu einer Übersicht zu gelangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":914,"orig":"Nun ging ich das Stück in einer ununterbrochenen Folge durch, und auch da wollte mir leider manches nicht paſſen.","norm":"Nun ging ich das Stück in einer ununterbrochenen Folge durch, und auch da wollte mir leider manches nicht passen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":915,"orig":"Bald ſchienen ſich die Charaktere, bald der Ausdruck zu widerſprechen, und ich verzweifelte faſt, einen Ton zu finden, in welchem ich meine ganze Rolle mit allen Abweichungen und Schattirungen vortragen könnte.","norm":"Bald schienen sich die Charaktere, bald der Ausdruck zu widersprechen, und ich verzweifelte fast, einen Ton zu finden, in welchem ich meine ganze Rolle mit allen Abweichungen und Schattierungen vortragen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":916,"orig":"In dieſen Irrgängen bemühte ich mich lange vergebens, bis ich mich endlich auf einem ganz beſondern Wege meinem Ziele zu nähern hoffte.","norm":"In diesen Irrgängen bemühte ich mich lange vergebens, bis ich mich endlich auf einem ganz besonderen Wege meinem Ziele zu nähern hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":917,"orig":"Ich ſuchte jede Spur auf, die ſich von dem Character Hamlets in früherer Zeit vor dem Tode ſeines Vaters zeigte; ich bemerkte, was unabhängig von dieſer traurigen Begebenheit, unabhängig von den nachfolgenden ſchrecklichen Ereigniſſen, dieſer intereſſante Jüngling geweſen war, und was er ohne ſie vielleicht geworden wäre.","norm":"Ich suchte jede Spur auf, die sich von dem Charakter Hamlets in früherer Zeit vor dem Tode seines Vaters zeigte; ich bemerkte, was unabhängig von dieser traurigen Begebenheit, unabhängig von den nachfolgenden schrecklichen Ereignissen, dieser interessante Jüngling gewesen war, und was er ohne sie vielleicht geworden wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":918,"orig":"Zart und edel entſproſſen wuchs die königliche Blume, unter den unmittelbaren Einflüſſen der Majeſtät, hervor; der Begriff des Rechts und der fürſtlichen Würde, das Gefühl des Guten und Anſtändigen mit dem Bewußtſeyn der Höhe ſeiner Geburt, entwickelten ſich zugleich in ihm.","norm":"Zart und edel entsprossen wuchs die königliche Blume, unter den unmittelbaren Einflüssen der Majestät, hervor; der Begriff des Rechts und der fürstlichen Würde, das Gefühl des Guten und Anständigen mit dem Bewusstsein der Höhe seiner Geburt, entwickelten sich zugleich in ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":919,"orig":"Er war ein Fürſt, ein gebohrner Fürſt, und wünſchte zu regieren, nur damit der Gute ungehindert gut ſeyn möchte.","norm":"Er war ein Fürst, ein geborener Fürst, und wünschte zu regieren, nur damit der Gute ungehindert gut sein möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":920,"orig":"Angenehm von Geſtalt, geſittet von Natur, gefällig von Herzen aus, ſollte er das Muſter der Jugend ſeyn, und die Freude der Welt werden.","norm":"Angenehm von Gestalt, gesittet von Natur, gefällig von Herzen aus, sollte er das Muster der Jugend sein, und die Freude der Welt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":921,"orig":"Ohne irgend eine hervorſtechende Leidenſchaft, war ſeine Liebe zu Ophelien ein ſtilles Vorgefühl ſüßer Bedürfniſſe; ſein Eifer zu ritterlichen Übungen war nicht ganz Original, vielmehr mußte dieſe Luſt, durch das Lob, das man dem Dritten beylegte, geſchärft und erhöht werden; rein fühlend kannte er die Redlichen, und wußte die Ruhe zu ſchätzen, die ein aufrichtiges Gemüth an dem offnen Buſen eines Freundes genießt.","norm":"Ohne irgendeine hervorstechende Leidenschaft, war seine Liebe zu Ophelia ein stilles Vorgefühl süßer Bedürfnisse; sein Eifer zu ritterlichen Übungen war nicht ganz Original, vielmehr musste diese Lust, durch das Lob, das man dem Dritten beilegte, geschärft und erhöht werden; rein fühlend kannte er die Redlichen, und wusste die Ruhe zu schätzen, die ein aufrichtiges Gemüt an dem offenen Busen eines Freundes genießt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":922,"orig":"Bis auf einen gewiſſen Grad hatte er in Künſten und Wiſſenſchaften das Gute und Schöne erkennen und würdigen gelernt; das Abgeſchmackte war ihm zuwider, und wenn in ſeiner zarten Seele der Haß aufkeimen konnte, ſo war es nur eben ſo viel als nöthig iſt, um bewegliche und falſche Höflinge zu verachten, und ſpöttiſch mit ihnen zu ſpielen.","norm":"Bis auf einen gewissen Grad hatte er in Künsten und Wissenschaften das Gute und Schöne erkennen und würdigen gelernt; das Abgeschmackte war ihm zuwider, und wenn in seiner zarten Seele der Hass aufkeimen konnte, so war es nur ebenso viel als nötig ist, um bewegliche und falsche Höflinge zu verachten, und spöttisch mit ihnen zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":923,"orig":"Er war gelaſſen in ſeinem Weſen, in ſeinem Betragen einfach, weder im Müßiggange behaglich, noch allzubegierig nach Beſchäftigung.","norm":"Er war gelassen in seinem Wesen, in seinem Betragen einfach, weder im Müßiggange behaglich, noch allzubegierig nach Beschäftigung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":924,"orig":"Ein akademiſches Hinſchlendern ſchien er auch bey Hofe fortzuſetzen.","norm":"Ein akademisches Hinschlendern schien er auch bei Hofe fortzusetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":925,"orig":"Er beſaß mehr Fröhlichkeit der Laune als des Herzens, war ein guter Geſellſchafter, nachgiebig, beſcheiden, beſorgt, und konnte eine Beleidigung vergeben und vergeſſen; aber niemals konnte er ſich mit dem vereinigen, der die Grenzen des Rechten, des Guten, des Anſtändigen überſchritt.","norm":"Er besaß mehr Fröhlichkeit der Laune als des Herzens, war ein guter Gesellschafter, nachgiebig, bescheiden, besorgt, und konnte eine Beleidigung vergeben und vergessen; aber niemals konnte er sich mit dem vereinigen, der die Grenzen des Rechten, des Guten, des Anständigen überschritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":926,"orig":"Wenn wir das Stück wieder zuſammen leſen werden, könnt ihr beurtheilen, ob ich auf dem rechten Wege bin.","norm":"Wenn wir das Stück wieder zusammen lesen werden, könnt ihr beurteilen, ob ich auf dem rechten Wege bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":927,"orig":"Wenigſtens hoffe ich meine Meinung durchaus mit Stellen belegen zu können.","norm":"Wenigstens hoffe ich meine Meinung durchaus mit Stellen belegen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":928,"orig":"Man gab der Schilderung lauten Beyfall; man glaubte voraus zu ſehen, daß ſich nun die Handelsweiſe Hamlets gar gut werde erklären laſſen; man freute ſich über die Art, in den Geiſt des Schriftſtellers einzudringen.","norm":"Man gab der Schilderung lauten Beifall; man glaubte vorauszusehen, dass sich nun die Handelsweise Hamlets gar gut werde erklären lassen; man freute sich über die Art, in den Geist des Schriftstellers einzudringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":929,"orig":"Jeder nahm ſich vor, auch irgend ein Stück auf dieſe Art zu ſtudieren und den Sinn des Verfaſſers zu entwickeln.","norm":"Jeder nahm sich vor, auch irgendein Stück auf diese Art zu studieren und den Sinn des Verfassers zu entwickeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":930,"orig":"Nur einige Tage mußte die Geſellſchaft an dem Orte liegen bleiben, und ſogleich zeigten ſich für verſchiedene Glieder derſelben nicht unangenehme Abentheuer, beſonders aber ward Laertes von einer Dame angereizt, die in der Nachbarſchaft ein Gut hatte, gegen die er ſich aber äußerſt kalt, ja unartig betrug, und darüber von Philinen viele Spöttereyen erdulden mußte.","norm":"Nur einige Tage musste die Gesellschaft an dem Orte liegenbleiben, und sogleich zeigten sich für verschiedene Glieder derselben nicht unangenehme Abenteuer, besonders aber wurde Laertes von einer Dame angereizt, die in der Nachbarschaft ein Gut hatte, gegen die er sich aber äußerst kalt, ja unartig betrug, und darüber von Philine viele Spöttereien erdulden musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":931,"orig":"Sie ergriff die Gelegenheit, unſerm Freund die unglückliche Liebesgeſchichte zu erzählen, über die der arme Jüngling dem ganzen weiblichen Geſchlechte feind geworden war.","norm":"Sie ergriff die Gelegenheit, unserem Freund die unglückliche Liebesgeschichte zu erzählen, über die der arme Jüngling dem ganzen weiblichen Geschlecht Feind geworden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":932,"orig":"Wer wird ihm übel nehmen, rief ſie aus, daß er ein Geſchlecht haßt, das ihm ſo übel mitgeſpielt hat, und ihm alle Übel, die ſonſt Männer von Weibern zu befürchten haben, in einem ſehr concentrirten Tranke zu verſchlucken gab?","norm":"Wer wird ihm übel nehmen, rief sie aus, dass er ein Geschlecht hasst, das ihm so übel mitgespielt hat, und ihm alle Übel, die sonst Männer von Weibern zu befürchten haben, in einem sehr konzentrierten Tranke zu verschlucken gab?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":933,"orig":"Stellen Sie ſich vor: binnen vier und zwanzig Stunden war er Liebhaber, Bräutigam, Ehmann, Hahnrey, Patient und Wittwer!","norm":"Stellen Sie sich vor: binnen vierundzwanzig Stunden war er Liebhaber, Bräutigam, Ehemann, Hahnrei, Patient und Witwer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":934,"orig":"Ich wüßte nicht, wie man’s einem ärger machen wollte!","norm":"Ich wüsste nicht, wie man es einem Ärger machen wollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":935,"orig":"Laertes lief halb lachend, halb verdrießlich zur Stube hinaus, und Philine fing in ihrer allerliebſten Art die Geſchichte zu erzählen an, wie Laertes als ein junger Menſch von achtzehn Jahren, eben als er bey einer Theatergeſellſchaft eingetroffen, ein ſchönes vierzehnjähriges Mädchen gefunden, die eben mit ihrem Vater, der ſich mit dem Director entzweyet, abzureiſen Willens geweſen.","norm":"Laertes lief halb lachend, halb verdrießlich zur Stube hinaus, und Philine fing in ihrer allerliebsten Art die Geschichte zu erzählen an, wie Laertes als ein junger Mensch von achtzehn Jahren, eben als er bei einer Theatergesellschaft eingetroffen, ein schönes vierzehnjähriges Mädchen gefunden, die eben mit ihrem Vater, der sich mit dem Direktor entzweiet, abzureisen Willens gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":936,"orig":"Er habe ſich aus dem Stegreife ſterblich verliebt, dem Vater alle mögliche Vorſtellungen gethan zu bleiben, und endlich verſprochen, das Mädchen zu heirathen.","norm":"Er habe sich aus dem Stegreife sterblich verliebt, dem Vater alle möglichen Vorstellungen getan zu bleiben, und endlich versprochen, das Mädchen zu heiraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":937,"orig":"Nach einigen angenehmen Stunden des Brautſtandes ſey er getraut worden, habe eine glückliche Nacht als Ehmann zugebracht, darauf habe ihn ſeine Frau des andern Morgens, als er in der Probe geweſen, nach Standesgebühr mit einem Hörnerſchmuck beehrt; weil er aber aus allzugroßer Zärtlichkeit viel zu früh nach Hauſe geeilt, habe er leider einen ältern Liebhaber an ſeiner Stelle gefunden, habe mit unſinniger Leidenſchaft drein geſchlagen, Liebhaber und Vater herausgefordert, und ſey mit einer leidlichen Wunde davon gekommen.","norm":"Nach einigen angenehmen Stunden des Brautstandes sei er getraut worden, habe eine glückliche Nacht als Ehemann zugebracht, darauf habe ihn seine Frau des anderen Morgens, als er in der Probe gewesen, nach Standesgebühr mit einem Hörnerschmuck beehrt; weil er aber aus allzu großer Zärtlichkeit viel zu früh nach Hause geeilt, habe er leider einen älteren Liebhaber an seiner Stelle gefunden, habe mit unsinniger Leidenschaft dreingeschlagen, Liebhaber und Vater herausgefordert, und sei mit einer leidlichen Wunde davongekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":938,"orig":"Vater und Tochter ſeyen darauf noch in der Nacht abgereiſt, und er ſey leider auf eine doppelte Weiſe verwundet zurück geblieben.","norm":"Vater und Tochter seien darauf noch in der Nacht abgereist, und er sei leider auf eine doppelte Weise verwundet zurückgeblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":939,"orig":"Sein Unglück habe ihn zu dem ſchlechteſten Feldſcheer von der Welt geführt, und der Arme ſey leider mit ſchwarzen Zähnen und triefenden Augen aus dieſem Abentheuer geſchieden.","norm":"Sein Unglück habe ihn zu dem schlechtesten Feldscher von der Welt geführt, und der Arme sei leider mit schwarzen Zähnen und triefenden Augen aus diesem Abenteuer geschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":940,"orig":"Er ſey zu bedauern, weil er übrigens der bravſte Junge ſey, den Gottes Erdboden trüge.","norm":"Er sei zu bedauern, weil er übrigens der bravste Junge sei, den Gottes Erdboden trüge."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":941,"orig":"Beſonders, ſagte ſie, thut es mir leid, daß der arme Narr nun die Weiber haßt: denn wer die Weiber haßt, wie kann der leben?","norm":"Besonders, sagte sie, tut es mir leid, dass der arme Narr nun die Weiber hasst: denn wer die Weiber hasst, wie kann der leben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":942,"orig":"Melina unterbrach ſie, mit der Nachricht, daß alles zum Transport völlig bereit ſey, und daß ſie morgen früh abfahren könnten.","norm":"Melina unterbrach sie, mit der Nachricht, dass alles zum Transport völlig bereit sei, und dass sie morgen früh abfahren könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":943,"orig":"Er überreichte ihnen eine Dispoſition, wie ſie fahren ſollten.","norm":"Er überreichte ihnen eine Disposition, wie sie fahren sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":944,"orig":"Wenn mich ein guter Freund auf den Schooß nimmt, ſagte Philine, ſo bin ich zufrieden, daß wir eng und erbärmlich ſitzen, übrigens iſt mir alles einerley.","norm":"Wenn mich ein guter Freund auf den Schoß nimmt, sagte Philine, so bin ich zufrieden, dass wir eng und erbärmlich sitzen, übrigens ist mir alles einerlei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":945,"orig":"Es thut nichts, ſagte Laertes, der auch herbey kam.","norm":"Es tut nichts, sagte Laertes, der auch herbeikam."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":946,"orig":"Es iſt verdrießlich!","norm":"Es ist verdrießlich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":947,"orig":"ſagte Wilhelm, und eilte weg.","norm":"sagte Wilhelm, und eilte weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":948,"orig":"Er fand für ſein Geld noch einen gar bequemen Wagen, den Melina verleugnet hatte.","norm":"Er fand für sein Geld noch einen gar bequemen Wagen, den Melina verleugnet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":949,"orig":"Eine andere Eintheilung ward gemacht, und man freuete ſich, bequem abreiſen zu können, als die bedenkliche Nachricht einlief: daß auf dem Wege, den ſie nehmen wollten, ſich ein Freycorps ſehen laſſe, von dem man nicht viel Gutes erwartete.","norm":"Eine andere Einteilung wurde gemacht, und man freute sich, bequem abreisen zu können, als die bedenkliche Nachricht einlief: dass auf dem Wege, den sie nehmen wollten, sich ein Freikorps sehen lasse, von dem man nicht viel Gutes erwartete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":950,"orig":"An dem Orte ſelbſt war man ſehr auf dieſe Zeitung aufmerkſam, wenn ſie gleich nur ſchwankend und zweydeutig war.","norm":"An dem Orte selbst war man sehr auf diese Zeitung aufmerksam, wenn sie gleich nur schwankend und zweideutig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":951,"orig":"Nach der Stellung der Armeen ſchien es unmöglich, daß ein feindliches Corps ſich habe durchſchleichen, oder daß ein freundliches ſo weit habe zurück bleiben können.","norm":"Nach der Stellung der Armeen schien es unmöglich, dass ein feindliches Korps sich habe durchschleichen, oder dass ein freundliches so weit habe zurückbleiben können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":952,"orig":"Jedermann war eifrig, unſrer Geſellſchaft die Gefahr, die auf ſie wartete, recht gefährlich zu beſchreiben, und ihr einen andern Weg anzurathen.","norm":"Jedermann war eifrig, unserer Gesellschaft die Gefahr, die auf sie wartete, recht gefährlich zu beschreiben, und ihr einen anderen Weg anzuraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":953,"orig":"Die meiſten waren darüber in Unruhe und Furcht geſetzt, und als nach der neuen republikaniſchen Form die ſämmtlichen Glieder des Staats zuſammen gerufen wurden, um über dieſen auſſerordentlichen Fall zu berathſchlagen, waren ſie faſt einſtimmig der Meinung, daß man das Übel vermeiden und am Orte bleiben, oder ihm ausweichen und einen andern Weg erwählen müſſe.","norm":"Die meisten waren darüber in Unruhe und Furcht gesetzt, und als nach der neuen republikanischen Form die sämtlichen Glieder des Staats zusammengerufen wurden, um über diesen außerordentlichen Fall zu beratschlagen, waren sie fast einstimmig der Meinung, dass man das Übel vermeiden und am Orte bleiben, oder ihm ausweichen und einen anderen Weg erwählen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":954,"orig":"Nur Wilhelm, von Furcht nicht eingenommen, hielt für ſchimpflich, einen Plan, in den man mit ſo viel Überlegung eingegangen war, nunmehr auf ein bloßes Gerücht aufzugeben.","norm":"Nur Wilhelm, von Furcht nicht eingenommen, hielt für schimpflich, einen Plan, in den man mit so viel Überlegung eingegangen war, nunmehr auf ein bloßes Gerücht aufzugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":955,"orig":"Er ſprach ihnen Muth ein, und ſeine Gründe waren männlich und überzeugend.","norm":"Er sprach ihnen Mut ein, und seine Gründe waren männlich und überzeugend."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":956,"orig":"Noch, ſagte er, iſt es nichts als ein Gerücht, und wie viele entſtehen dergleichen im Kriege!","norm":"Noch, sagte er, ist es nichts als ein Gerücht, und wie viele entstehen dergleichen im Kriege!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":957,"orig":"Verſtändige Leute ſagen, daß der Fall höchſt unwahrſcheinlich, ja beynah unmöglich ſey.","norm":"Verständige Leute sagen, dass der Fall höchst unwahrscheinlich, ja beinahe unmöglich sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":958,"orig":"Sollten wir uns in einer ſo wichtigen Sache bloß durch ein ſo ungewiſſes Gerede beſtimmen laſſen?","norm":"Sollten wir uns in einer so wichtigen Sache bloß durch ein so ungewisses Gerede bestimmen lassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":959,"orig":"Die Route, welche uns der Herr Graf angegeben hat, auf die unſer Paß lautet, iſt die kürzeſte, und wir finden auf ſelbiger den beſten Weg.","norm":"Die Route, welche uns der Herr Graf angegeben hat, auf die unser Pass lautet, ist die kürzeste, und wir finden auf selbiger den besten Weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":960,"orig":"Sie führt uns nach der Stadt, wo ihr Bekanntſchaften, Freunde vor euch ſeht, und eine gute Aufnahme zu hoffen habt.","norm":"Sie führt uns nach der Stadt, wo ihr Bekanntschaften, Freunde vor euch seht, und eine gute Aufnahme zu hoffen habt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":961,"orig":"Der Umweg bringt uns auch dahin; aber in welche ſchlimme Wege verwickelt er uns, wie weit führt er uns ab.","norm":"Der Umweg bringt uns auch dahin; aber in welche schlimme Wege verwickelt er uns, wie weit führt er uns ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":962,"orig":"Können wir Hoffnung haben, uns in der ſpäten Jahrszeit wieder heraus zu finden, und was für Zeit und Geld werden wir indeſſen verſplittern!","norm":"Können wir Hoffnung haben, uns in der späten Jahrszeit wieder herauszufinden, und was für Zeit und Geld werden wir indessen versplittern!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":963,"orig":"Er ſagte noch viel, und trug die Sache von ſo mancherley vortheilhaften Seiten vor, daß ihre Furcht ſich verringerte, und ihr Muth zunahm.","norm":"Er sagte noch viel, und trug die Sache von so mancherlei vorteilhaften Seiten vor, dass ihre Furcht sich verringerte, und ihr Mut zunahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":964,"orig":"Er wußte ihnen ſo viel von der Mannszucht der regelmäßigen Truppen vorzuſagen, und ihnen die Marodeurs und das hergelaufene Geſindel ſo nichtswürdig zu ſchildern, und ſelbſt die Gefahr ſo lieblich und luſtig darzuſtellen, daß alle Gemüther aufgeheitert wurden.","norm":"Er wusste ihnen so viel von der Mannszucht der regelmäßigen Truppen vorzusagen, und ihnen die Marodeurs und das hergelaufene Gesindel so nichtswürdig zu schildern, und selbst die Gefahr so lieblich und lustig darzustellen, dass alle Gemüter aufgeheitert wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":965,"orig":"Laertes war vom erſten Moment an auf ſeiner Seite, und verſicherte, daß er nicht wanken noch weichen wolle.","norm":"Laertes war vom ersten Moment an auf seiner Seite, und versicherte, dass er nicht wanken noch weichen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":966,"orig":"Der alte Polterer fand wenigſtens einige übereinſtimmende Ausdrücke in ſeiner Manier, Philine lachte ſie alle zuſammen aus, und da Madam Melina, die, ihrer hohen Schwangerſchaft ungeachtet, ihre natürliche Herzhaftigkeit nicht verloren hatte, den Vorſchlag heroiſch fand; ſo konnte Melina, der denn freylich auf dem nächſten Wege, auf den er accordirt hatte, viel zu ſparen hofte, nicht widerſtehen, und man willigte in den Vorſchlag von ganzem Herzen.","norm":"Der alte Polterer fand wenigstens einige übereinstimmende Ausdrücke in seiner Manier, Philine lachte sie alle zusammen aus, und da Madame Melina, die, ihrer hohen Schwangerschaft ungeachtet, ihre natürliche Herzhaftigkeit nicht verloren hatte, den Vorschlag heroisch fand; so konnte Melina, der denn freilich auf dem nächsten Wege, auf den er akkordiert hatte, viel zu sparen hoffte, nicht widerstehen, und man willigte in den Vorschlag von ganzem Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":967,"orig":"Nun fing man an, ſich auf alle Fälle zur Vertheidigung einzurichten.","norm":"Nun fing man an, sich auf alle Fälle zur Verteidigung einzurichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":968,"orig":"Man kaufte große Hirſchfänger, und hing ſie an wohlgeſtickten Riemen über die Schultern.","norm":"Man kaufte große Hirschfänger, und hing sie an wohlgestickten Riemen über die Schultern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":969,"orig":"Wilhelm ſteckte noch überdieß ein Paar Terzerole in den Gürtel, Laertes hatte ohnedem eine gute Flinte bey ſich, und man machte ſich mit einer hohen Freudigkeit auf den Weg.","norm":"Wilhelm steckte noch überdies ein Paar Terzerole in den Gürtel, Laertes hatte ohnedem eine gute Flinte bei sich, und man machte sich mit einer hohen Freudigkeit auf den Weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":970,"orig":"Den zweyten Tag ſchlugen die Fuhrleute, die der Gegend wohl kundig waren, vor: ſie wollten auf einem waldigen Bergplatze Mittagsruhe halten, weil das Dorf weit abgelegen ſey, und man bey guten Tagen gern dieſen Weg nähme.","norm":"Den zweiten Tag schlugen die Fuhrleute, die der Gegend wohl kundig waren, vor: Sie wollten auf einem waldigen Bergplatze Mittagsruhe halten, weil das Dorf weit abgelegen sei, und man bei guten Tagen gern diesen Weg nähme."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":971,"orig":"Die Witterung war ſchön und jedermann ſtimmte leicht in den Vorſchlag ein.","norm":"Die Witterung war schön und jedermann stimmte leicht in den Vorschlag ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":972,"orig":"Wilhelm eilte zu Fuß durch das Gebirge voraus, und über ſeine ſonderbare Geſtalt mußte jeder, der ihm begegnete, ſtutzig werden.","norm":"Wilhelm eilte zu Fuß durch das Gebirge voraus, und über seine sonderbare Gestalt musste jeder, der ihm begegnete, stutzig werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":973,"orig":"Er eilte mit ſchnellen und zufriedenen Schritten den Wald hinauf, Laertes pfiff hinter ihm drein, nur die Frauen ließen ſich in den Wagen fortſchleppen.","norm":"Er eilte mit schnellen und zufriedenen Schritten den Wald hinauf, Laertes pfiff hinter ihm drein, nur die Frauen ließen sich in den Wagen fortschleppen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":974,"orig":"Mignon lief gleichfalls nebenher, ſtolz auf den Hirſchfänger, den man ihr, als die Geſellſchaft ſich bewaffnete, nicht abſchlagen konnte.","norm":"Mignon lief gleichfalls nebenher, stolz auf den Hirschfänger, den man ihr, als die Gesellschaft sich bewaffnete, nicht abschlagen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":975,"orig":"Um ihren Hut hatte ſie die Perlenſchnur gewunden, die Wilhelm von Marianens Reliquien übrig behalten hatte.","norm":"Um ihren Hut hatte sie die Perlenschnur gewunden, die Wilhelm von Marianes Reliquien übrig behalten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":976,"orig":"Friedrich der Blonde trug die Flinte des Laertes, der Harfner hatte das friedlichſte Anſehen.","norm":"Friedrich der Blonde trug die Flinte des Laertes, der Harfner hatte das friedlichste Ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":977,"orig":"Sein langes Kleid war in den Gürtel geſteckt, und ſo ging er freyer.","norm":"Sein langes Kleid war in den Gürtel gesteckt, und so ging er freier."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":978,"orig":"Er ſtützte ſich auf einen knotigen Stab, ſein Inſtrument war bey den Wagen zurück geblieben.","norm":"Er stützte sich auf einen knotigen Stab, sein Instrument war bei den Wagen zurückgeblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":979,"orig":"Nachdem ſie nicht ganz ohne Beſchwerlichkeit die Höhe erſtiegen, erkannten ſie ſogleich den angezeigten Platz an den ſchönen Buchen, die ihn umgaben und bedeckten.","norm":"Nachdem sie nicht ganz ohne Beschwerlichkeit die Höhe erstiegen, erkannten sie sogleich den angezeigten Platz an den schönen Buchen, die ihn umgaben und bedeckten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":980,"orig":"Eine große ſanft-abhängige Waldwieſe lud zum Bleiben ein; eine eingefaßte Quelle bot die lieblichſte Erquickung dar, und es zeigte ſich an der andern Seite durch Schluchten und Waldrücken eine ferne, ſchöne und hoffnungsvolle Ausſicht.","norm":"Eine große abhängige Waldwiese lud zum Bleiben ein; eine eingefasste Quelle bot die lieblichste Erquickung dar, und es zeigte sich an der anderen Seite durch Schluchten und Waldrücken eine ferne, schöne und hoffnungsvolle Aussicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":981,"orig":"Da lagen Dörfer und Mühlen in den Gründen, Städtchen in der Ebene, und neue in der Ferne eintretende Berge machten die Ausſicht noch hoffnungsvoller, indem ſie nur wie eine ſanfte Beſchränkung hereintraten.","norm":"Da lagen Dörfer und Mühlen in den Gründen, Städtchen in der Ebene, und neue in der Ferne eintretende Berge machten die Aussicht noch hoffnungsvoller, indem sie nur wie eine sanfte Beschränkung hereintraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":982,"orig":"Die erſten Ankommenden nahmen Beſitz von der Gegend, ruhten im Schatten aus, machten ein Feuer an, und erwarteten geſchäftig, ſingend die übrige Geſellſchaft, welche nach und nach herbey kam, und den Platz, das ſchöne Wetter, die unausſprechlich ſchöne Gegend mit Einem Munde begrüßte.","norm":"Die ersten Ankommenden nahmen Besitz von der Gegend, ruhten im Schatten aus, machten ein Feuer an, und erwarteten geschäftig, singend die übrige Gesellschaft, welche nach und nach herbeikam, und den Platz, das schöne Wetter, die unaussprechlich schöne Gegend mit einem Munde begrüßte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":983,"orig":"Hatte man oft zwiſchen vier Wänden gute und fröhliche Stunden zuſammen genoſſen; ſo war man natürlich, noch viel aufgeweckter hier, wo die Freyheit des Himmels und die Schönheit der Gegend jedes Gemüth zu reinigen ſchien.","norm":"Hatte man oft zwischen vier Wänden gute und fröhliche Stunden zusammen genossen; so war man natürlich, noch viel aufgeweckter hier, wo die Freiheit des Himmels und die Schönheit der Gegend jedes Gemüt zu reinigen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":984,"orig":"Alle fühlten ſich einander näher, alle wünſchten in einem ſo angenehmen Aufenthalt ihr ganzes Leben hinzubringen.","norm":"Alle fühlten sich einander näher, alle wünschten in einem so angenehmen Aufenthalt ihr ganzes Leben hinzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":985,"orig":"Man beneidete die Jäger, Köhler und Holzhauer, Leute, die ihr Beruf an dieſen glücklichen Wohnplätzen feſt hält; über alles aber pries man die reizende Wirthſchaft eines Zigeunerhaufens.","norm":"Man beneidete die Jäger, Köhler und Holzhauer, Leute, die ihr Beruf an diesen glücklichen Wohnplätzen festhält; über alles aber pries man die reizende Wirtschaft eines Zigeunerhaufens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":986,"orig":"Man beneidete dieſe wunderlichen Geſellen, die in ſeeligem Müßiggange alle abentheuerlichen Reize der Natur zu genießen berechtigt ſind; man freute ſich, ihnen einigermaßen ähnlich zu ſeyn.","norm":"Man beneidete diese wunderlichen Gesellen, die in seligem Müßiggange alle abenteuerlichen Reize der Natur zu genießen berechtigt sind; man freute sich, ihnen einigermaßen ähnlich zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":987,"orig":"Indeſſen hatten die Frauen angefangen, Erdäpfel zu ſieden, und die mitgebrachten Speiſen auszupacken und zu bereiten.","norm":"Indessen hatten die Frauen angefangen, Erdäpfel zu sieden, und die mitgebrachten Speisen auszupacken und zu bereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":988,"orig":"Einige Töpfe ſtanden beym Feuer, gruppenweiſe lagerte ſich die Geſellſchaft unter den Bäumen und Büſchen.","norm":"Einige Töpfe standen beim Feuer, gruppenweise lagerte sich die Gesellschaft unter den Bäumen und Büschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":989,"orig":"Ihre ſeltſame Kleidungen und die mancherley Waffen gaben ihr ein fremdes Anſehen.","norm":"Ihre seltsame Kleidungen und die mancherlei Waffen gaben ihr ein fremdes Ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":990,"orig":"Die Pferde wurden bey Seite gefüttert, und wenn man die Kutſchen hätte verſtecken wollen, ſo wäre der Anblick dieſer kleinen Horde bis zur Illuſion romantiſch geweſen.","norm":"Die Pferde wurden beiseite gefüttert, und wenn man die Kutschen hätte verstecken wollen, so wäre der Anblick dieser kleinen Horde bis zur Illusion romantisch gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":991,"orig":"Wilhelm genoß ein nie gefühltes Vergnügen.","norm":"Wilhelm genoss ein nie gefühltes Vergnügen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":992,"orig":"Er konnte hier eine wandernde Colonie und ſich als Anführer derſelben denken.","norm":"Er konnte hier eine wandernde Kolonie und sich als Anführer derselben denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":993,"orig":"In dieſem Sinne unterhielt er ſich mit einem jeden, und bildete den Wahn des Moments ſo poetiſch als möglich aus.","norm":"In diesem Sinne unterhielt er sich mit einem jeden, und bildete den Wahn des Moments so poetisch als möglich aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":994,"orig":"Die Gefühle der Geſellſchaft erhöhten ſich; man aß, trank und jubilirte, und bekannte wiederholt, niemals ſchönere Augenblicke erlebt zu haben.","norm":"Die Gefühle der Gesellschaft erhöhten sich; man aß, trank und jubilierte, und bekannte wiederholt, niemals schönere Augenblicke erlebt zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":995,"orig":"Nicht lange hatte das Vergnügen zugenommen, als bey den jungen Leuten die Thätigkeit erwachte.","norm":"Nicht lange hatte das Vergnügen zugenommen, als bei den jungen Leuten die Tätigkeit erwachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":996,"orig":"Wilhelm und Laertes griffen zu den Rappieren, und fingen dießmal in theatraliſcher Abſicht ihre Übungen an.","norm":"Wilhelm und Laertes griffen zu den Rapieren, und fingen diesmal in theatralischer Absicht ihre Übungen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":997,"orig":"Sie wollten den Zweykampf darſtellen, in welchem Hamlet und ſein Gegner ein ſo tragiſches Ende nehmen.","norm":"Sie wollten den Zweikampf darstellen, in welchem Hamlet und sein Gegner ein so tragisches Ende nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":998,"orig":"Beide Freunde waren überzeugt, daß man in dieſer wichtigen Scene nicht, wie es wohl auf Theatern zu geſchehen pflegt, nur ungeſchickt hin und wieder ſtoßen dürfe; ſie hofften ein Muſter darzuſtellen, wie man, bey der Aufführung, auch dem Kenner der Fechtkunſt ein würdiges Schauſpiel zu geben habe.","norm":"Beide Freunde waren überzeugt, dass man in dieser wichtigen Szene nicht, wie es wohl auf Theatern zu geschehen pflegt, nur ungeschickt hin und wieder stoßen dürfe; sie hofften ein Muster darzustellen, wie man, bei der Aufführung, auch dem Kenner der Fechtkunst ein würdiges Schauspiel zu geben habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":999,"orig":"Man ſchloß einen Kreis um ſie her; beide fochten mit Eifer und Einſicht, das Intereſſe der Zuſchauer wuchs mit jedem Gange.","norm":"Man schloss einen Kreis um sie her; beide fochten mit Eifer und Einsicht, das Interesse der Zuschauer wuchs mit jedem Gange."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1000,"orig":"Auf einmal aber fiel im nächſten Buſche ein Schuß, und gleich darauf noch einer, und die Geſellſchaft fuhr erſchreckt auseinander.","norm":"Auf einmal aber fiel im nächsten Busche ein Schuss, und gleich darauf noch einer, und die Gesellschaft fuhr erschreckt auseinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1001,"orig":"Bald erblickte man bewaffnete Leute, die auf den Ort zudrangen, wo die Pferde nicht weit von den bepackten Kutſchen ihr Futter einnahmen.","norm":"Bald erblickte man bewaffnete Leute, die auf den Ort zudrangen, wo die Pferde nicht weit von den bepackten Kutschen ihr Futter einnahmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1002,"orig":"Ein allgemeiner Schrey entfuhr dem weiblichen Geſchlechte, unſre Helden warfen die Rappiere weg, griffen nach den Piſtolen, eilten den Räubern entgegen, und forderten, unter lebhaften Drohungen, Rechenſchaft des Unternehmens.","norm":"Ein allgemeiner Schrei entfuhr dem weiblichen Geschlecht, unsere Helden warfen die Rapiere weg, griffen nach den Pistolen, eilten den Räubern entgegen, und forderten, unter lebhaften Drohungen, Rechenschaft des Unternehmens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1003,"orig":"Als man ihnen lakoniſch mit ein Paar Musketenſchüſſen antwortete, druckte Wilhelm ſeine Piſtole auf einen Krauskopf ab, der den Wagen erſtiegen hatte, und die Stricke des Gepäckes auseinander ſchnitt.","norm":"Als man ihnen lakonisch mit ein paar Musketenschüssen antwortete, drückte Wilhelm seine Pistole auf einen Krauskopf ab, der den Wagen erstiegen hatte, und die Stricke des Gepäckes auseinanderschnitt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1004,"orig":"Wohlgetroffen ſtürzte er ſogleich herunter;","norm":"Wohlgetroffen stürzte er sogleich herunter;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1005,"orig":"Laertes hatte auch nicht fehl geſchoſſen, und beide Freunde zogen beherzt ihre Seitengewehre, als ein Theil der räuberiſchen Bande, mit Fluchen und Gebrüll, auf ſie losbrach, einige Schüſſe auf ſie that, und ſich mit blinkenden Säbeln ihrer Kühnheit entgegen ſetzte.","norm":"Laertes hatte auch nicht fehlgeschossen, und beide Freunde zogen beherzt ihre Seitengewehre, als ein Teil der räuberischen Bande, mit Fluchen und Gebrüll, auf sie losbrach, einige Schüsse auf sie tat, und sich mit blinkenden Säbeln ihrer Kühnheit entgegensetzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1006,"orig":"Unſre junge Helden hielten ſich tapfer; ſie riefen ihren übrigen Geſellen zu, und munterten ſie zu einer allgemeinen Vertheidigung auf.","norm":"Unsere junge Helden hielten sich tapfer; sie riefen ihren übrigen Gesellen zu, und munterten sie zu einer allgemeinen Verteidigung auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1007,"orig":"Bald aber verlor Wilhelm den Anblick des Lichtes, und das Bewußtſeyn deſſen, was vorging.","norm":"Bald aber verlor Wilhelm den Anblick des Lichtes, und das Bewusstsein dessen, was vorging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1008,"orig":"Von einem Schuß, der ihn zwiſchen der Bruſt und dem linken Arm verwundete, von einem Hiebe, der ihm den Hut ſpaltete, und faſt bis auf die Hirnſchale durchdrang, betäubt, fiel er nieder, und mußte das unglückliche Ende des Überfalls nur erſt in der Folge aus der Erzählung vernehmen.","norm":"Von einem Schuss, der ihn zwischen der Brust und dem linken Arm verwundete, von einem Hiebe, der ihm den Hut spaltete, und fast bis auf die Hirnschale durchdrang, betäubt, fiel er nieder, und musste das unglückliche Ende des Überfalls nur erst in der Folge aus der Erzählung vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1009,"orig":"Als er die Augen wieder aufſchlug, befand er ſich in der wunderbarſten Lage.","norm":"Als er die Augen wieder aufschlug, befand er sich in der wunderbarsten Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1010,"orig":"Das erſte, was ihm durch die Dämmerung, die noch vor ſeinen Augen lag, entgegen blickte, war das Geſicht Philinens, das ſich über das ſeine herüber neigte.","norm":"Das Erste, was ihm durch die Dämmerung, die noch vor seinen Augen lag, entgegenblickte, war das Gesicht Philines, das sich über das seine herüberneigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1011,"orig":"Er fühlte ſich ſchwach, und da er, um ſich empor zu richten, eine Bewegung machte, fand er ſich in Philinens Schooß, in den er auch wieder zurück ſank.","norm":"Er fühlte sich schwach, und da er, um sich emporzurichten, eine Bewegung machte, fand er sich in Philines Schoß, in den er auch wieder zurücksank."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1012,"orig":"Sie ſaß auf dem Raſen, hatte den Kopf des vor ihr ausgeſtreckten Jünglings leiſe an ſich gedrückt, und ihm in ihren Armen, ſo viel ſie konnte, ein ſanftes Lager bereitet.","norm":"Sie saß auf dem Rasen, hatte den Kopf des vor ihr ausgestreckten Jünglings leise an sich gedrückt, und ihm in ihren Armen, soviel sie konnte, ein sanftes Lager bereitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1013,"orig":"Mignon kniete mit zerſtreuten blutigen Haaren an ſeinen Füßen, und umfaßte ſie mit vielen Thränen.","norm":"Mignon kniete mit zerstreuten blutigen Haaren an seinen Füßen, und umfasste sie mit vielen Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1014,"orig":"Als Wilhelm ſeine blutigen Kleider anſah, fragte er mit gebrochner Stimme, wo er ſich befinde?","norm":"Als Wilhelm seine blutigen Kleider ansah, fragte er mit gebrochener Stimme, wo er sich befinde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1015,"orig":"was ihm und den andern begegnet ſey?","norm":"was ihm und den anderen begegnet sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1016,"orig":"Philine bat ihn, ruhig zu bleiben, die übrigen, ſagte ſie, ſeyen alle in Sicherheit, und niemand als er und Laertes verwundet.","norm":"Philine bat ihn, ruhig zu bleiben, die übrigen, sagte sie, seien alle in Sicherheit, und niemand als er und Laertes verwundet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1017,"orig":"Weiter wollte ſie nichts erzählen, und bat ihn inſtändig, er möchte ſich ruhig halten, weil ſeine Wunden nur ſchlecht und in der Eile verbunden ſeyen.","norm":"Weiter wollte sie nichts erzählen, und bat ihn inständig, er möchte sich ruhig halten, weil seine Wunden nur schlecht und in der Eile verbunden seien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1018,"orig":"Er reichte Mignon die Hand, und erkundigte ſich nach der Urſache der blutigen Locken des Kindes, das er auch verwundet hielt.","norm":"Er reichte Mignon die Hand, und erkundigte sich nach der Ursache der blutigen Locken des Kindes, das er auch verwundet hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1019,"orig":"Um ihn zu beruhigen, erzählte Philine: dieſes gutherzige Geſchöpf, da es ſeinen Freund verwundet geſehen, habe ſich in der Geſchwindigkeit auf nichts beſonnen, um das Blut zu ſtillen, es habe ſeine eigenen Haare die um den Kopf geflogen, genommen, um die Wunden zu ſtopfen, habe aber bald von dem vergeblichen Unternehmen abſtehen müſſen.","norm":"Um ihn zu beruhigen, erzählte Philine: dieses gutherzige Geschöpf, da es seinen Freund verwundet gesehen, habe sich in der Geschwindigkeit auf nichts besonnen, um das Blut zu stillen, es habe seine eigenen Haare die um den Kopf geflogen, genommen, um die Wunden zu stopfen, habe aber bald von dem vergeblichen Unternehmen abstehen müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1020,"orig":"Nachher verband man ihn mit Schwamm und Moos, Philine hatte dazu ihr Halstuch hergegeben.","norm":"Nachher verband man ihn mit Schwamm und Moos, Philine hatte dazu ihr Halstuch hergegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1021,"orig":"Wilhelm bemerkte, daß Philine mit dem Rücken gegen ihren Koffer ſaß, der noch ganz wohl verſchloſſen und unbeſchädigt ausſah.","norm":"Wilhelm bemerkte, dass Philine mit dem Rücken gegen ihren Koffer saß, der noch ganz wohl verschlossen und unbeschädigt aussah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1022,"orig":"Er fragte, ob die andern auch ſo glücklich geweſen, ihre Haabſeligkeiten zu retten?","norm":"Er fragte, ob die anderen auch so glücklich gewesen, ihre Habseligkeiten zu retten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1023,"orig":"Sie antwortete mit Achſelzucken und einem Blick auf die Wieſe, wo zerbrochne Kaſten, zerſchlagne Koffer, zerſchnittne Mantelſäcke und eine Menge kleiner Geräthſchaften zerſtreut hin und wieder lagen.","norm":"Sie antwortete mit Achselzucken und einem Blick auf die Wiese, wo zerbrochene Kasten, zerschlagene Koffer, zerschnittene Mantelsäcke und eine Menge kleiner Gerätschaften zerstreut hin und wieder lagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1024,"orig":"Kein Menſch war auf dem Platze zu ſehen, und die wunderliche Gruppe fand ſich in dieſer Einſamkeit allein.","norm":"Kein Mensch war auf dem Platze zu sehen, und die wunderliche Gruppe fand sich in dieser Einsamkeit allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1025,"orig":"Wilhelm erfuhr nun immer mehr als er wiſſen wollte: die übrigen Männer, die allenfalls noch Widerſtand hätten thun können, waren gleich in Schrecken geſetzt und bald überwältigt; ein Theil floh, ein Theil ſah mit Entſetzen dem Unfalle zu.","norm":"Wilhelm erfuhr nun immer mehr als er wissen wollte: die übrigen Männer, die allenfalls noch Widerstand hätten tun können, waren gleich in Schrecken gesetzt und bald überwältigt; ein Teil floh, ein Teil sah mit Entsetzen dem Unfalle zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1026,"orig":"Die Fuhrleute, die ſich noch wegen ihrer Pferde am hartnäckigſten gehalten hatten, wurden niedergeworfen und gebunden, und in kurzem war alles rein ausgeplündert und weggeſchleppt.","norm":"Die Fuhrleute, die sich noch wegen ihrer Pferde am hartnäckigsten gehalten hatten, wurden niedergeworfen und gebunden, und in kurzem war alles rein ausgeplündert und weggeschleppt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1027,"orig":"Die beängſtigten Reiſenden fingen, ſobald die Sorge für ihr Leben vorüber war, ihren Verluſt zu bejammern an, eilten, mit möglichſter Geſchwindigkeit, dem benachbarten Dorfe zu, führten den leicht verwundeten Laertes mit ſich, und brachten nur wenige Trümmer ihrer Beſitzthümer davon.","norm":"Die beängstigten Reisenden fingen, sobald die Sorge für ihr Leben vorüber war, ihren Verlust zu bejammern an, eilten, mit möglichster Geschwindigkeit, dem benachbarten Dorfe zu, führten den leichtverwundeten Laertes mit sich, und brachten nur wenige Trümmer ihrer Besitztümer davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1028,"orig":"Der Harfner hatte ſein beſchädigtes Inſtrument an einen Baum gelehnt, und war mit nach dem Orte geeilt, einen Wundarzt aufzuſuchen, und ſeinem für todt zurück gelaſſenen Wohlthäter nach Möglichkeit beyzuſpringen.","norm":"Der Harfner hatte sein beschädigtes Instrument an einen Baum gelehnt, und war mit nach dem Orte geeilt, einen Wundarzt aufzusuchen, und seinem für tot zurückgelassenen Wohltäter nach Möglichkeit beizuspringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1029,"orig":"Unſre drey verunglückten Abenteurer blieben indeß noch eine Zeitlang in ihrer ſeltſamen Lage, niemand eilte ihnen zu Hülfe.","norm":"Unsere drei verunglückten Abenteurer blieben indes noch eine Zeitlang in ihrer seltsamen Lage, niemand eilte ihnen zu Hilfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1030,"orig":"Der Abend kam herbey, die Nacht drohte hereinzubrechen;","norm":"Der Abend kam herbei, die Nacht drohte hereinzubrechen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1031,"orig":"Philinens Gleichgültigkeit fing an in Unruhe überzugehen, Mignon lief hin und wieder, und die Ungeduld des Kindes nahm mit jedem Augenblicke zu.","norm":"Philines Gleichgültigkeit fing an in Unruhe überzugehen, Mignon lief hin und wider, und die Ungeduld des Kindes nahm mit jedem Augenblicke zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1032,"orig":"Endlich da ihnen ihr Wunſch gewährt ward, und Menſchen ſich ihnen näherten, überfiel ſie ein neuer Schrecken.","norm":"Endlich da ihnen ihr Wunsch gewährt wurde, und Menschen sich ihnen näherten, überfiel sie ein neuer Schrecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1033,"orig":"Sie hörten ganz deutlich einen Trupp Pferde in dem Wege herauf kommen, den auch ſie zurück gelegt hatten, und fürchteten, daß abermals eine Geſellſchaft ungebetner Gäſte dieſen Wahlplatz beſuchen möchte, um Nachleſe zu halten.","norm":"Sie hörten ganz deutlich einen Trupp Pferde in dem Wege heraufkommen, den auch sie zurückgelegt hatten, und fürchteten, dass abermals eine Gesellschaft ungebetener Gäste diesen Wahlplatz besuchen möchte, um Nachlese zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1034,"orig":"Wie angenehm wurden ſie dagegen überraſcht, als ihnen aus den Büſchen, auf einem Schimmel reitend, ein Frauenzimmer zu Geſichte kam, die von einem ältlichen Herrn und einigen Cavalieren begleitet wurde;","norm":"Wie angenehm wurden sie dagegen überrascht, als ihnen aus den Büschen, auf einem Schimmel reitend, ein Frauenzimmer zu Gesichte kam, die von einem ältlichen Herrn und einigen Kavalieren begleitet wurde;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1035,"orig":"Reitknechte, Bedienten und ein Trupp Huſaren folgten nach.","norm":"Reitknechte, bedienten und ein Trupp Husaren folgten nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1036,"orig":"Philine, die zu dieſer Erſcheinung große Augen machte, war eben im Begriff zu rufen und die ſchöne Amazone um Hülfe anzuflehen, als dieſe ſchon erſtaunt ihre Augen nach der wunderbaren Gruppe wendete, ſogleich ihr Pferd lenkte, herzuritt und ſtille hielt.","norm":"Philine, die zu dieser Erscheinung große Augen machte, war eben im Begriff zu rufen und die schöne Amazone um Hilfe anzuflehen, als diese schon erstaunt ihre Augen nach der wunderbaren Gruppe wendete, sogleich ihr Pferd lenkte, herzuritt und stille hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1037,"orig":"Sie erkundigte ſich eifrig nach dem Verwundeten, deſſen Lage, in dem Schooße der leichtfertigen Samariterin, ihr höchſt ſonderbar vorzukommen ſchien.","norm":"Sie erkundigte sich eifrig nach dem Verwundeten, dessen Lage, in dem Schoß der leichtfertigen Samariterin, ihr höchst sonderbar vorzukommen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1038,"orig":"Iſt es Ihr Mann?","norm":"Ist es Ihr Mann?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1039,"orig":"fragte ſie Philinen.","norm":"fragte sie Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1040,"orig":"Es iſt nur ein guter Freund, verſetzte dieſe mit einem Ton, der Wilhelmen höchſt zuwider war.","norm":"Es ist nur ein guter Freund, versetzte diese mit einem Ton, der Wilhelm höchst zuwider war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1041,"orig":"Er hatte ſeine Augen auf die ſanften, hohen, ſtillen, theilnehmenden Geſichtszüge der Ankommenden geheftet; er glaubte nie etwas edleres noch liebenswürdigeres geſehen zu haben.","norm":"Er hatte seine Augen auf die sanften, hohen, stillen, teilnehmenden Gesichtszüge der Ankommenden geheftet; er glaubte nie etwas Edleres noch liebenswürdigeres gesehen zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1042,"orig":"Ein weiter Mannsüberrock verbarg ihm ihre Geſtalt; ſie hatte ihn, wie es ſchien, gegen die Einflüſſe der kühlen Abendluft von einem ihrer Geſellſchafter geborgt.","norm":"Ein weiter Mannsüberrock verbarg ihm ihre Gestalt; sie hatte ihn, wie es schien, gegen die Einflüsse der kühlen Abendluft von einem ihrer Gesellschafter geborgt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1043,"orig":"Die Ritter waren indeß auch näher gekommen; einige ſtiegen ab, die Dame that ein gleiches, und fragte, mit menſchenfreundlicher Theilnehmung, nach allen Umſtänden des Unfalls, der die Reiſenden betroffen hatte, beſonders aber nach den Wunden des hingeſtreckten Jünglings.","norm":"Die Ritter waren indes auch näher gekommen; einige stiegen ab, die Dame tat ein Gleiches, und fragte, mit menschenfreundlicher Teilnehmung, nach allen Umständen des Unfalls, der die Reisenden betroffen hatte, besonders aber nach den Wunden des hingestreckten Jünglings."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1044,"orig":"Darauf wandte ſie ſich ſchnell um, und ging mit einem alten Herrn ſeitwärts nach den Wagen, welche langſam den Berg herauf kamen, und auf dem Wahlplatze ſtille hielten.","norm":"Darauf wandte sie sich schnell um, und ging mit einem alten Herrn seitwärts nach den Wagen, welche langsam den Berg heraufkamen, und auf dem Wahlplatze stille hielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1045,"orig":"Nachdem die junge Dame eine kurze Zeit am Schlage der einen Kutſche geſtanden, und ſich mit den Ankommenden unterhalten hatte, ſtieg ein Mann von unterſetzter Geſtalt heraus, den ſie zu unſerm verwundeten Helden führte.","norm":"Nachdem die junge Dame eine kurze Zeit am Schlage der einen Kutsche gestanden, und sich mit den Ankommenden unterhalten hatte, stieg ein Mann von untersetzter Gestalt heraus, den sie zu unserem verwundeten Helden führte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1046,"orig":"An dem Käſtchen, das er in der Hand hatte, und an der ledernen Taſche mit Inſtrumenten erkannte man ihn bald für einen Wundarzt.","norm":"An dem Kästchen, das er in der Hand hatte, und an der ledernen Tasche mit Instrumenten erkannte man ihn bald für einen Wundarzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1047,"orig":"Seine Manieren waren mehr rauh als einnehmend, doch ſeine Hand leicht, und ſeine Hülfe willkommen.","norm":"Seine Manieren waren mehr rau als einnehmend, doch seine Hand leicht, und seine Hilfe willkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1048,"orig":"Er unterſuchte genau, erklärte, keine Wunde ſey gefährlich, er wolle ſie auf der Stelle verbinden, alsdann könne man den Kranken in das nächſte Dorf bringen.","norm":"Er untersuchte genau, erklärte, keine Wunde sei gefährlich, er wolle sie auf der Stelle verbinden, alsdann könne man den Kranken in das nächste Dorf bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1049,"orig":"Die Beſorgniſſe der jungen Dame ſchienen ſich zu vermehren.","norm":"Die Besorgnisse der jungen Dame schienen sich zu vermehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1050,"orig":"Sehen Sie nur, ſagte ſie, nachdem ſie einigemal hin und hergegangen war, und den alten Herrn wieder herbey führte, ſehn Sie, wie man ihn zugerichtet hat!","norm":"Sehen Sie nur, sagte sie, nachdem sie einige Mal hin und hergegangen war, und den alten Herrn wieder herbeiführte, sehen Sie, wie man ihn zugerichtet hat!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1051,"orig":"Und leidet er nicht um unſertwillen?","norm":"Und leidet er nicht um unsertwillen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1052,"orig":"Wilhelm hörte dieſe Worte, und verſtand ſie nicht.","norm":"Wilhelm hörte diese Worte, und verstand sie nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1053,"orig":"Sie ging unruhig hin und wieder; es ſchien, als könnte ſie ſich nicht von dem Anblick des Verwundeten losreiſſen, und als fürchtete ſie zugleich den Wohlſtand zu verletzen, wenn ſie ſtehen bliebe, zu der Zeit, da man ihn, wiewohl mit Mühe, zu entkleiden anfing.","norm":"Sie ging unruhig hin und wider; es schien, als könnte sie sich nicht von dem Anblick des Verwundeten losreißen, und als fürchtete sie zugleich den Wohlstand zu verletzen, wenn sie stehenbliebe, zu der Zeit, da man ihn, wiewohl mit Mühe, zu entkleiden anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1054,"orig":"Der Chirurgus ſchnitt, eben den linken Ermel auf, als der alte Herr hinzutrat und ihr, mit einem ernſthaften Tone, die Nothwendigkeit ihre Reiſe fortzuſetzen vorſtellte.","norm":"Der Chirurg schnitt, eben den linken Ärmel auf, als der alte Herr hinzutrat und ihr, mit einem ernsthaften Tone, die Notwendigkeit ihre Reise fortzusetzen vorstellte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1055,"orig":"Wilhelm hatte ſeine Augen auf ſie gerichtet, und war von ihren Blicken ſo eingenommen, daß er kaum fühlte, was mit ihm vorging.","norm":"Wilhelm hatte seine Augen auf sie gerichtet, und war von ihren Blicken so eingenommen, dass er kaum fühlte, was mit ihm vorging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1056,"orig":"Philine war indeſſen aufgeſtanden, um der gnädigen Dame die Hand zu küſſen.","norm":"Philine war indessen aufgestanden, um der gnädigen Dame die Hand zu küssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1057,"orig":"Als ſie neben einander ſtanden, glaubte unſer Freund nie einen ſolchen Abſtand geſehn zu haben.","norm":"Als sie nebeneinander standen, glaubte unser Freund nie einen solchen Abstand gesehen zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1058,"orig":"Philine war ihm noch nie in einem ſo ungünſtigen Lichte erſchienen.","norm":"Philine war ihm noch nie in einem so ungünstigen Lichte erschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1059,"orig":"Sie ſollte, wie es ihm vorkam, ſich jener edlen Natur nicht nahen, noch weniger ſie berühren.","norm":"Sie sollte, wie es ihm vorkam, sich jener edlen Natur nicht nahen, noch weniger sie berühren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1060,"orig":"Die Dame fragte Philinen verſchiednes, aber leiſe.","norm":"Die Dame fragte Philine verschiedenes, aber leise."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1061,"orig":"Endlich kehrte ſie ſich zu dem alten Herrn, der noch immer trocken dabey ſtand, und ſagte: lieber Oheim, darf ich auf Ihre Koſten freygebig ſeyn?","norm":"Endlich kehrte sie sich zu dem alten Herrn, der noch immer trocken dabei stand, und sagte: Lieber Oheim, darf ich auf Ihre Kosten freigebig sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1062,"orig":"Sie zog ſogleich den Überrock aus, und ihre Abſicht, ihn dem Verwundeten und Unbekleideten hinzugeben, war nicht zu verkennen.","norm":"Sie zog sogleich den Überrock aus, und ihre Absicht, ihn dem Verwundeten und Unbekleideten hinzugeben, war nicht zu verkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1063,"orig":"Wilhelm, den der heilſame Blick ihrer Augen bisher feſt gehalten hatte, war nun, als der Überrock fiel, von ihrer ſchönen Geſtalt überraſcht.","norm":"Wilhelm, den der heilsame Blick ihrer Augen bisher festgehalten hatte, war nun, als der Überrock fiel, von ihrer schönen Gestalt überrascht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1064,"orig":"Sie trat näher herzu, und legte den Rock ſanft über ihn hin.","norm":"Sie trat näher herzu, und legte den Rock sanft über ihn hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1065,"orig":"In dieſem Augenblicke, da er den Mund öffnen und einige Worte des Dankes ſtammeln wollte, wirkte der lebhafte Eindruck ihrer","norm":"In diesem Augenblicke, da er den Mund öffnen und einige Worte des Dankes stammeln wollte, wirkte der lebhafte Eindruck ihrer"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1066,"orig":"Gegenwart ſo ſonderbar auf ſeine ſchon angegriffenen Sinne, daß es ihm auf einmal vorkam, als ſey ihr Haupt mit Strahlen umgeben, und über ihr ganzes Bild verbreite ſich nach und nach ein glänzendes Licht.","norm":"Gegenwart so sonderbar auf seine schon angegriffenen Sinne, dass es ihm auf einmal vorkam, als sei ihr Haupt mit Strahlen umgeben, und über ihr ganzes Bild verbreite sich nach und nach ein glänzendes Licht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1067,"orig":"Der Chirurgus berührte ihn eben unſanfter, indem er die Kugel, welche in der Wunde ſtack, herauszuziehen Anſtalt machte.","norm":"Der Chirurg berührte ihn eben unsanfter, indem er die Kugel, welche in der Wunde steckte, herauszuziehen Anstalt machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1068,"orig":"Die Heilige verſchwand vor den Augen des Hinſinkenden; er verlor alles Bewußtſeyn, und als er wieder zu ſich kam, waren Reiter und Wagen, die Schöne ſammt ihren Begleitern verſchwunden.","norm":"Die Heilige verschwand vor den Augen des Hinsinkenden; er verlor alles Bewusstsein, und als er wieder zu sich kam, waren Reiter und Wagen, die Schöne samt ihren Begleitern verschwunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1069,"orig":"Nachdem unſer Freund verbunden und angekleidet war, eilte der Chirurgus weg, eben als der Harfenſpieler mit einer Anzahl Bauern herauf kam.","norm":"Nachdem unser Freund verbunden und angekleidet war, eilte der Chirurg weg, eben als der Harfenspieler mit einer Anzahl Bauern heraufkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1070,"orig":"Sie bereiteten eilig aus abgehauenen Äſten und eingeflochtnem Reiſig eine Trage, luden den Verwundeten drauf und brachten ihn unter Anführung eines reitenden Jägers, den die Herrſchaft zurück gelaſſen hatte, ſachte den Berg hinunter.","norm":"Sie bereiteten eilig aus abgehauenen Ästen und eingeflochtenem Reisig eine Trage, luden den Verwundeten darauf und brachten ihn unter Anführung eines reitenden Jägers, den die Herrschaft zurückgelassen hatte, sachte den Berg hinunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1071,"orig":"Der Harfner, ſtill und in ſich gekehrt, trug ſein beſchädigtes Inſtrument, einige Leute ſchleppten Philinens Koffer, ſie ſchlenderte mit einem Bündel nach, Mignon ſprang bald voraus, bald zur Seite durch Buſch und Wald, und blickte ſehnlich nach ihrem kranken Beſchützer hinüber.","norm":"Der Harfner, still und in sich gekehrt, trug sein beschädigtes Instrument, einige Leute schleppten Philines Koffer, sie schlenderte mit einem Bündel nach, Mignon sprang bald voraus, bald zur Seite durch Busch und Wald, und blickte sehnlich nach ihrem kranken Beschützer hinüber."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1072,"orig":"Dieſer lag, in ſeinen warmen Üeberrock gehüllt, ruhig auf der Bahre.","norm":"Dieser lag, in seinen warmen Überrock gehüllt, ruhig auf der Bahre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1073,"orig":"Eine elektriſche Wärme ſchien aus der feinen Wolle in ſeinen Körper überzugehen; genug er fühlte ſich in die behaglichſte Empfindung verſetzt.","norm":"Eine elektrische Wärme schien aus der feinen Wolle in seinen Körper überzugehen; genug er fühlte sich in die behaglichste Empfindung versetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1074,"orig":"Die ſchöne Beſitzerin des Kleides hatte mächtig auf ihn gewirkt.","norm":"Die schöne Besitzerin des Kleides hatte mächtig auf ihn gewirkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1075,"orig":"Er ſah noch den Rock von ihren Schultern fallen, die edelſte Geſtalt, von Strahlen umgeben, vor ſich ſtehen, und ſeine Seele eilte der Verſchwundnen durch Felſen und Wälder auf dem Fuße nach.","norm":"Er sah noch den Rock von ihren Schultern fallen, die edelste Gestalt, von Strahlen umgeben, vor sich stehen, und seine Seele eilte der Verschwundenen durch Felsen und Wälder auf dem Fuße nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1076,"orig":"Nur mit ſinkender Nacht kam der Zug im Dorfe vor dem Wirthshauſe an, in welchem ſich die übrige Geſellſchaft befand, und verzweiflungsvoll den unerſetzlichen Verluſt beklagte.","norm":"Nur mit sinkender Nacht kam der Zug im Dorfe vor dem Wirtshause an, in welchem sich die übrige Gesellschaft befand, und verzweiflungsvoll den unersetzlichen Verlust beklagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1077,"orig":"Die einzige kleine Stube des Hauſes war von Menſchen vollgepfropft; einige lagen auf der Streue, andere hatten die Bänke eingenommen; einige ſich hinter den Ofen gedruckt, und Frau Melina erwartete, in einer benachbarten Kammer, ängſtlich ihre Niederkunft.","norm":"Die einzige kleine Stube des Hauses war von Menschen vollgepfropft; einige lagen auf der Streue, andere hatten die Bänke eingenommen; einige sich hinter den Ofen gedruckt, und Frau Melina erwartete, in einer benachbarten Kammer, ängstlich ihre Niederkunft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1078,"orig":"Der Schrecken hatte ſie beſchleunigt, und unter dem Beyſtande der Wirthin, einer jungen, unerfahrnen Frau, konnte man wenig Gutes erwarten.","norm":"Der Schrecken hatte sie beschleunigt, und unter dem Beistande der Wirtin, einer jungen, unerfahrenen Frau, konnte man wenig Gutes erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1079,"orig":"Als die neuen Ankömmlinge herein gelaſſen zu werden verlangten, entſtand ein allgemeines Murren.","norm":"Als die neuen Ankömmlinge hereingelassen zu werden verlangten, entstand ein allgemeines Murren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1080,"orig":"Man behauptete nun, daß man allein auf Wilhelms Rath unter ſeiner beſondern Anführung dieſen gefährlichen Weg unternommen, und ſich dieſem Unfall ausgeſetzt habe.","norm":"Man behauptete nun, dass man allein auf Wilhelms Rat unter seiner besonderen Anführung diesen gefährlichen Weg unternommen, und sich diesem Unfall ausgesetzt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1081,"orig":"Man warf die Schuld des übeln Ausgangs auf ihn, widerſetzte ſich an der Thüre ſeinem Eintritt, und behauptete: er müſſe anderswo unterzukommen ſuchen.","norm":"Man warf die Schuld des üblen Ausgangs auf ihn, widersetzte sich an der Türe seinem Eintritt, und behauptete: Er müsse anderswo unterzukommen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1082,"orig":"Philinen begegnete man noch ſchnöder, der Harfenſpieler und Mignon mußten auch das ihrige leiden.","norm":"Philine begegnete man noch schnöder, der Harfenspieler und Mignon mussten auch das Ihrige leiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1083,"orig":"Nicht lange hörte der Jäger, dem die Vorſorge für die Verlaßnen von ſeiner ſchönen Herrſchaft ernſtlich anbefohlen war, dem Streite mit Geduld zu; er fuhr mit Fluchen und Drohen auf die Geſellſchaft los, gebot ihnen zuſammen zu rücken, und den Ankommenden Platz zu machen.","norm":"Nicht lange hörte der Jäger, dem die Vorsorge für die Verlassenen von seiner schönen Herrschaft ernstlich anbefohlen war, dem Streite mit Geduld zu; er fuhr mit Fluchen und Drohen auf die Gesellschaft los, gebot ihnen zusammenzurücken, und den ankommenden Platz zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1084,"orig":"Man fing an ſich zu bequemen.","norm":"Man fing an sich zu bequemen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1085,"orig":"Er bereitete Wilhelmen einen Platz auf einem Tiſche, den er in eine Ecke ſchob;","norm":"Er bereitete Wilhelm einen Platz auf einem Tische, den er in eine Ecke schob;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1086,"orig":"Philine ließ ihren Koffer darneben ſtellen, und ſetzte ſich drauf.","norm":"Philine ließ ihren Koffer danebenstellen, und setzte sich drauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1087,"orig":"Jeder druckte ſich ſo gut er konnte, und der Jäger begab ſich weg, um zu ſehen, ob er nicht ein bequemeres Quartier für das Ehepaar ausmachen könne.","norm":"Jeder druckte sich so gut er konnte, und der Jäger begab sich weg, um zu sehen, ob er nicht ein bequemeres Quartier für das Ehepaar ausmachen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1088,"orig":"Kaum war er fort, als der Unwille wieder laut zu werden anfing, und ein Vorwurf den andern drängte.","norm":"Kaum war er fort, als der Unwille wieder laut zu werden anfing, und ein Vorwurf den anderen drängte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1089,"orig":"Jedermann erzählte und erhöhte ſeinen Verluſt, man ſchalt die Verwegenheit, durch die man ſo vieles eingebüßt, man verhehlte ſogar die Schadenfreude nicht, die man über die Wunden unſers Freundes empfand, man verhöhnte Philinen, und wollte ihr die Art und Weiſe, wie ſie ihren Koffer gerettet, zum Verbrechen machen.","norm":"Jedermann erzählte und erhöhte seinen Verlust, man schalt die Verwegenheit, durch die man so vieles eingebüßt, man verhehlte sogar die Schadenfreude nicht, die man über die Wunden unseres Freundes empfand, man verhöhnte Philine, und wollte ihr die Art und Weise, wie sie ihren Koffer gerettet, zum Verbrechen machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1090,"orig":"Aus allerley Anzüglichkeiten und Stichelreden hätte man ſchließen ſollen, ſie habe ſich während der Plünderung und Niederlage um die Gunſt des Anführers der Bande bemüht, und habe ihn, wer weiß durch welche Künſte und Gefälligkeiten, vermocht, ihren Koffer frey zu geben.","norm":"Aus allerlei Anzüglichkeiten und Stichelreden hätte man schließen sollen, sie habe sich während der Plünderung und Niederlage um die Gunst des Anführers der Bande bemüht, und habe ihn, wer weiß durch welche Künste und Gefälligkeiten, vermocht, ihren Koffer freizugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1091,"orig":"Man wollte ſie eine ganze Weile vermißt haben.","norm":"Man wollte sie eine ganze Weile vermisst haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1092,"orig":"Sie antwortete nichts und klapperte nur mit den großen Schlöſſern ihres Koffers, um ihre Neider recht von ſeiner Gegenwart zu überzeugen, und die Verzweiflung des Haufens durch ihr eignes Glück zu vermehren.","norm":"Sie antwortete nichts und klapperte nur mit den großen Schlössern ihres Koffers, um ihre Neider recht von seiner Gegenwart zu überzeugen, und die Verzweiflung des Haufens durch ihr eigenes Glück zu vermehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1093,"orig":"Wilhelm, ob er gleich durch den ſtarken Verluſt des Blutes ſchwach und nach der Erſcheinung jenes hülfreichen Engels mild und ſanft geworden war, konnte ſich doch zuletzt des Verdruſſes über die harten und ungerechten Reden nicht enthalten, welche bey ſeinem Stillſchweigen von der unzufriednen Geſellſchaft immer erneuert wurden.","norm":"Wilhelm, ob er gleich durch den starken Verlust des Blutes schwach und nach der Erscheinung jenes hilfreichen Engels mild und sanft geworden war, konnte sich doch zuletzt des Verdrusses über die harten und ungerechten Reden nicht enthalten, welche bei seinem Stillschweigen von der unzufriedenen Gesellschaft immer erneuert wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1094,"orig":"Endlich fühlte er ſich geſtärkt genug, um ſich aufzurichten, und ihnen die Unart vorzuſtellen, mit der ſie ihren Freund und Führer beunruhigten.","norm":"Endlich fühlte er sich gestärkt genug, um sich aufzurichten, und ihnen die Unart vorzustellen, mit der sie ihren Freund und Führer beunruhigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1095,"orig":"Er hob ſein verbundnes Haupt in die Höhe, und fing, indem er ſich mit einiger Mühe ſtützte und gegen die Wand lehnte, folgendergeſtalt zu reden an: Ich vergebe dem Schmerze, den jeder über ſeinen Verluſt empfindet, daß ihr mich in einem Augenblicke beleidigt, wo ihr mich beklagen ſolltet, daß ihr mir widerſteht und mich von euch ſtoßt, das erſtemal da ich Hülfe von euch erwarten könnte.","norm":"Er hob sein verbundenes Haupt in die Höhe, und fing, indem er sich mit einiger Mühe stützte und gegen die Wand lehnte, folgendergestalt zu reden an: Ich vergebe dem Schmerze, den jeder über seinen Verlust empfindet, dass ihr mich in einem Augenblicke beleidigt, wo ihr mich beklagen solltet, dass ihr mir widersteht und mich von euch stoßt, das erste Mal da ich Hilfe von euch erwarten könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1096,"orig":"Für die Dienſte, die ich euch erzeigte, für die Gefälligkeiten, die ich euch erwies, habe ich mich durch euren Dank, durch euer freundſchaftliches Betragen bisher genugſam belohnt gefunden; verleitet mich nicht, zwingt mein Gemüth nicht zurückzugehn und zu überdenken, was ich für euch gethan habe; dieſe Berechnuug würde mir nur peinlich werden.","norm":"Für die Dienste, die ich euch erzeigte, für die Gefälligkeiten, die ich euch erwies, habe ich mich durch euren Dank, durch euer freundschaftliches Betragen bisher genugsam belohnt gefunden; verleitet mich nicht, zwingt mein Gemüt nicht zurückzugehen und zu überdenken, was ich für euch getan habe; diese Berechnung würde mir nur peinlich werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1097,"orig":"Der Zufall hat mich zu euch geführt, Umſtände und eine heimliche Neigung haben mich bey euch gehalten.","norm":"Der Zufall hat mich zu euch geführt, Umstände und eine heimliche Neigung haben mich bei euch gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1098,"orig":"Ich nahm an euren Arbeiten, an euren Vergnügungen Theil; meine wenigen Kenntniſſe waren zu eurem Dienſte.","norm":"Ich nahm an euren Arbeiten, an euren Vergnügungen Teil; meine wenigen Kenntnisse waren zu eurem Dienste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1099,"orig":"Gebt ihr mir jetzt auf eine bittre Weiſe den Unfall Schuld, der uns betroffen hat; ſo erinnert ihr euch nicht, daß der erſte Vorſchlag dieſen Weg zu nehmen, von fremden Leuten kam, von euch allen geprüft worden, und ſo gut von jedem als von mir gebilligt worden iſt.","norm":"Gebt ihr mir jetzt auf eine bittere Weise den Unfall Schuld, der uns betroffen hat; so erinnert ihr euch nicht, dass der erste Vorschlag diesen Weg zu nehmen, von fremden Leuten kam, von euch allen geprüft worden, und so gut von jedem als von mir gebilligt worden ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1100,"orig":"Wäre unſre Reiſe glücklich vollbracht, ſo würde ſich jeder wegen des guten Einfalls loben, daß er dieſen Weg angerathen, daß er ihn vorgezogen, er würde ſich unſrer Überlegungen und ſeines ausgeübten Stimmrechts mit Freuden erinnern; jetzo macht ihr mich allein verantwortlich, ihr zwingt mir eine Schuld auf, die ich willig übernehmen wollte, wenn mich das reinſte Bewußtſeyn nicht frey ſpräche, ja wenn ich mich nicht auf euch ſelbſt berufen könnte.","norm":"Wäre unsere Reise glücklich vollbracht, so würde sich jeder wegen des guten Einfalls loben, dass er diesen Weg angeraten, dass er ihn vorgezogen, er würde sich unserer Überlegungen und seines ausgeübten Stimmrechts mit Freuden erinnern; jetzt macht ihr mich allein verantwortlich, ihr zwingt mir eine Schuld auf, die ich willig übernehmen wollte, wenn mich das reinste Bewusstsein nicht freispräche, ja wenn ich mich nicht auf euch selbst berufen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1101,"orig":"Habt ihr gegen mich etwas zu ſagen, ſo bringt es ordentlich vor, und ich werde mich zu vertheidigen wiſſen; habt ihr nichts Gegründetes anzugeben, ſo ſchweigt, und quält mich nicht, jetzt da ich der Ruhe ſo äuſſerſt bedürftig bin.","norm":"Habt ihr gegen mich etwas zu sagen, so bringt es ordentlich vor, und ich werde mich zu verteidigen wissen; habt ihr nichts Gegründetes anzugeben, so schweigt, und quält mich nicht, jetzt da ich der Ruhe so äußerst bedürftig bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1102,"orig":"Statt aller Antwort fingen die Mädchen abermals zu weinen und ihren Verluſt umſtändlich zu erzählen an.","norm":"Statt aller Antwort fingen die Mädchen abermals zu weinen und ihren Verlust umständlich zu erzählen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1103,"orig":"Melina war ganz auſſer Faſſung: denn er hatte freylich am meiſten und mehr als wir denken können eingebüßt.","norm":"Melina war ganz außer Fassung: denn er hatte freilich am meisten und mehr als wir denken können eingebüßt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1104,"orig":"Wie ein Raſender ſtolperte er in dem engen Raume hin und her, ſtieß den Kopf wider die Wand, fluchte und ſchalt auf das unziemlichſte; und da nun gar zu gleicher Zeit die aus der Kammer trat, mit der Nachricht, daß ſeine Frau mit einem todten Kinde niedergekommen, erlaubte er ſich die heftigſten Auſbrüche, und einſtimmig mit ihm heulte, ſchrie, brummte und lermte alles durcheinander.","norm":"Wie ein Rasender stolperte er in dem engen Raum hin und her, stieß den Kopf wider die Wand, fluchte und schalt auf das unziemlichste; und da nun gar zu gleicher Zeit die aus der Kammer trat, mit der Nachricht, dass seine Frau mit einem toten Kinde niedergekommen, erlaubte er sich die heftigsten Ausbrüche, und einstimmig mit ihm heulte, schrie, brummte und lärmte alles durcheinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1105,"orig":"Wilhelm, der zugleich von mitleidiger Theilnehmung an ihrem Zuſtande und von Verdruß über ihre niedrige Geſinnung bis in ſein Innerſtes bewegt war, fühlte ohnerachtet der Schwäche ſeines Körpers die ganze Kraft ſeiner Seele lebendig.","norm":"Wilhelm, der zugleich von mitleidiger Teilnehmung an ihrem Zustande und von Verdruss über ihre niedrige Gesinnung bis in sein Innerstes bewegt war, fühlte unerachtet der Schwäche seines Körpers die ganze Kraft seiner Seele lebendig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1106,"orig":"Faſt, rief er aus, muß ich euch verachten, ſo beklagenswerth ihr auch ſeyn mögt.","norm":"Fast, rief er aus, muss ich euch verachten, so beklagenswert ihr auch sein mögt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1107,"orig":"Kein Unglück berechtigt uns, einen Unſchuldigen mit Vorwürfen zu beladen; habe ich Theil an dieſem falſchen Schritte, ſo büße ich auch mein Theil.","norm":"Kein Unglück berechtigt uns, einen Unschuldigen mit Vorwürfen zu beladen; habe ich Teil an diesem falschen Schritte, so büße ich auch mein Teil."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1108,"orig":"Ich liege verwundet hier, und wenn die Geſellſchaft verloren hat, ſo verliere ich das meiſte.","norm":"Ich liege verwundet hier, und wenn die Gesellschaft verloren hat, so verliere ich das meiste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1109,"orig":"Was an Garderobe geraubt worden, was an Dekorationen zu Grunde gegangen, war mein; denn Sie, Herr Melina, haben mich noch nicht bezahlt, und ich ſpreche Sie von dieſer Forderung hiermit völlig frey.","norm":"Was an Garderobe geraubt worden, was an Dekorationen zugrunde gegangen, war mein; denn Sie, Herr Melina, haben mich noch nicht bezahlt, und ich spreche Sie von dieser Forderung hiermit völlig frei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1110,"orig":"Sie haben gut ſchenken, rief Melina, was niemand wiederſehen wird.","norm":"Sie haben gut schenken, rief Melina, was niemand wiedersehen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1111,"orig":"Ihr Geld lag in meiner Frauen Koffer, und es iſt Ihre Schuld, daß es Ihnen verloren geht.","norm":"Ihr Geld lag in meiner Frauen Koffer, und es ist Ihre Schuld, dass es Ihnen verlorengeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1112,"orig":"Aber o!","norm":"Aber o!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1113,"orig":"wenn das alles wäre!","norm":"wenn das alles wäre!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1114,"orig":"— Er fing aufs neue zu ſtampfen, zu ſchimpfen und zu ſchreyen an.","norm":"— Er fing aufs neue zu stampfen, zu schimpfen und zu schreien an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1115,"orig":"Jedermann erinnerte ſich der ſchönen Kleider aus der Garderobe des Grafen, der Schnallen, Uhren, Doſen, Hüte, welche Melina von dem Kammerdiener ſo glücklich gehandelt hatte.","norm":"Jedermann erinnerte sich der schönen Kleider aus der Garderobe des Grafen, der Schnallen, Uhren, Dosen, Hüte, welche Melina von dem Kammerdiener so glücklich gehandelt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1116,"orig":"Jedem fielen ſeine eigenen, obgleich viel geringeren Schätze dabey wieder ins Gedächtniß; man blickte mit Verdruß auf Philinens Koffer, man gab Wilhelmen zu verſtehen, er habe wahrlich nicht übel gethan, ſich mit dieſer Schönen zu aſſociiren, und durch ihr Glück auch ſeine Habſeligkeiten zu retten.","norm":"Jedem fielen seine eigenen, obgleich viel geringeren Schätze dabei wieder ins Gedächtnis; man blickte mit Verdruss auf Philines Koffer, man gab Wilhelm zu verstehen, er habe wahrlich nicht übel getan, sich mit dieser Schönen zu assoziieren, und durch ihr Glück auch seine Habseligkeiten zu retten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1117,"orig":"Glaubt ihr denn, rief er endlich aus, daß ich etwas Eignes haben werde, ſo lange ihr darbt, und iſt es wohl das erſtemal, daß ich in der Noth mit euch redlich theile?","norm":"Glaubt ihr denn, rief er endlich aus, dass ich etwas Eigenes haben werde, solange ihr darbt, und ist es wohl das erste Mal, dass ich in der Not mit euch redlich Teile?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1118,"orig":"Man öffne den Koffer, und was mein iſt, will ich zum öffentlichen Bedürfniß niederlegen.","norm":"Man öffne den Koffer, und was mein ist, will ich zum öffentlichen Bedürfnis niederlegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1119,"orig":"Es iſt mein Koffer, ſagte Philine, und ich werde ihn nicht eher aufmachen, bis es mir beliebt.","norm":"Es ist mein Koffer, sagte Philine, und ich werde ihn nicht eher aufmachen, bis es mir beliebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1120,"orig":"Ihre Paar Fittige, die ich Ihnen aufgehoben, können wenig betragen, und wenn ſie an die redlichſten Juden verkauft werden.","norm":"Ihre Paar Fittiche, die ich Ihnen aufgehoben, können wenig betragen, und wenn sie an die redlichsten Juden verkauft werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1121,"orig":"Denken Sie an ſich, was Ihre Heilung koſten, was Ihnen in einem fremden Lande begegnen kann.","norm":"Denken Sie an sich, was Ihre Heilung kosten, was Ihnen in einem fremden Lande begegnen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1122,"orig":"Sie werden mir, Philine, verſetzte Wilhelm, nichts vorenthalten, was mein iſt, und das wenige wird uns aus der erſten Verlegenheit retten.","norm":"Sie werden mir, Philine, versetzte Wilhelm, nichts vorenthalten, was mein ist, und das wenige wird uns aus der ersten Verlegenheit retten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1123,"orig":"Allein der Menſch beſitzt noch manches, womit er ſeinen Freunden beyſtehen kann, das eben nicht klingende Münze zu ſeyn braucht.","norm":"Allein der Mensch besitzt noch manches, womit er seinen Freunden beistehen kann, das eben nicht klingende Münze zu sein braucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1124,"orig":"Alles was in mir iſt, ſoll dieſen Unglücklichen gewidmet ſeyn, die gewis, wenn ſie wieder zu ſich ſelbſt kommen, ihr gegenwärtiges Betragen bereuen werden.","norm":"Alles was in mir ist, soll diesen Unglücklichen gewidmet sein, die gewiss, wenn sie wieder zu sich selbst kommen, ihr gegenwärtiges Betragen bereuen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1125,"orig":"Ja, fuhr er fort, ich fühle daß ihr bedürft, und was ich vermag, will ich euch leiſten, ſchenkt mir euer Vertrauen aufs neue, beruhigt euch für dieſen Augenblick, nehmet an, was ich euch verſpreche!","norm":"Ja, fuhr er fort, ich fühle dass ihr bedürft, und was ich vermag, will ich euch leisten, schenkt mir euer Vertrauen aufs neue, beruhigt euch für diesen Augenblick, nehmet an, was ich euch verspreche!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1126,"orig":"Wer will die Zuſage im Namen aller von mir empfangen?","norm":"Wer will die Zusage im Namen aller von mir empfangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1127,"orig":"Hier reckte er ſeine Hand aus, und rief: ich verſpreche, daß ich nicht eher von euch weichen, euch nicht eher verlaſſen will, als bis ein jeder ſeinen Verluſt doppelt und dreyfach erſetzt ſieht, bis ihr den Zuſtand, in dem ihr euch, durch weſſen Schuld es wolle, befindet, völlig vergeſſen, und mit einem glücklichern vertauſcht habt.","norm":"Hier streckte er seine Hand aus, und rief: Ich verspreche, dass ich nicht eher von euch weichen, euch nicht eher verlassen will, als bis ein jeder seinen Verlust doppelt und dreifach ersetzt sieht, bis ihr den Zustand, in dem ihr euch, durch wessen Schuld es wolle, befindet, völlig vergessen, und mit einem glücklicheren vertauscht habt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1128,"orig":"Er hielt ſeine Hand noch immer ausgeſtreckt, und niemand wollte ſie faſſen.","norm":"Er hielt seine Hand noch immer ausgestreckt, und niemand wollte sie fassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1129,"orig":"Ich verſprech’ es noch einmal, rief er aus, indem er auf ſein Kiſſen zurück ſank.","norm":"Ich verspreche es noch einmal, rief er aus, indem er auf sein Kissen zurücksank."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1130,"orig":"Alle blieben ſtille; ſie waren beſchämt, aber nicht getröſtet, und Philine, auf ihrem Koffer ſitzend, knackte Nüſſe auf, die ſie in ihrer Taſche gefunden hatte.","norm":"Alle blieben stille; sie waren beschämt, aber nicht getröstet, und Philine, auf ihrem Koffer sitzend, knackte Nüsse auf, die sie in ihrer Tasche gefunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1131,"orig":"Der Jäger kam mit einigen Leuten zurück, und machte Anſtalt, den Verwundeten wegzuſchaffen.","norm":"Der Jäger kam mit einigen Leuten zurück, und machte Anstalt, den Verwundeten wegzuschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1132,"orig":"Er hatte den Pfarrer des Orts beredet, das Ehepaar aufzunehmen;","norm":"Er hatte den Pfarrer des Orts beredet, das Ehepaar aufzunehmen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1133,"orig":"Philinens Koffer ward fortgetragen, und ſie folgte mit natürlichem Anſtand.","norm":"Philines Koffer wurde fortgetragen, und sie folgte mit natürlichem Anstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1134,"orig":"Mignon lief voraus, und da der Kranke im Pfarrhaus ankam, ward ihm ein weites Ehebette, das ſchon lange Zeit als Gaſt – und Ehren-Bette bereit ſtand, eingegeben.","norm":"Mignon lief voraus, und da der Kranke im Pfarrhaus ankam, wurde ihm ein weites Ehebette, das schon lange Zeit als Gast – und Ehrenbette bereitstand, eingegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1135,"orig":"Hier bemerkte man erſt, daß die Wunde aufgegangen war und ſtark geblutet hatte.","norm":"Hier bemerkte man erst, dass die Wunde aufgegangen war und stark geblutet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1136,"orig":"Man mußte für einen neuen Verband ſorgen.","norm":"Man musste für einen neuen Verband Sorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1137,"orig":"Der Kranke verfiel in ein Fieber, Philine wartete ihn treulich, und als die Müdigkeit ſie übermeiſterte, löste ſie der Harfenſpieler ab;","norm":"Der Kranke verfiel in ein Fieber, Philine wartete ihn treulich, und als die Müdigkeit sie übermeisterte, löste sie der Harfenspieler ab;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1138,"orig":"Mignon war, mit dem feſten Vorſatz, zu wachen, in einer Ecke eingeſchlafen.","norm":"Mignon war, mit dem festen Vorsatz, zu wachen, in einer Ecke eingeschlafen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1139,"orig":"Des Morgens, als Wilhelm ſich ein wenig erholt hatte, erfuhr er von dem Jäger, daß die Herrſchaft, die ihnen geſtern zu Hülfe gekommen ſey, vor kurzem ihre Güter verlaſſen habe, um den Kriegsbewegungen auszuweichen, und ſich bis zum Frieden in einer ruhigern Gegend aufzuhalten.","norm":"Des Morgens, als Wilhelm sich ein wenig erholt hatte, erfuhr er von dem Jäger, dass die Herrschaft, die ihnen gestern zu Hilfe gekommen sei, vor kurzem ihre Güter verlassen habe, um den Kriegsbewegungen auszuweichen, und sich bis zum Frieden in einer ruhigeren Gegend aufzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1140,"orig":"Er nannte den ältlichen Herrn und ſeine Nichte, zeigte den Ort an, wohin ſie ſich zuerſt begeben, erklärte Wilhelmen, wie das Fräulein ihm eingebunden, für die Verlaßnen Sorge zu tragen.","norm":"Er nannte den ältlichen Herrn und seine Nichte, zeigte den Ort an, wohin sie sich zuerst begeben, erklärte Wilhelm, wie das Fräulein ihm eingebunden, für die verlassenen Sorge zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1141,"orig":"Der hereintretende Wundarzt unterbrach die lebhaften Dankſagungen, in welche ſich Wilhelm gegen den Jäger ergoß, machte eine umſtändliche Beſchreibung der Wunden, verſicherte, daß ſie leicht heilen würden, wenn der Patient ſich ruhig hielte und ſich abwartete.","norm":"Der hereintretende Wundarzt unterbrach die lebhaften Danksagungen, in welche sich Wilhelm gegen den Jäger ergoss, machte eine umständliche Beschreibung der Wunden, versicherte, dass sie leicht heilen würden, wenn der Patient sich ruhig hielte und sich abwartete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1142,"orig":"Nachdem der Jäger weggeritten war, erzählte Philine, daß er ihr einen Beutel mit zwanzig Louisd’oren zurück gelaſſen, daß er dem Geiſtlichen ein Douceur für die Wohnung gegeben, und die Curkoſten für den Chirurgus bey ihm niedergelegt habe.","norm":"Nachdem der Jäger weggeritten war, erzählte Philine, dass er ihr einen Beutel mit zwanzig Louisdorn zurückgelassen, dass er dem Geistlichen ein Douceur für die Wohnung gegeben, und die Kurkosten für den Chirurg bei ihm niedergelegt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1143,"orig":"Sie gelte durchaus für Wilhelms Frau, introduzire ſich ein für allemal bey ihm in dieſer Qualität, und werde nicht zugeben, daß er ſich nach einer andern Wartung umſehe.","norm":"Sie gelte durchaus für Wilhelms Frau, introduziere sich ein für allemal bei ihm in dieser Qualität, und werde nicht zugeben, dass er sich nach einer anderen Wartung umsehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1144,"orig":"Philine, ſagte Wilhelm, ich bin Ihnen bey dem Unfall, der uns begegnet iſt, ſchon manchen Dank ſchuldig worden, und ich wünſchte nicht, meine Verbindlichkeiten gegen Sie vermehrt zu ſehen.","norm":"Philine, sagte Wilhelm, ich bin Ihnen bei dem Unfall, der uns begegnet ist, schon manchen Dank schuldig geworden, und ich wünschte nicht, meine Verbindlichkeiten gegen Sie vermehrt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1145,"orig":"Ich bin unruhig, ſo lange Sie um mich ſind, denn ich weiß nichts, womit ich Ihnen die Mühe vergelten kann.","norm":"Ich bin unruhig, solange Sie um mich sind, denn ich weiß nichts, womit ich Ihnen die Mühe vergelten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1146,"orig":"Geben Sie mir meine Sachen, die Sie in Ihrem Koffer gerettet haben, heraus, ſchließen Sie ſich an die übrige Geſellſchaft an, ſuchen Sie ein ander Quartier, nehmen Sie meinen Dank und die goldne Uhr als eine kleine Erkenntlichkeit, nur verlaſſen Sie mich;","norm":"Geben Sie mir meine Sachen, die Sie in Ihrem Koffer gerettet haben, heraus, schließen Sie sich an die übrige Gesellschaft an, suchen Sie ein ander Quartier, nehmen Sie meinen Dank und die goldene Uhr als eine kleine Erkenntlichkeit, nur verlassen Sie mich;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1147,"orig":"Ihre Gegenwart beunruhigt mich mehr als Sie glauben.","norm":"Ihre Gegenwart beunruhigt mich mehr als Sie glauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1148,"orig":"Sie lachte ihm ins Geſicht, als er geendigt hatte.","norm":"Sie lachte ihm ins Gesicht, als er geendigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1149,"orig":"Du biſt ein Thor, ſagte ſie, du wirſt nicht klug werden.","norm":"Du bist ein Tor, sagte sie, du wirst nicht klug werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1150,"orig":"Ich weiß beſſer was dir gut iſt; ich werde bleiben; ich werde mich nicht von der Stelle rühren.","norm":"Ich weiß besser was dir gut ist; ich werde bleiben; ich werde mich nicht von der Stelle rühren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1151,"orig":"Auf den Dank der Männer habe ich niemals gerechnet, alſo auch auf deinen nicht; und wenn ich dich lieb habe, was geht’s dich an?","norm":"Auf den Dank der Männer habe ich niemals gerechnet, also auch auf deinen nicht; und wenn ich dich lieb habe, was geht es dich an?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1152,"orig":"Sie blieb, und hatte ſich bald bey dem Pfarrer und ſeiner Familie eingeſchmeichelt, indem ſie immer luſtig war, jedem etwas zu ſchenken, jedem nach dem Sinne zu reden wußte, und dabey immer that, was ſie wollte.","norm":"Sie blieb, und hatte sich bald bei dem Pfarrer und seiner Familie eingeschmeichelt, indem sie immer lustig war, jedem etwas zu schenken, jedem nach dem Sinne zu reden wusste, und dabei immer tat, was sie wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1153,"orig":"Wilhelm befand ſich nicht übel; der Chirurgus, ein unwiſſender, aber nicht ungeſchickter Menſch, ließ die Natur walten, und ſo war der Patient bald auf dem Wege der Beſſerung.","norm":"Wilhelm befand sich nicht übel; der Chirurg, ein unwissender, aber nicht ungeschickter Mensch, ließ die Natur walten, und so war der Patient bald auf dem Wege der Besserung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1154,"orig":"Sehnlich wünſchte dieſer ſich wieder hergeſtellt zu ſehen, um ſeine Plane, ſeine Wünſche eifrig verfolgen zu können.","norm":"Sehnlich wünschte dieser sich wiederhergestellt zu sehen, um seine Pläne, seine Wünsche eifrig verfolgen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1155,"orig":"Unaufhörlich rief er ſich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöſchlichen Eindruck auf ſein Gemüth gemacht hatte.","norm":"Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1156,"orig":"Er ſah die ſchöne Amazone reitend aus den Büſchen hervorkommen, ſie näherte ſich ihm, ſtieg ab, ging hin und wieder, und bemühte ſich um ſeinetwillen.","norm":"Er sah die schöne Amazone reitend aus den Büschen hervorkommen, sie näherte sich ihm, stieg ab, ging hin und wider, und bemühte sich um seinetwillen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1157,"orig":"Er ſah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Geſicht, ihre Geſtalt glänzend verſchwinden.","norm":"Er sah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Gesicht, ihre Gestalt glänzend verschwinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1158,"orig":"Alle ſeine Jugendträume knüpften ſich an dieſes Bild.","norm":"Alle seine Jugendträume knüpften sich an dieses Bild."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1159,"orig":"Er glaubte nunmehr die edle heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen geſehen zu haben; ihm fiel der kranke Königsſohn wieder ein, an deſſen Lager die ſchöne theilnehmende Prinzeſſin mit ſtiller Beſcheidenheit herantritt.","norm":"Er glaubte nunmehr die edle heldenmütige Chlorinde mit eigenen Augen gesehen zu haben; ihm fiel der kranke Königssohn wieder ein, an dessen Lager die schöne teilnehmende Prinzessin mit stiller Bescheidenheit herantritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1160,"orig":"Sollten nicht, ſagte er manchmal im Stillen zu ſich ſelbſt, uns in der Jugend wie im Schlafe, die Bilder zukünftiger Schickſale umſchweben, und unſerm unbefangenen Auge ahndungsvoll ſichtbar werden?","norm":"Sollten nicht, sagte er manchmal im Stillen zu sich selbst, uns in der Jugend wie im Schlafe, die Bilder zukünftiger Schicksale umschweben, und unserem unbefangenen Auge ahnungsvoll sichtbar werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1161,"orig":"ſollten die Keime deſſen, was uns begegnen wird, nicht ſchon von der Hand des Schickſals ausgeſtreut, ſollte nicht ein Vorgenuß der Früchte, die wir einſt zu brechen hoffen, möglich ſeyn?","norm":"Sollten die Keime dessen, was uns begegnen wird, nicht schon von der Hand des Schicksals ausgestreut, sollte nicht ein Vorgenuss der Früchte, die wir einst zu brechen hoffen, möglich sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1162,"orig":"Sein Krankenlager gab ihm Zeit jene Scene tauſendmal zu wiederholen.","norm":"Sein Krankenlager gab ihm Zeit jene Szene tausendmal zu wiederholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1163,"orig":"Tauſendmal rief er den Klang jener ſüßen Stimme zurück, und wie beneidete er Philinen, die jene hülfreiche Hand geküßt hatte.","norm":"Tausendmal rief er den Klang jener süßen Stimme zurück, und wie beneidete er Philine, die jene hilfreiche Hand geküsst hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1164,"orig":"Oft kam ihm die Geſchichte wie ein Traum vor, und er würde ſie für ein Mährchen gehalten haben, wenn nicht das Kleid zurück geblieben wäre, das ihm die Gewisheit der Erſcheinung verſicherte.","norm":"Oft kam ihm die Geschichte wie ein Traum vor, und er würde sie für ein Märchen gehalten haben, wenn nicht das Kleid zurückgeblieben wäre, das ihm die Gewissheit der Erscheinung versicherte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1165,"orig":"Mit der größten Sorgfalt für dieſes Gewand war das lebhafteſte Verlangen verbunden, ſich damit zu bekleiden.","norm":"Mit der größten Sorgfalt für dieses Gewand war das lebhafteste Verlangen verbunden, sich damit zu bekleiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1166,"orig":"Sobald er aufſtand, warf er es über, und ſorgte den ganzen Tag, es möchte durch einen Flecken, oder auf ſonſt eine Weiſe beſchädigt werden.","norm":"Sobald er aufstand, warf er es über, und sorgte den ganzen Tag, es möchte durch einen Flecken, oder auf sonst eine Weise beschädigt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1167,"orig":"Laertes beſuchte ſeinen Freund.","norm":"Laertes besuchte seinen Freund."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1168,"orig":"Er war bey jener lebhaften Scene im Wirthshauſe nicht gegenwärtig geweſen, denn er lag in einer obern Kammer.","norm":"Er war bei jener lebhaften Szene im Wirtshause nicht gegenwärtig gewesen, denn er lag in einer oberen Kammer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1169,"orig":"Über ſeinen Verluſt war er ſehr getröſtet, und half ſich mit ſeinem gewöhnlichen: was thuts?","norm":"Über seinen Verlust war er sehr getröstet, und half sich mit seinem gewöhnlichen: Was tut es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1170,"orig":"Er erzählte verſchiedne lächerliche Züge von der Geſellſchaft, beſonders gab er Frau Melina Schuld: ſie beweine den Verluſt ihrer Tochter nur deswegen, weil ſie nicht das altdeutſche Vergnügen haben könne, eine Mechtilde taufen zu laſſen.","norm":"Er erzählte verschiedene lächerliche Züge von der Gesellschaft, besonders gab er Frau Melina Schuld: Sie beweine den Verlust ihrer Tochter nur deswegen, weil sie nicht das altdeutsche Vergnügen haben könne, eine Mechtilde taufen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1171,"orig":"Was ihren Mann betreffe, ſo offenbare ſichs nun, daß er viel Geld bey ſich gehabt, und auch ſchon damals des Vorſchuſſes, den er Wilhelmen abgelockt, keinesweges bedurft habe.","norm":"Was ihren Mann betreffe, so offenbare sich es nun, dass er viel Geld bei sich gehabt, und auch schon damals des Vorschusses, den er Wilhelmen abgelockt, keineswegs bedurft habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1172,"orig":"Melina wolle nunmehr mit dem nächſten Poſtwagen abgehn, und werde von Wilhelmen ein Empfehlungsſchreiben an ſeinen Freund den Director Serlo verlangen, bey deſſen Geſellſchaft er, weil die eigne Unternehmung geſcheitert, nun unterzukommen hoffe.","norm":"Melina wolle nunmehr mit dem nächsten Postwagen abgehen, und werde von Wilhelmen ein Empfehlungsschreiben an seinen Freund den Direktor Serlo verlangen, bei dessen Gesellschaft er, weil die eigene Unternehmung gescheitert, nun unterzukommen hoffe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1173,"orig":"Mignon war einige Tage ſehr ſtill geweſen, und als man in ſie drang, geſtand ſie endlich, daß ihr rechter Arm verrenkt ſey.","norm":"Mignon war einige Tage sehr still gewesen, und als man in sie drang, gestand sie endlich, dass ihr rechter Arm verrenkt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1174,"orig":"Das haſt du deiner Verwegenheit zu danken, ſagte Philine, und erzählte: wie das Kind im Gefechte ſeinen Hirſchfänger gezogen, und als es ſeinen Freund in Gefahr geſehen, wacker auf die Freybeuter zugehauen habe.","norm":"Das hast du deiner Verwegenheit zu danken, sagte Philine, und erzählte: wie das Kind im Gefechte seinen Hirschfänger gezogen, und als es seinen Freund in Gefahr gesehen, wacker auf die Freibeuter zugehauen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1175,"orig":"Endlich ſey es beym Arme ergriffen und auf die Seite geſchleudert worden.","norm":"Endlich sei es beim Arme ergriffen und auf die Seite geschleudert worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1176,"orig":"Man ſchalt auf ſie, daß ſie das Übel nicht eher entdeckt habe, doch merkte man wohl, daß ſie ſich vor dem Chirurgus geſcheut, der ſie bisher immer für einen Knaben gehalten hatte.","norm":"Man schalt auf sie, dass sie das Übel nicht eher entdeckt habe, doch merkte man wohl, dass sie sich vor dem Chirurg gescheut, der sie bisher immer für einen Knaben gehalten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1177,"orig":"Man ſuchte das Übel zu heben, und ſie mußte den Arm in der Binde tragen.","norm":"Man suchte das Übel zu heben, und sie musste den Arm in der Binde tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1178,"orig":"Hierüber war ſie aufs neue empfindlich, weil ſie den beſten Theil der Pflege und Wartung ihres Freundes Philinen überlaſſen mußte, und die angenehme Sünderin zeigte ſich nur um deſto thätiger und aufmerkſamer.","norm":"Hierüber war sie aufs neue empfindlich, weil sie den besten Teil der Pflege und Wartung ihres Freundes Philine überlassen musste, und die angenehme Sünderin zeigte sich nur um desto tätiger und aufmerksamer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1179,"orig":"Eines Morgens als Wilhelm erwachte, fand er ſich mit ihr in einer ſonderbaren Nähe.","norm":"Eines Morgens als Wilhelm erwachte, fand er sich mit ihr in einer sonderbaren Nähe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1180,"orig":"Er war auf ſeinem weiten Lager in der Unruhe des Schlafs ganz an die hintere Seite gerutſcht.","norm":"Er war auf seinem weiten Lager in der Unruhe des Schlafs ganz an die hintere Seite gerutscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1181,"orig":"Philine lag queer über den vordern Theil hingeſtreckt; ſie ſchien auf dem Bette ſitzend und leſend eingeſchlafen zu ſeyn.","norm":"Philine lag quer über den vorderen Teil hingestreckt; sie schien auf dem Bette sitzend und lesend eingeschlafen zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1182,"orig":"Ein Buch war ihr aus der Hand gefallen, ſie war zurück und mit dem Kopf nah’ an ſeine Bruſt geſunken, über die ſich ihre blonden aufgelößten Haare in Wellen ausbreiteten.","norm":"Ein Buch war ihr aus der Hand gefallen, sie war zurück und mit dem Kopf nah an seine Brust gesunken, über die sich ihre blonden aufgelösten Haare in Wellen ausbreiteten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1183,"orig":"Die Unordnung des Schlafs erhöhte mehr als Kunſt und Vorſatz ihre Reize; eine kindiſche lächelnde Ruhe ſchwebte über ihrem Geſichte.","norm":"Die Unordnung des Schlafs erhöhte mehr als Kunst und Vorsatz ihre Reize; eine kindische lächelnde Ruhe schwebte über ihrem Gesichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1184,"orig":"Er ſah ſie eine Zeitlang an, und ſchien ſich ſelbſt über das Vergnügen zu tadeln, womit er ſie anſah, und wir wiſſen nicht, ob er ſeinen Zuſtand ſegnete oder tadelte, der ihm Ruhe und Mäßigung zur Pflicht machte.","norm":"Er sah sie eine Zeitlang an, und schien sich selbst über das Vergnügen zu tadeln, womit er sie ansah, und wir wissen nicht, ob er seinen Zustand segnete oder tadelte, der ihm Ruhe und Mäßigung zur Pflicht machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1185,"orig":"Er hatte ſie eine Zeitlang aufmerkſam betrachtet, als ſie ſich zu regen anfing.","norm":"Er hatte sie eine Zeitlang aufmerksam betrachtet, als sie sich zu regen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1186,"orig":"Er ſchloß die Augen ſachte zu, doch konnte er nicht unterlaſſen zu blinzen und nach ihr zu ſehen, als ſie ſich wieder zurecht putzte und wegging, nach dem Frühſtück zu fragen.","norm":"Er schloss die Augen sachte zu, doch konnte er nicht unterlassen zu blinzen und nach ihr zu sehen, als sie sich wieder zurechtputzte und wegging, nach dem Frühstück zu fragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1187,"orig":"Nach und nach hatten ſich nun die ſämmtlichen Schauſpieler bey Wilhelmen gemeldet, hatten Empfehlungsſchreiben und Reiſegeld mehr oder weniger unartig und ungeſtüm gefordert und immer mit Widerwillen Philinens erhalten.","norm":"Nach und nach hatten sich nun die sämtlichen Schauspieler bei Wilhelmen gemeldet, hatten Empfehlungsschreiben und Reisegeld mehr oder weniger unartig und ungestüm gefordert und immer mit Widerwillen Philines erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1188,"orig":"Vergebens ſtellte ſie ihrem Freunde vor, daß der Jäger auch dieſen Leuten eine anſehnliche Summe zurückgelaſſen, daß man ihn nur zum Beſten habe.","norm":"Vergebens stellte sie ihrem Freunde vor, dass der Jäger auch diesen Leuten eine ansehnliche Summe zurückgelassen, dass man ihn nur zum Besten habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1189,"orig":"Vielmehr kamen ſie darüber in einen lebhaften Zwiſt, und Wilhelm behauptete nunmehr ein für allemal, daß ſie ſich gleichfalls an die übrige Geſellſchaft anſchließen und ihr Glück bey Serlo verſuchen ſollte.","norm":"Vielmehr kamen sie darüber in einen lebhaften Zwist, und Wilhelm behauptete nunmehr ein für allemal, dass sie sich gleichfalls an die übrige Gesellschaft anschließen und ihr Glück bei Serlo versuchen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1190,"orig":"Nur einige Augenblicke verließ ſie ihr Gleichmuth, dann erholte ſie ſich ſchnell wieder, und rief: wenn ich nur meinen Blonden wieder hätte, ſo wollt’ ich mich um euch alle nichts kümmern.","norm":"Nur einige Augenblicke verließ sie ihr Gleichmut, dann erholte sie sich schnell wieder, und rief: Wenn ich nur meinen Blonden wieder hätte, so wollte ich mich um euch alle nichts kümmern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1191,"orig":"Sie meinte Friedrichen, der ſich vom Wahlplatze verloren und nicht wieder gezeigt hatte.","norm":"Sie meinte Friedrich, der sich vom Wahlplatze verloren und nicht wieder gezeigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1192,"orig":"Des andern Morgens brachte Mignon die Nachricht ans Bette: daß Philine in der Nacht abgereiſt ſey; im Nebenzimmer habe ſie alles, was ihm gehöre, ſehr ordentlich zuſammen gelegt.","norm":"Des anderen Morgens brachte Mignon die Nachricht ans Bette: dass Philine in der Nacht abgereist sei; im Nebenzimmer habe sie alles, was ihm gehöre, sehr ordentlich zusammengelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1193,"orig":"Er empfand ihre Abweſenheit; er hatte an ihr eine treue Wärterin, eine muntere Geſellſchafterin verloren; er war nicht mehr gewohnt allein zu ſeyn.","norm":"Er empfand ihre Abwesenheit; er hatte an ihr eine treue Wärterin, eine muntere Gesellschafterin verloren; er war nicht mehr gewohnt allein zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1194,"orig":"Allein Mignon füllte die Lücke bald wieder aus.","norm":"Allein Mignon füllte die Lücke bald wieder aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1195,"orig":"Seitdem jene leichtfertige Schöne in ihren freundlichen Bemühungen den Verwundeten umgab, hatte ſich die Kleine nach und nach zurück gezogen, und war ſtille für ſich geblieben; nun aber da ſie wieder freyes Feld gewann, trat ſie mit Aufmerkſamkeit und Liebe hervor, war eifrig ihm zu dienen, und munter ihn zu unterhalten.","norm":"Seitdem jene leichtfertige Schöne in ihren freundlichen Bemühungen den Verwundeten umgab, hatte sich die Kleine nach und nach zurückgezogen, und war stille für sich geblieben; nun aber da sie wieder freies Feld gewann, trat sie mit Aufmerksamkeit und Liebe hervor, war eifrig ihm zu dienen, und munter ihn zu unterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1196,"orig":"Mit lebhaften Schritten nahete er ſich der Beſſerung.","norm":"Mit lebhaften Schritten nahte er sich der Besserung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1197,"orig":"Er hoffte nun in wenig Tagen ſeine Reiſe antreten zu können.","norm":"Er hoffte nun in wenig Tagen seine Reise antreten zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1198,"orig":"Er wollte nicht etwa planlos ein ſchlenderndes Leben fortſetzen, ſondern zweckmäßige Schritte ſollten künftig ſeine Bahn bezeichnen.","norm":"Er wollte nicht etwa planlos ein schlenderndes Leben fortsetzen, sondern zweckmäßige Schritte sollten künftig seine Bahn bezeichnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1199,"orig":"Zuerſt wollte er die hülfreiche Herrſchaft aufſuchen, um ſeine Dankbarkeit an den Tag zu legen, alsdann zu ſeinem Freunde dem Director eilen, um für die verunglückte Geſellſchaft auf das beſte zu ſorgen, und zugleich die Handelsfreunde, an die er mit Addreſſen verſehen war, beſuchen, und die ihm aufgetragnen Geſchäfte verrichten.","norm":"Zuerst wollte er die hilfreiche Herrschaft aufsuchen, um seine Dankbarkeit an den Tag zu legen, alsdann zu seinem Freunde dem Direktor eilen, um für die verunglückte Gesellschaft auf das Beste zu Sorgen, und zugleich die Handelsfreunde, an die er mit Adressen versehen war, besuchen, und die ihm aufgetragenen Geschäfte verrichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1200,"orig":"Er machte ſich Hoffnung, daß ihm das Glück wie vorher auch künftig beyſtehen, und ihm Gelegenheit verſchaffen werde, durch eine glückliche Spekulation den Verluſt zu erſetzen, und die Lücke ſeiner Caſſe wieder auszufüllen.","norm":"Er machte sich Hoffnung, dass ihm das Glück wie vorher auch künftig beistehen, und ihm Gelegenheit verschaffen werde, durch eine glückliche Spekulation den Verlust zu ersetzen, und die Lücke seiner Kasse wieder auszufüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1201,"orig":"Das Verlangen, ſeine Retterin wieder zu ſehen, wuchs mit jedem Tage.","norm":"Das Verlangen, seine Retterin wiederzusehen, wuchs mit jedem Tage."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1202,"orig":"Um ſeine Reiſeroute zu beſtimmen, ging er mit dem Geiſtlichen zu Rathe, der ſchöne geographiſche und ſtatiſtiſche Kenntniſſe hatte, und eine artige Bücher – und Karten – Sammlung beſaß.","norm":"Um seine Reiseroute zu bestimmen, ging er mit dem Geistlichen zu Rate, der schöne geographische und statistische Kenntnisse hatte, und eine artige Bücher – und Karten – Sammlung besaß."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1203,"orig":"Man ſuchte nach dem Orte, den die edle Familie während des Kriegs zu ihrem Sitz erwählt hatte, man ſuchte Nachrichten von ihr ſelbſt auf; allein der Ort war in keiner Geographie, auf keiner Karte zu finden, und die genealogiſchen Handbücher ſagten nichts von einer ſolchen Familie.","norm":"Man suchte nach dem Orte, den die edle Familie während des Kriegs zu ihrem Sitz erwählt hatte, man suchte Nachrichten von ihr selbst auf; allein der Ort war in keiner Geographie, auf keiner Karte zu finden, und die genealogischen Handbücher sagten nichts von einer solchen Familie."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1204,"orig":"Wilhelm wurde unruhig, und als er ſeine Bekümmerniß laut werden ließ, entdeckte ihm der Harfenſpieler: er habe Urſache zu glauben, daß der Jäger, es ſey aus welcher Urſache es wolle, den wahren Nahmen verſchwiegen habe.","norm":"Wilhelm wurde unruhig, und als er seine Bekümmernis laut werden ließ, entdeckte ihm der Harfenspieler: Er habe Ursache zu glauben, dass der Jäger, es sei aus welcher Ursache es wolle, den wahren Namen verschwiegen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1205,"orig":"Wilhelm, der nun einmal ſich in der Nähe der Schönen glaubte, hoffte einige Nachricht von ihr zu erhalten, wenn er den Harfenſpieler abſchickte; aber auch dieſe Hoffnung ward getäuſcht.","norm":"Wilhelm, der nun einmal sich in der Nähe der Schönen glaubte, hoffte einige Nachricht von ihr zu erhalten, wenn er den Harfenspieler abschickte; aber auch diese Hoffnung wurde getäuscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1206,"orig":"So ſehr der Alte ſich auch erkundigte, konnte er doch auf keine Spur kommen.","norm":"So sehr der Alte sich auch erkundigte, konnte er doch auf keine Spur kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1207,"orig":"In jenen Tagen waren verſchiedene lebhafte Bewegungen und unvorgeſehene Durchmärſche in dieſen Gegenden vorgefallen, niemand hatte auf die reiſende Geſellſchaft beſonders Acht gegeben, ſo daß der ausgeſendete Bote, um nicht für einen jüdiſchen Spion angeſehn zu werden, wieder zurück gehen und ohne Oelblatt vor ſeinem Herrn und Freund erſcheinen mußte.","norm":"In jenen Tagen waren verschiedene lebhafte Bewegungen und unvorgesehene Durchmärsche in diesen Gegenden vorgefallen, niemand hatte auf die reisende Gesellschaft besonders achtgegeben, so dass der ausgesendete Bote, um nicht für einen jüdischen Spion angesehen zu werden, wieder zurückgehen und ohne Ölblatt vor seinem Herrn und Freund erscheinen musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1208,"orig":"Er legte ſtrenge Rechenſchaft ab, wie er den Auftrag auszurichten geſucht, und war bemüht, allen Verdacht einer Nachläſſigkeit von ſich zu entfernen.","norm":"Er legte strenge Rechenschaft ab, wie er den Auftrag auszurichten gesucht, und war bemüht, allen Verdacht einer Nachlässigkeit von sich zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1209,"orig":"Er ſuchte auf alle Weiſe Wilhelms Betrübniß zu lindern, beſann ſich auf alles, was er von dem Jäger erfahren hatte, und brachte mancherley Muthmaßungen vor, wobey denn endlich ein Umſtand vorkam, woraus Wilhelm einige räthſelhafte Worte der ſchönen Verſchwundnen deuten konnte.","norm":"Er suchte auf alle Weise Wilhelms Betrübnis zu lindern, besann sich auf alles, was er von dem Jäger erfahren hatte, und brachte mancherlei Mutmaßungen vor, wobei denn endlich ein Umstand vorkam, woraus Wilhelm einige rätselhafte Worte der schönen Verschwundenen deuten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1210,"orig":"Die räuberiſche Bande nämlich hatte nicht der wandernden Truppe, ſondern jener Herrſchaft aufgepaßt, bey der ſie mit Recht vieles Geld und Koſtbarkeiten vermuthete, und von deren Zug ſie genaue Nachricht mußte gehabt haben.","norm":"Die räuberische Bande nämlich hatte nicht der wandernden Truppe, sondern jener Herrschaft aufgepasst, bei der sie mit Recht vieles Geld und Kostbarkeiten vermutete, und von deren Zug sie genaue Nachricht musste gehabt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1211,"orig":"Man wußte nicht, ob man die That einem Freycorps, ob man ſie Marodeurs oder Räubern zuſchreiben ſollte.","norm":"Man wusste nicht, ob man die Tat einem Freikorps, ob man sie Marodeurs oder Räubern zuschreiben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1212,"orig":"Genug, zum Glücke der vornehmen und reichen Caravane waren die Geringen und Armen zuerſt auf den Platz gekommen, und hatten das Schickſal erduldet, das jenen zubereitet war.","norm":"Genug, zum Glücke der vornehmen und reichen Karawane waren die Geringen und Armen zuerst auf den Platz gekommen, und hatten das Schicksal erduldet, das jenen zubereitet war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1213,"orig":"Darauf bezogen ſich die Worte der jungen Dame, deren ſich Wilhelm noch gar wohl erinnerte.","norm":"Darauf bezogen sich die Worte der jungen Dame, deren sich Wilhelm noch gar wohl erinnerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1214,"orig":"Wenn er nun vergnügt und glücklich ſeyn konnte, daß ein vorſichtiger Genius ihn zum Opfer beſtimmt hatte, eine vollkommene Sterbliche zu retten, ſo war er dagegen nahe an der Verzweiflung, da ihm, ſie wieder zu finden, ſie wieder zu ſehen, wenigſtens für den Augenblick, alle Hoffnung verſchwunden war.","norm":"Wenn er nun vergnügt und glücklich sein konnte, dass ein vorsichtiger Genius ihn zum Opfer bestimmt hatte, eine vollkommene Sterbliche zu retten, so war er dagegen nahe an der Verzweiflung, da ihm, sie wiederzufinden, sie wiederzusehen, wenigstens für den Augenblick, alle Hoffnung verschwunden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1215,"orig":"Was dieſe ſonderbare Bewegung in ihm vermehrte, war die Ähnlichkeit, die er zwiſchen der Gräfin und der ſchönen Unbekannten entdeckt zu haben glaubte.","norm":"Was diese sonderbare Bewegung in ihm vermehrte, war die Ähnlichkeit, die er zwischen der Gräfin und der schönen Unbekannten entdeckt zu haben glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1216,"orig":"Sie glichen ſich, wie ſich Schweſtern gleichen mögen, deren keine die jüngere noch die ältere genannt werden darf, denn ſie ſcheinen Zwillinge zu ſeyn.","norm":"Sie glichen sich, wie sich Schwestern gleichen mögen, deren keine die jüngere noch die ältere genannt werden darf, denn sie scheinen Zwillinge zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1217,"orig":"Die Erinnerung an die liebenswürdige Gräfin war ihm unendlich ſüß.","norm":"Die Erinnerung an die liebenswürdige Gräfin war ihm unendlich süß."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1218,"orig":"Er rief ſich ihr Bild nur allzugern wieder ins Gedächtniß.","norm":"Er rief sich ihr Bild nur allzu gern wieder ins Gedächtnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1219,"orig":"Aber nun trat die Geſtalt der edlen Amazone gleich dazwiſchen, eine Erſcheinung verwandelte ſich in die andere, ohne daß er im Stande geweſen wäre, dieſe oder jene feſt zu halten.","norm":"Aber nun trat die Gestalt der edlen Amazone gleich dazwischen, eine Erscheinung verwandelte sich in die andere, ohne dass er imstande gewesen wäre, diese oder jene festzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1220,"orig":"Wie wunderbar mußte ihm daher die Ähnlichkeit ihrer Handſchriften ſeyn!","norm":"Wie wunderbar musste ihm daher die Ähnlichkeit ihrer Handschriften sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1221,"orig":"denn er verwahrte ein reizendes Lied von der Hand der Gräfin in ſeiner Schreibtafel, und in dem Überrocke hatte er ein Zettelchen gefunden, worin man ſich mit viel zärtlicher Sorgfalt nach dem Befinden eines Oheims erkundigte.","norm":"denn er verwahrte ein reizendes Lied von der Hand der Gräfin in seiner Schreibtafel, und in dem Überrock hatte er ein Zettelchen gefunden, worin man sich mit viel zärtlicher Sorgfalt nach dem Befinden eines Oheims erkundigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1222,"orig":"Wilhelm war überzeugt, daß ſeine Retterin dieſes Billet geſchrieben; daß es auf der Reiſe in einem Wirthshauſe aus einem Zimmer in das andere geſchickt und von dem Oheim in die Taſche geſteckt worden ſey.","norm":"Wilhelm war überzeugt, dass seine Retterin dieses Billett geschrieben; dass es auf der Reise in einem Wirtshause aus einem Zimmer in das andere geschickt und von dem Oheim in die Tasche gesteckt worden sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1223,"orig":"Er hielt beide Handſchriften gegen einander, und wenn die zierlich geſtellten Buchſtaben der Gräfin ihm ſonſt ſo ſehr gefallen hatten; ſo fand er in den ähnlichen aber freyeren Zügen der Unbekannten eine unausſprechlich fließende Harmonie.","norm":"Er hielt beide Handschriften gegeneinander, und wenn die zierlich gestellten Buchstaben der Gräfin ihm sonst so sehr gefallen hatten; so fand er in den ähnlichen aber freieren Zügen der Unbekannten eine unaussprechlich fließende Harmonie."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1224,"orig":"Das Billet enthielt nichts, und ſchon die Züge ſchienen ihn, ſo wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu erheben.","norm":"Das Billett enthielt nichts, und schon die Züge schienen ihn, so wie ehemals die Gegenwart der Schönen, zu erheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1225,"orig":"Er verfiel in eine träumende Sehnſucht, und wie einſtimmend mit ſeinen Empfindungen war das Lied, das eben in dieſer Stunde Mignon und der Harfner als ein unregelmäßiges Duett mit dem herzlichſten Ausdrucke ſangen:","norm":"Er verfiel in eine träumende Sehnsucht, und wie einstimmend mit seinen Empfindungen war das Lied, das eben in dieser Stunde Mignon und der Harfner als ein unregelmäßiges Duett mit dem herzlichsten Ausdrucke sangen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1226,"orig":"Nur wer die Sehnſucht kennt, Weiß was ich leide!","norm":"Nur wer die Sehnsucht kennt, Weiß was ich leide!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1227,"orig":"Allein und abgetrennt Von aller Freude, Seh ich ans Firmament Nach jener Seite.","norm":"Allein und abgetrennt von aller Freude, sehe ich ans Firmament nach jener Seite."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1228,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1229,"orig":"der mich liebt und kennt Iſt in der Weite.","norm":"der mich liebt und kennt ist in der Weite."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1230,"orig":"Es ſchwindelt mir, es brennt Mein Eingeweide.","norm":"Es schwindelt mir, es brennt Mein Eingeweide."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1231,"orig":"Nur wer die Sehnſucht kennt, Weiß was ich leide!","norm":"Nur wer die Sehnsucht kennt, Weiß was ich leide!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1232,"orig":"Die ſanften Lockungen des lieben Schutzgeiſtes, anſtatt unſern Freund auf irgend einen Weg zu führen, nährten und vermehrten die Unruhe, die er vorher empfunden hatte.","norm":"Die sanften Lockungen des lieben Schutzgeistes, anstatt unseren Freund auf irgendeinen Weg zu führen, nährten und vermehrten die Unruhe, die er vorher empfunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1233,"orig":"Eine heimliche Gluth ſchlich in ſeinen Adern, beſtimmte und unbeſtimmte Gegenſtände wechſelten in ſeiner Seele, und erregten ein endloſes Verlangen.","norm":"Eine heimliche Glut schlich in seinen Adern, bestimmte und unbestimmte Gegenstände wechselten in seiner Seele, und erregten ein endloses Verlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1234,"orig":"Bald wünſchte er ſich ein Roß, bald Flügel, und indem es ihm unmöglich ſchien, bleiben zu können, ſah er ſich erſt um, wohin er denn eigentlich begehre.","norm":"Bald wünschte er sich ein Ross, bald Flügel, und indem es ihm unmöglich schien, bleiben zu können, sah er sich erst um, wohin er denn eigentlich begehre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1235,"orig":"Der Faden ſeines Schickſals hatte ſich ſo ſonderbar verworren; er wünſchte die ſeltſamen Knoten aufgelöſt oder zerſchnitten zu ſehen.","norm":"Der Faden seines Schicksals hatte sich so sonderbar verworren; er wünschte die seltsamen Knoten aufgelöst oder zerschnitten zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1236,"orig":"Oft wenn er ein Pferd traben oder einen Wagen rollen hörte, ſchaute er eilig zum Fenſter hinaus, in der Hoffnung, es würde jemand ſeyn, der ihn aufſuchte, und wäre es auch nur durch Zufall, ihm Nachricht, Gewisheit und Freude brächte.","norm":"Oft wenn er ein Pferd traben oder einen Wagen rollen hörte, schaute er eilig zum Fenster hinaus, in der Hoffnung, es würde jemand sein, der ihn aufsuchte, und wäre es auch nur durch Zufall, ihm Nachricht, Gewissheit und Freude brächte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1237,"orig":"Er erzählte ſich Geſchichten vor, wie ſein Freund Werner in dieſe Gegend kommen und ihn überraſchen könnte, daß Mariane vielleicht erſcheinen dürfte.","norm":"Er erzählte sich Geschichten vor, wie sein Freund Werner in diese Gegend kommen und ihn überraschen könnte, dass Mariane vielleicht erscheinen dürfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1238,"orig":"Der Ton eines jeden Poſthorns ſetzte ihn in Bewegung.","norm":"Der Ton eines jeden Posthorns setzte ihn in Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1239,"orig":"Melina ſollte von ſeinem Schickſale Nachricht geben, vorzüglich aber ſollte der Jäger wiederkommen und ihn zu jener angebeteten Schönheit einladen.","norm":"Melina sollte von seinem Schicksale Nachricht geben, vorzüglich aber sollte der Jäger wiederkommen und ihn zu jener angebeteten Schönheit einladen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1240,"orig":"Von allem dieſem geſchah leider nichts, und er mußte zuletzt wieder mit ſich allein bleiben, und indem er das Vergangne wieder durchnahm, ward ihm ein Umſtand, je mehr er ihn betrachtete und beleuchtete, immer widriger und unerträglicher.","norm":"Von allem diesem geschah leider nichts, und er musste zuletzt wieder mit sich allein bleiben, und indem er das Vergangene wieder durchnahm, wurde ihm ein Umstand, je mehr er ihn betrachtete und beleuchtete, immer widriger und unerträglicher."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1241,"orig":"Es war ſeine verunglückte Heerführerſchaft, an die er ohne Verdruß nicht denken konnte.","norm":"Es war seine verunglückte Heerführerschaft, an die er ohne Verdruss nicht denken konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1242,"orig":"Denn ob er gleich am Abend jenes böſen Tages ſich vor der Geſellſchaft ſo ziemlich herausgeredet hatte; ſo konnte er ſich doch ſelbſt ſeine Schuld nicht verleugnen.","norm":"Denn ob er gleich am Abend jenes bösen Tages sich vor der Gesellschaft so ziemlich herausgeredet hatte; so konnte er sich doch selbst seine Schuld nicht verleugnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1243,"orig":"Er ſchrieb ſich vielmehr in hypochondriſchen Augenblicken den ganzen Vorfall allein zu.","norm":"Er schrieb sich vielmehr in hypochondrischen Augenblicken den ganzen Vorfall allein zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1244,"orig":"Die Eigenliebe läßt uns ſowohl unſre Tugenden als unſre Fehler viel bedeutender, als ſie ſind, erſcheinen.","norm":"Die Eigenliebe lässt uns sowohl unsere Tugenden als unsere Fehler viel bedeutender, als sie sind, erscheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1245,"orig":"Er hatte das Vertrauen auf ſich rege gemacht, den Willen der übrigen gelenkt, und war von Unerfahrenheit und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es ergriff ſie eine Gefahr, der ſie nicht gewachſen waren.","norm":"Er hatte das Vertrauen auf sich rege gemacht, den Willen der übrigen gelenkt, und war von Unerfahrenheit und Kühnheit geleitet, vorangegangen; es ergriff sie eine Gefahr, der sie nicht gewachsen waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1246,"orig":"Laute und ſtille Vorwürfe verfolgten ihn, und wenn er der irregeführten Geſellſchaft nach dem empfindlichen Verluſte zugeſagt hatte, ſie nicht zu verlaſſen, bis er ihnen das Verlorne mit Wucher erſetzt hätte; ſo hatte er ſich über eine neue Verwegenheit zu ſchelten, womit er ein allgemeines ausgetheiltes Übel auf ſeine Schultern zu nehmen ſich vermaß.","norm":"Laute und stille Vorwürfe verfolgten ihn, und wenn er der irregeführten Gesellschaft nach dem empfindlichen Verluste zugesagt hatte, sie nicht zu verlassen, bis er ihnen das Verlorene mit Wucher ersetzt hätte; so hatte er sich über eine neue Verwegenheit zu schelten, womit er ein allgemeines ausgeteiltes Übel auf seine Schultern zu nehmen sich vermass."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1247,"orig":"Bald verwies er ſich, daß er durch Aufſpannung und Drang des Augenblicks ein ſolches Verſprechen gethan hatte; bald fühlte er wieder, daß jenes gutmüthige Hinreichen ſeiner Hand, die niemand anzunehmen würdigte, nur eine leichte Förmlichkeit ſey gegen das Gelübde, das ſein Herz gethan hatte.","norm":"Bald verwies er sich, dass er durch Aufspannung und Drang des Augenblicks ein solches Versprechen getan hatte; bald fühlte er wieder, dass jenes gutmütige Hinreichen seiner Hand, die niemand anzunehmen würdigte, nur eine leichte Förmlichkeit sei gegen das Gelübde, das sein Herz getan hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1248,"orig":"Er ſann auf Mittel, ihnen wohlthätig und nützlich zu ſeyn, und fand alle Urſache, ſeine Reiſe zu Serlo zu beſchleunigen.","norm":"Er sann auf Mittel, ihnen wohltätig und nützlich zu sein, und fand alle Ursache, seine Reise zu Serlo zu beschleunigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1249,"orig":"Er packte nunmehr ſeine Sachen zuſammen, und eilte, ohne ſeine völlige Geneſung abzuwarten, ohne auf den Rath des Paſtors und Wundarztes zu hören, in der wunderbaren Geſellſchaft Mignons und des Alten, der Unthätigkeit zu entfliehen, in der ihn ſein Schickſal abermals nur zu lange gehalten hatte.","norm":"Er packte nunmehr seine Sachen zusammen, und eilte, ohne seine völlige Genesung abzuwarten, ohne auf den Rat des Pastors und Wundarztes zu hören, in der wunderbaren Gesellschaft Mignons und des Alten, der Untätigkeit zu entfliehen, in der ihn sein Schicksal abermals nur zu lange gehalten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1250,"orig":"Serlo empfing ihn mit offnen Armen, und rief ihm entgegen:","norm":"Serlo empfing ihn mit offenen Armen, und rief ihm entgegen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1251,"orig":"Seh ich Sie?","norm":"Sehe ich Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1252,"orig":"Erkenn’ ich Sie wieder?","norm":"Erkenne ich Sie wieder?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1253,"orig":"Sie haben ſich wenig oder nicht geändert, iſt Ihre Liebe zur edelſten Kunſt noch immer ſo ſtark und lebendig?","norm":"Sie haben sich wenig oder nicht geändert, ist Ihre Liebe zur edelsten Kunst noch immer so stark und lebendig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1254,"orig":"So ſehr erfreu ich mich über Ihre Ankunft, daß ich ſelbſt das Mißtrauen nicht mehr fühle, das Ihre letzten Briefe bey mir erregt haben.","norm":"So sehr erfreue ich mich über Ihre Ankunft, dass ich selbst das Misstrauen nicht mehr fühle, das Ihre letzten Briefe bei mir erregt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1255,"orig":"Wilhelm bat betroffen um eine nähere Erklärung.","norm":"Wilhelm bat betroffen um eine nähere Erklärung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1256,"orig":"Sie haben ſich, verſetzte Serlo, gegen mich nicht wie ein alter Freund betragen;","norm":"Sie haben sich, versetzte Serlo, gegen mich nicht wie ein alter Freund betragen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1257,"orig":"Sie haben mich wie einen großen Herrn behandelt, dem man mit gutem Gewiſſen unbrauchbare Leute empfehlen darf.","norm":"Sie haben mich wie einen großen Herrn behandelt, dem man mit gutem Gewissen unbrauchbare Leute empfehlen darf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1258,"orig":"Unſer Schickſal hängt von der Meinung des Publikums ab, und ich fürchte, daß Ihr Herr Melina mit den ſeinigen ſchwerlich bey uns wohl aufgenommen werden dürfte.","norm":"Unser Schicksal hängt von der Meinung des Publikums ab, und ich fürchte, dass Ihr Herr Melina mit den Seinigen schwerlich bei uns wohl aufgenommen werden dürfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1259,"orig":"Wilhelm wollte etwas zu ihren Gunſten ſprechen, aber Serlo fing an, eine ſo unbarmherzige Schilderung von ihnen zu machen, daß unſer Freund ſehr zufrieden war, als ein Frauenzimmer in das Zimmer trat, das Geſpräch unterbrach, und ihm ſogleich als Schweſter Aurelia von ſeinem Freunde vorgeſtellt ward.","norm":"Wilhelm wollte etwas zu ihren Gunsten sprechen, aber Serlo fing an, eine so unbarmherzige Schilderung von ihnen zu machen, dass unser Freund sehr zufrieden war, als ein Frauenzimmer in das Zimmer trat, das Gespräch unterbrach, und ihm sogleich als Schwester Aurelia von seinem Freunde vorgestellt wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1260,"orig":"Sie empfing ihn auf das freundſchaftlichſte, und ihre Unterhaltung war ſo angenehm, daß er nicht einmal einen entſchiedenen Zug des Kummers gewahr wurde, der ihrem geiſtreichen Geſicht noch ein beſonderes Intereſſe gab.","norm":"Sie empfing ihn auf das freundschaftlichste, und ihre Unterhaltung war so angenehm, dass er nicht einmal einen entschiedenen Zug des Kummers gewahr wurde, der ihrem geistreichen Gesicht noch ein besonderes Interesse gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1261,"orig":"Zum erſtenmal ſeit langer Zeit fand ſich Wilhelm wieder in ſeinem Elemente.","norm":"Zum ersten Mal seit langer Zeit fand sich Wilhelm wieder in seinem Elemente."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1262,"orig":"Bey ſeinen Geſprächen hatte er ſonſt nur nothdürftig gefällige Zuhörer gefunden, da er gegenwärtig mit Künſtlern und Kennern zu ſprechen das Glück hatte, die ihn nicht allein vollkommen verſtanden, ſondern die auch ſein Geſpräch belehrend erwiederten.","norm":"Bei seinen Gesprächen hatte er sonst nur notdürftig gefällige Zuhörer gefunden, da er gegenwärtig mit Künstlern und Kennern zu sprechen das Glück hatte, die ihn nicht allein vollkommen verstanden, sondern die auch sein Gespräch belehrend erwiderten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1263,"orig":"Mit welcher Geſchwindigkeit ging man die neuſten Stücke durch!","norm":"Mit welcher Geschwindigkeit ging man die neusten Stücke durch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1264,"orig":"mit welcher Sicherheit beurtheilte man ſie!","norm":"Mit welcher Sicherheit beurteilte man sie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1265,"orig":"wie wußte man das Urtheil des Publikums zu prüfen und zu ſchätzen!","norm":"Wie wusste man das Urteil des Publikums zu prüfen und zu schätzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1266,"orig":"in welcher Geſchwindigkeit klärte man einander auf!","norm":"In welcher Geschwindigkeit klärte man einander auf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1267,"orig":"Nun mußte ſich, bey Wilhelms Vorliebe für Shakeſpearen, das Geſpräch nothwendig auf dieſen Schriftſteller lenken.","norm":"Nun musste sich, bei Wilhelms Vorliebe für Shakespeare, das Gespräch notwendig auf diesen Schriftsteller lenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1268,"orig":"Er zeigte die lebhafteſte Hoffnung auf die Epoche, welche dieſe vortrefflichen Stücke in Deutſchland machen müßten, und bald brachte er ſeinen Hamlet vor, der ihn ſo ſehr beſchäftigt hatte.","norm":"Er zeigte die lebhafteste Hoffnung auf die Epoche, welche diese vortrefflichen Stücke in Deutschland machen müssten, und bald brachte er seinen Hamlet vor, der ihn so sehr beschäftigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1269,"orig":"Serlo verſicherte, daß er das Stück längſt, wenn es nur möglich geweſen wäre, gegeben hätte, daß er gern die Rolle des Polonius übernehmen wolle.","norm":"Serlo versicherte, dass er das Stück längst, wenn es nur möglich gewesen wäre, gegeben hätte, dass er gern die Rolle des Polonius übernehmen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1270,"orig":"Dann ſetzte er mit Lächeln hinzu: und Ophelien finden ſich wohl auch, wenn wir nur erſt den Prinzen haben.","norm":"Dann setzte er mit Lächeln hinzu: und Ophelia finden sich wohl auch, wenn wir nur erst den Prinzen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1271,"orig":"Wilhelm bemerkte nicht, daß Aurelien dieſer Scherz des Bruders zu mißfallen ſchien; er ward vielmehr nach ſeiner Art weitläuftig und lehrreich, in welchem Sinne er den Hamlet geſpielt haben wolle.","norm":"Wilhelm bemerkte nicht, dass Aurelie dieser Scherz des Bruders zu missfallen schien; er wurde vielmehr nach seiner Art weitläufig und lehrreich, in welchem Sinne er den Hamlet gespielt haben wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1272,"orig":"Er legte ihnen die Reſultate umſtändlich dar, mit welchen wir ihn oben beſchäftigt geſehen, und gab ſich alle Mühe, ſeine Meinung annehmlich zu machen, ſo viel Zweifel auch Serlo gegen ſeine Hypotheſe erregte.","norm":"Er legte ihnen die Resultate umständlich dar, mit welchen wir ihn oben beschäftigt gesehen, und gab sich alle Mühe, seine Meinung annehmlich zu machen, so viel Zweifel auch Serlo gegen seine Hypothese erregte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1273,"orig":"Nun gut, ſagte dieſer zuletzt, wir geben Ihnen alles zu, was wollen Sie weiter daraus erklären?","norm":"Nun gut, sagte dieser zuletzt, wir geben Ihnen alles zu, was wollen Sie weiter daraus erklären?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1274,"orig":"Vieles, alles, verſetzte Wilhelm.","norm":"Vieles, alles, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1275,"orig":"Denken Sie ſich einen Prinzen, wie ich ihn geſchildert habe, deſſen Vater unvermuthet ſtirbt.","norm":"Denken Sie sich einen Prinzen, wie ich ihn geschildert habe, dessen Vater unvermutet stirbt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1276,"orig":"Ehrgeitz und Herrſchſucht ſind nicht die Leidenſchaften, die ihn beleben; er hatte ſich’s gefallen laſſen, Sohn eines Königs zu ſeyn; aber nun iſt er erſt genöthigt auf den Abſtand aufmerkſamer zu werden, der den König vom Unterthan ſcheidet.","norm":"Ehrgeiz und Herrschsucht sind nicht die Leidenschaften, die ihn beleben; er hatte sich es gefallen lassen, Sohn eines Königs zu sein; aber nun ist er erst genötigt auf den Abstand aufmerksamer zu werden, der den König vom Untertan scheidet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1277,"orig":"Das Recht zur Krone war nicht erblich, und doch hätte ein längeres Leben ſeines Vaters die Anſprüche ſeines einzigen Sohnes mehr befeſtigt, und die Hoffnung zur Krone geſichert.","norm":"Das Recht zur Krone war nicht erblich, und doch hätte ein längeres Leben seines Vaters die Ansprüche seines einzigen Sohnes mehr befestigt, und die Hoffnung zur Krone gesichert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1278,"orig":"Dagegen ſieht er ſich nun durch ſeinen Oheim, ohngeachtet ſcheinbarer Verſprechungen, vielleicht auf immer ausgeſchloſſen, er fühlt ſich nun ſo arm an Gnade, an Gütern, und fremd in dem, was er von Jugend auf als ſein Eigenthum betrachten konnte.","norm":"Dagegen sieht er sich nun durch seinen Oheim, ungeachtet scheinbarer Versprechungen, vielleicht auf immer ausgeschlossen, er fühlt sich nun so arm an Gnade, an Gütern, und fremd in dem, was er von Jugend auf als sein Eigentum betrachten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1279,"orig":"Hier nimmt ſein Gemüth die erſte traurige Richtung.","norm":"Hier nimmt sein Gemüt die erste traurige Richtung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1280,"orig":"Er fühlt, daß er nicht mehr, ja nicht ſo viel iſt als jeder Edelmann, er giebt ſich für einen Diener eines jeden, er iſt nicht höflich, nicht herablaſſend, nein, herabgeſunken und bedürftig.","norm":"Er fühlt, dass er nicht mehr, ja nicht so viel ist als jeder Edelmann, er gibt sich für einen Diener eines jeden, er ist nicht höflich, nicht herablassend, nein, herabgesunken und bedürftig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1281,"orig":"Nach ſeinem vorigen Zuſtande blickt er nur wie nach einem verſchwundnen Traume.","norm":"Nach seinem vorigen Zustande blickt er nur wie nach einem verschwundenen Traume."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1282,"orig":"Vergebens, daß ſein Oheim ihn aufmuntern, ihm ſeine Lage aus einem andern Geſichtspunkte zeigen will, die Empfindung ſeines Nichts verläßt ihn nie.","norm":"Vergebens, dass sein Oheim ihn aufmuntern, ihm seine Lage aus einem anderen Gesichtspunkte zeigen will, die Empfindung seines Nichts verlässt ihn nie."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1283,"orig":"Der zweyte Schlag, der ihn traf, verletzte tiefer, beugte noch mehr.","norm":"Der zweite Schlag, der ihn traf, verletzte tiefer, beugte noch mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1284,"orig":"Es iſt die Heirath ſeiner Mutter.","norm":"Es ist die Heirat seiner Mutter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1285,"orig":"Ihm, einem treuen und zärtlichen Sohne, blieb, da ſein Vater ſtarb, eine Mutter noch übrig; er hoffte in Geſellſchaft ſeiner hinterlaßnen edlen Mutter die Heldengeſtalt jenes großen Abgeſchiednen zu verehren; aber auch ſeine Mutter verliert er, und es iſt ſchlimmer als wenn ſie ihm der Tod geraubt hätte.","norm":"Ihm, einem treuen und zärtlichen Sohne, blieb, da sein Vater starb, eine Mutter noch übrig; er hoffte in Gesellschaft seiner hinterlaßenen edlen Mutter die Heldengestalt jenes großen Abgeschiedenen zu verehren; aber auch seine Mutter verliert er, und es ist schlimmer als wenn sie ihm der Tod geraubt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1286,"orig":"Das zuverläßige Bild, das ſich ein wohlgerathnes Kind ſo gern von ſeinen Eltern macht, verſchwindet; bey dem Todten iſt keine Hülfe, und an der Lebendigen kein Halt.","norm":"Das zuverlässige Bild, das sich ein wohlgeratenes Kind so gern von seinen Eltern macht, verschwindet; bei dem Toten ist keine Hilfe, und an der Lebendigen kein Halt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1287,"orig":"Sie iſt auch ein Weib, und unter dem allgemeinen Geſchlechtsnahmen, Gebrechlichkeit, iſt auch ſie begriffen.","norm":"Sie ist auch ein Weib, und unter dem allgemeinen Geschlechtsnamen, Gebrechlichkeit, ist auch sie begriffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1288,"orig":"Nun erſt fühlt er ſich recht gebeugt, nun erſt verwaiſt, und kein Glück der Welt kann ihm wieder erſetzen, was er verloren hat.","norm":"Nun erst fühlt er sich recht gebeugt, nun erst verwaist, und kein Glück der Welt kann ihm wieder ersetzen, was er verloren hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1289,"orig":"Nicht traurig, nicht nachdenklich von Natur, wird ihm Trauer und Nachdenken zur ſchweren Bürde.","norm":"Nicht traurig, nicht nachdenklich von Natur, wird ihm Trauer und Nachdenken zur schweren Bürde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1290,"orig":"So ſehen wir ihn auftreten.","norm":"So sehen wir ihn auftreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1291,"orig":"Ich glaube nicht, daß ich etwas in das Stück hineinlege, oder einen Zug übertreibe.","norm":"Ich glaube nicht, dass ich etwas in das Stück hineinlege, oder einen Zug übertreibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1292,"orig":"Serlo ſah ſeine Schweſter an, und ſagte: habe ich dir ein falſches Bild von unſerm Freunde gemacht?","norm":"Serlo sah seine Schwester an, und sagte: Habe ich dir ein falsches Bild von unserem Freunde gemacht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1293,"orig":"Er fängt gut an, und wird uns noch manches vorerzählen und viel überreden.","norm":"Er fängt gut an, und wird uns noch manches vorerzählen und viel überreden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1294,"orig":"Wilhelm ſchwur hoch und theuer, daß er nicht überreden, ſondern überzeugen wolle, und bat nur noch um einen Augenblick Geduld.","norm":"Wilhelm schwur hoch und teuer, dass er nicht überreden, sondern überzeugen wolle, und bat nur noch um einen Augenblick Geduld."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1295,"orig":"Denken Sie ſich, rief er aus, dieſen Jüngling, dieſen Fürſtenſohn recht lebhaft, vergegenwärtigen Sie ſich ſeine Lage, und dann beobachten Sie ihn, wenn er erfährt, die Geſtalt ſeines Vaters erſcheine; ſtehen Sie ihm bey in der ſchrecklichen Nacht, wenn der ehrwürdige Geiſt ſelbſt vor ihm auftritt.","norm":"Denken Sie sich, rief er aus, diesen Jüngling, diesen Fürstensohn recht lebhaft, vergegenwärtigen Sie sich seine Lage, und dann beobachten Sie ihn, wenn er erfährt, die Gestalt seines Vaters erscheine; stehen Sie ihm bei in der schrecklichen Nacht, wenn der ehrwürdige Geist selbst vor ihm auftritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1296,"orig":"Ein ungeheures Entſetzen ergreift ihn; er redet die Wundergeſtalt an; ſieht ſie winken, folgt und hört — Die ſchrecklichſte Anklage wider ſeinen Oheim ertönt in ſeinen Ohren;","norm":"Ein ungeheures Entsetzen ergreift ihn; er redet die Wundergestalt an; sieht sie winken, folgt und hört — die schrecklichste Anklage wider seinen Oheim ertönt in seinen Ohren;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1297,"orig":"Aufforderung zur Rache und die dringende wiederholte Bitte: erinnere Dich meiner!","norm":"Aufforderung zur Rache und die dringende wiederholte Bitte: Erinnere Dich meiner!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1298,"orig":"Und da der Geiſt verſchwunden iſt, wen ſehen wir vor uns ſtehen?","norm":"Und da der Geist verschwunden ist, wen sehen wir vor uns stehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1299,"orig":"Einen jungen Helden, der nach Rache ſchnaubt?","norm":"Einen jungen Helden, der nach Rache schnaubt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1300,"orig":"Einen gebohrnen Fürſten, der ſich glücklich fühlt, gegen den Uſurpator ſeiner Krone aufgefordert zu werden?","norm":"Einen geborenen Fürsten, der sich glücklich fühlt, gegen den Usurpator seiner Krone aufgefordert zu werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1301,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1302,"orig":"Staunen und Trübſinn überfällt den Einſamen; er wird bitter gegen die lächelnden Böſewichter; ſchwört den Abgeſchiednen nicht zu vergeſſen, und ſchließt mit dem bedeutenden Seufzer: die Zeit iſt aus dem Gelenke; wehe mir, daß ich gebohren war, ſie wieder einzurichten.","norm":"Staunen und Trübsinn überfällt den Einsamen; er wird bitter gegen die lächelnden Bösewichter; schwört den Abgeschiedenen nicht zu vergessen, und schließt mit dem bedeutenden Seufzer: Die Zeit ist aus dem Gelenke; wehe mir, dass ich geboren war, sie wieder einzurichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1303,"orig":"In dieſen Worten, dünkt mich, liegt der Schlüſſel zu Hamlets ganzen Betragen, und mir iſt deutlich, daß Shakeſpear habe ſchildern wollen: eine große That auf eine Seele gelegt, die der That nicht gewachſen iſt.","norm":"In diesen Worten, dünkt mich, liegt der Schlüssel zu Hamlets ganzem Betragen, und mir ist deutlich, dass Shakespeare habe schildern wollen: Eine große Tat auf eine Seele gelegt, die der Tat nicht gewachsen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1304,"orig":"Und in dieſem Sinne find’ ich das Stück durchgängig gearbeitet.","norm":"Und in diesem Sinne finde ich das Stück durchgängig gearbeitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1305,"orig":"Hier wird ein Eichbaum in ein köſtliches Gefäß gepflanzt, das nur liebliche Blumen in ſeinen Schooß hätte aufnehmen ſollen; die Wurzeln dehnen ſich aus, das Gefäß wird zernichtet.","norm":"Hier wird ein Eichbaum in ein köstliches Gefäß gepflanzt, das nur liebliche Blumen in seinen Schoß hätte aufnehmen sollen; die Wurzeln dehnen sich aus, das Gefäß wird zernichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1306,"orig":"Ein ſchönes, reines, edles, höchſt moraliſches Weſen, ohne die ſinnliche Stärke, die den Helden macht, geht unter einer Laſt zu Grunde, die es weder tragen noch abwerfen kann; jede Pflicht iſt ihm heilig, dieſe zu ſchwer.","norm":"Ein schönes, reines, edles, höchst moralisches Wesen, ohne die sinnliche Stärke, die den Helden macht, geht unter einer Last zugrunde, die es weder tragen noch abwerfen kann; jede Pflicht ist ihm heilig, diese zu schwer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1307,"orig":"Das Unmögliche wird von ihm gefordert, nicht das Unmögliche an ſich, ſondern das was ihm unmöglich iſt.","norm":"Das Unmögliche wird von ihm gefordert, nicht das Unmögliche an sich, sondern das was ihm unmöglich ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1308,"orig":"Wie er ſich windet, dreht, ängſtigt, vor und zurück tritt; immer erinnert wird, ſich immer erinnert, und zuletzt faſt ſeinen Zweck aus dem Sinne verliert, ohne doch jemals wieder froh zu werden.","norm":"Wie er sich windet, dreht, ängstigt, vor und zurücktritt; immer erinnert wird, sich immer erinnert, und zuletzt fast seinen Zweck aus dem Sinne verliert, ohne doch jemals wieder froh zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1309,"orig":"Verſchiedene Perſonen traten herein, die das Geſpräch unterbrachen.","norm":"Verschiedene Personen traten herein, die das Gespräch unterbrachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1310,"orig":"Es waren Virtuoſen, die ſich bey Serlo gewöhnlich einmal die Woche zu einem kleinen Concerte verſammelten.","norm":"Es waren Virtuosen, die sich bei Serlo gewöhnlich einmal die Woche zu einem kleinen Konzerte versammelten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1311,"orig":"Er liebte die Muſik ſehr, und behauptete, daß ein Schauſpieler ohne dieſe Liebe niemals zu einem deutlichen Begriff und Gefühl ſeiner eigenen Kunſt gelangen könne.","norm":"Er liebte die Musik sehr, und behauptete, dass ein Schauspieler ohne diese Liebe niemals zu einem deutlichen Begriff und Gefühl seiner eigenen Kunst gelangen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1312,"orig":"So wie man viel leichter und anſtändiger agire, wenn die Gebährden durch eine Melodie begleitet und geleitet werden, ſo müſſe der Schauſpieler ſich auch ſeine proſaiſche Rolle gleichſam im Sinne componiren, daß er ſie nicht nur eintönig nach ſeiner individuellen Art und Weiſe hinſudele, ſondern ſie in gehöriger Abwechſelung nach Takt und Maaß behandle.","norm":"So wie man viel leichter und anständiger agiere, wenn die Gebärden durch eine Melodie begleitet und geleitet werden, so müsse der Schauspieler sich auch seine prosaische Rolle gleichsam im Sinne komponieren, dass er sie nicht nur eintönig nach seiner individuellen Art und Weise hinsudele, sondern sie in gehöriger Abwechslung nach Takt und Maß behandle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1313,"orig":"Aurelie ſchien an allem, was vorging, wenig Antheil zu nehmen, vielmehr führte ſie zuletzt unſern Freund in ein Seitenzimmer, und indem ſie ans Fenſter trat und den geſtirnten Himmel anſchaute, ſagte ſie zu ihm:","norm":"Aurelie schien an allem, was vorging, wenig Anteil zu nehmen, vielmehr führte sie zuletzt unseren Freund in ein Seitenzimmer, und indem sie ans Fenster trat und den gestirnten Himmel anschaute, sagte sie zu ihm:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1314,"orig":"Sie ſind uns manches über Hamlet ſchuldig geblieben; ich will zwar nicht voreilig ſeyn, und wünſche, daß mein Bruder auch mit anhören möge, was Sie uns noch zu ſagen haben, doch laſſen Sie mich Ihre Gedanken über Ophelien hören.","norm":"Sie sind uns manches über Hamlet schuldig geblieben; ich will zwar nicht voreilig sein, und wünsche, dass mein Bruder auch mit anhören möge, was Sie uns noch zu sagen haben, doch lassen Sie mich Ihre Gedanken über Ophelia hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1315,"orig":"Von ihr läßt ſich nicht viel ſagen, verſetzte Wilhelm, denn nur mit wenig Meiſterzügen iſt ihr Charakter vollendet.","norm":"Von ihr lässt sich nicht viel sagen, versetzte Wilhelm, denn nur mit wenig Meisterzügen ist ihr Charakter vollendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1316,"orig":"Ihr ganzes Weſen ſchwebt in reifer ſüßer Sinnlichkeit.","norm":"Ihr ganzes Wesen schwebt in reifer süßer Sinnlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1317,"orig":"Ihre Neigung zu dem Prinzen, auf deſſen Hand ſie Anſpruch machen darf, fließt ſo aus der Quelle, das gute Herz überläßt ſich ſo ganz ſeinem Verlangen, daß Vater und Bruder beide fürchten, beide geradezu und unbeſcheiden warnen.","norm":"Ihre Neigung zu dem Prinzen, auf dessen Hand sie Anspruch machen darf, fließt so aus der Quelle, das gute Herz überlässt sich so ganz seinem Verlangen, dass Vater und Bruder beide fürchten, beide geradezu und unbescheiden warnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1318,"orig":"Der Wohlſtand, wie der leichte Flor auf ihrem Buſen, kann die Bewegung ihres Herzens nicht verbergen, er wird vielmehr ein Verräther dieſer leiſen Bewegung.","norm":"Der Wohlstand, wie der leichte Flor auf ihrem Busen, kann die Bewegung ihres Herzens nicht verbergen, er wird vielmehr ein Verräter dieser leisen Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1319,"orig":"Ihre Einbildungskraft iſt angeſteckt, ihre ſtille Beſcheidenheit athmet eine liebevolle Begierde, und ſollte die bequeme Göttin Gelegenheit das Bäumchen ſchütteln, ſo würde die Frucht ſogleich herabfallen.","norm":"Ihre Einbildungskraft ist angesteckt, ihre stille Bescheidenheit atmet eine liebevolle Begierde, und sollte die bequeme Göttin Gelegenheit das Bäumchen schütteln, so würde die Frucht sogleich herabfallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1320,"orig":"Und nun, ſagte Aurelie, wenn ſie ſich verlaſſen ſieht, verſtoßen und verſchmäht, wenn in der Seele ihres wahnſinnigen Geliebten ſich das Höchſte zum Tiefſten umwendet, und er ihr ſtatt des ſüßen Bechers der Liebe den bittern Kelch der Leiden hinreicht —","norm":"Und nun, sagte Aurelie, wenn sie sich verlassen sieht, verstoßen und verschmäht, wenn in der Seele ihres wahnsinnigen Geliebten sich das Höchste zum Tiefsten umwendet, und er ihr statt des süßen Bechers der Liebe den bitteren Kelch der Leiden hinreicht —"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1321,"orig":"Ihr Herz bricht, rief Wilhelm aus, das ganze Gerüſte ihres Daſeyns rückt aus ſeinen Fugen, der Tod ihres Vaters ſtürmt herein, und das ſchöne Gebäude ſtürzt völlig zuſammen.","norm":"Ihr Herz bricht, rief Wilhelm aus, das ganze Gerüste ihres Daseins rückt aus seinen Fugen, der Tod ihres Vaters stürmt herein, und das schöne Gebäude stürzt völlig zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1322,"orig":"Wilhelm hatte nicht bemerkt, mit welchem Ausdruck Aurelie die letzten Worte ausſprach.","norm":"Wilhelm hatte nicht bemerkt, mit welchem Ausdruck Aurelie die letzten Worte aussprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1323,"orig":"Nur auf das Kunſtwerk, deſſen Zuſammenhang und Vollkommenheit gerichtet, ahndete er nicht, daß ſeine Freundin eine ganz andere Wirkung empfand; nicht, daß ein eigner tiefer Schmerz durch dieſe dramatiſchen Schattenbilder in ihr lebhaft erregt ward.","norm":"Nur auf das Kunstwerk, dessen Zusammenhang und Vollkommenheit gerichtet, ahnte er nicht, dass seine Freundin eine ganz andere Wirkung empfand; nicht, dass ein eigener tiefer Schmerz durch diese dramatischen Schattenbilder in ihr lebhaft erregt wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1324,"orig":"Noch immer hatte Aurelie ihr Haupt von ihren Armen unterſtützt, und ihre Augen, die ſich mit Thränen füllten, gen Himmel gewendet.","norm":"Noch immer hatte Aurelie ihr Haupt von ihren Armen unterstützt, und ihre Augen, die sich mit Tränen füllten, gen Himmel gewendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1325,"orig":"Endlich hielt ſie nicht länger ihren verborgnen Schmerz zurück; ſie faßte des Freundes beide Hände, und rief, indem er erſtaunt vor ihr ſtand: verzeihen Sie, verzeihen Sie einem geängſtigten Herzen!","norm":"Endlich hielt sie nicht länger ihren verborgenen Schmerz zurück; sie fasste des Freundes beide Hände, und rief, indem er erstaunt vor ihr stand: Verzeihen Sie, verzeihen Sie einem geängstigten Herzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1326,"orig":"die Geſellſchaft ſchnürt und preßt mich zuſammen, vor meinem unbarmherzigen Bruder muß ich mich zu verbergen ſuchen; nun hat Ihre Gegenwart alle Bande aufgelöſt.","norm":"die Gesellschaft schnürt und presst mich zusammen, vor meinem unbarmherzigen Bruder muss ich mich zu verbergen suchen; nun hat Ihre Gegenwart alle Bande aufgelöst."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1327,"orig":"Mein Freund!","norm":"Mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1328,"orig":"fuhr ſie fort, ſeit einem Augenblicke ſind wir erſt bekannt, und ſchon werden Sie mein Vertrauter.","norm":"fuhr sie fort, seit einem Augenblicke sind wir erst bekannt, und schon werden Sie mein Vertrauter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1329,"orig":"Sie konnte die Worte kaum ausſprechen, und ſank an ſeine Schulter.","norm":"Sie konnte die Worte kaum aussprechen, und sank an seine Schulter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1330,"orig":"Denken Sie nicht übler von mir, ſagte ſie ſchluchzend, daß ich mich Ihnen ſo ſchnell eröffne, daß Sie mich ſo ſchwach ſehen.","norm":"Denken Sie nicht übler von mir, sagte sie schluchzend, dass ich mich Ihnen so schnell eröffne, dass Sie mich so schwach sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1331,"orig":"Seyn Sie, bleiben Sie mein Freund, ich verdiene es.","norm":"Sein Sie, bleiben Sie mein Freund, ich verdiene es."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1332,"orig":"Er redete ihr auf das herzlichſte zu, umſonſt!","norm":"Er redete ihr auf das herzlichste zu, umsonst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1333,"orig":"ihre Thränen floſſen und erſtickten ihre Worte.","norm":"ihre Tränen flossen und erstickten ihre Worte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1334,"orig":"In dieſem Augenblicke trat Serlo ſehr unwillkommen herein, und ſehr unerwartet Philine, die er bey der Hand hielt.","norm":"In diesem Augenblicke trat Serlo sehr unwillkommen herein, und sehr unerwartet Philine, die er bei der Hand hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1335,"orig":"Hier iſt Ihr Freund, ſagte er zu ihr, er wird ſich freun, Sie zu begrüßen.","norm":"Hier ist Ihr Freund, sagte er zu ihr, er wird sich freuen, Sie zu begrüßen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1336,"orig":"Wie!","norm":"Wie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1337,"orig":"rief Wilhelm erſtaunt, muß ich Sie hier ſehen?","norm":"rief Wilhelm erstaunt, muss ich Sie hier sehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1338,"orig":"Mit einem beſcheidnen, geſetzten Weſen ging ſie auf ihn los, hieß ihn willkommen, rühmte Serlo’s Güte, der ſie ohne ihr Verdienſt, bloß in Hoffnung, daß ſie ſich bilden werde, unter ſeine treffliche Truppe aufgenommen habe.","norm":"Mit einem bescheidenen, gesetzten Wesen ging sie auf ihn los, hieß ihn willkommen, rühmte Serlos Güte, der sie ohne ihr Verdienst, bloß in Hoffnung, dass sie sich bilden werde, unter seine treffliche Truppe aufgenommen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1339,"orig":"Sie that dabey gegen Wilhelmen freundlich, doch aus einer ehrerbietigen Entfernung.","norm":"Sie tat dabei gegen Wilhelmen freundlich, doch aus einer ehrerbietigen Entfernung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1340,"orig":"Dieſe Verſtellung währte aber nicht länger, als die Beiden zugegen waren.","norm":"Diese Verstellung währte aber nicht länger, als die Beiden zugegen waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1341,"orig":"Denn als Aurelie ihren Schmerz zu verbergen wegging, und Serlo abgerufen ward, ſah Philine erſt recht genau nach den Thüren, ob beide auch gewiß fort ſeyen, dann hüpfte ſie wie thörigt in der Stube herum, ſetzte ſich an die Erde, und wollte vor Kichern und Lachen erſticken.","norm":"Denn als Aurelie ihren Schmerz zu verbergen wegging, und Serlo abgerufen wurde, sah Philine erst recht genau nach den Türen, ob beide auch gewiss fort seien, dann hüpfte sie wie töricht in der Stube herum, setzte sich an die Erde, und wollte vor Kichern und Lachen ersticken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1342,"orig":"Dann ſprang ſie auf, ſchmeichelte unſerm Freunde, und freute ſich über alle maßen, daß ſie ſo klug geweſen ſey, vorauszugehen, das Terrain zu recognoſciren und ſich einzuniſten.","norm":"Dann sprang sie auf, schmeichelte unserem Freunde, und freute sich über alle Maßen, dass sie so klug gewesen sei, vorauszugehen, das Terrain zu rekognoszieren und sich einzunisten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1343,"orig":"Hier geht es bunt zu, ſagte ſie, gerade ſo wie mir’s recht iſt.","norm":"Hier geht es bunt zu, sagte sie, gerade so wie mir es recht ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1344,"orig":"Aurelie hat einen unglücklichen Liebeshandel mit einem Edelmanne gehabt, der ein prächtiger Menſch ſeyn muß, und den ich ſelbſt wohl einmal ſehen möchte.","norm":"Aurelie hat einen unglücklichen Liebeshandel mit einem Edelmanne gehabt, der ein prächtiger Mensch sein muss, und den ich selbst wohl einmal sehen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1345,"orig":"Er hat ihr ein Andenken hinterlaſſen, oder ich müßte mich ſehr irren.","norm":"Er hat ihr ein Andenken hinterlassen, oder ich müsste mich sehr irren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1346,"orig":"Es läuft da ein Knabe herum, ohngefähr von drey Jahren, ſchön wie die Sonne; der Papa mag allerliebſt ſeyn, ich kann ſonſt die Kinder nicht leiden, aber dieſer Junge freut mich.","norm":"Es läuft da ein Knabe herum, ungefähr von drei Jahren, schön wie die Sonne; der Papa mag allerliebst sein, Ich kann sonst die Kinder nicht leiden, aber dieser Junge freut mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1347,"orig":"Ich habe ihr nachgerechnet.","norm":"Ich habe ihr nachgerechnet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1348,"orig":"Der Tod ihres Mannes, die neue Bekanntſchaft, das Alter des Kindes, alles trift zuſammen.","norm":"Der Tod ihres Mannes, die neue Bekanntschaft, das Alter des Kindes, alles trifft zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1349,"orig":"Nun iſt der Freund ſeiner Wege gegangen; ſeit einem Jahre ſieht er ſie nicht mehr.","norm":"Nun ist der Freund seiner Wege gegangen; seit einem Jahre sieht er sie nicht mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1350,"orig":"Sie iſt darüber auſſer ſich und untröſtlich.","norm":"Sie ist darüber außer sich und untröstlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1351,"orig":"Die Närrin!","norm":"Die Närrin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1352,"orig":"— Der Bruder hat unter der Truppe eine Tänzerin, mit der er ſchön thut, ein Aktrischen, mit der er vertraut iſt, in der Stadt noch einige Frauen, denen er aufwartet, und nun ſteh ich auch auf der Liſte.","norm":"— Der Bruder hat unter der Truppe eine Tänzerin, mit der er schöntut, ein Aktrischen, mit der er vertraut ist, in der Stadt noch einige Frauen, denen er aufwartet, und nun stehe ich auch auf der Liste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1353,"orig":"Der Narr!","norm":"Der Narr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1354,"orig":"— Vom übrigen Volke ſollſt du morgen hören.","norm":"— Vom übrigen Volke sollst du morgen hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1355,"orig":"Und nun noch ein Wörtchen von Philinen, die Du kennſt, die Erznärrin iſt in Dich verliebt.","norm":"Und nun noch ein Wörtchen von Philine, die Du kennst, die Erznärrin ist in Dich verliebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1356,"orig":"Sie ſchwur, daß es wahr ſey, und betheuerte, daß es ein rechter Spaß ſey.","norm":"Sie schwur, dass es wahr sei, und beteuerte, dass es ein rechter Spaß sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1357,"orig":"Sie bat Wilhelmen inſtändig, er möchte ſich in Aurelien verlieben, dann werde die Hetze erſt recht angehen.","norm":"Sie bat Wilhelmen inständig, er möchte sich in Aurelie verlieben, dann werde die Hetze erst recht angehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1358,"orig":"Sie läuft ihrem Ungetreuen, Du ihr, ich Dir und der Bruder mir nach.","norm":"Sie läuft ihrem Ungetreuen, Du ihr, ich Dir und der Bruder mir nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1359,"orig":"Wenn das nicht eine Luſt auf ein halbes Jahr giebt, ſo will ich an der erſten Epiſode ſterben, die ſich zu dieſem vierfach verſchlungenen Romane hinzuwirft.","norm":"Wenn das nicht eine Lust auf ein halbes Jahr gibt, so will ich an der ersten Episode sterben, die sich zu diesem vierfach verschlungenen Romane hinzuwirft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1360,"orig":"Sie bat ihn, er möchte ihr den Handel nicht verderben, und ihr ſo viel Achtung bezeigen, als ſie durch ihr öffentliches Betragen verdienen wolle.","norm":"Sie bat ihn, er möchte ihr den Handel nicht verderben, und ihr so viel Achtung bezeigen, als sie durch ihr öffentliches Betragen verdienen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1361,"orig":"Den nächſten Morgen gedachte Wilhelm Madam Melina zu beſuchen; er fand ſie nicht zu Hauſe, fragte nach den übrigen Gliedern der wandernden Geſellſchaft, und erfuhr:","norm":"Den nächsten Morgen gedachte Wilhelm Madame Melina zu besuchen; er fand sie nicht zu Hause, fragte nach den übrigen Gliedern der wandernden Gesellschaft, und erfuhr:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1362,"orig":"Philine habe ſie zum Frühſtück eingeladen.","norm":"Philine habe sie zum Frühstück eingeladen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1363,"orig":"Aus Neugier eilte er hin, und traf ſie alle ſehr aufgeräumt und getröſtet.","norm":"Aus Neugier eilte er hin, und traf sie alle sehr aufgeräumt und getröstet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1364,"orig":"Das kluge Geſchöpf hatte ſie verſammelt, ſie mit Chocolade bewirthet, und ihnen zu verſtehen gegeben, noch ſey nicht alle Ausſicht verſperrt; ſie hoffe durch ihren Einfluß den Director zu überzeugen, wie vortheilhaft es ihm ſey, ſo geſchickte Leute in ſeine Geſellſchaft aufzunehmen.","norm":"Das kluge Geschöpf hatte sie versammelt, sie mit Schokolade bewirtet, und ihnen zu verstehen gegeben, noch sei nicht alle Aussicht versperrt; sie hoffe durch ihren Einfluss den Direktor zu überzeugen, wie vorteilhaft es ihm sei, so geschickte Leute in seine Gesellschaft aufzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1365,"orig":"Sie hörten ihr aufmerkſam zu, ſchlurften eine Taſſe nach der andern hinunter, fanden das Mädchen gar nicht übel, und nahmen ſich vor, das Beſte von ihr zu reden.","norm":"Sie hörten ihr aufmerksam zu, schlürften eine Tasse nach der anderen hinunter, fanden das Mädchen gar nicht übel, und nahmen sich vor, das Beste von ihr zu reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1366,"orig":"Glauben Sie denn, ſagte Wilhelm, der mit Philinen allein geblieben war, daß Serlo ſich noch entſchließen werde, unſre Gefährten zu behalten?","norm":"Glauben Sie denn, sagte Wilhelm, der mit Philine allein geblieben war, dass Serlo sich noch entschließen werde, unsere Gefährten zu behalten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1367,"orig":"Mit nichten, verſetzte Philine, es iſt mir auch gar nichts daran gelegen, ich wollte, ſie wären je eher je lieber fort!","norm":"Mit nichten, versetzte Philine, es ist mir auch gar nichts daran gelegen, ich wollte, sie wären je eher je lieber fort!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1368,"orig":"den einzigen Laertes wünſcht’ ich zu behalten; die übrigen wollen wir ſchon nach und nach bey Seite bringen.","norm":"Den einzigen Laertes wünschte ich zu behalten; die übrigen wollen wir schon nach und nach beiseite bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1369,"orig":"Hierauf gab ſie ihrem Freunde zu verſtehen, daß ſie gewiß überzeugt ſey, er werde nunmehr ſein Talent nicht länger vergraben, ſondern unter Direction eines Serlo auf’s Theater gehen.","norm":"Hierauf gab sie ihrem Freunde zu verstehen, dass sie gewiss überzeugt sei, er werde nunmehr sein Talent nicht länger vergraben, sondern unter Direktion eines Serlo aufs Theater gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1370,"orig":"Sie konnte die Ordnung, den Geſchmack, den Geiſt, der hier herrſche, nicht genug rühmen; ſie ſprach ſo ſchmeichelnd zu unſerm Freunde, ſo ſchmeichelhaft von ſeinen Talenten, daß ſein Herz und ſeine Einbildungskraft ſich eben ſo ſehr dieſem Vorſchlage näherten, als ſein Verſtand und ſeine Vernunft ſich davon entfernten.","norm":"Sie konnte die Ordnung, den Geschmack, den Geist, der hier herrsche, nicht genug rühmen; sie sprach so schmeichelnd zu unserem Freunde, so schmeichelhaft von seinen Talenten, dass sein Herz und seine Einbildungskraft sich ebenso sehr diesem Vorschlag näherten, als sein Verstand und seine Vernunft sich davon entfernten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1371,"orig":"Er verbarg ſeine Neigung vor ſich ſelbſt und vor Philinen, und brachte einen unruhigen Tag zu, an dem er ſich nicht entſchließen konnte, zu ſeinen Handelscorreſpondenten zu gehen, und die Briefe, die dort für ihn liegen möchten, abzuholen.","norm":"Er verbarg seine Neigung vor sich selbst und vor Philine, und brachte einen unruhigen Tag zu, an dem er sich nicht entschließen konnte, zu seinen Handelskorrespondenten zu gehen, und die Briefe, die dort für ihn liegen möchten, abzuholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1372,"orig":"Denn ob er ſich gleich die Unruhe der Seinigen dieſe Zeit über vorſtellen konnte, ſo ſcheute er ſich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe umſtändlich zu erfahren, um ſo mehr, da er ſich einen großen und reinen Genuß dieſen Abend von der Aufführung eines neuen Stücks verſprach.","norm":"Denn ob er sich gleich die Unruhe der Seinigen diese Zeit über vorstellen konnte, so scheute er sich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe umständlich zu erfahren, um so mehr, da er sich einen großen und reinen Genuss diesen Abend von der Aufführung eines neuen Stücks versprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1373,"orig":"Serlo hatte ſich geweigert, ihn bey der Probe zuzulaſſen.","norm":"Serlo hatte sich geweigert, ihn bei der Probe zuzulassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1374,"orig":"Sie müſſen uns, ſagte er, erſt von der beſten Seite kennen lernen, eh wir zugeben, daß Sie uns in die Karte ſehen.","norm":"Sie müssen uns, sagte er, erst von der besten Seite kennenlernen, ehe wir zugeben, dass Sie uns in die Karte sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1375,"orig":"Mit der größten Zufriedenheit wohnte aber auch unſer Freund den Abend darauf der Vorſtellung bey.","norm":"Mit der größten Zufriedenheit wohnte aber auch unser Freund den Abend darauf der Vorstellung bei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1376,"orig":"Es war das erſtemal, daß er ein Theater in ſolcher Vollkommenheit ſah.","norm":"Es war das erste Mal, dass er ein Theater in solcher Vollkommenheit sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1377,"orig":"Man traute ſämmtlichen Schauſpielern fürtrefliche Gaben, glückliche Anlagen und einen hohen und klaren Begriff von ihrer Kunſt zu, und doch waren ſie einander nicht gleich; aber ſie hielten und trugen ſich wechſelsweiſe, feuerten einander an, und waren in ihrem ganzen Spiele ſehr beſtimmt und genau.","norm":"Man traute sämtlichen Schauspielern fürtreffliche Gaben, glückliche Anlagen und einen hohen und klaren Begriff von ihrer Kunst zu, und doch waren sie einander nicht gleich; aber sie hielten und trugen sich wechselweise, feuerten einander an, und waren in ihrem ganzen Spiele sehr bestimmt und genau."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1378,"orig":"Man fühlte bald, daß Serlo die Seele des Ganzen war, und er zeichnete ſich ſehr zu ſeinem Vortheil aus.","norm":"Man fühlte bald, dass Serlo die Seele des Ganzen war, und er zeichnete sich sehr zu seinem Vorteil aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1379,"orig":"Eine heitere Laune, eine gemäßigte Lebhaftigkeit, ein beſtimmtes Gefühl des Schicklichen bey einer großen Gabe der Nachahmung, mußte man an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er den Mund öffnete, bewundern.","norm":"Eine heitere Laune, eine gemäßigte Lebhaftigkeit, ein bestimmtes Gefühl des Schicklichen bei einer großen Gabe der Nachahmung, musste man an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er den Mund öffnete, bewundern."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1380,"orig":"Die innere Behaglichkeit ſeines Daſeyns ſchien ſich über alle Zuhörer auszubreiten, und die geiſtreiche Art, mit der er die feinſten Schattirungen der Rollen mit der größten Leichtigkeit ausdruckte, erweckte um ſoviel mehr Freude, als er die Kunſt zu verbergen wußte, die er ſich durch eine anhaltende Übung eigen gemacht hatte.","norm":"Die innere Behaglichkeit seines Daseins schien sich über alle Zuhörer auszubreiten, und die geistreiche Art, mit der er die feinsten Schattierungen der Rollen mit der größten Leichtigkeit ausdrückte, erweckte um soviel mehr Freude, als er die Kunst zu verbergen wusste, die er sich durch eine anhaltende Übung eigen gemacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1381,"orig":"Seine Schweſter Aurelie blieb nicht hinter ihm, und erhielt noch größeren Beyfall, indem ſie die Gemüther der Menſchen rührte, die er zu erheitern und zu erfreuen ſo ſehr im Stande war.","norm":"Seine Schwester Aurelie blieb nicht hinter ihm, und erhielt noch größeren Beifall, indem sie die Gemüter der Menschen rührte, die er zu erheitern und zu erfreuen so sehr imstande war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1382,"orig":"Nach einigen Tagen, die auf eine angenehme Weiſe zugebracht wurden, verlangte Aurelie nach unſerm Freund.","norm":"Nach einigen Tagen, die auf eine angenehme Weise zugebracht wurden, verlangte Aurelie nach unserem Freund."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1383,"orig":"Er eilte zu ihr, und fand ſie auf dem Kanapee liegen; ſie ſchien am Kopfweh zu leiden, und ihr ganzes Weſen konnte eine fieberhafte Bewegung nicht verbergen.","norm":"Er eilte zu ihr, und fand sie auf dem Kanapee liegen; sie schien am Kopfweh zu leiden, und ihr ganzes Wesen konnte eine fieberhafte Bewegung nicht verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1384,"orig":"Ihr Auge erheiterte ſich, als ſie den Hereintretenden anſah.","norm":"Ihr Auge erheiterte sich, als sie den Hereintretenden ansah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1385,"orig":"Vergeben Sie!","norm":"Vergeben Sie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1386,"orig":"rief ſie ihm entgegen, das Zutrauen, das Sie mir einflößten, hat mich ſchwach gemacht.","norm":"rief sie ihm entgegen, das Zutrauen, das Sie mir einflößten, hat mich schwach gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1387,"orig":"Bisher konnt’ ich mich mit meinen Schmerzen im Stillen unterhalten, ja ſie gaben mir Stärke und Troſt, nun haben Sie, ich weiß nicht wie es zugegangen iſt, die Bande der Verſchwiegenheit gelöſt, und Sie werden nun ſelbſt wider Willen Theil an dem Kampfe nehmen, den ich gegen mich ſelbſt ſtreite.","norm":"Bisher konnte ich mich mit meinen Schmerzen im Stillen unterhalten, ja sie gaben mir Stärke und Trost, nun haben Sie, ich weiß nicht wie es zugegangen ist, die Bande der Verschwiegenheit gelöst, und Sie werden nun selbst wider Willen Teil an dem Kampfe nehmen, den ich gegen mich selbst streite."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1388,"orig":"Wilhelm antwortete ihr freundlich und verbindlich.","norm":"Wilhelm antwortete ihr freundlich und verbindlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1389,"orig":"Er verſicherte, daß ihr Bild und ihre Schmerzen ihm beſtändig vor der Seele geſchwebt, daß er ſie um ihr Vertrauen bitte, daß er ſich ihr zum Freund widme.","norm":"Er versicherte, dass ihr Bild und ihre Schmerzen ihm beständig vor der Seele geschwebt, dass er sie um ihr Vertrauen bitte, dass er sich ihr zum Freund widme."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1390,"orig":"Indem er ſo ſprach, wurden ſeine Augen von dem Knaben angezogen, der vor ihr auf der Erde ſaß, und allerley Spielwerk durcheinander warf.","norm":"Indem er so sprach, wurden seine Augen von dem Knaben angezogen, der vor ihr auf der Erde saß, und allerlei Spielwerk durcheinander warf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1391,"orig":"Er mochte, wie Philine ſchon angegeben, ohngefähr drey Jahre alt ſeyn, und Wilhelm verſtand nun erſt, warum das leichtfertige, in ihren Ausdrücken ſelten erhabene Mädchen den Knaben der Sonne verglichen.","norm":"Er mochte, wie Philine schon angegeben, ungefähr drei Jahre alt sein, und Wilhelm verstand nun erst, warum das leichtfertige, in ihren Ausdrücken selten erhabene Mädchen den Knaben der Sonne verglichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1392,"orig":"Denn um die offnen braunen Augen und das volle Geſicht kräuſelten ſich die ſchönſten goldnen Locken, an einer blendend weißen Stirne zeigten ſich zarte dunkle ſanftgebogene Augenbraunen, und die lebhafte Farbe der Geſundheit glänzte auf ſeinen Wangen.","norm":"Denn um die offenen braunen Augen und das volle Gesicht kräuselten sich die schönsten goldenen Locken, an einer blendend weißen Stirn zeigten sich zarte dunkle sanftgebogene Augenbrauen, und die lebhafte Farbe der Gesundheit glänzte auf seinen Wangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1393,"orig":"Setzen Sie ſich zu mir, ſagte Aurelie, Sie ſehen das glückliche Kind mit Verwundrung an; gewiß, ich habe es mit Freuden auf meine Arme genommen, ich bewahre es mit Sorgfalt; nur kann ich auch recht an ihm den Grad meiner Schmerzen erkennen, weil ich den Werth einer ſolchen Gabe nur ſelten empfinde.","norm":"Setzen Sie sich zu mir, sagte Aurelie, Sie sehen das glückliche Kind mit Verwunderung an; gewiss, ich habe es mit Freuden auf meine Arme genommen, ich bewahre es mit Sorgfalt; nur kann ich auch recht an ihm den Grad meiner Schmerzen erkennen, weil ich den Wert einer solchen Gabe nur selten empfinde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1394,"orig":"Erlauben Sie mir, fuhr ſie fort, daß ich nun auch von mir und meinem Schickſale rede; denn es iſt mir ſehr daran gelegen, daß Sie mich nicht verkennen.","norm":"Erlauben Sie mir, fuhr sie fort, dass ich nun auch von mir und meinem Schicksale rede; denn es ist mir sehr daran gelegen, dass Sie mich nicht verkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1395,"orig":"Ich glaubte einige gelaſſene Augenblicke zu haben, darum ließ ich Sie rufen;","norm":"Ich glaubte einige gelassene Augenblicke zu haben, darum ließ ich Sie rufen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1396,"orig":"Sie ſind nun da, und ich habe meinen Faden verloren.","norm":"Sie sind nun da, und ich habe meinen Faden verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1397,"orig":"Ein verlaßnes Geſchöpf mehr in der Welt!","norm":"Ein verlaßenes Geschöpf mehr in der Welt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1398,"orig":"werden Sie ſagen.","norm":"werden Sie sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1399,"orig":"Sie ſind ein Mann, und denken: wie gebährdet ſie ſich bey einem nothwendigen Übel, das gewiſſer als der Tod über einem Weibe ſchwebt, bey der Untreue eines Mannes, die Thörin!","norm":"Sie sind ein Mann, und denken: Wie gebärdet sie sich bei einem notwendigen Übel, das gewisser als der Tod über einem Weibe schwebt, bei der Untreue eines Mannes, die Törin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1400,"orig":"— O mein Freund, wäre mein Schickſal gemein, ich wollte gern gemeines Übel ertragen, aber es iſt ſo außerordentlich, warum kann ichs Ihnen nicht im Spiegel zeigen, warum nicht jemand auftragen, es Ihnen zu erzählen?","norm":"— O mein Freund, wäre mein Schicksal gemein, ich wollte gern gemeines Übel ertragen, aber es ist so außerordentlich, warum kann ich es Ihnen nicht im Spiegel zeigen, warum nicht jemand auftragen, es Ihnen zu erzählen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1401,"orig":"O wäre ich verführt, überraſcht und dann verlaſſen, dann würde in der Verzweiflung noch Troſt ſeyn; aber ich bin weit ſchlimmer daran, ich habe mich ſelbſt hintergangen, mich ſelbſt wider Wiſſen betrogen, das iſts, was ich mir niemals verzeihen kann.","norm":"O wäre ich verführt, überrascht und dann verlassen, dann würde in der Verzweiflung noch Trost sein; aber ich bin weit schlimmer daran, ich habe mich selbst hintergangen, mich selbst wider Wissen betrogen, das ist es, was ich mir niemals verzeihen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1402,"orig":"Bey edlen Geſinnungen, wie die Ihrigen ſind, verſetzte der Freund, können Sie nicht ganz unglücklich ſeyn.","norm":"Bei edlen Gesinnungen, wie die Ihrigen sind, versetzte der Freund, können Sie nicht ganz unglücklich sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1403,"orig":"Und wiſſen Sie, wem ich meine Geſinnungen ſchuldig bin?","norm":"Und wissen Sie, wem ich meine Gesinnungen schuldig bin?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1404,"orig":"fragte Aurelie; der allerſchlechteſten Erziehung, durch die jemals ein Mädchen hätte verderbt werden ſollen, dem ſchlimmſten Beyſpiele, um Sinne und Neigung zu verführen.","norm":"fragte Aurelie; der allerschlechtesten Erziehung, durch die jemals ein Mädchen hätte verderbt werden sollen, dem schlimmsten Beispiele, um Sinne und Neigung zu verführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1405,"orig":"Nach dem frühzeitigen Tode meiner Mutter bracht’ ich die ſchönſten Jahre der Entwicklung bey einer Tante zu, die ſich zum Geſetz machte, die Geſetze der Ehrbarkeit zu verachten.","norm":"Nach dem frühzeitigen Tode meiner Mutter brachte ich die schönsten Jahre der Entwicklung bei einer Tante zu, die sich zum Gesetz machte, die Gesetze der Ehrbarkeit zu verachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1406,"orig":"Blindlings überließ ſie ſich einer jeden Neigung, ſie mochte über den Gegenſtand gebieten oder ſein Sklav ſeyn, wenn ſie nur im wilden Genuß ihrer ſelbſt vergeſſen konnte.","norm":"Blindlings überließ sie sich einer jeden Neigung, sie mochte über den Gegenstand gebieten oder sein Sklave sein, wenn sie nur im wilden Genuss ihrer selbst vergessen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1407,"orig":"Was mußten wir Kinder mit dem reinen und deutlichen Blick der Unſchuld uns für Begriffe von dem männlichen Geſchlechte machen?","norm":"Was mussten wir Kinder mit dem reinen und deutlichen Blick der Unschuld uns für Begriffe von dem männlichen Geschlecht machen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1408,"orig":"Wie dumpf, dringend, dreiſt, ungeſchickt war jeder, den ſie herbeyreizte, wie ſatt, übermüthig, leer und abgeſchmackt dagegen, ſobald er ſeiner Wünſche Befriedigung gefunden hatte.","norm":"Wie dumpf, dringend, dreist, ungeschickt war jeder, den sie herbeireizte, wie satt, übermütig, leer und abgeschmackt dagegen, sobald er seiner Wünsche Befriedigung gefunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1409,"orig":"So hab’ ich dieſe Frau Jahre lang unter dem Gebote der ſchlechteſten Menſchen erniedrigt geſehen; was für Begegnungen mußte ſie nicht erdulden, und mit welcher Stirne wußte ſie ſich in ihr Schickſal zu finden, ja mit welcher Art dieſe ſchändlichen Feſſeln zu tragen.","norm":"So habe ich diese Frau jahrelang unter dem Gebote der schlechtesten Menschen erniedrigt gesehen; was für Begegnungen musste sie nicht erdulden, und mit welcher Stirn wusste sie sich in ihr Schicksal zu finden, ja mit welcher Art diese schändlichen Fesseln zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1410,"orig":"So lernte ich Ihr Geſchlecht kennen, mein Freund, und wie rein haßte ichs, da ich zu bemerken ſchien, daß ſelbſt leidliche Männer, im Verhältniß gegen das unſrige, jedem guten Gefühl zu entſagen ſchienen, zu dem ſie die Natur ſonſt noch mochte fähig gemacht haben.","norm":"So lernte ich Ihr Geschlecht kennen, mein Freund, und wie rein hasste ich es, da ich zu bemerken schien, dass selbst leidliche Männer, im Verhältnis gegen das unsrige, jedem guten Gefühl zu entsagen schienen, zu dem sie die Natur sonst noch mochte fähig gemacht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1411,"orig":"Leider mußt’ ich auch bey ſolchen Gelegenheiten viel traurige Erfahrungen über mein eigen Geſchlecht machen, und wahrhaftig, als Mädchen von ſechzehn Jahren war ich klüger als ich jetzt bin, jetzt, da ich mich ſelbſt kaum verſtehe.","norm":"Leider musste ich auch bei solchen Gelegenheiten viel traurige Erfahrungen über mein eigen Geschlecht machen, und wahrhaftig, als Mädchen von sechzehn Jahren war ich klüger als ich jetzt bin, jetzt, da ich mich selbst kaum verstehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1412,"orig":"Warum ſind wir ſo klug, wenn wir jung ſind, ſo klug, um immer thörichter zu werden?","norm":"Warum sind wir so klug, wenn wir jung sind, so klug, um immer törichter zu werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1413,"orig":"Der Knabe machte Lerm, Aurelie war ungeduldig und klingelte.","norm":"Der Knabe machte Lärm, Aurelie war ungeduldig und klingelte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1414,"orig":"Ein altes Weib kam herein, ihn wegzuholen.","norm":"Ein altes Weib kam herein, ihn wegzuholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1415,"orig":"Haſt du noch immer Zahnweh?","norm":"Hast du noch immer Zahnweh?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1416,"orig":"ſagte Aurelie zu der Alten, die das Geſicht verbunden hatte.","norm":"sagte Aurelie zu der Alten, die das Gesicht verbunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1417,"orig":"Faſt unleidliches, verſetzte dieſe mit dumpfer Stimme, hob den Knaben auf, der gerne mitzugehen ſchien, und brachte ihn weg.","norm":"Fast unleidliches, versetzte diese mit dumpfer Stimme, hob den Knaben auf, der gerne mitzugehen schien, und brachte ihn weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1418,"orig":"Kaum war das Kind bey Seite, als Aurelie bitterlich zu weinen anfing.","norm":"Kaum war das Kind beiseite, als Aurelie bitterlich zu weinen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1419,"orig":"Ich kann nichts als jammern und klagen, rief ſie aus, und ich ſchäme mich, wie ein armer Wurm vor ihnen zu liegen.","norm":"Ich kann nichts als jammern und klagen, rief sie aus, und ich schäme mich, wie ein armer Wurm vor Ihnen zu liegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1420,"orig":"Meine Beſonnenheit iſt ſchon weg, und ich kann nicht mehr erzählen.","norm":"Meine Besonnenheit ist schon weg, und ich kann nicht mehr erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1421,"orig":"Sie ſtockte und ſchwieg.","norm":"Sie stockte und schwieg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1422,"orig":"Ihr Freund, der nichts Allgemeines ſagen wollte, und nichts Beſonderes zu ſagen wußte, druckte hre Hand, und ſah ſie eine Zeitlang an.","norm":"Ihr Freund, der nichts Allgemeines sagen wollte, und nichts Besonderes zu sagen wusste, drückte ihre Hand, und sah sie eine Zeitlang an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1423,"orig":"Endlich nahm er in der Verlegenheit ein Buch auf, das er vor ſich auf dem Tiſchchen liegen fand; es waren Shakeſpears Werke und Hamlet aufgeſchlagen.","norm":"Endlich nahm er in der Verlegenheit ein Buch auf, das er vor sich auf dem Tischchen liegen fand; es waren Shakespeares Werke und Hamlet aufgeschlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1424,"orig":"Serlo, der eben zur Thür herein kam, nach dem Befinden ſeiner Schweſter fragte, ſchaute in das Buch, das unſer Freund in der Hand hielt, und rief aus: find’ ich Sie wieder über Ihrem Hamlet?","norm":"Serlo, der eben zur Tür hereinkam, nach dem Befinden seiner Schwester fragte, schaute in das Buch, das unser Freund in der Hand hielt, und rief aus: finde ich Sie wieder über Ihrem Hamlet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1425,"orig":"Eben recht!","norm":"Eben recht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1426,"orig":"Es ſind mir gar manche Zweifel aufgeſtoßen, die das canoniſche Anſehn, das Sie dem Stücke ſo gerne geben möchten, ſehr zu vermindern ſcheinen.","norm":"Es sind mir gar manche Zweifel aufgestoßen, die das kanonische Ansehen, das Sie dem Stücke so gerne geben möchten, sehr zu vermindern scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1427,"orig":"Haben doch die Engländer ſelbſt bekannt, daß das Hauptintereſſe ſich mit dem dritten Akt ſchließe, daß die zwey letzten Akte nur kümmerlich das Ganze zuſammen hielten, und es iſt doch wahr, das Stück will gegen das Ende weder gehen noch rücken.","norm":"Haben doch die Engländer selbst bekannt, dass das Hauptinteresse sich mit dem dritten Akt schließe, dass die zwei letzten Akte nur kümmerlich das Ganze zusammenhielten, und es ist doch wahr, das Stück will gegen das Ende weder gehen noch rücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1428,"orig":"Es iſt ſehr möglich, ſagte Wilhelm, daß einige Glieder einer Nation, die ſo viel Meiſterſtücke aufzuweiſen hat, durch Vorurtheile und Beſchränktheit auf falſche Urtheile geleitet werden, aber das kann uns nicht hindern, mit eignen Augen zu ſehen, und gerecht zu ſeyn.","norm":"Es ist sehr möglich, sagte Wilhelm, dass einige Glieder einer Nation, die so viel Meisterstücke aufzuweisen hat, durch Vorurteile und Beschränktheit auf falsche Urteile geleitet werden, aber das kann uns nicht hindern, mit eigenen Augen zu sehen, und gerecht zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1429,"orig":"Ich bin weit entfernt, den Plan dieſes Stücks zu tadeln, ich glaube vielmehr, daß kein größerer erſonnen worden ſey.","norm":"Ich bin weit entfernt, den Plan dieses Stücks zu tadeln, ich glaube vielmehr, dass kein größerer ersonnen worden sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1430,"orig":"Ja, er iſt nicht erſonnen, es iſt ſo.","norm":"Ja, er ist nicht ersonnen, es ist so."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1431,"orig":"Wie wollen Sie das auslegen?","norm":"Wie wollen Sie das auslegen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1432,"orig":"fragte Serlo.","norm":"fragte Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1433,"orig":"Ich will nichts auslegen, verſetzte Wilhelm, ich will Ihnen nur vorſtellen, was ich mir denke.","norm":"Ich will nichts auslegen, versetzte Wilhelm, ich will Ihnen nur vorstellen, was ich mir denke."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1434,"orig":"Aurelie hob ſich von ihrem Kiſſen auf, ſtützte ſich auf ihre Hand, und ſah unſern Freund an, der mit der größten Verſicherung, daß er Recht habe, alſo zu reden fortfuhr: es gefällt uns ſo wohl, es ſchmeichelt ſo ſehr, wenn wir einen Helden ſehen, der durch ſich ſelbſt handelt, der liebt und haßt, wenn es ihm ſein Herz gebietet, der unternimmt und ausführt, alle Hinderniſſe abwendet und zu einem großen Zwecke gelangt.","norm":"Aurelie hob sich von ihrem Kissen auf, stützte sich auf ihre Hand, und sah unseren Freund an, der mit der größten Versicherung, dass er Recht habe, also zu reden fortfuhr: Es gefällt uns so wohl, es schmeichelt so sehr, wenn wir einen Helden sehen, der durch sich selbst handelt, der liebt und hasst, wenn es ihm sein Herz gebietet, der unternimmt und ausführt, alle Hindernisse abwendet und zu einem großen Zwecke gelangt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1435,"orig":"Geſchichtsſchreiber und Dichter möchten uns gerne überreden, daß ein ſo ſtolzes Loos dem Menſchen fallen könne.","norm":"Geschichtsschreiber und Dichter möchten uns gerne überreden, dass ein so stolzes Los dem Menschen fallen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1436,"orig":"Hier werden wir anders belehrt; der Held hat keinen Plan, aber das Stück iſt planvoll.","norm":"Hier werden wir anders belehrt; der Held hat keinen Plan, aber das Stück ist planvoll."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1437,"orig":"Hier wird nicht etwa durch eine ſtarr und eigenſinnig durchgeführte Idee von Rache ein Böſewicht beſtraft, nein es geſchieht eine ungeheure That, ſie wälzt ſich in ihren Folgen fort, reißt Unſchuldige mit; der Verbrecher ſcheint dem Abgrunde, der ihm beſtimmt iſt, ausweichen zu wollen, und ſtürzt hinein, eben da, wo er ſeinen Weg glücklich auszulaufen gedenkt.","norm":"Hier wird nicht etwa durch eine starr und eigensinnig durchgeführte Idee von Rache ein Bösewicht bestraft, nein es geschieht eine ungeheure Tat, sie wälzt sich in ihren Folgen fort, reißt Unschuldige mit; der Verbrecher scheint dem Abgrunde, der ihm bestimmt ist, ausweichen zu wollen, und stürzt hinein, eben da, wo er seinen Weg glücklich auszulaufen gedenkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1438,"orig":"Denn das iſt die Eigenſchaft der Greuelthat, daß ſie auch Böſes über den Unſchuldigen, wie der guten Handlung, daß ſie viele Vortheile auch über den Unverdienten ausbreitet, ohne daß der Urheber von beiden oft weder beſtraft noch belohnt wird.","norm":"Denn das ist die Eigenschaft der Gräueltat, dass sie auch Böses über den Unschuldigen, wie der guten Handlung, dass sie viele Vorteile auch über den Unverdienten ausbreitet, ohne dass der Urheber von beiden oft weder bestraft noch belohnt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1439,"orig":"Hier in unſerm Stücke wie wunderbar!","norm":"Hier in unserem Stücke wie wunderbar!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1440,"orig":"Das Fegefeuer ſendet ſeinen Geiſt und fordert Rache, aber vergebens.","norm":"Das Fegefeuer sendet seinen Geist und fordert Rache, aber vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1441,"orig":"Alle Umſtände kommen zuſammen, und treiben die Rache, vergebens!","norm":"Alle Umstände kommen zusammen, und treiben die Rache, vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1442,"orig":"Weder Irrdiſchen noch Unterirrdiſchen kann gelingen, was dem Schickſal allein vorbehalten iſt.","norm":"Weder irdischen noch Unterirdischen kann gelingen, was dem Schicksal allein vorbehalten ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1443,"orig":"Die Gerichtsſtunde kommt.","norm":"Die Gerichtsstunde kommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1444,"orig":"Der Böſe fällt mit dem Guten.","norm":"Der Böse fällt mit dem Guten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1445,"orig":"Ein Geſchlecht wird weggemäht, und das andere ſproßt auf.","norm":"Ein Geschlecht wird weggemäht, und das andere sprosst auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1446,"orig":"Nach einer Pauſe, in der ſie einander anſahen, nahm Serlo das Wort:","norm":"Nach einer Pause, in der sie einander ansahen, nahm Serlo das Wort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1447,"orig":"Sie machen der Vorſehung kein ſonderlich Compliment, indem Sie den Dichter erheben, und dann ſcheinen Sie mir wieder zu Ehren Ihres Dichters, wie andere zu Ehren der Vorſehung, ihm Endzweck und Plane unterzuſchieben, an die er nicht gedacht hat.","norm":"Sie machen der Vorsehung kein sonderlich Kompliment, indem Sie den Dichter erheben, und dann scheinen Sie mir wieder zu Ehren Ihres Dichters, wie andere zu Ehren der Vorsehung, ihm Endzweck und Plane unterzuschieben, an die er nicht gedacht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1448,"orig":"Laſſen Sie mich, ſagte Aurelie, nun auch eine Frage thun.","norm":"Lassen Sie mich, sagte Aurelie, nun auch eine Frage tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1449,"orig":"Ich habe Opheliens Rolle wieder angeſehen, ich bin zufrieden damit, und getraue mir ſie unter gewiſſen Umſtänden zu ſpielen.","norm":"Ich habe Ophelias Rolle wieder angesehen, ich bin zufrieden damit, und getraue mir sie unter gewissen Umständen zu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1450,"orig":"Aber ſagen Sie mir, hätte der Dichter ſeiner Wahnſinnigen nicht andere Liedchen unterlegen ſollen?","norm":"Aber sagen Sie mir, hätte der Dichter seiner Wahnsinnigen nicht andere Liedchen unterlegen sollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1451,"orig":"Könnte man nicht Fragmente aus melancholiſchen Balladen wählen?","norm":"Könnte man nicht Fragmente aus melancholischen Balladen wählen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1452,"orig":"was ſollen Zweydeutigkeiten und lüſterne Albernheiten in dem Munde dieſes edlen Mädchens?","norm":"Was sollen Zweideutigkeiten und lüsterne Albernheiten in dem Munde dieses edlen Mädchens?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1453,"orig":"Beſte Freundin, verſetzte Wilhelm, ich kann auch hier nicht ein Jota nachgeben.","norm":"Beste Freundin, versetzte Wilhelm, ich kann auch hier nicht ein Jota nachgeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1454,"orig":"Auch in dieſen Sonderbarkeiten, auch in dieſer anſcheinenden Unſchicklichkeit liegt ein großer Sinn.","norm":"Auch in diesen Sonderbarkeiten, auch in dieser anscheinenden Unschicklichkeit liegt ein großer Sinn."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1455,"orig":"Wiſſen wir doch gleich zu Anfange des Stücks, womit das Gemüth des guten Kindes beſchäftigt iſt.","norm":"Wissen wir doch gleich zu Anfange des Stücks, womit das Gemüt des guten Kindes beschäftigt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1456,"orig":"Stille lebte ſie vor ſich hin, aber kaum verbarg ſie ihre Sehnſucht, ihre Wünſche.","norm":"Stille lebte sie vor sich hin, aber kaum verbarg sie ihre Sehnsucht, ihre Wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1457,"orig":"Heimlich klangen die Töne der Lüſternheit in ihrer Seele, und wie oft mag ſie verſucht haben, gleich einer unvorſichtigen Wärterin ihre Sinnlichkeit zur Ruhe zu ſingen mit Liedchen, die ſie nur mehr wach halten mußten.","norm":"Heimlich klangen die Töne der Lüsternheit in ihrer Seele, und wie oft mag sie versucht haben, gleich einer unvorsichtigen Wärterin ihre Sinnlichkeit zur Ruhe zu singen mit Liedchen, die sie nur mehr wach halten mussten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1458,"orig":"Zuletzt, da ihr jede Gewalt über ſich ſelbſt entriſſen iſt, da ihr Herz auf der Zunge ſchwebt, wird dieſe Zunge ihre Verrätherin, und in der Unſchuld des Wahnſinns ergötzt ſie ſich vor König und Königin an dem Nachklange ihrer geliebten, loſen Lieder: vom Mädchen, das gewonnen ward; vom Mädchen, das zum Knaben ſchleicht, und ſo weiter.","norm":"Zuletzt, da ihr jede Gewalt über sich selbst entrissen ist, da ihr Herz auf der Zunge schwebt, wird diese Zunge ihre Verräterin, und in der Unschuld des Wahnsinns ergötzt sie sich vor König und Königin an dem Nachklange ihrer geliebten, losen Lieder: vom Mädchen, das gewonnen wurde; vom Mädchen, das zum Knaben schleicht, und so weiter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1459,"orig":"Er hatte noch nicht ausgeredet, als auf einmal eine wunderbare Scene vor ſeinen Augen entſtand, die er ſich auf keine Weiſe erklären konnte.","norm":"Er hatte noch nicht ausgeredet, als auf einmal eine wunderbare Szene vor seinen Augen entstand, die er sich auf keine Weise erklären konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1460,"orig":"Serlo war einigemal in der Stube auf und ab gegangen, ohne daß er irgend eine Abſicht merken ließ.","norm":"Serlo war einige Mal in der Stube auf und ab gegangen, ohne dass er irgendeine Absicht merken ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1461,"orig":"Auf einmal trat er an Aureliens Putztiſch, griff ſchnell nach etwas das darauf lag, und eilte mit ſeiner Beute der Thüre zu.","norm":"Auf einmal trat er an Aurelies Putztisch, griff schnell nach etwas das darauf lag, und eilte mit seiner Beute der Türe zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1462,"orig":"Aurelie bemerkte kaum ſeine Handlung, als ſie auffuhr, ſich ihm in den Weg warf, ihn mit unglaublicher Leidenſchaft angriff, und geſchickt genug war, ein Ende des geraubten Gegenſtandes zu faſſen.","norm":"Aurelie bemerkte kaum seine Handlung, als sie auffuhr, sich ihm in den Weg warf, ihn mit unglaublicher Leidenschaft angriff, und geschickt genug war, ein Ende des geraubten Gegenstandes zu fassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1463,"orig":"Sie rangen und balgten ſich ſehr hartnäckig, drehten und wanden ſich lebhaft mit einander herum; er lachte, ſie ereiferte ſich, und als Wilhelm hinzu eilte, ſie auseinander zu bringen und zu beſänftigen, ſah er auf einmal Aurelien mit einem bloßen Dolch in der Hand auf die Seite ſpringen, indem Serlo die Scheide, die ihm zurückgeblieben war, verdrießlich auf den Boden warf.","norm":"Sie rangen und balgten sich sehr hartnäckig, drehten und wanden sich lebhaft miteinander herum; er lachte, sie ereiferte sich, und als Wilhelm hinzueilte, sie auseinander zu bringen und zu besänftigen, sah er auf einmal Aurelie mit einem bloßen Dolch in der Hand auf die Seite springen, indem Serlo die Scheide, die ihm zurückgeblieben war, verdrießlich auf den Boden warf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1464,"orig":"Wilhelm trat erſtaunt zurück, und ſeine ſtumme Verwunderung ſchien nach der Urſache zu fragen, warum ein ſo ſonderbarer Streit über einen ſo wunderbaren Hausrath habe unter ihnen entſtehen können?","norm":"Wilhelm trat erstaunt zurück, und seine stumme Verwunderung schien nach der Ursache zu fragen, warum ein so sonderbarer Streit über einen so wunderbaren Hausrat habe unter ihnen entstehen können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1465,"orig":"Sie ſollen, ſprach Serlo, Schiedsrichter zwiſchen uns beiden ſeyn.","norm":"Sie sollen, sprach Serlo, Schiedsrichter zwischen uns beiden sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1466,"orig":"Was hat ſie mit dem ſcharfen Stahle zu thun?","norm":"Was hat sie mit dem scharfen Stahle zu tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1467,"orig":"Laſſen Sie ſich ihn zeigen.","norm":"Lassen Sie sich ihn zeigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1468,"orig":"Dieſer Dolch ziemt keiner Schauſpielerin; ſpitz und ſcharf wie Nadel und Meſſer!","norm":"Dieser Dolch ziemt keiner Schauspielerin; spitz und scharf wie Nadel und Messer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1469,"orig":"Zu was die Poſſe?","norm":"Zu was die Posse?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1470,"orig":"Heftig wie ſie iſt, thut ſie ſich noch einmal von ohngefähr ein Leids.","norm":"Heftig wie sie ist, tut sie sich noch einmal von ungefähr ein Leide es."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1471,"orig":"Ich habe einen innerlichen Haß gegen ſolche Sonderbarkeiten, ein ernſtlicher Gedanke dieſer Art iſt toll, und ein ſo gefährliches Spielwerk iſt abgeſchmackt.","norm":"Ich habe einen innerlichen Hass gegen solche Sonderbarkeiten, ein ernstlicher Gedanke dieser Art ist toll, und ein so gefährliches Spielwerk ist abgeschmackt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1472,"orig":"Ich habe ihn wieder, rief Aurelie, indem ſie die blanke Klinge in die Höhe hielt, ich will meinen treuen Freund nun beſſer verwahren.","norm":"Ich habe ihn wieder, rief Aurelie, indem sie die blanke Klinge in die Höhe hielt, ich will meinen treuen Freund nun besser verwahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1473,"orig":"Verzeih mir, rief ſie aus, indem ſie den Stahl küßte, daß ich dich ſo vernachläßigt habe!","norm":"Verzeih mir, rief sie aus, indem sie den Stahl küsste, dass ich dich so vernachlässigt habe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1474,"orig":"Serlo ſchien im Ernſte böſe zu werden.","norm":"Serlo schien im Ernste böse zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1475,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1476,"orig":"Nimm es wie du willſt, Bruder, fuhr ſie fort, kannſt du denn wiſſen, ob mir nicht etwa unter dieſer Form ein köſtlicher Talisman beſcheert iſt; ob ich nicht Hülfe und Rath zur ſchlimmſten Zeit bey ihm finde; muß denn alles ſchädlich ſeyn, was gefährlich ausſieht?","norm":"Nimm es wie du willst, Bruder, fuhr sie fort, kannst du denn wissen, ob mir nicht etwa unter dieser Form ein köstlicher Talisman beschert ist; ob ich nicht Hilfe und Rat zur schlimmsten Zeit bei ihm finde; muss denn alles schädlich sein, was gefährlich aussieht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1477,"orig":"Dergleichen Reden, in denen kein Sinn iſt, können mich toll machen, ſagte Serlo, und verließ mit heimlichem Grimme das Zimmer.","norm":"Dergleichen Reden, in denen kein Sinn ist, können mich toll machen, sagte Serlo, und verließ mit heimlichem Grimme das Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1478,"orig":"Aurelie verwahrte den Dolch ſorgfältig in der Scheide, und ſteckte ihn zu ſich.","norm":"Aurelie verwahrte den Dolch sorgfältig in der Scheide, und steckte ihn zu sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1479,"orig":"Laſſen Sie uns das Geſpräch fortſetzen, das der unglückliche Bruder geſtört hat, fiel ſie ein, als Wilhelm einige Fragen über den ſonderbaren Streit vorbrachte.","norm":"Lassen Sie uns das Gespräch fortsetzen, das der unglückliche Bruder gestört hat, fiel sie ein, als Wilhelm einige Fragen über den sonderbaren Streit vorbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1480,"orig":"Ich muß Ihre Schilderung Opheliens wohl gelten laſſen, fuhr ſie fort: ich will die Abſicht des Dichters nicht verkennen; nur kann ich ſie mehr bedauern, als mit ihr empfinden.","norm":"Ich muss Ihre Schilderung Ophelias wohl gelten lassen, fuhr sie fort: Ich will die Absicht des Dichters nicht verkennen; nur kann ich sie mehr bedauern, als mit ihr empfinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1481,"orig":"Nun aber erlauben Sie mir eine Betrachtung, zu der Sie mir in der kurzen Zeit oft Gelegenheit gegeben haben: mit Bewunderung bemerke ich an Ihnen den tiefen und richtigen Blick, mit dem Sie Dichtung und beſonders dramatiſche Dichtung beurtheilen; die tiefſten Abgründe der Erfindung ſind Ihnen nicht verborgen, und die feinſten Züge der Ausführung ſind Ihnen bemerkbar.","norm":"Nun aber erlauben Sie mir eine Betrachtung, zu der Sie mir in der kurzen Zeit oft Gelegenheit gegeben haben: Mit Bewunderung bemerke ich an Ihnen den tiefen und richtigen Blick, mit dem Sie Dichtung und besonders dramatische Dichtung beurteilen; die tiefsten Abgründe der Erfindung sind Ihnen nicht verborgen, und die feinsten Züge der Ausführung sind Ihnen bemerkbar."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1482,"orig":"Ohne die Gegenſtände jemals in der Natur erblickt zu haben, erkennen Sie die Wahrheit im Bilde; es ſcheint eine Vorempfindung der ganzen Welt in Ihnen zu liegen, welche durch die harmoniſche Berührung der Dichtkunſt erregt und entwickelt wird.","norm":"Ohne die Gegenstände jemals in der Natur erblickt zu haben, erkennen Sie die Wahrheit im Bilde; es scheint eine Vorempfindung der ganzen Welt in Ihnen zu liegen, welche durch die harmonische Berührung der Dichtkunst erregt und entwickelt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1483,"orig":"Denn wahrhaftig, fuhr ſie fort, von auſſen kommt nichts in Sie hinein; ich habe nicht leicht jemanden geſehen, der die Menſchen, mit denen er lebt, ſo wenig kennt, ſo von Grund aus verkennt, wie Sie.","norm":"Denn wahrhaftig, fuhr sie fort, von außen kommt nichts in Sie hinein; ich habe nicht leicht jemanden gesehen, der die Menschen, mit denen er lebt, so wenig kennt, so von Grund aus verkennt, wie Sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1484,"orig":"Erlauben Sie mir, es zu ſagen: wenn man Sie Ihren Shakeſpear erklären hört, glaubt man, Sie kämen eben aus dem Rathe der Götter, und hätten zugehört, wie man ſich daſelbſt beredet, Menſchen zu bilden; wenn Sie dagegen mit Leuten umgehen, ſeh ich in Ihnen gleichſam das erſte, groß gebohrne Kind der Schöpfung, das mit ſonderlicher Verwunderung und erbaulicher Gutmüthigkeit Löwen und Affen, Schafe und Elephanten anſtaunt, und ſie treuherzig als ſeines gleichen anſpricht, weil ſie eben auch da ſind und ſich bewegen.","norm":"Erlauben Sie mir, es zu sagen: wenn man Sie Ihren Shakespeare erklären hört, glaubt man, Sie kämen eben aus dem Rate der Götter, und hätten zugehört, wie man sich daselbst beredet, Menschen zu bilden; wenn Sie dagegen mit Leuten umgehen, sehe ich in Ihnen gleichsam das erste, großgeborene Kind der Schöpfung, das mit sonderlicher Verwunderung und erbaulicher Gutmütigkeit Löwen und Affen, Schafe und Elefanten anstaunt, und sie treuherzig als seinesgleichen anspricht, weil sie eben auch da sind und sich bewegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1485,"orig":"Die Ahndung meines ſchülerhaften Weſens, werthe Freundin, verſetzte er, iſt mir öfters läſtig, und ich werde Ihnen danken, wenn Sie mir über die Welt zu mehrerer Klarheit verhelfen wollen.","norm":"Die Ahnung meines schülerhaften Wesens, werte Freundin, versetzte er, ist mir öfters lästig, und ich werde Ihnen danken, wenn Sie mir über die Welt zu mehrerer Klarheit verhelfen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1486,"orig":"Ich habe von Jugend auf die Augen meines Geiſtes mehr nach Innen als nach Auſſen gerichtet, und da iſt es ſehr natürlich, daß ich den Menſchen bis auf einen gewiſſen Grad habe kennen lernen, ohne die Menſchen im mindeſten zu verſtehen und zu begreifen.","norm":"Ich habe von Jugend auf die Augen meines Geistes mehr nach innen als nach Außen gerichtet, und da ist es sehr natürlich, dass ich den Menschen bis auf einen gewissen Grad habe kennen lernen, ohne die Menschen im mindesten zu verstehen und zu begreifen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1487,"orig":"Gewiß, ſagte Aurelie, ich hatte Sie Anfangs in Verdacht, als wollten Sie uns zum Beſten haben, da Sie von den Leuten, die Sie meinem Bruder zugeſchickt haben, ſo manches Gutes ſagten, wenn ich Ihre Briefe mit den Verdienſten dieſer Menſchen zuſammen hielt.","norm":"Gewiss, sagte Aurelie, ich hatte Sie Anfangs in Verdacht, als wollten Sie uns zum Besten haben, da Sie von den Leuten, die Sie meinem Bruder zugeschickt haben, so manches Gutes sagten, wenn ich Ihre Briefe mit den Verdiensten dieser Menschen zusammenhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1488,"orig":"Die Bemerkung Aureliens, ſo wahr ſie ſeyn mochte, und ſo gern ihr Freund dieſen Mangel bey ſich geſtand, führte doch etwas Drückendes, ja ſogar Beleidigendes mit ſich, daß er ſtill ward, und ſich zuſammen nahm, theils um keine Empfindlichkeit merken zu laſſen, theils in ſeinem Buſen nach der Wahrheit dieſes Vorwurfs zu forſchen.","norm":"Die Bemerkung Aurelies, so wahr sie sein mochte, und so gern ihr Freund diesen Mangel bei sich gestand, führte doch etwas Drückendes, ja sogar beleidigendes mit sich, dass er still wurde, und sich zusammennahm, teils um keine Empfindlichkeit merken zu lassen, teils in seinem Busen nach der Wahrheit dieses Vorwurfs zu forschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1489,"orig":"Sie dürfen nicht darüber betreten ſeyn, fuhr Aurelie fort, zum Lichte des Verſtandes können wir immer gelangen; aber die Fülle des Herzens kann uns niemand geben.","norm":"Sie dürfen nicht darüber betreten sein, fuhr Aurelie fort, zum Lichte des Verstandes können wir immer gelangen; aber die Fülle des Herzens kann uns niemand geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1490,"orig":"Sind Sie zum Künſtler beſtimmt; ſo können Sie dieſe Dunkelheit und Unſchuld nicht lange genug bewahren; ſie iſt die ſchöne Hülle über der jungen Knoſpe;","norm":"Sind Sie zum Künstler bestimmt; so können Sie diese Dunkelheit und Unschuld nicht lange genug bewahren; sie ist die schöne Hülle über der jungen Knospe;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1491,"orig":"Unglücks genug, wenn wir zu früh herausgetrieben werden.","norm":"Unglücks genug, wenn wir zu früh herausgetrieben werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1492,"orig":"Gewiß es iſt gut, wenn wir die nicht immer kennen, für die wir arbeiten.","norm":"Gewiss es ist gut, wenn wir die nicht immer kennen, für die wir arbeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1493,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1494,"orig":"ich war auch einmal in dieſem glücklichen Zuſtande, als ich mit dem höchſten Begrif von mir ſelbſt und meiner Nation die Bühne betrat.","norm":"ich war auch einmal in diesem glücklichen Zustande, als ich mit dem höchsten Begriff von mir selbst und meiner Nation die Bühne betrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1495,"orig":"Was waren die Deutſchen nicht in meiner Einbildung, was konnten ſie nicht ſeyn!","norm":"Was waren die Deutschen nicht in meiner Einbildung, was konnten sie nicht sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1496,"orig":"Zu dieſer Nation ſprach ich, über die mich ein kleines Gerüſt erhob, von welcher mich eine Reihe Lampen trennte, deren Glanz und Dampf mich hinderte, die Gegenſtände vor mir genau zu unterſcheiden.","norm":"Zu dieser Nation sprach ich, über die mich ein kleines Gerüst erhob, von welcher mich eine Reihe Lampen trennte, deren Glanz und Dampf mich hinderte, die Gegenstände vor mir genau zu unterscheiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1497,"orig":"Wie willkommen war mir der Klang des Beyfalls, der aus der Menge herauf tönte; wie dankbar nahm ich das Geſchenk an, das mir einſtimmig von ſo vielen Händen dargebracht wurde.","norm":"Wie willkommen war mir der Klang des Beifalls, der aus der Menge herauftönte; wie dankbar nahm ich das Geschenk an, das mir einstimmig von so vielen Händen dargebracht wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1498,"orig":"Lange wiegte ich mich ſo hin; wie ich wirkte, wirkte die Menge wieder auf mich zurück, ich war mit meinem Publikum in dem beſten Vernehmen; ich glaubte eine vollkommene Harmonie zu fühlen, und jederzeit die Edelſten und Beſten der Nation vor mir zu ſehen.","norm":"Lange wiegte ich mich so hin; wie ich wirkte, wirkte die Menge wieder auf mich zurück, ich war mit meinem Publikum in dem besten Vernehmen; ich glaubte eine vollkommene Harmonie zu fühlen, und jederzeit die Edelsten und Besten der Nation vor mir zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1499,"orig":"Unglücklicherweiſe war es nicht die Schauſpielerin allein, deren Naturell und Kunſt die Theaterfreunde intereſſirte, ſie machten auch Anſprüche an das junge lebhafte Mädchen.","norm":"Unglücklicherweise war es nicht die Schauspielerin allein, deren Naturell und Kunst die Theaterfreunde interessierte, sie machten auch Ansprüche an das junge lebhafte Mädchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1500,"orig":"Sie gaben mir nicht undeutlich zu verſtehen, daß meine Pflicht ſey, die Empfindungen, die ich in ihnen rege gemacht, auch perſönlich mit ihnen zu theilen.","norm":"Sie gaben mir nicht undeutlich zu verstehen, dass meine Pflicht sei, die Empfindungen, die ich in ihnen rege gemacht, auch persönlich mit ihnen zu teilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1501,"orig":"Leider war das nicht meine Sache, ich wünſchte ihre Gemüther zu erheben; aber an das, was ſie ihr Herz nannten, hatte ich nicht den mindeſten Anſpruch, und nun wurden mir alle Stände, Alter und Charaktere, einer um den andern zur Laſt, und nichts war mir verdrießlicher, als daß ich mich nicht wie ein anderes ehrliches Mädchen in mein Zimmer verſchließen, und ſo mir manche Mühe erſparen konnte.","norm":"Leider war das nicht meine Sache, ich wünschte ihre Gemüter zu erheben; aber an das, was sie ihr Herz nannten, hatte ich nicht den mindesten Anspruch, und nun wurden mir alle Stände, Alter und Charaktere, einer um den anderen zur Last, und nichts war mir verdrießlicher, als dass ich mich nicht wie ein anderes ehrliches Mädchen in mein Zimmer verschließen, und so mir manche Mühe ersparen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1502,"orig":"Die Männer zeigten ſich meiſt, wie ich ſie bey meiner Tante zu ſehen gewohnt war, und ſie würden mir auch diesmal nur wieder Abſcheu erregt haben, wenn mich nicht ihre Eigenheiten und Albernheiten unterhalten hätten.","norm":"Die Männer zeigten sich meist, wie ich sie bei meiner Tante zu sehen gewohnt war, und sie würden mir auch diesmal nur wieder Abscheu erregt haben, wenn mich nicht ihre Eigenheiten und Albernheiten unterhalten hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1503,"orig":"Da ich nicht vermeiden konnte, ſie bald auf dem Theater, bald an öffentlichen Orten, bald zu Hauſe zu ſehen, nahm ich mir vor, ſie alle auszulauern, und mein Bruder half mir wacker dazu.","norm":"Da ich nicht vermeiden konnte, sie bald auf dem Theater, bald an öffentlichen Orten, bald zu Hause zu sehen, nahm ich mir vor, sie alle auszulauern, und mein Bruder half mir wacker dazu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1504,"orig":"Und wenn Sie denken, daß vom beweglichen Ladendiener und dem eingebildeten Kaufmannsſohn, bis zum gewandten abwiegenden Weltmann, dem kühnen Soldaten und dem raſchen Prinzen, alle, nach und nach, bey mir vorbey gegangen ſind, und jeder nach ſeiner Art ſeinen Roman anzuknüpfen gedachte; ſo werden Sie mir verzeihen, wenn ich mir einbildete, mit meiner Nation ziemlich bekannt zu ſeyn.","norm":"Und wenn Sie denken, dass vom beweglichen Ladendiener und dem eingebildeten Kaufmannssohn, bis zum gewandten abwiegenden Weltmann, dem kühnen Soldaten und dem raschen Prinzen, alle, nach und nach, bei mir vorbeibeigegangen sind, und jeder nach seiner Art seinen Roman anzuknüpfen gedachte; so werden Sie mir verzeihen, wenn ich mir einbildete, mit meiner Nation ziemlich bekannt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1505,"orig":"Den phantaſtiſch aufgeſtutzten Studenten, den demüthig-ſtolz verlegnen Gelehrten, den ſchwankfüßigen genügſamen Domherrn, den ſteifen aufmerkſamen Geſchäftsmann, den derben Landbaron, den freundlich glatt-platten Hofmann, den jungen aus der Bahn ſchreitenden Geiſtlichen, den gelaſſenen, ſo wie den ſchnellen und thätig ſpekulirenden Kaufmann, alle habe ich in Bewegung geſehen, und beym Himmel!","norm":"Den phantastisch aufgestutzten Studenten, den demütigstolz verlegenen Gelehrten, den schwankfüßigen genügsamen Domherrn, den steifen aufmerksamen Geschäftsmann, den derben Landbaron, den freundlich glatt-platten Hofmann, den jungen aus der Bahn schreitenden Geistlichen, den gelassenen, sowie den schnellen und tätig spekulierenden Kaufmann, alle habe ich in Bewegung gesehen, und beim Himmel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1506,"orig":"wenige fanden ſich darunter, die mir nur ein gemeines Intereſſe einzuflößen im Stande geweſen wären, vielmehr war es mir äußerſt verdrießlich, den Beyfall der Thoren im einzelnen, mit Beſchwerlichkeit und langer Weile, einzucaſſiren, der mir im Ganzen ſo wohl behagt hatte, den ich mir im Großen ſo gerne zueignete.","norm":"wenige fanden sich darunter, die mir nur ein gemeines Interesse einzuflößen imstande gewesen wären, vielmehr war es mir äußerst verdrießlich, den Beifall der Toren im Einzelnen, mit Beschwerlichkeit und langer Weile, einzukassieren, der mir im Ganzen so wohl behagt hatte, den ich mir im Großen so gerne zueignete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1507,"orig":"Wenn ich über mein Spiel ein vernünftiges Kompliment erwartete, wenn ich hoffte, ſie ſollten einen Autor loben, den ich hochſchätzte; ſo machten ſie eine alberne Anmerkung über die andere, und nannten ein abgeſchmacktes Stück, in welchem ſie wünſchten mich ſpielen zu ſehen.","norm":"Wenn ich über mein Spiel ein vernünftiges Kompliment erwartete, wenn ich hoffte, sie sollten einen Autor loben, den ich hochschätzte; so machten sie eine alberne Anmerkung über die andere, und nannten ein abgeschmacktes Stück, in welchem sie wünschten mich spielen zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1508,"orig":"Wenn ich in der Geſellſchaft herum horchte, ob nicht etwa ein edler, geiſtreicher, witziger Zug nachklänge, und zur rechten Zeit wieder zum Vorſchein käme, konnte ich ſelten eine Spur vernehmen.","norm":"Wenn ich in der Gesellschaft herumhorchte, ob nicht etwa ein edler, geistreicher, witziger Zug nachklänge, und zur rechten Zeit wieder zum Vorschein käme, konnte ich selten eine Spur vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1509,"orig":"Ein Fehler, der vorgekommen war, wenn ein Schauſpieler ſich verſprach oder irgend einen Provinzialiſm hören ließ, das waren die wichtigen Puncte, an denen ſie ſich feſt hielten, von denen ſie nicht los kommen konnten.","norm":"Ein Fehler, der vorgekommen war, wenn ein Schauspieler sich versprach oder irgendeinen Provinzialismus hören ließ, das waren die wichtigen Punkte, an denen sie sich festhielten, von denen sie nicht loskommen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1510,"orig":"Ich wußte zuletzt nicht, wohin ich mich wenden ſollte; ſie dünkten ſich zu klug, ſich unterhalten zu laſſen, und ſie glaubten mich wunderſam zu unterhalten, wenn ſie an mir herum tätſchelten.","norm":"Ich wusste zuletzt nicht, wohin ich mich wenden sollte; sie dünkten sich zu klug, sich unterhalten zu lassen, und sie glaubten mich wundersam zu unterhalten, wenn sie an mir herumtätschelten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1511,"orig":"Ich fing an, ſie alle von Herzen zu verachten, und es war mir eben, als wenn die ganze Nation ſich recht vorſätzlich bey mir durch ihre Abgeſandte habe proſtituiren wollen.","norm":"Ich fing an, sie alle von Herzen zu verachten, und es war mir eben, als wenn die ganze Nation sich recht vorsätzlich bei mir durch ihre Abgesandte habe prostituieren wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1512,"orig":"Sie kam mir im Ganzen ſo links vor, ſo übel erzogen, ſo ſchlecht unterrichtet, ſo leer von gefälligem Weſen, ſo geſchmacklos.","norm":"Sie kam mir im Ganzen so linkisch vor, so übel erzogen, so schlecht unterrichtet, so leer von gefälligem Wesen, so geschmacklos."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1513,"orig":"Oft rief ich aus: es kann doch kein Deutſcher einen Schuh zuſchnallen, der es nicht von einer fremden Nation gelernt hat!","norm":"Oft rief ich aus: Es kann doch kein Deutscher einen Schuh zuschnallen, der es nicht von einer fremden Nation gelernt hat!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1514,"orig":"Sie ſehen, wie verblendet, wie hypochondriſch ungerecht ich war, und je länger es währte, deſto mehr nahm meine Krankheit zu.","norm":"Sie sehen, wie verblendet, wie hypochondrisch ungerecht ich war, und je länger es währte, desto mehr nahm meine Krankheit zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1515,"orig":"Ich hätte mich umbringen können; allein ich verfiel auf ein ander Extrem: ich verheirathete mich, oder vielmehr ich ließ mich verheirathen.","norm":"Ich hätte mich umbringen können; allein ich verfiel auf ein ander Extrem: Ich verheiratete mich, oder vielmehr ich ließ mich verheiraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1516,"orig":"Mein Bruder, der das Theater übernommen hatte, wünſchte ſehr einen Gehülfen zu haben.","norm":"Mein Bruder, der das Theater übernommen hatte, wünschte sehr einen Gehilfen zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1517,"orig":"Seine Wahl fiel auf einen jungen Mann, der mir nicht zuwider war, dem alles mangelte, was mein Bruder beſaß, Genie, Leben, Geiſt und raſches Weſen; an dem ſich aber auch alles fand, was jenem abging:","norm":"Seine Wahl fiel auf einen jungen Mann, der mir nicht zuwider war, dem alles mangelte, was mein Bruder besaß, Genie, Leben, Geist und rasches Wesen; an dem sich aber auch alles fand, was jenem abging:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1518,"orig":"Liebe zur Ordnung, Fleiß, eine köſtliche Gabe hauszuhalten, und mit Gelde umzugehen.","norm":"Liebe zur Ordnung, Fleiß, eine köstliche Gabe hauszuhalten, und mit Gelde umzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1519,"orig":"Er iſt mein Mann geworden, ohne daß ich weiß wie, wir haben zuſammen gelebt, ohne daß ich recht weiß warum.","norm":"Er ist mein Mann geworden, ohne dass ich weiß wie, wir haben zusammen gelebt, ohne dass ich recht weiß warum."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1520,"orig":"Genug, unſre Sachen gingen gut.","norm":"Genug, unsere Sachen gingen gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1521,"orig":"Wir nahmen viel ein, davon war die Thätigkeit meines Bruders Urſache; wir kamen gut aus, und das war das Verdienſt meines Mannes.","norm":"Wir nahmen viel ein, davon war die Tätigkeit meines Bruders Ursache; wir kamen gut aus, und das war das Verdienst meines Mannes."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1522,"orig":"Ich dachte nicht mehr an Welt und Nation.","norm":"Ich dachte nicht mehr an Welt und Nation."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1523,"orig":"Mit der Welt hatte ich nichts zu theilen, und den Begriff von Nation hatte ich verloren.","norm":"Mit der Welt hatte ich nichts zu teilen, und den Begriff von Nation hatte ich verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1524,"orig":"Wenn ich auftrat, that ich’s um zu leben, ich öffnete den Mund nur, weil ich nicht ſchweigen durfte, weil ich doch heraus gekommen war, um zu reden.","norm":"Wenn ich auftrat, tat ich es um zu leben, ich öffnete den Mund nur, weil ich nicht schweigen durfte, weil ich doch herausgekommen war, um zu reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1525,"orig":"Doch, daß ich es nicht zu arg mache, eigentlich hatte ich mich ganz in die Abſicht meines Bruders ergeben; ihm war um Beyfall und Geld zu thun; denn, unter uns, er hört ſich gerne loben und braucht viel.","norm":"Doch, dass ich es nicht zu arg mache, eigentlich hatte ich mich ganz in die Absicht meines Bruders ergeben; ihm war um Beifall und Geld zu tun; denn, unter uns, er hört sich gerne loben und braucht viel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1526,"orig":"Ich ſpielte nun nicht mehr nach meinem Gefühl, nach meiner Überzeugung, ſondern wie er mich anwies, und wenn ich es ihm zu Danke gemacht hatte, war ich zufrieden.","norm":"Ich spielte nun nicht mehr nach meinem Gefühl, nach meiner Überzeugung, sondern wie er mich anwies, und wenn ich es ihm zu Danke gemacht hatte, war ich zufrieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1527,"orig":"Er richtete ſich nach allen Schwächen des Publikums; es ging Geld ein, er konnte nach ſeiner Willkühr leben, und wir hatten gute Tage mit ihm.","norm":"Er richtete sich nach allen Schwächen des Publikums; es ging Geld ein, er konnte nach seiner Willkür leben, und wir hatten gute Tage mit ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1528,"orig":"Ich war indeſſen in einen handwerksmäßigen Schlendrian gefallen.","norm":"Ich war indessen in einen handwerksmäßigen Schlendrian gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1529,"orig":"Ich zog meine Tage ohne Freude und Antheil hin, meine Ehe war kinderlos und dauerte nur kurze Zeit.","norm":"Ich zog meine Tage ohne Freude und Anteil hin, meine Ehe war kinderlos und dauerte nur kurze Zeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1530,"orig":"Mein Mann ward krank, ſeine Kräfte nahmen ſichtbar ab, die Sorge für ihn unterbrach meine allgemeine Gleichgültigkeit.","norm":"Mein Mann wurde krank, seine Kräfte nahmen sichtbar ab, die Sorge für ihn unterbrach meine allgemeine Gleichgültigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1531,"orig":"In dieſen Tagen machte ich eine Bekanntſchaft, mit der ein neues Leben für mich anfing, ein neues und ſchnelleres, denn es wird bald zu Ende ſeyn.","norm":"In diesen Tagen machte ich eine Bekanntschaft, mit der ein neues Leben für mich anfing, ein neues und schnelleres, denn es wird bald zu Ende sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1532,"orig":"Sie ſchwieg eine Zeitlang ſtille, dann fuhr ſie fort: auf einmal ſtockt meine geſchwätzige Laune, und ich getraue mir den Mund nicht weiter aufzuthun.","norm":"Sie schwieg eine Zeitlang stille, dann fuhr sie fort: auf einmal stockt meine geschwätzige Laune, und ich getraue mir den Mund nicht weiter aufzutun."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1533,"orig":"Laſſen Sie mich ein wenig ausruhen;","norm":"Lassen Sie mich ein wenig ausruhen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1534,"orig":"Sie ſollen nicht weggehen, ohne ausführlich all mein Unglück zu wiſſen.","norm":"Sie sollen nicht weggehen, ohne ausführlich all mein Unglück zu wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1535,"orig":"Rufen Sie doch indeſſen Mignon herein, und hören was ſie will.","norm":"Rufen Sie doch indessen Mignon herein, und hören was sie will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1536,"orig":"Das Kind war während Aureliens Erzählung einigemal im Zimmer geweſen.","norm":"Das Kind war während Aurelies Erzählung einige Mal im Zimmer gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1537,"orig":"Da man bey ſeinem Eintritt leiſer ſprach, war es wieder weggeſchlichen, ſaß auf dem Saale ſtill, und wartete.","norm":"Da man bei seinem Eintritt leiser sprach, war es wieder weggeschlichen, saß auf dem Saale still, und wartete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1538,"orig":"Als man ſie wieder hereinkommen hieß, brachte ſie ein Buch mit, das man bald an Form und Einband für einen kleinen geographiſchen Atlas erkannte.","norm":"Als man sie wieder hereinkommen ließ, brachte sie ein Buch mit, das man bald an Form und Einband für einen kleinen geographischen Atlas erkannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1539,"orig":"Sie hatte bey dem Pfarrer unterwegs mit großer Verwundrung die erſten Landkarten geſehen, ihn viel darüber gefragt, und ſich, ſo weit es gehen wollte, unterrichtet.","norm":"Sie hatte bei dem Pfarrer unterwegs mit großer Verwunderung die ersten Landkarten gesehen, ihn viel darüber gefragt, und sich, soweit es gehen wollte, unterrichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1540,"orig":"Ihr Verlangen etwas zu lernen ſchien durch dieſe neue Kenntnis noch viel lebhafter zu werden.","norm":"Ihr Verlangen etwas zu lernen schien durch diese neue Kenntnis noch viel lebhafter zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1541,"orig":"Sie bat Wilhelmen inſtändig, ihr das Buch zu kaufen.","norm":"Sie bat Wilhelm inständig, ihr das Buch zu kaufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1542,"orig":"Sie habe dem Bildermann ihre großen ſilbernen Schnallen dafür eingeſetzt, und wolle ſie, weil es heute Abend ſo ſpät geworden, morgen früh wieder einlöſen.","norm":"Sie habe dem Bildermann ihre großen silbernen Schnallen dafür eingesetzt, und wolle sie, weil es heute Abend so spät geworden, morgen früh wieder einlösen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1543,"orig":"Es ward ihr bewilligt, und ſie fing nun an, dasjenige, was ſie wußte, theils herzuſagen, theils nach ihrer Art die wunderlichſten Fragen zu thun.","norm":"Es wurde ihr bewilligt, und sie fing nun an, dasjenige, was sie wusste, teils herzusagen, teils nach ihrer Art die wunderlichsten Fragen zu tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1544,"orig":"Man konnte auch hier wieder bemerken, daß bey einer großen Anſtrengung ſie nur ſchwer und mühſam begriff.","norm":"Man konnte auch hier wieder bemerken, dass bei einer großen Anstrengung sie nur schwer und mühsam begriff."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1545,"orig":"So war auch ihre Handſchrift, mit der ſie ſich viele Mühe gab.","norm":"So war auch ihre Handschrift, mit der sie sich viele Mühe gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1546,"orig":"Sie ſprach noch immer ſehr gebrochen deutſch, und nur wenn ſie den Mund zum Singen aufthat, wenn ſie die Zither rührte, ſchien ſie ſich des einzigen Organs zu bedienen, wodurch ſie ihr Innerſtes aufſchlieſſen und mittheilen konnte.","norm":"Sie sprach noch immer sehr gebrochen deutsch, und nur wenn sie den Mund zum Singen auftat, wenn sie die Zither rührte, schien sie sich des einzigen Organs zu bedienen, wodurch sie ihr Innerstes aufschließen und mitteilen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1547,"orig":"Wir müſſen, da wir gegenwärtig von ihr ſprechen, auch der Verlegenheit gedenken, in die ſie ſeit einiger Zeit unſern Freund öfters verſetzte.","norm":"Wir müssen, da wir gegenwärtig von ihr sprechen, auch der Verlegenheit gedenken, in die sie seit einiger Zeit unseren Freund öfters versetzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1548,"orig":"Wenn ſie kam oder ging, guten Morgen, oder gute Nacht ſagte, ſchloß ſie ihn ſo feſt in ihre Arme, und küßte ihn mit ſolcher Inbrunſt, daß ihn die Heftigkeit dieſer aufkeimenden Natur oft angſt und bange machte.","norm":"Wenn sie kam oder ging, guten Morgen, oder gute Nacht sagte, schloss sie ihn so fest in ihre Arme, und küsste ihn mit solcher Inbrunst, dass ihn die Heftigkeit dieser aufkeimenden Natur oft Angst und Bange machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1549,"orig":"Die zuckende Lebhaftigkeit ſchien ſich in ihrem Betragen täglich zu vermehren, und ihr ganzes Weſen bewegte ſich in einer raſtloſen Stille.","norm":"Die zuckende Lebhaftigkeit schien sich in ihrem Betragen täglich zu vermehren, und ihr ganzes Wesen bewegte sich in einer rastlosen Stille."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1550,"orig":"Sie konnte nicht ſeyn, ohne einen Bindfaden in den Händen zu drehen, ein Tuch zu kneten, Papier oder Hölzchen zu kauen.","norm":"Sie konnte nicht sein, ohne einen Bindfaden in den Händen zu drehen, ein Tuch zu kneten, Papier oder Hölzchen zu kauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1551,"orig":"Jedes ihrer Spiele ſchien nur eine innere heftige Erſchütterung abzuleiten.","norm":"Jedes ihrer Spiele schien nur eine innere heftige Erschütterung abzuleiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1552,"orig":"Das Einzige, was ihr einige Heiterkeit zu geben ſchien, war die Nähe des kleinen Felix, mit dem ſie ſich ſehr artig abzugeben wußte.","norm":"Das Einzige, was ihr einige Heiterkeit zu geben schien, war die Nähe des kleinen Felix, mit dem sie sich sehr artig abzugeben wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1553,"orig":"Aurelie, die nach einiger Ruhe geſtimmt war, ſich mit ihrem Freunde über einen Gegenſtand, der ihr ſo ſehr am Herzen lag, endlich zu erklären, ward über die Beharrlichkeit der Kleinen diesmal ungeduldig, und gab ihr zu verſtehen, daß ſie ſich wegbegeben ſollte, und man mußte ſie endlich, da alles nicht helfen wollte, ausdrücklich und wider ihren Willen fortſchicken.","norm":"Aurelie, die nach einiger Ruhe gestimmt war, sich mit ihrem Freunde über einen Gegenstand, der ihr so sehr am Herzen lag, endlich zu erklären, wurde über die Beharrlichkeit der Kleinen diesmal ungeduldig, und gab ihr zu verstehen, dass sie sich wegbegeben sollte, und man musste sie endlich, da alles nicht helfen wollte, ausdrücklich und wider ihren Willen fortschicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1554,"orig":"Jetzt oder niemals, ſagte Aurelie, muß ich Ihnen den Reſt meiner Geſchichte erzählen.","norm":"Jetzt oder niemals, sagte Aurelie, muss ich Ihnen den Rest meiner Geschichte erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1555,"orig":"Wäre mein zärtlich geliebter, ungerechter Freund nur wenige Meilen von hier, ich würde ſagen, ſetzen Sie ſich zu Pferde, ſuchen Sie auf irgend eine Weiſe Bekanntſchaft mit ihm, und wenn Sie zurückkehren, ſo haben Sie mir gewiß verziehen, und bedauern mich von Herzen.","norm":"Wäre mein zärtlich geliebter, ungerechter Freund nur wenige Meilen von hier, ich würde sagen, Setzen Sie sich zu Pferde, suchen Sie auf irgendeine Weise Bekanntschaft mit ihm, und wenn Sie zurückkehren, so haben Sie mir gewiss verziehen, und bedauern mich von Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1556,"orig":"Jetzt kann ich Ihnen nur mit Worten ſagen, wie liebenswürdig er war, und wie ſehr ich ihn liebte.","norm":"Jetzt kann ich Ihnen nur mit Worten sagen, wie liebenswürdig er war, und wie sehr ich ihn liebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1557,"orig":"Eben zu der kritiſchen Zeit, da ich für die Tage meines Mannes beſorgt ſeyn mußte, lernt ich ihn kennen.","norm":"Eben zu der kritischen Zeit, da ich für die Tage meines Mannes besorgt sein musste, lernte ich ihn kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1558,"orig":"Er war eben aus Amerika zurück gekommen, wo er in Geſellſchaft einiger Franzoſen mit vieler Diſtinktion unter den Fahnen der vereinigten Staaten gedient hatte.","norm":"Er war eben aus Amerika zurückgekommen, wo er in Gesellschaft einiger Franzosen mit vieler Distinktion unter den Fahnen der Vereinigten Staaten gedient hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1559,"orig":"Er begegnete mir mit einem gelaßnen Anſtande, mit einer offnen Gutmüthigkeit, ſprach über mich ſelbſt, meine Lage, mein Spiel, wie ein alter Bekannter, ſo theilnehmend und ſo deutlich, daß ich mich zum erſtenmal freuen konnte, meine Exiſtenz in einem andern Weſen ſo klar wieder zu erkennen.","norm":"Er begegnete mir mit einem gelaßenen Anstande, mit einer offenen Gutmütigkeit, sprach über mich selbst, meine Lage, mein Spiel, wie ein alter Bekannter, so teilnehmend und so deutlich, dass ich mich zum ersten Mal freuen konnte, meine Existenz in einem anderen Wesen so klar wiederzuerkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1560,"orig":"Seine Urtheile waren richtig ohne abſprechend, treffend ohne lieblos zu ſeyn.","norm":"Seine Urteile waren richtig ohne absprechend, treffend ohne lieblos zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1561,"orig":"Er zeigte keine Härte, und ſein Muthwille war zugleich gefällig.","norm":"Er zeigte keine Härte, und sein Mutwille war zugleich gefällig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1562,"orig":"Er ſchien des guten Glücks bey Frauen gewohnt zu ſeyn, das machte mich aufmerkſam; er war keinesweges ſchmeichelnd und andringend, das machte mich ſorglos.","norm":"Er schien des guten Glücks bei Frauen gewohnt zu sein, das machte mich aufmerksam; er war keineswegs schmeichelnd und andringend, das machte mich sorglos."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1563,"orig":"In der Stadt ging er mit wenigen um, war meiſt zu Pferde, beſuchte ſeine vielen Bekannten in der Gegend, und beſorgte die Geſchäfte ſeines Hauſes.","norm":"In der Stadt ging er mit wenigen um, war meist zu Pferde, besuchte seine vielen Bekannten in der Gegend, und besorgte die Geschäfte seines Hauses."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1564,"orig":"Kam er zurück, ſo ſtieg er bey mir ab, behandelte meinen immer kränkern Mann mit warmer Sorge, ſchafte dem Leidenden durch einen geſchickten Arzt Linderung, und wie er an allem, was mich betraf, Theil nahm, ließ er mich auch an ſeinem Schickſale Theil nehmen.","norm":"Kam er zurück, so stieg er bei mir ab, behandelte meinen immer kränkeren Mann mit warmer Sorge, schaffte dem Leidenden durch einen geschickten Arzt Linderung, und wie er an allem, was mich betraf, teilnahm, ließ er mich auch an seinem Schicksale teilnehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1565,"orig":"Er erzählte mir die Geſchichte ſeiner Campagne, ſeiner unüberwindlichen Neigung zum Soldatenſtande, ſeine Familienverhältniſſe; er vertraute mir ſeine gegenwärtigen Beſchäftigungen.","norm":"Er erzählte mir die Geschichte seiner Kampagne, seiner unüberwindlichen Neigung zum Soldatenstande, seine Familienverhältnisse; er vertraute mir seine gegenwärtigen Beschäftigungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1566,"orig":"Genug, er hatte nichts geheimes vor mir; er entwickelte mir ſein Innerſtes, ließ mich in die verborgenſten Winkel ſeiner Seele ſehen; ich lernte ſeine Fähigkeiten, ſeine Leidenſchaften kennen.","norm":"Genug, er hatte nichts Geheimes vor mir; er entwickelte mir sein Innerstes, ließ mich in die verborgensten Winkel seiner Seele sehen; ich lernte seine Fähigkeiten, seine Leidenschaften kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1567,"orig":"Es war das erſtemal in meinem Leben, daß ich eines herzlichen, geiſtreichen Umgangs genoß.","norm":"Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eines herzlichen, geistreichen Umgangs genoss."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1568,"orig":"Ich war von ihm angezogen, von ihm hingeriſſen, eh’ ich über mich ſelbſt Betrachtungen anſtellen konnte.","norm":"Ich war von ihm angezogen, von ihm hingerissen, ehe ich über mich selbst Betrachtungen anstellen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1569,"orig":"Inzwiſchen verlor ich meinen Mann ohngefähr wie ich ihn genommen hatte.","norm":"Inzwischen verlor ich meinen Mann ungefähr wie ich ihn genommen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1570,"orig":"Die Laſt der theatraliſchen Geſchäfte fiel nun ganz auf mich.","norm":"Die Last der theatralischen Geschäfte fiel nun ganz auf mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1571,"orig":"Mein Bruder, unverbeſſerlich auf dem Theater, war in der Haushaltung niemals nütze; ich beſorgte alles, und ſtudierte dabey meine Rollen fleißiger als jemals.","norm":"Mein Bruder, unverbesserlich auf dem Theater, war in der Haushaltung niemals nütze; ich besorgte alles, und studierte dabei meine Rollen fleißiger als jemals."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1572,"orig":"Ich ſpielte wieder wie vor Alters, ja mit ganz anderer Kraft und neuem Leben, zwar durch ihn und um ſeinetwillen, doch nicht immer gelang es mir zum Beſten, wenn ich meinen edlen Freund im Schauſpiel wußte; aber einigemal behorchte er mich, und wie angenehm mich ſein unvermutheter Beyfall überraſchte, können Sie denken.","norm":"Ich spielte wieder wie vor Alters, ja mit ganz anderer Kraft und neuem Leben, zwar durch ihn und um seinetwillen, doch nicht immer gelang es mir zum Besten, wenn ich meinen edlen Freund im Schauspiel wusste; aber einige Mal behorchte er mich, und wie angenehm mich sein unvermuteter Beifall überraschte, können Sie denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1573,"orig":"Gewiß, ich bin ein ſeltſames Geſchöpf.","norm":"Gewiss, ich bin ein seltsames Geschöpf."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1574,"orig":"Bey jeder Rolle, die ich ſpielte, war es mir eigentlich nur immer zu Muthe, als wenn ich ihn lobte und zu ſeinen Ehren ſpräche; denn das war die Stimmung meines Herzens, die Worte mochten übrigens ſeyn, wie ſie wollten.","norm":"Bei jeder Rolle, die ich spielte, war es mir eigentlich nur immer zumute, als wenn ich ihn lobte und zu seinen Ehren spräche; denn das war die Stimmung meines Herzens, die Worte mochten übrigens sein, wie sie wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1575,"orig":"Wußt’ ich ihn unter den Zuhörern, ſo getraute ich mich nicht, mit der ganzen Gewalt zu ſprechen, eben als wenn ich ihm meine Liebe, mein Lob nicht geradezu ins Geſicht aufdringen wollte; war er abweſend, dann hatte ich freyes Spiel, ich that mein Beſtes mit einer gewiſſen Ruhe, mit einer unbeſchreiblichen Zufriedenheit.","norm":"Wusste ich ihn unter den Zuhörern, so getraute ich mich nicht, mit der ganzen Gewalt zu sprechen, eben als wenn ich ihm meine Liebe, mein Lob nicht geradezu ins Gesicht aufdringen wollte; war er abwesend, dann hatte ich freies Spiel, ich tat mein Bestes mit einer gewissen Ruhe, mit einer unbeschreiblichen Zufriedenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1576,"orig":"Der Beyfall freute mich wieder, und wenn ich dem Publikum Vergnügen machte, hätte ich immer zugleich hinunter rufen mögen: das ſeyd ihr ihm ſchuldig!","norm":"Der Beifall freute mich wieder, und wenn ich dem Publikum Vergnügen machte, hätte ich immer zugleich hinunterrufen mögen: Das seid ihr ihm schuldig!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1577,"orig":"Ja, mir war wie durch ein Wunder das Verhältniß zum Publikum, zur ganzen Nation verändert.","norm":"Ja, mir war wie durch ein Wunder das Verhältnis zum Publikum, zur ganzen Nation verändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1578,"orig":"Sie erſchien mir auf einmal wieder in dem vortheilhafteſten Lichte, und ich erſtaunte recht über meine bisherige Verblendung.","norm":"Sie erschien mir auf einmal wieder in dem vorteilhaftesten Lichte, und ich erstaunte recht über meine bisherige Verblendung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1579,"orig":"Wie unverſtändig, ſagt ich oft zu mir ſelbſt, war es, als du ehemals auf eine Nation ſchalteſt, eben weil es eine Nation iſt.","norm":"Wie unverständig, sagte ich oft zu mir selbst, war es, als du ehemals auf eine Nation schaltest, eben weil es eine Nation ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1580,"orig":"Müſſen denn, können denn einzelne Menſchen ſo intereſſant ſeyn?","norm":"Müssen denn, können denn einzelne Menschen so interessant sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1581,"orig":"Keinesweges!","norm":"Keineswegs!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1582,"orig":"Es fragt ſich, ob unter der großen Maſſe eine Menge von Anlagen, Kräften und Fähigkeiten vertheilt ſey, die durch günſtige Umſtände entwickelt, durch vorzügliche Menſchen zu einem gemeinſamen Endzwecke geleitet werden können?","norm":"Es fragt sich, ob unter der großen Masse eine Menge von Anlagen, Kräften und Fähigkeiten verteilt sei, die durch günstige Umstände entwickelt, durch vorzügliche Menschen zu einem gemeinsamen Endzwecke geleitet werden können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1583,"orig":"Ich freute mich nun, ſo wenig hervorſtechende Originalität unter meinen Landsleuten zu finden; ich freute mich, daß ſie eine Richtung von auſſen anzunehmen nicht verſchmähten.","norm":"Ich freute mich nun, so wenig hervorstechende Originalität unter meinen Landsleuten zu finden; ich freute mich, dass sie eine Richtung von außen anzunehmen nicht verschmähten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1584,"orig":"Ich freute mich, einen Anführer gefunden zu haben.","norm":"Ich freute mich, einen Anführer gefunden zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1585,"orig":"Lothar — Laſſen Sie mich meinen Freund mit ſeinem geliebten Vornahmen nennen — hatte mir immer die Deutſchen von der Seite der Tapferkeit vorgeſtellt, und mir gezeigt, daß keine bravere Nation in der Welt ſey, wenn ſie recht geführt werde, und ich ſchämte mich, an die erſte Eigenſchaft eines Volks niemals gedacht zu haben.","norm":"Lothar — Lassen Sie mich meinen Freund mit seinem geliebten Vornamen nennen — hatte mir immer die Deutschen von der Seite der Tapferkeit vorgestellt, und mir gezeigt, dass keine bravere Nation in der Welt sei, wenn sie recht geführt werde, und ich schämte mich, an die erste Eigenschaft eines Volkes niemals gedacht zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1586,"orig":"Ihm war die Geſchichte bekannt, und mit den meiſten verdienſtvollen Männern ſeines Zeitalters ſtand er in Verhältniſſen.","norm":"Ihm war die Geschichte bekannt, und mit den meisten verdienstvollen Männern seines Zeitalters stand er in Verhältnissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1587,"orig":"So jung er war, hatte er ein Auge auf die hervorkeimende hoffnungsvolle Jugend ſeines Vaterlandes, auf die ſtillen Arbeiten in ſo vielen Fächern beſchäftigter und thätiger Männer.","norm":"So jung er war, hatte er ein Auge auf die hervorkeimende hoffnungsvolle Jugend seines Vaterlandes, auf die stillen Arbeiten in so vielen Fächern beschäftigter und tätiger Männer."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1588,"orig":"Er ließ mich einen Überblick über Deutſchland thun, was es ſey, und was es ſeyn könne, und ich ſchämte mich, eine Nation nach der verworrenen Menge beurtheilt zu haben, die ſich in eine Theatergarderobe drängen mag.","norm":"Er ließ mich einen Überblick über Deutschland tun, was es sei, und was es sein könne, und ich schämte mich, eine Nation nach der verworrenen Menge beurteilt zu haben, die sich in eine Theatergarderobe drängen mag."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1589,"orig":"Er machte mir’s zur Pflicht, auch in meinem Fache wahr, geiſtreich und belebend zu ſeyn.","norm":"Er machte mir es zur Pflicht, auch in meinem Fache wahr, geistreich und belebend zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1590,"orig":"Nun ſchien ich mir ſelbſt inſpirirt, ſo oft ich auf das Theater trat.","norm":"Nun schien ich mir selbst inspiriert, sooft ich auf das Theater trat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1591,"orig":"Mittelmäßige Stellen wurden zu Gold in meinem Munde, und hätte mir damals ein Dichter zweckmäßig beygeſtanden, ich hätte die wunderbarſten Wirkungen hervorgebracht.","norm":"Mittelmäßige Stellen wurden zu Gold in meinem Munde, und hätte mir damals ein Dichter zweckmäßig beigestanden, ich hätte die wunderbarsten Wirkungen hervorgebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1592,"orig":"So lebte die junge Wittwe Monate lang fort.","norm":"So lebte die junge Witwe monatelang fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1593,"orig":"Er konnte mich nicht entbehren, und ich war höchſt unglücklich, wenn er auſſen blieb.","norm":"Er konnte mich nicht entbehren, und ich war höchst unglücklich, wenn er außen blieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1594,"orig":"Er zeigte mir die Briefe ſeiner Verwandten, ſeiner fürtrefflichen Schweſter.","norm":"Er zeigte mir die Briefe seiner Verwandten, seiner vortrefflichen Schwester."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1595,"orig":"Er nahm an den kleinſten Umſtänden meiner Verhältniſſe Theil; inniger, vollkommener iſt keine Einigkeit zu denken.","norm":"Er nahm an den kleinsten Umständen meiner Verhältnisse Teil; inniger, vollkommener ist keine Einigkeit zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1596,"orig":"Der Nahme der Liebe ward nicht genannt.","norm":"Der Name der Liebe wurde nicht genannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1597,"orig":"Er ging und kam, kam und ging — und nun, mein Freund, iſt es hohe Zeit, daß Sie auch gehen.","norm":"Er ging und kam, kam und ging — und nun, mein Freund, ist es hohe Zeit, dass Sie auch gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1598,"orig":"Wilhelm konnte nun nicht länger den Beſuch bey ſeinen Handelsfreunden aufſchieben.","norm":"Wilhelm konnte nun nicht länger den Besuche bei seinen Handelsfreunden aufschieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1599,"orig":"Er ging nicht ohne Verlegenheit dahin; denn er wußte, daß er Briefe von den Seinigen daſelbſt antreffen werde.","norm":"Er ging nicht ohne Verlegenheit dahin; denn er wusste, dass er Briefe von den Seinigen daselbst antreffen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1600,"orig":"Er fürchtete ſich vor den Vorwürfen, die ſie enthalten mußten; wahrſcheinlich hatte man auch dem Handelshauſe Nachricht von der Verlegenheit gegeben, in der man ſich ſeinetwegen befand.","norm":"Er fürchtete sich vor den Vorwürfen, die sie enthalten mussten; wahrscheinlich hatte man auch dem Handelshause Nachricht von der Verlegenheit gegeben, in der man sich seinetwegen befand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1601,"orig":"Er ſcheute ſich, nach ſo vielen ritterlichen Abentheuern, vor dem ſchülerhaften Anſehen, in dem er erſcheinen würde, und nahm ſich vor, recht trotzig zu thun, und auf dieſe Weiſe ſeine Verlegenheit zu verbergen.","norm":"Er scheute sich, nach so vielen ritterlichen Abenteuern, vor dem schülerhaften Ansehen, in dem er erscheinen würde, und nahm sich vor, recht trotzig zu tun, und auf diese Weise seine Verlegenheit zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1602,"orig":"Allein zu ſeiner großen Verwunderung und Zufriedenheit ging alles ſehr gut und leidlich ab.","norm":"Allein zu seiner großen Verwunderung und Zufriedenheit ging alles sehr gut und leidlich ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1603,"orig":"In dem großen lebhaften und beſchäftigten Comtoir hatte man kaum Zeit, ſeine Briefe aufzuſuchen, ſeines längern Auſſenbleibens ward nur im Vorbeygehn gedacht.","norm":"In dem großen lebhaften und beschäftigten Comptoir hatte man kaum Zeit, seine Briefe aufzusuchen, seines längeren Außenbleibens wurde nur im Vorbeigehen gedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1604,"orig":"Und als er die Briefe ſeines Vaters und ſeines Freundes Werner eröffnete, fand er ſie ſämmtlich ſehr leidlichen Inhalts.","norm":"Und als er die Briefe seines Vaters und seines Freundes Werner eröffnete, fand er sie sämtlich sehr leidlichen Inhalts."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1605,"orig":"Der Alte, in Hoffnung eines weitläuftigen Journals, deſſen Führung er dem Sohne beym Abſchiede ſorgfältig empfohlen, und wozu er ihm ein tabellariſches Schema mitgegeben, ſchien über das Stillſchweigen der erſten Zeit ziemlich beruhigt, ſo wie er ſich nur über das Räthſelhafte des erſten und einzigen vom Schloſſe des Grafen noch abgeſandten Briefes beſchwerte.","norm":"Der Alte, in Hoffnung eines weitläufigen Journals, dessen Führung er dem Sohne beim Abschiede sorgfältig empfohlen, und wozu er ihm ein tabellarisches Schema mitgegeben, schien über das Stillschweigen der ersten Zeit ziemlich beruhigt, so wie er sich nur über das Rätselhafte des ersten und einzigen vom Schlosse des Grafen noch abgesandten Briefes beschwerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1606,"orig":"Werner ſcherzte nur auf ſeine Art, erzählte luſtige Stadtgeſchichten, und bat ſich Nachricht von Freunden und Bekannten aus, die Wilhelm nunmehr in der großen Handelsſtadt häufig würde kennen lernen.","norm":"Werner scherzte nur auf seine Art, erzählte lustige Stadtgeschichten, und bat sich Nachricht von Freunden und Bekannten aus, die Wilhelm nunmehr in der großen Handelsstadt häufig würde kennen lernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1607,"orig":"Unſer Freund, der auſſerordentlich erfreut war, um einen ſo wohlfeilen Preis loszukommen, antwortete ſogleich in einigen ſehr muntern Briefen, und verſprach dem Vater ein ausführliches Reiſejournal, mit allen verlangten geographiſchen, ſtatiſtiſchen und merkantiliſchen Bemerkungen.","norm":"Unser Freund, der außerordentlich erfreut war, um einen so wohlfeilen Preis loszukommen, antwortete sogleich in einigen sehr munteren Briefen, und versprach dem Vater ein ausführliches Reisejournal, mit allen verlangten geographischen, statistischen und merkantilischen Bemerkungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1608,"orig":"Er hatte vieles auf der Reiſe geſehen, und hoffte daraus ein leidliches Heft zuſammen ſchreiben zu können.","norm":"Er hatte vieles auf der Reise gesehen, und hoffte daraus ein leidliches Heft zusammenschreiben zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1609,"orig":"Er merkte nicht, daß er beynah in eben dem Falle war, in dem er ſich befand, als er ein Schauſpiel, das weder geſchrieben, noch weniger memorirt war, aufzuführen, Lichter angezündet und Zuſchauer herbey gerufen hatte.","norm":"Er merkte nicht, dass er beinahe in eben dem Falle war, in dem er sich befand, als er ein Schauspiel, das weder geschrieben, noch weniger memoriert war, aufzuführen, Lichter angezündet und Zuschauer herbeigerufen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1610,"orig":"Als er daher wirklich anfing, an ſeine Compoſition zu gehen, ward er leider gewahr, daß er von Empfindungen und Gedanken, von manchen Erfahrungen des Herzens und Geiſtes ſprechen und erzählen konnte, nur nicht von äuſſern Gegenſtänden, denen er, wie er nun merkte, nicht die mindeſte Aufmerkſamkeit geſchenkt hatte.","norm":"Als er daher wirklich anfing, an seine Komposition zu gehen, wurde er leider gewahr, dass er von Empfindungen und Gedanken, von manchen Erfahrungen des Herzens und Geistes sprechen und erzählen konnte, nur nicht von äußeren Gegenständen, denen er, wie er nun merkte, nicht die mindeste Aufmerksamkeit geschenkt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1611,"orig":"In dieſer Verlegenheit kamen die Kenntniſſe ſeines Freundes Laertes ihm gut zu ſtatten.","norm":"In dieser Verlegenheit kamen die Kenntnisse seines Freundes Laertes ihm gut zustatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1612,"orig":"Die Gewohnheit hatte beide junge Leute, ſo unähnlich ſie ſich waren, zuſammen verbunden, und jener war bey allen ſeinen Fehlern, mit ſeinen Sonderbarkeiten wirklich ein intereſſanter Menſch.","norm":"Die Gewohnheit hatte beide junge Leute, so unähnlich sie sich waren, zusammen verbunden, und jener war bei allen seinen Fehlern, mit seinen Sonderbarkeiten wirklich ein interessanter Mensch."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1613,"orig":"Mit einer heitern glücklichen Sinnlichkeit begabt, hätte er alt werden können, ohne über ſeinen Zuſtand irgend nachzudenken.","norm":"Mit einer heiteren glücklichen Sinnlichkeit begabt, hätte er alt werden können, ohne über seinen Zustand irgend nachzudenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1614,"orig":"Nun hatte ihm aber ſein Unglück und ſeine Krankheit das reine Gefühl der Jugend geraubt, und ihm dagegen einen Blick auf die Vergänglichkeit, auf das Zerſtückelte unſers Daſeyns eröffnet.","norm":"Nun hatte ihm aber sein Unglück und seine Krankheit das reine Gefühl der Jugend geraubt, und ihm dagegen einen Blick auf die Vergänglichkeit, auf das Zerstückelte unseres Daseins eröffnet."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1615,"orig":"Daraus war eine launigte, rhapſodiſche Art über die Gegenſtände zu denken, oder vielmehr ihre unmittelbaren Eindrücke zu äuſſern, entſtanden.","norm":"Daraus war eine launige, rhapsodische Art über die Gegenstände zu denken, oder vielmehr ihre unmittelbaren Eindrücke zu äußeren, entstanden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1616,"orig":"Er war nicht gern allein, trieb ſich auf allen Kaffeehäuſern, an allen Wirthstiſchen herum, und wenn er ja zu Hauſe blieb, waren Reiſebeſchreibungen ſeine liebſte, ja ſeine einzige Lektüre.","norm":"Er war nicht gern allein, trieb sich auf allen Kaffeehäusern, an allen Wirtstischen herum, und wenn er ja zu Hause blieb, waren Reisebeschreibungen seine liebste, ja seine einzige Lektüre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1617,"orig":"Dieſe konnte er nun, da er eine große Leihbibliothek fand, nach Wunſch befriedigen, und bald ſpukte die halbe Welt in ſeinem guten Gedächtniſſe.","norm":"Diese konnte er nun, da er eine große Leihbibliothek fand, nach Wunsch befriedigen, und bald spukte die halbe Welt in seinem guten Gedächtnisse."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1618,"orig":"Wie leicht konnte er daher ſeinem Freunde Muth einſprechen, als dieſer ihm den völligen Mangel an Vorrath zu der von ihm ſo feyerlich verſprochenen Relation entdeckte.","norm":"Wie leicht konnte er daher seinem Freunde Mut einsprechen, als dieser ihm den völligen Mangel an Vorrat zu der von ihm so feierlich versprochenen Relation entdeckte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1619,"orig":"Da wollen wir ein Kunſtſtück machen, ſagte jener, das ſeines gleichen nicht haben ſoll.","norm":"Da wollen wir ein Kunststück machen, sagte jener, das seinesgleichen nicht haben soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1620,"orig":"Iſt nicht Deutſchland von einem Ende zum andern durchreiſt, durchkreuzt, durchzogen, durchkrochen und durchflogen?","norm":"Ist nicht Deutschland von einem Ende zum anderen durchreist, durchkreuzt, durchzogen, durchkrochen und durchflogen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1621,"orig":"und hat nicht jeder deutſche Reiſende den herrlichen Vortheil, ſich ſeine großen oder kleinen Ausgaben vom Publikum wieder erſtatten zu laſſen?","norm":"und hat nicht jeder deutsche Reisende den herrlichen Vorteil, sich seine großen oder kleinen Ausgaben vom Publikum wiedererstatten zu lassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1622,"orig":"Gieb mir nur deine Reiſeroute, ehe du zu uns kamſt, das andre weiß ich.","norm":"Gib mir nur deine Reiseroute, ehe du zu uns kamst, das andere weiß ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1623,"orig":"Die Quellen und Hülfsmittel zu deinem Werke will ich dir aufſuchen; an Quadratmeilen, die nicht gemeſſen ſind, und an Volksmenge, die nicht gezählt iſt, müſſen wir’s nicht fehlen laſſen.","norm":"Die Quellen und Hilfsmittel zu deinem Werke will ich dir aufsuchen; an Quadratmeilen, die nicht gemessen sind, und an Volksmenge, die nicht gezählt ist, müssen wir es nicht fehlen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1624,"orig":"Die Einkünfte der Länder nehmen wir aus Taſchenbüchern und Tabellen, die, wie bekannt, die zuverläſſigſten Documente ſind.","norm":"Die Einkünfte der Länder nehmen wir aus Taschenbüchern und Tabellen, die, wie bekannt, die zuverlässigsten Dokumente sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1625,"orig":"Darauf gründen wir unſre politiſche Raiſonnements; an Seitenblicken auf die Regierungen ſolls nicht fehlen.","norm":"Darauf gründen wir unsere politische Räsonnements; an Seitenblicken auf die Regierungen soll es nicht fehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1626,"orig":"Ein Paar Fürſten beſchreiben wir als wahre Väter des Vaterlandes, damit man uns deſto eher glaubt, wenn wir einigen andern etwas anhängen, und wenn wir nicht geradezu durch den Wohnort einiger berühmten Leute durchreiſen, ſo begegnen wir ihnen in einem Wirthshauſe, laſſen ſie uns im Vertrauen das albernſte Zeug ſagen, und beſonders vergeſſen wir nicht eine Liebesgeſchichte mit irgend einem naiven Mädchen auf das anmuthigſte einzuflechten, und es ſoll ein Werk geben, das nicht allein Vater und Mutter mit Entzücken erfüllen ſoll, ſondern das dir auch jeder Buchhändler mit Vergnügen bezahlt.","norm":"Ein paar Fürsten beschreiben wir als wahre Väter des Vaterlandes, damit man uns desto eher glaubt, wenn wir einigen anderen etwas anhängen, und wenn wir nicht geradezu durch den Wohnort einiger berühmten Leute durchreisen, so begegnen wir ihnen in einem Wirtshause, lassen sie uns im Vertrauen das albernste Zeug sagen, und besonders vergessen wir nicht eine Liebesgeschichte mit irgendeinem naiven Mädchen auf das anmutigste einzuflechten, und es soll ein Werk geben, das nicht allein Vater und Mutter mit Entzücken erfüllen soll, sondern das dir auch jeder Buchhändler mit Vergnügen bezahlt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1627,"orig":"Man ſchritt zum Werke, und beide Freunde hatten viel Luſt an ihrer Arbeit, indeß Wilhelm Abends im Schauſpiel und in dem Umgange mit Serlo und Aurelien die größte Zufriedenheit fand, und ſeine Ideen, die nur zu lange ſich in einem engen Kreiſe herum gedreht hatten, täglich weiter ausbreitete.","norm":"Man schritt zum Werke, und beide Freunde hatten viel Lust an ihrer Arbeit, indes Wilhelm Abends im Schauspiel und in dem Umgange mit Serlo und Aurelie die größte Zufriedenheit fand, und seine Ideen, die nur zu lange sich in einem engen Kreise herumgedreht hatten, täglich weiter ausbreitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1628,"orig":"Nicht ohne das größte Intereſſe vernahm er Stückweiſe den Lebenslauf Serlo’s, denn es war nicht die Art dieſes ſeltnen Mannes, vertraulich zu ſeyn, und über irgend etwas im Zuſammenhange zu ſprechen.","norm":"Nicht ohne das größte Interesse vernahm er stückweise den Lebenslauf Serlos, denn es war nicht die Art dieses seltenen Mannes, vertraulich zu sein, und über irgendetwas im Zusammenhange zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1629,"orig":"Er war, man darf ſagen, auf dem Theater gebohren und geſäugt.","norm":"Er war, man darf sagen, auf dem Theater geboren und gesäugt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1630,"orig":"Schon als ſtummes Kind mußte er durch ſeine bloße Gegenwart die Zuſchauer rühren, weil auch ſchon damals die Verfaſſer dieſe natürlichen und unſchuldigen Hülfsmittel kannten, und ſein erſtes:","norm":"Schon als stummes Kind musste er durch seine bloße Gegenwart die Zuschauer rühren, weil auch schon damals die Verfasser diese natürlichen und unschuldigen Hilfsmittel kannten, und sein erstes:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1631,"orig":"Vater und Mutter, brachte in beliebten Stücken ihm ſchon den größten Beyfall zuwege, ehe er wußte, was das Händeklatſchen bedeute.","norm":"Vater und Mutter, brachte in beliebten Stücken ihm schon den größten Beifall zuwege, ehe er wusste, was das Händeklatschen bedeute."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1632,"orig":"Als Amor kam er, zitternd, mehr als einmal, im Flugwerke herunter, entwickelte ſich als Harlekin aus dem Ey, und machte als kleiner Eſſenkehrer ſchon früh die artigſten Streiche.","norm":"Als Amor kam er, zitternd, mehr als einmal, im Flugwerke herunter, entwickelte sich als Harlekin aus dem Ei, und machte als kleiner Essenkehrer schon früh die artigsten Streiche."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1633,"orig":"Leider mußte er den Beyfall, den er an glänzenden Abenden erhielt, in den Zwiſchenzeiten ſehr theuer bezahlen.","norm":"Leider musste er den Beifall, den er an glänzenden Abenden erhielt, in den Zwischenzeiten sehr teuer bezahlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1634,"orig":"Sein Vater, überzeugt, daß nur durch Schläge die Aufmerkſamkeit der Kinder erregt und feſtgehalten werden könne, prügelte ihn beym Einſtudieren einer jeden Rolle zu abgemeſſenen Zeiten; nicht, weil das Kind ungeſchickt war, ſondern damit es ſich deſto gewiſſer und anhaltender geſchickt zeigen möge.","norm":"Sein Vater, überzeugt, dass nur durch Schläge die Aufmerksamkeit der Kinder erregt und festgehalten werden könne, prügelte ihn beim Einstudieren einer jeden Rolle zu abgemessenen Zeiten; nicht, weil das Kind ungeschickt war, sondern damit es sich desto gewisser und anhaltender geschickt zeigen möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1635,"orig":"So gab man ehemals, indem ein Gränzſtein geſetzt wurde, den umſtehenden Kindern tüchtige Ohrfeigen, und die älteſten Leute erinnern ſich noch genau des Ortes und der Stelle.","norm":"So gab man ehemals, indem ein Grenzstein gesetzt wurde, den umstehenden Kindern tüchtige Ohrfeigen, und die ältesten Leute erinnern sich noch genau des Ortes und der Stelle."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1636,"orig":"Er wuchs heran, und zeigte auſſerordentliche Fähigkeiten des Geiſtes und Fertigkeiten des Körpers, und dabey eine große Biegſamkeit ſowohl in ſeiner Vorſtellungsart, als in Handlungen und Gebährden.","norm":"Er wuchs heran, und zeigte außerordentliche Fähigkeiten des Geistes und Fertigkeiten des Körpers, und dabei eine große Biegsamkeit sowohl in seiner Vorstellungsart, als in Handlungen und Gebärden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1637,"orig":"Seine Nachahmungsgabe überſtieg allen Glauben.","norm":"Seine Nachahmungsgabe überstieg allen Glauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1638,"orig":"Schon als Knabe ahmte er Perſonen nach, ſo daß man ſie zu ſehen glaubte, ob ſie ihm ſchon an Geſtalt, Alter und Weſen völlig unähnlich und unter einander verſchieden waren.","norm":"Schon als Knabe ahmte er Personen nach, so dass man sie zu sehen glaubte, ob sie ihm schon an Gestalt, Alter und Wesen völlig unähnlich und untereinander verschieden waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1639,"orig":"Dabey fehlte es ihm nicht an der Gabe ſich in die Welt zu ſchicken, und ſobald er ſich einigermaßen ſeiner Kräfte bewußt war, fand er nichts natürlicher, als ſeinem Vater zu entfliehen, der, wie die Vernunft des Knaben zunahm, und ſeine Geſchicklichkeit ſich vermehrte, ihnen noch durch harte Begegnung nachzuhelfen für nöthig fand.","norm":"Dabei fehlte es ihm nicht an der Gabe sich in die Welt zu schicken, und sobald er sich einigermaßen seiner Kräfte bewusst war, fand er nichts natürlicher, als seinem Vater zu entfliehen, der, wie die Vernunft des Knaben zunahm, und seine Geschicklichkeit sich vermehrte, ihnen noch durch harte Begegnung nachzuhelfen für nötig fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1640,"orig":"Wie glücklich fühlte ſich der loſe Knabe nun in der freyen Welt, da ihm ſeine Eulenſpiegelspoſſen überall eine gute Aufnahme verſchafften.","norm":"Wie glücklich fühlte sich der lose Knabe nun in der freien Welt, da ihm seine Eulenspiegelspossen überall eine gute Aufnahme verschafften."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1641,"orig":"Sein guter Stern führte ihn zuerſt eben in der Faſtnachtszeit in ein Kloſter, wo er, weil eben der Pater, der die Umgänge zu beſorgen, und durch geiſtliche Maskeraden die chriſtliche Gemeinde zu ergötzen hatte, geſtorben war, als ein hülfreicher Schutzengel auftrat.","norm":"Sein guter Stern führte ihn zuerst eben in der Fastnachtszeit in ein Kloster, wo er, weil eben der Pater, der die Umgänge zu besorgen, und durch geistliche Maskeraden die christliche Gemeinde zu ergötzen hatte, gestorben war, als ein hilfreicher Schutzengel auftrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1642,"orig":"Auch übernahm er ſogleich die Rolle Gabriels in der Verkündigung, und mißfiel dem hübſchen Mädchen nicht, die als Maria ſeinen obligenten Gruß, mit äußerlicher Demuth und innerlichem Stolze, ſehr zierlich aufnahm.","norm":"Auch übernahm er sogleich die Rolle Gabriels in der Verkündigung, und missfiel dem hübschen Mädchen nicht, die als Maria seinen obligeanten Gruß, mit äußerlicher Demut und innerlichem Stolze, sehr zierlich aufnahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1643,"orig":"Er ſpielte darauf ſucceſſive in den Myſterien die wichtigſten Rollen, und wußte ſich nicht wenig, da er endlich gar als Heiland der Welt verſpottet, geſchlagen, und ans Kreuz geheftet wurde.","norm":"Er spielte darauf sukzessive in den Mysterien die wichtigsten Rollen, und wusste sich nicht wenig, da er endlich gar als Heiland der Welt verspottet, geschlagen, und ans Kreuz geheftet wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1644,"orig":"Einige Kriegsknechte mochten bey dieſer Gelegenheit ihre Rollen gar zu natürlich ſpielen, daher er ſie, um ſich auf die ſchicklichſte Weiſe an ihnen zu rächen, bey Gelegenheit des jüngſten Gerichts in die prächtigſten Kleider von Kaiſern und Königen ſteckte, und ihnen in dem Augenblicke, da ſie, mit ihren Rollen ſehr wohl zufrieden, auch in dem Himmel allen andern vorauszugehen den Schritt nahmen, unvermuthet in Teufelsgeſtalt begegnete, und ſie mit der Ofengabel zur herzlichſten Erbauung ſämmtlicher Zuſchauer und Bettler weidlich durchdroſch, und unbarmherzig zurück in die Grube ſtürzte, wo ſie ſich von einem hervordringenden Feuer aufs übelſte empfangen ſahen.","norm":"Einige Kriegsknechte mochten bei dieser Gelegenheit ihre Rollen gar zu natürlich spielen, daher er sie, um sich auf die schicklichste Weise an ihnen zu rächen, bei Gelegenheit des Jüngsten Gerichts in die prächtigsten Kleider von Kaisern und Königen steckte, und ihnen in dem Augenblicke, da sie, mit ihren Rollen sehr wohl zufrieden, auch in dem Himmel allen anderen vorauszugehen den Schritt nahmen, unvermutet in Teufelsgestalt begegnete, und sie mit der Ofengabel zur herzlichsten Erbauung sämtlicher Zuschauer und Bettler weidlich durchdrosch, und unbarmherzig zurück in die Grube stürzte, wo sie sich von einem hervordringenden Feuer aufs übelste empfangen sahen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1645,"orig":"Er war klug genug einzuſehen, daß die gekrönten Häupter ſein freches Unternehmen nicht wohl vermerken, und ſelbſt vor ſeinem privilegirten Ankläger- und Schergen-Amte keinen Reſpekt haben würden; er machte ſich daher, noch ehe das tauſendjährige Reich anging, in aller Stille davon, und ward in einer benachbarten Stadt von einer Geſellſchaft, die man damals Kinder der Freude nannte, mit offnen Armen aufgenommen.","norm":"Er war klug genug einzusehen, dass die gekrönten Häupter sein freches Unternehmen nicht wohl vermerken, und selbst vor seinem privilegierten Ankläger- und Schergenamte keinen Respekt haben würden; er machte sich daher, noch ehe das tausendjährige Reich anging, in aller Stille davon, und wurde in einer benachbarten Stadt von einer Gesellschaft, die man damals Kinder der Freude nannte, mit offenen Armen aufgenommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1646,"orig":"Es waren verſtändige, geiſtreiche, lebhafte Menſchen, die wohl einſahen, daß die Summe unſrer Exiſtenz durch Vernunft dividirt, niemals rein aufgehe, ſondern daß immer ein wunderlicher Bruch übrig bleibe.","norm":"Es waren verständige, geistreiche, lebhafte Menschen, die wohleinsahen, dass die Summe unserer Existenz durch Vernunft dividiert, niemals rein aufgehe, sondern dass immer ein wunderlicher Bruch übrigbleibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1647,"orig":"Dieſen hinderlichen, und, wenn er ſich in die ganze Maſſe vertheilt, gefährlichen, Bruch, ſuchten ſie zu beſtimmten Zeiten vorſetzlich los zu werden.","norm":"Diesen hinderlichen, und, wenn er sich in die ganze Masse verteilt, gefährlichen, Bruch, suchten sie zu bestimmten Zeiten vorsätzlich loszuwerden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1648,"orig":"Sie waren einen Tag der Woche recht ausführlich Narren, und ſtraften an demſelben wechſelſeitig durch allegoriſche Vorſtellungen, was ſie während der übrigen Tage an ſich und andern närriſches bemerkt hatten.","norm":"Sie waren einen Tag der Woche recht ausführlich Narren, und straften an demselben wechselseitig durch allegorische Vorstellungen, was sie während der übrigen Tage an sich und anderen Närrisches bemerkt hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1649,"orig":"War dieſe Art gleich roher als eine Folge von Ausbildung, in welcher der ſittliche Menſch ſich täglich zu bemerken, zu warnen und zu ſtrafen pflegt; ſo war ſie doch luſtiger und ſicherer, denn indem man einen gewiſſen Schooßnarren nicht verleugnete, ſo tractirte man ihn auch nur für das was er war, anſtatt daß er auf dem andern Wege durch Hülfe des Selbſtbetrugs oft im Hauſe zur Herrſchaft gelangt, und die Vernunft zur heimlichen Knechtſchaft zwingt, die ſich einbildet, ihn lange verjagt zu haben.","norm":"War diese Art gleich roher als eine Folge von Ausbildung, in welcher der sittliche Mensch sich täglich zu bemerken, zu warnen und zu strafen pflegt; so war sie doch lustiger und sicherer, denn indem man einen gewissen Schoßnarren nicht verleugnete, so traktierte man ihn auch nur für das was er war, anstatt dass er auf dem anderen Wege durch Hilfe des Selbstbetrugs oft im Hause zur Herrschaft gelangt, und die Vernunft zur heimlichen Knechtschaft zwingt, die sich einbildet, ihn lange verjagt zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1650,"orig":"Die Narrenmaſke ging in der Geſellſchaft herum, und jedem war erlaubt, ſie, an ſeinem Tage, mit eigenen oder fremden Attributen, charakteriſtiſch auszuzieren.","norm":"Die Narrenmaske ging in der Gesellschaft herum, und jedem war erlaubt, sie, an seinem Tage, mit eigenen oder fremden Attributen, charakteristisch auszuzieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1651,"orig":"In der Karnavalszeit nahm man ſich die größte Freyheit, und wetteiferte mit der Bemühung der Geiſtlichen, das Volk zu unterhalten und anzuziehen.","norm":"In der Karnevalszeit nahm man sich die größte Freiheit, und wetteiferte mit der Bemühung der Geistlichen, das Volk zu unterhalten und anzuziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1652,"orig":"Die feyerlichen allegoriſchen Aufzüge von Tugenden und Laſtern, Künſten und Wiſſenſchaften, Welttheilen und Jahrszeiten verſinnlichten dem Volke eine Menge Begriffe, und gaben ihm Ideen entfernter Gegenſtände, und ſo waren dieſe Scherze nicht ohne Nutzen, da von einer andern Seite die geiſtlichen Mummereyen nur einen abgeſchmackten Aberglauben noch mehr befeſtigten.","norm":"Die feierlichen allegorischen Aufzüge von Tugenden und Lastern, Künsten und Wissenschaften, Weltteilen und Jahrszeiten versinnlichten dem Volke eine Menge Begriffe, und gaben ihm Ideen entfernter Gegenstände, und so waren diese Scherze nicht ohne Nutzen, da von einer anderen Seite die geistlichen Mummereien nur einen abgeschmackten Aberglauben noch mehr befestigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1653,"orig":"Der junge Serlo war auch hier wieder ganz in ſeinem Elemente; eigentliche Erfindungskraft hatte er nicht, dagegen aber das größte Geſchick, was er vor ſich fand zu nutzen, zurecht zu ſtellen, und ſcheinbar zu machen.","norm":"Der junge Serlo war auch hier wieder ganz in seinem Elemente; eigentliche Erfindungskraft hatte er nicht, dagegen aber das größte Geschick, was er vor sich fand zu nutzen, zurechtzustellen, und scheinbar zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1654,"orig":"Seine Einfälle, ſeine Nachahmungsgabe, ja ſein beiſſender Witz, den er wenigſtens einen Tag in der Woche völlig frey, ſelbſt gegen ſeine Wohlthäter, üben durfte, machte ihn der ganzen Geſellſchaft werth, ja unentbehrlich.","norm":"Seine Einfälle, seine Nachahmungsgabe, ja sein beißender Witz, den er wenigstens einen Tag in der Woche völlig frei, selbst gegen seine Wohltäter, üben durfte, machte ihn der ganzen Gesellschaft wert, ja unentbehrlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1655,"orig":"Doch trieb ihn ſeine Unruhe bald aus dieſer vortheilhaften Lage in andere Gegenden ſeines Vaterlandes, wo er wieder eine neue Schule durchzugehen hatte.","norm":"Doch trieb ihn seine Unruhe bald aus dieser vorteilhaften Lage in andere Gegenden seines Vaterlandes, wo er wieder eine neue Schule durchzugehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1656,"orig":"Er kam in den gebildeten aber auch bildloſen Theil von Deutſchland, wo es zur Verehrung des Guten und Schönen zwar nicht an Wahrheit aber oft an Geiſt gebricht; er konnte mit ſeinen Maſken nichts mehr ausrichten; er mußte ſuchen auf Herz und Gemüth zu wirken.","norm":"Er kam in den gebildeten aber auch bildlosen Teil von Deutschland, wo es zur Verehrung des Guten und Schönen zwar nicht an Wahrheit aber oft an Geist gebricht; er konnte mit seinen Masken nichts mehr ausrichten; er musste suchen auf Herz und Gemüt zu wirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1657,"orig":"Nur kurze Zeit hielt er ſich bey kleinen und großen Geſellſchaften auf, und merkte, bey dieſer Gelegenheit, ſämmtlichen Stükken und Schauſpielern ihre Eigenheiten ab, die Monotonie, die damals auf dem deutſchen Theater herrſchte; den albernen Fall und Klang der Alexandriner, den geſchraubtplatten Dialog; die Trockenheit und Gemeinheit der unmittelbaren Sittenprediger hatte er bald gefaßt, und zugleich bemerkt, was rührte und gefiel.","norm":"Nur kurze Zeit hielt er sich bei kleinen und großen Gesellschaften auf, und merkte, bei dieser Gelegenheit, sämtlichen Stücken und Schauspielern ihre Eigenheiten ab, die Monotonie, die damals auf dem deutschen Theater herrschte; den albernen Fall und Klang der Alexandriner, den geschraubt-platten Dialog; die Trockenheit und Gemeinheit der unmittelbaren Sittenprediger hatte er bald gefasst, und zugleich bemerkt, was rührte und gefiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1658,"orig":"Nicht Eine Rolle der gangbaren Stücke, ſondern die ganzen Stücke blieben leicht in ſeinem Gedächtniß, und zugleich der eigenthümliche Ton des Schauſpielers, der ſie mit Beyfall vorgetragen hatte.","norm":"Nicht eine Rolle der gangbaren Stücke, sondern die ganzen Stücke blieben leicht in seinem Gedächtnis, und zugleich der eigentümliche Ton des Schauspielers, der sie mit Beifall vorgetragen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1659,"orig":"Nun kam er zufälligerweiſe auf ſeinen Streifereyen, da ihm das Geld völlig ausgegangen war, zu dem Einfall, allein, ganze Stücke, beſonders auf Edelhöfen und in Dörfern vorzuſtellen, und ſich dadurch überall ſogleich Unterhalt und Nachtquartier zu verſchaffen.","norm":"Nun kam er zufälligerweise auf seinen Streifereien, da ihm das Geld völlig ausgegangen war, zu dem Einfall, allein, ganze Stücke, besonders auf Edelhöfen und in Dörfern vorzustellen, und sich dadurch überall sogleich Unterhalt und Nachtquartier zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1660,"orig":"In jeder Schenke, jedem Zimmer und Garten war ſein Theater gleich aufgeſchlagen; mit einem ſchelmiſchen Ernſt und anſcheinendem Enthuſiasmus wußte er die Einbildungskraft ſeiner Zuſchauer zu gewinnen, ihre Sinne zu täuſchen, und vor ihren offenen Augen einen alten Schrank zu einer Burg, und einen Fächer zum Dolche umzuſchaffen.","norm":"In jeder Schenke, jedem Zimmer und Garten war sein Theater gleich aufgeschlagen; mit einem schelmischen Ernst und anscheinendem Enthusiasmus wusste er die Einbildungskraft seiner Zuschauer zu gewinnen, ihre Sinne zu täuschen, und vor ihren offenen Augen einen alten Schrank zu einer Burg, und einen Fächer zum Dolche umzuschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1661,"orig":"Seine Jugendwärme erſetzte den Mangel eines tiefen Gefühls, ſeine Heftigkeit ſchien Stärke, und ſeine Schmeicheley Zärtlichkeit.","norm":"Seine Jugendwärme ersetzte den Mangel eines tiefen Gefühls, seine Heftigkeit schien Stärke, und seine Schmeichelei Zärtlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1662,"orig":"Diejenigen, die das Theater ſchon kannten, erinnerte er an alles, was ſie geſehen und gehört hatten, und in den übrigen erregte er eine Ahndung von etwas Wunderbaren, und den Wunſch, näher damit bekannt zu werden.","norm":"Diejenigen, die das Theater schon kannten, erinnerte er an alles, was sie gesehen und gehört hatten, und in den übrigen erregte er eine Ahnung von etwas Wunderbaren, und den Wunsch, näher damit bekannt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1663,"orig":"Was an einem Orte Wirkung that, verfehlte er nicht am andern zu wiederholen, und hatte die herzlichſte Schadenfreude, wenn er alle Menſchen, auf gleiche Weiſe, aus dem Stegreife, zum beſten haben konnte.","norm":"Was an einem Orte Wirkung tat, verfehlte er nicht am anderen zu wiederholen, und hatte die herzlichste Schadenfreude, wenn er alle Menschen, auf gleiche Weise, aus dem Stegreife, zum besten haben konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1664,"orig":"Bey ſeinem lebhaften, freyen und durch nichts gehinderten Geiſte verbeſſerte er ſich, indem er Rollen und Stücke oft wiederholte, ſehr geſchwind.","norm":"Bei seinem lebhaften, freien und durch nichts gehinderten Geist verbesserte er sich, indem er Rollen und Stücke oft wiederholte, sehr geschwind."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1665,"orig":"Bald rezitirte und ſpielte er dem Sinne gemäßer, als die Muſter, die er Anfangs nur nachgeahmt hatte.","norm":"Bald rezitierte und spielte er dem Sinne gemäßer, als die Muster, die er Anfangs nur nachgeahmt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1666,"orig":"Auf dieſem Wege kam er nach und nach dazu, natürlich zu ſpielen und doch immer verſtellt zu ſeyn.","norm":"Auf diesem Wege kam er nach und nach dazu, natürlich zu spielen und doch immer verstellt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1667,"orig":"Er ſchien hingeriſſen, und lauerte auf den Effekt, und ſein größter Stolz war: die Menſchen ſtufenweiſe in Bewegung zu ſetzen.","norm":"Er schien hingerissen, und lauerte auf den Effekt, und sein größter Stolz war: die Menschen stufenweise in Bewegung zu setzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1668,"orig":"Selbſt das tolle Handwerk, das er trieb, nöthigte ihn bald mit einer gewiſſen Mäßigung zu verfahren, und ſo lernte er, theils gezwungen, theils aus Inſtinkt, das, wovon ſo wenig Schauſpieler einen Begriff zu haben ſcheinen: mit Organ und Gebährden ökonomiſch zu ſeyn.","norm":"Selbst das tolle Handwerk, das er trieb, nötigte ihn bald mit einer gewissen Mäßigung zu verfahren, und so lernte er, teils gezwungen, teils aus Instinkt, das, wovon so wenig Schauspieler einen Begriff zu haben scheinen: mit Organ und Gebärden ökonomisch zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1669,"orig":"So wußte er ſelbſt rohe und unfreundliche Menſchen zu bändigen, und für ſich zu intereſſiren, und da er überall mit Nahrung und Obdach zufrieden war, jedes Geſchenk dankbar annahm, das man ihm reichte, ja manchmal gar das Geld, wenn er deſſen nach ſeiner Meinung genug hatte, ausſchlug; ſo ſchickte man ihn mit Empfehlungsſchreiben einander zu, und ſo wanderte er eine ganze Zeit von einem Edelhofe zum andern, wo er manches Vergnügen erregte, manches genoß, und nicht ohne die angenehmſten und artigſten Abentheuer blieb.","norm":"So wusste er selbst rohe und unfreundliche Menschen zu bändigen, und für sich zu interessieren, und da er überall mit Nahrung und Obdach zufrieden war, jedes Geschenk dankbar annahm, das man ihm reichte, ja manchmal gar das Geld, wenn er dessen nach seiner Meinung genug hatte, ausschlug; so schickte man ihn mit Empfehlungsschreiben einander zu, und so wanderte er eine ganze Zeit von einem Edelhofe zum anderen, wo er manches Vergnügen erregte, manches genoss, und nicht ohne die angenehmsten und artigsten Abenteuer blieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1670,"orig":"Bey der innerlichen Kälte ſeines Gemüthes liebte er eigentlich niemand; bey der Klarheit ſeines Blicks konnte er niemand achten, denn er ſah nur immer die äuſſern Eigenheiten der Menſchen, und trug ſie in ſeine mimiſche Sammlung ein.","norm":"Bei der innerlichen Kälte seines Gemütes liebte er eigentlich niemand; bei der Klarheit seines Blicks konnte er niemand achten, denn er sah nur immer die äußeren Eigenheiten der Menschen, und trug sie in seine mimische Sammlung ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1671,"orig":"Dabey aber war ſeine Selbſtigkeit äuſſerſt beleidigt, wenn er nicht jedem gefiel, und wenn er nicht überall Beyfall erregte.","norm":"Dabei aber war seine Selbstigkeit äußerst beleidigt, wenn er nicht jedem gefiel, und wenn er nicht überall Beifall erregte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1672,"orig":"Wie dieſer zu erlangen ſey, darauf hatte er nach und nach ſo genau acht gegeben, und hatte ſeinen Sinn ſo geſchärft, daß er nicht allein bey ſeinen Darſtellungen, ſondern auch im gemeinen Leben nicht mehr anders als ſchmeicheln konnte.","norm":"Wie dieser zu erlangen sei, darauf hatte er nach und nach so genau Acht gegeben, und hatte seinen Sinn so geschärft, dass er nicht allein bei seinen Darstellungen, sondern auch im gemeinen Leben nicht mehr anders als schmeicheln konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1673,"orig":"Und ſo arbeitete ſeine Gemüthsart, ſein Talent und ſeine Lebensart dergeſtalt wechſelsweiſe gegen einander, daß er ſich unvermerkt zu einem vollkommnen Schauſpieler ausgebildet ſah.","norm":"Und so arbeitete seine Gemütsart, sein Talent und seine Lebensart dergestalt wechselweise gegeneinander, dass er sich unvermerkt zu einem vollkommenen Schauspieler ausgebildet sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1674,"orig":"Ja, durch eine ſeltſam ſcheinende, aber ganz natürliche Wirkung und Gegenwirkung ſtieg, durch Einſicht und Übung, ſeine Rezitation, Declamation und ſein Gebährdenſpiel zu einer hohen Stufe von Wahrheit, Freyheit und Offenheit, indem er im Leben und Umgang immer heimlicher, künſtlicher, ja verſtellt und ängſtlich zu werden ſchien.","norm":"Ja, durch eine seltsam scheinende, aber ganz natürliche Wirkung und Gegenwirkung stieg, durch Einsicht und Übung, seine Rezitation, Deklamation und sein Gebärdenspiel zu einer hohen Stufe von Wahrheit, Freiheit und Offenheit, indem er im Leben und Umgang immer heimlicher, künstlicher, ja verstellt und ängstlich zu werden schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1675,"orig":"Von ſeinen Schickſalen und Abentheuern ſprechen wir vielleicht an einem andern Orte, und bemerken hier nur ſo viel: daß er in ſpäteren Zeiten, da er ſchon ein gemachter Mann, im Beſitz von entſchiednem Nahmen, und in einer ſehr guten obgleich nicht feſten Lage war, ſich angewöhnt hatte, im Geſpräch auf eine feine Weiſe theils ironiſch, theils ſpöttiſch den Sophiſten zu machen, und dadurch faſt jede ernſthafte Unterhaltung zu zerſtören.","norm":"Von seinen Schicksalen und Abenteuern sprechen wir vielleicht an einem anderen Orte, und bemerken hier nur so viel: dass er in späteren Zeiten, da er schon ein gemachter Mann, im Besitz von entschiedenem Namen, und in einer sehr guten obgleich nicht festen Lage war, sich angewöhnt hatte, im Gespräch auf eine feine Weise teils ironisch, teils spöttisch den Sophisten zu machen, und dadurch fast jede ernsthafte Unterhaltung zu zerstören."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1676,"orig":"Beſonders gebrauchte er dieſe Manier gegen Wilhelm, ſobald dieſer, wie es ihm oft begegnete, ein allgemeines theoretiſches Geſpräch anzuknüpfen Luſt hatte.","norm":"Besonders gebrauchte er diese Manier gegen Wilhelm, sobald dieser, wie es ihm oft begegnete, ein allgemeines theoretisches Gespräch anzuknüpfen Lust hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1677,"orig":"Demungeachtet waren ſie ſehr gern beyſammen, indem durch ihre beiderſeitige Denkart die Unterhaltung lebhaft werden mußte.","norm":"Dem ungeachtet waren sie sehr gern beisammen, indem durch ihre beiderseitige Denkart die Unterhaltung lebhaft werden musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1678,"orig":"Wilhelm wünſchte, alles aus den Begriffen, die er gefaßt hatte, zu entwickeln, und wollte die Kunſt in einem Zuſammenhange behandelt haben.","norm":"Wilhelm wünschte, alles aus den Begriffen, die er gefasst hatte, zu entwickeln, und wollte die Kunst in einem Zusammenhange behandelt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1679,"orig":"Er wollte ausgeſprochene Regeln feſtſetzen, beſtimmen, was recht, ſchön und gut ſey, und was Beyfall verdiene; genug, er behandelte alles auf das ernſtlichſte.","norm":"Er wollte ausgesprochene Regeln festsetzen, bestimmen, was recht, schön und gut sei, und was Beifall verdiene; genug, er behandelte alles auf das ernstlichste."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1680,"orig":"Serlo hingegen nahm die Sache ſehr leicht, und indem er niemals direct auf eine Frage antwortete, wußte er, durch eine Geſchichte oder einen Schwank, die artigſte und vergnüglichſte Erläuterung beyzubringen, und die Geſellſchaft zu unterrichten, indem er ſie erheiterte.","norm":"Serlo hingegen nahm die Sache sehr leicht, und indem er niemals direkt auf eine Frage antwortete, wusste er, durch eine Geschichte oder einen Schwank, die artigste und vergnüglichste Erläuterung beizubringen, und die Gesellschaft zu unterrichten, indem er sie erheiterte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1681,"orig":"Indem nun Wilhelm auf dieſe Weiſe ſehr angenehme Stunden zubrachte, befanden ſich Melina und die übrigen in einer deſto verdrießlichern Lage.","norm":"Indem nun Wilhelm auf diese Weise sehr angenehme Stunden zubrachte, befanden sich Melina und die übrigen in einer desto verdrießlicheren Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1682,"orig":"Sie erſchienen unſerm Freunde manchmal wie böſe Geiſter, und machten ihm nicht blos durch ihre Gegenwart, ſondern auch oft durch flämiſche Geſichter und bittre Reden einen verdrießlichen Augenblick.","norm":"Sie erschienen unserem Freunde manchmal wie böse Geister, und machten ihm nicht bloß durch ihre Gegenwart, sondern auch oft durch flämische Gesichter und bittere Reden einen verdrießlichen Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1683,"orig":"Serlo hatte ſie nicht einmal zu Gaſtrollen gelaſſen, geſchweige daß er ihnen Hoffnung zum Engagement gemacht hätte, und hatte demungeachtet nach und nach ihre ſämmtlichen Fähigkeiten kennen gelernt.","norm":"Serlo hatte sie nicht einmal zu Gastrollen gelassen, geschweige dass er ihnen Hoffnung zum Engagement gemacht hätte, und hatte dem ungeachtet nach und nach ihre sämtlichen Fähigkeiten kennen gelernt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1684,"orig":"So oft ſich Schauſpieler bey ihm geſellig verſammelten, hatte er die Gewohnheit leſen zu laſſen, und manchmal ſelbſt mitzuleſen.","norm":"Sooft sich Schauspieler bei ihm gesellig versammelten, hatte er die Gewohnheit lesen zu lassen, und manchmal selbst mitzulesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1685,"orig":"Er nahm Stücke vor, die noch gegeben werden ſollten, die lange nicht gegeben waren, und zwar meiſtens nur Theilweiſe.","norm":"Er nahm Stücke vor, die noch gegeben werden sollten, die lange nicht gegeben waren, und zwar meistens nur teilweise."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1686,"orig":"So ließ er auch, nach einer erſten Aufführung, Stellen, bey denen er etwas zu erinnern hatte, wiederholen, vermehrte dadurch die Einſicht der Schauſpieler, und verſtärkte ihre Sicherheit, den rechten Punkt zu treffen.","norm":"So ließ er auch, nach einer ersten Aufführung, Stellen, bei denen er etwas zu erinnern hatte, wiederholen, vermehrte dadurch die Einsicht der Schauspieler, und verstärkte ihre Sicherheit, den rechten Punkt zu treffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1687,"orig":"Und wie ein geringer aber richtiger Verſtand mehr als ein verworrnes und ungeläutertes Genie zur Zufriedenheit anderer wirken kann; ſo erhub er mittelmäßige Talente, durch die deutliche Einſicht, die er ihnen unmerklich verſchafte, zu einer bewundernswürdigen Fähigkeit.","norm":"Und wie ein geringer aber richtiger Verstand mehr als ein verworrenes und ungeläutertes Genie zur Zufriedenheit anderer wirken kann; so erhob er mittelmäßige Talente, durch die deutliche Einsicht, die er ihnen unmerklich verschaffte, zu einer bewundernswürdigen Fähigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1688,"orig":"Nicht wenig trug dazu bey, daß er auch Gedichte leſen ließ, und in ihnen das Gefühl jenes Reizes erhielt, den ein wohlvorgetragner Rythmus in unſrer Seele erregt, anſtatt daß man bey andern Geſellſchaften ſchon anfing, nur diejenige Proſa vorzutragen, wozu einem jeden der Schnabel gewachſen war.","norm":"Nicht wenig trug dazu bei, dass er auch Gedichte lesen ließ, und in ihnen das Gefühl jenes Reizes erhielt, den ein wohlvorgetragener Rhythmus in unserer Seele erregt, anstatt dass man bei anderen Gesellschaften schon anfing, nur diejenige Prosa vorzutragen, wozu einem jeden der Schnabel gewachsen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1689,"orig":"Bey ſolchen Gelegenheiten hatte er auch die ſämmtlichen angekommenen Schauſpieler kennen lernen, das was ſie waren, und was ſie werden konnten, beurtheilt, und ſich in der Stille vorgenommen, von ihren Talenten bey einer Revolution, die ſeiner Geſellſchaft drohete, ſogleich Vortheil zu ziehen.","norm":"Bei solchen Gelegenheiten hatte er auch die sämtlichen angekommenen Schauspieler kennen lernen, das was sie waren, und was sie werden konnten, beurteilt, und sich in der Stille vorgenommen, von ihren Talenten bei einer Revolution, die seiner Gesellschaft drohte, sogleich Vorteil zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1690,"orig":"Er ließ die Sache eine Weile auf ſich beruhen, lehnte alle Interceſſionen Wilhelms für ſie mit Achſelzucken ab, bis er ſeine Zeit erſah, und ſeinem jungen Freunde ganz unerwartet den Vorſchlag that: er ſolle doch ſelbſt bey ihm aufs Theater gehen, und unter dieſer Bedingung wolle er auch die übrigen engagiren.","norm":"Er ließ die Sache eine Weile auf sich beruhen, lehnte alle Interzessionen Wilhelms für sie mit Achselzucken ab, bis er seine Zeit ersah, und seinem jungen Freunde ganz unerwartet den Vorschlag tat: Er solle doch selbst bei ihm aufs Theater gehen, und unter dieser Bedingung wolle er auch die übrigen engagieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1691,"orig":"Die Leute müſſen alſo doch ſo unbrauchbar nicht ſeyn, wie Sie mir ſolche bisher geſchildert haben, verſetzte ihm Wilhelm, wenn ſie jetzt auf einmal zuſammen angenommen werden können, und ich dächte, ihre Talente müßten auch ohne mich dieſelbigen bleiben.","norm":"Die Leute müssen also doch so unbrauchbar nicht sein, wie Sie mir solche bisher geschildert haben, versetzte ihm Wilhelm, wenn sie jetzt auf einmal zusammen angenommen werden können, und ich dächte, ihre Talente müssten auch ohne mich dieselbigen bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1692,"orig":"Serlo eröffnete ihm darauf, unter dem Siegel der Verſchwiegenheit, ſeine Lage: wie ſein erſter Liebhaber Miene mache, ihn bey der Erneuerung des Contracts zu ſteigern, und wie er nicht geſinnt ſey, ihm nachzugeben, beſonders da die Gunſt des Publikums gegen ihn ſo groß nicht mehr ſey.","norm":"Serlo eröffnete ihm darauf, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, seine Lage: wie sein erster Liebhaber Miene mache, ihn bei der Erneuerung des Kontrakts zu steigern, und wie er nicht gesinnt sei, ihm nachzugeben, besonders da die Gunst des Publikums gegen ihn so groß nicht mehr sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1693,"orig":"Ließe er dieſen gehen, ſo würde ſein ganzer Anhang ihm folgen, wodurch denn die Geſellſchaft einige gute, aber auch einige mittelmäßige Glieder verlöre.","norm":"Ließe er diesen gehen, so würde sein ganzer Anhang ihm folgen, wodurch denn die Gesellschaft einige gute, aber auch einige mittelmäßige Glieder verlöre."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1694,"orig":"Hierauf zeigte er Wilhelmen, was er dagegen an ihm, an Laertes, dem alten Polterer und ſelbſt an Frau Melina zu gewinnen hoffe.","norm":"Hierauf zeigte er Wilhelm, was er dagegen an ihm, an Laertes, dem alten Polterer und selbst an Frau Melina zu gewinnen hoffe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1695,"orig":"Ja, er verſprach dem armen Pedanten als Juden, Miniſter, und überhaupt als Böſewicht einen entſchiedenen Beyfall zu verſchaffen.","norm":"Ja, er versprach dem armen Pedanten als Juden, Minister, und überhaupt als Bösewicht einen entschiedenen Beifall zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1696,"orig":"Wilhelm ſtutzte, und vernahm den Vortrag nicht ohne Unruhe, und nur um etwas zu ſagen, verſetzte er, nachdem er tief Athem geholt hatte:","norm":"Wilhelm stutzte, und vernahm den Vortrag nicht ohne Unruhe, und nur um etwas zu sagen, versetzte er, nachdem er tief Atem geholt hatte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1697,"orig":"Sie ſprechen auf eine ſehr freundliche Weiſe nur von dem Guten, was Sie an uns finden und von uns hoffen; wie ſieht es denn aber mit den ſchwachen Seiten aus, die Ihrem Scharfſinne gewiß nicht entgangen ſind?","norm":"Sie sprechen auf eine sehr freundliche Weise nur von dem Guten, was Sie an uns finden und von uns hoffen; wie sieht es denn aber mit den schwachen Seiten aus, die Ihrem Scharfsinne gewiss nicht entgangen sind?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1698,"orig":"Die wollen wir bald durch Fleiß, Übung und Nachdenken zu ſtarken Seiten machen, verſetzte Serlo.","norm":"Die wollen wir bald durch Fleiß, Übung und Nachdenken zu starken Seiten machen, versetzte Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1699,"orig":"Es iſt unter euch allen, die ihr denn doch nur Naturaliſten und Pfuſcher ſeyd, keiner, der nicht mehr oder weniger Hoffnung von ſich gäbe; denn ſo viel ich alle beurtheilen kann, ſo iſt kein einziger Stock darunter, und Stöcke allein ſind die Unverbeſſerlichen, ſie mögen nun aus Eigendünkel, Dummheit oder Hypochondrie ungelenk und unbiegſam ſeyn.","norm":"Es ist unter euch allen, die ihr denn doch nur Naturalisten und Pfuscher seid, keiner, der nicht mehr oder weniger Hoffnung von sich gäbe; denn soviel ich alle beurteilen kann, so ist kein einziger Stock darunter, und Stöcke allein sind die Unverbesserlichen, sie mögen nun aus Eigendünkel, Dummheit oder Hypochondrie ungelenk und unbiegsam sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1700,"orig":"Serlo legte darauf mit wenigen Worten die Bedingungen dar, die er machen könne und wolle, bat Wilhelmen um ſchleunige Entſcheidung, und verließ ihn in nicht geringer Unruhe.","norm":"Serlo legte darauf mit wenigen Worten die Bedingungen dar, die er machen könne und wolle, bat Wilhelm um schleunige Entscheidung, und verließ ihn in nicht geringer Unruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1701,"orig":"Bey der wunderlichen und gleichſam nur zum Scherz unternommenen Arbeit jener fingirten Reiſebeſchreibung, die er mit Laertes ausarbeitete, war er auf die Zuſtände und das tägliche Leben der wirklichen Welt aufmerkſamer geworden, als er ſonſt nicht geweſen war.","norm":"Bei der wunderlichen und gleichsam nur zum Scherz unternommenen Arbeit jener fingierten Reisebeschreibung, die er mit Laertes ausarbeitete, war er auf die Zustände und das tägliche Leben der wirklichen Welt aufmerksamer geworden, als er sonst nicht gewesen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1702,"orig":"Er begriff jetzt ſelbſt erſt die Abſicht des Vaters, als er ihm die Führung des Journals ſo lebhaft empfohlen.","norm":"Er begriff jetzt selbst erst die Absicht des Vaters, als er ihm die Führung des Journals so lebhaft empfohlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1703,"orig":"Er fühlte zum erſtenmale, wie angenehm und nützlich es ſeyn könne, ſich zur Mittelsperſon ſo vieler Gewerbe und Bedürfniſſe zu machen, und bis in die tiefſten Gebirge und Wälder des feſten Landes Leben und Thätigkeit verbreiten zu helfen.","norm":"Er fühlte zum ersten Male, wie angenehm und nützlich es sein könne, sich zur Mittelsperson so vieler Gewerbe und Bedürfnisse zu machen, und bis in die tiefsten Gebirge und Wälder des festen Landes Leben und Tätigkeit verbreiten zu helfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1704,"orig":"Die lebhafte Handelsſtadt, in der er ſich befand, gab ihm bey der Unruhe des Laertes, der ihn überall mit herumſchleppte, den anſchaulichſten Begriff eines großen Mittelpunktes, woher alles ausfließt, und wohin alles zurückkehrt, und es war das erſtemal, daß ſein Geiſt im Anſchauen dieſer Art von Thätigkeit ſich wirklich ergetzte.","norm":"Die lebhafte Handelsstadt, in der er sich befand, gab ihm bei der Unruhe des Laertes, der ihn überall mit herumschleppte, den anschaulichsten Begriff eines großen Mittelpunktes, woher alles ausfließt, und wohin alles zurückkehrt, und es war das erste Mal, dass sein Geist im Anschauen dieser Art von Tätigkeit sich wirklich ergötzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1705,"orig":"In dieſem Zuſtande hatte ihm Serlo den Antrag gethan, und ſeine Wünſche, ſeine Neigung, ſein Zutrauen auf ein angebornes Talent, und ſeine Verpflichtung gegen die hülfloſe Geſellſchaft wieder rege gemacht.","norm":"In diesem Zustande hatte ihm Serlo den Antrag getan, und seine Wünsche, seine Neigung, sein Zutrauen auf ein angeborenes Talent, und seine Verpflichtung gegen die hilflose Gesellschaft wieder rege gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1706,"orig":"Da ſteh ich nun, ſagte er zu ſich ſelbſt, abermals am Scheidewege zwiſchen den beiden Frauen, die mir in meiner Jugend erſchienen.","norm":"Da stehe ich nun, sagte er zu sich selbst, abermals am Scheidewege zwischen den beiden Frauen, die mir in meiner Jugend erschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1707,"orig":"Die eine ſieht nicht mehr ſo kümmerlich aus, wie damals, und die andere nicht ſo prächtig.","norm":"Die eine sieht nicht mehr so kümmerlich aus, wie damals, und die andere nicht so prächtig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1708,"orig":"Der einen wie der andern zu folgen fühlſt du eine Art von innern Beruf, und von beiden Seiten ſind die äuſſern Anläſſe ſtark genug; es ſcheint dir unmöglich dich zu entſcheiden, du wünſcheſt, daß irgend ein Übergewicht von Auſſen deine Wahl beſtimmen möge, und doch, wenn du dich recht unterſuchſt, ſo ſind es nur äuſſere Umſtände, die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb und Beſitz einflößen, aber dein innerſtes Bedürfniß erzeugt und nährt den Wunſch, die Anlagen, die in dir zum Guten und Schönen ruhen mögen, ſie ſeyen körperlich oder geiſtig, immer mehr zu entwickeln und auszubilden.","norm":"Der einen wie der anderen zu folgen fühlst du eine Art von inneren Beruf, und von beiden Seiten sind die äußeren Anlässe stark genug; es scheint dir unmöglich dich zu entscheiden, du wünschest, dass irgendein Übergewicht von Außen deine Wahl bestimmen möge, und doch, wenn du dich recht untersuchst, so sind es nur äußere Umstände, die dir eine Neigung zu Gewerbe, Erwerbe und Besitz einflößen, aber dein innerstes Bedürfnis erzeugt und nährt den Wunsch, die Anlagen, die in dir zum Guten und Schönen ruhen mögen, sie seien körperlich oder geistig, immer mehr zu entwickeln und auszubilden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1709,"orig":"Und muß ich nicht das Schickſal verehren, das mich ohne mein Zuthun hierher an das Ziel aller meiner Wünſche führt?","norm":"Und muss ich nicht das Schicksal verehren, das mich ohne mein Zutun hierher an das Ziel aller meiner Wünsche führt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1710,"orig":"Geſchieht nicht alles, was ich mir ehemals ausgedacht und vorgeſetzt, nun zufällig ohne mein Mitwirken?","norm":"Geschieht nicht alles, was ich mir ehemals ausgedacht und vorgesetzt, nun zufällig ohne mein Mitwirken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1711,"orig":"Sonderbar genug!","norm":"Sonderbar genug!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1712,"orig":"Der Menſch ſcheint mit nichts vertrauter zu ſeyn, als mit ſeinen Hoffnungen und Wünſchen, die er lange im Herzen nährt und bewahrt, und doch, wenn ſie ihm nun begegnen, wenn ſie ſich ihm gleichſam aufdringen, erkennt er ſie nicht und weicht vor ihnen zurück.","norm":"Der Mensch scheint mit nichts vertrauter zu sein, als mit seinen Hoffnungen und Wünschen, die er lange im Herzen nährt und bewahrt, und doch, wenn sie ihm nun begegnen, wenn sie sich ihm gleichsam aufdringen, erkennt er sie nicht und weicht vor ihnen zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1713,"orig":"Alles, was ich mir vor jener unglücklichen Nacht, die mich von Marianen entfernte, nur träumen ließ, ſteht vor mir, und bietet ſich mir ſelbſt an.","norm":"Alles, was ich mir vor jener unglücklichen Nacht, die mich von Mariane entfernte, nur träumen ließ, steht vor mir, und bietet sich mir selbst an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1714,"orig":"Hierher wollte ich flüchten, und bin ſachte hergeleitet worden; bey Serlo wollte ich unterzukommen ſuchen, er ſucht nun mich, und bietet mir Bedingungen an, die ich als Anfänger nie erwarten konnte.","norm":"Hierher wollte ich flüchten, und bin sachte hergeleitet worden; bei Serlo wollte ich unterzukommen suchen, er sucht nun mich, und bietet mir Bedingungen an, die ich als Anfänger nie erwarten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1715,"orig":"War es denn bloß Liebe zu Marianen, die mich ans Theater feſſelte?","norm":"War es denn bloß Liebe zu Mariane, die mich ans Theater fesselte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1716,"orig":"oder war es Liebe zur Kunſt, die mich an das Mädchen feſtknüpfte?","norm":"oder war es Liebe zur Kunst, die mich an das Mädchen festknüpfte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1717,"orig":"War jene Ausſicht, jener Ausweg nach der Bühne blos einem unordentlichen, unruhigen Menſchen willkommen, der ein Leben fortzuſetzen wünſchte, das ihm die Verhältniſſe der bürgerlichen Welt nicht geſtatteten, oder war es alles anders, reiner, würdiger?","norm":"War jene Aussicht, jener Ausweg nach der Bühne bloß einem unordentlichen, unruhigen Menschen willkommen, der ein Leben fortzusetzen wünschte, das ihm die Verhältnisse der bürgerlichen Welt nicht gestatteten, oder war es alles anders, reiner, würdiger?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1718,"orig":"und was ſollte dich bewegen können, deine damalige Geſinnungen zu ändern?","norm":"und was sollte dich bewegen können, deine damalige Gesinnungen zu ändern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1719,"orig":"Haſt du nicht vielmehr bisher ſelbſt unwiſſend deinen Plan verfolgt, und iſt nicht jetzt der letzte Schritt noch mehr zu billigen, da keine Nebenabſichten dabey im Spiele ſind, und da du zugleich ein feyerlich gegebenes Wort halten, und dich auf eine edle Weiſe von einer ſchweren Schuld befreyen kannſt?","norm":"Hast du nicht vielmehr bisher selbst unwissend deinen Plan verfolgt, und ist nicht jetzt der letzte Schritt noch mehr zu billigen, da keine Nebenabsichten dabei im Spiele sind, und da du zugleich ein feierlich gegebenes Wort halten, und dich auf eine edle Weise von einer schweren Schuld befreien kannst?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1720,"orig":"Alles, was in ſeinem Herzen und ſeiner Einbildungskraft ſich bewegte, wechſelte nun auf das lebhafteſte gegen einander ab.","norm":"Alles, was in seinem Herzen und seiner Einbildungskraft sich bewegte, wechselte nun auf das lebhafteste gegeneinander ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1721,"orig":"Daß er ſeine Mignon behalten könne, daß er den Harfner nicht zu verſtoßen brauche, war kein kleines Gewicht auf der Wagſchale, und doch ſchwankte ſie noch hin und wieder, als er ſeine Freundin Aurelie gewohnterweiſe zu beſuchen ging.","norm":"Dass er seine Mignon behalten könne, dass er den Harfner nicht zu verstoßen brauche, war kein kleines Gewicht auf der Waagschale, und doch schwankte sie noch hin und wieder, als er seine Freundin Aurelie gewohnterweise zu besuchen ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1722,"orig":"Er fand ſie auf ihrem Ruhbette; ſie ſchien ſtille.","norm":"Er fand sie auf ihrem Ruhebette; sie schien stille."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1723,"orig":"Glauben Sie noch morgen ſpielen zu können?","norm":"Glauben Sie noch morgen spielen zu können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1724,"orig":"fragte er.","norm":"fragte er."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1725,"orig":"O ja, verſetzte ſie lebhaft;","norm":"O ja, versetzte sie lebhaft;"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1726,"orig":"Sie wiſſen, daran hindert mich nichts.","norm":"Sie wissen, daran hindert mich nichts."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1727,"orig":"— Wenn ich nur ein Mittel wüßte, den Beyfall unſers Parterr’s von mir abzulehnen: ſie meinen es gut, und werden mich noch umbringen.","norm":"— Wenn ich nur ein Mittel wüsste, den Beifall unseres Parterres von mir abzulehnen: sie meinen es gut, und werden mich noch umbringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1728,"orig":"Vorgeſtern dacht’ ich das Herz müßte mir reißen!","norm":"Vorgestern dachte ich das Herz müsste mir reißen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1729,"orig":"Sonſt konnt’ ich es wohl leiden, wenn ich mir ſelbſt gefiel, wenn ich lange ſtudirt und mich vorbereitet hatte ‚dann freute ich mich, wenn das willkommene Zeichen: nun ſey es gelungen, von allen Enden wiedertönte.","norm":"Sonst konnte ich es wohl leiden, wenn ich mir selbst gefiel, wenn ich lange studiert und mich vorbereitet hatte, dann freute ich mich, wenn das willkommene Zeichen: nun sei es gelungen, von allen Enden widertönen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1730,"orig":"Jetzo ſag ich nicht, was ich will, nicht wie ichs will, ich werde hingeriſſen, ich verwirre mich, und mein Spiel macht einen weit größern Eindruck.","norm":"Jetzt sage ich nicht, was ich will, nicht wie ich es will, ich werde hingerissen, ich verwirre mich, und mein Spiel macht einen weit größeren Eindruck."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1731,"orig":"Der Beyfall wird lauter, und ich denke: wüßtet ihr, was euch entzückt!","norm":"Der Beifall wird lauter, und ich denke: Wüsstet ihr, was euch entzückt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1732,"orig":"die dunkeln, heftigen, unbeſtimmten Anklänge rühren euch, zwingen euch Bewundrung ab, und ihr fühlt nicht, daß es die Schmerzenstöne der Unglücklichen ſind, der ihr euer Wohlwollen geſchenkt habt.","norm":"Die dunkeln, heftigen, unbestimmten Anklänge rühren euch, zwingen euch Bewunderung ab, und ihr fühlt nicht, dass es die Schmerzenstöne der Unglücklichen sind, der ihr euer Wohlwollen geschenkt habt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1733,"orig":"Heute früh hab’ ich gelernt, jetzt wiederholt und verſucht.","norm":"Heute früh habe ich gelernt, jetzt wiederholt und versucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1734,"orig":"Ich bin müde, zerbrochen, und morgen geht es wieder von vorn an.","norm":"Ich bin müde, zerbrochen, und morgen geht es wieder von vorn an."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1735,"orig":"Morgen Abend ſoll geſpielt werden; ſo ſchlepp’ ich mich hin und her, es iſt mir langweilig aufzuſtehen, und verdrießlich zu Bette zu gehen.","norm":"Morgen Abend soll gespielt werden; so schleppe ich mich hin und her, es ist mir langweilig aufzustehen, und verdrießlich zu Bette zu gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1736,"orig":"Alles macht einen ewigen Zirkel in mir.","norm":"Alles macht einen ewigen Zirkel in mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1737,"orig":"Dann treten die leidigen Tröſtungen vor mir auf, dann werf ich ſie weg, und verwünſche ſie.","norm":"Dann treten die leidigen Tröstungen vor mir auf, dann werfe ich sie weg, und verwünsche sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1738,"orig":"Ich will mich nicht ergeben, nicht der Nothwendigkeit ergeben — warum ſoll das nothwendig ſeyn, was mich zu Grunde richtet?","norm":"Ich will mich nicht ergeben, nicht der Notwendigkeit ergeben — warum soll das notwendig sein, was mich zugrunde richtet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1739,"orig":"Könnte es nicht auch anders ſeyn?","norm":"Könnte es nicht auch anders sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1740,"orig":"Ich muß es eben bezahlen, daß ich eine Deutſche bin; es iſt der Charakter der Deutſchen, daß ſie über allem ſchwer werden, daß alles über ihnen ſchwer wird.","norm":"Ich muss es eben bezahlen, dass ich eine Deutsche bin; es ist der Charakter der Deutschen, dass sie über allem schwer werden, dass alles über ihnen schwer wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1741,"orig":"O, meine Freundin, fiel Wilhelm ein, könnten Sie doch aufhören ſelbſt den Dolch zu ſchärfen, mit dem Sie ſich unabläſſig verwunden!","norm":"O, meine Freundin, fiel Wilhelm ein, könnten Sie doch aufhören selbst den Dolch zu schärfen, mit dem Sie sich unablässig verwunden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1742,"orig":"Bleibt Ihnen denn nichts?","norm":"Bleibt Ihnen denn nichts?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1743,"orig":"Iſt denn Ihre Jugend, Ihre Geſtalt, Ihre Geſundheit, ſind Ihre Talente nichts?","norm":"Ist denn Ihre Jugend, Ihre Gestalt, Ihre Gesundheit, sind Ihre Talente nichts?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1744,"orig":"Wenn Sie ein Gut ohne Ihr Verſchulden verloren haben, müſſen Sie denn alles Übrige hinterdrein werfen?","norm":"Wenn Sie ein Gut ohne Ihr Verschulden verloren haben, müssen Sie denn alles Übrige hinterdrein werfen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1745,"orig":"Iſt das auch nothwendig?","norm":"Ist das auch notwendig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1746,"orig":"Sie ſchwieg einige Augenblicke, dann fuhr ſie auf: ich weiß es wohl, daß es Zeitverderb iſt, nichts als Zeitverderb iſt die Liebe!","norm":"Sie schwieg einige Augenblicke, dann fuhr sie auf: Ich weiß es wohl, dass es Zeitverderb ist, nichts als Zeitverderb ist die Liebe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1747,"orig":"Was hätte ich nicht thun können!","norm":"Was hätte ich nicht tun können!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1748,"orig":"thun ſollen!","norm":"tun sollen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1749,"orig":"nun iſt alles rein zu Nichts geworden.","norm":"Nun ist alles rein zu Nichts geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1750,"orig":"Ich bin ein armes verliebtes Geſchöpf, nichts als verliebt!","norm":"Ich bin ein armes verliebtes Geschöpf, nichts als verliebt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1751,"orig":"Haben Sie Mitleiden mit mir, bey Gott, ich bin ein armes Geſchöpf!","norm":"Haben Sie Mitleiden mit mir, bei Gott, ich bin ein armes Geschöpf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1752,"orig":"Sie verſank in ſich, und nach einer kurzen Pauſe rief ſie hefiig aus: ihr ſeyd gewohnt, daß ſich euch alles an den Hals wirft, nein ihr könnt es nicht fühlen, kein Mann iſt im Stande, den Werth eines Weibes zu fühlen, das ſich zu ehren weiß.","norm":"Sie versank in sich, und nach einer kurzen Pause rief sie heftig aus: Ihr seid gewohnt, dass sich euch alles an den Hals wirft, nein ihr könnt es nicht fühlen, kein Mann ist imstande, den Wert eines Weibes zu fühlen, das sich zu ehren weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1753,"orig":"Bey allen heiligen Engeln, bey allen Bildern der Seeligkeit, die ſich ein reines gutmüthiges Herz erſchaft, es iſt nichts Himmliſchers, als ein weibliches Weſen, das ſich dem geliebten Manne hingiebt.","norm":"Bei allen heiligen Engeln, bei allen Bildern der Seligkeit, die sich ein reines gutmütiges Herz erschafft, es ist nichts Himmlischeres, als ein weibliches Wesen, das sich dem geliebten Manne hingibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1754,"orig":"Wir ſind kalt, ſtolz, hoch, klar, klug, wenn wir verdienen Weiber zu heißen, und alle dieſe Vorzüge legen wir euch zu Füßen, ſobald wir lieben, ſobald wir hoffen, Gegenliebe zu erwerben.","norm":"Wir sind kalt, stolz, hoch, klar, klug, wenn wir verdienen Weiber zu heißen, und alle diese Vorzüge legen wir euch zu Füßen, sobald wir lieben, sobald wir hoffen, Gegenliebe zu erwerben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1755,"orig":"O wie hab’ ich mein ganzes Daſeyn ſo mit Wiſſen und Willen weggeworfen; aber nun will ich auch verzweifeln, abſichtlich verzweifeln.","norm":"O wie habe ich mein ganzes Dasein so mit Wissen und Willen weggeworfen; Aber nun will ich auch verzweifeln, absichtlich verzweifeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1756,"orig":"Es ſoll kein Blutstropfen in mir ſeyn, der nicht geſtraft wird, keine Faſer, die ich nicht peinigen will.","norm":"Es soll kein Blutstropfen in mir sein, der nicht gestraft wird, keine Faser, die ich nicht peinigen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1757,"orig":"Lächeln Sie nur, lachen Sie nur über den theatraliſchen Aufwand von Leidenſchaft.","norm":"Lächeln Sie nur, lachen Sie nur über den theatralischen Aufwand von Leidenschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1758,"orig":"Fern war von unſerm Freunde jede Anwandlung des Lachens.","norm":"Fern war von unserem Freunde jede Anwandlung des Lachens."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1759,"orig":"Der entſetzliche, halb natürliche, halb erzwungene Zuſtand ſeiner Freundin peinigte ihn nur zu ſehr.","norm":"Der entsetzliche, halb natürliche, halb erzwungene Zustand seiner Freundin peinigte ihn nur zu sehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1760,"orig":"Er empfand die Foltern der unglücklichen Anſpannung mit; ſein Gehirn zerrüttete ſich, und ſein Blut war in einer fieberhaften Bewegung.","norm":"Er empfand die Foltern der unglücklichen Anspannung mit; sein Gehirn zerrüttete sich, und sein Blut war in einer fieberhaften Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1761,"orig":"Sie war aufgeſtanden, und ging in der Stube hin und wieder.","norm":"Sie war aufgestanden, und ging in der Stube hin und wider."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1762,"orig":"Ich ſage mir alles vor, rief ſie aus, warum ich ihn nicht lieben ſollte.","norm":"Ich sage mir alles vor, rief sie aus, warum ich ihn nicht lieben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1763,"orig":"Ich weiß auch, daß er es nicht werth iſt; ich wende mein Gemüth ab, dahin und dorthin, beſchäftige mich, wie es nur gehen will.","norm":"Ich weiß auch, dass er es nicht wert ist; ich wende mein Gemüt ab, dahin und dorthin, beschäftige mich, wie es nur gehen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1764,"orig":"Bald nehm ich eine Rolle vor, wenn ich ſie auch nicht zu ſpielen habe, ich übe die alten, die ich durch und durch kenne, fleißiger und fleißiger, ins Einzelne, und übe und übe — mein Freund, mein Vertrauter, welche entſetzliche Arbeit iſt es, ſich mit Gewalt von ſich ſelbſt zu entfernen!","norm":"Bald nehme ich eine Rolle vor, wenn ich sie auch nicht zu spielen habe, ich übe die alten, die ich durch und durch kenne, fleißiger und fleißiger, ins Einzelne, und übe und übe — mein Freund, mein Vertrauter, welche entsetzliche Arbeit ist es, sich mit Gewalt von sich selbst zu entfernen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1765,"orig":"Mein Verſtand leidet, mein Gehirn iſt ſo angeſpannt; um mich vom Wahnſinne zu retten, überlaß ich mich wieder dem Gefühle, daß ich ihn liebe.","norm":"Mein Verstand leidet, mein Gehirn ist so angespannt; um mich vom Wahnsinne zu retten, überlasse ich mich wieder dem Gefühle, dass ich ihn liebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1766,"orig":"— Ja, ich liebe ihn, ich liebe ihn!","norm":"— Ja, ich liebe ihn, ich liebe ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1767,"orig":"rief ſie unter tauſend Thränen, ich liebe ihn, und ſo will ich ſterben.","norm":"rief sie unter tausend Tränen, ich liebe ihn, und so will ich sterben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1768,"orig":"Er faßte ſie bey der Hand, und bat ſie auf das inſtändigſte, ſich nicht ſelbſt aufzureiben.","norm":"Er fasste sie bei der Hand, und bat sie auf das inständigste, sich nicht selbst aufzureiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1769,"orig":"O, ſagte er, wie ſonderbar iſt es, daß dem Menſchen nicht allein ſo manches Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt.","norm":"O, sagte er, wie sonderbar ist es, dass dem Menschen nicht allein so manches Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1770,"orig":"Sie waren nicht beſtimmt, ein treues Herz zu finden, das Ihre ganze Glückſeeligkeit würde gemacht haben.","norm":"Sie waren nicht bestimmt, ein treues Herz zu finden, das Ihre ganze Glückseligkeit würde gemacht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1771,"orig":"Ich war dazu beſtimmt, das ganze Heil meines Lebens an eine Unglückliche feſtzuknüpfen, die ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zerbrach.","norm":"Ich war dazu bestimmt, das ganze Heil meines Lebens an eine Unglückliche festzuknüpfen, die ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zerbrach."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1772,"orig":"Er hatte Aurelien ſeine Geſchichte mit Marianen vertraut, und konnte ſich alſo jetzt darauf beziehen.","norm":"Er hatte Aurelie seine Geschichte mit Mariane vertraut, und konnte sich also jetzt darauf beziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1773,"orig":"Sie ſah ihm ſtarr in die Augen, und fragte: können Sie ſagen, daß Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß Sie keiner mit leichtſinniger Galanterie, mit frevelhafter Betheurung, mit herzlockenden Schwüren ihre Gunſt abzulocken geſucht?","norm":"Sie sah ihm starr in die Augen, und fragte: Können Sie sagen, dass Sie noch niemals ein Weib betrogen, dass Sie keiner mit leichtsinniger Galanterie, mit frevelhafter Beteuerung, mit herzlockenden Schwüren ihre Gunst abzulocken gesucht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1774,"orig":"Das kann ich, verſetzte Wilhelm, und zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben war ſehr einfach, und ich bin ſelten in die Verſuchung gerathen, zu verſuchen.","norm":"Das kann ich, versetzte Wilhelm, und zwar ohne Ruhmredigkeit; denn mein Leben war sehr einfach, und ich bin selten in die Versuchung geraten, zu versuchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1775,"orig":"Und welche Warnung, meine ſchöne, meine edle Freundin, iſt mir der traurige Zuſtand, in den ich Sie verſetzt ſehe.","norm":"Und welche Warnung, meine schöne, meine edle Freundin, ist mir der traurige Zustand, in den ich Sie versetzt sehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1776,"orig":"Nehmen Sie ein Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz angemeſſen iſt, das durch die Rührung, die Sie mir einflößten, ſich bey mir zur Sprache und Form beſtimmt, und durch dieſen Augenblick geheiligt wird: jeder flüchtigen Neigung will ich widerſtehen, und ſelbſt die ernſtlichſten in meinem Buſen bewahren; kein weibliches Geſchöpf ſoll ein Bekenntniß der Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich nicht mein ganzes Leben widmen kann.","norm":"Nehmen Sie ein Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz angemessen ist, das durch die Rührung, die Sie mir einflößten, sich bei mir zur Sprache und Form bestimmt, und durch diesen Augenblick geheiligt wird: Jeder flüchtigen Neigung will ich widerstehen, und selbst die ernstlichsten in meinem Busen bewahren; kein weibliches Geschöpf soll ein Bekenntnis der Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich nicht mein ganzes Leben widmen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1777,"orig":"Sie ſah ihn mit einer wilden Gleichgültigkeit an, und entfernte ſich, als er ihr die Hand reichte, um einige Schritte.","norm":"Sie sah ihn mit einer wilden Gleichgültigkeit an, und entfernte sich, als er ihr die Hand reichte, um einige Schritte."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1778,"orig":"Es iſt nichts daran gelegen, rief ſie, ſo viel Weiberthränen mehr oder weniger, die See wird darum doch nicht wachſen.","norm":"Es ist nichts daran gelegen, rief sie, so viel Weibertränen mehr oder weniger, die See wird darum doch nicht wachsen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1779,"orig":"Doch, fuhr ſie fort, unter Tauſenden Eine gerettet, das iſt doch etwas, unter Tauſenden Einen Redlichen gefunden, das iſt anzunehmen.","norm":"Doch, fuhr sie fort, unter Tausenden eine gerettet, das ist doch etwas, unter Tausenden Einen Redlichen gefunden, das ist anzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1780,"orig":"Wiſſen Sie auch was Sie verſprechen?","norm":"Wissen Sie auch was Sie versprechen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1781,"orig":"Ich weiß es, verſetzte Wilhelm lächelnd, und hielt ſeine Hand hin.","norm":"Ich weiß es, versetzte Wilhelm lächelnd, und hielt seine Hand hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1782,"orig":"Ich nehm’ es an, verſetzte ſie, und machte eine Bewegung mit ihrer Rechten, ſo daß er glaubte, ſie würde die ſeine faſſen; aber ſchnell fuhr ſie in die Taſche, riß den Dolch wie der Blitz heraus, und fuhr mit Spitze und Schneide ihm raſch über die Hand weg.","norm":"Ich nehme es an, versetzte sie, und machte eine Bewegung mit ihrer Rechten, so dass er glaubte, sie würde die seine fassen; aber schnell fuhr sie in die Tasche, riss den Dolch wie der Blitz heraus, und fuhr mit Spitze und Schneide ihm rasch über die Hand weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1783,"orig":"Er zog ſie ſchnell zurück, aber ſchon lief das Blut herunter.","norm":"Er zog sie schnell zurück, aber schon lief das Blut herunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1784,"orig":"Man muß euch Männer ſcharf zeichnen, wenn ihr merken ſollt, rief ſie mit einer wilden Heiterkeit aus, die bald in eine haſtige Geſchäftigkeit überging.","norm":"Man muss euch Männer scharf zeichnen, wenn ihr merken sollt, rief sie mit einer wilden Heiterkeit aus, die bald in eine hastige Geschäftigkeit überging."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1785,"orig":"Sie nahm ihr Schnupftuch und umwickelte ſeine Hand damit, um das erſte hervordringende Blut zu ſtillen.","norm":"Sie nahm ihr Schnupftuch und umwickelte seine Hand damit, um das erste hervordringende Blut zu stillen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1786,"orig":"Verzeihen Sie einer Halbwahnſinnigen, rief ſie aus, und laſſen Sie ſich dieſe Tropfen Bluts nicht reuen.","norm":"Verzeihen Sie einer Halbwahnsinnigen, rief sie aus, und lassen Sie sich diese Tropfen Bluts nicht reuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1787,"orig":"Ich bin verſöhnt, ich bin wieder bey mir ſelber.","norm":"Ich bin versöhnt, ich bin wieder bei mir selber."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1788,"orig":"Auf meinen Knieen will ich Abbitte thun, laſſen Sie mir den Troſt, Sie zu heilen.","norm":"Auf meinen Knieen will ich Abbitte tun, lassen Sie mir den Trost, Sie zu heilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1789,"orig":"Sie eilte nach ihrem Schranke, holte Leinwand und einiges Geräth, ſtillte das Blut, und beſah die Wunde ſorgfältig.","norm":"Sie eilte nach ihrem Schranke, holte Leinwand und einiges Gerät, stillte das Blut, und besah die Wunde sorgfältig."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1790,"orig":"Der Schnitt ging durch den Ballen gerade unter dem Daumen, theilte die Lebenslinie, und lief gegen den kleinen Finger aus.","norm":"Der Schnitt ging durch den Ballen gerade unter dem Daumen, teilte die Lebenslinie, und lief gegen den kleinen Finger aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1791,"orig":"Sie verband ihn ſtill, und mit einer nachdenklichen Bedeutſamkeit in ſich gekehrt.","norm":"Sie verband ihn still, und mit einer nachdenklichen Bedeutsamkeit in sich gekehrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1792,"orig":"Er fragte einigemal:","norm":"Er fragte einige Mal:"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1793,"orig":"Beſte, wie konnten Sie Ihren Freund verletzen?","norm":"Beste, wie konnten Sie Ihren Freund verletzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1794,"orig":"Still!","norm":"Still!"} {"basename":"goethe_lehrjahre02_1795","par_idx":1795,"orig":"erwiederte ſie, indem ſie den Finger auf den Mund legte: ſtill!","norm":"erwiderte sie, indem sie den Finger auf den Mund legte: still!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":0,"orig":"So hatte Wilhelm zu ſeinen zwey kaum geheilten Wunden abermals eine friſche dritte, die ihm nicht wenig unbequem war.","norm":"So hatte Wilhelm zu seinen zwei kaum geheilten Wunden abermals eine frische dritte, die ihm nicht wenig unbequem war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1,"orig":"Aurelie wollte nicht zugeben, daß er ſich eines Wundarztes bediente; ſie verband ihn ſelbſt unter allerley wunderlichen Reden, Zeremonien und Sprüchen, und ſetzte ihn dadurch in eine ſehr peinliche Lage.","norm":"Aurelie wollte nicht zugeben, dass er sich eines Wundarztes bediente; sie verband ihn selbst unter allerlei wunderlichen Reden, Zeremonien und Sprüchen, und setzte ihn dadurch in eine sehr peinliche Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":2,"orig":"Doch nicht er allein, ſondern alle Perſonen die ſich in ihrer Nähe befanden, litten durch ihre Unruhe und Sonderbarkeit; niemand aber mehr als der kleine Felix.","norm":"Doch nicht er allein, sondern alle Personen die sich in ihrer Nähe befanden, litten durch ihre Unruhe und Sonderbarkeit; niemand aber mehr als der kleine Felix."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":3,"orig":"Das lebhafte Kind war unter einem ſolchen Druck höchſt ungeduldig und zeigte ſich immer unartiger, je mehr ſie es tadelte und zurecht wieß.","norm":"Das lebhafte Kind war unter einem solchen Druck höchst ungeduldig und zeigte sich immer unartiger, je mehr sie es tadelte und zurechtwies."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":4,"orig":"Der Knabe gefiel ſich in gewiſſen Eigenheiten, die man auch Unarten zu nennen pflegt, und die ſie ihm keineswegs nachzuſehn gedachte.","norm":"Der Knabe gefiel sich in gewissen Eigenheiten, die man auch Unarten zu nennen pflegt, und die sie ihm keineswegs nachzusehen gedachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":5,"orig":"Er trank, zum Beyſpiel, lieber aus der Flaſche als aus dem Glaſe, und offenbar ſchmeckten ihm die Speiſen aus der Schüſſel beſſer als von dem Teller.","norm":"Er trank, zum Beispiel, lieber aus der Flasche als aus dem Glase, und offenbar schmeckten ihm die Speisen aus der Schüssel besser als von dem Teller."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":6,"orig":"Eine ſolche Unſchicklichkeit wurde nicht überſehen, und wenn er nun gar die Thüre aufließ oder zuſchlug, und, wenn ihm etwas befohlen wurde, entweder nicht von der Stelle wich oder ungeſtüm davon rannte: ſo mußte er eine große Lection anhören, ohne daß er darauf je einige Beſſerung hätte ſpüren laſſen.","norm":"Eine solche Unschicklichkeit wurde nicht übersehen, und wenn er nun gar die Türe aufließ oder zuschlug, und, wenn ihm etwas befohlen wurde, entweder nicht von der Stelle wich oder ungestüm davonrannte: so musste er eine große Lektion anhören, ohne dass er darauf je einige Besserung hätte spüren lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":7,"orig":"Vielmehr ſchien die Neigung zu Aurelien ſich täglich mehr zu verlieren; in ſeinem Tone war nichts zärtliches wenn er ſie Mutter nannte, er hing vielmehr leidenſchaftlich an der alten Amme, die ihm denn freylich allen Willen ließ.","norm":"Vielmehr schien die Neigung zu Aurelie sich täglich mehr zu verlieren; in seinem Tone war nichts Zärtliches wenn er sie Mutter nannte, er hing vielmehr leidenschaftlich an der alten Amme, die ihm denn freilich allen Willen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":8,"orig":"Aber auch dieſe war ſeit einiger Zeit ſo krank geworden, daß man ſie aus dem Hauſe in ein ſtilles Quartier bringen mußte, und Felix hätte ſich ganz allein geſehen, wäre nicht Mignon auch ihm als ein liebevoller Schutzgeiſt erſchienen.","norm":"Aber auch diese war seit einiger Zeit so krank geworden, dass man sie aus dem Hause in ein stilles Quartier bringen musste, und Felix hätte sich ganz allein gesehen, wäre nicht Mignon auch ihm als ein liebevoller Schutzgeist erschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":9,"orig":"Auf das artigſte unterhielten ſich beide Kinder mit einander; ſie lehrte ihn kleine Lieder und er, der ein ſehr gutes Gedächtniß hatte, rezitirte ſie oft zur Verwunderung der Zuhörer.","norm":"Auf das artigste unterhielten sich beide Kinder miteinander; sie lehrte ihn kleine Lieder und er, der ein sehr gutes Gedächtnis hatte, rezitierte sie oft zur Verwunderung der Zuhörer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":10,"orig":"Auch wollte ſie ihm die Landkarten erklären, mit denen ſie ſich noch immer ſehr abgab, wobey ſie jedoch nicht mit der beſten Methode verfuhr.","norm":"Auch wollte sie ihm die Landkarten erklären, mit denen sie sich noch immer sehr abgab, wobei sie jedoch nicht mit der besten Methode verfuhr."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":11,"orig":"Denn eigentlich ſchien ſie bey den Ländern kein anderes Intereſſe zu haben, als ob ſie kalt oder warm ſeyen?","norm":"Denn eigentlich schien sie bei den Ländern kein anderes Interesse zu haben, als ob sie kalt oder warm seien?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":12,"orig":"Von den Weltpolen, von dem ſchrecklichen Eiſe daſelbſt, und von der zunehmenden Wärme, je mehr man man ſich von ihnen entfernte, wußte ſie ſehr gut Rechenſchaft zu geben.","norm":"Von den Weltpolen, von dem schrecklichen Eise daselbst, und von der zunehmenden Wärme, je mehr man man sich von ihnen entfernte, wusste sie sehr gut Rechenschaft zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":13,"orig":"Wenn jemand reiſ’te, fragte ſie nur, ob er nach Norden oder nach Süden gehe, und bemühte ſich die Wege auf ihren kleinen Karten aufzufinden.","norm":"Wenn jemand reiste, fragte sie nur, ob er nach Norden oder nach Süden gehe, und bemühte sich die Wege auf ihren kleinen Karten aufzufinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":14,"orig":"Beſonders wenn Wilhelm von Reiſen ſprach war ſie ſehr aufmerkſam, und ſchien ſich immer zu betrüben ſo bald das Geſpräch auf eine andere Materie überging.","norm":"Besonders wenn Wilhelm von Reisen sprach war sie sehr aufmerksam, und schien sich immer zu betrüben sobald das Gespräch auf eine andere Materie überging."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":15,"orig":"So wenig man ſie bereden konnte, eine Rolle zu übernehmen, oder auch nur wenn geſpielt wurde, auf das Theater zu gehen; ſo gern und fleißig lernte ſie Oden und Lieder auswendig und erregte, wenn ſie ein ſolches Gedicht, gewöhnlich von der ernſten und feyerlichen Art, oft unvermuthet wie aus dem Stegereif declamirte, bey jedermann Erſtaunen.","norm":"So wenig man sie bereden konnte, eine Rolle zu übernehmen, oder auch nur wenn gespielt wurde, auf das Theater zu gehen; so gern und fleißig lernte sie Oden und Lieder auswendig und erregte, wenn sie ein solches Gedicht, gewöhnlich von der ernsten und feierlichen Art, oft unvermutet wie aus dem Stegreif deklamierte, bei jedermann Erstaunen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":16,"orig":"Serlo, der auf jede Spur eines aufkeimenden Talentes zu achten gewohnt war, ſuchte ſie aufzumuntern; am meiſten aber empfahl ſie ſich ihm durch einen ſehr artigen, manigfaltigen und manchmal ſelbſt muntern Geſang, und auf eben dieſem Wege hatte ſich der Harfenſpieler ſeine Gunſt erworben.","norm":"Serlo, der auf jede Spur eines aufkeimenden Talentes zu achten gewohnt war, suchte sie aufzumuntern; am meisten aber empfahl sie sich ihm durch einen sehr artigen, mannigfaltigen und manchmal selbst munteren Gesang, und auf eben diesem Wege hatte sich der Harfenspieler seine Gunst erworben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":17,"orig":"Serlo, ohne ſelbſt Genie zur Muſik zu haben, oder irgend ein Inſtrument zu ſpielen, wußte ihren hohen Werth zu ſchätzen; er ſuchte ſich ſo oft als möglich dieſen Genuß, der mit keinem andern verglichen werden kann, zu verſchaffen.","norm":"Serlo, ohne selbst Genie zur Musik zu haben, oder irgendein Instrument zu spielen, wusste ihren hohen Wert zu schätzen; er suchte sich so oft als möglich diesen Genuss, der mit keinem anderen verglichen werden kann, zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":18,"orig":"Er hatte wöchentlich einmal Concert, und nun hatte ſich ihm durch Mignon, den Harfenſpieler und Laertes, der auf der Violine nicht ungeſchickt war, eine wunderliche kleine Hauskapelle gebildet.","norm":"Er hatte wöchentlich einmal Konzert, und nun hatte sich ihm durch Mignon, den Harfenspieler und Laertes, der auf der Violine nicht ungeschickt war, eine wunderliche kleine Hauskapelle gebildet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":19,"orig":"Er pflegte zu ſagen: der Menſch iſt ſo geneigt ſich mit dem Gemeinſten abzugeben, Geiſt und Sinne ſtumpfen ſich ſo leicht gegen die Eindrücke des Schönen und Vollkommnen ab, daß man die Fähigkeit es zu empfinden, bey ſich auf alle Weiſe erhalten ſollte.","norm":"Er pflegte zu sagen: Der Mensch ist so geneigt sich mit dem Gemeinsten abzugeben, Geist und Sinne stumpfen sich so leicht gegen die Eindrücke des Schönen und Vollkommenen ab, dass man die Fähigkeit es zu empfinden, bei sich auf alle Weise erhalten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":20,"orig":"Denn einen ſolchen Genuß kann niemand ganz entbehren, und nur die Ungewohntheit etwas Gutes zu genießen iſt Urſache, daß viele Menſchen ſchon am Albernen und Abgeſchmackten, wenn es nur neu iſt, Vergnügen finden.","norm":"Denn einen solchen Genuss kann niemand ganz entbehren, und nur die Ungewohntheit etwas Gutes zu genießen ist Ursache, dass viele Menschen schon am Albernen und abgeschmackten, wenn es nur neu ist, Vergnügen finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":21,"orig":"Man ſollte, ſagte er, alle Tage wenigſtens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht leſen, ein treffliches Gemählde ſehen, und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte ſprechen.","norm":"Man sollte, sagte er, alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen, und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":22,"orig":"Bey dieſen Geſinnungen, die Serlo gewiſſermaßen natürlich waren, konnte es den Perſonen, die ihn umgaben, nicht an angenehmer Unterhaltung fehlen.","norm":"Bei diesen Gesinnungen, die Serlo gewissermaßen natürlich waren, konnte es den Personen, die ihn umgaben, nicht an angenehmer Unterhaltung fehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":23,"orig":"Mitten in dieſem vergnüglichen Zuſtande brachte man Wilhelmen eines Tags einen ſchwarzgeſiegelten Brief.","norm":"Mitten in diesem vergnüglichen Zustande brachte man Wilhelm eines Tags einen schwarzgesiegelten Brief."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":24,"orig":"Werners Petſchaft deutete auf eine traurige Nachricht, und er erſchrack nicht wenig, als er den Tod ſeines Vaters nur mit einigen Worten angezeigt fand.","norm":"Werners Petschaft deutete auf eine traurige Nachricht, und er erschrak nicht wenig, als er den Tod seines Vaters nur mit einigen Worten angezeigt fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":25,"orig":"Nach einer unerwarteten kurzen Krankheit war er aus der Welt gegangen, und hatte ſeine häuſlichen Angelegenheiten in der beſten Ordnung hinterlaſſen.","norm":"Nach einer unerwarteten kurzen Krankheit war er aus der Welt gegangen, und hatte seine häuslichen Angelegenheiten in der besten Ordnung hinterlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":26,"orig":"Dieſe unvermuthete Nachricht traf Wilhelm im Innerſten.","norm":"Diese unvermutete Nachricht traf Wilhelm im Innersten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":27,"orig":"Er fühlte tief, wie unempfindlich man oft Freunde und Verwandte, ſo lange ſie ſich mit uns des irdiſchen Aufenthaltes erfreuen, vernachläſſigt, und nur dann erſt die Verſäumniß bereut, wenn das ſchöne Verhältniß wenigſtens für dießmal aufgehoben iſt.","norm":"Er fühlte tief, wie unempfindlich man oft Freunde und Verwandte, solange sie sich mit uns des irdischen Aufenthaltes erfreuen, vernachlässigt, und nur dann erst die Versäumnis bereut, wenn das schöne Verhältnis wenigstens für diesmal aufgehoben ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":28,"orig":"Auch konnte der Schmerz über das zeitige Abſterben des braven Mannes nur durch das Gefühl gelindert werden, daß er auf der Welt wenig geliebt, und durch die Überzeugung, daß er wenig genoſſen habe.","norm":"Auch konnte der Schmerz über das zeitige Absterben des braven Mannes nur durch das Gefühl gelindert werden, dass er auf der Welt wenig geliebt, und durch die Überzeugung, dass er wenig genossen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":29,"orig":"Wilhelms Gedanken wandten ſich nun bald auf ſeine eigenen Verhältniſſe, und er fühlte ſich nicht wenig beunruhigt.","norm":"Wilhelms Gedanken wandten sich nun bald auf seine eigenen Verhältnisse, und er fühlte sich nicht wenig beunruhigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":30,"orig":"Der Menſch kann in keine gefährlichere Lage verſetzt werden, als wenn durch äußere Umſtände eine große Veränderung ſeines Zuſtandes bewirkt wird, ohne daß ſeine Art zu empfinden und zu denken darauf vorbereitet iſt.","norm":"Der Mensch kann in keine gefährlichere Lage versetzt werden, als wenn durch äußere Umstände eine große Veränderung seines Zustandes bewirkt wird, ohne dass seine Art zu empfinden und zu denken darauf vorbereitet ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":31,"orig":"Es giebt alsdann eine Epoche ohne Epoche, und es entſteht nur ein deſto größerer Widerſpruch, je weniger der Menſch bemerkt, daß er zu dem neuen Zuſtande noch nicht ausgebildet ſey.","norm":"Es gibt alsdann eine Epoche ohne Epoche, und es entsteht nur ein desto größerer Widerspruch, je weniger der Mensch bemerkt, dass er zu dem neuen Zustande noch nicht ausgebildet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":32,"orig":"Wilhelm ſah ſich in einem Augenblicke frey, in welchem er mit ſich ſelbſt noch nicht einig werden konnte.","norm":"Wilhelm sah sich in einem Augenblicke frei, in welchem er mit sich selbst noch nicht einig werden konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":33,"orig":"Seine Geſinnungen waren edel, ſeine Abſichten lauter und ſeine Vorſätze ſchienen nicht verwerflich.","norm":"Seine Gesinnungen waren edel, seine Absichten lauter und seine Vorsätze schienen nicht verwerflich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":34,"orig":"Das alles durfte er ſich mit einigem Zutrauen ſelbſt bekennen; allein er hatte Gelegenheit genug gehabt zu bemerken, daß es ihm an Erfahrung fehle, und er legte daher auf die Erfahrung anderer und auf die Reſultate, die ſie daraus mit Überzeugung ableiteten, einen übermäßigen Werth, und kam dadurch nur immer mehr in die Irre.","norm":"Das alles durfte er sich mit einigem Zutrauen selbst bekennen; allein er hatte Gelegenheit genug gehabt zu bemerken, dass es ihm an Erfahrung fehle, und er legte daher auf die Erfahrung anderer und auf die Resultate, die sie daraus mit Überzeugung ableiteten, einen übermäßigen Wert, und kam dadurch nur immer mehr in die Irre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":35,"orig":"Was ihm fehlte, glaubte er am erſten zu erwerben, wenn er alles Denkwürdige, was ihm in Büchern und im Geſpräche vorkommen mochte, zu erhalten und zu ſammlen unternähme.","norm":"Was ihm fehlte, glaubte er am ersten zu erwerben, wenn er alles Denkwürdige, was ihm in Büchern und im Gespräche vorkommen mochte, zu erhalten und zu sammeln unternähme."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":36,"orig":"Er ſchrieb daher fremde und eigene Meynungen und Ideen, ja ganze Geſpräche die ihm intereſſant waren, auf, und hielt leider auf dieſe Weiſe das Falſche ſo gut als das Wahre feſt, blieb viel zu lange an Einer Idee, ja man möchte ſagen an Einer Sentenz hängen, und verlies dabei ſeine natürliche Denkund Handelsweiſe, indem er oft fremden Lichtern als Leitſternen folgte.","norm":"Er schrieb daher fremde und eigene Meinungen und Ideen, ja ganze Gespräche die ihm interessant waren, auf, und hielt leider auf diese Weise das Falsche so gut als das Wahre fest, blieb viel zu lange an Einer Idee, ja man möchte sagen an Einer Sentenz hängen, und verließ dabei seine natürliche Denk-und-Handelsweise, indem er oft fremden Lichtern als Leitsternen folgte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":37,"orig":"Aureliens Bitterkeit und ſeines Freundes Laertes kalte Verachtung der Menſchen beſtachen öfter als billig war ſein Urtheil; niemand aber war ihm gefährlicher geweſen als Jarno, ein Mann, deſſen heller Verſtand von gegenwärtigen Dingen ein richtiges, ſtrenges Urtheil fällte, dabey aber den Fehler hatte, daß er dieſe einzelnen Urtheile mit einer Art von Allgemeinheit ausſprach, da doch die Ausſprüche des Verſtandes eigentlich nur Einmal und zwar in dem beſtimmteſten Falle gelten, und ſchon unrichtig werden, wenn man ſie auf den nächſten anwendet.","norm":"Aurelies Bitterkeit und seines Freundes Laertes kalte Verachtung der Menschen bestachen öfter als billig war sein Urteil; niemand aber war ihm gefährlicher gewesen als Jarno, ein Mann, dessen heller Verstand von gegenwärtigen Dingen ein richtiges, strenges Urteil fällte, dabei aber den Fehler hatte, dass er diese einzelnen Urteile mit einer Art von Allgemeinheit aussprach, da doch die Aussprüche des Verstandes eigentlich nur einmal und zwar in dem bestimmtesten Falle gelten, und schon unrichtig werden, wenn man sie auf den nächsten anwendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":38,"orig":"So entfernte ſich Wilhelm, indem er mit ſich ſelbſt einig zu werden ſtrebte, immer mehr von der heilſamen Einheit, und bey dieſer Verwirrung ward es ſeinen Leidenſchaften um ſo leichter alle Zurüſtungen zu ihrem Vortheil zu gebrauchen, und ihn über das was er zu thun hatte nur noch mehr zu verwirren, Serlo benutzte die Todespoſt zu ſeinem Vortheil, und wirklich hatte er auch täglich immer mehr Urſache an eine andre Einrichtung ſeines Schauſpiels zu denken.","norm":"So entfernte sich Wilhelm, indem er mit sich selbst einig zu werden strebte, immer mehr von der heilsamen Einheit, und bei dieser Verwirrung wurde es seinen Leidenschaften um so leichter alle Zurüstungen zu ihrem Vorteil zu gebrauchen, und ihn über das was er zu tun hatte nur noch mehr zu verwirren, Serlo benutzte die Todespost zu seinem Vorteil, und wirklich hatte er auch täglich immer mehr Ursache an eine andere Einrichtung seines Schauspiels zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":39,"orig":"Er mußte entweder ſeine alten Contracte erneuern, wozu er keine große Luſt hatte, indem mehrere Mitglieder, die ſich für unentbehrlich hielten, täglich unleidlicher wurden; oder er mußte, wohin auch ſein Wunſch ging, der Geſellſchaft eine ganz neue Geſtalt geben.","norm":"Er musste entweder seine alten Kontrakte erneuern, wozu er keine große Lust hatte, indem mehrere Mitglieder, die sich für unentbehrlich hielten, täglich unleidlicher wurden; oder er musste, wohin auch sein Wunsch ging, der Gesellschaft eine ganz neue Gestalt geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":40,"orig":"Ohne ſelbſt in Wilhelmen zu dringen, regte er Aurelien und Philinen auf, und die übrigen Geſellen, die ſich nach Engagement ſehnten, ließen unſerm Freunde gleichfalls keine Ruhe, ſo daß er mit ziemlicher Verlegenheit an einem Scheidwege ſtand.","norm":"Ohne selbst in Wilhelm zu dringen, regte er Aurelie und Philine auf, und die übrigen Gesellen, die sich nach Engagement sehnten, ließen unserem Freunde gleichfalls keine Ruhe, so dass er mit ziemlicher Verlegenheit an einem Scheidewege stand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":41,"orig":"Wer hätte gedacht, daß ein Brief von Wernern, der ganz im entgegen geſetzten Sinne geſchrieben war, ihn endlich zu einer Entſchließung hindrängen ſollte.","norm":"Wer hätte gedacht, dass ein Brief von Wernern, der ganz im entgegengesetzten Sinne geschrieben war, ihn endlich zu einer Entschließung hindrängen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":42,"orig":"Wir laſſen nur den Eingang weg und geben übrigens das Schreiben mit weniger Veränderung.","norm":"Wir lassen nur den Eingang weg und geben übrigens das Schreiben mit weniger Veränderung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":43,"orig":"»— So war es und ſo muß es denn auch wohl recht ſeyn, daß jeder bey jeder Gelegenheit ſeinem Gewerbe nachgeht und ſeine Thätigkeit zeigt.","norm":"»— so war es und so muss es denn auch wohl recht sein, dass jeder bei jeder Gelegenheit seinem Gewerbe nachgeht und seine Tätigkeit zeigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":44,"orig":"Der gute Alte war kaum verſchieden, als auch in der nächſten Viertelſtunde ſchon nichts mehr nach ſeinem Sinne im Hauſe geſchah.","norm":"Der gute Alte war kaum verschieden, als auch in der nächsten Viertelstunde schon nichts mehr nach seinem Sinne im Hause geschah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":45,"orig":"Freunde, Bekannte und Verwandte drängten ſich zu, beſonders aber alle Menſchenarten, die bey ſolchen Gelegenheiten etwas zu gewinnen haben.","norm":"Freunde, Bekannte und Verwandte drängten sich zu, besonders aber alle Menschenarten, die bei solchen Gelegenheiten etwas zu gewinnen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":46,"orig":"Man brachte, man trug, man zahlte, ſchrieb und rechnete; die einen hohlten Wein und Kuchen, die andern tranken und aßen; niemanden ſah ich aber ernſthafter beſchäftigt, als die Weiber, indem ſie die Trauer auſſuchten.","norm":"Man brachte, man trug, man zahlte, schrieb und rechnete; die einen holten Wein und Kuchen, die anderen tranken und aßen; niemanden sah ich aber ernsthafter beschäftigt, als die Weiber, indem sie die Trauer aussuchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":47,"orig":"Du wirſt mir alſo verzeihen, mein Lieber, wenn ich bey dieſer Gelegenheit auch an meinen Vortheil dachte, mich deiner Schweſter ſo hülfreich und thätig als möglich zeigte und ihr, ſo bald es nur einigermaßen ſchicklich war, begreiflich machte, daß es nunmehr unſre Sache ſey, eine Verbindung zu beſchleunigen, die unſre Väter aus allzugroßer Umſtändlichkeit bisher verzögert hatten.","norm":"Du wirst mir also verzeihen, mein Lieber, wenn ich bei dieser Gelegenheit auch an meinen Vorteil dachte, mich Deiner Schwester so hilfreich und tätig als möglich zeigte und ihr, sobald es nur einigermaßen schicklich war, begreiflich machte, dass es nunmehr unsere Sache sei, eine Verbindung zu beschleunigen, die unsere Väter aus allzu großer Umständlichkeit bisher verzögert hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":48,"orig":"Nun mußt du aber ja nicht denken, daß es uns eingefallen ſey, das große leere Haus in Beſitz zu nehmen.","norm":"Nun musst du aber ja nicht denken, dass es uns eingefallen sei, das große leere Haus in Besitz zu nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":49,"orig":"Wir ſind beſcheidner und vernünftiger; unſern Plan ſollſt du hören.","norm":"Wir sind bescheidener und vernünftiger; unseren Plan sollst du hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":50,"orig":"Deine Schweſter zieht nach der Heirath gleich in unſer Haus herüber, und ſogar auch deine Mutter mit.","norm":"Deine Schwester zieht nach der Heirat gleich in unser Haus herüber, und sogar auch Deine Mutter mit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":51,"orig":"Wie iſt das möglich?","norm":"Wie ist das möglich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":52,"orig":"wirſt du ſagen, ihr habt ja ſelbſt in dem Neſte kaum Platz.","norm":"wirst du sagen, ihr habt ja selbst in dem Neste kaum Platz."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":53,"orig":"Das iſt eben die Kunſt, mein Freund!","norm":"Das ist eben die Kunst, mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":54,"orig":"Die geſchickte Einrichtung macht alles möglich, und du glaubſt nicht wieviel Platz man findet, wenn man wenig Raum braucht.","norm":"Die geschickte Einrichtung macht alles möglich, und du glaubst nicht wie viel Platz man findet, wenn man wenig Raum braucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":55,"orig":"Das große Haus verkaufen wir, wozu ſich ſogleich eine gute Gelegenheit darbietet; das daraus gelöſte Geld ſoll hundertfältige Zinſen tragen.","norm":"Das große Haus verkaufen wir, wozu sich sogleich eine gute Gelegenheit darbietet; das daraus gelöste Geld soll hundertfältige Zinsen tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":56,"orig":"Ich hoffe du biſt damit einverſtanden, und wünſche daß du nichts von den unfruchtbaren Liebhabereyen deines Vaters und Großvaters geerbt haben mögeſt.","norm":"Ich hoffe du bist damit einverstanden, und wünsche dass du nichts von den unfruchtbaren Liebhabereien Deines Vaters und Großvaters geerbt haben mögest."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":57,"orig":"Dieſer ſetzte ſeine höchſte Glückſeligkeit in eine Anzahl unſcheinbarer Kunſtwerke, die niemand, ich darf wohl ſagen niemand mit ihm genießen konnte: jener lebte in einer koſtbaren Einrichtung, die er niemand mit ſich genießen ließ.","norm":"Dieser setzte seine höchste Glückseligkeit in eine Anzahl unscheinbarer Kunstwerke, die niemand, ich darf wohl sagen niemand mit ihm genießen konnte: Jener lebte in einer kostbaren Einrichtung, die er niemand mit sich genießen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":58,"orig":"Wir wollen es anders machen, und ich hoffe deine Beyſtimmung.","norm":"Wir wollen es anders machen, und ich hoffe Deine Beistimmung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":59,"orig":"Es iſt wahr, ich ſelbſt behalte in unſerm ganzen Hauſe keinen Platz als den an meinem Schreibepulte, und noch ſeh ich nicht ab, wo man künftig eine Wiege hinſetzen will; aber dafür iſt der Raum außer dem Hauſe deſto größer.","norm":"Es ist wahr, ich selbst behalte in unserem ganzen Hause keinen Platz als den an meinem Schreibpulte, und noch sehe ich nicht ab, wo man künftig eine Wiege hinsetzen will; aber dafür ist der Raum außer dem Hause desto größer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":60,"orig":"Die Kaffeehäuſer und Clubbs für den Mann, die Spatziergänge und Spatzierfahrten für die Frau, und die ſchönen Luſtörter auf dem Lande für beyde.","norm":"Die Kaffeehäuser und Klubs für den Mann, die Spaziergänge und Spazierfahrten für die Frau, und die schönen Lustörter auf dem Lande für beide."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":61,"orig":"Dabey iſt der größte Vortheil, daß auch unſer runder Tiſch ganz beſetzt iſt und es dem Vater unmöglich wird Freunde zu ſehen, die ſich nur deſto leichtfertiger über ihn aufhalten, je mehr er ſich Mühe gegeben hat ſie zu bewirthen.","norm":"Dabei ist der größte Vorteil, dass auch unser runder Tisch ganz besetzt ist und es dem Vater unmöglich wird Freunde zu sehen, die sich nur desto leichtfertiger über ihn aufhalten, je mehr er sich Mühe gegeben hat sie zu bewirten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":62,"orig":"Nur nichts überflüſſiges im Hauſe!","norm":"Nur nichts Überflüssiges im Hause!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":63,"orig":"nur nicht zu viel Möbeln, Geräthſchaften, nur keine Kutſche und Pferde!","norm":"nur nicht zu viel Möbeln, Gerätschaften, nur keine Kutsche und Pferde!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":64,"orig":"Nichts als Geld, und dann auf eine vernünftige Weiſe jeden Tag gethan was dir beliebt; nur keine Garderobe, immer das neuſte und beſte auf dem Leibe; der Mann mag ſeinen Rock abtragen und die Frau den ihrigen vertrödeln, ſo bald er nur einigermaßen aus der Mode kömmt.","norm":"Nichts als Geld, und dann auf eine vernünftige Weise jeden Tag getan was dir beliebt; nur keine Garderobe, immer das Neueste und Beste auf dem Leibe; der Mann mag seinen Rock abtragen und die Frau den ihrigen vertrödeln, sobald er nur einigermaßen aus der Mode kommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":65,"orig":"Es iſt mir nichts unerträglicher, als ſo ein alter Kram von Beſitzthum.","norm":"Es ist mir nichts unerträglicher, als so ein alter Kram von Besitztum."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":66,"orig":"Wenn man mir den koſtbarſten Edelſtein ſchenken wollte, mit der Bedingung ihn täglich am Finger zu tragen, ich würde ihn nicht annehmen; denn wie läßt ſich bei einem todten Capital nur irgend eine Freude denken?","norm":"Wenn man mir den kostbarsten Edelstein schenken wollte, mit der Bedingung ihn täglich am Finger zu tragen, ich würde ihn nicht annehmen; denn wie lässt sich bei einem toten Kapital nur irgendeine Freude denken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":67,"orig":"Das iſt alſo mein luſtiges Glaubensbekenntniß: ſeine Geſchäfte verrichtet, Geld geſchaft, ſich mit den Seinigen luſtig gemacht und um die übrige Welt ſich nicht mehr bekümmert, als in ſo fern man ſie nutzen kann.","norm":"Das ist also mein lustiges Glaubensbekenntnis: Seine Geschäfte verrichtet, Geld geschafft, sich mit den Seinigen lustig gemacht und um die übrige Welt sich nicht mehr bekümmert, als insofern man sie nutzen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":68,"orig":"Nun wirſt du aber ſagen: wie iſt denn in eurem ſaubern Plane an mich gedacht?","norm":"Nun wirst du aber sagen: Wie ist denn in eurem sauberen Plane an mich gedacht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":69,"orig":"Wo ſoll ich unterkommen, wenn ihr mir das väterliche Haus verkauft, und in dem eurigen nicht der mindeſte Raum übrig bleibt?","norm":"Wo soll ich unterkommen, wenn ihr mir das väterliche Haus verkauft, und in dem eurigen nicht der mindeste Raum übrig bleibt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":70,"orig":"Das iſt freylich der Hauptpunkt, Brüderchen, und auf den werde ich dir gleich dienen können, wenn ich dir vorher das gebührende Lob über deine vortrefflich angewendete Zeit werde entrichtet haben.","norm":"Das ist freilich der Hauptpunkt, Brüderchen, und auf den werde ich Dir gleich dienen können, wenn ich Dir vorher das gebührende Lob über Deine vortrefflich angewendete Zeit werde entrichtet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":71,"orig":"Sage nur, wie haſt du es angefangen, in ſo wenigen Wochen ein Kenner aller nützlichen und intereſſanten Gegenſtände zu werden?","norm":"Sage nur, wie hast du es angefangen, in so wenigen Wochen ein Kenner aller nützlichen und interessanten Gegenstände zu werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":72,"orig":"So viel Fähigkeiten ich an dir kenne, hätte ich dir doch ſolche Aufmerkſamkeit und ſolchen Fleiß nicht zugetraut.","norm":"So viel Fähigkeiten ich an Dir kenne, hätte ich Dir doch solche Aufmerksamkeit und solchen Fleiß nicht zugetraut."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":73,"orig":"Dein Tagebuch hat uns überzeugt, mit welchem Nutzen du die Reiſe gemacht haſt; die Beſchreibung der Eiſen- und Kupferhämmer iſt vortrefflich und zeigt von vieler Einſicht in die Sache.","norm":"Dein Tagebuch hat uns überzeugt, mit welchem Nutzen du die Reise gemacht hast; die Beschreibung der Eisen- und Kupferhämmer ist vortrefflich und zeigt von vieler Einsicht in die Sache."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":74,"orig":"Ich habe ſie ehemals auch beſucht, aber meine Relation, wenn ich ſie dagegen halte, ſieht ſehr ſtümpermäßig aus.","norm":"Ich habe sie ehemals auch besucht, aber meine Relation, wenn ich sie dagegen halte, sieht sehr stümpermäßig aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":75,"orig":"Der ganze Brief über die Leinwandfabrication iſt lehrreich und die Anmerkung über die Concurrenz ſehr treffend.","norm":"Der ganze Brief über die Leinwandfabrikation ist lehrreich und die Anmerkung über die Konkurrenz sehr treffend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":76,"orig":"An einigen Orten haſt du Fehler in der Addition gemacht, die jedoch ſehr verzeihlich ſind.","norm":"An einigen Orten hast du Fehler in der Addition gemacht, die jedoch sehr verzeihlich sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":77,"orig":"Was aber mich und meinen Vater am meiſten und höchſten freut, ſind deine gründlichen Einſichten in die Bewirthſchaftung und beſonders in die Verbeſſerung der Feldgüter.","norm":"Was aber mich und meinen Vater am meisten und höchsten freut, sind Deine gründlichen Einsichten in die Bewirtschaftung und besonders in die Verbesserung der Feldgüter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":78,"orig":"Wir haben Hoffnung, ein großes Gut, das in Sequeſtration liegt, in einer ſehr fruchtbaren Gegend zu erkaufen.","norm":"Wir haben Hoffnung, ein großes Gut, das in Sequestration liegt, in einer sehr fruchtbaren Gegend zu erkaufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":79,"orig":"Wir wenden das Geld, das wir aus dem väterlichen Hauſe löſen, dazu an; ein Theil wird geborgt, und ein Theil kann ſtehen bleiben; und wir rechnen auf dich, daß du dahin ziehſt, den Verbeſſerungen vorſtehſt, und ſo kann, um nicht zu viel zu ſagen, das Gut in einigen Jahren um ein Drittel an Werth ſteigen; man verkauft es wieder, ſucht ein größeres, verbeſſert und handelt wieder, und dazu biſt du der Mann.","norm":"Wir wenden das Geld, das wir aus dem väterlichen Hause lösen, dazu an; ein Teil wird geborgt, und ein Teil kann stehenbleiben; und wir rechnen auf Dich, dass du dahin ziehst, den Verbesserungen vorstehst, und so kann, um nicht zu viel zu sagen, das Gut in einigen Jahren um ein Drittel an Wert steigen; man verkauft es wieder, sucht ein größeres, verbessert und handelt wieder, und dazu bist du der Mann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":80,"orig":"Unſre Federn ſollen indeß zu Hauſe nicht müßig ſeyn, und wir wollen uns bald in einen beneidenswerthen Zuſtand verſetzen.","norm":"Unsere Federn sollen indes zu Hause nicht müßig sein, und wir wollen uns bald in einen beneidenswerten Zustand versetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":81,"orig":"Jetzt lebe wohl!","norm":"Jetzt lebe wohl!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":82,"orig":"Genieße das Leben auf der Reiſe, und ziehe hin, wo du es vergnüglich und nützlich findeſt.","norm":"Genieße das Leben auf der Reise, und ziehe hin, wo du es vergnüglich und nützlich findest."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":83,"orig":"Vor dem erſten halben Jahre bedürfen wir deiner nicht; du kannſt dich alſo nach Belieben in der Welt umſehen, denn die beſte Bildung findet ein geſcheuter Menſch auf Reiſen.","norm":"Vor dem ersten halben Jahre bedürfen wir Deiner nicht; du kannst Dich also nach Belieben in der Welt umsehen, denn die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":84,"orig":"Lebe wohl, ich freue mich, ſo nahe mit dir verbunden, auch nunmehr im Geiſt der Thätigkeit mit dir vereint zu werden.","norm":"Lebe wohl, ich freue mich, so nahe mit Dir verbunden, auch nunmehr im Geist der Tätigkeit mit Dir vereint zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":85,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":86,"orig":"So gut dieſer Brief geſchrieben war, und ſo viel ökonomiſche Wahrheiten er enthalten mochte, mißfiel er doch Wilhelmen auf mehr als eine Weiſe.","norm":"So gut dieser Brief geschrieben war, und so viel ökonomische Wahrheiten er enthalten mochte, missfiel er doch Wilhelm auf mehr als eine Weise."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":87,"orig":"Das Lob, das er über ſeine fingirten ſtatiſtiſchen, technologiſchen und ruraliſchen Kenntniſſe erhielt, war ihm ein ſtiller Vorwurf; und das Ideal, das ihm ſein Schwager vom Glück des bürgerlichen Lebens vorzeichnete, reizte ihn keineswegs; vielmehr ward er durch einen heimlichen Geiſt des Widerſpruchs mit Heftigkeit auf die entgegen geſetzte Seite getrieben.","norm":"Das Lob, das er über seine fingierten statistischen, technologischen und ruralen Kenntnisse erhielt, war ihm ein stiller Vorwurf; und das Ideal, das ihm sein Schwager vom Glück des bürgerlichen Lebens vorzeichnete, reizte ihn keineswegs; vielmehr wurde er durch einen heimlichen Geist des Widerspruchs mit Heftigkeit auf die entgegengesetzte Seite getrieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":88,"orig":"Er überzeugte ſich, daß er nur auf dem Theater die Bildung, die er ſich zu geben wünſchte, vollenden könne, und ſchien in ſeinem Entſchluſſe nur deſtomehr beſtärkt zu werden, je lebhafter Werner, ohne es zu wiſſen, ſein Gegner geworden war.","norm":"Er überzeugte sich, dass er nur auf dem Theater die Bildung, die er sich zu geben wünschte, vollenden könne, und schien in seinem Entschluss nur desto mehr bestärkt zu werden, je lebhafter Werner, ohne es zu wissen, sein Gegner geworden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":89,"orig":"Er faßte darauf alle ſeine Argumente zuſammen und beſtätigte bey ſich ſeine Meynung nur um deſtomehr, je mehr er Urſache zu haben glaubte ſie dem klugen Werner in einem günſtigen Lichte darzuſtellen, und auf dieſe Weiſe entſtand eine Antwort, die wir gleichfalls einrücken.","norm":"Er fasste darauf alle seine Argumente zusammen und bestätigte bei sich seine Meinung nur um desto mehr, je mehr er Ursache zu haben glaubte sie dem klugen Werner in einem günstigen Lichte darzustellen, und auf diese Weise entstand eine Antwort, die wir gleichfalls einrücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":90,"orig":"Dein Brief iſt ſo wohl geſchrieben, und ſo geſcheut und klug gedacht, daß ſich nichts mehr dazu ſetzen läßt.","norm":"Dein Brief ist so wohl geschrieben, und so gescheit und klug gedacht, dass sich nichts mehr dazusetzen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":91,"orig":"Du wirſt mir aber verzeihen, wenn ich ſage, daß man gerade das Gegentheil davon meynen, behaupten und thun und doch auch recht haben kann.","norm":"Du wirst mir aber verzeihen, wenn ich sage, dass man gerade das Gegenteil davon meinen, behaupten und tun und doch auch recht haben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":92,"orig":"Deine Art zu ſeyn und zu denken geht auf einen unbeſchränkten Beſitz und auf eine leichte luſtige Art zu genießen hinaus, und ich brauche dir kaum zu ſagen, daß ich daran nichts was mich reizte finden kann.","norm":"Deine Art zu sein und zu denken geht auf einen unbeschränkten Besitz und auf eine leichte lustige Art zu genießen hinaus, und ich brauche Dir kaum zu sagen, dass ich daran nichts was mich reizte finden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":93,"orig":"Zuerſt muß ich dir leider bekennen, daß mein Tagebuch aus Noth, um meinem Vater gefällig zu ſeyn, mit Hülfe eines Freundes aus mehreren Büchern zuſammen geſchrieben iſt, und daß ich wohl die darin enthaltenen Sachen und noch mehrere dieſer Art weiß, aber keineswegs verſtehe, noch mich damit abgeben mag.","norm":"Zuerst muss ich Dir leider bekennen, dass mein Tagebuch aus Not, um meinem Vater gefällig zu sein, mit Hilfe eines Freundes aus mehreren Büchern zusammengeschrieben ist, und dass ich wohl die darin enthaltenen Sachen und noch mehrere dieser Art weiß, aber keineswegs verstehe, noch mich damit abgeben mag."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":94,"orig":"Was hilft es mir, gutes Eiſen zu fabriziren, wenn mein eigenes Innere voller Schlacken iſt?","norm":"Was hilft es mir, gutes Eisen zu fabrizieren, wenn mein eigenes Innere voller Schlacken ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":95,"orig":"und was, ein Landgut in Ordnung zu bringen, wenn ich mit mir ſelber immer uneins bin?","norm":"und was, ein Landgut in Ordnung zu bringen, wenn ich mit mir selber immer uneins bin?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":96,"orig":"Daß ich dir’s mit Einem Worte ſage, mich ſelbſt, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunſch und meine Abſicht.","norm":"Dass ich dir es mit einem Worte sage, mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":97,"orig":"Noch hege ich eben dieſe Geſinnungen, nur daß mir die Mittel, die mir es möglich machen werden, etwas deutlicher ſind.","norm":"Noch hege ich eben diese Gesinnungen, nur dass mir die Mittel, die mir es möglich machen werden, etwas deutlicher sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":98,"orig":"Ich habe mehr Welt geſehen, als du glaubſt, und ſie beſſer benutzt, als du denkſt.","norm":"Ich habe mehr Welt gesehen, als du glaubst, und sie besser benutzt, als du denkst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":99,"orig":"Schenke deswegen dem, was ich ſage, einige Aufmerkſamkeit, wenn es gleich nicht ganz nach deinem Sinne ſeyn ſollte.","norm":"Schenke deswegen dem, was ich sage, einige Aufmerksamkeit, wenn es gleich nicht ganz nach Deinem Sinne sein sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":100,"orig":"Wäre ich ein Edelmann, ſo wäre unſer Streit bald abgethan; da ich aber nur ein Bürger bin, ſo muß ich einen eigenen Weg nehmen, und ich wünſche daß du mich verſtehen mögeſt.","norm":"Wäre ich ein Edelmann, so wäre unser Streit bald abgetan; da ich aber nur ein Bürger bin, so muss ich einen eigenen Weg nehmen, und ich wünsche dass du mich verstehen mögest."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":101,"orig":"Ich weiß nicht wie es in fremden Ländern iſt, aber in Deutſchland iſt nur dem Edelmann eine gewiſſe allgemeine, wenn ich ſagen darf perſonelle Ausbildung möglich.","norm":"Ich weiß nicht wie es in fremden Ländern ist, aber in Deutschland ist nur dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich sagen darf personelle Ausbildung möglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":102,"orig":"Ein Bürger kann ſich Verdienſt erwerben und zur höchſten Noth ſeinen Geiſt ausbilden; ſeine Perſönlichkeit geht aber verloren, er mag ſich ſtellen wie er will.","norm":"Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und zur höchsten Not seinen Geist ausbilden; seine Persönlichkeit geht aber verloren, er mag sich stellen wie er will."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":103,"orig":"Indem es dem Edelmann, der mit den Vornehmſten umgeht, zur Pflicht wird, ſich ſelbſt einen vornehmen Anſtand zu geben, indem dieſer Anſtand, da ihm weder Thür noch Thor verſchloſſen iſt, zu einem freyen Anſtand wird, da er mit ſeiner Figur, mit ſeiner Perſon, es ſey bey Hofe oder bey der Armee, bezahlen muß, ſo hat er Urſache etwas auf ſie zu halten, und zu zeigen, daß er etwas auf ſie hält.","norm":"Indem es dem Edelmann, der mit den Vornehmsten umgeht, zur Pflicht wird, sich selbst einen vornehmen Anstand zu geben, indem dieser Anstand, da ihm weder Tür noch Tor verschlossen ist, zu einem freien Anstand wird, da er mit seiner Figur, mit seiner Person, es sei bei Hofe oder bei der Armee, bezahlen muss, so hat er Ursache etwas auf sie zu halten, und zu zeigen, dass er etwas auf sie hält."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":104,"orig":"Eine gewiſſe feyerliche Grazie bey gewöhnlichen Dingen, eine Art von leichtſinniger Zierlichkeit bey ernſthaften und wichtigen kleidet ihn wohl, weil er ſehen läßt, daß er überall im Gleichgewicht ſteht.","norm":"Eine gewisse feierliche Grazie bei gewöhnlichen Dingen, eine Art von leichtsinniger Zierlichkeit bei ernsthaften und wichtigen kleidet ihn wohl, weil er sehen lässt, dass er überall im Gleichgewicht steht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":105,"orig":"Er iſt eine öffentliche Perſon, und je ausgebildeter ſeine Bewegungen, je ſonorer ſeine Stimme, je gehaltner und gemeßner ſein ganzes Weſen iſt, deſto vollkommener iſt er, und wenn er gegen hohe und niedre, gegen Freunde und Verwandte immer eben derſelbe bleibt, ſo iſt nichts an ihm auszuſetzen, man darf ihn nicht anders wünſchen.","norm":"Er ist eine öffentliche Person, und je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltener und gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommener ist er, und wenn er gegen Hohe und Niedre, gegen Freunde und Verwandte immer ebenderselbe bleibt, so ist nichts an ihm auszusetzen, man darf ihn nicht anders wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":106,"orig":"Er ſey kalt, aber verſtändig; verſtellt, aber klug.","norm":"Er sei kalt, aber verständig; verstellt, aber klug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":107,"orig":"Wenn er ſich äußerlich in jedem Momente ſeines Lebens zu beherrſchen weiß, ſo hat niemand eine weitere Forderung an ihn zu machen, und alles übrige was er an und um ſich hat, Fähigkeit, Talent, Reichthum, alles ſcheinen nur Zugaben zu ſeyn.","norm":"Wenn er sich äußerlich in jedem Momente seines Lebens zu beherrschen weiß, so hat niemand eine weitere Forderung an ihn zu machen, und alles übrige was er an und um sich hat, Fähigkeit, Talent, Reichtum, alles scheinen nur Zugaben zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":108,"orig":"Nun denke dir irgend einen Bürger, der an jene Vorzüge nur einigen Anſpruch zu machen gedachte; durchaus muß es ihm mißlingen, und er müßte nur deſto unglücklicher werden, je mehr ſein Naturell ihm zu jener Art zu ſeyn Fähigkeit und Trieb gegeben hätte.","norm":"Nun denke Dir irgendeinen Bürger, der an jene Vorzüge nur einigen Anspruch zu machen gedachte; durchaus muss es ihm misslingen, und er müsste nur desto unglücklicher werden, je mehr sein Naturell ihm zu jener Art zu sein Fähigkeit und Trieb gegeben hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":109,"orig":"Wenn der Edelmann im gemeinen Leben gar keine Gränzen kennt, wenn man aus ihm Könige oder königähnliche Figuren erſchaffen kann; ſo darf er überall mit einem ſtillen Bewußtſeyn vor ſeines gleichen treten; er darf überall vorwärts dringen, anſtatt daß dem Bürger nichts beſſer anſteht, als das reine ſtille Gefühl der Gränzlinie die ihm gezogen iſt.","norm":"Wenn der Edelmann im gemeinen Leben gar keine Grenzen kennt, wenn man aus ihm Könige oder königähnliche Figuren erschaffen kann; so darf er überall mit einem stillen Bewusstsein vor seinesgleichen treten; er darf überall vorwärts dringen, anstatt dass dem Bürger nichts besser ansteht, als das reine stille Gefühl der Grenzlinie die ihm gezogen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":110,"orig":"Er darf nicht fragen: was biſt du?","norm":"Er darf nicht fragen: Was bist du?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":111,"orig":"ſondern nur: was haſt du?","norm":"sondern nur: Was hast du?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":112,"orig":"Welche Einſicht, welche Kenntniß, welche Fähigkeit, wieviel Vermögen?","norm":"Welche Einsicht, welche Kenntnis, welche Fähigkeit, wie viel Vermögen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":113,"orig":"Wenn der Edelmann durch die Darſtellung ſeiner Perſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts geben.","norm":"Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":114,"orig":"Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt lächerlich oder abgeſchmackt.","norm":"Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur sein, und was er scheinen will ist lächerlich oder abgeschmackt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":115,"orig":"Jener ſoll thun und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen; er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird ſchon voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen, alles übrige vernachläßigen muß.","norm":"Jener soll tun und wirken, dieser soll leisten und schaffen; er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird schon vorausgesetzt, dass in seinem Wesen keine Harmonie sei, noch sein dürfe, weil er, um sich auf eine Weise brauchbar zu machen, alles übrige vernachlässigen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":116,"orig":"An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran einmal was ändern wird und was ſich ändern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt und das was mir ein unerläßliches Bedürfniß iſt, rette und erreiche.","norm":"An diesem Unterschiede ist nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, sondern die Verfassung der Gesellschaft selbst Schuld; ob sich daran einmal was ändern wird und was sich ändern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken, und wie ich mich selbst und das was mir ein unerlässliches Bedürfnis ist, rette und erreiche."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":117,"orig":"Ich habe nun einmal gerade zu jener harmoniſchen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt verſagt, eine unwiderſtehliche Neigung.","norm":"Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":118,"orig":"Ich habe, ſeit ich dich verlaſſen, durch Leibesübung viel gewonnen; ich habe viel von meiner gewöhnlichen Verlegenheit abgelegt und ſtelle mich ſo ziemlich dar.","norm":"Ich habe, seit ich Dich verlassen, durch Leibesübung viel gewonnen; ich habe viel von meiner gewöhnlichen Verlegenheit abgelegt und stelle mich so ziemlich dar."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":119,"orig":"Eben ſo habe ich meine Sprache und Stimme ausgebildet, und ich darf ohne Eitelkeit ſagen, daß ich in Geſellſchaften nicht mißfalle.","norm":"Ebenso habe ich meine Sprache und Stimme ausgebildet, und ich darf ohne Eitelkeit sagen, dass ich in Gesellschaften nicht missfalle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":120,"orig":"Nun läugne ich dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Perſon zu ſeyn, und in einem weitern Kreiſe zu gefallen und zu wirken.","norm":"Nun leugne ich Dir nicht, dass mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein, und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":121,"orig":"Dazu kömmt meine Neigung zur Dichtkunſt und zu allem, was mit ihr in Verbindung ſteht, und das Bedürfniß meinen Geiſt und Geſchmack auszubilden, damit ich nach und nach auch bey dem Genuß, den ich nicht entbehren kann, nur das Gute wirklich für gut und das Schöne für ſchön halte.","norm":"Dazu kommt meine Neigung zur Dichtkunst und zu allem, was mit ihr in Verbindung steht, und das Bedürfnis meinen Geist und Geschmack auszubilden, damit ich nach und nach auch bei dem Genuss, den ich nicht entbehren kann, nur das Gute wirklich für gut und das Schöne für schön halte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":122,"orig":"Du ſiehſt wohl, daß das alles für mich nur auf dem Theater zu finden iſt, und daß ich mich in dieſem einzigen Elemente nach Wunſch rühren und ausbilden kann.","norm":"Du siehst wohl, dass das alles für mich nur auf dem Theater zu finden ist, und dass ich mich in diesem einzigen Elemente nach Wunsch rühren und ausbilden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":123,"orig":"Auf den Brettern erſcheint der gebildete Menſch ſo gut perſönlich in ſeinem Glanz als in den obern Klaſſen;","norm":"Auf den Brettern erscheint der gebildete Mensch so gut persönlich in seinem Glanz als in den oberen Klassen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":124,"orig":"Geiſt und Körper müſſen bey jeder Bemühung gleichen Schritt gehen, und ich werde da ſo gut ſeyn und ſcheinen können, als irgend anderswo.","norm":"Geist und Körper müssen bei jeder Bemühung gleichen Schritt gehen, und ich werde da so gut sein und scheinen können, als irgend anderswo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":125,"orig":"Suche ich daneben noch Beſchäftigungen, ſo giebt es dort mechaniſche Quälereyen genug, und ich kann meiner Geduld tägliche Übung verſchaffen.","norm":"Suche ich daneben noch Beschäftigungen, so gibt es dort mechanische Quälereien genug, und ich kann meiner Geduld tägliche Übung verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":126,"orig":"Diſputire mit mir nicht darüber; denn eh’ du mir ſchreibſt, iſt der Schritt ſchon geſchehen.","norm":"Disputiere mit mir nicht darüber; denn ehe du mir schreibst, ist der Schritt schon geschehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":127,"orig":"Wegen der herrſchenden Vorurtheile will ich meinen Nahmen verändern, weil ich mich ohnehin ſchäme als Meiſter aufzutreten.","norm":"Wegen der herrschenden Vorurteile will ich meinen Namen verändern, weil ich mich ohnehin schäme als Meister aufzutreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":128,"orig":"Lebe wohl.","norm":"Lebewohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":129,"orig":"Unſer Vermögen iſt in ſo guter Hand, daß ich mich darum gar nicht bekümmere; was ich brauche, verlange ich gelegentlich von dir; es wird nicht viel ſeyn, denn ich hoffe daß mich meine Kunſt auch nähren ſoll.","norm":"Unser Vermögen ist in so guter Hand, dass ich mich darum gar nicht bekümmere; was ich brauche, verlange ich gelegentlich von Dir; es wird nicht viel sein, denn ich hoffe dass mich meine Kunst auch nähren soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":130,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":131,"orig":"Der Brief war kaum abgeſchickt, als Wilhelm auf der Stelle Wort hielt und zu Serlo’s und der übrigen großen Verwunderung ſich auf einmal erklärte: daß er ſich zum Schauſpieler widme und einen Contract auf billige Bedingungen eingehen wolle.","norm":"Der Brief war kaum abgeschickt, als Wilhelm auf der Stelle Wort hielt und zu Serlos und der übrigen großen Verwunderung sich auf einmal erklärte: dass er sich zum Schauspieler widme und einen Kontrakt auf billige Bedingungen eingehen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":132,"orig":"Man war hierüber bald einig; denn Serlo hatte ſchon früher ſich ſo erklärt, daß Wilhelm und die übrigen damit gar wohl zufrieden ſeyn konnten.","norm":"Man war hierüber bald einig; denn Serlo hatte schon früher sich so erklärt, dass Wilhelm und die übrigen damit gar wohl zufrieden sein konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":133,"orig":"Die ganze verunglückte Geſellſchaft, mit der wir uns ſo lange unterhalten haben, ward auf einmal angenommen, ohne daß jedoch, außer etwa Laertes, ſich einer gegen Wilhelmen dankbar erzeigt hätte.","norm":"Die ganze verunglückte Gesellschaft, mit der wir uns so lange unterhalten haben, wurde auf einmal angenommen, ohne dass jedoch, außer etwa Laertes, sich einer gegen Wilhelm dankbar erzeigt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":134,"orig":"Wie ſie ohne Zutrauen gefordert hatten, ſo empfingen ſie ohne Dank.","norm":"Wie sie ohne Zutrauen gefordert hatten, so empfingen sie ohne Dank."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":135,"orig":"Die meiſten wollten lieber ihre Anſtellung dem Einfluſſe Philinens zuſchreiben, und richteten ihre Dankſagungen an ſie.","norm":"Die meisten wollten lieber ihre Anstellung dem Einflusse Philines zuschreiben, und richteten ihre Danksagungen an sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":136,"orig":"Indeſſen wurden die ausgefertigten Contracte unterſchrieben, und durch eine unerklärliche Verknüpfung von Ideen entſtand vor Wilhelms Einbildungskraft, in dem Augenblicke als er ſeinen fingirten Nahmen unterzeichnete, das Bild jenes Waldplatzes, wo er verwundet in Philinens Schooß gelegen.","norm":"Indessen wurden die ausgefertigten Kontrakte unterschrieben, und durch eine unerklärliche Verknüpfung von Ideen entstand vor Wilhelms Einbildungskraft, in dem Augenblicke als er seinen fingierten Namen unterzeichnete, das Bild jenes Waldplatzes, wo er verwundet in Philines Schoß gelegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":137,"orig":"Auf einem Schimmel kam die liebenswürdige Amazone aus den Büſchen, nahte ſich ihm und ſtieg ab.","norm":"Auf einem Schimmel kam die liebenswürdige Amazone aus den Büschen, nahte sich ihm und stieg ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":138,"orig":"Ihr menſchenfreundliches Bemühen hieß ſie gehen und kommen; endlich ſtand ſie vor ihm.","norm":"Ihr menschenfreundliches Bemühen hieß sie gehen und kommen; endlich stand sie vor ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":139,"orig":"Das Kleid fiel von ihren Schultern, ihr Geſicht, ihre Geſtalt fingen an zu glänzen und ſie verſchwand.","norm":"Das Kleid fiel von ihren Schultern, ihr Gesicht, ihre Gestalt fingen an zu glänzen und sie verschwand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":140,"orig":"So ſchrieb er ſeinen Nahmen nur mechaniſch hin, ohne zu wiſſen was er that, und fühlte erſt, nachdem er unterzeichnet hatte, daß Mignon an ſeiner Seite ſtand, ihn am Arm hielt nnd ihm die Hand leiſe wegzuziehen verſucht hatte.","norm":"So schrieb er seinen Namen nur mechanisch hin, ohne zu wissen was er tat, und fühlte erst, nachdem er unterzeichnet hatte, dass Mignon an seiner Seite stand, ihn am Arm hielt und ihm die Hand leise wegzuziehen versucht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":141,"orig":"Eine der Bedingungen, unter denen Wilhelm ſich aufs Theater begab, war von Serlo nicht ohne Einſchränkung zugeſtanden worden.","norm":"Eine der Bedingungen, unter denen Wilhelm sich aufs Theater begab, war von Serlo nicht ohne Einschränkung zugestanden worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":142,"orig":"Jener verlangte, daß Hamlet ganz und unzerſtückt aufgeführt werden ſollte, und dieſer ließ ſich das wunderliche Begehren in ſo fern gefallen, als es möglich ſeyn würde.","norm":"Jener verlangte, dass Hamlet ganz und unzerstückt aufgeführt werden sollte, und dieser ließ sich das wunderliche Begehren insofern gefallen, als es möglich sein würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":143,"orig":"Nun hatten ſie hierüber biſher manchen Streit gehabt; denn was möglich oder nicht möglich ſey, und was man von dem Stücke weglaſſen könne, ohne es zu zerſtückken, darüber waren beyde ſehr verſchiedener Meynung.","norm":"Nun hatten sie hierüber bisher manchen Streit gehabt; denn was möglich oder nicht möglich sei, und was man von dem Stücke weglassen könne, ohne es zu zerstücken, darüber waren beide sehr verschiedener Meinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":144,"orig":"Wilhelm befand ſich noch in den glücklichen Zeiten, da man nicht begreifen kann, daß an einem geliebten Mädchen, an einem verehrten Schriftſteller irgend etwas mangelhaft ſeyn könne.","norm":"Wilhelm befand sich noch in den glücklichen Zeiten, da man nicht begreifen kann, dass an einem geliebten Mädchen, an einem verehrten Schriftsteller irgendetwas mangelhaft sein könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":145,"orig":"Unſere Empfindung von ihnen iſt ſo ganz, ſo mit ſich ſelbſt übereinſtimmend, daß wir uns auch in ihnen eine ſolche vollkommene Harmonie denken müſſen.","norm":"Unsere Empfindung von ihnen ist so ganz, so mit sich selbst übereinstimmend, dass wir uns auch in ihnen eine solche vollkommene Harmonie denken müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":146,"orig":"Serlo hingegen ſonderte gern und beynah zu viel; ſein ſcharfer Verſtand wollte in einem Kunſtwerke gewöhnlich nur ein mehr oder weniger unvollkommenes Ganze erkennen.","norm":"Serlo hingegen sonderte gern und beinahe zu viel; sein scharfer Verstand wollte in einem Kunstwerke gewöhnlich nur ein mehr oder weniger unvollkommenes Ganze erkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":147,"orig":"Er glaubte, ſo wie man die Stücke finde, habe man wenig Urſache mit ihnen ſo gar bedächtig umzugehen, und ſo mußte auch Shakeſpear, ſo mußte beſonders Hamlet vieles leiden.","norm":"Er glaubte, so wie man die Stücke finde, habe man wenig Ursache mit ihnen so gar bedächtig umzugehen, und so musste auch Shakespeare, so musste besonders Hamlet vieles leiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":148,"orig":"Wilhelm wollte gar nicht hören, wenn jener von der Abſonderung der Spreu von dem Weizen ſprach.","norm":"Wilhelm wollte gar nicht hören, wenn jener von der Absonderung der Spreu von dem Weizen sprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":149,"orig":"Es iſt nicht Spreu und Weizen durcheinander, rief dieſer, es iſt ein Stamm, Äſte, Zweige, Blätter, Knoſpen, Blüthen und Früchte.","norm":"Es ist nicht Spreu und Weizen durcheinander, rief dieser, es ist ein Stamm, Äste, Zweige, Blätter, Knospen, Blüten und Früchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":150,"orig":"Iſt nicht eins mit dem andern und durch das andere?","norm":"Ist nicht eins mit dem anderen und durch das andere?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":151,"orig":"Jener behauptete, man bringe nicht den ganzen Stamm auf den Tiſch, der Künſtler müſſe goldne Äpfel in ſilbernen Schalen ſeinen Gäſten reichen.","norm":"Jener behauptete, man bringe nicht den ganzen Stamm auf den Tisch, der Künstler müsse goldene Äpfel in silbernen Schalen seinen Gästen reichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":152,"orig":"Sie erſchöpften ſich in Gleichniſſen, und ihre Meynungen ſchienen ſich immer weiter von einander zu entfernen.","norm":"Sie erschöpften sich in Gleichnissen, und ihre Meinungen schienen sich immer weiter voneinander zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":153,"orig":"Gar verzweifeln wollte unſer Freund, als Serlo ihm einſt nach langem Streit das einfachſte Mittel anrieth, ſich kurz zu reſolviren, die Feder zu ergreifen und in dem Trauerſpiele, was eben nicht gehen wolle noch könne, abzuſtreichen, mehrere Perſonen in Eine zu drängen, und wenn er mit dieſer Art noch nicht bekannt genug ſey, oder noch nicht Herz genug dazu habe, ſo ſolle er ihm die Arbeit überlaſſen, und er wolle bald fertig ſeyn.","norm":"Gar verzweifeln wollte unser Freund, als Serlo ihm einst nach langem Streit das einfachste Mittel anriet, sich kurz zu resolvieren, die Feder zu ergreifen und in dem Trauerspiele, was eben nicht gehen wolle noch könne, abzustreichen, mehrere Personen in Eine zu drängen, und wenn er mit dieser Art noch nicht bekannt genug sei, oder noch nicht Herz genug dazu habe, so solle er ihm die Arbeit überlassen, und er wolle bald fertig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":154,"orig":"Das iſt nicht unſerer Abrede gemäß, verſetzte Wilhelm.","norm":"Das ist nicht unserer Abrede gemäß, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":155,"orig":"Wie können Sie bei ſo viel Geſchmack ſo leichtſinnig ſeyn?","norm":"Wie können Sie bei so viel Geschmack so leichtsinnig sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":156,"orig":"Mein Freund, rief Serlo aus, Sie werden es auch ſchon werden.","norm":"Mein Freund, rief Serlo aus, Sie werden es auch schon werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":157,"orig":"Ich kenne das Abſcheuliche dieſer Manier nur zu wohl, die vielleicht noch auf keinem Theater in der Welt ſtatt gefunden hat.","norm":"Ich kenne das Abscheuliche dieser Manier nur zu wohl, die vielleicht noch auf keinem Theater in der Welt stattgefunden hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":158,"orig":"Aber wo iſt auch eins ſo verwahrloſt als das unſere?","norm":"Aber wo ist auch eins so verwahrlost als das unsere?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":159,"orig":"Zu dieſer ekelhaften Verſtümmelung zwingen uns die Autoren, und das Publikum erlaubt ſie.","norm":"Zu dieser ekelhaften Verstümmelung zwingen uns die Autoren, und das Publikum erlaubt sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":160,"orig":"Wie viel Stücke haben wir denn, die nicht über das Maaß des Perſonals, der Dekorationen und Theatermechanik, der Zeit, des Dialogs und der phyſiſchen Kräfte des Acteurs hinausſchritten?","norm":"Wie viel Stücke haben wir denn, die nicht über das Maß des Personals, der Dekorationen und Theatermechanik, der Zeit, des Dialogs und der physischen Kräfte des Akteurs hinausschritten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":161,"orig":"und doch ſollen wir ſpielen und immer ſpielen und immer neu ſpielen.","norm":"und doch sollen wir spielen und immer spielen und immer neu spielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":162,"orig":"Sollen wir uns dabey nicht unſres Vortheils bedienen, da wir mit zerſtückelten Werken eben ſo viel ausrichten als mit ganzen?","norm":"Sollen wir uns dabei nicht unseres Vorteils bedienen, da wir mit zerstückelten Werken ebenso soviel ausrichten als mit ganzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":163,"orig":"Setzt uns das Publikum doch ſelbſt in den Vortheil!","norm":"Setzt uns das Publikum doch selbst in den Vorteil!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":164,"orig":"Wenig Deutſche, und vielleicht nur wenige Menſchen aller neuern Nationen, haben Gefühl für ein äſthetiſches Ganze; ſie loben und tadeln nur ſtellenweiſe; ſie entzücken ſich nur ſtellenweiſe: und für wen iſt das ein größeres Glück als für den Schauſpieler, da das Theater doch immer nur ein geſtoppeltes und geſtückeltes Weſen bleibt.","norm":"Wenig Deutsche, und vielleicht nur wenige Menschen aller neueren Nationen, haben Gefühl für ein ästhetisches Ganze; sie loben und tadeln nur stellenweise; sie entzücken sich nur stellenweise: und für wen ist das ein größeres Glück als für den Schauspieler, da das Theater doch immer nur ein gestoppeltes und gestückeltes Wesen bleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":165,"orig":"Iſt!","norm":"Ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":166,"orig":"verſetzte Wilhelm; aber muß es denn auch ſo bleiben, muß denn alles bleiben was iſt?","norm":"versetzte Wilhelm; aber muss es denn auch so bleiben, muss denn alles bleiben was ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":167,"orig":"Überzeugen Sie mich ja nicht, daß Sie recht haben; denn keine Macht in der Welt würde mich bewegen können, einen Contract zu halten, den ich nur im gröbſten Irrthum geſchloſſen hätte.","norm":"Überzeugen Sie mich ja nicht, dass Sie recht haben; denn keine Macht in der Welt würde mich bewegen können, einen Kontrakt zu halten, den ich nur im gröbsten Irrtum geschlossen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":168,"orig":"Serlo gab der Sache eine luſtige Wendung und erſuchte Wilhelmen, ihre öftern Geſpräche über Hamlet nochmals zu bedenken, und ſelbſt die Mittel zu einer glücklichen Bearbeitung zu erſinnen.","norm":"Serlo gab der Sache eine lustige Wendung und ersuchte Wilhelm, ihre Öfteren Gespräche über Hamlet nochmals zu bedenken, und selbst die Mittel zu einer glücklichen Bearbeitung zu ersinnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":169,"orig":"Nach einigen Tagen, die er in der Einſamkeit zugebracht hatte, kam Wilhelm mit frohem Blicke zurück.","norm":"Nach einigen Tagen, die er in der Einsamkeit zugebracht hatte, kam Wilhelm mit frohem Blicke zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":170,"orig":"Ich müßte mich ſehr irren, rief er aus, wenn ich nicht gefunden hätte, wie dem Ganzen zu helfen iſt; ja ich bin überzeugt, daß Shakeſpear es ſelbſt ſo würde gemacht haben, wenn ſein Genie nicht auf die Hauptſache ſo ſehr gerichtet, und nicht vielleicht durch die Novellen, nach denen er arbeitete, verführt worden wäre.","norm":"Ich müsste mich sehr irren, rief er aus, wenn ich nicht gefunden hätte, wie dem Ganzen zu helfen ist; ja ich bin überzeugt, dass Shakespeare es selbst so würde gemacht haben, wenn sein Genie nicht auf die Hauptsache so sehr gerichtet, und nicht vielleicht durch die Novellen, nach denen er arbeitete, verführt worden wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":171,"orig":"Laſſen Sie hören, ſagte Serlo, indem er ſich gravitätiſch aufs Kanapee ſetzte, ich werde ruhig aufhorchen, aber auch deſto ſtrenger richten.","norm":"Lassen Sie hören, sagte Serlo, indem er sich gravitätisch aufs Kanapee setzte, ich werde ruhig aufhorchen, aber auch desto strenger richten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":172,"orig":"Wilhelm verſetzte:","norm":"Wilhelm versetzte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":173,"orig":"Mir iſt nicht bange; hören Sie nur.","norm":"Mir ist nicht bange; hören Sie nur."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":174,"orig":"Ich unterſcheide, nach der genauſten Unterſuchung, nach der reiflichſten Überlegung, in der Compoſition dieſes Stücks, zweyerley: das erſte ſind die großen innern Verhältniſſe der Perſonen und der Begebenheiten, die mächtigen Wirkungen, die aus den Characteren und Handlungen der Hauptfiguren entſtehen, und dieſe ſind einzeln fürtrefflich, und die Folge, in der ſie aufgeſtellt ſind, unverbeſſerlich.","norm":"Ich unterscheide, nach der genauesten Untersuchung, nach der reiflichsten Überlegung, in der Komposition dieses Stücks, zweierlei: Das erste sind die großen inneren Verhältnisse der Personen und der Begebenheiten, die mächtigen Wirkungen, die aus den Charakteren und Handlungen der Hauptfiguren entstehen, und diese sind einzeln vortrefflich, und die Folge, in der sie aufgestellt sind, unverbesserlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":175,"orig":"Sie können durch keine Art von Behandlung zerſtöhrt, ja kaum verunſtaltet werden.","norm":"Sie können durch keine Art von Behandlung zerstört, ja kaum verunstaltet werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":176,"orig":"Dieſe ſinds, die jedermann zu ſehen verlangt, die niemand anzutaſten wagt, die ſich tief in die Seele eindrücken und die man, wie ich höre, beynahe alle auf das deutſche Theater gebracht hat.","norm":"Diese sind es, die jedermann zu sehen verlangt, die niemand anzutasten wagt, die sich tief in die Seele eindrücken und die man, wie ich höre, beinahe alle auf das deutsche Theater gebracht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":177,"orig":"Nur hat man, wie ich glaube, darin gefehlt, daß man das zweyte, was bey dieſem Stück zu bemerken iſt, ich meyne die äußern Verhältniſſe der Perſonen, wodurch ſie von einem Orte zum andern gebracht, oder auf dieſe und jene Weiſe durch gewiſſe zufällige Begebenheiten verbunden werden, für allzuunbedeutend angeſehen, nur im vorbeygehn davon geſprochen, oder ſie gar weggelaſſen hat.","norm":"Nur hat man, wie ich glaube, darin gefehlt, dass man das Zweite, was bei diesem Stück zu bemerken ist, ich meine die äußeren Verhältnisse der Personen, wodurch sie von einem Orte zum anderen gebracht, oder auf diese und jene Weise durch gewisse zufällige Begebenheiten verbunden werden, für allzu unbedeutend angesehen, nur im Vorbeigehen davon gesprochen, oder sie gar weggelassen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":178,"orig":"Freilich ſind dieſe Fäden nur dünn und loſe.","norm":"Freilich sind diese Fäden nur dünn und lose."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":179,"orig":"aber ſie gehen doch durchs ganze Stück, und halten zuſammen, was ſonſt auseinander fiele, auch wirklich auseinander fällt, wenn man ſie wegſchneidet, und ein übriges gethan zu haben glaubt, wenn man die Enden ſtehen läßt.","norm":"aber sie gehen doch durchs ganze Stück, und halten zusammen, was sonst auseinanderfiele, auch wirklich auseinanderfällt, wenn man sie wegschneidet, und ein übriges getan zu haben glaubt, wenn man die Enden stehenlässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":180,"orig":"Zu dieſen äußern Verhältniſſen zähle ich die Unruhen in Norwegen, den Krieg mit dem jungen Fortinbras, die Geſandtſchaft an den alten Oheim, den geſchlichteten Zwiſt, den Zug des jungen Fortinbras nach Polen und ſeine Rückkehr am Ende.","norm":"Zu diesen äußeren Verhältnissen zähle ich die Unruhen in Norwegen, den Krieg mit dem jungen Fortinbras, die Gesandtschaft an den alten Oheim, den geschlichteten Zwist, den Zug des jungen Fortinbras nach Polen und seine Rückkehr am Ende."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":181,"orig":"Ingleichen die Rückkehr des Horatio von Wittenberg, die Luſt Hamlets dahin zu gehen, die Reiſe des Laertes nach Frankreich, ſeine Rückkunft, die Verſchickung Hamlets nach England, ſeine Gefangenſchaft beym Seeräuber, der Tod der beyden Hofleute auf den Uriasbrief; alles dieſes ſind Umſtände und Begebenheiten, die einen Roman weit und breit machen können, die aber der Einheit dieſes Stücks, in dem beſonders der Held keinen Plan hat, auf das äußerſte ſchaden und höchſt fehlerhaft ſind.","norm":"Ingleichen die Rückkehr des Horatio von Wittenberg, die Lust Hamlets dahin zu gehen, die Reise des Laertes nach Frankreich, seine Rückkunft, die Verschickung Hamlets nach England, seine Gefangenschaft beim Seeräuber, der Tod der beiden Hofleute auf den Uriasbrief; alles dieses sind Umstände und Begebenheiten, die einen Roman weit und breit machen können, die aber der Einheit dieses Stücks, in dem besonders der Held keinen Plan hat, auf das äußerste schaden und höchst fehlerhaft sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":182,"orig":"So höre ich Sie einmal gerne!","norm":"So höre ich Sie einmal gerne!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":183,"orig":"rief Serlo.","norm":"rief Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":184,"orig":"Fallen Sie mir nicht ein, verſetzte Wilhelm, Sie möchten mich nicht immer loben.","norm":"Fallen Sie mir nicht ein, versetzte Wilhelm, Sie möchten mich nicht immer loben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":185,"orig":"Dieſe Fehler ſind wie flüchtige Stützen eines Gebäudes, die man nicht wegnehmen darf, ohne vorher eine feſte Mauer unterzuziehen, Mein Vorſchlag iſt alſo, an jenen erſten groſſen Situationen gar nicht zu rühren, ſondern ſie ſowohl im Ganzen als Einzelnen möglichſt zu ſchonen, aber dieſe äußern, einzelnen, zerſtreuten und zerſtreuenden Motive alle auf einmal weg zu werfen und ihnen ein Einziges zu ſubſtituiren.","norm":"Diese Fehler sind wie flüchtige Stützen eines Gebäudes, die man nicht wegnehmen darf, ohne vorher eine feste Mauer unterzuziehen, Mein Vorschlag ist also, an jenen ersten großen Situationen gar nicht zu rühren, sondern sie sowohl im Ganzen als Einzelnen möglichst zu schonen, aber diese äußeren, einzelnen, zerstreuten und zerstreuenden Motive alle auf einmal wegzuwerfen und ihnen ein Einziges zu substituieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":186,"orig":"Und das wäre?","norm":"Und das wäre?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":187,"orig":"fragte Serlo, indem er ſich aus ſeiner ruhigen Stellung aufhob.","norm":"fragte Serlo, indem er sich aus seiner ruhigen Stellung aufhob."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":188,"orig":"Es liegt auch ſchon im Stücke, erwiederte Wilhelm, nur mache ich den rechten Gebrauch davon.","norm":"Es liegt auch schon im Stücke, erwiderte Wilhelm, nur mache ich den rechten Gebrauch davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":189,"orig":"Es ſind die Unruhen in Norwegen.","norm":"Es sind die Unruhen in Norwegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":190,"orig":"Hier haben Sie meinen Plan zur Prüfung.","norm":"Hier haben Sie meinen Plan zur Prüfung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":191,"orig":"Nach dem Tode des alten Hamlet werden die erſteroberten Norweger unruhig.","norm":"Nach dem Tode des alten Hamlet werden die ersteroberten Norweger unruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":192,"orig":"Der dortige Statthalter ſchickt ſeinen Sohn Horatio, einen alten Schulfreund Hamlets, der aber an Tapferkeit und Lebensklugheit allen andern vorgelaufen iſt, nach Dännemark, auf die Ausrüſtung der Flotte zu dringen, welche unter dem neuen der Schwelgerey ergebenen König nur ſaumſelig von Statten geht.","norm":"Der dortige Statthalter schickt seinen Sohn Horatio, einen alten Schulfreund Hamlets, der aber an Tapferkeit und Lebensklugheit allen anderen vorgelaufen ist, nach Dänemark, auf die Ausrüstung der Flotte zu dringen, welche unter dem neuen der Schwelgerei ergebenen König nur saumselig vonstattengeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":193,"orig":"Horatio kennt den alten König, denn er hat ſeinen letzten Schlachten beygewohnt, hat bey ihm in Gunſten geſtanden, und die erſte Geiſterſcene wird dadurch nicht verlieren.","norm":"Horatio kennt den alten König, denn er hat seinen letzten Schlachten beigewohnt, hat bei ihm in Gunsten gestanden, und die erste Geisterszene wird dadurch nicht verlieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":194,"orig":"Der neue König giebt ſodann dem Horatio Audienz und ſchickt den Laertes nach Norwegen mit der Nachricht, daß die Flotte bald anlanden werde, indeß Horatio den Auftrag erhält, die Rüſtung derſelben zu beſchleunigen; dagegen will die Mutter nicht einwilligen, daß Hamlet, wie er wünſchte, mit Horatio zur See gehe.","norm":"Der neue König gibt sodann dem Horatio Audienz und schickt den Laertes nach Norwegen mit der Nachricht, dass die Flotte bald anlanden werde, indes Horatio den Auftrag erhält, die Rüstung derselben zu beschleunigen; dagegen will die Mutter nicht einwilligen, dass Hamlet, wie er wünschte, mit Horatio zur See gehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":195,"orig":"Gott ſey Dank!","norm":"Gott sei Dank!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":196,"orig":"rief Serlo, ſo werden wir auch Wittenberg und die hohe Schule los, die mir immer ein leidiger Anſtoß war.","norm":"rief Serlo, so werden wir auch Wittenberg und die hohe Schule los, die mir immer ein leidiger Anstoß war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":197,"orig":"Ich finde Ihren Gedanken recht gut, denn außer den zwey einzigen fernen Bildern, Norwegen und der Flotte, braucht der Zuſchauer ſich nichts zu denken; das übrige ſieht er alles, das übrige geht alles vor, anſtatt daß ſonſt ſeine Einbildungskraft in der ganzen Welt herum gejagt würde.","norm":"Ich finde Ihren Gedanken recht gut, denn außer den zwei einzigen fernen Bildern, Norwegen und der Flotte, braucht der Zuschauer sich nichts zu denken; das Übrige sieht er alles, das Übrige geht alles vor, anstatt dass sonst seine Einbildungskraft in der ganzen Welt herumgejagt würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":198,"orig":"Sie ſehen leicht, verſetzte Wilhelm, wie ich nunmehr auch das übrige zuſammen halten kann.","norm":"Sie sehen leicht, versetzte Wilhelm, wie ich nunmehr auch das Übrige zusammenhalten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":199,"orig":"Wenn Hamlet dem Horatio die Miſſethat ſeines Stiefvaters entdeckt, ſo räth ihm dieſer mit nach Norwegen zu gehen, ſich der Armee zu verſichern und mit gewaffneter Hand zurück zu kehren.","norm":"Wenn Hamlet dem Horatio die Missetat seines Stiefvaters entdeckt, so rät ihm dieser mit nach Norwegen zu gehen, sich der Armee zu versichern und mit gewaffneter Hand zurückzukehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":200,"orig":"Da Hamlet dem König und der Königinn zu gefährlich wird, haben ſie kein näheres Mittel ihn los zu werden, als ihn nach der Flotte zu ſchikken und ihm Roſenkranz und Güldenſtern zu Beobachtern mitzugeben; und da indeß Laertes zurück kommt, ſoll dieſer bis zum Meuchelmord erhitzte Jüngling ihm nachgeſchickt werden.","norm":"Da Hamlet dem König und der Königin zu gefährlich wird, haben sie kein näheres Mittel ihn loszuwerden, als ihn nach der Flotte zu schicken und ihm Rosenkranz und Güldenstern zu Beobachtern mitzugeben; und da indes Laertes zurückkommt, soll dieser bis zum Meuchelmord erhitzte Jüngling ihm nachgeschickt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":201,"orig":"Die Flotte bleibt wegen ungünſtigem Winde liegen;","norm":"Die Flotte bleibt wegen ungünstigem Winde liegen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":202,"orig":"Hamlet kehrt nochmals zurück; ſeine Wanderung über den Kirchhof kann vielleicht glücklich motivirt werden; ſein Zuſammentreffen mit Laertes in Opheliens Grabe iſt ein großer unentbehrlicher Moment.","norm":"Hamlet kehrt nochmals zurück; seine Wanderung über den Kirchhof kann vielleicht glücklich motiviert werden; sein Zusammentreffen mit Laertes in Ophelias Grabe ist ein großer unentbehrlicher Moment."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":203,"orig":"Hierauf mag der König bedenken, daß es beſſer ſey Hamlet auf der Stelle los zu werden; das Feſt der Abreiſe, der ſcheinbaren Verſöhnung mit Laertes wird nun feyerlich begangen, wobey man Ritterſpiele hält und auch Hamlet und Laertes fechten.","norm":"Hierauf mag der König bedenken, dass es besser sei Hamlet auf der Stelle loszuwerden; das Fest der Abreise, der scheinbaren Versöhnung mit Laertes wird nun feierlich begangen, wobei man Ritterspiele hält und auch Hamlet und Laertes fechten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":204,"orig":"Ohne die vier Leichen kann ich das Stück nicht ſchließen; es darf niemand übrig bleiben.","norm":"Ohne die vier Leichen kann ich das Stück nicht schließen; es darf niemand übrigbleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":205,"orig":"Hamlet giebt, da nun das Wahlrecht des Volks wieder eintritt, ſeine Stimme ſterbend dem Horatio.","norm":"Hamlet gibt, da nun das Wahlrecht des Volks wieder eintritt, seine Stimme sterbend dem Horatio."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":206,"orig":"Nur geſchwind, verſetzte Serlo, ſetzen Sie ſich hin und arbeiten das Stück aus; die Idee hat völlig meinen Beyfall, nur daß die Luſt nicht verraucht.","norm":"Nur geschwind, versetzte Serlo, setzen Sie sich hin und arbeiten das Stück aus; die Idee hat völlig meinen Beifall, nur dass die Lust nicht verraucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":207,"orig":"Wilhelm hatte ſich ſchon lange mit einer Überſetzung Hamlets abgegeben; er hatte ſich dabei der geiſtvollen Wielandſchen Arbeit bedient, durch die er überhaupt Shakeſpearn zuerſt kennen lernte.","norm":"Wilhelm hatte sich schon lange mit einer Übersetzung Hamlets abgegeben; er hatte sich dabei der geistvollen Wielandschen Arbeit bedient, durch die er überhaupt Shakespeare zuerst kennen lernte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":208,"orig":"Was in derſelben ausgelaſſen war, fügte er hinzu, und ſo war er im Beſitz eines vollſtändigen Exemplars in dem Augenblicke, da er mit Serlo über die Behandlung ſo ziemlich einig geworden war.","norm":"Was in derselben ausgelassen war, fügte er hinzu, und so war er im Besitz eines vollständigen Exemplars in dem Augenblicke, da er mit Serlo über die Behandlung so ziemlich einig geworden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":209,"orig":"Er fing nun an nach ſeinem Plane auszuheben und einzuſchieben, zu trennen und zu verbinden, zu verändern und oft wieder herzuſtellen; denn ſo zufrieden er auch mit ſeiner Idee war, ſo ſchien ihm doch bey der Ausführung immer, daß das Original nur verdorben werde.","norm":"Er fing nun an nach seinem Plane auszuheben und einzuschieben, zu trennen und zu verbinden, zu verändern und oft wiederherzustellen; denn so zufrieden er auch mit seiner Idee war, so schien ihm doch bei der Ausführung immer, dass das Original nur verdorben werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":210,"orig":"Sobald er fertig war, las er es Serlo und der übrigen Geſellſchaft vor.","norm":"Sobald er fertig war, las er es Serlo und der übrigen Gesellschaft vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":211,"orig":"Sie bezeugten ſich ſehr zufrieden damit, beſonders machte Serlo manche günſtige Bemerkung.","norm":"Sie bezeugten sich sehr zufrieden damit, besonders machte Serlo manche günstige Bemerkung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":212,"orig":"Sie haben, ſagte er unter andern, ſehr richtig empfunden, daß äußere Umſtände dieſes Stück begleiten, aber einfacher ſeyn müſſen, als ſie uns der große Dichter gegeben hat.","norm":"Sie haben, sagte er unter anderen, sehr richtig empfunden, dass äußere Umstände dieses Stück begleiten, aber einfacher sein müssen, als sie uns der große Dichter gegeben hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":213,"orig":"Was außer dem Theater vorgeht, was der Zuſchauer nicht ſieht, was er ſich vorſtellen muß, iſt wie ein Hintergrund, vor dem die ſpielenden Figuren ſich bewegen.","norm":"Was außer dem Theater vorgeht, was der Zuschauer nicht sieht, was er sich vorstellen muss, ist wie ein Hintergrund, vor dem die spielenden Figuren sich bewegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":214,"orig":"Die große einfache Ausſicht auf die Flotte und Norwegen wird dem Stück ſehr gut thun; nähme man ſie ganz weg, ſo iſt es nur eine Familienſcene, und der große Begrif, daß hier ein ganzes königliches Haus durch innere Verbrechen und Ungeſchicklichkeiten zu Grunde geht, wird nicht in ſeiner ganzen Würde dargeſtellt.","norm":"Die große einfache Aussicht auf die Flotte und Norwegen wird dem Stück sehr guttun; nähme man sie ganz weg, so ist es nur eine Familienszene, und der große Begriff, dass hier ein ganzes königliches Haus durch innere Verbrechen und Ungeschicklichkeiten zugrunde geht, wird nicht in seiner ganzen Würde dargestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":215,"orig":"Bliebe aber jener Hintergrund ſelbſt mannichfaltig, beweglich, confus; ſo thäte er dem Eindrucke der Figuren Schaden.","norm":"Bliebe aber jener Hintergrund selbst mannigfaltig, beweglich, konfus; so täte er dem Eindrucke der Figuren Schaden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":216,"orig":"Wilhelm nahm nun wieder die Parthie Shakeſpears, und zeigte, daß er für Inſulaner geſchrieben habe, für Engländer, die ſelbſt im Hintergrunde nur Schiffe und Seereiſen, die Küſte von Frankreich und Caper zu ſehen gewohnt ſind, und daß das, was jenen etwas ganz gewöhnliches ſey, uns ſchon zerſtreue und verwirre.","norm":"Wilhelm nahm nun wieder die Partie Shakespeares, und zeigte, dass er für Insulaner geschrieben habe, für Engländer, die selbst im Hintergrunde nur Schiffe und Seereisen, die Küste von Frankreich und Kaper zu sehen gewohnt sind, und dass das, was jenen etwas ganz Gewöhnliches sei, uns schon zerstreue und verwirre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":217,"orig":"Serlo mußte nachgeben, und beyde ſtimmten darin überein, daß, da das Stück nun einmal auf das deutſche Theater ſolle, dieſer ernſtere einfachere Hintergrund für unſre Vorſtellungsart am beſten paſſen werde.","norm":"Serlo musste nachgeben, und beide stimmten darin überein, dass, da das Stück nun einmal auf das deutsche Theater solle, dieser ernstere einfachere Hintergrund für unsere Vorstellungsart am besten passen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":218,"orig":"Die Rollen hatte man ſchon früher ausgetheilt; den Polonius übernahm Serlo;","norm":"Die Rollen hatte man schon früher ausgeteilt; den Polonius übernahm Serlo;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":219,"orig":"Aurelie, Ophelien;","norm":"Aurelie, Ophelia;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":220,"orig":"Laertes war durch ſeinen Namen ſchon bezeichnet; ein junger, unterſetzter, muntrer, neuangekommener Jüngling erhielt die Rolle des Horatio; nur wegen des Königs und des Geiſtes war man in einiger Verlegenheit.","norm":"Laertes war durch seinen Namen schon bezeichnet; ein junger, untersetzter, munterer, neuangekommener Jüngling erhielt die Rolle des Horatio; nur wegen des Königs und des Geistes war man in einiger Verlegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":221,"orig":"Für beyde Rollen war nur der alte Polterer da.","norm":"Für beide Rollen war nur der alte Polterer da."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":222,"orig":"Serlo ſchlug den Pedanten zum Könige vor; wogegen Wilhelm aber aufs äußerſte proteſtirte.","norm":"Serlo schlug den Pedanten zum Könige vor; wogegen Wilhelm aber aufs äußerste protestierte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":223,"orig":"Man konnte ſich nicht entſchließen.","norm":"Man konnte sich nicht entschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":224,"orig":"Ferner hatte Wilhelm in ſeinem Stücke die beyden Rollen von Roſenkranz und Güldenſtern ſtehen laſſen.","norm":"Ferner hatte Wilhelm in seinem Stücke die beiden Rollen von Rosenkranz und Güldenstern stehen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":225,"orig":"Warum haben Sie dieſe nicht in Eine verbunden?","norm":"Warum haben Sie diese nicht in Eine verbunden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":226,"orig":"fragte Serlo, dieſe Abbreviatur iſt doch ſo leicht gemacht.","norm":"fragte Serlo, diese Abbreviatur ist doch so leicht gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":227,"orig":"Gott bewahre mich vor ſolchen Verkürzungen, die zugleich Sinn und Wirkung aufheben, verſetzte Wilhelm.","norm":"Gott bewahre mich vor solchen Verkürzungen, die zugleich Sinn und Wirkung aufheben, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":228,"orig":"Das was dieſe beyden Menſchen ſind und thun, kann nicht durch Einen vorgeſtellt werden.","norm":"Das was diese beiden Menschen sind und tun, kann nicht durch Einen vorgestellt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":229,"orig":"In ſolchen Kleinigkeiten zeigt ſich Shakeſpears Größe.","norm":"In solchen Kleinigkeiten zeigt sich Shakespeares Größe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":230,"orig":"Dieſes leiſe Auftreten, dieſes Schmiegen und Biegen, dies Ja ſagen, Streicheln und Schmeicheln, dieſe Behendigkeit, dieſes Schwenzeln, dieſe Allheit und Leerheit, dieſe rechtliche Schurkerey, dieſe Unfähigkeit, wie kann ſie durch Einen Menſchen ausgedruckt werden?","norm":"Dieses leise Auftreten, dieses Schmiegen und Biegen, dies Jasagen, Streicheln und Schmeicheln, diese Behändigkeit, dieses Schwänzeln, diese Allheit und Leerheit, diese rechtliche Schurkerei, diese Unfähigkeit, wie kann sie durch Einen Menschen ausgedrückt werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":231,"orig":"Es ſollten ihrer wenigſtens ein Dutzend ſeyn, wenn man ſie haben könnte, denn ſie ſind bloß etwas in Geſellſchaft; ſie ſind die Geſellſchaft, und Shakeſpear war ſehr beſcheiden und weiſe, daß er nur zwey ſolche Repräſentanten auftreten ließ.","norm":"Es sollten ihrer wenigstens ein Dutzend sein, wenn man sie haben könnte, denn sie sind bloß etwas in Gesellschaft; sie sind die Gesellschaft, und Shakespeare war sehr bescheiden und weise, dass er nur zwei solche Repräsentanten auftreten ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":232,"orig":"Überdies brauche ich ſie in meiner Bearbeitung als ein Paar, das mit dem Einen, guten, trefflichen Horatio contraſtirt.","norm":"Überdies brauche ich sie in meiner Bearbeitung als ein Paar, das mit dem Einen, guten, trefflichen Horatio kontrastiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":233,"orig":"Ich verſtehe Sie, ſagte Serlo, und wir können uns helfen.","norm":"Ich verstehe Sie, sagte Serlo, und wir können uns helfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":234,"orig":"Den einen geben wir Elmiren (ſo nannte man die älteſte Tochter des Polterers); es kann nicht ſchaden, wenn ſie gut ausſehen, und ich will die Puppen putzen und dreſſiren, daß es eine Luſt ſeyn ſoll.","norm":"Den einen geben wir Elmiren (so nannte man die älteste Tochter des Polterers); es kann nicht schaden, wenn sie gut aussehen, und ich will die Puppen putzen und dressieren, dass es eine Lust sein soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":235,"orig":"Philine freute ſich außerordentlich, daß ſie die Herzoginn in der kleinen Comödie ſpielen ſollte.","norm":"Philine freute sich außerordentlich, dass sie die Herzogin in der kleinen Komödie spielen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":236,"orig":"Das will ich ſo natürlich machen, rief ſie aus, wie man in der Geſchwindigkeit einen zweyten heurathet, nachdem man den erſten ganz außerordentlich geliebt hat.","norm":"Das will ich so natürlich machen, rief sie aus, wie man in der Geschwindigkeit einen Zweiten heiratet, nachdem man den Ersten ganz außerordentlich geliebt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":237,"orig":"Ich hoffe mir den größten Beyfall zu erwerben, und jeder Mann ſoll wünſchen der dritte zu werden.","norm":"Ich hoffe mir den größten Beifall zu erwerben, und jeder Mann soll wünschen der Dritte zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":238,"orig":"Aurelie machte ein verdrießliches Geſicht bey dieſen Äußerungen; ihr Widerwille gegen Philinen nahm mit jedem Tage zu.","norm":"Aurelie machte ein verdrießliches Gesicht bei diesen Äußerungen; ihr Widerwille gegen Philine nahm mit jedem Tage zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":239,"orig":"Es iſt recht ſchade, ſagte Serlo, daß wir kein Ballet haben, ſonſt ſollten Sie mir mit Ihrem erſten und zweyten Manne ein Pas de deux tanzen, und der Alte ſollte nach dem Takt einſchlafen, und Ihre Füßchen und Wädchen würden ſich dort hinten auf dem Kindertheater ganz allerliebſt ausnehmen.","norm":"Es ist recht schade, sagte Serlo, dass wir kein Ballett haben, sonst sollten Sie mir mit Ihrem ersten und zweiten Manne ein Pas de deux tanzen, und der Alte sollte nach dem Takt einschlafen, und Ihre Füßchen und Wadchen würden sich dort hinten auf dem Kindertheater ganz allerliebst ausnehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":240,"orig":"Von meinen Wädchen wiſſen Sie ja wohl nicht viel, verſetzte ſie ſchnippiſch, und was meine Füßchen betrift, rief ſie indem ſie ſchnell unter den Tiſch reichte, ihre Pantöffelchen herauf holte und neben einander vor Serlo hinſtellte, hier ſind die Stelzchen, und ich gebe Ihnen auf niedlichere zu finden.","norm":"Von meinen Wadchen wissen Sie ja wohl nicht viel, versetzte sie schnippisch, und was meine Füßchen betrifft, rief sie indem sie schnell unter den Tisch reichte, ihre Pantöffelchen heraufholte und nebeneinander vor Serlo hinstellte, hier sind die Stelzchen, und ich gebe Ihnen auf niedlichere zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":241,"orig":"Es war Ernſt!","norm":"Es war Ernst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":242,"orig":"ſagte er, als er die zierlichen Halbſchuhe betrachtete.","norm":"sagte er, als er die zierlichen Halbschuhe betrachtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":243,"orig":"Gewiß, man konnte nicht leicht was artigers ſehen!","norm":"Gewiss, man konnte nicht leicht was Artigeres sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":244,"orig":"Sie waren Pariſer Arbeit;","norm":"Sie waren Pariser Arbeit;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":245,"orig":"Philine hatte ſie von der Gräfin zum Geſchenk erhalten, einer Dame, deren ſchöner Fuß berühmt war.","norm":"Philine hatte sie von der Gräfin zum Geschenk erhalten, einer Dame, deren schöner Fuß berühmt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":246,"orig":"Ein reitzender Gegenſtand!","norm":"Ein reizender Gegenstand!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":247,"orig":"rief Serlo, das Herz hüpft mir wenn ich ſie anſehe.","norm":"rief Serlo, das Herz hüpft mir wenn ich sie ansehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":248,"orig":"Welche Verzuckungen!","norm":"Welche Verzuckungen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":249,"orig":"ſagte Philine.","norm":"sagte Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":250,"orig":"Es geht nichts über ein paar Pantöffelchen von ſo feiner ſchöner Arbeit, rief Serlo; doch iſt ihr Klang noch reitzender, als ihr Anblick.","norm":"Es geht nichts über ein paar Pantöffelchen von so feiner schöner Arbeit, rief Serlo; doch ist ihr Klang noch reizender, als ihr Anblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":251,"orig":"Er hub ſie auf und ließ ſie einigemal hinter einander wechſelsweiſe auf den Tiſch fallen.","norm":"Er hob sie auf und ließ sie einige Mal hintereinander wechselweise auf den Tisch fallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":252,"orig":"Was ſoll das heißen?","norm":"Was soll das heißen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":253,"orig":"Nur wieder her damit!","norm":"Nur wieder her damit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":254,"orig":"rief Philine.","norm":"rief Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":255,"orig":"Darf ich ſagen, verſetzte er mit verſtellter Beſcheidenheit und ſchalkhaftem Ernſt, wir andern Junggeſellen, die wir Nachts meiſt allein ſind, und uns doch wie andre Menſchen fürchten, und im Dunkeln uns nach Geſellſchaft ſehnen, beſonders in Wirthshäuſern und fremden Orten wo es nicht ganz geheuer iſt, wir finden es gar tröſtlich, wenn ein gutherziges Kind uns Geſellſchaft und Beyſtand leiſten will.","norm":"Darf ich sagen, versetzte er mit verstellter Bescheidenheit und schalkhaftem Ernst, wir anderen Junggesellen, die wir Nachts meist allein sind, und uns doch wie andere Menschen fürchten, und im Dunkeln uns nach Gesellschaft sehnen, besonders in Wirtshäusern und fremden Orten wo es nicht ganz geheuer ist, wir finden es gar tröstlich, wenn ein gutherziges Kind uns Gesellschaft und Beistand leisten will."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":256,"orig":"Es iſt Nacht, man liegt im Bette, es raſchelt, man ſchaudert, die Thüre thut ſich auf, man erkennt ein liebes pisperndes Stimmchen, es ſchleicht was herbey, die Vorhänge rauſchen, klipp!","norm":"Es ist Nacht, man liegt im Bette, es raschelt, man schaudert, die Türe tut sich auf, man erkennt ein liebes pisperndes Stimmchen, es schleicht was herbei, die Vorhänge rauschen, klipp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":257,"orig":"klapp!","norm":"klapp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":258,"orig":"die Pantoffeln fallen, und huſch!","norm":"die Pantoffeln fallen, und husch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":259,"orig":"man iſt nicht mehr allein.","norm":"man ist nicht mehr allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":260,"orig":"Ach der liebe, der einzige Klang, wenn die Abſätzchen auf den Boden aufſchlagen!","norm":"Ach der liebe, der einzige Klang, wenn die Absätzchen auf den Boden aufschlagen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":261,"orig":"Je zierlicher ſie ſind, je feiner klingts.","norm":"Je zierlicher sie sind, je feiner klingt es."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":262,"orig":"Man ſpreche mir von Philomelen, von rauſchenden Bächen, vom Säuſeln der Winde, und von allem was je georgelt und gepfiffen worden iſt, ich halte mich an das Klipp!","norm":"Man spreche mir von Philomelen, von rauschenden Bächen, vom Säuseln der Winde, und von allem was je georgelt und gepfiffen worden ist, ich halte mich an das Klipp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":263,"orig":"Klapp!","norm":"Klapp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":264,"orig":"— Klipp!","norm":"— Klipp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":265,"orig":"Klapp!","norm":"Klapp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":266,"orig":"iſt das ſchönſte Thema zu einem Rondeau, das man immer wieder von vorne zu hören wünſcht.","norm":"ist das schönste Thema zu einem Rondeau, das man immer wieder von vorne zu hören wünscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":267,"orig":"Philine nahm ihm die Pantoffeln aus den Händen und ſagte: wie ich ſie krumm getreten habe!","norm":"Philine nahm ihm die Pantoffeln aus den Händen und sagte: Wie ich sie krumm getreten habe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":268,"orig":"ſie ſind mir viel zu weit.","norm":"sie sind mir viel zu weit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":269,"orig":"Dann ſpielte ſie damit und rieb die Sohlen gegen einander.","norm":"Dann spielte sie damit und rieb die Sohlen gegeneinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":270,"orig":"Was das heiß wird!","norm":"Was das heiß wird!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":271,"orig":"rief ſie aus, indem ſie die eine Sohle flach an die Wange hielt, dann wieder rieb und ſie gegen Serlo hinreichte.","norm":"rief sie aus, indem sie die eine Sohle flach an die Wange hielt, dann wieder rieb und sie gegen Serlo hinreichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":272,"orig":"Er war gutmüthig genug nach der Wärme zu fühlen, und Klipp!","norm":"Er war gutmütig genug nach der Wärme zu fühlen, und Klipp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":273,"orig":"Klapp!","norm":"Klapp!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":274,"orig":"rief ſie, indem ſie ihm einen derben Schlag mit dem Abſatz verſetzte, daß er ſchreyend die Hand zurück zog.","norm":"rief sie, indem sie ihm einen derben Schlag mit dem Absatz versetzte, dass er schreiend die Hand zurückzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":275,"orig":"Ich will euch lehren bey meinen Pantoffeln was anders denken, ſagte Philine lachend.","norm":"Ich will euch lehren bei meinen Pantoffeln was anders denken, sagte Philine lachend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":276,"orig":"Und ich will dich lehren alte Leute wie Kinder anführen!","norm":"Und ich will dich lehren alte Leute wie Kinder anführen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":277,"orig":"rief Serlo dagegen, ſprang auf, faßte ſie mit Heftigkeit und raubte ihr manchen Kuß, deren jeden ſie ſich mit ernſtlichem Widerſtreben gar künſtlich abzwingen ließ.","norm":"rief Serlo dagegen, sprang auf, fasste sie mit Heftigkeit und raubte ihr manchen Kuss, deren jeden sie sich mit ernstlichem Widerstreben gar künstlich abzwingen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":278,"orig":"Über dem Balgen fielen ihre langen Haare herunter und wickelten ſich um die Gruppe, der Stuhl ſchlug an den Boden, und Aurelie, die von dieſem Unweſen innerlich beleidigt war, ſtand mit Verdruß auf.","norm":"Über dem Balgen fielen ihre langen Haare herunter und wickelten sich um die Gruppe, der Stuhl schlug an den Boden, und Aurelie, die von diesem Unwesen innerlich beleidigt war, stand mit Verdruss auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":279,"orig":"Obgleich bey der neuen Bearbeitung Hamlets manche Perſonen weggefallen waren, ſo blieb die Anzahl derſelben doch immer noch groß genug, und faſt wollte die Geſellſchaft nicht hinreichen.","norm":"Obgleich bei der neuen Bearbeitung Hamlets manche Personen weggefallen waren, so blieb die Anzahl derselben doch immer noch groß genug, und fast wollte die Gesellschaft nicht hinreichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":280,"orig":"Wenn das ſo fort geht, ſagte Serlo, wird unſer Soufleur auch noch aus dem Loche hervorſteigen müſſen, unter uns wandeln, und zur Perſon werden.","norm":"Wenn das so fortgeht, sagte Serlo, wird unser Souffleur auch noch aus dem Loche hervorsteigen müssen, unter uns wandeln, und zur Person werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":281,"orig":"Schon oft habe ich ihn an ſeiner Stelle bewundert, verſetzte Wilhelm.","norm":"Schon oft habe ich ihn an seiner Stelle bewundert, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":282,"orig":"Ich glaube nicht, daß es einen vollkommenern Einhelfer giebt, ſagte Serlo.","norm":"Ich glaube nicht, dass es einen vollkommeneren Einhelfer gibt, sagte Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":283,"orig":"Kein Zuſchauer wird ihn jemals hören; wir auf dem Theater verſtehen jede Sylbe.","norm":"Kein Zuschauer wird ihn jemals hören; wir auf dem Theater verstehen jede Silbe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":284,"orig":"Er hat ſich gleichſam ein eigen Organ dazu gemacht, und iſt wie ein Genius, der uns in der Noth vernehmlich zuliſpelt.","norm":"Er hat sich gleichsam ein eigen Organ dazu gemacht, und ist wie ein Genius, der uns in der Not vernehmlich zulispelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":285,"orig":"Er fühlt welchen Theil ſeiner Rolle der Schauſpieler vollkommen inne hat, und ahndet von weitem wenn ihn das Gedächtniß verlaſſen will.","norm":"Er fühlt welchen Teil seiner Rolle der Schauspieler vollkommen innehat, und ahnet von weitem wenn ihn das Gedächtnis verlassen will."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":286,"orig":"In einigen Fällen, da ich die Rolle kaum überleſen konnte, da er ſie mir Wort vor Wort vorſagte, ſpielte ich ſie mit Glück; nur hat er Sonderbarkeiten, die jeden andern unbrauchbar machen würden: er nimmt ſo herzlichen Antheil an den Stücken, daß er pathetiſche Stellen nicht eben declamirt, aber doch affectvoll rezitirt.","norm":"In einigen Fällen, da ich die Rolle kaum überlesen konnte, da er sie mir Wort vor Wort vorsagte, spielte ich sie mit Glück; nur hat er Sonderbarkeiten, die jeden anderen unbrauchbar machen würden: Er nimmt so herzlichen Anteil an den Stücken, dass er pathetische Stellen nicht eben deklamiert, aber doch affektvoll rezitiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":287,"orig":"Mit dieſer Unart hat er mich mehr als einmal irre gemacht.","norm":"Mit dieser Unart hat er mich mehr als einmal irregemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":288,"orig":"So wie er mich, ſagte Aurelie, mit einer andern Sonderbarkeit einſt an einer ſehr gefährlichen Stelle ſtecken ließ.","norm":"So wie er mich, sagte Aurelie, mit einer anderen Sonderbarkeit einst an einer sehr gefährlichen Stelle steckenließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":289,"orig":"Wie war das bei ſeiner Aufmerkſamkeit möglich?","norm":"Wie war das bei seiner Aufmerksamkeit möglich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":290,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":291,"orig":"Er wird, verſetzte Aurelie, bey gewiſſen Stellen ſo gerührt, daß er heiße Thränen weint, und einige Augenblicke ganz aus der Faſſung kommt; und es ſind eigentlich nicht die ſogenannten rührenden Stellen, die ihn in dieſen Zuſtand verſetzen; es ſind, wenn ich mich deutlich ausdrücke, die ſchönen Stellen, aus welchen der reine Geiſt des Dichters gleichſam aus hellen offenen Augen hervorſieht, Stellen, bey denen wir andern uns nur höchſtens freuen, und über die viele Tauſend wegſehen.","norm":"Er wird, versetzte Aurelie, bei gewissen Stellen so gerührt, dass er heiße Tränen weint, und einige Augenblicke ganz aus der Fassung kommt; und es sind eigentlich nicht die sogenannten rührenden Stellen, die ihn in diesen Zustand versetzen; es sind, wenn ich mich deutlich ausdrücke, die schönen Stellen, aus welchen der reine Geist des Dichters gleichsam aus hellen offenen Augen hervorsieht, Stellen, bei denen wir anderen uns nur höchstens freuen, und über die viele Tausend wegsehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":292,"orig":"Und warum erſcheint er mit dieſer zarten Seele nicht auf dem Theater?","norm":"Und warum erscheint er mit dieser zarten Seele nicht auf dem Theater?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":293,"orig":"Ein heiſcheres Organ und ein ſteifes Betragen ſchließen ihn von der Bühne, und ſeine hypochondriſche Natur von der Geſellſchaft aus, verſetzte Serlo.","norm":"Ein heischeres Organ und ein steifes Betragen schließen ihn von der Bühne, und seine hypochondrische Natur von der Gesellschaft aus, versetzte Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":294,"orig":"Wieviel Mühe habe ich mir nicht gegeben, ihn an mich zu gewöhnen?","norm":"Wie viel Mühe habe ich mir nicht gegeben, ihn an mich zu gewöhnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":295,"orig":"aber vergebens.","norm":"aber vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":296,"orig":"Er ließt vortrefflich, wie ich nicht wieder habe leſen hören; niemand hält wie er die zarte Gränzlinie zwiſchen Declamation und affectvoller Recitation.","norm":"Er liest vortrefflich, wie ich nicht wieder habe lesen hören; niemand hält wie er die zarte Grenzlinie zwischen Deklamation und affektvoller Rezitation."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":297,"orig":"Gefunden!","norm":"Gefunden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":298,"orig":"rief Wilhelm, gefunden!","norm":"rief Wilhelm, gefunden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":299,"orig":"Welch eine glückliche Entdeckung!","norm":"Welch eine glückliche Entdeckung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":300,"orig":"Nun haben wir den Schauſpieler, der uns die Stelle vom rauhen Pyrrhus rezitiren ſoll.","norm":"Nun haben wir den Schauspieler, der uns die Stelle vom rauen Pyrrhus rezitieren soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":301,"orig":"Man muß ſo viel Leidenſchaft haben wie Sie, verſetzte Serlo, um alles zu ſeinem Endzwecke zu nutzen.","norm":"Man muss so viel Leidenschaft haben wie Sie, versetzte Serlo, um alles zu seinem Endzwecke zu nutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":302,"orig":"Gewiß ich war in der größten Sorge, rief Wilhelm, daß vielleicht dieſe Stelle wegbleiben müßte, und das ganze Stück würde dadurch gelähmt werden.","norm":"Gewiss ich war in der größten Sorge, rief Wilhelm, dass vielleicht diese Stelle wegbleiben müsste, und das ganze Stück würde dadurch gelähmt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":303,"orig":"Das kann ich doch nicht einſehen, verſetzte Aurelie.","norm":"Das kann ich doch nicht einsehen, versetzte Aurelie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":304,"orig":"Ich hoffe Sie werden bald meiner Meynung ſeyn, ſagte Wilhelm.","norm":"Ich hoffe Sie werden bald meiner Meinung sein, sagte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":305,"orig":"Shakeſpear führt die ankommenden Schauſpieler zu einem doppelten Entzweck herein.","norm":"Shakespeare führt die ankommenden Schauspieler zu einem doppelten Endzweck herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":306,"orig":"Erſt macht der Mann, der den Tod des Priamus mit ſo viel eigner Rührung declamirt, tiefen Eindruck auf den Prinzen ſelbſt; er ſchärft das Gewiſſen des jungen ſchwankenden Mannes: und ſo wird dieſe Scene das Präludium zu jener, in welcher das kleine Schauſpiel ſo große Wirkung auf den König thut.","norm":"Erst macht der Mann, der den Tod des Priamus mit so viel eigener Rührung deklamiert, tiefen Eindruck auf den Prinzen selbst; er schärft das Gewissen des jungen schwankenden Mannes: und so wird diese Szene das Präludium zu jener, in welcher das kleine Schauspiel so große Wirkung auf den König tut."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":307,"orig":"Hamlet fühlt ſich durch den Schauſpieler beſchämt, der an fremden, an fingirten Leiden ſo großen Theil nimmt; und der Gedanke auf eben die Weiſe einen Verſuch auf das Gewiſſen ſeines Stiefvaters zu machen, wird dadurch bey ihm ſogleich erregt.","norm":"Hamlet fühlt sich durch den Schauspieler beschämt, der an fremden, an fingierten Leiden so großen Teil nimmt; und der Gedanke auf eben die Weise einen Versuch auf das Gewissen seines Stiefvaters zu machen, wird dadurch bei ihm sogleich erregt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":308,"orig":"Welch ein herrlicher Monolog iſts, der den zweyten Act ſchließt!","norm":"Welch ein herrlicher Monolog ist es, der den zweiten Akt schließt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":309,"orig":"Wie freue ich mich darauf, ihn zu rezitiren:","norm":"Wie freue ich mich darauf, ihn zu rezitieren:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":310,"orig":"»O!","norm":"»O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":311,"orig":"welch ein Schurke, welch ein niedriger Sklave bin ich!","norm":"welch ein Schurke, welch ein niedriger Sklave bin ich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":312,"orig":"— Iſt es nicht ungeheuer, daß dieſer Schauſpieler hier, nur durch Erdichtung, durch einen Traum von Leidenſchaft, ſeine Seele ſo nach ſeinem Willen zwingt, daß ihre Wirkung ſein ganzes Geſicht entfärbt: — Thränen im Auge!","norm":"— Ist es nicht ungeheuer, dass dieser Schauspieler hier, nur durch Erdichtung, durch einen Traum von Leidenschaft, seine Seele so nach seinem Willen zwingt, dass ihre Wirkung sein ganzes Gesicht entfärbt: — Tränen im Auge!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":313,"orig":"Verwirrung im Betragen!","norm":"Verwirrung im Betragen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":314,"orig":"Gebrochne Stimme!","norm":"Gebrochene Stimme!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":315,"orig":"Sein ganzes Weſen von Einem Gefühl durchdrungen!","norm":"Sein ganzes Wesen von einem Gefühl durchdrungen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":316,"orig":"und das alles um nichts — um Hekuba!","norm":"und das alles um nichts — um Hekuba!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":317,"orig":"— Was iſt Hekuba für ihn oder er für Hekuba, daß er um ſie weinen ſollte?","norm":"— Was ist Hekuba für ihn oder er für Hekuba, dass er um sie weinen sollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":318,"orig":"Wenn wir nur unſern Mann auf das Theater bringen können, ſagte Aurelie.","norm":"Wenn wir nur unseren Mann auf das Theater bringen können, sagte Aurelie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":319,"orig":"Wir müſſen, verſetzte Serlo, ihn nach und nach hinein führen.","norm":"Wir müssen, versetzte Serlo, ihn nach und nach hineinführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":320,"orig":"Bey den Proben mag er die Stelle leſen, und wir ſagen daß wir einen Schauſpieler, der ſie ſpielen ſoll, erwarten, und ſo ſehen wir, wie wir ihm näher kommen.","norm":"Bei den Proben mag er die Stelle lesen, und wir sagen dass wir einen Schauspieler, der sie spielen soll, erwarten, und so sehen wir, wie wir ihm näherkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":321,"orig":"Nachdem ſie darüber einig waren, wendete ſich das Geſpräch auf den Geiſt.","norm":"Nachdem sie darüber einig waren, wendete sich das Gespräch auf den Geist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":322,"orig":"Wilhelm konnte ſich nicht entſchließen, die Rolle des lebenden Königs dem Pedanten zu überlaſſen, damit der Polterer den Geiſt ſpielen könne, und glaubte eher, daß man noch einige Zeit warten ſollte, indem ſich doch noch einige Schauſpieler gemeldet hätten, und ſich unter ihnen der rechte Mann finden könnte.","norm":"Wilhelm konnte sich nicht entschließen, die Rolle des lebenden Königs dem Pedanten zu überlassen, damit der Polterer den Geist spielen könne, und glaubte eher, dass man noch einige Zeit warten sollte, indem sich doch noch einige Schauspieler gemeldet hätten, und sich unter ihnen der rechte Mann finden könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":323,"orig":"Man kann ſich daher denken wie verwundert Wilhelm war, als er, unter der Addreſſe ſeines Theaternamens, Abends folgendes Billet mit wunderbaren Zügen verſiegelt auf ſeinem Tiſche fand:","norm":"Man kann sich daher denken wie verwundert Wilhelm war, als er, unter der Adresse seines Theaternamens, Abends folgendes Billett mit wunderbaren Zügen versiegelt auf seinem Tische fand:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":324,"orig":"»Du biſt, o ſonderbarer Jüngling, wir wiſſen es, in großer Verlegenheit.","norm":"»Du bist, o sonderbarer Jüngling, wir wissen es, in großer Verlegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":325,"orig":"Du findeſt kaum Menſchen zu deinem Hamlet, geſchweige Geiſter.","norm":"Du findest kaum Menschen zu deinem Hamlet, geschweige Geister."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":326,"orig":"Dein Eifer verdient ein Wunder;","norm":"Dein Eifer verdient ein Wunder;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":327,"orig":"Wunder können wir nicht thun, aber etwas Wunderbares ſoll geſchehen.","norm":"Wunder können wir nicht tun, aber etwas Wunderbares soll geschehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":328,"orig":"Haſt du Vertrauen, ſo ſoll zur rechten Stunde der Geiſt erſcheinen!","norm":"Hast du Vertrauen, so soll zur rechten Stunde der Geist erscheinen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":329,"orig":"Habe Muth und bleibe gefaßt!","norm":"Habe Mut und bleibe gefasst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":330,"orig":"Es bedarf keiner Antwort, dein Entſchluß wird uns bekannt werden.","norm":"Es bedarf keiner Antwort, dein Entschluss wird uns bekannt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":331,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":332,"orig":"Mit dieſem ſeltſamen Blatte eilte er zu Serlo zurück, der es las und wieder las, und endlich mit bedenklicher Miene verſicherte: die Sache ſey von Wichtigkeit, man müſſe wohl überlegen ob man es wagen dürfe und könne.","norm":"Mit diesem seltsamen Blatte eilte er zu Serlo zurück, der es las und wieder las, und endlich mit bedenklicher Miene versicherte: Die Sache sei von Wichtigkeit, man müsse wohl überlegen ob man es wagen dürfe und könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":333,"orig":"Sie ſprachen vieles hin und wieder;","norm":"Sie sprachen vieles hin und wider;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":334,"orig":"Aurelie war ſtill und lächelte von Zeit zu Zeit, und als nach einigen Tagen wieder davon die Rede war, gab ſie nicht undeutlich zu verſtehen, daß ſie es für einen Scherz von Serlo halte.","norm":"Aurelie war still und lächelte von Zeit zu Zeit, und als nach einigen Tagen wieder davon die Rede war, gab sie nicht undeutlich zu verstehen, dass sie es für einen Scherz von Serlo halte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":335,"orig":"Sie bat Wilhelmen völlig außer Sorge zu ſeyn, und den Geiſt geduldig zu erwarten.","norm":"Sie bat Wilhelm völlig außer Sorge zu sein, und den Geist geduldig zu erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":336,"orig":"Überhaupt war Serlo von dem beſten Humor; denn die abgehenden Schauſpieler gaben ſich alle mögliche Mühe gut zu ſpielen, damit man ſie ja recht vermiſſen ſollte, und von der Neugierde auf die neue Geſellſchaft konnte er auch die beſte Einnahme erwarten.","norm":"Überhaupt war Serlo von dem besten Humor; denn die abgehenden Schauspieler gaben sich alle mögliche Mühe gut zu spielen, damit man sie ja recht vermissen sollte, und von der Neugierde auf die neue Gesellschaft konnte er auch die beste Einnahme erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":337,"orig":"Sogar hatte der Umgang Wilhelms auf ihn einigen Einfluß gehabt.","norm":"Sogar hatte der Umgang Wilhelms auf ihn einigen Einfluss gehabt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":338,"orig":"Er fing an mehr über Kunſt zu ſprechen, denn er war am Ende doch ein Deutſcher, und dieſe Nation giebt ſich gern Rechenſchaft von dem was ſie thut.","norm":"Er fing an mehr über Kunst zu sprechen, denn er war am Ende doch ein Deutscher, und diese Nation gibt sich gern Rechenschaft von dem was sie tut."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":339,"orig":"Wilhelm ſchrieb ſich manche ſolche Unterredung auf; und wir werden, da die Erzählung hier nicht ſo oft unterbrochen werden darf, denjenigen unſrer Leſer die ſich dafür intereſſiren, ſolche dramaturgiſche Verſuche bey einer andern Gelegenheit vorlegen.","norm":"Wilhelm schrieb sich manche solche Unterredung auf; und wir werden, da die Erzählung hier nicht so oft unterbrochen werden darf, denjenigen unserer Leser die sich dafür interessieren, solche dramaturgische Versuche bei einer anderen Gelegenheit vorlegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":340,"orig":"Beſonders war Serlo eines Abends ſehr luſtig, als er von der Rolle des Polonius ſprach, wie er ſie zu faſſen gedachte.","norm":"Besonders war Serlo eines Abends sehr lustig, als er von der Rolle des Polonius sprach, wie er sie zu fassen gedachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":341,"orig":"Ich verſpreche, ſagte er, dieſmal einen recht würdigen Mann zum Beſten zu geben; ich werde die gehörige Ruhe und Sicherheit, Leerheit und Bedeutſamkeit, Annehmlichkeit und geſchmackloſes Weſen, Freyheit und Aufpaſſen, treuherzige Schalkheit und erlogene Wahrheit, da wo ſie hin gehören, recht zierlich aufſtellen.","norm":"Ich verspreche, sagte er, diesmal einen recht würdigen Mann zum Besten zu geben; ich werde die gehörige Ruhe und Sicherheit, Leerheit und Bedeutsamkeit, Annehmlichkeit und geschmackloses Wesen, Freiheit und Aufpassen, treuherzige Schalkheit und erlogene Wahrheit, da wo sie hingehören, recht zierlich aufstellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":342,"orig":"Ich will einen ſolchen grauen, redlichen, ausdauernden, der Zeit dienenden Halbſchelmen aufs allerhöflichſte vorſtellen und vortragen, und dazu ſollen mir die etwas rohen und groben Pinſelſtriche unſers Autors gute Dienſte leiſten.","norm":"Ich will einen solchen grauen, redlichen, ausdauernden, der Zeit dienenden Halbschelmen aufs Allerhöflichste vorstellen und vortragen, und dazu sollen mir die etwas rohen und groben Pinselstriche unseres Autors gute Dienste leisten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":343,"orig":"Ich will reden wie ein Buch, wenn ich mich vorbereitet habe, und wie ein Thor, wenn ich bey guter Laune bin.","norm":"Ich will reden wie ein Buch, wenn ich mich vorbereitet habe, und wie ein Tor, wenn ich bei guter Laune bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":344,"orig":"Ich werde abgeſchmackt ſeyn um jedem nach dem Maule zu reden, und immer ſo fein, es nicht zu merken wenn mich die Leute zum Beſten haben.","norm":"Ich werde abgeschmackt sein um jedem nach dem Maule zu reden, und immer so fein, es nicht zu merken wenn mich die Leute zum Besten haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":345,"orig":"Nicht leicht habe ich eine Rolle mit ſolcher Luſt und Schalkheit übernommen.","norm":"Nicht leicht habe ich eine Rolle mit solcher Lust und Schalkheit übernommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":346,"orig":"Wenn ich nur auch von der meinigen ſo viel hoffen könnte, ſagte Aurelie.","norm":"Wenn ich nur auch von der meinigen so viel hoffen könnte, sagte Aurelie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":347,"orig":"Ich habe weder Jugend noch Weichheit genug, um mich in dieſen Charakter zu finden.","norm":"Ich habe weder Jugend noch Weichheit genug, um mich in diesen Charakter zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":348,"orig":"Nur eins weiß ich leider: daß Gefühl, das Ophelien den Kopf verrückt, wird mich nicht verlaſſen.","norm":"Nur eins weiß ich leider: dass Gefühl, das Ophelia den Kopf verrückt, wird mich nicht verlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":349,"orig":"Wir wollen es ja nicht ſo genau nehmen, ſagte Wilhelm: denn eigentlich hat mein Wunſch den Hamlet zu ſpielen, mich bey alIem Studium des Stücks, aufs Äußerſte irre geführt.","norm":"Wir wollen es ja nicht so genau nehmen, sagte Wilhelm: denn eigentlich hat mein Wunsch den Hamlet zu spielen, mich bei allem Studium des Stücks, aufs Äußerste irregeführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":350,"orig":"Je mehr ich mich in die Rolle ſtudiere, deſto mehr ſehe ich, daß in meiner ganzen Geſtalt kein Zug der Phyſiognomie iſt, wie Shakeſpear ſeinen Hamlet aufſtellt.","norm":"Je mehr ich mich in die Rolle studiere, desto mehr sehe ich, dass in meiner ganzen Gestalt kein Zug der Physiognomie ist, wie Shakespeare seinen Hamlet aufstellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":351,"orig":"Wenn ich es recht überlege, wie genau in der Rolle alles zuſammen hängt, ſo getraue ich mir kaum eine leidliche Wirkung hervor zu bringen.","norm":"Wenn ich es recht überlege, wie genau in der Rolle alles zusammenhängt, so getraue ich mir kaum eine leidliche Wirkung hervorzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":352,"orig":"Sie treten mit großer Gewiſſenhaftigkeit in Ihre Laufbahn, verſetzte Serlo: der Schauſpieler ſchickt ſich in die Rolle wie er kann, und die Rolle richtet ſich nach ihm wie ſie muß.","norm":"Sie treten mit großer Gewissenhaftigkeit in Ihre Laufbahn, versetzte Serlo: Der Schauspieler schickt sich in die Rolle wie er kann, und die Rolle richtet sich nach ihm wie sie muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":353,"orig":"Wie hat aber Shakeſpear ſeinen Hamlet vorgezeichnet?","norm":"Wie hat aber Shakespeare seinen Hamlet vorgezeichnet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":354,"orig":"Iſt er Ihnen denn ſo ganz unähnlich?","norm":"Ist er Ihnen denn so ganz unähnlich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":355,"orig":"Zuförderſt iſt Hamlet blond, erwiederte Wilhelm.","norm":"Zuvörderst ist Hamlet blond, erwiderte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":356,"orig":"Das heiß ich weit geſucht, ſagte Aurelie.","norm":"Das heiße ich weit gesucht, sagte Aurelie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":357,"orig":"Woher ſchließen Sie das?","norm":"Woher schließen Sie das?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":358,"orig":"Als Däne, als Nordländer, iſt er blond von Hauſe aus, und hat blaue Augen.","norm":"Als Däne, als Nordländer, ist er blond von Hause aus, und hat blaue Augen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":359,"orig":"»Sollte Shakeſpear daran gedacht haben? »","norm":"»Sollte Shakespeare daran gedacht haben? »"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":360,"orig":"Beſtimmt find’ ich es nicht ausgedruckt, aber in Verbindung mit andern Stellen ſcheint es mir unwiderſprechlich.","norm":"Bestimmt finde ich es nicht ausgedrückt, aber in Verbindung mit anderen Stellen scheint es mir unwidersprechlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":361,"orig":"Ihm wird das Fechten ſauer, der Schweis läuft ihm vom Geſichte, und die Königinn ſpricht: er iſt fett, laßt ihn zu Athem kommen.","norm":"Ihm wird das Fechten sauer, der Schweiß läuft ihm vom Gesichte, und die Königin spricht: Er ist fett, lasst ihn zu Atem kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":362,"orig":"Kann man ſich ihn da anders als blond und wohlbehäglich vorſtellen, denn braune Leute ſind in ihrer Jugend ſelten in dieſem Falle.","norm":"Kann man sich ihn da anders als blond und wohlbehaglich vorstellen, denn braune Leute sind in ihrer Jugend selten in diesem Falle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":363,"orig":"Paßt nicht auch ſeine ſchwankende Melancholie, ſeine weiche Trauer, ſeine thätige Unentſchloſſenheit, beſſer zu einer ſolchen Geſtalt, als wenn Sie ſich einen ſchlanken, braunlockigen Jüngling denken, von dem man mehr Entſchloſſenheit und Behendigkeit erwartet?","norm":"Passt nicht auch seine schwankende Melancholie, seine weiche Trauer, seine tätige Unentschlossenheit, besser zu einer solchen Gestalt, als wenn Sie sich einen schlanken, braunlockigen Jüngling denken, von dem man mehr Entschlossenheit und Behändigkeit erwartet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":364,"orig":"Sie verderben mir die Imagination, rief Aurelie, weg mit Ihrem fetten Hamlet!","norm":"Sie verderben mir die Imagination, rief Aurelie, weg mit Ihrem fetten Hamlet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":365,"orig":"ſtellen Sie uns ja nicht Ihren wohlbeleibten Prinzen vor!","norm":"stellen Sie uns ja nicht Ihren wohlbeleibten Prinzen vor!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":366,"orig":"Geben Sie uns lieber irgend ein Quiproquo, das uns reizt, das uns rührt.","norm":"Geben Sie uns lieber irgendein Quiproquo, das uns reizt, das uns rührt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":367,"orig":"Die Intention des Autors liegt uns nicht ſo nahe als unſer Vergnügen, und wir verlangen einen Reiz, der uns homogen iſt.","norm":"Die Intention des Autors liegt uns nicht so nahe als unser Vergnügen, und wir verlangen einen Reiz, der uns homogen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":368,"orig":"Einen Abend ſtritt die Geſellſchaft ob der Roman oder das Drama den Vorzug verdiene?","norm":"Einen Abend stritt die Gesellschaft ob der Roman oder das Drama den Vorzug verdiene?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":369,"orig":"Serlo verſicherte, es ſey ein vergeblicher, mißverſtandner Streit; beyde könnten in ihrer Art vortrefflich ſeyn, nur müßten ſie ſich in den Gränzen ihrer Gattung halten.","norm":"Serlo versicherte, es sei ein vergeblicher, missverstandener Streit; beide könnten in ihrer Art vortrefflich sein, nur müssten sie sich in den Grenzen ihrer Gattung halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":370,"orig":"Ich bin ſelbſt noch nicht ganz im Klaren darüber, verſetzte Wilhelm.","norm":"Ich bin selbst noch nicht ganz im Klaren darüber, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":371,"orig":"Wer iſt es auch?","norm":"Wer ist es auch?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":372,"orig":"ſagte Serlo, und doch wäre es der Mühe werth, daß man der Sache näher käme.","norm":"sagte Serlo, und doch wäre es der Mühe wert, dass man der Sache näher käme."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":373,"orig":"Sie ſprachen viel herüber und hinüber, und endlich war folgendes ohngefähr das Reſultat ihrer Unterhaltung:","norm":"Sie sprachen viel herüber und hinüber, und endlich war folgendes ungefähr das Resultat ihrer Unterhaltung:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":374,"orig":"Im Roman wie im Drama ſehen wir menſchliche Natur und Handlung.","norm":"Im Roman wie im Drama sehen wir menschliche Natur und Handlung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":375,"orig":"Der Unterſchied beyder Dichtungsarten liegt nicht bloß in der äußern Form, nicht darin, daß die Perſonen in dem einen ſprechen, und daß in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt wird.","norm":"Der Unterschied beider Dichtungsarten liegt nicht bloß in der äußeren Form, nicht darin, dass die Personen in dem einen sprechen, und dass in dem anderen gewöhnlich von ihnen erzählt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":376,"orig":"Leider viele Dramas ſind nur dialogirte Romane, und es wäre nicht unmöglich ein Drama in Briefen zu ſchreiben.","norm":"Leider viele Dramen sind nur dialogierte Romane, und es wäre nicht unmöglich ein Drama in Briefen zu schreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":377,"orig":"Im Roman ſollen vorzüglich Geſinnungen und Begebenheiten vorgeſtellt werden; im Drama Charactere und Thaten.","norm":"Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Begebenheiten vorgestellt werden; im Drama Charaktere und Taten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":378,"orig":"Der Roman muß langſam gehen, und die Geſinnungen der Hauptfigur müſſen, es ſey auf welche Weiſe es wolle, des Vordringen des Ganzen zur Entwickelung aufhalten.","norm":"Der Roman muss langsam gehen, und die Gesinnungen der Hauptfigur müssen, es sei auf welche Weise es wolle, das Vordringen des Ganzen zur Entwicklung aufhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":379,"orig":"Das Drama ſoll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß ſich nach dem Ende drängen, und nur aufgehalten werden.","norm":"Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muss sich nach dem Ende drängen, und nur aufgehalten werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":380,"orig":"Der Romanenheld muß leidend, wenigſtens nicht im hohen Grade wirkend ſeyn; von dem dramatiſchen verlangt man Wirkung und That.","norm":"Der Romanheld muss leidend, wenigstens nicht im hohen Grade wirkend sein; von dem dramatischen verlangt man Wirkung und Tat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":381,"orig":"Grandiſon, Clariſſe, Pamela, der Landprieſter von Wakefield, Tom Jones ſelbſt ſind, wo nicht leidende, doch retardirende Perſonen, und alle Begebenheiten werden gewiſſermaßen nach ihren Geſinnungen gemodelt.","norm":"Grandison, Clarisse, Pamela, der Landpriester von Wakefield, Tom Jones selbst sind, wo nicht leidende, doch retardierende Personen, und alle Begebenheiten werden gewissermaßen nach ihren Gesinnungen gemodelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":382,"orig":"Im Drama modelt der Held nichts nach ſich, alles widerſteht ihm, und er räumt und rückt die Hinderniſſe aus dem Wege, oder unterliegt ihnen.","norm":"Im Drama modelt der Held nichts nach sich, alles widersteht ihm, und er räumt und rückt die Hindernisse aus dem Wege, oder unterliegt ihnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":383,"orig":"So vereinigte man ſich auch darüber, daß man dem Zufall im Roman gar wohl ſein Spiel erlauben könne; daß er aber immer durch die Geſinnungen der Perſonen gelenkt und geleitet werden müſſe; daß hingegen das Schickſal, das die Menſchen, ohne ihr Zuthun, durch unzuſammenhängende äußere Umſtände zu einer unvorgeſehenen Cataſtrophe hindrängt, nur im Drama ſtatt habe; daß der Zufall wohl pathetiſche, niemals aber tragiſche, Situationen hervorbringen dürfe; das Schickſal hingegen müſſe immer fürchterlich ſeyn, und werde im höchſten Sinne tragiſch, wenn es ſchuldige und unſchuldige von einander unabhängige Thaten in eine unglückliche Verknüpfung bringt.","norm":"So vereinigte man sich auch darüber, dass man dem Zufall im Roman gar wohl sein Spiel erlauben könne; dass er aber immer durch die Gesinnungen der Personen gelenkt und geleitet werden müsse; dass hingegen das Schicksal, das die Menschen, ohne ihr Zutun, durch unzusammenhängende äußere Umstände zu einer unvorgesehenen Katastrophe hindrängt, nur im Drama statthabe; dass der Zufall wohl pathetische, niemals aber tragische, Situationen hervorbringen dürfe; das Schicksal hingegen müsse immer fürchterlich sein, und werde im höchsten Sinne tragisch, wenn es schuldige und unschuldige voneinander unabhängige Taten in eine unglückliche Verknüpfung bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":384,"orig":"Dieſe Betrachtungen führten wieder auf den wunderlichen Hamlet, und auf die Eigenheiten dieſes Stücks.","norm":"Diese Betrachtungen führten wieder auf den wunderlichen Hamlet, und auf die Eigenheiten dieses Stücks."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":385,"orig":"Der Held, ſagte man, hat eigentlich auch nur Geſinnungen; es ſind nur Begebenheiten die zu ihm ſtoßen, und deswegen hat das Stück etwas von dem gedehnten des Romans: weil aber das Schickſal den Plan gezeichnet hat, weil das Stück von einer fürchterlichen That ausgeht, und der Held immer vorwärts zu einer fürchterlichen That gedrängt wird, ſo iſt es im höchſten Sinne tragiſch, und leidet keinen andern als einen tragiſchen Ausgang.","norm":"Der Held, sagte man, hat eigentlich auch nur Gesinnungen; es sind nur Begebenheiten die zu ihm stoßen, und deswegen hat das Stück etwas von dem Gedehnten des Romans: weil aber das Schicksal den Plan gezeichnet hat, weil das Stück von einer fürchterlichen Tat ausgeht, und der Held immer vorwärts zu einer fürchterlichen Tat gedrängt wird, so ist es im höchsten Sinne tragisch, und leidet keinen anderen als einen tragischen Ausgang."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":386,"orig":"Nun ſollte Leſeprobe gehalten werden, welche Wilhelm eigentlich als ein Feſt anſah.","norm":"Nun sollte Leseprobe gehalten werden, welche Wilhelm eigentlich als ein Fest ansah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":387,"orig":"Er hatte die Rollen vorher collationirt, daß alſo von dieſer Seite kein Anſtoß ſeyn konnte.","norm":"Er hatte die Rollen vorher kollationiert, dass also von dieser Seite kein Anstoß sein konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":388,"orig":"Die ſämmtlichen Schauſpieler waren mit dem Stücke bekannt, und er ſuchte ſie nur, ehe ſie anfingen, von der Wichtigkeit einer Leſeprobe zu überzeugen.","norm":"Die sämtlichen Schauspieler waren mit dem Stücke bekannt, und er suchte sie nur, ehe sie anfingen, von der Wichtigkeit einer Leseprobe zu überzeugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":389,"orig":"Wie man von jedem Muſikus verlange, daß er, bis auf einen gewiſſen Grad, vom Blatte ſpielen könne, ſo ſolle auch jeder Schauſpieler, ja jeder wohlerzogene Menſch, ſich üben vom Blatte zu leſen, einem Drama, einem Gedicht, einer Erzählung ſogleich ihren Charakter abzugewinnen, und ſie mit Fertigkeit vorzutragen.","norm":"Wie man von jedem Musikus verlange, dass er, bis auf einen gewissen Grad, vom Blatte spielen könne, so solle auch jeder Schauspieler, ja jeder wohlerzogene Mensch, sich üben vom Blatte zu lesen, einem Drama, einem Gedicht, einer Erzählung sogleich ihren Charakter abzugewinnen, und sie mit Fertigkeit vorzutragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":390,"orig":"Alles Memoriren helfe nichts, wenn der Schauſpieler nicht vorher in den Geiſt und Sinn des guten Schriftſtellers eingedrungen ſey, der Buchſtabe könne nichts wirken.","norm":"Alles Memorieren helfe nichts, wenn der Schauspieler nicht vorher in den Geist und Sinn des guten Schriftstellers eingedrungen sei, der Buchstabe könne nichts wirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":391,"orig":"Serlo verſicherte, daß er jeder andern Probe, ja der Hauptprobe nachſehen wolle, ſobald der Leſeprobe ihr Recht wiederfahren ſey: denn gewöhnlich, ſagte er, iſt nichts luſtiger, als wenn Schauſpieler von Studieren ſprechen; es kommt mir eben ſo vor, als wenn die Freymäurer von Arbeiten reden.","norm":"Serlo versicherte, dass er jeder anderen Probe, ja der Hauptprobe nachsehen wolle, sobald der Leseprobe ihr Recht widerfahren sei: denn gewöhnlich, sagte er, ist nichts lustiger, als wenn Schauspieler von Studieren sprechen; es kommt mir ebenso vor, als wenn die Freimaurer von Arbeiten reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":392,"orig":"Die Probe lief nach Wunſch ab, und man kann ſagen, daß der Ruhm und die gute Einnahme der Geſellſchaft ſich auf dieſe wenigen wohlangewandten Stunden gründete.","norm":"Die Probe lief nach Wunsch ab, und man kann sagen, dass der Ruhm und die gute Einnahme der Gesellschaft sich auf diese wenigen wohlangewandten Stunden gründete."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":393,"orig":"Sie haben wohl gethan, mein Freund, ſagte Serlo, nachdem ſie wieder allein waren, daß Sie unſern Mitarbeitern ſo ernſtlich zuſprachen, wenn ich gleich fürchte, daß ſie Ihre Wünſche ſchwerlich erfüllen werden.","norm":"Sie haben wohl getan, mein Freund, sagte Serlo, nachdem sie wieder allein waren, dass Sie unseren Mitarbeitern so ernstlich zusprachen, wenn ich gleich fürchte, dass sie Ihre Wünsche schwerlich erfüllen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":394,"orig":"Wie ſo?","norm":"Wieso?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":395,"orig":"verſetzte Wilhelm.","norm":"versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":396,"orig":"Ich habe gefunden, ſagte Serlo, daß ſo leicht man der Menſchen Imagination in Bewegung ſetzen kann, ſo gern ſie ſich Mährchen erzählen laſſen, eben ſo ſelten iſt es, eine Art von productiver Imagination bey ihnen zu finden.","norm":"Ich habe gefunden, sagte Serlo, dass so leicht man der Menschen Imagination in Bewegung setzen kann, so gern sie sich Märchen erzählen lassen, ebenso selten ist es, eine Art von produktiver Imagination bei ihnen zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":397,"orig":"Bey den Schauſpielern iſt dieſes ſehr auffallend.","norm":"Bei den Schauspielern ist dieses sehr auffallend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":398,"orig":"Jeder iſt ſehr wohl zufrieden eine ſchöne lobenswürdige brillante Rolle zu übernehmen; ſelten aber thut einer mehr, als ſich mit Selbſtgefälligkeit an die Stelle des Helden zu ſetzen, ohne ſich im mindeſten zu bekümmern, ob ihn auch jemand dafür halten werde.","norm":"Jeder ist sehr wohl zufrieden eine schöne lobenswürdige brillante Rolle zu übernehmen; selten aber tut einer mehr, als sich mit Selbstgefälligkeit an die Stelle des Helden zu setzen, ohne sich im mindesten zu bekümmern, ob ihn auch jemand dafür halten werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":399,"orig":"Aber mit Lebhaftigkeit zu umfaſſen was ſich der Autor beym Stück gedacht hat, was man von ſeiner Individualität hingeben müſſe um einer Rolle genug zu thun, wie man durch eigene Überzeugung, man ſey ein ganz anderer Menſch, den Zuſchauer gleichfalls zur Überzeugung hinreiſſe; wie man, durch eine innere Wahrheit der Darſtellungskraft, dieſe Bretter in Tempel, dieſe Pappen in Wälder verwandelt, iſt wenigen gegeben.","norm":"Aber mit Lebhaftigkeit zu umfassen was sich der Autor beim Stück gedacht hat, was man von seiner Individualität hingeben müsse um einer Rolle genugzutun, wie man durch eigene Überzeugung, man sei ein ganz anderer Mensch, den Zuschauer gleichfalls zur Überzeugung hinreiße; wie man, durch eine innere Wahrheit der Darstellungskraft, diese Bretter in Tempel, diese Pappen in Wälder verwandelt, ist wenigen gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":400,"orig":"Dieſe innere Stärke des Geiſtes, wodurch ganz allein der Zuſchauer getäuſcht wird, dieſe erlogene Wahrheit, die ganz allein Wirkung hervorbringt, wodurch ganz allein die Illuſion erzielt wird, wer hat davon einen Begriff?","norm":"Diese innere Stärke des Geistes, wodurch ganz allein der Zuschauer getäuscht wird, diese erlogene Wahrheit, die ganz allein Wirkung hervorbringt, wodurch ganz allein die Illusion erzielt wird, wer hat davon einen Begriff?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":401,"orig":"Laſſen Sie uns daher ja nicht zu ſehr auf Geiſt und Empfindung dringen!","norm":"Lassen Sie uns daher ja nicht zu sehr auf Geist und Empfindung dringen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":402,"orig":"Das ſicherſte Mittel iſt, wenn wir unſern Freunden mit Gelaſſenheit zuerſt den Sinn des Buchſtabens erklären, und ihnen den Verſtand eröffnen.","norm":"Das sicherste Mittel ist, wenn wir unseren Freunden mit Gelassenheit zuerst den Sinn des Buchstabens erklären, und ihnen den Verstand eröffnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":403,"orig":"Wer Anlage hat, eilt alsdann ſelbſt dem geiſtreichen und empfindungsvollen Ausdrucke entgegen; und wer ſie nicht hat, wird wenigſtens niemals ganz falſch ſpielen uud rezitiren.","norm":"Wer Anlage hat, eilt alsdann selbst dem geistreichen und empfindungsvollen Ausdrucke entgegen; und wer sie nicht hat, wird wenigstens niemals ganz falsch spielen und rezitieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":404,"orig":"Ich habe aber bey Schauſpielern, ſo wie überhaupt, keine ſchlimmere Anmaßung gefunden, als wenn jemand Anſprüche an Geiſt macht, ſo lange ihm der Buchſtabe noch nicht deutlich und geläufig iſt.","norm":"Ich habe aber bei Schauspielern, so wie überhaupt, keine schlimmere Anmaßung gefunden, als wenn jemand Ansprüche an Geist macht, solange ihm der Buchstabe noch nicht deutlich und geläufig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":405,"orig":"Wilhelm kam zur erſten Theaterprobe ſehr zeitig und fand ſich auf den Brettern allein, Das Lokal überraſchte ihn, und gab ihm die wunderbarſten Erinnerungen.","norm":"Wilhelm kam zur ersten Theaterprobe sehr zeitig und fand sich auf den Brettern allein, das Lokal überraschte ihn, und gab ihm die wunderbarsten Erinnerungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":406,"orig":"Die Waldund Dorfdekoration ſtand genau ſo, als auf der Bühne ſeiner Vaterſtadt, auch bey einer Probe, als ihm an jenem Morgen Mariane lebhaft ihre Liebe bekannte, und ihm die erſte glückliche Nacht zuſagte.","norm":"Die Wald- und Dorfdekoration stand genau so, als auf der Bühne seiner Vaterstadt, auch bei einer Probe, als ihm an jenem Morgen Mariane lebhaft ihre Liebe bekannte, und ihm die erste glückliche Nacht zusagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":407,"orig":"Die Bauernhäuſer glichen ſich auf dem Theater wie auf dem Lande, die wahre Morgenſonne beſchien, durch einen halb offenen Fenſterladen hereinfallend, einen Theil der Bank die neben der Thüre ſchlecht befeſtigt war, nur leider ſchien ſie nicht wie damals auf Marianens Schooß und Buſen.","norm":"Die Bauernhäuser glichen sich auf dem Theater wie auf dem Lande, die wahre Morgensonne beschien, durch einen halb offenen Fensterladen hereinfallend, einen Teil der Bank die neben der Türe schlecht befestigt war, nur leider schien sie nicht wie damals auf Marianes Schoß und Busen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":408,"orig":"Er ſetzte ſich nieder, dachte dieſer wunderbaren Übereinſtimmung nach, und glaubte zu ahnden, daß er ſie vielleicht auf dieſem Platze bald wieder ſehen werde.","norm":"Er setzte sich nieder, dachte dieser wunderbaren Übereinstimmung nach, und glaubte zu ahnen, dass er sie vielleicht auf diesem Platze bald wiedersehen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":409,"orig":"Ach, und es war weiter nichts, als daß ein Nachſpiel, zu welchem dieſe Dekoration gehörte, damals auf dem deutſchen Theater ſehr oft gegeben wurde.","norm":"Ach, und es war weiter nichts, als dass ein Nachspiel, zu welchem diese Dekoration gehörte, damals auf dem deutschen Theater sehr oft gegeben wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":410,"orig":"In dieſen Betrachtungen ſtörten ihn die übrigen ankommenden Schauſpieler, mit denen zugleich zwey Theater- und Garderobenfreunde herein traten, und Wilhelmen mit Enthuſiasmus begrüßten.","norm":"In diesen Betrachtungen störten ihn die übrigen ankommenden Schauspieler, mit denen zugleich zwei Theater- und Garderobenfreunde hereintraten, und Wilhelmen mit Enthusiasmus begrüßten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":411,"orig":"Der eine war gewiſſermaßen an Madam Melina attachirt; der andere aber ein ganz reiner Freund der Schauſpielkunſt, und beyde von der Art, wie ſich jede gute Geſellſchaft Freunde wünſchen ſollte.","norm":"Der eine war gewissermaßen an Madame Melina attachiert; der andere aber ein ganz reiner Freund der Schauspielkunst, und beide von der Art, wie sich jede gute Gesellschaft Freunde wünschen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":412,"orig":"Man wußte nicht zu ſagen, ob ſie das Theater mehr kannten oder liebten?","norm":"Man wusste nicht zu sagen, ob sie das Theater mehr kannten oder liebten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":413,"orig":"Sie liebten es zu ſehr um es recht zu kennen, ſie kannten es genug um das Gute zu ſchätzen und das Schlechte zu verbannen.","norm":"Sie liebten es zu sehr um es recht zu kennen, sie kannten es genug um das Gute zu schätzen und das Schlechte zu verbannen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":414,"orig":"Aber bey ihrer Neigung war ihnen das Mittelmäßige nicht unerträglich, und der herrliche Genuß, mit dem ſie das Gute vor und nach koſteten, war über allen Ausdruck.","norm":"Aber bei ihrer Neigung war ihnen das Mittelmäßige nicht unerträglich, und der herrliche Genuss, mit dem sie das Gute vor und nach kosteten, war über allen Ausdruck."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":415,"orig":"Das Mechaniſche machte ihnen Freude, das Geiſtige entzückte ſie, und ihre Neigung war ſo groß, daß auch eine zerſtückelte Probe ſie in eine Art von Illuſion verſetzte.","norm":"Das Mechanische machte ihnen Freude, das Geistige entzückte sie, und ihre Neigung war so groß, dass auch eine zerstückelte Probe sie in eine Art von Illusion versetzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":416,"orig":"Die Mängel ſchienen ihnen jederzeit in die Ferne zu treten, das Gute berührte ſie wie ein naher Gegenſtand.","norm":"Die Mängel schienen ihnen jederzeit in die Ferne zu treten, das Gute berührte sie wie ein naher Gegenstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":417,"orig":"Kurz ſie waren Liebhaber, wie ſie ſich der Künſtler in ſeinem Fache wünſcht.","norm":"Kurz sie waren Liebhaber, wie sie sich der Künstler in seinem Fache wünscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":418,"orig":"Ihre liebſte Wanderung war von den Couliſſen ins Parterr, vom Parterr in die Couliſſen, ihr angenehmſter Aufenthalt in der Garderobe, ihre emſigſte Beſchäftigung an der Stellung, Kleidung, Recitation und Declamation der Schauſpieler etwas zuzuſtutzen, ihr lebhafteſtes Geſpräch über den Effekt, den man hervorgebracht hatte, und ihre beſtändigſte Bemühung, den Schauſpieler aufmerkſam, thätig und genau zu erhalten, ihm etwas zu gute oder zu lieb zu thun, und, ohne Verſchwendung, der Geſellſchaft manchen Genuß zu verſchaffen.","norm":"Ihre liebste Wanderung war von den Kulissen ins Parterre, vom Parterre in die Kulissen, ihr angenehmster Aufenthalt in der Garderobe, ihre emsigste Beschäftigung an der Stellung, Kleidung, Rezitation und Deklamation der Schauspieler etwas zuzustutzen, ihr lebhaftestes Gespräch über den Effekt, den man hervorgebracht hatte, und ihre beständigste Bemühung, den Schauspieler aufmerksam, tätig und genau zu erhalten, ihm etwas zugute oder zu lieb zu tun, und, ohne Verschwendung, der Gesellschaft manchen Genuss zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":419,"orig":"Sie hatten ſich beyde das ausſchließliche Recht verſchaft, bey Proben und Aufführungen auf dem Theater zu erſcheinen.","norm":"Sie hatten sich beide das ausschließliche Recht verschafft, bei Proben und Aufführungen auf dem Theater zu erscheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":420,"orig":"Sie waren, was die Aufführung Hamlets betraf, mit Wilhelmen nicht bey allen Stellen einig; hie und da gab er nach, meiſtens aber behauptete er ſeine Meynung, und im Ganzen diente dieſe Unterhaltung ſehr zur Bildung ſeines Geſchmacks.","norm":"Sie waren, was die Aufführung Hamlets betraf, mit Wilhelm nicht bei allen Stellen einig; hie und da gab er nach, meistens aber behauptete er seine Meinung, und im Ganzen diente diese Unterhaltung sehr zur Bildung seines Geschmacks."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":421,"orig":"Er ließ die beyden Freunde ſehen wie ſehr er ſie ſchätze, und ſie dagegen weiſſagten nichts weniger von dieſen vereinten Bemühungen, als eine neue Epoche fürs deutſche Theater.","norm":"Er ließ die beiden Freunde sehen wie sehr er sie schätzte, und sie dagegen weissagten nichts weniger von diesen vereinten Bemühungen, als eine neue Epoche fürs deutsche Theater."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":422,"orig":"Die Gegenwart dieſer beyden Männer war bey den Proben ſehr nützlich.","norm":"Die Gegenwart dieser beiden Männer war bei den Proben sehr nützlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":423,"orig":"Beſonders überzeugten ſie unſre Schauſpieler, daß man bey der Probe Stellung und Action, wie man ſie bey der Aufführung zu zeigen gedenke, immerfort mit der Rede verbinden und alles zuſammen durch Gewohnheit mechaniſch vereinigen müſſe.","norm":"Besonders überzeugten sie unsere Schauspieler, dass man bei der Probe Stellung und Aktion, wie man sie bei der Aufführung zu zeigen gedenke, immerfort mit der Rede verbinden und alles zusammen durch Gewohnheit mechanisch vereinigen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":424,"orig":"Beſonders mit den Händen ſolle man ja bey der Probe einer Tragödie keine gemeine Bewegung vornehmen; ein tragiſcher Schauſpieler, der in der Probe Toback ſchnupft, mache ſie immer bange, denn höchſt wahrſcheinlich werde er an einer ſolchen Stelle, bey der Aufführung, die Priſe vermiſſen.","norm":"Besonders mit den Händen solle man ja bei der Probe einer Tragödie keine gemeine Bewegung vornehmen; ein tragischer Schauspieler, der in der Probe Tabak schnupft, mache sie immer bange, denn höchstwahrscheinlich werde er an einer solchen Stelle, bei der Aufführung, die Prise vermissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":425,"orig":"Ja ſie hielten davor, daß niemand in Stiefeln probiren ſolle, wenn die Rolle in Schuhen zu ſpielen ſey.","norm":"Ja sie hielten davor, dass niemand in Stiefeln probieren solle, wenn die Rolle in Schuhen zu spielen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":426,"orig":"Nichts aber, verſicherten ſie, ſchmerze ſie mehr, als wenn die Frauenzimmer in den Proben ihre Hände in die Rockfalten verſteckten.","norm":"Nichts aber, versicherten sie, schmerze sie mehr, als wenn die Frauenzimmer in den Proben ihre Hände in die Rockfalten versteckten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":427,"orig":"Außerdem ward durch das Zureden dieſer Männer noch etwas ſehr gutes bewirkt, daß nämlich alle Mannsperſonen exerciren lernten.","norm":"Außerdem wurde durch das Zureden dieser Männer noch etwas sehr Gutes bewirkt, dass nämlich alle Mannspersonen exerzieren lernten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":428,"orig":"Da ſo viele Militärrollen vorkommen, ſagten ſie, ſieht nichts betrübter aus als Menſchen, die nicht die mindeſte Dreſſur zeigen, in Hauptmanns- und Majors-Uniform auf dem Theater herum ſchwanken zu ſehen.","norm":"Da so viele Militärrollen vorkommen, sagten sie, sieht nichts betrübter aus als Menschen, die nicht die mindeste Dressur zeigen, in Hauptmanns- und Majorsuniform auf dem Theater herumschwanken zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":429,"orig":"Wilhelm und Laertes waren die erſten, die ſich der Pädagogik eines Unterofficiers unterwarfen, und ſetzten dabey ihre Fechtübungen mit großer Anſtrengung fort.","norm":"Wilhelm und Laertes waren die ersten, die sich der Pädagogik eines Unteroffiziers unterwarfen, und setzten dabei ihre Fechtübungen mit großer Anstrengung fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":430,"orig":"So viel Mühe gaben ſich beyde Männer mit der Ausbildung einer Geſellſchaft, die ſich ſo glücklich zuſammen gefunden hatte.","norm":"So viel Mühe gaben sich beide Männer mit der Ausbildung einer Gesellschaft, die sich so glücklich zusammengefunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":431,"orig":"Sie ſorgten für die künftige Zufriedenheit des Publikums, indeß ſich dieſes über ihre entſchiedene Liebhaberey gelegentlich aufhielt.","norm":"Sie sorgten für die künftige Zufriedenheit des Publikums, indes sich dieses über ihre entschiedene Liebhaberei gelegentlich aufhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":432,"orig":"Man wußte nicht wieviel Urſache man hatte ihnen dankbar zu ſeyn, beſonders da ſie nicht verſäumten den Schauſpielern oft den Hauptpunkt einzuſchärfen, daß es nämlich ihre Pflicht ſey laut und vernehmlich zu ſprechen.","norm":"Man wusste nicht wie viel Ursache man hatte ihnen dankbar zu sein, besonders da sie nicht versäumten den Schauspielern oft den Hauptpunkt einzuschärfen, dass es nämlich ihre Pflicht sei laut und vernehmlich zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":433,"orig":"Sie fanden hierbey mehr Widerſtand und Unwillen, als ſie anfangs gedacht hatten.","norm":"Sie fanden hierbei mehr Widerstand und Unwillen, als sie anfangs gedacht hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":434,"orig":"Die meiſten wollten ſo gehört ſeyn wie ſie ſprachen, und wenige bemühten ſich ſo zu ſprechen, daß man ſie hören könnte.","norm":"Die meisten wollten so gehört sein wie sie sprachen, und wenige bemühten sich so zu sprechen, dass man sie hören könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":435,"orig":"Einige ſchoben den Fehler aufs Gebäude, andere ſagten, man könne doch nicht ſchreyen, wenn man natürlich, heimlich oder zärtlich zu ſprechen habe.","norm":"Einige schoben den Fehler aufs Gebäude, andere sagten, man könne doch nicht schreien, wenn man natürlich, heimlich oder zärtlich zu sprechen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":436,"orig":"Unſre Theaterfreunde, die eine unſägliche Geduld hatten, ſuchten auf alle Weiſe dieſe Verwirrung zu löſen, dieſem Eigenſinne beyzukommen.","norm":"Unsere Theaterfreunde, die eine unsägliche Geduld hatten, suchten auf alle Weise diese Verwirrung zu lösen, diesem Eigensinne beizukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":437,"orig":"Sie ſparten weder Gründe noch Schmeicheleyen, und erreichten zuletzt doch ihren Endzweck, wobey ihnen das gute Beyſpiel Wilhelms beſonders zu ſtatten kam.","norm":"Sie sparten weder Gründe noch Schmeicheleien, und erreichten zuletzt doch ihren Endzweck, wobei ihnen das gute Beispiel Wilhelms besonders zustatten kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":438,"orig":"Er bat ſich aus, daß ſie ſich bey den Proben in die entferntſten Ecken ſetzen, und ſobald ſie ihn nicht vollkommen verſtünden mit dem Schlüſſel auf die Bank pochen möchten.","norm":"Er bat sich aus, dass sie sich bei den Proben in die entferntesten Ecken setzen, und sobald sie ihn nicht vollkommen verstünden mit dem Schlüssel auf die Bank pochen möchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":439,"orig":"Er artikulirte gut, ſprach gemäßigt aus, ſteigerte den Ton ſtufenweiſe, und überſchrie ſich nicht in den heftigſten Stellen.","norm":"Er artikulierte gut, sprach gemäßigt aus, steigerte den Ton stufenweise, und überschrie sich nicht in den heftigsten Stellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":440,"orig":"Die pochenden Schlüſſel hörte man bey jeder Probe weniger; nach und nach ließen ſich die andern dieſelbe Operation gefallen, und man konnte hoffen, daß das Stück endlich in allen Winkeln des Hauſes von jedermann würde verſtanden werden.","norm":"Die pochenden Schlüssel hörte man bei jeder Probe weniger; nach und nach ließen sich die anderen dieselbe Operation gefallen, und man konnte hoffen, dass das Stück endlich in allen Winkeln des Hauses von jedermann würde verstanden werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":441,"orig":"Man ſieht aus dieſem Beyſpiel wie gern die Menſchen ihren Zweck nur auf ihre eigene Weiſe erreichen möchten; wieviel Noth man hat, ihnen begreiflich zu machen was ſich eigentlich von ſelbſt verſteht, und wie ſchwer es iſt, denjenigen, der etwas zu leiſten wünſcht, zur Erkenntniß der erſten Bedingungen zu bringen, unter denen ſein Vorhaben allein möglich wird.","norm":"Man sieht aus diesem Beispiel wie gern die Menschen ihren Zweck nur auf ihre eigene Weise erreichen möchten; wie viel Not man hat, ihnen begreiflich zu machen was sich eigentlich von selbst versteht, und wie schwer es ist, denjenigen, der etwas zu leisten wünscht, zur Erkenntnis der ersten Bedingungen zu bringen, unter denen sein Vorhaben allein möglich wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":442,"orig":"Man fuhr nun fort, die nöthigen Anſtalten zu Dekorationen und Kleidern und was ſonſt erforderlich war zu machen.","norm":"Man fuhr nun fort, die nötigen Anstalten zu Dekorationen und Kleidern und was sonst erforderlich war zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":443,"orig":"Über einige Scenen und Stellen hatte Wilhelm beſondere Grillen, denen Serlo nachgab, theils in Rückſicht auf den Contract, theils aus Überzeugung, und weil er hoffte, Wilhelmen durch dieſe Gefälligkeit zu gewinnen, und in der Folge deſtomehr nach ſeinen Abſichten zu lenken.","norm":"Über einige Szenen und Stellen hatte Wilhelm besondere Grillen, denen Serlo nachgab, teils in Rücksicht auf den Kontrakt, teils aus Überzeugung, und weil er hoffte, Wilhelm durch diese Gefälligkeit zu gewinnen, und in der Folge desto mehr nach seinen Absichten zu lenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":444,"orig":"So ſollte zum Beyſpiel König und Königin bey der erſten Audienz auf dem Throne ſitzend erſcheinen, die Hofleute an den Seiten und Hamlet unbedeutend unter ihnen ſtehen.","norm":"So sollte zum Beispiel König und Königin bei der ersten Audienz auf dem Throne sitzend erscheinen, die Hofleute an den Seiten und Hamlet unbedeutend unter ihnen stehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":445,"orig":"Hamlet, ſagte er, muß ſich ruhig verhalten, ſeine ſchwarze Kleidung unterſcheidet ihn ſchon genug.","norm":"Hamlet, sagte er, muss sich ruhig verhalten, seine schwarze Kleidung unterscheidet ihn schon genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":446,"orig":"Er muß ſich eher verbergen als zum Vorſchein kommen.","norm":"Er muss sich eher verbergen als zum Vorschein kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":447,"orig":"Nur dann, wenn die Audienz geendigt iſt, wenn der König mit ihm als Sohn ſpricht, dann mag er herbey treten und die Scene ihren Gang gehen.","norm":"Nur dann, wenn die Audienz geendigt ist, wenn der König mit ihm als Sohn spricht, dann mag er herbeitreten und die Szene ihren Gang gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":448,"orig":"Noch eine Hauptſchwierigkeit machten die beyden Gemählde, auf die ſich Hamlet in der Scene mit ſeiner Mutter ſo heftig bezieht.","norm":"Noch eine Hauptschwierigkeit machten die beiden Gemälde, auf die sich Hamlet in der Szene mit seiner Mutter so heftig bezieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":449,"orig":"Mir ſollen, ſagte Wilhelm, in Lebensgröße beyde im Grunde des Zimmers neben der Hauptthüre ſichtbar ſeyn, und zwar muß der alte König in völliger Rüſtung, wie der Geiſt, auf eben der Seite hängen wo dieſer hervortritt.","norm":"Mir sollen, sagte Wilhelm, in Lebensgröße beide im Grunde des Zimmers neben der Haupttüre sichtbar sein, und zwar muss der alte König in völliger Rüstung, wie der Geist, auf eben der Seite hängen wo dieser hervortritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":450,"orig":"Ich wünſche daß die Figur mit der rechten Hand eine befehlende Stellung annehme, etwas gewandt ſey und gleichſam über die Schulter ſehe, damit ſie dem Geiſte völlig gleiche, in dem Augenblicke da dieſer zur Thüre hinaus geht.","norm":"Ich wünsche dass die Figur mit der rechten Hand eine befehlende Stellung annehme, etwas gewandt sei und gleichsam über die Schulter sehe, damit sie dem Geiste völlig gleiche, in dem Augenblicke da dieser zur Türe hinausgeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":451,"orig":"Es wird eine ſehr große Wirkung thun, wenn in dieſem Augenblick Hamlet nach dem Geiſte und die Königin nach dem Bilde ſieht.","norm":"Es wird eine sehr große Wirkung tun, wenn in diesem Augenblick Hamlet nach dem Geiste und die Königin nach dem Bilde sieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":452,"orig":"Der Stiefvater mag dann im königlichen Ornat, doch unſcheinbarer als jener vorgeſtellt werden.","norm":"Der Stiefvater mag dann im königlichen Ornat, doch unscheinbarer als jener vorgestellt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":453,"orig":"So gab es noch verſchiedene Punkte, von denen wir zu ſprechen vielleicht Gelegenheit haben.","norm":"So gab es noch verschiedene Punkte, von denen wir zu sprechen vielleicht Gelegenheit haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":454,"orig":"Sind Sie auch unerbittlich, daß Hamlet am Ende ſterben muß?","norm":"Sind Sie auch unerbittlich, dass Hamlet am Ende sterben muss?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":455,"orig":"fragte Serlo.","norm":"fragte Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":456,"orig":"Wie kann ich ihn am Leben erhalten, ſagte Wilhelm, da ihn das ganze Stück zu Tode drückt?","norm":"Wie kann ich ihn am Leben erhalten, sagte Wilhelm, da ihn das ganze Stück zu Tode drückt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":457,"orig":"Wir haben ja ſchon ſo weitläuftig darüber geſprochen.","norm":"Wir haben ja schon so weitläufig darüber gesprochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":458,"orig":"Aber das Publikum wünſcht ihn lebendig.","norm":"Aber das Publikum wünscht ihn lebendig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":459,"orig":"Ich will ihm gern jeden andern Gefallen thun, nur diesmal iſts unmöglich.","norm":"Ich will ihm gern jeden anderen Gefallen tun, nur diesmal ist es unmöglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":460,"orig":"Wir wünſchen auch, daß ein braver nützlicher Mann, der an einer chroniſchen Krankheit ſtirbt, noch länger leben möge.","norm":"Wir wünschen auch, dass ein braver nützlicher Mann, der an einer chronischen Krankheit stirbt, noch länger leben möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":461,"orig":"Die Familie weint und beſchwört den Arzt, der ihn nicht halten kann: und ſo wenig als dieſer einer Natur-Nothwendigkeit zu widerſtehen vermag, ſo wenig können wir einer anerkannten Kunſtnothwendigkeit gebieten.","norm":"Die Familie weint und beschwört den Arzt, der ihn nicht halten kann: und so wenig als dieser einer Naturnotwendigkeit zu widerstehen vermag, so wenig können wir einer anerkannten Kunstnotwendigkeit gebieten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":462,"orig":"Es iſt eine falſche Nachgiebigkeit gegen die Menge, wenn man ihnen die Empfindungen erregt, die ſie haben wollen, und nicht die ſie haben ſollen.","norm":"Es ist eine falsche Nachgiebigkeit gegen die Menge, wenn man ihnen die Empfindungen erregt, die sie haben wollen, und nicht die sie haben sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":463,"orig":"»Wer das Geld bringt, kann die Waare nach ſeinem Sinne verlangen.","norm":"»Wer das Geld bringt, kann die Ware nach seinem Sinne verlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":464,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":465,"orig":"Gewiſſermaßen; aber ein großes Publikum verdient daß man es achte, daß man es nicht wie Kinder, denen man das Geld abnehmen will, behandle.","norm":"Gewissermaßen; aber ein großes Publikum verdient dass man es achte, dass man es nicht wie Kinder, denen man das Geld abnehmen will, behandle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":466,"orig":"Man bringe ihm nach und nach durch das Gute — Gefühl und Geſchmack für das Gute bey, und es wird ſein Geld mit doppeltem Vergnügen einlegen, weil ihm der Verſtand, ja die Vernunft ſelbſt bey dieſer Ausgabe nichts vorzuwerfen hat.","norm":"Man bringe ihm nach und nach durch das Gute — Gefühl und Geschmack für das Gute bei, und es wird sein Geld mit doppeltem Vergnügen einlegen, weil ihm der Verstand, ja die Vernunft selbst bei dieser Ausgabe nichts vorzuwerfen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":467,"orig":"Man kann ihm ſchmeicheln wie einem geliebten Kinde, ſchmeicheln um es zu beſſern, um es künftig aufzuklären; nicht wie einem Vornehmen und Reichen, um den Irrthum, den man nutzt, zu verewigen.","norm":"Man kann ihm schmeicheln wie einem geliebten Kinde, schmeicheln um es zu besseren, um es künftig aufzuklären; nicht wie einem Vornehmen und Reichen, um den Irrtum, den man nutzt, zu verewigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":468,"orig":"So handelten ſie noch manches ab, das ſich beſonders auf die Frage bezog: was man noch etwa an dem Stücke verändern dürfe, und was man unberührt laſſen müſſe?","norm":"So handelten sie noch manches ab, das sich besonders auf die Frage bezog: Was man noch etwa an dem Stücke verändern dürfe, und was man unberührt lassen müsse?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":469,"orig":"Wir laſſen uns hierauf nicht weiter ein, ſondern legen vielleicht künftig die neue Bearbeitung Hamlets ſelbſt demjenigen Theile unſrer Leſer vor, der ſich etwa dafür intereſſiren könnte.","norm":"Wir lassen uns hierauf nicht weiter ein, sondern legen vielleicht künftig die neue Bearbeitung Hamlets selbst demjenigen Teile unserer Leser vor, der sich etwa dafür interessieren könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":470,"orig":"Die Hauptprobe war vorbey.","norm":"Die Hauptprobe war vorbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":471,"orig":"Sie hatte übermäßig lange gedauert.","norm":"Sie hatte übermäßig lange gedauert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":472,"orig":"Serlo und Wilhelm fanden noch manches zu beſorgen; denn ungeachtet der vielen Zeit, die man zur Vorbereitung verwendet hatte, waren doch ſehr nothwendige Anſtalten bis auf den letzten Augenblick verſchoben worden.","norm":"Serlo und Wilhelm fanden noch manches zu besorgen; denn ungeachtet der vielen Zeit, die man zur Vorbereitung verwendet hatte, waren doch sehr notwendige Anstalten bis auf den letzten Augenblick verschoben worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":473,"orig":"So waren, zum Beyſpiel, die Gemählde der beyden Könige noch nicht fertig, und die Scene zwiſchen Hamlet und ſeiner Mutter, von der man einen ſo großen Effekt hoffte, ſah noch ſehr mager aus, indem weder der Geiſt noch ſein gemahltes Ebenbild dabey gegenwärtig war.","norm":"So waren, zum Beispiel, die Gemälde der beiden Könige noch nicht fertig, und die Szene zwischen Hamlet und seiner Mutter, von der man einen so großen Effekt hoffte, sah noch sehr mager aus, indem weder der Geist noch sein gemaltes Ebenbild dabei gegenwärtig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":474,"orig":"Serlo ſcherzte bey dieſer Gelegenheit und ſagte: wir wären doch im Grunde recht übel angeführt, wenn der Geiſt ausbliebe, die Wache wirklich mit der Luft fechten, und unſer Soufleur aus der Couliſſe den Vortrag des Geiſtes ſuppliren müßte.","norm":"Serlo scherzte bei dieser Gelegenheit und sagte: Wir wären doch im Grunde recht übel angeführt, wenn der Geist ausbliebe, die Wache wirklich mit der Luft fechten, und unser Souffleur aus der Kulisse den Vortrag des Geistes supplieren müsste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":475,"orig":"Wir wollen den wunderbaren Freund nicht durch unſern Unglauben verſcheuchen, verſetzte Wilhelm; er kommt gewiß zur rechten Zeit, und wird uns ſo gut als die Zuſchauer überraſchen.","norm":"Wir wollen den wunderbaren Freund nicht durch unseren Unglauben verscheuchen, versetzte Wilhelm; er kommt gewiss zur rechten Zeit, und wird uns so gut als die Zuschauer überraschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":476,"orig":"Gewiß, rief Serlo, ich werde froh ſeyn, wenn das Stück morgen gegeben iſt, es macht uns mehr Umſtände als ich geglaubt habe.","norm":"Gewiss, rief Serlo, ich werde froh sein, wenn das Stück morgen gegeben ist, es macht uns mehr Umstände als ich geglaubt habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":477,"orig":"Aber niemand in der Welt wird froher ſeyn als ich, wenn das Stück morgen geſpielt iſt, verſetzte Philine, ſo wenig mich meine Rolle drückt.","norm":"Aber niemand in der Welt wird froher sein als ich, wenn das Stück morgen gespielt ist, versetzte Philine, so wenig mich meine Rolle drückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":478,"orig":"Denn immer und ewig von Einer Sache reden zu hören, wobey doch nichts weiter heraus kommt als eine Repräſentation, die, wie ſo viele hundert andere, vergeſſen werden wird, dazu will meine Geduld nicht hinreichen.","norm":"Denn immer und ewig von Einer Sache reden zu hören, wobei doch nichts weiter herauskommt als eine Repräsentation, die, wie so viele hundert andere, vergessen werden wird, dazu will meine Geduld nicht hinreichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":479,"orig":"Macht doch in Gottesnahmen nicht ſo viel Umſtände!","norm":"Macht doch in Gottes Namen nicht so viel Umstände!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":480,"orig":"Die Gäſte die vom Tiſche aufſtehen, haben nachher an jedem Gerichte was auszuſetzen; ja wenn man ſie zu Hauſe reden hört, ſo iſt es ihnen kaum begreiflich, wie ſie eine ſolche Noth haben ausſtehen können.","norm":"Die Gäste die vom Tische aufstehen, haben nachher an jedem Gerichte was auszusetzen; ja wenn man sie zu Hause reden hört, so ist es ihnen kaum begreiflich, wie sie eine solche Not haben ausstehen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":481,"orig":"Laſſen Sie mich Ihr Gleichniß zu meinem Vortheile brauchen, ſchönes Kind, verſetzte Wilhelm.","norm":"Lassen Sie mich Ihr Gleichnis zu meinem Vorteile brauchen, schönes Kind, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":482,"orig":"Bedenken Sie was Natur und Kunſt, was Handel, Gewerke und Gewerbe zuſammen ſchaffen müſſen, bis ein Gaſtmahl gegeben werden kann.","norm":"Bedenken Sie was Natur und Kunst, was Handel, Gewerke und Gewerbe zusammen schaffen müssen, bis ein Gastmahl gegeben werden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":483,"orig":"Wie viel Jahre muß der Hirſch im Walde, der Fiſch im Fluß oder Meere zubringen, bis er unſre Tafel zu beſetzen würdig iſt, und was hat die Hausfrau, die Köchin nicht alles in der Küche zu thun?","norm":"Wie viel Jahre muss der Hirsch im Walde, der Fisch im Fluss oder Meere zubringen, bis er unsere Tafel zu besetzen würdig ist, und was hat die Hausfrau, die Köchin nicht alles in der Küche zu tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":484,"orig":"Mit welcher Nachläſſigkeit ſchlürft man die Sorge des entfernteſten Winzers, des Schiffers, des Kellermeiſters, beym Nachtiſche hinunter, als müſſe es nur ſo ſeyn.","norm":"Mit welcher Nachlässigkeit schlürft man die Sorge des entferntesten Winzers, des Schiffers, des Kellermeisters, beim Nachtische hinunter, als müsse es nur so sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":485,"orig":"Und ſollten deswegen alle dieſe Menſchen nicht arbeiten, nicht ſchaffen und bereiten, ſollte der Hausherr das alles nicht ſorgfältig zuſammenbringen und zuſammen halten, weil am Ende der Genuß nur vorübergehend iſt?","norm":"Und sollten deswegen alle diese Menschen nicht arbeiten, nicht schaffen und bereiten, sollte der Hausherr das alles nicht sorgfältig zusammenbringen und zusammenhalten, weil am Ende der Genuss nur vorübergehend ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":486,"orig":"Aber kein Genuß iſt vorübergehend; denn der Eindruck den er zurückläßt iſt bleibend, und was man mit Fleiß und Anſtrengung thut, theilt dem Zuſchauer ſelbſt eine verborgene Kraft mit, von der man nicht wiſſen kann wie weit ſie wirkt.","norm":"Aber kein Genuss ist vorübergehend; denn der Eindruck den er zurücklässt ist bleibend, und was man mit Fleiß und Anstrengung tut, teilt dem Zuschauer selbst eine verborgene Kraft mit, von der man nicht wissen kann wie weit sie wirkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":487,"orig":"Mir iſt alles einerley, verſetzte Philine, nur muß ich auch dießmal erfahren, daß Männer immer im Widerſpruch mit ſich ſelbſt ſind.","norm":"Mir ist alles einerlei, versetzte Philine, nur muss ich auch diesmal erfahren, dass Männer immer im Widerspruch mit sich selbst sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":488,"orig":"Bey all eurer Gewiſſenhaftigkeit, den großen Autor nicht verſtümmeln zu wollen, laßt ihr doch den ſchönſten Gedanken aus dem Stücke.","norm":"Bei all eurer Gewissenhaftigkeit, den großen Autor nicht verstümmeln zu wollen, lasst ihr doch den schönsten Gedanken aus dem Stücke."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":489,"orig":"Den ſchönſten?","norm":"Den schönsten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":490,"orig":"rief Wilhelm.","norm":"rief Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":491,"orig":"Gewiß den ſchönſten, auf den ſich Hamlet ſelbſt was zu gute thut.","norm":"Gewiss den schönsten, auf den sich Hamlet selbst was zugute tut."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":492,"orig":"»","norm":"»"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":493,"orig":"Und der wäre?","norm":"Und der wäre?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":494,"orig":"rief Serlo.","norm":"rief Serlo."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":495,"orig":"Wenn Sie eine Perücke auf hätten, verſetzte Philine, würde ich ſie Ihnen ganz ſäuberlich abnehmen; denn es ſcheint nöthig, daß man Ihnen das Verſtändniß eröffne.","norm":"Wenn Sie eine Perücke aufhätten, versetzte Philine, würde ich sie Ihnen ganz säuberlich abnehmen; denn es scheint nötig, dass man Ihnen das Verständnis eröffne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":496,"orig":"Die andern dachten nach, und die Unterhaltung ſtockte.","norm":"Die anderen dachten nach, und die Unterhaltung stockte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":497,"orig":"Man war aufgeſtanden, es war ſchon ſpät, man ſchien auseinander gehen zu wollen.","norm":"Man war aufgestanden, es war schon spät, man schien auseinandergehen zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":498,"orig":"Als man ſo unentſchloſſen da ſtand, fing Philine ein Liedchen, auf eine ſehr zierliche und gefällige Melodie, zu ſingen an.","norm":"Als man so unentschlossen dastand, fing Philine ein Liedchen, auf eine sehr zierliche und gefällige Melodie, zu singen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":499,"orig":"Singet nicht in Trauertönen Von der Einſamkeit der Nacht, Nein, ſie iſt, o holde Schönen, Zur Geſelligkeit gemacht.","norm":"Singet nicht in Trauertönen von der Einsamkeit der Nacht, Nein, sie ist, o holde Schönen, zur Geselligkeit gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":500,"orig":"Wie das Weib dem Mann gegeben Als die ſchönſte Hälfte war, Iſt die Nacht das halbe Leben, Und die ſchönſte Hälfte zwar.","norm":"Wie das Weib dem Mann gegeben als die schönste Hälfte war, ist die Nacht das halbe Leben, und die schönste Hälfte zwar."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":501,"orig":"Könnt ihr euch des Tages freuen Der nur Freuden unterbricht?","norm":"Könnt ihr euch des Tages freuen der nur Freuden unterbricht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":502,"orig":"Er iſt gut ſich zu zerſtreuen, Zu was anderm taugt er nicht.","norm":"Er ist gut sich zu zerstreuen, zu was anderem taugt er nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":503,"orig":"Aber wenn in nächt’ger Stunde Süßer Lampe Dämmrung fließt, Und vom Mund zum nahen Munde Scherz und Liebe ſich ergießt;","norm":"Aber wenn in nächtiger Stunde süßer Lampe Dämmerung fließt, und vom Mund zum nahen Munde Scherz und Liebe sich ergießt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":504,"orig":"Wenn der raſche loſe Knabe, Der ſonſt wild und feurig eilt, Oft, bey einer kleinen Gabe, Unter leichten Spielen weilt;","norm":"Wenn der rasche lose Knabe, der sonst wild und feurig eilt, oft, bei einer kleinen Gabe, unter leichten Spielen weilt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":505,"orig":"Wenn die Nachtigall Verliebten Liebevoll ein Liedchen ſingt, Das Gefangnen und Betrübten Nur wie Ach und Wehe klingt:","norm":"Wenn die Nachtigall verliebten Liebevoll ein Liedchen singt, das Gefangenen und Betrübten nur wie Ach und Wehe klingt:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":506,"orig":"Mit wie leichtem Herzensregen Horchet ihr der Glocke nicht, Die mit zwölf bedächt’gen Schlägen Ruh und Sicherheit verſpricht!","norm":"Mit wie leichtem Herzensregen Horchet ihr der Glocke nicht, die mit zwölf bedächtigen Schlägen Ruhe und Sicherheit verspricht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":507,"orig":"Darum an dem langen Tage Merke dir es, liebe Bruſt:","norm":"Darum an dem langen Tage Merke dir es, liebe Brust:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":508,"orig":"Jeder Tag hat ſeine Plage Und die Nacht hat ihre Luſt.","norm":"Jeder Tag hat seine Plage und die Nacht hat ihre Lust."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":509,"orig":"Sie machte eine leichte Verbeugung als ſie geendigt hatte, und Serlo rief ihr ein lautes Bravo zu.","norm":"Sie machte eine leichte Verbeugung als sie geendigt hatte, und Serlo rief ihr ein lautes Bravo zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":510,"orig":"Sie ſprang zur Thür hinaus und eilte mit Gelächter fort.","norm":"Sie sprang zur Tür hinaus und eilte mit Gelächter fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":511,"orig":"Man hörte ſie die Treppe hinunter ſingen und mit den Abſätzen klappern.","norm":"Man hörte sie die Treppe hinunter singen und mit den Absätzen klappern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":512,"orig":"Serlo ging in das Seitenzimmer, und Aurelie blieb vor Wilhelmen, der ihr eine gute Nacht wünſchte, noch einige Augenblicke ſtehen und ſagte:","norm":"Serlo ging in das Seitenzimmer, und Aurelie blieb vor Wilhelmen, der ihr eine gute Nacht wünschte, noch einige Augenblicke stehen und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":513,"orig":"Wie ſie mir zuwider iſt!","norm":"Wie sie mir zuwider ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":514,"orig":"recht meinem innern Weſen zuwider!","norm":"recht meinem inneren Wesen zuwider!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":515,"orig":"bis auf die kleinſten Zufälligkeiten.","norm":"bis auf die kleinsten Zufälligkeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":516,"orig":"Die rechte braune Augenwimper bey den blonden Haaren, die der Bruder ſo reizend findet, mag ich gar nicht anſehn, und die Schramme auf der Stirne hat mir ſo was widriges, ſo was niedriges, daß ich immer zehen Schritte von ihr zurück treten möchte.","norm":"Die rechte braune Augenwimper bei den blonden Haaren, die der Bruder so reizend findet, mag ich gar nicht ansehen, und die Schramme auf der Stirn hat mir so was Widriges, so was Niedriges, dass ich immer zehn Schritte von ihr zurücktreten möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":517,"orig":"Sie erzählte neulich als einen Scherz, ihr Vater habe ihr in ihrer Kindheit einen Teller an den Kopf geworfen, davon ſie noch das Zeichen trage.","norm":"Sie erzählte neulich als einen Scherz, ihr Vater habe ihr in ihrer Kindheit einen Teller an den Kopf geworfen, davon sie noch das Zeichen trage."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":518,"orig":"Wohl iſt ſie recht an Augen und Stirne gezeichnet, daß man ſich vor ihr hüten möge.","norm":"Wohl ist sie recht an Augen und Stirn gezeichnet, dass man sich vor ihr hüten möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":519,"orig":"Wilhelm antwortete nichts, und Aurelie ſchien mit mehr Unwillen fortzufahren:","norm":"Wilhelm antwortete nichts, und Aurelie schien mit mehr Unwillen fortzufahren:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":520,"orig":"Es iſt mir beynahe unmöglich ein freundliches höfIiches Wort mit ihr zu reden, ſo ſehr haſſe ich ſie, und doch iſt ſie ſo anſchmiegend.","norm":"Es ist mir beinahe unmöglich ein freundliches höfliches Wort mit ihr zu reden, so sehr hasse ich sie, und doch ist sie so anschmiegend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":521,"orig":"Ich wollte wir wären ſie los.","norm":"Ich wollte wir wären sie los."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":522,"orig":"Auch Sie, mein Freund, haben eine gewiſſe Gefälligkeit gegen dieſes Geſchöpf, ein Betragen, das mich in der Seele kränkt, eine Aufmerkſamkeit, die an Achtung gränzt, und die ſie bey Gott nicht verdient!","norm":"Auch Sie, mein Freund, haben eine gewisse Gefälligkeit gegen dieses Geschöpf, ein Betragen, das mich in der Seele kränkt, eine Aufmerksamkeit, die an Achtung grenzt, und die sie bei Gott nicht verdient!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":523,"orig":"Wie ſie iſt, bin ich ihr Dank ſchuldig, verſetzte Wilhelm; ihre Aufführung iſt zu tadeln, ihrem Charakter muß ich Gerechtigkeit","norm":"Wie sie ist, bin ich ihr Dank schuldig, versetzte Wilhelm; ihre Aufführung ist zu tadeln, ihrem Charakter muss ich Gerechtigkeit"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":524,"orig":"wiederfahren laſſen.","norm":"widerfahren lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":525,"orig":"Charakter!","norm":"Charakter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":526,"orig":"rief Aurelie: glauben Sie, daß ſo eine Creatur einen Charakter hat?","norm":"rief Aurelie: glauben Sie, dass so eine Kreatur einen Charakter hat?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":527,"orig":"O ihr Männer, daran erkenne ich euch!","norm":"O ihr Männer, daran erkenne ich euch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":528,"orig":"Solcher Frauen ſeyd ihr werth!","norm":"Solcher Frauen seid ihr wert!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":529,"orig":"Sollten Sie mich in Verdacht haben, meine Freundin?","norm":"Sollten Sie mich in Verdacht haben, meine Freundin?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":530,"orig":"verſetzte Wilhelm.","norm":"versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":531,"orig":"Ich will von jeder Minute Rechenſchaft geben, die ich mit ihr zugebracht habe.","norm":"Ich will von jeder Minute Rechenschaft geben, die ich mit ihr zugebracht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":532,"orig":"Nun, nun, ſagte Aurelie, es iſt ſpät, wir wollen nicht ſtreiten.","norm":"Nun, nun, sagte Aurelie, es ist spät, wir wollen nicht streiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":533,"orig":"Alle wie einer, einer wie alle!","norm":"Alle wie einer, einer wie alle!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":534,"orig":"Gute Nacht mein Freund!","norm":"Gute Nacht mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":535,"orig":"gute Nacht mein feiner Paradiesvogel!","norm":"gute Nacht mein feiner Paradiesvogel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":536,"orig":"Wilhelm fragte, wie er zu dieſem Ehrentitel komme?","norm":"Wilhelm fragte, wie er zu diesem Ehrentitel komme?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":537,"orig":"Ein andermal, verſetzte Aurelie, ein andermal.","norm":"Ein andermal, versetzte Aurelie, ein andermal."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":538,"orig":"Man ſagt, ſie hätten keine Füße, ſie ſchwebten nur in der Luft, und nährten ſich vom Äther.","norm":"Man sagt, sie hätten keine Füße, sie schwebten nur in der Luft, und nährten sich vom Äther."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":539,"orig":"Es iſt aber ein Mährchen, fuhr ſie fort, eine poetiſche Fiction.","norm":"Es ist aber ein Märchen, fuhr sie fort, eine poetische Fiktion."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":540,"orig":"Gute Nacht, laßt euch was ſchönes träumen wenn ihr Glück habt.","norm":"Gute Nacht, lasst Euch was Schönes träumen wenn Ihr Glück habt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":541,"orig":"Sie ging in ihr Zimmer und ließ ihn allein; er eilte auf das ſeinige.","norm":"Sie ging in ihr Zimmer und ließ ihn allein; er eilte auf das seinige."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":542,"orig":"Halb unwillig ging er auf und nieder.","norm":"Halb unwillig ging er auf und nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":543,"orig":"Der ſcherzende aber entſchiedne Ton Aureliens hatte ihn beleidigt; er fühlte tief wie Unrecht ſie ihm that.","norm":"Der scherzende aber entschiedene Ton Aurelies hatte ihn beleidigt; er fühlte tief wie Unrecht sie ihm tat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":544,"orig":"Philinen konnte er nicht widrig, nicht unhold begegnen; ſie hatte nichts gegen ihn verbrochen, und dann fühlte er ſich ſo fern von jeder Neigung zu ihr, daß er recht ſtolz und ſtandhaft vor ſich ſelbſt beſtehen konnte.","norm":"Philine konnte er nicht widrig, nicht unhold begegnen; sie hatte nichts gegen ihn verbrochen, und dann fühlte er sich so fern von jeder Neigung zu ihr, dass er recht stolz und standhaft vor sich selbst bestehen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":545,"orig":"Eben war er im Begriffe ſich auszuziehen, nach ſeinem Lager zu gehen und die Vorhänge aufzuſchlagen, als er zu ſeiner größten Verwunderung ein Paar Frauenpantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine ſtand, der andere lag.","norm":"Eben war er im Begriffe sich auszuziehen, nach seinem Lager zu gehen und die Vorhänge aufzuschlagen, als er zu seiner größten Verwunderung ein paar Frauenpantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine stand, der andere lag."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":546,"orig":"— Es waren Philinens Pantoffeln, die er nur zu gut erkannte; er glaubte auch eine Unordnung an den Vorhängen zu ſehen, ja es ſchien als bewegten ſie ſich; er ſtand und ſah mit unverwandten Augen hin.","norm":"— Es waren Philines Pantoffeln, die er nur zu gut erkannte; er glaubte auch eine Unordnung an den Vorhängen zu sehen, ja es schien als bewegten sie sich; er stand und sah mit unverwandten Augen hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":547,"orig":"Eine neue Gemüthsbewegung, die er für Verdruß hielt, verſetzte ihm den Athem; und nach einer kurzen Pauſe, in der er ſich erhohlt hatte, rief er gefaßt:","norm":"Eine neue Gemütsbewegung, die er für Verdruss hielt, versetzte ihm den Atem; und nach einer kurzen Pause, in der er sich erholt hatte, rief er gefasst:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":548,"orig":"Stehen Sie auf, Philine!","norm":"Stehen Sie auf, Philine!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":549,"orig":"was ſoll das heißen?","norm":"Was soll das heißen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":550,"orig":"Wo iſt Ihre Klugheit, Ihr gutes Betragen?","norm":"Wo ist Ihre Klugheit, Ihr gutes Betragen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":551,"orig":"Sollen wir morgen das Mährchen des Hauſes werden?","norm":"Sollen wir morgen das Märchen des Hauses werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":552,"orig":"Es rührte ſich nichts.","norm":"Es rührte sich nichts."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":553,"orig":"Ich ſcherze nicht, fuhr er fort, dieſe Nekkereyen ſind bei mir übel angewandt.","norm":"Ich scherze nicht, fuhr er fort, diese Neckereien sind bei mir übel angewandt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":554,"orig":"Kein Laut!","norm":"Kein Laut!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":555,"orig":"Keine Bewegung!","norm":"Keine Bewegung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":556,"orig":"Entſchloſſen und unmuthig ging er endlich auf das Bette zu, und riß die Vorhänge von einander.","norm":"Entschlossen und unmutig ging er endlich auf das Bette zu, und riss die Vorhänge voneinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":557,"orig":"Stehen Sie auf, ſagte er, wenn ich Ihnen nicht das Zimmer dieſe Nacht überlaſſen ſoll.","norm":"Stehen Sie auf, sagte er, wenn ich Ihnen nicht das Zimmer diese Nacht überlassen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":558,"orig":"Mit großem Erſtaunen fand er ſein Bette leer, die Kiſſen und Decken in ſchönſter Ruhe.","norm":"Mit großem Erstaunen fand er sein Bette leer, die Kissen und Decken in schönster Ruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":559,"orig":"Er ſah ſich um, ſuchte nach, ſuchte alles durch, und fand keine Spur von dem Schalk.","norm":"Er sah sich um, suchte nach, suchte alles durch, und fand keine Spur von dem Schalk."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":560,"orig":"Hinter dem Bette, dem Ofen, den Schränken war nichts zu ſehen; er ſuchte ämſiger und ämſiger; ja ein boshafter Zuſchauer hätte glauben mögen, er ſuche um zu finden.","norm":"Hinter dem Bette, dem Ofen, den Schränken war nichts zu sehen; er suchte emsiger und emsiger; ja ein boshafter Zuschauer hätte glauben mögen, er suche um zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":561,"orig":"Kein Schlaf ſtellte ſich ein; er ſetzte die Pantoffeln auf ſeinen Tiſch, ging auf und nieder, blieb manchmal bey dem Tiſche ſtehen, und ein ſchelmiſcher Genius, der ihn belauſchte, will verſichern: er habe ſich einen großen Theil der Nacht mit den allerliebſten Stelzchen beſchäftigt; er habe ſie mit einem gewiſſen Intereſſe angeſehen, behandelt, damit geſpielt, und ſich erſt gegen Morgen in ſeinen Kleidern aufs Bette geworfen, wo er unter den ſeltſamſten Phantaſien einſchlummerte.","norm":"Kein Schlaf stellte sich ein; er setzte die Pantoffeln auf seinen Tisch, ging auf und nieder, blieb manchmal bei dem Tische stehen, und ein schelmischer Genius, der ihn belauschte, will versichern: Er habe sich einen großen Teil der Nacht mit den allerliebsten Stelzchen beschäftigt; er habe sie mit einem gewissen Interesse angesehen, behandelt, damit gespielt, und sich erst gegen Morgen in seinen Kleidern aufs Bette geworfen, wo er unter den seltsamsten Phantasien einschlummerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":562,"orig":"Und wirklich ſchlief er noch, als Serlo herein trat und rief: wo ſind Sie?","norm":"Und wirklich schlief er noch, als Serlo hereintrat und rief: Wo sind Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":563,"orig":"Noch im Bette?","norm":"Noch im Bette?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":564,"orig":"Unmöglich!","norm":"Unmöglich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":565,"orig":"Ich ſuchte Sie auf dem Theater, wo noch ſo mancherley zu thun iſt.","norm":"Ich suchte Sie auf dem Theater, wo noch so mancherlei zu tun ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":566,"orig":"Vor und Nachmittag verfloſſen eilig.","norm":"Vor und Nachmittag verflossen eilig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":567,"orig":"Das Haus war ſchon voll und Wilhelm eilte ſich anzuziehen.","norm":"Das Haus war schon voll und Wilhelm eilte sich anzuziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":568,"orig":"Nicht mit der Behaglichkeit, mit der er die Maſke zum erſtenmal anprobirte, konnte er ſie gegenwärtig anlegen; er zog ſich an um fertig zu werden.","norm":"Nicht mit der Behaglichkeit, mit der er die Maske zum ersten Mal anprobierte, konnte er sie gegenwärtig anlegen; er zog sich an um fertig zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":569,"orig":"Als er zu den Frauen ins Verſammlungszimmer kam, beriefen ſie ihn einſtimmig daß nichts recht ſitze; der ſchöne Federbuſch ſey verſchoben, die Schnalle paſſe nicht; man fing wieder an aufzutrennen, zu nähen, zuſammen zu ſtecken.","norm":"Als er zu den Frauen ins Versammlungszimmer kam, beriefen sie ihn einstimmig dass nichts recht sitze; der schöne Federbusch sei verschoben, die Schnalle passe nicht; man fing wieder an aufzutrennen, zu nähen, zusammenzustecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":570,"orig":"Die Symphonie ging an, Philine hatte etwas gegen die Krauſe einzuwenden, Aurelie viel an dem Mantel auszuſetzen.","norm":"Die Symphonie ging an, Philine hatte etwas gegen die Krause einzuwenden, Aurelie viel an dem Mantel auszusetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":571,"orig":"Laßt mich, ihr Kinder!","norm":"Lasst mich, ihr Kinder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":572,"orig":"rief er, dieſe Nachläſſigkeit wird mich erſt recht zum Hamlet machen.","norm":"rief er, diese Nachlässigkeit wird mich erst recht zum Hamlet machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":573,"orig":"Die Frauen ließen ihn nicht los und fuhren fort zu putzen.","norm":"Die Frauen ließen ihn nicht los und fuhren fort zu putzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":574,"orig":"Die Symphonie hatte aufgehört und das Stück war angegangen.","norm":"Die Symphonie hatte aufgehört und das Stück war angegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":575,"orig":"Er beſah ſich im Spiegel, drückte den Hut tiefer ins Geſicht und erneuerte die Schminke.","norm":"Er besah sich im Spiegel, drückte den Hut tiefer ins Gesicht und erneuerte die Schminke."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":576,"orig":"In dieſem Augenblick ſtürzte jemand herein und rief: der Geiſt!","norm":"In diesem Augenblick stürzte jemand herein und rief: der Geist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":577,"orig":"der Geiſt!","norm":"der Geist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":578,"orig":"Wilhelm hatte den ganzen Tag nicht Zeit gehabt, an die Hauptſorge zu denken, ob der Geiſt auch kommen würde?","norm":"Wilhelm hatte den ganzen Tag nicht Zeit gehabt, an die Hauptsorge zu denken, ob der Geist auch kommen würde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":579,"orig":"Nun war ſie ganz weggenommen, und man hatte die wunderlichſte Gaſtrolle zu erwarten.","norm":"Nun war sie ganz weggenommen, und man hatte die wunderlichste Gastrolle zu erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":580,"orig":"Der Theatermeiſter kam und fragte über dieſes und jenes;","norm":"Der Theatermeister kam und fragte über dieses und jenes;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":581,"orig":"Wilhelm hatte nicht Zeit ſich nach dem Geſpenſt umzuſehen, und eilte nur ſich am Throne einzufinden, wo König und Königinn ſchon von ihrem Hofe umgeben in aller Herrlichkeit glänzten; er hörte nur noch die letzten Worte des Horatio, der über die Erſcheinung des Geiſtes ganz verwirrt ſprach, und faſt ſeine Rolle vergeſſen zu haben ſchien.","norm":"Wilhelm hatte nicht Zeit sich nach dem Gespenst umzusehen, und eilte nur sich am Throne einzufinden, wo König und Königin schon von ihrem Hofe umgeben in aller Herrlichkeit glänzten; er hörte nur noch die letzten Worte des Horatio, der über die Erscheinung des Geistes ganz verwirrt sprach, und fast seine Rolle vergessen zu haben schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":582,"orig":"Der Zwiſchenvorhang ging in die Höhe und er ſah das volle Haus vor ſich.","norm":"Der Zwischenvorhang ging in die Höhe und er sah das volle Haus vor sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":583,"orig":"Nachdem Horatio ſeine Rede gehalten und vom Könige abgefertigt war, drängte er ſich an Hamlet, und als ob er ſich ihm, dem Prinzen präſentire, ſagte er: der Teufel ſteckt in dem Harniſche!","norm":"Nachdem Horatio seine Rede gehalten und vom Könige abgefertigt war, drängte er sich an Hamlet, und als ob er sich ihm, dem Prinzen präsentiere, sagte er: Der Teufel steckt in dem Harnische!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":584,"orig":"Er hat uns alle in Furcht gejagt.","norm":"Er hat uns alle in Furcht gejagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":585,"orig":"In der Zwiſchenzeit ſah man nur zwey große Männer in weißen Mänteln und Capuzen in den Couliſſen ſtehen, und Wilhelm, dem in der Zerſtreuung, Unruhe und Verlegenheit der erſte Monolog, wie er glaubte, mißglückt war, trat, ob ihn gleich ein lebhafter Beyfall beym Abgehen begleitete, in der kalten Winternacht wirklich recht unbehaglich auf.","norm":"In der Zwischenzeit sah man nur zwei große Männer in weißen Mänteln und Kapuzen in den Kulissen stehen, und Wilhelm, dem in der Zerstreuung, Unruhe und Verlegenheit der erste Monolog, wie er glaubte, missglückt war, trat, ob ihn gleich ein lebhafter Beifall beim Abgehen begleitete, in der kalten Winternacht wirklich recht unbehaglich auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":586,"orig":"Doch nahm er ſich zuſammen, und ſprach die ſo zweckmäßig angebrachte Stelle, über das Schmauſen und Trinken der Nordländer, mit der gehörigen Gleichgültigkeit, vergaß, ſo wie die Zuſchauer, darüber des Geiſtes, und erſchrak wirklich, als Horatio ausrief: ſeht her, es kommt!","norm":"Doch nahm er sich zusammen, und sprach die so zweckmäßig angebrachte Stelle, über das Schmausen und Trinken der Nordländer, mit der gehörigen Gleichgültigkeit, vergaß, so wie die Zuschauer, darüber des Geistes, und erschrak wirklich, als Horatio ausrief: Seht her, es kommt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":587,"orig":"Er fuhr mit Heftigkeit herum, und die edle große Geſtalt, der leiſe, unhörbare Tritt, die leichte Bewegung in der ſchwer ſcheinenden Rüſtung, machten einen ſo ſtarken Eindruck auf ihn, daß er wie verſteinert da ſtand, und nur mit halber Stimme: ihr Engel und himmliſchen Geiſter beſchützt uns!","norm":"Er fuhr mit Heftigkeit herum, und die edle große Gestalt, der leise, unhörbare Tritt, die leichte Bewegung in der schwerscheinenden Rüstung, machten einen so starken Eindruck auf ihn, dass er wie versteinert dastand, und nur mit halber Stimme: Ihr Engel und himmlischen Geister beschützt uns!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":588,"orig":"ausrufen konnte.","norm":"ausrufen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":589,"orig":"Er ſtarrte ihn an, hohlte einigemal Athem, und brachte die Anrede an den Geiſt ſo verwirrt, zerſtückt und gezwungen vor, daß die größte Kunſt ſie nicht ſo trefflich hätte ausdrücken können.","norm":"Er starrte ihn an, holte einige Mal Atem, und brachte die Anrede an den Geist so verwirrt, zerstückt und gezwungen vor, dass die größte Kunst sie nicht so trefflich hätte ausdrücken können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":590,"orig":"Seine Überſetzung dieſer Stelle kam ihm ſehr zu ſtatten.","norm":"Seine Übersetzung dieser Stelle kam ihm sehr zustatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":591,"orig":"Er hatte ſich nahe an das Original gehalten, deſſen Wortſtellung ihm die Verfaſſung eines überraſchten, erſchreckten, von Entſetzen ergriffenen Gemüths einzig auszudrücken ſchien.","norm":"Er hatte sich nahe an das Original gehalten, dessen Wortstellung ihm die Verfassung eines überraschten, erschreckten, von Entsetzen ergriffenen Gemüts einzig auszudrücken schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":592,"orig":"»Sey du ein guter Geiſt, ſey ein verdammter Kobold, bringe Düfte des Himmels mit dir oder Dämpfe der Hölle, ſey Gutes oder Böſes dein Beginnen, du kommſt in ſo einer würdigen Geſtalt, ja ich rede mit dir, ich nenne dich Hamlet, König, Vater, o antworte mir! »—","norm":"»Sei du ein guter Geist, sei ein verdammter Kobold, bringe Düfte des Himmels mit dir oder Dämpfe der Hölle, sei Gutes oder Böses dein Beginnen, du kommst in so einer würdigen Gestalt, ja ich rede mit dir, ich nenne dich Hamlet, König, Vater, o antworte mir! »—"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":593,"orig":"Man ſpürte im Publiko die größte Wirkung.","norm":"Man spürte im Publikum die größte Wirkung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":594,"orig":"Der Geiſt winkte, der Prinz folgte ihm unter dem lauteſten Beyfall.","norm":"Der Geist winkte, der Prinz folgte ihm unter dem lautesten Beifall."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":595,"orig":"Das Theater verwandelte ſich, und als ſie auf den entfernten Platz kamen, hielt der Geiſt unvermuthet inne und wandte ſich um; dadurch kam ihm Hamlet etwas zu nahe zu ſtehen.","norm":"Das Theater verwandelte sich, und als sie auf den entfernten Platz kamen, hielt der Geist unvermutet inne und wandte sich um; dadurch kam ihm Hamlet etwas zu nahe zustehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":596,"orig":"Mit Verlangen und Neugierde ſah Wilhelm ſogleich zwiſchen das niedergelaſſene Viſir hinein, konnte aber nur tiefliegende Augen neben einer wohlgebildeten Naſe erblicken.","norm":"Mit Verlangen und Neugierde sah Wilhelm sogleich zwischen das niedergelassene Visier hinein, konnte aber nur tiefliegende Augen neben einer wohlgebildeten Nase erblicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":597,"orig":"Furchtſam ausſpähend ſtand er vor ihm; allein als die erſten Töne aus dem Helme hervordrangen, als eine wohlklingende, nur ein wenig rauhe Stimme ſich in den Worten hören ließ: ich bin der Geiſt deines Vaters, trat Wilhelm einige Schritte ſchaudernd zurück, und das ganze Publikum ſchauderte.","norm":"Furchtsam ausspähend stand er vor ihm; allein als die ersten Töne aus dem Helme hervordrangen, als eine wohlklingende, nur ein wenig raue Stimme sich in den Worten hören ließ: Ich bin der Geist deines Vaters, trat Wilhelm einige Schritte schaudernd zurück, und das ganze Publikum schauderte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":598,"orig":"Die Stimme ſchien jedermann bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlichkeit mit der Stimme ſeines Vaters zu bemerken.","norm":"Die Stimme schien jedermann bekannt, und Wilhelm glaubte eine Ähnlichkeit mit der Stimme seines Vaters zu bemerken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":599,"orig":"Dieſe wunderbaren Empfindungen und Erinnerungen, die Neugierde den ſeltſamen Freund zu entdecken und die Sorge ihn zu beleidigen, ſelbſt die Unſchicklichkeit ihm als Schauſpieler in dieſer Situation zu nahe zu treten, bewegten Wilhelmen nach entgegengeſetzten Seiten.","norm":"Diese wunderbaren Empfindungen und Erinnerungen, die Neugierde den seltsamen Freund zu entdecken und die Sorge ihn zu beleidigen, selbst die Unschicklichkeit ihm als Schauspieler in dieser Situation zu nahe zu treten, bewegten Wilhelm nach entgegengesetzten Seiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":600,"orig":"Er veränderte während der langen Erzählung des Geiſtes ſeine Stellung ſo oft, ſchien ſo unbeſtimmt und verlegen, ſo aufmerkſam und ſo zerſtreut, daß ſein Spiel eine allgemeine Bewunderung, ſo wie der Geiſt ein allgemeines Entſetzen erregte.","norm":"Er veränderte während der langen Erzählung des Geistes seine Stellung so oft, schien so unbestimmt und verlegen, so aufmerksam und so zerstreut, dass sein Spiel eine allgemeine Bewunderung, so wie der Geist ein allgemeines Entsetzen erregte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":601,"orig":"Dieſer ſprach mehr mit einem tiefen Gefühl des Verdruſſes als des Jammers, aber eines geiſtigen, langſamen und unüberſehlichen Verdruſſes.","norm":"Dieser sprach mehr mit einem tiefen Gefühl des Verdrusses als des Jammers, aber eines geistigen, langsamen und unübersehbaren Verdrusses."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":602,"orig":"Es war der Mißmuth einer großen Seele, die von allem Irdiſchen getrennt iſt, und doch unendlichen Leiden unterliegt.","norm":"Es war der Missmut einer großen Seele, die von allem Irdischen getrennt ist, und doch unendlichen Leiden unterliegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":603,"orig":"Zuletzt verſank der Geiſt, aber auf eine ſonderbare Art: denn ein leichter, grauer, durchſichtiger Flor, der wie ein Dampf aus der Verſenkung zu ſteigen ſchien, legte ſich über ihn weg und zog ſich mit ihm hinunter.","norm":"Zuletzt versank der Geist, aber auf eine sonderbare Art: denn ein leichter, grauer, durchsichtiger Flor, der wie ein Dampf aus der Versenkung zu steigen schien, legte sich über ihn weg und zog sich mit ihm hinunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":604,"orig":"Nun kamen Hamlets Freunde zurück und ſchwuren auf das Schwerdt.","norm":"Nun kamen Hamlets Freunde zurück und schwuren auf das Schwert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":605,"orig":"Da war der alte Maulwurf ſo geſchäftig unter der Erde, daß er ihnen, wo ſie auch ſtehen mochten, immer unter den Füßen rief: ſchwört!","norm":"Da war der alte Maulwurf so geschäftig unter der Erde, dass er ihnen, wo sie auch stehen mochten, immer unter den Füßen rief: Schwört!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":606,"orig":"und ſie, als ob der Boden unter ihnen brennte, ſchnell von einem Ort zum andern eilten.","norm":"und sie, als ob der Boden unter ihnen brennte, schnell von einem Ort zum anderen eilten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":607,"orig":"Auch erſchien da, wo ſie ſtanden, jedesmal eine kleine Flamme aus dem Boden, vermehrte die Wirkung, und hinterließ bey allen Zuſchauern den tiefſten Eindruck.","norm":"Auch erschien da, wo sie standen, jedes Mal eine kleine Flamme aus dem Boden, vermehrte die Wirkung, und hinterließ bei allen Zuschauern den tiefsten Eindruck."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":608,"orig":"Nun ging das Stück unaufhaltſam ſeinen Gang fort, nichts mißglückte, alles gerieth; das Publikum bezeigte ſeine Zufriedenheit; die Luſt und der Muth der Schauſpieler ſchien mit jeder Scene zuzunehmen.","norm":"Nun ging das Stück unaufhaltsam seinen Gang fort, nichts missglückte, alles geriet; das Publikum bezeigte seine Zufriedenheit; die Lust und der Mut der Schauspieler schien mit jeder Szene zuzunehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":609,"orig":"Der Vorhang fiel und der lebhafteſte Beyfall erſcholl aus allen Ecken und Enden.","norm":"Der Vorhang fiel und der lebhafteste Beifall erscholl aus allen Ecken und Enden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":610,"orig":"Die vier fürſtlichen Leichen ſprangen behend in die Höhe und umarmten ſich vor Freuden.","norm":"Die vier fürstlichen Leichen sprangen behände in die Höhe und umarmten sich vor Freuden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":611,"orig":"Polonius und Ophelia kamen auch aus ihren Gräbern hervor und hörten noch mit lebhaftem Vergnügen, wie Horatio, als er zum Ankündigen heraustrat, auf das heftigſte beklatſcht wurde.","norm":"Polonius und Ophelia kamen auch aus ihren Gräbern hervor und hörten noch mit lebhaftem Vergnügen, wie Horatio, als er zum Ankündigen heraustrat, auf das heftigste beklatscht wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":612,"orig":"Man wollte ihn zu keiner Anzeige eines andern Stücks laſſen, ſondern begehrte mit Ungeſtüm die Wiederholung des heutigen.","norm":"Man wollte ihn zu keiner Anzeige eines anderen Stücks lassen, sondern begehrte mit Ungestüm die Wiederholung des heutigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":613,"orig":"Nun haben wir gewonnen, rief Serlo, aber auch heute Abend kein vernünftig Wort mehr!","norm":"Nun haben wir gewonnen, rief Serlo, aber auch heute Abend kein vernünftig Wort mehr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":614,"orig":"Alles kommt auf den erſten Eindruck an.","norm":"Alles kommt auf den ersten Eindruck an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":615,"orig":"Man ſoll ja keinem Schauſpieler übel nehmen, wenn er bei ſeinen Debüts vorſichtig und eigenſinnig iſt.","norm":"Man soll ja keinem Schauspieler übelnehmen, wenn er bei seinen Debüts vorsichtig und eigensinnig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":616,"orig":"Der Caſſier kam und überreichte ihm eine ſchwere Caſſe.","norm":"Der Kassier kam und überreichte ihm eine schwere Kasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":617,"orig":"Wir haben gut debütirt, rief er aus, und das Vorurtheil wird uns zu ſtatten kommen.","norm":"Wir haben gut debütiert, rief er aus, und das Vorurteil wird uns zustatten kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":618,"orig":"Wo iſt denn nun das verſprochene Abendeſſen?","norm":"Wo ist denn nun das versprochene Abendessen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":619,"orig":"Wir dürfen es uns heute ſchmecken laſſen!","norm":"Wir dürfen es uns heute schmecken lassen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":620,"orig":"Sie hatten ausgemacht, daß ſie in ihren Theaterkleidern beyſammen bleiben und ſich ſelbſt ein Feſt feyern wollten.","norm":"Sie hatten ausgemacht, dass sie in ihren Theaterkleidern beisammen bleiben und sich selbst ein Fest feiern wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":621,"orig":"Wilhelm hatte unternommen das Lokal, und Madam Melina das Eſſen zu beſorgen.","norm":"Wilhelm hatte unternommen das Lokal, und Madame Melina das Essen zu besorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":622,"orig":"Ein Zimmer, worin man ſonſt zu mahlen pflegte, war aufs beſte geſäubert, mit allerley kleinen Dekorationen umſtellt und ſo herausgeputzt worden, daß es halb einem Garten, halb einem Säulengange ähnlich ſah.","norm":"Ein Zimmer, worin man sonst zu malen pflegte, war aufs beste gesäubert, mit allerlei kleinen Dekorationen umstellt und so herausgeputzt worden, dass es halb einem Garten, halb einem Säulengange ähnlich sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":623,"orig":"Beym Hereintreten wurde die Geſellſchaft von dem Glanz vieler Lichter geblendet, die einen feyerlichen Schein durch den Dampf des ſüßeſten Räucherwerks, das man nicht geſpart hatte, über eine wohl geſchmückte und beſtellte Tafel verbreiteten.","norm":"Beim Hereintreten wurde die Gesellschaft von dem Glanz vieler Lichter geblendet, die einen feierlichen Schein durch den Dampf des süßesten Räucherwerks, das man nicht gespart hatte, über eine wohlgeschmückte und bestellte Tafel verbreiteten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":624,"orig":"Mit Ausrufungen lobte man die Anſtalten und nahm wirklich mit Anſtand Platz; es ſchien, als wenn eine königliche Familie im Geiſterreiche zuſammen käme.","norm":"Mit Ausrufungen lobte man die Anstalten und nahm wirklich mit Anstand Platz; es schien, als wenn eine königliche Familie im Geisterreiche zusammenkäme."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":625,"orig":"Wilhelm ſaß zwiſchen Aurelien und Madam Melina;","norm":"Wilhelm saß zwischen Aurelie und Madame Melina;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":626,"orig":"Serlo zwiſchen Philinen und Elmiren; niemand war mit ſich ſelbſt noch mit ſeinem Platze unzufrieden.","norm":"Serlo zwischen Philine und Elmiren; niemand war mit sich selbst noch mit seinem Platze unzufrieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":627,"orig":"Die beyden Theaterfreunde, die ſich gleichfalls eingefunden hatten, vermehrten das Glück der Geſellſchaft.","norm":"Die beiden Theaterfreunde, die sich gleichfalls eingefunden hatten, vermehrten das Glück der Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":628,"orig":"Sie waren einigemal während der Vorſtellung auf die Bühne gekommen, und konnten nicht genug von ihrer eignen und von des Publikums Zufriedenheit ſprechen; nunmehr ging’s aber ans Beſondere, jedes ward für ſeinen Theil reichlich belohnt.","norm":"Sie waren einige Mal während der Vorstellung auf die Bühne gekommen, und konnten nicht genug von ihrer eigenen und von des Publikums Zufriedenheit sprechen; nunmehr ging es aber ans Besondere, jedes wurde für seinen Teil reichlich belohnt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":629,"orig":"Mit einer unglaublichen Lebhaftigkeit ward ein Verdienſt nach dem andern, eine Stelle nach der andern herausgehoben.","norm":"Mit einer unglaublichen Lebhaftigkeit wurde ein Verdienst nach dem anderen, eine Stelle nach der anderen herausgehoben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":630,"orig":"Dem Soufleur, der beſcheiden am Ende der Tafel ſaß, ward ein großes Lob über ſeinen rauhen Pyrrhus; die Fechtübung Hamlets und Laertes konnte man nicht genug erheben;","norm":"Dem Souffleur, der bescheiden am Ende der Tafel saß, wurde ein großes Lob über seinen rauen Pyrrhus; die Fechtübung Hamlets und Laertes konnte man nicht genug erheben;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":631,"orig":"Opheliens Trauer war über allen Ausdruck ſchön und erhaben; von Polonius Spiel durfte man gar nicht ſprechen; jeder Gegenwärtige hörte ſein Lob in dem andern und durch ihn!","norm":"Ophelias Trauer war über allen Ausdruck schön und erhaben; von Polonius Spiel durfte man gar nicht sprechen; jeder Gegenwärtige hörte sein Lob in dem anderen und durch ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":632,"orig":"Aber auch der abweſende Geiſt nahm ſeinen Theil Lob und Bewunderung hinweg.","norm":"Aber auch der abwesende Geist nahm seinen Teil Lob und Bewunderung hinweg."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":633,"orig":"Er hatte die Rolle mit einem ſehr glücklichen Organ und in einem großen Sinne geſprochen, und man wunderte ſich am meiſten, daß er von allem, was bey der Geſellſchaft vorgegangen war, unterrichtet ſchien.","norm":"Er hatte die Rolle mit einem sehr glücklichen Organ und in einem großen Sinne gesprochen, und man wunderte sich am meisten, dass er von allem, was bei der Gesellschaft vorgegangen war, unterrichtet schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":634,"orig":"Er glich völlig dem gemahlten Bilde als wenn er dem Künſtler geſtanden hätte, und die Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen, wie ſchauerlich es ausgeſehen habe, als er unfern von dem Gemählde hervorgetreten und vor ſeinem Ebenbilde vorbey geſchritten ſey.","norm":"Er glich völlig dem gemalten Bilde als wenn er dem Künstler gestanden hätte, und die Theaterfreunde konnten nicht genug rühmen, wie schauerlich es ausgesehen habe, als er unfern von dem Gemälde hervorgetreten und vor seinem Ebenbilde vorbeigeschritten sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":635,"orig":"Wahrheit und Irrthum habe ſich dabey ſo ſonderbar vermiſcht, und man habe wirklich ſich überzeugt, daß die Königinn die eine Geſtalt nicht ſehe.","norm":"Wahrheit und Irrtum habe sich dabei so sonderbar vermischt, und man habe wirklich sich überzeugt, dass die Königin die eine Gestalt nicht sehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":636,"orig":"Madam Melina ward bey dieſer Gelegenheit ſehr gelobt, daß ſie bei dieſer Stelle in die Höhe nach dem Bilde geſtarrt, indeß Hamlet nieder auf den Geiſt gewieſen.","norm":"Madame Melina wurde bei dieser Gelegenheit sehr gelobt, dass sie bei dieser Stelle in die Höhe nach dem Bilde gestarrt, indes Hamlet nieder auf den Geist gewiesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":637,"orig":"Man erkundigte ſich wie das Geſpenſt habe hereinſchleichen können, und erfuhr vom Theatermeiſter, daß zu einer hintern Thüre, die ſonſt immer mit Dekorationen verſtellt ſey, dieſen Abend aber, weil man den gothiſchen Saal gebraucht, frey geworden, zwey große Figuren in weißen Mänteln und Capuzen hereingekommen, die man von einander nicht unterſcheiden können, und ſo ſeyen ſie nach geendigtem dritten Act wahrſcheinlich auch wieder hinausgegangen.","norm":"Man erkundigte sich wie das Gespenst habe hereinschleichen können, und erfuhr vom Theatermeister, dass zu einer hinteren Türe, die sonst immer mit Dekorationen verstellt sei, diesen Abend aber, weil man den gotischen Saal gebraucht, frei geworden, zwei große Figuren in weißen Mänteln und Kapuzen hereingekommen, die man voneinander nicht unterscheiden können, und so seien sie nach geendigtem dritten Akt wahrscheinlich auch wieder hinausgegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":638,"orig":"Serlo lobte beſonders an ihm, daß er nicht ſo ſchneidermäßig gejammert und ſogar am Ende eine Stelle, die einem ſo großen Helden beſſer zieme ſeinen Sohn zu befeuern, angebracht habe.","norm":"Serlo lobte besonders an ihm, dass er nicht so schneidermäßig gejammert und sogar am Ende eine Stelle, die einem so großen Helden besser zieme seinen Sohn zu befeuern, angebracht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":639,"orig":"Wilhelm hatte ſie im Gedächtniß behalten und verſprach ſie ins Manuſcript nachzutragen.","norm":"Wilhelm hatte sie im Gedächtnis behalten und versprach sie ins Manuskript nachzutragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":640,"orig":"Man hatte in der Freude des Gaſtmahls nicht bemerkt, daß die Kinder und der Harfenſpieler fehlten; bald aber machten ſie eine ſehr angenehme Erſcheinung.","norm":"Man hatte in der Freude des Gastmahls nicht bemerkt, dass die Kinder und der Harfenspieler fehlten; bald aber machten sie eine sehr angenehme Erscheinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":641,"orig":"Denn ſie traten zuſammen herein, ſehr abentheuerlich ausgeputzt;","norm":"Denn sie traten zusammen herein, sehr abenteuerlich ausgeputzt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":642,"orig":"Felix ſchlug den Triangel, Mignon das Tambourin und der Alte hatte die ſchwere Harfe umgehangen und ſpielte ſie, indem er ſie vor ſich trug.","norm":"Felix schlug den Triangel, Mignon das Tamburin und der Alte hatte die schwere Harfe umgehangen und spielte sie, indem er sie vor sich trug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":643,"orig":"Sie zogen um den Tiſch und ſangen allerley Lieder.","norm":"Sie zogen um den Tisch und sangen allerlei Lieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":644,"orig":"Man gab ihnen zu eſſen und die Gäſte glaubten den Kindern eine Wohlthat zu erzeigen, wenn ſie ihnen ſo viel ſüßen Wein gäben, als ſie nur trinken wollten.","norm":"Man gab ihnen zu essen und die Gäste glaubten den Kindern eine Wohltat zu erzeigen, wenn sie ihnen so viel süßen Wein gäben, als sie nur trinken wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":645,"orig":"Denn die Geſellſchaft ſelbſt hatte die köſtlichen Flaſchen nicht geſchont, welche dieſen Abend, als ein Geſchenk der Theaterfreunde, in einigen Körben angekommen waren.","norm":"Denn die Gesellschaft selbst hatte die köstlichen Flaschen nicht geschont, welche diesen Abend, als ein Geschenk der Theaterfreunde, in einigen Körben angekommen waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":646,"orig":"Die Kinder ſprangen und ſangen fort und beſonders war Mignon ausgelaſſen, wie man ſie niemals geſehen.","norm":"Die Kinder sprangen und sangen fort und besonders war Mignon ausgelassen, wie man sie niemals gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":647,"orig":"Sie ſchlug das Tambourin mit aller möglichen Zierlichkeit und Lebhaftigkeit, indem ſie bald mit druckendem Finger auf dem Felle ſchnell hin und her ſchnurrte, bald mit dem Rücken der Hand bald mit den Knöcheln drauf pochte, ja mit abwechſelnden Rhytmen das Pergament bald wider die Kniee bald wider den Kopf ſchlug, bald ſchüttelnd die Schellen allein klingen ließ, und ſo aus dem einfachſten Inſtrumente gar verſchiedene Töne hervorlockte.","norm":"Sie schlug das Tamburin mit aller möglichen Zierlichkeit und Lebhaftigkeit, indem sie bald mit druckendem Finger auf dem Felle schnell hin und her schnurrte, bald mit dem Rücken der Hand bald mit den Knöcheln darauf pochte, ja mit abwechselnden Rhythmen das Pergament bald wider die Knie bald wider den Kopf schlug, bald schüttelnd die Schellen allein klingen ließ, und so aus dem einfachsten Instrumente gar verschiedene Töne hervorlockte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":648,"orig":"Nachdem ſie lange gelärmt hatten, ſetzten ſie ſich in einen Lehnſeſſel, der gerade Wilhelmen gegenüber am Tiſche leer geblieben war.","norm":"Nachdem sie lange gelärmt hatten, setzten sie sich in einen Lehnsessel, der gerade Wilhelmen gegenüber am Tische leer geblieben war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":649,"orig":"Bleibt von dem Seſſel weg!","norm":"Bleibt von dem Sessel weg!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":650,"orig":"rief Serlo, er ſteht vermuthlich für den Geiſt da; wenn er kommt, kanns euch übel gehen.","norm":"rief Serlo, er steht vermutlich für den Geist da; wenn er kommt, kann es euch übel gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":651,"orig":"Ich fürchte ihn nicht, rief Mignon; kommt er, ſo ſtehen wir auf.","norm":"Ich fürchte ihn nicht, rief Mignon; kommt er, so stehen wir auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":652,"orig":"Es iſt mein Oheim, er thut mir nichts zu leide.","norm":"Es ist mein Oheim, er tut mir nichts zuleide."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":653,"orig":"Dieſe Rede verſtand niemand, als wer wußte, daß ſie ihren vermeintlichen Vater den großen Teufel genannt hatte.","norm":"Diese Rede verstand niemand, als wer wusste, dass sie ihren vermeintlichen Vater den großen Teufel genannt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":654,"orig":"Die Geſellſchaft ſah einander an, und ward noch mehr in dem Verdacht beſtärkt, daß Serlo um die Erſcheinung des Geiſtes wiſſe.","norm":"Die Gesellschaft sah einander an, und wurde noch mehr in dem Verdacht bestärkt, dass Serlo um die Erscheinung des Geistes wisse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":655,"orig":"Man ſchwatzte und trank und die Mädchen ſahen von Zeit zu Zeit furchtſam nach der Thüre.","norm":"Man schwatzte und trank und die Mädchen sahen von Zeit zu Zeit furchtsam nach der Türe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":656,"orig":"Die Kinder, die in dem großen Seſſel ſitzend nur wie Pulcinellpuppen aus dem Kaſten über den Tiſch hervorragten, fingen an, auf dieſe Weiſe ein Stück aufzuführen.","norm":"Die Kinder, die in dem großen Sessel sitzend nur wie Pulcinellpuppen aus dem Kasten über den Tisch hervorragten, fingen an, auf diese Weise ein Stück aufzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":657,"orig":"Mignon machte den ſchnarrenden Ton ſehr artig nach, und ſie ſtießen zuletzt die Köpfe dergeſtalt zuſammen und auf die Tiſchkante, wie es eigentlich nur Holzpuppen aushalten können.","norm":"Mignon machte den schnarrenden Ton sehr artig nach, und sie stießen zuletzt die Köpfe dergestalt zusammen und auf die Tischkante, wie es eigentlich nur Holzpuppen aushalten können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":658,"orig":"Mignon ward bis zur Wuth luſtig, und die Geſellſchaft, ſo ſehr ſie Anfangs über den Scherz gelacht hatte, mußte zuletzt Einhalt thun.","norm":"Mignon wurde bis zur Wut lustig, und die Gesellschaft, so sehr sie Anfangs über den Scherz gelacht hatte, musste zuletzt Einhalt tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":659,"orig":"Aber wenig half das Zureden, denn nun ſprang ſie auf und raſte, die Schellentrommel in der Hand, um den Tiſch herum.","norm":"Aber wenig half das Zureden, denn nun sprang sie auf und raste, die Schellentrommel in der Hand, um den Tisch herum."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":660,"orig":"Ihre Haare flogen, und indem ſie den Kopf zurück und alle ihre Glieder gleichſam in die Luft warf, ſchien ſie einer Mänade ähnlich, deren wilde und beynah unmögliche Stellungen uns auf alten Monumenten noch oft in Erſtaunen ſetzen.","norm":"Ihre Haare flogen, und indem sie den Kopf zurück und alle ihre Glieder gleichsam in die Luft warf, schien sie einer Mänade ähnlich, deren wilde und beinahe unmögliche Stellungen uns auf alten Monumenten noch oft in Erstaunen setzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":661,"orig":"Durch das Talent der Kinder und ihren Lärm aufgereizt, ſuchte jedermann zur Unterhaltung der Geſellſchaft etwas beyzutragen.","norm":"Durch das Talent der Kinder und ihren Lärm aufgereizt, suchte jedermann zur Unterhaltung der Gesellschaft etwas beizutragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":662,"orig":"Die Frauenzimmer ſangen einige Kanons, Laertes ließ eine Nachtigall hören, und der Pedant gab ein Concert pianiſſimo auf der Maultrommel.","norm":"Die Frauenzimmer sangen einige Kanons, Laertes ließ eine Nachtigall hören, und der Pedant gab ein Konzert pianissimo auf der Maultrommel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":663,"orig":"Indeſſen ſpielten die Nachbarn und Nachbarinnen allerley Spiele, wobey ſich die Hände begegnen und vermiſchen, und es fehlte manchem Paare nicht am Ausdruck einer hoffnungsvollen Zärtlichkeit.","norm":"Indessen spielten die Nachbarn und Nachbarinnen allerlei Spiele, wobei sich die Hände begegnen und vermischen, und es fehlte manchem Paare nicht am Ausdruck einer hoffnungsvollen Zärtlichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":664,"orig":"Madam Melina beſonders ſchien eine lebhafte Neigung zu Wilhelmen nicht zu verhehlen.","norm":"Madame Melina besonders schien eine lebhafte Neigung zu Wilhelmen nicht zu verhehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":665,"orig":"Es war ſpät in der Nacht, und Aurelie, die faſt allein noch Herrſchaft über ſich behalten hatte, ermahnte die übrigen, indem ſie aufſtand, auseinander zu gehen.","norm":"Es war spät in der Nacht, und Aurelie, die fast allein noch Herrschaft über sich behalten hatte, ermahnte die übrigen, indem sie aufstand, auseinanderzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":666,"orig":"Serlo gab noch zum Abſchied ein Feuerwerk, indem er mit dem Munde, auf eine faſt unbegreifliche Weiſe, den Ton der Raketen, Schwärmer und Feuerräder nachzuahmen wußte.","norm":"Serlo gab noch zum Abschied ein Feuerwerk, indem er mit dem Munde, auf eine fast unbegreifliche Weise, den Ton der Raketen, Schwärmer und Feuerräder nachzuahmen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":667,"orig":"Man durfte die Augen nur zumachen, ſo war die Täuſchung vollkommen.","norm":"Man durfte die Augen nur zumachen, so war die Täuschung vollkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":668,"orig":"Indeſſen war jedermann aufgeſtanden, und man reichte den Frauenzimmern den Arm ſie nach Hauſe zu führen.","norm":"Indessen war jedermann aufgestanden, und man reichte den Frauenzimmern den Arm sie nach Hause zu führen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":669,"orig":"Wilhelm ging zuletzt mit Aurelien.","norm":"Wilhelm ging zuletzt mit Aurelie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":670,"orig":"Auf der Treppe begegnete ihnen der Theatermeiſter, und ſagte: hier iſt der Schleyer, worin der Geiſt verſchwand.","norm":"Auf der Treppe begegnete ihnen der Theatermeister, und sagte: Hier ist der Schleier, worin der Geist verschwand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":671,"orig":"Er iſt an der Verſenkung hängen geblieben und wir haben ihn eben gefunden.","norm":"Er ist an der Versenkung hängengeblieben und wir haben ihn eben gefunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":672,"orig":"Eine wunderbare Reliquie!","norm":"Eine wunderbare Reliquie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":673,"orig":"rief Wilhelm, und nahm ihn ab.","norm":"rief Wilhelm, und nahm ihn ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":674,"orig":"In dem Augenblicke fühlte er ſich am linken Arme ergriffen und zugleich einen ſehr heftigen Schmerz.","norm":"In dem Augenblicke fühlte er sich am linken Arme ergriffen und zugleich einen sehr heftigen Schmerz."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":675,"orig":"Mignon hatte ſich verſteckt gehabt, hatte ihn angefaßt und ihn in den Arm gebiſſen.","norm":"Mignon hatte sich versteckt gehabt, hatte ihn angefasst und ihn in den Arm gebissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":676,"orig":"Sie fuhr an ihm die Treppe hinunter und verſchwand.","norm":"Sie fuhr an ihm die Treppe hinunter und verschwand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":677,"orig":"Als die Geſellſchaft in die freye Luft kam, merkte faſt jedes, daß man für dieſen Abend des Guten zu viel genoſſen hatte.","norm":"Als die Gesellschaft in die freie Luft kam, merkte fast jedes, dass man für diesen Abend des Guten zu viel genossen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":678,"orig":"Ohne Abſchied zu nehmen verlor man ſich auseinander.","norm":"Ohne Abschied zu nehmen verlor man sich auseinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":679,"orig":"Wilhelm hatte kaum ſeine Stube erreicht, als er ſeine Kleider abwarf und nach ausgelöſchtem Licht ins Bette eilte.","norm":"Wilhelm hatte kaum seine Stube erreicht, als er seine Kleider abwarf und nach ausgelöschtem Licht ins Bette eilte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":680,"orig":"Der Schlaf wollte ſogleich ſich ſeiner bemeiſtern, allein ein Geräuſch das in ſeiner Stube hinter dem Ofen zu entſtehen ſchien, machte ihn aufmerkſam.","norm":"Der Schlaf wollte sogleich sich seiner bemeistern, allein ein Geräusch das in seiner Stube hinter dem Ofen zu entstehen schien, machte ihn aufmerksam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":681,"orig":"Eben ſchwebte vor ſeiner erhitzten Phantaſie das Bild des geharniſchten Königs; er richtete ſich auf, das Geſpenſt anzureden, als er ſich von zarten Armen umſchlungen, ſeinen Mund mit lebhaften Küſſen verſchloſſen, und eine Bruſt an der ſeinigen fühlte, die er wegzuſtoßen nicht Muth hatte.","norm":"Eben schwebte vor seiner erhitzten Phantasie das Bild des geharnischten Königs; er richtete sich auf, das Gespenst anzureden, als er sich von zarten Armen umschlungen, seinen Mund mit lebhaften Küssen verschlossen, und eine Brust an der seinigen fühlte, die er wegzustoßen nicht Mut hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":682,"orig":"Wilhelm fuhr des andern Morgens mit einer unbehaglichen Empfindung in die Höhe, und fand ſein Bette leer.","norm":"Wilhelm fuhr des anderen Morgens mit einer unbehaglichen Empfindung in die Höhe, und fand sein Bette leer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":683,"orig":"Von dem nicht völlig ausgeſchlafenen Rauſche war ihm der Kopf düſter, und die Erinnerung an den unbekannten nächtlichen Beſuch machte ihn unruhig.","norm":"Von dem nicht völlig ausgeschlafenen Rausche war ihm der Kopf düster, und die Erinnerung an den unbekannten nächtlichen Besuche machte ihn unruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":684,"orig":"Sein erſter Verdacht fiel auf Phililinen, und doch ſchien der liebliche Körper, den er in ſeine Arme geſchloſſen hatte, nicht der ihrige geweſen zu ſeyn.","norm":"Sein erster Verdacht fiel auf Phililinen, und doch schien der liebliche Körper, den er in seine Arme geschlossen hatte, nicht der ihrige gewesen zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":685,"orig":"Unter lebhaften Liebkoſungen war unſer Freund an der Seite dieſes ſeltſamen, ſtummen Beſuches eingeſchlafen und nun war weiter keine Spur mehr davon zu entdecken.","norm":"Unter lebhaften Liebkosungen war unser Freund an der Seite dieses seltsamen, stummen Besuches eingeschlafen und nun war weiter keine Spur mehr davon zu entdecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":686,"orig":"Er ſprang auf, und indem er ſich anzog fand er ſeine Thüre, die er ſonſt zu verriegeln pflegte, nur angelehnt, und wußte ſich nicht zu erinnern, ob er ſie geſtern Abend zugeſchloſſen hatte.","norm":"Er sprang auf, und indem er sich anzog fand er seine Türe, die er sonst zu verriegeln pflegte, nur angelehnt, und wusste sich nicht zu erinnern, ob er sie gestern Abend zugeschlossen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":687,"orig":"Am wunderbarſten aber erſchien ihm der Schleyer des Geiſtes, den er auf ſeinem Bette fand.","norm":"Am wunderbarsten aber erschien ihm der Schleier des Geistes, den er auf seinem Bette fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":688,"orig":"Er hatte ihn mit herauf gebracht und wahrſcheinlich ſelbſt dahin geworfen.","norm":"Er hatte ihn mit heraufgebracht und wahrscheinlich selbst dahin geworfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":689,"orig":"Es war ein grauer Flor, an deſſen Saum er eine Schrift mit ſchwarzen Buchſtaben geſtickt ſah.","norm":"Es war ein grauer Flor, an dessen Saum er eine Schrift mit schwarzen Buchstaben gestickt sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":690,"orig":"Er entfaltete ſie und las die Worte:","norm":"Er entfaltete sie und las die Worte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":691,"orig":"Zum erſten und letztenmal!","norm":"Zum ersten und letzten Mal!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":692,"orig":"Flieh!","norm":"Fliehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":693,"orig":"Jüngling, flieh!","norm":"Jüngling, fliehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":694,"orig":"Er war betroffen und wußte nicht was er ſagen ſollte.","norm":"Er war betroffen und wusste nicht was er sagen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":695,"orig":"In eben dem Augenblick trat Mignon herein und brachte ihm das Frühſtück.","norm":"In eben dem Augenblick trat Mignon herein und brachte ihm das Frühstück."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":696,"orig":"Wilhelm erſtaunte über den Anblick des Kindes, ja man kann ſagen er erſchrack.","norm":"Wilhelm erstaunte über den Anblick des Kindes, ja man kann sagen er erschrak."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":697,"orig":"Sie ſchien dieſe Nacht größer geworden zu ſeyn; ſie trat mit einem hohen edlen Anſtand vor ihn hin und ſah ihm ſehr ernſthaft in die Augen, ſo daß er den Blick nicht ertragen konnte.","norm":"Sie schien diese Nacht größer geworden zu sein; sie trat mit einem hohen edlen Anstand vor ihn hin und sah ihm sehr ernsthaft in die Augen, so dass er den Blick nicht ertragen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":698,"orig":"Sie rührte ihn nicht an wie ſonſt, da ſie gewöhnlich ihm die Hand drückte, ſeine Wange, ſeinen Mund, ſeinen Arm, oder ſeine Schulter küßte, ſondern ging, nachdem ſie ſeine Sachen in Ordnung gebracht, ſtillſchweigend wieder fort.","norm":"Sie rührte ihn nicht an wie sonst, da sie gewöhnlich ihm die Hand drückte, seine Wange, seinen Mund, seinen Arm, oder seine Schulter küsste, sondern ging, nachdem sie seine Sachen in Ordnung gebracht, stillschweigend wieder fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":699,"orig":"Die Zeit einer angeſetzten Leſeprobe kam nun herbey, man verſammelte ſich und alle waren durch das geſtrige Feſt verſtimmt.","norm":"Die Zeit einer angesetzten Leseprobe kam nun herbei, man versammelte sich und alle waren durch das gestrige Fest verstimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":700,"orig":"Wilhelm nahm ſich zuſammen ſo gut er konnte, um nicht gleich anfangs gegen ſeine ſo lebhaft gepredigten Grundſätze zu verſtoßen.","norm":"Wilhelm nahm sich zusammen so gut er konnte, um nicht gleich anfangs gegen seine so lebhaft gepredigten Grundsätze zu verstoßen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":701,"orig":"Seine große Übung half ihm durch; denn Übung und Gewohnheit müſſen in jeder Kunſt die Lücken ausfüllen, welche Genie und Laune ſo oft laſſen würden.","norm":"Seine große Übung half ihm durch; denn Übung und Gewohnheit müssen in jeder Kunst die Lücken ausfüllen, welche Genie und Laune so oft lassen würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":702,"orig":"Eigentlich aber konnte man bey dieſer Gelegenheit die Bemerkung recht wahr finden, daß man keinen Zuſtand, der länger dauern, ja der eigentlich ein Beruf, eine Lebensweiſe werden ſoll, mit einer Feyerlichkeit anfangen dürfe.","norm":"Eigentlich aber konnte man bei dieser Gelegenheit die Bemerkung recht wahr finden, dass man keinen Zustand, der länger dauern, ja der eigentlich ein Beruf, eine Lebensweise werden soll, mit einer Feierlichkeit anfangen dürfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":703,"orig":"Man feyre nur was glücklich vollendet iſt, alle Zeremonien zum Anfange erſchöpfen Luſt und Kräfte, die das Streben hervor bringen und uns bey einer fortgeſetzten Mühe beyſtehen ſollen.","norm":"Man feiere nur was glücklich vollendet ist, alle Zeremonien zum Anfange erschöpfen Lust und Kräfte, die das Streben hervorbringen und uns bei einer fortgesetzten Mühe beistehen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":704,"orig":"Unter allen Feſten iſt das Hochzeitfeſt das unſchicklichſte; keines ſollte mehr in Stille, Demuth und Hoffnung begangen werden als dieſes.","norm":"Unter allen Festen ist das Hochzeitsfest das unschicklichste; keines sollte mehr in Stille, Demut und Hoffnung begangen werden als dieses."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":705,"orig":"So ſchlich der Tag nun weiter, und Wilhelmen war noch keiner jemals ſo alltäglich vorgekommen.","norm":"So schlich der Tag nun weiter, und Wilhelmen war noch keiner jemals so alltäglich vorgekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":706,"orig":"Statt der gewöhnlichen Unterhaltung Abends fing man zu gähnen an; das Intereſſe an Hamlet war erſchöpft und man fand eher unbequem daß er des folgenden Tages zum zweytenmal vorgeſtellt werden ſollte.","norm":"Statt der gewöhnlichen Unterhaltung Abends fing man zu gähnen an; das Interesse an Hamlet war erschöpft und man fand eher unbequem dass er des folgenden Tages zum zweiten Mal vorgestellt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":707,"orig":"Wilhelm zeigte den Schleyer des Geiſtes vor, man mußte daraus ſchließen, daß er nicht wieder kommen würde.","norm":"Wilhelm zeigte den Schleier des Geistes vor, man musste daraus schließen, dass er nicht wiederkommen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":708,"orig":"Serlo war beſonders dieſer Meynung; er ſchien mit den Rathſchlägen der wunderbaren Geſtalt ſehr vertraut zu ſeyn; dagegen ließen ſich aber die Worte:","norm":"Serlo war besonders dieser Meinung; er schien mit den Ratschlägen der wunderbaren Gestalt sehr vertraut zu sein; dagegen ließen sich aber die Worte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":709,"orig":"Flieh Jüngling, flieh!","norm":"Fliehe Jüngling, fliehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":710,"orig":"nicht erklären.","norm":"nicht erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":711,"orig":"Wie konnte Serlo mit jemanden einſtimmen, der den vorzüglichſten Schauſpieler ſeiner Geſellſchaft zu entfernen die Abſicht zu haben ſchien.","norm":"Wie konnte Serlo mit jemanden einstimmen, der den vorzüglichsten Schauspieler seiner Gesellschaft zu entfernen die Absicht zu haben schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":712,"orig":"Nothwendig war es nunmehr, die Rolle des Geiſtes dem Polterer und die Rolle des Königs dem Pedanten zu geben.","norm":"Notwendig war es nunmehr, die Rolle des Geistes dem Polterer und die Rolle des Königs dem Pedanten zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":713,"orig":"Beyde erklärten, daß ſie ſchon einſtudirt ſeyen, und es war kein Wunder, denn bey den vielen Proben und der weitläuftigen Behandlung dieſes Stücks waren alle ſo damit bekannt geworden, daß ſie ſämmtlich gar leicht mit den Rollen hätten wechſeln können.","norm":"Beide erklärten, dass sie schon einstudiert seien, und es war kein Wunder, denn bei den vielen Proben und der weitläufigen Behandlung dieses Stücks waren alle so damit bekannt geworden, dass sie sämtlich gar leicht mit den Rollen hätten wechseln können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":714,"orig":"Doch probirte man einiges in der Geſchwindigkeit und als man ſpät genug auseinander ging, flüſterte Philine beym Abſchiede Wilhelmen leiſe zu:","norm":"Doch probierte man einiges in der Geschwindigkeit und als man spät genug auseinanderging, flüsterte Philine beim Abschiede Wilhelmen leise zu:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":715,"orig":"Ich muß meine Pantoffeln holen, du ſchiebſt doch den Riegel nicht vor?","norm":"Ich muss meine Pantoffeln holen, du schiebst doch den Riegel nicht vor?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":716,"orig":"Dieſe Worte ſetzten ihn als er auf ſeine Stube kam, in ziemliche Verlegenheit; denn die Vermuthung, daß der Gaſt der vorigen Nacht Philine geweſen, ward dadurch beſtärkt, und wir ſind auch genöthigt uns zu dieſer Meynung zu ſchlagen, beſonders da wir die Urſachen, welche ihn hierüber zweifelhaft machten und ihm einen andern ſonderbaren Argwohn einflößen mußten, nicht entdecken können.","norm":"Diese Worte setzten ihn als er auf seine Stube kam, in ziemliche Verlegenheit; denn die Vermutung, dass der Gast der vorigen Nacht Philine gewesen, wurde dadurch bestärkt, und wir sind auch genötigt uns zu dieser Meinung zu schlagen, besonders da wir die Ursachen, welche ihn hierüber zweifelhaft machten und ihm einen anderen sonderbaren Argwohn einflößen mussten, nicht entdecken können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":717,"orig":"Er ging unruhig einigemal in ſeinem Zimmer auf und ab, und hatte wirklich den Riegel noch nicht vorgeſchoben.","norm":"Er ging unruhig einige Mal in seinem Zimmer auf und ab, und hatte wirklich den Riegel noch nicht vorgeschoben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":718,"orig":"Auf einmal ſtürzte Mignon in das Zimmer, faßte ihn an und rief:","norm":"Auf einmal stürzte Mignon in das Zimmer, fasste ihn an und rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":719,"orig":"Meiſter!","norm":"Meister!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":720,"orig":"rette das Haus!","norm":"Rette das Haus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":721,"orig":"es brennt!","norm":"es brennt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":722,"orig":"Wilhelm ſprang vor die Thüre und ein gewaltiger Rauch drängte ſich die obere Treppe herunter ihm entgegen.","norm":"Wilhelm sprang vor die Türe und ein gewaltiger Rauch drängte sich die obere Treppe herunter ihm entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":723,"orig":"Auf der Gaſſe hörte man ſchon das Feuergeſchrey, und der Harfenſpieler kam, ſein Inſtrument in der Hand, durch den Rauch athemlos die Treppe herunter.","norm":"Auf der Gasse hörte man schon das Feuergeschrei, und der Harfenspieler kam, sein Instrument in der Hand, durch den Rauch atemlos die Treppe herunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":724,"orig":"Aurelie ſtürzte aus ihrem Zimmer und warf den kleinen Felix in Wilhelms Arme.","norm":"Aurelie stürzte aus ihrem Zimmer und warf den kleinen Felix in Wilhelms Arme."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":725,"orig":"Retten Sie das Kind!","norm":"Retten Sie das Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":726,"orig":"rief ſie, wir wollen nach dem übrigen greifen.","norm":"rief sie, wir wollen nach dem übrigen greifen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":727,"orig":"Wilhelm, der die Gefahr nicht für ſo groß hielt, gedachte zuerſt nach dem Urſprunge des Brandes hinzudringen, um ihn vielleicht noch im Anfange zu erſticken.","norm":"Wilhelm, der die Gefahr nicht für so groß hielt, gedachte zuerst nach dem Ursprunge des Brandes hinzudringen, um ihn vielleicht noch im Anfange zu ersticken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":728,"orig":"Er gab dem Alten das Kind, und befahl ihm die ſteinerne Wendeltreppe hinunter, die durch ein kleines Gartengewölbe in den Garten führte, zu eilen, und mit den Kindern im Freyen zu bleiben.","norm":"Er gab dem Alten das Kind, und befahl ihm die steinerne Wendeltreppe hinunter, die durch ein kleines Gartengewölbe in den Garten führte, zu eilen, und mit den Kindern im Freien zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":729,"orig":"Mignon nahm ein Licht ihm zu leuchten.","norm":"Mignon nahm ein Licht ihm zu leuchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":730,"orig":"Wilhelm bat darauf Aurelien ihre Sachen auf eben dieſem Wege zu retten.","norm":"Wilhelm bat darauf Aurelie ihre Sachen auf eben diesem Wege zu retten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":731,"orig":"Er ſelbſt drang durch den Rauch hinauf; allein vergebens ſetzte er ſich der Gefahr aus.","norm":"Er selbst drang durch den Rauch hinauf; allein vergebens setzte er sich der Gefahr aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":732,"orig":"Die Flamme ſchien von dem benachbarten Hauſe herüber zu dringen und hatte ſchon das Holzwerk des Bodens und eine leichte Treppe gefaßt; andre die zur Rettung herbey eilten, litten wie er, von Qualm und Feuer.","norm":"Die Flamme schien von dem benachbarten Hause herüberzudringen und hatte schon das Holzwerk des Bodens und eine leichte Treppe gefasst; andere die zur Rettung herbeieilten, litten wie er, von Qualm und Feuer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":733,"orig":"Doch ſprach er ihnen Muth ein und rief nach Waſſer; er beſchwor ſie, der Flamme nur Schritt vor Schritt zu weichen, und verſprach bey ihnen zu bleiben.","norm":"Doch sprach er ihnen Mut ein und rief nach Wasser; er beschwor sie, der Flamme nur Schritt vor Schritt zu weichen, und versprach bei ihnen zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":734,"orig":"In dieſem Augenblick ſprang Mignon herauf und rief:","norm":"In diesem Augenblick sprang Mignon herauf und rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":735,"orig":"Meiſter!","norm":"Meister!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":736,"orig":"rette deinen Felix!","norm":"Rette deinen Felix!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":737,"orig":"der Alte iſt raſend!","norm":"der Alte ist rasend!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":738,"orig":"der Alte bringt ihn um!","norm":"der Alte bringt ihn um!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":739,"orig":"Wilhelm ſprang ohne ſich zu beſinnen die Treppe hinab und Mignon folgte ihm an den Ferſen.","norm":"Wilhelm sprang ohne sich zu besinnen die Treppe hinab und Mignon folgte ihm an den Fersen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":740,"orig":"Auf den letzten Stufen die ins Gartengewölbe führten, blieb er mit Entſetzen ſtehen.","norm":"Auf den letzten Stufen die ins Gartengewölbe führten, blieb er mit Entsetzen stehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":741,"orig":"Große Bündel Stroh und Reisholz, die man daſelbſt aufgehäuft hatte, brannten mit heller Flamme;","norm":"Große Bündel Stroh und Reisholz, die man daselbst aufgehäuft hatte, brannten mit heller Flamme;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":742,"orig":"Felix lag am Boden und ſchrie; der Alte ſtand mit niedergeſenktem Haupte ſeitwärts an der Wand.","norm":"Felix lag am Boden und schrie; der Alte stand mit niedergesenktem Haupte seitwärts an der Wand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":743,"orig":"Was machſt du Unglücklicher?","norm":"Was machst du unglücklicher?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":744,"orig":"rief Wilhelm.","norm":"rief Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":745,"orig":"Der Alte ſchwieg, Mignon hatte den Felix aufgehoben, und ſchleppte mit Mühe den Knaben in den Garten, indeß Wilhelm das Feuer auseinander zu zerren und zu dämpfen ſtrebte, aber nur dadurch die Gewalt und Lebhaftigkeit der Flamme vermehrte.","norm":"Der Alte schwieg, Mignon hatte den Felix aufgehoben, und schleppte mit Mühe den Knaben in den Garten, indes Wilhelm das Feuer auseinanderzuzerren und zu dämpfen strebte, aber nur dadurch die Gewalt und Lebhaftigkeit der Flamme vermehrte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":746,"orig":"Endlich mußte er mit verbrannten Augenwimpern und Haaren auch in den Garten fliehen, indem er den Alten mit durch die Flamme riß, der ihm mit verſengtem Barte unwillig folgte.","norm":"Endlich musste er mit verbrannten Augenwimpern und Haaren auch in den Garten fliehen, indem er den Alten mit durch die Flamme riss, der ihm mit versengtem Barte unwillig folgte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":747,"orig":"Wilhelm eilte ſogleich die Kinder im Garten zu ſuchen.","norm":"Wilhelm eilte sogleich die Kinder im Garten zu suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":748,"orig":"Auf der Schwelle eines entfernten Luſthäuschens fand er ſie, und Mignon that ihr möglichſtes den Kleinen zu beruhigen.","norm":"Auf der Schwelle eines entfernten Lusthäuschens fand er sie, und Mignon tat ihr möglichstes den Kleinen zu beruhigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":749,"orig":"Wilhelm nahm ihn auf den Schoos, fragte ihn, befühlte ihn und konnte nichts zuſammenhängendes aus beyden Kindern herausbringen.","norm":"Wilhelm nahm ihn auf den Schoß, fragte ihn, befühlte ihn und konnte nichts Zusammenhängendes aus beiden Kindern herausbringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":750,"orig":"Indeſſen hatte das Feuer gewaltſam mehrere Häuſer ergriffen und erhellte die ganze Gegend.","norm":"Indessen hatte das Feuer gewaltsam mehrere Häuser ergriffen und erhellte die ganze Gegend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":751,"orig":"Wilhelm beſah das Kind beym rothen Schein der Flamme; er konnte keine Wunde, kein Blut, ja keine Beule wahrnehmen.","norm":"Wilhelm besah das Kind beim roten Schein der Flamme; er konnte keine Wunde, kein Blut, ja keine Beule wahrnehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":752,"orig":"Er betaſtete es überall, es gab kein Zeichen von Schmerz von ſich, es beruhigte ſich vielmehr nach und nach und fing an ſich über die Flamme zu verwundern, ja ſich über die ſchönen, der Ordnung nach, wie eine Illumination, brennenden Sparren und Gebälke zu erfreuen.","norm":"Er betastete es überall, es gab kein Zeichen von Schmerz von sich, es beruhigte sich vielmehr nach und nach und fing an sich über die Flamme zu verwundern, ja sich über die schönen, der Ordnung nach, wie eine Illumination, brennenden Sparren und Gebälk zu erfreuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":753,"orig":"Wilhelm dachte nicht an die Kleider und was er ſonſt verlohren haben konnte, er fühlte ſtark wie werth ihm dieſe beyde menſchliche Geſchöpfe ſeyen, die er einer ſo großen Gefahr entronnen ſah.","norm":"Wilhelm dachte nicht an die Kleider und was er sonst verloren haben konnte, er fühlte stark wie wert ihm diese beide menschlichen Geschöpfe seien, die er einer so großen Gefahr entronnen sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":754,"orig":"Er drückte den Kleinen mit einer ganz neuen Empfindung an ſein Herz, und wollte auch Mignon mit freudiger Zärtlichkeit umarmen, die es aber ſanft ablehnte, ihn bey der Hand nahm und ſie feſt hielt.","norm":"Er drückte den Kleinen mit einer ganz neuen Empfindung an sein Herz, und wollte auch Mignon mit freudiger Zärtlichkeit umarmen, die es aber sanft ablehnte, ihn bei der Hand nahm und sie festhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":755,"orig":"Meiſter, ſagte ſie (noch niemals, als dieſen Abend, hatte ſie ihm dieſen Nahmen gegeben, denn Anfangs pflegte ſie ihn Herr, und nachher Vater zu nennen.","norm":"Meister, sagte sie (noch niemals, als diesen Abend, hatte sie ihm diesen Namen gegeben, denn Anfangs pflegte sie ihn Herr, und nachher Vater zu nennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":756,"orig":") Meiſter!","norm":") Meister!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":757,"orig":"wir ſind einer großen Gefahr entronnen, dein Fe- lix war am Tode.","norm":"wir sind einer großen Gefahr entronnen, dein Fe- lix war am Tode."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":758,"orig":"Durch viele Fragen erfuhr endlich Wilhelm, daß der Harfenſpieler, als ſie in das Gewölbe gekommen, ihr das Licht aus der Hand geriſſen und das Stroh ſogleich angezündet habe.","norm":"Durch viele Fragen erfuhr endlich Wilhelm, dass der Harfenspieler, als sie in das Gewölbe gekommen, ihr das Licht aus der Hand gerissen und das Stroh sogleich angezündet habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":759,"orig":"Darauf habe er den Felix niedergeſetzt, mit wunderlichen Geberden die Hände auf des Kindes Kopf gelegt und ein Meſſer gezogen, als wenn er ihn opfern wolle.","norm":"Darauf habe er den Felix niedergesetzt, mit wunderlichen Gebärden die Hände auf des Kindes Kopf gelegt und ein Messer gezogen, als wenn er ihn opfern wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":760,"orig":"Sie ſey zugeſprungen und habe ihm das Meſſer aus der Hand geriſſen; ſie habe geſchrien, und einer vom Hauſe, der einige Sachen nach dem Garten zu gerettet, ſey ihr zu Hülfe gekommen, der müſſe aber, in der Verwirrung wieder weggegangen ſeyn, und den Alten und das Kind allein gelaſſen haben.","norm":"Sie sei zugesprungen und habe ihm das Messer aus der Hand gerissen; sie habe geschrien, und einer vom Hause, der einige Sachen nach dem Garten zu gerettet, sei ihr zu Hilfe gekommen, der müsse aber, in der Verwirrung wieder weggegangen sein, und den Alten und das Kind allein gelassen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":761,"orig":"Zwey bis drey Häuſer ſtanden in vollen Flammen.","norm":"Zwei bis drei Häuser standen in vollen Flammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":762,"orig":"In den Garten hatte ſich niemand retten können, wegen des Brandes im Gartengewölbe.","norm":"In den Garten hatte sich niemand retten können, wegen des Brandes im Gartengewölbe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":763,"orig":"Wilhelm war verlegen wegen ſeiner Freunde, weniger wegen ſeiner Sachen.","norm":"Wilhelm war verlegen wegen seiner Freunde, weniger wegen seiner Sachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":764,"orig":"Er getraute ſich nicht die Kinder zu verlaſſen, und ſah das Unglück ſich immer vergrößern.","norm":"Er getraute sich nicht die Kinder zu verlassen, und sah das Unglück sich immer vergrößern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":765,"orig":"Er brachte einige Stunden in einer bänglichen Lage zu.","norm":"Er brachte einige Stunden in einer bänglichen Lage zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":766,"orig":"Felix war auf ſeinem Schooße eingeſchlafen, Mignon lag neben ihm und hielt ſeine Hand feſt.","norm":"Felix war auf seinem Schoß eingeschlafen, Mignon lag neben ihm und hielt seine Hand fest."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":767,"orig":"Endlich hatten die getroffenen Anſtalten dem Feuer Einhalt gethan.","norm":"Endlich hatten die getroffenen Anstalten dem Feuer Einhalt getan."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":768,"orig":"Die ausgebrannten Gebäude ſtürzten zuſammen, der Morgen kam herbey, die Kinder fingen an zu frieren und ihm ſelbſt ward in ſeiner leichten Kleidung der fallende Thau faſt unerträglich.","norm":"Die ausgebrannten Gebäude stürzten zusammen, der Morgen kam herbei, die Kinder fingen an zu frieren und ihm selbst wurde in seiner leichten Kleidung der fallende Tau fast unerträglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":769,"orig":"Er führte ſie zu den Trümmern des zuſammen geſtürzten Gebäudes, und ſie fanden neben einen Kohlen- und Aſchenhaufen eine ſehr behagliche Wärme.","norm":"Er führte sie zu den Trümmern des zusammengestürzten Gebäudes, und sie fanden neben einem Kohlen- und Aschenhaufen eine sehr behagliche Wärme."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":770,"orig":"Der anbrechende Tag brachte nun alle Freunde und Bekannte nach und nach zuſammen.","norm":"Der anbrechende Tag brachte nun alle Freunde und Bekannte nach und nach zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":771,"orig":"Jedermann hatte ſich gerettet, niemand hatte viel verloren.","norm":"Jedermann hatte sich gerettet, niemand hatte viel verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":772,"orig":"Wilhelms Koffer fand ſich auch wieder und Serlo trieb, als es gegen zehn Uhr ging, zur Probe von Hamlet, wenigſtens einiger Scenen, die mit neuen Schauſpielern beſetzt waren.","norm":"Wilhelms Koffer fand sich auch wieder und Serlo trieb, als es gegen zehn Uhr ging, zur Probe von Hamlet, wenigstens einiger Szenen, die mit neuen Schauspielern besetzt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":773,"orig":"Er hatte darauf noch einige Debatten mit der Polizey.","norm":"Er hatte darauf noch einige Debatten mit der Polizei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":774,"orig":"Die Geiſtlichkeit verlangte: daß nach einem ſolchen Strafgerichte Gottes das Schauſpielhaus geſchloſſen bleiben ſollte, und Serlo behauptete: daß theils zum Erſatz deſſen, was er dieſe Nacht verlohren, theils zur Aufheiterung der erſchreckten Gemüther, die Aufführung eines intereſſanten Stückes mehr als jemals am Platz ſey.","norm":"Die Geistlichkeit verlangte: dass nach einem solchen Strafgerichte Gottes das Schauspielhaus geschlossen bleiben sollte, und Serlo behauptete: dass teils zum Ersatz dessen, was er diese Nacht verloren, teils zur Aufheiterung der erschreckten Gemüter, die Aufführung eines interessanten Stückes mehr als jemals am Platz sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":775,"orig":"Dieſe letzte Meynung drang durch und das Haus war gefüllt.","norm":"Diese letzte Meinung drang durch und das Haus war gefüllt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":776,"orig":"Die Schauſpieler ſpielten mit ſeltenem Feuer und mit mehr leidenſchaftlicher Freyheit als das erſtemal.","norm":"Die Schauspieler spielten mit seltenem Feuer und mit mehr leidenschaftlicher Freiheit als das erste Mal."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":777,"orig":"Die Zuſchauer, deren Gefühl durch die ſchreckliche nächtliche Scene erhöht, und durch die Langeweile eines zerſtreuten und verdorbenen Tages noch mehr auf eine intereſſante Unterhaltung geſpannt war, hatten mehr Empfänglichkeit für das Außerordentliche.","norm":"Die Zuschauer, deren Gefühl durch die schreckliche nächtliche Szene erhöht, und durch die Langeweile eines zerstreuten und verdorbenen Tages noch mehr auf eine interessante Unterhaltung gespannt war, hatten mehr Empfänglichkeit für das Außerordentliche."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":778,"orig":"Der größte Theil waren neue, durch den Ruf des Stücks herbeygezogene Zuſchauer, die keine Vergleichung mit dem erſten Abend anſtellen konnten.","norm":"Der größte Teil waren neue, durch den Ruf des Stücks herbeigezogene Zuschauer, die keine Vergleichung mit dem ersten Abend anstellen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":779,"orig":"Der Polterer ſpielte ganz im Sinne des unbekannten Geiſtes, und der Pedant hatte ſeinem Vorgänger gleichfalls gut aufgepaßt, darneben kam ihm ſeine Erbärmlichkeit ſehr zu ſtatten, daß ihm Hamlet wirklich nicht Unrecht that, wenn er ihn, trotz ſeines Purpurmantels und Hermelinkragens, einen zuſammen geflickten Lumpen-König ſchalt.","norm":"Der Polterer spielte ganz im Sinne des unbekannten Geistes, und der Pedant hatte seinem Vorgänger gleichfalls gut aufgepasst, darneben kam ihm seine Erbärmlichkeit sehr zustatten, dass ihm Hamlet wirklich nicht Unrecht tat, wenn er ihn, trotz seines Purpurmantels und Hermelinkragens, einen zusammengeflickten Lumpenkönig schalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":780,"orig":"Sonderbarer als er war vielleicht niemand zum Throne gelangt, und obgleich die Übrigen, beſonders aber Philine, ſich über ſeine neue Würde äußerſt luſtig machten, ſo ließ er doch merken, daß der Graf, als ein großer Kenner, das und noch viel mehr von ihm beym erſten Anblick voraus geſagt habe; dagegen ermahnte ihn Philine zur Demuth und verſicherte: ſie werde ihm gelegentlich die Rockermel pudern, damit er ſich jener unglücklichen Nacht im Schloſſe erinnern, und die Krone mit Beſcheidenheit tragen möge.","norm":"Sonderbarer als er war vielleicht niemand zum Throne gelangt, und obgleich die Übrigen, besonders aber Philine, sich über seine neue Würde äußerst lustig machten, so ließ er doch merken, dass der Graf, als ein großer Kenner, das und noch viel mehr von ihm beim ersten Anblick vorausgesagt habe; dagegen ermahnte ihn Philine zur Demut und versicherte: Sie werde ihm gelegentlich die Rockärmel pudern, damit er sich jener unglücklichen Nacht im Schlosse erinnern, und die Krone mit Bescheidenheit tragen möge."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":781,"orig":"Man hatte ſich in der Geſchwindigkeit nach Quartieren umgeſehen, und die Geſellſchaft war dadurch ſehr zerſtreut worden.","norm":"Man hatte sich in der Geschwindigkeit nach Quartieren umgesehen, und die Gesellschaft war dadurch sehr zerstreut worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":782,"orig":"Wilhelm hatte das Luſthaus in dem Garten, bey dem er die Nacht zugebracht, liebgewonnen; er erhielt leicht die Schlüſſel dazu und richtete ſich daſelbſt ein; da aber Aurelie in ihrer neuen Wohnung ſehr eng war, mußte er den Felix bey ſich behalten und Mignon wollte den Knaben nicht verlaſſen.","norm":"Wilhelm hatte das Lusthaus in dem Garten, bei dem er die Nacht zugebracht, liebgewonnen; er erhielt leicht die Schlüssel dazu und richtete sich daselbst ein; da aber Aurelie in ihrer neuen Wohnung sehr eng war, musste er den Felix bei sich behalten und Mignon wollte den Knaben nicht verlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":783,"orig":"Die Kinder hatten ein artiges Zimmer in dem erſten Stock eingenommen, Wilhelm hatte ſich in dem untern Saale eingerichtet.","norm":"Die Kinder hatten ein artiges Zimmer in dem ersten Stock eingenommen, Wilhelm hatte sich in dem unteren Saale eingerichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":784,"orig":"Die Kinder ſchliefen, aber er konnte keine Ruhe finden.","norm":"Die Kinder schliefen, aber er konnte keine Ruhe finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":785,"orig":"Neben dem anmuthigen Garten, den der eben aufgegangene Vollmond herrlich erleuchtete, ſtanden die traurigen Ruinen, von denen hier und da noch Dampf aufſtieg, die Luft war angenehm und die Nacht außerordentlich ſchön!","norm":"Neben dem anmutigen Garten, den der eben aufgegangene Vollmond herrlich erleuchtete, standen die traurigen Ruinen, von denen hier und da noch Dampf aufstieg, die Luft war angenehm und die Nacht außerordentlich schön!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":786,"orig":"Philine hatte, beym Herausgehen aus dem Theater, ihn mit dem Ellenbogen angeſtrichen und ihm einige Worte zugeliſpelt, die er aber nicht verſtanden hatte.","norm":"Philine hatte, beim Herausgehen aus dem Theater, ihn mit dem Ellenbogen angestrichen und ihm einige Worte zugelispelt, die er aber nicht verstanden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":787,"orig":"Er war verwirrt und verdrießlich, und wußte nicht was er erwarten oder thun ſollte.","norm":"Er war verwirrt und verdrießlich, und wusste nicht was er erwarten oder tun sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":788,"orig":"Philine hatte ihn einige Tage gemieden und ihm nur dieſen Abend wieder ein Zeichen gegeben.","norm":"Philine hatte ihn einige Tage gemieden und ihm nur diesen Abend wieder ein Zeichen gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":789,"orig":"Leider war nun die Thüre verbrannt, die er nicht zuſchließen ſollte, und die Pantöffelchen waren im Rauch aufgegangen.","norm":"Leider war nun die Türe verbrannt, die er nicht zuschließen sollte, und die Pantöffelchen waren im Rauch aufgegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":790,"orig":"Wie die Schöne in den Garten kommen wollte, wenn es ihre Abſicht war, wußte er nicht.","norm":"Wie die Schöne in den Garten kommen wollte, wenn es ihre Absicht war, wusste er nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":791,"orig":"Er wünſchte ſie nicht zu ſehen, und doch hätte er ſich gar zu gern mit ihr erklären mögen.","norm":"Er wünschte sie nicht zu sehen, und doch hätte er sich gar zu gern mit ihr erklären mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":792,"orig":"Was ihm aber noch ſchwerer auf dem Herzen lag, war das Schickſal des Harfenſpielers, den man nicht wieder geſehen hatte.","norm":"Was ihm aber noch schwerer auf dem Herzen lag, war das Schicksal des Harfenspielers, den man nicht wiedergesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":793,"orig":"Wilhelm fürchtete, man würde ihm beym Aufräumen todt unter dem Schutte finden.","norm":"Wilhelm fürchtete, man würde ihn beim Aufräumen tot unter dem Schutte finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":794,"orig":"Wilhelm hatte gegen jedermann den Verdacht verborgen den er hegte, daß der Alte Schuld an dem Brande ſey.","norm":"Wilhelm hatte gegen jedermann den Verdacht verborgen den er hegte, dass der Alte Schuld an dem Brande sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":795,"orig":"Denn er kam ihm zuerſt von dem brennenden und rauchenden Boden entgegen, und die Verzweiflung im Gartengewölbe ſchien die Folge einer ſolchen unglücklichen Ereigniß zu ſeyn.","norm":"Denn er kam ihm zuerst von dem brennenden und rauchenden Boden entgegen, und die Verzweiflung im Gartengewölbe schien die Folge eines solchen unglücklichen Ereignisses zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":796,"orig":"Doch ward es bey der Unterſuchung, welche die Polizey ſogleich anſtellte, wahrſcheinlich geworden, daß nicht in dem Hauſe wo ſie wohnten, ſondern in dem dritten davon der Brand entſtanden ſey, der ſich auch ſogleich unter den Dächern weggeſchlichen hatte.","norm":"Doch wurde es bei der Untersuchung, welche die Polizei sogleich anstellte, wahrscheinlich geworden, dass nicht in dem Hause wo sie wohnten, sondern in dem dritten davon der Brand entstanden sei, der sich auch sogleich unter den Dächern weggeschlichen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":797,"orig":"Wilhelm überlegte das alles in einer Laube ſitzend, als er in einem nahen Gange jemanden ſchleichen hörte.","norm":"Wilhelm überlegte das alles in einer Laube sitzend, als er in einem nahen Gange jemanden schleichen hörte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":798,"orig":"An dem traurigen Geſange, der ſogleich angeſtimmt ward, erkannte er den Harfenſpieler.","norm":"An dem traurigen Gesange, der sogleich angestimmt wurde, erkannte er den Harfenspieler."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":799,"orig":"Das Lied, das er ſehr wohl verſtehen konnte, enthielt den Troſt eines Unglücklichen, der ſich dem Wahnſinne ganz nahe fühlt.","norm":"Das Lied, das er sehr wohl verstehen konnte, enthielt den Trost eines Unglücklichen, der sich dem Wahnsinne ganz nahe fühlt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":800,"orig":"Leider hat Wilhelm davon nur die letzte Strophe behalten.","norm":"Leider hat Wilhelm davon nur die letzte Strophe behalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":801,"orig":"An die Thüren will ich ſchleichen, Still und ſittſam will ich ſtehn, Frommer Hand wird Nahrung reichen Und ich werde weiter gehn.","norm":"An die Türen will ich schleichen, Still und sittsam will ich stehen, frommer Hand wird Nahrung reichen und ich werde weiter gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":802,"orig":"Jeder wird ſich glücklich ſcheinen Wenn mein Bild vor ihm erſcheint, Eine Thräne wird er weinen, Und ich weiß nicht was er weint.","norm":"Jeder wird sich glücklich scheinen wenn mein Bild vor ihm erscheint, eine Träne wird er weinen, und ich weiß nicht was er weint."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":803,"orig":"Unter dieſen Worten war er an die Gartenthüre gekommen, die nach einer entlegenen Straße ging; er wollte, da er ſie verſchloſſen fand, an den Spaliren überſteigen; allein Wilhelm hielt ihn zurück und redete ihm freundlich an.","norm":"Unter diesen Worten war er an die Gartentüre gekommen, die nach einer entlegenen Straße ging; er wollte, da er sie verschlossen fand, an den Spalieren übersteigen; allein Wilhelm hielt ihn zurück und redete ihn freundlich an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":804,"orig":"Der Alte bat ihn aufzuſchließen, weil er fliehen wolle und müſſe.","norm":"Der Alte bat ihn aufzuschließen, weil er fliehen wolle und müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":805,"orig":"Wilhelm ſtellte ihm vor: daß er wohl aus dem Garten aber nicht aus der Stadt könne, und zeigte ihm, wie ſehr er ſich durch einen ſolchen Schritt verdächtig mache; allein vergebens!","norm":"Wilhelm stellte ihm vor: dass er wohl aus dem Garten aber nicht aus der Stadt könne, und zeigte ihm, wie sehr er sich durch einen solchen Schritt verdächtig mache; allein vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":806,"orig":"Der Alte beſtand auf ſeinem Sinne.","norm":"Der Alte bestand auf seinem Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":807,"orig":"Wilhelm gab nicht nach und drängte ihn endlich halb mit Gewalt ins Gartenhaus, ſchloß ſich daſelbſt mit ihm ein und führte ein wunderbares Geſpräch mit ihm, das wir aber, um unſere Leſer nicht mit unzuſammenhängenden Ideen und bänglichen Empfindungen zu quälen, lieber verſchweigen als ausführlich mittheilen.","norm":"Wilhelm gab nicht nach und drängte ihn endlich halb mit Gewalt ins Gartenhaus, schloss sich daselbst mit ihm ein und führte ein wunderbares Gespräch mit ihm, das wir aber, um unsere Leser nicht mit unzusammenhängenden Ideen und bänglichen Empfindungen zu quälen, lieber verschweigen als ausführlich mitteilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":808,"orig":"Aus der großen Verlegenheit, worin ſich Wilhelm befand, was er mit dem unglücklichen Alten beginnen ſollte, der ſo deutliche Spuren des Wahnſinns zeigte, riß ihn Laertes noch am ſelbigen Morgen.","norm":"Aus der großen Verlegenheit, worin sich Wilhelm befand, was er mit dem unglücklichen Alten beginnen sollte, der so deutliche Spuren des Wahnsinns zeigte, riss ihn Laertes noch am selbigen Morgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":809,"orig":"Dieſer, der nach ſeiner alten Gewohnheit überall zu ſeyn pflegte, hatte auf dem Kaffehaus einen Mann geſehen, der vor einiger Zeit die heftigſten Anfälle von Melancholie erduldete.","norm":"Dieser, der nach seiner alten Gewohnheit überall zu sein pflegte, hatte auf dem Kaffeehaus einen Mann gesehen, der vor einiger Zeit die heftigsten Anfälle von Melancholie erduldete."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":810,"orig":"Man hatte ihn einem Landgeiſtlichen anvertraut, der ſich ein beſonderes Geſchäft daraus machte dergleichen Leute zu behandeln.","norm":"Man hatte ihn einem Landgeistlichen anvertraut, der sich ein besonderes Geschäft daraus machte dergleichen Leute zu behandeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":811,"orig":"Auch diesmal war es ihm gelungen; noch war er in der Stadt und die Familie des Wiederhergeſtellten erzeigte ihm große Ehre.","norm":"Auch diesmal war es ihm gelungen; noch war er in der Stadt und die Familie des Wiederhergestellten erzeigte ihm große Ehre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":812,"orig":"Wilhelm eilte ſogleich den Mann aufzuſuchen, vertraute ihm den Fall und ward mit ihm einig.","norm":"Wilhelm eilte sogleich den Mann aufzusuchen, vertraute ihm den Fall und wurde mit ihm einig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":813,"orig":"Man wußte unter gewiſſen Vorwänden ihm den Alten zu übergeben.","norm":"Man wusste unter gewissen Vorwänden ihm den Alten zu übergeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":814,"orig":"Die Scheidung ſchmerzte Wilhelmen tief, und nur die Hoffnung, ihn wiederhergeſtellt zu ſehen, konnte ſie ihm einigermaßen erträglich machen, ſo ſehr war er gewohnt den Mann um ſich zu ſehen und ſeine geiſtreichen und herzlichen Töne zu vernehmen.","norm":"Die Scheidung schmerzte Wilhelmen tief, und nur die Hoffnung, ihn wiederhergestellt zu sehen, konnte sie ihm einigermaßen erträglich machen, so sehr war er gewohnt den Mann um sich zu sehen und seine geistreichen und herzlichen Töne zu vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":815,"orig":"Die Harfe war mit verbrannt; man ſuchte eine andere, die man ihm auf die Reiſe mitgab.","norm":"Die Harfe war mit verbrannt; man suchte eine andere, die man ihm auf die Reise mitgab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":816,"orig":"Auch hatte das Feuer die kleine Garderobe Mignons verzehrt, und als man ihr wieder etwas neues ſchaffen wollte, that Aurelie den Vorſchlag, daß man ſie doch endIich als Mädchen kleiden ſollte.","norm":"Auch hatte das Feuer die kleine Garderobe Mignons verzehrt, und als man ihr wieder etwas Neues schaffen wollte, tat Aurelie den Vorschlag, dass man sie doch endlich als Mädchen kleiden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":817,"orig":"Nun gar nicht!","norm":"Nun gar nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":818,"orig":"rief Mignon aus und beſtand mit großer Lebhaftigkeit auf ihrer alten Tracht, worin man ihr denn auch willfahren mußte.","norm":"rief Mignon aus und bestand mit großer Lebhaftigkeit auf ihrer alten Tracht, worin man ihr denn auch willfahren musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":819,"orig":"Die Geſellſchaft hatte nicht viel Zeit, ſich zu beſinnen; die Vorſtellungen gingen ihren Gang.","norm":"Die Gesellschaft hatte nicht viel Zeit, sich zu besinnen; die Vorstellungen gingen ihren Gang."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":820,"orig":"Wilhelm horchte oft ins Publikum, und nur ſelten kam ihm eine Stimme entgegen, wie er ſie zu hören wünſchte, ja öfters vernahm er was ihn betrübte oder verdroß.","norm":"Wilhelm horchte oft ins Publikum, und nur selten kam ihm eine Stimme entgegen, wie er sie zu hören wünschte, ja öfters vernahm er was ihn betrübte oder verdross."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":821,"orig":"So erzählte zum Beyſpiel, gleich nach der erſten Aufführung Hamlets, ein junger Menſch mit großer Lebhaftigkeit, wie zufrieden er an jenem Abend im Schauſpielhauſe geweſen.","norm":"So erzählte zum Beispiel, gleich nach der ersten Aufführung Hamlets, ein junger Mensch mit großer Lebhaftigkeit, wie zufrieden er an jenem Abend im Schauspielhause gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":822,"orig":"Wilhelm lauſchte und hörte, zu ſeiner großen Beſchämung, daß der junge Mann zum Verdruß ſeiner Hintermänner, den Huth aufbehalten und ihn hartnäckig das ganze Stück hindurch nicht abgethan hatte, welcher Heldenthat er ſich mit dem größten Vergnügen erinnerte.","norm":"Wilhelm lauschte und hörte, zu seiner großen Beschämung, dass der junge Mann zum Verdruss seiner Hintermänner, den Hut aufbehalten und ihn hartnäckig das ganze Stück hindurch nicht abgetan hatte, welcher Heldentat er sich mit dem größten Vergnügen erinnerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":823,"orig":"Ein anderer verſicherte:","norm":"Ein anderer versicherte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":824,"orig":"Wilhelm habe die Rolle des Laertes ſehr gut geſpielt, hingegen mit dem Schauſpieler, der den Hamlet unternommen, könne man nicht eben ſo zufrieden ſeyn.","norm":"Wilhelm habe die Rolle des Laertes sehr gut gespielt, hingegen mit dem Schauspieler, der den Hamlet unternommen, könne man nicht ebenso zufrieden sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":825,"orig":"Dieſe Verwechſlung war nicht ganz unnatürlich, denn Wilhelm und Laertes glichen ſich, wiewohl in einem ſehr entfernten Sinne.","norm":"Diese Verwechslung war nicht ganz unnatürlich, denn Wilhelm und Laertes glichen sich, wiewohl in einem sehr entfernten Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":826,"orig":"Ein dritter lobte ſein Spiel, beſonders in der Scene mit der Mutter aufs lebhafteſte, und bedauerte nur: daß eben in dieſem feurigen Augenblick ein weißes Band unter der Weſte hervorgeſehen habe, wodurch die Illuſion äußerſt geſtöhrt worden ſey.","norm":"Ein dritter lobte sein Spiel, besonders in der Szene mit der Mutter aufs lebhafteste, und bedauerte nur: dass eben in diesem feurigen Augenblick ein weißes Band unter der Weste hervorgesehen habe, wodurch die Illusion äußerst gestört worden sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":827,"orig":"In dem Innern der Geſellſchaft gingen indeſſen allerley Veränderungen vor.","norm":"In dem Inneren der Gesellschaft gingen indessen allerlei Veränderungen vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":828,"orig":"Philine hatte ſeit jenem Abend nach dem Brande Wilhelmen auch nicht das geringſte Zeichen einer Annäherung gegeben.","norm":"Philine hatte seit jenem Abend nach dem Brande Wilhelmen auch nicht das geringste Zeichen einer Annäherung gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":829,"orig":"Sie hatte, wie es ſchien vorſetzlich, ein entfernteres Quartier gemiethet, vertrug ſich mit Elmiren und kam ſeltener zu Serlo, womit Aurelie wohl zufrieden war.","norm":"Sie hatte, wie es schien vorsätzlich, ein entfernteres Quartier gemietet, vertrug sich mit Elmiren und kam seltener zu Serlo, womit Aurelie wohl zufrieden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":830,"orig":"Serlo, der ihr immer gewogen blieb, beſuchte ſie manchmal, beſonders da er Elmiren bey ihr zu finden hoffte, und nahm eines Abends Wilhelmen mit ſich.","norm":"Serlo, der ihr immer gewogen blieb, besuchte sie manchmal, besonders da er Elmiren bei ihr zu finden hoffte, und nahm eines Abends Wilhelmen mit sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":831,"orig":"Beyde waren im hereintreten ſehr verwundert, als ſie Philinen in dem zweyten Zimmer, in den Armen eines jungen Officiers ſahen, der eine rothe Uniform und weiße Unterkleider an hatte, deſſen abgewendetes Geſicht ſie aber nicht ſehen konnten.","norm":"Beide waren im Hereintreten sehr verwundert, als sie Philine in dem zweiten Zimmer, in den Armen eines jungen Offiziers sahen, der eine rote Uniform und weiße Unterkleider anhatte, dessen abgewendetes Gesicht sie aber nicht sehen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":832,"orig":"Philine kam ihren beſuchenden Freunden in das Vorzimmer entgegen und verſchloß das andre.","norm":"Philine kam ihren besuchenden Freunden in das Vorzimmer entgegen und verschloss das andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":833,"orig":"Sie überraſchen mich bey einem wunderbaren Abentheuer!","norm":"Sie überraschen mich bei einem wunderbaren Abenteuer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":834,"orig":"rief ſie aus.","norm":"rief sie aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":835,"orig":"So wunderbar iſt es nicht, ſagte Serlo: laſſen Sie uns den hübſchen, jungen, beneidenswerthen Freund ſehen;","norm":"So wunderbar ist es nicht, sagte Serlo: lassen Sie uns den hübschen, jungen, beneidenswerten Freund sehen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":836,"orig":"Sie haben uns ohnedem ſchon ſo zugeſtutzt, daß wir nicht eiferſüchtig ſeyn dürfen.","norm":"Sie haben uns ohnedem schon so zugestutzt, dass wir nicht eifersüchtig sein dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":837,"orig":"Ich muß Ihnen dieſen Verdacht noch eine Zeitlang laſſen, ſagte Philine ſcherzend; doch kann ich Sie verſichern, daß es nur eine gute Freundin iſt, die ſich einige Tage unbekannt bey mir aufhalten will.","norm":"Ich muss Ihnen diesen Verdacht noch eine Zeitlang lassen, sagte Philine scherzend; doch kann ich Sie versichern, dass es nur eine gute Freundin ist, die sich einige Tage unbekannt bei mir aufhalten will."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":838,"orig":"Sie ſollen ihre Schickſale künftig erfahren, ja vielleicht das intereſſante Mädchen ſelbſt kennen lernen, und ich werde wahrſcheinlich alsdann Urſache haben, meine Beſcheidenheit und Nachſicht zu üben, denn ich fürchte, die Herren werden über ihre neue Bekanntſchaft ihre alte Freundin vergeſſen.","norm":"Sie sollen ihre Schicksale künftig erfahren, ja vielleicht das interessante Mädchen selbst kennen lernen, und ich werde wahrscheinlich alsdann Ursache haben, meine Bescheidenheit und Nachsicht zu üben, denn ich fürchte, die Herren werden über ihre neue Bekanntschaft ihre alte Freundin vergessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":839,"orig":"Wilhelm ſtand verſteinert da; denn gleich beym erſten Anblick hatte ihn die rothe Uniform an den ſo ſehr geliebten Rock Marianens erinnert; es war ihre Geſtalt, es waren ihre blonden Haare, nur ſchien ihm der gegenwärtige Officier etwas größer zu ſeyn.","norm":"Wilhelm stand versteinert da; denn gleich beim ersten Anblick hatte ihn die rote Uniform an den so sehr geliebten Rock Marianes erinnert; es war ihre Gestalt, es waren ihre blonden Haare, nur schien ihm der gegenwärtige Offizier etwas größer zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":840,"orig":"Um des Himmels Willen!","norm":"Um des Himmels willen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":841,"orig":"rief er aus, laſſen Sie uns mehr von Ihrer Freundin wiſſen, laſſen Sie uns das verkleidete Mädchen ſehen.","norm":"rief er aus, lassen Sie uns mehr von Ihrer Freundin wissen, lassen Sie uns das verkleidete Mädchen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":842,"orig":"Wir ſind nun einmal Theilnehmer des Geheimniſſes; wir wollen verſprechen, wir wollen ſchwören, aber laſſen Sie uns das Mädchen ſehen!","norm":"Wir sind nun einmal Teilnehmer des Geheimnisses; wir wollen versprechen, wir wollen schwören, aber lassen Sie uns das Mädchen sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":843,"orig":"O wie er in Feuer iſt!","norm":"O wie er in Feuer ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":844,"orig":"rief Philine, nur gelaſſen, nur geduldig, heute wird einmal nichts draus.","norm":"rief Philine, nur gelassen, nur geduldig, heute wird einmal nichts draus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":845,"orig":"So laſſen Sie uns nur ihren Nahmen wiſſen!","norm":"So lassen Sie uns nur ihren Namen wissen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":846,"orig":"rief Wilhelm.","norm":"rief Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":847,"orig":"Das wäre alsdann ein ſchönes Geheimniß, verſetzte Philine.","norm":"Das wäre alsdann ein schönes Geheimnis, versetzte Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":848,"orig":"Wenigſtens nur den Vornahmen.","norm":"Wenigstens nur den Vornamen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":849,"orig":"Wenn Sie ihn rathen, meinetwegen.","norm":"Wenn Sie ihn raten, meinetwegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":850,"orig":"Dreymal dürfen Sie rathen, aber nicht öfter;","norm":"Dreimal dürfen Sie raten, aber nicht öfter;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":851,"orig":"Sie könnten mich ſonſt durch den ganzen Kalender durchführen.","norm":"Sie könnten mich sonst durch den ganzen Kalender durchführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":852,"orig":"Gut, ſagte Wilhelm:","norm":"Gut, sagte Wilhelm:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":853,"orig":"Cecilie alſo?","norm":"Cecilie also?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":854,"orig":"Nichts von Cecilien!","norm":"Nichts von Cecilien!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":855,"orig":"Henriette?","norm":"Henriette?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":856,"orig":"Keineswegs!","norm":"Keineswegs!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":857,"orig":"Nehmen Sie ſich in Acht!","norm":"Nehmen Sie sich in Acht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":858,"orig":"Ihre Neugierde wird ausſchlafen müſſen.","norm":"Ihre Neugierde wird ausschlafen müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":859,"orig":"Wilhelm zauderte und zitterte; er wollte ſeinen Mund aufthun, aber die Sprache verſagte ihm.","norm":"Wilhelm zauderte und zitterte; er wollte seinen Mund auftun, aber die Sprache versagte ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":860,"orig":"Mariane?","norm":"Mariane?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":861,"orig":"ſtammelte er endlich, Mariane!","norm":"stammelte er endlich, Mariane!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":862,"orig":"Bravo!","norm":"Bravo!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":863,"orig":"rief Philine, getroffen!","norm":"rief Philine, getroffen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":864,"orig":"indem ſie ſich nach ihrer Gewohnheit auf dem Abſatze herum drehte.","norm":"indem sie sich nach ihrer Gewohnheit auf dem Absatze herumdrehte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":865,"orig":"Wilhelm konnte kein Wort hervorbringen, und Serlo, der ſeine Gemüthsbewegung nicht bemerkte, fuhr fort in Philinen zu dringen, daß ſie die Thüre öffnen ſollte.","norm":"Wilhelm konnte kein Wort hervorbringen, und Serlo, der seine Gemütsbewegung nicht bemerkte, fuhr fort in Philine zu dringen, dass sie die Türe öffnen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":866,"orig":"Wie verwundert waren daher beyde, als Wilhelm auf einmal heftig ihre Neckerey unterbrach, ſich Philinen zu Füßen warf und ſie mit dem lebhafteſten Ausdrucke der Leidenſchaft bat und beſchwor.","norm":"Wie verwundert waren daher beide, als Wilhelm auf einmal heftig ihre Neckerei unterbrach, sich Philine zu Füßen warf und sie mit dem lebhaftesten Ausdrucke der Leidenschaft bat und beschwor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":867,"orig":"Laſſen Sie mich das Mädchen ſehen, rief er aus, ſie iſt mein, es iſt meine Mariane!","norm":"Lassen Sie mich das Mädchen sehen, rief er aus, sie ist mein, es ist meine Mariane!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":868,"orig":"Sie, nach der ich mich alle Tage meines Lebens geſehnt habe, ſie, die mir noch immer ſtatt aller andern Weiber in der Welt iſt!","norm":"Sie, nach der ich mich alle Tage meines Lebens gesehnt habe, sie, die mir noch immer statt aller anderen Weiber in der Welt ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":869,"orig":"Gehen Sie wenigſtens zu ihr hinein, ſagen Sie ihr daß ich hier bin, daß der Menſch hier iſt, der ſeine erſte Liebe und das ganze Glück ſeiner Jugend an ſie knüpfte.","norm":"Gehen Sie wenigstens zu ihr hinein, sagen Sie ihr dass ich hier bin, dass der Mensch hier ist, der seine erste Liebe und das ganze Glück seiner Jugend an sie knüpfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":870,"orig":"Er will ſich rechtfertigen, daß er ſie unfreundlich verließ, er will ſie um Verzeihung bitten, er will ihr vergeben, was ſie auch gegen ihm gefehlt haben mag, er will ſogar keine Anſprüche an ſie mehr machen, wenn er ſie nur noch einmal ſehen kann, wenn er nur ſehen kann daß ſie lebt und glücklich iſt!","norm":"Er will sich rechtfertigen, dass er sie unfreundlich verließ, er will sie um Verzeihung bitten, er will ihr vergeben, was sie auch gegen ihm gefehlt haben mag, er will sogar keine Ansprüche an sie mehr machen, wenn er sie nur noch einmal sehen kann, wenn er nur sehen kann dass sie lebt und glücklich ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":871,"orig":"Philine ſchüttelte den Kopf und ſagte: mein Freund, reden Sie leiſe!","norm":"Philine schüttelte den Kopf und sagte: mein Freund, reden Sie leise!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":872,"orig":"Betrügen wir uns nicht!","norm":"Betrügen wir uns nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":873,"orig":"und iſt das Frauenzimmer wirklich Ihre Freundin, ſo müſſen wir ſie ſchonen, denn ſie vermuthet keinesweges Sie hier zu ſehen.","norm":"und ist das Frauenzimmer wirklich Ihre Freundin, so müssen wir sie schonen, denn sie vermutet keineswegs Sie hier zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":874,"orig":"Ganz andere Angelegenheiten führen ſie hierher, und das wiſſen Sie doch, man mögte oft lieber ein Geſpenſt als einen alten Liebhaber zur unrechten Zeit vor Augen ſehen.","norm":"Ganz andere Angelegenheiten führen sie hierher, und das wissen Sie doch, man möchte oft lieber ein Gespenst als einen alten Liebhaber zur unrechten Zeit vor Augen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":875,"orig":"Ich will ſie fragen, ich will ſie vorbereiten und wir wollen überlegen, was zu thun iſt.","norm":"Ich will sie fragen, ich will sie vorbereiten und wir wollen überlegen, was zu tun ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":876,"orig":"Ich ſchreibe Ihnen morgen ein Billet, zu welcher Stunde Sie kommen ſollen, oder ob Sie kommen dürfen; gehorchen Sie mir pünktlich, denn ich ſchwöre, niemand ſoll gegen meinen und meiner Freundin Willen dieſes liebenswürdige Geſchöpf mit Augen ſehen.","norm":"Ich schreibe Ihnen morgen ein Billett, zu welcher Stunde Sie kommen sollen, oder ob Sie kommen dürfen; gehorchen Sie mir pünktlich, denn ich schwöre, niemand soll gegen meinen und meiner Freundin Willen dieses liebenswürdige Geschöpf mit Augen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":877,"orig":"Meine Thüren werde ich beſſer verſchloſſen halten, und mit Axt und Beil werden Sie mich nicht beſuchen wollen.","norm":"Meine Türen werde ich besser verschlossen halten, und mit Axt und Beil werden Sie mich nicht besuchen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":878,"orig":"Wilhelm beſchwor ſie, Serlo redete ihr zu, vergebens!","norm":"Wilhelm beschwor sie, Serlo redete ihr zu, vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":879,"orig":"beyde Freunde mußten zuletzt nachgeben, das Zimmer und das Haus räumen.","norm":"beide Freunde mussten zuletzt nachgeben, das Zimmer und das Haus räumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":880,"orig":"Welche unruhige Nacht Wilhelm zubrachte, wird ſich jedermann denken.","norm":"Welche unruhige Nacht Wilhelm zubrachte, wird sich jedermann denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":881,"orig":"Wie langſam die Stunden des Tages dahinzogen, in denen er Philinens Billet erwartete, läßt ſich begreifen.","norm":"Wie langsam die Stunden des Tages dahinzogen, in denen er Philines Billett erwartete, lässt sich begreifen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":882,"orig":"Unglücklicherweiſe mußte er ſelbigen Abend ſpielen; er hatte niemals eine größere Pein ausgeſtanden.","norm":"Unglücklicherweise musste er selbigen Abendspielen; er hatte niemals eine größere Pein ausgestanden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":883,"orig":"Nach geendigtem Stücke eilte er zu Philinen, ohne nur zu fragen, ob er eingeladen worden.","norm":"Nach geendigtem Stücke eilte er zu Philine, ohne nur zu fragen, ob er eingeladen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":884,"orig":"Er fand ihre Thüre verſchloſſen und die Hausleute ſagten:","norm":"Er fand ihre Türe verschlossen und die Hausleute sagten:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":885,"orig":"Mademoiſelle ſey heute früh mit einem jungen Officier weggefahren; ſie habe zwar geſagt, daß ſie in einigen Tagen wiederkomme, man glaube es aber nicht, weil ſie alles bezahlt und ihre Sachen mitgenommen habe.","norm":"Mademoiselle sei heute früh mit einem jungen Offizier weggefahren; sie habe zwar gesagt, dass sie in einigen Tagen wiederkomme, man glaube es aber nicht, weil sie alles bezahlt und ihre Sachen mitgenommen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":886,"orig":"Wilhelm war außer ſich über dieſe Nachricht.","norm":"Wilhelm war außer sich über diese Nachricht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":887,"orig":"Er eilte zu Laertes, und ſchlug ihm vor, ihr nachzuſetzen, und, es koſte was es wolle, über ihren Begleiter Gewißheit zu erlangen.","norm":"Er eilte zu Laertes, und schlug ihm vor, ihr nachzusetzen, und, es koste was es wolle, über ihren Begleiter Gewissheit zu erlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":888,"orig":"Laertes dagegen verwies ſeinem Freunde ſeine Leidenſchaft und Leichtgläubigkeit.","norm":"Laertes dagegen verwies seinem Freunde seine Leidenschaft und Leichtgläubigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":889,"orig":"Ich will wetten, ſagte er, es iſt niemand anders als Friedrich.","norm":"Ich will wetten, sagte er, es ist niemand anders als Friedrich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":890,"orig":"Der Junge iſt von gutem Hauſe, ich weiß es recht wohl; er iſt unſinnig in das Mädchen verliebt, und hat wahrſcheinlich ſeinen Verwandten ſo viel Geld abgelockt, daß er wieder eine Zeitlang mit ihr leben kann.","norm":"Der Junge ist von gutem Hause, ich weiß es recht wohl; er ist unsinnig in das Mädchen verliebt, und hat wahrscheinlich seinen Verwandten so viel Geld abgelockt, dass er wieder eine Zeitlang mit ihr leben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":891,"orig":"Durch dieſe Einwendungen ward Wilhelm nicht überzeugt, doch zweifelhaft.","norm":"Durch diese Einwendungen wurde Wilhelm nicht überzeugt, doch zweifelhaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":892,"orig":"Laertes ſtellte ihm vor, wie unwahrſcheinlich das Mährchen ſey, das Philine ihnen vorgeſpiegelt hatte, wie Figur und Haar ſehr gut auf Friedrichen paſſe, wie ſie bey zwölf Stunden Vorſprung ſo leicht nicht einzuholen ſeyn würden, und hauptſächlich wie Serlo keinen von ihnen beyden beym Schauſpiele entbehren könne.","norm":"Laertes stellte ihm vor, wie unwahrscheinlich das Märchen sei, das Philine ihnen vorgespiegelt hatte, wie Figur und Haar sehr gut auf Friedrich passe, wie sie bei zwölf Stunden Vorsprung so leicht nicht einzuholen sein würden, und hauptsächlich wie Serlo keinen von ihnen beiden beim Schauspiele entbehren könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":893,"orig":"Durch alle dieſe Gründe wurde Wilhelm endlich nur ſo weit gebracht, daß er Verzicht darauf that, ſelbſt nachzuſetzen.","norm":"Durch all diese Gründe wurde Wilhelm endlich nur so weit gebracht, dass er Verzicht darauf tat, selbst nachzusetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":894,"orig":"Laertes wußte noch in ſelbiger Nacht einen tüchtigen Mann zu ſchaffen, dem man den Auftrag geben konnte.","norm":"Laertes wusste noch in selbiger Nacht einen tüchtigen Mann zu schaffen, dem man den Auftrag geben konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":895,"orig":"Es war ein geſetzter Mann, der mehreren Herrſchaften auf Reiſen als Kurier und Führer gedient hatte, und eben jetzt ohne Beſchäftigung ſtille lag.","norm":"Es war ein gesetzter Mann, der mehreren Herrschaften auf Reisen als Kurier und Führer gedient hatte, und eben jetzt ohne Beschäftigung stille lag."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":896,"orig":"Man gab ihm Geld, man unterrichtete ihn von der ganzen Sache, mit dem Auftrage, daß er die Flüchtlinge aufſuchen und einhohlen, ſie alsdenn nicht aus den Augen laſſen und die Freunde ſogleich wo und wie er ſie fände benachrichtigen ſolle.","norm":"Man gab ihm Geld, man unterrichtete ihn von der ganzen Sache, mit dem Auftrage, dass er die Flüchtlinge aufsuchen und einholen, sie alsdann nicht aus den Augen lassen und die Freunde sogleich wo und wie er sie fände benachrichtigen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":897,"orig":"Er ſetzte ſich in derſelbigen Stunde zu Pferde und ritt dem zweydeutigen Paare nach, und Wilhelm war durch dieſe Anſtalt wenigſtens einigermaßeu beruhigt.","norm":"Er setzte sich in derselbigen Stunde zu Pferde und ritt dem zweideutigen Paare nach, und Wilhelm war durch diese Anstalt wenigstens einigermaßen beruhigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":898,"orig":"Die Entfernung Philinens machte keine auffallende Senſation weder auf dem Theater noch im Publiko.","norm":"Die Entfernung Philines machte keine auffallende Sensation weder auf dem Theater noch im Publikum."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":899,"orig":"Es war ihr mit allem wenig Ernſt; die Frauen haßten ſie durchgängig, und die Männer hätten ſie lieber unter vier Augen als auf dem Theater geſehen, und ſo war ihr ſchönes, und für die Bühne ſelbſt glückliches Talent verlohren.","norm":"Es war ihr mit allem wenig Ernst; die Frauen hassten sie durchgängig, und die Männer hätten sie lieber unter vier Augen als auf dem Theater gesehen, und so war ihr schönes, und für die Bühne selbst glückliches Talent verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":900,"orig":"Die übrigen Glieder der Geſellſchaft gaben ſich deſto mehr Mühe;","norm":"Die übrigen Glieder der Gesellschaft gaben sich desto mehr Mühe;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":901,"orig":"Madam Melina beſonders that ſich durch Fleiß und Aufmerkſamkeit ſehr hervor.","norm":"Madame Melina besonders tat sich durch Fleiß und Aufmerksamkeit sehr hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":902,"orig":"Sie merkte, wie ſonſt, Wilhelmen ſeine Grundſätze ab, richtete ſich nach ſeiner Theorie und ſeinem Beyſpiel, und hatte zeither ein ich weiß nicht was in ihren Weſen, das ſie intereſſanter machte.","norm":"Sie merkte, wie sonst, Wilhelm seine Grundsätze ab, richtete sich nach seiner Theorie und seinem Beispiel, und hatte zeither ein ich weiß nicht was in ihren Wesen, das sie interessanter machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":903,"orig":"Sie erlangte bald ein richtiges Spiel und gewann den natürlichen Ton der Unterhaltung vollkommen, und den der Empfindung bis auf einen gewiſſen Grad.","norm":"Sie erlangte bald ein richtiges Spiel und gewann den natürlichen Ton der Unterhaltung vollkommen, und den der Empfindung bis auf einen gewissen Grad."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":904,"orig":"Sie wußte ſich in Serlos Launen zu ſchicken und befliß ſich des Singens ihm zu gefallen, worin ſie auch bald ſo weit kam, als man deſſen zur geſelligen Unterhaltung bedarf.","norm":"Sie wusste sich in Serlos Launen zu schicken und befliss sich des Singens ihm zu Gefallen, worin sie auch bald so weit kam, als man dessen zur geselligen Unterhaltung bedarf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":905,"orig":"Durch einige neu angenommene Schauſpieler war die Geſellſchaft noch vollſtändiger, und indem Wilhelm und Serlo jeder in ſeiner Art wirkte, jener bey jedem Stücke auf den Sinn und Ton des Ganzen drang, dieſer die einzelnen Theile gewiſſenhaft durcharbeitete; belebte ein lobenswürdiger Eifer auch die Schauſpieler, und das Publikum nahm an ihnen einen lebhaften Antheil.","norm":"Durch einige neu angenommene Schauspieler war die Gesellschaft noch vollständiger, und indem Wilhelm und Serlo jeder in seiner Art wirkte, jener bei jedem Stücke auf den Sinn und Ton des Ganzen drang, dieser die einzelnen Teile gewissenhaft durcharbeitete; belebte ein lobenswürdiger Eifer auch die Schauspieler, und das Publikum nahm an ihnen einen lebhaften Anteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":906,"orig":"Wir ſind auf einem guten Wege, ſagte Serlo einſt, und wenn wir ſo fortfahren, wird das Publikum auch bald auf dem rechten ſeyn.","norm":"Wir sind auf einem guten Wege, sagte Serlo einst, und wenn wir so fortfahren, wird das Publikum auch bald auf dem rechten sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":907,"orig":"Man kann die Menſchen ſehr leicht durch tolle und unſchickliche Darſtellungen irre machen; aber man lege ihnen das Vernünftige und Schickliche auf eine intereſſante Weiſe vor, ſo werden ſie gewiß darnach greifen.","norm":"Man kann die Menschen sehr leicht durch tolle und unschickliche Darstellungen irremachen; aber man lege ihnen das Vernünftige und Schickliche auf eine interessante Weise vor, so werden sie gewiss danach greifen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":908,"orig":"Was unſerm Theater hauptſächlich fehlt, und warum weder Schauſpieler noch Zuſchauer zur Beſinnung kommen, iſt, daß es darauf im Ganzen zu bunt ausſieht, und daß man nirgends eine Grenze hat, woran man ſein Urtheil anlehnen könnte.","norm":"Was unserem Theater hauptsächlich fehlt, und warum weder Schauspieler noch Zuschauer zur Besinnung kommen, ist, dass es darauf im Ganzen zu bunt aussieht, und dass man nirgends eine Grenze hat, woran man sein Urteil anlehnen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":909,"orig":"Es ſcheint mir kein Vortheil zu ſeyn, daß wir unſer Theater gleichſam zu einem unendlichen Naturſchauplatze ausgeweitet haben, doch kann jetzt weder Direktor noch Schauſpieler ſich in die Enge ziehen, bis vielleicht der Geſchmack der Nation in der Folge den rechten Kreis ſelbſt bezeichnet.","norm":"Es scheint mir kein Vorteil zu sein, dass wir unser Theater gleichsam zu einem unendlichen Naturschauplatze ausgeweitet haben, doch kann jetzt weder Direktor noch Schauspieler sich in die Enge ziehen, bis vielleicht der Geschmack der Nation in der Folge den rechten Kreis selbst bezeichnet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":910,"orig":"Eine jede gute Societät exiſtirt nur unter gewiſſen Bedingungen, ſo auch ein gutes Theater.","norm":"Eine jede gute Sozietät existiert nur unter gewissen Bedingungen, so auch ein gutes Theater."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":911,"orig":"Gewiſſe Manieren und Redensarten, gewiſſe Gegenſtände und Handelsweiſen müſſen ausgeſchloſſen ſeyn.","norm":"Gewisse Manieren und Redensarten, gewisse Gegenstände und Handelsweisen müssen ausgeschlossen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":912,"orig":"Man wird nicht ärmer, wenn man ſein Hausweſen zuſammen zieht.","norm":"Man wird nicht ärmer, wenn man sein Hauswesen zusammenzieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":913,"orig":"Sie waren hierüber mehr oder weniger einig und uneinig.","norm":"Sie waren hierüber mehr oder weniger einig und uneinig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":914,"orig":"Wilhelm und die meiſten waren auf der Seite des engliſchen;","norm":"Wilhelm und die meisten waren auf der Seite des englischen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":915,"orig":"Serlo und einige auf der Seite des franzöſiſchen Theaters.","norm":"Serlo und einige auf der Seite des französischen Theaters."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":916,"orig":"Man ward einig in leeren Stunden; deren ein Schauſpieler leider ſo viele hat, in Geſellſchaft die berühmteſten Schauſpiele beyder Theater durchzugehen, und das beſte und nachahmenswerthe derſelben zu bemerken.","norm":"Man wurde einig in leeren Stunden; deren ein Schauspieler leider so viele hat, in Gesellschaft die berühmtesten Schauspiele beider Theater durchzugehen, und das Beste und Nachahmenswerte derselben zu bemerken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":917,"orig":"Man machte auch wirklich einen Anfang mit einigen franzöſiſchen Stücken.","norm":"Man machte auch wirklich einen Anfang mit einigen französischen Stücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":918,"orig":"Aurelie entfernte ſich jedesmal ſobald die Vorleſung anging.","norm":"Aurelie entfernte sich jedes Mal sobald die Vorlesung anging."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":919,"orig":"Anfangs hielt man ſie für krank, einſt aber fragte ſie Wilhelm darüber, dem es aufgefallen war.","norm":"Anfangs hielt man sie für krank, einst aber fragte sie Wilhelm darüber, dem es aufgefallen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":920,"orig":"Ich werde bey keiner ſolchen Vorleſung gegenwärtig ſeyn, ſagte ſie, denn wie ſoll ich hören und urtheilen, wenn mir das Herz zerriſſen iſt.","norm":"Ich werde bei keiner solchen Vorlesung gegenwärtig sein, sagte sie, denn wie soll ich hören und urteilen, wenn mir das Herz zerrissen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":921,"orig":"Ich haſſe die franzöſiſche Sprache von ganzer Seele.","norm":"Ich hasse die französische Sprache von ganzer Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":922,"orig":"Wie kann man einer Sprache feind ſeyn?","norm":"Wie kann man einer Sprache Feind sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":923,"orig":"rief Wilhelm aus, der man den größten Theil ſeiner Bildung ſchuldig iſt, und der wir noch viel ſchuldig werden müſſen, ehe unſer Weſen eine Geſtalt gewinnen kann.","norm":"rief Wilhelm aus, der man den größten Teil seiner Bildung schuldig ist, und der wir noch viel schuldig werden müssen, ehe unser Wesen eine Gestalt gewinnen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":924,"orig":"Es iſt kein Vorurtheil!","norm":"Es ist kein Vorurteil!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":925,"orig":"verſetzte Aurelie, ein unglücklicher Eindruck, eine verhaßte Erinnerung an meinen treuloſen Freund hat mir die Luſt an dieſer ſchönen und ausgebildeten Sprache geraubt.","norm":"versetzte Aurelie, ein unglücklicher Eindruck, eine verhasste Erinnerung an meinen treulosen Freund hat mir die Lust an dieser schönen und ausgebildeten Sprache geraubt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":926,"orig":"Wie ich ſie jetzt von ganzem Herzen haſſe!","norm":"Wie ich sie jetzt von ganzem Herzen hasse!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":927,"orig":"Während der Zeit unſerer freundſchaftlichen Verbindung ſchrieb er deutſch, und welch ein herzliches, wahres, kräftiges Deutſch!","norm":"Während der Zeit unserer freundschaftlichen Verbindung schrieb er deutsch, und welch ein herzliches, wahres, kräftiges Deutsch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":928,"orig":"nun da er mich los ſeyn wollte, fing er an franzöſiſch zu ſchreiben, das vorher manchmal nur im Scherze geſchehen war.","norm":"Nun da er mich los sein wollte, fing er an Französisch zu schreiben, das vorher manchmal nur im Scherze geschehen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":929,"orig":"Ich fühlte, ich merkte was es bedeuten ſollte.","norm":"Ich fühlte, ich merkte was es bedeuten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":930,"orig":"Was er in ſeiner Mutterſprache zu ſagen erröthete, konnte er nun mit gutem Gewiſſen hinſchreiben.","norm":"Was er in seiner Muttersprache zu sagen errötete, konnte er nun mit gutem Gewissen hinschreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":931,"orig":"Zu Reſervationen, Halbheiten und Lügen iſt es eine treffliche Sprache; ſie iſt eine perfide Sprache!","norm":"Zu Reservationen, Halbheiten und Lügen ist es eine treffliche Sprache; sie ist eine perfide Sprache!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":932,"orig":"ich finde, Gott ſey Dank!","norm":"ich finde, Gott sei Dank!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":933,"orig":"kein deutſches Wort, um perfid in ſeinem ganzen Umfange auszudrücken.","norm":"kein deutsches Wort, um perfid in seinem ganzen Umfange auszudrücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":934,"orig":"Unſer armſeliges treulos iſt ein unſchuldiges Kind dagegen.","norm":"Unser armseliges treulos ist ein unschuldiges Kind dagegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":935,"orig":"Perfid iſt treulos mit Genuß, mit Übermuth und Schadenfreude.","norm":"Perfid ist treulos mit Genuss, mit Übermut und Schadenfreude."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":936,"orig":"O, die Ausbildung einer Nation iſt zu beneiden, die ſo feine Schattirungen in Einem Worte auszudrücken weiß!","norm":"O, die Ausbildung einer Nation ist zu beneiden, die so feine Schattierungen in einem Worte auszudrücken weiß!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":937,"orig":"Franzöſiſch iſt recht die Sprache der Welt, werth die allgemeine Sprache zu ſeyn, damit ſie ſich nur recht alle unter einander betrügen und belügen können!","norm":"Französisch ist recht die Sprache der Welt, wert die allgemeine Sprache zu sein, damit sie sich nur recht alle untereinander betrügen und belügen können!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":938,"orig":"Seine franzöſiſchen Briefe ließen ſich noch immer gut genug leſen.","norm":"Seine französischen Briefe ließen sich noch immer gut genug lesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":939,"orig":"Wenn man ſichs einbilden wollte, klangen ſie warm und ſelbſt leidenſchaftlich; doch genau beſehen waren es Phraſen, vermaledeyte Phraſen!","norm":"Wenn man sich es einbilden wollte, klangen sie warm und selbst leidenschaftlich; doch genau besehen waren es Phrasen, vermaledeite Phrasen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":940,"orig":"Er hat mir alle Freude an der ganzen Sprache, an der franzöſiſchen Litteratur, ſelbſt an dem ſchönen und köſtlichen Ausdruck edler Seelen in dieſer Mundart verdorben; mich ſchaudert wenn ich ein franzöſiſches Wort höre!","norm":"Er hat mir alle Freude an der ganzen Sprache, an der französischen Literatur, selbst an dem schönen und köstlichen Ausdruck edler Seelen in dieser Mundart verdorben; mich schaudert wenn ich ein französisches Wort höre!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":941,"orig":"Auf dieſe Weiſe konnte ſie ſtundenlang fortfahren ihren Unmuth zu zeigen, und jede andere Unterhaltung zu unterbrechen oder zu verſtimmen.","norm":"Auf diese Weise konnte sie stundenlang fortfahren ihren Unmut zu zeigen, und jede andere Unterhaltung zu unterbrechen oder zu verstimmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":942,"orig":"Serlo machte früher oder ſpäter ihren launigen Äußerungen mit einiger Bitterkeit ein Ende; aber gewöhnlich war für dieſen Abend das Geſpräch zerſtört.","norm":"Serlo machte früher oder später ihren launigen Äußerungen mit einiger Bitterkeit ein Ende; aber gewöhnlich war für diesen Abend das Gespräch zerstört."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":943,"orig":"Überhaupt iſt es leider der Fall, daß alles was durch mehrere zuſammentreffende Menſchen und Umſtände hervorgebracht werden ſoll, keine lange Zeit ſich vollkommen erhalten kann.","norm":"Überhaupt ist es leider der Fall, dass alles was durch mehrere zusammentreffende Menschen und Umstände hervorgebracht werden soll, keine lange Zeit sich vollkommen erhalten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":944,"orig":"Von einer Theatergeſellſchaft ſo gut wie von einem Reiche, von einem Zirkel Freunde ſo gut wie von einer Armee läßt ſich gewöhnlich der Moment angeben, wenn ſie auf der höchſten Stufe ihrer Vollkommenheit, ihrer Übereinſtimmung, ihrer Zufriedenheit und Thätigkeit ſtanden; oft aber verändert ſich ſchnell das Perſonal, neue Glieder treten hinzu, die Perſonen paſſen nicht mehr zu den Umſtänden, die Umſtände nicht mehr zu den Perſonen; es wird alles anders, und was vorher verbunden war, fällt nunmehr bald auseinander.","norm":"Von einer Theatergesellschaft so gut wie von einem Reiche, von einem Zirkel Freunde so gut wie von einer Armee lässt sich gewöhnlich der Moment angeben, wenn sie auf der höchsten Stufe ihrer Vollkommenheit, ihrer Übereinstimmung, ihrer Zufriedenheit und Tätigkeit standen; oft aber verändert sich schnell das Personal, neue Glieder treten hinzu, die Personen passen nicht mehr zu den Umständen, die Umstände nicht mehr zu den Personen; es wird alles anders, und was vorher verbunden war, fällt nunmehr bald auseinander."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":945,"orig":"So konnte man ſagen, daß Serlos Geſellſchaft eine Zeitlang ſo vollkommen war, als irgend eine deutſche ſich hatte rühmen können.","norm":"So konnte man sagen, dass Serlos Gesellschaft eine Zeitlang so vollkommen war, als irgendeine deutsche sich hätte rühmen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":946,"orig":"Die meiſten Schauſpieler ſtanden an ihrem Platze; alle hatten genug zu thun, und alle thaten gern was zu thun war.","norm":"Die meisten Schauspieler standen an ihrem Platze; alle hatten genug zu tun, und alle taten gern was zu tun war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":947,"orig":"Ihre perſönlichen Verhältniſſe waren leidlich und jedes ſchien in ſeiner Kunſt viel zu verſprechen, weil jedes die erſten Schritte mit Feuer und Munterkeit that.","norm":"Ihre persönlichen Verhältnisse waren leidlich und jedes schien in seiner Kunst viel zu versprechen, weil jedes die ersten Schritte mit Feuer und Munterkeit tat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":948,"orig":"Bald aber entdeckte ſich, daß ein Theil doch nur Automaten waren, die nur das erreichen konnten, wohin man ohne Gefühl gelangen kann, und bald miſchten ſich die Leidenſchaften darzwiſchen, die gewöhnlich jeder guten Einrichtung im Wege ſtehen und alles ſo leicht auseinander zerren, was vernünftige und wohldenkende Menſchen zuſammen zu halten wünſchen.","norm":"Bald aber entdeckte sich, dass ein Teil doch nur Automaten waren, die nur das erreichen konnten, wohin man ohne Gefühl gelangen kann, und bald mischten sich die Leidenschaften dazwischen, die gewöhnlich jeder guten Einrichtung im Wege stehen und alles so leicht auseinanderzerren, was vernünftige und wohldenkende Menschen zusammenzuhalten wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":949,"orig":"Philinens Abgang war nicht ſo unbedeutend als man Anfangs glaubte.","norm":"Philines Abgang war nicht so unbedeutend als man Anfangs glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":950,"orig":"Sie hatte mit großer Geſchicklichkeit Serlo zu unterhalten, und die Übrigen mehr oder weniger zu reizen gewußt.","norm":"Sie hatte mit großer Geschicklichkeit Serlo zu unterhalten, und die Übrigen mehr oder weniger zu reizen gewusst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":951,"orig":"Sie ertrug Aureliens Heftigkeit mit großer Geduld, und ihr eigenſtes Geſchäft war Wilhelmen zu ſchmeicheln.","norm":"Sie ertrug Aurelies Heftigkeit mit großer Geduld, und ihr eigenstes Geschäft war Wilhelm zu schmeicheln."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":952,"orig":"So war ſie eine Art von Bindungsmittel fürs Ganze, und ihr Verluſt mußte bald fühlbar werden.","norm":"So war sie eine Art von Bindungsmittel fürs Ganze, und ihr Verlust musste bald fühlbar werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":953,"orig":"Serlo konnte ohne eine kleine Liebſchaft nicht leben.","norm":"Serlo konnte ohne eine kleine Liebschaft nicht leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":954,"orig":"Elmire, die in weniger Zeit herangewachſen und man könnte beynahe ſagen ſchön geworden war, hatte ſchon lange ſeine Aufmerkſamkeit erregt, und Philine war klug genug, dieſe Leidenſchaft, die ſie merkte, zu begünſtigen.","norm":"Elmire, die in weniger Zeit herangewachsen und man könnte beinahe sagen schön geworden war, hatte schon lange seine Aufmerksamkeit erregt, und Philine war klug genug, diese Leidenschaft, die sie merkte, zu begünstigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":955,"orig":"Man muß ſich, pflegte ſie zu ſagen, bey Zeiten aufs Kuppeln legen, es bleibt uns doch weiter nichts übrig wenn wir alt werden.","norm":"Man muss sich, pflegte sie zu sagen, beizeiten aufs Kuppeln legen, es bleibt uns doch weiter nichts übrig wenn wir alt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":956,"orig":"Dadurch hatten ſich Serlo und Elmire dergeſtalt genähert, daß ſie nach Philinens Abſchiede bald einig wurden, und der kleine Roman intereſſirte ſie beyde um ſo mehr, als ſie ihn vor dem Alten, der über eine ſolche Unregelmäßigkeit keinen Scherz verſtanden hätte, geheim zu halten alle Urſache hatten.","norm":"Dadurch hatten sich Serlo und Elmire dergestalt genähert, dass sie nach Philines Abschiede bald einig wurden, und der kleine Roman interessierte sie beide um so mehr, als sie ihn vor dem Alten, der über eine solche Unregelmäßigkeit keinen Scherz verstanden hätte, geheimzuhalten alle Ursache hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":957,"orig":"Eimirens Schweſter war mit im Verſtändniß, und Serlo mußte beyden Mädchen daher vieles nachſehen.","norm":"Elmires Schwester war mit im Verständnis, und Serlo musste beiden Mädchen daher vieles nachsehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":958,"orig":"Eine ihrer größten Untugenden war eine unmäßige Näſcherey, ja wenn man will eine unleidliche Gefräßigkeit, worin ſie Philinen keinesweges glichen, die dadurch einen neuen Schein von Liebenswürdigkeit erhielt, daß ſie gleichſam nur von der Luft lebte, ſehr wenig aß und nur den Schaum eines Champagnerglaſes mit der größten Zierlichkeit wegſchlurfte.","norm":"Eine ihrer größten Untugenden war eine unmäßige Nascherei, ja wenn man will eine unleidliche Gefräßigkeit, worin sie Philine keineswegs glichen, die dadurch einen neuen Schein von Liebenswürdigkeit erhielt, dass sie gleichsam nur von der Luft lebte, sehr wenig aß und nur den Schaum eines Champagnerglases mit der größten Zierlichkeit wegschlurfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":959,"orig":"Nun aber mußte Serlo, wenn er ſeiner Schönen gefallen wollte, das Frühſtück mit dem Mittageſſen verbinden, und an dieſes durch ein Vesperbrod das Abendeſſen anknüpfen.","norm":"Nun aber musste Serlo, wenn er seiner Schönen gefallen wollte, das Frühstück mit dem Mittagessen verbinden, und an dieses durch ein Vesperbrot das Abendessen anknüpfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":960,"orig":"Dabey hatte Serlo einen Plan, deſſen Ausführung ihn beunruhigte.","norm":"Dabei hatte Serlo einen Plan, dessen Ausführung ihn beunruhigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":961,"orig":"Er glaubte eine gewiſſe Neigung zwiſchen Wilhelm und Aurelien zu entdecken, und wünſchte ſehr, daß ſie ernſtlich werden möchte.","norm":"Er glaubte eine gewisse Neigung zwischen Wilhelm und Aurelie zu entdecken, und wünschte sehr, dass sie ernstlich werden möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":962,"orig":"Er hofte den ganzen mechaniſchen Theil der Theaterwirthſchaft Wilhelmen aufzubürden, und an ihm, wie an ſeinem erſten Schwager, ein treues und fleißiges Werkzeug zu finden.","norm":"Er hoffte den ganzen mechanischen Teil der Theaterwirtschaft Wilhelm aufzubürden, und an ihm, wie an seinem ersten Schwager, ein treues und fleißiges Werkzeug zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":963,"orig":"Schon hatte er ihm nach und nach den größten Theil der Beſorgung unmerklich übertragen, Aurelie führte die Caſſe, und Serlo lebte wieder wie in früheren Zeiten ganz nach ſeinem Sinne.","norm":"Schon hatte er ihm nach und nach den größten Teil der Besorgung unmerklich übertragen, Aurelie führte die Kasse, und Serlo lebte wieder wie in früheren Zeiten ganz nach seinem Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":964,"orig":"Doch war etwas, was ſowohl ihm als ſeine Schweſter heimlich kränkte.","norm":"Doch war etwas, was sowohl ihm als seine Schwester heimlich kränkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":965,"orig":"Das Publikum hat eine eigene Art, gegen öffentliche Menſchen von anerkannten Verdienſte zu verfahren; es fängt nach und nach an gleichgültig gegen ſie zu werden, und begünſtigt viel geringere aber neu erſcheinende Talente, es macht an jene übertriebene Forderungen, und läßt ſich von dieſen alles gefallen.","norm":"Das Publikum hat eine eigene Art, gegen öffentliche Menschen von anerkannten Verdienste zu verfahren; es fängt nach und nach an gleichgültig gegen sie zu werden, und begünstigt viel geringere aber neu erscheinende Talente, es macht an jene übertriebene Forderungen, und lässt sich von diesen alles gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":966,"orig":"Serlo und Aurelie hatten Gelegenheit genug hierüber Betrachtungen anzuſtellen.","norm":"Serlo und Aurelie hatten Gelegenheit genug hierüber Betrachtungen anzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":967,"orig":"Die neuen Ankömmlinge, beſonders die jungen und wohlgebildeten, hatten alle Aufmerkſamkeit, allen Beyfall auf ſich gezogen, und beyde Geſchwiſter mußten die meiſte Zeit, nach ihren eifrigſten Bemühungen, ohne den willkommenen Klang der zuſammenſchlagenden Hände abtreten.","norm":"Die neuen Ankömmlinge, besonders die jungen und wohlgebildeten, hatten alle Aufmerksamkeit, allen Beifall auf sich gezogen, und beide Geschwister mussten die meiste Zeit, nach ihren eifrigsten Bemühungen, ohne den willkommenen Klang der zusammenschlagenden Hände abtreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":968,"orig":"Freylich kamen dazu noch beſondere Urſachen.","norm":"Freilich kamen dazu noch besondere Ursachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":969,"orig":"Aureliens Stolz war auffallend, und von ihrer Verachtung des Publikums waren viele unterrichtet.","norm":"Aurelies Stolz war auffallend, und von ihrer Verachtung des Publikums waren viele unterrichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":970,"orig":"Serlo ſchmeichelte zwar jedermann im Einzelnen, aber ſeine ſpitzen Reden über das Ganze waren doch auch öfters herumgetragen und wiederholt worden.","norm":"Serlo schmeichelte zwar jedermann im Einzelnen, aber seine spitzen Reden über das Ganze waren doch auch öfters herumgetragen und wiederholt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":971,"orig":"Die neuen Glieder hingegen waren theils fremd und unbekannt, theils jung, liebenswürdig und hülfsbedürftig, und hatten alſo auch ſämmtlich Gönner gefunden.","norm":"Die neuen Glieder hingegen waren teils fremd und unbekannt, teils jung, liebenswürdig und hülfsbedürftig, und hatten also auch sämtlich Gönner gefunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":972,"orig":"Nun gab es auch bald innerliche Unruhen und manches Mißvergnügen; denn kaum bemerkte man, daß Wilhelm die Beſchäftigung eines Regiſſeurs übernommen hatte, ſo fingen die meiſten Schauſpieler um deſto mehr an unartig zu werden, als er nach ſeiner Weiſe etwas mehr Ordnung und Genauigkeit in das Ganze zu bringen wünſchte, und beſonders darauf beſtand, daß alles mechaniſche vor allen Dingen pünktlich und ordentlich gehen ſolle.","norm":"Nun gab es auch bald innerliche Unruhen und manches Missvergnügen; denn kaum bemerkte man, dass Wilhelm die Beschäftigung eines Regisseurs übernommen hatte, so fingen die meisten Schauspieler um desto mehr an unartig zu werden, als er nach seiner Weise etwas mehr Ordnung und Genauigkeit in das Ganze zu bringen wünschte, und besonders darauf bestand, dass alles Mechanische vor allen Dingen pünktlich und ordentlich gehen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":973,"orig":"In kurzer Zeit ward das ganze Verhältniß, das wirklich eine Zeitlang beynahe idealiſch gehalten hatte, ſo gemein, als man es nur irgend bey einem herumreiſenden Theater finden mag.","norm":"In kurzer Zeit wurde das ganze Verhältnis, das wirklich eine Zeitlang beinahe idealisch gehalten hatte, so gemein, als man es nur irgend bei einem herumreisenden Theater finden mag."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":974,"orig":"Und leider in dem Augenblicke, als Wilhelm durch Mühe, Fleiß und Anſtrengung ſich mit allen Erforderniſſen des Metiers bekannt gemacht und ſeine Perſon ſowohl als ſeine Geſchäftigkeit vollkommen dazu gebildet hatte, ſchien es ihm endlich in trüben Stunden, daß dieſes Handwerk weniger als irgend ein anders, den nöthigen Aufwand von Zeit und Kräften verdiene.","norm":"Und leider in dem Augenblicke, als Wilhelm durch Mühe, Fleiß und Anstrengung sich mit allen Erfordernissen des Metiers bekannt gemacht und seine Person sowohl als seine Geschäftigkeit vollkommen dazu gebildet hatte, schien es ihm endlich in trüben Stunden, dass dieses Handwerk weniger als irgendein anders, den nötigen Aufwand von Zeit und Kräften verdiene."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":975,"orig":"Das Geſchäft war läſtig und die Belohnung gering.","norm":"Das Geschäft war lästig und die Belohnung gering."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":976,"orig":"Er hätte jedes andere lieber übernommen, bey dem man doch, wenn es vorbey iſt, der Ruhe des Geiſtes genießen kann, als dieſes, wo man nach überſtandenen mechaniſchen Mühſeligkeiten noch durch die höchſte Anſtrengung des Geiſtes und der Empfindung erſt das Ziel ſeiner Thätigkeit erreichen ſoll.","norm":"Er hätte jedes andere lieber übernommen, bei dem man doch, wenn es vorbei ist, der Ruhe des Geistes genießen kann, als dieses, wo man nach überstandenen mechanischen Mühseligkeiten noch durch die höchste Anstrengung des Geistes und der Empfindung erst das Ziel seiner Tätigkeit erreichen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":977,"orig":"Er mußte die Klagen Aureliens über die Verſchwendung des Bruders hören, er mußte die Winke Serlos mißverſtehen, wenn dieſer ihn zu einer Heyrath mit der Schweſter von ferne zu leiten ſuchte.","norm":"Er musste die Klagen Aurelies über die Verschwendung des Bruders hören, er musste die Winke Serlos missverstehen, wenn dieser ihn zu einer Heirat mit der Schwester von ferne zu leiten suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":978,"orig":"Er hatte dabey ſeinen Kummer zu verbergen, der ihn auf das tiefſte drückte, indem der nach dem zweydeutigen Officier fortgeſchickte Bote nicht zurück kam, auch nichts von ſich hören ließ, und unſer Freund daher ſeine Mariane zum zweytenmal verlohren zu haben fürchten mußte.","norm":"Er hatte dabei seinen Kummer zu verbergen, der ihn auf das tiefste drückte, indem der nach dem zweideutigen Offizier fortgeschickte Bote nicht zurückkam, auch nichts von sich hören ließ, und unser Freund daher seine Mariane zum zweiten Mal verloren zu haben fürchten musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":979,"orig":"Zu eben der Zeit fiel eine allgemeine Trauer ein, wodurch man genöthigt ward, das Theater auf einige Wochen zu ſchließen.","norm":"Zu eben der Zeit fiel eine allgemeine Trauer ein, wodurch man genötigt wurde, das Theater auf einige Wochen zu schließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":980,"orig":"Er ergriff die Zwiſchenzeit, um jenen Geiſtlichen zu beſuchen, bey welchem der Harfenſpieler in der Koſt war.","norm":"Er ergriff die Zwischenzeit, um jenen Geistlichen zu besuchen, bei welchem der Harfenspieler in der Kost war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":981,"orig":"Er fand ihn in einer angenehmen Gegend, und das erſte was er in dem Pfarrhofe erblickte war der Alte, der einem Knaben auf ſeinem Inſtrument Lection gab.","norm":"Er fand ihn in einer angenehmen Gegend, und das erste was er in dem Pfarrhofe erblickte war der Alte, der einem Knaben auf seinem Instrument Lektion gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":982,"orig":"Er bezeugte viel Freude Wilhelmen wieder zu ſehen, ſtand auf und reichte ihm die Hand und ſagte:","norm":"Er bezeugte viel Freude Wilhelm wiederzusehen, stand auf und reichte ihm die Hand und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":983,"orig":"Sie ſehen, daß ich in der Welt doch noch zu etwas nütze bin;","norm":"Sie sehen, dass ich in der Welt doch noch zu etwas nütze bin;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":984,"orig":"Sie erlauben daß ich fortfahre, denn die Stunden ſind eingetheilt.","norm":"Sie erlauben dass ich fortfahre, denn die Stunden sind eingeteilt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":985,"orig":"Der Geiſtliche begrüßte Wilhelmen auf das freundlichſte und erzählte ihm, daß der Alte ſich ſchon recht gut anlaſſe und daß man Hoffnung zu ſeiner völligen Geneſung habe.","norm":"Der Geistliche begrüßte Wilhelm auf das freundlichste und erzählte ihm, dass der Alte sich schon recht gut anlasse und dass man Hoffnung zu seiner völligen Genesung habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":986,"orig":"Ihr Geſpräch fiel natürlich auf die Methode, Wahnſinnige zu kuriren.","norm":"Ihr Gespräch fiel natürlich auf die Methode, Wahnsinnige zu kurieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":987,"orig":"Außer dem Phyſiſchen, ſagte der Geiſtliche, das uns oft unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg legt und worüber ich einen denkenden Arzt zu Rathe ziehe, finde ich die Mittel vom Wahnſinne zu heilen ſehr einfach.","norm":"Außer dem Physischen, sagte der Geistliche, das uns oft unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg legt und worüber ich einen denkenden Arzt zu Rate ziehe, finde ich die Mittel vom Wahnsinne zu heilen sehr einfach."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":988,"orig":"Es ſind eben dieſelben, wodurch man geſunde Menſchen hindert wahnſinnig zu werden.","norm":"Es sind ebendieselben, wodurch man gesunde Menschen hindert wahnsinnig zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":989,"orig":"Man errege ihre Selbſtthätigkeit, man gewöhne ſie an Ordnung, man gebe ihnen einen Begriff, daß ſie ihr Seyn und Schickſal mit ſo vielen gemein haben, daß das außerordentliche Talent, das größte Glück und das höchſte Unglück nur kleine Abweichungen von dem gewöhnlichen ſind; ſo wird ſich kein Wahnſinn einſchleichen, und wenn er da iſt, nach und nach wieder verſchwinden.","norm":"Man errege ihre Selbsttätigkeit, man gewöhne sie an Ordnung, man gebe ihnen einen Begriff, dass sie ihr Sein und Schicksal mit so vielen gemein haben, dass das außerordentliche Talent, das größte Glück und das höchste Unglück nur kleine Abweichungen von dem Gewöhnlichen sind; so wird sich kein Wahnsinn einschleichen, und wenn er da ist, nach und nach wieder verschwinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":990,"orig":"Ich habe des alten Mannes Stunden eingetheilt, er unterrichtet einige Kinder auf der Harfe, er hilft im Garten arbeiten und iſt ſchon viel heiterer.","norm":"Ich habe des alten Mannes Stunden eingeteilt, er unterrichtet einige Kinder auf der Harfe, er hilft im Garten arbeiten und ist schon viel heiterer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":991,"orig":"Er wünſcht von dem Kohle zu genießen, den er pflanzt, und wünſcht meinen Sohn, dem er die Harfe auf den Todesfall geſchenkt hat, recht emſig zu unterrichten, damit ſie der Knabe ja auch brauchen könne.","norm":"Er wünscht von dem Kohle zu genießen, den er pflanzt, und wünscht meinen Sohn, dem er die Harfe auf den Todesfall geschenkt hat, recht emsig zu unterrichten, damit sie der Knabe ja auch brauchen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":992,"orig":"Als Geiſtlicher ſuche ich ihm über ſeine wunderbaren Scrupel nur wenig zu ſagen, aber ein thätiges Leben führt ſo viele Ereigniſſe herbey, daß er bald fühlen muß: daß jede Art von Zweifel nur durch Wirkſamkeit gehoben werden kann.","norm":"Als Geistlicher suche ich ihm über seine wunderbaren Skrupel nur wenig zu sagen, aber ein tätiges Leben führt so viele Ereignisse herbei, dass er bald fühlen muss: dass jede Art von Zweifel nur durch Wirksamkeit gehoben werden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":993,"orig":"Ich gehe ſachte zu Werke, wenn ich ihm aber noch ſeinen Bart und ſeine Kutte wegnehmen kann, ſo habe ich viel gewonnen, denn es bringt uns nichts näher dem Wahnſinn, als wenn wir uns vor andern auszeichnen, und nichts erhält ſo ſehr den gemeinen Verſtand, als im allgemeinen Sinne mit vielen Menſchen zu leben, Wie vieles iſt leider nicht in unſerer Erziehung und in unſern bürgerlichen Einrichtungen, wodurch wir uns und unſre Kinder zur Tollheit vorbereiten.","norm":"Ich gehe sachte zu Werke, wenn ich ihm aber noch seinen Bart und seine Kutte wegnehmen kann, so habe ich viel gewonnen, denn es bringt uns nichts näher dem Wahnsinn, als wenn wir uns vor anderen auszeichnen, und nichts erhält so sehr den gemeinen Verstand, als im allgemeinen Sinne mit vielen Menschen zu leben, wie vieles ist leider nicht in unserer Erziehung und in unseren bürgerlichen Einrichtungen, wodurch wir uns und unsere Kinder zur Tollheit vorbereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":994,"orig":"Wilhelm verweilte bey dieſem vernünftigen Manne einige Tage, und erfuhr die intereſſanteſten Geſchichten, nicht allein von verrückten Menſchen, ſondern auch von ſolchen, die man für klug, ja für weiſe zu halten pflegt, und deren Eigenthümlichkeiten nahe an den Wahnſinn grenzen.","norm":"Wilhelm verweilte bei diesem vernünftigen Manne einige Tage, und erfuhr die interessantesten Geschichten, nicht allein von verrückten Menschen, sondern auch von solchen, die man für klug, ja für weise zu halten pflegt, und deren Eigentümlichkeiten nahe an den Wahnsinn grenzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":995,"orig":"Dreyfach belebt aber ward die Unterhaltung, als der Medikus eintrat, der den Geiſtlichen, ſeinen Freund, öfters zu beſuchen, und ihm bey ſeinen menſchenfreundlichen Bemühungen beyzuſtehen pflegte.","norm":"Dreifach belebt aber wurde die Unterhaltung, als der Medikus eintrat, der den Geistlichen, seinen Freund, öfters zu besuchen, und ihm bei seinen menschenfreundlichen Bemühungen beizustehen pflegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":996,"orig":"Es war ein ältlicher Mann, der bey einer ſchwächlichen Geſundheit viele Jahre in Ausübung der edelſten Pflichten zugebracht hatte.","norm":"Es war ein ältlicher Mann, der bei einer schwächlichen Gesundheit viele Jahre in Ausübung der edelsten Pflichten zugebracht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":997,"orig":"Er war ein großer Freund vom Landleben und konnte faſt nicht anders als in freyer Luft ſeyn; dabey war er äußerſt geſellig und thätig, und hatte ſeit vielen Jahren eine beſondere Neigung mit allen Landgeiſtlichen Freundſchaft zu ſtiften.","norm":"Er war ein großer Freund vom Landleben und konnte fast nicht anders als in freier Luft sein; dabei war er äußerst gesellig und tätig, und hatte seit vielen Jahren eine besondere Neigung mit allen Landgeistlichen Freundschaft zu stiften."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":998,"orig":"Jedem, dem er eine nützliche Beſchäftigung kannte, ſuchte er auf alle Weiſe beyzuſtehen; andern, die noch unbeſtimmt waren, ſuchte er eine Liebhaberey einzureden, und da er zugleich mit den Edelleuten, Amtmännern und Gerichtshaltern in Verbindung ſtand, ſo hatte er in Zeit von zwanzig Jahren ſehr viel im Stillen zur Kultur mancher Zweige der Landwirthſchaft beygetragen, und alles was dem Felde, Thieren und Menſchen erſprieslich iſt, in Bewegung gebracht, und ſo die wahrſte Aufklärung befördert.","norm":"Jedem, dem er eine nützliche Beschäftigung kannte, suchte er auf alle Weise beizustehen; anderen, die noch unbestimmt waren, suchte er eine Liebhaberei einzureden, und da er zugleich mit den Edelleuten, Amtmännern und Gerichtshaltern in Verbindung stand, so hatte er in Zeit von zwanzig Jahren sehr viel im Stillen zur Kultur mancher Zweige der Landwirtschaft beigetragen, und alles was dem Felde, Tieren und Menschen ersprießlich ist, in Bewegung gebracht, und so die wahrste Aufklärung befördert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":999,"orig":"Für den Menſchen, ſagte er, ſey nur das eine ein Unglück, wenn ſich irgend eine Idee bey ihm feſtſetze, die keinen Einfluß ins thätige Leben habe oder ihn wohl gar vom thätigen Leben abziehe.","norm":"Für den Menschen, sagte er, sei nur das eine ein Unglück, wenn sich irgendeine Idee bei ihm festsetze, die keinen Einfluss ins tätige Leben habe oder ihn wohl gar vom tätigen Leben abziehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1000,"orig":"Ich habe, ſagte er, gegenwärtig einen ſolchen Fall an einem vornehmen und reichen Ehepaar, wo mir bis jetzt noch alle Kunſt mißglückt iſt; faſt gehört der Fall in Ihr Fach, lieber Paſtor, und dieſer junge Mann wird ihn nicht weiter erzählen.","norm":"Ich habe, sagte er, gegenwärtig einen solchen Fall an einem vornehmen und reichen Ehepaar, wo mir bis jetzt noch alle Kunst missglückt ist; fast gehört der Fall in Ihr Fach, lieber Pastor, und dieser junge Mann wird ihn nicht weitererzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1001,"orig":"In der Abweſenheit eines vornehmen Mannes verkleidet man, mit einem nicht ganz lobenswürdigen Scherze, einen jungen Menſchen in die Hauskleidung dieſes Herren.","norm":"In der Abwesenheit eines vornehmen Mannes verkleidet man, mit einem nicht ganz lobenswürdigen Scherze, einen jungen Menschen in die Hauskleidung dieses Herren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1002,"orig":"Seine Gemahlin ſollte dadurch angeführt werden, und ob man mir es gleich nur als eine Poſſe erzählt hat, ſo fürchte ich doch ſehr, man hatte die Abſicht, die edle, liebenswürdige Dame vom rechten Wege abzuleiten.","norm":"Seine Gemahlin sollte dadurch angeführt werden, und ob man mir es gleich nur als eine Posse erzählt hat, so fürchte ich doch sehr, man hatte die Absicht, die edle, liebenswürdige Dame vom rechten Wege abzuleiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1003,"orig":"Der Gemahl kommt unvermuthet zurück, tritt in ſein Zimmer, glaubt ſich ſelbſt zu ſehen, und fällt von der Zeit an in eine Melancholie, in der er die Überzeugung nährt, daß er bald ſterben werde.","norm":"Der Gemahl kommt unvermutet zurück, tritt in sein Zimmer, glaubt sich selbst zu sehen, und fällt von der Zeit an in eine Melancholie, in der er die Überzeugung nährt, dass er bald sterben werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1004,"orig":"Er überläßt ſich Perſonen, die ihm mit religiöſen Ideen ſchmeicheln, und ich ſehe nicht wie er abzuhalten iſt, mit ſeiner Gemahlin unter die Herrenhuter zu gehen, und den größten Theil ſeines Vermögens, da er keine Kinder hat, ſeinen Verwandten zu entziehen.","norm":"Er überlässt sich Personen, die ihm mit religiösen Ideen schmeicheln, und ich sehe nicht wie er abzuhalten ist, mit seiner Gemahlin unter die Herrnhuter zu gehen, und den größten Teil seines Vermögens, da er keine Kinder hat, seinen Verwandten zu entziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1005,"orig":"Mit ſeiner Gemahlin?","norm":"Mit seiner Gemahlin?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1006,"orig":"rief Wilhelm, den dieſe Erzählung nicht wenig erſchreckt hatte, ungeſtüm aus.","norm":"rief Wilhelm, den diese Erzählung nicht wenig erschreckt hatte, ungestüm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1007,"orig":"Und leider, verſetzte der Arzt, der in Wilhelms Ausrufung nur eine menſchenfreundliche Theilnahme zu hören glaubte, iſt dieſe Dame mit einem noch tiefern Kummer behaftet, der ihr eine Entfernung von der Welt nicht widerlich macht.","norm":"Und leider, versetzte der Arzt, der in Wilhelms Ausrufung nur eine menschenfreundliche Teilnahme zu hören glaubte, ist diese Dame mit einem noch tieferen Kummer behaftet, der ihr eine Entfernung von der Welt nicht widerlich macht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1008,"orig":"Eben dieſer junge Menſch nimmt Abſchied von ihr, ſie iſt nicht vorſichtig genug eine aufkeimende Neigung zu verbergen; er wird kühn, ſchließt ſie in ſeine Arme, und drückt ihr das große mit Brillianten beſetzte Portrait ihres Gemahls gewaltſam wider die Bruſt.","norm":"Eben dieser junge Mensch nimmt Abschied von ihr, sie ist nicht vorsichtig genug eine aufkeimende Neigung zu verbergen; er wird kühn, schließt sie in seine Arme, und drückt ihr das große mit Brillanten besetzte Porträt ihres Gemahls gewaltsam wider die Brust."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1009,"orig":"Sie empfindet einen heftigen Schmerz, der nach und nach vergeht, erſt eine kleine Röthe und dann keine Spur zurück läßt.","norm":"Sie empfindet einen heftigen Schmerz, der nach und nach vergeht, erst eine kleine Röte und dann keine Spur zurücklässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1010,"orig":"Ich bin als Menſch überzeugt, daß ſie ſich nichts weiter vorzuwerfen hat, ich bin als Arzt gewiß, daß dieſer Druck keine üblen Folgen haben werde, aber ſie läßt ſich nicht ausreden, es ſey eine Verhärtung da, und wenn man ihr durch das Gefühl den Wahn benehmen will, ſo behauptet ſie, nur in dieſem Augenblick ſey nichts zu fühlen; ſie hat ſich feſt eingedruckt, es werde dieſes Übel mit einem Krebsſchaden ſich endigen, und ſo iſt ihre Jugend, ihre Liebenswürdigkeit für ſie und andere völlig verlohren.","norm":"Ich bin als Mensch überzeugt, dass sie sich nichts weiter vorzuwerfen hat, ich bin als Arzt gewiss, dass dieser Druck keine üblen Folgen haben werde, aber sie lässt sich nicht ausreden, es sei eine Verhärtung da, und wenn man ihr durch das Gefühl den Wahn benehmen will, so behauptet sie, nur in diesem Augenblick sei nichts zu fühlen; sie hat sich fest eingebildet, es werde dieses Übel mit einem Krebsschaden sich endigen, und so ist ihre Jugend, ihre Liebenswürdigkeit für sie und andere völlig verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1011,"orig":"Ich unglückſeliger!","norm":"Ich Unglückseliger!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1012,"orig":"rief Wilhelm, indem er ſich vor die Stirne ſchlug und aus der Geſellſchaft ins Feld lief.","norm":"rief Wilhelm, indem er sich vor die Stirn schlug und aus der Gesellschaft ins Feld lief."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1013,"orig":"Er hatte ſich noch nie in einem ſolchen Zuſtande befunden.","norm":"Er hatte sich noch nie in einem solchen Zustande befunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1014,"orig":"Der Arzt und der Geiſtliche, über dieſe ſeltſame Entdeckung höchlich erſtaunt, hatten Abends genug mit ihm zu thun, als er zurückkam und bey dem umſtändlichern Bekenntniß dieſer Begebenheit ſich aufs lebhafteſte anklagte.","norm":"Der Arzt und der Geistliche, über diese seltsame Entdeckung höchlich erstaunt, hatten Abends genug mit ihm zu tun, als er zurückkam und bei dem umständlicheren Bekenntnis dieser Begebenheit sich aufs lebhafteste anklagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1015,"orig":"Beyde Männer nahmen den größten Antheil an ihm, beſonders da er ihnen ſeine übrige Lage nun auch mit ſchwarzen Farben der augenblicklichen Stimmung mahlte.","norm":"Beide Männer nahmen den größten Anteil an ihm, besonders da er ihnen seine übrige Lage nun auch mit schwarzen Farben der augenblicklichen Stimmung malte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1016,"orig":"Den andern Tag ließ ſich der Arzt nicht lange bitten mir ihm nach der Stadt zu gehen, um ihm Geſellſchaft zu leiſten, um Aurelien, die ihr Freund in bedenklichen Umſtänden zurückgelaſſen hatte, wo möglich Hülfe zu verſchaffen.","norm":"Den anderen Tag ließ sich der Arzt nicht lange bitten mit ihm nach der Stadt zu gehen, um ihm Gesellschaft zu leisten, um Aurelie, die ihr Freund in bedenklichen Umständen zurückgelassen hatte, womöglich Hilfe zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1017,"orig":"Sie fanden ſie auch wirklich ſchlimmer, als ſie vermutheten.","norm":"Sie fanden sie auch wirklich schlimmer, als sie vermuteten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1018,"orig":"Sie hatte eine Art von überſpringendem Fieber, dem um ſo weniger beyzukommen war, als ſie die Anfälle nach ihrer Art vorſetzlich unterhielt und verſtärkte.","norm":"Sie hatte eine Art von überspringendem Fieber, dem um so weniger beizukommen war, als sie die Anfälle nach ihrer Art vorsätzlich unterhielt und verstärkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1019,"orig":"Der Fremde ward nicht als Arzt eingeführt, und betrug ſich ſehr gefällig und klug.","norm":"Der Fremde wurde nicht als Arzt eingeführt, und betrug sich sehr gefällig und klug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1020,"orig":"Man ſprach über den Zuſtand ihres Körpers und ihres Geiſtes, und der neue Freund erzählte manche Geſchichten, wie Perſonen, ohngeachtet einer ſolchen Kränklichkeit, ein hohes Alter erreichen könnten, nichts aber ſey ſchädlicher in ſolchen Fällen, als eine vorſetzliche Erneuerung leidenſchaftlicher Empfindungen.","norm":"Man sprach über den Zustand ihres Körpers und ihres Geistes, und der neue Freund erzählte manche Geschichten, wie Personen, ungeachtet einer solchen Kränklichkeit, ein hohes Alter erreichen könnten, nichts aber sei schädlicher in solchen Fällen, als eine vorsätzliche Erneuerung leidenschaftlicher Empfindungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1021,"orig":"Beſonders verbarg er nicht, daß er diejenige Perſon ſehr glücklich gefunden habe, die bey einer nicht ganz herzuſtellenden kränklichen Anlage wahrhaft religiöſe Geſinnungen bey ſich zu nähren beſtimmt geweſen wären.","norm":"Besonders verbarg er nicht, dass er diejenige Person sehr glücklich gefunden habe, die bei einer nicht ganz herzustellenden kränklichen Anlage wahrhaft religiöse Gesinnungen bei sich zu nähren bestimmt gewesen wären."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1022,"orig":"Er ſagte das auf eine ſehr beſcheidene Weiſe und gleichſam hiſtoriſch, und verſprach dabey ſeinen neuen Freunden eine ſehr intereſſante Lektüre an einem Manuſcript zu verſchaffen, das er aus den Händen einer nunmehr abgeſchiedenen vortrefflichen Freundin erhalten habe.","norm":"Er sagte das auf eine sehr bescheidene Weise und gleichsam historisch, und versprach dabei seinen neuen Freunden eine sehr interessante Lektüre an einem Manuskript zu verschaffen, das er aus den Händen einer nunmehr abgeschiedenen vortrefflichen Freundin erhalten habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1023,"orig":"Es iſt mir unendlich werth, ſagte er, und ich vertraue Ihnen das Original ſelbſt an.","norm":"Es ist mir unendlich wert, sagte er, und ich vertraue Ihnen das Original selbst an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1024,"orig":"Nur der Titel iſt von meiner Hand, Bekenntniſſe einer ſchönen Seele.","norm":"Nur der Titel ist von meiner Hand, Bekenntnisse einer schönen Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1025,"orig":"Über diätetiſche und mediziniſche Behandlung der unglücklichen aufgeſpannten Aurelie, vertraute der Arzt Wilhelmen noch ſeinen beſten Rath, verſprach zu ſchreiben und wo möglich ſelbſt wieder zu kommen.","norm":"Über diätetische und medizinische Behandlung der unglücklichen aufgespannten Aurelie, vertraute der Arzt Wilhelm noch seinen besten Rat, versprach zu schreiben und womöglich selbst wiederzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1026,"orig":"Inzwiſchen hatte ſich in Wilhelms Abweſenheit eine Veränderung vorbereitet, die er nicht vermuthen konnte.","norm":"Inzwischen hatte sich in Wilhelms Abwesenheit eine Veränderung vorbereitet, die er nicht vermuten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1027,"orig":"Wilhem hatte während der Zeit ſeiner Regie das ganze Geſchäft mit einer gewiſſen Freyheit und Liberalität behandelt, vorzüglich auf die Sache geſehen, und beſonders bey Kleidungen, Dekorationen und Requiſiten alles reichlich und anſtändig angeſchaft, auch um den guten Willen der Leute zu erhalten ihrem Eigennutze geſchmeichelt, da er ihnen durch edlere Motive nicht beykommen konnte, und er fand ſich hierzu um ſo mehr berechtigt, als Serlo ſelbſt keine Anſprüche machte, ein genauer Wirth zu ſeyn, den Glanz ſeines Theaters gerne loben hörte und zufrieden war, wenn Aurelie, welche die ganze Haushaltung führte, nach Abzug aller Koſten, verſicherte daß ſie keine Schulden habe, und noch ſo viel hergab als nöthig war die Schulden abzutragen, die Serlo unterdeſſen durch außerordentliche Freygebigkeit gegen ſeine Schönen und ſonſt etwa auf ſich geladen haben mochte.","norm":"Wilhelm hatte während der Zeit seiner Regie das ganze Geschäft mit einer gewissen Freiheit und Liberalität behandelt, vorzüglich auf die Sache gesehen, und besonders bei Kleidungen, Dekorationen und Requisiten alles reichlich und anständig angeschafft, auch um den guten Willen der Leute zu erhalten ihrem Eigennutz geschmeichelt, da er ihnen durch edlere Motive nicht beikommen konnte, und er fand sich hierzu um so mehr berechtigt, als Serlo selbst keine Ansprüche machte, ein genauer Wirt zu sein, den Glanz seines Theaters gerne loben hörte und zufrieden war, wenn Aurelie, welche die ganze Haushaltung führte, nach Abzug aller Kosten, versicherte dass sie keine Schulden habe, und noch so viel hergab als nötig war die Schulden abzutragen, die Serlo unterdessen durch außerordentliche Freigebigkeit gegen seine Schönen und sonst etwa auf sich geladen haben mochte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1028,"orig":"Melina, der indeſſen die Garderobe beſorgte, hatte, kalt und heimtückiſch wie er war, der Sache im ſtillen zugeſehen, und wußte bey der Entfernung Wilhelms und bey der zunehmenden Krankheit Aureliens Serlo fühlbar zu machen, daß man eigentlich mehr einnehmen, weniger ausgeben, und entweder etwas zurücklegen oder doch am Ende nach Willkühr noch luſtiger leben könne.","norm":"Melina, der indessen die Garderobe besorgte, hatte, kalt und heimtückisch wie er war, der Sache im Stillen zugesehen, und wusste bei der Entfernung Wilhelms und bei der zunehmenden Krankheit Aurelies Serlo fühlbar zu machen, dass man eigentlich mehr einnehmen, weniger ausgeben, und entweder etwas zurücklegen oder doch am Ende nach Willkür noch lustiger leben könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1029,"orig":"Serlo hörte das gern und Melina wagte ſich mit ſeinem Plane hervor.","norm":"Serlo hörte das gern und Melina wagte sich mit seinem Plane hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1030,"orig":"Ich will, ſagte er, nicht behaupten, daß einer von den Schauſpielern gegenwärtig zu viel Gage hat; es ſind verdienſtvolle Leute und ſie würden an jedem Orte willkommen ſeyn; allein für die Einnahme, die ſie uns verſchaffen, erhalten ſie doch zu viel.","norm":"Ich will, sagte er, nicht behaupten, dass einer von den Schauspielern gegenwärtig zu viel Gage hat; es sind verdienstvolle Leute und sie würden an jedem Orte willkommen sein; allein für die Einnahme, die sie uns verschaffen, erhalten sie doch zu viel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1031,"orig":"Mein Vorſchlag wäre eine Oper einzurichten, und was das Schauſpiel betrifft, ſo muß ich Ihnen ſagen, Sie ſind der Mann allein ein ganzes Schauſpiel auszumachen.","norm":"Mein Vorschlag wäre eine Oper einzurichten, und was das Schauspiel betrifft, so muss ich Ihnen sagen, Sie sind der Mann allein ein ganzes Schauspiel auszumachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1032,"orig":"Müſſen Sie jetzt nicht ſelbſt erfahren, daß man Ihre Verdienſte verkennt.","norm":"Müssen Sie jetzt nicht selbst erfahren, dass man Ihre Verdienste verkennt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1033,"orig":"Nicht, weil Ihre Mitſpieler vortrefflich, ſondern weil ſie gut ſind, läßt man Ihrem außerordentlichen Talente keine Gerechtigkeit mehr wiederfahren.","norm":"Nicht, weil Ihre Mitspieler vortrefflich, sondern weil sie gut sind, lässt man Ihrem außerordentlichen Talente keine Gerechtigkeit mehr widerfahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1034,"orig":"Stellen Sie ſich, wie wohl ſonſt geſchehen iſt, nur allein hin, ſuchen Sie mittelmäßige, ja ich darf ſagen ſchlechte Leute für geringe Gage an ſich zu ziehen, ſtutzen Sie das Volk, wie Sie es ſo ſehr verſtehen, im Mechaniſchen zu, wenden Sie das übrige an die Oper und Sie werden ſehen, daß Sie mit derſelben Mühe und mit denſelben Koſten mehr Zufriedenheit erregen, und ungleich mehr Geld als bisher gewinnen werden.","norm":"Stellen Sie sich, wie wohl sonst geschehen ist, nur allein hin, suchen Sie mittelmäßige, ja ich darf sagen schlechte Leute für geringe Gage an sich zu ziehen, stutzen Sie das Volk, wie Sie es so sehr verstehen, im Mechanischen zu, wenden Sie das Übrige an die Oper und Sie werden sehen, dass Sie mit derselben Mühe und mit denselben Kosten mehr Zufriedenheit erregen, und ungleich mehr Geld als bisher gewinnen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1035,"orig":"Serlo war zu ſehr geſchmeichelt, als daß ſeine Einwendungen einige Stärke hätten haben ſollen.","norm":"Serlo war zu sehr geschmeichelt, als dass seine Einwendungen einige Stärke hätten haben sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1036,"orig":"Er geſtand Melina gern zu, daß er bey ſeiner Liebhaberey zur Muſik längſt ſo etwas gewünſcht habe, doch ſehe er freylich ein, daß die Neigung des Publikums dadurch noch mehr auf Abwege geleitet und daß bey ſo einer Vermiſchung eines Theaters, das nicht recht Oper nicht recht Schauſpiel ſey, nothwendig der Überreſt von Geſchmack, an einen beſtimmten und ausführlichen Kunſtwerke ſich völlig verlieren müſſe.","norm":"Er gestand Melina gern zu, dass er bei seiner Liebhaberei zur Musik längst so etwas gewünscht habe, doch sehe er freilich ein, dass die Neigung des Publikums dadurch noch mehr auf Abwege geleitet und dass bei so einer Vermischung eines Theaters, das nicht recht Oper nicht recht Schauspiel sei, notwendig der Überrest von Geschmack, an einen bestimmten und ausführlichen Kunstwerke sich völlig verlieren müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1037,"orig":"Melina ſcherzte nicht ganz fein über Wilhelms pedantiſche Ideale dieſer Art, über die Anmaßung das Publikum zu bilden, ſtatt ſich von ihm bilden zu laſſen, und beyde vereinigten ſich mit großer Überzeugung, daß man nur Geld einnehmen, reich werden oder ſich luſtig machen ſolle und verbargen ſich kaum, daß ſie nur jener Perſonen los zu ſeyn wünſchten, die ihren Plane im Wege ſtanden.","norm":"Melina scherzte nicht ganz fein über Wilhelms pedantische Ideale dieser Art, über die Anmaßung das Publikum zu bilden, statt sich von ihm bilden zu lassen, und beide vereinigten sich mit großer Überzeugung, dass man nur Geld einnehmen, reich werden oder sich lustig machen solle und verbargen sich kaum, dass sie nur jener Personen los zu sein wünschten, die ihren Plane im Wege standen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1038,"orig":"Melina bedauerte, daß die ſchwächliche Geſundheit Aureliens ihr kein langes Leben verſpreche, dachte aber gerade das Gegentheil.","norm":"Melina bedauerte, dass die schwächliche Gesundheit Aurelies ihr kein langes Leben verspreche, dachte aber gerade das Gegenteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1039,"orig":"Serlo ſchien zu beklagen, daß Wilhelm nicht Sänger ſey und gab dadurch zu verſtehen, daß er ihn für bald entbehrlich halte.","norm":"Serlo schien zu beklagen, dass Wilhelm nicht Sänger sei und gab dadurch zu verstehen, dass er ihn für bald entbehrlich halte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1040,"orig":"Melina trat mit einem ganzen Regiſter von Erſparniſſen, die zu machen ſeyen, hervor, und Serlo ſah in ihm ſeinen erſten Schwager dreyfach erſetzt.","norm":"Melina trat mit einem ganzen Register von Ersparnissen, die zu machen seien, hervor, und Serlo sah in ihm seinen ersten Schwager dreifach ersetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1041,"orig":"Sie fühlten wohl, daß ſie ſich über dieſe Unterredung das Geheimniß zuzuſagen hatten, wurden dadurch nur noch mehr an einander geknüpft und nahmen Gelegenheit insgeheim über alles was vorkam, ſich zu beſprechen, was Aurelie und Wilhelm unternahmen zu tadeln und ihr neues Projeckt in Gedanken immer mehr auszuarbeiten.","norm":"Sie fühlten wohl, dass sie sich über diese Unterredung das Geheimnis zuzusagen hatten, wurden dadurch nur noch mehr aneinander geknüpft und nahmen Gelegenheit insgeheim über alles was vorkam, sich zu besprechen, was Aurelie und Wilhelm unternahmen zu tadeln und ihr neues Projekt in Gedanken immer mehr auszuarbeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1042,"orig":"So verſchwiegen auch beyde über ihren Plan ſeyn mochten, und ſo wenig ſie durch Worte ſich verriethen, ſo waren ſie doch nicht politiſch genug, ihre Geſinnungen in der Handelsweiſe zu verbergen.","norm":"So verschwiegen auch beide über ihren Plan sein mochten, und so wenig sie durch Worte sich verrieten, so waren sie doch nicht politisch genug, ihre Gesinnungen in der Handelsweise zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1043,"orig":"Melina widerſetzte ſich Wilhelmen in manchen Fällen, die in ſeinem Kreiſe lagen, und Serlo, der niemals glimpflich mit ſeiner Schweſter umgegangen war, ward nur bitterer, jemehr ihre Kränklichkeit zunahm, und jemehr ſie bey ihren ungleichen, leidenſchaftlichen Launen Schonung verdient hätte.","norm":"Melina widersetzte sich Wilhelm in manchen Fällen, die in seinem Kreise lagen, und Serlo, der niemals glimpflich mit seiner Schwester umgegangen war, wurde nur bitterer, je mehr ihre Kränklichkeit zunahm, und je mehr sie bei ihren ungleichen, leidenschaftlichen Launen Schonung verdient hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1044,"orig":"Zu eben dieſer Zeit nahm man Emilie Galotti vor.","norm":"Zu eben dieser Zeit nahm man Emilie Galotti vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1045,"orig":"Dieſes Stück war ſehr glücklich beſetzt, und alle konnten in dem beſchränkten Kreiſe dieſes Trauerſpiels die ganze Manigfaltigkeit ihres Spieles zeigen.","norm":"Dieses Stück war sehr glücklich besetzt, und alle konnten in dem beschränkten Kreise dieses Trauerspiels die ganze Mannigfaltigkeit ihres Spieles zeigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1046,"orig":"Serlo war als Marinelli an ſeinem Platze, Odoardo ward ſehr gut vorgetragen, Madam Melina ſpielte die Mutter mit vieler Einſicht, Elmire zeichnete ſich in der Rolle Emiliens zu ihrem Vortheil aus, Laertes trat als Appiani mit vielen Anſtand auf, und Wilhelm hatte ein Studium von mehreren Monaten auf die Rolle des Prinzen verwendet.","norm":"Serlo war als Marinelli an seinem Platze, Odoardo wurde sehr gut vorgetragen, Madame Melina spielte die Mutter mit vieler Einsicht, Elmire zeichnete sich in der Rolle Emiliens zu ihrem Vorteil aus, Laertes trat als Appiani mit vielen Anstand auf, und Wilhelm hatte ein Studium von mehreren Monaten auf die Rolle des Prinzen verwendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1047,"orig":"Bey dieſer Gelegenheit hatte er ſowohl mit ſich ſelbſt als mit Serlo und Aurelien die Frage oft abgehandelt: welch ein Unterſchied ſich zwiſchen einem edlen und vornehmen Betragen zeige, und in wiefern jenes in dieſem, dieſes aber nicht in jenem enthalten zu ſeyn brauche.","norm":"Bei dieser Gelegenheit hatte er sowohl mit sich selbst als mit Serlo und Aurelie die Frage oft abgehandelt: welch ein Unterschied sich zwischen einem edlen und vornehmen Betragen zeige, und inwiefern jenes in diesem, dieses aber nicht in jenem enthalten zu sein brauche."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1048,"orig":"Serlo der ſelbſt als Marinelli den Hofmann rein, ohne Karrikatur vorſtellte, äußerte über dieſen Punkt manchen guten Gedanken.","norm":"Serlo der selbst als Marinelli den Hofmann rein, ohne Karikatur vorstellte, äußerte über diesen Punkt manchen guten Gedanken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1049,"orig":"Der vornehme Anſtand, ſagte er, iſt ſchwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ iſt, und eine lange anhaltende Übung vorausſetzt.","norm":"Der vornehme Anstand, sagte er, ist schwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ ist, und eine lange anhaltende Übung voraussetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1050,"orig":"Denn man ſoll nicht etwa in ſeinem Benehmen etwas darſtellen, das Würde anzeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein förmliches ſtolzes Weſen, man ſoll vielmehr nur alles vermeiden, was Unwürdig was Gemein iſt, man ſoll ſich nie vergeſſen, immer auf ſich und andere acht haben, ſich nichts vergeben, andern nicht zu viel, nicht zu wenig thun, durch nichts gerührt ſcheinen, durch nichts bewegt werden, ſich niemals übereilen, ſich in jedem Momente zu faſſen wiſſen, und ſo ein äußeres Gleichgewicht erhalten, innerlich mag es ſtürmen wie es will.","norm":"Denn man soll nicht etwa in seinem Benehmen etwas darstellen, das Würde anzeigt, denn leicht fällt man dadurch in ein förmliches stolzes Wesen, man soll vielmehr nur alles vermeiden, was Unwürdig was Gemein ist, man soll sich nie vergessen, immer auf sich und andere achthaben, sich nichts vergeben, anderen nicht zu viel, nicht zu wenig tun, durch nichts gerührt scheinen, durch nichts bewegt werden, sich niemals übereilen, sich in jedem Momente zu fassen wissen, und so ein äußeres Gleichgewicht erhalten, innerlich mag es stürmen wie es will."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1051,"orig":"Der edle Menſch kann ſich in Momenten vernachläſſigen, der vornehme nie.","norm":"Der edle Mensch kann sich in Momenten vernachlässigen, der vornehme nie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1052,"orig":"Dieſer iſt wie ein ſehr wohlgekleideter Mann, er wird ſich nirgends anlehnen, und jedermann wird ſich hüten an ihn zu ſtreichen; er unterſcheidet ſich vor andern, und doch darf er nicht allein ſtehen bleiben; denn wie in jeder Kunſt alſo auch in dieſer, ſoll zuletzt das ſchwerſte mit Leichtigkeit ausgeführt werden, ſo ſoll der Vornehme, ohngeachtet aller Abſonderung, immer mit andern verbunden ſcheinen, nirgends ſteif, überall gewandt ſeyn, immer als der erſte erſcheinen und ſich nie als ein ſolcher aufdringen.","norm":"Dieser ist wie ein sehr wohlgekleideter Mann, er wird sich nirgends anlehnen, und jedermann wird sich hüten an ihn zu streichen; er unterscheidet sich vor anderen, und doch darf er nicht allein stehenbleiben; denn wie in jeder Kunst also auch in dieser, soll zuletzt das Schwerste mit Leichtigkeit ausgeführt werden, so soll der Vornehme, ungeachtet aller Absonderung, immer mit anderen verbunden scheinen, nirgends steif, überall gewandt sein, immer als der Erste erscheinen und sich nie als ein solcher aufdringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1053,"orig":"Man ſieht alſo, daß man, um vornehm zu ſcheinen, wirklich vornehm ſeyn müſſe; man ſieht warum Frauen im Durchſchnitt ſich eher dieſes Anſehen geben können als Männer, warum Hofleute und Soldaten am ſchnellſten zu dieſem Anſtande gelangen.","norm":"Man sieht also, dass man, um vornehm zu scheinen, wirklich vornehm sein müsse; man sieht warum Frauen im Durchschnitt sich eher dieses Ansehen geben können als Männer, warum Hofleute und Soldaten am schnellsten zu diesem Anstande gelangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1054,"orig":"Wilhelm verzweifelte nun faſt an ſeiner Rolle, allein Serlo half ihm wieder auf, indem er ihm über das Einzelne die feinſten Bemerkungen mittheilte, und ihn dergeſtalt ausſtattete, daß er bey der Aufführung, wenigſtens in den Augen der Menge, einen recht feinen Prinzen darſtellte.","norm":"Wilhelm verzweifelte nun fast an seiner Rolle, allein Serlo half ihm wieder auf, indem er ihm über das Einzelne die feinsten Bemerkungen mitteilte, und ihn dergestalt ausstattete, dass er bei der Aufführung, wenigstens in den Augen der Menge, einen recht feinen Prinzen darstellte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1055,"orig":"Serlo hatte verſprochen ihm nach der Vorſtellung die Bemerkungen mitzutheilen, die er noch allenfalls über ihn machen würde; allein ein unangenehmer Streit zwiſchen Bruder und Schweſter hinderte jede critiſche Unterhaltung.","norm":"Serlo hatte versprochen ihm nach der Vorstellung die Bemerkungen mitzuteilen, die er noch allenfalls über ihn machen würde; allein ein unangenehmer Streit zwischen Bruder und Schwester hinderte jede kritische Unterhaltung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1056,"orig":"Aurelie hatte die Rolle der Orſina auf eine Weiſe geſpielt, wie man ſie wohl niemals wieder ſehen wird.","norm":"Aurelie hatte die Rolle der Orsina auf eine Weise gespielt, wie man sie wohl niemals wieder sehen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1057,"orig":"Sie war mit der Rolle überhaupt ſehr bekannt, und hatte ſie in den Proben gleichgültig behandelt; bey der Aufführung ſelbſt aber zog ſie, möchte man ſagen, alle Schleuſen ihres individuellen Kummers auf, und es ward dadurch eine Darſtellung, wie ſie ſich kein Dichter in dem erſten Feuer der Empfindung hätte denken können.","norm":"Sie war mit der Rolle überhaupt sehr bekannt, und hatte sie in den Proben gleichgültig behandelt; bei der Aufführung selbst aber zog sie, möchte man sagen, alle Schleusen ihres individuellen Kummers auf, und es wurde dadurch eine Darstellung, wie sie sich kein Dichter in dem ersten Feuer der Empfindung hätte denken können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1058,"orig":"Ein unmäßiger Beyfall des Publikums belohnte ihre ſchmerzlichen Bemühungen, aber ſie lag auch halb ohnmächtig in einem Seſſel als man ſie nach der Aufführung aufſuchte.","norm":"Ein unmäßiger Beifall des Publikums belohnte ihre schmerzlichen Bemühungen, aber sie lag auch halb ohnmächtig in einem Sessel als man sie nach der Aufführung aufsuchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1059,"orig":"Serlo hatte ſchon über ihr übertriebenes Spiel, wie er es nannte, und über die Entblößung ihres innerſten Herzens vor dem Publikum, das doch mehr oder weniger mit jener fatalen Geſchichte bekannt war, ſeinen Unwillen zu erkennen gegeben, und, wie er es im Zorn zu thun pflegte, mit den Zähnen geknirſcht und mit den Füßen geſtampft.","norm":"Serlo hatte schon über ihr übertriebenes Spiel, wie er es nannte, und über die Entblößung ihres innersten Herzens vor dem Publikum, das doch mehr oder weniger mit jener fatalen Geschichte bekannt war, seinen Unwillen zu erkennen gegeben, und, wie er es im Zorn zu tun pflegte, mit den Zähnen geknirscht und mit den Füßen gestampft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1060,"orig":"Laßt ſie, ſagte er, als er ſie von den Übrigen umgeben in dem Seſſel fand, ſie wird noch eh’ſtens ganz nackt auf das Theater treten, und dann wird erſt der Beyfall recht willkommen ſeyn.","norm":"Lasst sie, sagte er, als er sie von den Übrigen umgeben in dem Sessel fand, sie wird noch ehestens ganz nackt auf das Theater treten, und dann wird erst der Beifall recht willkommen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1061,"orig":"Undankbarer!","norm":"Undankbarer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1062,"orig":"rief ſie aus, Unmenſchlicher!","norm":"rief sie aus, Unmenschlicher!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1063,"orig":"man wird mich bald nackt dahin tragen, wo kein Beyfall mehr zu unſern Ohren kommt!","norm":"Man wird mich bald nackt dahin tragen, wo kein Beifall mehr zu unseren Ohren kommt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1064,"orig":"Mit dieſen Worten ſprang ſie auf und eilte nach der Thüre.","norm":"Mit diesen Worten sprang sie auf und eilte nach der Türe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1065,"orig":"Die Magd hatte verſäumt ihr den Mantel zu bringen, die Portechaiſe war nicht da; es hatte geregnet und ein ſehr rauher Wind zog durch die Straßen.","norm":"Die Magd hatte versäumt ihr den Mantel zu bringen, die Portechaise war nicht da; es hatte geregnet und ein sehr rauer Wind zog durch die Straßen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1066,"orig":"Man redete ihr vergebens zu, denn ſie war übermäßig erhitzt; ſie ging vorſetzlich langſam und lobte die Kühlung, die ſie recht begierig einzuſaugen ſchien.","norm":"Man redete ihr vergebens zu, denn sie war übermäßig erhitzt; sie ging vorsätzlich langsam und lobte die Kühlung, die sie recht begierig einzusaugen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1067,"orig":"Kaum war ſie zu Hauſe, als ſie vor Heiſerkeit kaum ein Wort mehr ſprechen konnte; ſie geſtand aber nicht, daß ſie im Nacken und den Rücken hinab eine völlige Steifigkeit fühlte.","norm":"Kaum war sie zu Hause, als sie vor Heiserkeit kaum ein Wort mehr sprechen konnte; sie gestand aber nicht, dass sie im Nacken und den Rücken hinab eine völlige Steifigkeit fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1068,"orig":"Nicht lange ſo überfiel ſie eine Art von Lähmung der Zunge, ſo daß ſie ein Wort fürs andere ſprach; man brachte ſie zu Bette, durch häufig angewandte Mittel legte ſich ein Übel, indem ſich das andere zeigte.","norm":"Nicht lange so überfiel sie eine Art von Lähmung der Zunge, so dass sie ein Wort fürs andere sprach; man brachte sie zu Bette, durch häufig angewandte Mittel legte sich ein Übel, indem sich das andere zeigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1069,"orig":"Das Fieber ward ſtark und ihr Zuſtand gefährlich.","norm":"Das Fieber wurde stark und ihr Zustand gefährlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1070,"orig":"Den andern Morgen hatte ſie eine ruhige Stunde.","norm":"Den anderen Morgen hatte sie eine ruhige Stunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1071,"orig":"Sie ließ Wilhelm rufen und übergab ihm einen Brief.","norm":"Sie ließ Wilhelm rufen und übergab ihm einen Brief."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1072,"orig":"Dieſes Blatt, ſagte ſie, wartet ſchon lange auf dieſen Augenblick.","norm":"Dieses Blatt, sagte sie, wartet schon lange auf diesen Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1073,"orig":"Ich fühle daß das Ende meines Lebens bald heran naht; verſprechen Sie mir, daß Sie es ſelbſt abgeben und daß Sie durch wenige Worte meine Leiden an dem Ungetreuen rächen wollen.","norm":"Ich fühle dass das Ende meines Lebens bald herannaht; versprechen Sie mir, dass Sie es selbst abgeben und dass Sie durch wenige Worte meine Leiden an dem Ungetreuen rächen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1074,"orig":"Er iſt nicht fühllos und wenigſtens ſoll ihn mein Tod einen Augenblick ſchmerzen.","norm":"Er ist nicht fühllos und wenigstens soll ihn mein Tod einen Augenblick schmerzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1075,"orig":"Wilhelm übernahm den Brief, indem er ſie jedoch tröſtete und den Gedanken des Todes von ihr entfernen wollte.","norm":"Wilhelm übernahm den Brief, indem er sie jedoch tröstete und den Gedanken des Todes von ihr entfernen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1076,"orig":"Nein, verſetzte ſie, benehmen Sie mir nicht meine nächſte Hoffnung.","norm":"Nein, versetzte sie, benehmen Sie mir nicht meine nächste Hoffnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1077,"orig":"Ich habe ihn lange erwartet und will ihn freudig in die Arme ſchließen.","norm":"Ich habe ihn lange erwartet und will ihn freudig in die Arme schließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1078,"orig":"Kurz darauf kam das vom Arzt verſprochene Manuſcript an.","norm":"Kurz darauf kam das vom Arzt versprochene Manuskript an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1079,"orig":"Sie erſuchte Wilhelmen ihr daraus vorzuleſen, und die Wirkung die es that wird der Leſer am beſten beurtheilen können, wenn er ſich mit dem folgenden Buche bekannt gemacht hat.","norm":"Sie ersuchte Wilhelm ihr daraus vorzulesen, und die Wirkung die es tat wird der Leser am besten beurteilen können, wenn er sich mit dem folgenden Buche bekannt gemacht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1080,"orig":"Das heftige und trotzige Weſen unſrer armen Freundin ward auf einmal gelinder.","norm":"Das heftige und trotzige Wesen unserer armen Freundin wurde auf einmal gelindert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1081,"orig":"Sie nahm den Brief zurück und ſchrieb einen andern, wie es ſchien in ſehr ſanfter Stimmung, auch forderte ſie Wilhelmen auf, ihren Freund, wenn er irgend durch die Nachricht ihres Todes betrübt werden ſollte, zu tröſten, ihm zu verſichern, daß ſie ihm verziehen habe, und daß ſie ihm alles Glück wünſche.","norm":"Sie nahm den Brief zurück und schrieb einen anderen, wie es schien in sehr sanfter Stimmung, auch forderte sie Wilhelm auf, ihren Freund, wenn er irgend durch die Nachricht ihres Todes betrübt werden sollte, zu trösten, ihm zu versichern, dass sie ihm verziehen habe, und dass sie ihm alles Glück wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1082,"orig":"Von dieſer Zeit an war ſie ſehr ſtill und ſchien ſich nur mit wenigen Ideen zu beſchäftigen, die ſie ſich aus dem Manuſcript eigen zu machen ſuchte, woraus ihr Wilhelm von","norm":"Von dieser Zeit an war sie sehr still und schien sich nur mit wenigen Ideen zu beschäftigen, die sie sich aus dem Manuskript eigen zu machen suchte, woraus ihr Wilhelm von"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1083,"orig":"Zeit zu Zeit vorleſen mußte.","norm":"Zeit zu Zeit vorlesen musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1084,"orig":"Die Abnahme ihrer Kräfte war nicht ſichtbar und unvermuthet fand ſie Wilhelm eines Morgens todt, als er ſie beſuchen wollte.","norm":"Die Abnahme ihrer Kräfte war nicht sichtbar und unvermutet fand sie Wilhelm eines Morgens tot, als er sie besuchen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1085,"orig":"Bey der Achtung, die er für ſie gehabt, und bey der Gewohnheit, mit ihr zu leben, war ihm ihr Verluſt ſehr ſchmerzlich.","norm":"Bei der Achtung, die er für sie gehabt, und bei der Gewohnheit, mit ihr zu leben, war ihm ihr Verlust sehr schmerzlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1086,"orig":"Sie war die einzige Perſon, die es eigentlich gut mit ihm meynte, und die Kälte Serlos in der letzten Zeit hatte er nur allzuſehr gefühlt.","norm":"Sie war die einzige Person, die es eigentlich gut mit ihm meinte, und die Kälte Serlos in der letzten Zeit hatte er nur allzu sehr gefühlt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1087,"orig":"Er eilte daher die aufgetragene Botſchaft auszurichten und wünſchte ſich auf einige Zeit zu entfernen.","norm":"Er eilte daher die aufgetragene Botschaft auszurichten und wünschte sich auf einige Zeit zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1088,"orig":"Von der andern Seite war für Melina dieſe Abreiſe ſehr erwünſcht, denn dieſer hatte ſich bey der weitläuftigen Correſpondenz, die er unterhielt, gleich mit einem Sänger und einer Sängerin eingelaſſen, die das Publikum einſtweilen durch Zwiſchenſpiele zur künftigen Oper vorbereiten ſollten.","norm":"Von der anderen Seite war für Melina diese Abreise sehr erwünscht, denn dieser hatte sich bei der weitläufigen Korrespondenz, die er unterhielt, gleich mit einem Sänger und einer Sängerin eingelassen, die das Publikum einstweilen durch Zwischenspiele zur künftigen Oper vorbereiten sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1089,"orig":"Der Verluſt Aureliens und Wilhelms Entfernung ſollten auf dieſe Weiſe in der erſten Zeit übertragen werden, und unſer Freund war mit allem zufrieden was ihm ſeinen Urlaub auf einige Wochen erleichterte.","norm":"Der Verlust Aurelies und Wilhelms Entfernung sollten auf diese Weise in der ersten Zeit übertragen werden, und unser Freund war mit allem zufrieden was ihm seinen Urlaub auf einige Wochen erleichterte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1090,"orig":"Er hatte ſich eine ſonderbar wichtige Idee von ſeinem Auftrage gemacht.","norm":"Er hatte sich eine sonderbar wichtige Idee von seinem Auftrage gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1091,"orig":"Der Tod ſeiner Freundin hatte ihn tief gerührt und da er ſie ſo frühzeitig von dem Schauplatze abtreten ſah, mußte er nothwendig gegen den, der ihr Leben verkürzt, und dieſes kurze Leben ihr ſo qualvoll gemacht, feindſelig geſinnt ſeyn.","norm":"Der Tod seiner Freundin hatte ihn tief gerührt und da er sie so frühzeitig von dem Schauplatze abtreten sah, musste er notwendig gegen den, der ihr Leben verkürzt, und dieses kurze Leben ihr so qualvoll gemacht, feindselig gesinnt sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1092,"orig":"Ohngeachtet der letzten gelinden Worte der Sterbenden, nahm er ſich doch vor bey Überreichung des Briefs ein ſtrenges Gericht über den ungetreuen Freund ergehen zu laſſen, und da er ſich nicht einer zufälligen Stimmung vertrauen wollte, dachte er an eine Rede, die in der Ausarbeitung pathetiſcher als billig ward.","norm":"Ungeachtet der letzten gelinden Worte der Sterbenden, nahm er sich doch vor bei Überreichung des Briefs ein strenges Gericht über den ungetreuen Freund ergehen zu lassen, und da er sich nicht einer zufälligen Stimmung vertrauen wollte, dachte er an eine Rede, die in der Ausarbeitung pathetischer als billig wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1093,"orig":"Nachdem er ſich völlig von der guten Compoſition ſeines Aufſatzes überzeugt hatte, machte er, indem er ihn auswendig lernte, Anſtalt zu ſeiner Abreiſe.","norm":"Nachdem er sich völlig von der guten Komposition seines Aufsatzes überzeugt hatte, machte er, indem er ihn auswendig lernte, Anstalt zu seiner Abreise."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1094,"orig":"Mignon war beym Einpacken gegenwärtig und fragte ihn, ob er nach Süden oder nach Norden reiſe?","norm":"Mignon war beim Einpacken gegenwärtig und fragte ihn, ob er nach Süden oder nach Norden reise?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1095,"orig":"und als ſie das letzte von ihm erfuhr, ſagte ſie: ſo will ich Dich hier wieder erwarten.","norm":"und als sie das letzte von ihm erfuhr, sagte sie: So will ich Dich hier wieder erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1096,"orig":"Sie bat ihn um die Perlenſchnur Marianens, die er dem lieben Geſchöpf nicht verſagen konnte; das Halstuch hatte ſie ſchon.","norm":"Sie bat ihn um die Perlenschnur Marianes, die er dem lieben Geschöpf nicht versagen konnte; das Halstuch hatte sie schon."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1097,"orig":"Dagegen ſteckte ſie ihm den Schleyer des Geiſtes in den Mantelſack, ob er ihr gleich ſagte, daß ihm dieſer Flor zu keinem Gebrauch ſey.","norm":"Dagegen steckte sie ihm den Schleier des Geistes in den Mantelsack, ob er ihr gleich sagte, dass ihm dieser Flor zu keinem Gebrauch sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1098,"orig":"Melina übernahm die Regie, und ſeine Frau verſprach auf die Kinder ein mütterliches Auge zu haben, von denen ſich Wilhelm ungern losriß.","norm":"Melina übernahm die Regie, und seine Frau versprach auf die Kinder ein mütterliches Auge zu haben, von denen sich Wilhelm ungern losriss."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1099,"orig":"Felix war ſehr luſtig beym Abſchied und als man ihn fragte: was er wolle mitgebracht haben, ſagte er:","norm":"Felix war sehr lustig beim Abschied und als man ihn fragte: Was er wolle mitgebracht haben, sagte er:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1100,"orig":"Höre!","norm":"Höre!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1101,"orig":"bringe mir einen Vater mit.","norm":"bringe mir einen Vater mit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1102,"orig":"Mignon nahm den Scheidenden bey der Hand, und indem ſie ihm, auf die Zehen gehoben, einen treuherzigen und lebhaften Kuß, doch ohne Zärtlichkeit, auf die Lippen drückte, ſagte ſie:","norm":"Mignon nahm den Scheidenden bei der Hand, und indem sie ihm, auf die Zehn gehoben, einen treuherzigen und lebhaften Kuss, doch ohne Zärtlichkeit, auf die Lippen drückte, sagte sie:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1103,"orig":"Meiſter!","norm":"Meister!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1104,"orig":"vergiß uns nicht und komm bald wieder.","norm":"vergiss uns nicht und komme bald wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1105,"orig":"Und ſo laſſen wir unſern Freund unter tauſend Gedanken und Empfindungen ſeine Reiſe antreten, und zeichnen hier noch zum Schluſſe ein Gedicht auf, das Mignon mit großem Ausdruck einigemal rezitirt hatte, und das wir früher mitzutheilen durch den Drang ſo mancher ſonderbaren Ereigniſſe verhindert worden.","norm":"Und so lassen wir unseren Freund unter tausend Gedanken und Empfindungen seine Reise antreten, und zeichnen hier noch zum Schlusse ein Gedicht auf, das Mignon mit großem Ausdruck einige Mal rezitiert hatte, und das wir früher mitzuteilen durch den Drang so mancher sonderbaren Ereignisse verhindert wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1106,"orig":"Heiß mich nicht reden, heiß mich ſchweigen Denn mein Geheimniß iſt mir Pflicht;","norm":"Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1107,"orig":"Ich mögte dir mein ganzes Innre zeigen, Allein das Schickſal will es nicht.","norm":"Ich möchte dir mein ganzes Innere zeigen, allein das Schicksal will es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1108,"orig":"Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf Die finſtre Nacht, und ſie muß ſich erhellen, Der harte Fels ſchließt ſeinen Buſen auf Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.","norm":"Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf die finstre Nacht, und sie muss sich erhellen, der harte Fels schließt seinen Busen auf Missgönnt der Erde nicht die tiefverborgenen Quellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1109,"orig":"Ein jeder ſucht im Arm des Freundes Ruh, Dort kann die Bruſt in Klagen ſich ergießen;","norm":"Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruhe, dort kann die Brust in Klagen sich ergießen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1110,"orig":"Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu Und nur ein Gott vermag ſie aufzuſchließen.","norm":"Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1111,"orig":"Bis in mein achtes Jahr war ich ein ganz geſundes Kind, weiß mich aber von dieſer Zeit ſo wenig zu erinnern, als von dem Tage meiner Geburt.","norm":"Bis in mein achtes Jahr war ich ein ganz gesundes Kind, weiß mich aber von dieser Zeit so wenig zu erinnern, als von dem Tage meiner Geburt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1112,"orig":"Mit dem Anfange des achten Jahres bekam ich einen Blutſturz und in dem Augenblick war meine Seele ganz Empfindung und Gedächtniß.","norm":"Mit dem Anfange des achten Jahres bekam ich einen Blutsturz und in dem Augenblick war meine Seele ganz Empfindung und Gedächtnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1113,"orig":"Die kleinſten Umſtände dieſes Zufalls ſtehn mir noch vor Augen als hätte er ſich geſtern ereignet.","norm":"Die kleinsten Umstände dieses Zufalls stehen mir noch vor Augen als hätte er sich gestern ereignet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1114,"orig":"Während des neun monatlichen Krankenlagers, das ich mit Gedult aushielt, ward, ſo wie mich dünkt, der Grund zu meiner ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiſte die erſten Hülfsmittel gereicht wurden, ſich nach ſeiner eigenen Art zu entwickeln.","norm":"Während des neunmonatlichen Krankenlagers, das ich mit Geduld aushielt, wurde, so wie mich dünkt, der Grund zu meiner ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiste die ersten Hilfsmittel gereicht wurden, sich nach seiner eigenen Art zu entwickeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1115,"orig":"Ich litt und liebte, das war die eigentliche Geſtalt meines Herzens.","norm":"Ich litt und liebte, das war die eigentliche Gestalt meines Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1116,"orig":"In dem heftigſten Huſten und abmattenden Fieber war ich ſtille wie eine Schnecke, die ſich in ihr Haus zieht; ſo bald ich ein wenig Luft hatte, wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da mir aller übrige Genuß verſagt war, ſuchte ich mich durch Augen und Ohren ſchadlos zu halten.","norm":"In dem heftigsten Husten und abmattenden Fieber war ich stille wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus zieht; sobald ich ein wenig Luft hatte, wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da mir aller übrige Genuss versagt war, suchte ich mich durch Augen und Ohren schadlos zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1117,"orig":"Man brachte mir Puppenwerk und Bilderbücher und wer Sitz an meinem Bette haben wollte, mußte mir etwas erzählen.","norm":"Man brachte mir Puppenwerk und Bilderbücher und wer Sitz an meinem Bette haben wollte, musste mir etwas erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1118,"orig":"Von meiner Mutter hörte ich die bibliſchen Geſchichten gern an; der Vater unterhielt mich mit Gegenſtänden der Natur.","norm":"Von meiner Mutter hörte ich die biblischen Geschichten gern an; der Vater unterhielt mich mit Gegenständen der Natur."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1119,"orig":"Er beſaß ein artiges Kabinet.","norm":"Er besaß ein artiges Kabinett."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1120,"orig":"Davon brachte er gelegentlich eine Schublade nach der andern herunter, zeigte mir die Dinge und erklärte ſie mir nach der Wahrheit.","norm":"Davon brachte er gelegentlich eine Schublade nach der anderen herunter, zeigte mir die Dinge und erklärte sie mir nach der Wahrheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1121,"orig":"Getrocknete Pflanzen und Inſekten und manche Arten von anatomiſchen Präparaten.","norm":"Getrocknete Pflanzen und Insekten und manche Arten von anatomischen Präparaten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1122,"orig":"Menſchenhaut, Knochen, Mumien und dergleichen kamen auf das Krankenbette der Kleinen;","norm":"Menschenhaut, Knochen, Mumien und dergleichen kamen auf das Krankenbette der Kleinen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1123,"orig":"Vögel und Thiere, die er auf der Jagd erlegte, wurden mir vorgezeigt, ehe ſie nach der Küche gingen, und damit doch auch der Fürſt der Welt eine Stimme in dieſer Verſammlung behielte, erzählte mir die Tante Liebesgeſchichten und Feenmärchen.","norm":"Vögel und Tiere, die er auf der Jagd erlegte, wurden mir vorgezeigt, ehe sie nach der Küche gingen, und damit doch auch der Fürst der Welt eine Stimme in dieser Versammlung behielte, erzählte mir die Tante Liebesgeschichten und Feenmärchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1124,"orig":"Alles ward angenommen und alles faßte Wurzel.","norm":"Alles wurde angenommen und alles fasste Wurzel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1125,"orig":"Ich hatte Stunden, in denen ich mich lebhaft mit dem unſichtbaren Weſen unterhielte, ich weiß noch einige Verſe, die ich der Mutter damals in die Feder dictirte.","norm":"Ich hatte Stunden, in denen ich mich lebhaft mit dem unsichtbaren Wesen unterhielt, ich weiß noch einige Verse, die ich der Mutter damals in die Feder diktierte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1126,"orig":"Oft erzählte ich dem Vater wieder, was ich von ihm gelernt hatte.","norm":"Oft erzählte ich dem Vater wieder, was ich von ihm gelernt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1127,"orig":"Ich nahm nicht leicht eine Arzeney, ohne zu fragen, wo wachſen die Dinge, aus denen ſie gemacht iſt?","norm":"Ich nahm nicht leicht eine Arznei, ohne zu fragen, wo wachsen die Dinge, aus denen sie gemacht ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1128,"orig":"Wie ſehen ſie aus?","norm":"Wie sehen sie aus?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1129,"orig":"Wie heißen ſie?","norm":"Wie heißen sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1130,"orig":"Aber die Erzählungen meiner Tante waren auch nicht auf einen Stein gefallen.","norm":"Aber die Erzählungen meiner Tante waren auch nicht auf einen Stein gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1131,"orig":"Ich dachte mich in ſchöne Kleider und begegnete den allerliebſten Prinzen, die nicht ruhen noch raſten konnten, bis ſie wußten, wer die unbekannte Schöne war.","norm":"Ich dachte mich in schöne Kleider und begegnete den allerliebsten Prinzen, die nicht ruhen noch rasten konnten, bis sie wussten, wer die unbekannte Schöne war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1132,"orig":"Ein ähnliches Abentheuer mit einem reizenden kleinen Engel, der im weißen Gewand und goldnen Flügeln ſich ſehr um mich bemühte, ſetzte ich ſo lange fort, daß meine Einbildungskraft ſein Bild faſt bis zur Erſcheinung erhöhte.","norm":"Ein ähnliches Abenteuer mit einem reizenden kleinen Engel, der im weißen Gewand und goldenen Flügeln sich sehr um mich bemühte, setzte ich so lange fort, dass meine Einbildungskraft sein Bild fast bis zur Erscheinung erhöhte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1133,"orig":"Nach Jahresfriſt war ich ziemlich wieder hergeſtellt; aber es war mir aus der Kindheit nichts Wildes übrig geblieben.","norm":"Nach Jahresfrist war ich ziemlich wiederhergestellt; aber es war mir aus der Kindheit nichts Wildes übriggeblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1134,"orig":"Ich konnte nicht einmal mit Puppen ſpielen, ich verlangte nach Weſen, die meine Liebe erwiederten.","norm":"Ich konnte nicht einmal mit Puppen spielen, ich verlangte nach Wesen, die meine Liebe erwiderten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1135,"orig":"Hunde, Katzen und Vögel, dergleichen mein Vater von allen Arten ernährte, vergnügten mich ſehr; aber was hätte ich nicht gegeben, ein Geſchöpf zu beſitzen, das in einem der Märchen meiner Tante eine ſehr wichtige Rolle ſpielte.","norm":"Hunde, Katzen und Vögel, dergleichen mein Vater von allen Arten ernährte, vergnügten mich sehr; aber was hätte ich nicht gegeben, ein Geschöpf zu besitzen, das in einem der Märchen meiner Tante eine sehr wichtige Rolle spielte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1136,"orig":"Es war ein Schäfchen, das von einem Bauermädchen in dem Walde aufgefangen und ernährt worden war, aber in dieſem artigen Thiere ſtack ein verwünſchter Prinz, der ſich endlich wieder als ſchöner Jüngling zeigte und ſeine Wohlthäterin durch ſeine Hand belohnte.","norm":"Es war ein Schäfchen, das von einem Bauermädchen in dem Walde aufgefangen und ernährt worden war, aber in diesem artigen Tiere steckte ein verwünschter Prinz, der sich endlich wieder als schöner Jüngling zeigte und seine Wohltäterin durch seine Hand belohnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1137,"orig":"So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne beſeſſen!","norm":"So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne besessen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1138,"orig":"Nun wollte ſich aber keines finden, und da alles neben mir ſo ganz natürlich zuging, mußte mir nach und nach die Hoffnung auf einen ſo köſtlichen Beſitz faſt vergehen.","norm":"Nun wollte sich aber keines finden, und da alles neben mir so ganz natürlich zuging, musste mir nach und nach die Hoffnung auf einen so köstlichen Besitz fast vergehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1139,"orig":"Unterdeſſen tröſtete ich mich, indem ich ſolche Bücher las, in denen wunderbare Begebenheiten beſchrieben wurden.","norm":"Unterdessen tröstete ich mich, indem ich solche Bücher las, in denen wunderbare Begebenheiten beschrieben wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1140,"orig":"Unter allen war mir der chriſtliche deutſche Herkules der liebſte; die andächtige Liebeſgeſchichte war ganz nach meinem Sinne.","norm":"Unter allen war mir der Christliche deutsche Herkules der liebste; die andächtige Liebesgeschichte war ganz nach meinem Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1141,"orig":"Begegnete ſeiner Valiska irgend etwas, und es begegneten ihr grauſame Dinge, ſo betete er erſt, eh er ihr zu Hülfe eilte, und die Gebete ſtanden ausführlich im Buche.","norm":"Begegnete seiner Valiska irgendetwas, und es begegneten ihr grausame Dinge, so betete er erst, ehe er ihr zu Hilfe eilte, und die Gebete standen ausführlich im Buche."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1142,"orig":"Wie wohl gefiel mir das!","norm":"Wie wohl gefiel mir das!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1143,"orig":"Mein Hang zu dem Unſichtbaren, den ich immer auf eine dunkle Weiſe fühle, ward dadurch nur vermehrt; denn ein für allemal ſollte Gott auch mein Vertrauter ſeyn.","norm":"Mein Hang zu dem Unsichtbaren, den ich immer auf eine dunkle Weise fühle, wurde dadurch nur vermehrt; denn ein für allemal sollte Gott auch mein Vertrauter sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1144,"orig":"Als ich weiter heran wuchs, las ich, der Himmel weiß was alles durch einander; aber die römiſche Octavia behielt vor allen den Preis.","norm":"Als ich weiter heranwuchs, las ich, der Himmel weiß was alles durcheinander; aber die Römische Oktavia behielt vor allen den Preis."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1145,"orig":"Die Verfolgungen der erſten Chriſten in einen Roman gekleidet, erregten bey mir das lebhafteſte Intereſſe.","norm":"Die Verfolgungen der ersten Christen in einen Roman gekleidet, erregten bei mir das lebhafteste Interesse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1146,"orig":"Nun fing die Mutter an über das ſtete Leſen zu ſchmälen; der Vater nahm ihr zu Liebe mir einen Tag die Bücher aus der Hand und gab ſie mir den andern wieder.","norm":"Nun fing die Mutter an über das stete Lesen zu schmälen; der Vater nahm ihr zuliebe mir einen Tag die Bücher aus der Hand und gab sie mir den anderen wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1147,"orig":"Sie war klug genug zu bemerken, daß hier nichts auszurichten war, und drang nur darauf, daß auch die Bibel eben ſo fleißig geleſen wurde.","norm":"Sie war klug genug zu bemerken, dass hier nichts auszurichten war, und drang nur darauf, dass auch die Bibel ebenso fleißig gelesen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1148,"orig":"Auch dazu ließ ich mich nicht treiben, und ich las die heiligen Bücher mit vielem Antheil.","norm":"Auch dazu ließ ich mich nicht treiben, und ich las die heiligen Bücher mit vielem Anteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1149,"orig":"Dabey war meine Mutter immer ſorgfältig, daß keine verführeriſchen Bücher in meine Hände kämen, und ich ſelbſt würde jede ſchändliche Schrift aus der Hand geworfen haben, denn meine Prinzen und Prinzeſſinnen waren alle äußerſt tugendhaft, und ich wußte übrigens von der natürlichen Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts mehr als ich merken ließ, und hatte es meiſtens aus der Bibel gelernt.","norm":"Dabei war meine Mutter immer sorgfältig, dass keine verführerischen Bücher in meine Hände kämen, und ich selbst würde jede schändliche Schrift aus der Hand geworfen haben, denn meine Prinzen und Prinzessinnen waren alle äußerst tugendhaft, und ich wusste übrigens von der natürlichen Geschichte des menschlichen Geschlechts mehr als ich merken ließ, und hatte es meistens aus der Bibel gelernt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1150,"orig":"Bedenkliche Stellen hielt ich mit Worten und Dingen die mir vor Augen kamen zuſammen, und brachte bey meiner Wißbegierde und Combinationsgabe die Wahrheit glücklich heraus.","norm":"Bedenkliche Stellen hielt ich mit Worten und Dingen die mir vor Augen kamen zusammen, und brachte bei meiner Wissbegierde und Kombinationsgabe die Wahrheit glücklich heraus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1151,"orig":"Hätte ich von Hexen gehört, ſo hätte ich auch mit der Hexerey bekannt werden müſſen.","norm":"Hätte ich von Hexen gehört, so hätte ich auch mit der Hexerei bekannt werden müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1152,"orig":"Meiner Mutter und dieſer Wißbegierde hatte ich es zu danken, daß ich bey dem heftigen Hang zu Büchern doch kochen lernte; aber dabey war etwas zu ſehen.","norm":"Meiner Mutter und dieser Wissbegierde hatte ich es zu danken, dass ich bei dem heftigen Hang zu Büchern doch kochen lernte; aber dabei war etwas zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1153,"orig":"Ein Huhn, ein Ferkel aufzuſchneiden, war für mich ein Feſt.","norm":"Ein Huhn, ein Ferkel aufzuschneiden, war für mich ein Fest."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1154,"orig":"Den Vater brachte ich die Eingeweide und er redete mit mir darüber wie mit einem jungen Studenten, und pflegte mich oft mit inniger Freude ſeinen mißrathenen Sohn zu nennen.","norm":"Den Vater brachte ich die Eingeweide und er redete mit mir darüber wie mit einem jungen Studenten, und pflegte mich oft mit inniger Freude seinen missratenen Sohn zu nennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1155,"orig":"Nun war das zwölfte Jahr zurückgelegt.","norm":"Nun war das zwölfte Jahr zurückgelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1156,"orig":"Ich lernte franzöſiſch, tanzen und zeichnen, und erhielt den gewöhnlichen Religionsunterricht.","norm":"Ich lernte Französisch, Tanzen und Zeichnen, und erhielt den gewöhnlichen Religionsunterricht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1157,"orig":"Bey dem letzten wurden manche Empfindungen und Gedanken rege, aber nichts was ſich auf meinen Zuſtand bezogen hätte.","norm":"Bei dem letzten wurden manche Empfindungen und Gedanken rege, aber nichts was sich auf meinen Zustand bezogen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1158,"orig":"Ich hörte gern von Gott reden, ich war ſtolz darauf beſſer als meinesgleichen von ihm reden zu können; ich las nun mit Eifer manche Bücher, die mich in den Stand ſetzten von Religion zu ſchwatzen, aber nie fiel es mir ein zu denken, wie es denn mit mir ſtehe, ob meine Seele auch ſo geſtaltet ſey, ob ſie einem Spiegel gleiche, von dem die ewige Sonne wieder glänzen könnte, das hatte ich ein vor allemal ſchon vorausgeſetzt.","norm":"Ich hörte gern von Gott reden, ich war stolz darauf besser als meinesgleichen von ihm reden zu können; ich las nun mit Eifer manche Bücher, die mich in den Stand setzten von Religion zu schwatzen, aber nie fiel es mir ein zu denken, wie es denn mit mir stehe, ob meine Seele auch so gestaltet sei, ob sie einem Spiegel gleiche, von dem die ewige Sonne widerglänzen könnte, das hatte ich ein für allemal schon vorausgesetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1159,"orig":"Franzöſiſch lernte ich mit vieler Begierde.","norm":"Französisch lernte ich mit vieler Begierde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1160,"orig":"Mein Sprachmeiſter war ein wackrer Mann.","norm":"Mein Sprachmeister war ein wackerer Mann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1161,"orig":"Er war nicht ein leichtſinniger Empiriker, nicht ein trockner Grammatiker; er hatte Wiſſenſchaften, er hatte die Welt geſehen.","norm":"Er war nicht ein leichtsinniger Empiriker, nicht ein trockener Grammatiker; er hatte Wissenschaften, er hatte die Welt gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1162,"orig":"Zugleich mit dem Sprachunterrichte ſättigte er meine Wißbegierde auf mancherley Weiſe.","norm":"Zugleich mit dem Sprachunterrichte sättigte er meine Wissbegierde auf mancherlei Weise."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1163,"orig":"Ich liebte ihn ſo ſehr, daß ich ſeine Ankunft immer mit Herzklopfen erwartete.","norm":"Ich liebte ihn so sehr, dass ich seine Ankunft immer mit Herzklopfen erwartete."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1164,"orig":"Das Zeichnen fiel mir nicht ſchwer, und ich würde es weiter gebracht haben, wenn mein Meiſt Kopf und Kenntniſſe gehabt hätte; er hatte aber nur Hände und Übung.","norm":"Das Zeichnen fiel mir nicht schwer, und ich würde es weiter gebracht haben, wenn mein Meister Kopf und Kenntnisse gehabt hätte; er hatte aber nur Hände und Übung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1165,"orig":"Tanzen war Anfangs nur meine geringſte Freude; mein Körper war zu empfindlich und ich lernte nur in der Geſellſchaft meiner Schweſter.","norm":"Tanzen war Anfangs nur meine geringste Freude; mein Körper war zu empfindlich und ich lernte nur in der Gesellschaft meiner Schwester."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1166,"orig":"Durch den Einfall unſers Tanzmeiſters allen ſeinen Schülern und Schülerinnen einen Ball zu geben, ward aber die Luſt zu dieſer Übung ganz anders belebt.","norm":"Durch den Einfall unseres Tanzmeisters allen seinen Schülern und Schülerinnen einen Ball zu geben, wurde aber die Lust zu dieser Übung ganz anders belebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1167,"orig":"Unter vielen Knaben und Mädchen zeichneten ſich zwey Söhne des Hofmarſchalls aus; der jüngſte ſo alt wie ich, der andere zwey Jahr älter;","norm":"Unter vielen Knaben und Mädchen zeichneten sich zwei Söhne des Hofmarschalls aus; der jüngste so alt wie ich, der andere zwei Jahr älter;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1168,"orig":"Kinder von einer ſolchen Schönheit, daß ſie nach dem allgemeinen Geſtändniß alles übertrafen, was man je von ſchönen Kindern geſehen hatte.","norm":"Kinder von einer solchen Schönheit, dass sie nach dem allgemeinen Geständnis alles übertrafen, was man je von schönen Kindern gesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1169,"orig":"Auch ich hatte ſie kaum erblickt, ſo ſah ich niemand mehr vom ganzen Haufen.","norm":"Auch ich hatte sie kaum erblickt, so sah ich niemand mehr vom ganzen Haufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1170,"orig":"In dem Augenblicke tanzte ich mit Aufmerkſamkeit und wünſchte ſchön zu tanzen.","norm":"In dem Augenblicke tanzte ich mit Aufmerksamkeit und wünschte schön zu tanzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1171,"orig":"Wie es kam, daß auch dieſe Knaben unter allen andern mich vorzüglich bemerkten?","norm":"Wie es kam, dass auch diese Knaben unter allen anderen mich vorzüglich bemerkten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1172,"orig":"— Genug in der erſten Stunde waren wir die beſten Freunde, und die kleine Luſtbarkeit ging noch nicht zu Ende, ſo hatten wir ſchon ausgemacht, wo wir uns nächſtens wieder ſehen wollten.","norm":"— Genug in der ersten Stunde waren wir die besten Freunde, und die kleine Lustbarkeit ging noch nicht zu Ende, so hatten wir schon ausgemacht, wo wir uns nächstens wieder sehen wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1173,"orig":"Eine große Freude für mich!","norm":"Eine große Freude für mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1174,"orig":"aber ganz entzückt war ich, als beyde den andern Morgen jeder in einem gallanten Billet, das mit einem Blumenſtrauß begleitet war, ſich nach meinem Befinden erkundigten.","norm":"Aber ganz entzückt war ich, als beide den anderen Morgen jeder in einem galanten Billett, das mit einem Blumenstrauß begleitet war, sich nach meinem Befinden erkundigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1175,"orig":"So fühlte ich nie mehr, wie ich da fühlte!","norm":"So fühlte ich nie mehr, wie ich da fühlte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1176,"orig":"Artigkeiten wurden mit Artigkeiten, Briefchen mit Briefchen erwiedert.","norm":"Artigkeiten wurden mit Artigkeiten, Briefchen mit Briefchen erwidert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1177,"orig":"Kirche und Promenaden wurden von nun an zu Rendesvous; unſre jungen Bekannten luden uns ſchon jederzeit zuſammen ein, wir aber waren ſchlau genug, die Sache dergeſtalt zu verdecken, daß die Eltern nicht mehr davon einſahen, als wir für gut hielten.","norm":"Kirche und Promenaden wurden von nun an zu Rendezvous; unsere jungen Bekannten luden uns schon jederzeit zusammen ein, wir aber waren schlau genug, die Sache dergestalt zu verdecken, dass die Eltern nicht mehr davon einsahen, als wir für gut hielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1178,"orig":"Nun hatte ich auf einmal zwey Liebhaber bekommen.","norm":"Nun hatte ich auf einmal zwei Liebhaber bekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1179,"orig":"Ich war für keinen entſchieden; ſie gefielen mir beyde, und wir ſtanden aufs beſte zuſammen.","norm":"Ich war für keinen entschieden; sie gefielen mir beide, und wir standen aufs beste zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1180,"orig":"Auf einmal ward der Älteſte ſehr krank, ich war ſelbſt ſchon oft ſehr krank geweſen und wußte dem Leidenden durch Überſendung mancher Artigkeiten und für einen Kranken ſchicklicher Leckerbiſſen zu erfreuen, daß ſeine Eltern die Aufmerkſamkeit dankbar erkannten, der Bitte des lieben Sohns Gehör gaben und mich ſammt meinen Schweſtern, ſo bald er nur das Bette verlaſſen hatte, zu ihm einluden.","norm":"Auf einmal wurde der Älteste sehr krank, ich war selbst schon oft sehr krank gewesen und wusste dem Leidenden durch Übersendung mancher Artigkeiten und für einen Kranken schicklicher Leckerbissen zu erfreuen, dass seine Eltern die Aufmerksamkeit dankbar erkannten, der Bitte des lieben Sohns Gehör gaben und mich samt meinen Schwestern, sobald er nur das Bette verlassen hatte, zu ihm einluden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1181,"orig":"Die Zärtlichkeit, womit er mich empfing, war nicht kindiſch, und von dem Tage an war ich für ihn entſchieden.","norm":"Die Zärtlichkeit, womit er mich empfing, war nicht kindisch, und von dem Tage an war ich für ihn entschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1182,"orig":"Er warnte mich gleich, vor ſeinem Bruder geheim zu ſeyn; allein das Feuer war nicht mehr zu verbergen, und die Eiferſucht des Jüngſten machte den Roman vollkommen.","norm":"Er warnte mich gleich, vor seinem Bruder geheim zu sein; allein das Feuer war nicht mehr zu verbergen, und die Eifersucht des Jüngsten machte den Roman vollkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1183,"orig":"Er ſpielte uns tauſend Streiche, mit Luſt vernichtete er unſre Freude, und vermehrte dadurch die Leidenſchaft, die er zu zerſtören ſuchte.","norm":"Er spielte uns tausend Streiche, mit Lust vernichtete er unsere Freude, und vermehrte dadurch die Leidenschaft, die er zu zerstören suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1184,"orig":"Nun hatte ich denn wirklich das gewünſchte Schäfchen gefunden, und dieſe Leidenſchaft hatte wie ſonſt eine Krankheit die Wirkung auf mich, daß ſie mich ſtill machte und mich von der ſchwärmenden Freude zurück zog.","norm":"Nun hatte ich denn wirklich das gewünschte Schäfchen gefunden, und diese Leidenschaft hatte wie sonst eine Krankheit die Wirkung auf mich, dass sie mich still machte und mich von der schwärmenden Freude zurückzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1185,"orig":"Ich war einſam und gerührt und Gott fiel mir wieder ein.","norm":"Ich war einsam und gerührt und Gott fiel mir wieder ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1186,"orig":"Er blieb mein Vertrauter, und ich weiß wohl, mit welchen Thränen ich für den Knaben, der fortkränkelte, zu beten anhielt.","norm":"Er blieb mein Vertrauter, und ich weiß wohl, mit welchen Tränen ich für den Knaben, der fortkränkelte, zu beten anhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1187,"orig":"So viel kindiſches in dem Vorgang war, ſo viel trug er zur Bildung meines Herzens bey.","norm":"Soviel kindisches in dem Vorgang war, soviel trug er zur Bildung meines Herzens bei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1188,"orig":"Unſerm franzöſiſchen Sprachmeiſter mußten wir täglich, ſtatt der ſonſt gewöhnlichen Überſetzung, Briefe von unſrer eignen Erfindung ſchreiben.","norm":"Unserem französischen Sprachmeister mussten wir täglich, statt der sonst gewöhnlichen Übersetzung, Briefe von unserer eigenen Erfindung schreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1189,"orig":"Ich brachte meine Liebesgeſchichte unter dem Namen Phyllis und Damon zu Markte.","norm":"Ich brachte meine Liebesgeschichte unter dem Namen Phyllis und Damon zu Markte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1190,"orig":"Der Alte ſah bald durch, und, um mich treuherzig zu machen, lobte er meine Arbeit gar ſehr.","norm":"Der Alte sah bald durch, und, um mich treuherzig zu machen, lobte er meine Arbeit gar sehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1191,"orig":"Ich wurde immer kühner, ging offenherzig heraus und war bis ins Detail der Wahrheit getreu.","norm":"Ich wurde immer kühner, ging offenherzig heraus und war bis ins Detail der Wahrheit getreu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1192,"orig":"Ich weiß nicht mehr, bey welcher Stelle er einſt Gelegenheit nahm, zu ſagen: wie das artig, wie das natürlich iſt!","norm":"Ich weiß nicht mehr, bei welcher Stelle er einst Gelegenheit nahm, zu sagen: Wie das artig, wie das natürlich ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1193,"orig":"Aber die gute Phillis mag ſich in Acht nehmen, es kann bald ernſthaft werden.","norm":"Aber die gute Phyllis mag sich in Acht nehmen, es kann bald ernsthaft werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1194,"orig":"Mich verdroß, daß er die Sache nicht ſchon für ernſthaft hielt, und fragte ihn piquirt, was er unter ernſthaft verſtehe?","norm":"Mich verdross, dass er die Sache nicht schon für ernsthaft hielt, und fragte ihn pikiert, was er unter ernsthaft verstehe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1195,"orig":"Er ließ ſich nicht zweymal fragen, und erklärte ſich ſo deutlich, daß ich meinen Schrecken kaum verbergen konnte.","norm":"Er ließ sich nicht zweimal fragen, und erklärte sich so deutlich, dass ich meinen Schrecken kaum verbergen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1196,"orig":"Doch da ſich gleich darauf bey mir der Verdruß einſtellte, und ich ihm übel nahm, daß er ſolche Gedanken hegen könne, faßte ich mich, wollte meine Schöne rechtfertigen und ſagte mit feuerrothen Wangen: aber mein Herr, Phyllis iſt ein ehrbares Mädchen.","norm":"Doch da sich gleich darauf bei mir der Verdruss einstellte, und ich ihm übelnahm, dass er solche Gedanken hegen könne, fasste ich mich, wollte meine Schöne rechtfertigen und sagte mit feuerroten Wangen: Aber mein Herr, Phyllis ist ein ehrbares Mädchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1197,"orig":"Nun war er boshaft genug, mich mit meiner ehrbaren Heldin aufzuziehen, und, indem wir franzöſiſch ſprachen, mit dem »honete »zu ſpielen, um die Ehrbarkeit der Phyllis durch alle Bedeutungen durchzuführen.","norm":"Nun war er boshaft genug, mich mit meiner ehrbaren Heldin aufzuziehen, und, indem wir Französisch sprachen, mit dem »honnête »zu spielen, um die Ehrbarkeit der Phyllis durch alle Bedeutungen durchzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1198,"orig":"Ich fühlte das Lächerliche und war äußerſt verwirrt.","norm":"Ich fühlte das Lächerliche und war äußerst verwirrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1199,"orig":"Er, der mich nicht furchtſam machen wolte, brach ab, brachte aber das Geſpräch bey andern Gelegenheiten wieder auf die Bahn.","norm":"Er, der mich nicht furchtsam machen wollte, brach ab, brachte aber das Gespräch bei anderen Gelegenheiten wieder auf die Bahn."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1200,"orig":"Schauſpiele und kleine Geſchichten, die ich bey ihm las und überſetzte, gaben ihm oft Anlaß zu zeigen, was für ein ſchwacher Schutz die ſogenannte Tugend gegen die Aufforderungen eines Affeckts ſey.","norm":"Schauspiele und kleine Geschichten, die ich bei ihm las und übersetzte, gaben ihm oft Anlass zu zeigen, was für ein schwacher Schutz die sogenannte Tugend gegen die Aufforderungen eines Affekts sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1201,"orig":"Ich widerſprach nicht mehr, ärgerte mich aber immer heimlich, und ſeine Anmerkungen wurden mir zur Laſt.","norm":"Ich widersprach nicht mehr, ärgerte mich aber immer heimlich, und seine Anmerkungen wurden mir zur Last."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1202,"orig":"Mit meinem guten Damon kam ich nach und nach aus aller Verbindung.","norm":"Mit meinem guten Damon kam ich nach und nach aus aller Verbindung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1203,"orig":"Die Chikanen des jüngſten hatten unſern Umgang zerriſſen.","norm":"Die Schikanen des Jüngsten hatten unseren Umgang zerrissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1204,"orig":"Nicht lange Zeit darauf ſtarben beyde blühende Jünglinge.","norm":"Nicht lange Zeit darauf starben beide blühende Jünglinge."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1205,"orig":"Es that mir weh, aber bald waren ſie vergeſſen.","norm":"Es tat mir weh, aber bald waren sie vergessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1206,"orig":"Phyllis wuchs nun ſchnell heran, war ganz geſund und fing an die Welt zu ſehen.","norm":"Phyllis wuchs nun schnell heran, war ganz gesund und fing an die Welt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1207,"orig":"Der Erbprinz vermählte ſich und trat bald darauf nach dem Tode ſeines Vaters die Regierung an.","norm":"Der Erbprinz vermählte sich und trat bald darauf nach dem Tode seines Vaters die Regierung an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1208,"orig":"Hof und Stadt waren in lebhafter Bewegung.","norm":"Hof und Stadt waren in lebhafter Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1209,"orig":"Nun hatte meine Neugierde mancherley Nahrung.","norm":"Nun hatte meine Neugierde mancherlei Nahrung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1210,"orig":"Nun gab es Comödien, Bälle und was ſich daran anſchließt, und ob uns gleich die Eltern ſo viel als möglich zurück hielten, ſo mußte man doch bey Hof, wo ich eingeführt war, erſcheinen.","norm":"Nun gab es Komödien, Bälle und was sich daran anschließt, und ob uns gleich die Eltern soviel als möglich zurückhielten, so musste man doch bei Hof, wo ich eingeführt war, erscheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1211,"orig":"Die Fremden ſtrömten herbey, in allen Häuſern war große Welt, an uns ſelbſt waren einige Cavaliere empfohlen und andre introduzirt, und bey meinem Oheim waren alle Nationen anzutreffen.","norm":"Die Fremden strömten herbei, in allen Häusern war große Welt, an uns selbst waren einige Kavaliere empfohlen und andere introduziert, und bei meinem Oheim waren alle Nationen anzutreffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1212,"orig":"Mein ehrlicher Mentor fuhr fort, mich auf eine beſcheidene und doch treffende Weiſe zu warnen, und ich nahm es ihm immer heimlich übel.","norm":"Mein ehrlicher Mentor fuhr fort, mich auf eine bescheidene und doch treffende Weise zu warnen, und ich nahm es ihm immer heimlich übel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1213,"orig":"Ich war keinesweges von der Wahrheit ſeiner Behauptung überzeugt, und vielleicht hatte ich auch damals Recht, vielleicht hatte er Unrecht, die Frauen unter allen Umſtänden für ſo ſchwach zu halten; aber er redete zugleich ſo zudringlich, daß mir einſt bange wurde, er möchte Recht haben, da ich denn ſehr lebhaft zu ihm ſagte: weil die Gefahr ſo groß und das menſchliche Herz ſo ſchwach iſt, ſo will ich Gott bitten, daß er mich bewahre.","norm":"Ich war keineswegs von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt, und vielleicht hatte ich auch damals Recht, vielleicht hatte er Unrecht, die Frauen unter allen Umständen für so schwach zu halten; aber er redete zugleich so zudringlich, dass mir einst bange wurde, er möchte Recht haben, da ich denn sehr lebhaft zu ihm sagte: Weil die Gefahr so groß und das menschliche Herz so schwach ist, so will ich Gott bitten, dass er mich bewahre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1214,"orig":"Die naive Antwort ſchien ihn zu freuen; er lobte meinen Vorſatz; aber es war bey mir nichts weniger als ernſtlich gemeynt; diesmal war es nur ein leeres Wort; denn die Empfindungen für den Unſichtbaren waren bey mir faſt ganz verloſchen.","norm":"Die naive Antwort schien ihn zu freuen; er lobte meinen Vorsatz; aber es war bei mir nichts weniger als ernstlich gemeint; diesmal war es nur ein leeres Wort; denn die Empfindungen für den Unsichtbaren waren bei mir fast ganz verloschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1215,"orig":"Der große Schwarm, mit dem ich umgeben war, zerſtreute mich und riß mich wie ein ſtarker Strom mit fort.","norm":"Der große Schwarm, mit dem ich umgeben war, zerstreute mich und riss mich wie ein starker Strom mit fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1216,"orig":"Es waren die leerſten Jahre meines Lebens.","norm":"Es waren die leersten Jahre meines Lebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1217,"orig":"Tagelang von nichts zu reden, keinen geſunden Gedanken zu haben, und nur zu ſchwärmen, das war meine Sache.","norm":"Tagelang von nichts zu reden, keinen gesunden Gedanken zu haben, und nur zu schwärmen, das war meine Sache."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1218,"orig":"Nicht einmal der geliebten Bücher wurde gedacht.","norm":"Nicht einmal der geliebten Bücher wurde gedacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1219,"orig":"Die Leute, mit denen ich umgeben war, hatten keine Ahndung von Wiſſenſchaften; es waren deutſche Hofleute und dieſe Klaſſe hatte damals nicht die mindeſte Kultur.","norm":"Die Leute, mit denen ich umgeben war, hatten keine Ahnung von Wissenschaften; es waren deutsche Hofleute und diese Klasse hatte damals nicht die mindeste Kultur."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1220,"orig":"Ein ſolcher Umgang, ſollte man denken, hätte mich an den Rand des Verderbens führen müſſen.","norm":"Ein solcher Umgang, sollte man denken, hätte mich an den Rand des Verderbens führen müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1221,"orig":"Ich lebte in ſinnlicher Munterkeit nur ſo hin, ich ſammlete mich nicht, ich betete nicht, ich dachte nicht an mich noch an Gott; aber ich ſeh es als eine Führung an, daß mir keiner von den vielen ſchönen, reichen und wohlgekleideten Männern gefiel.","norm":"Ich lebte in sinnlicher Munterkeit nur so hin, ich sammelte mich nicht, ich betete nicht, ich dachte nicht an mich noch an Gott; aber ich sehe es als eine Führung an, dass mir keiner von den vielen schönen, reichen und wohlgekleideten Männern gefiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1222,"orig":"Sie waren liederlich und verſteckten es nicht, das ſchreckte mich zurück; ihr Geſpräch zierten ſie mit Zweydeutigkeiten, das beleidigte mich und ich hielt mich kalt gegen ſie; ihre Unart überſtieg manchmal allen Glauben, und ich erlaubte mir, grob zu ſeyn.","norm":"Sie waren liederlich und versteckten es nicht, das schreckte mich zurück; ihr Gespräch zierten sie mit Zweideutigkeiten, das beleidigte mich und ich hielt mich kalt gegen sie; ihre Unart überstieg manchmal allen Glauben, und ich erlaubte mir, grob zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1223,"orig":"Überdieß hatte mir mein Alter einmal vertraulich eröffnet, daß mit den meiſten dieſer leidigen Burſche nicht allein die Tugend ſondern auch die Geſundheit eines Mädchens in Gefahr ſey.","norm":"Überdies hatte mir mein Alter einmal vertraulich eröffnet, dass mit den meisten dieser leidigen Bursche nicht allein die Tugend sondern auch die Gesundheit eines Mädchens in Gefahr sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1224,"orig":"Nun graute mir erſt vor ihnen, und ich war ſchon beſorgt, wenn mir einer auf irgend eine Weiſe zu nahe kam.","norm":"Nun graute mir erst vor ihnen, und ich war schon besorgt, wenn mir einer auf irgendeine Weise zu nahe kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1225,"orig":"Ich hüthete mich vor Gläſern und Taſſen wie vor dem Stuhle, von dem einer aufgeſtanden war.","norm":"Ich hütete mich vor Gläsern und Tassen wie vor dem Stuhle, von dem einer aufgestanden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1226,"orig":"Auf dieſe Weiſe war ich moraliſch und phyſiſch ſehr iſolirt, und alle die Artigkeiten, die ſie mir ſagten, nahm ich ſtolz für ſchuldigen Weyrauch auf.","norm":"Auf diese Weise war ich moralisch und physisch sehr isoliert, und alle die Artigkeiten, die sie mir sagten, nahm ich stolz für schuldigen Weihrauch auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1227,"orig":"Unter den Fremden, die ſich damals bey uns aufhielten, zeichnete ſich ein junger Mann beſonders aus, den wir im Scherz Narciß nannten.","norm":"Unter den Fremden, die sich damals bei uns aufhielten, zeichnete sich ein junger Mann besonders aus, den wir im Scherz Narziss nannten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1228,"orig":"Er hatte ſich in der diplomatiſchen Laufbahn guten Ruf erworben, und hoffte bey den verſchiedenen Veränderungen, die an unſern neuen Hofe vorgingen, vortheilhaft placirt zu werden.","norm":"Er hatte sich in der diplomatischen Laufbahn guten Ruf erworben, und hoffte bei den verschiedenen Veränderungen, die an unseren neuen Hofe vorgingen, vorteilhaft platziert zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1229,"orig":"Er ward mit meinem Vater bald bekannt, und ſeine Kenntniſſe und ſein Betragen öffneten ihm den Weg in eine geſchloſſene Geſellſchaft der würdigſten Männer.","norm":"Er wurde mit meinem Vater bald bekannt, und seine Kenntnisse und sein Betragen öffneten ihm den Weg in eine geschlossene Gesellschaft der würdigsten Männer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1230,"orig":"Mein Vater ſprach viel zu ſeinem Lobe, und ſeine ſchöne Geſtalt hätte noch mehr Eindruck gemacht, wenn ſein ganzes Weſen nicht eine Art von Selbſtgefälligkeit gezeigt hätte.","norm":"Mein Vater sprach viel zu seinem Lobe, und seine schöne Gestalt hätte noch mehr Eindruck gemacht, wenn sein ganzes Wesen nicht eine Art von Selbstgefälligkeit gezeigt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1231,"orig":"Ich hatte ihn geſehen, dachte gut von ihm, aber wir hatten uns nie geſprochen.","norm":"Ich hatte ihn gesehen, dachte gut von ihm, aber wir hatten uns nie gesprochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1232,"orig":"Auf einem großen Balle, auf dem er ſich auch befand, tanzten wir eine Menuet zuſammen; auch das ging ohne nähere Bekanntſchaft ab.","norm":"Auf einem großen Balle, auf dem er sich auch befand, tanzten wir eine Menuett zusammen; auch das ging ohne nähere Bekanntschaft ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1233,"orig":"Als die heftigen Tänze angingen, die ich meinem Vater zu liebe, der für meine Geſundheit beſorgt war, zu vermeiden pflegte, begab ich mich in ein Nebenzimmer, und unterhielt mich mit ältern Freundinnen, die ſich zum Spiele geſetzt hatten.","norm":"Als die heftigen Tänze angingen, die ich meinem Vater zuliebe, der für meine Gesundheit besorgt war, zu vermeiden pflegte, begab ich mich in ein Nebenzimmer, und unterhielt mich mit älteren Freundinnen, die sich zum Spiele gesetzt hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1234,"orig":"Narciß, der eine Weile mit herumgeſprungen war, kam auch einmal in das Zimmer, in dem ich mich befand, und fing, nachdem er ſich von einem Naſenbluten, das ihn beym Tanzen überfiel, erhohlt hatte, mit mir über mancherley zu ſprechen an.","norm":"Narziss, der eine Weile mit herumgesprungen war, kam auch einmal in das Zimmer, in dem ich mich befand, und fing, nachdem er sich von einem Nasenbluten, das ihn beim Tanzen überfiel, erholt hatte, mit mir über mancherlei zu sprechen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1235,"orig":"Binnen einer halben Stunde war der Discours ſo intereſſant, ob ſich gleich keine Spur von Zärtlichkeit drein miſchte, daß wir nun beyde das Tanzen nicht mehr vertragen konnten.","norm":"Binnen einer halben Stunde war der Diskurs so interessant, ob sich gleich keine Spur von Zärtlichkeit drein mischte, dass wir nun beide das Tanzen nicht mehr vertragen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1236,"orig":"Wir wurden bald von den andern darüber geneckt, ohne daß wir uns dadurch irre machen ließen.","norm":"Wir wurden bald von den anderen darüber geneckt, ohne dass wir uns dadurch irremachen ließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1237,"orig":"Den andern Abend konnten wir unſer Geſpräch wieder anknüpfen und ſchonten unſre Geſundheit ſehr.","norm":"Den anderen Abend konnten wir unser Gespräch wieder anknüpfen und schonten unsere Gesundheit sehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1238,"orig":"Nun war die Bekanntſchaft gemacht.","norm":"Nun war die Bekanntschaft gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1239,"orig":"Narciß wartete mir und meinen Schweſtern auf, und nun fing ich erſt wiede ran gewahr zu werden, was ich alles wußte, worüber ich gedacht, was ich empfunden hatte, und worüber ich mich im Geſpräche auszudrücken verſtand.","norm":"Narziss wartete mir und meinen Schwestern auf, und nun fing ich erst wieder an gewahr zu werden, was ich alles wusste, worüber ich gedacht, was ich empfunden hatte, und worüber ich mich im Gespräche auszudrücken verstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1240,"orig":"Mein neuer Freund, der von jeher in der beſten Geſellſchaft geweſen war, hatte außer dem hiſtoriſchen und politiſchen Fache, das er ganz überſah, ſehr ausgebreitete literariſche Kenntniſſe, und ihm blieb nichts Neues, beſonders was in Frankreich herauskam, unbekannt.","norm":"Mein neuer Freund, der von jeher in der besten Gesellschaft gewesen war, hatte außer dem historischen und politischen Fache, das er ganz übersah, sehr ausgebreitete literarische Kenntnisse, und ihm blieb nichts Neues, besonders was in Frankreich herauskam, unbekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1241,"orig":"Er brachte und ſendete mir manch angenehmes und nützliches Buch, doch das mußte geheimer als ein verbotenes Liebesverſtändniß gehalten werden.","norm":"Er brachte und sendete mir manch angenehmes und nützliches Buch, doch das musste geheimer als ein verbotenes Liebesverständnis gehalten werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1242,"orig":"Man hatte die gelehrten Weiber lächerlich gemacht, und man wollte auch die unterrichteten nicht leiden, wahrſcheinlich, weil man für unhöflich hielt, ſo viel unwiſſende Männer beſchämen zu laſſen.","norm":"Man hatte die gelehrten Weiber lächerlich gemacht, und man wollte auch die unterrichteten nicht leiden, wahrscheinlich, weil man für unhöflich hielt, so viel unwissende Männer beschämen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1243,"orig":"Selbſt mein Vater, den dieſe neue Gelegenheit, meinen Geiſt auszubilden, ſehr erwünſcht war, verlangte ausdrücklich, daß dieſes literariſche Commerz ein Geheimniß bleiben ſollte.","norm":"Selbst mein Vater, dem diese neue Gelegenheit, meinen Geist auszubilden, sehr erwünscht war, verlangte ausdrücklich, dass dieses literarische Kommerz ein Geheimnis bleiben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1244,"orig":"So währte unſer Umgang beynahe Jahr und Tag, und ich konnte nicht ſagen, daß Narciß auf irgend eine Weiſe Liebe oder Zärtlichkeit gegen mich geäußert hätte.","norm":"So währte unser Umgang beinahe Jahr und Tag, und ich konnte nicht sagen, dass Narziss auf irgendeine Weise Liebe oder Zärtlichkeit gegen mich geäußert hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1245,"orig":"Er blieb artig und verbindlich, aber zeigte keinen Affekt, vielmehr ſchien der Reiz meiner jüngſten Schweſter, die damals außerordentlich ſchön war, ihn nicht gleichgültig zu laſſen.","norm":"Er blieb artig und verbindlich, aber zeigte keinen Affekt, vielmehr schien der Reiz meiner jüngsten Schwester, die damals außerordentlich schön war, ihn nicht gleichgültig zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1246,"orig":"Er gab ihr im Scherze allerley freundliche Namen aus fremden Sprachen, deren mehrere er ſehr gut ſprach, und deren eigenthümliche Redensarten er gern ins deutſche Geſpräch miſchte.","norm":"Er gab ihr im Scherze allerlei freundliche Namen aus fremden Sprachen, deren mehrere er sehr gut sprach, und deren eigentümliche Redensarten er gern ins deutsche Gespräch mischte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1247,"orig":"Sie erwiederte ſeine Artigkeiten nicht ſonderlich; ſie war von einem andern Fädchen gebunden, und da ſie überhaupt ſehr raſch und er empfindlich war, ſo wurden ſie nicht ſelten über Kleinigkeiten uneins.","norm":"Sie erwiderte seine Artigkeiten nicht sonderlich; sie war von einem anderen Fädchen gebunden, und da sie überhaupt sehr rasch und er empfindlich war, so wurden sie nicht selten über Kleinigkeiten uneins."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1248,"orig":"Mit der Mutter und den Tanten wußte er ſich gut zu halten, und ſo war er nach und nach ein Glied der Familie geworden.","norm":"Mit der Mutter und den Tanten wusste er sich gut zu halten, und so war er nach und nach ein Glied der Familie geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1249,"orig":"Wer weiß wie lange wir noch auf dieſe Weiſe fortgelebt hätten, hätte nicht ein ſonderbarer Zufall unſere Verhältniſſe auf einmal verändert.","norm":"Wer weiß wie lange wir noch auf diese Weise fortgelebt hätten, hätte nicht ein sonderbarer Zufall unsere Verhältnisse auf einmal verändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1250,"orig":"Ich ward mit meinen Schweſtern in ein gewiſſes Haus gebeten, wohin ich nicht gerne ging.","norm":"Ich wurde mit meinen Schwestern in ein gewisses Haus gebeten, wohin ich nicht gerne ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1251,"orig":"Die Geſellſchaft war zu gemiſcht, und es fanden ſich dort oft Menſchen, wo nicht vom rohſten doch vom plattſten Schlage mit ein; dießmal war Narciß auch mit geladen, und um ſeinetwillen war ich geneigt hin zu gehen; denn ich war doch gewiß jemanden zu finden, mit dem ich mich auf meine Weiſe unterhalten konnte.","norm":"Die Gesellschaft war zu gemischt, und es fanden sich dort oft Menschen, wo nicht vom rohsten doch vom plattsten Schlage mit ein; diesmal war Narziss auch mit geladen, und um seinetwillen war ich geneigt hinzugehen; denn ich war doch gewiss jemanden zu finden, mit dem ich mich auf meine Weise unterhalten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1252,"orig":"Schon bey Tafel hatten wir manches auszuſtehen, denn einige Männer hatten ſtark getrunken; nach Tiſche ſollten und mußten Pfänder geſpielt werden.","norm":"Schon bei Tafel hatten wir manches auszustehen, denn einige Männer hatten stark getrunken; nach Tische sollten und mussten Pfänder gespielt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1253,"orig":"Es ging dabey ſehr rauſchend und lebhaft zu.","norm":"Es ging dabei sehr rauschend und lebhaft zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1254,"orig":"Narciß hatte ein Pfand zu löſen; man gab ihm auf, der ganzen Geſellſchaft etwas ins Ohr zu ſagen, das jedermann angenehm wäre.","norm":"Narziss hatte ein Pfand zu lösen; man gab ihm auf, der ganzen Gesellschaft etwas ins Ohr zu sagen, das jedermann angenehm wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1255,"orig":"Er mochte ſich bey meiner Nachbarin, der Frau eines Hauptmanns, zu lange verweilen.","norm":"Er mochte sich bei meiner Nachbarin, der Frau eines Hauptmanns, zu lange verweilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1256,"orig":"Auf einmal gab ihm dieſer eine Ohrfeige, daß mir, die ich gleich daran ſaß, der Puder in die Augen flog.","norm":"Auf einmal gab ihm dieser eine Ohrfeige, dass mir, die ich gleich daran saß, der Puder in die Augen flog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1257,"orig":"Als ich die Augen ausgewiſcht und mich vom Schrecken einigermaßen erholt hatte, ſah ich beyde Männer mit bloßen Degen.","norm":"Als ich die Augen ausgewischt und mich vom Schrecken einigermaßen erholt hatte, sah ich beide Männer mit bloßen Degen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1258,"orig":"Narciß blutete, und der andere, außer ſich von Wein, Zorn und Eiferſucht, konnte kaum von der ganzen übrigen Geſellſchaft zurück gehalten werden.","norm":"Narziss blutete, und der andere, außer sich von Wein, Zorn und Eifersucht, konnte kaum von der ganzen übrigen Gesellschaft zurückgehalten werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1259,"orig":"Ich nahm Narciſſen beym Arm und führte ihn zur Thüre hinaus eine Treppe hinauf in ein ander Zimmer, und weil ich meinen Freund vor ſeinem tollen Gegner nicht ſicher glaubte, riegelte ich die Thüre ſogleich zu.","norm":"Ich nahm Narzissen beim Arm und führte ihn zur Türe hinaus eine Treppe hinauf in ein ander Zimmer, und weil ich meinen Freund vor seinem tollen Gegner nicht sicher glaubte, riegelte ich die Türe sogleich zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1260,"orig":"Wir hielten beyde die Wunde nicht für ernſthaft, denn wir ſahen nur einen leichten Hieb über die Hand; bald aber wurden wir einen Strom von Blut, der den Rücken hinunterfloß, gewahr, und es zeigte ſich eine große Wunde auf dem Kopfe.","norm":"Wir hielten beide die Wunde nicht für ernsthaft, denn wir sahen nur einen leichten Hieb über die Hand; bald aber wurden wir einen Strom von Blut, der den Rücken hinunterfloss, gewahr, und es zeigte sich eine große Wunde auf dem Kopfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1261,"orig":"Nun ward mir bange.","norm":"Nun wurde mir bange."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1262,"orig":"Ich eilte auf den Vorplatz um nach Hülfe zu ſchicken, konnte aber niemand anſichtig werden, denn alles war unten geblieben, den raſenden Menſchen zu bändigen.","norm":"Ich eilte auf den Vorplatz um nach Hilfe zu schicken, konnte aber niemand ansichtig werden, denn alles war unten geblieben, den rasenden Menschen zu bändigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1263,"orig":"Endlich kam eine Tochter des Hauſes herauf geſprungen und ihre Munterkeit ängſtigte mich nicht wenig, da ſie ſich über den tollen Spectakel und über die verfluchte Comödie faſt zu Tode lachen wollte.","norm":"Endlich kam eine Tochter des Hauses heraufgesprungen und ihre Munterkeit ängstigte mich nicht wenig, da sie sich über den tollen Spektakel und über die verfluchte Komödie fast zu Tode lachen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1264,"orig":"Ich bat ſie dringend mir einen Wundarzt zu ſchaffen, und ſie, nach ihrer wilden Art, ſprang gleich die Treppe hinunter, ſelbſt einen zu hohlen.","norm":"Ich bat sie dringend mir einen Wundarzt zu schaffen, und sie, nach ihrer wilden Art, sprang gleich die Treppe hinunter, selbst einen zu holen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1265,"orig":"Ich ging wieder zu meinem Verwundeten, band ihm mein Schnupftuch um die Hand und ein Handtuch das an der Thüre hing, um den Kopf.","norm":"Ich ging wieder zu meinem Verwundeten, band ihm mein Schnupftuch um die Hand und ein Handtuch das an der Türe hing, um den Kopf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1266,"orig":"Er blutete noch immer heftig, kein Wundarzt kam, der Verwundete erblaßte und ſchien in Ohnmacht zu ſinken.","norm":"Er blutete noch immer heftig, kein Wundarzt kam, der Verwundete erblasste und schien in Ohnmacht zu sinken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1267,"orig":"Niemand war in der Nähe, der mir hätte beyſtehen können; ich nahm ihn ſehr ungezwungen in den Arm und ſuchte ihn durch Streicheln und Schmeicheln aufzumuntern.","norm":"Niemand war in der Nähe, der mir hätte beistehen können; ich nahm ihn sehr ungezwungen in den Arm und suchte ihn durch Streicheln und Schmeicheln aufzumuntern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1268,"orig":"Es ſchien die Wirkung eines geiſtigen Lebensmittels zu thun; er blieb bey ſich, aber ſaß todtenbleich da.","norm":"Es schien die Wirkung eines geistigen Lebensmittels zu tun; er blieb bei sich, aber saß totenbleich da."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1269,"orig":"Nun kam endlich die thätige Hausfrau und wie erſchrak ſie nicht, als ſie den Freund in dieſer Geſtalt in meinen Armen liegen und uns alle beyde mit Blut überſtrömt ſahe, denn niemand hatte ſich vorgeſtellt, daß Narciß verwundet ſey, alle meynten, ich habe ihn glücklich hinaus gebracht.","norm":"Nun kam endlich die tätige Hausfrau und wie erschrak sie nicht, als sie den Freund in dieser Gestalt in meinen Armen liegen und uns alle beide mit Blut überströmt sah, denn niemand hatte sich vorgestellt, dass Narziss verwundet sei, alle meinten, ich habe ihn glücklich hinausgebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1270,"orig":"Nun war Wein, wohlriechendes Waſſer und was nur erquicken und erfriſcheu konnte, im Überfluß da, nun kam auch der Wundarzt und ich hätte wohl abtreten können; allein Narciß hielt mich feſt bey der Hand, und ich wäre ohne gehalten zu werden ſtehen geblieben.","norm":"Nun war Wein, wohlriechendes Wasser und was nur erquicken und erfrischen konnte, im Überfluss da, nun kam auch der Wundarzt und ich hätte wohl abtreten können; allein Narziss hielt mich fest bei der Hand, und ich wäre ohne gehalten zu werden stehengeblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1271,"orig":"Ich fuhr während des Verbandes fort, ihn mit Wein anzuſtreichen und achtete es wenig, daß die ganze Geſellſchaft nunmehr umher ſtand.","norm":"Ich fuhr während des Verbandes fort, ihn mit Wein anzustreichen und achtete es wenig, dass die ganze Gesellschaft nunmehr umherstand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1272,"orig":"Der Wundarzt hatte geendigt, der Verwundete nahm einen ſtummen verbindlichen Abſchied von mir und wurde nach Hauſe getragen.","norm":"Der Wundarzt hatte geendigt, der Verwundete nahm einen stummen verbindlichen Abschied von mir und wurde nach Hause getragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1273,"orig":"Nun führte mich die Hausfrau in ihr Schlafzimmer; ſie mußte mich ganz auskleiden und ich darf nicht verſchweigen, daß ich, da man ſein Blut von meinem Körper abwuſch, zum erſtenmal zufällig im Spiegel gewahr wurde, daß ich mich auch ohne Hülle für ſchön halten durfte.","norm":"Nun führte mich die Hausfrau in ihr Schlafzimmer; sie musste mich ganz auskleiden und ich darf nicht verschweigen, dass ich, da man sein Blut von meinem Körper abwusch, zum ersten Mal zufällig im Spiegel gewahr wurde, dass ich mich auch ohne Hülle für schön halten durfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1274,"orig":"Ich konnte keines meiner Kleidungsſtücke wieder anziehn, und da die Perſonen im Hauſe alle kleiner oder ſtärker waren als ich, ſo kam ich in einer ſeltſamen Verkleidung zum größten Erſtaunen meiner Eltern nach Hauſe.","norm":"Ich konnte keines meiner Kleidungsstücke wieder anziehen, und da die Personen im Hause alle kleiner oder stärker waren als ich, so kam ich in einer seltsamen Verkleidung zum größten Erstaunen meiner Eltern nach Hause."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1275,"orig":"Sie waren über mein Schrecken, über die Wunden des Freundes, über den Unſinn des Hauptmanns, über den ganzen Vorfall äußerſt verdrießlich.","norm":"Sie waren über mein Schrecken, über die Wunden des Freundes, über den Unsinn des Hauptmanns, über den ganzen Vorfall äußerst verdrießlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1276,"orig":"Wenig fehlte, ſo hätte mein Vater ſelbſt, ſeinen Freund auf der Stelle zu rächen, den Hauptmann heraus gefordert.","norm":"Wenig fehlte, so hätte mein Vater selbst, seinen Freund auf der Stelle zu rächen, den Hauptmann herausgefordert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1277,"orig":"Er ſchalt die anweſenden Herren, daß ſie ein ſolches meuchelmörderiſches Beginnen nicht auf der Stelle geahndet; denn es war nur zu offenbar, daß der Hauptmann ſogleich, nachdem er geſchlagen, den Degen gezogen und Narciſſen von hinten verwundet habe; der Hieb über die Hand war erſt geführt worden, als Narciß ſelbſt zum Degen griff.","norm":"Er schalt die anwesenden Herren, dass sie ein solches meuchelmörderisches Beginnen nicht auf der Stelle geahndet; denn es war nur zu offenbar, dass der Hauptmann sogleich, nachdem er geschlagen, den Degen gezogen und Narzissen von hinten verwundet habe; der Hieb über die Hand war erst geführt worden, als Narziss selbst zum Degen griff."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1278,"orig":"Ich war unbeſchreiblich alterirt und afficirt, oder wie ſoll ich es ausdrücken; der Affekt, der im tiefſten Grunde des Herzens ruhte, war auf einmal losgebrochen, wie eine Flamme die Luft bekömmt.","norm":"Ich war unbeschreiblich alteriert und affiziert, oder wie soll ich es ausdrücken; der Affekt, der im tiefsten Grunde des Herzens ruhte, war auf einmal losgebrochen, wie eine Flamme die Luft bekommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1279,"orig":"Und wenn Luſt und Freude ſehr geſchickt ſind, die Liebe zuerſt zu erzeugen und im Stillen zu nähren; ſo wird ſie, die von Natur herzhaft iſt, durch den Schrecken am leichteſten angetrieben, ſich zu entſcheiden und zu erklären.","norm":"Und wenn Lust und Freude sehr geschickt sind, die Liebe zuerst zu erzeugen und im Stillen zu nähren; so wird sie, die von Natur herzhaft ist, durch den Schrecken am leichtesten angetrieben, sich zu entscheiden und zu erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1280,"orig":"Man gab dem Töchterchen Arzney ein und legte es zu Bette.","norm":"Man gab dem Töchterchen Arznei ein und legte es zu Bette."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1281,"orig":"Mit dem frühſten Morgen eilte mein Vater zu dem verwundeten Freund, der an einem ſtarken Wundfieber recht krank darnieder lag.","norm":"Mit dem frühsten Morgen eilte mein Vater zu dem verwundeten Freund, der an einem starken Wundfieber recht krank darniederlag."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1282,"orig":"Mein Vater ſagte mir wenig von dem, was er mit ihm geredet hatte, und ſuchte mich wegen der Folgen, die dieſer Vorfall haben könnte, zu beruhigen.","norm":"Mein Vater sagte mir wenig von dem, was er mit ihm geredet hatte, und suchte mich wegen der Folgen, die dieser Vorfall haben könnte, zu beruhigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1283,"orig":"Es war die Rede, ob man ſich mit einer Abbitte begnügen könne, ob die Sache gerichtlich werden müſſe und was dergleichen mehr war.","norm":"Es war die Rede, ob man sich mit einer Abbitte begnügen könne, ob die Sache gerichtlich werden müsse und was dergleichen mehr war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1284,"orig":"Ich kannte meinen Vater zu wohl, als daß ich ihm geglaubt hätte, daß er dieſe Sache ohne Zweykampf geendigt zu ſehen wünſchte; allein ich blieb ſtill, denn ich hatte von meinem Vater früh gelernt, daß Weiber in ſolche Händel ſich nicht zu miſchen hätten.","norm":"Ich kannte meinen Vater zu wohl, als dass ich ihm geglaubt hätte, dass er diese Sache ohne Zweikampf geendigt zu sehen wünschte; allein ich blieb still, denn ich hatte von meinem Vater früh gelernt, dass Weiber in solche Händel sich nicht zu mischen hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1285,"orig":"Übrigens ſchien es nicht, als wenn zwiſchen den beyden Freunden etwas vorgefallen wäre, das mich betroffen hätte; doch bald vertraute mein Vater den Inhalt ſeiner weitern Unterredung meiner Mutter.","norm":"Übrigens schien es nicht, als wenn zwischen den beiden Freunden etwas vorgefallen wäre, das mich betroffen hätte; doch bald vertraute mein Vater den Inhalt seiner weitern Unterredung meiner Mutter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1286,"orig":"Narciß, ſagte er, ſey äußerſt gerührt von meinem geleiſteten Beyſtand, habe ihn umarmt, ſich für meinen ewigen Schuldner erklärt, bezeigt, er verlange kein Glück, wenn er es nicht mit mir theilen ſollte, er habe ſich die Erlaubniß ausgebeten, ihn als Vater anſehn zu dürfen.","norm":"Narziss, sagte er, sei äußerst gerührt von meinem geleisteten Beistand, habe ihn umarmt, sich für meinen ewigen Schuldner erklärt, bezeigt, er verlange kein Glück, wenn er es nicht mit mir teilen sollte, er habe sich die Erlaubnis ausgebeten, ihn als Vater ansehen zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1287,"orig":"Mama ſagte mir das alles treulich wieder, hängte aber die wohlmeynende Erinnerung daran, auf ſo etwas, das in der erſten Bewegung geſagt worden, dürfe man ſo ſehr nicht achten.","norm":"Mama sagte mir das alles treulich wieder, hängte aber die wohlmeinende Erinnerung daran, auf so etwas, das in der ersten Bewegung gesagt worden, dürfe man so sehr nicht achten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1288,"orig":"Ja freylich, antwortete ich mit angenommener Kälte, und fühlte der Himmel weiß was und wieviel dabey.","norm":"Ja freilich, antwortete ich mit angenommener Kälte, und fühlte der Himmel weiß was und wie viel dabei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1289,"orig":"Narciß blieb zwey Monate krank, konnte wegen der Wunde an der rechten Hand nicht einmal ſchreiben, bezeigte mir aber inzwiſchen ſein Andenken durch die verbindlichſte Aufmerkſamkeit.","norm":"Narziss blieb zwei Monate krank, konnte wegen der Wunde an der rechten Hand nicht einmal schreiben, bezeigte mir aber inzwischen sein Andenken durch die verbindlichste Aufmerksamkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1290,"orig":"Alle dieſe mehr als gewöhnliche Höflichkeiten hielt ich mit dem, was ich von der Mutter erfahren hatte, zuſammen, und beſtändig war mein Kopf volIer Grillen.","norm":"Alle diese mehr als gewöhnliche Höflichkeiten hielt ich mit dem, was ich von der Mutter erfahren hatte, zusammen, und beständig war mein Kopf voller Grillen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1291,"orig":"Die ganze Stadt unterhielt ſich von der Begebenheit.","norm":"Die ganze Stadt unterhielt sich von der Begebenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1292,"orig":"Man ſprach mit mir davon in einem beſondern Tone, man zog Folgerungen daraus, die, ſo ſehr ich ſie abzulehnen ſuchte, mir immer ſehr nahe gingen.","norm":"Man sprach mit mir davon in einem besonderen Tone, man zog Folgerungen daraus, die, so sehr ich sie abzulehnen suchte, mir immer sehr nahe gingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1293,"orig":"Was vorher Tändeley und Gewohnheit geweſen war, ward nun Ernſt und Neigung.","norm":"Was vorher Tändelei und Gewohnheit gewesen war, wurde nun Ernst und Neigung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1294,"orig":"Die Unruhe in der ich lebte, war um ſo heftiger, je ſorgfältiger ich ſie vor allen Menſchen zu verbergen ſuchte.","norm":"Die Unruhe in der ich lebte, war um so heftiger, je sorgfältiger ich sie vor allen Menschen zu verbergen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1295,"orig":"Der Gedanke ihn zu verlieren, erſchreckte mich und die Möglichkeit einer nähern Verbindung machte mich zittern.","norm":"Der Gedanke ihn zu verlieren, erschreckte mich und die Möglichkeit einer nähern Verbindung machte mich zittern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1296,"orig":"Der Gedanke des Eheſtandes hat für ein halbkluges Mädchen gewiß etwas Schreckhaftes.","norm":"Der Gedanke des Ehestandes hat für ein halbkluges Mädchen gewiss etwas Schreckhaftes."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1297,"orig":"Durch dieſe heftigen Erſchütterungen ward ich wieder an mich ſelbſt erinnert.","norm":"Durch diese heftigen Erschütterungen wurde ich wieder an mich selbst erinnert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1298,"orig":"Die bunten Bilder eines zerſtreuten Lebens, die mir ſonſt Tag und Nacht vor den Augen ſchwebten, waren auf einmal weggeblaſen.","norm":"Die bunten Bilder eines zerstreuten Lebens, die mir sonst Tag und Nacht vor den Augen schwebten, waren auf einmal weggeblasen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1299,"orig":"Meine Seele fing wieder an ſich zu regen; allein die ſehr unterbrochene Bekanntſchaft mit dem unſichtbaren Freunde war ſo leicht nicht wieder hergeſtellt.","norm":"Meine Seele fing wieder an sich zu regen; allein die sehr unterbrochene Bekanntschaft mit dem unsichtbaren Freunde war so leicht nicht wieder hergestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1300,"orig":"Wir blieben noch immer in ziemlicher Entfernung; es war wieder etwas, aber gegen ſonſt ein großer Unterſchied.","norm":"Wir blieben noch immer in ziemlicher Entfernung; es war wieder etwas, aber gegen sonst ein großer Unterschied."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1301,"orig":"Ein Zweykampf, worin der Hauptmann ſtark verwundet wurde, war vorüber, ohne daß ich etwas davon erfahren hatte, und die öffentliche Meynung war in jedem Sinne auf der Seite meines Geliebten, der endlich wieder auf dem Schauplatze erſchien.","norm":"Ein Zweikampf, worin der Hauptmann stark verwundet wurde, war vorüber, ohne dass ich etwas davon erfahren hatte, und die öffentliche Meinung war in jedem Sinne auf der Seite meines Geliebten, der endlich wieder auf dem Schauplatze erschien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1302,"orig":"Vor allen Dingen ließ er ſich mit verbundnem Haupt und eingewickelter Hand in unſer Haus tragen.","norm":"Vor allen Dingen ließ er sich mit verbundenem Haupt und eingewickelter Hand in unser Haus tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1303,"orig":"Wie klopfte mir das Herz bey dieſem Beſuche!","norm":"Wie klopfte mir das Herz bei diesem Besuche!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1304,"orig":"Die ganze Familie war gegenwärtig; es blieb auf beyden Seiten nur bey allgemeinen Dankſagungen und Höflichkeiten, doch fand er Gelegenheit mir einige geheime Zeichen ſeiner Zärtlichkeit zu geben, wodurch meine Unruhe nur zu ſehr vermehrt ward.","norm":"Die ganze Familie war gegenwärtig; es blieb auf beiden Seiten nur bei allgemeinen Danksagungen und Höflichkeiten, doch fand er Gelegenheit mir einige geheime Zeichen seiner Zärtlichkeit zu geben, wodurch meine Unruhe nur zu sehr vermehrt wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1305,"orig":"Nachdem er ſich völlig wieder erhohlt, beſuchte er uns den ganzen Winter auf eben dem Fuß wie ehemals, und bey allen leiſen Zeichen von Empfindung und Liebe, die er mir gab, blieb alles unerörtert.","norm":"Nachdem er sich völlig wieder erholt, besuchte er uns den ganzen Winter auf eben dem Fuß wie ehemals, und bei allen leisen Zeichen von Empfindung und Liebe, die er mir gab, blieb alles unerörtert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1306,"orig":"Auf dieſe Weiſe ward ich in ſteter Übung gehalten.","norm":"Auf diese Weise wurde ich in steter Übung gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1307,"orig":"Ich konnte mich keinem Menſchen vertrauen und von Gott war ich zu weit entfernt.","norm":"Ich konnte mich keinem Menschen vertrauen und von Gott war ich zu weit entfernt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1308,"orig":"Ich hatte dieſen während vier wilder Jahre ganz vergeſſen, nun dachte ich dann und wann wieder an ihn, aber die Bekanntſchaft war erkaltet; es waren nur Cerimonienviſiten, die ich ihm machte, und da ich überdies, wenn ich vor ihm erſchien, immer ſchöne Kleider anlegte, meine Tugend, Ehrbarkeit und Vorzüge, die ich vor andern zu haben glaubte, ihm mit Zufriedenheit vorwies; ſo ſchien er mich in dem Schmucke gar nicht zu bemerken.","norm":"Ich hatte diesen während vier wilder Jahre ganz vergessen, nun dachte ich dann und wann wieder an ihn, aber die Bekanntschaft war erkaltet; es waren nur Zeremonienvisiten, die ich ihm machte, und da ich überdies, wenn ich vor ihm erschien, immer schöne Kleider anlegte, meine Tugend, Ehrbarkeit und Vorzüge, die ich vor anderen zu haben glaubte, ihm mit Zufriedenheit vorwies; so schien er mich in dem Schmucke gar nicht zu bemerken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1309,"orig":"Ein Höfling würde, wenn ſein Fürſt, von dem er ſein Glück erwartet, ſich ſo gegen ihn betrüge, ſehr beunruhigt werden; mir aber war nicht übel dabey zu Muthe, ich hatte was ich brauchte, Geſundheit und Bequemlichkeit, wollte ſich Gott mein Andenken gefallen laſſen, ſo war es gut, wo nicht, ſo glaubte ich doch meine Schuldigkeit gethan zu haben.","norm":"Ein Höfling würde, wenn sein Fürst, von dem er sein Glück erwartet, sich so gegen ihn betrüge, sehr beunruhigt werden; mir aber war nicht übel dabei zumute, ich hatte was ich brauchte, Gesundheit und Bequemlichkeit, wollte sich Gott mein Andenken gefallen lassen, so war es gut, wo nicht, so glaubte ich doch meine Schuldigkeit getan zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1310,"orig":"So dachte ich freylich damals nicht von mir; aber es war doch die wahrhafte Geſtalt meiner Seele.","norm":"So dachte ich freilich damals nicht von mir; aber es war doch die wahrhafte Gestalt meiner Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1311,"orig":"Meine Geſinnungen zu ändern und zu reinigen waren aber auch ſchon Anſtalten gemacht.","norm":"Meine Gesinnungen zu ändern und zu reinigen waren aber auch schon Anstalten gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1312,"orig":"Der Frühling kam heran, und Narciß beſuchte mich unangemeldet zu einer Zeit, da ich ganz allein zu Hauſe war.","norm":"Der Frühling kam heran, und Narziss besuchte mich unangemeldet zu einer Zeit, da ich ganz allein zu Hause war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1313,"orig":"Nun erſchien er als Liebhaber und fragte mich, ob ich ihm mein Herz, und wenn er eine ehrenvolle, wohlbeſoldete Stelle erhielte, auch dereinſt meine Hand ſchenken wollte?","norm":"Nun erschien er als Liebhaber und fragte mich, ob ich ihm mein Herz, und wenn er eine ehrenvolle, wohlbesoldete Stelle erhielte, auch dereinst meine Hand schenken wollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1314,"orig":"Man hatte ihn zwar in unſre Dienſte genommen; allein zum Anfange hielt man ihn, weil man ſich vor ſeinem Ehrgeiz fürchtete, mehr zurück, als daß man ihn ſchnell empor gehoben hätte und ließ ihn, weil er eignes Vermögen hatte, bey einer kleinen Beſoldung.","norm":"Man hatte ihn zwar in unsere Dienste genommen; allein zum Anfange hielt man ihn, weil man sich vor seinem Ehrgeiz fürchtete, mehr zurück, als dass man ihn schnell emporgehoben hätte und ließ ihn, weil er eigenes Vermögen hatte, bei einer kleinen Besoldung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1315,"orig":"Bey aller meiner Neigung zu ihm wußte ich, daß er der Mann nicht war, mit dem man ganz gerade handeln konnte.","norm":"Bei aller meiner Neigung zu ihm wusste ich, dass er der Mann nicht war, mit dem man ganz gerade handeln konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1316,"orig":"Ich nahm mich daher zuſammen und verwies ihn an meinen Vater, an deſſen Einwilligung er nicht zu zweifeln ſchien, und mit mir erſt auf der Stelle einig ſeyn wollte.","norm":"Ich nahm mich daher zusammen und verwies ihn an meinen Vater, an dessen Einwilligung er nicht zu zweifeln schien, und mit mir erst auf der Stelle einig sein wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1317,"orig":"Endlich ſagte ich Ja, indem ich die Beyſtimmung meiner Eltern zur nothwendigen Bedingung machte.","norm":"Endlich sagte ich Ja, indem ich die Beistimmung meiner Eltern zur notwendigen Bedingung machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1318,"orig":"Er ſprach alsdann mit beyden förmlich; ſie zeigten ihre Zufriedenheit, man gab ſich das Wort auf den bald zu hoffenden Fall, daß man ihn weiter avanciren werde.","norm":"Er sprach alsdann mit beiden förmlich; sie zeigten ihre Zufriedenheit, man gab sich das Wort auf den bald zu hoffenden Fall, dass man ihn weiter avancieren werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1319,"orig":"Schweſtern und Tanten wurden davon benachrichtigt, und ihnen das Geheimnis auf das ſtrengſte anbefohlen.","norm":"Schwestern und Tanten wurden davon benachrichtigt, und ihnen das Geheimnis auf das strengste anbefohlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1320,"orig":"Nun war aus einem Liebhaber ein Bräutigam geworden.","norm":"Nun war aus einem Liebhaber ein Bräutigam geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1321,"orig":"Die Verſchiedenheit zwiſchen beyden zeigte ſich ſehr groß.","norm":"Die Verschiedenheit zwischen beiden zeigte sich sehr groß."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1322,"orig":"Könnte jemand die Liebhaber aller wohldenkenden Mädchen in Bräutigame verwandeln, ſo wäre es eine große Wohlthat für unſer Geſchlecht, ſelbſt wenn auf dieſes Verhältniß keine Ehe erfolgen ſollte.","norm":"Könnte jemand die Liebhaber aller wohldenkenden Mädchen in Bräutigame verwandeln, so wäre es eine große Wohltat für unser Geschlecht, selbst wenn auf dieses Verhältnis keine Ehe erfolgen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1323,"orig":"Die Liebe zwiſchen beyden Perſonen nimmt dadurch nicht ab, aber ſie wird vernünftiger.","norm":"Die Liebe zwischen beiden Personen nimmt dadurch nicht ab, aber sie wird vernünftiger."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1324,"orig":"Unzählige kleine Thorheiten, alle Koketterien und Launen fallen gleich hinweg.","norm":"Unzählige kleine Torheiten, alle Koketterien und Launen fallen gleich hinweg."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1325,"orig":"Äußert uns der Bräutigam, daß wir ihm in einer Morgenhaube beſſer als in dem ſchönſten Aufſatze gefallen, dann wird einem wohldenkenden Mädchen gewiß die Friſur gleichgültig, und es iſt nichts natürlicher, als daß er auch ſolid denkt und lieber ſich eine Hausfrau als der Welt eine Putzdocke zu bilden wünſcht.","norm":"Äußert uns der Bräutigam, dass wir ihm in einer Morgenhaube besser als in dem schönsten Aufsatze gefallen, dann wird einem wohldenkenden Mädchen gewiss die Frisur gleichgültig, und es ist nichts natürlicher, als dass er auch solid denkt und lieber sich eine Hausfrau als der Welt eine Putzdocke zu bilden wünscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1326,"orig":"Und ſo geht es durch alle Fächer durch.","norm":"Und so geht es durch alle Fächer durch."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1327,"orig":"Hat ein ſolches Mädchen dabey das Glück, daß ihr Bräutigam Verſtand und Kenntniſſe beſitzt, ſo lernt ſie mehr als hohe Schulen und fremde Länder geben können.","norm":"Hat ein solches Mädchen dabei das Glück, dass ihr Bräutigam Verstand und Kenntnisse besitzt, so lernt sie mehr als hohe Schulen und fremde Länder geben können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1328,"orig":"Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an, die er ihr giebt, ſondern ſie ſucht ſich auch auf dieſem Wege ſo immer weiter zu bringen.","norm":"Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an, die er ihr gibt, sondern sie sucht sich auch auf diesem Wege so immer weiter zu bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1329,"orig":"Die Liebe macht vieles Unmögliche möglich, und endlich geht die dem weiblichen Geſchlecht ſo nöthige und anſtändige Unterwerfung ſogleich an; der Bräutigam herrſcht nicht wie der Ehemann; er bittet nur, und ſeine Geliebte ſucht ihm abzumerken, was er wünſcht, um es noch eher zu vollbringen als er bittet.","norm":"Die Liebe macht vieles Unmögliche möglich, und endlich geht die dem weiblichen Geschlecht so nötige und anständige Unterwerfung sogleich an; der Bräutigam herrscht nicht wie der Ehemann; er bittet nur, und seine Geliebte sucht ihm abzumerken, was er wünscht, um es noch eher zu vollbringen als er bittet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1330,"orig":"So hat mich die Erfahrung gelehrt, was ich nicht um vieles miſſen möchte.","norm":"So hat mich die Erfahrung gelehrt, was ich nicht um vieles missen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1331,"orig":"Ich war glücklich, wahrhaft glücklich, wie man es in der Welt ſeyn kann, daß heißt, auf kurze Zeit.","norm":"Ich war glücklich, wahrhaft glücklich, wie man es in der Welt sein kann, dass heißt, auf kurze Zeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1332,"orig":"Ein Sommer ging unter dieſen ſtillen Freuden hin.","norm":"Ein Sommer ging unter diesen stillen Freuden hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1333,"orig":"Narciß gab mir nicht die mindeſte Gelegenheit zu Beſchwerden; er ward mir immer lieber, meine ganze Seele hing an ihm, das wußte er wohl und wußte es zu ſchätzen.","norm":"Narziss gab mir nicht die mindeste Gelegenheit zu Beschwerden; er wurde mir immer lieber, meine ganze Seele hing an ihm, das wusste er wohl und wusste es zu schätzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1334,"orig":"Inzwiſchen entſpann ſich aus anſcheinenden Kleinigkeiten etwas, das unſerm Verhältniſſe nach und nach ſchädlich wurde","norm":"Inzwischen entspann sich aus anscheinenden Kleinigkeiten etwas, das unserem Verhältnisse nach und nach schädlich wurde"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1335,"orig":"Narciß ging als Bräutigam mit mir um, und nie wagte er es, das von mir zu begehren, was uns noch verboten war.","norm":"Narziss ging als Bräutigam mit mir um, und nie wagte er es, das von mir zu begehren, was uns noch verboten war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1336,"orig":"Allein über die Grenzen der Tugend und Sittſamkeit waren wir ſehr verſchiedener Meynung.","norm":"Allein über die Grenzen der Tugend und Sittsamkeit waren wir sehr verschiedener Meinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1337,"orig":"Ich wollte ſicher gehen und erlaubte durchaus keine Freyheit, als welche allenfalls die ganze Welt hätte wiſſen dürfen.","norm":"Ich wollte sicher gehen und erlaubte durchaus keine Freiheit, als welche allenfalls die ganze Welt hätte wissen dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1338,"orig":"Er, an Näſchereyen gewöhnt, fand dieſe Diät ſehr ſtreng; hier ſetzte es nun beſtändigen Widerſpruch; er lobte mein Verhalten und ſuchte meinen Entſchluß zu untergraben.","norm":"Er, an Naschereien gewöhnt, fand diese Diät sehr streng; hier setzte es nun beständigen Widerspruch; er lobte mein Verhalten und suchte meinen Entschluss zu untergraben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1339,"orig":"Mir fiel das ernſthaft meines alten Sprachmeiſters wieder ein, und zugleich das Hülfsmittel, das ich damals dagegen angegeben hatte.","norm":"Mir fiel das ernsthaft meines alten Sprachmeisters wieder ein, und zugleich das Hilfsmittel, das ich damals dagegen angegeben hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1340,"orig":"Mit Gott war ich wieder ein wenig bekannter geworden.","norm":"Mit Gott war ich wieder ein wenig bekannter geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1341,"orig":"Er hatte mir ſo einen lieben Bräutigam gegeben und dafür wußte ich ihm Dank.","norm":"Er hatte mir so einen lieben Bräutigam gegeben und dafür wusste ich ihm Dank."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1342,"orig":"Die irdiſche Liebe ſelbſt concentrirte meinen Geiſt und ſetzte ihn in Bewegung, und meine Beſchäftigung mit Gott widerſprach ihr nicht.","norm":"Die irdische Liebe selbst konzentrierte meinen Geist und setzte ihn in Bewegung, und meine Beschäftigung mit Gott widersprach ihr nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1343,"orig":"Ganz natürlich klagte ich ihm, was mich bange machte, und bemerkte nicht, daß ich ſelbſt das, was mich bange machte, wünſchte und begehrte.","norm":"Ganz natürlich klagte ich ihm, was mich bange machte, und bemerkte nicht, dass ich selbst das, was mich bange machte, wünschte und begehrte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1344,"orig":"Ich kam mir ſehr ſtark vor und betete nicht etwa: bewahre mich vor Verſuchung, über die Verſuchung war ich meinen Gedanken nach weit hinaus.","norm":"Ich kam mir sehr stark vor und betete nicht etwa: Bewahre mich vor Versuchung, über die Versuchung war ich meinen Gedanken nach weit hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1345,"orig":"In dieſem loſen Flitterſchmuck eigner Tugend erſchien ich dreiſt vor Gott; er ſtieß mich nicht weg, auf die geringſte Bewegung zu ihm hinterließ er einen ſanften Eindruck in meiner Seele, und dieſer Eindruck bewegte mich ihn immer wieder aufzuſuchen.","norm":"In diesem losen Flitterschmuck eigener Tugend erschien ich dreist vor Gott; er stieß mich nicht weg, auf die geringste Bewegung zu ihm hinterließ er einen sanften Eindruck in meiner Seele, und dieser Eindruck bewegte mich ihn immer wieder aufzusuchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1346,"orig":"Die ganze Welt war mir auſſer Narciſſen todt, nichts hatte außer ihm einen Reiz für mich.","norm":"Die ganze Welt war mir außer Narzissen tot, nichts hatte außer ihm einen Reiz für mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1347,"orig":"Selbſt meine Liebe zum Putz hatte nur den Zweck, ihm zu gefallen; wußte ich, daß er mich nicht ſah, ſo konnte ich keine Sorgfalt darauf wenden.","norm":"Selbst meine Liebe zum Putz hatte nur den Zweck, ihm zu gefallen; wusste ich, dass er mich nicht sah, so konnte ich keine Sorgfalt darauf wenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1348,"orig":"Ich tanzte gern, wenn er aber nicht dabey war, ſo ſchien mir, als wenn ich die Bewegung nicht vertragen könnte.","norm":"Ich tanzte gern, wenn er aber nicht dabei war, so schien mir, als wenn ich die Bewegung nicht vertragen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1349,"orig":"Auf ein brillantes Feſt, bey dem er nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas neues anſchaffen, noch das alte der Mode gemäß aufſtutzen.","norm":"Auf ein brillantes Fest, bei dem er nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas Neues anschaffen, noch das Alte der Mode gemäß aufstutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1350,"orig":"Einer war mir ſo lieb als der andere, doch möchte ich lieber ſagen, einer ſo läſtig als der andere.","norm":"Einer war mir so lieb als der andere, doch möchte ich lieber sagen, einer so lästig als der andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1351,"orig":"Ich glaubte meinen Abend recht gut zugebracht zu haben, wenn ich mir mit ältern Perſonen ein Spiel ausmachen konnte, wozu ich ſonſt nicht die mindeſte Luſt hatte, und wenn ein alter guter Freund mich etwa ſcherzhaft darüber aufzog, lächelte ich vielleicht das erſtemal den ganzen Abend.","norm":"Ich glaubte meinen Abend recht gut zugebracht zu haben, wenn ich mir mit älteren Personen ein Spiel ausmachen konnte, wozu ich sonst nicht die mindeste Lust hatte, und wenn ein alter guter Freund mich etwa scherzhaft darüber aufzog, lächelte ich vielleicht das erste Mal den ganzen Abend."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1352,"orig":"So ging es mit Promenaden und allen geſellſchaftlichen Vergnügungen, die ſich nur denken laſſen:","norm":"So ging es mit Promenaden und allen gesellschaftlichen Vergnügungen, die sich nur denken lassen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1353,"orig":"Ich hatt’ ihn einzig mir erkohren;","norm":"Ich hatte ihn einzig mir erkoren;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1354,"orig":"Ich ſchien mir nur für ihn gebohren, Begehrte nichts als ſeine Gunſt.","norm":"Ich schien mir nur für ihn geboren, begehrte nichts als seine Gunst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1355,"orig":"So war ich oft in der Geſellſchaft einſam, und die völlige Einſamkeit war mir meiſtens lieber.","norm":"So war ich oft in der Gesellschaft einsam, und die völlige Einsamkeit war mir meistens lieber."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1356,"orig":"Allein mein geſchäftiger Geiſt konnte weder ſchlafen noch träumen; ich fühlte und dachte und erlangte nach und nach eine Fertigkeit, von meinen Empfindungen und Gedanken mit Gott zu reden.","norm":"Allein mein geschäftiger Geist konnte weder schlafen noch träumen; ich fühlte und dachte und erlangte nach und nach eine Fertigkeit, von meinen Empfindungen und Gedanken mit Gott zu reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1357,"orig":"Da entwickelten ſich Empfindungen anderer Art in meiner Seele, die jenen nicht widerſprachen.","norm":"Da entwickelten sich Empfindungen anderer Art in meiner Seele, die jenen nicht widersprachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1358,"orig":"Denn meine Liebe zu Narciß war dem ganzen Schöpfungsplane gemäß und ſtieß nirgend gegen meine Pflichten an.","norm":"Denn meine Liebe zu Narziss war dem ganzen Schöpfungsplane gemäß und stieß nirgend gegen meine Pflichten an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1359,"orig":"Sie widerſprachen ſich nicht und waren doch unendlich verſchieden.","norm":"Sie widersprachen sich nicht und waren doch unendlich verschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1360,"orig":"Narciß war das einzige Bild, das mir vorſchwebte, auf das ſich meine ganze Liebe bezog; aber das andere Gefühl bezog ſich auf kein Bild und war unausſprechlich angenehm.","norm":"Narziss war das einzige Bild, das mir vorschwebte, auf das sich meine ganze Liebe bezog; aber das andere Gefühl bezog sich auf kein Bild und war unaussprechlich angenehm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1361,"orig":"Ich habe es nicht mehr und kann es mir nicht mehr geben.","norm":"Ich habe es nicht mehr und kann es mir nicht mehr geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1362,"orig":"Mein Geliebter, der ſonſt alle meine Geheimniſſe wußte, erfuhr nichts hiervon.","norm":"Mein Geliebter, der sonst alle meine Geheimnisse wusste, erfuhr nichts hiervon."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1363,"orig":"Ich merkte bald daß er anders dachte; er gab mir öfters Schriften, die alles, was man Zuſammenhang mit dem Unſichtbaren heißen kann, mit leichten und ſchweren Waffen beſtritten.","norm":"Ich merkte bald dass er anders dachte; er gab mir öfters Schriften, die alles, was man Zusammenhang mit dem Unsichtbaren heißen kann, mit leichten und schweren Waffen bestritten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1364,"orig":"Ich las die Bücher, weil ſie von ihm kamen, und wußte am Ende kein Wort von allem dem, was darin geſtanden hatte.","norm":"Ich las die Bücher, weil sie von ihm kamen, und wusste am Ende kein Wort von allem dem, was darin gestanden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1365,"orig":"Über Wiſſenſchaften und Kenntniſſe ging es auch nicht ohne Widerſpruch ab; er machte es wie alle Männer, ſpottete über gelehrte Frauen und bildete unaufhörlich an mir.","norm":"Über Wissenschaften und Kenntnisse ging es auch nicht ohne Widerspruch ab; er machte es wie alle Männer, spottete über gelehrte Frauen und bildete unaufhörlich an mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1366,"orig":"Über alle Gegenſtände, die Rechtsgelehrſamkeit ausgenommen, pflegte er mit mir zu ſprechen, und indem er mir Schriften allerley Art beſtändig zubrachte, wiederholte er oft die bedenkliche Lehre: daß ein Frauenzimmer ſein Wiſſen heimlicher halten müßte, als der Calviniſt ſeinen Glauben im katholiſchen Lande, und indem ich wirklich auf eine ganz natürliche Weiſe vor der Welt mich nicht klüger und unterrichteter als ſonſt zu zeigen pflegte, war er der erſte, der gelegentlich der Eitelkeit nicht widerſtehen konnte, von meinen Vorzügen zu ſprechen.","norm":"Über alle Gegenstände, die Rechtsgelehrsamkeit ausgenommen, pflegte er mit mir zu sprechen, und indem er mir Schriften allerlei Art beständig zubrachte, wiederholte er oft die bedenkliche Lehre: dass ein Frauenzimmer sein Wissen heimlicher halten müsste, als der Calvinist seinen Glauben im katholischen Lande, und indem ich wirklich auf eine ganz natürliche Weise vor der Welt mich nicht klüger und unterrichteter als sonst zu zeigen pflegte, war er der Erste, der gelegentlich der Eitelkeit nicht widerstehen konnte, von meinen Vorzügen zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1367,"orig":"Ein berühmter und damals wegen ſeines Einfluſſes, ſeiner Talente und ſeines Geiſtes ſehr geſchätzter Weltmann, fand an unſerm Hofe großen Beyfall.","norm":"Ein berühmter und damals wegen seines Einflusses, seiner Talente und seines Geistes sehr geschätzter Weltmann, fand an unserem Hofe großen Beifall."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1368,"orig":"Er zeichnete Narciſſen beſonders aus und hatte ihn beſtändig um ſich.","norm":"Er zeichnete Narzissen besonders aus und hatte ihn beständig um sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1369,"orig":"Sie ſtritten auch über die Tugend der Frauen.","norm":"Sie stritten auch über die Tugend der Frauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1370,"orig":"Narciß vertraute mir weitläuftig ihre Unterredung; ich blieb mit meinen Anmerkungen nicht dahinten, und mein Freund verlangte von mir einen ſchriftlichen Aufſatz.","norm":"Narziss vertraute mir weitläufig ihre Unterredung; ich blieb mit meinen Anmerkungen nicht dahinten, und mein Freund verlangte von mir einen schriftlichen Aufsatz."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1371,"orig":"Ich ſchrieb ziemlich geläufig franzöſiſch; ich hatte bey meinem Alten einen guten Grund gelegt.","norm":"Ich schrieb ziemlich geläufig Französisch; ich hatte bei meinem Alten einen guten Grund gelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1372,"orig":"Die Correſpondenz mit meinem Freunde war in dieſer Sprache geführt, und eine feinere Bildung konnte man überhaupt damals nur aus franzöſiſchen Büchern nehmen.","norm":"Die Korrespondenz mit meinem Freunde war in dieser Sprache geführt, und eine feinere Bildung konnte man überhaupt damals nur aus französischen Büchern nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1373,"orig":"Mein Aufſatz hatte dem Grafen gefallen; ich mußte einige kleine Lieder hergeben, die ich vor kurzen gedichtet hatte.","norm":"Mein Aufsatz hatte dem Grafen gefallen; ich musste einige kleine Lieder hergeben, die ich vor kurzen gedichtet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1374,"orig":"Genug, Narciß ſchien ſich auf ſeine Geliebte ohne Rückhalt etwas zu gute zu thun, und die Geſchichte endigte zu ſeiner großen Zufriedenheit mit einer geiſtreichen Epiſtel in franzöſiſchen Verſen, die ihm der Graf bey ſeiner Abreiſe zuſandte, worin ihres freundſchaftlichen Streites gedacht war, und mein Freund am Ende glücklich geprieſen wurde, daß er nach ſo manchen Zweifeln und Irrthümern in den Armen einer reizenden und tugendhaften Gattin, was Tugend ſey, am ſicherſten erfahren würde.","norm":"Genug, Narziss schien sich auf seine Geliebte ohne Rückhalt etwas zugute zu tun, und die Geschichte endigte zu seiner großen Zufriedenheit mit einer geistreichen Epistel in französischen Versen, die ihm der Graf bei seiner Abreise zusandte, worin ihres freundschaftlichen Streites gedacht war, und mein Freund am Ende glücklich gepriesen wurde, dass er nach so manchen Zweifeln und Irrtümern in den Armen einer reizenden und tugendhaften Gattin, was Tugend sei, am sichersten erfahren würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1375,"orig":"Dieſes Gedicht ward mir vor allen und dann aber auch faſt jederman gezeigt, und jeder dachte dabey was er wollte.","norm":"Dieses Gedicht wurde mir vor allen und dann aber auch fast jedermann gezeigt, und jeder dachte dabei was er wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1376,"orig":"So ging es in mehreren Fällen und ſo mußten alle Fremden, die er ſchätzte, in unſerm Hauſe bekannt werden.","norm":"So ging es in mehreren Fällen und so mussten alle Fremden, die er schätzte, in unserem Hause bekannt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1377,"orig":"Eine gräfliche Familie hielt ſich wegen unſres geſchickten Arztes eine Zeitlang hier auf.","norm":"Eine gräfliche Familie hielt sich wegen unseres geschickten Arztes eine Zeitlang hier auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1378,"orig":"Auch in dieſem Hauſe war Narciß wie ein Sohn gehalten; er führte mich daſelbſt ein, man fand bey dieſen würdigen Perſonen eine angenehme Unterhaltung für Geiſt und Herz, und ſelbſt die gewöhnlichen Zeitvertreibe der Geſellſchaft ſchienen in dieſem Hauſe nicht ſo leer wie anderwärts.","norm":"Auch in diesem Hause war Narziss wie ein Sohn gehalten; er führte mich daselbst ein, man fand bei diesen würdigen Personen eine angenehme Unterhaltung für Geist und Herz, und selbst die gewöhnlichen Zeitvertreibe der Gesellschaft schienen in diesem Hause nicht so leer wie anderwärts."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1379,"orig":"Jedermann wußte wie wir zuſammen ſtanden, man behandelte uns, wie es die Umſtände mit ſich brachten, und ließ das Hauptverhältniß unberührt.","norm":"Jedermann wusste wie wir zusammen standen, man behandelte uns, wie es die Umstände mit sich brachten, und ließ das Hauptverhältnis unberührt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1380,"orig":"Ich erwähne dieſer einen Bekanntſchaft, weil ſie in der Folge meines Lebens manchen Einfluß auf mich hatte.","norm":"Ich erwähne dieser einen Bekanntschaft, weil sie in der Folge meines Lebens manchen Einfluss auf mich hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1381,"orig":"Nun war faſt ein Jahr unſerer Verbindung verſtrichen, und mit ihm war auch unſer Frühling dahin.","norm":"Nun war fast ein Jahr unserer Verbindung verstrichen, und mit ihm war auch unser Frühling dahin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1382,"orig":"Der Sommer kam, und alles wurde ernſthafter und heißer.","norm":"Der Sommer kam, und alles wurde ernsthafter und heißer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1383,"orig":"Durch einige unerwartete Todesfälle waren Ämter erledigt, auf die Narciß Anſpruch machen konnte.","norm":"Durch einige unerwartete Todesfälle waren Ämter erledigt, auf die Narziss Anspruch machen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1384,"orig":"Der Augenblick war nahe, in dem ſich mein ganzes Schickſal entſcheiden ſollte, und indeß Narciß und alle Freunde ſich bey Hofe die möglichſte Mühe gaben, gewiſſe Eindrücke, die ihm ungünſtig waren, zu vertilgen, und ihm den erwünſchten Platz zu verſchaffen, wendete ich mich mit meinem Anliegen zu dem unſichtbaren Freunde.","norm":"Der Augenblick war nahe, in dem sich mein ganzes Schicksal entscheiden sollte, und indes Narziss und alle Freunde sich bei Hofe die möglichste Mühe gaben, gewisse Eindrücke, die ihm ungünstig waren, zu vertilgen, und ihm den erwünschten Platz zu verschaffen, wendete ich mich mit meinem Anliegen zu dem unsichtbaren Freunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1385,"orig":"Ich war ſo freundlich aufgenommen, daß ich gern wiederkam.","norm":"Ich war so freundlich aufgenommen, dass ich gern wiederkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1386,"orig":"Ganz frey geſtand ich meinen Wunſch, Narciß möchte zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte war nicht ungeſtüm, und ich forderte nicht, daß es um meines Gebets willen geſchehen ſollte.","norm":"Ganz frei gestand ich meinen Wunsch, Narziss möchte zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte war nicht ungestüm, und ich forderte nicht, dass es um meines Gebets willen geschehen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1387,"orig":"Die Stelle ward durch einen viel geringeren Concurrenten beſetzt.","norm":"Die Stelle wurde durch einen viel geringeren Konkurrenten besetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1388,"orig":"Ich erſchrak heftig über die Zeitung, und eilte in mein Zimmer, das ich feſt hinter mir zumachte.","norm":"Ich erschrak heftig über die Zeitung, und eilte in mein Zimmer, das ich fest hinter mir zumachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1389,"orig":"Der erſte Schmerz löſte ſich in Thränen auf, der nächſte Gedanke war: es iſt aber doch nicht von ohngefähr geſchehen, und ſogleich folgte die Entſchließung, es mir recht wohl gefallen zu laſſen, weil auch dieſes anſcheinende Übel zu meinem wahren Beſten gereichen würde.","norm":"Der erste Schmerz löste sich in Tränen auf, der nächste Gedanke war: Es ist aber doch nicht von ungefähr geschehen, und sogleich folgte die Entschließung, es mir recht wohl gefallen zu lassen, weil auch dieses anscheinende Übel zu meinem wahren Besten gereichen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1390,"orig":"Nun drangen die ſanfteſten Empfindungen, die alle Wolken des Kummers zertheilten, herbey; ich fühlte, daß ſich mit dieſer Hülfe alles ausſtehn ließ.","norm":"Nun drangen die sanftesten Empfindungen, die alle Wolken des Kummers zerteilten, herbei; ich fühlte, dass sich mit dieser Hilfe alles ausstehen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1391,"orig":"Ich ging heiter zu Tiſche zum größten Erſtaunen meiner Hausgenoſſen.","norm":"Ich ging heiter zu Tische zum größten Erstaunen meiner Hausgenossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1392,"orig":"Narciß hatte weniger Kraft als ich, und ich mußte ihn tröſten.","norm":"Narziss hatte weniger Kraft als ich, und ich musste ihn trösten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1393,"orig":"Auch in ſeiner Familie begegneten ihm Widerwärtigkeiten, die ihn ſehr drückten, und bey dem wahren Vertrauen, das unter uns Statt hatte, vertraute er mir alles.","norm":"Auch in seiner Familie begegneten ihm Widerwärtigkeiten, die ihn sehr drückten, und bei dem wahren Vertrauen, das unter uns statthatte, vertraute er mir alles."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1394,"orig":"Seine Negotiationen in fremde Dienſte zu gehen, waren auch nicht glücklicher, alles fühlte ich tief um ſeinetund meinetwillen, und alles trug ich zuletzt an den Ort, wo mein Anliegen ſo wohl aufgenommen wurde.","norm":"Seine Negoziationen in fremde Dienste zu gehen, waren auch nicht glücklicher, alles fühlte ich tief um seinet- und meinetwillen, und alles trug ich zuletzt an den Ort, wo mein Anliegen so wohl aufgenommen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1395,"orig":"Je ſanfter dieſe Erfahrungen waren, deſto öfter ſuchte ich ſie zu erneuern, und ich ſuchte immer da den Troſt, wo ich ihn ſo oft gefunden hatte; allein ich fand ihn nicht immer, es war mir wie einem, der ſich an der Sonne wärmen will, und dem etwas im Wege ſteht, das Schatten macht.","norm":"Je sanfter diese Erfahrungen waren, desto öfter suchte ich sie zu erneuern, und ich suchte immer da den Trost, wo ich ihn so oft gefunden hatte; allein ich fand ihn nicht immer, es war mir wie einem, der sich an der Sonne wärmen will, und dem etwas im Wege steht, das Schatten macht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1396,"orig":"Was iſt das?","norm":"Was ist das?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1397,"orig":"fragte ich mich ſelbſt.","norm":"fragte ich mich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1398,"orig":"Ich ſpürte der Sache eifrig nach, und bemerkte deutlich, daß alles von der Beſchaffenheit meiner Seele abhing; wenn die nicht ganz in der geradeſten Richtung zu Gott gekehrt war, ſo blieb ich kalt; ich fühlte ſeine Rückwirkung nicht, und konnte ſeine Antwort nicht vernehmen.","norm":"Ich spürte der Sache eifrig nach, und bemerkte deutlich, dass alles von der Beschaffenheit meiner Seele abhing; wenn die nicht ganz in der geradesten Richtung zu Gott gekehrt war, so blieb ich kalt; ich fühlte seine Rückwirkung nicht, und konnte seine Antwort nicht vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1399,"orig":"Nun war die zweyte Frage: was verhindert dieſe Richtung?","norm":"Nun war die zweite Frage: Was verhindert diese Richtung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1400,"orig":"Hier war ich in einem weiten Felde, und verwickelte mich in eine Unterſuchung, die beynah das ganze zweyte Jahr meiner Liebesgeſchichte fortdauerte.","norm":"Hier war ich in einem weiten Felde, und verwickelte mich in eine Untersuchung, die beinahe das ganze zweite Jahr meiner Liebesgeschichte fortdauerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1401,"orig":"Ich hätte ſie früher endigen können, denn ich kam bald auf die Spur, aber ich wollte es nicht geſtehen, und ſuchte tauſend Ausflüchte.","norm":"Ich hätte sie früher endigen können, denn ich kam bald auf die Spur, aber ich wollte es nicht gestehen, und suchte tausend Ausflüchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1402,"orig":"Ich fand ſehr bald, daß die gerade Richtung meiner Seele durch thörichte Zerſtreuung und Beſchäftigung mit unwürdigen Sachen geſtöhrt werde; das Wie und Wo war mir bald klar genug.","norm":"Ich fand sehr bald, dass die gerade Richtung meiner Seele durch törichte Zerstreuung und Beschäftigung mit unwürdigen Sachen gestört werde; das Wie und wo war mir bald klar genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1403,"orig":"Nun aber wie herauskommen?","norm":"Nun aber wie herauskommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1404,"orig":"in einer Welt wo alles gleichgültig oder toll iſt.","norm":"in einer Welt wo alles gleichgültig oder toll ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1405,"orig":"Gern hätte ich die Sache an ihren Ort geſtellt ſeyn laſſen, und hätte auf geradewohl hingelebt wie andere Leute auch, die ich ganz wohlauf ſah; allein ich durfte nicht, mein Innres widerſprach mir zu oft.","norm":"Gern hätte ich die Sache an ihren Ort gestellt sein lassen, und hätte auf geradewohl hingelebt wie andere Leute auch, die ich ganz wohlauf sah; allein ich durfte nicht, mein Inneres widersprach mir zu oft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1406,"orig":"Wollte ich mich der Geſellſchaft entziehen und meine Verhältniſſe verändern, ſo konnte ich nicht.","norm":"Wollte ich mich der Gesellschaft entziehen und meine Verhältnisse verändern, so konnte ich nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1407,"orig":"Ich war nun einmal in einen Kreis hinein geſperrt; gewiſſe Verbindungen konnte ich nicht los werden, und in der mir ſo angelegenen Sache drängten und häuften ſich die Fatalitäten.","norm":"Ich war nun einmal in einen Kreis hineingesperrt; gewisse Verbindungen konnte ich nicht loswerden, und in der mir so angelegenen Sache drängten und häuften sich die Fatalitäten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1408,"orig":"Ich legte mich oft mit Thränen zu Bette, und ſtand nach einer ſchlafloſen Nacht auch wieder ſo auf; ich bedurfte einer kräftigen Unterſtützung, und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich mit der Schellenkappe herum lief.","norm":"Ich legte mich oft mit Tränen zu Bette, und stand nach einer schlaflosen Nacht auch wieder so auf; ich bedurfte einer kräftigen Unterstützung, und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich mit der Schellenkappe herumlief."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1409,"orig":"Nun ging es an ein Abwiegen aller und jeder Handlungen;","norm":"Nun ging es an ein Abwiegen aller und jeder Handlungen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1410,"orig":"Tanzen und Spielen wurden am erſten in Unterſuchung genommen.","norm":"Tanzen und Spielen wurden am ersten in Untersuchung genommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1411,"orig":"Nie iſt etwas vor oder gegen dieſe","norm":"Nie ist etwas für oder gegen diese"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1412,"orig":"Dinge geredet, gedacht, der geſchrieben worden, das ich nicht aufſuchte, beſprach, las, erwog, vermehrte, verwarf, und mich unerhört herumplagte.","norm":"Dinge geredet, gedacht, der geschrieben worden, das ich nicht aufsuchte, besprach, las, erwog, vermehrte, verwarf, und mich unerhört herumplagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1413,"orig":"Unterließ ich dieſe Dinge, ſo war ich gewiß, Narciſſen zu beleidigen.","norm":"Unterließ ich diese Dinge, so war ich gewiss, Narzissen zu beleidigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1414,"orig":"Denn er fürchtete ſich äußerſt vor dem Lächerlichen, das uns der Anſchein ängſtlicher Gewiſſenhaftigkeit vor der Welt giebt.","norm":"Denn er fürchtete sich äußerst vor dem Lächerlichen, das uns der Anschein ängstlicher Gewissenhaftigkeit vor der Welt gibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1415,"orig":"Weil ich nun das, was ich für Thorheit, für ſchädliche Thorheit hielt, nicht einmal aus Geſchmack, ſondern blos um ſeinetwillen that, ſo wurde mir alles entſetzlich ſchwer.","norm":"Weil ich nun das, was ich für Torheit, für schädliche Torheit hielt, nicht einmal aus Geschmack, sondern bloß um seinetwillen tat, so wurde mir alles entsetzlich schwer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1416,"orig":"Ohne unangenehme Weitläuftigkeiten und Wiederholungen würde ich die Bemühungen nicht darſtellen können, welche ich anwendete, um jene Handlungen, die mich nun einmal zerſtreuten und meinen innern Frieden ſtöhrten, ſo zu verrichten, daß dabey mein Herz für die Einwirkungen des unſichtbaren Weſens offen bliebe, und wie ſchmerzlich ich empfinden mußte, daß der Streit auf dieſe Weiſe nicht beygelegt werden könne.","norm":"Ohne unangenehme Weitläufigkeiten und Wiederholungen würde ich die Bemühungen nicht darstellen können, welche ich anwendete, um jene Handlungen, die mich nun einmal zerstreuten und meinen inneren Frieden störten, so zu verrichten, dass dabei mein Herz für die Einwirkungen des unsichtbaren Wesens offen bliebe, und wie schmerzlich ich empfinden musste, dass der Streit auf diese Weise nicht beigelegt werden könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1417,"orig":"Denn ſobald ich mich in das Gewand der Thorheit kleidete, blieb es nicht bloß bey der Maske, ſondern die Narrheit durchdrang mich ſogleich durch und durch.","norm":"Denn sobald ich mich in das Gewand der Torheit kleidete, blieb es nicht bloß bei der Maske, sondern die Narrheit durchdrang mich sogleich durch und durch."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1418,"orig":"Darf ich hier das Geſetz einer blos hiſtoriſchen Darſtellung überſchreiten, und einige Betrachtungen über dasjenige machen, was in mir vorging?","norm":"Darf ich hier das Gesetz einer bloß historischen Darstellung überschreiten, und einige Betrachtungen über dasjenige machen, was in mir vorging?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1419,"orig":"Was konnte das ſeyn, das meinen Geſchmack und meine Sinnesart ſo änderte, daß ich im zwey und zwanzigſten Jahre, ja früher, kein Vergnügen an Dingen fand, die Leute von dieſem Alter unſchuldig beluſtigen können?","norm":"Was konnte das sein, das meinen Geschmack und meine Sinnesart so änderte, dass ich im zweiundzwanzigsten Jahre, ja früher, kein Vergnügen an Dingen fand, die Leute von diesem Alter unschuldig belustigen können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1420,"orig":"Warum waren ſie mir nicht unſchuldig?","norm":"Warum waren sie mir nicht unschuldig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1421,"orig":"Ich darf wohl antworten: eben weil ſie mir nicht unſchuldig waren, weil ich nicht wie andre meines gleichen unbekannt mit meiner Seele war.","norm":"Ich darf wohl antworten: eben weil sie mir nicht unschuldig waren, weil ich nicht wie andere meinesgleichen unbekannt mit meiner Seele war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1422,"orig":"Nein, ich wußte aus Erfahrungen, die ich ungeſucht erlangt hatte, daß es höhere Empfindungen gebe, die uns ein Vergnügen wahrhaftig gewährten, das man vergebens bey Luſtbarkeiten ſucht, und daß in dieſen höhern Freuden zugleich ein geheimer Schatz zur Stärkung im Unglück aufbewahrt ſey.","norm":"Nein, ich wusste aus Erfahrungen, die ich ungesucht erlangt hatte, dass es höhere Empfindungen gebe, die uns ein Vergnügen wahrhaftig gewährten, das man vergebens bei Lustbarkeiten sucht, und dass in diesen höheren Freuden zugleich ein geheimer Schatz zur Stärkung im Unglück aufbewahrt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1423,"orig":"Aber die geſelligen Vergnügungen und Zerſtreuungen der Jugend mußten doch nothwendig einen ſtarken Reiz für mich haben, weil es mir nicht möglich war, ſie zu thun, als thäte ich ſie nicht.","norm":"Aber die geselligen Vergnügungen und Zerstreuungen der Jugend mussten doch notwendig einen starken Reiz für mich haben, weil es mir nicht möglich war, sie zu tun, als täte ich sie nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1424,"orig":"Wie manches könnte ich jetzt mit großer Kälte thun, wenn ich nur wollte, was mich damals irre machte, ja Meiſter über mich zu werden drohete.","norm":"Wie manches könnte ich jetzt mit großer Kälte tun, wenn ich nur wollte, was mich damals irremachte, ja Meister über mich zu werden drohte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1425,"orig":"Hier konnte kein Mittelweg gehalten werden, ich mußte entweder die reizenden Vergnügungen oder die erquickenden innerlichen Empfindungen entbehren.","norm":"Hier konnte kein Mittelweg gehalten werden, ich musste entweder die reizenden Vergnügungen oder die erquickenden innerlichen Empfindungen entbehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1426,"orig":"Aber ſchon war der Streit in meiner Seele ohne mein eigentliches Bewußtſeyn entſchieden.","norm":"Aber schon war der Streit in meiner Seele ohne mein eigentliches Bewusstsein entschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1427,"orig":"Wenn auch etwas in mir war, das ſich nach den ſinnlichen Freuden hinſehnte, ſo konnte ich ſie doch nicht mehr genießen.","norm":"Wenn auch etwas in mir war, das sich nach den sinnlichen Freuden hinsehnte, so konnte ich sie doch nicht mehr genießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1428,"orig":"Wer den Wein noch ſo ſehr liebt, dem wird alle Luſt zum Trinken vergehen, wenn er ſich bey vollen Fäſſern in einem Keller befände, in welchem die verdorbene Luft ihn zu erſticken drohete.","norm":"Wer den Wein noch so sehr liebt, dem wird alle Lust zum Trinken vergehen, wenn er sich bei vollen Fässern in einem Keller befände, in welchem die verdorbene Luft ihn zu ersticken drohte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1429,"orig":"Reine Luft iſt mehr als Wein, das fühlte ich nur zu lebhaft, und es hätte gleich von Anfang an wenig Überlegung bey mir gekoſtet, das Gute dem Reizenden vorzuziehen, wenn mich die Furcht, Narciſſens Gunſt zu verlieren, nicht abgehalten hätte.","norm":"Reine Luft ist mehr als Wein, das fühlte ich nur zu lebhaft, und es hätte gleich von Anfang an wenig Überlegung bei mir gekostet, das Gute dem Reizenden vorzuziehen, wenn mich die Furcht, Narzisses Gunst zu verlieren, nicht abgehalten hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1430,"orig":"Aber da ich endlich nach tauſendfältigem Streit, nach immer wiederholter Betrachtung, auch ſcharfe Blicke auf das Band warf, das mich an ihn feſt hielt, entdeckte ich, daß es nur ſchwach war, daß es ſich zerreiſſen laſſe.","norm":"Aber da ich endlich nach tausendfältigem Streit, nach immer wiederholter Betrachtung, auch scharfe Blicke auf das Band warf, das mich an ihn festhielt, entdeckte ich, dass es nur schwach war, dass es sich zerreißen lasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1431,"orig":"Ich erkannte auf einmal, daß es nur eine Glasglocke ſey, die mich in den luftleeren Raum ſperrte; nur noch ſo viel Kraft ſie entzwey zu ſchlagen, und du biſt gerettet.","norm":"Ich erkannte auf einmal, dass es nur eine Glasglocke sei, die mich in den luftleeren Raum sperrte; nur noch so viel Kraft sie entzweizuschlagen, und du bist gerettet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1432,"orig":"Gedacht gewagt.","norm":"Gedacht gewagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1433,"orig":"Ich zog die Maske ab und handelte jedesmal wie mirs ums Herz war.","norm":"Ich zog die Maske ab und handelte jedes Mal wie mir es um das Herz war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1434,"orig":"Narciſſen hatte ich immer zärtlich lieb; aber das Thermometer, das vorher im heißen Waſſer geſtanden, hing nun an der natürlichen Luft; es konnte nicht höher ſteigen, als die Atmoſphäre warm war.","norm":"Narzissen hatte ich immer zärtlich lieb; aber das Thermometer, das vorher im heißen Wasser gestanden, hing nun an der natürlichen Luft; es konnte nicht höher steigen, als die Atmosphäre warm war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1435,"orig":"Unglücklicherweiſe erkältete ſie ſich ſehr.","norm":"Unglücklicherweise erkältete sie sich sehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1436,"orig":"Narciß fing an ſich zurück zu ziehen und fremd zu thun, das ſtand ihm frey; aber mein Thermometer fiel, ſo wie er ſich zurück zog.","norm":"Narziss fing an sich zurückzuziehen und fremd zu tun, das stand ihm frei; aber mein Thermometer fiel, sowie er sich zurückzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1437,"orig":"Meine Familie bemerkte es, man befragte mich, man wollte ſich verwundern.","norm":"Meine Familie bemerkte es, man befragte mich, man wollte sich verwundern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1438,"orig":"Ich erklärte mit männlichem Trotz, daß ich mich bisher genug aufgeopfert habe, daß ich bereit ſey, noch ferner und bis ans Ende meines Lebens alle Widerwärtigkeiten mit ihm zu theilen, daß ich aber für meine Handlungen völlige Freyheit verlange, daß mein Thun und Laſſen von meiner Überzeugung abhängen müſſe; daß ich zwar niemals eigenſinnig auf meiner Meynung beharren, vielmehr jede Gründe gerne anhören wollte, aber da es mein eigenes Glück betreffe, müſſe die Entſcheidung von mir abhängen, und keine Art von Zwang würde ich dulden.","norm":"Ich erklärte mit männlichem Trotz, dass ich mich bisher genug aufgeopfert habe, dass ich bereit sei, noch ferner und bis ans Ende meines Lebens alle Widerwärtigkeiten mit ihm zu teilen, dass ich aber für meine Handlungen völlige Freiheit verlange, dass mein Tun und Lassen von meiner Überzeugung abhängen müsse; dass ich zwar niemals eigensinnig auf meiner Meinung beharren, vielmehr jede Gründe gerne anhören wollte, aber da es mein eigenes Glück betreffe, müsse die Entscheidung von mir abhängen, und keine Art von Zwang würde ich dulden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1439,"orig":"So wenig das Raiſonnement des größten Arztes mich bewegen würde, eine ſonſt vielleicht ganz geſunde und von vielen ſehr geliebte Speiſe zu mir zu nehmen, ſo bald mir meine Erfahrung bewieſe, daß ſie mir jederzeit ſchädlich ſey, wie ich den Gebrauch des Kaffees zum Beyſpiel anführen könnte, ſo wenig und noch viel weniger würde ich mir irgend eine Handlung, die mich verwirrte, als für mich moraliſch zuträglich aufdemonſtriren laſſen.","norm":"So wenig das Räsonnement des größten Arztes mich bewegen würde, eine sonst vielleicht ganz gesunde und von vielen sehr geliebte Speise zu mir zu nehmen, sobald mir meine Erfahrung beweise, dass sie mir jederzeit schädlich sei, wie ich den Gebrauch des Kaffees zum Beispiel anführen könnte, so wenig und noch viel weniger würde ich mir irgendeine Handlung, die mich verwirrte, als für mich moralisch zuträglich aufdemonstrieren lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1440,"orig":"Da ich mich ſo lange im Stillen vorbereitet hatte, ſo waren mir die Debatten hierüber eher angenehm als verdrießlich.","norm":"Da ich mich so lange im Stillen vorbereitet hatte, so waren mir die Debatten hierüber eher angenehm als verdrießlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1441,"orig":"Ich machte meinem Herzen Luft, und fühlte den ganzen Werth meines Entſchluſſes.","norm":"Ich machte meinem Herzen Luft, und fühlte den ganzen Wert meines Entschlusses."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1442,"orig":"Ich wich nicht ein Haar breit, und wem ich nicht kindlichen Reſpect ſchuldig war, der wurde derb abgefertigt.","norm":"Ich wich nicht ein Haar breit, und wem ich nicht kindlichen Respekt schuldig war, der wurde derb abgefertigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1443,"orig":"In meinem Hauſe ſiegte ich bald.","norm":"In meinem Hause siegte ich bald."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1444,"orig":"Meine Mutter hatte von Jugend auf ähnliche Geſinnungen, nur waren ſie bey ihr nicht zur Reife gediehen; keine Noth hatte ſie gedrängt, und den Muth ihre Überzeugung durchzuſetzen erhöht.","norm":"Meine Mutter hatte von Jugend auf ähnliche Gesinnungen, nur waren sie bei ihr nicht zur Reife gediehen; keine Not hatte sie gedrängt, und den Mut ihre Überzeugung durchzusetzen erhöht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1445,"orig":"Sie freute ſich durch mich ihre ſtillen Wünſche erfüllt zu ſehen.","norm":"Sie freute sich durch mich ihre stillen Wünsche erfüllt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1446,"orig":"Die jüngere Schweſter ſchien ſich an mich anzuſchließen; die zweyte war aufmerkſam und ſtill.","norm":"Die jüngere Schwester schien sich an mich anzuschließen; die zweite war aufmerksam und still."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1447,"orig":"Die Tante hatte am meiſten einzuwenden.","norm":"Die Tante hatte am meisten einzuwenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1448,"orig":"Die Gründe, die ſie vorbrachte, ſchienen ihr unwiderleglich, und waren es auch, weil ſie ganz gemein waren.","norm":"Die Gründe, die sie vorbrachte, schienen ihr unwiderleglich, und waren es auch, weil sie ganz gemein waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1449,"orig":"Ich war endlich genöthigt, ihr zu zeigen, daß ſie in keinem Sinne eine Stimme in dieſer Sache habe, und ſie ließ nur ſelten merken, daß ſie auf ihrem Sinne verharre.","norm":"Ich war endlich genötigt, ihr zu zeigen, dass sie in keinem Sinne eine Stimme in dieser Sache habe, und sie ließ nur selten merken, dass sie auf ihrem Sinne verharre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1450,"orig":"Auch war ſie die einzige, die dieſe Begebenheit von nahen anſah und ganz ohne Empfindung blieb.","norm":"Auch war sie die einzige, die diese Begebenheit von nahem ansah und ganz ohne Empfindung blieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1451,"orig":"Ich thue ihr nicht zu viel, wenn ich ſage, daß ſie kein Gemüth und die eingeſchränkteſten Begriffe hatte.","norm":"Ich tue ihr nicht zu viel, wenn ich sage, dass sie kein Gemüt und die eingeschränktesten Begriffe hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1452,"orig":"Der Vater benahm ſich ganz ſeiner Denkart gemäß.","norm":"Der Vater benahm sich ganz seiner Denkart gemäß."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1453,"orig":"Er ſprach wenig, aber öfter mit mir über die Sache, und ſeine Gründe waren verſtändig, und als ſeine Gründe unwiderleglich; nur das tiefe Gefühl meines Rechts gab mir Stärke, gegen ihn zu diſputiren.","norm":"Er sprach wenig, aber öfter mit mir über die Sache, und seine Gründe waren verständig, und als seine Gründe unwiderleglich; nur das tiefe Gefühl meines Rechts gab mir Stärke, gegen ihn zu disputieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1454,"orig":"Aber bald veränderten ſich dieſe Scenen; ich mußte an ſein Herz Anſpruch machen.","norm":"Aber bald veränderten sich diese Szenen; ich musste an sein Herz Anspruch machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1455,"orig":"Gedrängt von ſeinem Verſtande brach ich in die affektvollſten Vorſtellungen aus.","norm":"Gedrängt von seinem Verstande brach ich in die affektvollsten Vorstellungen aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1456,"orig":"Ich ließ meiner Zunge und meinen Thränen freyen Lauf.","norm":"Ich ließ meiner Zunge und meinen Tränen freien Lauf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1457,"orig":"Ich zeigte ihm, wie ſehr ich Narciſſen liebte, und welchen Zwang ich mir ſeit zwey Jahren angethan hatte, wie gewiß ich ſey, daß ich recht handle, daß ich bereit ſey dieſe Gewißheit mit dem Verluſt des geliebten Bräutigams und anſcheinenden Glücks, ja wenn es nöthig wäre, mit Haab und Gut zu verſiegeln; daß ich lieber mein Vaterland, Eltern und Freunde verlaſſen, und mein Brod in der Fremde verdienen, als gegen meine Einſichten handeln wollte.","norm":"Ich zeigte ihm, wie sehr ich Narzissen liebte, und welchen Zwang ich mir seit zwei Jahren angetan hatte, wie gewiss ich sei, dass ich recht handle, dass ich bereit sei diese Gewissheit mit dem Verlust des geliebten Bräutigams und anscheinenden Glücks, ja wenn es nötig wäre, mit Hab und Gut zu versiegeln; dass ich lieber mein Vaterland, Eltern und Freunde verlassen, und mein Brot in der Fremde verdienen, als gegen meine Einsichten handeln wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1458,"orig":"Er verbarg ſeine Rührung, ſchwieg einige Zeit ſtille und erklärte ſich endlich öffentlich für mich.","norm":"Er verbarg seine Rührung, schwieg einige Zeit stille und erklärte sich endlich öffentlich für mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1459,"orig":"Narciß vermied ſeit jener Zeit unſer Haus, und nun gab mein Vater die wöchentliche Geſellſchaft auf, in der ſich dieſer befand.","norm":"Narziss vermied seit jener Zeit unser Haus, und nun gab mein Vater die wöchentliche Gesellschaft auf, in der sich dieser befand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1460,"orig":"Die Sache machte Aufſehn bey Hofe und in der Stadt.","norm":"Die Sache machte Aufsehen bei Hofe und in der Stadt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1461,"orig":"Man ſprach darüber wie gewöhnlich in ſolchen Fällen, an denen das Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt, weil es verwöhnt iſt, auf die Entſchließungen ſchwacher Gemüther einigen Einfluß zu haben.","norm":"Man sprach darüber wie gewöhnlich in solchen Fällen, an denen das Publikum heftigen Teil zu nehmen pflegt, weil es verwöhnt ist, auf die Entschließungen schwacher Gemüter einigen Einfluss zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1462,"orig":"Ich kannte die Welt genug, und wußte, daß man oft von eben den Perſonen über das getadelt wird, wozu man ſich durch ſie hat bereden laſſen, und auch ohne das würden mir bey meiner innern Verfaſſung alle ſolche vorübergehende Meynungen weniger als nichts geweſen ſeyn.","norm":"Ich kannte die Welt genug, und wusste, dass man oft von eben den Personen über das getadelt wird, wozu man sich durch sie hat bereden lassen, und auch ohne das würden mir bei meiner inneren Verfassung alle solche vorübergehende Meinungen weniger als nichts gewesen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1463,"orig":"Dagegen verſagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narciſſen nachzuhängen.","norm":"Dagegen versagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narzissen nachzuhängen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1464,"orig":"Er war mir unſichtbar geworden, und mein Herz hatte ſich nicht gegen ihn geändert.","norm":"Er war mir unsichtbar geworden, und mein Herz hatte sich nicht gegen ihn geändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1465,"orig":"Ich liebte ihn zärtlich, gleichſam auf das neue und viel geſetzter als vorher.","norm":"Ich liebte ihn zärtlich, gleichsam auf das neue und viel gesetzter als vorher."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1466,"orig":"Wollte er meine Überzeugung nicht ſtöhren, ſo war ich die Seine, ohne dieſe Bedingung hätte ich ein Königreich mit ihm ausgeſchlagen.","norm":"Wollte er meine Überzeugung nicht stören, so war ich die Seine, ohne diese Bedingung hätte ich ein Königreich mit ihm ausgeschlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1467,"orig":"Mehrere Monate lang trug ich dieſe Empfindungen und Gedanken mit mir herum, und da ich mich endlich ſtill und ſtark genug fühlte, um ruhig und geſetzt zu Werke zu gehen, ſo ſchrieb ich ihm ein höfliches, nicht zärtliches, Billet, und fragte ihn, warum er nicht mehr zu mir komme?","norm":"Mehrere Monate lang trug ich diese Empfindungen und Gedanken mit mir herum, und da ich mich endlich still und stark genug fühlte, um ruhig und gesetzt zu Werke zu gehen, so schrieb ich ihm ein höfliches, nicht zärtliches, Billett, und fragte ihn, warum er nicht mehr zu mir komme?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1468,"orig":"Da ich ſeine Art kannte, ſich ſelbſt in geringern Dingen nicht gern zu erklären, ſondern ſtillſchweigend zu thun, was ihm gut däuchte; ſo drang ich gegenwärtig mit Vorſatz in ihn.","norm":"Da ich seine Art kannte, sich selbst in geringeren Dingen nicht gern zu erklären, sondern stillschweigend zu tun, was ihm gut dünkte; so drang ich gegenwärtig mit Vorsatz in ihn."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1469,"orig":"Ich erhielt eine lange und wie mir ſchien abgeſchmackte Antwort, in einem weitläuftigen Styl und unbedeutenden Phraſen: daß er ohne beſſere Stellen ſich nicht einrichten, und mir ſeine Hand anbieten könne, daß ich am beſten wiſſe, wie hinderlich es ihm bisher gegangen, daß er glaube, ein ſo lang fortgeſetzter fruchtloſer Umgang könne meiner Renommée ſchaden, ich würde ihm erlauben, ſich in der bisherigen Entfernung zu halten; ſo bald er im Stande wäre, mich glücklich zu machen, würde ihm das Wort, das er mir gegeben, heilig ſeyn.","norm":"Ich erhielt eine lange und wie mir schien abgeschmackte Antwort, in einem weitläufigen Stil und unbedeutenden Phrasen: dass er ohne bessere Stellen sich nicht einrichten, und mir seine Hand anbieten könne, dass ich am besten wisse, wie hinderlich es ihm bisher gegangen, dass er glaube, ein so lang fortgesetzter fruchtloser Umgang könne meiner Renommée schaden, ich würde ihm erlauben, sich in der bisherigen Entfernung zu halten; sobald er imstande wäre, mich glücklich zu machen, würde ihm das Wort, das er mir gegeben, heilig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1470,"orig":"Ich antwortete ihm auf der Stelle: da die Sache aller Welt bekannt ſey, möge es zu ſpät ſeyn, meine Renommée zu menagiren, und für dieſe wären mir mein Gewiſſen und meine Unſchuld die ſicherſten Bürgen;","norm":"Ich antwortete ihm auf der Stelle: da die Sache aller Welt bekannt sei, möge es zu spät sein, meine Renommée zu menagieren, und für diese wären mir mein Gewissen und meine Unschuld die sichersten Bürgen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1471,"orig":"Ihm aber gäbe ich hiermit ſein Wort ohne Bedenken zurück, und wünſchte, daß er dabey ſein Glück finden möchte.","norm":"Ihm aber gäbe ich hiermit sein Wort ohne Bedenken zurück, und wünschte, dass er dabei sein Glück finden möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1472,"orig":"In eben der Stunde erhielt ich eine kurze Antwort, die im Weſentlichen mit der erſten völlig gleichlautend war.","norm":"In eben der Stunde erhielt ich eine kurze Antwort, die im Wesentlichen mit der ersten völlig gleichlautend war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1473,"orig":"Er blieb dabey, daß er nach erhaltener Stelle bey mir anfragen würde, ob ich ſein Glück mit ihm theilen wollte.","norm":"Er blieb dabei, dass er nach erhaltener Stelle bei mir anfragen würde, ob ich sein Glück mit ihm teilen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1474,"orig":"Mir hieß das nun ſo viel als nichts geſagt.","norm":"Mir hieß das nun so viel als nichts gesagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1475,"orig":"Ich erklärte meinen Verwandten und Bekannten, die Sache ſey abgethan und ſie war es auch wirklich.","norm":"Ich erklärte meinen Verwandten und Bekannten, die Sache sei abgetan und sie war es auch wirklich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1476,"orig":"Denn als er neun Monate hernach auf das erwünſchteſte befördert wurde, ließ er mir ſeine Hand nochmals antragen, freylich mit der Bedingung, daß ich als Gattin eines Mannes, der ein Haus machen müßte, meine Geſinnungen würde zu ändern haben.","norm":"Denn als er neun Monate hernach auf das erwünschteste befördert wurde, ließ er mir seine Hand nochmals antragen, freilich mit der Bedingung, dass ich als Gattin eines Mannes, der ein Haus machen müsste, meine Gesinnungen würde zu ändern haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1477,"orig":"Ich dankte höflich, und eilte mit Herz und Sinn von dieſer Geſchichte weg, wie man ſich aus dem Schauſpielhauſe heraus ſehnt, wenn der Vorhang gefallen iſt.","norm":"Ich dankte höflich, und eilte mit Herz und Sinn von dieser Geschichte weg, wie man sich aus dem Schauspielhause heraussehnt, wenn der Vorhang gefallen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1478,"orig":"Und da er kurze Zeit darauf, wie es ihm nun ſehr leicht war, eine reiche und anſehnliche Partie gefunden hatte, und ich ihn nach ſeiner Art glücklich wußte, ſo war meine Beruhigung ganz vollkommen.","norm":"Und da er kurze Zeit darauf, wie es ihm nun sehr leicht war, eine reiche und ansehnliche Partie gefunden hatte, und ich ihn nach seiner Art glücklich wusste, so war meine Beruhigung ganz vollkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1479,"orig":"Ich darf nicht mit Stillſchweigen übergehen, daß einigemal, noch eh er eine Bedienung erhielt, auch nachher anſehnliche Heirathsanträge an mich gethan wurden, die ich aber ganz ohne Bedenken ausſchlug, ſo ſehr Vater und Mutter mehr Nachgiebigkeit von meiner Seite gewünſcht hätten.","norm":"Ich darf nicht mit Stillschweigen übergehen, dass einige Mal, noch ehe er eine Bedienung erhielt, auch nachher ansehnliche Heiratsanträge an mich getan wurden, die ich aber ganz ohne Bedenken ausschlug, so sehr Vater und Mutter mehr Nachgiebigkeit von meiner Seite gewünscht hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1480,"orig":"Nun ſchien mir nach einem ſtürmiſchen März und April das ſchönſte Maywetter beſchert zu ſeyn.","norm":"Nun schien mir nach einem stürmischen März und April das schönste Maiwetter beschert zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1481,"orig":"Ich genoß bey einer guten Geſundheit eine unbeſchreibliche Gemüthsruhe; ich mochte mich umſehen, wie ich wollte, ſo hatte ich bey meinem Verluſte noch gewonnen.","norm":"Ich genoss bei einer guten Gesundheit eine unbeschreibliche Gemütsruhe; ich mochte mich umsehen, wie ich wollte, so hatte ich bei meinem Verluste noch gewonnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1482,"orig":"Jung und voll Empfindung wie ich war, däuchte mir die Schöpfung tauſendmal ſchöner als vorher, da ich Geſellſchaften und Spiele haben mußte, damit mir die Weile in dem ſchönen Garten nicht zu lang wurde.","norm":"Jung und voll Empfindung wie ich war, dünkte mir die Schöpfung tausendmal schöner als vorher, da ich Gesellschaften und Spiele haben musste, damit mir die Weile in dem schönen Garten nicht zu lang wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1483,"orig":"Da ich mich einmal meiner Frömmigkeit nicht ſchämte, ſo hatte ich Herz meine Liebe zu Künſten und Wiſſenſchaften nicht zu verbergen.","norm":"Da ich mich einmal meiner Frömmigkeit nicht schämte, so hatte ich Herz meine Liebe zu Künsten und Wissenschaften nicht zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1484,"orig":"Ich zeichnete, mahlte, las und fand Menſchen genug, die mich unterſtützten; ſtatt der großen Welt, die ich verlaſſen hatte, oder vielmehr, die mich verließ, bildete ſich eine kleinere um mich her, die weit reicher und unterhaltender war.","norm":"Ich zeichnete, malte, las und fand Menschen genug, die mich unterstützten; statt der großen Welt, die ich verlassen hatte, oder vielmehr, die mich verließ, bildete sich eine kleinere um mich her, die weit reicher und unterhaltender war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1485,"orig":"Ich hatte eine Neigung zum geſellſchaftlichen Leben, und ich läugne nicht, daß mir, als ich meine ältern Bekanntſchaften aufgab, vor der Einſamkeit grauete.","norm":"Ich hatte eine Neigung zum gesellschaftlichen Leben, und ich leugne nicht, dass mir, als ich meine älteren Bekanntschaften aufgab, vor der Einsamkeit graute."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1486,"orig":"Nun fand ich mich hinlänglich, ja vielleicht zu ſehr entſchädigt.","norm":"Nun fand ich mich hinlänglich, ja vielleicht zu sehr entschädigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1487,"orig":"Meine Bekanntſchaften wurden erſt recht weitläuftig, nicht nur mit Einheimiſchen, deren Geſinnungen mit den meinigen übereinſtimmten, ſondern auch mit Fremden.","norm":"Meine Bekanntschaften wurden erst recht weitläufig, nicht nur mit Einheimischen, deren Gesinnungen mit den meinigen übereinstimmten, sondern auch mit Fremden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1488,"orig":"Meine Geſchichte war ruchtbar geworden, und es waren viele Menſchen neugierig, das Mädchen zu ſehen, die Gott mehr ſchätzte als ihren Bräutigam.","norm":"Meine Geschichte war fruchtbar geworden, und es waren viele Menschen neugierig, das Mädchen zu sehen, die Gott mehr schätzte als ihren Bräutigam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1489,"orig":"Es war damals überhaupt eine gewiſſe religiöſe Stimmung in Deutſchland bemerkbar.","norm":"Es war damals überhaupt eine gewisse religiöse Stimmung in Deutschland bemerkbar."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1490,"orig":"In mehreren fürſtlichen und gräflichen Häuſern war eine Sorge für das Heil der Seele lebendig.","norm":"In mehreren fürstlichen und gräflichen Häusern war eine Sorge für das Heil der Seele lebendig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1491,"orig":"Es fehlte nicht an Edelleuten die gleiche Aufmerkſamkeit hegten, und in den geringern Ständen war durchaus dieſe Geſinnung verbreitet.","norm":"Es fehlte nicht an Edelleuten die gleiche Aufmerksamkeit hegten, und in den geringeren Ständen war durchaus diese Gesinnung verbreitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1492,"orig":"Die gräfliche Familie, deren ich oben erwähnt, zog mich nun näher an ſich.","norm":"Die gräfliche Familie, deren ich oben erwähnt, zog mich nun näher an sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1493,"orig":"Sie hatte ſich indeſſen verſtärkt, indem ſich einige Verwandte in die Stadt gewendet hatten.","norm":"Sie hatte sich indessen verstärkt, indem sich einige Verwandte in die Stadt gewendet hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1494,"orig":"Dieſe ſchätzbaren Perſonen ſuchten meinen Umgang, wie ich den ihrigen.","norm":"Diese schätzbaren Personen suchten meinen Umgang, wie ich den ihrigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1495,"orig":"Sie hatten große Verwandtſchaft, und ich lernte in dieſem Hauſe einen großen Theil der Fürſten, Grafen und Herrn des Reichs kennen.","norm":"Sie hatten große Verwandtschaft, und ich lernte in diesem Hause einen großen Teil der Fürsten, Grafen und Herrn des Reichs kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1496,"orig":"Meine Geſinnungen waren niemanden ein Geheimniß, und man mochte ſie ehren oder auch nur ſchonen, ſo erlangte ich doch meinen Zweck und blieb ohne Anfechtung.","norm":"Meine Gesinnungen waren niemanden ein Geheimnis, und man mochte sie ehren oder auch nur schonen, so erlangte ich doch meinen Zweck und blieb ohne Anfechtung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1497,"orig":"Noch auf eine andere Weiſe ſollte ich wieder in die Welt geführt werden.","norm":"Noch auf eine andere Weise sollte ich wieder in die Welt geführt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1498,"orig":"Zu eben der Zeit verweilte ein Stiefbruder meines Vaters, der uns ſonſt nur im Vorbeygehn beſucht hatte, länger bey uns.","norm":"Zu eben der Zeit verweilte ein Stiefbruder meines Vaters, der uns sonst nur im Vorbeigehen besucht hatte, länger bei uns."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1499,"orig":"Er hatte die Dienſte ſeines Hofes, wo er geehrt und von Einfluß war, nur deswegen verlaſſen, weil nicht alles nach ſeinem Sinne ging.","norm":"Er hatte die Dienste seines Hofes, wo er geehrt und von Einfluss war, nur deswegen verlassen, weil nicht alles nach seinem Sinne ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1500,"orig":"Sein Verſtand war richtig und ſein Charakter ſtreng, und er war darin meinem Vater ſehr ähnlich; nur hatte dieſer dabey einen gewiſſen Grad von Weichheit, wodurch ihm leichter ward in Geſchäften nachzugeben und etwas gegen ſeine Überzeugung nicht zu thun, aber geſchehen zu laſſen, und den Unwillen darüber alsdann entweder in der Stille für ſich oder vertraulich mit ſeiner Familie zu verkochen.","norm":"Sein Verstand war richtig und sein Charakter streng, und er war darin meinem Vater sehr ähnlich; nur hatte dieser dabei einen gewissen Grad von Weichheit, wodurch ihm leichter wurde in Geschäften nachzugeben und etwas gegen seine Überzeugung nicht zu tun, aber geschehen zu lassen, und den Unwillen darüber alsdann entweder in der Stille für sich oder vertraulich mit seiner Familie zu verkochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1501,"orig":"Mein Oheim war um vieles jünger, und ſeine Selbſtſtändigkeit ward durch ſeine äußern Umſtände nicht wenig beſtätigt.","norm":"Mein Oheim war um vieles jünger, und seine Selbständigkeit wurde durch seine äußeren Umstände nicht wenig bestätigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1502,"orig":"Er hatte eine ſehr reiche Mutter gehabt, und hatte von ihren nahen und fernen Verwandten noch ein großes Vermögen zu hoffen; er bedurfte keines fremden Zuſchuſſes, anſtatt daß mein Vater bey ſeinem mäßigen Vermögen durch Beſoldung an den Dienſt feſt geknüpft war.","norm":"Er hatte eine sehr reiche Mutter gehabt, und hatte von ihren nahen und fernen Verwandten noch ein großes Vermögen zu hoffen; er bedurfte keines fremden Zuschusses, anstatt dass mein Vater bei seinem mäßigen Vermögen durch Besoldung an den Dienst fest geknüpft war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1503,"orig":"Noch unbiegſamer war mein Oheim durch häusliches Unglück geworden.","norm":"Noch unbiegsamer war mein Oheim durch häusliches Unglück geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1504,"orig":"Er hatte eine liebenswürdige Frau und einen hoffnungsvollen Sohn früh verloren, und er ſchien von der Zeit an alles von ſich entfernen zu wollen, was nicht von ſeinem Willen abhing.","norm":"Er hatte eine liebenswürdige Frau und einen hoffnungsvollen Sohn früh verloren, und er schien von der Zeit an alles von sich entfernen zu wollen, was nicht von seinem Willen abhing."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1505,"orig":"In der Familie ſagte man ſich gelegentlich mit einiger Selbſtgefälligkeit in die Ohren, daß er wahrſcheinlich nicht wieder heirathen werde, und daß wir Kinder uns ſchon als Erben ſeines großen Vermögens anſehen könnten.","norm":"In der Familie sagte man sich gelegentlich mit einiger Selbstgefälligkeit in die Ohren, dass er wahrscheinlich nicht wieder heiraten werde, und dass wir Kinder uns schon als Erben seines großen Vermögens ansehen könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1506,"orig":"Ich achtete nicht weiter darauf; allein das Betragen der übrigen ward nach dieſen Hoffnungen nicht wenig geſtimmt Bey der Feſtigkeit ſeines Charakters hatte er ſich gewöhnt, in der Unterredung niemand zu widerſprechen, vielmehr die Meynung eines jeden freundlich anzuhören, und die Art wie ſich jeder eine Sache dachte noch ſelbſt durch Argumente und Beyſpiele zu erheben.","norm":"Ich achtete nicht weiter darauf; allein das Betragen der übrigen wurde nach diesen Hoffnungen nicht wenig gestimmt bei der Festigkeit seines Charakters hatte er sich gewöhnt, in der Unterredung niemand zu widersprechen, vielmehr die Meinung eines jeden freundlich anzuhören, und die Art wie sich jeder eine Sache dachte noch selbst durch Argumente und Beispiele zu erheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1507,"orig":"Wer hn nicht kannte glaubte ſtets mit ihm einerIey Meynung zu ſeyn, denn er hatte einen überwiegenden Verſtand und konnte ſich in alle Vorſtellungsarten verſetzen.","norm":"Wer ihn nicht kannte glaubte stets mit ihm einerlei Meinung zu sein, denn er hatte einen überwiegenden Verstand und konnte sich in alle Vorstellungsarten versetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1508,"orig":"Mit mir ging es ihm nicht ſo glücklich, denn hier war von Empfindungen die Rede, von denen er gar keine Ahndung hatte, und ſo ſchonend, theilnehmend und verſtändig er mit mir über meine Geſinnungen ſprach, ſo war es mir doch auffallend, daß er von dem, worin der Grund aller meiner Handlungen lag, offenbar keinen Begriff hatte.","norm":"Mit mir ging es ihm nicht so glücklich, denn hier war von Empfindungen die Rede, von denen er gar keine Ahnung hatte, und so schonend, teilnehmend und verständig er mit mir über meine Gesinnungen sprach, so war es mir doch auffallend, dass er von dem, worin der Grund aller meiner Handlungen lag, offenbar keinen Begriff hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1509,"orig":"So geheim er übrigens war, entdeckte ſich doch der Entzweck ſeines ungewöhnlichen Auffenthalts bey uns nach einiger Zeit.","norm":"So geheim er übrigens war, entdeckte sich doch der Endzweck seines ungewöhnlichen Aufenthalts bei uns nach einiger Zeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1510,"orig":"Er hatte, wie man endlich bemerken konnte, ſich unter uns die jüngſte Schweſter auserſehen, um ſie nach ſeinem Sinne zu verheirathen und glücklich zu machen; und gewiß ſie konnte nach ihren körperlichen und geiſtigen Gaben, beſonders wenn ſich ein anſehnliches Vermögen noch mit auf die Schaale legte, auf die erſten Partien Anſpruch machen.","norm":"Er hatte, wie man endlich bemerken konnte, sich unter uns die jüngste Schwester ausersehen, um sie nach seinem Sinne zu verheiraten und glücklich zu machen; und gewiss sie konnte nach ihren körperlichen und geistigen Gaben, besonders wenn sich ein ansehnliches Vermögen noch mit auf die Schale legte, auf die ersten Partien Anspruch machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1511,"orig":"Seine Geſinnungen gegen mich gab er gleichfalls pantomimiſch zu erkennen, indem er mir den Platz einer Stiftsdame verſchafte, wovon ich ſehr bald auch die Einkünfte zog.","norm":"Seine Gesinnungen gegen mich gab er gleichfalls pantomimisch zu erkennen, indem er mir den Platz einer Stiftsdame verschaffte, wovon ich sehr bald auch die Einkünfte zog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1512,"orig":"Meine Schweſter war mit ſeiner Fürſorge nicht ſo zufrieden und nicht ſo dankbar wie ich.","norm":"Meine Schwester war mit seiner Fürsorge nicht so zufrieden und nicht so dankbar wie ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1513,"orig":"Sie entdeckte mir eine Herzensangelegenheit, die ſie bisher ſehr weislich verborgen hatte, denn ſie fürchtete wohl, was auch wirklich geſchah, daß ich ihr auf alle mögliche Weiſe die Verbindung mit einem Manne, der ihr nicht hätte gefallen ſollen, widerrathen würde.","norm":"Sie entdeckte mir eine Herzensangelegenheit, die sie bisher sehr weislich verborgen hatte, denn sie fürchtete wohl, was auch wirklich geschah, dass ich ihr auf alle mögliche Weise die Verbindung mit einem Manne, der ihr nicht hätte gefallen sollen, widerraten würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1514,"orig":"Ich that mein möglichſtes, und es gelang mir.","norm":"Ich tat mein möglichstes, und es gelang mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1515,"orig":"Die Abſichten des Oheims waren zu ernſthaft und zu deutlich, und die Ausſicht für meine Schweſter, bey ihrem Weltſinne, ſo reizend, als daß ſie nicht eine Neigung, die ihr Verſtand ſelbſt mißbilligte, aufzugeben Kraft hätte haben ſollen.","norm":"Die Absichten des Oheims waren zu ernsthaft und zu deutlich, und die Aussicht für meine Schwester, bei ihrem Weltsinne, so reizend, als dass sie nicht eine Neigung, die ihr Verstand selbst missbilligte, aufzugeben Kraft hätte haben sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1516,"orig":"Da ſie nun den ſanften Leitungen des Oheims nicht mehr wie bisher auswich, ſo war der Grund zu ſeinem Plane bald gelegt.","norm":"Da sie nun den sanften Leitungen des Oheims nicht mehr wie bisher auswich, so war der Grund zu seinem Plane bald gelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1517,"orig":"Sie ward Hofdame an einem benachbarten Hofe, wo er ſie einer Freundin, die als Oherhofmeiſterin in großem Anſehn ſtand, zur Aufſicht und Ausbildung übergeben konnte.","norm":"Sie wurde Hofdame an einem benachbarten Hofe, wo er sie einer Freundin, die als Oberhofmeisterin in großem Ansehen stand, zur Aufsicht und Ausbildung übergeben konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1518,"orig":"Ich begleitete ſie zu dem Ort ihres neuen Aufenthaltes.","norm":"Ich begleitete sie zu dem Ort ihres neuen Aufenthaltes."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1519,"orig":"Wir konnten beyde mit der Aufnahme, die wir erfuhren, ſehr zufrieden ſeyn, und manchmal mußte ich über die Perſon, die ich nun als Stiftsdame, als junge und fromme Stiftsdame, in der Welt ſpielte, heimlich lächeln.","norm":"Wir konnten beide mit der Aufnahme, die wir erfuhren, sehr zufrieden sein, und manchmal musste ich über die Person, die ich nun als Stiftsdame, als junge und fromme Stiftsdame, in der Welt spielte, heimlich lächeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1520,"orig":"In frühern Zeiten würde ein ſolches Verhältniß mich ſehr verwirrt, ja mir vielleicht den Kopf verrückt haben; nun aber war ich bey allem, was mich umgab, ſehr gelaſſen.","norm":"In früheren Zeiten würde ein solches Verhältnis mich sehr verwirrt, ja mir vielleicht den Kopf verrückt haben; nun aber war ich bei allem, was mich umgab, sehr gelassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1521,"orig":"Ich ließ mich in großer Stille ein paar Stunden friſiren, putzte mich und dachte nichts dabey, als daß ich in meinem Verhältniſſe dieſe Gallalivrée anzuziehen ſchuldig ſey.","norm":"Ich ließ mich in großer Stille ein paar Stunden frisieren, putzte mich und dachte nichts dabei, als dass ich in meinem Verhältnisse diese Galalivree anzuziehen schuldig sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1522,"orig":"In den angefüllten Sälen ſprach ich mit allen und jeden, ohne daß mir irgend eine Geſtalt oder ein Weſen einen ſtarken Eindruck zurück gelaſſen hätte.","norm":"In den angefüllten Sälen sprach ich mit allen und jeden, ohne dass mir irgendeine Gestalt oder ein Wesen einen starken Eindruck zurückgelassen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1523,"orig":"Wenn ich wieder nach Hauſe kam, waren müde Beine meiſt alles Gefühl, was ich mit zurück brachte.","norm":"Wenn ich wieder nach Hause kam, waren müde Beine meist alles Gefühl, was ich mit zurückbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1524,"orig":"Meinem Verſtande nützten die vielen Menſchen, die ich ſah, und als Muſter aller menſchlichen Tugenden eines guten und edlen Betragens lernte ich einige Frauen, beſonders die Oberhofmeiſterin, kennen, unter der meine Schweſter ſich zu bilden das Glück hatte.","norm":"Meinem Verstande nützten die vielen Menschen, die ich sah, und als Muster aller menschlichen Tugenden eines guten und edlen Betragens lernte ich einige Frauen, besonders die Oberhofmeisterin, kennen, unter der meine Schwester sich zu bilden das Glück hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1525,"orig":"Doch fühlte ich bey meiner Rückkunft nicht ſo glückliche körperliche Folgen von dieſer Reiſe.","norm":"Doch fühlte ich bei meiner Rückkunft nicht so glückliche körperliche Folgen von dieser Reise."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1526,"orig":"Bey der größten Enthaltſamkeit und der genauſten Diät war ich doch nicht wie ſonſt Herr von meiner Zeit und meinen Kräften.","norm":"Bei der größten Enthaltsamkeit und der genauesten Diät war ich doch nicht wie sonst Herr von meiner Zeit und meinen Kräften."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1527,"orig":"Nahrung, Bewegung, Aufſtehn und Schlafengehn, Ankleiden und Ausfahren hing nicht wie zu Hauſe von meinem Willen und meinem Empfinden ab.","norm":"Nahrung, Bewegung, Aufstehen und Schlafengehen, Ankleiden und Ausfahren hing nicht wie zu Hause von meinem Willen und meinem Empfinden ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1528,"orig":"Im Laufe des geſelligen Kreiſes darf man nicht ſtocken, ohne unhöflich zu ſeyn, und alles was nöthig war, leiſtete ich gern, weil ich es für Pflicht hielt, weil ich wußte, daß es bald vorüber gehen würde, und weil ich mich geſunder als jemals fühlte.","norm":"Im Laufe des geselligen Kreises darf man nicht stocken, ohne unhöflich zu sein, und alles was nötig war, leistete ich gern, weil ich es für Pflicht hielt, weil ich wusste, dass es bald vorübergehen würde, und weil ich mich gesunder als jemals fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1529,"orig":"Demohngeachtet mußte dieſes fremde unruhige Leben auf mich ſtärker als ich fühlte gewirkt haben.","norm":"Dem ungeachtet musste dieses fremde unruhige Leben auf mich stärker als ich fühlte gewirkt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1530,"orig":"Denn kaum war ich zu Hauſe angekommen und hatte meine Eltern mit einer befriedigenden Erzählung erfreut, ſo überfiel mich ein Blutſturz, der, ob er gleich nicht gefährlich war und ſchnell vorüber ging, doch lange Zeit eine merkliche Schwachheit hinterließ.","norm":"Denn kaum war ich zu Hause angekommen und hatte meine Eltern mit einer befriedigenden Erzählung erfreut, so überfiel mich ein Blutsturz, der, ob er gleich nicht gefährlich war und schnell vorüberging, doch lange Zeit eine merkliche Schwachheit hinterließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1531,"orig":"Hier hatte ich nun wieder eine neue Lektion aufzuſagen.","norm":"Hier hatte ich nun wieder eine neue Lektion aufzusagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1532,"orig":"Ich that es freudig; nichts feſſelte mich an die Welt, und ich war überzeugt, daß ich hier das Rechte niemals finden würde, und ſo war ich in dem heiterſten und ruhigſten Zuſtande, und ward, indem ich Verzicht aufs Leben gethan hatte, beym Leben erhalten.","norm":"Ich tat es freudig; nichts fesselte mich an die Welt, und ich war überzeugt, dass ich hier das Rechte niemals finden würde, und so war ich in dem heitersten und ruhigsten Zustande, und wurde, indem ich Verzicht aufs Leben getan hatte, beim Leben erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1533,"orig":"Eine neue Prüfung hatte ich auszuſtehen, da meine Mutter mit einer drückenden Beſchwerde überfallen wurde, die ſie noch fünf Jahre trug, ehe ſie die Schuld der Natur bezahlte.","norm":"Eine neue Prüfung hatte ich auszustehen, da meine Mutter mit einer drückenden Beschwerde überfallen wurde, die sie noch fünf Jahre trug, ehe sie die Schuld der Natur bezahlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1534,"orig":"In dieſer Zeit gab es manche Übung.","norm":"In dieser Zeit gab es manche Übung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1535,"orig":"Oft wenn ihr die Bangigkeit zu ſtark wurde, ließ ſie uns des Nachts alle vor ihr Bette rufen, um wenigſtens durch unſre Gegenwart zerſtreut, wo nicht gebeſſert zu werden.","norm":"Oft wenn ihr die Bangigkeit zu stark wurde, ließ sie uns des Nachts alle vor ihr Bette rufen, um wenigstens durch unsere Gegenwart zerstreut, wo nicht gebessert zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1536,"orig":"Schwerer, ja kaum zu tragen, war der Druck, als mein Vater auch elend zu werden anfing.","norm":"Schwerer, ja kaum zu tragen, war der Druck, als mein Vater auch elend zu werden anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1537,"orig":"Von Jugend auf hatte er öfters heftige Kopfſchmerzen, die aber aufs längſte nur ſechs und dreißig Stunden anhielten.","norm":"Von Jugend auf hatte er öfters heftige Kopfschmerzen, die aber aufs längste nur sechsunddreißig Stunden anhielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1538,"orig":"Nun aber wurden ſie bleibend und wenn ſie auf einen hohen Grad ſtiegen, ſo zerriß der Jammer mir das Herz.","norm":"Nun aber wurden sie bleibend und wenn sie auf einen hohen Grad stiegen, so zerriss der Jammer mir das Herz."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1539,"orig":"Bey dieſen Stürmen fühlte ich meine körperliche Schwäche am meiſten, weil ſie mich hinderte, meine heiligſten liebſten Pflichten zu erfüllen, oder mir doch ihre Ausübung äußerſt beſchwerlich machte.","norm":"Bei diesen Stürmen fühlte ich meine körperliche Schwäche am meisten, weil sie mich hinderte, meine heiligsten liebsten Pflichten zu erfüllen, oder mir doch ihre Ausübung äußerst beschwerlich machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1540,"orig":"Nun konnte ich mich prüfen, ob auf dem Wege, den ich eingeſchlagen, Wahrheit oder Phantaſie ſey, ob ich vielleicht nur nach andern gedacht, oder ob der Gegenſtand meines Glaubens eine Realität habe, und zu meiner größten Unterſtützung fand ich immer das letzte.","norm":"Nun konnte ich mich prüfen, ob auf dem Wege, den ich eingeschlagen, Wahrheit oder Phantasie sei, ob ich vielleicht nur nach anderen gedacht, oder ob der Gegenstand meines Glaubens eine Realität habe, und zu meiner größten Unterstützung fand ich immer das letztere."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1541,"orig":"Die gerade Richtung meines Herzens zu Gott, der Umgang mit den beloved ones hatte ich geſucht und gefunden und das war was mir alles erleichterte.","norm":"Die gerade Richtung meines Herzens zu Gott, der Umgang mit den beloved ones hatte ich gesucht und gefunden und das war was mir alles erleichterte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1542,"orig":"Wie der Wanderer in den Schatten, ſo eilte meine Seele nach dieſem Schutzort.","norm":"Wie der Wanderer in den Schatten, so eilte meine Seele nach diesem Schutzort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1543,"orig":"Wenn mich alles von außen drückte und kam niemals leer zurück.","norm":"Wenn mich alles von außen drückte und kam niemals leer zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1544,"orig":"In der neuern Zeit haben einige Verfechter der Religion, die mehr Eifer als Gefühl für dieſelbe zu haben ſcheinen, ihre Mitgläubigen aufgefordert, Beyſpiele von wirklichen Gebetserhörungen bekannt zu machen, wahrſcheinlich, weil ſie ſich Brief und Siegel wünſchten, um ihren Gegnern recht diplomatiſch und juriſtiſch zu Leibe zu gehen.","norm":"In der neueren Zeit haben einige Verfechter der Religion, die mehr Eifer als Gefühl für dieselbe zu haben scheinen, ihre Mitgläubigen aufgefordert, Beispiele von wirklichen Gebetserhörungen bekannt zu machen, wahrscheinlich, weil sie sich Brief und Siegel wünschten, um ihren Gegnern recht diplomatisch und juristisch zu Leibe zu gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1545,"orig":"Wie unbekannt muß ihnen das wahre Gefühl ſeyn, und wie wenig ächte Erfahrungen mögen ſie ſelbſt gemacht haben.","norm":"Wie unbekannt muss ihnen das wahre Gefühl sein, und wie wenig echte Erfahrungen mögen sie selbst gemacht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1546,"orig":"Ich darf ſagen, ich kam nie leer zurück, wenn ich unter Druck und Noth Gott geſucht hatte.","norm":"Ich darf sagen, ich kam nie leer zurück, wenn ich unter Druck und Not Gott gesucht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1547,"orig":"Es iſt unendlich viel geſagt, und doch kann und darf ich nicht mehr ſagen.","norm":"Es ist unendlich viel gesagt, und doch kann und darf ich nicht mehr sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1548,"orig":"So wichtig jede Erfahrung in dem kritiſchen Augenblicke für mich war, ſo matt, ſo unbedeutend, unwahrſcheinlich würde die Erzählung werden, wenn ich einzelne Fälle anführen wollte.","norm":"So wichtig jede Erfahrung in dem kritischen Augenblicke für mich war, so matt, so unbedeutend, unwahrscheinlich würde die Erzählung werden, wenn ich einzelne Fälle anführen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1549,"orig":"Wie glücklich war ich, daß tauſend kleine Vorgänge zuſammen, ſo gewiß als das Athemholen Zeichen meines Lebens iſt, mir bewieſen: daß ich nicht ohne Gott auf der Welt ſey.","norm":"Wie glücklich war ich, dass tausend kleine Vorgänge zusammen, so gewiss als das Atemholen Zeichen meines Lebens ist, mir bewiesen: dass ich nicht ohne Gott auf der Welt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1550,"orig":"Er war mir nahe, ich war vor ihm.","norm":"Er war mir nahe, ich war vor ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1551,"orig":"Das iſts, was ich mit gefliſſentlicher Vermeidung aller theologiſchen Syſtemſprache mit größter Wahrheit ſagen kann.","norm":"Das ist es, was ich mit geflissentlicher Vermeidung aller theologischen Systemsprache mit größter Wahrheit sagen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1552,"orig":"Wie ſehr wünſchte ich, daß ich mich auch damals ganz ohne Syſtem befunden hätte; aber wer kommt früh zu dem Glücke, ſich ſeines eigenen Selbſts, ohne fremde Formen in reinen Zuſammenhang bewußt zu ſeyn.","norm":"Wie sehr wünschte ich, dass ich mich auch damals ganz ohne System befunden hätte; aber wer kommt früh zu dem Glücke, sich seines eigenen Selbsts, ohne fremde Formen in reinen Zusammenhang bewusst zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1553,"orig":"Mir war es Ernſt mit meiner Seligkeit.","norm":"Mir war es Ernst mit meiner Seligkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1554,"orig":"Ich vertraute beſcheiden fremdem Anſehn; ich ergab mich völlig dem halliſchen Bekehrungsſyſtem, und mein ganzes Weſen wollte auf keine Wege hineinpaſſen.","norm":"Ich vertraute bescheiden fremdem Ansehen; ich ergab mich völlig dem Hallischen Bekehrungssystem, und mein ganzes Wesen wollte auf keine Wege hineinpassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1555,"orig":"Nach dieſem Lehrplan muß die Veränderung des Herzens mit einem tiefen Schrecken über die Sünde anfangen; das Herz muß in dieſer Noth bald mehr bald weniger die verſchuldete Strafe erkennen und den Vorſchmack der Hölle koſten, der die Luſt der Sünde verbittert.","norm":"Nach diesem Lehrplan muss die Veränderung des Herzens mit einem tiefen Schrecken über die Sünde anfangen; das Herz muss in dieser Not bald mehr bald weniger die verschuldete Strafe erkennen und den Vorschmack der Hölle kosten, der die Lust der Sünde verbittert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1556,"orig":"Endlich muß man eine ſehr merkliche Verſicherung der Gnade fühlen, die aber im Fortgange ſich oft verſteckt und mit Ernſt wieder geſucht werden muß.","norm":"Endlich muss man eine sehr merkliche Versicherung der Gnade fühlen, die aber im Fortgange sich oft versteckt und mit Ernst wieder gesucht werden muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1557,"orig":"Das alles traf bey mir weder nahe noch ferne zu.","norm":"Das alles traf bei mir weder nahe noch ferne zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1558,"orig":"Wenn ich Gott aufrichtig ſuchte, ſo ließ er ſich finden, und hielt mir von vergangenen Dingen nichts vor.","norm":"Wenn ich Gott aufrichtig suchte, so ließ er sich finden, und hielt mir von vergangenen Dingen nichts vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1559,"orig":"Ich ſah hinten nach wohl ein, wo ich unwürdig geweſen und wußte auch, wo ich es noch war; aber die Erkenntniß meiner Gebrechen war ohne alle Angſt.","norm":"Ich sah hintennach wohl ein, wo ich unwürdig gewesen und wusste auch, wo ich es noch war; aber die Erkenntnis meiner Gebrechen war ohne alle Angst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1560,"orig":"Nicht einen Augenblick iſt mir eine Furcht vor der Hölle angekommen, ja die Idee eines böſen Geiſtes und eines Strafund Quälortes nach dem Tode konnte keinesweges in dem Kreiſe meiner Ideen Platz finden.","norm":"Nicht einen Augenblick ist mir eine Furcht vor der Hölle angekommen, ja die Idee eines bösen Geistes und eines Straf- und Quälortes nach dem Tode konnte keineswegs in dem Kreise meiner Ideen Platz finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1561,"orig":"Ich fand die Menſchen, die ohne Gott lebten, deren Herz dem Vertrauen und der Liebe gegen den Unſichtbaren zugeſchloſſen war, ſchon ſo unglücklich, daß eine Hölle und äußere Strafen mir eher für ſie eine Linderung zu verſprechen, als eine Schärfung der Strafe zu drohen ſchienen.","norm":"Ich fand die Menschen, die ohne Gott lebten, deren Herz dem Vertrauen und der Liebe gegen den Unsichtbaren zugeschlossen war, schon so unglücklich, dass eine Hölle und äußere Strafen mir eher für sie eine Linderung zu versprechen, als eine Schärfung der Strafe zu drohen schienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1562,"orig":"Ich durfte nur Menſchen auf dieſer Welt anſehen, die gehäſſigen Gefühlen in ihrem Buſen Raum geben, die ſich gegen das Gute von irgend einer Art verſtocken und ſich und andern das Schlechte aufdringen wollen, die lieber bey Tage die Augen zuſchließen, um nur behaupten zu können, die Sonne gebe keinen Schein von ſich; wie über allen Ausdruck ſchienen mir dieſe Menſchen elend!","norm":"Ich durfte nur Menschen auf dieser Welt ansehen, die gehässigen Gefühlen in ihrem Busen Raum geben, die sich gegen das Gute von irgendeiner Art verstocken und sich und anderen das Schlechte aufdringen wollen, die lieber bei Tage die Augen zuschließen, um nur behaupten zu können, die Sonne gebe keinen Schein von sich; wie über allen Ausdruck schienen mir diese Menschen elend!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1563,"orig":"Wer hätte eine Hölle ſchaffen können, um ihren Zuſtand zu verſchlimmern.","norm":"Wer hätte eine Hölle schaffen können, um ihren Zustand zu verschlimmern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1564,"orig":"Dieſe Gemüthsbeſchaffenheit blieb mir einen Tag wie den andern zehn Jahre lang.","norm":"Diese Gemütsbeschaffenheit blieb mir einen Tag wie den anderen zehn Jahre lang."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1565,"orig":"Sie erhielt ſich durch viele Proben, auch am ſchmerzhaften Sterbebette meiner geliebten Mutter.","norm":"Sie erhielt sich durch viele Proben, auch am schmerzhaften Sterbebette meiner geliebten Mutter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1566,"orig":"Ich war offen genug, um bey dieſer Gelegenheit meine heitere Gemüthsverfaſſung frommen aber ganz ſchulgerechten Leuten nicht zu verbergen, und ich mußte darüber manchen freundſchaftlichen Verweis erdulden.","norm":"Ich war offen genug, um bei dieser Gelegenheit meine heitere Gemütsverfassung frommen aber ganz schulgerechten Leuten nicht zu verbergen, und ich musste darüber manchen freundschaftlichen Verweis erdulden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1567,"orig":"Man meynte mir eben zur rechten Zeit vorzuſtellen, welchen Ernſt man anzuwenden hätte, um in geſunden Tagen einen guten Grund zu legen.","norm":"Man meinte mir eben zur rechten Zeit vorzustellen, welchen Ernst man anzuwenden hätte, um in gesunden Tagen einen guten Grund zu legen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1568,"orig":"An Ernſt wollte ich es auch nicht fehlen laſſen.","norm":"An Ernst wollte ich es auch nicht fehlen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1569,"orig":"Ich ließ mich für den Augenblick überzeugen und wäre um mein Leben gern traurig und voll Schrecken geweſen.","norm":"Ich ließ mich für den Augenblick überzeugen und wäre um mein Leben gern traurig und voll Schrecken gewesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1570,"orig":"Wie verwundert war ich aber, da es ein für allemal nicht möglich war.","norm":"Wie verwundert war ich aber, da es ein für allemal nicht möglich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1571,"orig":"Wenn ich an Gott dachte, war ich heiter und vergnügt, auch bey meiner lieben Mutter ſchmerzensvollen Ende graute mich vor dem Tode nicht.","norm":"Wenn ich an Gott dachte, war ich heiter und vergnügt, auch bei meiner lieben Mutter schmerzensvollen Ende graute mich vor dem Tode nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1572,"orig":"Doch lernte ich vieles und ganz andre Sachen, als meine unberufenen Lehrmeiſter glaubten, in dieſen großen Stunden.","norm":"Doch lernte ich vieles und ganz andere Sachen, als meine unberufenen Lehrmeister glaubten, in diesen großen Stunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1573,"orig":"Nach und nach ward ich an den Einſichten ſo mancher hochberühmten Leute zweifelhaft nnd bewahrte meine Geſinnungen in der Stille.","norm":"Nach und nach wurde ich an den Einsichten so mancher hochberühmten Leute zweifelhaft und bewahrte meine Gesinnungen in der Stille."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1574,"orig":"Eine gewiſſe Freundin, der ich erſt zu viel eingeräumt hatte, wollte ſich immer in meine Angelegenheiten mengen; auch von dieſer war ich genöthigt mich los zu machen, und einſt ſagte ich ihr ganz entſchieden: ſie ſollte ohne Mühe bleiben, ich brauchte ihren Rath nicht; ich kannte meinen Gott und wollte ihn ganz allein zum Führer haben.","norm":"Eine gewisse Freundin, der ich erst zu viel eingeräumt hatte, wollte sich immer in meine Angelegenheiten mengen; auch von dieser war ich genötigt mich loszumachen, und einst sagte ich ihr ganz entschieden: Sie sollte ohne Mühe bleiben, ich brauchte ihren Rat nicht; ich kannte meinen Gott und wollte ihn ganz allein zum Führer haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1575,"orig":"Sie fand ſich ſehr beleidigt und ich glaube, ſie hat mirs nie ganz verziehen.","norm":"Sie fand sich sehr beleidigt und ich glaube, sie hat mir es nie ganz verziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1576,"orig":"Dieſer Entſchluß, mich dem Rathe und der Einwirkung meiner Freunde in geiſtlichen Sachen zu entziehen, hatte die Folge, daß ich auch in äußerlichen Verhältniſſen meinen eigenen Weg zu gehen Muth gewann.","norm":"Dieser Entschluss, mich dem Rate und der Einwirkung meiner Freunde in geistlichen Sachen zu entziehen, hatte die Folge, dass ich auch in äußerlichen Verhältnissen meinen eigenen Weg zu gehen Mut gewann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1577,"orig":"Ohne den Beyſtand meines treuen unſichtbaren Führers hätte es mir übel gerathen können, und noch muß ich über die weiſe und glückliche Leitung erſtaunen.","norm":"Ohne den Beistand meines treuen unsichtbaren Führers hätte es mir übel geraten können, und noch muss ich über die weise und glückliche Leitung erstaunen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1578,"orig":"Niemand wußte eigentlich worauf es bey mir ankam, und ich wußte es ſelbſt nicht.","norm":"Niemand wusste eigentlich worauf es bei mir ankam, und ich wusste es selbst nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1579,"orig":"Das Ding, das noch nie erklärte böſe Ding, das uns von dem Weſen trennt, von dem wir das Leben empfangen haben und aus dem alles, was Leben genannt werden ſoll, ſich unterhalten muß, das Ding das man Sünde nennt, kannte ich noch gar nicht.","norm":"Das Ding, das noch nie erklärte böse Ding, das uns von dem Wesen trennt, von dem wir das Leben empfangen haben und aus dem alles, was Leben genannt werden soll, sich unterhalten muss, das Ding das man Sünde nennt, kannte ich noch gar nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1580,"orig":"In dem Umgange mit dem unſichtbaren Freunde fühlte ich den ſüßeſten Genuß aller meiner Lebenskräfte.","norm":"In dem Umgange mit dem unsichtbaren Freunde fühlte ich den süßesten Genuss aller meiner Lebenskräfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1581,"orig":"Das Verlangen, dieſes Glück immer zu genießen, war ſo groß, daß ich gern unterließ, was dieſen Umgang ſtörte, und hierin war die Erfahrung mein beſter Lehrmeiſter.","norm":"Das Verlangen, dieses Glück immer zu genießen, war so groß, dass ich gern unterließ, was diesen Umgang störte, und hierin war die Erfahrung mein bester Lehrmeister."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1582,"orig":"Allein es ging mir wie den Kranken die keine Arzney haben und ſich mit der Diät zu helfen ſuchen.","norm":"Allein es ging mir wie den Kranken die keine Arznei haben und sich mit der Diät zu helfen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1583,"orig":"Es thut etwas, aber lange nicht genug.","norm":"Es tut etwas, aber lange nicht genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1584,"orig":"In der Einſamkeit konnte ich nicht immer bleiben, ob ich gleich in ihr das beſte Mittel gegen die mir ſo eigene Zerſtreuung der Gedanken fand.","norm":"In der Einsamkeit konnte ich nicht immer bleiben, ob ich gleich in ihr das beste Mittel gegen die mir so eigene Zerstreuung der Gedanken fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1585,"orig":"Kam ich nachher in Getümmel, ſo machte es einen deſto größern Eindruck auf mich.","norm":"Kam ich nachher in Getümmel, so machte es einen desto größeren Eindruck auf mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1586,"orig":"Mein eigentlichſter Vortheil beſtand darin, daß die Liebe zur Stille herrſchend war, und ich mich am Ende immer dahin wieder zurück zog.","norm":"Mein eigentlichster Vorteil bestand darin, dass die Liebe zur Stille herrschend war, und ich mich am Ende immer dahin wieder zurückzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1587,"orig":"Ich erkannte wie in einer Art von Dämmerung, mein Elend und meine Schwäche, und ich ſuchte mir dadurch zu helfen, daß ich mich ſchonte, daß ich mich nicht ausſetzte.","norm":"Ich erkannte wie in einer Art von Dämmerung, mein Elend und meine Schwäche, und ich suchte mir dadurch zu helfen, dass ich mich schonte, dass ich mich nicht aussetzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1588,"orig":"Sieben Jahre lang hatte ich meine diätetiſche Vorſicht ausgeübt.","norm":"Sieben Jahre lang hatte ich meine diätetische Vorsicht ausgeübt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1589,"orig":"Ich hielt mich nicht für ſchlimm und fand meinen Zuſtand wünſchenswerth.","norm":"Ich hielt mich nicht für schlimm und fand meinen Zustand wünschenswert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1590,"orig":"Ohne ſonderbare Umſtände und Verhältniſſe wäre ich auf dieſer Stufe ſtehen geblieben, und ich kam nur auf einem ſonderbaren Wege weiter; gegen den Rath aller meiner Freunde knüpfte ich ein neues Verhältniß an.","norm":"Ohne sonderbare Umstände und Verhältnisse wäre ich auf dieser Stufe stehengeblieben, und ich kam nur auf einem sonderbaren Wege weiter; gegen den Rat aller meiner Freunde knüpfte ich ein neues Verhältnis an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1591,"orig":"Ihre Einwendungen machten mich anfangs ſtutzig.","norm":"Ihre Einwendungen machten mich anfangs stutzig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1592,"orig":"Sogleich wandte ich mich an meinen unſichtbaren Führer, und da dieſer es mir vergönnte, ging ich ohne Bedenken auf meinem Wege fort.","norm":"Sogleich wandte ich mich an meinen unsichtbaren Führer, und da dieser es mir vergönnte, ging ich ohne Bedenken auf meinem Wege fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1593,"orig":"Ein Mann von Geiſt, Herz und Talenten hatte ſich in der Nachbarſchaft angekauft.","norm":"Ein Mann von Geist, Herz und Talenten hatte sich in der Nachbarschaft angekauft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1594,"orig":"Unter den Fremden, die ich kennen lernte, war auch er und ſeine Familie.","norm":"Unter den Fremden, die ich kennen lernte, war auch er und seine Familie."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1595,"orig":"Wir ſtimmten in unſern Sitten, Hausverfaſſungen und Gewohnheiten ſehr überein, und konnten uns daher bald an einander anſchließen.","norm":"Wir stimmten in unseren Sitten, Hausverfassungen und Gewohnheiten sehr überein, und konnten uns daher bald aneinander anschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1596,"orig":"Philo, ſo will ich ihn nennen, war ſchon in gewiſſen Jahren, und meinem Vater, deſſen Kräfte abzunehmen anfingen, in gewiſſen Geſchäften von der größten Beyhülfe.","norm":"Philo, so will ich ihn nennen, war schon in gewissen Jahren, und meinem Vater, dessen Kräfte abzunehmen anfingen, in gewissen Geschäften von der größten Beihilfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1597,"orig":"Er ward bald der innige Freund unſeres Hauſes, und da er, wie er ſagte, an mir eine Perſon fand, die nicht das Ausſchweifende und Leere der großen Welt, und nicht das Trockne und Ängſtliche der Stillen im Lande habe; ſo waren wir bald vertraute Freunde.","norm":"Er wurde bald der innige Freund unseres Hauses, und da er, wie er sagte, an mir eine Person fand, die nicht das Ausschweifende und Leere der großen Welt, und nicht das Trockene und Ängstliche der Stillen im Lande habe; so waren wir bald vertraute Freunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1598,"orig":"Er war mir ſehr angenehm und ſehr brauchbar.","norm":"Er war mir sehr angenehm und sehr brauchbar."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1599,"orig":"Ob ich gleich nicht die mindeſte Anlage noch Neigung hatte, mich in weltliche Geſchäfte zu miſchen und irgend einen Einfluß zu ſuchen; ſo hörte ich doch gerne davon, und wußte gern, was in der Nähe und Ferne vorging.","norm":"Ob ich gleich nicht die mindeste Anlage noch Neigung hatte, mich in weltliche Geschäfte zu mischen und irgendeinen Einfluss zu suchen; so hörte ich doch gerne davon, und wusste gern, was in der Nähe und Ferne vorging."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1600,"orig":"Von weltlichen Dingen liebte ich, mir eine gefühlloſe Deutlichkeit zu verſchaffen.","norm":"Von weltlichen Dingen liebte ich, mir eine gefühllose Deutlichkeit zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1601,"orig":"Emfindung, Innigkeit, Neigung bewahrte ich für meinen Gott, für die meinigen und für meine Freunde.","norm":"Empfindung, Innigkeit, Neigung bewahrte ich für meinen Gott, für die Meinigen und für meine Freunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1602,"orig":"Dieſe letzten waren, wenn ich ſo ſagen darf, auf meine neue Verbindung mit Philo eiferſüchtig, und hatten dabey von mehr als einer Seite Recht, wenn ſie mich hierüber warnten.","norm":"Diese letzten waren, wenn ich so sagen darf, auf meine neue Verbindung mit Philo eifersüchtig, und hatten dabei von mehr als einer Seite Recht, wenn sie mich hierüber warnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1603,"orig":"Ich litt viel in der Stille, denn ich konnte ſelbſt ihre Einwendungen nicht ganz für leer oder eigennützig halten.","norm":"Ich litt viel in der Stille, denn ich konnte selbst ihre Einwendungen nicht ganz für leer oder eigennützig halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1604,"orig":"Ich war von jeher gewohnt, meine Einſichten unterzuordnen, und doch wollte diesmal meine Überzeugung nicht nach.","norm":"Ich war von jeher gewohnt, meine Einsichten unterzuordnen, und doch wollte diesmal meine Überzeugung nicht nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1605,"orig":"Ich flehte zu meinem Gott, auch hier mich zu warnen, zu hindern, zu leiten, und da mich hierauf mein Herz nicht abmahnte, ſo ging ich meinen Pfad getroſt fort.","norm":"Ich flehte zu meinem Gott, auch hier mich zu warnen, zu hindern, zu leiten, und da mich hierauf mein Herz nicht abmahnte, so ging ich meinen Pfad getrost fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1606,"orig":"Philo hatte im Ganzen eine entfernte Ähnlichkeit mit Narciſſen, nur hatte eine fromme Erziehung ſein Gefühl mehr zuſammen gehalten und belebt.","norm":"Philo hatte im Ganzen eine entfernte Ähnlichkeit mit Narzissen, nur hatte eine fromme Erziehung sein Gefühl mehr zusammengehalten und belebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1607,"orig":"Er hatte weniger Eitelkeit, mehr Charakter, und wenn jener in weltlichen Geſchäften fein, genau, anhaltend und unermüdlich war, ſo war dieſer klar, ſcharf, ſchnell, und arbeitete mit einer unglaublichen Leichtigkeit.","norm":"Er hatte weniger Eitelkeit, mehr Charakter, und wenn jener in weltlichen Geschäften fein, genau, anhaltend und unermüdlich war, so war dieser klar, scharf, schnell, und arbeitete mit einer unglaublichen Leichtigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1608,"orig":"Durch ihn erfuhr ich die innerſten Verhältniſſe faſt aller der vornehmen Perſonen, deren Äußeres ich in der Geſellſchaft hatte kennen lernen und ich war froh von meiner Warte dem Getümmel von weiten zuzuſehen.","norm":"Durch ihn erfuhr ich die innersten Verhältnisse fast aller der vornehmen Personen, deren Äußeres ich in der Gesellschaft hatte kennen lernen und ich war froh von meiner Warte dem Getümmel von weiten zuzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1609,"orig":"Philo konnte mir nichts mehr verhehlen; er vertraute mir nach und nach ſeine äußern und innern Verbindungen.","norm":"Philo konnte mir nichts mehr verhehlen; er vertraute mir nach und nach seine äußeren und inneren Verbindungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1610,"orig":"Ich fürchtete für ihn, denn ich ſah gewiſſe Umſtände und Verwickelungen voraus, und das Übel kam ſchneller als ich vermuthet hatte.","norm":"Ich fürchtete für ihn, denn ich sah gewisse Umstände und Verwickelungen voraus, und das Übel kam schneller als ich vermutet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1611,"orig":"Denn er hatte mit gewiſſen Bekenntniſſen immer zurückgehalten und auch zuletzt entdeckte er mir nur ſo viel, daß ich das Schlimmſte vermuthen konnte.","norm":"Denn er hatte mit gewissen Bekenntnissen immer zurückgehalten und auch zuletzt entdeckte er mir nur so viel, dass ich das Schlimmste vermuten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1612,"orig":"Welche Wirkung hatte das auf mein Herz!","norm":"Welche Wirkung hatte das auf mein Herz!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1613,"orig":"Ich gelangte zu Erfahrungen, die mir ganz neu waren.","norm":"Ich gelangte zu Erfahrungen, die mir ganz neu waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1614,"orig":"Ich ſah mit unbeſchreiblicher Wehmuth einen Agathon, der in den Hainen von Delphos erzogen, das Lehrgeld noch ſchuldig war, und es nun mit ſchweren rückſtändigen Zinſen abzahlte, und dieſer Agathon war mein genau verbundener Freund.","norm":"Ich sah mit unbeschreiblicher Wehmut einen Agathon, der in den Hainen von Delphi erzogen, das Lehrgeld noch schuldig war, und es nun mit schweren rückständigen Zinsen abzahlte, und dieser Agathon war mein genau verbundener Freund."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1615,"orig":"Meine Theilnahme war lebhaft und vollkommen; ich litt mit ihm, und wir befanden uns beyde in dem ſonderbarſten Zuſtande.","norm":"Meine Teilnahme war lebhaft und vollkommen; ich litt mit ihm, und wir befanden uns beide in dem sonderbarsten Zustande."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1616,"orig":"Nachdem ich mich lange mit ſeiner Gemüthsverfaſſung beſchäftigt hatte, wendete ſich meine Betrachtung auf mich ſelbſt.","norm":"Nachdem ich mich lange mit seiner Gemütsverfassung beschäftigt hatte, wendete sich meine Betrachtung auf mich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1617,"orig":"Der Gedanke, du biſt nicht beſſer als er, ſtieg wie eine kleine Wolke vor mir auf, breitete ſich nach und nach aus, und verfinſterte meine ganze Seele.","norm":"Der Gedanke, du bist nicht besser als er, stieg wie eine kleine Wolke vor mir auf, breitete sich nach und nach aus, und verfinsterte meine ganze Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1618,"orig":"Nun dachte ich nicht mehr bloß, du biſt nicht beſſer als er; ich fühlte es, und fühlte es ſo, daß ich es nicht noch einmal fühlen möchte:","norm":"Nun dachte ich nicht mehr bloß, du bist nicht besser als er; ich fühlte es, und fühlte es so, dass ich es nicht noch einmal fühlen möchte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1619,"orig":"Und es war kein ſchneller Übergang.","norm":"Und es war kein schneller Übergang."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1620,"orig":"Mehr als ein Jahr mußte ich empfinden, daß wenn mich eine unſichtbare Hand nicht umſchränkt hätte, ich ein Girard, ein Cartouche, ein Damiens und welches Ungeheuer man nennen will, hätte werden können: die Anlage dazu fühlte ich deutlich in meinem Herzen.","norm":"Mehr als ein Jahr musste ich empfinden, dass wenn mich eine unsichtbare Hand nicht umschränkt hätte, ich ein Girard, ein Cartouche, ein Damiens und welches Ungeheuer man nennen will, hätte werden können: Die Anlage dazu fühlte ich deutlich in meinem Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1621,"orig":"Gott welche Entdeckung!","norm":"Gott welche Entdeckung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1622,"orig":"Hatte ich nun bisher die Wirklichkeit der Sünde in mir durch die Erfahrung nicht einmal auf das leiſeſte gewahr werden können; ſo war mir jetzt die Möglichkeit derſelben in der Ahndung aufs ſchrecklichſte deutlich geworden, und doch kannte ich das Übel nicht, ich fürchtete es nur; ich fühlte, daß ich ſchuldig ſeyn könnte, und hatte mich nicht anzuklagen.","norm":"Hatte ich nun bisher die Wirklichkeit der Sünde in mir durch die Erfahrung nicht einmal auf das leiseste gewahr werden können; so war mir jetzt die Möglichkeit derselben in der Ahnung aufs schrecklichste deutlich geworden, und doch kannte ich das Übel nicht, ich fürchtete es nur; ich fühlte, dass ich schuldig sein könnte, und hatte mich nicht anzuklagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1623,"orig":"So tief ich überzeugt war, daß eine ſolche Geiſtesbeſchaffenheit, wofür ich die meinige anerkennen mußte, ſich nicht zu einer Vereinigung mit dem höchſten Weſen, die ich nach dem Tode hofte, ſchicken können; ſo wenig fürchtete ich, in eine ſolche Trennung zu gerathen.","norm":"So tief ich überzeugt war, dass eine solche Geistesbeschaffenheit, wofür ich die meinige anerkennen musste, sich nicht zu einer Vereinigung mit dem höchsten Wesen, die ich nach dem Tode hoffte, schicken können; so wenig fürchtete ich, in eine solche Trennung zu geraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1624,"orig":"Bey allem Böſen, das ich in mir entdeckte, hatte ich ihn lieb und haßte was ich fühlte, ja ich wünſchte es noch ernſtlicher zu haſſen, und mein ganzer Wunſch war, von dieſer Krankheit, und dieſer Anlage zur Krankheit erlöst zu werden, und ich war gewiß, daß mir der große Arzt ſeine Hülfe nicht verſagen würde.","norm":"Bei allem Bösen, das ich in mir entdeckte, hatte ich ihn lieb und hasste was ich fühlte, ja ich wünschte es noch ernstlicher zu hassen, und mein ganzer Wunsch war, von dieser Krankheit, und dieser Anlage zur Krankheit erlöst zu werden, und ich war gewiss, dass mir der große Arzt seine Hilfe nicht versagen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1625,"orig":"Die einzige Frage war: was heilt dieſen Schaden?","norm":"Die einzige Frage war: Was heilt diesen Schaden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1626,"orig":"Tugendübungen?","norm":"Tugendübungen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1627,"orig":"An die konnte ich nicht einmal denken.","norm":"An die konnte ich nicht einmal denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1628,"orig":"Denn zehn Jahre hatte ich ſchon mehr als nur bloße Tugend geübt, und die nun erkannten Greuel hatten dabey tief in meiner Seele verborgen gelegen; hätten ſie nicht auch wie bey David losbrechen können, als er Bathſeba erblickte, und war er nicht auch ein Freund Gottes, und war ich nicht im Innerſten überzeugt, daß Gott mein Freund ſey?","norm":"Denn zehn Jahre hatte ich schon mehr als nur bloße Tugend geübt, und die nun erkannten Gräuel hatten dabei tief in meiner Seele verborgen gelegen; hätten sie nicht auch wie bei David losbrechen können, als er Bathseba erblickte, und war er nicht auch ein Freund Gottes, und war ich nicht im Innersten überzeugt, dass Gott mein Freund sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1629,"orig":"Sollte es alſo wohl eine unvermeidliche Schwäche der Menſchheit ſeyn?","norm":"Sollte es also wohl eine unvermeidliche Schwäche der Menschheit sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1630,"orig":"müſſen wir uns nun gefallen laſſen, daß wir irgend einmal die Herrſchaft unſrer Neigung empfinden, und bleibt uns bey dem beſten Willen nichts anders übrig als den Fall, den wir gethan, zu verabſcheuen, und bey einer ähnlichen Gelegenheit wieder zu fallen?","norm":"Müssen wir uns nun gefallen lassen, dass wir irgendeinmal die Herrschaft unserer Neigung empfinden, und bleibt uns bei dem besten Willen nichts anderes übrig als den Fall, den wir getan, zu verabscheuen, und bei einer ähnlichen Gelegenheit wieder zu fallen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1631,"orig":"Aus der Sittenlehre konnte ich keinen Troſt ſchöpfen.","norm":"Aus der Sittenlehre konnte ich keinen Trost schöpfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1632,"orig":"Weder ihre Strenge, wodurch ſie unſre Neigung bemeiſtern will, noch ihre Gefälligkeit, mit der ſie unſre Neigungen zu Tugenden machen möchte, konnte mir genügen.","norm":"Weder ihre Strenge, wodurch sie unsere Neigung bemeistern will, noch ihre Gefälligkeit, mit der sie unsere Neigungen zu Tugenden machen möchte, konnte mir genügen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1633,"orig":"Die Grundbegriffe die mir der Umgang mit dem unſichtbaren Freunde eingeflößt hatte, hatten für mich ſchon einen viel entſchiedenern Werth.","norm":"Die Grundbegriffe die mir der Umgang mit dem unsichtbaren Freunde eingeflößt hatte, hatten für mich schon einen viel entschiedeneren Wert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1634,"orig":"Indem ich einſt die Lieder ſtudierte, welche David nach jener häßlichen Kataſtrophe gedichtet hatte, war mir ſehr auffallend, daß er das in ihm wohnende Böſe ſchon in dem Stoff, woraus er geworden war, erblickte; daß er aber entſündigt ſeyn wollte, und daß er auf das dringendſte um ein reines Herz flehte.","norm":"Indem ich einst die Lieder studierte, welche David nach jener hässlichen Katastrophe gedichtet hatte, war mir sehr auffallend, dass er das in ihm wohnende Böse schon in dem Stoff, woraus er geworden war, erblickte; dass er aber entsündigt sein wollte, und dass er auf das dringendste um ein reines Herz flehte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1635,"orig":"Wie nun aber dazu zu gelangen?","norm":"Wie nun aber dazu zu gelangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1636,"orig":"Die Antwort aus den ſymboliſchen Büchern wußte ich wohl; es war mir auch eine Bibelwahrheit, daß das Blut Jeſu Chriſti uns von allen Sünden reinige.","norm":"Die Antwort aus den symbolischen Büchern wusste ich wohl; es war mir auch eine Bibelwahrheit, dass das Blut Jesu Christi uns von allen Sünden reinige."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1637,"orig":"Nun aber bemerkte ich erſt, daß ich dieſen ſo oft wiederholten Spruch noch nie verſtanden hatte.","norm":"Nun aber bemerkte ich erst, dass ich diesen so oft wiederholten Spruch noch nie verstanden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1638,"orig":"Die Fragen: was heißt das?","norm":"Die Fragen: Was heißt das?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1639,"orig":"Wie ſoll das zugehen?","norm":"Wie soll das zugehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1640,"orig":"arbeiteten Tag und Nacht in mir ſich durch.","norm":"arbeiteten Tag und Nacht in mir sich durch."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1641,"orig":"Endlich glaubte ich bey einem Schimmer zu ſehen, daß das, was ich ſuchte, in der Menſchwerdung des ewigen Worts, durch das alles und auch wir erſchaffen ſind, zu ſuchen ſey.","norm":"Endlich glaubte ich bei einem Schimmer zu sehen, dass das, was ich suchte, in der Menschwerdung des ewigen Worts, durch das alles und auch wir erschaffen sind, zu suchen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1642,"orig":"Daß der Uranfängliche ſich in die Tiefen, in denen wir ſtecken, die er durchſchaut und umfaßt, einſtmal als Bewohner begeben habe, durch unſer Verhältniß von Stufe zu Stufe von der Empfängnis und Geburt bis zu dem Grabe durchgegangen ſey, daß er durch dieſen ſonderbaren Umweg wieder zu den lichten Höhen aufgeſtiegen, wo wir auch wohnen ſollten, um glücklich zu ſeyn: das ward mir, wie in einer dämmernden Ferne, offenbart.","norm":"Dass der Uranfängliche sich in die Tiefen, in denen wir stecken, die er durchschaut und umfasst, einstmals als Bewohner begeben habe, durch unser Verhältnis von Stufe zu Stufe von der Empfängnis und Geburt bis zu dem Grabe durchgegangen sei, dass er durch diesen sonderbaren Umweg wieder zu den lichten Höhen aufgestiegen, wo wir auch wohnen sollten, um glücklich zu sein: Das wurde mir, wie in einer dämmernden Ferne, offenbart."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1643,"orig":"O warum müſſen wir, um von ſolchen Dingen zu reden, Bilder gebrauchen, die nur äußere Zuſtände anzeigen?","norm":"O warum müssen wir, um von solchen Dingen zu reden, Bilder gebrauchen, die nur äußere Zustände anzeigen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1644,"orig":"Wo iſt vor ihm etwas Hohes oder Tiefes, etwas Dunkles oder Helles; wir nur haben ein Oben und Unten, einen Tag und eine Nacht.","norm":"Wo ist vor ihm etwas Hohes oder Tiefes, etwas Dunkles oder Helles; wir nur haben ein Oben und unten, einen Tag und eine Nacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1645,"orig":"Und eben darum iſt er uns ähnlich geworden, weil wir ſonſt keinen Theil an ihm haben könnten.","norm":"Und eben darum ist er uns ähnlich geworden, weil wir sonst keinen Teil an ihm haben könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1646,"orig":"Wie können wir aber an dieſer unſchätzbaren Wohlthat Theil nehmen?","norm":"Wie können wir aber an dieser unschätzbaren Wohltat teilnehmen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1647,"orig":"Durch den Glauben, antwortet uns die Schrift.","norm":"Durch den Glauben, antwortet uns die Schrift."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1648,"orig":"Was iſt denn Glauben?","norm":"Was ist denn Glauben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1649,"orig":"Die Erzählung einer Begebenheit für wahr zu halten, was kann mir das helfen?","norm":"Die Erzählung einer Begebenheit für wahr zu halten, was kann mir das helfen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1650,"orig":"ich muß mir ihre Wirkungen, ihre Folgen zueignen können.","norm":"Ich muss mir ihre Wirkungen, ihre Folgen zueignen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1651,"orig":"Dieſer zueignende Glaube muß ein eigener, dem natürlichen Menſchen ungewöhnlicher Zuſtand des Gemüths ſeyn.","norm":"Dieser zuzueignende Glaube muss ein eigener, dem natürlichen Menschen ungewöhnlicher Zustand des Gemüts sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1652,"orig":"Nun, Allmächtiger!","norm":"Nun, Allmächtiger!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1653,"orig":"ſo ſchenke mir Glauben, flehte ich einſt in dem größten Druck des Herzens.","norm":"so schenke mir Glauben, flehte ich einst in dem größten Druck des Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1654,"orig":"Ich lehnte mich auf einen kleinen Tiſch, an dem ich ſaß, und verbarg mein bethräntes Geſicht in meinen Händen.","norm":"Ich lehnte mich auf einen kleinen Tisch, an dem ich saß, und verbarg mein beträntes Gesicht in meinen Händen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1655,"orig":"Hier war ich in der Lage, in der man ſeyn muß, wenn Gott auf unſer Gebet achten ſoll, und in der man ſelten iſt.","norm":"Hier war ich in der Lage, in der man sein muss, wenn Gott auf unser Gebet achten soll, und in der man selten ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1656,"orig":"Ja wer nun ſchildern könnte, was ich da fühlte.","norm":"Ja wer nur schildern könnte, was ich da fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1657,"orig":"Ein Zug brachte meine Seele nach dem Kreuze hin, an dem Jeſus einſt erblaßte; ein Zug war es, ich kann es nicht anders nennen; demjenigen völlig gleich, wodurch unſre Seele zu einem abweſenden Geliebten geführt wird, ein Zunahen, das vermuthlich viel weſentlicher und wahrhafter iſt, als wir nicht vermuthen.","norm":"Ein Zug brachte meine Seele nach dem Kreuze hin, an dem Jesus einst erblasste; ein Zug war es, ich kann es nicht anders nennen; demjenigen völlig gleich, wodurch unsere Seele zu einem abwesenden Geliebten geführt wird, ein Zunahen, das vermutlich viel wesentlicher und wahrhafter ist, als wir nicht vermuten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1658,"orig":"So nahte meine Seele dem Menſchgewordnen und am Kreuz geſtorbenen, und in dem Augenblicke wußte ich, was Glauben war.","norm":"So nahte meine Seele dem Menschgewordenen und am Kreuz gestorbenen, und in dem Augenblicke wusste ich, was Glauben war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1659,"orig":"Das iſt Glauben, ſagte ich, und ſprang wie halb erſchreckt in die Höhe.","norm":"Das ist Glauben, sagte ich, und sprang wie halb erschreckt in die Höhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1660,"orig":"Ich ſuchte nun meiner Empfindung, meines Anſchauens gewiß zu werden, und im Kurzen war ich überzeugt, daß mein Geiſt eine Fähigkeit ſich aufzuſchwingen erhalten habe, die ihm ganz neu war.","norm":"Ich suchte nun meiner Empfindung, meines Anschauens gewiss zu werden, und im Kurzen war ich überzeugt, dass mein Geist eine Fähigkeit sich aufzuschwingen erhalten habe, die ihm ganz neu war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1661,"orig":"Bey dieſen Empfindungen verlaſſen uns die Worte.","norm":"Bei diesen Empfindungen verlassen uns die Worte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1662,"orig":"Ich konnte ſie ganz deutlich von aller Phantaſie unterſcheiden; ſie waren ganz ohne Phantaſie, ohne Bild, und gaben doch eben die Gewißheit eines Gegenſtandes, auf den ſie ſich bezogen, als die Einbildungskraft, indem ſie uns die Züge eines abweſenden Geliebten vormahlt.","norm":"Ich konnte sie ganz deutlich von aller Phantasie unterscheiden; sie waren ganz ohne Phantasie, ohne Bild, und gaben doch eben die Gewissheit eines Gegenstandes, auf den sie sich bezogen, als die Einbildungskraft, indem sie uns die Züge eines abwesenden Geliebten vormalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1663,"orig":"Als das erſte Entzücken vorüber war, bemerkte ich, daß mir dieſer Zuſtand der Seele ſchon vorher bekannt geweſen; allein ich hatte ihn nie in dieſer Stärke empfunden.","norm":"Als das erste Entzücken vorüber war, bemerkte ich, dass mir dieser Zustand der Seele schon vorher bekannt gewesen; allein ich hatte ihn nie in dieser Stärke empfunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1664,"orig":"Ich hatte ihn niemals feſt halten, nie zu eigen behalten können.","norm":"Ich hatte ihn niemals festhalten, nie zu eigen behalten können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1665,"orig":"Ich glaube überhaupt, daß jede Menſchenſeele ein und das anderemal davon etwas empfunden hat.","norm":"Ich glaube überhaupt, dass jede Menschenseele ein und das andere Mal davon etwas empfunden hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1666,"orig":"Ohne Zweifel iſt Er das, was einem jeden lehrt, daß ein Gott iſt.","norm":"Ohne Zweifel ist er das, was einem jeden lehrt, dass ein Gott ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1667,"orig":"Mit dieſer mich ehemals von Zeit zu Zeit nur anwandelnden Kraft war ich bisher ſehr zufrieden geweſen, und wäre mir nicht durch ſonderbare Schickung ſeit Jahr und Tag die unerwartete Plage wiederfahren, wäre nicht dabey mein Können und Vermögen bey mir ſelbſt außer allen Credit gekommen, ſo wäre ich vielleicht mit jenem Zuſtande immer zufrieden geblieben.","norm":"Mit dieser mich ehemals von Zeit zu Zeit nur anwandelnden Kraft war ich bisher sehr zufrieden gewesen, und wäre mir nicht durch sonderbare Schickung seit Jahr und Tag die unerwartete Plage widerfahren, wäre nicht dabei mein Können und Vermögen bei mir selbst außer allen Kredit gekommen, so wäre ich vielleicht mit jenem Zustande immer zufrieden geblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1668,"orig":"Nun hatte ich aber ſeit jenem großen Augenblicke Flügel bekommen.","norm":"Nun hatte ich aber seit jenem großen Augenblicke Flügel bekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1669,"orig":"Ich konnte mich über das was mich vorher bedrohete aufſchwingen, wie ein Vogel ſingend über den ſchnellſten Strom ohne Mühe fliegt, vor welchem das Hündchen ängſtlich bellend ſtehen bleibt.","norm":"Ich konnte mich über das was mich vorher bedrohte aufschwingen, wie ein Vogel singend über den schnellsten Strom ohne Mühe fliegt, vor welchem das Hündchen ängstlich bellend stehenbleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1670,"orig":"Meine Freude war unbeſchreiblich, und ob ich gleich niemand etwas davon entdeckte, ſo merkten doch die meinigen eine ungewöhnliche Heiterkeit an mir, ohne begreifen zu können, was die Urſache meines Vergnügens wäre.","norm":"Meine Freude war unbeschreiblich, und ob ich gleich niemand etwas davon entdeckte, so merkten doch die Meinigen eine ungewöhnliche Heiterkeit an mir, ohne begreifen zu können, was die Ursache meines Vergnügens wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1671,"orig":"Hätte ich doch immer geſchwiegen, und die reine Stimmung in meiner Seele zu erhalten geſucht!","norm":"Hätte ich doch immer geschwiegen, und die reine Stimmung in meiner Seele zu erhalten gesucht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1672,"orig":"Hätte ich mich doch nicht durch Umſtände verleiten laſſen, mit meinem Geheimniſſe hervor zu treten; ſo hätte ich mir abermals einen großen Umweg erſparen können.","norm":"Hätte ich mich doch nicht durch Umstände verleiten lassen, mit meinem Geheimnisse hervorzutreten; so hätte ich mir abermals einen großen Umweg ersparen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1673,"orig":"Da in meinem vorhergehenden zehnjährigen Chriſtenlauf dieſe nothwendige Kraft nicht in meiner Seele war, ſo hatte ich mich in dem Fall anderer redlichen Leute auch befunden; ich hatte mir dadurch geholfen, daß ich die Phantaſie immer mit Bildern erfüllte, die einen Bezug auf Gott hatten, und auch dieſes iſt ſchon wahrhaft nützlich; denn ſchädliche Bilder und ihre böſen Folgen werden dadurch abgehalten.","norm":"Da in meinem vorhergehenden zehnjährigen Christenlauf diese notwendige Kraft nicht in meiner Seele war, so hatte ich mich in dem Fall anderer redlichen Leute auch befunden; ich hatte mir dadurch geholfen, dass ich die Phantasie immer mit Bildern erfüllte, die einen Bezug auf Gott hatten, und auch dieses ist schon wahrhaft nützlich; denn schädliche Bilder und ihre bösen Folgen werden dadurch abgehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1674,"orig":"Sodann ergreift unſre Seele oft ein und das andere von den geiſtigen Bildern, und ſchwingt ſich ein wenig damit in die Höhe, wie ein junger Vogel von einem Zweige auf den andern flattert.","norm":"Sodann ergreift unsere Seele oft ein und das andere von den geistigen Bildern, und schwingt sich ein wenig damit in die Höhe, wie ein junger Vogel von einem Zweige auf den anderen flattert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1675,"orig":"So lange man nichts beſſeres hat, iſt doch dieſe Übung nicht ganz zu verwerfen.","norm":"Solange man nichts Besseres hat, ist doch diese Übung nicht ganz zu verwerfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1676,"orig":"Auf Gott zielende Bilder und Eindrücke verſchaffen uns kirchliche Anſtalten, Glocken, Orgeln und Geſänge, und beſonders die Vorträge unſerer Lehrer.","norm":"Auf Gott zielende Bilder und Eindrücke verschaffen uns kirchliche Anstalten, Glocken, Orgeln und Gesänge, und besonders die Vorträge unserer Lehrer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1677,"orig":"Auf ſie war ich ganz unſäglich begierig; keine Witterung, keine körperliche Schwäche hielt mich ab, die Kirchen zu beſuchen, und nur das ſonntägige Geläute konnte mir auf meinem Krankenbette einige Ungeduld verurſachen.","norm":"Auf sie war ich ganz unsäglich begierig; keine Witterung, keine körperliche Schwäche hielt mich ab, die Kirchen zu besuchen, und nur das sonntägige Geläute konnte mir auf meinem Krankenbette einige Ungeduld verursachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1678,"orig":"Unſern Oberhofprediger, der ein trefflicher Mann war, hörte ich mit großer Neigung, auch ſeine Collegen waren mir werth, und ich wußte die goldnen Äpfel des göttlichen Wortes auch aus irdenen Schalen unter gemeinem Obſte heraus zu finden.","norm":"Unseren Oberhofprediger, der ein trefflicher Mann war, hörte ich mit großer Neigung, auch seine Kollegen waren mir wert, und ich wusste die goldenen Äpfel des göttlichen Wortes auch aus irdenen Schalen unter gemeinem Obste herauszufinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1679,"orig":"Den öffentlichen Übungen wurden alle mögliche Privaterbauungen, wie man ſie nennt, hinzugefügt und auch dadurch nur Phantaſie und feinere Sinnlichkeit genährt.","norm":"Den öffentlichen Übungen wurden alle mögliche Privaterbauungen, wie man sie nennt, hinzugefügt und auch dadurch nur Phantasie und feinere Sinnlichkeit genährt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1680,"orig":"Ich war ſo an dieſen Gang gewöhnt, ich reſpectirte ihn ſo ſehr, daß mir auch jetzt nichts höheres einfiel.","norm":"Ich war so an diesen Gang gewöhnt, ich respektierte ihn so sehr, dass mir auch jetzt nichts Höheres einfiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1681,"orig":"Denn meine Seele hat nur Fühlhör ner und keine Augen; ſie taſtet nur und ſieht nicht; ach!","norm":"Denn meine Seele hat nur Fühlhörner und keine Augen; sie tastet nur und sieht nicht; ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1682,"orig":"daß ſie Augen bekäme und ſchauen dürfte!","norm":"dass sie Augen bekäme und schauen dürfte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1683,"orig":"Auch jetzt ging ich voll Verlangen in die Predigten; aber ach!","norm":"Auch jetzt ging ich voll Verlangen in die Predigten; aber ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1684,"orig":"wie geſchahe mir.","norm":"wie geschah mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1685,"orig":"Ich fand das nicht mehr was ich ſonſt gefunden.","norm":"Ich fand das nicht mehr was ich sonst gefunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1686,"orig":"Dieſe Prediger ſtumpften ſich die Zähne an den Schalen ab, indeſſen ich den Kern genoß.","norm":"Diese Prediger stumpften sich die Zähne an den Schalen ab, indessen ich den Kern genoss."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1687,"orig":"Ich mußte ihrer nun bald müde werden; aber mich an den allein zu halten, den ich doch zu finden wußte, dazu war ich zu verwöhnt.","norm":"Ich musste ihrer nun bald müde werden; aber mich an den allein zu halten, den ich doch zu finden wusste, dazu war ich zu verwöhnt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1688,"orig":"Bilder wollte ich haben, äußere Eindrücke bedurfte ich, und glaubte ein reines geiſtiges Bedürfniß zu fühlen.","norm":"Bilder wollte ich haben, äußere Eindrücke bedurfte ich, und glaubte ein reines geistiges Bedürfnis zu fühlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1689,"orig":"Philos Eltern hatten mit der Herrnhuthiſchen Gemeinde in Verbindung geſtanden; in ſeiner Bibliothek fanden ſich noch viele Schriften des Grafen.","norm":"Philos Eltern hatten mit der Herrnhutischen Gemeinde in Verbindung gestanden; in seiner Bibliothek fanden sich noch viele Schriften des Grafen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1690,"orig":"Er hatte mir einigemal ſehr klar und billig darüber geſprochen, und mich erſucht, einige dieſer Schriften durchzublättern, und wäre es auch nur, um ein pſychologiſches Phänomen kennen zu lernen.","norm":"Er hatte mir einige Mal sehr klar und billig darüber gesprochen, und mich ersucht, einige dieser Schriften durchzublättern, und wäre es auch nur, um ein psychologisches Phänomen kennenzulernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1691,"orig":"Ich hielt den Grafen für einen gar zu argen Ketzer; ſo ließ ich auch das Ebersdorfer Geſangbuch bey mir liegen, das mir der Freund in ähnlicher Abſicht gleichſam aufgedrungen hatte.","norm":"Ich hielt den Grafen für einen gar zu argen Ketzer; so ließ ich auch das Ebersdorfer Gesangbuch bei mir liegen, das mir der Freund in ähnlicher Absicht gleichsam aufgedrungen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1692,"orig":"In dem völligen Mangel aller äußeren Ermunterungsmittel ergriff ich wie von ohngefähr das gedachte Geſangbuch, und fand zu meinem Erſtaunen wirklich Lieder darin, die, freylich unter ſehr ſeltſamen Formen, auf dasjenige zu deuten ſchienen, was ich fühlte; die Originalität und Naivität der Ausdrücke zog mich an.","norm":"In dem völligen Mangel aller äußeren Ermunterungsmittel ergriff ich wie von ungefähr das gedachte Gesangbuch, und fand zu meinem Erstaunen wirklich Lieder darin, die, freilich unter sehr seltsamen Formen, auf dasjenige zu deuten schienen, was ich fühlte; die Originalität und Naivität der Ausdrücke zog mich an."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1693,"orig":"Eigene Empfindungen ſchienen auf eine eigene Weiſe ausgedruckt; keine Schulterminologie erinnerte an etwas Steifes oder Gemeines.","norm":"Eigene Empfindungen schienen auf eine eigene Weise ausgedrückt; keine Schulterminologie erinnerte an etwas Steifes oder Gemeines."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1694,"orig":"Ich ward überzeugt, die Leute fühlten was ich fühlte, und ich fand mich nun ſehr glücklich, ein ſolches Verschen ins Gedächtniß zu faſſen und mich einige Tage damit zu tragen.","norm":"Ich wurde überzeugt, die Leute fühlten was ich fühlte, und ich fand mich nun sehr glücklich, ein solches Verschen ins Gedächtnis zu fassen und mich einige Tage damit zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1695,"orig":"Seit jenem Augenblick, in welchem mir das Wahre geſchenkt worden war, verfloſſen auf dieſe Weiſe ohngefähr drey Monate.","norm":"Seit jenem Augenblick, in welchem mir das Wahre geschenkt worden war, verflossen auf diese Weise ungefähr drei Monate."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1696,"orig":"Endlich faßte ich den Entſchluß, meinem Freunde Philo alles zu entdecken, und ihn um die Mittheilung jener Schriften zu bitten, auf die ich nun über die Maßen neugierig geworden war.","norm":"Endlich fasste ich den Entschluss, meinem Freunde Philo alles zu entdecken, und ihn um die Mitteilung jener Schriften zu bitten, auf die ich nun über die Maßen neugierig geworden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1697,"orig":"Ich that es auch wirklich, ohnerachtet mir ein Etwas im Herzen ernſtlich davon abrieth.","norm":"Ich tat es auch wirklich, ungeachtet mir ein Etwas im Herzen ernstlich davon abriet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1698,"orig":"Ich erzählte Philo die ganze Geſchichte umſtändlich, und da er ſelbſt darin eine Hauptperſon war, da meine Erzählung auch für ihn die ſtrengſte Bußpredigt enthielt, war er äußerſt betroffen und gerührt.","norm":"Ich erzählte Philo die ganze Geschichte umständlich, und da er selbst darin eine Hauptperson war, da meine Erzählung auch für ihn die strengste Bußepredigt enthielt, war er äußerst betroffen und gerührt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1699,"orig":"Er zerfloß in Thränen.","norm":"Er zerfloss in Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1700,"orig":"Ich freute mich, und glaubte, auch bey ihm ſey eine völlige Sinnesänderung bewirkt worden.","norm":"Ich freute mich, und glaubte, auch bei ihm sei eine völlige Sinnesänderung bewirkt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1701,"orig":"Er verſorgte mich mit allen Schriften, die ich nur verlangte, und nun hatte ich überflüßige Nahrung für meine Einbildungskraft.","norm":"Er versorgte mich mit allen Schriften, die ich nur verlangte, und nun hatte ich überflüssige Nahrung für meine Einbildungskraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1702,"orig":"Ich machte große Fortſchritte in der Zinzendorfiſchen Art zu denken und zu ſprechen.","norm":"Ich machte große Fortschritte in der Zinzendorfischen Art zu denken und zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1703,"orig":"Man glaube nicht, daß ich die Art und Weiſe des Grafen nicht auch gegenwärtig zu ſchätzen wiſſe, ich laſſe ihm gern Gerechtigkeit wiederfahren; er iſt kein leerer Phantaſt; er ſpricht von großen Wahrheiten meiſt mit einem kühnen Fluge der Einbildungskraft, und die ihn geſchmäht haben, wußten ſeine Eigenſchaften weder zu ſchätzen, noch zu unterſcheiden.","norm":"Man glaube nicht, dass ich die Art und Weise des Grafen nicht auch gegenwärtig zu schätzen wisse, ich lasse ihm gern Gerechtigkeit widerfahren; er ist kein leerer Phantast; er spricht von großen Wahrheiten meist mit einem kühnen Fluge der Einbildungskraft, und die ihn geschmäht haben, wussten seine Eigenschaften weder zu schätzen, noch zu unterscheiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1704,"orig":"Ich gewann ihn unbeſchreiblich lieb.","norm":"Ich gewann ihn unbeschreiblich lieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1705,"orig":"Wäre ich mein eigner Herr geweſen, ſo hätte ich gewiß Vaterland und Freunde verlaſſen, wäre zu ihm gezogen; unfehlbar hätten wir uns verſtanden und ſchwerlich hätten wir uns lange vertragen.","norm":"Wäre ich mein eigener Herr gewesen, so hätte ich gewiss Vaterland und Freunde verlassen, wäre zu ihm gezogen; unfehlbar hätten wir uns verstanden und schwerlich hätten wir uns lange vertragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1706,"orig":"Dank ſey meinem Genius, der mich damals in meiner häuslichen Verfaſſung ſo eingeſchränkt hielt!","norm":"Dank sei meinem Genius, der mich damals in meiner häuslichen Verfassung so eingeschränkt hielt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1707,"orig":"Es war ſchon eine große Reiſe, wenn ich nur in den Hausgarten gehen konnte.","norm":"Es war schon eine große Reise, wenn ich nur in den Hausgarten gehen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1708,"orig":"Die Pflege meines alten und ſchwächlichen Vaters machte mir Arbeit genug, und in den Ergötzungsſtunden war die edle Phantaſie mein Zeitvertreib.","norm":"Die Pflege meines alten und schwächlichen Vaters machte mir Arbeit genug, und in den Ergötzungsstunden war die edle Phantasie mein Zeitvertreib."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1709,"orig":"Der einzige Menſch, den ich ſah, war Philo, den mein Vater ſehr liebte, deſſen offnes Verhältniß zu mir aber durch die letzte Erklärung einigermaßen gelitten hatte.","norm":"Der einzige Mensch, den ich sah, war Philo, den mein Vater sehr liebte, dessen offenes Verhältnis zu mir aber durch die letzte Erklärung einigermaßen gelitten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1710,"orig":"Bey ihm war die Rührung nicht tief gedrungen, und da ihm einige Verſuche, in meiner Sprache zu reden, nicht gelungen waren, ſo vermied er dieſe Materie um ſo leichter, als er durch ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe immer neue Gegenſtände des Geſprächs herbey zu führen wußte.","norm":"Bei ihm war die Rührung nicht tief gedrungen, und da ihm einige Versuche, in meiner Sprache zu reden, nicht gelungen waren, so vermied er diese Materie um so leichter, als er durch seine ausgebreiteten Kenntnisse immer neue Gegenstände des Gesprächs herbeizuführen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1711,"orig":"Ich war alſo eine herrnhuthiſche Schweſter auf meine eigene Hand, und hatte dieſe neue Wendung meines Gemüths und meiner Neigungen beſonders vor dem Oberhofprediger zu verbergen, den ich als meinen Beichtvater zu ſchätzen ſehr Urſache hatte, und deſſen große Verdienſte auch gegenwärtig durch ſeine äußerſte Abneigung gegen die herrnhuthiſche Gemeinde in meinen Augen nicht geſchmälert wurden.","norm":"Ich war also eine herrnhutische Schwester auf meine eigene Hand, und hatte diese neue Wendung meines Gemüts und meiner Neigungen besonders vor dem Oberhofprediger zu verbergen, den ich als meinen Beichtvater zu schätzen sehr Ursache hatte, und dessen große Verdienste auch gegenwärtig durch seine äußerste Abneigung gegen die herrnhutische Gemeinde in meinen Augen nicht geschmälert wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1712,"orig":"Leider ſollte dieſer würdige Mann an mir und andern viele Betrübniß erleben!","norm":"Leider sollte dieser würdige Mann an mir und anderen viele Betrübnis erleben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1713,"orig":"Er hatte vor mehreren Jahren auswärts einen Cavalier als einen redlichen frommen Mann kennen lernen, und war mit ihm, als einem der Gott ernſtlich ſuchte, in einem ununterbrochenen Briefwechſel geblieben.","norm":"Er hatte vor mehreren Jahren auswärts einen Kavalier als einen redlichen frommen Mann kennen lernen, und war mit ihm, als einem der Gott ernstlich suchte, in einem ununterbrochenen Briefwechsel geblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1714,"orig":"Wie ſchmerzhaft war es daher für ſeinen geiſtlichen Führer, als dieſer Cavalier ſich in der Folge mit der herrnhuthiſchen Gemeinde einließ, und ſich lange unter den Brüdern aufhielt; daher jener eifrige Mann, als ſein Freund ſich mit den Brüdern wieder entzweyte, in ſeiner Nähe zu wohnen ſich entſchloß, und ſich ſeiner Leitung aufs neue völlig zu überlaſſen ſchien.","norm":"Wie schmerzhaft war es daher für seinen geistlichen Führer, als dieser Kavalier sich in der Folge mit der herrnhutischen Gemeinde einließ, und sich lange unter den Brüdern aufhielt; daher jener eifrige Mann, als sein Freund sich mit den Brüdern wieder entzweite, in seiner Nähe zu wohnen sich entschloss, und sich seiner Leitung aufs neue völlig zu überlassen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1715,"orig":"Nun wurde der Neuangekommene gleichſam im Triumph allen beſonders geliebten Schäfchen des Oberhirten vorgeſtellt.","norm":"Nun wurde der Neuangekommene gleichsam im Triumph allen besonders geliebten Schäfchen des Oberhirten vorgestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1716,"orig":"Nur in unſer Haus ward er nicht eingeführt, weil mein Vater niemand mehr zu ſehen pflegte.","norm":"Nur in unser Haus wurde er nicht eingeführt, weil mein Vater niemand mehr zu sehen pflegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1717,"orig":"Der Cavalier fand große Approbation; er hatte das Geſittete des Hofs und das Einnehmende der Gemeinde, dabey viel ſchöne natürliche Eigenſchaften, und ward bald der große Heilige für alle, die ihn kennen lernten, worüber ſich ſein geiſtlicher Gönner äuſſerſt freute.","norm":"Der Kavalier fand große Approbation; er hatte das Gesittete des Hofs und das Einnehmende der Gemeinde, dabei viel schöne natürliche Eigenschaften, und wurde bald der große Heilige für alle, die ihn kennen lernten, worüber sich sein geistlicher Gönner äußerst freute."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1718,"orig":"Leider war jener nur über äuſſere Umſtände mit der Gemeine brouillirt, und im Herzen noch ganz Herrnhuther.","norm":"Leider war jener nur über äußere Umstände mit der Gemeinde brouilliert, und im Herzen noch ganz Herrnhuter."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1719,"orig":"Er hing wirklich an der Realität der Sache, allein auch ihm war das Tändelwerk, das der Graf darum gehängt hatte, höchſt angemeſſen.","norm":"Er hing wirklich an der Realität der Sache, allein auch ihm war das Tändelwerk, das der Graf darum gehängt hatte, höchst angemessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1720,"orig":"Er war an jene Vorſtellungs- und Redensarten nun einmal gewöhnt, und wenn er ſich nunmehr vor ſeinem alten Freunde ſorgfältig verbergen mußte, ſo war es ihm deſto nothwendiger, ſo bald er ein Häufchen vertrauter Perſonen um ſich erblickte, mit ſeinen Verschen, Litaneyen und Bilderchen hervor zu rücken, und er fand, wie man denken kann, großen Beyfall.","norm":"Er war an jene Vorstellungs- und Redensarten nun einmal gewöhnt, und wenn er sich nunmehr vor seinem alten Freunde sorgfältig verbergen musste, so war es ihm desto notwendiger, sobald er ein Häufchen vertrauter Personen um sich erblickte, mit seinen Verschen, Litaneien und Bilderchen hervorzurücken, und er fand, wie man denken kann, großen Beifall."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1721,"orig":"Ich wußte von der ganzen Sache nichts, und tändelte auf meine eigene Art fort.","norm":"Ich wusste von der ganzen Sache nichts, und tändelte auf meine eigene Art fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1722,"orig":"Lange Zeit blieben wir uns unbekannt.","norm":"Lange Zeit blieben wir uns unbekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1723,"orig":"Einſt beſuchte ich, in einer freyen Stunde, eine kranke Freundin.","norm":"Einst besuchte ich, in einer freien Stunde, eine kranke Freundin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1724,"orig":"Ich traf mehrere Bekannte dort an, und merkte bald, daß ich ſie in einer Unterredung geſtöhrt hatte.","norm":"Ich traf mehrere Bekannte dort an, und merkte bald, dass ich sie in einer Unterredung gestört hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1725,"orig":"Ich ließ mir nichts merken; erblickte aber, zu meiner großen Verwunderung, an der Wand einige herrnhuthiſche Bilder, in zierlichen Rahmen.","norm":"Ich ließ mir nichts merken; erblickte aber, zu meiner großen Verwunderung, an der Wand einige herrnhutische Bilder, in zierlichen Rahmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1726,"orig":"Ich faßte geſchwinde, was in der Zeit, da ich nicht im Hauſe geweſen, vorgegangen ſeyn mochte, und bewillkommte dieſe neue Erſcheinung mit einigen angemeſſenen Verſen.","norm":"Ich fasste geschwinde, was in der Zeit, da ich nicht im Hause gewesen, vorgegangen sein mochte, und bewillkommte diese neue Erscheinung mit einigen angemessenen Versen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1727,"orig":"Man denke ſich das Erſtaunen meiner Freundinnen.","norm":"Man denke sich das Erstaunen meiner Freundinnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1728,"orig":"Wir erklärten uns, und waren auf der Stelle einig und vertraut.","norm":"Wir erklärten uns, und waren auf der Stelle einig und vertraut."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1729,"orig":"Ich ſuchte nun öfter Gelegenheit auszugehn.","norm":"Ich suchte nun öfter Gelegenheit auszugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1730,"orig":"Leider fand ich ſie nur alle drey bis vier Wochen, ward mit dem adelichen Apoſtel und nach und nach mit der ganzen heimlichen Gemeinde bekannt.","norm":"Leider fand ich sie nur alle drei bis vier Wochen, wurde mit dem adeligen Apostel und nach und nach mit der ganzen heimlichen Gemeinde bekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1731,"orig":"Ich beſuchte, wenn ich konnte, ihre Verſammlungen, und bey meinem geſelligen Sinn war es mir unendlich angenehm, das von andern zu vernehmen und andern mitzutheilen, was ich nur biſher in und mit mir ſelbſt ausgearbeitet hatte.","norm":"Ich besuchte, wenn ich konnte, ihre Versammlungen, und bei meinem geselligen Sinn war es mir unendlich angenehm, das von anderen zu vernehmen und anderen mitzuteilen, was ich nur bisher in und mit mir selbst ausgearbeitet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1732,"orig":"Ich war nicht ſo eingenommen, daß ich nicht bemerkt hätte, wie nur wenige den Sinn der zarten Worte und Ausdrücke fühlten, und wie ſie dadurch auch nicht mehr, als ehemals durch die kirchlich ſymboliſche Sprache, gefördert waren.","norm":"Ich war nicht so eingenommen, dass ich nicht bemerkt hätte, wie nur wenige den Sinn der zarten Worte und Ausdrücke fühlten, und wie sie dadurch auch nicht mehr, als ehemals durch die kirchlich symbolische Sprache, gefördert waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1733,"orig":"Demohngeachtet ging ich mit ihnen fort, und ließ mich nicht irre machen.","norm":"Dem ungeachtet ging ich mit ihnen fort, und ließ mich nicht irremachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1734,"orig":"Ich dachte, daß ich nicht zur Unterſuchung und Herzensprüfung berufen ſey.","norm":"Ich dachte, dass ich nicht zur Untersuchung und Herzensprüfung berufen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1735,"orig":"War ich doch auch durch manche unſchuldige Übung zum Beſſeren vorbereitet worden.","norm":"War ich doch auch durch manche unschuldige Übung zum Besseren vorbereitet worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1736,"orig":"Ich nahm meinen Theil hinweg, drang, wo ich zur Rede kam, auf den Sinn, der bey ſo zarten Gegenſtänden eher durch Worte verſteckt als angedeutet wird, und ließ übrigens mit ſtiller Verträglichkeit einen jeden nach ſeiner Art gewähren.","norm":"Ich nahm meinen Teil hinweg, drang, wo ich zur Rede kam, auf den Sinn, der bei so zarten Gegenständen eher durch Worte versteckt als angedeutet wird, und ließ übrigens mit stiller Verträglichkeit einen jeden nach seiner Art gewähren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1737,"orig":"Auf dieſe ruhigen Zeiten des heimlichen geſellſchaftlichen Genuſſes, folgten bald die Stürme öffentlicher Streitigkeiten und Widerwärtigkeiten, die am Hofe und in der Stadt große Bewegungen erregten, und ich möchte beynahe ſagen, manches Skandal verurſachten.","norm":"Auf diese ruhigen Zeiten des heimlichen gesellschaftlichen Genusses, folgten bald die Stürme öffentlicher Streitigkeiten und Widerwärtigkeiten, die am Hofe und in der Stadt große Bewegungen erregten, und ich möchte beinahe sagen, manches Skandal verursachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1738,"orig":"Der Zeitpunct war gekommen, in welchem unſer Oberhofprediger, dieſer große Widerſacher der herrnhuthiſchen Gemeinde, zu ſeiner geſegneten Demüthigung entdecken ſollte, daß ſeine beſten und ſonſt anhänglichſten Zuhörer ſich ſämmtlich auf die Seite der Gemeinde neigten.","norm":"Der Zeitpunkt war gekommen, in welchem unser Oberhofprediger, dieser große Widersacher der herrnhutischen Gemeinde, zu seiner gesegneten Demütigung entdecken sollte, dass seine besten und sonst anhänglichsten Zuhörer sich sämtlich auf die Seite der Gemeinde neigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1739,"orig":"Er war äußerſt gekränkt, vergaß im erſten Augenblicke alle Mäßigung und konnte in der Folge ſich nicht, ſelbſt wenn er gewollt hätte, zurück ziehn.","norm":"Er war äußerst gekränkt, vergaß im ersten Augenblicke alle Mäßigung und konnte in der Folge sich nicht, selbst wenn er gewollt hätte, zurückziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1740,"orig":"Es gab heftige Debatten, bey denen ich glücklicher weiſe nicht genannt wurde, da ich nur ein zufälliges Mitglied der ſo ſehr verhaßten Zuſammenkünfte war, und unſer eifriger Führer meinen Vater und meinen Freund in bürgerlichen Angelegenheiten nicht entbehren konnte.","norm":"Es gab heftige Debatten, bei denen ich glücklicherweise nicht genannt wurde, da ich nur ein zufälliges Mitglied der so sehr verhassten Zusammenkünfte war, und unser eifriger Führer meinen Vater und meinen Freund in bürgerlichen Angelegenheiten nicht entbehren konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1741,"orig":"Ich erhielt meine Neutralität mit ſtiller Zufriedenheit; denn von ſolchen Empfindungen und Gegenſtänden mich ſelbſt mit wohlwollenden Menſchen zu unterhalten, war mir ſchon verdrießlich, wenn ſie den tiefſten Sinn nicht faſſen konnten, und nur auf der Oberfläche verweilten.","norm":"Ich erhielt meine Neutralität mit stiller Zufriedenheit; denn von solchen Empfindungen und Gegenständen mich selbst mit wohlwollenden Menschen zu unterhalten, war mir schon verdrießlich, wenn sie den tiefsten Sinn nicht fassen konnten, und nur auf der Oberfläche verweilten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1742,"orig":"Nun aber gar über das mit Widerſachern zu ſtreiten, worüber man ſich kaum mit Freunden verſtund, ſchien mir unnütz, ja verderblich.","norm":"Nun aber gar über das mit Widersachern zu streiten, worüber man sich kaum mit Freunden verstand, schien mir unnütz, ja verderblich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1743,"orig":"Denn bald konnte ich bemerken, daß liebevolle edle Menſchen, die in dieſem Falle ihr Herz von Widerwillen und Haß nicht rein halten konnten, gar bald zur Ungerechtigkeit übergingen, und, um eine äußere Form zu vertheidigen, ihr beſtes Innerſtes beynah zerſtöhrten.","norm":"Denn bald konnte ich bemerken, dass liebevolle edle Menschen, die in diesem Falle ihr Herz von Widerwillen und Hass nicht rein halten konnten, gar bald zur Ungerechtigkeit übergingen, und, um eine äußere Form zu verteidigen, ihr bestes Innerstes beinahe zerstörten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1744,"orig":"So ſehr auch der würdige Mann in dieſem Falle Unrecht haben mochte, und ſo ſehr man mich auch gegen ihn aufzubringen ſuchte; konnte ich ihm doch niemals eine herzliche Achtung verſagen.","norm":"So sehr auch der würdige Mann in diesem Falle Unrecht haben mochte, und so sehr man mich auch gegen ihn aufzubringen suchte; konnte ich ihm doch niemals eine herzliche Achtung versagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1745,"orig":"Ich kannte ihn genau; ich konnte mich in ſeine Art, dieſe Sachen anzuſehen, mit Billigkeit verſetzen.","norm":"Ich kannte ihn genau; ich konnte mich in seine Art, diese Sachen anzusehen, mit Billigkeit versetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1746,"orig":"Ich hatte niemals einen Menſchen ohne Schwäche geſehen, nur iſt ſie auffallender bey vorzüglichen Menſchen.","norm":"Ich hatte niemals einen Menschen ohne Schwäche gesehen, nur ist sie auffallender bei vorzüglichen Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1747,"orig":"Wir wünſchen und wollen nun ein für alle mal, daß die, die ſo ſehr privilegirt ſind, auch gar keinen Tribut, keine Abgaben zahlen ſollen.","norm":"Wir wünschen und wollen nun ein für allemal, dass die, die so sehr privilegiert sind, auch gar keinen Tribut, keine Abgaben zahlen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1748,"orig":"Ich ehrte ihn als einen vorzüglichen Mann, und hoffte den Einfluß meiner ſtillen Neutralität, wo nicht zu einem Frieden, doch zu einem Waffenſtillſtande zu nutzen.","norm":"Ich ehrte ihn als einen vorzüglichen Mann, und hoffte den Einfluss meiner stillen Neutralität, wo nicht zu einem Frieden, doch zu einem Waffenstillstand zu nutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1749,"orig":"Ich weiß nicht, was ich bewirkt hätte;","norm":"Ich weiß nicht, was ich bewirkt hätte;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1750,"orig":"Gott faßte die Sache kürzer, und nahm ihn zu ſich.","norm":"Gott fasste die Sache kürzer, und nahm ihn zu sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1751,"orig":"Bey ſeiner Bahre weinten alle, die noch kurz vorher um Worte mit ihm geſtritten hatten.","norm":"Bei seiner Bahre weinten alle, die noch kurz vorher um Worte mit ihm gestritten hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1752,"orig":"Seine Rechtſchaffenheit, ſeine Gottesfurcht hatte niemals jemand bezweifelt.","norm":"Seine Rechtschaffenheit, seine Gottesfurcht hatte niemals jemand bezweifelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1753,"orig":"Auch ich mußte um dieſe Zeit das Puppenwerk aus den Händen legen, das mir durch dieſe Streitigkeiten gewiſſermaßen in einem andern Lichte erſchienen war.","norm":"Auch ich musste um diese Zeit das Puppenwerk aus den Händen legen, das mir durch diese Streitigkeiten gewissermaßen in einem anderen Lichte erschienen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1754,"orig":"Der Oheim hatte ſeine Plane auf meine Schweſter in der Stille durchgeführt.","norm":"Der Oheim hatte seine Plane auf meine Schwester in der Stille durchgeführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1755,"orig":"Er ſtellte ihr einen jungen Mann von Stande und Vermögen als ihren Bräutigam vor, und zeigte ſich in einer reichlichen Ausſteuer, wie man es von ihm erwarten konnte.","norm":"Er stellte ihr einen jungen Mann von Stande und Vermögen als ihren Bräutigam vor, und zeigte sich in einer reichlichen Aussteuer, wie man es von ihm erwarten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1756,"orig":"Mein Vater willigte mit Freuden ein, die Schweſter war frey und vorbereitet, und veränderte gerne ihren Stand.","norm":"Mein Vater willigte mit Freuden ein, die Schwester war frei und vorbereitet, und veränderte gerne ihren Stand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1757,"orig":"Die Hochzeit wurde auf des Oheims Schloß ausgerichtet, Familie und Freunde waren eingeladen, und wir kamen alle mit heiterm Geiſte.","norm":"Die Hochzeit wurde auf des Oheims Schloss ausgerichtet, Familie und Freunde waren eingeladen, und wir kamen alle mit heiterem Geiste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1758,"orig":"Zum erſtenmal in meinem Leben erregte mir der Eintritt in ein Haus Bewunderung.","norm":"Zum ersten Mal in meinem Leben erregte mir der Eintritt in ein Haus Bewunderung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1759,"orig":"Ich hatte wohl oft von des Oheims Geſchmack, von ſeinem italiäniſchen Baumeiſter, von ſeinen Sammlungen und ſeiner Bibliothek reden hören; ich verglich aber das alles mit dem, was ich ſchon geſehen hatte, und machte mir ein ſehr buntes Bild davon in Gedanken.","norm":"Ich hatte wohl oft von des Oheims Geschmack, von seinem italienischen Baumeister, von seinen Sammlungen und seiner Bibliothek reden hören; ich verglich aber das alles mit dem, was ich schon gesehen hatte, und machte mir ein sehr buntes Bild davon in Gedanken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1760,"orig":"Wie verwundert war ich daher über den ernſten und harmoniſchen Eindruck, den ich beym Eintritt in das Haus empfand, und der ſich in jedem Saal und Zimmer verſtärkte.","norm":"Wie verwundert war ich daher über den ernsten und harmonischen Eindruck, den ich beim Eintritt in das Haus empfand, und der sich in jedem Saal und Zimmer verstärkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1761,"orig":"Hatte Pracht und Zierrath mich ſonſt nur zerſtreut; ſo fühlte ich mich hier geſammlet und auf mich ſelbſt zurück geführt.","norm":"Hatte Pracht und Zierrat mich sonst nur zerstreut; so fühlte ich mich hier gesammelt und auf mich selbst zurückgeführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1762,"orig":"Auch in allen Anſtalten zu Feierlichkeiten und Feſten erregten Pracht und Würde ein ſtilles Gefallen, und es war mir eben ſo unbegreiflich, daß Ein Menſch das alles hätte erfinden und anordnen können, als daß mehrere ſich vereinigen könnten, um in einem ſo großen Sinne zuſammen zu wirken.","norm":"Auch in allen Anstalten zu Feierlichkeiten und Festen erregten Pracht und Würde ein stilles Gefallen, und es war mir ebenso unbegreiflich, dass ein Mensch das alles hätte erfinden und anordnen können, als dass mehrere sich vereinigen könnten, um in einem so großen Sinne zusammenzuwirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1763,"orig":"Und bey dem allen ſchienen der Wirth und die Seinigen ſo natürlich; es war keine Spur von Steifheit noch von leerem Ceremoniel zu bemerken.","norm":"Und bei dem allen schienen der Wirt und die Seinigen so natürlich; es war keine Spur von Steifheit noch von leerem Zeremoniell zu bemerken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1764,"orig":"Die Trauung ſelbſt ward unvermuthet auf eine herzliche Art eingeleitet, eine vortrefliche Vocalmuſik überraſchte uns, und der Geiſtliche wußte dieſer Ceremonie alle Feierlichkeit der Wahrheit zu geben.","norm":"Die Trauung selbst wurde unvermutet auf eine herzliche Art eingeleitet, eine vortreffliche Vokalmusik überraschte uns, und der Geistliche wusste dieser Zeremonie alle Feierlichkeit der Wahrheit zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1765,"orig":"Ich ſtand neben Philo, und ſtatt mir Glück zu wünſchen, ſagte er mit einem tiefen Seufzer: als ich die Schweſter ſah die Hand hingeben, war mir’s, als ob man mich mit ſiedheißen Waſſer begoſſen hätte.","norm":"Ich stand neben Philo, und statt mir Glück zu wünschen, sagte er mit einem tiefen Seufzer: Als ich die Schwester sah die Hand hingeben, war mir es, als ob man mich mit siedeheißen Wasser begossen hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1766,"orig":"Warum?","norm":"Warum?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1767,"orig":"fragte ich.","norm":"fragte ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1768,"orig":"Es iſt mir allezeit ſo, wenn ich eine Copulation anſehe, verſetzte er.","norm":"Es ist mir allezeit so, wenn ich eine Kopulation ansehe, versetzte er."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1769,"orig":"Ich lachte über ihn, und habe nachher oft genug an ſeine Worte zu denken gehabt.","norm":"Ich lachte über ihn, und habe nachher oft genug an seine Worte zu denken gehabt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1770,"orig":"Die Heiterkeit der Geſellſchaft, worunter viel junge Leute waren, ſchien noch einmal ſo glänzend, indem alles, was uns umgab, würdig und ernſthaft war.","norm":"Die Heiterkeit der Gesellschaft, worunter viel junge Leute waren, schien noch einmal so glänzend, indem alles, was uns umgab, würdig und ernsthaft war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1771,"orig":"Aller Hausrath, Tafelzeug, Service und Tiſchaufſätze ſtimmten zu dem Ganzen, und wenn mir ſonſt die Baumeiſter mit den Conditorn aus einer Schule entſprungen zu ſeyn ſchienen; ſo war hier Conditor nnd Tafeldecker bey dem Architekten in die Schule gegangen.","norm":"Aller Hausrat, Tafelzeug, Service und Tischaufsätze stimmten zu dem Ganzen, und wenn mir sonst die Baumeister mit den Konditoren aus einer Schule entsprungen zu sein schienen; so war hier Konditor und Tafeldecker bei dem Architekten in die Schule gegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1772,"orig":"Da man mehrere Tage zuſammen blieb, hatte der geiſtreiche und verſtändige Wirth für die Unterhaltung der Geſellſchaft auf das mannigfaltigſte geſorgt.","norm":"Da man mehrere Tage zusammenblieb, hatte der geistreiche und verständige Wirt für die Unterhaltung der Gesellschaft auf das mannigfaltigste gesorgt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1773,"orig":"Ich wiederholte hier nicht die traurige Erfahrung, die ich ſo oft in meinem Leben gehabt hatte, wie übel eine große gemiſchte Geſellſchaft ſich befinde, die ſich ſelbſt überlaſſen zu den allgemeinſten und ſchalſten Zeitvertreiben greifen muß, damit ja eher die guten als die ſchlechten Subjecte Mangel der Unterhaltung fühlen.","norm":"Ich wiederholte hier nicht die traurige Erfahrung, die ich so oft in meinem Leben gehabt hatte, wie übel eine große gemischte Gesellschaft sich befinde, die sich selbst überlassen zu den allgemeinsten und schalsten Zeitvertreiben greifen muss, damit ja eher die guten als die schlechten Subjekte Mangel der Unterhaltung fühlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1774,"orig":"Ganz anders hatte es der Oheim veranſtaltet.","norm":"Ganz anders hatte es der Oheim veranstaltet."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1775,"orig":"Er hatte zwey bis drey Marſchälle, wenn ich ſie ſo nennen darf, beſtellt; der eine hatte für die Freuden der jungen Welt zu ſorgen.","norm":"Er hatte zwei bis drei Marschälle, wenn ich sie so nennen darf, bestellt; der eine hatte für die Freuden der jungen Welt zu Sorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1776,"orig":"Tänze, Spazierfahrten, kleine Spiele waren von ſeiner Erfindung, und ſtanden unter ſeiner Direction, und da junge Leute gern im Freyen leben, und die Einflüſſe der Luft nicht ſcheuen; ſo war ihnen der Garten und der große Gartenſaal übergeben, an den zu dieſem Endzwecke noch einige Galerien und Pavillons angebauet waren, zwar nur von Brettern und Leinwand aber in ſo edlen Verhältniſſen, daß man nur an Stein und Marmor dabey erinnert ward.","norm":"Tänze, Spazierfahrten, kleine Spiele waren von seiner Erfindung, und standen unter seiner Direktion, und da junge Leute gern im Freien leben, und die Einflüsse der Luft nicht scheuen; so war ihnen der Garten und der große Gartensaal übergeben, an den zu diesem Endzwecke noch einige Galerien und Pavillons angebaut waren, zwar nur von Brettern und Leinwand aber in so edlen Verhältnissen, dass man nur an Stein und Marmor dabei erinnert wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1777,"orig":"Wie ſelten iſt eine Fete, wobey derjenige, der die Gäſte zuſammen beruft, auch die Schuldigkeit empfindet, für ihre Bedürfniſſe und Bequemlichkeiten auf alle Weiſe zu ſorgen.","norm":"Wie selten ist eine Fete, wobei derjenige, der die Gäste zusammenberuft, auch die Schuldigkeit empfindet, für ihre Bedürfnisse und Bequemlichkeiten auf alle Weise zu Sorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1778,"orig":"Jagd und Spielparthien, kurze Promenaden, Gelegenheiten zu vertraulichen einſamen Geſprächen waren für die ältern Perſonen bereitet, und derjenige, der am frühſten zu Bette ging, war auch gewiß am weiteſten von allem Lärm einquartirt.","norm":"Jagd und Spielpartien, kurze Promenaden, Gelegenheiten zu vertraulichen einsamen Gesprächen waren für die älteren Personen bereitet, und derjenige, der am frühsten zu Bette ging, war auch gewiss am weitesten von allem Lärm einquartiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1779,"orig":"Durch dieſe gute Ordnung ſchien der Raum, in dem wir uns befanden, eine kleine Welt zu ſeyn, und doch, wenn man es bey nahem betrachtete, war das Schloß nicht groß, und man würde ohne genaue Kenntniß deſſelben und ohne den Geiſt des Wirthes wohl ſchwerlich ſo viele Leute darin beherbergt, und jeden nach ſeiner Art bewirthet haben.","norm":"Durch diese gute Ordnung schien der Raum, in dem wir uns befanden, eine kleine Welt zu sein, und doch, wenn man es bei nahem betrachtete, war das Schloss nicht groß, und man würde ohne genaue Kenntnis desselben und ohne den Geist des Wirtes wohl schwerlich so viele Leute darin beherbergt, und jeden nach seiner Art bewirtet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1780,"orig":"So angenehm uns der Anblick eines wohlgeſtalteten Menſchen iſt, ſo angenehm iſt uns eine ganze Einrichtung, aus der uns die Gegenwart eines verſtändigen, vernünftigen Weſens fühlbar wird.","norm":"So angenehm uns der Anblick eines wohlgestalteten Menschen ist, so angenehm ist uns eine ganze Einrichtung, aus der uns die Gegenwart eines verständigen, vernünftigen Wesens fühlbar wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1781,"orig":"Schon in ein reinliches Haus zu kommen, iſt eine Freude, wenn es auch ſonſt geſchmacklos gebauet und verziert iſt; denn es zeigt uns die Gegenwart wenigſtens von Einer Seite gebildeter Menſchen.","norm":"Schon in ein reinliches Haus zu kommen, ist eine Freude, wenn es auch sonst geschmacklos gebaut und verziert ist; denn es zeigt uns die Gegenwart wenigstens von Einer Seite gebildeter Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1782,"orig":"Wie doppelt angenehm iſt es uns alſo, wenn aus einer menſchlichen Wohnung uns der Geiſt einer höhern, obgleich auch nur ſinnlichen, Kultur entgegen ſpricht!","norm":"Wie doppelt angenehm ist es uns also, wenn aus einer menschlichen Wohnung uns der Geist einer höheren, obgleich auch nur sinnlichen, Kultur entgegenspricht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1783,"orig":"Mit vieler Lebhaftigkeit ward mir dieſes auf dem Schloſſe meines Oheims anſchaulich.","norm":"Mit vieler Lebhaftigkeit wurde mir dieses auf dem Schlosse meines Oheims anschaulich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1784,"orig":"Ich hatte vieles von Kunſt gehört und geleſen, Philo ſelbſt war ein großer Liebhaber von Gemälden, und hatte eine ſchöne Sammlung; auch ich ſelbſt hatte viel gezeichnet; aber theils war ich zu ſehr mit meinen Empfindungen beſchäftigt, und trachtete nur das eine, was Noth iſt, erſt recht ins Reine zu bringen, theils ſchienen doch alle die Sachen, die ich geſehen hatte, mich wie die übrigen weltlichen Dinge zu zerſtreuen.","norm":"Ich hatte vieles von Kunst gehört und gelesen, Philo selbst war ein großer Liebhaber von Gemälden, und hatte eine schöne Sammlung; auch ich selbst hatte viel gezeichnet; aber teils war ich zu sehr mit meinen Empfindungen beschäftigt, und trachtete nur das eine, was Not ist, erst recht ins Reine zu bringen, teils schienen doch alle die Sachen, die ich gesehen hatte, mich wie die übrigen weltlichen Dinge zu zerstreuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1785,"orig":"Nun war ich zum erſtenmal durch etwas Äußerliches auf mich ſelbſt zurück geführt, und ich lernte den Unterſchied zwiſchen dem natürlichen vortreflichen Geſang der Nachtigall und einem vierſtimmigen Hallelujah aus gefühlvollen Menſchenkehlen zu meiner größten Verwunderung erſt kennen.","norm":"Nun war ich zum ersten Mal durch etwas Äußerliches auf mich selbst zurückgeführt, und ich lernte den Unterschied zwischen dem natürlichen vortrefflichen Gesang der Nachtigall und einem vierstimmigen Halleluja aus gefühlvollen Menschenkehlen zu meiner größten Verwunderung erst kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1786,"orig":"Ich verbarg meine Freude über dieſe neue Anſchauung meinem Oheim nicht, der, wenn alles andere in ſein Theil gegangen war, ſich mit mir beſonders zu unterhalten pflegte.","norm":"Ich verbarg meine Freude über diese neue Anschauung meinem Oheim nicht, der, wenn alles andere in sein Teil gegangen war, sich mit mir besonders zu unterhalten pflegte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1787,"orig":"Er ſprach mit großer Beſcheidenheit von dem, was er beſaß und hervorgebracht hatte, mit großer Sicherheit von dem Sinne, in dem es geſammlet und aufgeſtellt worden war, und ich konnte wohl merken, daß er mit Schonung für mich redete, indem er nach ſeiner alten Art das Gute, wovon er Herr und Meiſter zu ſeyn glaubte, demjenigen unterzuordnen ſchien, was nach meiner Überzeugung das rechte und beſte war.","norm":"Er sprach mit großer Bescheidenheit von dem, was er besaß und hervorgebracht hatte, mit großer Sicherheit von dem Sinne, in dem es gesammelt und aufgestellt worden war, und ich konnte wohl merken, dass er mit Schonung für mich redete, indem er nach seiner alten Art das Gute, wovon er Herr und Meister zu sein glaubte, demjenigen unterzuordnen schien, was nach meiner Überzeugung das Rechte und Beste war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1788,"orig":"Wenn wir uns, ſagte er einmal, als möglich denken können, daß der Schöpfer der Welt ſelbſt die Geſtalt ſeiner Creatur angenommen, und auf ihre Art und Weiſe ſich eine Zeitlang auf der Welt befunden habe; ſo muß uns dieſes Geſchöpf ſchon unendlich vollkommen erſcheinen, weil ſich der Schöpfer ſo innig damit vereinigen konnte.","norm":"Wenn wir uns, sagte er einmal, als möglich denken können, dass der Schöpfer der Welt selbst die Gestalt seiner Kreatur angenommen, und auf ihre Art und Weise sich eine Zeitlang auf der Welt befunden habe; so muss uns dieses Geschöpf schon unendlich vollkommen erscheinen, weil sich der Schöpfer so innig damit vereinigen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1789,"orig":"Es muß alſo in dem Begriff des Menſchen kein Widerſpruch mit dem Begriff der Gottheit liegen, und wenn wir auch oft eine gewiſſe Unähnlichkeit und Entfernung von ihr empfinden, ſo iſt es doch um deſto mehr unſere Schuldigkeit, nicht immer wie der Advokat des böſen Geiſtes nur auf die Blößen und Schwächen unſerer Natur zu ſehen, ſondern eher alle Vollkommenheiten aufzuſuchen, wodurch wir die Anſprüche unſrer Gottähnlichkeit beſtätigen können.","norm":"Es muss also in dem Begriff des Menschen kein Widerspruch mit dem Begriff der Gottheit liegen, und wenn wir auch oft eine gewisse Unähnlichkeit und Entfernung von ihr empfinden, so ist es doch um desto mehr unsere Schuldigkeit, nicht immer wie der Advokat des bösen Geistes nur auf die Blößen und Schwächen unserer Natur zu sehen, sondern eher alle Vollkommenheiten aufzusuchen, wodurch wir die Ansprüche unserer Gottähnlichkeit bestätigen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1790,"orig":"Ich lächelte und verſetzte: beſchämen Sie mich nicht zu ſehr, lieber Oheim, durch die Gefälligkeit in meiner Sprache zu reden!","norm":"Ich lächelte und versetzte: Beschämen Sie mich nicht zu sehr, lieber Oheim, durch die Gefälligkeit in meiner Sprache zu reden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1791,"orig":"Das was Sie mir zu ſagen haben, iſt für mich von ſo großer Wichtigkeit, daß ich es in Ihrer eigenſten Sprache zu hören wünſchte, und ich will alsdann, was ich mir davon nicht ganz zueignen kann, ſchon zu überſetzen ſuchen.","norm":"Das was Sie mir zu sagen haben, ist für mich von so großer Wichtigkeit, dass ich es in Ihrer eigensten Sprache zu hören wünschte, und ich will alsdann, was ich mir davon nicht ganz zueignen kann, schon zu übersetzen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1792,"orig":"Ich werde, ſagte er darauf, auch auf meine eigenſte Weiſe, ohne Veränderung des Tons fortfahren können.","norm":"Ich werde, sagte er darauf, auch auf meine eigenste Weise, ohne Veränderung des Tons fortfahren können."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1793,"orig":"Des Menſchen größtes Verdienſt bleibt wohl, wenn er die Umſtände ſo viel als möglich beſtimmt und ſich ſo wenig als möglich von ihnen beſtimmen läßt.","norm":"Des Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände soviel als möglich bestimmt und sich so wenig als möglich von ihnen bestimmen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1794,"orig":"Das ganze Weltweſen liegt vor uns, wie ein großer Steinbruch vor dem Baumeiſter, der nur dann den Nahmen verdient, wenn er aus dieſen zufälligen Naturmaſſen, ein in ſeinem Geiſte entſprungenes Urbild mit der größten Ökonomie, Zweckmäßigkeit und Feſtigkeit zuſammen ſtellt.","norm":"Das ganze Weltwesen liegt vor uns, wie ein großer Steinbruch vor dem Baumeister, der nur dann den Namen verdient, wenn er aus diesen zufälligen Naturmassen, ein in seinem Geiste entsprungenes Urbild mit der größten Ökonomie, Zweckmäßigkeit und Festigkeit zusammenstellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1795,"orig":"Alles außer uns iſt nur Element, ja ich darf wohl ſagen, auch alles an uns; aber tief in uns liegt dieſe ſchöpferiſche Kraft, die das zu erſchaffen vermag, was ſeyn ſoll, und uns nicht ruhen und raſten läßt, bis wir es außer uns oder an uns auf eine oder die andere Weiſe dargeſtellt haben.","norm":"Alles außer uns ist nur Element, ja ich darf wohl sagen, auch alles an uns; aber tief in uns liegt diese schöpferische Kraft, die das zu erschaffen vermag, was sein soll, und uns nicht ruhen und rasten lässt, bis wir es außer uns oder an uns auf eine oder die andere Weise dargestellt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1796,"orig":"Sie, liebe Nichte, haben vielleicht das beſte Theil erwählt;","norm":"Sie, liebe Nichte, haben vielleicht das beste Teil erwählt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1797,"orig":"Sie haben Ihr ſittliches Weſen, Ihre tiefe liebevolle Natur mit ſich ſelbſt und mit dem höchſten Weſen übereinſtimmend zu machen geſucht, indeß wir andere wohl auch nicht zu tadeln ſind, wenn wir den ſinnlichen Menſchen in ſeinem Umfange zu kennen und thätig in Einheit zu bringen ſuchen.","norm":"Sie haben Ihr sittliches Wesen, Ihre tiefe liebevolle Natur mit sich selbst und mit dem höchsten Wesen übereinstimmend zu machen gesucht, indes wir andere wohl auch nicht zu tadeln sind, wenn wir den sinnlichen Menschen in seinem Umfange zu kennen und tätig in Einheit zu bringen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1798,"orig":"Durch ſolche Geſpräche wurden wir nach und nach vertrauter, und ich erlangte von ihm, daß er mit mir, ohne Condescendenz, wie mit ſich ſelbſt ſprach.","norm":"Durch solche Gespräche wurden wir nach und nach vertrauter, und ich erlangte von ihm, dass er mit mir, ohne Kondeszendenz, wie mit sich selbst sprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1799,"orig":"Glauben Sie nicht, ſagte der Oheim zu mir, daß ich Ihnen ſchmeichle, wenn ich Ihre Art zu denken und zu handeln lobe.","norm":"Glauben Sie nicht, sagte der Oheim zu mir, dass ich Ihnen schmeichle, wenn ich Ihre Art zu denken und zu handeln lobe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1800,"orig":"Ich verehre den Menſchen, der deutlich weiß, was er will, unabläſſig vorſchreitet, die Mittel zu ſeinem Zwecke kennt und ſie zu ergreifen und zu brauchen weiß; in wie fern ſein Zweck groß oder klein ſey, Lob oder Tadel verdiene, das kommt bey mir erſt nachher in Betrachtung.","norm":"Ich verehre den Menschen, der deutlich weiß, was er will, unablässig vorschreitet, die Mittel zu seinem Zwecke kennt und sie zu ergreifen und zu brauchen weiß; inwiefern sein Zweck groß oder klein sei, Lob oder Tadel verdiene, das kommt bei mir erst nachher in Betrachtung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1801,"orig":"Glauben Sie mir, meine Liebe, der größte Theil des Unheils und deſſen was man bös in der Welt nennt, entſteht bloß, weil die Menſchen zu nachläſſig ſind ihre Zwecke recht kennen zu lernen, und wenn ſie ſolche kennen, ernſthaft darauf los zu arbeiten.","norm":"Glauben Sie mir, meine Liebe, der größte Teil des Unheils und dessen was man bös in der Welt nennt, entsteht bloß, weil die Menschen zu nachlässig sind ihre Zwecke recht kennen zu lernen, und wenn sie solche kennen, ernsthaft darauf loszuarbeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1802,"orig":"Sie kommen mir vor wie Leute, die den Begriff haben, es könne und müſſe ein Thurm gebauet werden, und die doch an den Grund nicht mehr Steine und Arbeit verwenden, als man allenfalls einer Hütte unterſchlüge.","norm":"Sie kommen mir vor wie Leute, die den Begriff haben, es könne und müsse ein Turm gebaut werden, und die doch an den Grund nicht mehr Steine und Arbeit verwenden, als man allenfalls einer Hütte unterschlüge."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1803,"orig":"Hätten Sie meine Freundin, deren höchſtes Bedürfniß war, mit Ihrer innern ſittlichen Natur ins reine zu kommen, anſtatt der großen und kühnen Aufopferungen, ſich zwiſchen Ihrer Familie, einem Bräutigam, vielleicht einem Gemahl nur ſo hin beholfen, Sie würden, in einem ewigen Widerſpruch mit ſich ſelbſt, niemals einen zufriedenen Augenblick genoſſen haben.","norm":"Hätten Sie meine Freundin, deren höchstes Bedürfnis war, mit Ihrer inneren sittlichen Natur ins Reine zu kommen, anstatt der großen und kühnen Aufopferungen, sich zwischen Ihrer Familie, einem Bräutigam, vielleicht einem Gemahl nur so hin beholfen, Sie würden, in einem ewigen Widerspruch mit sich selbst, niemals einen zufriedenen Augenblick genossen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1804,"orig":"Sie brauchen, verſetzt ich hier, das Wort Aufopferung, und ich habe manchmal gedacht, wie wir einer höhern Abſicht, gleichſam wie einer Gottheit, das geringere zum Opfer darbringen, ob es uns ſchon am Herzen liegt, wie man ein geliebtes Schaf für die Geſundheit eines verehrten Vaters gern und willig zum Altar führte.","norm":"Sie brauchen, versetzt ich hier, das Wort Aufopferung, und ich habe manchmal gedacht, wie wir einer höheren Absicht, gleichsam wie einer Gottheit, das Geringere zum Opfer darbringen, ob es uns schon am Herzen liegt, wie man ein geliebtes Schaf für die Gesundheit eines verehrten Vaters gern und willig zum Altar führte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1805,"orig":"Was es auch ſey, verſetzte er, der Verſtand oder die Empfindung, das uns eins für das andere hingeben, eins vor dem andern wählen heißt, ſo iſt Entſchiedenheit und Folge, nach meiner Meynung, das verehrungswürdigſte am Menſchen.","norm":"Was es auch sei, versetzte er, der Verstand oder die Empfindung, das uns eins für das andere hingeben, eins vor dem anderen wählen heißt, so ist Entschiedenheit und Folge, nach meiner Meinung, das Verehrungswürdigste am Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1806,"orig":"Man kann die Waare und das Geld nicht zugleich haben!","norm":"Man kann die Ware und das Geld nicht zugleich haben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1807,"orig":"und der iſt eben ſo übel daran, dem es immer nach der Waare gelüſtet, ohne daß er das Herz hat das Geld hinzugeben, als der, den der Kauf reut, wenn er die Waare in Händen hat.","norm":"und der ist ebenso übel dran, dem es immer nach der Ware gelüstet, ohne dass er das Herz hat das Geld hinzugeben, als der, den der Kauf reut, wenn er die Ware in Händen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1808,"orig":"Aber ich bin weit entfernt, die Menſchen deshalb zu tadeln, denn ſie ſind eigentlich nicht Schuld, ſondern die verwickelte Lage, in der ſie ſich befinden, und in der ſie ſich nicht zu regieren wiſſen.","norm":"Aber ich bin weit entfernt, die Menschen deshalb zu tadeln, denn sie sind eigentlich nicht Schuld, sondern die verwickelte Lage, in der sie sich befinden, und in der sie sich nicht zu regieren wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1809,"orig":"So werden Sie, zum Beyſpiel, im Durchſchnitt, weniger üble Wirthe auf dem Lande als in den Städten finden, und wieder in kleinen Städten weniger als in großen, und warum?","norm":"So werden Sie, zum Beispiel, im Durchschnitt, weniger üble Wirte auf dem Lande als in den Städten finden, und wieder in kleinen Städten weniger als in großen, und warum?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1810,"orig":"Der Menſch iſt zu einer beſchränkten Lage gebohren, einfache, nahe, beſtimmte Zwecke, vermag er einzuſehen, und er gewöhnt ſich die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand ſind; ſobald er aber ins weite kommt, weiß er weder was er will, noch was er ſoll, und es iſt ganz einerley, ob er durch die Menge der Gegenſtände zerſtreut, oder ob er durch die Höhe und Würde derſelben außer ſich geſetzt werde.","norm":"Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren, einfache, nahe, bestimmte Zwecke, vermag er einzusehen, und er gewöhnt sich die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand sind; sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder was er will, noch was er soll, und es ist ganz einerlei, ob er durch die Menge der Gegenstände zerstreut, oder ob er durch die Höhe und Würde derselben außer sich gesetzt werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1811,"orig":"Es iſt immer ſein Unglück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu ſtreben, mit dem er ſich durch eine regelmäßige Selbſtthätigkeit nicht verbinden kann.","norm":"Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlasst wird, nach etwas zu streben, mit dem er sich durch eine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1812,"orig":"Fürwahr, fuhr er fort, ohne Ernſt iſt in der Welt nichts möglich, und unter denen, die wir gebildete Menſchen nennen, iſt eigentlich wenig Ernſt zu finden, ſie gehen, ich möchte ſagen, gegen Arbeiten und Geſchäfte, gegen Künſte, ja gegen Vergnügungen nur mit einer Art von Selbſtvertheidigung zu Werke, man lebt wie man ein Pack Zeitungen lieſt, nur damit man ſie los werde, und es fällt mir dabey jener junge Engländer in Rom ein, der Abends, in einer Geſellſchaft, ſehr zufrieden erzählte: daß er doch heute ſechs Kirchen und zwey Gallerien bey Seite gebracht habe.","norm":"Fürwahr, fuhr er fort, ohne Ernst ist in der Welt nichts möglich, und unter denen, die wir gebildete Menschen nennen, ist eigentlich wenig Ernst zu finden, sie gehen, ich möchte sagen, gegen Arbeiten und Geschäfte, gegen Künste, ja gegen Vergnügungen nur mit einer Art von Selbstverteidigung zu Werke, man lebt wie man ein Pack Zeitungen liest, nur damit man sie loswerde, und es fällt mir dabei jener junge Engländer in Rom ein, der Abends, in einer Gesellschaft, sehr zufrieden erzählte: dass er doch heute sechs Kirchen und zwei Galerien beiseite gebracht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1813,"orig":"Man will mancherley wiſſen und kennen, und gerade das was einen am wenigſten angeht, und man bemerkt nicht, daß kein Hunger dadurch geſtillt wird, wenn man nach der Luft ſchnappt.","norm":"Man will mancherlei wissen und kennen, und gerade das was einen am wenigsten angeht, und man bemerkt nicht, dass kein Hunger dadurch gestillt wird, wenn man nach der Luft schnappt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1814,"orig":"Wenn ich einen Menſchen kennen lerne, frage ich ſogleich, womit beſchäfftigt er ſich?","norm":"Wenn ich einen Menschen kennen lerne, frage ich sogleich, womit beschäftigt er sich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1815,"orig":"und wie und in welcher Folge?","norm":"und wie und in welcher Folge?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1816,"orig":"und mit der Beantwortung der Frage iſt auch mein Intereſſe an ihm auf Zeitlebens entſchieden.","norm":"und mit der Beantwortung der Frage ist auch mein Interesse an ihm auf Zeitlebens entschieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1817,"orig":"Sie ſind, lieber Oheim, verſetzte ich darauf, vielleicht zu ſtrenge und entziehen manchem guten Menſchen, dem Sie nützlich ſeyn könnten, Ihre hülfreiche Hand.","norm":"Sie sind, lieber Oheim, versetzte ich darauf, vielleicht zu strenge und entziehen manchem guten Menschen, dem Sie nützlich sein könnten, Ihre hilfreiche Hand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1818,"orig":"Iſt es dem zu verdenken, antwortete er, der ſo lange vergebens an ihnen und um ſie gearbeitet hat.","norm":"Ist es dem zu verdenken, antwortete er, der so lange vergebens an ihnen und um sie gearbeitet hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1819,"orig":"Wie ſehr leidet man nicht in der Jugend von Menſchen die uns zu einer angenehmen Luſtparthie einzuladen glauben, wenn ſie uns in der Geſellſchaft der Danaiden, oder des Syſiphus zu bringen verſprechen.","norm":"Wie sehr leidet man nicht in der Jugend von Menschen die uns zu einer angenehmen Lustpartie einzuladen glauben, wenn sie uns in der Gesellschaft der Danaiden, oder des Sisyphus zu bringen versprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1820,"orig":"Gott ſey Dank, ich habe mich von ihnen los gemacht, und wenn einer unglücklicher Weiſe in meinen Kreis kommt, ſuche ich ihn auf die höflichſte Art hinaus zu komplimentiren; denn grade von dieſen Leuten hört man die bitterſten Klagen über den verworrenen Lauf der Welthändel, über die Seichtigkeit der Wiſſenſchaften, über den Leichtſinn der Künſtler, über die Leerheit der Dichter und was alles noch mehr iſt.","norm":"Gott sei Dank, ich habe mich von ihnen losgemacht, und wenn einer unglücklicherweise in meinen Kreis kommt, suche ich ihn auf die höflichste Art hinauszukomplimentieren; denn gerade von diesen Leuten hört man die bittersten Klagen über den verworrenen Lauf der Welthandel, über die Seichtigkeit der Wissenschaften, über den Leichtsinn der Künstler, über die Leerheit der Dichter und was alles noch mehr ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1821,"orig":"Sie bedenken am wenigſten, daß eben ſie ſelbſt und die Menge, die ihnen gleich iſt, grade das Buch nicht leſen würden, das geſchrieben wäre wie ſie es fordern, daß ihnen die ächte Dichtung fremd ſey, und daß ſelbſt ein gutes Kunſtwerk nur durch Vorurtheil ihren Beyfall erlangen könne.","norm":"Sie bedenken am wenigsten, dass eben sie selbst und die Menge, die ihnen gleich ist, gerade das Buch nicht lesen würden, das geschrieben wäre wie sie es fordern, dass ihnen die echte Dichtung fremd sei, und dass selbst ein gutes Kunstwerk nur durch Vorurteil ihren Beifall erlangen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1822,"orig":"Doch laſſen Sie uns abbrechen, es iſt hier keine Zeit zu ſchelten noch zu klagen.","norm":"Doch lassen Sie uns abbrechen, es ist hier keine Zeit zu schelten noch zu klagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1823,"orig":"Er leitete meine Aufmerkſamkeit auf die verſchiedenen Gemählde, die an der Wand aufgehängt waren, mein Auge hielt ſich an die, deren Anblick reizend, oder deren Gegenſtand bedeutend war; er ließ es eine Weile geſchehen, dann ſagte er: gönnen Sie nun auch dem Genius, der dieſe Werke hervorgebracht hat, einige Aufmerkſamkeit.","norm":"Er leitete meine Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Gemälde, die an der Wand aufgehängt waren, mein Auge hielt sich an die, deren Anblick reizend, oder deren Gegenstand bedeutend war; er ließ es eine Weile geschehen, dann sagte er: Gönnen Sie nun auch dem Genius, der diese Werke hervorgebracht hat, einige Aufmerksamkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1824,"orig":"Gute Gemüther ſehen ſo gerne den Finger Gottes in der Natur, warum ſollte man nicht auch der Hand ſeines Nachahmers einige Betrachtung ſchenken?","norm":"Gute Gemüter sehen so gerne den Finger Gottes in der Natur, warum sollte man nicht auch der Hand seines Nachahmers einige Betrachtung schenken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1825,"orig":"Er machte mich ſodann auf unſcheinbare Bilder aufmerkſam, und ſuchte mir begreiflich zu machen, daß eigentlich die Geſchichte der Kunſt uns bloß den Begriff von dem Werth und der Würde eines Kunſtwerks geben könne, daß man erſt die beſchwerlichen Stufen des Mechanismus und des Handwerks, an denen der fähige Menſch ſich Jahrhunderte lang hinauf arbeitet, kennen müſſe um zu begreifen wie es möglich ſey, daß das Genie auf dem Gipfel, bey deſſen bloßen Anblick uns ſchwindelt, ſich frey und fröhlich bewege.","norm":"Er machte mich sodann auf unscheinbare Bilder aufmerksam, und suchte mir begreiflich zu machen, dass eigentlich die Geschichte der Kunst uns bloß den Begriff von dem Wert und der Würde eines Kunstwerks geben könne, dass man erst die beschwerlichen Stufen des Mechanismus und des Handwerks, an denen der fähige Mensch sich Jahrhundertelang hinaufarbeitet, kennen müsse um zu begreifen wie es möglich sei, dass das Genie auf dem Gipfel, bei dessen bloßem Anblick uns schwindelt, sich frei und fröhlich bewege."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1826,"orig":"Er hatte in dieſem Sinne eine ſchöne Reihe zuſammen gebracht, und ich konnte mich nicht enthalten als er mir ſie auslegte, die moraliſche Bildung hier wie im Gleichniſſe vor mir zu ſehen.","norm":"Er hatte in diesem Sinne eine schöne Reihe zusammengebracht, und ich konnte mich nicht enthalten als er mir sie auslegte, die moralische Bildung hier wie im Gleichnisse vor mir zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1827,"orig":"Als ich ihm meine Gedanken äußerte, verſetzte er:","norm":"Als ich ihm meine Gedanken äußerte, versetzte er:"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1828,"orig":"Sie haben vollkommen Recht, und wir ſehen daraus: daß man nicht wohl thut, der ſittlichen Bildung, einſam, in ſich ſelbſt verſchloſſen, nachzuhängen; vielmehr wird man finden daß derjenige, deſſen Geiſt nach einer moraliſchen Cultur ſtrebt, alle Urſache hat, ſeine feinere Sinnlichkeit zugleich mit auszubilden, damit er nicht in Gefahr komme, von ſeiner moraliſchen Höhe herab zu gleiten, indem er ſich den Lockungen einer regelloſen Phantaſie übergiebt, und ſich in Gefahr ſetzt, ſeine edlere Natur durch Vergnügen an geſchmackloſen Tändeleyen, wo nicht an was ſchlimmerem herab zu würdigen.","norm":"Sie haben vollkommen Recht, und wir sehen daraus: dass man nicht wohltut, der sittlichen Bildung, einsam, in sich selbst verschlossen, nachzuhängen; vielmehr wird man finden dass derjenige, dessen Geist nach einer moralischen Kultur strebt, alle Ursache hat, seine feinere Sinnlichkeit zugleich mit auszubilden, damit er nicht in Gefahr komme, von seiner moralischen Höhe herabzugleiten, indem er sich den Lockungen einer regellosen Phantasie übergibt, und sich in Gefahr setzt, seine edlere Natur durch Vergnügen an geschmacklosen Tändeleien, wo nicht an was Schlimmerem herabzuwürdigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1829,"orig":"Ich hatte ihn nicht in Verdacht, daß er auf mich ziele, aber ich fühlte mich getroffen, wenn ich zurück dachte, daß unter den Liedern, die mich erbauet hatten, manches abgeſchmackte mochte geweſen ſeyn, und daß die Bildchen, die ſich an meine geiſtlichen Ideen anſchloſſen, wohl ſchwerlich vor den Augen des Oheims würden Gnade gefunden haben.","norm":"Ich hatte ihn nicht in Verdacht, dass er auf mich ziele, aber ich fühlte mich getroffen, wenn ich zurückdachte, dass unter den Liedern, die mich erbauet hatten, manches Abgeschmackte mochte gewesen sein, und dass die Bildchen, die sich an meine geistlichen Ideen anschlossen, wohl schwerlich vor den Augen des Oheims würden Gnade gefunden haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1830,"orig":"Philo hatte ſich indeſſen öfters in der Bibliothek aufgehalten, und führte mich nunmehr auch in ſelbiger ein.","norm":"Philo hatte sich indessen öfters in der Bibliothek aufgehalten, und führte mich nunmehr auch in selbiger ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1831,"orig":"Wir bewunderten die Auswahl und dabey die Menge der Bücher.","norm":"Wir bewunderten die Auswahl und dabei die Menge der Bücher."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1832,"orig":"Sie waren in jedem Sinne geſammlet; denn es waren beynahe auch nur ſolche darin zu finden, die uns zur deutlichen Erkenntniß führen, oder uns zur rechten Ordnung anweiſen; die uns entweder rechte Materialien geben, oder uns von der Einheit unſres Geiſtes überzeugen.","norm":"Sie waren in jedem Sinne gesammelt; denn es waren beinahe auch nur solche darin zu finden, die uns zur deutlichen Erkenntnis führen, oder uns zur rechten Ordnung anweisen; die uns entweder rechte Materialien geben, oder uns von der Einheit unseres Geistes überzeugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1833,"orig":"Ich hatte in meinen Leben unſäglich geleſen und in gewiſſen Fächern war mir faſt kein Buch unbekannt, um deſto angenehmer war mirs hier von der Überſicht des Ganzen zu ſprechen, und Lücken zu bemerken, wo ich ſonſt nur eine beſchränkte Verwirrung oder eine unendliche Ausdehnung geſehen hatte.","norm":"Ich hatte in meinem Leben unsäglich gelesen und in gewissen Fächern war mir fast kein Buch unbekannt, um desto angenehmer war mir es hier von der Übersicht des Ganzen zu sprechen, und Lücken zu bemerken, wo ich sonst nur eine beschränkte Verwirrung oder eine unendliche Ausdehnung gesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1834,"orig":"Zugleich machten wir die Bekanntſchaft eines ſehr intereſſanten ſtillen Mannes.","norm":"Zugleich machten wir die Bekanntschaft eines sehr interessanten stillen Mannes."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1835,"orig":"Er war Arzt und Naturforſcher, und ſchien mehr zu den Penaten als zu den Bewohnern des Hauſes zu gehören.","norm":"Er war Arzt und Naturforscher, und schien mehr zu den Penaten als zu den Bewohnern des Hauses zu gehören."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1836,"orig":"Er zeigte uns das Naturalienkabinet, das, wie die Bibliothek, in verſchloſſenen Glasſchränken, zugleich die Wände der Zimmer verzierte und den Raum veredelte ohne ihn zu verengern.","norm":"Er zeigte uns das Naturalienkabinett, das, wie die Bibliothek, in verschlossenen Glasschränken, zugleich die Wände der Zimmer verzierte und den Raum veredelte ohne ihn zu verengen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1837,"orig":"Hier erinnerte ich mich mit Freuden meiner Jugend, und zeigte meinem Vater mehrere Gegenſtände, die er ehemals auf das Krankenbette ſeines, kaum in die Welt blickenden Kindes gebracht hatte.","norm":"Hier erinnerte ich mich mit Freuden meiner Jugend, und zeigte meinem Vater mehrere Gegenstände, die er ehemals auf das Krankenbette seines, kaum in die Welt blickenden Kindes gebracht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1838,"orig":"Dabey verhehlte der Arzt ſo wenig als bey folgenden Unterredungen, daß er ſich mir, in Abſicht auf religiöſe Geſinnungen nähere, lobte dabey den Oheim außerordentlich wegen ſeiner Toleranz und Schätzung von allem, was den Werth und die Einheit der menſchlichen Natur anzeige und befördere, nur verlange er freylich von allen andern Menſchen ein gleiches und pflege nichts ſo ſehr, als individuellen Dünkel und ausſchließende Beſchränktheit, zu verdammen oder zu fliehen.","norm":"Dabei verhehlte der Arzt so wenig als bei folgenden Unterredungen, dass er sich mir, in Absicht auf religiöse Gesinnungen nähere, lobte dabei den Oheim außerordentlich wegen seiner Toleranz und Schätzung von allem, was den Wert und die Einheit der menschlichen Natur anzeige und befördere, nur verlange er freilich von allen anderen Menschen ein Gleiches und pflege nichts so sehr, als individuellen Dünkel und ausschließende Beschränktheit, zu verdammen oder zu fliehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1839,"orig":"Seit der Trauung meiner Schweſter ſah’ dem Oheim die Freude aus den Augen, und er ſprach verſchiedene mal mit mir über das, was er für ſie und ihre Kinder zu thun denke.","norm":"Seit der Trauung meiner Schwester sah dem Oheim die Freude aus den Augen, und er sprach verschiedenemal mit mir über das, was er für sie und ihre Kinder zu tun denke."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1840,"orig":"Er hatte ſchöne Güter, die er ſelbſt bewirthſchaftete, und die er, in dem beſten Zuſtande, ſeinen Neffen zu übergeben hoffte.","norm":"Er hatte schöne Güter, die er selbst bewirtschaftete, und die er, in dem besten Zustande, seinen Neffen zu übergeben hoffte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1841,"orig":"Wegen des kleinen Guthes, auf dem wir uns befanden, ſchien er beſondere Gedanken zu hegen: ich werde es, ſagte er, nur einer Perſon überlaſſen, die zu kennen, zu ſchätzen und zu genießen weiß was es enthält, und die einſieht, wie ſehr ein Reicher und Vornehmer, beſonders in Deutſchland, Urſache habe etwas muſtermäßiges aufzuſtellen.","norm":"Wegen des kleinen Gutes, auf dem wir uns befanden, schien er besondere Gedanken zu hegen: Ich werde es, sagte er, nur einer Person überlassen, die zu kennen, zu schätzen und zu genießen weiß was es enthält, und die einsieht, wie sehr ein Reicher und Vornehmer, besonders in Deutschland, Ursache habe etwas Mustermäßiges aufzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1842,"orig":"Schon war der größte Theil der Gäſte nach und nach verflogen, wir bereiteten uns zum Abſchied und glaubten die letzte Scene der Feyerlichkeit erlebt zu haben, als wir aufs neue durch ſeine Aufmerkſamkeit, uns ein würdiges Vergnügen zu machen, überraſcht wurden.","norm":"Schon war der größte Teil der Gäste nach und nach verflogen, wir bereiteten uns zum Abschied und glaubten die letzte Szene der Feierlichkeit erlebt zu haben, als wir aufs neue durch seine Aufmerksamkeit, uns ein würdiges Vergnügen zu machen, überrascht wurden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1843,"orig":"Wir hatten ihm das Entzücken nicht verbergen können, das wir fühlten, als bey meiner Schweſter Trauung ein Chor Menſchenſtimmen ſich, ohne alle Begleitung irgend eines Inſtruments, hören ließ.","norm":"Wir hatten ihm das Entzücken nicht verbergen können, das wir fühlten, als bei meiner Schwester Trauung ein Chor Menschenstimmen sich, ohne alle Begleitung irgendeines Instruments, hören ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1844,"orig":"Wir legten es ihm nahe genug, uns das Vergnügen noch einmal zu verſchaffen; er ſchien nicht darauf zu merken.","norm":"Wir legten es ihm nahe genug, uns das Vergnügen noch einmal zu verschaffen; er schien nicht darauf zu merken."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1845,"orig":"Wie überraſcht waren wir daher, als er eines Abends zu uns ſagte: die Tanzmuſik hat ſich entfernt; die jungen, flüchtigen Freunde haben uns verlaſſen; das Ehepaar ſelbſt ſieht ſchon ernſthafter aus als vor einigen Tagen, und in einer ſolchen Epoche von einander zu ſcheiden, da wir uns vielleicht nie, wenigſtens anders wiederſehen, regt uns zu einer feyerlichen Stimmung, die ich nicht edler nähren kann, als durch eine Muſik, deren Wiederhohlung Sie ſchon früher zu wünſchen ſchienen.","norm":"Wie überrascht waren wir daher, als er eines Abends zu uns sagte: Die Tanzmusik hat sich entfernt; die jungen, flüchtigen Freunde haben uns verlassen; das Ehepaar selbst sieht schon ernsthafter aus als vor einigen Tagen, und in einer solchen Epoche voneinander zu scheiden, da wir uns vielleicht nie, wenigstens anders wiedersehen, regt uns zu einer feierlichen Stimmung, die ich nicht edler nähren kann, als durch eine Musik, deren Wiederholung Sie schon früher zu wünschen schienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1846,"orig":"Er ließ durch das indeß verſtärkte und im Stillen noch mehr geübte Chor, uns vier und achtſtimmige Geſänge vortragen, die uns, ich darf wohl ſagen, wirklich einen Vorſchmack der Seeligkeit gaben.","norm":"Er ließ durch das indes verstärkte und im Stillen noch mehr geübte Chor, uns vier und achtstimmige Gesänge vortragen, die uns, ich darf wohl sagen, wirklich einen Vorschmack der Seligkeit gaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1847,"orig":"Ich hatte bisher nur den frommen Geſang gekannt, in welchem gute Seelen oft mit heiſerer Kehle, wie die Waldvögelein, Gott zu loben glauben, weil ſie ſich ſelbſt eine angenehme Empfindung machen; dann die eitle Muſik der Concerte, in denen man allenfalls zur Bewunderung eines Talents, ſelten aber, auch nur zu einem vorübergehenden Vergnügen hingeriſſen wird.","norm":"Ich hatte bisher nur den frommen Gesang gekannt, in welchem gute Seelen oft mit heiserer Kehle, wie die Waldvögelein, Gott zu loben glauben, weil sie sich selbst eine angenehme Empfindung machen; dann die eitle Musik der Konzerte, in denen man allenfalls zur Bewunderung eines Talents, selten aber, auch nur zu einem vorübergehenden Vergnügen hingerissen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1848,"orig":"Nun vernahm ich eine Muſik aus dem tiefſten Sinne der trefflich ſten menſchlichen Naturen entſprungen, die, durch beſtimmte und geübte Organe in harmoniſcher Einheit wieder zum tiefſten beſten Sinne des Menſchen ſprach und ihn wirklich in dieſem Augenblicke ſeine Gottähnlichkeit lebhaft empfinden ließ.","norm":"Nun vernahm ich eine Musik aus dem tiefsten Sinne der trefflichsten menschlichen Naturen entsprungen, die, durch bestimmte und geübte Organe in harmonischer Einheit wieder zum tiefsten besten Sinne des Menschen sprach und ihn wirklich in diesem Augenblicke seine Gottähnlichkeit lebhaft empfinden ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1849,"orig":"Alles waren lateiniſche, geiſtliche Geſänge, die ſich, wie Juwelen, in dem goldnen Ringe einer geſitteten weltlichen Geſellſchaft ausnahmen, und mich, ohne Anforderung einer ſo genannten Erbauung, auf das geiſtigſte erhoben und glücklich machten.","norm":"Alles waren lateinische, geistliche Gesänge, die sich, wie Juwelen, in dem goldenen Ringe einer gesitteten weltlichen Gesellschaft ausnahmen, und mich, ohne Anforderung einer sogenannten Erbauung, auf das geistigste erhoben und glücklich machten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1850,"orig":"Bey unſerer Abreiſe wurden wir alle auf das edelſte beſchenkt.","norm":"Bei unserer Abreise wurden wir alle auf das edelste beschenkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1851,"orig":"Mir überreichte er das Ordenskreuz meines Stiftes, kunſtmäßiger und ſchöner gearbeitet und emaillirt, als man es ſonſt zu ſehen gewohnt war.","norm":"Mir überreichte er das Ordenskreuz meines Stiftes, kunstmäßiger und schöner gearbeitet und emailliert, als man es sonst zu sehen gewohnt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1852,"orig":"Es hing an einem großen Brillanten, wodurch es zugleich an das Band befeſtigt wurde, und den er als den edelſten Stein einer Naturalienſammlung anzuſehen bat.","norm":"Es hing an einem großen Brillanten, wodurch es zugleich an das Band befestigt wurde, und den er als den edelsten Stein einer Naturaliensammlung anzusehen bat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1853,"orig":"Meine Schweſter zog nun mit ihrem Gemahl auf ſeine Güter; wir andern kehrten alle nach unſern Wohnungen zurück und ſchienen uns, was unſere äußre Umſtände anbetraf, in ein ganz gemeines Leben zurück gekehrt zu ſeyn.","norm":"Meine Schwester zog nun mit ihrem Gemahl auf seine Güter; wir anderen kehrten alle nach unseren Wohnungen zurück und schienen uns, was unsere äußere Umstände anbetraf, in ein ganz gemeines Leben zurückgekehrt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1854,"orig":"Wir waren, wie aus einem Feenſchloß, auf die platte Erde geſetzt, und mußten uns nach unſrer Weiſe wieder benehmen und behelfen.","norm":"Wir waren, wie aus einem Feenschloss, auf die platte Erde gesetzt, und mussten uns nach unserer Weise wieder benehmen und behelfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1855,"orig":"Die ſonderbaren Erfahrungen die ich in jenem neuen Kreiſe gemacht hatte, ließen einen ſchönen Eindruck bey mir zurück, doch blieb er nicht lange in ſeiner ganzen Lebhaftigkeit, obgleich der Oheim ihn zu unterhalten und zu erneuern ſuchte, indem er mir, von Zeit zu Zeit, von ſeinen beſten und gefälligſten Kunſtwerken zuſandte, und wenn ich ſie lange genug genoſſen hatte, wieder mit andern vertauſchte.","norm":"Die sonderbaren Erfahrungen die ich in jenem neuen Kreise gemacht hatte, ließen einen schönen Eindruck bei mir zurück, doch blieb er nicht lange in seiner ganzen Lebhaftigkeit, obgleich der Oheim ihn zu unterhalten und zu erneuern suchte, indem er mir, von Zeit zu Zeit, von seinen besten und gefälligsten Kunstwerken zusandte, und wenn ich sie lange genug genossen hatte, wieder mit anderen vertauschte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1856,"orig":"Ich war zu ſehr gewohnt, mich mit mir ſelbſt zu beſchäftigen, die Angelegenheiten meines Herzens und meines Gemüthes in Ordnung zu bringen, und mich davon mit ähnlich geſinnten Perſonen zu unterhalten, als daß ich mit Aufmerkſamkeit ein Kunſtwerk hätte betrachten ſollen, ohne bald auf mich ſelbſt zurück zu kehren.","norm":"Ich war zu sehr gewohnt, mich mit mir selbst zu beschäftigen, die Angelegenheiten meines Herzens und meines Gemütes in Ordnung zu bringen, und mich davon mit ähnlich gesinnten Personen zu unterhalten, als dass ich mit Aufmerksamkeit ein Kunstwerk hätte betrachten sollen, ohne bald auf mich selbst zurückzukehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1857,"orig":"Ich war gewohnt, ein Gemählde und einen Kupferſtich nur anzuſehen, wie die Buchſtaben eines Buchs.","norm":"Ich war gewohnt, ein Gemälde und einen Kupferstich nur anzusehen, wie die Buchstaben eines Buchs."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1858,"orig":"Ein ſchöner Druck gefällt wohl, aber wer wird ein Buch des Druckes wegen in die Hand nehmen?","norm":"Ein schöner Druck gefällt wohl, aber wer wird ein Buch des Druckes wegen in die Hand nehmen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1859,"orig":"So ſollte mir auch eine bildliche Darſtellung etwas ſagen, ſie ſollte mich belehren, rühren, beſſern, und der Oheim mochte in ſeinen Briefen, mit denen er ſeine Kunſtwerke erläuterte, reden was er wollte, ſo blieb es mit mir doch immer beym Alten.","norm":"So sollte mir auch eine bildliche Darstellung etwas sagen, sie sollte mich belehren, rühren, besseren, und der Oheim mochte in seinen Briefen, mit denen er seine Kunstwerke erläuterte, reden was er wollte, so blieb es mit mir doch immer beim Alten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1860,"orig":"Doch mehr als meine eigene Natur zogen mich äußere Begebenheiten, die Veränderungen in meiner Familie von ſolchen Betrachtungen, ja eine Weile von mir ſelbſt ab; ich mußte dulden und würken, mehr, als meine ſchwachen Kräfte zu ertragen ſchienen.","norm":"Doch mehr als meine eigene Natur zogen mich äußere Begebenheiten, die Veränderungen in meiner Familie von solchen Betrachtungen, ja eine Weile von mir selbst ab; ich musste dulden und wirken, mehr, als meine schwachen Kräfte zu ertragen schienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1861,"orig":"Meine ledige Schweſter war bisher mein rechter Arm geweſen; geſund, ſtark und unbeſchreiblich gütig hatte ſie die Beſorgung der Haushaltung über ſich genommen, wie mich die perſönliche Pflege des alten Vaters beſchäftigte.","norm":"Meine ledige Schwester war bisher mein rechter Arm gewesen; gesund, stark und unbeschreiblich gütig hatte sie die Besorgung der Haushaltung über sich genommen, wie mich die persönliche Pflege des alten Vaters beschäftigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1862,"orig":"Es überfällt ſie ein Kathar, woraus eine Bruſtkrankheit wird, und in drey Wochen liegt ſie auf der Bahre; ihr Tod ſchlug mir Wunden, deren Narben ich jetzt noch nicht gerne anſehe.","norm":"Es überfällt sie ein Katarrh, woraus eine Brustkrankheit wird, und in drei Wochen liegt sie auf der Bahre; ihr Tod schlug mir Wunden, deren Narben ich jetzt noch nicht gerne ansehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1863,"orig":"Ich lag krank zu Bette, ehe ſie noch beerdiget war; der alte Schaden auf meiner Bruſt ſchien aufzuwachen, ich huſtete heftig, und war ſo heiſer daß ich keinen lauten Ton hervorbringen konnte.","norm":"Ich lag krank zu Bette, ehe sie noch beerdiget war; der alte Schaden auf meiner Brust schien aufzuwachen, ich hustete heftig, und war so heiser dass ich keinen lauten Ton hervorbringen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1864,"orig":"Die verheirathete Schweſter kam vor Schrecken und Betrübniß zu früh in die Wochen.","norm":"Die verheiratete Schwester kam vor Schrecken und Betrübnis zu früh in die Wochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1865,"orig":"Mein alter Vater fürchtete, ſeine Kinder und die Hoffnung ſeiner Nachkommenſchaft auf einmal zu verliehren, ſeine gerechte Thränen vermehrten meinen Jammer; ich flehte zu Gott um Herſtellung einer leidlichen Geſundheit, und bat ihn nur mein Leben bis nach dem Tode des Vaters zu friſten.","norm":"Mein alter Vater fürchtete, seine Kinder und die Hoffnung seiner Nachkommenschaft auf einmal zu verlieren, seine gerechten Tränen vermehrten meinen Jammer; ich flehte zu Gott um Herstellung einer leidlichen Gesundheit, und bat ihn nur mein Leben bis nach dem Tode des Vaters zu fristen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1866,"orig":"Ich genaß, und war nach meiner Art wohl, konnte wieder meine Pflichten, obgleich nur auf eine kümmerliche Weiſe, erfüllen.","norm":"Ich genas, und war nach meiner Art wohl, konnte wieder meine Pflichten, obgleich nur auf eine kümmerliche Weise, erfüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1867,"orig":"Meine Schweſter ward wieder guter Hoffnung.","norm":"Meine Schwester wurde wieder guter Hoffnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1868,"orig":"Mancherley Sorgen, die in ſolchen Fällen der Mutter anvertraut werden, wurden mir mitgetheilt; ſie lebte nicht ganz glücklich mit ihrem Manne, das ſollte dem Vater verborgen bleiben, ich mußte Schiedsrichter ſeyn, und konnte es um ſo eher, da mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und beyde wirklich gute Menſchen waren, nur daß beyde, anſtatt einander nachzuſehen, mit einander rechteten, und aus Begierde, völlig mit einander überein zu leben, niemals einig werden konnten.","norm":"Mancherlei Sorgen, die in solchen Fällen der Mutter anvertraut werden, wurden mir mitgeteilt; sie lebte nicht ganz glücklich mit ihrem Manne, das sollte dem Vater verborgen bleiben, ich musste Schiedsrichter sein, und konnte es um so eher, da mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und beide wirklich gute Menschen waren, nur dass beide, anstatt einander nachzusehen, miteinander rechteten, und aus Begierde, völlig miteinander überein zu leben, niemals einig werden konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1869,"orig":"Nun lernte ich auch die weltlichen Dinge mit Ernſt angreifen, und das ausüben, was ich ſonſt nur geſungen hatte.","norm":"Nun lernte ich auch die weltlichen Dinge mit Ernst angreifen, und das ausüben, was ich sonst nur gesungen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1870,"orig":"Meine Schweſter gebahr einen Sohn, die Unpäßlichkeit meines Vaters verhinderte ihn nicht, zu ihr zu reiſen.","norm":"Meine Schwester gebar einen Sohn, die Unpässlichkeit meines Vaters verhinderte ihn nicht, zu ihr zu reisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1871,"orig":"Beym Anblick des Kindes war er unglaublich heiter und froh, und bey der Taufe erſchien er mir gegen ſeine Art wie begeiſtert, ja ich möchte ſagen, als ein Genius mit zwey Geſichtern.","norm":"Beim Anblick des Kindes war er unglaublich heiter und froh, und bei der Taufe erschien er mir gegen seine Art wie begeistert, ja ich möchte sagen, als ein Genius mit zwei Gesichtern."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1872,"orig":"Mit dem einen blickte er freudig vorwärts in jene Regionen, in die er bald einzugehen hoffte; mit dem andern auf das neue, hoffnungsvolle irdiſche Leben, das in dem Knaben entſprungen war, der von ihm abſtammte.","norm":"Mit dem einen blickte er freudig vorwärts in jene Regionen, in die er bald einzugehen hoffte; mit dem anderen auf das neue, hoffnungsvolle irdische Leben, das in dem Knaben entsprungen war, der von ihm abstammte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1873,"orig":"Er ward nicht müde auf dem Rückwege mich von dem Kinde zu unterhalten, von ſeiner Geſtalt, ſeiner Geſundheit, und dem Wunſche, daß die Anlagen dieſes neuen Weltbürgers glücklich ausgebildet werden möchten.","norm":"Er wurde nicht müde auf dem Rückwege mich von dem Kinde zu unterhalten, von seiner Gestalt, seiner Gesundheit, und dem Wunsche, dass die Anlagen dieses neuen Weltbürgers glücklich ausgebildet werden möchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1874,"orig":"Seine Betrachtungen hierüber dauerten fort, als wir zu Hauſe anlangten, und erſt nach einigen Tagen bemerkte man eine Art Fieber, das ſich nach Tiſch ohne Froſt und durch eine etwas ermattende Hitze äuſſerte.","norm":"Seine Betrachtungen hierüber dauerten fort, als wir zu Hause anlangten, und erst nach einigen Tagen bemerkte man eine Art Fieber, das sich nach Tisch ohne Frost und durch eine etwas ermattende Hitze äußerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1875,"orig":"Er legte ſich jedoch nicht nieder, fuhr des morgens aus und verſah treulich ſeine Amtsgeſchäfte, bis ihn endlich anhaltende, ernſthafte Symptome davon abhielten.","norm":"Er legte sich jedoch nicht nieder, fuhr des Morgens aus und versah treulich seine Amtsgeschäfte, bis ihn endlich anhaltende, ernsthafte Symptome davon abhielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1876,"orig":"Nie werde ich die Ruhe des Geiſtes, die Klarheit und Deutlichkeit vergeſſen, womit er die Angelegenheiten ſeines Hauſes, die Beſorgung ſeines Begräbniſſes, als wie das Geſchäft eines andern, mit der größten Ordnung vornahm.","norm":"Nie werde ich die Ruhe des Geistes, die Klarheit und Deutlichkeit vergessen, womit er die Angelegenheiten seines Hauses, die Besorgung seines Begräbnisses, als wie das Geschäft eines anderen, mit der größten Ordnung vornahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1877,"orig":"Mit einer Heiterkeit, die ihm ſonſt nicht eigen war, und die bis zu einer lebhaften Freude ſtieg, ſagte er zu mir: wo iſt die Todesfurcht hingekommen, die ich ſonſt noch wohl empfand?","norm":"Mit einer Heiterkeit, die ihm sonst nicht eigen war, und die bis zu einer lebhaften Freude stieg, sagte er zu mir: wo ist die Todesfurcht hingekommen, die ich sonst noch wohl empfand?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1878,"orig":"ſollt ich zu ſterben ſcheuen?","norm":"sollte ich zu sterben scheuen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1879,"orig":"ich habe einen gnädigen Gott, das Grab erweckt mir kein Grauen, ich habe ein ewiges Leben.","norm":"Ich habe einen gnädigen Gott, das Grab erweckt mir kein Grauen, ich habe ein ewiges Leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1880,"orig":"Mir die Umſtände ſeines Todes zurück zu rufen, der bald darauf erfolgte, iſt in meiner Einſamkeit eine meiner angenehmſten Unterhaltungen, und die ſichtbaren Wirkungen einer höhern Kraft dabey wird mir niemand wegräſonniren.","norm":"Mir die Umstände seines Todes zurückzurufen, der bald darauf erfolgte, ist in meiner Einsamkeit eine meiner angenehmsten Unterhaltungen, und die sichtbaren Wirkungen einer höheren Kraft dabei wird mir niemand wegräsonieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1881,"orig":"Der Tod meines lieben Vaters veränderte meine bisherige Lebensart.","norm":"Der Tod meines lieben Vaters veränderte meine bisherige Lebensart."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1882,"orig":"Aus dem ſtrengſten Gehorſam, aus der größten Einſchränkung kam ich in die größte Freiheit, und ich genoß ihrer wie einer Speiſe die man lange entbehrt hat.","norm":"Aus dem strengsten Gehorsam, aus der größten Einschränkung kam ich in die größte Freiheit, und ich genoss ihrer wie eine Speise die man lange entbehrt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1883,"orig":"Sonſt war ich ſelten zwey Stunden außer dem Hauſe, nun verlebte ich kaum Einen Tag in meinem Zimmer.","norm":"Sonst war ich selten zwei Stunden außer dem Hause, nun verlebte ich kaum Einen Tag in meinem Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1884,"orig":"Meine Freunde, bey denen ich ſonſt nur abgeriſſene Beſuche machen konnte, wollten ſich meines anhaltenden Umgangs, ſo wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters wurde ich zu Tiſche geladen, Spazierfahrten und kleine Luſtreiſen kamen hinzu, und ich blieb nirgends zurück.","norm":"Meine Freunde, bei denen ich sonst nur abgerissene Besuche machen konnte, wollten sich meines anhaltenden Umgangs, so wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters wurde ich zu Tische geladen, Spazierfahrten und kleine Lustreisen kamen hinzu, und ich blieb nirgends zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1885,"orig":"Als aber der Zirkel durchlaufen war, ſo ſahe ich, daß das unſchätzbare Glück der Freiheit nicht darin beſteht, daß man alles thut, was man thun mag, und wozu uns die Umſtände einladen ſondern, daß man das ohne Hinderniß und Rückhalt, auf dem graden Wege, thun kann, was man für recht und ſchicklich hält, und ich war alt genug, in dieſem Falle, ohne Lehrgeld zu der ſchönen Überzeugung zu gelangen.","norm":"Als aber der Zirkel durchlaufen war, so sah ich, dass das unschätzbare Glück der Freiheit nicht darin besteht, dass man alles tut, was man tun mag, und wozu uns die Umstände einladen sondern, dass man das ohne Hindernis und Rückhalt, auf dem geraden Wege, tun kann, was man für Recht und schicklich hält, und ich war alt genug, in diesem Falle, ohne Lehrgeld zu der schönen Überzeugung zu gelangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1886,"orig":"Was ich mir nicht verſagen konnte, war, ſobald als nur möglich, den Umgang mit den Gliedern der Herrnhuthiſchen Gemeine fortzuſetzen, und feſter zu knüpfen, und ich eilte eine ihrer nächſten Einrichtungen zu beſuchen: aber auch da fand ich keinesweges, was ich mir vorgeſtellt hatte.","norm":"Was ich mir nicht versagen konnte, war, sobald als nur möglich, den Umgang mit den Gliedern der Herrnhutischen Gemeine fortzusetzen, und fester zu knüpfen, und ich eilte eine ihrer nächsten Einrichtungen zu besuchen: aber auch da fand ich keineswegs, was ich mir vorgestellt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1887,"orig":"Ich war ehrlich genug meine Meinung merken zu laſſen, und man ſuchte mir hinwieder beyzubringen: dieſe Verfaſſung ſey gar nichts gegen eine ordentlich eingerichtete Gemeine.","norm":"Ich war ehrlich genug meine Meinung merken zu lassen, und man suchte mir hinwieder beizubringen: Diese Verfassung sei gar nichts gegen eine ordentlich eingerichtete Gemeine."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1888,"orig":"Ich konnte mir das gefallen laſſen, doch hätte nach meiner Überzeugung der wahre Geiſt, aus einer kleinen ſo gut, als aus einer großen Anſtalt, hervorblicken ſollen.","norm":"Ich konnte mir das gefallen lassen, doch hätte nach meiner Überzeugung der wahre Geist, aus einer kleinen so gut, als aus einer großen Anstalt, hervorblicken sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1889,"orig":"Einer ihrer Biſchöfe, der gegenwärtig war, ein unmittelbarer Schüler des Grafen, beſchäftigte ſich viel mit mir; er ſprach vollkommen Engliſch; und weil ich es ein wenig verſtand, meinte er, es ſey ein Wink, daß wir zuſammen gehörten; ich meinte es aber ganz und gar nicht, ſein Umgang konnte mir nicht im geringſten gefallen.","norm":"Einer ihrer Bischöfe, der gegenwärtig war, ein unmittelbarer Schüler des Grafen, beschäftigte sich viel mit mir; er sprach vollkommen Englisch; und weil ich es ein wenig verstand, meinte er, es sei ein Wink, dass wir zusammengehörten; ich meinte es aber ganz und gar nicht, sein Umgang konnte mir nicht im Geringsten gefallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1890,"orig":"Er war ein Meſſerſchmidt, ein gebohrner Mähre, ſeine Art zu denken konnte das handwerksmäßige nicht verleugnen.","norm":"Er war ein Messerschmied, ein geborener Mähre, seine Art zu denken konnte das Handwerksmäßige nicht verleugnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1891,"orig":"Beſſer verſtand ich mich mit dem Herrn von L *, der Major in franzöſiſchen Dienſten geweſen war; aber zu der Unterthänigkeit, die er gegen ſeinen Vorgeſetzten bezeigte, fühlte ich mich niemals fähig; ja es war mir als wenn man mir eine Ohrfeige gäbe, wenn ich die Majorin und andere, mehr oder weniger angeſehene, Frauen dem Biſchof die Hand küſſen ſah.","norm":"Besser verstand ich mich mit dem Herrn von L *, der Major in französischen Diensten gewesen war; aber zu der Untertänigkeit, die er gegen seinen Vorgesetzten bezeigte, fühlte ich mich niemals fähig; ja es war mir als wenn man mir eine Ohrfeige gäbe, wenn ich die Majorin und andere, mehr oder weniger angesehene, Frauen dem Bischof die Hand küssen sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1892,"orig":"Indeſſen wurde doch eine Reiſe nach Holland verabredet, die aber, und gewiß zu meinem Beſten, niemals zu Stande kam.","norm":"Indessen wurde doch eine Reise nach Holland verabredet, die aber, und gewiss zu meinem Besten, niemals zustande kam."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1893,"orig":"Meine Schweſter war mit einer Tochter niedergekommen, und nun war die Reihe an uns Frauen zufrieden zu ſeyn, und zu denken, wie ſie dereinſt, uns ähnlich, erzogen werden ſollte.","norm":"Meine Schwester war mit einer Tochter niedergekommen, und nun war die Reihe an uns Frauen zufrieden zu sein, und zu denken, wie sie dereinst, uns ähnlich, erzogen werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1894,"orig":"Mein Schwager war dagegen ſehr unzufrieden, als in dem Jahre darauf abermals eine Tochter erfolgte; er wünſchte bey ſeinen großen Gütern Knaben um ſich zu ſehen, die ihm einſt in der Verwaltung beyſtehen könnten.","norm":"Mein Schwager war dagegen sehr unzufrieden, als in dem Jahre darauf abermals eine Tochter erfolgte; er wünschte bei seinen großen Gütern Knaben um sich zu sehen, die ihm einst in der Verwaltung beistehen könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1895,"orig":"Ich hielt mich bey meiner ſchwachen Geſundheit ſtill, und bey einer ruhigen Lebensart ziemlich im Gleichgewicht, ich fürchtete den Tod nicht, ja ich wünſchte zu ſterben, aber ich fühlte in der Stille, daß mir Gott Zeit gebe, meine Seele zu unterſuchen und ihm immer näher zu kommen.","norm":"Ich hielt mich bei meiner schwachen Gesundheit still, und bei einer ruhigen Lebensart ziemlich im Gleichgewicht, ich fürchtete den Tod nicht, ja ich wünschte zu sterben, aber ich fühlte in der Stille, dass mir Gott Zeit gebe, meine Seele zu untersuchen und ihm immer näher zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1896,"orig":"In den vielen ſchlafloſen Nächten habe ich beſonders etwas empfunden, das ich eben nicht deutlich beſchreiben kann.","norm":"In den vielen schlaflosen Nächten habe ich besonders etwas empfunden, das ich eben nicht deutlich beschreiben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1897,"orig":"Es war als wenn meine Seele ohne Geſellſchaft des Körpers dächte, ſie ſah den Körper ſelbſt als ein, ihr fremdes, Weſen an, wie man etwa ein Kleid anſieht.","norm":"Es war als wenn meine Seele ohne Gesellschaft des Körpers dächte, sie sah den Körper selbst als ein, ihr fremdes, Wesen an, wie man etwa ein Kleid ansieht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1898,"orig":"Sie ſtellte ſich mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit die vergangenen Zeiten und Begebenheiten vor, und fühlte daraus, was folgen werde.","norm":"Sie stellte sich mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit die vergangenen Zeiten und Begebenheiten vor, und fühlte daraus, was folgen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1899,"orig":"Alle dieſe Zeiten ſind dahin, was folgt wird auch dahin gehen; der Körper wird wie ein Kleid zerreißen, aber Ich, das wohlbekannte Ich, Ich bin.","norm":"Alle diese Zeiten sind dahin, was folgt wird auch dahingehen; der Körper wird wie ein Kleid zerreißen, aber Ich, das wohlbekannte Ich, Ich bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1900,"orig":"Dieſem großen, erhabenen und tröſtlichen Gefühle ſo wenig als nur möglich nachzuhängen, lehrte mich ein edler Freund, der ſich mir immer näher verband; es war der Arzt, den ich in dem Hauſe meines Oheims hatte kennen lernen, und der ſich von der Verfaſſung meines Körpers und meines Geiſtes ſehr gut unterrichtet hatte; er zeigte mir wie ſehr dieſe Empfindungen, wenn wir ſie, unabhängig von äußern Gegenſtänden, in uns nähren, uns gewiſſermaßen aushöhlen und den Grund unſeres Daſeyns untergraben.","norm":"Diesem großen, erhabenen und tröstlichen Gefühle so wenig als nur möglich nachzuhängen, lehrte mich ein edler Freund, der sich mir immer näher verband; es war der Arzt, den ich in dem Hause meines Oheims hatte kennen lernen, und der sich von der Verfassung meines Körpers und meines Geistes sehr gut unterrichtet hatte; er zeigte mir wie sehr diese Empfindungen, wenn wir sie, unabhängig von äußeren Gegenständen, in uns nähren, uns gewissermaßen aushöhlen und den Grund unseres Daseins untergraben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1901,"orig":"Thätig zu ſeyn, ſagte er, iſt des Menſchen erſte Beſtimmung, und alle Zwiſchenzeiten, in denen er auszuruhen genöthiget iſt, ſollte er anwenden eine deutliche Erkenntniß der äuſſerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals ſeine Thätigkeit erleichtert.","norm":"Tätig zu sein, sagte er, ist des Menschen erste Bestimmung, und alle Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen genötigt ist, sollte er anwenden eine deutliche Erkenntnis der äußerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit erleichtert."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1902,"orig":"Da der Freund meine Gewohnheit kannte, meinen eigenen Körper als einen äußern Gegenſtand anzuſehn, und da er wußte, daß ich meine Conſtitution, mein Übel, und die mediciniſchen Hülfsmittel ziemlich kannte, und ich wirklich durch anhaltende eigene und fremde Leiden ein halber Arzt geworden war, ſo leitete er meine Aufmerkſamkeit von der Kenntniß des menſchlichen Körpers und der Specereyen, auf die übrigen nachbarlichen Gegenſtände der Schöpfung, und führte mich wie im Paradieſe umher, und nur zuletzt, wenn ich mein Gleichniß fortſetzen darf, ließ er mich den in der Abendkühle im Garten wandelnden Schöpfer aus der Entfernung ahnden.","norm":"Da der Freund meine Gewohnheit kannte, meinen eigenen Körper als einen äußeren Gegenstand anzusehen, und da er wusste, dass ich meine Konstitution, mein Übel, und die medizinischen Hilfsmittel ziemlich kannte, und ich wirklich durch anhaltende eigene und fremde Leiden ein halber Arzt geworden war, so leitete er meine Aufmerksamkeit von der Kenntnis des menschlichen Körpers und der Spezereien, auf die übrigen nachbarlichen Gegenstände der Schöpfung, und führte mich wie im Paradiese umher, und nur zuletzt, wenn ich mein Gleichnis fortsetzen darf, ließ er mich den in der Abendkühle im Garten wandelnden Schöpfer aus der Entfernung ahnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1903,"orig":"Wie gerne ſah ich nunmehr Gott in der Natur, da ich ihn mit ſolcher Gewißheit im Herzen trug, wie intereſſant war mir das Werk ſeiner Hände, und wie dankbar war ich, daß er mich mit dem Athem ſeines Mundes hatte beleben wollen.","norm":"Wie gerne sah ich nunmehr Gott in der Natur, da ich ihn mit solcher Gewissheit im Herzen trug, wie interessant war mir das Werk seiner Hände, und wie dankbar war ich, dass er mich mit dem Atem seines Mundes hatte beleben wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1904,"orig":"Wir hofften aufs neue, mit meiner Schweſter, auf einen Knaben, dem mein Schwager ſo ſehnlich entgegen ſah, und deſſen Geburt er leider nicht erlebte.","norm":"Wir hofften aufs neue, mit meiner Schwester, auf einen Knaben, dem mein Schwager so sehnlich entgegensah, und dessen Geburt er leider nicht erlebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1905,"orig":"Der wackere Mann ſtarb an den Folgen eines unglücklichen Sturzes vom Pferde, und meine Schweſter folgte ihm, nachdem ſie der Welt einen ſchönen Knaben gegeben hatte.","norm":"Der wackere Mann starb an den Folgen eines unglücklichen Sturzes vom Pferde, und meine Schwester folgte ihm, nachdem sie der Welt einen schönen Knaben gegeben hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1906,"orig":"Ihre vier hinterlaſſenen Kinder konnte ich nur mit Wehmuth anſehn.","norm":"Ihre vier hinterlassenen Kinder konnte ich nur mit Wehmut ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1907,"orig":"So manche geſunde Perſon war vor mir, der Kranken, hingegangen, ſollte ich nicht vielleicht von dieſen hoffnungsvollen Blüthen manche abfallen ſehen?","norm":"So manche gesunde Person war vor mir, der Kranken, hingegangen, sollte ich nicht vielleicht von diesen hoffnungsvollen Blüten manche abfallen sehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1908,"orig":"Ich kannte die Welt genug, um zu wiſſen, unter wie vielen Gefahren ein Kind, beſonders in dem höheren Stande, herauf wächſt, und es ſchien mir, als wenn ſie ſeit der Zeit meiner Jugend ſich für die gegenwärtige Welt noch vermehrt hätten.","norm":"Ich kannte die Welt genug, um zu wissen, unter wie vielen Gefahren ein Kind, besonders in dem höheren Stande, heraufwächst, und es schien mir, als wenn sie seit der Zeit meiner Jugend sich für die gegenwärtige Welt noch vermehrt hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1909,"orig":"Ich fühlte daß ich, bey meiner Schwäche, wenig oder nichts für die Kinder zu thun im Stande ſey, um deſto erwünſchter war mir des Oheims Entſchluß, der natürlich aus ſeiner Denkungsart entſprang, ſeine ganze Aufmerkſamkeit auf die Erziehung dieſer liebenswürdigen Geſchöpfe zu verwenden.","norm":"Ich fühlte dass ich, bei meiner Schwäche, wenig oder nichts für die Kinder zu tun im Stande sei, um desto erwünschter war mir des Oheims Entschluss, der natürlich aus seiner Denkungsart entsprang, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Erziehung dieser liebenswürdigen Geschöpfe zu verwenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1910,"orig":"Und gewiß, ſie verdienten es in jedem Sinne, ſie waren wohlgebildet, und verſprachen, bey ihrer großen Verſchiedenheit, ſämmtlich gutartige und verſtändige Menſchen zu werden.","norm":"Und gewiss, sie verdienten es in jedem Sinne, sie waren wohlgebildet, und versprachen, bei ihrer großen Verschiedenheit, sämtlich gutartige und verständige Menschen zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1911,"orig":"Seitdem mein guter Arzt mich aufmerkſam gemacht hatte, betrachtete ich gern die Familienähnlichkeit in Kindern und Verwandten.","norm":"Seitdem mein guter Arzt mich aufmerksam gemacht hatte, betrachtete ich gern die Familienähnlichkeit in Kindern und Verwandten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1912,"orig":"Mein Vater hatte ſorgfältig die Bilder ſeiner Vorfahren aufbewahrt, ſich ſelbſt und ſeine Kinder von leidlichen Meiſtern mahlen laſſen, auch war meine Mutter und ihre Verwandten nicht vergeſſen worden.","norm":"Mein Vater hatte sorgfältig die Bilder seiner Vorfahren aufbewahrt, sich selbst und seine Kinder von leidlichen Meistern malen lassen, auch war meine Mutter und ihre Verwandten nicht vergessen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1913,"orig":"Wir kannten die Charactere der ganzen Familie genau, und da wir ſie oft unter einander verglichen hatten, ſo ſuchten wir nun bey den Kindern die Ähnlichkeiten des äuſſern und innern wieder auf.","norm":"Wir kannten die Charaktere der ganzen Familie genau, und da wir sie oft untereinander verglichen hatten, so suchten wir nun bei den Kindern die Ähnlichkeiten des äußeren und inneren wieder auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1914,"orig":"Der älteſte Sohn meiner Schweſter ſchien ſeinem Großvater, väterlicher Seite, zu gleichen, von dem ein jugendliches Bild ſehr gut gemahlt in der Sammlung unſeres Oheims aufgeſtellt war, auch liebte er wie jener, der ſich immer als ein braver Officier gezeigt hatte, nichts ſo ſehr als das Gewehr, womit er ſich immer, ſo oft er mich beſuchte, beſchäftigte.","norm":"Der älteste Sohn meiner Schwester schien seinem Großvater, väterlicher Seite, zu gleichen, von dem ein jugendliches Bild sehr gut gemalt in der Sammlung unseres Oheims aufgestellt war, auch liebte er wie jener, der sich immer als ein braver Offizier gezeigt hatte, nichts so sehr als das Gewehr, womit er sich immer, sooft er mich besuchte, beschäftigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1915,"orig":"Denn mein Vater hatte einen ſehr ſchönen Gewehrſchrank hinterlaſſen, und der Kleine hatte nicht eher Ruhe, bis ich ihm ein Paar Piſtolen und eine Jagdflinte ſchenkte, und bis er heraus gebracht hatte, wie ein deutſches Schloß aufzuziehen ſey.","norm":"Denn mein Vater hatte einen sehr schönen Gewehrschrank hinterlassen, und der Kleine hatte nicht eher Ruhe, bis ich ihm ein paar Pistolen und eine Jagdflinte schenkte, und bis er herausgebracht hatte, wie ein deutsches Schloss aufzuziehen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1916,"orig":"Übrigens war er in ſeinen Handlungen und ſeinem ganzen Weſen nichts weniger als rauh, ſondern vielmehr ſanft und verſtändig.","norm":"Übrigens war er in seinen Handlungen und seinem ganzen Wesen nichts weniger als rau, sondern vielmehr sanft und verständig."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1917,"orig":"Die älteſte Tochter hatte meine ganze Neigung gefeſſelt, und es mochte wohl daher kommen, weil ſie mir ähnlich ſah, und weil ſie ſich von allen vieren am meiſten zu mir hielt.","norm":"Die älteste Tochter hatte meine ganze Neigung gefesselt, und es mochte wohl daher kommen, weil sie mir ähnlich sah, und weil sie sich von allen vieren am meisten zu mir hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1918,"orig":"Aber ich kann wohl ſagen, je genauer ich ſie beobachtete, da ſie heran wuchs, deſto mehr beſchämte ſie mich, und ich konnte das Kind nicht ohne Bewunderung, ja ich darf beynahe ſagen, nicht ohne Verehrung anſehn.","norm":"Aber ich kann wohl sagen, je genauer ich sie beobachtete, da sie heranwuchs, desto mehr beschämte sie mich, und ich konnte das Kind nicht ohne Bewunderung, ja ich darf beinahe sagen, nicht ohne Verehrung ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1919,"orig":"Man ſah nicht leicht eine edlere Geſtalt, ein ruhiger Gemüth und eine immer gleiche, auf keinen Gegenſtand eingeſchränkte, Thätigkeit.","norm":"Man sah nicht leicht eine edlere Gestalt, ein ruhiger Gemüt und eine immer gleiche, auf keinen Gegenstand eingeschränkte, Tätigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1920,"orig":"Sie war keinen Augenblick ihres Lebens unbeſchäftigt, und jedes Geſchäft ward unter ihren Händen zur würdigen Handlung.","norm":"Sie war keinen Augenblick ihres Lebens unbeschäftigt, und jedes Geschäft wurde unter ihren Händen zur würdigen Handlung."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1921,"orig":"Alles ſchien ihr gleich, wenn ſie nur das verrichten konnte, was in der Zeit und am Platz war, und eben ſo konnte ſie ruhig, ohne Ungeduld, bleiben, wenn ſich nichts zu thun fand.","norm":"Alles schien ihr gleich, wenn sie nur das verrichten konnte, was in der Zeit und am Platz war, und ebenso konnte sie ruhig, ohne Ungeduld, bleiben, wenn sich nichts zu tun fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1922,"orig":"Dieſe Thätigkeit ohne Bedürfniß einer Beſchäftigung habe ich in meinem Leben nicht wieder geſehen.","norm":"Diese Tätigkeit ohne Bedürfnis einer Beschäftigung habe ich in meinem Leben nicht wieder gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1923,"orig":"Unnachahmlich war von Jugend auf ihr Betragen gegen Nothleidende und Hülfsbedürftige.","norm":"Unnachahmlich war von Jugend auf ihr Betragen gegen Notleidende und Hülfsbedürftige."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1924,"orig":"Ich geſtehe gern, daß ich niemals das Talent hatte, mir aus der Wohlthätigkeit ein Geſchäft zu machen; ich war nicht karg gegen Arme, ja ich gab oft in meinem Verhältniſſe zu viel dahin, aber gewiſſermaßen kaufte ich mich nur los, und es mußte mir jemand angebohren ſeyn, wenn er mir meine Sorgfalt abgewinnen wollte.","norm":"Ich gestehe gern, dass ich niemals das Talent hatte, mir aus der Wohltätigkeit ein Geschäft zu machen; ich war nicht karg gegen Arme, ja ich gab oft in meinem Verhältnisse zu viel dahin, aber gewissermaßen kaufte ich mich nur los, und es musste mir jemand angeboren sein, wenn er mir meine Sorgfalt abgewinnen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1925,"orig":"Grade das Gegentheil lobe ich an meiner Nichte.","norm":"Gerade das Gegenteil lobe ich an meiner Nichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1926,"orig":"Ich habe ſie niemals einem Armen Geld geben ſehen, und was ſie von mir zu dieſem Endzweck erhielt, verwandelte ſie immer erſt in das nächſte Bedürfniß.","norm":"Ich habe sie niemals einem Armen Geld geben sehen, und was sie von mir zu diesem Endzweck erhielt, verwandelte sie immer erst in das nächste Bedürfnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1927,"orig":"Niemals erſchien ſie mir liebenswürdiger, als wenn ſie meine Kleider- und Wäſchſchränke plünderte; immer fand ſie etwas, das ich nicht trug und nicht brauchte, und dieſe alten Sachen zuſammen zu ſchneiden und ſie irgend einem zerlumpten Kinde anzupaſſen, war ihre größte Glückſeligkeit.","norm":"Niemals erschien sie mir liebenswürdiger, als wenn sie meine Kleider- und Wäscheschränke plünderte; immer fand sie etwas, das ich nicht trug und nicht brauchte, und diese alten Sachen zusammenzuschneiden und sie irgendeinem zerlumpten Kinde anzupassen, war ihre größte Glückseligkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1928,"orig":"Die Geſinnungen ihrer Schweſter zeigten ſich ſchon anders, ſie hatte vieles von der Mutter, verſprach ſchon frühe ſehr zierlich und reizend zu werden und ſcheint ihr Verſprechen halten zu wollen, ſie iſt ſehr mit ihrem Äußern beſchäfftigt und wußte ſich, von früher Zeit an, auf eine in die Augen fallende Weiſe zu putzen und zu tragen.","norm":"Die Gesinnungen ihrer Schwester zeigten sich schon anders, sie hatte vieles von der Mutter, versprach schon frühe sehr zierlich und reizend zu werden und scheint ihr Versprechen halten zu wollen, sie ist sehr mit ihrem Äußeren beschäftigt und wusste sich, von früher Zeit an, auf eine in die Augen fallende Weise zu putzen und zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1929,"orig":"Ich erinnere mich noch immer, mit welchem Entzükken ſie ſich als ein kleines Kind im Spiegel beſah, als ich ihr die ſchönen Perlen, die mir meine Mutter hinterlaſſen hatte, und die ſie von ungefähr bey mir fand, umbinden mußte.","norm":"Ich erinnere mich noch immer, mit welchem Entzücken sie sich als ein kleines Kind im Spiegel besah, als ich ihr die schönen Perlen, die mir meine Mutter hinterlassen hatte, und die sie von ungefähr bei mir fand, umbinden musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1930,"orig":"Wenn ich dieſe verſchiedenen Neigungen betrachtete, war es mir angenehm zu denken, wie meine Beſitzungen, nach meinem Tode, unter ſie zerfallen und durch ſie wieder lebendig werden würden.","norm":"Wenn ich diese verschiedenen Neigungen betrachtete, war es mir angenehm zu denken, wie meine Besitzungen, nach meinem Tode, unter sie zerfallen und durch sie wieder lebendig werden würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1931,"orig":"Ich ſah die Jagdflinten meines Vaters ſchon wieder auf dem Rücken des Neffen im Felde herumwandeln, und aus ſeiner Jagdtaſche ſchon wieder Hühner heraus fallen; ich ſah meine ſämmtliche Garderobe bey der Oſterconfirmation, lauter kleinen Mädchen angepaßt, aus der Kirche herauskommen und mit meinen beſten Stoffen ein ſittſames Bürgermädchen an ihrem Brauttage geſchmückt; denn zu Ausſtattung ſolcher Kinder und ehrbarer armer Mädchen hatte Natalie eine beſondere Neigung, ob ſie gleich, wie ich hier bemerken muß, ſelbſt keine Art von Liebe, und wenn ich ſo ſagen darf, kein Bedürfniß einer Anhänglichkeit an ein ſichtbares oder unſichtbares Weſen, wie es ſich bey mir in meiner Jugend ſo lebhaft gezeigt hatte, auf irgend eine Weiſe merken ließ.","norm":"Ich sah die Jagdflinten meines Vaters schon wieder auf dem Rücken des Neffen im Felde herumwandeln, und aus seiner Jagdtasche schon wieder Hühner herausfallen; ich sah meine sämtliche Garderobe bei der Osterkonfirmation, lauter kleinen Mädchen angepasst, aus der Kirche herauskommen und mit meinen besten Stoffen ein sittsames Bürgermädchen an ihrem Brauttage geschmückt; denn zu Ausstattung solcher Kinder und ehrbarer armer Mädchen hatte Natalie eine besondere Neigung, ob sie gleich, wie ich hier bemerken muss, selbst keine Art von Liebe, und wenn ich so sagen darf, kein Bedürfnis einer Anhänglichkeit an ein sichtbares oder unsichtbares Wesen, wie es sich bei mir in meiner Jugend so lebhaft gezeigt hatte, auf irgendeine Weise merken ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1932,"orig":"Wenn ich nun dachte, daß die Jüngſte an eben demſelben Tage meine Perlen und Juwelen nach Hofe tragen werde, ſo ſah ich mit Ruhe meine Beſitzungen, wie meinem Körper, den Elementen wiedergegeben.","norm":"Wenn ich nun dachte, dass die Jüngste an ebendemselben Tage meine Perlen und Juwelen nach Hofe tragen werde, so sah ich mit Ruhe meine Besitzungen, wie meinem Körper, den Elementen wiedergegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1933,"orig":"Die Kinder wuchſen heran, und ſind zu meiner Zufriedenheit geſunde, ſchöne und wackre Geſchöpfe.","norm":"Die Kinder wuchsen heran, und sind zu meiner Zufriedenheit gesunde, schöne und wackere Geschöpfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1934,"orig":"Ich ertrage es mit Geduld, daß der Oheim ſie von mir entfernt hält, und ſehe ſie, wenn ſie in der Nähe oder auch wohl gar in der Stadt ſind, ſelten.","norm":"Ich ertrage es mit Geduld, dass der Oheim sie von mir entfernt hält, und sehe sie, wenn sie in der Nähe oder auch wohl gar in der Stadt sind, selten."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1935,"orig":"Ein wunderbarer Mann, den man für einen franzöſiſchen Geiſtlichen hält, ohne daß man recht von ſeiner Herkunft unterrichtet iſt, hat die Aufſicht über die ſämmtlichen Kinder, welche an verſchiedenen Orten erzogen werden und bald hier bald da in der Koſt ſind.","norm":"Ein wunderbarer Mann, den man für einen französischen Geistlichen hält, ohne dass man recht von seiner Herkunft unterrichtet ist, hat die Aufsicht über die sämtlichen Kinder, welche an verschiedenen Orten erzogen werden und bald hier bald da in der Kost sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1936,"orig":"Ich konnte anfangs keinen Plan in dieſer Erziehung ſehn, bis mir mein Arzt zuletzt eröffnete: der Oheim habe ſich durch den Abbé überzeugen laſſen, daß, wenn man an der Erziehung des Menſchen etwas thun wolle, müſſe man ſehen, wohin ſeine Neigungen und ſeine Wünſche gehen?","norm":"Ich konnte anfangs keinen Plan in dieser Erziehung sehen, bis mir mein Arzt zuletzt eröffnete: Der Oheim habe sich durch den Abbé überzeugen lassen, dass, wenn man an der Erziehung des Menschen etwas tun wolle, müsse man sehen, wohin seine Neigungen und seine Wünsche gehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1937,"orig":"ſodann müſſe man ihn in die Lage verſetzen, jene, ſobald als möglich zu befriedigen, dieſe, ſobald als möglich zu erreichen, damit der Menſch, wenn er ſich geirrt habe, früh genug ſeinen Irrthum gewahr werde, und wenn er das getroffen hat, was für ihn paßt, deſto eifriger daran halte und ſich deſto emſiger fortbilde.","norm":"sodann müsse man ihn in die Lage versetzen, jene, so bald als möglich zu befriedigen, diese, so bald als möglich zu erreichen, damit der Mensch, wenn er sich geirrt habe, früh genug seinen Irrtum gewahr werde, und wenn er das getroffen hat, was für ihn passt, desto eifriger daran halte und sich desto emsiger fortbilde."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1938,"orig":"Ich wünſche daß dieſer ſonderbare Verſuch gelingen möge, bey ſo guten Naturen iſt es vielleicht möglich.","norm":"Ich wünsche dass dieser sonderbare Versuch gelingen möge, bei so guten Naturen ist es vielleicht möglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1939,"orig":"Aber das, was ich nicht an dieſen Erziehern billigen kann, iſt, daß ſie alles von den Kindern zu entfernen ſuchen, was ſie zu dem Umgange mit ſich ſelbſt und mit dem unſichtbaren, einzigen treuen Freund führen könne.","norm":"Aber das, was ich nicht an diesen Erziehern billigen kann, ist, dass sie alles von den Kindern zu entfernen suchen, was sie zu dem Umgange mit sich selbst und mit dem unsichtbaren, einzigen treuen Freund führen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1940,"orig":"Ja es verdrießt mich oft von dem Oheim, daß er mich deßhalb für die Kinder für gefährlich hält.","norm":"Ja es verdrießt mich oft von dem Oheim, dass er mich deshalb für die Kinder für gefährlich hält."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1941,"orig":"Im praktiſchen iſt doch kein Menſch tolerant!","norm":"Im Praktischen ist doch kein Mensch tolerant!"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1942,"orig":"denn wer auch verſichert, daß er jedem ſeine Art und Weſen gerne laſſen wolle, ſucht doch immer diejenigen von der Thätigkeit auszuſchließen, die nicht ſo denken wie er.","norm":"Denn wer auch versichert, dass er jedem seine Art und Wesen gerne lassen wolle, sucht doch immer diejenigen von der Tätigkeit auszuschließen, die nicht so denken wie er."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1943,"orig":"Dieſe Art, die Kinder von mir zu entfernen, betrübt mich deſto mehr, je mehr ich von der Realität meines Glaubens überzeugt ſeyn kann.","norm":"Diese Art, die Kinder von mir zu entfernen, betrübt mich desto mehr, je mehr ich von der Realität meines Glaubens überzeugt sein kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1944,"orig":"Warum ſollte er nicht einen göttlichen Urſprung, nicht einen wirklichen Gegenſtand haben, da er ſich im praktiſchen ſo wirkſam erweiſet.","norm":"Warum sollte er nicht einen göttlichen Ursprung, nicht einen wirklichen Gegenstand haben, da er sich im Praktischen so wirksam erweist."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1945,"orig":"Werden wir durchs praktiſche doch unſeres eigenen Daſeyns ſelbſt erſt recht gewiß, warum ſollten wir uns nicht auch auf eben dem Wege von jenem Weſen überzeugen können, das uns zu allem Guten die Hand reicht?","norm":"Werden wir durchs Praktische doch unseres eigenen Daseins selbst erst recht gewiss, warum sollten wir uns nicht auch auf eben dem Wege von jenem Wesen überzeugen können, das uns zu allem Guten die Hand reicht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1946,"orig":"Daß ich immer vorwärts, nie rückwärts gehe, daß meine Handlungen immer mehr der Idee ähnlich werden, die ich mir von der Vollkommenheit gemacht habe, daß ich täglich mehr Leichtigkeit fühle das zu thun, was ich für Recht halte, ſelbſt bey der Schwäche meines Körpers, der mir ſo manchen Dienſt verſagt; läßt ſich das alles aus der menſchlichen Natur, deren Verderben ich ſo tief eingeſehen habe, erklären?","norm":"Dass ich immer vorwärts, nie rückwärts gehe, dass meine Handlungen immer mehr der Idee ähnlich werden, die ich mir von der Vollkommenheit gemacht habe, dass ich täglich mehr Leichtigkeit fühle das zu tun, was ich für Recht halte, selbst bei der Schwäche meines Körpers, der mir so manchen Dienst versagt; lässt sich das alles aus der menschlichen Natur, deren Verderben ich so tief eingesehen habe, erklären?"} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1947,"orig":"Für mich nun einmal nicht.","norm":"Für mich nun einmal nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1948,"orig":"Ich erinnere mich kaum eines Gebotes, nichts erſcheint mir in Geſtalt eines Geſetzes, es iſt ein Trieb der mich leitet und mich immer recht führet; ich folge mit Freiheit meinen Geſinnungen, und weiß ſo wenig von Einſchränkung, als von Reue.","norm":"Ich erinnere mich kaum eines Gebotes, nichts erscheint mir in Gestalt eines Gesetzes, es ist ein Trieb der mich leitet und mich immer recht führt; ich folge mit Freiheit meinen Gesinnungen, und weiß so wenig von Einschränkung, als von Reue."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1949,"orig":"Gott ſey Dank, daß ich erkenne wem ich dieſes Glück ſchuldig bin und daß ich an dieſe Vorzüge nur mit Demuth denken darf.","norm":"Gott sei Dank, dass ich erkenne wem ich dieses Glück schuldig bin und dass ich an diese Vorzüge nur mit Demut denken darf."} {"basename":"goethe_lehrjahre03_1795","par_idx":1950,"orig":"Denn niemals werde ich in Gefahr kommen, auf mein eignes Können und Vermögen ſtolz zu werden, da ich ſo deutlich erkannt habe, welch Ungeheuer in jedem menſchlichen Buſen, wenn eine höhere Kraft uns nicht bewahrt, ſich ererzeugen und nähren könne.","norm":"Denn niemals werde ich in Gefahr kommen, auf mein eigenes Können und Vermögen stolz zu werden, da ich so deutlich erkannt habe, welch Ungeheuer in jedem menschlichen Busen, wenn eine höhere Kraft uns nicht bewahrt, sich erzeugen und nähren könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":0,"orig":"Der Frühling war in ſeiner völligen Herrlichkeit erſchienen; ein frühzeitiges Gewitter, das den ganzen Tag gedrohet hatte, ging ſtürmiſch an den Bergen nieder, der Regen zog nach dem Lande, die Sonne trat wieder in ihrem Glanze hervor und auf dem grauen Grunde erſchien der herrliche Bogen.","norm":"Der Frühling war in seiner völligen Herrlichkeit erschienen; ein frühzeitiges Gewitter, das den ganzen Tag gedroht hatte, ging stürmisch an den Bergen nieder, der Regen zog nach dem Lande, die Sonne trat wieder in ihrem Glanze hervor und auf dem grauen Grunde erschien der herrliche Bogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1,"orig":"Wilhelm ritt ihm entgegen und ſah ihn mit Wehmuth an.","norm":"Wilhelm ritt ihm entgegen und sah ihn mit Wehmut an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":3,"orig":"ſagte er zu ſich ſelbſt, erſcheinen uns denn eben die ſchönſten Farben des Lebens nur auf dunklem Grunde?","norm":"sagte er zu sich selbst, erscheinen uns denn eben die schönsten Farben des Lebens nur auf dunklem Grunde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":4,"orig":"und müſſen Tropfen fallen, wenn wir entzückt werden ſollen?","norm":"und müssen Tropfen fallen, wenn wir entzückt werden sollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":5,"orig":"Ein heiterer Tag iſt wie ein grauer, wenn wir ihn ungerührt anſehen und was kann uns rühren, als die ſtille Hoffnung, daß die angebohrne Neigung unſers Herzens nicht ohne Gegenſtand bleiben werde?","norm":"Ein heiterer Tag ist wie ein grauer, wenn wir ihn ungerührt ansehen und was kann uns rühren, als die stille Hoffnung, dass die angeborene Neigung unseres Herzens nicht ohne Gegenstand bleiben werde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":6,"orig":"Uns rührt die Erzählung jeder guten That, uns rührt das Anſchauen jedes harmoniſchen Gegenſtandes; wir fühlen dabey, daß wir nicht ganz in der Fremde ſind, wir wähnen einer Heimath näher zu ſeyn, nach der unſer Beſtes, Innerſtes ungedultig hinſtrebt.","norm":"Uns rührt die Erzählung jeder guten Tat, uns rührt das Anschauen jedes harmonischen Gegenstandes; wir fühlen dabei, dass wir nicht ganz in der Fremde sind, wir wähnen einer Heimat näher zu sein, nach der unser Bestes, innerstes ungeduldig hinstrebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":7,"orig":"Inzwiſchen hatte ihn ein Fußgänger eingeholt, der ſich zu ihm geſellte, mit ſtarkem Schritte neben dem Pferde blieb und, nach einigen gleichgültigen Reden, zu dem Reuter ſagte: wenn ich mich nicht irre, ſo muß ich Sie irgendwo ſchon geſehen haben.","norm":"Inzwischen hatte ihn ein Fußgänger eingeholt, der sich zu ihm gesellte, mit starkem Schritte neben dem Pferde blieb und, nach einigen gleichgültigen Reden, zu dem Reiter sagte: Wenn ich mich nicht irre, so muss ich Sie irgendwo schon gesehen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":8,"orig":"Ich erinnere mich Ihrer auch, verſetzte Wilhelm, haben wir nicht zuſammen eine luſtige Waſſerfahrt gemacht?","norm":"Ich erinnere mich Ihrer auch, versetzte Wilhelm, haben wir nicht zusammen eine lustige Wasserfahrt gemacht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":9,"orig":"— Ganz recht!","norm":"— Ganz recht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":10,"orig":"erwiederte der andere.","norm":"erwiderte der andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":11,"orig":"Wilhelm betrachtete ihn genauer und ſagte nach einigem Stillſchweigen: ich weiß nicht was für eine Veränderung mit Ihnen vorgegangen ſeyn mag, damals hielt ich Sie für einen lutheriſchen Landgeiſtlichen und jetzt ſcheinen Sie mir eher einem katholiſchen ähnlich zu ſehen.","norm":"Wilhelm betrachtete ihn genauer und sagte nach einigem Stillschweigen: Ich weiß nicht was für eine Veränderung mit Ihnen vorgegangen sein mag, damals hielt ich Sie für einen lutherischen Landgeistlichen und jetzt scheinen Sie mir eher einem katholischen ähnlich zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":12,"orig":"Heute betrügen Sie ſich wenigſtens nicht, ſagte der andere, indem er den Hut abnahm und die Tonſur ſehen ließ.","norm":"Heute betrügen Sie sich wenigstens nicht, sagte der andere, indem er den Hut abnahm und die Tonsur sehen ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":13,"orig":"Wo iſt denn Ihre Geſellſchaft hingekommen?","norm":"Wo ist denn Ihre Gesellschaft hingekommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":14,"orig":"ſind Sie noch lange bey ihr geblieben?","norm":"sind Sie noch lange bei ihr geblieben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":15,"orig":"Länger als billig, denn leider wenn ich an jene Zeit zurück denke, die ich mit ihr zugebracht habe, ſo glaube ich in ein unendliches Leere zu ſehen, es iſt mir nichts davon übrig geblieben?","norm":"Länger als billig, denn leider wenn ich an jene Zeit zurückdenke, die ich mit ihr zugebracht habe, so glaube ich in ein unendliches Leere zu sehen, es ist mir nichts davon übriggeblieben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":16,"orig":"Darinn irren Sie ſich, denn alles was uns begegnet läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unſerer Bildung bey; doch es iſt gefährlich, ſich davon Rechenſchaft geben zu wollen.","norm":"Darin irren Sie sich, denn alles was uns begegnet lässt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei; doch es ist gefährlich, sich davon Rechenschaft geben zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":17,"orig":"Wir werden entweder dabey ſtolz und läßig, oder niedergeſchlagen und kleinmüthig, und eins iſt für die Folge ſo hinderlich als das andere.","norm":"Wir werden entweder dabei stolz und lässig, oder niedergeschlagen und kleinmütig, und eins ist für die Folge so hinderlich als das andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":18,"orig":"Das ſicherſte bleibt immer, nur das nächſte zu thun was vor uns liegt, und das iſt jetzt, fuhr er mit einem Lächeln fort, daß wir eilen ins Quartier zu kommen.","norm":"Das Sicherste bleibt immer, nur das Nächste zu tun was vor uns liegt, und das ist jetzt, fuhr er mit einem Lächeln fort, dass wir eilen ins Quartier zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":19,"orig":"Wilhelm fragte, wie weit noch der Weg nach Lotharios Gut ſey, der andere verſetzte, daß es hinter dem Berge liege; vielleicht treffe ich Sie dort an, fuhr er fort, ich habe nur in der Nachbarſchaft noch etwas zu beſorgen.","norm":"Wilhelm fragte, wie weit noch der Weg nach Lotharios Gut sei, der andere versetzte, dass es hinter dem Berge liege; vielleicht treffe ich Sie dort an, fuhr er fort, ich habe nur in der Nachbarschaft noch etwas zu besorgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":20,"orig":"Leben Sie ſo lange wohl; und mit dieſen Worten ging er einen ſteilen Fußpfad, der ſchneller über den Berg hinüber zu führen ſchien.","norm":"Leben Sie so lange wohl; und mit diesen Worten ging er einen steilen Fußpfad, der schneller über den Berg hinüberzuführen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":21,"orig":"Ja wohl hat er recht!","norm":"Jawohl hat er recht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":22,"orig":"ſagte Wilhelm vor ſich, indem er weiter ritt, an das nächſte ſoll man denken und für mich iſt wohl jetzt nichts näheres als der traurige Auftrag, den ich ausrichten ſoll.","norm":"sagte Wilhelm vor sich, indem er weiter ritt, an das Nächste soll man denken und für mich ist wohl jetzt nichts Näheres als der traurige Auftrag, den ich ausrichten soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":23,"orig":"Laß ſehen, ob ich die Rede noch ganz im Gedächtniß habe, die den grauſamen Freund beſchämen ſoll?","norm":"Lass sehen, ob ich die Rede noch ganz im Gedächtnis habe, die den grausamen Freund beschämen soll?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":24,"orig":"Er fing darauf an, ſich dieſes Kunſtwerk vorzuſagen, es fehlte ihm auch nicht eine Sylbe, und je mehr ihm ſein Gedächtniß zu ſtatten kam, deſto mehr wuchs ſeine Leidenſchaft und ſein Muth.","norm":"Er fing darauf an, sich dieses Kunstwerk vorzusagen, es fehlte ihm auch nicht eine Silbe, und je mehr ihm sein Gedächtnis zustatten kam, desto mehr wuchs seine Leidenschaft und sein Mut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":25,"orig":"Aureliens Leiden und Tod waren lebhaft vor ſeiner Seele gegenwärtig.","norm":"Aurelies Leiden und Tod waren lebhaft vor seiner Seele gegenwärtig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":26,"orig":"Geiſt meiner Freundin!","norm":"Geist meiner Freundin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":27,"orig":"rief er aus, umſchwebe mich!","norm":"rief er aus, umschwebe mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":28,"orig":"und wenn es dir möglich iſt, ſo gieb mir ein Zeichen, daß du beſänftigt, daß du verſöhnt ſeyſt.","norm":"und wenn es dir möglich ist, so gib mir ein Zeichen, dass du besänftigt, dass du versöhnt seist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":29,"orig":"Unter dieſen Worten und Gedanken war er auf die Höhe des Berges gekommen, und ſah an deſſen Abhang, an der andern Seite, ein wunderliches Gebäude liegen, das er ſogleich für Lothario’s Wohnung hielt.","norm":"Unter diesen Worten und Gedanken war er auf die Höhe des Berges gekommen, und sah an dessen Abhang, an der anderen Seite, ein wunderliches Gebäude liegen, das er sogleich für Lotharios Wohnung hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":30,"orig":"Ein altes unregelmäßiges Schloß, mit einigen Thürmen und Giebeln, ſchien die erſte Anlage dazu geweſen zu ſeyn, allein noch unregelmäßiger waren die neuen Angebäude, die theils nah, theils in einiger Entfernung davon errichtet, mit dem Hauptgebäude durch Gallerien und bedeckte Gänge zuſammenhingen.","norm":"Ein altes unregelmäßiges Schloss, mit einigen Türmen und Giebeln, schien die erste Anlage dazu gewesen zu sein, allein noch unregelmäßiger waren die neuen Angebäude, die teils nah, teils in einiger Entfernung davon errichtet, mit dem Hauptgebäude durch Galerien und bedeckte Gänge zusammenhingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":31,"orig":"Alle äußere Symmetrie, jedes architectoniſche Anſehn, ſchien dem Bedürfniß der innern Bequemlichkeit aufgeopfert zu ſeyn.","norm":"Alle äußere Symmetrie, jedes architektonische Ansehen, schien dem Bedürfnis der inneren Bequemlichkeit aufgeopfert zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":32,"orig":"Weder eine Spur von Wall und Graben war zu ſehen, eben ſo wenig als von künſtlichen Gärten und großen Alleen.","norm":"Weder eine Spur von Wall und Graben war zu sehen, ebenso wenig als von künstlichen Gärten und großen Alleen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":33,"orig":"Ein Gemüſe – und Baumgarten drang bis an die Häuſer hinan und kleine nutzbare Gärten waren ſelbſt in den Zwiſchenräumen angelegt.","norm":"Ein Gemüse – und Baumgarten drang bis an die Häuser hinan und kleine nutzbare Gärten waren selbst in den Zwischenräumen angelegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":34,"orig":"Ein heiteres Dörfchen lag in einiger Entfernung, Gärten und Felder ſchienen durchaus in dem beſten Zuſtande.","norm":"Ein heiteres Dörfchen lag in einiger Entfernung, Gärten und Felder schienen durchaus in dem besten Zustande."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":35,"orig":"In ſeine eignen leidenſchaftlichen Betrachtungen vertieft, ritt Wilhelm weiter, ohne viel über das was er ſah’ nachzudenken, ſtellte ſein Pferd in einem Gaſthofe ein und eilte nicht ohne Bewegung nach dem Schloſſe zu.","norm":"In seine eigenen leidenschaftlichen Betrachtungen vertieft, ritt Wilhelm weiter, ohne viel über das was er sah nachzudenken, stellte sein Pferd in einem Gasthofe ein und eilte nicht ohne Bewegung nach dem Schlosse zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":36,"orig":"Ein alter Bedienter empfing ihn an der Thüre, und berichtete ihm mit vieler Gutmüthigkeit, daß er heute wohl ſchwerlich vor den Herren kommen werde; der Herr habe viel Briefe zu ſchreiben und ſchon einige ſeiner Geſchäftsleute abweiſen laſſen.","norm":"Ein alter Bedienter empfing ihn an der Türe, und berichtete ihm mit vieler Gutmütigkeit, dass er heute wohl schwerlich vor den Herren kommen werde; der Herr habe viel Briefe zu schreiben und schon einige seiner Geschäftsleute abweisen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":37,"orig":"Wilhelm ward dringender, und endlich mußte der Alte nachgeben und ihn melden.","norm":"Wilhelm wurde dringender, und endlich musste der Alte nachgeben und ihn melden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":38,"orig":"Er kam zurück, und führte Wilhelmen in einen großen alten Saal.","norm":"Er kam zurück, und führte Wilhelm in einen großen alten Saal."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":39,"orig":"Dort erſuchte er ihn ſich zu gedulden, weil der Herr vielleicht noch eine Zeit lang ausbleiben werde.","norm":"Dort ersuchte er ihn sich zu gedulden, weil der Herr vielleicht noch eine Zeitlang ausbleiben werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":40,"orig":"Wilhelm ging unruhig auf und ab, und warf einige Blicke auf die Ritter und Frauen, deren alte Abbildungen an der Wand umher hingen, er wiederholte den Anfang ſeiner Rede, und ſie ſchien ihm in Gegenwart dieſer Harniſche und Kragen erſt recht am Platz.","norm":"Wilhelm ging unruhig auf und ab, und warf einige Blicke auf die Ritter und Frauen, deren alte Abbildungen an der Wand umher hingen, er wiederholte den Anfang seiner Rede, und sie schien ihm in Gegenwart dieser Harnische und Kragen erst recht am Platz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":41,"orig":"So oft er etwas rauſchen hörte, ſetzte er ſich in Poſitur, um ſeinen Gegner mit Würde zu empfangen, ihm erſt den Brief zu überreichen, und ihn dann mit den Waffen des Vorwurfs anzufallen.","norm":"Sooft er etwas rauschen hörte, setzte er sich in Positur, um seinen Gegner mit Würde zu empfangen, ihm erst den Brief zu überreichen, und ihn dann mit den Waffen des Vorwurfs anzufallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":42,"orig":"Mehrmals war er ſchon getäuſcht worden, und fing wirklich an verdrießlich und verſtimmt zu werden, als endlich aus einer Seitenthür ein wohlgebildeter Mann, in Stiefeln und einem ſchlichten Überrocke, heraustrat.","norm":"Mehrmals war er schon getäuscht worden, und fing wirklich an verdrießlich und verstimmt zu werden, als endlich aus einer Seitentür ein wohlgebildeter Mann, in Stiefeln und einem schlichten Überrocke, heraustrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":43,"orig":"Was bringen Sie mir Gutes?","norm":"Was bringen Sie mir Gutes?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":44,"orig":"ſagte er mit freundlicher Stimme zu Wilhelmen; verzeihen Sie, daß ich Sie habe warten laſſen.","norm":"sagte er mit freundlicher Stimme zu Wilhelm; verzeihen Sie, dass ich sie habe warten lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":45,"orig":"Er faltete, indem er dieſes ſprach, einen Brief, den er in der Hand hielt.","norm":"Er faltete, indem er dieses sprach, einen Brief, den er in der Hand hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":46,"orig":"Wilhelm, nicht ohne Verlegenheit, überreichte ihm das Blatt Aureliens, und ſagte:","norm":"Wilhelm, nicht ohne Verlegenheit, überreichte ihm das Blatt Aurelies, und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":47,"orig":"Ich bringe die letzten Worte einer Freundinn, die Sie nicht ohne Rührung leſen werden.","norm":"Ich bringe die letzten Worte einer Freundin, die Sie nicht ohne Rührung lesen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":48,"orig":"Lothario nahm den Brief und ging ſogleich in das Zimmer zurück, wo er, wie Wilhelm recht gut durch die offne Thüre ſehen konnte, erſt noch einige Briefe ſiegelte und überſchrieb, dann Aureliens Brief eröffnete und las.","norm":"Lothario nahm den Brief und ging sogleich in das Zimmer zurück, wo er, wie Wilhelm recht gut durch die offene Türe sehen konnte, erst noch einige Briefe siegelte und überschrieb, dann Aurelies Brief eröffnete und las."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":49,"orig":"Er ſchien das Blatt einigemal durchgeleſen zu haben, und Wilhelm, obgleich ſeinem Gefühl nach die pathetiſche Rede zu dem natürlichen Empfang nicht recht paſſen wollte, nahm ſich doch zuſammen, ging auf die Schwelle loß und wollte ſeinen Spruch beginnen, als eine Tapetenthüre des Kabinets ſich öffnete, und der Geiſtliche hereintrat.","norm":"Er schien das Blatt einige Mal durchgelesen zu haben, und Wilhelm, obgleich seinem Gefühl nach die pathetische Rede zu dem natürlichen Empfang nicht recht passen wollte, nahm sich doch zusammen, ging auf die Schwelle los und wollte seinen Spruch beginnen, als eine Tapetentüre des Kabinetts sich öffnete, und der Geistliche hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":50,"orig":"Ich erhalte die wunderlichſte Depeſche von der Welt, rief Lothario ihm entgegen; verzeihn Sie mir, fuhr er fort, indem er ſich gegen Wilhelmen wandte, wenn ich in dieſem Augenblicke nicht geſtimmt bin, mich mit Ihnen weiter zu unterhalten.","norm":"Ich erhalte die wunderlichste Depesche von der Welt, rief Lothario ihm entgegen; verzeihen Sie mir, fuhr er fort, indem er sich gegen Wilhelm wandte, wenn ich in diesem Augenblicke nicht gestimmt bin, mich mit Ihnen weiterzuunterhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":51,"orig":"Sie bleiben heute Nacht bey uns!","norm":"Sie bleiben heute Nacht bei uns!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":52,"orig":"und Sie ſorgen für unſern Gaſt, Abbé, daß ihm nichts abgeht.","norm":"und Sie Sorgen für unseren Gast, Abbé, dass ihm nichts abgeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":53,"orig":"Mit dieſen Worten machte er eine Verbeugung gegen Wilhelmen, der Geiſtliche nahm unſern Freund bey der Hand, der nicht ohne Widerſtreben folgte.","norm":"Mit diesen Worten machte er eine Verbeugung gegen Wilhelm, der Geistliche nahm unseren Freund bei der Hand, der nicht ohne Widerstreben folgte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":54,"orig":"Stillſchweigend gingen ſie durch wunderliche Gänge, und kamen in ein gar artiges Zimmer.","norm":"Stillschweigend gingen sie durch wunderliche Gänge, und kamen in ein gar artiges Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":55,"orig":"Der Geiſtliche führte ihn ein, und verließ ihn ohne weitere Entſchuldigung.","norm":"Der Geistliche führte ihn ein, und verließ ihn ohne weitere Entschuldigung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":56,"orig":"Bald darauf erſchien ein munterer Knabe, der ſich bey Wilhelmen als ſeine Bedienung ankündigte und das Abendeſſen brachte, bey der Aufwartung von der Ordnung des Hauſes, wie man zu frühſtücken, zu ſpeiſen, zu arbeiten und ſich zu vergnügen pflegte, manches erzählte, und beſonders zu Lotharios Ruhm gar vieles vorbrachte.","norm":"Bald darauf erschien ein munterer Knabe, der sich bei Wilhelm als seine Bedienung ankündigte und das Abendessen brachte, bei der Aufwartung von der Ordnung des Hauses, wie man zu frühstücken, zu speisen, zu arbeiten und sich zu vergnügen pflegte, manches erzählte, und besonders zu Lotharios Ruhm gar vieles vorbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":57,"orig":"So angenehm der Knabe war, ſo bald ſuchte ihn Wilhelm doch los zu werden.","norm":"So angenehm der Knabe war, sobald suchte ihn Wilhelm doch loszuwerden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":58,"orig":"Er wünſchte allein zu ſeyn, denn er fühlte ſich in ſeiner Lage äußerſt gedrückt und beklommen.","norm":"Er wünschte allein zu sein, denn er fühlte sich in seiner Lage äußerst gedrückt und beklommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":59,"orig":"Er machte ſich Vorwürfe, ſeinen Vorſatz ſo ſchlecht vollführt, ſeinen Auftrag nur halb ausgerichtet zu haben.","norm":"Er machte sich Vorwürfe, seinen Vorsatz so schlecht vollführt, seinen Auftrag nur halb ausgerichtet zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":60,"orig":"Bald nahm er ſich vor, den andern Morgen das Verſäumte nachzuholen, bald fühlte er daß Lothario’s Gegenwart ihn zu ganz andern Gefühlen ſtimmte.","norm":"Bald nahm er sich vor, den anderen Morgen das Versäumte nachzuholen, bald fühlte er dass Lotharios Gegenwart ihn zu ganz anderen Gefühlen stimmte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":61,"orig":"Das Haus, worin er ſich befand, kam ihm auch ſo wunderbar vor, er wußte ſich in ſeine Lage nicht zu finden.","norm":"Das Haus, worin er sich befand, kam ihm auch so wunderbar vor, er wusste sich in seine Lage nicht zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":62,"orig":"Er wollte ſich ausziehen und öfnete ſeinen Mantelſack; mit ſeinen Nachtſachen brachte er zugleich den Schleyer des Geiſtes hervor, den Mignon eingepackt hatte.","norm":"Er wollte sich ausziehen und öffnete seinen Mantelsack; mit seinen Nachtsachen brachte er zugleich den Schleier des Geistes hervor, den Mignon eingepackt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":63,"orig":"Der Anblick vermehrte ſeine traurige Stimmung.","norm":"Der Anblick vermehrte seine traurige Stimmung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":64,"orig":"Flieh, Jüngling, flieh!","norm":"Fliehe, Jüngling, fliehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":65,"orig":"rief er aus, was ſoll das myſtiſche Wort heißen?","norm":"rief er aus, was soll das mystische Wort heißen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":66,"orig":"was fliehen?","norm":"was fliehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":67,"orig":"wohin fliehen?","norm":"wohin fliehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":68,"orig":"Weit beſſer hätte der Geiſt mir zugerufen: kehre in dich ſelbſt zurück!","norm":"Weit besser hätte der Geist mir zugerufen: Kehre in dich selbst zurück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":69,"orig":"Er betrachtete die Engliſchen Kupfer, die an der Wand in Rahmen hingen; gleichgültig ſah er über die meiſten hinweg, endlich fand er auf dem einen ein unglücklich ſtrandendes Schiff vorgeſtellt, ein Vater mit ſeinen ſchönen Töchtern erwartete den Tod von den hereindringenden Wellen.","norm":"Er betrachtete die englischen Kupfer, die an der Wand in Rahmen hingen; gleichgültig sah er über die meisten hinweg, endlich fand er auf dem einen ein unglücklich strandendes Schiff vorgestellt, ein Vater mit seinen schönen Töchtern erwartete den Tod von den hereindringenden Wellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":70,"orig":"Das eine Frauenzimmer ſchien Ähnlichkeit mit jener Amazone zu haben, ein unausſprechliches Mitleiden ergriff unſern Freund, er fühlte ein unwiderſtehliches Bedürfniß ſeinem Herzen Luft zu machen, Thränen drangen aus ſeinem Auge,","norm":"Das eine Frauenzimmer schien Ähnlichkeit mit jener Amazone zu haben, ein unaussprechliches Mitleiden ergriff unseren Freund, er fühlte ein unwiderstehliches Bedürfnis seinem Herzen Luft zu machen, Tränen drangen aus seinem Auge,"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":71,"orig":"und er konnte ſich nicht wieder erholen, bis ihn der Schlaf überwältigte.","norm":"und er konnte sich nicht wieder erholen, bis ihn der Schlaf überwältigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":72,"orig":"Sonderbare Traumbilder erſchienen ihm gegen Morgen.","norm":"Sonderbare Traumbilder erschienen ihm gegen Morgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":73,"orig":"Er fand ſich in einem Garten, den er als Knabe öfters beſucht hatte, und ſah mit Vergnügen die bekannten Alleen, Hecken und Blumenbeete wieder, Mariane begegnete ihm, er ſprach liebevoll mit ihr und ohne Erinnerung irgend eines vergangenen Mißverhältniſſes.","norm":"Er fand sich in einem Garten, den er als Knabe öfters besucht hatte, und sah mit Vergnügen die bekannten Alleen, Hecken und Blumenbeete wieder, Mariane begegnete ihm, er sprach liebevoll mit ihr und ohne Erinnerung irgendeines vergangenen Missverhältnisses."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":74,"orig":"Gleich darauf trat ſein Vater zu ihnen, im Hauskleide; und mit vertraulicher Mine, die ihm ſelten war, hieß er den Sohn zwey Stühle aus dem Gartenhauſe holen, nahm Marianen bey der Hand und führte ſie nach einer Laube.","norm":"Gleich darauf trat sein Vater zu ihnen, im Hauskleide; und mit vertraulicher Mine, die ihm selten war, hieß er den Sohn zwei Stühle aus dem Gartenhause holen, nahm Mariane bei der Hand und führte sie nach einer Laube."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":75,"orig":"Wilhelm eilte nach dem Gartenſaale, fand ihn aber ganz leer, nur ſah er Aurelien an dem entgegengeſetzten Fenſter ſtehen, er ging ſie anzureden, allein ſie blieb unverwandt, und ob er ſich gleich neben ſie ſtellte, konnte er doch ihr Geſicht nicht ſehen.","norm":"Wilhelm eilte nach dem Gartensaale, fand ihn aber ganz leer, nur sah er Aurelie an dem entgegengesetzten Fenster stehen, er ging sie anzureden, allein sie blieb unverwandt, und ob er sich gleich neben sie stellte, konnte er doch ihr Gesicht nicht sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":76,"orig":"Er blickte zum Fenſter hinaus und ſah, in einem fremden Garten, viele Menſchen beyſammen, von denen er einige ſogleich erkannte.","norm":"Er blickte zum Fenster hinaus und sah, in einem fremden Garten, viele Menschen beisammen, von denen er einige sogleich erkannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":77,"orig":"Frau Melina ſaß unter einem Baum und ſpielte mit einer Roſe, die ſie in der Hand hielt;","norm":"Frau Melina saß unter einem Baum und spielte mit einer Rose, die sie in der Hand hielt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":78,"orig":"Laertes ſtand neben ihr und zählte Gold aus einer Hand in die andere.","norm":"Laertes stand neben ihr und zählte Gold aus einer Hand in die andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":79,"orig":"Mignon und Felix lagen im Graſe, jener ausgeſtreckt auf dem Rücken, dieſer auf dem Geſichte.","norm":"Mignon und Felix lagen im Grase, jener ausgestreckt auf dem Rücken, dieser auf dem Gesichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":80,"orig":"Philine trat hervor, und klatſchte über den Kindern in die Hände, Mignon blieb unbeweglich, Felix ſprang auf und floh vor Philinen.","norm":"Philine trat hervor, und klatschte über den Kindern in die Hände, Mignon blieb unbeweglich, Felix sprang auf und floh vor Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":81,"orig":"Erſt lachte er im Laufen, als Philine ihn verfolgte, dann ſchrie er ängſtlich, als der Harfenſpieler mit großen, langſamen Schritten ihm nachging.","norm":"Erst lachte er im Laufen, als Philine ihn verfolgte, dann schrie er ängstlich, als der Harfenspieler mit großen, langsamen Schritten ihm nachging."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":82,"orig":"Das Kind lief grade auf einen Teich loß;","norm":"Das Kind lief gerade auf einen Teich los;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":83,"orig":"Wilhelm eilte ihm nach, aber zu ſpät, das Kind lag im Waſſer!","norm":"Wilhelm eilte ihm nach, aber zu spät, das Kind lag im Wasser!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":84,"orig":"Wilhelm ſtand wie eingewurzelt.","norm":"Wilhelm stand wie eingewurzelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":85,"orig":"Nun ſah er die ſchöne Amazone an der andern Seite des Teichs, ſie ſtreckte ihre rechte Hand gegen das Kind aus und ging am Ufer hin, das Kind durchſtrich das Waſſer in gerader Richtung auf den Finger zu, und folgte ihr nach, wie ſie ging, endlich reichte ſie ihm ihre Hand und zog es aus dem Teiche.","norm":"Nun sah er die schöne Amazone an der anderen Seite des Teichs, sie streckte ihre rechte Hand gegen das Kind aus und ging am Ufer hin, das Kind durchstrich das Wasser in gerader Richtung auf den Finger zu, und folgte ihr nach, wie sie ging, endlich reichte sie ihm ihre Hand und zog es aus dem Teiche."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":86,"orig":"Wilhelm war indeſſen näher gekommen, das Kind brannte über und über, und es fielen feurige Tropfen von ihm herab.","norm":"Wilhelm war indessen näher gekommen, das Kind brannte über und über, und es fielen feurige Tropfen von ihm herab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":87,"orig":"Wilhelm war noch beſorgter, doch die Amazone nahm ſchnell einen weißen Schleyer vom Haupte und bedeckte das Kind damit.","norm":"Wilhelm war noch besorgter, doch die Amazone nahm schnell einen weißen Schleier vom Haupte und bedeckte das Kind damit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":88,"orig":"Das Feuer war ſogleich gelöſcht.","norm":"Das Feuer war sogleich gelöscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":89,"orig":"Als ſie den Schleyer aufhob, ſprangen zwey Knaben hervor, die zuſammen muthwillig hin und her ſpielten, als Wilhelm mit der Amazone Hand in Hand durch den Garten ging, und in der Entfernung ſeinen Vater und Marianen in einer Allee ſpatziren ſah, die mit hohen Bäumen den ganzen Garten zu umgeben ſchien; er richtete ſeinen Weg auf beyde los, und machte mit ſeiner ſchönen Begleiterinn den Durchſchnitt des Gartens, als auf einmal der blonde Friedrich ihnen in den Weg trat und ſie mit großem Gelächter und allerley Poſſen aufhielt.","norm":"Als sie den Schleier aufhob, sprangen zwei Knaben hervor, die zusammen mutwillig hin und her spielten, als Wilhelm mit der Amazone Hand in Hand durch den Garten ging, und in der Entfernung seinen Vater und Mariane in einer Allee spazieren sah, die mit hohen Bäumen den ganzen Garten zu umgeben schien; er richtete seinen Weg auf beide los, und machte mit seiner schönen Begleiterin den Durchschnitt des Gartens, als auf einmal der blonde Friedrich ihnen in den Weg trat und sie mit großem Gelächter und allerlei Possen aufhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":90,"orig":"Sie wollten demungeachtet ihren Weg weiter fortſetzen; da eilte er weg und lief auf jenes entfernte Paar zu, der Vater und Mariane ſchienen vor ihm zu fliehen, er lief nur deſto ſchneller, und Wilhelm ſah jene faſt im Fluge durch die Allee hinſchweben;","norm":"Sie wollten dem ungeachtet ihren Weg weiter fortsetzen; da eilte er weg und lief auf jenes entfernte Paar zu, der Vater und Mariane schienen vor ihm zu fliehen, er lief nur desto schneller, und Wilhelm sah jene fast im Fluge durch die Allee hinschweben;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":91,"orig":"Natur und Neigung forderten ihn auf, jenen zu Hülfe zu kommen, aber die Hand der Amazone hielt ihn zurück.","norm":"Natur und Neigung forderten ihn auf, jenen zu Hilfe zu kommen, aber die Hand der Amazone hielt ihn zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":92,"orig":"Wie gern ließ er ſich halten!","norm":"Wie gern ließ er sich halten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":93,"orig":"Mit dieſer gemiſchten Empfindung wachte er auf und fand ſein Zimmer ſchon von der hellen Sonne erleuchtet.","norm":"Mit dieser gemischten Empfindung wachte er auf und fand sein Zimmer schon von der hellen Sonne erleuchtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":94,"orig":"Der Knabe lud Wilhelmen zum Frühſtück ein, dieſer fand den Abbé ſchon im Saale;","norm":"Der Knabe lud Wilhelm zum Frühstück ein, dieser fand den Abbé schon im Saale;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":95,"orig":"Lothario, hieß es, ſey ausgeritten, der Abbé war nicht ſehr geſprächig und ſchien eher nachdenklich zu ſeyn, er fragte nach Aureliens Tode und hörte mit Theilnahme der Erzählung Wilhelms zu.","norm":"Lothario, hieß es, sei ausgeritten, der Abbé war nicht sehr gesprächig und schien eher nachdenklich zu sein, er fragte nach Aurelies Tode und hörte mit Teilnahme der Erzählung Wilhelms zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":96,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":97,"orig":"rief er aus, wem es lebhaft und gegenwärtig iſt, welche unendliche Operationen Natur und Kunſt machen müſſen, bis ein gebildeter Menſch daſteht, wer ſelbſt ſo viel als möglich an der Bildung ſeiner Mitbrüder Theil nimmt, der möchte verzweifeln, wenn er ſieht, wie freventlich ſich oft der Menſch zerſtöhrt und ſo oft in den Fall kommt, mit oder ohne Schuld, zerſtöhrt zu werden.","norm":"rief er aus, wem es lebhaft und gegenwärtig ist, welche unendliche Operationen Natur und Kunst machen müssen, bis ein gebildeter Mensch dasteht, wer selbst soviel als möglich an der Bildung seiner Mitbrüder teilnimmt, der möchte verzweifeln, wenn er sieht, wie freventlich sich oft der Mensch zerstört und so oft in den Fall kommt, mit oder ohne Schuld, zerstört zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":98,"orig":"Wenn ich das bedenke, ſo ſcheint mir das Leben ſelbſt eine ſo zufällige Gabe, daß ich jeden loben möchte, der ſie nicht höher als billig ſchätzt.","norm":"Wenn ich das bedenke, so scheint mir das Leben selbst eine so zufällige Gabe, dass ich jeden loben möchte, der sie nicht höher als billig schätzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":99,"orig":"Er hatte kaum ausgeſprochen, als die Thüre mit Heftigkeit ſich aufriß, ein junges Frauenzimmer hereinſtürzte, und den alten Bedienten, der ſich ihr in den Weg ſtellte, zurückſtieß.","norm":"Er hatte kaum ausgesprochen, als die Türe mit Heftigkeit sich aufriss, ein junges Frauenzimmer hereinstürzte, und den alten Bedienten, der sich ihr in den Weg stellte, zurückstieß."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":100,"orig":"Sie eilte grade auf den Abbé zu, und konnte, indem ſie ihn beym Arm faßte, für Weinen und Schluchzen kaum die wenigen Worte hervorbringen: wo iſt er?","norm":"Sie eilte gerade auf den Abbé zu, und konnte, indem sie ihn beim Arm fasste, für Weinen und Schluchzen kaum die wenigen Worte hervorbringen: Wo ist er?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":101,"orig":"wo habt ihr ihn?","norm":"Wo habt ihr ihn?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":102,"orig":"es iſt eine entſetzliche Verrätherey!","norm":"Es ist eine entsetzliche Verräterei!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":103,"orig":"geſteht nur!","norm":"Gesteht nur!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":104,"orig":"ich weiß was vorgeht!","norm":"Ich weiß was vorgeht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":105,"orig":"ich will ihm nach!","norm":"Ich will ihm nach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":106,"orig":"ich will wiſſen wo er iſt.","norm":"Ich will wissen wo er ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":107,"orig":"Beruhigen Sie ſich mein Kind, ſagte der Abbé mit angenommener Gelaſſenheit, kommen Sie auf Ihr Zimmer, Sie ſollen alles erfahren, nur müſſen Sie hören können, wenn ich Ihnen erzählen ſoll.","norm":"Beruhigen Sie sich mein Kind, sagte der Abbé mit angenommener Gelassenheit, kommen Sie auf Ihr Zimmer, Sie sollen alles erfahren, nur müssen Sie hören können, wenn ich Ihnen erzählen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":108,"orig":"Er bot ihr die Hand an, im Sinne ſie wegzuführen.","norm":"Er bot ihr die Hand an, im Sinne sie wegzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":109,"orig":"Ich werde nicht auf mein Zimmer gehen, rief ſie aus, ich haſſe die Wände, zwiſchen denen ihr mich ſchon ſo lange gefangen haltet!","norm":"Ich werde nicht auf mein Zimmer gehen, rief sie aus, ich hasse die Wände, zwischen denen ihr mich schon so lange gefangenhaltet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":110,"orig":"und doch habe ich alles erfahren, der Obriſt hat ihn herausgefordert, er iſt hinausgeritten, ſeinen Gegner auſzuſuchen und vielleicht jetzt eben in dieſem Augenblicke!","norm":"und doch habe ich alles erfahren, der Obrist hat ihn herausgefordert, er ist hinausgeritten, seinen Gegner aufzusuchen und vielleicht jetzt eben in diesem Augenblicke!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":111,"orig":"Es war mir etlichemal, als hörte ich ſchießen.","norm":"Es war mir etliche Mal, als hörte ich schießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":112,"orig":"Laſſen Sie anſpannen und fahren Sie mit mir, oder ich fülle das Haus, das ganze Dorf mit meinem Geſchrey.","norm":"Lassen Sie anspannen und fahren Sie mit mir, oder ich fülle das Haus, das ganze Dorf mit meinem Geschrei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":113,"orig":"Sie eilte unter den heftigſten Thränen nach dem Fenſter, der Abbé hielt ſie zurück, und ſuchte vergebens ſie zu beſänftigen.","norm":"Sie eilte unter den heftigsten Tränen nach dem Fenster, der Abbé hielt sie zurück, und suchte vergebens sie zu besänftigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":114,"orig":"Man hörte einen Wagen fahren, ſie riß das Fenſter auf, er iſt todt!","norm":"Man hörte einen Wagen fahren, sie riss das Fenster auf, er ist tot!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":115,"orig":"rief ſie, da bringen ſie ihn — er ſteigt aus!","norm":"rief sie, da bringen sie ihn — er steigt aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":116,"orig":"ſagte der Abbé.","norm":"sagte der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":117,"orig":"Sie ſehen er lebt — er iſt verwundet, verſetzte ſie heftig, ſonſt käm’ er zu Pferde!","norm":"Sie sehen er lebt — er ist verwundet, versetzte sie heftig, sonst käme er zu Pferde!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":118,"orig":"ſie führen ihn!","norm":"sie führen ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":119,"orig":"er iſt gefährlich verwundet!","norm":"Er ist gefährlich verwundet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":120,"orig":"Sie rannte zur Thüre hinaus und die Treppe hinunter, der Abbé eilte ihr nach und Wihelm folgte ihnen, er ſah wie die Schöne ihrem heraufkommenden Geliebten begegnete.","norm":"Sie rannte zur Türe hinaus und die Treppe hinunter, der Abbé eilte ihr nach und Wilhelm folgte ihnen, er sah wie die Schöne ihrem heraufkommenden Geliebten begegnete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":121,"orig":"Lothario lehnte ſich auf ſeinen Begleiter, welchen Wilhelm ſogleich für ſeinen alten Gönner Jarno erkannte, ſprach dem troſtloſen Frauenzimmer gar liebreich und freundlich zu, und indem er ſich auch auf ſie ſtützte, kam er die Treppe langſam herauf, er grüßte Wilhelmen und ward in ſein Cabinet geführt.","norm":"Lothario lehnte sich auf seinen Begleiter, welchen Wilhelm sogleich für seinen alten Gönner Jarno erkannte, sprach dem trostlosen Frauenzimmer gar liebreich und freundlich zu, und indem er sich auch auf sie stützte, kam er die Treppe langsam herauf, er grüßte Wilhelm und wurde in sein Cabinet geführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":122,"orig":"Nicht lange darauf kam Jarno wieder heraus und trat zu Wilhelmen:","norm":"Nicht lange darauf kam Jarno wieder heraus und trat zu Wilhelm:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":123,"orig":"Sie ſind wie es ſcheint, ſagte er, prädeſtinirt, überall Schauſpieler und Theater zu finden; wir ſind eben in einem Drama begriffen, das nicht ganz luſtig iſt.","norm":"Sie sind wie es scheint, sagte er, prädestiniert, überall Schauspieler und Theater zu finden; wir sind eben in einem Drama begriffen, das nicht ganz lustig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":124,"orig":"Ich freue mich, verſetzte Wilhelm, Sie in dieſem ſonderbaren Augenblicke wieder zu finden, ich bin verwundert, erſchrocken und ihre Gegenwart macht mich gleich ruhig und gefaßt.","norm":"Ich freue mich, versetzte Wilhelm, Sie in diesem sonderbaren Augenblicke wiederzufinden, ich bin verwundert, erschrocken und Ihre Gegenwart macht mich gleich ruhig und gefasst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":125,"orig":"Sagen Sie mir, hat es Gefahr?","norm":"Sagen Sie mir, hat es Gefahr?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":126,"orig":"iſt der Baron ſchwer verwundet?","norm":"ist der Baron schwer verwundet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":127,"orig":"— Ich glaube nicht, verſetzte Jarno.","norm":"— Ich glaube nicht, versetzte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":128,"orig":"Nach einiger Zeit trat der junge Wundarzt aus dem Zimmer.","norm":"Nach einiger Zeit trat der junge Wundarzt aus dem Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":129,"orig":"Nun was ſagen Sie?","norm":"Nun was sagen Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":130,"orig":"rief ihm Jarno entgegen — daß es ſehr gefährlich ſteht, verſetzte dieſer, und ſteckte einige Inſtrumente in ſeine lederne Taſche zuſammen.","norm":"rief ihm Jarno entgegen — dass es sehr gefährlich steht, versetzte dieser, und steckte einige Instrumente in seine lederne Tasche zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":131,"orig":"Wilhelm betrachtete das Band, das von der Taſche herunter hing, er glaubte es zu kennen.","norm":"Wilhelm betrachtete das Band, das von der Tasche herunterhing, er glaubte es zu kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":132,"orig":"Lebhafte, widerſprechende Farben, ein ſeltſames Muſter, Gold und Silber in wunderlichen Figuren, zeichneten dieſes Band vor allen Bändern der Welt aus.","norm":"Lebhafte, widersprechende Farben, ein seltsames Muster, Gold und Silber in wunderlichen Figuren, zeichneten dieses Band vor allen Bändern der Welt aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":133,"orig":"Wilhelm war überzeugt, die Inſtrumententaſche des alten Chirurgus vor ſich zu ſehen, der ihn in jenem Walde verbunden hatte, und die Hoffnung, nach ſo langer Zeit, wieder eine Spur ſeiner Amazone zu finden, ſchlug wie eine Flamme durch ſein ganzes Weſen.","norm":"Wilhelm war überzeugt, die Instrumententasche des alten Chirurg vor sich zu sehen, der ihn in jenem Walde verbunden hatte, und die Hoffnung, nach so langer Zeit, wieder eine Spur seiner Amazone zu finden, schlug wie eine Flamme durch sein ganzes Wesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":134,"orig":"Wo haben Sie die Taſche her?","norm":"Wo haben Sie die Tasche her?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":135,"orig":"rief er aus.","norm":"rief er aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":136,"orig":"Wem gehörte ſie vor Ihnen?","norm":"Wem gehörte sie vor Ihnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":137,"orig":"ich bitte, ſagen Sie mir's.","norm":"Ich bitte, sagen Sie mir es."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":138,"orig":"— Ich habe ſie in einer Auction gekauft, verſetzte jener, was kümmert mich, wem ſie angehörte?","norm":"— Ich habe sie in einer Auktion gekauft, versetzte jener, was kümmert mich, wem sie Angehörte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":139,"orig":"Mit dieſen Worten entfernte er ſich, und Jarno ſagte: wenn dieſem jungen Menſchen nur ein wahres Wort aus dem Munde ginge.","norm":"Mit diesen Worten entfernte er sich, und Jarno sagte: Wenn diesem jungen Menschen nur ein wahres Wort aus dem Munde ginge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":140,"orig":"— So hat er alſo dieſe Taſche nicht erſtanden?","norm":"— So hat er also diese Tasche nicht erstanden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":141,"orig":"verſetzte Wilhelm.","norm":"versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":142,"orig":"— So wenig als es Gefahr mit Lothario hat, antwortete Jarno.","norm":"— So wenig als es Gefahr mit Lothario hat, antwortete Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":143,"orig":"Wilhelm ſtand in ein vielfaches Nachdenken verſenkt, als Jarno ihn fragte, wie es ihm zeither gegangen ſey?","norm":"Wilhelm stand in ein vielfaches Nachdenken versenkt, als Jarno ihn fragte, wie es ihm zeither gegangen sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":144,"orig":"Wilhelm erzählte ſeine Geſchichte im allgemeinen, und als er zuletzt von Aureliens Tod und ſeiner Bothſchaft geſprochen hatte, rief jener aus: es iſt doch ſonderbar, ſehr ſonderbar!","norm":"Wilhelm erzählte seine Geschichte im allgemeinen, und als er zuletzt von Aurelies Tod und seiner Botschaft gesprochen hatte, rief jener aus: Es ist doch sonderbar, sehr sonderbar!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":145,"orig":"Der Abbé trat aus dem Zimmer, winkte Jarno zu, an ſeiner Statt hinein zu gehen, und ſagte zu Wilhelmen: der Baron läßt Sie erſuchen hier zu bleiben, einige Tage die Geſellſchaft zu vermehren und zu ſeiner Unterhaltung unter dieſen Umſtänden beyzutragen.","norm":"Der Abbé trat aus dem Zimmer, winkte Jarno zu, an seiner statt hineinzugehen, und sagte zu Wilhelm: Der Baron lässt Sie ersuchen hier zu bleiben, einige Tage die Gesellschaft zu vermehren und zu seiner Unterhaltung unter diesen Umständen beizutragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":146,"orig":"Haben Sie nöthig etwas an die Ihrigen zu beſtellen, ſo ſoll Ihr Brief gleich beſorgt werden, und damit ſie dieſe wunderbare Begebenheit verſtehen, von der Sie Augenzeuge ſind, muß ich Ihnen erzählen, was eigentlich kein Geheimniß iſt.","norm":"Haben Sie nötig etwas an die Ihrigen zu bestellen, so soll Ihr Brief gleich besorgt werden, und damit sie diese wunderbare Begebenheit verstehen, von der Sie Augenzeuge sind, muss ich Ihnen erzählen, was eigentlich kein Geheimnis ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":147,"orig":"Der Baron hatte ein kleines Abentheuer mit einer Dame, das mehr Aufſehen machte als billig war, weil ſie den Triumph, ihn einer Nebenbuhlerinn entriſſen zu haben, allzu lebhaft genießen wollte.","norm":"Der Baron hatte ein kleines Abenteuer mit einer Dame, das mehr Aufsehen machte als billig war, weil sie den Triumph, ihn einer Nebenbuhlerin entrissen zu haben, allzu lebhaft genießen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":148,"orig":"Leider fand er nach einiger Zeit bey ihr nicht die nämliche Unterhaltung, er vermied ſie, allein bey ihrer heftigen Gemüthsart war es ihr unmöglich ihr Schickſal mit geſetztem Muthe zu tragen.","norm":"Leider fand er nach einiger Zeit bei ihr nicht die nämliche Unterhaltung, er vermied sie, allein bei ihrer heftigen Gemütsart war es ihr unmöglich ihr Schicksal mit gesetztem Mute zu tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":149,"orig":"Bey einem Balle gab es einen öffentlichen Bruch, ſie glaubte ſich äußerſt beleidigt, und wünſchte gerächet zu werden, kein Ritter fand ſich, der ſich ihrer angenommen hätte, bis endlich ihr Mann, von dem ſie ſich lange getrennt hatte, die Sache erfuhr und ſich ihrer annahm, den Baron herausforderte und heute verwundete, doch iſt der Obriſt, wie ich höre, noch ſchlimmer dabey gefahren.","norm":"Bei einem Balle gab es einen öffentlichen Bruch, sie glaubte sich äußerst beleidigt, und wünschte gerächt zu werden, kein Ritter fand sich, der sich ihrer angenommen hätte, bis endlich ihr Mann, von dem sie sich lange getrennt hatte, die Sache erfuhr und sich ihrer annahm, den Baron herausforderte und heute verwundete, doch ist der Obrist, wie ich höre, noch schlimmer dabei gefahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":150,"orig":"Von dieſem Augenblicke an ward unſer Freund im Hauſe, als gehöre er zur Familie, behandelt.","norm":"Von diesem Augenblicke an wurde unser Freund im Hause, als gehöre er zur Familie, behandelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":151,"orig":"Man hatte einigemal dem Kranken vorgeleſen, Wilhelm leiſtete dieſen kleinen Dienſt mit Freuden.","norm":"Man hatte einige Mal dem Kranken vorgelesen, Wilhelm leistete diesen kleinen Dienst mit Freuden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":152,"orig":"Lydie kam nicht vom Bette hinweg, ihre Sorgfalt für den Verwundeten verſchlang alle ihre übrige Aufmerkſamkeit, aber heute ſchien auch Lothario zerſtreut, ja er bat, daß man nicht weiter leſen möchte.","norm":"Lydie kam nicht vom Bette hinweg, ihre Sorgfalt für den Verwundeten verschlang alle ihre übrige Aufmerksamkeit, aber heute schien auch Lothario zerstreut, ja er bat, dass man nicht weiter lesen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":153,"orig":"Ich fühle heute ſo lebhaft, ſagte er, wie thöricht der Menſch ſeine Zeit verſtreichen läßt!","norm":"Ich fühle heute so lebhaft, sagte er, wie töricht der Mensch seine Zeit verstreichen lässt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":154,"orig":"Wie manches habe ich mir vorgenommen, wie manches durchgedacht, und wie zaudert man nicht bey ſeinen beſten Vorſätzen!","norm":"Wie manches habe ich mir vorgenommen, wie manches durchdacht, und wie zaudert man nicht bei seinen besten Vorsätzen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":155,"orig":"Ich habe die Vorſchläge über die Veränderungen geleſen, die ich auf meinen Gütern machen will, und ich kann ſagen, ich freue mich vorzüglich deshalb, daß die Kugel keinen gefährlichern Weg genommen hat.","norm":"Ich habe die Vorschläge über die Veränderungen gelesen, die ich auf meinen Gütern machen will, und ich kann sagen, ich freue mich vorzüglich deshalb, dass die Kugel keinen gefährlicheren Weg genommen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":156,"orig":"Lydie ſah ihn zärtlich, ja mit Thränen in den Augen an, als ob ſie fragen wollte, ob denn ſie, ob ſeine Freunde nicht auch Antheil an der Lebensfreude fordern könnten.","norm":"Lydie sah ihn zärtlich, ja mit Tränen in den Augen an, als ob sie fragen wollte, ob denn sie, ob seine Freunde nicht auch Anteil an der Lebensfreude fordern könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":157,"orig":"Jarno dagegen verſetzte:","norm":"Jarno dagegen versetzte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":158,"orig":"Veränderungen, wie Sie vorhaben, werden billig erſt von allen Seiten überlegt, bis man ſich dazu entſchließt.","norm":"Veränderungen, wie Sie vorhaben, werden billig erst von allen Seiten überlegt, bis man sich dazu entschließt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":159,"orig":"Lange Überlegungen, verſetzte Lothario, zeigen gewöhnlich, daß man den Punct nicht im Auge hat, von dem die Rede iſt, übereilte Handlungen, daß man ihn gar nicht kennt.","norm":"Lange Überlegungen, versetzte Lothario, zeigen gewöhnlich, dass man den Punkt nicht im Auge hat, von dem die Rede ist, übereilte Handlungen, dass man ihn gar nicht kennt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":160,"orig":"Ich überſehe ſehr deutlich, daß ich in vielen Stücken, bey der Wirthſchaft meiner Güter, die Dienſte meiner Landleute nicht entbehren kann, und daß ich auf gewiſſen Rechten ſtrack und ſtreng halten muß; ich ſehe aber auch, daß andere Befugniſſe mir zwar vortheilhaft, aber nicht ſo unentbehrlich ſind, daß ich davon meinen Leuten auch was gönnen kann, und daß man nicht immer verliert, wenn man entbehrt.","norm":"Ich übersehe sehr deutlich, dass ich in vielen Stücken, bei der Wirtschaft meiner Güter, die Dienste meiner Landleute nicht entbehren kann, und dass ich auf gewissen Rechten strack und streng halten muss; ich sehe aber auch, dass andere Befugnisse mir zwar vorteilhaft, aber nicht so unentbehrlich sind, dass ich davon meinen Leuten auch was gönnen kann, und dass Man nicht immer verliert, wenn man entbehrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":161,"orig":"Nutze ich nicht meine Güter weit beſſer als mein Vater?","norm":"Nutze ich nicht meine Güter weit besser als mein Vater?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":162,"orig":"werde ich meine Einkünfte nicht noch höher treiben?","norm":"Werde ich meine Einkünfte nicht noch höher treiben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":163,"orig":"und ſoll ich dieſen wachſenden Vortheil allein genießen?","norm":"und soll ich diesen wachsenden Vorteil allein genießen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":164,"orig":"ſoll ich dem, der mit und für mich arbeitet, nicht auch in dem Seinigen Vortheile gönnen, die uns erweiterte Kenntniſſe, die uns eine vorrückende Zeit darbietet?","norm":"Soll ich dem, der mit und für mich arbeitet, nicht auch in dem Seinigen Vorteile gönnen, die uns erweiterte Kenntnisse, die uns eine vorrückende Zeit darbietet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":165,"orig":"Der Menſch iſt nun einmal ſo!","norm":"Der Mensch ist nun einmal so!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":166,"orig":"rief Jarno, und ich tadle mich nicht, wenn ich mich auch auf dieſer Eigenheit ertappe, der Menſch begehrt alles an ſich zu reißen, um nur nach Belieben damit ſchalten und walten zu können; das Geld, das er nicht ſelbſt ausgiebt, ſcheint ihm ſelten wohl angewendet.","norm":"rief Jarno, und ich tadle mich nicht, wenn ich mich auch auf dieser Eigenheit ertappe, der Mensch begehrt alles an sich zu reißen, um nur nach Belieben damit schalten und walten zu können; das Geld, das er nicht selbst ausgibt, scheint ihm selten wohl angewendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":167,"orig":"O ja!","norm":"O ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":168,"orig":"verſetzte Lothario, wir könnten manches vom Capital entbehren, wenn wir mit den Intereſſen weniger willkührlich umgingen.","norm":"versetzte Lothario, wir könnten manches vom Kapital entbehren, wenn wir mit den Interessen weniger willkürlich umgingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":169,"orig":"Das einzige, was ich zu erinnern habe, ſagte Jarno, und warum ich nicht rathen kann, daß Sie eben jetzt dieſe Veränderungen machen, wodurch Sie wenigſtens im Augenblicke verlieren, iſt, daß Sie ſelbſt noch Schulden haben, deren Abzahlung Sie einengt.","norm":"Das einzige, was ich zu erinnern habe, sagte Jarno, und warum ich nicht raten kann, dass Sie eben jetzt diese Veränderungen machen, wodurch Sie wenigstens im Augenblicke verlieren, ist, dass Sie selbst noch Schulden haben, deren Abzahlung Sie einengt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":170,"orig":"Ich würde rathen Ihren Plan aufzuſchieben, bis Sie völlig im Reinen wären.","norm":"Ich würde raten Ihren Plan aufzuschieben, bis Sie völlig im Reinen wären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":171,"orig":"Und indeſſen einer Kugel, oder einem Dachziegel zu überlaſſen, ob er die Reſultate meines Lebens und meiner Thätigkeit auf immer vernichten wollte!","norm":"Und indessen einer Kugel, oder einem Dachziegel zu überlassen, ob er die Resultate meines Lebens und meiner Tätigkeit auf immer vernichten wollte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":172,"orig":"o!","norm":"o!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":173,"orig":"mein Freund, fuhr Lothario fort, das iſt ein Hauptfehler gebildeter Menſchen, daß ſie alles an eine Idee, wenig oder nichts an einen Gegenſtand wenden mögen.","norm":"mein Freund, fuhr Lothario fort, das ist ein Hauptfehler gebildeter Menschen, dass sie alles an eine Idee, wenig oder nichts an einen Gegenstand wenden mögen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":174,"orig":"Wozu habe ich Schulden gemacht?","norm":"Wozu habe ich Schulden gemacht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":175,"orig":"warum habe ich mich mit meinem Oheim entzweyt?","norm":"Warum habe ich mich mit meinem Oheim entzweit?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":176,"orig":"meine Geſchwiſter ſo lange ſich ſelbſt überlaſſen?","norm":"meine Geschwister so lange sich selbst überlassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":177,"orig":"als um einer Idee willen.","norm":"als um einer Idee Willen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":178,"orig":"In Amerika glaubte ich zu wirken, über dem Meere glaubte ich nützlich und nothwendig zu ſeyn; war eine Handlung nicht mit tauſend Gefahren umgeben, ſo ſchien ſie mir nicht bedeutend, nicht würdig.","norm":"In Amerika glaubte ich zu wirken, über dem Meere glaubte ich nützlich und notwendig zu sein; war eine Handlung nicht mit tausend Gefahren umgeben, so schien sie mir nicht bedeutend, nicht würdig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":179,"orig":"Wie anders ſeh ich jetzt die Dinge, und wie iſt mir das nächſte ſo werth, ſo theuer geworden.","norm":"Wie anders sehe ich jetzt die Dinge, und wie ist mir das Nächste so wert, so teuer geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":180,"orig":"Ich erinnere mich wohl des Briefes, verſetzte Jarno, den ich noch über das Meer erhielt.","norm":"Ich erinnere mich wohl des Briefes, versetzte Jarno, den ich noch über das Meer erhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":181,"orig":"Sie ſchrieben mir: ich werde zurück kehren, und in meinem Hauſe, in meinem Baumgarten, mitten unter den Meinigen ſagen: hier, oder nirgends iſt Amerika!","norm":"Sie schrieben mir: Ich werde zurückkehren, und in meinem Hause, in meinem Baumgarten, mitten unter den Meinigen sagen: Hier, oder nirgends ist Amerika!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":182,"orig":"Ja, mein Freund, und ich wiederhole noch immer daſſelbe, und doch ſchelte ich mich zugleich, daß ich hier nicht ſo thätig wie dort bin.","norm":"Ja, mein Freund, und ich wiederhole noch immer dasselbe, und doch schelte ich mich zugleich, dass ich hier nicht so tätig wie dort bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":183,"orig":"Zu einer gewiſſen gleichen, fortdauernden Gegenwart brauchen wir nur Verſtand, und wir werden auch nur zu Verſtand, ſo daß wir das außerordentliche, was jeder gleichgültige Tag von uns fordert, nicht mehr ſehen, und wenn wir es erkennen, doch tauſend Entſchuldigungen finden es nicht zu thun.","norm":"Zu einer gewissen gleichen, fortdauernden Gegenwart brauchen wir nur Verstand, und wir werden auch nur zu Verstand, so dass wir das Außerordentliche, was jeder gleichgültige Tag von uns fordert, nicht mehr sehen, und wenn wir es erkennen, doch tausend Entschuldigungen finden es nicht zu tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":184,"orig":"Ein verſtändiger Menſch iſt viel für ſich, aber fürs Ganze iſt er wenig.","norm":"Ein verständiger Mensch ist viel für sich, aber fürs Ganze ist er wenig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":185,"orig":"Wir wollen, ſagte Jarno, dem Verſtande nicht zu nahe treten, und bekennen, daß das außerordentliche, was geſchieht, meiſtens thöricht iſt.","norm":"Wir wollen, sagte Jarno, dem Verstande nicht zu nahe treten, und bekennen, dass das Außerordentliche, was geschieht, meistens töricht ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":186,"orig":"Ja, und zwar eben deswegen, weil die Menſchen das außerordentliche außer der Ordnung thun; ſo giebt mein Schwager ſein Vermögen, in ſo fern er es veräußern kann, der Brüdergemeinde, und glaubt ſeiner Seele Heil dadurch zu befördern; hätte er einen geringen Theil ſeiner Einkünfte aufgeopfert, ſo hätte er viel glückliche Menſchen machen, und ſich und ihnen einen Himmel auf Erden ſchaffen können.","norm":"Ja, und zwar eben deswegen, weil die Menschen das Außerordentliche außer der Ordnung tun; so gibt mein Schwager sein Vermögen, insofern er es veräußern kann, der Brüdergemeinde, und glaubt seiner Seele Heil dadurch zu befördern; hätte er einen geringen Teil seiner Einkünfte aufgeopfert, so hätte er viel glückliche Menschen machen, und sich und ihnen einen Himmel auf Erden schaffen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":187,"orig":"Selten ſind unſere Aufopferungen thätig, wir thun gleich Verzicht auf das, was wir weggeben.","norm":"Selten sind unsere Aufopferungen tätig, wir tun gleich Verzicht auf das, was wir weggeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":188,"orig":"Nicht entſchloſſen, ſondern verzweifelt entſagen wir dem, was wir beſitzen.","norm":"Nicht entschlossen, sondern verzweifelt entsagen wir dem, was wir besitzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":189,"orig":"Dieſe Tage, ich geſteh es, ſchwebt mir der Graf immer vor Augen, und ich bin feſt entſchloſſen, das aus Überzeugung zu thun, wozu ihn ein ängſtlicher Wahn treibt, ich will meine Geneſung nicht abwarten.","norm":"Diese Tage, ich gestehe es, schwebt mir der Graf immer vor Augen, und ich bin fest entschlossen, das aus Überzeugung zu tun, wozu ihn ein ängstlicher Wahn treibt, ich will meine Genesung nicht abwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":190,"orig":"Hier ſind die Papiere, ſie dürfen nur ins reine gebracht werden, nehmen Sie den Gerichtshalter dazu, unſer Gaſt hilft Ihnen auch, Sie wiſſen ſo gut als ich, worauf es ankommt, und ich will hier geneſend oder ſterbend dabey bleiben und ausrufen: hier!","norm":"Hier sind die Papiere, sie dürfen nur ins Reine gebracht werden, nehmen Sie den Gerichtshalter dazu, unser Gast hilft Ihnen auch, Sie wissen so gut als ich, worauf es ankommt, und ich will hier genesend oder sterbend dabei bleiben und ausrufen: hier!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":191,"orig":"oder nirgends iſt Herrnhut.","norm":"oder nirgends ist Herrnhut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":192,"orig":"Als Lydie ihren Freund von ſterben reden hörte, ſtürzte ſie vor ſeinem Bette nieder, hing an ſeinen Armen und weinte bitterlich, der Wundarzt kam herein, Jarno gab Wilhelmen die Papiere und nöthigte Lydien ſich zu entfernen.","norm":"Als Lydie ihren Freund von Sterben reden hörte, stürzte sie vor seinem Bette nieder, hing an seinen Armen und weinte bitterlich, der Wundarzt kam herein, Jarno gab Wilhelmen die Papiere und nötigte Lydien sich zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":193,"orig":"Ums Himmels willen!","norm":"Um das Himmels Willen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":194,"orig":"rief Wilhelm, als ſie in dem Saal allein waren, was iſt das mit dem Grafen?","norm":"rief Wilhelm, als sie in dem Saal allein waren, was ist das mit dem Grafen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":195,"orig":"welch ein Graf iſt das, der ſich unter die Brüdergemeinde begiebt?","norm":"Welch ein Graf ist das, der sich unter die Brüdergemeinde begibt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":196,"orig":"Den Sie ſehr wohl kennen, verſetzte Jarno.","norm":"Den Sie sehr wohl kennen, versetzte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":197,"orig":"Sie ſind das Geſpenſt, das ihn in die Arme der Frömmigkeit jagt, Sie ſind der Böſewicht, der ſein artiges Weib in einen Zuſtand verſetzt, in dem ſie erträglich findet, ihrem Manne zu folgen.","norm":"Sie sind das Gespenst, das ihn in die Arme der Frömmigkeit jagt, Sie sind der Bösewicht, der sein artiges Weib in einen Zustand versetzt, in dem sie erträglich findet, ihrem Manne zu folgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":198,"orig":"Und ſie iſt Lothario's Schweſter?","norm":"Und sie ist Lotharios Schwester?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":199,"orig":"rief Wilhelm.","norm":"rief Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":200,"orig":"Nicht anders.","norm":"Nicht anders."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":201,"orig":"Und Lothario weiß —?","norm":"Und Lothario weiß —?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":202,"orig":"Alles.","norm":"Alles."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":203,"orig":"O laſſen Sie mich fliehen!","norm":"O lassen Sie mich fliehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":204,"orig":"rief Wilhelm aus, wie kann ich vor ihm ſtehen?","norm":"rief Wilhelm aus, wie kann ich vor ihm stehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":205,"orig":"was kann er ſagen?","norm":"Was kann er sagen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":206,"orig":"Daß Niemand einen Stein gegen den andern aufheben ſoll, und daß niemand lange Reden componiren ſoll, um die Leute zu beſchämen, er müßte ſie denn vor dem Spiegel halten wollen.","norm":"Dass Niemand einen Stein gegen den anderen aufheben soll, und dass niemand lange Reden komponieren soll, um die Leute zu beschämen, er müsste sie denn vor dem Spiegel halten wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":207,"orig":"Auch das wiſſen Sie?","norm":"Auch das wissen Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":208,"orig":"Wie manches andere, verſetzte Jarno lächelnd; doch diesmal, fuhr er fort, werde ich Sie ſo leicht nicht wie das vorigemal los laſſen, und vor meinem Werbeſold haben Sie ſich auch nicht mehr zu fürchten.","norm":"Wie manches Andere, versetzte Jarno lächelnd; doch diesmal, fuhr er fort, werde ich Sie so leicht nicht wie das vorige Mal loslassen, und vor meinem Werbesold haben Sie sich auch nicht mehr zu fürchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":209,"orig":"Ich bin kein Soldat mehr, und auch als Soldat hätte ich Ihnen dieſen Argwohn nicht einflößen ſollen.","norm":"Ich bin kein Soldat mehr, und auch als Soldat hätte ich Ihnen diesen Argwohn nicht einflößen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":210,"orig":"Seit der Zeit, daß ich Sie nicht geſehen habe, hat ſich vieles geändert.","norm":"Seit der Zeit, dass ich sie nicht gesehen habe, hat sich vieles geändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":211,"orig":"Nach dem Tode meines Fürſten, meines einzigen Freundes und Wohlthäters, habe ich mich aus der Welt und aus allen weltlichen Verhältniſſen herausgeriſſen.","norm":"Nach dem Tode meines Fürsten, meines einzigen Freundes und Wohltäters, habe ich mich aus der Welt und aus allen weltlichen Verhältnissen herausgerissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":212,"orig":"Ich beförderte gern was vernünftig war, verſchwieg nicht wenn ich etwas abgeſchmackt fand, und man hatte immer von meinem unruhigen Kopf und von meinem böſen Maule zu reden.","norm":"Ich beförderte gern was vernünftig war, verschwieg nicht wenn ich etwas abgeschmackt fand, und man hatte immer von meinem unruhigen Kopf und von meinem bösen Maule zu reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":213,"orig":"Das Menſchenpack fürchtet ſich vor nichts mehr, als vor dem Verſtande; vor der Dummheit ſollten ſie ſich fürchten, wenn ſie begriffen, was fürchterlich iſt; aber jener iſt unbequem, und man muß ihn bey Seite ſchaffen, dieſe iſt nur verderblich, und das kann man abwarten.","norm":"Das Menschenpack fürchtet sich vor nichts mehr, als vor dem Verstande; vor der Dummheit sollten sie sich fürchten, wenn sie begriffen, was fürchterlich ist; aber jener ist unbequem, und man muss ihn beiseite schaffen, diese ist nur verderblich, und das kann man abwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":214,"orig":"Doch es mag hingehen, ich habe zu leben, und von meinem Plane ſollen Sie weiter hören.","norm":"Doch es mag hingehen, ich habe zu leben, und von meinem Plane sollen Sie weiter hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":215,"orig":"Sie ſollen Theil daran nehmen, wenn Sie mögen; aber ſagen Sie mir, wie iſt es Ihnen ergangen?","norm":"Sie sollen Teil daran nehmen, wenn Sie mögen; aber sagen Sie mir, wie ist es Ihnen ergangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":216,"orig":"ich ſehe, ich fühle Ihnen an, auch Sie haben ſich verändert.","norm":"Ich sehe, ich fühle Ihnen an, auch Sie haben sich verändert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":217,"orig":"Wie ſtehts mit Ihrer alten Grille, etwas Schönes und Gutes in Geſellſchaft von Zigeunern hervorzubringen?","norm":"Wie steht es mit Ihrer alten Grille, etwas Schönes und Gutes in Gesellschaft von Zigeunern hervorzubringen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":218,"orig":"Ich bin geſtraft genug!","norm":"Ich bin gestraft genug!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":219,"orig":"rief Wilhelm aus, erinnern Sie mich nicht, woher ich komme und wohin ich gehe.","norm":"rief Wilhelm aus, erinnern Sie mich nicht, woher ich komme und wohin ich gehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":220,"orig":"Man ſpricht viel vom Theater, aber wer nicht ſelbſt darauf war, kann ſich keine Vorſtellung davon machen.","norm":"Man spricht viel vom Theater, aber wer nicht selbst darauf war, kann sich keine Vorstellung davon machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":221,"orig":"Wie völlig dieſe Menſchen mit ſich ſelbſt unbekannt ſind, wie ſie ihr Geſchäft ohne Nachdenken treiben, wie ihre Anforderungen ohne Grenzen ſind, davon hat man keinen Begriff.","norm":"Wie völlig diese Menschen mit sich selbst unbekannt sind, wie sie ihr Geschäft ohne Nachdenken treiben, wie ihre Anforderungen ohne Grenzen sind, davon hat man keinen Begriff."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":222,"orig":"Nicht allein will jeder der erſte, ſondern auch der einzige ſeyn, jeder möchte gerne alle übrigen ausſchließen, und ſieht nicht, daß er mit ihnen, zuſammen kaum etwas leiſtet; jeder dünkt ſich wunder Original zu ſeyn, und iſt unfähig ſich in etwas zu finden, was außer dem Schlendrian iſt; dabey eine immerwährende Unruhe nach etwas neuem.","norm":"Nicht allein will jeder der Erste, sondern auch der einzige sein, jeder möchte gerne alle übrigen ausschließen, und sieht nicht, dass er mit ihnen, zusammen kaum etwas leistet; jeder dünkt sich wunder Original zu sein, und ist unfähig sich in etwas zu finden, was außer dem Schlendrian ist; dabei eine immerwährende Unruhe nach etwas Neuem."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":223,"orig":"Mit welcher Heftigkeit wirken ſie gegen einander!","norm":"Mit welcher Heftigkeit wirken sie gegeneinander!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":224,"orig":"und nur die kleinlichſte Eigenliebe, der beſchränkteſte Eigennutz macht, daß ſie ſich mit einander verbinden.","norm":"und nur die kleinlichste Eigenliebe, der beschränkteste Eigennutz macht, dass sie sich miteinander verbinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":225,"orig":"Vom wechſelſeitigen Betragen iſt gar die Rede nicht, ein ewiges Mißtrauen wird durch heimliche Tücke und ſchändliche Reden unterhalten; wer nicht liederlich lebt, lebt albern.","norm":"Vom wechselseitigen Betragen ist gar die Rede nicht, ein ewiges Misstrauen wird durch heimliche Tücke und schändliche Reden unterhalten; wer nicht liederlich lebt, lebt albern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":226,"orig":"Jeder macht Anſpruch auf die unbedingteſte Achtung, jeder iſt empfindlich gegen den mindeſten Tadel.","norm":"Jeder macht Anspruch auf die unbedingteste Achtung, jeder ist empfindlich gegen den mindesten Tadel."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":227,"orig":"Das hat er alles ſchon ſelbſt beſſer gewußt!","norm":"Das hat er alles schon selbst besser gewusst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":228,"orig":"und warum hat er denn immer das Gegentheil gethan?","norm":"und warum hat er denn immer das Gegenteil getan?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":229,"orig":"Immer bedürftig und immer ohne Zutrauen, ſcheint es, als wenn ſie ſich vor nichts ſo ſehr fürchteten als vor Vernunft und gutem Geſchmack, und nichts ſo ſehr zu erhalten ſuchten, als daß Majeſtätsrecht ihrer perſönlichen Willkühr.","norm":"Immer bedürftig und immer ohne Zutrauen, scheint es, als wenn sie sich vor nichts so sehr fürchteten als vor Vernunft und gutem Geschmack, und nichts so sehr zu erhalten suchten, als dass Majestätsrecht ihrer persönlichen Willkür."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":230,"orig":"Wilhelm holte Athem, um ſeine Litaney noch weiter forzuſetzen, als ein unmäßiges Gelächter Jarno’s ihn unterbrach.","norm":"Wilhelm holte Atem, um seine Litanei noch weiter fortzusetzen, als ein unmäßiges Gelächter Jarnos ihn unterbrach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":231,"orig":"Die armen Schauſpieler!","norm":"Die armen Schauspieler!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":232,"orig":"rief er aus, warf ſich in einen Seſſel und lachte fort; die armen guten Schauſpieler!","norm":"rief er aus, warf sich in einen Sessel und lachte fort; die armen guten Schauspieler!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":233,"orig":"Wiſſen Sie denn, mein Freund, fuhr er fort, nachdem er ſich einigermaßen wieder erholt hatte, daß Sie nicht das Theater, ſondern die Welt beſchrieben haben, und daß ich Ihnen aus allen Ständen genug Figuren und Handlungen zu Ihren harten Pinſelſtrichen finden wollte?","norm":"Wissen Sie denn, mein Freund, fuhr er fort, nachdem er sich einigermaßen wieder erholt hatte, dass Sie nicht das Theater, sondern die Welt beschrieben haben, und dass ich Ihnen aus allen Ständen genug Figuren und Handlungen zu Ihren harten Pinselstrichen finden wollte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":234,"orig":"Verzeihen Sie mir, ich muß wieder lachen, daß Sie glaubten, dieſe ſchönen Qualitäten ſeyen nur auf die Breter gebannt.","norm":"Verzeihen Sie mir, ich muss wieder lachen, dass Sie glaubten, diese schönen Qualitäten seien nur auf die Bretter gebannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":235,"orig":"Wilhelm faßte ſich, denn wirklich hatte ihn das unbändige und unzeitige Gelächter Jarno’s verdroſſen.","norm":"Wilhelm fasste sich, denn wirklich hatte ihn das unbändige und unzeitige Gelächter Jarnos verdrossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":236,"orig":"Sie können, ſagte er, Ihren Menſchenhaß nicht ganz verbergen, wenn Sie behaupten, daß dieſe Fehler allgemein ſeyen.","norm":"Sie können, sagte er, Ihren Menschenhass nicht ganz verbergen, wenn Sie behaupten, dass diese Fehler allgemein seien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":237,"orig":"Und es zeigt von Ihrer Unbekanntſchaft mit der Welt, wenn Sie dieſe Erſcheinungen dem Theater ſo hoch anrechnen.","norm":"Und es zeigt von Ihrer Unbekanntschaft mit der Welt, wenn Sie diese Erscheinungen dem Theater so hoch anrechnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":238,"orig":"Wahrhaftig, ich verzeihe dem Schauſpieler jeden Fehler, der aus dem Selbſtbetrug und aus der Begierde, zu gefallen, entſpringt; denn wenn er ſich und andern nicht etwas ſcheint, ſo iſt er nichts.","norm":"Wahrhaftig, ich verzeihe dem Schauspieler jeden Fehler, der aus dem Selbstbetrug und aus der Begierde, zu gefallen, entspringt; denn wenn er sich und anderen nicht etwas scheint, so ist er nichts."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":239,"orig":"Zum Schein iſt er berufen, er muß den augenblicklichen Beyfall hoch ſchätzen, denn er erhält keinen andern Lohn; er muß zu glänzen ſuchen, denn deswegen ſteht er da.","norm":"Zum Schein ist er berufen, er muss den augenblicklichen Beifall hoch schätzen, denn er erhält keinen anderen Lohn; er muss zu glänzen suchen, denn deswegen steht er da."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":240,"orig":"Sie erlauben, verſetzte Wilhelm, daß ich wenigſtens von meiner Seite lächele.","norm":"Sie erlauben, versetzte Wilhelm, dass ich wenigstens von meiner Seite lächele."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":241,"orig":"Nie hätte ich geglaubt, daß Sie ſo billig, ſo nachſichtig ſeyn könnten.","norm":"Nie hätte ich geglaubt, dass Sie so billig, so nachsichtig sein könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":242,"orig":"Nein bey Gott!","norm":"Nein bei Gott!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":243,"orig":"dies iſt mein völliger, wohlbedachter Ernſt.","norm":"dies ist mein völliger, wohlbedachter Ernst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":244,"orig":"Alle Fehler des Menſchen verzeih ich dem Schauſpieler, keine Fehler des Schauſpielers verzeih ich dem","norm":"Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":245,"orig":"Menſchen.","norm":"Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":246,"orig":"Laſſen Sie mich meine Klaglieder hierüber nicht anſtimmen, ſie würden heftiger klingen als die Ihrigen.","norm":"Lassen Sie mich meine Klaglieder hierüber nicht anstimmen, sie würden heftiger klingen als die Ihrigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":247,"orig":"Der Chirurgus kam aus dem Cabinet, und auf Befragen, wie ſich der Kranke befinde?","norm":"Der Chirurg kam aus dem Cabinet, und auf Befragen, wie sich der Kranke befinde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":248,"orig":"ſagte er mit lebhafter Freundlichkeit: recht ſehr wohl, ich hoffe ihn bald völlig wieder hergeſtellt zu ſehen; ſogleich eilte er zum Saal hinaus, und erwartete Wilhelms Frage nicht, der ſchon den Mund eröfnete, ſich nochmals und dringender nach der Brieftaſche zu erkundigen.","norm":"sagte er mit lebhafter Freundlichkeit: recht sehr wohl, ich hoffe ihn bald völlig wiederhergestellt zu sehen; sogleich eilte er zum Saal hinaus, und erwartete Wilhelms Frage nicht, der schon den Mund öffnete, sich nochmals und dringender nach der Brieftasche zu erkundigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":249,"orig":"Das Verlangen, von ſeiner Amazone etwas zu erfahren, gab ihm Vertrauen zu Jarno, er entdeckte ihm ſeinen Fall, und bat ihn um ſeine Beyhülfe.","norm":"Das Verlangen, von seiner Amazone etwas zu erfahren, gab ihm Vertrauen zu Jarno, er entdeckte ihm seinen Fall, und bat ihn um seine Beihilfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":250,"orig":"Sie wiſſen ſo viel, ſagte er, ſollten Sie nicht auch das erfahren können?","norm":"Sie wissen so viel, sagte er, sollten Sie nicht auch das erfahren können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":251,"orig":"Jarno war einen Augenblick nachdenkend, dann ſagte er zu ſeinem jungen Freunde: ſeyn Sie ruhig, und laſſen Sie ſich weiter nichts merken, wir wollen der Schönen ſchon auf die Spur kommen.","norm":"Jarno war einen Augenblick nachdenkend, dann sagte er zu seinem jungen Freunde: sein Sie ruhig, und lassen Sie sich weiter nichts merken, wir wollen der Schönen schon auf die Spur kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":252,"orig":"Jetzt beunruhigt mich nur Lothario’s Zuſtand, die Sache ſteht gefährlich, das ſagt mir die Freundlichkeit und der gute Troſt des Wundarztes.","norm":"Jetzt beunruhigt mich nur Lotharios Zustand, die Sache steht gefährlich, das sagt mir die Freundlichkeit und der gute Trost des Wundarztes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":253,"orig":"Ich hätte Lydien ſchon gerne weggeſchaft, denn ſie nutzt hier gar nichts, aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen ſoll.","norm":"Ich hätte Lydien schon gerne weggeschafft, denn sie nutzt hier gar nichts, aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":254,"orig":"Heute Abend hoff ich ſoll unſer alter Medikus kommen, und dann wollen wir weiter rathſchlagen.","norm":"Heute Abend hoffe ich soll unser alter Medikus kommen, und dann wollen wir weiter ratschlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":255,"orig":"Der Medikus kam; es war der gute, alte, kleine Arzt, den wir ſchon kennen, und dem wir die Mittheilung des intereſſanten Manuſcripts verdanken.","norm":"Der Medikus kam; es war der gute, alte, kleine Arzt, den wir schon kennen, und dem wir die Mitteilung des interessanten Manuskripts verdanken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":256,"orig":"Er beſuchte vor allen Dingen den Verwundeten, und ſchien mit deſſen Befinden keinesweges zufrieden.","norm":"Er besuchte vor allen Dingen den Verwundeten, und schien mit dessen Befinden keineswegs zufrieden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":257,"orig":"Dann hatte er mit Jarno eine lange Unterredung, doch ließen ſie nichts merken, als ſie Abends zu Tiſche kamen.","norm":"Dann hatte er mit Jarno eine lange Unterredung, doch ließen sie nichts merken, als sie Abends zu Tische kamen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":258,"orig":"Wilhelm begrüßte ihn aufs freundlichſte, und erkundigte ſich nach ſeinem Harfenſpieler.","norm":"Wilhelm begrüßte ihn aufs freundlichste, und erkundigte sich nach seinem Harfenspieler."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":259,"orig":"— Wir haben noch Hoffnung, den Unglücklichen zurechte zu bringen, verſetzte der Arzt.","norm":"— Wir haben noch Hoffnung, den Unglücklichen zurechte zu bringen, versetzte der Arzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":260,"orig":"— Dieſer Menſch war eine traurige Zugabe zu Ihrem eingeſchränkten und wunderlichen Leben, ſagte Jarno, wie iſt es ihm weiter ergangen?","norm":"— Dieser Mensch war eine traurige Zugabe zu Ihrem eingeschränkten und wunderlichen Leben, sagte Jarno, wie ist es ihm weiter ergangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":261,"orig":"laſſen Sie mich es wiſſen.","norm":"Lassen Sie mich es wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":262,"orig":"Nachdem man Jarno’s Neugierde befriediget hatte, fuhr der Arzt fort: nie habe ich ein Gemüth in einer ſo ſonderbaren Lage geſehen.","norm":"Nachdem man Jarnos Neugierde befriedigt hatte, fuhr der Arzt fort: Nie habe ich ein Gemüt in einer so sonderbaren Lage gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":263,"orig":"Seit vielen Jahren hat er an nichts, was außer ihm war, den mindeſten Antheil genommen, ja faſt auf nichts gemerkt, blos in ſich gekehrt, betrachtete er ſein hohles leeres Ich, das ihm als ein unermeßlicher Abgrund erſchien.","norm":"Seit vielen Jahren hat er an nichts, was außer ihm war, den mindesten Anteil genommen, ja fast auf nichts gemerkt, bloß in sich gekehrt, betrachtete er sein hohles leeres Ich, das ihm als ein unermesslicher Abgrund erschien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":264,"orig":"Wie rührend war es, wenn er von dieſem traurigen Zuſtande ſprach!","norm":"Wie rührend war es, wenn er von diesem traurigen Zustande sprach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":265,"orig":"ich ſehe nichts vor mir, nichts hinter mir, rief er aus, als eine unendliche Nacht, in der ich mich in der ſchrecklichſten Einſamkeit befinde, kein Gefühl bleibt mir als das Gefühl einer Schuld, die doch auch nur wie ein entferntes unförmliches Geſpenſt ſich rückwärts ſehen läßt.","norm":"Ich sehe nichts vor mir, nichts hinter mir, rief er aus, als eine unendliche Nacht, in der ich mich in der schrecklichsten Einsamkeit befinde, kein Gefühl bleibt mir als das Gefühl einer Schuld, die doch auch nur wie ein entferntes unförmliches Gespenst sich rückwärts sehen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":266,"orig":"Doch da iſt keine Höhe, keine Tiefe, kein Vor noch Zurück, kein Wort drückt dieſen immer gleichen Zuſtand aus, manchmal ruf ich in der Noth dieſer Gleichgültigkeit:","norm":"Doch da ist keine Höhe, keine Tiefe, kein vor noch Zurück, kein Wort drückt diesen immer gleichen Zustand aus, manchmal Ruf ich in der Not dieser Gleichgültigkeit:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":267,"orig":"Ewig!","norm":"Ewig!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":268,"orig":"ewig!","norm":"ewig!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":269,"orig":"mit Heftigkeit aus, und dieſes ſeltſame unbegreifliche Wort iſt hell und klar gegen die Finſterniß meines Zuſtandes.","norm":"mit Heftigkeit aus, und dieses seltsame unbegreifliche Wort ist hell und klar gegen die Finsternis meines Zustandes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":270,"orig":"Kein Strahl einer Gottheit erſcheint mir in dieſer Nacht, ich weine meine Thränen alle mir ſelbſt und um mich ſelbſt.","norm":"Kein Strahl einer Gottheit erscheint mir in dieser Nacht, ich weine meine Tränen alle mir selbst und um mich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":271,"orig":"Nichts iſt mir grauſamer als Freundſchaft und Liebe, denn ſie allein locken mir den Wunſch ab, daß die Erſcheinungen, die mich umgeben, wirklich ſeyn möchten.","norm":"Nichts ist mir grausamer als Freundschaft und Liebe, denn sie allein locken mir den Wunsch ab, dass die Erscheinungen, die mich umgeben, wirklich sein möchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":272,"orig":"Aber auch dieſe beyden Geſpenſter ſind nur aus dem Abgrunde geſtiegen, um mich zu ängſtigen, und um mir zuletzt auch das theure Bewußtſeyn dieſes ungeheuren Daſeyns zu rauben.","norm":"Aber auch diese beiden Gespenster sind nur aus dem Abgrunde gestiegen, um mich zu ängstigen, und um mir zuletzt auch das teure Bewusstsein dieses ungeheuren Daseins zu rauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":273,"orig":"Sie ſollten ihn hören, fuhr der Arzt fort, wenn er in vertraulichen Stunden auf dieſe Weiſe ſein Herz erleichtert; mit der größten Rührung habe ich ihm einigemal zugehört.","norm":"Sie sollten ihn hören, fuhr der Arzt fort, wenn er in vertraulichen Stunden auf diese Weise sein Herz erleichtert; mit der größten Rührung habe ich ihm einige Mal zugehört."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":274,"orig":"Wenn ſich ihm etwas aufdringt, das ihn nöthigt, einen Augenblick zu geſtehen, eine Zeit ſey vergangen, ſo ſcheint er wie erſtaunt, und dann verwirft er wieder die Veränderung an den Dingen als eine Erſcheinung der Erſcheinungen.","norm":"Wenn sich ihm etwas aufdringt, das ihn nötigt, einen Augenblick zu gestehen, eine Zeit sei vergangen, so scheint er wie erstaunt, und dann verwirft er wieder die Veränderung an den Dingen als eine Erscheinung der Erscheinungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":275,"orig":"Eines Abends ſang er ein Lied über ſeine grauen Haare, wir ſaßen alle um ihn her und weinten.","norm":"Eines Abends sang er ein Lied über seine grauen Haare, wir saßen alle um ihn her und weinten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":276,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":277,"orig":"ſchaffen Sie es mir!","norm":"schaffen Sie es mir!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":278,"orig":"rief Wiihelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":279,"orig":"Haben Sie denn aber, fragte Jarno, nichts entdeckt, von dem, was er ſein Verbrechen nennt, nicht die Urſache ſeiner ſonderbaren Tracht, ſein Betragen beym Brande, ſeine Wuth gegen das Kind?","norm":"Haben Sie denn aber, fragte Jarno, nichts entdeckt, von dem, was er sein Verbrechen nennt, nicht die Ursache seiner sonderbaren Tracht, sein Betragen beim Brande, seine Wut gegen das Kind?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":280,"orig":"Nur durch Muthmaßungen können wir ſeinem Schickſale näher kommen; ihn unmittelbar zu fragen, würde gegen unſere Grundſätze ſeyn.","norm":"Nur durch Mutmaßungen können wir seinem Schicksale näherkommen; ihn unmittelbar zu fragen, würde gegen unsere Grundsätze sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":281,"orig":"Da wir wohl merken, daß er katholiſch erzogen iſt, haben wir geglaubt, ihm durch eine Beichte Linderung zu verſchaffen; aber er entfernt ſich auf eine ſonderbare Weiſe jedesmal, wenn wir ihm den Geiſtlichen näher zu bringen ſuchen.","norm":"Da wir wohl merken, dass er katholisch erzogen ist, haben wir geglaubt, ihm durch eine Beichte Linderung zu verschaffen; aber er entfernt sich auf eine sonderbare Weise jedes Mal, wenn wir ihm den Geistlichen näherzubringen suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":282,"orig":"Daß ich aber Ihren Wunſch etwas von ihm zu wiſſen nicht ganz unbefriedigt laſſe, will ich Ihnen wenigſtens unſere Vermuthungen entdecken.","norm":"Dass ich aber Ihren Wunsch etwas von ihm zu wissen nicht ganz unbefriedigt lasse, will ich Ihnen wenigstens unsere Vermutungen entdecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":283,"orig":"Er hat ſeine Jugend in dem geiſtlichen Stande zugebracht, daher ſcheint er ſein langes Gewand und ſeinen Bart erhalten zu wollen.","norm":"Er hat seine Jugend in dem geistlichen Stande zugebracht, daher scheint er sein langes Gewand und seinen Bart erhalten zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":284,"orig":"Die Freuden der Liebe blieben ihm die größte Zeit ſeines Lebens unbekannt.","norm":"Die Freuden der Liebe blieben ihm die größte Zeit seines Lebens unbekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":285,"orig":"Erſt ſpät mag eine Verirrung mit einem ſehr nahe verwandten Frauenzimmer, es mag ihr Tod, der einem unglücklichen Geſchöpfe das Daſeyn gab, ſein Gehirn völlig zerrüttet haben.","norm":"Erst spät mag eine Verirrung mit einem sehr nahe verwandten Frauenzimmer, es mag ihr Tod, der einem unglücklichen Geschöpfe das Dasein gab, sein Gehirn völlig zerrüttet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":286,"orig":"Sein größter Wahn iſt, daß er überall Unglück bringe, nnd daß ihm der Tod durch einen unſchuldigen Knaben bevorſtehe; erſt fürchtete er ſich vor Mignon, eh’ er wußte daß es ein Mädchen war; nun ängſtigte ihn Felix, und da er das Leben bey allem ſeinen Elend unendlich liebt, ſcheint ſeine Abneigung gegen das Kind daher entſtanden zu ſeyn.","norm":"Sein größter Wahn ist, dass er überall Unglück bringe, und dass ihm der Tod durch einen unschuldigen Knaben bevorstehe; erst fürchtete er sich vor Mignon, ehe er wusste dass es ein Mädchen war; nun ängstigte ihn Felix, und da er das Leben bei all seinen Elend unendlich liebt, scheint seine Abneigung gegen das Kind daher entstanden zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":287,"orig":"Was haben Sie denn zu ſeiner Beſſerung für Hoffnung?","norm":"Was haben Sie denn zu seiner Besserung für Hoffnung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":288,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":289,"orig":"Es geht langſam vorwärts, verſetzte der Arzt, aber doch nicht zurück.","norm":"Es geht langsam vorwärts, versetzte der Arzt, aber doch nicht zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":290,"orig":"Seine beſtimmten Beſchäftigungen treibt er fort, und wir haben ihn gewöhnt die Zeitungen zu leſen, die er jetzt immer mit großer Begierde erwartet.","norm":"Seine bestimmten Beschäftigungen treibt er fort, und wir haben ihn gewöhnt die Zeitungen zu lesen, die er jetzt immer mit großer Begierde erwartet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":291,"orig":"Ich bin auf ſeine Lieder neugierig, ſagte Jarno.","norm":"Ich bin auf seine Lieder neugierig, sagte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":292,"orig":"Davon werde ich Ihnen verſchiedene geben können, ſagte der Arzt.","norm":"Davon werde ich Ihnen verschiedene geben können, sagte der Arzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":293,"orig":"Der älteſte Sohn des Geiſtlichen, der ſeinem Vater die Predigten nachzuſchreiben gewohnt iſt, hat manche Strophen, ohne von dem Alten bemerkt zu werden, aufgezeichnet, und mehrere Lieder nach und nach zuſammengeſetzt.","norm":"Der älteste Sohn des Geistlichen, der seinem Vater die Predigten nachzuschreiben gewohnt ist, hat manche Strophen, ohne von dem Alten bemerkt zu werden, aufgezeichnet, und mehrere Lieder nach und nach zusammengesetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":294,"orig":"Den andern Morgen kam Jarno zu Wilhelmen, und ſagte zu ihm:","norm":"Den anderen Morgen kam Jarno zu Wilhelm, und sagte zu ihm:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":295,"orig":"Sie müſſen uns einen Gefallen thun;","norm":"Sie müssen uns einen Gefallen tun;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":296,"orig":"Lydie muß einige Zeit entfernt werden, ihre heftige, und, ich darf wohl ſagen, unbequeme Liebe und Leidenſchaft hindert des Barons Geneſung.","norm":"Lydie muss einige Zeit entfernt werden, ihre heftige, und, ich darf wohl sagen, unbequeme Liebe und Leidenschaft hindert des Barons Genesung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":297,"orig":"Seine Wunde verlangt Ruhe und Gelaſſenheit, ob ſie gleich bey ſeiner guten Natur nicht gefährlich iſt.","norm":"Seine Wunde verlangt Ruhe und Gelassenheit, ob sie gleich bei seiner guten Natur nicht gefährlich ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":298,"orig":"Sie haben geſehen, wie ihn Lydie mit ſtürmiſcher Sorgfalt, unbezwinglicher Angſt und nie verſiegenden Thränen quält, und — genug, ſetzte er nach einer Pauſe, mit einem Lächeln, hinzu, der Medikus verlangt ausdrücklich, daß ſie das Haus auf einige Zeit verlaſſen ſolle.","norm":"Sie haben gesehen, wie ihn Lydie mit stürmischer Sorgfalt, unbezwinglicher Angst und nie versiegenden Tränen quält, und — genug, setzte er nach einer Pause, mit einem Lächeln, hinzu, der Medikus verlangt ausdrücklich, dass sie das Haus auf einige Zeit verlassen solle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":299,"orig":"Wir haben ihr eingebildet, eine ſehr gute Freundin halte ſich in der Nähe auf, verlange ſie zu ſehen und erwarte ſie jeden Augenblick.","norm":"Wir haben ihr eingebildet, eine sehr gute Freundin halte sich in der Nähe auf, verlange sie zu sehen und erwarte sie jeden Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":300,"orig":"Sie hat ſich bereden laſſen, zu dem Gerichtshalter zu fahren, der nur zwey Stunden von hier wohnt.","norm":"Sie hat sich bereden lassen, zu dem Gerichtshalter zu fahren, der nur zwei Stunden von hier wohnt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":301,"orig":"Dieſer iſt unterrichtet, und wird herzlich bedauern, daß Fräulein Thereſe ſo eben weggefahren ſey; er wird wahrſcheinlich machen, daß man ſie noch einholen könne, Lydie wird ihr nacheilen, und, wenn das Glück gut iſt, wird ſie von einem Orte zum andern geführt werden.","norm":"Dieser ist unterrichtet, und wird herzlich bedauern, dass Fräulein Therese soeben weggefahren sei; er wird wahrscheinlich machen, dass man sie noch einholen könne, Lydie wird ihr nacheilen, und, wenn das Glück gut ist, wird sie von einem Orte zum anderen geführt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":302,"orig":"Zuletzt, wenn ſie drauf beſteht, wieder umzukehren, darf man ihr nicht widerſprechen; man muß die Nacht zu Hülfe nehmen, der Kutſcher iſt ein geſcheiter Kerl, mit dem man noch Abrede nehmen muß.","norm":"Zuletzt, wenn sie drauf besteht, wieder umzukehren, darf man ihr nicht widersprechen; man muss die Nacht zu Hilfe nehmen, der Kutscher ist ein gescheiter Kerl, mit dem man noch Abrede nehmen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":303,"orig":"Sie ſetzen ſich zu ihr in den Wagen, unterhalten ſie und dirigiren das Abentheuer.","norm":"Sie setzen sich zu ihr in den Wagen, unterhalten sie und dirigieren das Abenteuer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":304,"orig":"Sie geben mir einen ſonderbaren und bedenklichen Auftrag, verſetzte Wilhelm, wie ängſtlich iſt die Gegenwart einer gekränkten, treuen Liebe!","norm":"Sie geben mir einen sonderbaren und bedenklichen Auftrag, versetzte Wilhelm, wie ängstlich ist die Gegenwart einer gekränkten, treuen Liebe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":305,"orig":"und ich ſoll ſelbſt dazu das Werkzeug ſeyn?","norm":"und ich soll selbst dazu das Werkzeug sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":306,"orig":"Es iſt das erſtemal in meinem Leben, daß ich jemanden auf dieſe Weiſe hintergehe.","norm":"Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich jemanden auf diese Weise hintergehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":307,"orig":"Denn ich habe immer geglaubt, daß es uns zu weit führen könne, wenn wir einmal um des Guten und Nützlichen willen zu betrügen anfangen.","norm":"Denn ich habe immer geglaubt, dass es uns zu weit führen könne, wenn wir einmal um des Guten und nützlichen Willen zu betrügen anfangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":308,"orig":"Können wir doch Kinder nicht anders erziehen, als auf dieſe Weiſe, verſetzte Jarno.","norm":"Können wir doch Kinder nicht anders erziehen, als auf diese Weise, versetzte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":309,"orig":"Bey Kindern möchte es noch hingehen, ſagte Wilhelm, indem wir ſie ſo zärtlich lieben und offenbar überſehen; aber bey unſers Gleichen, für die uns nicht immer das Herz ſo laut um Schonung anruft, möchte es oft gefährlich werden.","norm":"Bei Kindern möchte es noch hingehen, sagte Wilhelm, indem wir sie so zärtlich lieben und offenbar übersehen; aber bei unsersgleichen, für die uns nicht immer das Herz so laut um Schonung anruft, möchte es oft gefährlich werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":310,"orig":"Doch glauben Sie nicht, fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort, daß ich deſwegen dieſen Auftrag ablehne.","norm":"Doch glauben Sie nicht, fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort, dass ich deswegen diesen Auftrag ablehne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":311,"orig":"Bey der Ehrfurcht, die mir Ihr Verſtand einflößt, bey der Neigung, die ich für Ihren trefflichen Freund fühle, bey dem lebhaften Wunſch, ſeine Geneſung, durch welche Mittel ſie auch möglich ſey, zu befördern, mag ich mich gerne ſelbſt vergeſſen.","norm":"Bei der Ehrfurcht, die mir Ihr Verstand einflößt, bei der Neigung, die ich für Ihren trefflichen Freund fühle, bei dem lebhaften Wunsch, seine Genesung, durch welche Mittel sie auch möglich sei, zu befördern, mag ich mich gerne selbst vergessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":312,"orig":"Es iſt nicht genug, daß man ſein Leben für einen Freund wagen könne, man muß auch im Nothfall ſeine Überzeugung für ihn verleugnen.","norm":"Es ist nicht genug, dass man sein Leben für einen Freund wagen könne, man muss auch im Notfall seine Überzeugung für ihn verleugnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":313,"orig":"Unſere liebſte Leidenſchaft, unſere beſten Wünſche ſind wir für ihn aufzuopfern ſchuldig.","norm":"Unsere liebste Leidenschaft, unsere besten Wünsche sind wir für ihn aufzuopfern schuldig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":314,"orig":"Ich übernehme den Auftrag, ob ich gleich ſchon die Qual vorauſſehe, die ich von Lydiens Thränen, von ihrer Verzweiflung werde zu erdulden haben.","norm":"Ich übernehme den Auftrag, ob ich gleich schon die Qual voraussehe, die ich von Lydiens Tränen, von ihrer Verzweiflung werde zu erdulden haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":315,"orig":"Dagegen erwartet ſie auch keine geringe Belohnung, verſetzte Jarno, indem Sie Fräulein Thereſen kennen lernen, ein Frauenzimmer, wie es ihrer wenige giebt; ſie beſchämt hundert Männer, und ich möchte ſie eine wahre Amazone nennen, wenn andere nur als artige Hermaphroditen in dieſer zweydeutigen Kleidung herum gehen.","norm":"Dagegen erwartet sie auch keine geringe Belohnung, versetzte Jarno, indem Sie Fräulein Theresa kennen lernen, ein Frauenzimmer, wie es ihrer wenige gibt; sie beschämt hundert Männer, und ich möchte sie eine wahre Amazone nennen, wenn andere nur als artige Hermaphroditen in dieser zweideutigen Kleidung herumgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":316,"orig":"Wilhelm war betroffen, er hoffte in Thereſen ſeine Amazone wieder zu finden, um ſo mehr, als Jarno, von dem er einige Auskunft verlangte, kurz abbrach, und ſich entfernte.","norm":"Wilhelm war betroffen, er hoffte in Theresa seine Amazone wiederzufinden, um so mehr, als Jarno, von dem er einige Auskunft verlangte, kurz abbrach, und sich entfernte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":317,"orig":"Die neue nahe Hofnung, jene verehrte und geliebte Geſtalt wieder zu ſehen, brachte in ihm die ſonderbarſten Bewegungen hervor.","norm":"Die neue nahe Hoffnung, jene verehrte und geliebte Gestalt wiederzusehen, brachte in ihm die sonderbarsten Bewegungen hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":318,"orig":"Er hielt nunmehr den Auftrag, der ihm gegeben worden war, für ein Werk einer ausdrücklichen Schickung, und der Gedanke, daß er ein armes Mädchen von dem Gegenſtande ihrer aufrichtigſten und heftigſten Liebe hinterliſtig zu entfernen im Begriff war, erſchien ihm nur im Vorübergehen, wie der Schatten eines Vogels über die erleuchtete Erde wegfliegt.","norm":"Er hielt nunmehr den Auftrag, der ihm gegeben worden war, für ein Werk einer ausdrücklichen Schickung, und der Gedanke, dass er ein armes Mädchen von dem Gegenstande ihrer aufrichtigsten und heftigsten Liebe hinterlistig zu entfernen im Begriff war, erschien ihm nur im Vorübergehen, wie der Schatten eines Vogels über die erleuchtete Erde wegfliegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":319,"orig":"Der Wagen ſtand vor der Thüre, Lydie zauderte einen Augenblick hinein zu ſteigen; grüßt euren Herren nochmals, ſagte ſie zu dem alten Bedienten, vor Abends bin ich wieder zurück.","norm":"Der Wagen stand vor der Türe, Lydie zauderte einen Augenblick hineinzusteigen; grüßt Euren Herren nochmals, sagte sie zu dem alten Bedienten, vor Abends bin ich wieder zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":320,"orig":"Thränen ſtanden ihr im Auge, als ſie im Fortfahren ſich nochmals umwendete.","norm":"Tränen standen ihr im Auge, als sie im Fortfahren sich nochmals umwendete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":321,"orig":"Sie kehrte ſich darauf zu Wilhelmen, nahm ſich zuſammen, und ſagte:","norm":"Sie kehrte sich darauf zu Wilhelmen, nahm sich zusammen, und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":322,"orig":"Sie werden an Fräulein Thereſen eine ſehr intereſſante Perſon finden.","norm":"Sie werden an Fräulein Theresa eine sehr interessante Person finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":323,"orig":"Mich wundert, wie ſie in dieſe Gegend kommt; denn Sie werden wohl wiſſen, daß ſie und der Baron ſich heftig liebten.","norm":"Mich wundert, wie sie in diese Gegend kommt; denn Sie werden wohl wissen, dass sie und der Baron sich heftig liebten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":324,"orig":"Ohngeachtet der Entfernung war Lothario oft bey ihr, ich war damals um ſie, es ſchien als ob ſie nur für einander leben würden.","norm":"Ungeachtet der Entfernung war Lothario oft bei ihr, ich war damals um sie, es schien als ob sie nur füreinander leben würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":325,"orig":"Auf einmal aber zerſchlug ſichs, ohne daß ein Menſch begreifen konnte, warum; er hatte mich kennen lernen, und ich leugne nicht, daß ich Thereſen herzlich beneidete, daß ich meine Neigung zu ihm kaum verbarg, und daß ich ihn nicht zurück ſtieß, als er auf einmal mich ſtatt Thereſen zu wählen ſchien.","norm":"Auf einmal aber zerschlug sich es, ohne dass ein Mensch begreifen konnte, warum; er hatte mich kennen lernen, und ich leugne nicht, dass ich Theresa herzlich beneidete, dass ich meine Neigung zu ihm kaum verbarg, und dass ich ihn nicht zurückstieß, als er auf einmal mich statt Theresa zu wählen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":326,"orig":"Sie betrug ſich gegen mich, wie ich es nicht beſſer wünſchen konnte, ob es gleich beynahe ſcheinen mußte, als hätte ich ihr einen ſo werthen Liebhaber geraubt.","norm":"Sie betrug sich gegen mich, wie ich es nicht besser wünschen konnte, ob es gleich beinahe scheinen musste, als hätte ich ihr einen so werten Liebhaber geraubt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":327,"orig":"Aber auch wie viele tauſend Thränen und Schmerzen hat mich dieſe Liebe ſchon gekoſtet; erſt ſahen wir uns nur zuweilen am dritten Orte verſtohlen, aber lange konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in ſeiner Gegenwart war ich glücklich, ganz glücklich!","norm":"Aber auch wie viele tausend Tränen und Schmerzen hat mich diese Liebe schon gekostet; erst sahen wir uns nur zuweilen am dritten Orte verstohlen, aber lange konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in seiner Gegenwart war ich glücklich, ganz glücklich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":328,"orig":"fern von ihm hatte ich kein trocknes Auge, keinen ruhigen Pulsſchlag.","norm":"Fern von ihm hatte ich kein trockenes Auge, keinen ruhigen Pulsschlag."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":329,"orig":"Einſt verzog er mehrere Tage, ich war in Verzweiflung, machte mich auf den Weg, und überraſchte ihn hier.","norm":"Einst verzog er mehrere Tage, ich war in Verzweiflung, machte mich auf den Weg, und überraschte ihn hier."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":330,"orig":"Er nahm mich liebevoll auf, und wäre nicht dieſer unglückſeelige Handel dazwiſchen gekommen, ſo hätte ich ein himmliſches Leben geführt; und was ich ausgeſtanden habe, ſeitdem er in Gefahr iſt, ſeitdem er leidet, ſag ich nicht, und noch in dieſem Augenblicke mache ich mir lebhafte Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von ihm habe entfernen können.","norm":"Er nahm mich liebevoll auf, und wäre nicht dieser unglückselige Handel dazwischengekommen, so hätte ich ein himmlisches Leben geführt; und was ich ausgestanden habe, seitdem er in Gefahr ist, seitdem er leidet, sage ich nicht, und noch in diesem Augenblicke mache ich mir lebhafte Vorwürfe, dass ich mich nur einen Tag von ihm habe entfernen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":331,"orig":"Wilhelm wollte ſich eben näher nach Thereſen erkundigen, als ſie bey dem Gerichtshalter vorfuhren, der an den Wagen kam, und von Herzen bedauerte, daß Fräulein Thereſe ſchon abgefahren ſey.","norm":"Wilhelm wollte sich eben näher nach Theresa erkundigen, als sie bei dem Gerichtshalter vorfuhren, der an den Wagen kam, und von Herzen bedauerte, dass Fräulein Therese schon abgefahren sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":332,"orig":"Er bot den Reiſenden ein Frühſtück an, ſagte aber zugleich: der Wagen würde noch im nächſten Dorfe einzuholen ſeyn.","norm":"Er bot den Reisenden ein Frühstück an, sagte aber zugleich: Der Wagen würde noch im nächsten Dorfe einzuholen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":333,"orig":"Man entſchloß ſich nachzufahren, und der Kutſcher ſäumte nicht; man hatte ſchon einige Dörfer zurückgelegt und niemand angetroffen.","norm":"Man entschloss sich nachzufahren, und der Kutscher säumte nicht; man hatte schon einige Dörfer zurückgelegt und niemand angetroffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":334,"orig":"Lydie beſtand nun darauf, man ſolle umkehren, der Kutſcher fuhr zu als verſtünde er es nicht.","norm":"Lydie bestand nun darauf, man solle umkehren, der Kutscher fuhr zu als verstünde er es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":335,"orig":"Endlich verlangte ſie es mit größter Heftigkeit;","norm":"Endlich verlangte sie es mit größter Heftigkeit;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":336,"orig":"Wilhelm rief ihm zu und gab das abgeredete Zeichen.","norm":"Wilhelm rief ihm zu und gab das abgeredete Zeichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":337,"orig":"Der Kutſcher erwiederte: wir haben nicht nöthig denſelben Weg zurück zu fahren; ich weiß einen nähern, der zugleich viel bequemer iſt.","norm":"Der Kutscher erwiderte: Wir haben nicht nötig denselben Weg zurückzufahren; ich weiß einen nähern, der zugleich viel bequemer ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":338,"orig":"Er fuhr nun ſeitwärts durch einen Wald und über lange Triſten weg.","norm":"Er fuhr nun seitwärts durch einen Wald und überlange Triften weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":339,"orig":"Endlich da kein bekannter Gegenſtand zum Vorſchein kam, geſtand der Kutſcher, er ſey unglücklicher Weiſe irre gefahren, wolle ſich aber bald wieder zurechte finden, indem er dort ein Dorf ſehe.","norm":"Endlich da kein bekannter Gegenstand zum Vorschein kam, gestand der Kutscher, er sei unglücklicherweise irregefahren, wolle sich aber bald wieder zurechtfinden, indem er dort ein Dorf sehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":340,"orig":"Die Nacht kam herbey, und der Kutſcher machte ſeine Sache ſo geſchickt, daß er überall fragte und nirgends die Antwort abwartete.","norm":"Die Nacht kam herbei, und der Kutscher machte seine Sache so geschickt, dass er überall fragte und nirgends die Antwort abwartete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":341,"orig":"So fuhr man die ganze Nacht, Lydie ſchloß kein Auge; bey Mondenſchein fand ſie überall Ähnlichkeiten, und immer verſchwanden ſie wieder.","norm":"So fuhr man die ganze Nacht, Lydie schloss kein Auge; bei Mondschein fand sie überall Ähnlichkeiten, und immer verschwanden sie wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":342,"orig":"Morgens ſchienen ihr die Gegenſtände bekannt, aber deſto unerwarteter.","norm":"Morgens schienen ihr die Gegenstände bekannt, aber desto unerwarteter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":343,"orig":"Der Wagen hielt vor einem kleinen artig gebauten Landhauſe ſtille, ein Frauenzimmer trat aus der Thüre und öfnete den Schlag.","norm":"Der Wagen hielt vor einem kleinen artig gebauten Landhause stille, ein Frauenzimmer trat aus der Türe und öffnete den Schlag."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":344,"orig":"Lydie ſah ſie ſtarr an, ſah ſich um, ſah ſie wieder an und lag ohnmächtig in Wilhelms Armen.","norm":"Lydie sah sie starr an, sah sich um, sah sie wieder an und lag ohnmächtig in Wilhelms Armen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":345,"orig":"Wilhelm ward in ein Manſardzimmerchen geführt, das Haus war neu, und ſo klein, als es beynah nur möglich war, äußerſt reinlich und ordentlich.","norm":"Wilhelm wurde in ein Mansardzimmerchen geführt, das Haus war neu, und so klein, als es beinahe nur möglich war, äußerst reinlich und ordentlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":346,"orig":"In Thereſen, die ihn und Lydien an der Kutſche empfangen hatte, fand er ſeine Amazone nicht, es war ein anderes, ein himmelweit von ihr unterſchiedenes Weſen.","norm":"In Theresa, die ihn und Lydien an der Kutsche empfangen hatte, fand er seine Amazone nicht, es war ein anderes, ein himmelweit von ihr unterschiedenes Wesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":347,"orig":"Wohlgebaut, ohne groß zu ſeyn, bewegte ſie ſich mit viel Lebhaftigkeit, und ihren hellen, blauen, offnen Augen ſchien nichts verborgen zu bleiben was vorging.","norm":"Wohlgebaut, ohne groß zu sein, bewegte sie sich mit viel Lebhaftigkeit, und ihren hellen, blauen, offenen Augen schien nichts verborgen zu bleiben was vorging."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":348,"orig":"Sie trat in Wilhelms Stube, und fragte, ob er etwas bedürfe?","norm":"Sie trat in Wilhelms Stube, und fragte, ob er etwas bedürfe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":349,"orig":"verzeihen Sie, ſagte ſie, daß ich Sie in ein Zimmer logire, das der Oelgeruch noch unangenehm macht, mein kleines Haus iſt eben fertig geworden, und Sie weihen dieſes Stübchen ein, das meinen Gäſten beſtimmt iſt.","norm":"Verzeihen Sie, sagte sie, dass ich Sie in ein Zimmer logiere, das der Ölgeruch noch unangenehm macht, mein kleines Haus ist eben fertig geworden, und Sie weihen dieses Stübchen ein, das meinen Gästen bestimmt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":350,"orig":"Wären Sie nur bey einem angenehmern Anlaß hier!","norm":"Wären Sie nur bei einem angenehmeren Anlass hier!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":351,"orig":"die arme Lydie!","norm":"Die arme Lydie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":352,"orig":"wird uns keine guten Tage machen, und überhaupt müſſen Sie vorlieb nehmen, meine Köchin iſt mir eben zur ganz unrechten Zeit aus dem Dienſte gelaufen, und ein Knecht hat ſich die Hand zerquetſcht.","norm":"wird uns keine guten Tage machen, und überhaupt müssen Sie vorliebnehmen, meine Köchin ist mir eben zur ganz unrechten Zeit aus dem Dienste gelaufen, und ein Knecht hat sich die Hand zerquetscht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":353,"orig":"Es thäte Noth, ich verrichtete alles ſelbſt, und am Ende, wenn man ſich darauf einrichtete, müßte es auch gehen.","norm":"Es täte Not, ich verrichtete alles selbst, und am Ende, wenn man sich darauf einrichtete, müsste es auch gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":354,"orig":"Man iſt mit niemand mehr geplagt als mit den Dienſtboten; es will niemand dienen, nicht einmal ſich ſelbſt.","norm":"Man ist mit niemand mehr geplagt als mit den Dienstboten; es will niemand dienen, nicht einmal sich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":355,"orig":"Sie ſagte noch manches über verſchiedene Gegenſtände, überhaupt ſchien ſie gern zu ſprechen.","norm":"Sie sagte noch manches über verschiedene Gegenstände, überhaupt schien sie gern zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":356,"orig":"Wilhelm fragte nach Lydien, ob er das gute Mädchen nicht ſehen und ſich bey ihr entſchuldigen könnte?","norm":"Wilhelm fragte nach Lydien, ob er das gute Mädchen nicht sehen und sich bei ihr entschuldigen könnte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":357,"orig":"Das wird jetzt nicht bey ihr wirken, verſetzte Thereſe, die Zeit entſchuldigt wie ſie tröſtet, Worte ſind in beyden Fällen von wenig Kraft, Lydie will Sie nicht ſehen.","norm":"Das wird jetzt nicht bei ihr wirken, versetzte Therese, die Zeit entschuldigt wie sie tröstet, Worte sind in beiden Fällen von wenig Kraft, Lydie will Sie nicht sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":358,"orig":"— Laſſen Sie mir ihn ja nicht vor die Augen kommen, rief ſie als ich ſie verließ, ich möchte an der Menſchheit verzweifeln!","norm":"— Lassen Sie mir ihn ja nicht vor die Augen kommen, rief sie als ich sie verließ, ich möchte an der Menschheit verzweifeln!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":359,"orig":"ſo ein ehrlich Geſicht, ſo ein offnes Betragen und dieſe heimliche Tücke!","norm":"So ein ehrlich Gesicht, so ein offenes Betragen und diese heimliche Tücke!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":360,"orig":"Lothario iſt ganz bey ihr entſchuldigt, auch ſagt er in einem Briefe an das gute Mädchen: »meine Freunde beredeten mich, meine Freunde nöthigten mich!« Zu dieſen rechnet Lidie Sie auch, und verdammt Sie mit den übrigen.","norm":"Lothario ist ganz bei ihr entschuldigt, auch sagt er in einem Briefe an das gute Mädchen: »Meine Freunde beredeten mich, meine Freunde nötigten mich!« Zu diesen rechnet Lydie Sie auch, und verdammt Sie mit den übrigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":361,"orig":"Sie erzeigt mir zu viel Ehre, indem ſie mich ſchilt, verſetzte Wilhelm, ich darf an die Freundſchaft dieſes trefflichen Mannes noch keinen Anſpruch machen, und bin diesmal nur ein unſchuldiges Werkzeug, ich will meine Handlung nicht loben, genug ich konnte ſie thun!","norm":"Sie erzeigt mir zu viel Ehre, indem sie mich scheltet, versetzte Wilhelm, ich darf an die Freundschaft dieses trefflichen Mannes noch keinen Anspruch machen, und bin diesmal nur ein unschuldiges Werkzeug, Ich will meine Handlung nicht loben, genug ich konnte sie tun!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":362,"orig":"Es war von der Geſundheit, es war von dem Leben eines Mannes die Rede, den ich höher ſchätzen muß als irgend jemand, den ich vorher kannte.","norm":"Es war von der Gesundheit, es war von dem Leben eines Mannes die Rede, den ich höher schätzen muss als irgendjemand, den ich vorher kannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":363,"orig":"O welch ein Mann iſt das!","norm":"O welch ein Mann ist das!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":364,"orig":"Fräulein, und welche Menſchen umgeben ihn!","norm":"Fräulein, und welche Menschen umgeben ihn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":365,"orig":"in dieſer Geſellſchaft hab ich, ſo darf ich wohl ſagen, zum erſtenmal ein Geſpräch geführt, zum erſtenmal kam mir der eigenſte Sinn meiner Worte aus dem Munde eines andern reichhaltiger, voller und in einem größern Umfang wieder entgegen, was ich ahndete ward mir klar, und was ich meynte lernte ich anſchauen.","norm":"In dieser Gesellschaft habe ich, so darf ich wohl sagen, zum ersten Mal ein Gespräch geführt, zum ersten Mal kam mir der eigenste Sinn meiner Worte aus dem Munde eines anderen reichhaltiger, voller und in einem größeren Umfang wieder entgegen, was ich ahnte wurde mir klar, und was ich meinte lernte ich anschauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":366,"orig":"Leider ward dieſer Genuß erſt durch allerley Sorgen und Grillen, dann durch den unangenehmen Auftrag unterbrochen.","norm":"Leider wurde dieser Genuss erst durch allerlei Sorgen und Grillen, dann durch den unangenehmen Auftrag unterbrochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":367,"orig":"Ich übernahm ihn mit Ergebung, denn ich hielt für Schuldigkeit, ſelbſt mit Aufopferung meines Gefühls, dieſem trefflichen Kreiſe von Menſchen meinen Einſtand abzutragen.","norm":"Ich übernahm ihn mit Ergebung, denn ich hielt für Schuldigkeit, selbst mit Aufopferung meines Gefühls, diesem trefflichen Kreise von Menschen meinen Einstand abzutragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":368,"orig":"Thereſe hatte unter dieſen Worten ihren Gaſt ſehr freundlich angeſehen.","norm":"Therese hatte unter diesen Worten ihren Gast sehr freundlich angesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":369,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":370,"orig":"wie ſüß iſt es!","norm":"wie süß ist es!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":371,"orig":"rief ſie aus, ſeine eigne Überzeugung aus einem fremden Munde zu hören!","norm":"rief sie aus, seine eigene Überzeugung aus einem fremden Munde zu hören!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":372,"orig":"Wie werden wir erſt recht wir ſelbſt, wenn uns ein anderer vollkommen Recht giebt!","norm":"Wie werden wir erst recht wir selbst, wenn uns ein anderer vollkommen Recht gibt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":373,"orig":"Auch ich denke über Lothario vollkommen wie Sie, nicht jedermann läßt ihm Gerechtigkeit wiederfahren, dafür ſchwärmen aber auch alle die für ihn, die ihn näher kennen, und das ſchmerzliche Gefühl, das ſich in meinen Herzen zu ſeinem Andenken miſcht, kann mich nicht abhalten täglich an ihn zu denken.","norm":"Auch ich denke über Lothario vollkommen wie Sie, nicht jedermann lässt ihm Gerechtigkeit widerfahren, dafür schwärmen aber auch alle die für ihn, die ihn näher kennen, und das schmerzliche Gefühl, das sich in meinen Herzen zu seinem Andenken mischt, kann mich nicht abhalten täglich an ihn zu denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":374,"orig":"Ein Seufzer erweiterte ihre Bruſt, indem ſie dieſes ſagte, und in ihrem rechten Auge blinkte eine ſchöne Thräne.","norm":"Ein Seufzer erweiterte ihre Brust, indem sie dieses sagte, und in ihrem rechten Auge blinkte eine schöne Träne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":375,"orig":"Glauben Sie nicht, fuhr ſie fort, daß ich ſo weich, ſo leicht zu rühren bin!","norm":"Glauben Sie nicht, fuhr sie fort, dass ich so weich, so leicht zu rühren bin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":376,"orig":"Es iſt nur das Auge, das weint.","norm":"Es ist nur das Auge, das weint."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":377,"orig":"Ich hatte eine kleine Warze am untern Augenlied, man hat mir ſie glücklich abgebunden, aber das Auge iſt ſeit der Zeit immer ſchwach geblieben, der geringſte Anlaß drängt mir eine Thräne hervor.","norm":"Ich hatte eine kleine Warze am unteren Augenlid, man hat mir sie glücklich abgebunden, aber das Auge ist seit der Zeit immer schwach geblieben, der geringste Anlass drängt mir eine Träne hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":378,"orig":"Hier ſaß das Wärzchen, Sie ſehen keine Spur mehr davon.","norm":"Hier saß das Warzchen, Sie sehen keine Spur mehr davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":379,"orig":"Er ſah keine Spur, aber er ſah ihr ins Auge, es war klar wie Criſtall, er glaubte bis auf den Grund ihrer Seele zu ſehen.","norm":"Er sah keine Spur, aber er sah ihr ins Auge, es war klar wie Kristall, er glaubte bis auf den Grund ihrer Seele zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":380,"orig":"Wir haben, ſagte ſie, nun das Loſungswort unſerer Verbindung ausgeſprochen, laſſen Sie uns ſobald als möglich mit einander völlig bekannt werden.","norm":"Wir haben, sagte sie, nun das Losungswort unserer Verbindung ausgesprochen, lassen Sie uns so bald als möglich miteinander völlig bekannt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":381,"orig":"Die Geſchichte des Menſchen iſt ſein Character.","norm":"Die Geschichte des Menschen ist sein Charakter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":382,"orig":"Ich will Ihnen erzählen, wie es mir ergangen iſt, ſchenken Sie mir ein kleines Vertrauen, und laſſen Sie uns auch in der Ferne verbunden bleiben.","norm":"Ich will Ihnen erzählen, wie es mir ergangen ist, schenken Sie mir ein kleines Vertrauen, und lassen Sie uns auch in der Ferne verbunden bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":383,"orig":"Die Welt iſt ſo leer, wenn man nur Berge, Flüſſe und Städte darin denkt, aber hie und da jemand zu wiſſen, der mit uns übereinſtimmt, mit dem wir auch ſtillſchweigend fortleben, das macht uns dieſes Erdenrund erſt zu einem bewohnten Garten.","norm":"Die Welt ist so leer, wenn man nur Berge, Flüsse und Städte darin denkt, aber hie und da jemand zu wissen, der mit uns übereinstimmt, mit dem wir auch stillschweigend fortleben, das macht uns dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Garten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":384,"orig":"Sie eilte fort, und verſprach ihn bald zum Spatziergange abzuholen.","norm":"Sie eilte fort, und versprach ihn bald zum Spaziergange abzuholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":385,"orig":"Ihre Gegenwart hatte ſehr angenehm auf ihn gewirkt, er wünſchte ihr Verhältniß zu Lothario zu erfahren.","norm":"Ihre Gegenwart hatte sehr angenehm auf ihn gewirkt, er wünschte ihr Verhältnis zu Lothario zu erfahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":386,"orig":"Er ward gerufen, ſie kam ihm aus ihrem Zimmer entgegen.","norm":"Er wurde gerufen, sie kam ihm aus ihrem Zimmer entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":387,"orig":"Als ſie die enge und beynahe ſteile Treppe einzeln hinuntergehen mußten, ſagte ſie: das könnte alles weiter und breiter ſeyn, wenn ich das Anerbieten Ihres großmüthigen Freundes hätte hören wollen; doch um ſeiner werth zu bleiben, muß ich das an mir erhalten, was mich ihm ſo werth machte.","norm":"Als sie die enge und beinahe steile Treppe einzeln hinuntergehen mussten, sagte sie: Das könnte alles weiter und breiter sein, wenn ich das Anerbieten Ihres großmütigen Freundes hätte hören wollen; doch um seiner wert zu bleiben, muss ich das an mir erhalten, was mich ihm so wert machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":388,"orig":"Wo iſt der Verwalter?","norm":"Wo ist der Verwalter?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":389,"orig":"fragte ſie, indem ſie die Treppe völlig herunter kam.","norm":"fragte sie, indem sie die Treppe völlig herunterkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":390,"orig":"Sie müſſen nicht denken, fuhr ſie fort, daß ich ſo reich bin, um einen Verwalter zu brauchen, die wenigen Äcker meines Freygüthchens kann ich wohl ſelbſt beſtellen.","norm":"Sie müssen nicht denken, fuhr sie fort, dass ich so reich bin, um einen Verwalter zu brauchen, die wenigen Äcker meines Freigütchens kann ich wohl selbst bestellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":391,"orig":"Der Verwalter gehört meinem neuen Nachbar, der das ſchöne Gut gekauft hat, das ich in- und auswendig kenne; der gute alte Mann liegt krank am Podagra, ſeine Leute ſind in dieſer Gegend neu, und ich helfe ihnen gerne ſich einrichten.","norm":"Der Verwalter gehört meinem neuen Nachbar, der das schöne Gut gekauft hat, das ich in- und auswendig kenne; der gute alte Mann liegt krank am Podagra, seine Leute sind in dieser Gegend neu, und ich helfe ihnen gerne sich einrichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":392,"orig":"Sie machten einen Spatziergang durch Äcker, Wieſen und einige Baumgärten.","norm":"Sie machten einen Spaziergang durch Äcker, Wiesen und einige Baumgärten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":393,"orig":"Thereſe bedeutete den Verwalter in allem, ſie konnte ihm von jeder Kleinigkeit Rechenſchaft geben, und Wilhelm hatte Urſache genug ſich über ihre Kenntniß, ihre Beſtimmtheit und über die Gewandtheit, wie ſie in jedem Falle Mittel anzugeben wußte, zu verwundern.","norm":"Therese bedeutete den Verwalter in allem, sie konnte ihm von jeder Kleinigkeit Rechenschaft geben, und Wilhelm hatte Ursache genug sich über ihre Kenntnis, ihre Bestimmtheit und über die Gewandtheit, wie sie in jedem Falle Mittel anzugeben wusste, zu verwundern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":394,"orig":"Sie hielt ſich nirgends auf, eilte immer zu den bedeutenden Puncten, und ſo war die Sache bald abgethan.","norm":"Sie hielt sich nirgends auf, eilte immer zu den bedeutenden Punkten, und so war die Sache bald abgetan."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":395,"orig":"Grüßt euren Herrn, ſagte ſie, als ſie den Mann verabſchiedete, ich werde ihn ſobald als möglich beſuchen, und wünſche vollkommene Beſſerung.","norm":"Grüßt Euren Herrn, sagte sie, als sie den Mann verabschiedete, ich werde ihn so bald als möglich besuchen, und wünsche vollkommene Besserung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":396,"orig":"Da könnte ich nun auch, ſagte ſiemit Lächeln, als er weg war, bald reich und vielhabend werden, denn mein guter Nachbar wäre nicht abgeneigt mir ſeine Hand zu geben.","norm":"Da könnte ich nun auch, sagte sie mit Lächeln, als er weg war, bald reich und wohlhabend werden, denn mein guter Nachbar wäre nicht abgeneigt mir seine Hand zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":397,"orig":"Der Alte mit dem Podagra?","norm":"Der Alte mit dem Podagra?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":398,"orig":"rief Wilhelm, ich wüßte nicht, wie Sie in Ihren Jahren zu ſo einem verzweifelten Entſchluß kommen könnten?","norm":"rief Wilhelm, ich wüsste nicht, wie Sie in Ihren Jahren zu so einem verzweifelten Entschluss kommen könnten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":399,"orig":"— Ich bin auch gar nicht verſucht!","norm":"— Ich bin auch gar nicht versucht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":400,"orig":"verſetzte Thereſe.","norm":"versetzte Therese."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":401,"orig":"Wohlhabend iſt jeder, der dem, was er beſitzt, vorzuſtehen weiß; vielhabend zu ſeyn iſt eine läſtige Sache, wenn man es nicht verſteht.","norm":"Wohlhabend ist jeder, der dem, was er besitzt, vorzustehen weiß; wohlhabend zu sein ist eine lästige Sache, wenn man es nicht versteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":402,"orig":"Wilhelm zeigte ſeine Verwunderung über ihre Wirthſchaftskenntniſſe.","norm":"Wilhelm zeigte seine Verwunderung über ihre Wirtschaftskenntnisse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":403,"orig":"— Entſchiedene Neigung, frühe Gelegenheit, äußerer Antrieb und eine fortgeſetzte Beſchäftigung in einer nützlichen Sache, machen in der Welt noch viel mehr möglich, verſetzte Thereſe, und wenn Sie erſt erfahren werden, was mich dazu belebt hat, ſo werden Sie ſich über das ſonderbar ſcheinende Talent nicht mehr Sie ließ ihn, als ſie zu Hauſe anlangten, in ihrem kleinen Garten, in welchem er ſich kaum herumdrehen konnte; ſo eng waren die Wege, und ſo reichlich war alles bepflanzt.","norm":"— Entschiedene Neigung, frühe Gelegenheit, äußerer Antrieb und eine fortgesetzte Beschäftigung in einer nützlichen Sache, machen in der Welt noch viel mehr möglich, versetzte Therese, und wenn Sie erst erfahren werden, was mich dazu belebt hat, so werden Sie sich über das sonderbar scheinende Talent nicht mehr Sie ließ ihn, als sie zu Hause anlangten, in ihrem kleinen Garten, in welchem er sich kaum herumdrehen konnte; so eng waren die Wege, und so reichlich war alles bepflanzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":404,"orig":"Er mußte lächeln, als er über den Hof zurückkehrte, denn da lag das Brennholz ſo akkurat geſägt, geſpalten und geſchränkt, als wenn es ein Theil des Gebäudes wäre, und immer ſo liegen bleiben ſollte.","norm":"Er musste lächeln, als er über den Hof zurückkehrte, denn da lag das Brennholz so akkurat gesägt, gespalten und geschränkt, als wenn es ein Teil des Gebäudes wäre, und immer so liegenbleiben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":405,"orig":"Rein ſtanden alle Gefäße an ihren Plätzen, das Häuschen war weiß und roth angeſtrichen und luſtig anzuſehen.","norm":"Rein standen alle Gefäße an ihren Plätzen, das Häuschen war weiß und rot angestrichen und lustig anzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":406,"orig":"Was das Handwerk hervorbringen kann, das keine ſchönen Verhältniſſe kennt, aber für Bedürfniß, Dauer und Heiterkeit arbeitet, ſchien auf dem Platze vereinigt zu ſeyn.","norm":"Was das Handwerk hervorbringen kann, das keine schönen Verhältnisse kennt, aber für Bedürfnis, Dauer und Heiterkeit arbeitet, schien auf dem Platze vereinigt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":407,"orig":"Man brachte ihm das Eſſen auf ſein Zimmer, und er hatte Zeit genug Betrachtungen anzuſtellen.","norm":"Man brachte ihm das Essen auf sein Zimmer, und er hatte Zeit genug Betrachtungen anzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":408,"orig":"Beſonders fiel ihm auf: daß er nun wieder eine ſo intereſſante Perſon kennen lernte, die mit Lothvrio in einem nahen Verhältniſſe geſtanden hatte.","norm":"Besonders fiel ihm auf: dass er nun wieder eine so interessante Person kennen lernte, die mit Lothario in einem nahen Verhältnisse gestanden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":409,"orig":"Billig iſt es, ſagte er zu ſich ſelbſt, daß ſo ein trefflicher Mann auch treffliche Weiberſeelen an ſich ziehe!","norm":"Billig ist es, sagte er zu sich selbst, dass so ein trefflicher Mann auch treffliche Weiberseelen an sich ziehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":410,"orig":"Wie weit verbreitet ſich die Wirkung der Männlichkeit und Würde.","norm":"Wie weit verbreitet sich die Wirkung der Männlichkeit und Würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":411,"orig":"Wenn nur andere nicht ſo ſehr dabey zu kurz kämen!","norm":"Wenn nur andere nicht so sehr dabei zu kurz kämen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":412,"orig":"Ja, geſtehe dir nur deine Furcht.","norm":"Ja, gestehe dir nur deine Furcht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":413,"orig":"Wenn du dereinſt deine Amazone wieder antriffſt, dieſe Geſtalt aller Geſtalten, du findeſt ſie, trotz aller deiner Hoffnungen und Träume, zu deiner Beſchämung und Demüthigung doch noch am Ende — als ſeine Braut.","norm":"Wenn du dereinst deine Amazone wieder antriffst, diese Gestalt aller Gestalten, du findest sie, trotz aller deiner Hoffnungen und Träume, zu deiner Beschämung und Demütigung doch noch am Ende — als seine Braut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":414,"orig":"Wilhelm hatte einen unruhigen Nachmittag nicht ganz ohne lange Weile zugebracht, als ſich gegen Abend ſeine Thüre öffnete, und ein junger artiger Jägerburſche mit einem Gruße hereintrat.","norm":"Wilhelm hatte einen unruhigen Nachmittag nicht ganz ohne Langeweile zugebracht, als sich gegen Abend seine Türe öffnete, und ein junger artiger Jägerbursche mit einem Gruße hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":415,"orig":"Wollen wir nun ſpatzieren gehen?","norm":"Wollen wir nun spazieren gehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":416,"orig":"ſagte der junge Menſch, und in dem Augenblicke erkannte Wilhelm Thereſen an ihren ſchönen Augen.","norm":"sagte der junge Mensch, und in dem Augenblicke erkannte Wilhelm Theresa an ihren schönen Augen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":417,"orig":"Verzeihn Sie mir dieſe Maskerade, fing ſie an, denn leider iſt es jetzt nur Maskerade.","norm":"Verzeihen Sie mir diese Maskerade, fing sie an, denn leider ist es jetzt nur Maskerade."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":418,"orig":"Doch da ich Ihnen einmal von der Zeit erzählen ſoll, in der ich mich ſo gerne in dieſer Weſte ſah, will ich mir auch jene Tage auf alle Weiſe vergegenwärtigen.","norm":"Doch da ich Ihnen einmal von der Zeit erzählen soll, in der ich mich so gerne in dieser Weste sah, will ich mir auch jene Tage auf alle Weise vergegenwärtigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":419,"orig":"Kommen Sie!","norm":"Kommen Sie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":420,"orig":"ſelbſt der Platz, an dem wir ſo oft von unſern Jagden und Spatziergängen ausruhten, ſoll dazu beytragen.","norm":"selbst der Platz, an dem wir so oft von unseren Jagden und Spaziergängen ausruhten, soll dazu beitragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":421,"orig":"Sie gingen, und auf dem Wege ſagte","norm":"Sie gingen, und auf dem Wege sagte"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":422,"orig":"Thereſe zu ihrem Begleiter: es iſt nicht billig, daß Sie mich allein reden laſſen, ſchon wiſſen Sie genug von mir, und ich weiß noch nicht das mindeſte von Ihnen; erzählen Sie mir indeſſen etwas von ſich, damit ich Muth bekomme Ihnen auch meine Geſchichte und meine Verhältniſſe vorzulegen.","norm":"Therese zu ihrem Begleiter: Es ist nicht billig, dass Sie mich allein reden lassen, schon wissen Sie genug von mir, und ich weiß noch nicht das mindeste von Ihnen; erzählen Sie mir indessen etwas von sich, damit ich Mut bekomme Ihnen auch meine Geschichte und meine Verhältnisse vorzulegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":423,"orig":"Leider hab ich, verſetzte Wilhelm, nichts zu erzählen als Irrthümer auf Irrthümer, Verirrungen auf Verirrungen, und ich wüßte nicht, wem ich die Verworrenheiten, in denen ich mich befand und befinde, lieber ver-> bergen möchte als Ihnen;","norm":"Leider habe ich, versetzte Wilhelm, nichts zu erzählen als Irrtümer auf Irrtümer, Verirrungen auf Verirrungen, und ich wüsste nicht, wem ich die Verworrenheiten, in denen ich mich befand und befinde, lieber ver-> bergen möchte als Ihnen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":424,"orig":"Ihr Blick und alles was Sie umgiebt, Ihr ganzes Weſen und Ihr Betragen zeigt mir, daß Sie ſich","norm":"Ihr Blick und alles was Sie umgibt, Ihr ganzes Wesen und Ihr Betragen zeigt mir, dass Sie sich"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":425,"orig":"Ihres vergangenen Lebens freuen können, daß Sie auf einem ſchönen reinen Wege in einer ſichern Folge gegangen ſind, daß Sie keine Zeit verlohren, daß Sie ſich nichts vorzuwerfen haben.","norm":"Ihres vergangenen Lebens freuen können, dass Sie auf einem schönen reinen Wege in einer sichern Folge gegangen sind, dass Sie keine Zeit verloren, dass Sie sich nichts vorzuwerfen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":426,"orig":"Thereſe lächelte und verſetzte: wir müſſen abwarten, ob Sie auch noch ſo denken, wenn Sie meine Geſchichte hören.","norm":"Therese lächelte und versetzte: Wir müssen abwarten, ob Sie auch noch so denken, wenn Sie meine Geschichte hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":427,"orig":"Sie gingen weiter, und unter einigen allgemeinen","norm":"Sie gingen weiter, und unter einigen allgemeinen"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":428,"orig":"Geſprächen fragte ihn Thereſe: ſind Sie frey?","norm":"Gesprächen fragte ihn Therese: sind Sie frei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":429,"orig":"ich glaube es zu ſeyn, verſetzte er, aber ich wünſche es nicht.","norm":"Ich glaube es zu sein, versetzte er, aber ich wünsche es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":430,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":431,"orig":"ſagte ſie, das deutet auf einen complicirten Roman, und zeigt mir, daß Sie auch etwas zu erzählen haben.","norm":"sagte sie, das deutet auf einen komplizierten Roman, und zeigt mir, dass Sie auch etwas zu erzählen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":432,"orig":"Unter dieſen Worten ſtiegen ſie den Hügel hinan und lagerten ſich bey einer großen Eiche, die ihren Schatten weit umher verbreitete.","norm":"Unter diesen Worten stiegen sie den Hügel hinan und lagerten sich bei einer großen Eiche, die ihren Schatten weit umher verbreitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":433,"orig":"Hier, ſagte Thereſe, unter dieſem deutſchen Baume will ich Ihnen die Geſchichte eines deutſchen Mädchens erzählen, hören Sie mich geduldig an:","norm":"Hier, sagte Therese, unter diesem deutschen Baume will ich Ihnen die Geschichte eines deutschen Mädchens erzählen, hören Sie mich geduldig an:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":434,"orig":"Mein Vater war ein wohlhabender Edelmann dieſer Provinz, ein heiterer, klarer, thätiger, wackrer Mann, ein zärtlicher Vater, ein redlicher Freund, ein trefflicher Wirth, an dem ich nur den einzigen Fehler kannte, daß er gegen eine Frau zu nachſichtig war, die ihn nicht zu ſchätzen wußte.","norm":"Mein Vater war ein wohlhabender Edelmann dieser Provinz, ein heiterer, klarer, tätiger, wackerer Mann, ein zärtlicher Vater, ein redlicher Freund, ein trefflicher Wirt, an dem ich nur den einzigen Fehler kannte, dass er gegen eine Frau zu nachsichtig war, die ihn nicht zu schätzen wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":435,"orig":"Leider muß ich das von meiner eigenen Mutter ſagen!","norm":"Leider muss ich das von meiner eigenen Mutter sagen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":436,"orig":"Ihr Weſen war dem ſeinigen ganz entgegengeſetzt.","norm":"Ihr Wesen war dem seinigen ganz entgegengesetzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":437,"orig":"Sie war raſch, unbeſtändig, ohne Neigung weder für ihr Haus, noch für mich ihr einziges Kind, verſchwenderiſch, aber ſchön, geiſtreich, voller Talente, das Entzücken eines Zirkels, den ſie um ſich zu verſammeln wußte.","norm":"Sie war rasch, unbeständig, ohne Neigung weder für ihr Haus, noch für mich ihr einziges Kind, verschwenderisch, aber schön, geistreich, voller Talente, das Entzücken eines Zirkels, den sie um sich zu versammeln wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":438,"orig":"Freylich war ihre Geſellſchaft niemals groß, oder blieb es nicht lange.","norm":"Freilich war ihre Gesellschaft niemals groß, oder blieb es nicht lange."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":439,"orig":"Dieſer Zirkel beſtand meiſt aus Männern, denn keine Frau befand ſich wohl neben ihr, und noch weniger konnte ſie das Verdienſt irgend eines Weibes dulden.","norm":"Dieser Zirkel bestand meist aus Männern, denn keine Frau befand sich wohl neben ihr, und noch weniger konnte sie das Verdienst irgendeines Weibes dulden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":440,"orig":"Ich glich meinem Vater an Geſtalt und Geſinnungen.","norm":"Ich glich meinem Vater an Gestalt und Gesinnungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":441,"orig":"Wie eine junge Ente gleich das Waſſer ſucht, ſo war von der erſten Jugend an die Küche, die Vorrathskammer, die Scheunen und Böden mein Element.","norm":"Wie eine junge Ente gleich das Wasser sucht, so war von der ersten Jugend an die Küche, die Vorratskammer, die Scheunen und Böden mein Element."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":442,"orig":"Die Ordnung und Reinlichkeit des Hauſes ſchien, ſelbſt da ich noch ſpielte, mein einziger Inſtinkt, mein einziges Augenmerk zu ſeyn.","norm":"Die Ordnung und Reinlichkeit des Hauses schien, selbst da ich noch spielte, mein einziger Instinkt, mein einziges Augenmerk zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":443,"orig":"Mein Vater freute ſich darüber, und gab meinem kindiſchen Beſtreben ſtufenweiſe die zweckmäßigſten Beſchäftigungen, meine Mutter dagegen liebte mich nicht, und verheelte es keinen Augenblick.","norm":"Mein Vater freute sich darüber, und gab meinem kindischen Bestreben stufenweise die zweckmäßigsten Beschäftigungen, meine Mutter dagegen liebte mich nicht, und verhehlte es keinen Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":444,"orig":"Ich wuchs heran, mit den Jahren vermehrte ſich meine Thätigkeit und die Liebe meines Vaters zu mir.","norm":"Ich wuchs heran, mit den Jahren vermehrte sich meine Tätigkeit und die Liebe meines Vaters zu mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":445,"orig":"Wenn wir allein waren, auf die Felder gingen, wenn ich ihm die Rechnungen durchſehen half, dann konnte ich ihm recht anfühlen wie glücklich er war.","norm":"Wenn wir allein waren, auf die Felder gingen, wenn ich ihm die Rechnungen durchsehen half, dann konnte ich ihm recht anfühlen wie glücklich er war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":446,"orig":"Wenn ich ihm in die Augen ſah, ſo war es als wenn ich in mich ſelbſt hinein ſähe, denn eben die Augen waren es, die mich ihm vollkommen ähnlich machten.","norm":"Wenn ich ihm in die Augen sah, so war es als wenn ich in mich selbst hineinsähe, denn eben die Augen waren es, die mich ihm vollkommen ähnlich machten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":447,"orig":"Aber nicht eben den Muth, nicht eben den Ausdruck behielt er in der Gegenwart meiner Mutter, er entſchuldigte mich gelind, wenn ſie mich heftig und ungerecht tadelte; er nahm ſich meiner an, nicht als wenn er mich beſchützen, ſondern als wenn er meine guten Eigenſchaften nur entſchuldigen könnte.","norm":"Aber nicht eben den Mut, nicht eben den Ausdruck behielt er in der Gegenwart meiner Mutter, er entschuldigte mich gelind, wenn sie mich heftig und ungerecht tadelte; er nahm sich meiner an, nicht als wenn er mich beschützen, sondern als wenn er meine guten Eigenschaften nur entschuldigen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":448,"orig":"So ſetzte er auch keiner ihrer Neigungen Hinderniſſe entgegen; ſie fing an mit größter Leidenſchaft ſich auf das Schauſpiel zu werfen, ein Theater ward erbauet, an Männern fehlte es nicht von allen Altern und Geſtalten, die ſich mit ihr auf der Bühne darſtellten, an Frauen hingegen mangelte es oft.","norm":"So setzte er auch keiner ihrer Neigungen Hindernisse entgegen; sie fing an mit größter Leidenschaft sich auf das Schauspiel zu werfen, ein Theater wurde erbaut, an Männern fehlte es nicht von allen Altern und Gestalten, die sich mit ihr auf der Bühne darstellten, an Frauen hingegen mangelte es oft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":449,"orig":"Ldyie, ein artiges Mädchen, das mit mir erzogen worden war, und das gleich in ihrer erſten Jugend reizend zu werden verſprach, mußte die zweyten Rollen übernehmen, und eine alte Kammerfrau die Mütter und Tanten vorſtellen, indeß meine Mutter ſich die erſten Liebhaberinnen, Heldinnen und Schäferinnen aller Art vorbehielt.","norm":"Lydie, ein artiges Mädchen, das mit mir erzogen worden war, und das gleich in ihrer ersten Jugend reizend zu werden versprach, musste die zweiten Rollen übernehmen, und eine alte Kammerfrau die Mütter und Tanten vorstellen, indes meine Mutter sich die ersten Liebhaberinnen, Heldinnen und Schäferinnen aller Art vorbehielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":450,"orig":"Ich kann Ihnen gar nicht ſagen, wie lächerlich mir es vorkam, wenn die Menſchen, die ich alle recht gut kannte, ſich verkleidet hatten, da droben ſtanden, und für etwas anders als ſie waren gehalten ſeyn wollten.","norm":"Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie lächerlich mir es vorkam, wenn die Menschen, die ich alle recht gut kannte, sich verkleidet hatten, da droben standen, und für etwas anders als sie waren gehalten sein wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":451,"orig":"Ich ſah immer nur meine Mutter und Lydien, dieſen Baron und jenen Secretair, ſie mochten nun als Fürſten und Grafen, oder als Bauern erſcheinen, und ich konnte nicht begreifen, wie ſie mir zumuthen wollten zu glauben, daß es ihnen wohl oder wehe ſey, daß ſie verliebt oder gleichgültig, geizig oder freygebig ſeyen, da ich doch meiſt von dem Gegentheile genau unterrichtet war.","norm":"Ich sah immer nur meine Mutter und Lydien, diesen Baron und jenen Sekretär, sie mochten nun als Fürsten und Grafen, oder als Bauern erscheinen, und ich konnte nicht begreifen, wie sie mir zumuten wollten zu glauben, dass es ihnen wohl oder wehe sei, dass sie verliebt oder gleichgültig, geizig oder freigebig seien, da ich doch meist von dem Gegenteile genau unterrichtet war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":452,"orig":"Deswegen blieb ich auch ſehr ſelten unter den Zuſchauern, ich putzte ihnen immer die Lichter, damit ich nur etwas zu thun hatte, beſorgte das Abendeſſen, und hatte des andern Morgens, wenn ſie noch lange ſchliefen, ſchon ihre Garderobe in Ordnung gebracht, die ſie des Abends gewöhnlich übereinander geworfen zurückließen.","norm":"Deswegen blieb ich auch sehr selten unter den Zuschauern, ich putzte ihnen immer die Lichter, damit ich nur etwas zu tun hatte, besorgte das Abendessen, und hatte des anderen Morgens, wenn sie noch lange schliefen, schon ihre Garderobe in Ordnung gebracht, die sie des Abends gewöhnlich übereinandergeworfen zurückließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":453,"orig":"Meiner Mutter ſchien dieſe Thätigkeit ganz recht zu ſeyn, aber ihre Neigung konnte ich nicht erwerben, ſie verachtete mich, und ich weiß noch recht gut, daß ſie mehr als einmal mit Bitterkeit wiederholte: wenn die Mutter ſo ungewis ſeyn könnte als der Vater, ſo würde man wohl ſchwerlich dieſe Magd für meine Tochter halten.","norm":"Meiner Mutter schien diese Tätigkeit ganz recht zu sein, aber ihre Neigung konnte ich nicht erwerben, sie verachtete mich, und ich weiß noch recht gut, dass sie mehr als einmal mit Bitterkeit wiederholte: Wenn die Mutter so ungewiss sein könnte als der Vater, so würde man wohl schwerlich diese Magd für meine Tochter halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":454,"orig":"Ich leugnete nicht, daß ihr Betragen mich nach und nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete ihre Handlungen wie die Handlungen einer fremden Perſon, und da ich gewohnt war wie ein Falke das Geſinde zu beobachten, denn, im Vorbeygehen geſagt, darauf beruht eigentlich der Grund aller Haushaltung; ſo fielen mir natürlich auch die Verhältniſſe meiner Mutter und ihrer Geſellſchaft auf.","norm":"Ich leugnete nicht, dass ihr Betragen mich nach und nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete ihre Handlungen wie die Handlungen einer fremden Person, und da ich gewohnt war wie ein Falke das Gesinde zu beobachten, denn, im Vorbeigehen gesagt, darauf beruht eigentlich der Grund aller Haushaltung; so fielen mir natürlich auch die Verhältnisse meiner Mutter und ihrer Gesellschaft auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":455,"orig":"Es ließ ſich wohl bemerken, daß ſie nicht alle Männer mit ebendenſelben Augen anſah, ich gab ſchärfer acht, und bemerkte bald, daß Lydie Vertraute war, und bey dieſer Gelegenheit ſelbſt mit einer Leidenſchaft bekannter wurde, die ſie von ihrer erſten Jugend an ſo oft vorgeſtellt hatte.","norm":"Es ließ sich wohl bemerken, dass sie nicht alle Männer mit eben denselben Augen ansah, ich gab schärfer acht, und bemerkte bald, dass Lydie Vertraute war, und bei dieser Gelegenheit selbst mit einer Leidenschaft bekannter wurde, die sie von ihrer ersten Jugend an so oft vorgestellt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":456,"orig":"Ich wußte alle ihre Zuſammenkünfte, aber ich ſchwieg, und ſagte meinem Vater nichts, den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber ward ich dazu genöthigt.","norm":"Ich wusste alle ihre Zusammenkünfte, aber ich schwieg, und sagte meinem Vater nichts, den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber wurde ich dazu genötigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":457,"orig":"Manches konnten ſie nicht unternehmen, ohne das Geſinde zu beſtechen.","norm":"Manches konnten sie nicht unternehmen, ohne das Gesinde zu bestechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":458,"orig":"Dieſes fing an mir zu trotzen, die Anordnungen meines Vaters zu vernachläſſigen und meine Befehle nicht zu vollziehen; die Unordnungen, die daraus entſtanden, waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich klagte alles meinem Vater.","norm":"Dieses fing an mir zu trotzen, die Anordnungen meines Vaters zu vernachlässigen und meine Befehle nicht zu vollziehen; die Unordnung, die daraus entstanden, waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich klagte alles meinem Vater."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":459,"orig":"Er hörte mich gelaſſen an; gutes Kind!","norm":"Er hörte mich gelassen an; Gutes Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":460,"orig":"ſagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles, ſey ruhig, ertrag es mit Geduld, denn es iſt nur um deinetwillen, daß ich es leide.","norm":"sagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles, sei ruhig, ertrage es mit Geduld, denn es ist nur um deinetwillen, dass ich es leide."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":461,"orig":"Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Geduld.","norm":"Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Geduld."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":462,"orig":"Ich ſchalt meinen Vater im Stillen, denn ich glaubte nicht, daß er um irgend einer Urſache willen ſo etwas zu dulden brauche, ich beſtand auf der Ordnung, und ich war entſchloſſen, die Sache aufs äußerſte kommen zu laſſen.","norm":"Ich schalt meinen Vater im Stillen, denn ich glaubte nicht, dass er um irgendeiner Ursache Willen so etwas zu dulden brauche, ich bestand auf der Ordnung, und ich war entschlossen, die Sache aufs äußerste kommen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":463,"orig":"Meine Mutter war reich von ſich, verzehrte aber doch mehr als ſie ſollte, und dies gab, wie ich wohl merkte, manche Erklärung zwiſchen meinen Eltern.","norm":"Meine Mutter war reich von sich, verzehrte aber doch mehr als sie sollte, und dies gab, wie ich wohl merkte, manche Erklärung zwischen meinen Eltern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":464,"orig":"Lange war der Sache nicht geholfen, bis die Leidenſchaften meiner Mutter ſelbſt eine Art von Entwickelung hervorbrachten.","norm":"Lange war der Sache nicht geholfen, bis die Leidenschaften meiner Mutter selbst eine Art von Entwicklung hervorbrachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":465,"orig":"Der erſte Liebhaber ward auf eine eklatante Weiſe ungetreu; das Haus, die Gegend, ihre Verhältniſſe waren ihr zuwider.","norm":"Der erste Liebhaber wurde auf eine eklatante Weise ungetreu; das Haus, die Gegend, ihre Verhältnisse waren ihr zuwider."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":466,"orig":"Sie wollte auf ein anderes Gut ziehen, da war es ihr zu einſam; ſie wollte nach der Stadt, da galt ſie nicht genug.","norm":"Sie wollte auf ein anderes Gut ziehen, da war es ihr zu einsam; sie wollte nach der Stadt, da galt sie nicht genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":467,"orig":"Ich weiß nicht, was alles zwiſchen ihr und meinem Vater vorging, genug er entſchloß ſich endlich unter Bedingungen, die ich nicht erfuhr, in eine Reiſe, die ſie nach dem ſüdlichen Frankreich thun wollte, einzuwilligen.","norm":"Ich weiß nicht, was alles zwischen ihr und meinem Vater vorging, genug er entschloss sich endlich unter Bedingungen, die ich nicht erfuhr, in eine Reise, die sie nach dem südlichen Frankreich tun wollte, einzuwilligen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":468,"orig":"Wir waren nun frey und lebten wie im Himmel; ja ich glaube, daß mein Vater nichts verlohren hat, wenn er ihre Gegenwart auch ſchon mit einer anſehnlichen Summe abkaufte.","norm":"Wir waren nun frei und lebten wie im Himmel; ja ich glaube, dass mein Vater nichts verloren hat, wenn er ihre Gegenwart auch schon mit einer ansehnlichen Summe abkaufte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":469,"orig":"Alles unnütze Geſinde ward abgeſchaft, und das Glück ſchien unſere Ordnung zu begünſtigen; wir hatten einige ſehr gute Jahre, alles gelang nach Wunſch.","norm":"Alles unnütze Gesinde wurde abgeschafft, und das Glück schien unsere Ordnung zu begünstigen; wir hatten einige sehr gute Jahre, alles gelang nach Wunsch."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":470,"orig":"Aber leider dieſer frohe Zuſtand dauerte nicht lange, ganz unvermuthet ward mein Vater von einem Schlagfluſſe befallen, der ihm die rechte Seite lähmte, und den reinen Gebrauch der Sprache benahm.","norm":"Aber leider dieser frohe Zustand dauerte nicht lange, ganz unvermutet wurde mein Vater von einem Schlagflusse befallen, der ihm die rechte Seite lähmte, und den reinen Gebrauch der Sprache benahm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":471,"orig":"Man mußte alles errathen, was er verlangte, denn er brachte nie das Wort hervor, das er im Sinne hatte.","norm":"Man musste alles erraten, was er verlangte, denn er brachte nie das Wort hervor, das er im Sinne hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":472,"orig":"Sehr ängſtlich waren mir daher manche Augenblicke, in denen er mit mir ausdrücklich allein ſeyn wollte; er deutete mit heftiger Gebärde, daß jedermann ſich entfernen ſollte, und wenn wir uns allein ſahen, war er nicht im Stande das rechte Wort hervor zu bringen; ſeine Ungeduld ſtieg aufs äußerſte und ſein Zuſtand betrübte mich im innerſten Herzen.","norm":"Sehr ängstlich waren mir daher manche Augenblicke, in denen er mit mir ausdrücklich allein sein wollte; er deutete mit heftiger Gebärde, dass jedermann sich entfernen sollte, und wenn wir uns allein sahen, war er nicht imstande das rechte Wort hervorzubringen; Seine Ungeduld stieg aufs äußerste und sein Zustand betrübte mich im innersten Herzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":473,"orig":"So viel ſchien mir gewiß, daß er mir etwas zu vertrauen hatte, das mich beſonders anging.","norm":"So viel schien mir gewiss, dass er mir etwas zu vertrauen hatte, das mich besonders anging."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":474,"orig":"Welches Verlangen fühlt’ ich nicht es zu erfahren!","norm":"Welches Verlangen fühlte ich nicht es zu erfahren!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":475,"orig":"Sonſt konnt ich ihm alles an den Augen anſehen; aber jetzt war es vergebens, ſelbſt ſeine Augen ſprachen nicht mehr!","norm":"Sonst konnte ich ihm alles an den Augen ansehen; aber jetzt war es vergebens, Selbst seine Augen sprachen nicht mehr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":476,"orig":"nur ſo viel war mir deutlich: er wollte nichts, er begehrte nichts, er ſtrebte nur mir etwas zu entdecken, das ich leider nicht erfuhr.","norm":"Nur so viel war mir deutlich: Er wollte nichts, er begehrte nichts, er strebte nur mir etwas zu entdecken, das ich leider nicht erfuhr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":477,"orig":"Sein Übel wiederholte ſich, er ward bald darauf ganz unthätig und unfähig; und nicht lange, ſo war er todt.","norm":"Sein Übel wiederholte sich, er wurde bald darauf ganz untätig und unfähig; und nicht lange, so war er tot."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":478,"orig":"Ich weiß nicht, wie ſich bey mir der Gedanke feſtgeſetzt hatte, daß er irgendwo einen Schatz niedergelegt habe, den er mir nach ſeinem Tode lieber als meiner Mutter gönnen wollte; ich ſuchte ſchon bey ſeinen Lebzeiten nach, allein ich fand nichts, nach ſeinem Tode ward alles verſiegelt.","norm":"Ich weiß nicht, wie sich bei mir der Gedanke festgesetzt hatte, dass er irgendwo einen Schatz niedergelegt habe, den er mir nach seinem Tode lieber als meiner Mutter gönnen wollte; ich suchte schon bei seinen Lebzeiten nach, allein ich fand nichts, nach seinem Tode wurde alles versiegelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":479,"orig":"Ich ſchrieb meiner Mutter und bot ihr an als Verwalter im Hauſe zu bleiben, ſie ſchlug es aus und ich mußte das Gut räumen.","norm":"Ich schrieb meiner Mutter und bot ihr an als Verwalter im Hause zu bleiben, sie schlug es aus und ich musste das Gut räumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":480,"orig":"Es kam ein wechſelſeitiges Teſtament zum Vorſchein, wodurch ſie im Beſitz und Genuß von allem, und ich, wenigſtens ihre ganze Lebenszeit über, von ihr abhängig blieb.","norm":"Es kam ein wechselseitiges Testament zum Vorschein, wodurch sie im Besitz und Genuss von allem, und ich, wenigstens ihre ganze Lebenszeit über, von ihr abhängig blieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":481,"orig":"Nun glaubte ich erſt recht die Winke meines Vaters zu verſtehn; ich bedauerte ihn, daß er ſo ſchwach geweſen war, auch nach ſeinem Tode ungerecht gegen mich zu ſeyn.","norm":"Nun glaubte ich erst recht die Winke meines Vaters zu verstehen; ich bedauerte ihn, dass er so schwach gewesen war, auch nach seinem Tode ungerecht gegen mich zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":482,"orig":"Denn einige meiner Freunde wollten ſogar behaupten, es ſey beynah nicht beſſer, als ob er mich enterbt hätte, und verlangten ich ſollte das Teſtament angreifen, wozu ich mich aber nicht entſchließen konnte.","norm":"Denn einige meiner Freunde wollten sogar behaupten, es sei beinahe nicht besser, als ob er mich enterbt hätte, und verlangten ich sollte das Testament angreifen, wozu ich mich aber nicht entschließen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":483,"orig":"Ich verehrte das Andenken meines Vaters zu ſehr, ich vertraute dem Schickſal, ich vertraute mir ſelbſt.","norm":"Ich verehrte das Andenken meines Vaters zu sehr, ich vertraute dem Schicksal, ich vertraute mir selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":484,"orig":"Ich hatte mit einer Dame in der Nachbarſchaft, die große Güther beſaß, immer in gutem Verhältniſſe geſtanden, ſie nahm mich mit Vergnügen auf, und es ward mir leicht, bald ihrer Haushaltung vorzuſtehn.","norm":"Ich hatte mit einer Dame in der Nachbarschaft, die große Güter besaß, immer in gutem Verhältnisse gestanden, sie nahm mich mit Vergnügen auf, und es wurde mir leicht, bald ihrer Haushaltung vorzustehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":485,"orig":"Sie lebte ſehr regelmäßig und liebte die Ordnung in allem, und ich half ihr treulich in dem Kampf mit Verwalter und Geſinde.","norm":"Sie lebte sehr regelmäßig und liebte die Ordnung in allem, und ich half ihr treulich in dem Kampf mit Verwalter und Gesinde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":486,"orig":"Ich bin weder geizig noch mißgünſtig, aber wir Weiber beſtehn überhaupt viel ernſthafter als ſelbſt ein Mann darauf, daß nichts verſchleudert werde.","norm":"Ich bin weder geizig noch missgünstig, aber wir Weiber bestehen überhaupt viel ernsthafter als selbst ein Mann darauf, dass nichts verschleudert werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":487,"orig":"Jeder Unterſchleif iſt uns unerträglich, wir wollen daß jeder nur genieße, in ſo fern er dazu berechtigt iſt.","norm":"Jeder Unterschleif ist uns unerträglich, wir wollen dass jeder nur genieße, insofern er dazu berechtigt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":488,"orig":"Nun war ich wieder in meinem Elemente, und trauerte ſtill über den Tod meines Vaters.","norm":"Nun war ich wieder in meinem Elemente, und trauerte still über den Tod meines Vaters."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":489,"orig":"Meine Beſchützerin war mit mir zufrieden, nur ein kleiner Umſtand ſtörte meine Ruhe.","norm":"Meine Beschützerin war mit mir zufrieden, nur ein kleiner Umstand störte meine Ruhe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":490,"orig":"Lydie kam zurück, meine Mutter war grauſam genug das arme Mädchen abzuſtoßen, nachdem ſie aus dem Grunde verdorben war.","norm":"Lydie kam zurück, meine Mutter war grausam genug das arme Mädchen abzustoßen, nachdem sie aus dem Grunde verdorben war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":491,"orig":"Sie hatte bey meiner Mutter gelernt Leidenſchaften als Beſtimmung anzuſehen, ſie war gewöhnt ſich in nichts zu mäßigen.","norm":"Sie hatte bei meiner Mutter gelernt Leidenschaften als Bestimmung anzusehen, sie war gewöhnt sich in nichts zu mäßigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":492,"orig":"Als ſie unvermuthet wieder erſchien, nahm meine Wohlthäterin auch ſie auf; ſie wollte mir an Handen gehn und konnte ſich in nichts ſchicken.","norm":"Als sie unvermutet wieder erschien, nahm meine Wohltäterin auch sie auf; sie wollte mir an Händen gehen und konnte sich in nichts schicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":493,"orig":"Um dieſe Zeit kamen die Verwandten und künftigen Erben meiner Dame oft ins Haus, und beluſtigten ſich mit der Jagd.","norm":"Um diese Zeit kamen die Verwandten und künftigen Erben meiner Dame oft ins Haus, und belustigten sich mit der Jagd."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":494,"orig":"Auch Lothario war manchmal mit ihnen, ich bemerkte gar bald, wie ſehr er ſich vor allen andern auszeichnete, jedoch ohne die mindeſte Beziehung auf mich ſelbſt.","norm":"Auch Lothario war manchmal mit ihnen, ich bemerkte gar bald, wie sehr er sich vor allen anderen auszeichnete, jedoch ohne die mindeste Beziehung auf mich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":495,"orig":"Er war gegen alle höflich, und bald ſchien Lydie ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen.","norm":"Er war gegen alle höflich, und bald schien Lydie seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":496,"orig":"Ich hatte immer zu thun und war ſelten bey der Geſellſchaft; in ſeiner Gegenwart ſprach ich weniger als gewöhnlich, denn ich will nicht läugnen, daß eine lebhafte Unterhaltung von jeher mir die Würze des Lebens war.","norm":"Ich hatte immer zu tun und war selten bei der Gesellschaft; in seiner Gegenwart sprach ich weniger als gewöhnlich, denn ich will nicht leugnen, dass eine lebhafte Unterhaltung von jeher mir die Würze des Lebens war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":497,"orig":"Ich ſprach mit meinem Vater gern viel über alles was begegnete.","norm":"Ich sprach mit meinem Vater gern viel über alles was begegnete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":498,"orig":"Was man nicht beſpricht, bedenkt man nicht recht.","norm":"Was man nicht bespricht, bedenkt man nicht recht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":499,"orig":"Keinem Menſchen hatte ich jemals lieber zugehört als Lothario, wenn er von ſeinen Reiſen, von ſeinen Feldzügen erzählte.","norm":"Keinem Menschen hatte ich jemals lieber zugehört als Lothario, wenn er von seinen Reisen, von seinen Feldzügen erzählte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":500,"orig":"Die Welt lag ihm ſo klar, ſo offen da, wie mir die Gegend, in der ich gewirthſchaftet hatte.","norm":"Die Welt lag ihm so klar, so offen da, wie mir die Gegend, in der ich gewirtschaftet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":501,"orig":"Ich hörte nicht etwa die wunderlichen Schickſale des Abentheurers, die übertriebenen Halbwahrheiten eines beſchränkten Reiſenden, der immer nur ſeine Perſon an die Stelle des Landes ſetzt, wovon er uns ein Bild zu geben verſpricht; er erzählte nicht, er führte uns an die Orte ſelbſt, ich habe nicht leicht ein ſo reines Vergnügen empfunden.","norm":"Ich hörte nicht etwa die wunderlichen Schicksale des Abenteurers, die übertriebenen Halbwahrheiten eines beschränkten Reisenden, der immer nur seine Person an die Stelle des Landes setzt, wovon er uns ein Bild zu geben verspricht; er erzählte nicht, er führte uns an die Orte selbst, ich habe nicht leicht ein so reines Vergnügen empfunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":502,"orig":"Aber unausſprechlich war meine Zufriedenheit, als ich ihn eines Abends über die Frauen reden hörte.","norm":"Aber unaussprechlich war meine Zufriedenheit, als ich ihn eines Abends über die Frauen reden hörte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":503,"orig":"Das Geſpräch machte ſich ganz natürlich; einige Damen aus der Nachbarſchaft hatten uns beſucht und über die Bildung der Frauen die gewöhnlichen Geſpräche geführt.","norm":"Das Gespräch machte sich ganz natürlich; einige Damen aus der Nachbarschaft hatten uns besucht und über die Bildung der Frauen die gewöhnlichen Gespräche geführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":504,"orig":"Man ſey ungerecht gegen nnſer Geſchlecht, hieß es, die Männer wollten alle höhere Kultur für ſich behalten, man wolle uns zu keinen Wiſſenſchaften zulaſſen, man verlange, daß wir nur Tändelpuppen oder Haushälterinnen ſeyn ſollten.","norm":"Man sei ungerecht gegen unser Geschlecht, hieß es, die Männer wollten alle höhere Kultur für sich behalten, man wolle uns zu keinen Wissenschaften zulassen, man verlange, dass wir nur Tändelpuppen oder Haushälterinnen sein sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":505,"orig":"Lothario ſprach wenig zu allem dieſem; als aber die Geſellſchaft kleiner ward, ſagte er auch hierüber offen ſeine Meynung.","norm":"Lothario sprach wenig zu allem diesem; als aber die Gesellschaft kleiner wurde, sagte er auch hierüber offen seine Meinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":506,"orig":"Es iſt ſonderbar, rief er aus, daß man es dem Manne verargt, der eine Frau an die höchſte Stelle ſetzen will, die ſie einzunehmen fähig iſt: und welche iſt höher als das Regiment des Hauſes?","norm":"Es ist sonderbar, rief er aus, dass man es dem Manne verargt, der eine Frau an die höchste Stelle setzen will, die sie einzunehmen fähig ist: und welche ist höher als das Regiment des Hauses?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":507,"orig":"Wenn der Mann ſich mit äußern Verhältniſſen quält, wenn er die Beſitzthümer herbey ſchaffen und beſchützen muß, wenn er ſogar an der Staatsverwaltung Antheil nimmt, überall von Umſtänden abhängt, und, ich möchte ſagen, nichts regiert, indem er zu regieren glaubt, immer nur politiſch ſeyn muß, wo er gern vernünftig wäre, verſteckt, wo er offen, falſch, wo er redlich zu ſeyn wünſchte, wenn er um des Zieles willen, das er nie erreicht, das ſchönſte Ziel, die Harmonie mit ſich ſelbſt, in jedem Augenblicke aufgeben muß, indeſſen herrſcht eine vernünftige Hausfrau im Innern wirklich, und macht einer ganzen Familie jede Thätigkeit, jede Zufriedenheit möglich.","norm":"Wenn der Mann sich mit äußeren Verhältnissen quält, wenn er die Besitztümer herbeischaffen und beschützen muss, wenn er sogar an der Staatsverwaltung Anteil nimmt, überall von Umständen abhängt, und, ich möchte sagen, nichts regiert, indem er zu regieren glaubt, immer nur politisch sein muss, wo er gern vernünftig wäre, versteckt, wo er offen, falsch, wo er redlich zu sein wünschte, wenn er um des Zieles willen, das er nie erreicht, das schönste Ziel, die Harmonie mit sich selbst, in jedem Augenblicke aufgeben muss, indessen herrscht eine vernünftige Hausfrau im Inneren wirklich, und macht einer ganzen Familie jede Tätigkeit, jede Zufriedenheit möglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":508,"orig":"Was iſt das höchſte Glück des Menſchen, als daß wir das ausführen, was wir als recht und gut einſehen?","norm":"Was ist das höchste Glück des Menschen, als dass wir das ausführen, was wir als recht und gut einsehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":509,"orig":"daß wir wirklich Herren über die Mittel zu unſern Zwecken ſind.","norm":"dass wir wirklich Herren über die Mittel zu unseren Zwecken sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":510,"orig":"Und wo ſollen, wo können unſere nächſten Zwecke liegen, als innerhalb des Hauſes?","norm":"Und wo sollen, wo können unsere nächsten Zwecke liegen, als innerhalb des Hauses?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":511,"orig":"alle immer wiederkehrenden, unentbehrlichen Bedürfniſſe, wo erwarten wir, wo fordern wir ſie, als da, wo wir aufſtehn und uns niederlegen, wo Küche und Keller und jede Art von Vorrath für uns und die unſrigen immer bereit ſeyn ſoll?","norm":"Alle immer wiederkehrenden, unentbehrlichen Bedürfnisse, wo erwarten wir, wo fordern wir sie, als da, wo wir aufstehen und uns niederlegen, wo Küche und Keller und jede Art von Vorrat für uns und die Unsrigen immer bereit sein soll?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":512,"orig":"Welche regelmäßige Thätigkeit wird erfordert, um dieſe immer wiederkehrende Ordnung in einer unverrückten lebendigen Folge durchzuführen?","norm":"Welche regelmäßige Tätigkeit wird erfordert, um diese immer wiederkehrende Ordnung in einer unverrückten lebendigen Folge durchzuführen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":513,"orig":"wie wenig Männern iſt es gegeben, gleichſam als ein Geſtirn regelmäßig wiederzukehren, und dem Tage, ſo wie der Nacht vorzuſtehn?","norm":"Wie wenig Männern ist es gegeben, gleichsam als ein Gestirn regelmäßig wiederzukehren, und dem Tage, so wie der Nacht vorzustehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":514,"orig":"ſich ihre häuslichen Werkzeuge zu bilden, zu pflanzen und zu erndten, zu verwahren und auszuſpenden, und den Kreis immer mit Ruhe, Liebe und Zweckmäßigkeit zu durchwandlen.","norm":"sich ihre häuslichen Werkzeuge zu bilden, zu pflanzen und zu ernten, zu verwahren und auszuspenden, und den Kreis immer mit Ruhe, Liebe und Zweckmäßigkeit zu durchwandeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":515,"orig":"Hat ein Weib einmal dieſe innere Herrſchaft ergriffen, ſo macht ſie den Mann, den ſie liebt, erſt allein dadurch zum Herrn; ihre Aufmerkſamkeit erwirbt alle Kenntniſſe und ihre Thätigkeit weiß ſie alle zu benutzen.","norm":"Hat ein Weib einmal diese innere Herrschaft ergriffen, so macht sie den Mann, den sie liebt, erst allein dadurch zum Herrn; ihre Aufmerksamkeit erwirbt alle Kenntnisse und ihre Tätigkeit weiß sie alle zu benutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":516,"orig":"So iſt ſie von niemand abhängig und verſchafft ihrem Manne die wahre Unabhängigkeit, die häusliche, die innere; das was er beſitzt, ſieht er geſichert, das was er erwirbt gut benutzt, und ſo kann er ſein Gemüth nach großen Gegenſtänden wenden, und, wenn das Glück gut iſt, das dem Staate ſeyn, was ſeiner Gattin zu Hauſe ſo wohl anſteht.","norm":"So ist sie von niemand abhängig und verschafft ihrem Manne die wahre Unabhängigkeit, die häusliche, die innere; das was er besitzt, sieht er gesichert, das was er erwirbt gut benutzt, und so kann er sein Gemüt nach großen Gegenständen wenden, und, wenn das Glück gut ist, das dem Staate sein, was seiner Gattin zu Hause so wohl ansteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":517,"orig":"Er machte darauf eine Beſchreibung, wie er ſich eine Frau wünſche.","norm":"Er machte darauf eine Beschreibung, wie er sich eine Frau wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":518,"orig":"Ich ward roth, denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und lebte.","norm":"Ich wurde rot, denn er beschrieb mich, wie ich leibte und lebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":519,"orig":"Ich genoß im Stillen meinen Triumph, um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte, Ich erinnere mich keiner angenehmern Empfindung in meinem ganzen Leben, als daß ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Natur den Vorzug gab.","norm":"Ich genoss im Stillen meinen Triumph, um so mehr, da ich aus allen Umständen sah, dass er mich persönlich nicht gemeint hatte, dass er mich eigentlich nicht kannte, Ich erinnere mich keiner angenehmeren Empfindung in meinem ganzen Leben, als dass ein Mann, den ich so sehr schätzte, nicht meiner Person, sondern meiner innersten Natur den Vorzug gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":520,"orig":"Welche Belohnung fühlte ich!","norm":"Welche Belohnung fühlte ich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":521,"orig":"welche Aufmunterung war mir geworden!","norm":"Welche Aufmunterung war mir geworden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":522,"orig":"Als ſie weg waren, ſagte meine würdige Freundin lächelnd zu mir:","norm":"Als sie weg waren, sagte meine würdige Freundin lächelnd zu mir:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":523,"orig":"Schade daß die Männer oft denken und reden, was ſie doch nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt wäre eine treffliche Partie für meine liebe Thereſe geradezu gefunden.","norm":"Schade dass die Männer oft denken und reden, was sie doch nicht zur Ausführung kommen lassen, sonst wäre eine treffliche Partie für meine liebe Therese geradezu gefunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":524,"orig":"Ich ſcherzte über ihre Äußerung, und fügte hinzu, daß zwar der Verſtand der Männer ſich nach Haushälterinnen umſehe, daß aber ihr Herz und ihre Einbildungskraft ſich nach andern Eigenſchaften ſehne, und daß wir Haushälterinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen und reizenden Mädchen keinen Wettſtreit aushalten können.","norm":"Ich scherzte über ihre Äußerung, und fügte hinzu, dass zwar der Verstand der Männer sich nach Haushälterinnen umsehe, dass aber ihr Herz und ihre Einbildungskraft sich nach anderen Eigenschaften sehne, und dass wir Haushälterinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen und reizenden Mädchen keinen Wettstreit aushalten können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":525,"orig":"Dieſe Worte ſagte ich Lydien zum Gehör, denn ſie verbarg nicht, daß Lothario großen Eindruck auf ſie gemacht habe, und auch er ſchien bey jedem neuen Beſuch immer aufmerkſamer auf ſie zu werden.","norm":"Diese Worte sagte ich Lydien zum Gehör, denn sie verbarg nicht, dass Lothario großen Eindruck auf sie gemacht habe, und auch er schien bei jedem neuen Besuche immer aufmerksamer auf sie zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":526,"orig":"Sie war arm, ſie war nicht von Stande, ſie konnte an keine Heirath mit ihm denken, aber ſie konnte der Wonne nicht widerſtehen, zu reizen und gereizt zu werden.","norm":"Sie war arm, sie war nicht von Stande, sie konnte an keine Heirat mit ihm denken, aber sie konnte der Wonne nicht widerstehen, zu reizen und gereizt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":527,"orig":"Ich hatte nie geliebt und liebte auch jetzt nicht; ob es mir ſchon unendlich angenehm war, zu ſehen, wohin meine Natur von einem ſo verehrten Manne geſtellt und gerechnet werde, will ich doch nicht läugnen, daß ich damit nicht ganz zufrieden war Ich wünſchte nun auch, daß er mich kennen, daß er perſönlich Antheil an mir nehmen möchte.","norm":"Ich hatte nie geliebt und liebte auch jetzt nicht; ob es mir schon unendlich angenehm war, zu sehen, wohin meine Natur von einem so verehrten Manne gestellt und gerechnet werde, will ich doch nicht leugnen, dass ich damit nicht ganz zufrieden war Ich wünschte nun auch, dass er mich kennen, dass er persönlich Anteil an mir nehmen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":528,"orig":"Es entſtand bey mir dieſer Wunſch ohne irgend einen beſtimmten Gedanken, was daraus folgen könnte.","norm":"Es entstand bei mir dieser Wunsch ohne irgendeinen bestimmten Gedanken, was darauf folgen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":529,"orig":"Der größte Dienſt, den ich meiner Wohlthäterin leiſtete, war, daß ich die ſchönen Waldungen ihrer Güter in Ordnung zu bringen ſuchte.","norm":"Der größte Dienst, den ich meiner Wohltäterin leistete, war, dass ich die schönen Waldungen ihrer Güter in Ordnung zu bringen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":530,"orig":"In dieſen köſtlichen Beſitzungen, deren großen Werth Zeit und Umſtände immer vermehren, ging es leider nur immer nach dem alten Schlendrian fort, nirgends war Plan und Ordnung, und des Stehlens und des Unterſchleifs kein Ende, manche Berge ſtanden öde, und einen gleichen Wuchs hatten nur noch die älteſten Schläge.","norm":"In diesen köstlichen Besitzungen, deren großen Wert Zeit und Umstände immer vermehren, ging es leider nur immer nach dem alten Schlendrian fort, nirgends war Plan und Ordnung, und des Stehlens und des Unterschleifs kein Ende, manche Berge standen öde, und einen gleichen Wuchs hatten nur noch die ältesten Schläge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":531,"orig":"Ich beging alles ſelbſt mit einem geſchickten Forſtmann, ich ließ die Waldungen meſſen, ich ließ ſchlagen, ſäen, pflanzen, und in kurzer Zeit war alles im Gange.","norm":"Ich beging alles selbst mit einem geschickten Forstmann, ich ließ die Waldungen messen, ich ließ schlagen, säen, pflanzen, und in kurzer Zeit war alles im Gange."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":532,"orig":"Ich hatte mir, um leichter zu Pferde fort zu kommen und auch zu Fuße nirgends gehindert zu ſeyn, Mannskleider machen laſſen, ich war an vielen Orten, und man fürchtete mich überall.","norm":"Ich hatte mir, um leichter zu Pferde fortzukommen und auch zu Fuße nirgends gehindert zu sein, Mannskleider machen lassen, ich war an vielen Orten, und man fürchtete mich überall."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":533,"orig":"Ich hörte daß die Geſellſchaft junger Freunde mit Lothario wieder ein Jagen angeſtellt hatte, zum erſtenmal in meinem Leben fiel mirs ein zu ſcheinen, oder daß ich mir nicht unrecht thue, in den Augen des trefflichen Mannes für das zu gelten, was ich war.","norm":"Ich hörte dass die Gesellschaft junger Freunde mit Lothario wieder ein Jagen angestellt hatte, zum ersten Mal in meinem Leben fiel mir es ein zu scheinen, oder dass ich mir nicht Unrecht tue, in den Augen des trefflichen Mannes für das zu gelten, was ich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":534,"orig":"Ich zog meine Mannskleider an, nahm die Flinte auf den Rücken und ging mit unſerm Jäger hinaus, um die Geſellſchaft an der Grenze zu erwarten.","norm":"Ich zog meine Mannskleider an, nahm die Flinte auf den Rücken und ging mit unserem Jäger hinaus, um die Gesellschaft an der Grenze zu erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":535,"orig":"Sie kam, Lothario kannte mich nicht gleich, einer von den Neffen meiner Wohlthäterinn ſtellte mich ihm als einen geſchickten Forſtmann vor, ſcherzte über meine Jugend und trieb ſein Spiel zu meinem Lobe ſo lange, bis endlich Lothario mich erkannte.","norm":"Sie kam, Lothario kannte mich nicht gleich, einer von den Neffen meiner Wohltäterin stellte mich ihm als einen geschickten Forstmann vor, scherzte über meine Jugend und trieb sein Spiel zu meinem Lobe so lange, bis endlich Lothario mich erkannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":536,"orig":"Der Neffe ſecundirte meine Abſicht, als wenn wir es abgeredet hätten, umſtändlich erzählte er, und dankbar, was ich für die Güter der Tante und alſo auch für ihn gethan hatte.","norm":"Der Neffe sekundierte meine Absicht, als wenn wir es abgeredet hätten, umständlich erzählte er, und dankbar, was ich für die Güter der Tante und also auch für ihn getan hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":537,"orig":"Lothario hörte mit Aufmerkſamkeit zu, unterhielt ſich mit mir, fragte nach allen Verhältniſſen der Güter und der Gegend, und ich war froh, meine Kenntniſſe vor ihm ausbreiten zu können; ich beſtand in meinem Examen ſehr gut, ich legte ihm einige Vorſchläge zu gewiſſen Verbeſſerungen zur Prüfung vor, er billigte ſie, erzählte mir ähnliche Beyſpiele, und verſtärkte meine Gründe durch den Zuſammenhang, den er ihnen gab; meine Zufriedenheit wuchs mit jedem Augenblick.","norm":"Lothario hörte mit Aufmerksamkeit zu, unterhielt sich mit mir, fragte nach allen Verhältnissen der Güter und der Gegend, und ich war froh, meine Kenntnisse vor ihm ausbreiten zu können; ich bestand in meinem Examen sehr gut, ich legte ihm einige Vorschläge zu gewissen Verbesserungen zur Prüfung vor, er billigte sie, erzählte mir ähnliche Beispiele, und verstärkte meine Gründe durch den Zusammenhang, den er ihnen gab; Meine Zufriedenheit wuchs mit jedem Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":538,"orig":"Aber glücklicher Weiſe wollte ich nur gekannt, wollte nicht geliebt ſeyn, denn — wir kamen nach Hauſe, und ich bemerkte mehr als ſonſt, daß die Aufmerkſamkeit, die er Lydien bezeigte, eine heimliche Neigung zu verrathen ſchien.","norm":"Aber glücklicherweise wollte ich nur gekannt, wollte nicht geliebt sein, denn — wir kamen nach Hause, und ich bemerkte mehr als sonst, dass die Aufmerksamkeit, die er Lydien bezeigte, eine heimliche Neigung zu verraten schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":539,"orig":"Ich hatte meinen Endzweck erreicht, und war doch nicht ruhig; er zeigte von dem Tage an eine wahre Achtung und ein ſchönes Vertrauen gegen mich, er redete mich in Geſellſchaft gewöhnlich an, fragte mich um meine Meinung und ſchien beſonders in Haushaltungsſachen das Zutrauen zu mir zu haben, als wenn ich alles wiſſe.","norm":"Ich hatte meinen Endzweck erreicht, und war doch nicht ruhig; er zeigte von dem Tage an eine wahre Achtung und ein schönes Vertrauen gegen mich, er redete mich in Gesellschaft gewöhnlich an, fragte mich um meine Meinung und schien besonders in Haushaltungssachen das Zutrauen zu mir zu haben, als wenn ich alles wisse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":540,"orig":"Seine Theilnahme munterte mich außerordentlich auf; ſogar wenn von allgemeiner Landesökonomie und von Finanzen die Rede war, zog er mich ins Geſpräch, und ich ſuchte in ſeiner Abweſenheit mehr Kenntniſſe von der Provinz, ja von dem ganzen Lande zu erlangen; es ward mir leicht, denn es wiederholte ſich nur im Großen was ich im Kleinen ſo genau wußte und kannte.","norm":"Seine Teilnahme munterte mich außerordentlich auf; sogar wenn von allgemeiner Landesökonomie und von Finanzen die Rede war, zog er mich ins Gespräch, und ich suchte in seiner Abwesenheit mehr Kenntnisse von der Provinz, ja von dem ganzen Lande zu erlangen; es wurde mir leicht, denn es wiederholte sich nur im Großen was ich im Kleinen so genau wusste und kannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":541,"orig":"Er kam von dieſer Zeit an öfter in unſer Haus.","norm":"Er kam von dieser Zeit an öfter in unser Haus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":542,"orig":"Es ward, ich kann wohl ſagen, von allem geſprochen, aber gewiſſermaßen ward unſer Geſpräch zuletzt immer ökonomiſch, wenn auch nur im uneigentlichen Sinne.","norm":"Es wurde, ich kann wohl sagen, von allem gesprochen, aber gewissermaßen wurde unser Gespräch zuletzt immer ökonomisch, wenn auch nur im uneigentlichen Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":543,"orig":"Was der Menſch durch konſequente Anwendung ſeiner Kräfte, ſeiner Zeit, ſeines Geldes, ſelbſt durch geringſcheinende Mittel für ungeheure Wirkungen hervorbringen könne, darüber ward viel geſprochen.","norm":"Was der Mensch durch konsequente Anwendung seiner Kräfte, seiner Zeit, seines Geldes, selbst durch geringscheinende Mittel für ungeheure Wirkungen hervorbringen könne, darüber wurde viel gesprochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":544,"orig":"Ich widerſtand der Neigung nicht, die mich zu ihm zog, und ich fühlte leider nur zu bald, wie ſehr, wie herzlich, wie rein und aufrichtig meine Liebe war, da ich immer mehr zu bemerken glaubte, daß ſeine öftern Beſuche Lydien und nicht mir galten.","norm":"Ich widerstand der Neigung nicht, die mich zu ihm zog, und ich fühlte leider nur zu bald, wie sehr, wie herzlich, wie rein und aufrichtig meine Liebe war, da ich immer mehr zu bemerken glaubte, dass seine Öfteren Besuche Lydien und nicht mir galten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":545,"orig":"Sie wenigſtens war auf das lebhafteſte, davon überzeugt, ſie machte mich zu ihrer Vertrauten, und dadurch fand ich mich noch einigermaßen getröſtet.","norm":"Sie wenigstens war auf das lebhafteste, davon überzeugt, sie machte mich zu ihrer Vertrauten, und dadurch fand ich mich noch einigermaßen getröstet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":546,"orig":"Das, was ſie ſo ſehr zu ihrem Vortheile auslegte, fand ich keinesweges bedeutend; von der Abſicht einer ernſthaften, dauernden Verbindung zeigte ſich keine Spur, um ſo deutlicher ſah ich den Hang des leidenſchaftlichen Mädchens um jeden Preis die ſeinige zu werden.","norm":"Das, was sie so sehr zu ihrem Vorteile auslegte, fand ich keineswegs bedeutend; von der Absicht einer ernsthaften, dauernden Verbindung zeigte sich keine Spur, um so deutlicher sah ich den Hang des leidenschaftlichen Mädchens um jeden Preis die Seinige zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":547,"orig":"So ſtanden die Sachen, als mich die Frau vom Hauſe mit einem unvermutheten Antrag überraſchte;","norm":"So standen die Sachen, als mich die Frau vom Hause mit einem unvermuteten Antrag überraschte;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":548,"orig":"Lothario, ſagte ſie, bietet Ihnen ſeine Hand an, und wünſcht Sie in ſeinem Leben immer zur Seite zu haben.","norm":"Lothario, sagte sie, bietet Ihnen seine Hand an, und wünscht Sie in seinem Leben immer zur Seite zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":549,"orig":"Sie verbreitete ſich über meine Eigenſchaften, und ſagte mir, was ich ſo gerne anhörte: daß Lothario überzeugt ſey, in mir die Perſon gefunden zu haben, die er ſo lange gewünſcht hatte.","norm":"Sie verbreitete sich über meine Eigenschaften, und sagte mir, was ich so gerne anhörte: dass Lothario überzeugt sei, in mir die Person gefunden zu haben, die er so lange gewünscht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":550,"orig":"Das höchſte Glück war nun für mich erreicht, ein Mann verlangte mich, den ich ſo ſehr ſchätzte, bey dem und mit dem ich eine völlige freye, ausgebreitete, nützliche Wirkung meiner angebohrnen Neigung, meines durch Übung erworbenen Talents vor mir ſah; die Summe meines ganzen Daſeyns ſchien ſich ins Unendliche vermehrt zu haben.","norm":"Das höchste Glück war nun für mich erreicht, ein Mann verlangte mich, den ich so sehr schätzte, bei dem und mit dem ich eine völlige freie, ausgebreitete, nützliche Wirkung meiner angeborenen Neigung, meines durch Übung erworbenen Talents vor mir sah; die Summe meines ganzen Daseins schien sich ins Unendliche vermehrt zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":551,"orig":"Ich gab meine Einwilligung, er kam ſelbſt, er ſprach mit mir allein, er reichte mir ſeine Hand, er ſah mir in die Augen, er umarmte mich und drückte einen Kuß auf meine Lippen.","norm":"Ich gab meine Einwilligung, er kam selbst, er sprach mit mir allein, er reichte mir seine Hand, er sah mir in die Augen, er umarmte mich und drückte einen Kuss auf meine Lippen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":552,"orig":"Es war der erſte und letzte.","norm":"Es war der erste und letzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":553,"orig":"Er vertraute mir ſeine ganze Lage, was ihn ſein Amerikaniſcher Feldzug gekoſtet, welche Schulden er auf ſeine Güter geladen, wie er ſich mit ſeinem Großoheim einigermaßen darüber entzweyt habe, wie dieſer würdige Mann für ihn zu ſorgen denke, aber freylich auf ſeine eigene Art, er wolle ihm eine reiche Frau geben, da einem wohldenkenden Mann doch nur mit einer haushältiſchen gedient ſey; er hoffe durch ſeine Schweſter den Alten zu bereden.","norm":"Er vertraute mir seine ganze Lage, was ihn sein amerikanischer Feldzug gekostet, welche Schulden er auf seine Güter geladen, wie er sich mit seinem Großoheim einigermaßen darüber entzweit habe, wie dieser würdige Mann für ihn zu Sorgen denke, aber freilich auf seine eigene Art, er wolle ihm eine reiche Frau geben, da einem wohldenkenden Mann doch nur mit einer haushältischen gedient sei; er hoffe durch seine Schwester den Alten zu bereden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":554,"orig":"Er legte mir den Zuſtand ſeines Vermögens, ſeine Plane, ſeine Ausſichten vor, und erbat ſich meine Mitwirkung.","norm":"Er legte mir den Zustand seines Vermögens, seine Plane, seine Aussichten vor, und erbat sich meine Mitwirkung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":555,"orig":"Nur bis zur Einwilligung ſeines Oheims ſollte es ein Geheimniß bleiben.","norm":"Nur bis zur Einwilligung seines Oheims sollte es ein Geheimnis bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":556,"orig":"Kaum hatte er ſich entfernt, ſo fragte mich Lydie: ob er etwa von ihr geſprochen habe?","norm":"Kaum hatte er sich entfernt, so fragte mich Lydie: ob er etwa von ihr gesprochen habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":557,"orig":"Ich ſagte nein, und machte ihr lange Weile mit Erzählung von ökonomiſchen Gegenſtänden.","norm":"Ich sagte nein, und machte ihr Langeweile mit Erzählung von ökonomischen Gegenständen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":558,"orig":"Sie war unruhig, mißlaunig, und ſein Betragen, als er wieder kam, verbeſſerte ihren Zuſtand nicht.","norm":"Sie war unruhig, misslaunig, und sein Betragen, als er wiederkam, verbesserte ihren Zustand nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":559,"orig":"Doch ich ſehe, daß die Sonne ſich zu ihrem Untergange neigt!","norm":"Doch ich sehe, dass die Sonne sich zu ihrem Untergange neigt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":560,"orig":"Es iſt Ihr Glück, mein Freund, Sie hätten ſonſt die Geſchichte, die ich mir ſo gerne ſelbſt erzähle, mit allen ihren kleinen Umſtänden durchhören müſſen.","norm":"Es ist Ihr Glück, mein Freund, Sie hätten sonst die Geschichte, die ich mir so gerne selbst erzähle, mit allen ihren kleinen Umständen durchhören müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":561,"orig":"Laſſen Sie mich eilen, wir nahen einer Epoche, bey der nicht gut zu verweilen iſt.","norm":"Lassen Sie mich eilen, wir nahen einer Epoche, bei der nicht gut zu verweilen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":562,"orig":"Lothario machte mich mit ſeiner trefflichen Schweſter bekannt, und dieſe wußte mich auf eine ſchickliche Weiſe beym Oheim einzuführen; ich gewann den Alten, er willigte in unſere Wünſche, und ich kehrte, mit einer glücklichen Nachricht, zu meiner Wohlthäterin zurück.","norm":"Lothario machte mich mit seiner trefflichen Schwester bekannt, und diese wusste mich auf eine schickliche Weise beim Oheim einzuführen; ich gewann den Alten, er willigte in unsere Wünsche, und ich kehrte, mit einer glücklichen Nachricht, zu meiner Wohltäterin zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":563,"orig":"Die Sache war im Hauſe nun kein Geheimnis mehr, Lydie erfuhr ſie, ſie glaubte etwas Unmögliches zu vernehmen.","norm":"Die Sache war im Hause nun kein Geheimnis mehr, Lydie erfuhr sie, sie glaubte etwas Unmögliches zu vernehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":564,"orig":"Als ſie endlich daran nicht mehr zweifeln konnte, verſchwand ſie auf einmal, und man wußte nicht, wohin ſie ſich verlohren hatte.","norm":"Als sie endlich daran nicht mehr zweifeln konnte, verschwand sie auf einmal, und man wusste nicht, wohin sie sich verloren hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":565,"orig":"Der Tag unſerer Verbindung nahte heran, ich hatte ihn ſchon oft um ſein Bildniß gebeten, und ich erinnerte ihn, eben als er wegreiten wollte, nochmals an ſein Verſprechen;","norm":"Der Tag unserer Verbindung nahte heran, ich hatte ihn schon oft um sein Bildnis gebeten, und ich erinnerte ihn, eben als er wegreiten wollte, nochmals an sein Versprechen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":566,"orig":"Sie haben vergeſſen, ſagte er, mir das Gehäuſe zu geben, wohinein Sie es gepaßt wünſchen.","norm":"Sie haben vergessen, sagte er, mir das Gehäuse zu geben, wohinein Sie es gepasst wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":567,"orig":"Es war ſo: ich hatte ein Geſchenk von einer Freundin, das ich ſehr werth hielt.","norm":"Es war so: Ich hatte ein Geschenk von einer Freundin, das ich sehr wert hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":568,"orig":"Von ihren Haaren war ein verzogener Nahme unter dem äußern Glaſe befeſtigt, inwendig blieb ein leeres Elfenbein, worauf eben ihr Bild gemahlt werden ſollte, als ſie mir unglücklicher Weiſe durch den Tod entriſſen wurde.","norm":"Von ihren Haaren war ein verzogener Name unter dem äußeren Glase befestigt, inwendig blieb ein leeres Elfenbein, worauf eben ihr Bild gemalt werden sollte, als sie mir unglücklicherweise durch den Tod entrissen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":569,"orig":"Lothario’s Neigung beglückte mich in dem Augenblicke, da mir ihr Verluſt noch ſehr ſchmerzhaft war, und ich wünſchte die Lücke, die ſie mir in ihrem Geſchenk zurückgelaſſen hatte, durch das Bild meines Freundes auszufüllen.","norm":"Lotharios Neigung beglückte mich in dem Augenblicke, da mir ihr Verlust noch sehr schmerzhaft war, und ich wünschte die Lücke, die sie mir in ihrem Geschenk zurückgelassen hatte, durch das Bild meines Freundes auszufüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":570,"orig":"Ich eile nach meinem Zimmer, hole mein Schmuckkäſtchen, und eröfne es in ſeiner Gegenwart; kaum ſieht er hinein, ſo erblickt er ein Medaillon mit dem Bilde eines Frauenzimmers, er nimmt es in die Hand, betrachtet es mit Aufmerkſamkeit, und fragt haſtig: wen ſoll dies Portrait vorſtellen?","norm":"Ich eile nach meinem Zimmer, hole mein Schmuckkästchen, und eröffne es in seiner Gegenwart; kaum sieht er hinein, so erblickt er ein Medaillon mit dem Bilde eines Frauenzimmers, er nimmt es in die Hand, betrachtet es mit Aufmerksamkeit, und fragt hastig: Wen soll dies Porträt vorstellen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":571,"orig":"— Meine Mutter, verſetzte ich — hätt’ ich doch geſchworen, rief er aus, es ſey das Portrait einer Frau von Saint Alban, die ich vor einigen Jahren in der Schweitz antraf — es iſt einerley Perſon, verſetzte ich lächelnd, und Sie haben alſo Ihre Schwiegermutter, ohne es zu wiſſen, kennen gelernt.","norm":"— Meine Mutter, versetzte ich — hätte ich doch geschworen, rief er aus, es sei das Porträt einer Frau von Saint Alban, die ich vor einigen Jahren in der Schweiz antraf — es ist einerlei Person, versetzte ich lächelnd, und Sie haben also Ihre Schwiegermutter, ohne es zu wissen, kennen gelernt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":572,"orig":"Saint Alban iſt der romantiſche Nahme, unter dem meine Mutter reiſt, ſie befindet ſich unter denſelben noch gegenwärtig in Frankreich.","norm":"Saint Alban ist der romantische Name, unter dem meine Mutter reist, sie befindet sich unter denselben noch gegenwärtig in Frankreich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":573,"orig":"Ich bin der unglücklichſte aller Menſchen!","norm":"Ich bin der unglücklichste aller Menschen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":574,"orig":"rief er aus, indem er das Bild in das Käſtchen zurück warf, ſeine Augen mit der Hand bedeckte und ſogleich das Zimmer verließ.","norm":"rief er aus, indem er das Bild in das Kästchen zurückwarf, seine Augen mit der Hand bedeckte und sogleich das Zimmer verließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":575,"orig":"Er warf ſich auf ſein Pferd, ich lief auf den Balkon und rief ihm nach, er kehrte ſich um warf mir eine Hand zu, entfernte ſich eilig — und ich habe ihn nicht wieder geſehen.","norm":"Er warf sich auf sein Pferd, ich lief auf den Balkon und rief ihm nach, er kehrte sich um warf mir eine Hand zu, entfernte sich eilig — und ich habe ihn nicht wieder gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":576,"orig":"Die Sonne ging unter, Thereſe ſah mit unverwandtem Blick in die Gluth, und ihre beyden ſchönen Augen füllten ſich mit Thränen.","norm":"Die Sonne ging unter, Therese sah mit unverwandtem Blick in die Glut, und ihre beiden schönen Augen füllten sich mit Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":577,"orig":"Thereſe ſchwieg, und legte auf ihres neuen Freundes Hände ihre Hand, er küßte ſie mit Theilnehmung, ſie trocknete ihre Thränen, und ſtand auf.","norm":"Therese schwieg, und legte auf ihres neuen Freundes Hände ihre Hand, er küsste sie mit Teilnehmung, sie trocknete ihre Tränen, und stand auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":578,"orig":"Laſſen Sie uns zurück gehen, ſagte ſie, und für die Unſrigen ſorgen!","norm":"Lassen Sie uns zurückgehen, sagte sie, und für die Unsrigen Sorgen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":579,"orig":"Das Geſpräch auf dem Wege war nicht lebhaft; ſie kamen zur Gartenthüre herein, und ſahen Lydien auf einer Bank ſitzen, ſie ſtand auf, wich ihnen aus, und begab ſich ins Haus zurück, ſie hatte ein Papier in der Hand, und zwey kleine Mädchen waren bey ihr.","norm":"Das Gespräch auf dem Wege war nicht lebhaft; sie kamen zur Gartentüre herein, und sahen Lydien auf einer Bank sitzen, sie stand auf, wich ihnen aus, und begab sich ins Haus zurück, sie hatte ein Papier in der Hand, und zwei kleine Mädchen waren bei ihr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":580,"orig":"Ich ſehe, ſagte Thereſe, ſie trägt ihren einzigen Troſt, den Brief Lothario’s, noch immer bey ſich, ihr Freund verſpricht ihr, daß ſie gleich, ſobald er ſich wohl befindet, wieder an ſeiner Seite leben ſoll, er bittet ſie, ſo lange ruhig bey mir zu verweilen.","norm":"Ich sehe, sagte Therese, sie trägt ihren einzigen Trost, den Brief Lotharios, noch immer bei sich, Ihr Freund verspricht ihr, dass sie gleich, sobald er sich wohl befindet, wieder an seiner Seite leben soll, er bittet sie, solange ruhig bei mir zu verweilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":581,"orig":"An dieſen Worten hängt ſie, mit dieſen Zeilen tröſtet ſie ſich, aber ſeine Freunde ſind übel bey ihr angeſchrieben.","norm":"An diesen Worten hängt sie, mit diesen Zeilen tröstet sie sich, aber seine Freunde sind übel bei ihr angeschrieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":582,"orig":"Indeſſen waren die beyden Kinder herangekommen, begrüßten Thereſen, und gaben ihr Rechenſchaft von allem, was in ihrer Abweſenheit im Hauſe vorgegangen war.","norm":"Indessen waren die beiden Kinder herangekommen, begrüßten Theresa, und gaben ihr Rechenschaft von allem, was in ihrer Abwesenheit im Hause vorgegangen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":583,"orig":"Sie ſehen hier noch einen Theil meiner Beſchäftigung, ſagte Thereſe, ich habe mit Lothario’s trefflicher Schweſter einen Bund gemacht, wir erziehen eine Anzahl Kinder gemeinſchaftlich, ich bilde die lebhaften und dienſtfertigen Haushälterinnen, und ſie übernimmt diejenigen, an denen ſich ein ruhigeres und feineres Talent zeigt, denn es iſt billig, daß man auf jede Weiſe für das Glück der Männer und der Haushaltung ſorge.","norm":"Sie sehen hier noch einen Teil meiner Beschäftigung, sagte Therese, Ich habe mit Lotharios trefflicher Schwester einen Bund gemacht, wir erziehen eine Anzahl Kinder gemeinschaftlich, ich bilde die lebhaften und dienstfertigen Haushälterinnen, und sie übernimmt diejenigen, an denen sich ein ruhigeres und feineres Talent zeigt, denn es ist billig, dass man auf jede Weise für das Glück der Männer und der Haushaltung sorge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":584,"orig":"Wenn Sie meine edle Freundin kennen lernen, ſo werden Sie ein neues Leben anfangen, ihre Schönheit, ihre Güte macht ſie der Anbetung einer ganzen Welt würdig.","norm":"Wenn Sie meine edle Freundin kennen lernen, so werden Sie ein neues Leben anfangen, ihre Schönheit, ihre Güte macht sie der Anbetung einer ganzen Welt würdig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":585,"orig":"Wilhelm getraute ſich nicht zu ſagen, daß er leider die ſchöne Gräfin ſchon kenne, und daß ihn ſein vorübergehendes Verhältnis zu ihr auf ewig ſchmerzen werde; er war ſehr zufrieden, daß Thereſe das Geſpräch nicht fortſetzte, und daß ihre Geſchäfte ſie in das Haus zurück zu gehen nöthigten.","norm":"Wilhelm getraute sich nicht zu sagen, dass er leider die schöne Gräfin schon kenne, und dass ihn sein vorübergehendes Verhältnis zu ihr auf ewig schmerzen werde; er war sehr zufrieden, dass Therese das Gespräch nicht fortsetzte, und dass ihre Geschäfte sie in das Haus zurückzugehen nötigten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":586,"orig":"Er befand ſich nun allein, und die letzte Nachricht, daß die junge, ſchöne Gräfin auch ſchon genöthigt ſey durch Wohlthätigkeit den Mangel an eignem Glück zu erſetzen, machte ihn äußerſt traurig, er fühlte, daß es bey ihr nur eine Nothwendigkeit war ſich zu zerſtreuen, und an die Stelle eines frohen Lebensgenuſſes die Hoffnung fremder Glückſeligkeit zu ſetzen.","norm":"Er befand sich nun allein, und die letzte Nachricht, dass die junge, schöne Gräfin auch schon genötigt sei durch Wohltätigkeit den Mangel an eigenem Glück zu ersetzen, machte ihn äußerst traurig, er fühlte, dass es bei ihr nur eine Notwendigkeit war sich zu zerstreuen, und an die Stelle eines frohen Lebensgenusses die Hoffnung fremder Glückseligkeit zu setzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":587,"orig":"Er pries Thereſen glücklich, daß ſelbſt bey jener unerwarteten traurigen Veränderung keine Veränderung in ihr ſelbſt vorzugehen brauchte.","norm":"Er pries Theresa glücklich, dass selbst bei jener unerwarteten traurigen Veränderung keine Veränderung in ihr selbst vorzugehen brauchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":588,"orig":"Wie glücklich iſt der über alles!","norm":"Wie glücklich ist der über alles!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":589,"orig":"rief er aus, der, um ſich mit dem Schickſal in Einigkeit zu ſetzen, nicht ſein ganzes vorhergehendes Leben wegzuwerfen braucht.","norm":"rief er aus, der, um sich mit dem Schicksal in Einigkeit zu setzen, nicht sein ganzes vorhergehendes Leben wegzuwerfen braucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":590,"orig":"Thereſe kam auf ſein Zimmer, und bat um Verzeihung, daß ſie ihn ſtöre, hier in dem Wandſchrank, ſagte ſie, ſteht meine ganze Bibliothek, es ſind eher Bücher, die ich nicht wegwerfe, als die ich aufhebe.","norm":"Therese kam auf sein Zimmer, und bat um Verzeihung, dass sie ihn störe, hier in dem Wandschrank, sagte sie, steht meine ganze Bibliothek, es sind eher Bücher, die ich nicht wegwerfe, als die ich aufhebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":591,"orig":"Lydie verlangt ein geiſtliches Buch, es findet ſich wohl auch eins und das andere darunter.","norm":"Lydie verlangt ein geistliches Buch, es findet sich wohl auch eins und das andere darunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":592,"orig":"Die Menſchen, die das ganze Jahr weltlich ſind, bilden ſich ein, ſie müßten zur Zeit der Noth geiſtlich ſeyn, ſie ſehen alles Gute und Sittliche wie eine Arzeney an, die man mit Widerwillen zu ſich nimmt, wenn man ſich ſchlecht befindet, ſie ſehen in einem Geiſtlichen, einem Sittenlehrer nur einen Arzt, den man nicht geſchwind genug aus dem Hauſe los werden kann; ich aber geſtehe gern, ich habe vom Sittlichen den Begriff als von einer Diät, die eben dadurch nur Diät iſt, wenn ich ſie zur Lebensregel mache, wenn ich ſie das ganze Jahr nicht außer Augen laſſe.","norm":"Die Menschen, die das ganze Jahr weltlich sind, bilden sich ein, sie müssten zur Zeit der Not geistlich sein, sie sehen alles Gute und Sittliche wie eine Arznei an, die man mit Widerwillen zu sich nimmt, wenn man sich schlecht befindet, sie sehen in einem Geistlichen, einem Sittenlehrer nur einen Arzt, den man nicht geschwind genug aus dem Hause loswerden kann; ich aber gestehe gern, ich habe vom Sittlichen den Begriff als von einer Diät, die eben dadurch nur Diät ist, wenn ich sie zur Lebensregel mache, wenn ich sie das ganze Jahr nicht außer Augen lasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":593,"orig":"Sie ſuchten unter den Büchern, und fanden einige ſogenannte Erbauungsſchriften.","norm":"Sie suchten unter den Büchern, und fanden einige sogenannte Erbauungsschriften."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":594,"orig":"Die Zuflucht zu dieſen Büchern, ſagte Thereſe, hat Lydie von meiner Mutter gelernt;","norm":"Die Zuflucht zu diesen Büchern, sagte Therese, hat Lydie von meiner Mutter gelernt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":595,"orig":"Schauſpiel und Roman waren ihr Leben, ſo lang der Liebhaber treu blieb, ſeine Entfernung brachte ſogleich dieſe Bücher wieder in Credit.","norm":"Schauspiel und Roman waren ihr Leben, solang der Liebhaber treu blieb, seine Entfernung brachte sogleich diese Bücher wieder in Kredit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":596,"orig":"Ich kann überhaupt nicht begreifen, fuhr ſie fort, wie man hat glauben können, daß Gott durch Bücher und Geſchichten zu uns ſpreche.","norm":"Ich kann überhaupt nicht begreifen, fuhr sie fort, wie man hat glauben können, dass Gott durch Bücher und Geschichten zu uns spreche."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":597,"orig":"Wem die Welt nicht unmittelbar eröffnet, was ſie für ein Verhältnis zu ihm hat, wem ſein Herz nicht ſagt, was er ſich und andern ſchuldig iſt, der wird es wohl ſchwerlich aus Büchern erfahren, die eigentlich nur geſchickt ſind unſern Irrthümern Nahmen zu geben.","norm":"Wem die Welt nicht unmittelbar eröffnet, was sie für ein Verhältnis zu ihm hat, wem sein Herz nicht sagt, was er sich und anderen schuldig ist, der wird es wohl schwerlich aus Büchern erfahren, die eigentlich nur geschickt sind unseren Irrtümern Namen zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":598,"orig":"Sie ließ Wilhelmen allein, und er brachte ſeinen Abend mit Reviſion der kleinen Bibliothek zu, ſie war wirklich bloß durch Zufall zuſammen gekommen.","norm":"Sie ließ Wilhelmen allein, und er brachte seinen Abend mit Revision der kleinen Bibliothek zu, sie war wirklich bloß durch Zufall zusammengekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":599,"orig":"Thereſe blieb die wenigen Tage, die Wilhelm bey ihr verweilte, ſich immer gleich, ſie erzählte ihm die Folgen ihrer Begebenheit in verſchiedenen Abſätzen ſehr umſtändlich, ihrem Gedächtniß war Tag und Stunde, Platz und Nahme gegenwärtig, und wir ziehen, was unſern Leſern zu wiſſen nöthig iſt, hier ins kurze zuſammen.","norm":"Therese blieb die wenigen Tage, die Wilhelm bei ihr verweilte, sich immer gleich, sie erzählte ihm die Folgen ihrer Begebenheit in verschiedenen Absätzen sehr umständlich, Ihrem Gedächtnis war Tag und Stunde, Platz und Name gegenwärtig, und wir ziehen, was unseren Lesern zu wissen nötig ist, hier ins Kurze zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":600,"orig":"Die Urſache von Lothario’s raſcher Entfernung ließ ſich leider leicht erklären, er war Thereſens Mutter auf ihrer Reiſe begegnet, ihre Reize zogen ihn an, ſie war nicht karg gegen ihn, und nun entfernte ihn dieſes unglückliche, ſchnell vorübergegangene Abentheuer, von der Verbindung mit einem Frauenzimmer, das die Natur ſelbſt für ihn gebildet zu haben ſchien.","norm":"Die Ursache von Lotharios rascher Entfernung ließ sich leider leicht erklären, er war Theresens Mutter auf ihrer Reise begegnet, ihre Reize zogen ihn an, sie war nicht karg gegen ihn, und nun entfernte ihn dieses unglückliche, schnell vorübergegangene Abenteuer, von der Verbindung mit einem Frauenzimmer, das die Natur selbst für ihn gebildet zu haben schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":601,"orig":"Thereſe blieb in dem reinen Kreiſe ihrer Beſchäftigung und ihrer Pflicht, man erfuhr, daß Lydie ſich heimlich in der Nachbarſchaft aufgehalten habe, ſie war glücklich, als die Heirath, obgleich aus unbekannten Urſachen, nicht vollzogen wurde, ſie ſuchte ſich Lothario zu nähern, und es ſchien, daß er mehr aus Verzweiflung, als aus Neigung, mehr überraſcht, als mit Überlegung, mehr aus langer Weile, als aus Vorſatz ihren Wünſchen begegnet ſey.","norm":"Therese blieb in dem reinen Kreise ihrer Beschäftigung und ihrer Pflicht, man erfuhr, dass Lydie sich heimlich in der Nachbarschaft aufgehalten habe, sie war glücklich, als die Heirat, obgleich aus unbekannten Ursachen, nicht vollzogen wurde, sie suchte sich Lothario zu nähern, und es schien, dass er mehr aus Verzweiflung, als aus Neigung, mehr überrascht, als mit Überlegung, mehr aus langer Weile, als aus Vorsatz ihren Wünschen begegnet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":602,"orig":"Thereſe war ruhig darüber, ſie machte keine weitern Anſprüche auf ihn, und ſelbſt wenn er ihr Gatte geweſen wäre, hätte ſie vielleicht Muth genug gehabt, ein ſolches Verhältnis zu ertragen, wenn es nur ihre häusliche Ordnung nicht geſtört hätte; wenigſtens äußerte ſie oft, daß eine Frau, die das Hausweſen recht zuſammenhalte, ihrem Manne jede kleine Phantaſie nachſehen, und von ſeiner Rückkehr jederzeit gewis ſeyn könne.","norm":"Therese war ruhig darüber, sie machte keine weitern Ansprüche auf ihn, und selbst wenn er ihr Gatte gewesen wäre, hätte sie vielleicht Mut genug gehabt, ein solches Verhältnis zu ertragen, wenn es nur ihre häusliche Ordnung nicht gestört hätte; wenigstens äußerte sie oft, dass eine Frau, die das Hauswesen recht zusammenhalte, ihrem Manne jede kleine Phantasie nachsehen, und von seiner Rückkehr jederzeit gewiss sein könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":603,"orig":"Thereſens Mutter hatte bald die Angelegenheiten ihres Vermögens in Unordnung gebracht, ihre Tochter mußte es entgelten, denn ſie erhielt wenig von ihr; die alte Dame, Thereſens Beſchützerinn, ſtarb, hinterließ ihr das kleine Freygut und ein artiges Capital zum Vermächtniß.","norm":"Theresens Mutter hatte bald die Angelegenheiten ihres Vermögens in Unordnung gebracht, ihre Tochter musste es entgelten, denn sie erhielt wenig von ihr; die alte Dame, Theresens Beschützerin, starb, hinterließ ihr das kleine Freigut und ein artiges Kapital zum Vermächtnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":604,"orig":"Thereſe wußte ſich ſogleich in den engen Kreiß zu finden, Lothario bot ihr ein beſſeres Beſitzthum an, Jarno machte den Unterhändler, ſie ſchlug es aus; ich will, ſagte ſie, im Kleinen zeigen, daß ich werth war, das Große mit ihm zu theilen, aber das behalte ich mir vor, daß, wenn der Zufall mich um mein oder anderer Willen in Verlegenheit ſetzt, ich zuerſt zu meinem werthen Freund, ohne Bedenken, die Zuflucht nehmen könne.","norm":"Therese wusste sich sogleich in den engen Kreis zu finden, Lothario bot ihr ein besseres Besitztum an, Jarno machte den Unterhändler, sie schlug es aus; Ich will, sagte sie, im Kleinen zeigen, dass ich wert war, das Große mit ihm zu teilen, aber das behalte ich mir vor, dass, wenn der Zufall mich um mein oder anderer Willen in Verlegenheit setzt, ich zuerst zu meinem werten Freund, ohne Bedenken, die Zuflucht nehmen könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":605,"orig":"Nichts bleibt weniger verborgen und ungenutzt, als zweckmäßige Thätigkeit.","norm":"Nichts bleibt weniger verborgen und ungenutzt, als zweckmäßige Tätigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":606,"orig":"Kaum hatte ſie ſich auf ihrem kleinen Gute eingerichtet, ſo ſuchten die Nachbarn ſchon ihre nähere Bekanntſchaft und ihren Rath, und der neue Beſitzer der angrenzenden Güter gab nicht undeutlich zu verſtehen, daß es nur auf ſie ankomme, ob ſie ſeine Hand annehmen und Erbe des größten Theils ſeines Vermögens werden wolle.","norm":"Kaum hatte sie sich auf ihrem kleinen Gute eingerichtet, so suchten die Nachbarn schon ihre nähere Bekanntschaft und ihren Rat, und der neue Besitzer der angrenzenden Güter gab nicht undeutlich zu verstehen, dass es nur auf sie ankomme, ob sie seine Hand annehmen und Erbe des größten Teils seines Vermögens werden wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":607,"orig":"Sie hatte ſchon gegen Wilhelmen dieſes Verhältniſſes erwähnt, und ſcherzte gelegentlich über Heirathen und Mißheirathen mit ihm.","norm":"Sie hatte schon gegen Wilhelmen dieses Verhältnisses erwähnt, und scherzte gelegentlich über Heiraten und Missheiraten mit ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":608,"orig":"Es giebt, ſagte ſie, den Menſchen nichts mehr zu reden, als wenn einmal eine Heirath geſchieht, die ſie nach ihrer Art eine Mißheirath nennen können, und doch ſind die Mißheirathen viel gewöhnlicher als die Heirathen; denn es ſieht leider nach einer kurzen Zeit mit den meiſten Verbindungen gar mißlich aus.","norm":"Es gibt, sagte sie, den Menschen nichts mehr zu reden, als wenn einmal eine Heirat geschieht, die sie nach ihrer Art eine Missheirat nennen können, und doch sind die Missheiraten viel gewöhnlicher als die Heiraten; denn es sieht leider nach einer kurzen Zeit mit den meisten Verbindungen gar misslich aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":609,"orig":"Die Vermiſchung der Stände durch Heirathen verdienen nur in ſo fern Mißheirathen genannt zu werden, als Ein Theil an der angebohrnen, angewohnten und gleichſam nothwendig gewordenen Exiſtenz des andern keinen Theil nehmen kann.","norm":"Die Vermischung der Stände durch Heiraten verdienen nur insofern Missheiraten genannt zu werden, als ein Teil an der angeborenen, angewohnten und gleichsam notwendig gewordenen Existenz des anderen keinen Teil nehmen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":610,"orig":"Die verſchiedenen Klaſſen haben verſchiedene Lebensweiſen, die ſie nicht mit einander theilen noch verwechſeln können, und das iſts, warum Heirathen dieſer Art beſſer nicht geſchloſſen werden; aber Ausnahmen und recht glückliche Ausnahmen ſind möglich.","norm":"Die verschiedenen Klassen haben verschiedene Lebensweisen, die sie nicht miteinander teilen noch verwechseln können, und das ist es, warum Heiraten dieser Art besser nicht geschlossen werden; aber Ausnahmen und recht glückliche Ausnahmen sind möglich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":611,"orig":"So iſt die Heirath eines jungen Mädchens mit einem bejahrten Manne immer mißlich, und doch habe ich ſie recht gut ausſchlagen ſehen.","norm":"So ist die Heirat eines jungen Mädchens mit einem bejahrten Manne immer misslich, und doch habe ich sie recht gut ausschlagen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":612,"orig":"Für mich kenne ich nur Eine Mißheirath, wenn ich feyern und repräſentiren müßte; ich wollte lieber jeden ehrbaren Pächtersſohn aus der Nachbarſchaft heirathen.","norm":"Für mich kenne ich nur eine Missheirat, wenn ich feiern und repräsentieren müsste; ich wollte lieber jeden ehrbaren Pächterssohn aus der Nachbarschaft heiraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":613,"orig":"Wilhelm gedachte nunmehr zurück zu kehren, und bat ſeine neue Freundin ihm noch ein Abſchiedswort von Lydien zu verſchaffen.","norm":"Wilhelm gedachte nunmehr zurückzukehren, und bat seine neue Freundin ihm noch ein Abschiedswort von Lydien zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":614,"orig":"Das leidenſchaftliche Mädchen ließ ſich bewegen, er ſagte ihr einige freundliche Worte, ſie verſetzte: den erſten Schmerz hab ich überwunden, Lothario wird mir ewig theuer ſeyn; aber ſeine Freunde kenne ich, es iſt mir leid, daß er ſo umgeben iſt.","norm":"Das leidenschaftliche Mädchen ließ sich bewegen, er sagte ihr einige freundliche Worte, sie versetzte: Den ersten Schmerz habe ich überwunden, Lothario wird mir ewig teuer sein; aber seine Freunde kenne ich, es ist mir leid, dass er so umgeben ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":615,"orig":"Der Abbé wäre fähig, wegen einer Grille die Menſchen in Noth zu laſſen, oder ſie gar hinein zu ſtürzen, der Arzt möchte gern alles ins Gleiche bringen, Jarno hat kein Gemüth, und Sie — wenigſtens keinen Character!","norm":"Der Abbé wäre fähig, wegen einer Grille die Menschen in Not zu lassen, oder sie gar hineinzustürzen, der Arzt möchte gern alles ins Gleiche bringen, Jarno hat kein Gemüt, und Sie — wenigstens keinen Charakter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":616,"orig":"fahren Sie nur ſo fort, und laſſen Sie ſich als Werkzeug dieſer drey Menſchen brauchen, man wird Ihnen noch manche Execution auftragen.","norm":"Fahren Sie nur so fort, und lassen Sie sich als Werkzeug dieser drei Menschen brauchen, man wird Ihnen noch manche Exekution auftragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":617,"orig":"Lange, mir iſt es recht wohl bekannt, war ihnen meine Gegenwart zuwider, ich hatte ihr Geheimniß nicht entdeckt, aber ich hatte beobachtet, daß ſie ein Geheimniß verbargen.","norm":"Lange, mir ist es recht wohl bekannt, war ihnen meine Gegenwart zuwider, ich hatte ihr Geheimnis nicht entdeckt, aber ich hatte beobachtet, dass sie ein Geheimnis verbargen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":618,"orig":"Wozu dieſe verſchloſſenen Zimmer?","norm":"Wozu diese verschlossenen Zimmer?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":619,"orig":"dieſe wunderlichen Gänge?","norm":"diese wunderlichen Gänge?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":620,"orig":"warum kann niemand zu dem großen Thurm gelangen?","norm":"Warum kann niemand zu dem großen Turm gelangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":621,"orig":"Warum verbannten ſie mich, ſo oft Sie nur konnten, in meine Stube?","norm":"Warum verbannten sie mich, so oft Sie nur konnten, in meine Stube?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":622,"orig":"Ich will geſtehen, daß Eiferſucht zuerſt mich auf dieſe Entdeckung brachte, ich fürchtete eine glückliche Nebenbuhlerin ſey irgendwo verſteckt.","norm":"Ich will gestehen, dass Eifersucht zuerst mich auf diese Entdeckung brachte, ich fürchtete eine glückliche Nebenbuhlerin sei irgendwo versteckt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":623,"orig":"Nun glaube ich das nicht mehr, ich bin überzeugt, daß Lothario mich liebt, daß er es redlich mit mir meint, aber eben ſo gewis bin ich überzeugt, daß er von ſeinen künſtlichen und falſchen Freunden betrogen wird.","norm":"Nun glaube ich das nicht mehr, ich bin überzeugt, dass Lothario mich liebt, dass er es redlich mit mir meint, aber ebenso gewiss bin ich überzeugt, dass er von seinen künstlichen und falschen Freunden betrogen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":624,"orig":"Wenn Sie ſich um ihn verdient machen wollen, wenn Ihnen verziehen werden ſoll, was Sie an mir verbrochen haben, ſo befreien Sie ihn aus den Händen dieſer Menſchen.","norm":"Wenn Sie sich um ihn verdient machen wollen, wenn Ihnen verziehen werden soll, was Sie an mir verbrochen haben, so befreien Sie ihn aus den Händen dieser Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":625,"orig":"Doch was hoffe ich!","norm":"Doch was hoffe ich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":626,"orig":"»überreichen Sie ihm dieſen Brief, wiederholen Sie, was er enthält: daß ich ihn ewig lieben werde, daß ich mich auf ſein Wort verlaſſe.","norm":"»Überreichen Sie ihm diesen Brief, wiederholen Sie, was er enthält: dass ich ihn ewig lieben werde, dass ich mich auf sein Wort verlasse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":627,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":628,"orig":"rief ſie aus, indem ſie aufſtand und am Halſe Thereſens weinte; er iſt von meinen Feinden umgeben, ſie werden ihn zu bereden ſuchen, daß ich ihm nichts aufgeopfert habe; o!","norm":"rief sie aus, indem sie aufstand und am Halse Theresens weinte; er ist von meinen Feinden umgeben, sie werden ihn zu bereden suchen, dass ich ihm nichts aufgeopfert habe; o!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":629,"orig":"der beſte Mann mag gerne hören, daß er jedes Opfer werth iſt, ohne dafür dankbar ſeyn zu dürfen.","norm":"der beste Mann mag gerne hören, dass er jedes Opfer wert ist, ohne dafür dankbar sein zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":630,"orig":"Wilhelms Abſchied von Thereſen war heiterer, ſie wünſchte ihn bald wieder zu ſehen.","norm":"Wilhelms Abschied von Theresa war heiterer, sie wünschte ihn bald wiederzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":631,"orig":"Sie kennen mich ganz!","norm":"Sie kennen mich ganz!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":632,"orig":"ſagte ſie, Sie haben mich immer reden laſſen, es iſt das nächſtemal Ihre Pflicht meine Aufrichtigkeit zu erwiedern.","norm":"sagte sie, Sie haben mich immer reden lassen, es ist das nächste Mal Ihre Pflicht meine Aufrichtigkeit zu erwidern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":633,"orig":"Auf ſeiner Rückreiſe hatte er Zeit genug, dieſe neue, helle Erſcheinung lebhaft in der Erinnerung zu betrachten.","norm":"Auf seiner Rückreise hatte er Zeit genug, diese neue, helle Erscheinung lebhaft in der Erinnerung zu betrachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":634,"orig":"Welch ein Zutrauen hatte ſie ihm eingeflößt!","norm":"Welch ein Zutrauen hatte sie ihm eingeflößt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":635,"orig":"Er dachte an Mignon und Felix, wie glücklich die Kinder unter einer ſolchen Aufſicht werden könnten, dann dachte er an ſich ſelbſt, und fühlte, welche Wonne es ſeyn müſſe, in der Nähe eines ſo ganz klaren menſchlichen Weſens zu leben.","norm":"Er dachte an Mignon und Felix, wie glücklich die Kinder unter einer solchen Aufsicht werden könnten, dann dachte er an sich selbst, und fühlte, welche Wonne es sein müsse, in der Nähe eines so ganz klaren menschlichen Wesens zu leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":636,"orig":"Als er ſich dem Schloß näherte, fiel ihm der Thurm mit den vielen Gängen und Seitengebäuden mehr als ſonſt auf, er nahm ſich vor, bey der nächſten Gelegenheit Jarno oder den Abbé darüber zur Rede zu ſtellen.","norm":"Als er sich dem Schloss näherte, fiel ihm der Turm mit den vielen Gängen und Seitengebäuden mehr als sonst auf, er nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit Jarno oder den Abbé darüber zur Rede zu stellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":637,"orig":"Als Wilhelm nach dem Schloſſe kam, fand er den edlen Lothario auf dem völligen Wege der Beſſerung, der Arzt und der Abbé waren nicht zugegen, Jarno allein war geblieben.","norm":"Als Wilhelm nach dem Schlosse kam, fand er den edlen Lothario auf dem völligen Wege der Besserung, der Arzt und der Abbé waren nicht zugegen, Jarno allein war geblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":638,"orig":"In kurzer Zeit ritt der Geneſende ſchon wieder aus, bald allein, bald mit ſeinen Freunden.","norm":"In kurzer Zeit ritt der Genesende schon wieder aus, bald allein, bald mit seinen Freunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":639,"orig":"Sein Geſpräch war ernſthaft und gefällig, ſeine Unterhaltung belehrend und erquickend, oft bemerkte man Spuren einer zarten Fühlbarkeit, ob er ſie gleich zu verbergen ſuchte, und, wenn ſie ſich wider ſeinen Willen zeigte, beynah zu mißbilligen ſchien.","norm":"Sein Gespräch war ernsthaft und gefällig, seine Unterhaltung belehrend und erquickend, oft bemerkte man Spuren einer zarten Fühlbarkeit, ob er sie gleich zu verbergen suchte, und, wenn sie sich wider seinen Willen zeigte, beinahe zu missbilligen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":640,"orig":"So war er eines Abends ſtill bey Tiſche, ob er gleich heiter ausſah.","norm":"So war er eines Abends still bei Tische, ob er gleich heiter aussah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":641,"orig":"Sie haben heute gewis ein Abentheuer gehabt?","norm":"Sie haben heute gewiss ein Abenteuer gehabt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":642,"orig":"ſagte endlich Jarno, und zwar ein angenehmes.","norm":"sagte endlich Jarno, und zwar ein angenehmes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":643,"orig":"Wie Sie ſich auf Ihre Leute verſtehen!","norm":"Wie Sie sich auf Ihre Leute verstehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":644,"orig":"verſetzte Lothario:","norm":"versetzte Lothario:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":645,"orig":"Ja, es iſt mir ein ſehr angenehmes Abentheuer begegnet.","norm":"Ja, es ist mir ein sehr angenehmes Abenteuer begegnet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":646,"orig":"Zu einer andern Zeit hätte ich es vielleicht nicht ſo reizend gefunden, als diesmal, da es mich ſo empfänglich antraf.","norm":"Zu einer anderen Zeit hätte ich es vielleicht nicht so reizend gefunden, als diesmal, da es mich so empfänglich antraf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":647,"orig":"Ich ritt gegen Abend jenſeit des Waſſers durch die Dörfer, einen Weg, den ich oft genug in frühern Jahren beſucht hatte.","norm":"Ich ritt gegen Abend jenseits des Wassers durch die Dörfer, einen Weg, den ich oft genug in früheren Jahren besucht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":648,"orig":"Mein körperliches Leiden muß mich mürber gemacht haben, als ich ſelbſt glaubte.","norm":"Mein körperliches Leiden muss mich mürber gemacht haben, als ich selbst glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":649,"orig":"Ich fühlte mich weich, und, bey wieder auflebenden Kräften, wie neugebohren.","norm":"Ich fühlte mich weich, und, bei wieder auflebenden Kräften, wie neugeboren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":650,"orig":"Alle Gegenſtände erſchienen mir in eben dem Lichte, wie ich ſie in frühern Jahren geſehen hatte; alle ſo lieblich, ſo anmuthig, ſo reizend, wie ſie mir lange nicht erſchienen ſind.","norm":"Alle Gegenstände erschienen mir in eben dem Lichte, wie ich sie in früheren Jahren gesehen hatte; alle so lieblich, so anmutig, so reizend, wie sie mir lange nicht erschienen sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":651,"orig":"Ich merkte wohl, daß es Schwachheit war, ich ließ mir ſie aber ganz wohlgefallen, ritt ſachte hin, und es wurde mir ganz begreiflich, wie Menſchen eine Krankheit lieb gewinnen können, welche uns zu ſüßen Empfindungen ſtimmt.","norm":"Ich merkte wohl, dass es Schwachheit war, ich ließ mir sie aber ganz wohlgefallen, ritt sachte hin, und es wurde mir ganz begreiflich, wie Menschen eine Krankheit liebgewinnen können, welche uns zu süßen Empfindungen stimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":652,"orig":"Sie wiſſen vielleicht, was mich ehmals ſo oft dieſen Weg führte?","norm":"Sie wissen vielleicht, was mich ehemals so oft diesen Weg führte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":653,"orig":"Wenn ich mich recht erinnere, verſetzte Jarno, ſo war es ein kleiner Liebeshandel, der ſich mit der Tochter eines Pachters entſponnen hatte.","norm":"Wenn ich mich recht erinnere, versetzte Jarno, so war es ein kleiner Liebeshandel, der sich mit der Tochter eines Pachters entsponnen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":654,"orig":"Man dürfte es wohl einen großen nennen, verſetzte Lothario, denn wir hatten uns beyde ſehr lieb, recht im Ernſte, und auch ziemlich lange.","norm":"Man dürfte es wohl einen großen nennen, versetzte Lothario, denn wir hatten uns beide sehr lieb, recht im Ernste, und auch ziemlich lange."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":655,"orig":"Zufälligerweiſe traf heute alles zuſammen, mir die erſten Zeiten unſerer Liebe recht lebhaft darzuſtellen.","norm":"Zufälligerweise traf heute alles zusammen, mir die ersten Zeiten unserer Liebe recht lebhaft darzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":656,"orig":"Die Knaben ſchüttelten eben wieder Maykäfer von den Bäumen, und das Laub der Eſchen war nicht weiter als eben an dem Tage, da ich ſie zum erſtenmale ſah.","norm":"Die Knaben schüttelten eben wieder Maikäfer von den Bäumen, und das Laub der Eschen war nicht weiter als eben an dem Tage, da ich sie zum ersten Male sah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":657,"orig":"Nun war es lange, daß ich Margarethen nicht geſehen habe; denn ſie iſt weit weg verheirathet, nur hörte ich zufällig, ſie ſey mit ihren Kindern vor wenigen Wochen gekommen, ihren Vater zu beſuchen.","norm":"Nun war es lange, dass ich Margarethe nicht gesehen habe; denn sie ist weit weg verheiratet, nur hörte ich zufällig, sie sei mit ihren Kindern vor wenigen Wochen gekommen, ihren Vater zu besuchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":658,"orig":"So war ja wohl dieſer Spatzierritt nicht ſo ganz zufällig?","norm":"So war ja wohl dieser Spazierritt nicht so ganz zufällig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":659,"orig":"Ich leugne nicht, ſagte Lothario, daß ich ſie anzutreffen wünſchte.","norm":"Ich leugne nicht, sagte Lothario, dass ich sie anzutreffen wünschte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":660,"orig":"Als ich nicht weit von dem Wohnhaus war, ſah ich ihren Vater vor der Thüre ſitzen, ein Kind von ohngefähr Einem Jahre ſtand bey ihm.","norm":"Als ich nicht weit von dem Wohnhaus war, sah ich ihren Vater vor der Türe sitzen, ein Kind von ungefähr einem Jahre stand bei ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":661,"orig":"Als ich mich näherte, ſah eine Frauensperſon ſchnell oben zum Fenſter heraus, und als ich gegen die Thüre kam, hörte ich jemand die Treppe herunter ſpringen.","norm":"Als ich mich näherte, sah eine Frauensperson schnell oben zum Fenster heraus, und als ich gegen die Türe kam, hörte ich jemand die Treppe herunterspringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":662,"orig":"Ich dachte gewiß, ſie ſey es, und, ich wills nur geſtehen, ich ſchmeichelte mir, ſie habe mich erkannt, und ſie komme mir eilig entgegen.","norm":"Ich dachte gewiss, sie sei es, und, ich will es nur gestehen, ich schmeichelte mir, sie habe mich erkannt, und sie komme mir eilig entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":663,"orig":"Aber wie beſchämt war ich, als ſie zur Thüre heraus ſprang, das Kind, dem die Pferde näher kamen, anfaßte, und in das Haus hineintrug.","norm":"Aber wie beschämt war ich, als sie zur Türe heraussprang, das Kind, dem die Pferde näher kamen, anfasste, und in das Haus hineintrug."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":664,"orig":"Es war mir eine unangenehme Empfindung, und nur wurde meine Eitelkeit ein wenig getröſtet, als ich, wie ſie hinweg eilte, an ihrem Nacken und an dem freyſtehenden Ohr eine merkliche Röthe zu ſehen glaubte.","norm":"Es war mir eine unangenehme Empfindung, und nur wurde meine Eitelkeit ein wenig getröstet, als ich, wie sie hinwegeilte, an ihrem Nacken und an dem freistehenden Ohr eine merkliche Röte zu sehen glaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":665,"orig":"Ich hielt ſtill und ſprach mit dem Vater, und ſchielte indeſſen an den Fenſtern herum, ob ſie ſich nicht hier oder da blicken ließe; allein ich bemerkte keine Spur von ihr.","norm":"Ich hielt still und sprach mit dem Vater, und schielte indessen an den Fenstern herum, ob sie sich nicht hier oder da blicken ließe; allein ich bemerkte keine Spur von ihr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":666,"orig":"Fragen wollt ich auch nicht, und ſo ritt ich vorbey.","norm":"Fragen wollte ich auch nicht, und so ritt ich vorbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":667,"orig":"Mein Verdruß wurde durch Verwunderung einigermaßen gemildert, denn ob ich gleich kaum das Geſicht geſehen hatte, ſo ſchien ſie mir faſt gar nicht verändert, und zehn Jahre ſind doch eine Zeit!","norm":"Mein Verdruss wurde durch Verwunderung einigermaßen gemildert, denn ob ich gleich kaum das Gesicht gesehen hatte, so schien sie mir fast gar nicht verändert, und zehn Jahre sind doch eine Zeit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":668,"orig":"ja ſie ſchien mir jünger, eben ſo ſchlank, eben ſo leicht auf den Füßen, der Hals wo möglich noch zierlicher als vorher, ihre Wange eben ſo leicht der liebenswürdigen Röthe empfänglich, dabey Mutter von ſechs Kindern, vielleicht noch von mehrern; es paßte dieſe Erſcheinung ſo gut in die übrige Zauberwelt, die mich umgab, daß ich nur um ſo mehr mit einem verjüngten Gefühl weiter ritt, und an dem nächſten Walde erſt umkehrte, als die Sonne im Untergehen war.","norm":"ja sie schien mir jünger, ebenso schlank, ebenso leicht auf den Füßen, der Hals womöglich noch zierlicher als vorher, ihre Wange ebenso leicht der liebenswürdigen Röte empfänglich, dabei Mutter von sechs Kindern, vielleicht noch von mehreren; es passte diese Erscheinung so gut in die übrige Zauberwelt, die mich umgab, dass ich nur umso mehr mit einem verjüngten Gefühl weiterritt, und an dem nächsten Walde erst umkehrte, als die Sonne im Untergehen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":669,"orig":"So ſehr mich auch der fallende Thau an die Vorſchrift des Arztes erinnerte, und es wohl räthlicher geweſen wäre gerade nach Hauſe zu kehren, ſo nahm ich doch wieder meinen Weg nach der Seite des Pachthofs zurück.","norm":"So sehr mich auch der fallende Tau an die Vorschrift des Arztes erinnerte, und es wohl rätlicher gewesen wäre gerade nach Hause zu kehren, so nahm ich doch wieder meinen Weg nach der Seite des Pachthofs zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":670,"orig":"Ich bemerkte, daß ein weibliches Geſchöpf in dem Garten auf und nieder ging, der mit einer leichten Hecke umzogen iſt.","norm":"Ich bemerkte, dass ein weibliches Geschöpf in dem Garten auf und niederging, der mit einer leichten Hecke umzogen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":671,"orig":"Ich ritt auf dem Fußpfade nach der Hecke zu, und ich fand mich eben nicht weit von der Perſon, nach der ich verlangte.","norm":"Ich ritt auf dem Fußpfade nach der Hecke zu, und ich fand mich eben nicht weit von der Person, nach der ich verlangte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":672,"orig":"Ob mir gleich die Abendſonne in den Augen lag, ſah ich doch, daß ſie ſich am Zaune beſchäftigte, der ſie nur leicht bedeckte.","norm":"Ob mir gleich die Abendsonne in den Augen lag, sah ich doch, dass sie sich am Zaune beschäftigte, der sie nur leicht bedeckte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":673,"orig":"Ich glaubte meine alte Geliebte zu erkennen.","norm":"Ich glaubte meine alte Geliebte zu erkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":674,"orig":"Da ich an ſie kam, hielt ich ſtill, nicht ohne Regung des Herzens.","norm":"Da ich an sie kam, hielt ich still, nicht ohne Regung des Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":675,"orig":"Einige hohe Zweige wilder Roſen, die eine leiſe Luft hin und her wehte, machten mir ihre Geſtalt undeutlich.","norm":"Einige hohe Zweige wilder Rosen, die eine leise Luft hin und her wehte, machten mir ihre Gestalt undeutlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":676,"orig":"Ich redete ſie an, und fragte wie ſie lebe?","norm":"Ich redete sie an, und fragte wie sie lebe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":677,"orig":"Sie antwortete mir mit halber Stimme: ganz wohl.","norm":"Sie antwortete mir mit halber Stimme: Ganz wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":678,"orig":"Indeß bemerkte ich, daß ein Kind hinter dem Zaune beſchäftigt war Blumen auszureiſſen, und nahm die Gelegenheit ſie zu fragen: wo denn ihre übrigen Kinder ſeyen?","norm":"Indes bemerkte ich, dass ein Kind hinter dem Zaune beschäftigt war Blumen auszureißen, und nahm die Gelegenheit sie zu fragen: wo denn ihre übrigen Kinder seien?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":679,"orig":"Es iſt nicht mein Kind, ſagte ſie, das wäre früh!","norm":"Es ist nicht mein Kind, sagte sie, das wäre früh!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":680,"orig":"und in dieſem Augenblick ſchickte ſichs, daß ich durch die Zweige ihr Geſicht genau ſehen konnte, und ich wußte nicht, was ich zu der Erſcheinung ſagen ſollte.","norm":"und in diesem Augenblick schickte sich es, dass ich durch die Zweige ihr Gesicht genau sehen konnte, und ich wusste nicht, was ich zu der Erscheinung sagen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":681,"orig":"Es war meine Geliebte und war es nicht.","norm":"Es war meine Geliebte und war es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":682,"orig":"Faſt jünger, faſt ſchöner als ich ſie vor zehen Jahren gekannt hatte.","norm":"Fast jünger, fast schöner als ich sie vor zehn Jahren gekannt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":683,"orig":"Sind Sie denn nicht die Tochter des Pachters?","norm":"Sind Sie denn nicht die Tochter des Pachters?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":684,"orig":"fragte ich halb verwirrt.","norm":"fragte ich halb verwirrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":685,"orig":"Nein, ſagte ſie, ich bin ihre Muhme.","norm":"Nein, sagte sie, ich bin ihre Muhme."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":686,"orig":"Aber Sie gleichen einander ſo außerordentlich, verſetzte ich.","norm":"Aber Sie gleichen einander so außerordentlich, versetzte ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":687,"orig":"Das ſagt jedermann, der ſie vor zehen Jahren gekannt hat.","norm":"Das sagt jedermann, der sie vor zehn Jahren gekannt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":688,"orig":"Ich fuhr fort ſie verſchiedenes zu fragen, mein Irrthum war mir angenehm, ob ich ihn gleich ſchon entdeckt hatte.","norm":"Ich fuhr fort sie verschiedenes zu fragen, mein Irrtum war mir angenehm, ob ich ihn gleich schon entdeckt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":689,"orig":"Ich konnte mich von dem lebendigen Bilde voriger Glückſeeligkeit, das vor mir ſtand, nicht los reiſſen.","norm":"Ich konnte mich von dem lebendigen Bilde voriger Glückseligkeit, das vor mir stand, nicht losreißen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":690,"orig":"Das Kind hatte ſich indeſſen von ihr entfernt, und war Blumen zu ſuchen nach dem Teiche gegangen.","norm":"Das Kind hatte sich indessen von ihr entfernt, und war Blumen zu suchen nach dem Teiche gegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":691,"orig":"Sie nahm Abſchied, und eilte dem Kinde nach.","norm":"Sie nahm Abschied, und eilte dem Kinde nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":692,"orig":"Indeſſen hatte ich doch erfahren, daß meine alte Geliebte noch wirklich in dem Hauſe ihres Vaters ſey, und indem ich ritt, beſchäftigte ich mich mit Muthmaßungen, ob ſie ſelbſt, oder die Muhme das Kind vor den Pferden geſichert habe?","norm":"Indessen hatte ich doch erfahren, dass meine alte Geliebte noch wirklich in dem Hause ihres Vaters sei, und indem ich ritt, beschäftigte ich mich mit Mutmaßungen, ob sie selbst, oder die Muhme das Kind vor den Pferden gesichert habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":693,"orig":"Ich wiederholte mir die ganze Geſchichte mehrmals im Sinne, und ich wüßte nicht leicht, daß irgend etwas angenehmer auf mich gewirkt hätte.","norm":"Ich wiederholte mir die ganze Geschichte mehrmals im Sinne, und ich wüsste nicht leicht, dass irgendetwas angenehmer auf mich gewirkt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":694,"orig":"Aber ich fühle wohl, ich bin noch krank, und wir wollen den Doctor bitten, daß er uns von dem Überreſte dieſer Stimmung erlöſe.","norm":"Aber ich fühle wohl, ich bin noch krank, und wir wollen den Doktor bitten, dass er uns von dem Überreste dieser Stimmung erlöse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":695,"orig":"Es pflegt in vertraulichen Bekenntniſſen anmuthiger Liebesbegebenheiten wie mit Geſpenſtergeſchichten zu gehen, iſt nur erſt eine erzählt, ſo fließen die übrigen von ſelbſt zu.","norm":"Es pflegt in vertraulichen Bekenntnissen anmutiger Liebesbegebenheiten wie mit Gespenstergeschichten zu gehen, ist nur erst eine erzählt, so fließen die übrigen von selbst zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":696,"orig":"Unſere kleine Geſellſchaft fand in der Rückerinnerung vergangener Zeiten manchen Stoff dieſer Art. Lothario hatte am meiſten zu erzählen.","norm":"Unsere kleine Gesellschaft fand in der Rückerinnerung vergangener Zeiten manchen Stoff dieser Art. Lothario hatte am meisten zu erzählen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":697,"orig":"Jarno’s Geſchichten trugen alle einen eignen Character, und was Wilhelm zu geſtehen hatte, wiſſen wir ſchon.","norm":"Jarnos Geschichten trugen alle einen eigenen Charakter, und was Wilhelm zu gestehen hatte, wissen wir schon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":698,"orig":"Indeſſen war ihm bange, daß man ihn an die Geſchichte mit der Gräfin erinnern möchte, allein niemand dachte derſelben auch nur auf die entfernteſte Weiſe.","norm":"Indessen war ihm bange, dass man ihn an die Geschichte mit der Gräfin erinnern möchte, allein niemand dachte derselben auch nur auf die entfernteste Weise."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":699,"orig":"Es iſt wahr, ſagte Lothario, angenehmer kann keine Empfindung in der Welt ſeyn, als wenn das Herz nach einer gleichgültigen Pauſe ſich der Liebe zu einem neuen Gegenſtande wieder eröfnet, und doch wollt ich dieſem Glück für mein Leben entſagt haben, wenn mich das Schickſal mit Thereſen hätte verbinden wollen.","norm":"Es ist wahr, sagte Lothario, angenehmer kann keine Empfindung in der Welt sein, als wenn das Herz nach einer gleichgültigen Pause sich der Liebe zu einem neuen Gegenstande wieder eröffnet, und doch wollte ich diesem Glück für mein Leben entsagt haben, wenn mich das Schicksal mit Theresa hätte verbinden wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":700,"orig":"Man iſt nicht immer Jüngling, und man ſollte nicht immer Kind ſeyn.","norm":"Man ist nicht immer Jüngling, und man sollte nicht immer Kind sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":701,"orig":"Dem Manne, der die Welt kennt, der weiß, was er darin zu thun, was er von ihr zu hoffen hat, was kann ihm erwünſchter ſeyn, als eine Gattin zu finden, die überall mit ihm wirkt, und die ihm alles vorzubereiten weiß, deren Thätigkeit dasjenige aufnimmt, was die ſeinige liegen laſſen muß, deren Geſchäftigkeit ſich nach allen Seiten verbreitet, wenn die ſeinige nur einen geraden Weg fortgehen darf; welchen Himmel hatte ich mir mit Thereſen geträumt, nicht den Himmel eines ſchwärmeriſchen Glücks, ſondern eines ſichern Lebens auf der Erde.","norm":"Dem Manne, der die Welt kennt, der weiß, was er darin zu tun, was er von ihr zu hoffen hat, was kann ihm erwünschter sein, als eine Gattin zu finden, die überall mit ihm wirkt, und die ihm alles vorzubereiten weiß, deren Tätigkeit dasjenige aufnimmt, was die seinige liegen lassen muss, deren Geschäftigkeit sich nach allen Seiten verbreitet, wenn die seinige nur einen geraden Weg fortgehen darf; welchen Himmel hatte ich mir mit Theresa geträumt, nicht den Himmel eines schwärmerischen Glücks, sondern eines sichern Lebens auf der Erde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":702,"orig":"Ordnung im Glück, Muth im Unglück, Sorge für das Geringſte, und eine Seele, fähig das Größte zu faſſen und wieder fahren zu laſſen.","norm":"Ordnung im Glück, Mut im Unglück, Sorge für das Geringste, und eine Seele, fähig das Größte zu fassen und wieder fahren zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":703,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":704,"orig":"ich ſah in ihr gar wohl di Anlagen, deren Entwickelung wir bewundern, wenn wir in der Geſchichte Frauen ſehen, die uns weit vorzüglicher als alle Männer erſcheinen; dieſe Klarheit über die Umſtände; dieſe Gewandtheit in allen Fällen; dieſe Sicherheit im einzelnen, wodurch das Ganze ſich immer ſo gut befindet, ohne daß ſie jemals daran zu denken ſcheinen.","norm":"ich sah in ihr gar wohl di Anlagen, deren Entwickelung wir bewundern, wenn wir in der Geschichte Frauen sehen, die uns weit vorzüglicher als alle Männer erscheinen; diese Klarheit über die Umstände; diese Gewandtheit in allen Fällen; diese Sicherheit im Einzelnen, wodurch das Ganze sich immer so gut befindet, ohne dass sie jemals daran zu denken scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":705,"orig":"Sie können wohl, fuhr er fort, indem er ſich lächelnd gegen Wilhelmen wendete, mir verzeihen, wenn Thereſe mich Aurelien entführte, mit jener konnte ich ein heitres Leben hoffen, da bey dieſer auch nicht an eine glückliche Stunde zu denken war.","norm":"Sie können wohl, fuhr er fort, indem er sich lächelnd gegen Wilhelm wendete, mir verzeihen, wenn Therese mich Aurelie entführte, mit jener konnte ich ein heiteres Leben hoffen, da bei dieser auch nicht an eine glückliche Stunde zu denken war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":706,"orig":"Ich leugne nicht, verſetzte Wilhelm, daß ich mit großer Bitterkeit im Herzen gegen Sie hierher gekommen bin, und daß ich mir vorgenommen hatte, Ihr Betragen gegen Aurelien ſehr ſtreng zu tadeln.","norm":"Ich leugne nicht, versetzte Wilhelm, dass ich mit großer Bitterkeit im Herzen gegen Sie hierhergekommen bin, und dass ich mir vorgenommen hatte, Ihr Betragen gegen Aurelie sehr streng zu tadeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":707,"orig":"Auch verdient es Tadel, verſetzte Lothario, ich hätte meine Freundſchaft zu ihr nicht mit dem Gefühl der Liebe verwechſeln ſollen, ich hätte nicht an die Stelle der Achtung, die ſie verdiente, eine Neigung eindrängen ſollen, die ſie weder erregen, noch erhalten konnte.","norm":"Auch verdient es Tadel, versetzte Lothario, ich hätte meine Freundschaft zu ihr nicht mit dem Gefühl der Liebe verwechseln sollen, ich hätte nicht an die Stelle der Achtung, die sie verdiente, eine Neigung eindrängen sollen, die sie weder erregen, noch erhalten konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":708,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":709,"orig":"ſie war nicht liebenswürdig, wenn ſie liebte, und das iſt das größte Unglück, das einem Weibe begegnen kann.","norm":"sie war nicht liebenswürdig, wenn sie liebte, und das ist das größte Unglück, das einem Weibe begegnen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":710,"orig":"Es ſey drum, verſetzte Wilhelm, wir können nicht immer das Tadelnswerthe vermeiden, nicht vermeiden, daß unſere Geſinnungen und Handlungen auf eine ſonderbare Weiſe von ihrer natürlichen und guten Richtung abgelenkt werden; aber gewiſſe Pflichten ſollten wir niemals aus den Augen ſetzen.","norm":"Es sei darum, versetzte Wilhelm, wir können nicht immer das Tadelnswerte vermeiden, nicht vermeiden, dass unsere Gesinnungen und Handlungen auf eine sonderbare Weise von ihrer natürlichen und guten Richtung abgelenkt werden; aber gewisse Pflichten sollten wir niemals aus den Augen setzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":711,"orig":"Die Aſche der Freundin ruhe ſanft, wir wollen, ohne uns zu ſchelten und ſie zu tadeln, mitleidig Blumen auf ihr Grab ſtreuen.","norm":"Die Asche der Freundin ruhe sanft, wir wollen, ohne uns zu schelten und sie zu tadeln, mitleidig Blumen auf ihr Grab streuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":712,"orig":"Aber bey dem Grabe, in welchem die unglückliche Mutter ruht, laſſen Sie mich fragen, warum ſie ſich des Kindes nicht annehmen?","norm":"Aber bei dem Grabe, in welchem die unglückliche Mutter ruht, lassen Sie mich fragen, warum sie sich des Kindes nicht annehmen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":713,"orig":"eines Sohnes, deſſen ſich jedermann erfreuen würde, und den ſie ganz und gar zu vernachläßigen ſcheinen.","norm":"eines Sohnes, dessen sich jedermann erfreuen würde, und den sie ganz und gar zu vernachlässigen scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":714,"orig":"Wie können Sie, bey Ihren reinen und zarten Gefühlen, das Herz eines Vaters gänzlich verleugnen?","norm":"Wie können Sie, bei Ihren reinen und zarten Gefühlen, das Herz eines Vaters gänzlich verleugnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":715,"orig":"Sie haben dieſe ganze Zeit noch mit keiner Sylbe an das köſtliche Geſchöpf gedacht, von deſſen Anmuth ſo viel zu erzählen wäre.","norm":"Sie haben diese ganze Zeit noch mit keiner Silbe an das köstliche Geschöpf gedacht, von dessen Anmut so viel zu erzählen wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":716,"orig":"Von wem reden Sie?","norm":"Von wem reden Sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":717,"orig":"verſetzte Lothario, ich verſtehe Sie nicht.","norm":"versetzte Lothario, ich verstehe Sie nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":718,"orig":"Von wem anders, als von Ihrem Sohne, dem Sohne Aureliens, dem ſchönen Kinde, dem zu ſeinem Glücke nichts fehlt, als daß ein zärtlicher Vater ſich ſeiner annimmt?","norm":"Von wem anders, als von Ihrem Sohne, dem Sohne Aurelies, dem schönen Kinde, dem zu seinem Glücke nichts fehlt, als dass ein zärtlicher Vater sich seiner annimmt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":719,"orig":"Sie irren ſehr, mein Freund, verſetzte Lothario, Aurelie hatte keinen Sohn, am wenigſten von mir, ich weiß von keinem Kinde, ſonſt würde ich mich deſſen mit Freuden annehmen, aber auch im gegenwärtigen Falle will ich gern das kleine Geſchöpf als eine Verlaſſenſchaft von ihr anſehen, und für ſeine Erziehung ſorgen; hat ſie ſich denn irgend etwas merken laſſen, daß der Knabe ihr, daß er mir zugehöre?","norm":"Sie irren sehr, mein Freund, versetzte Lothario, Aurelie hatte keinen Sohn, am wenigsten von mir, ich weiß von keinem Kinde, sonst würde ich mich dessen mit Freuden annehmen, aber auch im gegenwärtigen Falle will ich gern das kleine Geschöpf als eine Verlassenschaft von ihr ansehen, und für seine Erziehung Sorgen; hat sie sich denn irgendetwas merken lassen, dass der Knabe ihr, dass er mir zugehöre?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":720,"orig":"Nicht daß ich mich erinnere, ein ausdrückliches Wort von ihr gehört zu haben, es war aber einmal ſo angenommen, und ich habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt.","norm":"Nicht dass ich mich erinnere, ein ausdrückliches Wort von ihr gehört zu haben, es war aber einmal so angenommen, und ich habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":721,"orig":"Ich kann, fiel Jarno ein, einigen Aufſchluß hierüber geben; ein altes Weib, das Sie oft müſſen geſehen haben, brachte das Kind zu Aurelien, ſie nahm es mit Leidenſchaft auf, und hoffte ihre Leiden durch ſeine Gegenwart zu lindern: auch hat es ihr manchen vergnügten Augenblick gemacht.","norm":"Ich kann, fiel Jarno ein, einigen Aufschluss hierüber geben; ein altes Weib, das Sie oft müssen gesehen haben, brachte das Kind zu Aurelie, sie nahm es mit Leidenschaft auf, und hoffte ihre Leiden durch seine Gegenwart zu lindern: auch hat es ihr manchen vergnügten Augenblick gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":722,"orig":"Wilhelm war durch dieſe Entdeckung ſehr unruhig geworden, er gedachte des guten Mignons neben dem ſchönen Felix auf das lebhafteſte, er zeigte ſeinen Wunſch, die beyden Kinder aus der Lage, in der ſie ſich befanden, heraus zu ziehen.","norm":"Wilhelm war durch diese Entdeckung sehr unruhig geworden, er gedachte des guten Mignons neben dem schönen Felix auf das lebhafteste, er zeigte seinen Wunsch, die beiden Kinder aus der Lage, in der sie sich befanden, herauszuziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":723,"orig":"Wir wollen damit bald fertig ſeyn, verſetzte Lothario, das wunderliche Mädchen übergeben wir Thereſen, ſie kann unmöglich in beſſere Hände gerathen, und was den Knaben betrifft, den, dächt’ ich, nähmen Sie ſelbſt zu ſich; denn was ſelbſt die Frauen an uns ungebildet zurück laſſen, das bilden die Kinder aus, wenn wir uns mit ihnen abgeben.","norm":"Wir wollen damit bald fertig sein, versetzte Lothario, das wunderliche Mädchen übergeben wir Theresa, sie kann unmöglich in bessere Hände geraten, und was den Knaben betrifft, den, dächte ich, nähmen Sie selbst zu sich; denn was selbst die Frauen an uns ungebildet zurücklassen, das bilden die Kinder aus, wenn wir uns mit ihnen abgeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":724,"orig":"Überhaupt dächte ich, verſetzte Jarno, Sie entſagten kurz und gut dem Theater, zu dem Sie doch einmal kein Talent haben.","norm":"Überhaupt dächte ich, versetzte Jarno, Sie entsagten kurz und gut dem Theater, zu dem Sie doch einmal kein Talent haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":725,"orig":"Wilhelm war betroffen, er mußte ſich zuſammen nehmen, denn Jarno’s harte Worte hatten ſeine Eigenliebe nicht wenig verletzt.","norm":"Wilhelm war betroffen, er musste sich zusammennehmen, denn Jarnos harte Worte hatten seine Eigenliebe nicht wenig verletzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":726,"orig":"Wenn Sie mich davon überzeugen, verſetzte er mit gezwungenen Lächeln, ſo werden Sie mir einen Dieuſt erweiſen, ob es gleich nur ein trauriger Dienſt iſt, wenn man uns aus einem Lieblingstraume aufſchüttelt.","norm":"Wenn Sie mich davon überzeugen, versetzte er mit gezwungenen Lächeln, so werden Sie mir einen Dienst erweisen, ob es gleich nur ein trauriger Dienst ist, wenn man uns aus einem Lieblingstraume aufschüttelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":727,"orig":"Ohne viel weiter darüber zu reden, verſetzte Jarno, möchte ich Sie nur antreiben, erſt die Kinder zu holen, das übrige wird ſich ſchon geben.","norm":"Ohne viel weiter darüber zu reden, versetzte Jarno, möchte ich Sie nur antreiben, erst die Kinder zu holen, das Übrige wird sich schon geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":728,"orig":"Ich bin bereit dazu, verſetzte Wilhelm, ich bin unruhig und neugierig, ob ich nicht von dem Schickſal des Knaben etwas näheres entdecken kann; ich verlange das Mädchen wieder zu ſehen, das ſich mit ſo vieler Eigenheit an mich angeſchloſſen hat.","norm":"Ich bin bereit dazu, versetzte Wilhelm, ich bin unruhig und neugierig, ob ich nicht von dem Schicksal des Knaben etwas Näheres entdecken kann; ich verlange das Mädchen wiederzusehen, das sich mit so vieler Eigenheit an mich angeschlossen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":729,"orig":"Man ward einig, daß er bald abreiſen ſollte.","norm":"Man wurde einig, dass er bald abreisen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":730,"orig":"Den andern Tag hatte er ſich dazu vorbereitet, das Pferd war geſattelt, nur wollte er noch von Lothario Abſchied nehmen.","norm":"Den anderen Tag hatte er sich dazu vorbereitet, das Pferd war gesattelt, nur wollte er noch von Lothario Abschied nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":731,"orig":"Als die Eſſenzeit herbey kam, ſetzte man ſich wie gewöhnlich zu Tiſche, ohne auf ihn zu warten, er kam erſt ſpät, und ſetzte ſich zu ihnen.","norm":"Als die Esszeit herbeikam, setzte man sich wie gewöhnlich zu Tische, ohne auf ihn zu warten, er kam erst spät, und setzte sich zu ihnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":732,"orig":"Ich wollte wetten, ſagte Jarno, Sie haben heute Ihr zärtliches Herz wieder auf die Probe geſtellt, Sie haben der Begierde nicht widerſtehen können, Ihre ehemalige Geliebte wieder zu ſehen.","norm":"Ich wollte wetten, sagte Jarno, Sie haben heute Ihr zärtliches Herz wieder auf die Probe gestellt, Sie haben der Begierde nicht widerstehen können, Ihre ehemalige Geliebte wiederzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":733,"orig":"Errathen!","norm":"Erraten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":734,"orig":"verſetzte Lothario.","norm":"versetzte Lothario."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":735,"orig":"Laſſen Sie uns hören, ſagte Jarno, wie iſt es abgelaufen?","norm":"Lassen Sie uns hören, sagte Jarno, wie ist es abgelaufen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":736,"orig":"ich bin äußerſt neugierig.","norm":"Ich bin äußerst neugierig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":737,"orig":"Ich leugne nicht, verſetzte Lothario, daß mir das Abentheuer mehr als billig auf dem Herzen lag, ich faßte daher den Entſchluß nochmals hinzureiten, und die Perſon wirklich zu ſehen, deren verjüngtes Bild mir eine ſo angenehme Illuſion gemacht hatte.","norm":"Ich leugne nicht, versetzte Lothario, dass mir das Abenteuer mehr als billig auf dem Herzen lag, ich fasste daher den Entschluss nochmals hinzureiten, und die Person wirklich zu sehen, deren verjüngtes Bild mir eine so angenehme Illusion gemacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":738,"orig":"Ich ſtieg ſchon in einiger Entfernung vom Hauſe ab, und ließ die Pferde bey Seite führen, um die Kinder nicht zu ſtöhren, die vor dem Thore ſpielten.","norm":"Ich stieg schon in einiger Entfernung vom Hause ab, und ließ die Pferde beiseite führen, um die Kinder nicht zu stören, die vor dem Tore spielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":739,"orig":"Ich ging in das Haus, und von ohngefähr kam ſie mir entgegen, denn ſie war es ſelbſt, und ich erkannte ſie ohngeachtet der großen Veränderung wieder.","norm":"Ich ging in das Haus, und von ungefähr kam sie mir entgegen, denn sie war es selbst, und ich erkannte sie ungeachtet der großen Veränderung wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":740,"orig":"Sie war ſtärker geworden, und ſchien größer zu ſeyn; ihre Anmuth blickte durch ein geſetztes Weſen hindurch, und ihre Munterkeit war in ein ſtilles Nachdenken übergegangen.","norm":"Sie war stärker geworden, und schien größer zu sein; ihre Anmut blickte durch ein gesetztes Wesen hindurch, und ihre Munterkeit war in ein stilles Nachdenken übergegangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":741,"orig":"Ihr Kopf, den ſie ſonſt ſo leicht und frey trug, hing ein wenig geſenkt, und leiſe Falten waren über ihre Stirne gezogen.","norm":"Ihr Kopf, den sie sonst so leicht und frei trug, hing ein wenig gesenkt, und leise Falten waren über ihre Stirn gezogen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":742,"orig":"Sie ſchlug die Augen nieder, als ſie mich ſah, aber keine Röthe verkündigte eine innere Bewegung des Herzens.","norm":"Sie schlug die Augen nieder, als sie mich sah, aber keine Röte verkündigte eine innere Bewegung des Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":743,"orig":"Ich reichte ihr die Hand, ſie gab mir die ihrige; ich fragte nach ihrem Manne, er war abweſend, nach ihren Kindern, ſie trat an die Thüre und rief ſie herbey, alle kamen und verſammelten ſich um ſie.","norm":"Ich reichte ihr die Hand, sie gab mir die ihrige; ich fragte nach ihrem Manne, er war abwesend, nach ihren Kindern, sie trat an die Türe und rief sie herbei, alle kamen und versammelten sich um sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":744,"orig":"Es iſt nichts reizender, als eine Mutter zu ſehen mit einem Kinde auf dem Arme, und nichts ehrwürdiger, als eine Mutter unter vielen Kindern.","norm":"Es ist nichts reizender, als eine Mutter zu sehen mit einem Kinde auf dem Arme, und nichts ehrwürdiger, als eine Mutter unter vielen Kindern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":745,"orig":"Ich fragte nach den Nahmen der Kleinen, um doch nur etwas zu ſagen, ſie bat mich hinein zu treten und auf ihren Vater zu warten.","norm":"Ich fragte nach den Namen der Kleinen, um doch nur etwas zu sagen, sie bat mich hineinzutreten und auf ihren Vater zu warten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":746,"orig":"Ich nahm es an; ſie führte mich in die Stube, wo ich beynahe noch alles auf dem alten Platze fand, und — ſonderbar!","norm":"Ich nahm es an; sie führte mich in die Stube, wo ich beinahe noch alles auf dem alten Platze fand, und — sonderbar!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":747,"orig":"die ſchöne Muhme, ihr Ebenbild, ſaß auf eben dem Schemmel hinter dem Spinnrocken, wo ich meine Geliebte in eben der Geſtalt ſo oft gefunden hatte.","norm":"die schöne Muhme, ihr Ebenbild, saß auf eben dem Schemel hinter dem Spinnrocken, wo ich meine Geliebte in eben der Gestalt so oft gefunden hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":748,"orig":"Ein kleines Mädchen, das ſeiner Mutter vollkommen glich, war uns nachgefolgt, und ſo ſtand ich in der ſonderbarſten Gegenwart, zwiſchen der Vergangenheit und Zukunft, wie in einem Orangenwalde, wo in einem kleinen Bezirk Blüthen und Früchte ſtufenweis neben einander leben.","norm":"Ein kleines Mädchen, das seiner Mutter vollkommen glich, war uns nachgefolgt, und so stand ich in der sonderbarsten Gegenwart, zwischen der Vergangenheit und Zukunft, wie in einem Orangenwalde, wo in einem kleinen Bezirk Blüten und Früchte stufenweise nebeneinander leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":749,"orig":"Die Muhme ging hinaus, einige Erfriſchung zu holen, ich gab dem ehemals ſo geliebten Geſchöpfe die Hand, und ſagte zu ihr: ich habe eine rechte Freude, Sie wieder zu ſehen.","norm":"Die Muhme ging hinaus, einige Erfrischung zu holen, ich gab dem ehemals so geliebten Geschöpfe die Hand, und sagte zu ihr: Ich habe eine rechte Freude, Sie wiederzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":750,"orig":"— Sie ſind ſehr gut, mir das zu ſagen, verſetzte ſie; aber auch ich kann Ihnen verſichern, daß ich eine unausſprechliche Freude habe.","norm":"— Sie sind sehr gut, mir das zu sagen, versetzte sie; aber auch ich kann Ihnen versichern, dass ich eine unaussprechliche Freude habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":751,"orig":"Wie oft habe ich mir gewünſcht, Sie nur noch Einmal in meinem Leben wieder zu ſehen, ich habe es in Augenblicken gewünſcht, die ich für meine letzten hielt; ſie ſagte das mit einer geſetzten Stimme, ohne Rührung, mit jener Natürlichkeit, die mich ehemals ſo ſehr an ihr entzückte.","norm":"Wie oft habe ich mir gewünscht, Sie nur noch Einmal in meinem Leben wiederzusehen, ich habe es in Augenblicken gewünscht, die ich für meine letzten hielt; sie sagte das mit einer gesetzten Stimme, ohne Rührung, mit jener Natürlichkeit, die mich ehemals so sehr an ihr entzückte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":752,"orig":"Die Muhme kam wieder, ihr Vater dazu — und ich überlaſſe euch zu denken, mit welchem Herzen ich blieb, und mit welchem ich mich entfernte.","norm":"Die Muhme kam wieder, ihr Vater dazu — und ich überlasse euch zu denken, mit welchem Herzen ich blieb, und mit welchem ich mich entfernte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":753,"orig":"Wilhelm hatte auf ſeinem Wege nach der Stadt die edlen weiblichen Geſchöpfe, die er kannte und von denen er gehört hatte, im Sinne, ihre ſonderbaren Schickſale, die wenig erfreuliches enthielten, waren ihm ſchmerzlich gegenwärtig.","norm":"Wilhelm hatte auf seinem Wege nach der Stadt die edlen weiblichen Geschöpfe, die er kannte und von denen er gehört hatte, im Sinne, ihre sonderbaren Schicksale, die wenig Erfreuliches enthielten, waren ihm schmerzlich gegenwärtig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":754,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":755,"orig":"rief er aus, arme Mariane!","norm":"rief er aus, arme Mariane!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":756,"orig":"was werde ich noch von dir erfahren müſſen?","norm":"was werde ich noch von dir erfahren müssen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":757,"orig":"und dich, herrliche Amazone, edler Schutzgeiſt, dem ich ſo viel ſchuldig bin, dem ich überall zu begegnen hoffe, und den ich leider nirgends finde, in welchen traurigen Umſtänden treff ich dich vielleicht, wenn du mir einſt wieder begegneſt.","norm":"und dich, herrliche Amazone, edler Schutzgeist, dem ich so viel schuldig bin, dem ich überall zu begegnen hoffe, und den ich leider nirgends finde, in welchen traurigen Umständen treffe ich dich vielleicht, wenn du mir einst wieder begegnest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":758,"orig":"In der Stadt war niemand von ſeinen Bekannten zu Hauſe; er eilte auf das Theater; er glaubte, ſie in der Probe zu finden, alles war ſtill, das Haus ſchien leer, doch ſah er einen Laden offen.","norm":"In der Stadt war niemand von seinen Bekannten zu Hause; er eilte auf das Theater; er glaubte, sie in der Probe zu finden, alles war still, das Haus schien leer, doch sah er einen Laden offen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":759,"orig":"Als er auf die Bühne kam, fand er Aureliens alte Dienerinn beſchäftigt Leinwand zu einer neuen Decoration zuſammen zu nähen, es fiel nur ſo viel Licht herein, als nöthig war ihre Arbeit zu erhellen;","norm":"Als er auf die Bühne kam, fand er Aurelies alte Dienerin beschäftigt Leinwand zu einer neuen Dekoration zusammenzunähen, es fiel nur so viel Licht herein, als nötig war ihre Arbeit zu erhellen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":760,"orig":"Felix und Mignon ſaßen neben ihr auf der Erde, beyde hielten ein Buch, und indem Mignon laut las, ſagte ihr Fe- lix alle Worte nach, als wenn er die Buchſtaben kennte, als wenn er auch zu leſen verſtünde.","norm":"Felix und Mignon saßen neben ihr auf der Erde, beide hielten ein Buch, und indem Mignon laut las, sagte ihr Fe- lix alle Worte nach, als wenn er die Buchstaben kennte, als wenn er auch zu lesen verstünde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":761,"orig":"Die Kinder ſprangen auf und begrüßten den Ankommenden; er umarmte ſie aufs zärtlichſte, und führte ſie näher zu der Alten.","norm":"Die Kinder sprangen auf und begrüßten den Ankommenden; er umarmte sie aufs zärtlichste, und führte sie näher zu der Alten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":762,"orig":"Biſt Du es?","norm":"Bist Du es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":763,"orig":"ſagte er zu ihr mit Ernſt, die dieſes Kind Aurelien zugeführt hatte; ſie ſah von ihrer Arbeit auf, und wendete ihr Geſicht zu ihm, er ſah ſie in vollem Lichte, erſchrack, trat einige Schritte zurück, es war die alte Barbara.","norm":"sagte er zu ihr mit Ernst, die dieses Kind Aurelie zugeführt hatte; sie sah von ihrer Arbeit auf, und wendete ihr Gesicht zu ihm, er sah sie in vollem Lichte, erschrak, trat einige Schritte zurück, es war die alte Barbara."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":764,"orig":"Wo iſt Mariane?","norm":"Wo ist Mariane?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":765,"orig":"rief er aus, — weit von hier, verſetzte die Alte.","norm":"rief er aus, — weit von hier, versetzte die Alte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":766,"orig":"Und Felix?","norm":"Und Felix?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":767,"orig":"Iſt der Sohn dieſes unglücklichen nur allzuzärtlich liebenden Mädchens?","norm":"Ist der Sohn dieses unglücklichen nur allzu zärtlich liebenden Mädchens?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":768,"orig":"Möchten Sie niemals empfinden, was Sie uns gekoſtet haben, möchte der Schatz, den ich Ihnen überliefere, Sie ſo glücklich machen, als er uns unglücklich gemacht hat.","norm":"Möchten Sie niemals empfinden, was Sie uns gekostet haben, möchte der Schatz, den ich Ihnen überliefere, Sie so glücklich machen, als er uns unglücklich gemacht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":769,"orig":"Sie ſtand auf, um wegzugehen, Wilhelm hielt ſie feſt; ich denke Ihnen nicht zu entlaufen, ſagte Sie, laſſen Sie mich ein Document holen, das Sie erfreuen und ſchmerzen wird.","norm":"Sie stand auf, um wegzugehen, Wilhelm hielt sie fest; Ich denke Ihnen nicht zu entlaufen, sagte Sie, lassen Sie mich ein Dokument holen, das sie erfreuen und schmerzen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":770,"orig":"Sie entfernte ſich, und Wilhelm ſah den Knaben mit einer ängſtlichen Freude an, er durfte ſich das Kind noch nicht zueignen.","norm":"Sie entfernte sich, und Wilhelm sah den Knaben mit einer ängstlichen Freude an, er durfte sich das Kind noch nicht zueignen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":771,"orig":"Er iſt Dein, rief Mignon, er iſt Dein!","norm":"Er ist Dein, rief Mignon, er ist Dein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":772,"orig":"und drückte das Kind an Wilhelms Knie.","norm":"und drückte das Kind an Wilhelms Knie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":773,"orig":"Die Alte kam, und überreichte ihm einen Brief.","norm":"Die Alte kam, und überreichte ihm einen Brief."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":774,"orig":"Hier ſind Marianens letzte Worte, ſagte ſie.","norm":"Hier sind Marianes letzte Worte, sagte sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":775,"orig":"Sie iſt todt!","norm":"Sie ist tot!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":776,"orig":"rief er aus.","norm":"rief er aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":777,"orig":"Todt!","norm":"Tod!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":778,"orig":"ſagte die Alte; möchte ich Ihnen doch alle Vorwürfe erſparen können.","norm":"sagte die Alte; möchte ich Ihnen doch alle Vorwürfe ersparen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":779,"orig":"Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm den Brief; er hatte aber kaum die erſten Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang liegen.","norm":"Überrascht und verwirrt erbrach Wilhelm den Brief; er hatte aber kaum die ersten Worte gelesen, als ihn ein bittrer Schmerz ergriff, er ließ den Brief fallen, stürzte auf eine Rasenbank, und blieb eine Zeitlang liegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":780,"orig":"Mignon bemühte ſich um ihn.","norm":"Mignon bemühte sich um ihn."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":781,"orig":"Indeſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas.","norm":"Indessen hatte Felix den Brief aufgehoben, und zerrte seine Gespielin so lange, bis diese nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":782,"orig":"Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm war genöthigt ſie zweymal zu hören.","norm":"Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm war genötigt sie zweimal zu hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":783,"orig":"»Wenn dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo bedaure Deine unglückliche Geliebte, Deine Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe, deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe, iſt Dein, ich ſterbe Dir treu, ſo ſehr der Schein auch gegen mich ſprechen mag; mit Dir verlohr ich alles, was mich an das Leben feſſelte.","norm":"»Wenn dieses Blatt jemals zu Dir kommt, so bedaure Deine unglückliche Geliebte, Deine Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe, dessen Geburt ich nur wenige Tage überlebe, ist Dein, ich sterbe Dir treu, so sehr der Schein auch gegen mich sprechen mag; mit Dir verlor ich alles, was mich an das Leben fesselte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":784,"orig":"Ich ſterbe zufrieden, da man mir verſichert, das Kind ſey geſund und werde leben.","norm":"Ich sterbe zufrieden, da man mir versichert, das Kind sei gesund und werde leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":785,"orig":"Höre die alte Barbara, verzeih ihr, leb wohl und vergiß mich nicht.","norm":"Höre die alte Barbara, verzeih ihr, lebe wohl und vergiss mich nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":786,"orig":"«","norm":"«"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":787,"orig":"Welch ein ſchmerzlicher und noch zu ſeinem Troſte halb räzelhafter Brief!","norm":"Welch ein schmerzlicher und noch zu seinem Troste halb rätselhafter Brief!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":788,"orig":"deſſen Inhalt ihm erſt recht fühlbar ward, da ihn die Kinder ſtockend und ſtammelnd vortrugen und wiederholten.","norm":"dessen Inhalt ihm erst recht fühlbar wurde, da ihn die Kinder stockend und stammelnd vortrugen und wiederholten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":789,"orig":"Da haben Sie es nun!","norm":"Da haben Sie es nun!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":790,"orig":"rief die Alte, ohne abzuwarten, bis er ſich erholt hatte; danken Sie dem Himmel, daß, nach dem Verluſte eines ſo guten Mädchens, Ihnen noch ein ſo vortreffliches Kind übrig bleibt.","norm":"rief die Alte, ohne abzuwarten, bis er sich erholt hatte; danken Sie dem Himmel, dass, nach dem Verluste eines so guten Mädchens, Ihnen noch ein so vortreffliches Kind übrigbleibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":791,"orig":"Nichts wird Ihrem Schmerze gleichen, wenn Sie vernehmen, wie das gute Mädchen Ihnen bis ans Ende treu geblieben, wie unglücklich ſie geworden iſt, und was ſie Ihnen alles aufgeopfert hat.","norm":"Nichts wird Ihrem Schmerze gleichen, wenn Sie vernehmen, wie das gute Mädchen Ihnen bis ans Ende treu geblieben, wie unglücklich sie geworden ist, und was sie Ihnen alles aufgeopfert hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":792,"orig":"Laß mich den Becher des Jammers und der Freuden, rief Wilhelm aus, auf einmal trinken!","norm":"Lass mich den Becher des Jammers und der Freuden, rief Wilhelm aus, auf einmal trinken!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":793,"orig":"überzeuge mich, ja überrede mich nur, daß ſie ein gutes Mädchen war, daß ſie meine Achtung wie meine Liebe verdiente, und überlaß mich dann meinen Schmerzen über ihren unerſetzlichen Verluſt.","norm":"Überzeuge mich, ja überrede mich nur, dass sie ein gutes Mädchen war, dass sie meine Achtung wie meine Liebe verdiente, und überlasse mich dann meinen Schmerzen über ihren unersetzlichen Verlust."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":794,"orig":"Es iſt jetzt nicht Zeit, verſetzte die Alte, ich habe zu thun, und wünſchte nicht, daß man uns beyſammen fände.","norm":"Es ist jetzt nicht Zeit, versetzte die Alte, ich habe zu tun, und wünschte nicht, dass man uns beisammen fände."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":795,"orig":"Laſſen Sie es ein Geheimniß ſeyn, daß Felix Ihnen angehört; ich hätte über meine bisherige Verſtellung zu viel Vorwürfe von der Geſellſchaft zu erwarten;","norm":"Lassen Sie es ein Geheimnis sein, dass Felix Ihnen angehört; ich hätte über meine bisherige Verstellung zu viel Vorwürfe von der Gesellschaft zu erwarten;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":796,"orig":"Mignon verräth uns nicht, ſie iſt gut und verſchwiegen.","norm":"Mignon verrät uns nicht, sie ist gut und verschwiegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":797,"orig":"Ich wußte es lange und ſagte nichts, verſetzte Mignon, — Wie iſt es möglich, rief die Alte — woher?","norm":"Ich wusste es lange und sagte nichts, versetzte Mignon, — wie ist es möglich, rief die Alte — woher?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":798,"orig":"fiel Wilhelm ein.","norm":"fiel Wilhelm ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":799,"orig":"Der Geiſt hat mir’s geſagt.","norm":"Der Geist hat mir es gesagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":800,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":801,"orig":"wo?","norm":"wo?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":802,"orig":"Im Gewölbe, da der Alte das Meſſer zog, rief mirs zu:","norm":"Im Gewölbe, da der Alte das Messer zog, rief mir es zu:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":803,"orig":"Rufe ſeinen Vater, und da fielſt Du mir ein.","norm":"Rufe seinen Vater, und da fielst Du mir ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":804,"orig":"Wer rief denn?","norm":"Wer rief denn?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":805,"orig":"Ich weiß nicht, im Herzen, im Kopfe, ich war ſo Angſt, ich zitterte, ich betete, da riefs, und ich verſtands.","norm":"Ich weiß nicht, im Herzen, im Kopfe, ich war so Angst, ich zitterte, ich betete, da rief es, und ich verstand es."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":806,"orig":"Wilhelm druckte ſie an ſein Herz, empfahl ihr Felix, und entfernte ſich.","norm":"Wilhelm drückte sie an sein Herz, empfahl ihr Felix, und entfernte sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":807,"orig":"Er bemerkte erſt zuletzt, daß ſie viel bläſſer und magerer geworden war, als er ſie verlaſſen hatte.","norm":"Er bemerkte erst zuletzt, dass sie viel blasser und magerer geworden war, als er sie verlassen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":808,"orig":"Madame Melina fand er von ſeinen Bekannten zuerſt, ſie begrüßte ihn aufs freundlichſte.","norm":"Madame Melina fand er von seinen Bekannten zuerst, sie begrüßte ihn aufs freundlichste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":809,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":810,"orig":"daß Sie doch alles, rief ſie aus, bey uns finden möchten, wie Sie wünſchen!","norm":"dass Sie doch alles, rief sie aus, bei uns finden möchten, wie Sie wünschen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":811,"orig":"Ich zweifle daran, ſagte Wilhelm, und erwartete es nicht.","norm":"Ich zweifle daran, sagte Wilhelm, und erwartete es nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":812,"orig":"Geſtehen Sie nur, man hat alle Anſtalten gemacht mich entbehren zu können.","norm":"Gestehen Sie nur, man hat alle Anstalten gemacht mich entbehren zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":813,"orig":"Warum ſind Sie auch weggegangen!","norm":"Warum sind Sie auch weggegangen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":814,"orig":"verſetzte die Freundin.","norm":"versetzte die Freundin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":815,"orig":"Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie entbehrlich man in der Welt iſt.","norm":"Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen, wie entbehrlich man in der Welt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":816,"orig":"Welche wichtige Perſonen glauben wir zu ſeyn!","norm":"Welche wichtige Personen glauben wir zu sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":817,"orig":"Wir denken allein den Kreis zu beleben, in welchem wir wirken; in unſerer Abweſenheit muß, bilden wir uns ein, Leben, Nahrung und Athem ſtocken, und die Lücke, die entſteht, wird kaum bemerkt, ſie füllt ſich ſo geſchwind wieder aus, ja ſie wird oft nur der Platz, wo nicht für etwas beſſeres, doch für etwas angenehmeres.","norm":"Wir denken allein den Kreis zu beleben, in welchem wir wirken; in unserer Abwesenheit muss, bilden wir uns ein, Leben, Nahrung und Atem stocken, und die Lücke, die entsteht, wird kaum bemerkt, sie füllt sich so geschwind wieder aus, ja sie wird oft nur der Platz, wo nicht für etwas Besseres, doch für etwas Angenehmeres."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":818,"orig":"Und die Leiden unſerer Freunde bringen wir nicht in Anſchlag?","norm":"Und die Leiden unserer Freunde bringen wir nicht in Anschlag?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":819,"orig":"Auch unſere Freunde thun wohl, wenn ſie ſich bald finden, wenn ſie ſich ſagen: da wo du biſt, da wo du bleibſt, wirke was du kannſt, ſey thätig und gefällig, und laß dir die Gegenwart heiter ſeyn.","norm":"Auch unsere Freunde tun wohl, wenn sie sich bald finden, wenn sie sich sagen: Da wo du bist, da wo du bleibst, wirke was du kannst, sei tätig und gefällig, und lass dir die Gegenwart heiter sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":820,"orig":"Bey näherer Erkundigung fand Wilhelm, was er vermuthet hatte: die Oper war eingerichtet, und zog die ganze Aufmerkſamkeit des Publikums an ſich.","norm":"Bei näherer Erkundigung fand Wilhelm, was er vermutet hatte: Die Oper war eingerichtet, und zog die ganze Aufmerksamkeit des Publikums an sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":821,"orig":"Seine Rollen waren inzwiſchen durch Laertes und Horatio beſetzt worden, und beyde lockten den Zuſchauern einen weit lebhaftern Beyfall ab, als er jemals hatte erlangen können.","norm":"Seine Rollen waren inzwischen durch Laertes und Horatio besetzt worden, und beide lockten den Zuschauern einen weit lebhafteren Beifall ab, als er jemals hatte erlangen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":822,"orig":"Laertes trat herein, und Madame Melina rief aus!","norm":"Laertes trat herein, und Madame Melina rief aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":823,"orig":"ſehn Sie hier dieſen glücklichen Menſchen, der bald ein Capitaliſt, oder Gott weiß was werden wird.","norm":"Sehen Sie hier diesen glücklichen Menschen, der bald ein Kapitalist, oder Gott weiß was werden wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":824,"orig":"Wilhelm umarmte ihn, und fühlte ein vortrefflich feines Tuch an ſeinem Rocke, ſeine übrige Kleidung war einfach, aber alles vom beſten Zeuge.","norm":"Wilhelm umarmte ihn, und fühlte ein vortrefflich feines Tuch an seinem Rocke, seine übrige Kleidung war einfach, aber alles vom besten Zeuge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":825,"orig":"Löſen Sie mir das Räthſel!","norm":"Lösen Sie mir das Rätsel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":826,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":827,"orig":"Es iſt noch Zeit genug, verſetzte Laertes, um zu erfahren, daß mir mein Hin – und herlaufen nunmehr bezahlt wird, daß ein Patron eines großen Handelshauſes von meiner Unruhe, meinen Kenntniſſen und Bekanntſchaften Vortheil zieht, und mir einen Theil davon abläßt; ich wollte viel drum geben, wenn ich mir dabey auch Zutrauen gegen die Weiber ermäkeln könnte, denn es iſt eine hübſche Nichte im Hauſe, und ich merke wohl, wenn ich wollte, könnte ich bald ein gemachter Mann ſeyn.","norm":"Es ist noch Zeit genug, versetzte Laertes, um zu erfahren, dass mir mein Hin – und Herlaufen nunmehr bezahlt wird, dass ein Patron eines großen Handelshauses von meiner Unruhe, meinen Kenntnissen und Bekanntschaften Vorteil zieht, und mir einen Teil davon ablässt; ich wollte viel darum geben, wenn ich mir dabei auch Zutrauen gegen die Weiber ermäkeln könnte, denn es ist eine hübsche Nichte im Hause, und ich merke wohl, wenn ich wollte, könnte ich bald ein gemachter Mann sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":828,"orig":"Sie wiſſen wohl noch nicht, ſagte Madame Melina, daß ſich indeſſen auch unter uns eine Heirath gemacht hat?","norm":"Sie wissen wohl noch nicht, sagte Madame Melina, dass sich indessen auch unter uns eine Heirat gemacht hat?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":829,"orig":"Serlo iſt wirklich mit der ſchönen Otilie öffentlich getraut, da der Vater ihre heimliche Vertraulichkeit nicht gut heißen wollte.","norm":"Serlo ist wirklich mit der schönen Otilie öffentlich getraut, da der Vater ihre heimliche Vertraulichkeit nicht gutheißen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":830,"orig":"So unterhielten ſie ſich über manches, was ſich in ſeiner Abweſenheit zugetragen hatte, und er konnte gar wohl bemerken, daß er, dem Geiſt und dem Sinne der Geſellſchaft nach, wirklich längſt verabſchiedet war.","norm":"So unterhielten sie sich über manches, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte, und er konnte gar wohl bemerken, dass er, dem Geist und dem Sinne der Gesellschaft nach, wirklich längst verabschiedet war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":831,"orig":"Mit Ungedult erwartete er die Alte, die ihm tief in der Nacht ihren ſonderbaren Beſuch angekündigt hatte.","norm":"Mit Ungeduld erwartete er die Alte, die ihm tief in der Nacht ihren sonderbaren Besuche angekündigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":832,"orig":"Sie wollte kommen, wenn alles ſchlief, und verlangte ſolche Vorbereitungen und Vorſichten, eben als wenn das jüngſte Mädchen ſich zu einem Geliebten ſchleichen wollte.","norm":"Sie wollte kommen, wenn alles schlief, und verlangte solche Vorbereitungen und Vorsichten, eben als wenn das jüngste Mädchen sich zu einem Geliebten schleichen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":833,"orig":"Er las indeß Marianens Brief wohl hundertmal durch, las mit unausſprechlichem Entzücken das Wort Treue von ihrer geliebten Hand, und mit Entſetzen die Ankündigung ihres Todes, deſſen Annäherung ſie nicht zu fürchten ſchien.","norm":"Er las indes Marianes Brief wohl hundertmal durch, las mit unaussprechlichem Entzücken das Wort Treue von ihrer geliebten Hand, und mit Entsetzen die Ankündigung ihres Todes, dessen Annäherung sie nicht zu fürchten schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":834,"orig":"Mitternacht war vorbey, als etwas an der halboffnen Thüre rauſchte, und die Alte mit einem Körbchen hereintrat: ich ſoll Euch, ſagte ſie, die Geſchichte unſerer Leiden erzählen, und ich muß erwarten, daß Ihr ungerührt dabey ſitzt, daß Ihr nur, um Eure Neugierde zu befriedigen, mich ſo ſorgſam erwartet, und daß Ihr Euch jetzt, wie damals, in Eure kalte Eigenliebe hüllet, wenn uns das Herz bricht.","norm":"Mitternacht war vorbei, als etwas an der halboffenen Türe rauschte, und die Alte mit einem Körbchen hereintrat: Ich soll Euch, sagte sie, die Geschichte unserer Leiden erzählen, und ich muss erwarten, dass Ihr ungerührt dabei sitzt, dass Ihr nur, um Eure Neugierde zu befriedigen, mich so sorgsam erwartet, und dass Ihr Euch jetzt, wie damals, in Eure kalte Eigenliebe hüllet, wenn uns das Herz bricht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":835,"orig":"Aber ſeht her!","norm":"Aber seht her!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":836,"orig":"ſo brachte ich an jenem glücklichen Abend die Champagnerflaſche hervor, ſo ſtellte ich die drey Gläſer auf den Tiſch, und ſo fingt Ihr an, uns mit gutmüthigen Kindergeſchichten zu täuſchen und einzuſchläfern, wie ich Euch jetzt mit traurigen Wahrheiten aufklären und wach erhalten muß.","norm":"so brachte ich an jenem glücklichen Abend die Champagnerflasche hervor, so stellte ich die drei Gläser auf den Tisch, und so fingt Ihr an, uns mit gutmütigen Kindergeschichten zu täuschen und einzuschläfern, wie ich Euch jetzt mit traurigen Wahrheiten aufklären und wach erhalten muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":837,"orig":"Wilhelm wußte nicht, was er ſagen ſollte, als die Alte wirklich den Stöpſel ſpringen ließ, und die drey Gläſer vollſchenkte.","norm":"Wilhelm wusste nicht, was er sagen sollte, als die Alte wirklich den Stöpsel springen ließ, und die drei Gläser vollschenkte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":838,"orig":"Trinkt!","norm":"Trinkt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":839,"orig":"rief ſie, nachdem ſie ihr ſchäumendes Glas ſchnell ausgeleert hatte, trinkt!","norm":"rief sie, nachdem sie ihr schäumendes Glas schnell ausgeleert hatte, trinkt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":840,"orig":"eh’ der Geiſt verraucht!","norm":"ehe der Geist verraucht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":841,"orig":"dieſes dritte Glas ſoll zum Andenken meiner unglücklichen Freundin ungenoſſen verſchäumen.","norm":"Dieses dritte Glas soll zum Andenken meiner unglücklichen Freundin ungenossen verschäumen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":842,"orig":"Wie roth waren ihre Lippen, als ſie Euch damals Beſcheid that!","norm":"Wie rot waren ihre Lippen, als sie Euch damals Bescheid tat!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":843,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":844,"orig":"und nun auf ewig verblaßt und erſtarrt!","norm":"und nun auf ewig verblasst und erstarrt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":845,"orig":"Sibylle!","norm":"Sibylle!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":846,"orig":"Furie!","norm":"Furie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":847,"orig":"rief Wilhelm aus, indem er aufſprang und mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlug, welch ein böſer Geiſt beſitzt und treibt Dich?","norm":"rief Wilhelm aus, indem er aufsprang und mit der Faust auf den Tisch schlug, welch ein böser Geist besitzt und treibt Dich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":848,"orig":"für wen hältſt Du mich, daß Du denkſt, die einfachſte Geſchichte von Marianens Tod und Leiden werde mich nicht empfindlich genug kränken, daß Du noch ſolche hölliſche Kunſtgriffe brauchſt, um meine Marter zu ſchärfen.","norm":"für wen hältst Du mich, dass Du denkst, die einfachste Geschichte von Marianes Tod und Leiden werde mich nicht empfindlich genug kränken, dass Du noch solche höllische Kunstgriffe brauchst, um meine Marter zu schärfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":849,"orig":"Geht Deine unerſättliche Völlerey ſo weit, daß Du beym Todtenmahle ſchwelgen mußt, ſo trink und rede!","norm":"Geht Deine unersättliche Völlerei so weit, dass Du beim Totenmahle schwelgen musst, so trinke und rede!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":850,"orig":"Ich habe Dich von je her verabſcheut, und noch kann ich mir Marianen nicht unſchuldig denken, wenn ich Dich, ihre Geſellſchafterin, nur anſehe.","norm":"Ich habe Dich von jeher verabscheut, und noch kann ich mir Mariane nicht unschuldig denken, wenn ich Dich, ihre Gesellschafterin, nur ansehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":851,"orig":"Gemach, mein Herr!","norm":"Gemach, mein Herr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":852,"orig":"verſetzte die Alte: Sie werden mich nicht aus meiner Faſſung bringen.","norm":"versetzte die Alte: Sie werden mich nicht aus meiner Fassung bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":853,"orig":"Sie ſind uns noch ſehr verſchuldet, und von einem Schuldner läßt man ſich nicht übel begegnen.","norm":"Sie sind uns noch sehr verschuldet, und von einem Schuldner lässt man sich nicht übel begegnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":854,"orig":"Aber Sie haben recht, auch meine einfachſte Erzählung iſt Strafe genug für Sie.","norm":"Aber Sie haben recht, auch meine einfachste Erzählung ist Strafe genug für Sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":855,"orig":"So hören Sie denn den Kampf und den Sieg Marianens, um die Ihrige zu bleiben.","norm":"So hören Sie denn den Kampf und den Sieg Marianes, um die Ihrige zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":856,"orig":"Die Meinige!","norm":"Die Meinige!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":857,"orig":"rief Wilhelm aus, welch ein Mährchen willſt Du beginnen?","norm":"rief Wilhelm aus, welch ein Märchen willst Du beginnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":858,"orig":"Unterbrechen Sie mich nicht, fiel ſie ein, hören Sie mich, und dann glauben Sie, was Sie wollen, es iſt ohnedem jetzt ganz einerley.","norm":"Unterbrechen Sie mich nicht, fiel sie ein, hören Sie mich, und dann glauben Sie, was Sie wollen, es ist ohnedem jetzt ganz einerlei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":859,"orig":"Haben Sie nicht am letzten Abend, als Sie bey uns waren, ein Billet gefunden und mitgenommen?","norm":"Haben Sie nicht am letzten Abend, als Sie bei uns waren, ein Billett gefunden und mitgenommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":860,"orig":"Ich fand das Blatt erſt, als ich es mitgenommen hatte, es war in das Halstuch verwickelt, das ich aus inbrünſtiger Liebe in den Buſen ſteckte.","norm":"Ich fand das Blatt erst, als ich es mitgenommen hatte, es war in das Halstuch verwickelt, das ich aus inbrünstiger Liebe in den Busen steckte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":861,"orig":"Was enthielt das Papier?","norm":"Was enthielt das Papier?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":862,"orig":"Die Ausſichten eines verdrießlichen Liebhabers, in der nächſten Nacht beſſer, als geſtern aufgenommen zu werden.","norm":"Die Aussichten eines verdrießlichen Liebhabers, in der nächsten Nacht besser, als gestern aufgenommen zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":863,"orig":"Und daß man ihm Wort gehalten hat, habe ich mit eignen Augen geſehen, denn er ſchlich früh vor Tage aus Eurem Hauſe hinweg.","norm":"Und dass man ihm Wort gehalten hat, habe ich mit eigenen Augen gesehen, denn er schlich früh vor Tage aus Eurem Hause hinweg."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":864,"orig":"Sie können ihn geſehen haben; aber was bey uns vorging, wie traurig Mariane dieſe Nacht, wie verdrießlich ich ſie zubrachte, das werden Sie erſt jetzt erfahren.","norm":"Sie können ihn gesehen haben; aber was bei uns vorging, wie traurig Mariane diese Nacht, wie verdrießlich ich sie zubrachte, das werden Sie erst jetzt erfahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":865,"orig":"Ich will ganz aufrichtig ſeyn, weder leugnen noch beſchönigen, daß ich Marianen beredete, ſich einem gewiſſen Norberg zu ergeben, ſie folgte, ja ich kann ſagen ſie gehorchte mir mit Widerwillen; er war reich, er ſchien verliebt, und ich hoffte er werde beſtändig ſeyn.","norm":"Ich will ganz aufrichtig sein, weder leugnen noch beschönigen, dass ich Mariane beredete, sich einem gewissen Norberg zu ergeben, sie folgte, ja ich kann sagen sie gehorchte mir mit Widerwillen; er war reich, er schien verliebt, und ich hoffte er werde beständig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":866,"orig":"Gleich darauf mußte er eine Reiſe machen, und Mariane lernte Sie kennen, was hatte ich da nicht auszuſtehen!","norm":"Gleich darauf musste er eine Reise machen, und Mariane lernte Sie kennen, was hatte ich da nicht auszustehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":867,"orig":"was zu hindern!","norm":"was zu hindern!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":868,"orig":"was zu erdulden!","norm":"was zu erdulden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":869,"orig":"o!","norm":"o!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":870,"orig":"rief ſie manchmal, hätteſt du meiner Jugend, meiner Unſchuld nur noch vier Wochen geſchont, ſo hätte ich einen würdigen Gegenſtand meiner Liebe gefunden, ich wäre ſeiner würdig geweſen, und die Liebe hätte das mit einem ruhigen Bewußtſeyn geben dürfen, was ich jetzt wider Willen verkauft habe.","norm":"rief sie manchmal, hättest du meiner Jugend, meiner Unschuld nur noch vier Wochen geschont, so hätte ich einen würdigen Gegenstand meiner Liebe gefunden, ich wäre seiner würdig gewesen, und die Liebe hätte das mit einem ruhigen Bewusstsein geben dürfen, was ich jetzt wider Willen verkauft habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":871,"orig":"Sie überließ ſich ganz ihrer Neigung, und ich darf nicht fragen, ob ſie glücklich waren?","norm":"Sie überließ sich ganz ihrer Neigung, und ich darf nicht fragen, ob sie glücklich waren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":872,"orig":"Ich hatte eine uneingeſchränkte Gewalt über ihren Verſtand, denn ich kannte alle Mittel ihre kleinen Neigungen zu befriedigen; ich hatte keine Macht über ihr Herz, denn niemals billigte ſie, was ich für ſie that, wozu ich ſie bewegte, wenn ihr Herz widerſprach, nur der unbezwinglichen Noth gab ſie nach, und die Noth erſchien ihr bald ſehr drückend.","norm":"Ich hatte eine uneingeschränkte Gewalt über ihren Verstand, denn ich kannte alle Mittel ihre kleinen Neigungen zu befriedigen; ich hatte keine Macht über ihr Herz, denn niemals billigte sie, was ich für sie tat, wozu ich sie bewegte, wenn ihr Herz widersprach, nur der unbezwinglichen Not gab sie nach, und die Not erschien ihr bald sehr drückend."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":873,"orig":"In den erſten Zeiten ihrer Jugend hatte es ihr an nichts gemangelt, ihre Familie verlohr durch eine Verwickelung von Umſtänden ihr Vermögen, das arme Mädchen war an mancherley Bedürfniſſe gewöhnt, und ihrem kleinen Gemüth waren gewiſſe gute Grundſätze eingeprägt, die ſie unruhig machten, ohne ihr viel zu helfen.","norm":"In den ersten Zeiten ihrer Jugend hatte es ihr an nichts gemangelt, ihre Familie verlor durch eine Verwickelung von Umständen ihr Vermögen, das arme Mädchen war an mancherlei Bedürfnisse gewöhnt, und ihrem kleinen Gemüt waren gewisse gute Grundsätze eingeprägt, die sie unruhig machten, ohne ihr viel zu helfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":874,"orig":"Sie hatte nicht die mindeſte Gewandtheit in weltlichen Dingen, ſie war unſchuldig im eigentlichen Sinne; ſie hatte keinen Begriff, daß man kaufen könne, ohne zu bezahlen, für nichts war ihr mehr bange, als wenn ſie ſchuldig war, ſie hätte immer lieber gegeben als genommen, und nur eine ſolche Lage machte es möglich, daß ſie genöthigt ward, ſich ſelbſt hinzugeben, um eine Menge kleiner Schulden los zu werden.","norm":"Sie hatte nicht die mindeste Gewandtheit in weltlichen Dingen, sie war unschuldig im eigentlichen Sinne; sie hatte keinen Begriff, dass man kaufen könne, ohne zu bezahlen, für nichts war ihr mehr bange, als wenn sie schuldig war, sie hätte immer lieber gegeben als genommen, und nur eine solche Lage machte es möglich, dass sie genötigt wurde, sich selbst hinzugeben, um eine Menge kleiner Schulden loszuwerden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":875,"orig":"Und hätteſt Du, fuhr Wilhelm auf, ſie nicht retten können?","norm":"Und hättest Du, fuhr Wilhelm auf, sie nicht retten können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":876,"orig":"O ja, verſetzte die Alte, mit Hunger und Noth, mit Kummer und Entbehrung, und darauf war ich niemals eingerichtet.","norm":"O ja, versetzte die Alte, mit Hunger und Not, mit Kummer und Entbehrung, und darauf war ich niemals eingerichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":877,"orig":"Abſcheuliche, niederträchtige Kupplerinn!","norm":"Abscheuliche, niederträchtige Kupplerin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":878,"orig":"ſo haſt Du das unglückliche Geſchöpf geopfert?","norm":"so hast Du das unglückliche Geschöpf geopfert?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":879,"orig":"ſo haſt Du ſie Deiner Kehle, Deinem unerſättlichen Heißhunger hingegeben?","norm":"so hast Du sie Deiner Kehle, Deinem unersättlichen Heißhunger hingegeben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":880,"orig":"Ihr thätet beſſer Euch zu mäßigen, und mit Schimpfreden inne zu halten, verſetzte die Alte.","norm":"Ihr tätet besser Euch zu mäßigen, und mit Schimpfreden innezuhalten, versetzte die Alte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":881,"orig":"Wenn Ihr ſchimpfen wollt, ſo geht in Eure großen vornehmen Häuſer, da werdet Ihr Mütter finden, die recht ängſtlich beſorgt ſind, wie ſie für ein liebenswürdiges, himmliſches Mädchen den allerabſcheulichſten Menſchen auffinden wollen, wenn er nur zugleich der reichſte iſt.","norm":"Wenn Ihr schimpfen wollt, so geht in Eure großen vornehmen Häuser, da werdet Ihr Mütter finden, die recht ängstlich besorgt sind, wie sie für ein liebenswürdiges, himmlisches Mädchen den allerabscheulichsten Menschen auffinden wollen, wenn er nur zugleich der reichste ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":882,"orig":"Seht das arme Geſchöpf vor ſeinem Schickſale zittern und beben, und nirgends Troſt finden, als bis ihr irgend eine erfahrne Freundin begreiflich macht, daß ſie durch den Eheſtand das Recht erwerbe, über ihr Herz und ihre Perſon künftig nach Gefallen diſponiren zu können.","norm":"Seht das arme Geschöpf vor seinem Schicksale zittern und beben, und nirgends Trost finden, als bis ihr irgendeine erfahrene Freundin begreiflich macht, dass sie durch den Ehestand das Recht erwerbe, über ihr Herz und ihre Person künftig nach Gefallen disponieren zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":883,"orig":"Schweig!","norm":"Schweige!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":884,"orig":"rief Wilhelm, glaubſt Du denn, daß ein Verbrechen durch das andere entſchuldigt werden könne?","norm":"rief Wilhelm, glaubst Du denn, dass ein Verbrechen durch das andere entschuldigt werden könne?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":885,"orig":"erzähle!","norm":"Erzähle!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":886,"orig":"ohne weitere Anmerkungen zu machen.","norm":"ohne weitere Anmerkungen zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":887,"orig":"So hören Sie, ohne mich zu tadeln!","norm":"So hören Sie, ohne mich zu tadeln!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":888,"orig":"Mariane ward wider meinen Willen die Ihre.","norm":"Mariane wurde wider meinen Willen die Ihre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":889,"orig":"Bey dieſem Abentheuer habe ich mir wenigſtens nichts vorzuwerfen.","norm":"Bei diesem Abenteuer habe ich mir wenigstens nichts vorzuwerfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":890,"orig":"Norberg kam zurück, er eilte Marianen zu ſehen, die ihn kalt und verdrießlich aufnahm, und ihm nicht einen Kuß erlaubte.","norm":"Norberg kam zurück, er eilte Mariane zu sehen, die ihn kalt und verdrießlich aufnahm, und ihm nicht einen Kuss erlaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":891,"orig":"Ich brauchte meine ganze Kunſt, um ihr Betragen zu entſchuldigen, ich ließ ihn merken, daß ein Beichtvater ihr das Gewiſſen geſchärft habe, und daß man ein Gewiſſen, ſo lange es ſpricht, reſpectiren.","norm":"Ich brauchte meine ganze Kunst, um ihr Betragen zu entschuldigen, ich ließ ihn merken, dass ein Beichtvater ihr das Gewissen geschärft habe, und dass man ein Gewissen, solange es spricht, respektieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":892,"orig":"müſſe.","norm":"müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":893,"orig":"Ich brachte ihn dahin, daß er ging, und ich verſprach ihm mein Beſtes zu thun.","norm":"Ich brachte ihn dahin, dass er ging, und ich versprach ihm mein Bestes zu tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":894,"orig":"Er war reich und roh, aber er hatte einen Grund von Gutmüthigkeit, und liebte Marianen auf das äußerſte.","norm":"Er war reich und roh, aber er hatte einen Grund von Gutmütigkeit, und liebte Mariane auf das äußerste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":895,"orig":"Er verſprach mir Geduld, und ich arbeitete deſto lebhafter, um ihn nicht zu ſehr zu prüfen.","norm":"Er versprach mir Geduld, und ich arbeitete desto lebhafter, um ihn nicht zu sehr zu prüfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":896,"orig":"Ich hatte mit Marianen einen harten Stand, ich überredete ſie, ja ich kann ſagen, ich zwang ſie endlich, durch die Drohung daß ich ſie verlaſſen würde, an ihren Liebhaber zu ſchreiben, und ihn auf die Nacht einzuladen.","norm":"Ich hatte mit Mariane einen harten Stand, ich überredete sie, ja ich kann sagen, ich zwang sie endlich, durch die Drohung dass ich sie verlassen würde, an ihren Liebhaber zu schreiben, und ihn auf die Nacht einzuladen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":897,"orig":"Sie kamen und rafften zufälliger Weiſe ſeine Antwort in dem Halstuch auf.","norm":"Sie kamen und rafften zufälligerweise seine Antwort in dem Halstuch auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":898,"orig":"Ihre unvermuthete Gegenwart hatte mir ein böſes Spiel gemacht.","norm":"Ihre unvermutete Gegenwart hatte mir ein böses Spiel gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":899,"orig":"Kaum waren Sie weg, ſo ging die Qual von neuem an, ſie ſchwur, daß ſie Ihnen nicht untreu werden könne, und war ſo leidenſchaftlich, ſo außer ſich, daß ſie mir ein herzliches Mitleid ablockte; ich verſprach ihr endlich, daß ich auch dieſe Nacht Norbergen beruhigen, und ihn unter allerley Vorwändeu entfernen wollte; ich bat ſie zu Bette zu gehen, allein ſie ſchien mir nicht zu trauen: ſie blieb angezogen, und ſchlief zuletzt, bewegt und ausgeweint, wie ſie war, in ihren Kleidern ein.","norm":"Kaum waren Sie weg, so ging die Qual von neuem an, sie schwur, dass sie Ihnen nicht untreu werden könne, und war so leidenschaftlich, so außer sich, dass sie mir ein herzliches Mitleid ablockte; Ich versprach ihr endlich, dass ich auch diese Nacht Norberg beruhigen, und ihn unter allerlei Vorwänden entfernen wollte; ich bat sie zu Bette zu gehen, allein sie schien mir nicht zu trauen: Sie blieb angezogen, und schlief zuletzt, bewegt und ausgeweint, wie sie war, in ihren Kleidern ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":900,"orig":"Norberg kam, ich ſuchte ihn abzuhalten, ich ſtellte ihm ihre Gewiſſensbiſſe, ihre Reue mit den ſchwärzeſten Farben vor, er wünſchte ſie nur zu ſehen, und ich ging in das Zimmer, um ſie vorzubereiten, er ſchritt mir nach, und wir traten beyde zu gleicher Zeit vor ihr Bette.","norm":"Norberg kam, ich suchte ihn abzuhalten, ich stellte ihm ihre Gewissensbisse, ihre Reue mit den schwärzesten Farben vor, er wünschte sie nur zu sehen, und ich ging in das Zimmer, um sie vorzubereiten, er schritt mir nach, und wir traten beide zu gleicher Zeit vor ihr Bette."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":901,"orig":"Sie erwachte, ſprang mit Wuth auf und entriß ſich unſern Armen; ſie beſchwur und bat, ſie flehte, drohte und verſicherte, daß ſie nicht nachgeben würde.","norm":"Sie erwachte, sprang mit Wut auf und entriss sich unseren Armen; sie beschwor und bat, sie flehte, drohte und versicherte, dass sie nicht nachgeben würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":902,"orig":"Sie war unvorſichtig genug, über ihre wahre Leidenſchaft einige Worte fallen zu laſſen, die der arme Norberg im geiſtlichen Sinne deuten mußte.","norm":"Sie war unvorsichtig genug, über ihre wahre Leidenschaft einige Worte fallen zu lassen, die der arme Norberg im geistlichen Sinne deuten musste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":903,"orig":"Endlich verließ er ſie, und ſie ſchloß ſich ein.","norm":"Endlich verließ er sie, und sie schloss sich ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":904,"orig":"Ich behielt ihn noch lange bey mir, und ſprach mit ihm über ihren Zuſtand, daß ſie guter Hoffnung ſey, und daß man das arme Mädchen ſchonen müſſe.","norm":"Ich behielt ihn noch lange bei mir, und sprach mit ihm über ihren Zustand, dass sie guter Hoffnung sei, und dass man das arme Mädchen schonen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":905,"orig":"Er fühlte ſich ſo ſtolz auf ſeine Vaterſchaft, er freute ſich ſo ſehr auf einen Knaben, daß er alles einging, was ſie von ihm verlangte, und daß er verſprach lieber einige Zeit zu verreiſen, als ſeine Geliebte zu ängſtigen, und ihr durch dieſe Gemüthsbewegungen zu ſchaden.","norm":"Er fühlte sich so stolz auf seine Vaterschaft, er freute sich so sehr auf einen Knaben, dass er alles einging, was sie von ihm verlangte, und dass er versprach lieber einige Zeit zu verreisen, als seine Geliebte zu ängstigen, und ihr durch diese Gemütsbewegungen zu schaden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":906,"orig":"Mit dieſen Geſinnungen ſchlich er Morgens früh von mir weg, und Sie, mein Herr, wenn Sie Schildwache geſtanden haben, ſo hätte es zu ihrer Glückſeeligkeit nichts weiter bedurft, als in den Buſen ihres Nebenbuhlers zu ſehen, den Sie ſo begünſtigt, ſo glücklich hielten, und deſſen Erſcheinung Sie zur Verzweiflung brachte.","norm":"Mit diesen Gesinnungen schlich er Morgens früh von mir weg, und Sie, mein Herr, wenn Sie Schildwache gestanden haben, so hätte es zu Ihrer Glückseligkeit nichts weiter bedurft, als in den Busen Ihres Nebenbuhlers zu sehen, den Sie so begünstigt, so glücklich hielten, und dessen Erscheinung Sie zur Verzweiflung brachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":907,"orig":"Redeſt Du wahr?","norm":"Redest Du wahr?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":908,"orig":"ſagte Wilhelm.","norm":"sagte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":909,"orig":"So wahr, ſagte die Alte, als ich noch hoffe Sie zur Verzweiflung zu bringen.","norm":"So wahr, sagte die Alte, als ich noch hoffe Sie zur Verzweiflung zu bringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":910,"orig":"Ja gewis Sie würden verzweifeln, wenn ich Ihnen das Bild unſers nächſten Morgens recht lebhaft darſtellen könnte.","norm":"Ja gewiss Sie würden verzweifeln, wenn ich Ihnen das Bild unseres nächsten Morgens recht lebhaft darstellen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":911,"orig":"Wie heiter wachte ſie auf!","norm":"Wie heiter wachte sie auf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":912,"orig":"wie freundlich rief ſie mich herein!","norm":"wie freundlich rief sie mich herein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":913,"orig":"wie lebhaft dankte ſie mir!","norm":"wie lebhaft dankte sie mir!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":914,"orig":"wie herzlich drückte ſie mich an ihren Buſen!","norm":"wie herzlich drückte sie mich an ihren Busen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":915,"orig":"Nun, ſagte ſie, indem ſie lächelnd vor den Spiegel trat, darf ich mich wieder an mir ſelbſt, mich an meiner Geſtalt freuen, da ich wieder mir, da ich meinem einzig geliebten Freund angehöre.","norm":"Nun, sagte sie, indem sie lächelnd vor den Spiegel trat, darf ich mich wieder an mir selbst, mich an meiner Gestalt freuen, da ich wieder mir, da ich meinem einzig geliebten Freund angehöre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":916,"orig":"Wie iſt es ſo ſüß überwunden zu haben!","norm":"Wie ist es so süß überwunden zu haben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":917,"orig":"welch eine himmliſche Empfindung iſt es ſeinem Herzen zu folgen!","norm":"welch eine himmlische Empfindung ist es seinem Herzen zu folgen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":918,"orig":"Wie dank ich dir, daß du dich meiner angenommen, daß du deine Klugheit, deinen Verſtand auch einmal zu meinem Vortheil angewendet haſt!","norm":"Wie danke ich dir, dass du dich meiner angenommen, dass du deine Klugheit, deinen Verstand auch einmal zu meinem Vorteil angewendet hast!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":919,"orig":"ſteh mir bey, und erſinne, was mich ganz glücklich machen kann.","norm":"stehe mir bei, und ersinne, was mich ganz glücklich machen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":920,"orig":"Ich gab ihr nach, ich wollte ſie nicht reizen, ich ſchmeichelte ihrer Hoffnung, und ſie liebkoßte mich auf das anmuthigſte.","norm":"Ich gab ihr nach, ich wollte sie nicht reizen, ich schmeichelte ihrer Hoffnung, und sie liebkoste mich auf das anmutigste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":921,"orig":"Entfernte ſie ſich einen Augenblick vom Fenſter, ſo mußte ich Wache ſtehen, denn Sie ſollten nun ein für allemal vorbey gehen, man wollte Sie wenigſtens ſehen, ſo ging der ganze Tag unruhig hin.","norm":"Entfernte sie sich einen Augenblick vom Fenster, so musste ich Wache stehen, denn Sie sollten nun ein für allemal vorbeigehen, man wollte Sie wenigstens sehen, so ging der ganze Tag unruhig hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":922,"orig":"Nachts, zur gewöhnlichen Stunde, erwarteten wir Sie ganz gewis, ich paßte ſchon an der Treppe, die Zeit ward mir lang, ich ging wieder zu ihr hinein.","norm":"Nachts, zur gewöhnlichen Stunde, erwarteten wir Sie ganz gewiss, Ich passte schon an der Treppe, die Zeit wurde mir lang, ich ging wieder zu ihr hinein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":923,"orig":"Ich fand ſie zu meiner Verwunderung in ihrer Officierstracht, ſie ſah unglaublich heiter und reizend aus.","norm":"Ich fand sie zu meiner Verwunderung in ihrer Offizierstracht, sie sah unglaublich heiter und reizend aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":924,"orig":"Verdien’ ich nicht, ſagte ſie, heute in Mannstracht zu erſcheinen?","norm":"Verdiene ich nicht, sagte sie, heute in Mannstracht zu erscheinen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":925,"orig":"habe ich mich nicht brav gehalten.","norm":"Habe ich mich nicht brav gehalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":926,"orig":"Mein Geliebter ſoll mich heute wie das erſtemal ſehen, ich will ihn ſo zärtlich und mit mehr Freiheit an mein Herz drücken, als damals; denn bin ich jetzt nicht vielmehr die ſeine als damals, da mich ein edler Entſchluß noch nicht frey gemacht hatte?","norm":"Mein Geliebter soll mich heute wie das erste Mal sehen, ich will ihn so zärtlich und mit mehr Freiheit an mein Herz drücken, als damals; denn bin ich jetzt nicht viel mehr die Seine als damals, da mich ein edler Entschluss noch nicht frei gemacht hatte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":927,"orig":"Aber, fügte ſie nach einigem Nachdenken hinzu, noch hab ich nicht ganz gewonnen, noch muß ich erſt das Äußerſte wagen, um ſeiner werth, um ſeines Beſitzes gewis zu ſeyn; ich muß ihm alles entdecken, meinen ganzen Zuſtand offenbaren, und ihm alsdann überlaſſen, ob er mich behalten oder verſtoßen will, dieſe Scene bereite ich ihm, bereite ich mir zu, und wäre ſein Gefühl mich zu verſtoßen fähig; ſo würde ich alsdann ganz wieder mir ſelbſt angehören, ich würde in meiner Strafe meinen Troſt finden, und alles erdulden, was das Schickſal mir auferlegen wollte.","norm":"Aber, fügte sie nach einigem Nachdenken hinzu, noch habe ich nicht ganz gewonnen, noch muss ich erst das Äußerste wagen, um seiner wert, um seines Besitzes gewiss zu sein; ich muss ihm alles entdecken, meinen ganzen Zustand offenbaren, und ihm alsdann überlassen, ob er mich behalten oder verstoßen will, diese Szene bereite ich ihm, bereite ich mir zu, und wäre sein Gefühl mich zu verstoßen fähig; so würde ich alsdann ganz wieder mir selbst angehören, ich würde in meiner Strafe meinen Trost finden, und alles erdulden, was das Schicksal mir auferlegen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":928,"orig":"Mit dieſen Geſinnungen, mit dieſen Hoffnungen, mein Herr, erwartete Sie das liebenswürdige Mädchen, Sie kamen nicht; o!","norm":"Mit diesen Gesinnungen, mit diesen Hoffnungen, mein Herr, erwartete Sie das liebenswürdige Mädchen, Sie kamen nicht; o!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":929,"orig":"wie ſoll ich den Zuſtand des Wartens und Hoffens beſchreiben?","norm":"wie soll ich den Zustand des Wartens und Hoffens beschreiben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":930,"orig":"Ich ſehe dich noch vor mir, mit welcher Liebe, mit welcher Inbrunſt du von dem Manne ſprachſt, deſſen Grauſamkeit du noch nicht erfahren hatteſt.","norm":"Ich sehe dich noch vor mir, mit welcher Liebe, mit welcher Inbrunst du von dem Manne sprachst, dessen Grausamkeit du noch nicht erfahren hattest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":931,"orig":"Gute liebe Barbara, rief Wilhelm, indem er aufſprang und die Alte bey der Hand faßte: es iſt nun genug der Verſtellung, genug der Vorbereitung!","norm":"Gute liebe Barbara, rief Wilhelm, indem er aufsprang und die Alte bei der Hand fasste: Es ist nun genug der Verstellung, genug der Vorbereitung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":932,"orig":"Dein gleichgültiger, Dein ruhiger, Dein zufriedner Ton hat Dich verrathen.","norm":"Dein gleichgültiger, Dein ruhiger, Dein zufriedener Ton hat Dich verraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":933,"orig":"Gieb mir Marianen wieder, ſie lebt, ſie iſt in der Nähe.","norm":"Gib mir Mariane wieder, sie lebt, sie ist in der Nähe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":934,"orig":"Nicht umſonſt haſt Du dieſe ſpäte einſame Stunde zu Deinem Beſuche gewählt, nicht umſonſt haſt Du mich durch dieſe entzückende Erzählung vorbereitet.","norm":"Nicht umsonst hast Du diese späte einsame Stunde zu Deinem Besuche gewählt, nicht umsonst hast Du mich durch diese entzückende Erzählung vorbereitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":935,"orig":"Wo haſt Du ſie?","norm":"Wo hast Du sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":936,"orig":"wo verbirgſt Du ſie?","norm":"Wo verbirgst Du sie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":937,"orig":"ich glaube Dir alles, ich verſpreche Dir alles zu glauben, wenn Du mir ſie zeigſt, wenn Du ſie meinen Armen wieder giebſt.","norm":"Ich glaube Dir alles, ich verspreche Dir alles zu glauben, wenn Du mir sie zeigst, wenn Du sie meinen Armen wiedergibst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":938,"orig":"Ihren Schatten habe ich ſchon im Fluge geſehen, laß mich ſie wieder in meine Arme faſſen!","norm":"Ihren Schatten habe ich schon im Fluge gesehen, lass mich sie wieder in meine Arme fassen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":939,"orig":"Ich will vor ihr auf den Knien liegen, ich will ſie um Vergebung bitten, ich will ihr zu ihrem Kampfe, zu ihrem Siege über ſich und dich Glück wünſchen, ich will ihr meinen Felix zuführen.","norm":"Ich will vor ihr auf den Knien liegen, ich will sie um Vergebung bitten, ich will ihr zu ihrem Kampfe, zu ihrem Siege über sich und dich Glück wünschen, ich will ihr meinen Felix zuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":940,"orig":"Komm!","norm":"Komme!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":941,"orig":"wo haſt Du ſie verſteckt?","norm":"Wo hast Du sie versteckt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":942,"orig":"laß ſie, laß mich nicht länger in Ungewisheit, Dein Endzweck iſt erreicht, wo haſt Du ſie verborgen?","norm":"lass sie, lass mich nicht länger in Ungewissheit, Dein Endzweck ist erreicht, wo hast Du sie verborgen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":943,"orig":"Komm, daß ich ſie mit dieſem Licht beleuchte!","norm":"Komme, dass ich sie mit diesem Licht beleuchte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":944,"orig":"daß ich wieder ihr holdes Angeſicht ſehe!","norm":"dass ich wieder ihr holdes Angesicht sehe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":945,"orig":"Er hatte die Alte vom Stuhl aufgezogen, ſie ſah ihn ſtarr an, die Thränen ſtürzten ihr aus den Augen, und ein ungeheurer Schmerz ergriff ſie.","norm":"Er hatte die Alte vom Stuhl aufgezogen, sie sah ihn starr an, die Tränen stürzten ihr aus den Augen, und ein ungeheurer Schmerz ergriff sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":946,"orig":"Welch ein unglücklicher Irrthum, rief ſie aus, läßt Sie noch einen Augenblick hoffen!","norm":"Welch ein unglücklicher Irrtum, rief sie aus, lässt Sie noch einen Augenblick hoffen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":947,"orig":"— Ja, ich habe ſie verborgen, aber unter die Erde, weder das Licht der Sonne noch eine vertrauliche Kerze wird ihr holdes Angeſicht jemals wieder erleuchten.","norm":"— Ja, ich habe sie verborgen, aber unter die Erde, weder das Licht der Sonne noch eine vertrauliche Kerze wird ihr holdes Angesicht jemals wieder erleuchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":948,"orig":"Führen Sie den guten Felix an ihr Grab, und ſagen Sie ihm, da liegt deine Mutter, die dein Vater ungehört verdammt hat.","norm":"Führen Sie den guten Felix an ihr Grab, und sagen Sie ihm, da liegt deine Mutter, die dein Vater ungehört verdammt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":949,"orig":"Das liebe Herz ſchlägt nicht mehr vor Ungeduld Sie zu ſehen, nicht etwa in einer benachbarten Kammer wartet ſie auf den Ausgang meiner Erzählung, oder meines Mährchens, die dunkle Kammer hat ſie aufgenommen, wohin kein Bräutigam folgt, woraus man keinem Geliebten entgegen geht.","norm":"Das liebe Herz schlägt nicht mehr vor Ungeduld Sie zu sehen, nicht etwa in einer benachbarten Kammer wartet sie auf den Ausgang meiner Erzählung, oder meines Märchens, die dunkle Kammer hat sie aufgenommen, wohin kein Bräutigam folgt, woraus man keinem Geliebten entgegengeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":950,"orig":"Sie warf ſich auf die Erde an einem Stuhle nieder, und weinte bitterlich;","norm":"Sie warf sich auf die Erde an einem Stuhle nieder, und weinte bitterlich;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":951,"orig":"Wilhelm war zum erſtenmale völlig überzeugt, daß Mariane todt ſey, er befand ſich in einem traurigen Zuſtande.","norm":"Wilhelm war zum ersten Male völlig überzeugt, dass Mariane tot sei, er befand sich in einem traurigen Zustande."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":952,"orig":"Die Alte hub ſich auf.","norm":"Die Alte hob sich auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":953,"orig":"Ich habe Ihnen weiter nichts zu ſagen, rief ſie, und warf ein Packet auf den Tiſch, hier dieſe Briefſchaften mögen völlig Ihre Grauſamkeit beſchämen, leſen Sie dieſe Blätter mit trocknen Augen durch, wenn es Ihnen möglich iſt.","norm":"Ich habe Ihnen weiter nichts zu sagen, rief sie, und warf ein Paket auf den Tisch, hier diese Briefschaften mögen völlig Ihre Grausamkeit beschämen, lesen Sie diese Blätter mit trocknen Augen durch, wenn es Ihnen möglich ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":954,"orig":"Sie ſchlich leiſe fort, und Wilhelm hatte dieſe Nacht das Herz nicht, die Brieftaſche zu öffnen, er hatte ſie ſelbſt Marianen geſchenkt, er wußte, daß ſie jedes Blättchen, das ſie von ihm erhalten hatte, ſorgfältig darinn aufhob.","norm":"Sie schlich leise fort, und Wilhelm hatte diese Nacht das Herz nicht, die Brieftasche zu öffnen, er hatte sie selbst Mariane geschenkt, er wusste, dass sie jedes Blättchen, das sie von ihm erhalten hatte, sorgfältig darin aufhob."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":955,"orig":"Den andern Morgen vermochte er es über ſich, er lößte das Band, und es fielen ihm kleine Zettelchen mit Bleyſtift von ſeiner eigenen Hand geſchrieben entgegen, und riefen ihm jede Situation von dem Erſten Tage ihrer anmuthigen Bekanntſchaft, bis zu dem letzten ihrer grauſamen Trennung, wieder herbey.","norm":"Den anderen Morgen vermochte er es über sich, er löste das Band, und es fielen ihm kleine Zettelchen mit Bleistift von seiner eigenen Hand geschrieben entgegen, und riefen ihm jede Situation von dem Ersten Tage ihrer anmutigen Bekanntschaft, bis zu dem letzten ihrer grausamen Trennung, wieder herbei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":956,"orig":"Allein nicht ohne die lebhafteſten Schmerzen durchlas er eine kleine Sammlung von Billeten, die an ihn geſchrieben waren, und die, wie er aus dem Inhalt ſah, von Wernern waren zurückgewieſen worden.","norm":"Allein nicht ohne die lebhaftesten Schmerzen durchlas er eine kleine Sammlung von Billetts, die an ihn geschrieben waren, und die, wie er aus dem Inhalt sah, von Wernern waren zurückgewiesen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":957,"orig":"Keines meiner Blätter hat bis zu Dir durchdringen können, mein Bitten und Flehen hat Dich nicht erreicht; haſt Du ſelbſt dieſe grauſamen Befehle gegeben?","norm":"Keines meiner Blätter hat bis zu Dir durchdringen können, mein Bitten und Flehen hat Dich nicht erreicht; hast Du selbst diese grausamen Befehle gegeben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":958,"orig":"ſoll ich Dich nie wieder ſehen?","norm":"Soll ich Dich nie wiedersehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":959,"orig":"noch einmal verſuch ich es, ich bitte Dich: komm, o komm!","norm":"Noch einmal versuche ich es, ich bitte Dich: komme, o komme!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":960,"orig":"ich verlange Dich nicht zu behalten, wenn ich Dich nur noch einmal an mein Herz drücken kann.","norm":"ich verlange Dich nicht zu behalten, wenn ich Dich nur noch einmal an mein Herz drücken kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":961,"orig":"Wenn ich ſonſt bey Dir ſaß, Deine Hände hielt, Dir in die Augen ſah, und mit vollem Herzen der Liebe und des Zutrauens zu Dir ſagte: lieber, lieber guter Mann!","norm":"Wenn ich sonst bei Dir saß, Deine Hände hielt, Dir in die Augen sah, und mit vollem Herzen der Liebe und des Zutrauens zu Dir sagte: lieber, lieber guter Mann!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":962,"orig":"das hörteſt Du ſo gern, ich mußt’ es Dir ſo oft wiederholen, ich wiederhole es noch einmal; lieber, lieber guter Mann!","norm":"das hörtest Du so gern, ich musste es Dir so oft wiederholen, ich wiederhole es noch einmal; lieber, lieber guter Mann!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":963,"orig":"ſey gut, wie Du warſt, komm und laß mich nicht in meinem Elende verderben.","norm":"sei gut, wie Du warst, komme und lass mich nicht in meinem Elende verderben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":964,"orig":"Du hältſt mich für ſchuldig, ich bin es auch, aber nicht wie Du denkſt.","norm":"Du hältst mich für schuldig, ich bin es auch, aber nicht wie Du denkst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":965,"orig":"Komm, damit ich nur den einzigen Troſt habe, von Dir ganz gekannt zu ſeyn, es gehe mir nachher wie es wolle.","norm":"Komme, damit ich nur den einzigen Trost habe, von Dir ganz gekannt zu sein, es gehe mir nachher wie es wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":966,"orig":"Nicht um meinet willen, allein auch um Dein ſelbſt willen fleh ich Dich an, zu kommen.","norm":"Nicht um meinetwillen, allein auch um Dein selbst Willen flehe ich Dich an, zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":967,"orig":"Ich fühle die unerträglichen Schmerzen, die Du leideſt, indem Du mich fliehſt; komm, daß unſere Trennung weniger grauſam werde!","norm":"Ich fühle die unerträglichen Schmerzen, die Du leidest, indem Du mich fliehst; komme, dass unsere Trennung weniger grausam werde!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":968,"orig":"Ich war vielleicht nie Deiner würdig, als eben in dem Augenblick, da Du mich in ein grenzenloſes Elend zurück ſtößeſt.","norm":"Ich war vielleicht nie Deiner würdig, als eben in dem Augenblick, da Du mich in ein grenzenloses Elend zurückstößest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":969,"orig":"Bey allem, was heilig iſt, bey allem, was ein menſchliches Herz rühren kann, ruf ich Dich an!","norm":"Bei allem, was heilig ist, bei allem, was ein menschliches Herz rühren kann, Ruf ich Dich an!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":970,"orig":"es iſt um eine Seele, es iſt um ein Leben zu thun, um zwey Leben, von denen Dir eins ewig theuer ſeyn muß.","norm":"Es ist um eine Seele, es ist um ein Leben zu tun, um zwei Leben, von denen Dir eins ewig teuer sein muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":971,"orig":"Dein Argwohn wird auch das nicht glauben, und doch werde ich es in der Stunde des Todes ausſprechen: das Kind, das ich unter dem Herzen trage, iſt Dein.","norm":"Dein Argwohn wird auch das nicht glauben, und doch werde ich es in der Stunde des Todes aussprechen: das Kind, das ich unter dem Herzen trage, ist Dein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":972,"orig":"Seitdem ich Dich liebe, hat kein anderer mir auch nur die Hand gedrückt; o daß Deine Liebe, daß Deine Rechtſchaffenheit die Gefährten meiner Jugend geweſen wären!","norm":"Seitdem ich Dich liebe, hat kein anderer mir auch nur die Hand gedrückt; o dass Deine Liebe, dass Deine Rechtschaffenheit die Gefährten meiner Jugend gewesen wären!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":973,"orig":"Du willſt mich nicht hören?","norm":"Du willst mich nicht hören?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":974,"orig":"ſo muß ich denn zuletzt wohl verſtummen, aber dieſe Blätter ſollen nicht untergehen, vielleicht können ſie noch zu Dir ſprechen, wenn das Leichentuch ſchon meine Lippe bedeckt, und wenn die Stimme Deiner Reue nicht mehr zu meinem Ohr reichen kann.","norm":"so muss ich denn zuletzt wohl verstummen, aber diese Blätter sollen nicht untergehen, vielleicht können sie noch zu Dir sprechen, wenn das Leichentuch schon meine Lippe bedeckt, und wenn die Stimme Deiner Reue nicht mehr zu meinem Ohr reichen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":975,"orig":"Durch mein trauriges Leben bis an den letzten Augenblick wird das mein einziger Troſt ſeyn: daß ich ohne Schuld gegen Dich war, wenn ich mich auch nicht unſchuldig nennen durfte.","norm":"Durch mein trauriges Leben bis an den letzten Augenblick wird das mein einziger Trost sein: dass ich ohne Schuld gegen Dich war, wenn ich mich auch nicht unschuldig nennen durfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":976,"orig":"Wilhelm konnte nicht weiter, er überließ ſich ganz ſeinem Schmerz, aber noch mehr war er bedrängt, als Laertes herein trat, dem er ſeine Empfindungen zu verbergen ſuchte.","norm":"Wilhelm konnte nicht weiter, er überließ sich ganz seinem Schmerz, aber noch mehr war er bedrängt, als Laertes hereintrat, dem er seine Empfindungen zu verbergen suchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":977,"orig":"Dieſer brachte einen Beutel mit Ducaten hervor, zählte und rechnete, und verſicherte Wilhelmen: es ſey nichts ſchöneres in der Welt, als wenn man eben auf dem Wege ſey reich zu werden, es könne uns auch alsdenn nichts ſtören oder abhalten.","norm":"Dieser brachte einen Beutel mit Dukaten hervor, zählte und rechnete, und versicherte Wilhelm: Es sei nichts Schöneres in der Welt, als wenn man eben auf dem Wege sei reich zu werden, es könne uns auch alsdann nichts stören oder abhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":978,"orig":"Wilhelm erinnerte ſich ſeines Traums und lächelte; aber zugleich gedachte er auch mit Schaudern: daß in jenem Traumgeſichte Mariane ihn verlaſſen, um ſeinem verſtorbenen Vater zu folgen, und daß beyde zuletzt wie Geiſter ſchwebend ſich um den Garten bewegt hatten.","norm":"Wilhelm erinnerte sich seines Traums und lächelte; aber zugleich gedachte er auch mit Schaudern: dass in jenem Traumgesichte Mariane ihn verlassen, um seinem verstorbenen Vater zu folgen, und dass beide zuletzt wie Geister schwebend sich um den Garten bewegt hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":979,"orig":"Laertes riß ihn aus ſeinem Nachdenken, und führte ihn auf ein Kaffeehaus, wo ſich ſogleich mehrere Perſonen um ihn verſammelten, die ihn ſonſt gern auf dem Theater geſehen hatten, ſie freuten ſich ſeiner Gegenwart, bedauerten aber, daß er, wie ſie hörten, die Bühne verlaſſen wolle; ſie ſprachen ſo beſtimmt und vernünftig von ihm und ſeinem Spiele, von dem Grade ſeines Talentes, von ihren Hoffnungen, daß Wilhelm nicht ohne Rührung zuletzt ausrief: o wie unendlich werth wäre mir dieſe Theilnahme vor wenig Monaten geweſen!","norm":"Laertes riss ihn aus seinem Nachdenken, und führte ihn auf ein Kaffeehaus, wo sich sogleich mehrere Personen um ihn versammelten, die ihn sonst gern auf dem Theater gesehen hatten, sie freuten sich seiner Gegenwart, bedauerten aber, dass er, wie sie hörten, die Bühne verlassen wolle; sie sprachen so bestimmt und vernünftig von ihm und seinem Spiele, von dem Grade seines Talentes, von ihren Hoffnungen, dass Wilhelm nicht ohne Rührung zuletzt ausrief: o wie unendlich wert wäre mir diese Teilnahme vor wenig Monaten gewesen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":980,"orig":"wie belehrend und wie erfreuend!","norm":"Wie belehrend und wie erfreuend!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":981,"orig":"niemals hätte ich mein Gemüth ſo ganz von der Bühne abgewendet, und niemals wäre ich ſo weit gekommen, am Publiko zu verzweifeln.","norm":"Niemals hätte ich mein Gemüt so ganz von der Bühne abgewendet, und niemals wäre ich so weit gekommen, am Publikum zu verzweifeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":982,"orig":"Dazu ſollte es überhaupt nicht kommen, ſagte ein ältlicher Mann, der hervortrat, das Publikum iſt groß, wahrer Verſtand und wahres Gefühl ſind nicht ſo ſelten als man glaubt, nur muß der Künſtler niemals einen unbedingten Beyfall für das, was er hervorbringt, verlangen, denn eben der unbedingte iſt am wenigſten werth, und den bedingten wollen die Herren nicht gerne.","norm":"Dazu sollte es überhaupt nicht kommen, sagte ein ältlicher Mann, der hervortrat, das Publikum ist groß, wahrer Verstand und wahres Gefühl sind nicht so selten als man glaubt, nur muss der Künstler niemals einen unbedingten Beifall für das, was er hervorbringt, verlangen, denn eben der unbedingte ist am wenigsten wert, und den bedingten wollen die Herren nicht gerne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":983,"orig":"Ich weiß wohl, im Leben wie in der Kunſt muß man mit ſich zu Rathe gehen, wenn man etwas thun und hervorbringen ſoll; wenn es aber gethan oder vollendet iſt, ſo darf man mit Aufmerkſamkeit nur viele hören, und man kann ſich mit einiger Übung aus dieſen vielen Stimmen gar bald ein ganzes Urtheil zuſammen ſetzen, denn diejenigen, die uns dieſe Mühe erſparen könnten, halten ſich meiſt ſtille genug.","norm":"Ich weiß wohl, im Leben wie in der Kunst muss man mit sich zu Rate gehen, wenn man etwas tun und hervorbringen soll; wenn es aber getan oder vollendet ist, so darf man mit Aufmerksamkeit nur viele hören, und man kann sich mit einiger Übung aus diesen vielen Stimmen gar bald ein ganzes Urteil zusammensetzen, denn diejenigen, die uns diese Mühe ersparen könnten, halten sich meist stille genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":984,"orig":"Das ſollten ſie eben nicht, ſagte Wilhelm, ich habe ſo oft gehört, daß Menſchen, die ſelbſt über gute Werke ſchwiegen, doch beklagten und bedauerten, daß geſchwiegen wird.","norm":"Das sollten sie eben nicht, sagte Wilhelm, Ich habe so oft gehört, dass Menschen, die selbst über gute Werke schwiegen, doch beklagten und bedauerten, dass geschwiegen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":985,"orig":"So wollen wir heute laut werden, rief ein junger Mann, Sie müſſen mit uns ſpeiſen, und wir wollen alles einholen, was wir Ihnen und manchmal der guten Aurelie ſchuldig geblieben ſind.","norm":"So wollen wir heute laut werden, rief ein junger Mann, Sie müssen mit uns speisen, und wir wollen alles einholen, was wir Ihnen und manchmal der guten Aurelie schuldig geblieben sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":986,"orig":"Wilhelm lehnte die Einladung ab, und begab ſich zu Madame Melina, die er wegen der Kinder ſprechen wollte, indem er ſie von ihr wegzunehmen gedachte.","norm":"Wilhelm lehnte die Einladung ab, und begab sich zu Madame Melina, die er wegen der Kinder sprechen wollte, indem er sie von ihr wegzunehmen gedachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":987,"orig":"Das Geheimnis der Alten war nicht zum beſten bey ihm verwahrt.","norm":"Das Geheimnis der Alten war nicht zum besten bei ihm verwahrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":988,"orig":"Er verrieth ſich, als er den ſchönen Felix wieder anſichtig ward.","norm":"Er verriet sich, als er den schönen Felix wieder ansichtig wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":989,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":990,"orig":"mein Kind!","norm":"mein Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":991,"orig":"rief er aus, mein liebes Kind!","norm":"rief er aus, mein liebes Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":992,"orig":"er hub ihn auf, und drückte ihn an ſein Herz.","norm":"Er hob ihn auf, und drückte ihn an sein Herz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":993,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":994,"orig":"was haſt Du mir mitgebracht, rief das Kind.","norm":"was hast Du mir mitgebracht, rief das Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":995,"orig":"Mignon ſah beyde an, als wenn es ſie warnen wollte, ſich nicht zu verrathen.","norm":"Mignon sah beide an, als wenn es sie warnen wollte, sich nicht zu verraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":996,"orig":"Was iſt das für eine neue Erſcheinung?","norm":"Was ist das für eine neue Erscheinung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":997,"orig":"ſagte Madame Melina.","norm":"sagte Madame Melina."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":998,"orig":"Man ſuchte die Kinder bey Seite zu bringen, und Wilhelm, der der Alten das ſtrengſte Geheimnis nicht ſchuldig zu ſeyn glaubte, entdeckte ſeiner Freundin das ganze Verhältnis.","norm":"Man suchte die Kinder beiseitezubringen, und Wilhelm, der der Alten das strengste Geheimnis nicht schuldig zu sein glaubte, entdeckte seiner Freundin das ganze Verhältnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":999,"orig":"Madame Melina ſah ihn lächelnd an.","norm":"Madame Melina sah ihn lächelnd an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1000,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1001,"orig":"über die leichtglaubigen Männer!","norm":"über die leichtgläubigen Männer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1002,"orig":"rief ſie aus, wenn nur etwas auf ihrem Wege iſt; ſo kann man es ihnen ſehr leicht aufbürden, aber dafür ſehen ſie ſich auch ein andermal weder rechts noch links um, und wiſſen nichts zu ſchätzen, als was ſie vorher mit dem Stempel einer willkührlichen Leidenſchaft bezeichnet haben.","norm":"rief sie aus, wenn nur etwas auf ihrem Wege ist; so kann man es ihnen sehr leicht aufbürden, aber dafür sehen sie sich auch ein andermal weder rechts noch links um, und wissen nichts zu schätzen, als was sie vorher mit dem Stempel einer willkürlichen Leidenschaft bezeichnet haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1003,"orig":"Sie konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und wenn Wilhelm nicht ganz blind geweſen wäre, ſo hätte er eine nie ganz beſiegte Neigung in ihrem Betragen erkennen müſſen.","norm":"Sie konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und wenn Wilhelm nicht ganz blind gewesen wäre, so hätte er eine nie ganz besiegte Neigung in ihrem Betragen erkennen müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1004,"orig":"Er ſprach nun mehr mit ihr von den Kindern, wie er Felix bey ſich zu behalten und Mignon auf das Land zu thun gedächte.","norm":"Er sprach nunmehr mit ihr von den Kindern, wie er Felix bei sich zu behalten und Mignon auf das Land zu tun gedächte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1005,"orig":"Frau Melina, ob ſie ſich gleich ungerne von beyden zugleich trennte, fand doch den Vorſchlag gut, ja nothwendig;","norm":"Frau Melina, ob sie sich gleich ungern von beiden zugleich trennte, fand doch den Vorschlag gut, ja notwendig;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1006,"orig":"Felix verwilderte bey ihr, und Mignon ſchien einer freyen Luft und anderer Verhältniſſe zu bedürfen, das gute Kind war kränklich und konnte ſich nicht erholen.","norm":"Felix verwilderte bei ihr, und Mignon schien einer freien Luft und anderer Verhältnisse zu bedürfen, das gute Kind war kränklich und konnte sich nicht erholen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1007,"orig":"Laſſen Sie ſich nicht irren, fuhr Madame Melina fort, daß ich einige Zweifel, ob Ihnen der Knabe wirklich zugehöre, leichtſinnig geäußert habe.","norm":"Lassen Sie sich nicht irren, fuhr Madame Melina fort, dass ich einige Zweifel, ob Ihnen der Knabe wirklich zugehöre, leichtsinnig geäußert habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1008,"orig":"Der Alten iſt freylich wenig zu trauen, doch kann eins, das Unwahrheit zu ſeinem Nutzen erſinnt, auch einmal wahr reden, wenn es die Wahrheiten nützlich findet.","norm":"Der Alten ist freilich wenig zu trauen, doch kann eins, das Unwahrheit zu seinem Nutzen ersinnt, auch einmal wahr reden, wenn es die Wahrheiten nützlich findet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1009,"orig":"Aurelien hatte die Alte vorgeſpiegelt, Felix ſey ein Sohn Lothario’s, und die Eigenheit haben wir Weiber, daß wir die Kinder unſerer Liebhaber recht herzlich lieben, wenn wir ſchon die Mutter nicht kennen, oder ſie von Herzen haſſen.","norm":"Aurelie hatte die Alte vorgespiegelt, Felix sei ein Sohn Lotharios, und die Eigenheit haben wir Weiber, dass wir die Kinder unserer Liebhaber recht herzlich lieben, wenn wir schon die Mutter nicht kennen, oder sie von Herzen hassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1010,"orig":"Felix kam herein geſprungen, ſie drückte ihn an ſich, mit einer Lebhaftigkeit, die ihr ſonst nicht gewöhnlich war.","norm":"Felix kam hereingesprungen, sie drückte ihn an sich, mit einer Lebhaftigkeit, die ihr sonst nicht gewöhnlich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1011,"orig":"Wilhelm eilte nach Hauſe, und beſtellte die Alte, die ihn, jedoch nicht eher als in der Dämmerung, zu beſuchen verſprach; er empfing ſie verdrießlich, und ſagte zu ihr:","norm":"Wilhelm eilte nach Hause, und bestellte die Alte, die ihn, jedoch nicht eher als in der Dämmerung, zu besuchen versprach; er empfing sie verdrießlich, und sagte zu ihr:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1012,"orig":"Es iſt nichts ſchändlichers in der Welt, als ſich auf Lügen und Mährchen einzurichten!","norm":"Es ist nichts Schändlicheres in der Welt, als sich auf Lügen und Märchen einzurichten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1013,"orig":"ſchon haſt Du viel Böſes damit geſtiftet, und jetzt, da Dein Wort das Glück meines Lebens entſcheiden könnte, jetzt ſteh ich zweifelhaft, und wage nicht das Kind in meine Arme zu ſchließen, deſſen ungetrübter Beſitz mich äußerſt glücklich machen würde.","norm":"Schon hast Du viel Böses damit gestiftet, und jetzt, da Dein Wort das Glück meines Lebens entscheiden könnte, jetzt stehe ich zweifelhaft, und wage nicht das Kind in meine Arme zu schließen, dessen ungetrübter Besitz mich äußerst glücklich machen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1014,"orig":"Ich kann Dich, ſchändliche Kreatur, nicht ohne Haß und Verachtung anſehen.","norm":"Ich kann Dich, schändliche Kreatur, nicht ohne Hass und Verachtung ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1015,"orig":"Euer Betragen kommt mir, wenn ich aufrichtig reden ſoll, verſetzte die Alte, ganz unerträglich vor.","norm":"Euer Betragen kommt mir, wenn ich aufrichtig reden soll, versetzte die Alte, ganz unerträglich vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1016,"orig":"Und wenns nun Euer Sohn nicht wäre, ſo iſt es das ſchönſte, angenehmſte Kind von der Welt, das man gern für jeden Preis kaufen möchte, um es nur immer um ſich zu haben.","norm":"Und wenn es nun Euer Sohn nicht wäre, so ist es das schönste, angenehmste Kind von der Welt, das man gern für jeden Preis kaufen möchte, um es nur immer um sich zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1017,"orig":"Iſt es nicht werth, daß Ihr Euch ſeiner annehmt?","norm":"Ist es nicht wert, dass Ihr Euch seiner annehmt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1018,"orig":"verdiene ich für meine Sorgfalt, für meine Mühe mit ihm, nicht einen kleinen Unterhalt für mein künftiges Leben?","norm":"Verdiene ich für meine Sorgfalt, für meine Mühe mit ihm, nicht einen kleinen Unterhalt für mein künftiges Leben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1019,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1020,"orig":"ihr Herren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von Wahrheit und Gradheit reden; aber wie eine arme Kreatur, deren geringſtem Bedürfniß nichts entgegen kommt, die in ihren Verlegenheiten keinen Freund, keinen Rath, keine Hülfe ſieht, wie die ſich durch die ſelbſtiſchen Menſchen durchdrücken, und im Stillen darben muß — davon würde manches zu ſagen ſeyn, wenn ihr hören wolltet und könntet.","norm":"ihr Herren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von Wahrheit und Geradheit reden; aber wie eine arme Kreatur, deren geringstem Bedürfnis nichts entgegenkommt, die in ihren Verlegenheiten keinen Freund, keinen Rat, keine Hilfe sieht, wie die sich durch die selbstischen Menschen durchdrücken, und im Stillen darben muss — davon würde manches zu sagen sein, wenn ihr hören wolltet und könntet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1021,"orig":"Haben Sie Marianens Briefe geleſen?","norm":"Haben Sie Marianes Briefe gelesen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1022,"orig":"es ſind dieſelbigen, die ſie zu jener unglücklichen Zeit ſchrieb.","norm":"Es sind dieselbigen, die sie zu jener unglücklichen Zeit schrieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1023,"orig":"Vergebens ſuchte ich mich Ihnen zu nähern, vergebens Ihnen dieſe Blätter zuzuſtellen, Ihr grauſamer Schwager hatte Sie ſo umlagert, daß alle Liſt und Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er mir und Marianen mit dem Gefängniß drohte, mußte ich wohl alle Hoffnung aufgeben.","norm":"Vergebens suchte ich mich Ihnen zu nähern, vergebens Ihnen diese Blätter zuzustellen, Ihr grausamer Schwager hatte Sie so umlagert, dass alle List und Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er mir und Mariane mit dem Gefängnis drohte, musste ich wohl alle Hoffnung aufgeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1024,"orig":"Trifft nicht alles mit dem überein, was ich erzählt habe?","norm":"Trifft nicht alles mit dem überein, was ich erzählt habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1025,"orig":"und ſetzt nicht Norbergs Brief die ganze Geſchichte außer allem Zweifel?","norm":"und setzt nicht Norbergs Brief die ganze Geschichte außer allem Zweifel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1026,"orig":"Was für ein Brief?","norm":"Was für ein Brief?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1027,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1028,"orig":"Haben Sie ihn nicht in der Brieftaſche gefunden?","norm":"Haben Sie ihn nicht in der Brieftasche gefunden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1029,"orig":"verſetzte die Alte.","norm":"versetzte die Alte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1030,"orig":"Ich habe noch nicht alles durchleſen.","norm":"Ich habe noch nicht alles durchlesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1031,"orig":"Geben Sie nur die Brieftaſche her, auf dieſes Document kömmt alles an.","norm":"Geben Sie nur die Brieftasche her, auf dieses Dokument kommt alles an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1032,"orig":"Norbergs unglückliches Billet hat die traurige Verwirrung gemacht, ein anderes von ſeiner Hand mag auch den Knoten löſen, in ſo fern am Faden noch etwas gelegen iſt.","norm":"Norbergs unglückliches Billett hat die traurige Verwirrung gemacht, ein anderes von seiner Hand mag auch den Knoten lösen, insofern am Faden noch etwas gelegen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1033,"orig":"Sie nahm ein Blatt aus der Brieftaſche, Wilhelm erkannte jene verhaßte Hand, er nahm ſich zuſammen und las.","norm":"Sie nahm ein Blatt aus der Brieftasche, Wilhelm erkannte jene verhasste Hand, er nahm sich zusammen und las."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1034,"orig":"»Sag mir nur, Mädchen, wie vermagſt Du das über mich?","norm":"»Sage mir nur, Mädchen, wie vermagst Du das über mich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1035,"orig":"hätt’ ich doch nicht geglaubt, daß eine Göttinn ſelbſt mich zum ſeufzenden Liebhaber umſchaffen könnte.","norm":"hätte ich doch nicht geglaubt, dass eine Göttin selbst mich zum seufzenden Liebhaber umschaffen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1036,"orig":"An ſtatt mir mit offenen Armen entgegen zu eilen, ziehſt Du Dich zurück; man hätte es wahrhaftig für Abſcheu nehmen können, wie Du Dich betrugſt.","norm":"Anstatt mir mit offenen Armen entgegenzueilen, ziehst Du Dich zurück; man hätte es wahrhaftig für Abscheu nehmen können, wie Du Dich betrugst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1037,"orig":"Iſts erlaubt, daß ich die Nacht mit der alten Barbara auf einem Koffer in einer Kammer zubringen mußte?","norm":"Ist es erlaubt, dass ich die Nacht mit der alten Barbara auf einem Koffer in einer Kammer zubringen musste?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1038,"orig":"und mein geliebtes Mädchen war nur zwey Thüren davon.","norm":"und mein geliebtes Mädchen war nur zwei Türen davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1039,"orig":"Es iſt zu toll, ſag ich Dir!","norm":"Es ist zu toll, sage ich Dir!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1040,"orig":"Ich habe verſprochen Dir einige Bedenkzeit zu laſſen, nicht gleich in Dich zu dringen, und ich möchte raſend werden über jede verlohrne Viertelſtunde.","norm":"Ich habe versprochen Dir einige Bedenkzeit zu lassen, nicht gleich in Dich zu dringen, und ich möchte rasend werden über jede verlorene Viertelstunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1041,"orig":"Habe ich Dir nicht geſchenkt, was ich wußte und konnte?","norm":"Habe ich Dir nicht geschenkt, was ich wusste und konnte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1042,"orig":"zweifelſt Du noch an meiner Liebe?","norm":"Zweifelst Du noch an meiner Liebe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1043,"orig":"was willſt Du haben, ſag es nur?","norm":"Was willst Du haben, sage es nur?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1044,"orig":"es ſoll Dir an nichts fehlen.","norm":"es soll Dir an nichts fehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1045,"orig":"Ich wollte der Pfaffe müßte verſtummen und verblinden, der Dir ſolches Zeug in den Kopf geſetzt hat.","norm":"Ich wollte der Pfaffe müsste verstummen und verblinden, der Dir solches Zeug in den Kopf gesetzt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1046,"orig":"Mußteſt Du auch grade an ſo einen kommen!","norm":"Musstest Du auch gerade an so einen kommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1047,"orig":"Es giebt ſo viele, die jungen Leuten etwas nachzuſehen wiſſen.","norm":"Es gibt so viele, die jungen Leuten etwas nachzusehen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1048,"orig":"Genug ich ſage Dir, es muß anders werden, in ein paar Tagen muß ich Antwort wiſſen, denn ich gehe bald wieder weg, und wenn Du nicht wieder freundlich und gefällig biſt, ſo ſollſt Du mich nicht wieder ſehen.","norm":"Genug ich sage Dir, es muss anders werden, in ein paar Tagen muss ich Antwort wissen, denn ich gehe bald wieder weg, und wenn Du nicht wieder freundlich und gefällig bist, so sollst Du mich nicht wiedersehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1049,"orig":"« —","norm":"« —"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1050,"orig":"In dieſer Art ging der Brief noch lange fort, drehte ſich zu Wilhelms ſchmerzlicher Zufriedenheit immer um denſelben Punct herum, und zeugte für die Wahrheit der Geſchichte, die er von Barbara vernommen hatte.","norm":"In dieser Art ging der Brief noch lange fort, drehte sich zu Wilhelms schmerzlicher Zufriedenheit immer um denselben Punkt herum, und zeugte für die Wahrheit der Geschichte, die er von Barbara vernommen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1051,"orig":"Ein zweytes Blatt bewies deutlich, daß Mariane auch in der Folge nicht nachgegeben hatte, und Wilhelm vernahm aus dieſen und mehreren Papieren nicht ohne tiefen Schmerz die Geſchichte des unglücklichen Mädchens bis zur Stunde ihres Todes.","norm":"Ein zweites Blatt bewies deutlich, dass Mariane auch in der Folge nicht nachgegeben hatte, und Wilhelm vernahm aus diesen und mehreren Papieren nicht ohne tiefen Schmerz die Geschichte des unglücklichen Mädchens bis zur Stunde ihres Todes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1052,"orig":"Die Alte hatte den rohen Menſchen nach und nach zahm gemacht, indem ſie ihm den Tod Marianens meldete, und ihm den Glauben ließ, als wenn Felix ſein Sohn ſey; er hatte ihr einigemal Geld geſchickt, das ſie aber für ſich behielt, da ſie Aurelien die","norm":"Die Alte hatte den rohen Menschen nach und nach zahm gemacht, indem sie ihm den Tod Marianes meldete, und ihm den Glauben ließ, als wenn Felix sein Sohn sei; er hatte ihr einige Mal Geld geschickt, das sie aber für sich behielt, da sie Aurelie die"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1053,"orig":"Sorge für des Kindes Erziehung aufgeſchwatzt hatte.","norm":"Sorge für des Kindes Erziehung aufgeschwatzt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1054,"orig":"Aber leider dauerte dieſer heimliche Erwerb nicht lange.","norm":"Aber leider dauerte dieser heimliche Erwerbe nicht lange."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1055,"orig":"Norberg hatte durch ein wildes Leben den größten Theil ſeines Vermögens verzehrt, und wiederholte Liebesgeſchichten ſein Herz gegen ſeinen erſten, eingebildeten Sohn verhärtet.","norm":"Norberg hatte durch ein wildes Leben den größten Teil seines Vermögens verzehrt, und wiederholte Liebesgeschichten sein Herz gegen seinen ersten, eingebildeten Sohn verhärtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1056,"orig":"So wahrſcheinlich das alles lautete, und ſo ſchön es zuſammentraf, traute Wilhelm doch noch nicht, ſich der Freude zu überlaſſen, er ſchien ſich vor einem Geſchenke zu fürchten, das ihm ein böſer Genius darreichte.","norm":"So wahrscheinlich das alles lautete, und so schön es zusammentraf, traute Wilhelm doch noch nicht, sich der Freude zu überlassen, er schien sich vor einem Geschenke zu fürchten, das ihm ein böser Genius darreichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1057,"orig":"Ihre Zweifelſucht, ſagte die Alte, die ſeine Gemüthsſtimmung errieth, kann nur die Zeit heilen.","norm":"Ihre Zweifelsucht, sagte die Alte, die seine Gemütsstimmung erriet, kann nur die Zeit heilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1058,"orig":"Sehen Sie das Kind als ein fremdes an, und geben Sie deſto genauer auf ihn acht, bemerken Sie ſeine Gaben, ſeine Natur, ſeine Fähigkeiten, und wenn Sie nicht nach und nach ſich ſelbſt wieder erkennen, ſo müſſen Sie ſchlechte Augen haben.","norm":"Sehen Sie das Kind als ein fremdes an, und geben Sie desto genauer auf ihn acht, bemerken Sie seine Gaben, seine Natur, seine Fähigkeiten, und wenn Sie nicht nach und nach sich selbst wiedererkennen, so müssen Sie schlechte Augen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1059,"orig":"Denn das verſichre ich Sie, wenn ich ein Mann wäre, mir ſollte niemand ein Kind unterſchieben, aber es iſt ein Glück für die Weiber, daß die Männer in dieſen Fällen nicht ſo ſcharfſichtig ſind.","norm":"Denn das versichere ich Sie, wenn ich ein Mann wäre, mir sollte niemand ein Kind unterschieben, aber es ist ein Glück für die Weiber, dass die Männer in diesen Fällen nicht so scharfsichtig sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1060,"orig":"Nach allem dieſen ſetzte ſich Wilhelm mit der Alten aus einander, er wollte den Felix mit ſich nehmen, ſie ſollte Mignon zu Thereſen bringen, und hernach eine kleine Penſion, die er ihr verſprach, wo ſie wollte, verzehren.","norm":"Nach allem diesen setzte sich Wilhelm mit der Alten auseinander, er wollte den Felix mit sich nehmen, sie sollte Mignon zu Theresa bringen, und hernach eine kleine Pension, die er ihr versprach, wo sie wollte, verzehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1061,"orig":"Er ließ Mignon rufen, um ſie auf dieſe Veränderung vorzubereiten.","norm":"Er ließ Mignon rufen, um sie auf diese Veränderung vorzubereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1062,"orig":"— Meiſter!","norm":"— Meister!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1063,"orig":"ſagte ſie, behalte mich bey Dir, es wird mir wohl thun und weh.","norm":"sagte sie, behalte mich bei Dir, es wird mir wohltun und weh."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1064,"orig":"Er ſtellte ihr vor, daß ſie nun heran gewachſen ſey, und daß doch etwas für ihre weitere Bildung gethan werden müſſe; — ich bin gebildet genug, verſetzte ſie, um zu lieben und zu trauern.","norm":"Er stellte ihr vor, dass sie nun herangewachsen sei, und dass doch etwas für ihre weitere Bildung getan werden müsse; — Ich bin gebildet genug, versetzte sie, um zu lieben und zu trauern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1065,"orig":"Er machte ſie auf ihre Geſundheit aufmerkſam, daß ſie eine anhaltende Sorgfalt und die Leitung eines geſchickten Arztes bedürfe.","norm":"Er machte sie auf ihre Gesundheit aufmerksam, dass sie eine anhaltende Sorgfalt und die Leitung eines geschickten Arztes bedürfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1066,"orig":"— Warum ſoll man für mich ſorgen, ſagte ſie, da ſo viel zu ſorgen iſt.","norm":"— Warum soll man für mich Sorgen, sagte sie, da so viel zu Sorgen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1067,"orig":"Nachdem er ſich viele Mühe gegeben, ſie zu überzeugen, daß er ſie jetzt nicht mit ſich nehmen könne, daß er ſie zu Perſonen bringen wolle, wo er ſie öfters ſehen werde, ſchien ſie von allem dem nichts gehört zu haben.","norm":"Nachdem er sich viele Mühe gegeben, sie zu überzeugen, dass er sie jetzt nicht mit sich nehmen könne, dass er sie zu Personen bringen wolle, wo er sie öfters sehen werde, schien sie von allem dem nichts gehört zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1068,"orig":"Du willſt mich nicht bey Dir?","norm":"Du willst mich nicht bei Dir?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1069,"orig":"ſagte ſie, vielleicht iſt es beſſer, ſchicke mich zum alten Harfenſpieler, der arme Mann iſt ſo allein.","norm":"sagte sie, vielleicht ist es besser, schicke mich zum alten Harfenspieler, der arme Mann ist so allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1070,"orig":"Wilhelm ſuchte ihr begreiflich zu machen, daß der Alte gut aufgehoben ſey; — ich ſehne mich jede Stunde nach ihm, verſetzte das Kind.","norm":"Wilhelm suchte ihr begreiflich zu machen, dass der Alte gut aufgehoben sei; — Ich sehne mich jede Stunde nach ihm, versetzte das Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1071,"orig":"Ich habe aber nicht bemerkt, ſagte Wilhelm, daß Du ihm ſo geneigt ſeyſt, als er noch mit uns lebte — ich fürchtete mich vor ihm, wenn er wachte, ich konnte nur ſeine Augen nicht ſehen, aber wenn er ſchlief, ſetzte ich mich gern zu ihm, ich wehrte ihm die Fliegen, und konnte mich nicht ſatt an ihm ſehen.","norm":"Ich habe aber nicht bemerkt, sagte Wilhelm, dass Du ihm so geneigt seist, als er noch mit uns lebte — Ich fürchtete mich vor ihm, wenn er wachte, ich konnte nur seine Augen nicht sehen, aber wenn er schlief, setzte ich mich gern zu ihm, ich wehrte ihm die Fliegen, und konnte mich nicht satt an ihm sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1072,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1073,"orig":"er hat mir in ſchrecklichen Augenblicken beygeſtanden, es weiß niemand, was ich ihm ſchuldig bin.","norm":"er hat mir in schrecklichen Augenblicken beigestanden, es weiß niemand, was ich ihm schuldig bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1074,"orig":"Hätt’ ich nur den Weg gewußt, ich wäre ſchon zu ihm gelaufen.","norm":"Hätte ich nur den Weg gewusst, ich wäre schon zu ihm gelaufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1075,"orig":"Wilhelm ſtellte ihr die Umſtände weitläuftig vor, und ſagte: ſie ſey ſo ein vernünftiges Kind, ſie mögte doch auch diesmal ſeinen Wünſchen folgen.","norm":"Wilhelm stellte ihr die Umstände weitläufig vor, und sagte: Sie sei so ein vernünftiges Kind, sie möchte doch auch diesmal seinen Wünschen folgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1076,"orig":"— Die Vernunft iſt grauſam, verſetzte ſie, das Herz iſt beſſer, ich will hingehen, wohin Du willſt, aber laß mir Deinen Felix.","norm":"— Die Vernunft ist grausam, versetzte sie, das Herz ist besser, Ich will hingehen, wohin Du willst, aber lass mir Deinen Felix."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1077,"orig":"Nach vielem Hin – uud Wiederreden war ſie immer auf ihrem Sinne geblieben, und Wilhelm mußte ſich zuletzt entſchlieſſen die beyden Kinder der Alten zu übergeben, und ſie zuſammen an Fräulein Thereſe zu ſchicken.","norm":"Nach vielem Hin – und Widerreden war sie immer auf ihrem Sinne geblieben, und Wilhelm musste sich zuletzt entschließen die beiden Kinder der Alten zu übergeben, und sie zusammen an Fräulein Therese zu schicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1078,"orig":"Es ward ihm das um ſo leichter, als er ſich noch immer fürchtete, den ſchönen Felix ſich als ſeinen Sohn zuzueignen, er nahm ihn auf den Arm und trug ihn herum, das Kind mochte gern vor den Spiegel gehoben ſeyn, und, ohne ſich es zu geſtehen, trug Wilhelm ihn gern vor den Spiegel, und ſuchte dort Ähnlichkeiten zwiſchen ſich und dem Kinde auszuſpähen.","norm":"Es wurde ihm das um so leichter, als er sich noch immer fürchtete, den schönen Felix sich als seinen Sohn zuzueignen, er nahm ihn auf den Arm und trug ihn herum, das Kind mochte gern vor den Spiegel gehoben sein, und, ohne sich es zu gestehen, trug Wilhelm ihn gern vor den Spiegel, und suchte dort Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Kinde auszuspähen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1079,"orig":"Ward es ihm denn einen Augenblick recht wahrſcheinlich, ſo drückte er den Knaben an ſeine Bruſt, aber auf einmal, erſchreckt durch den Gedanken, daß er ſich betrügen könne, ſetzte er das Kind nieder, und ließ es hinlaufen.","norm":"Wurde es ihm denn einen Augenblick recht wahrscheinlich, so drückte er den Knaben an seine Brust, aber auf einmal, erschreckt durch den Gedanken, dass er sich betrügen könne, setzte er das Kind nieder, und ließ es hinlaufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1080,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1081,"orig":"rief er aus, wenn ich mir dieſes unſchätzbare Gut zueignen könnte, und es würde mir dann entriſſen, ſo wäre ich der Unglücklichſte aller Menſchen.","norm":"rief er aus, wenn ich mir dieses unschätzbare Gut zueignen könnte, und es würde mir dann entrissen, so wäre ich der Unglücklichste aller Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1082,"orig":"Die Kinder waren weggefahren, und Wilhelm wollte nun ſeinen förmlichen Abſchied vom Theater nehmen, als er fühlte daß er ſchon abgeſchieden ſey, und nur zu gehen brauchte.","norm":"Die Kinder waren weggefahren, und Wilhelm wollte nun seinen förmlichen Abschied vom Theater nehmen, als er fühlte dass er schon abgeschieden sei, und nur zu gehen brauchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1083,"orig":"Mariane war nicht mehr, ſeine zwey Schutzgeiſter hatten ſich entfernt, und ſeine Gedanken eilten ihnen nach.","norm":"Mariane war nicht mehr, seine zwei Schutzgeister hatten sich entfernt, und seine Gedanken eilten ihnen nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1084,"orig":"Der ſchöne Knabe ſchwebte wie eine reizende ungewiſſe Erſcheinung vor ſeiner Einbildungskraft, er ſah ihn, an Thereſens Hand, durch Felder und Wälder laufen, in der freyen Luft und neben einer freyen und heitern Begleiterinn ſich bilden;","norm":"Der schöne Knabe schwebte wie eine reizende ungewisse Erscheinung vor seiner Einbildungskraft, er sah ihn, an Theresens Hand, durch Felder und Wälder laufen, in der freien Luft und neben einer freien und heiteren Begleiterin sich bilden;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1085,"orig":"Thereſe war ihm noch viel werther geworden, ſeitdem er das Kind in ihrer Geſellſchaft dachte.","norm":"Therese war ihm noch viel werter geworden, seitdem er das Kind in ihrer Gesellschaft dachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1086,"orig":"Selbſt als Zuſchauer im Theater erinnerte er ſich ihrer mit Lächeln, beynahe war er in ihrem Falle, die Vorſtellungen machten ihm keine Illuſion mehr.","norm":"Selbst als Zuschauer im Theater erinnerte er sich ihrer mit Lächeln, beinahe war er in ihrem Falle, die Vorstellungen machten ihm keine Illusion mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1087,"orig":"Serlo und Melina waren äußerſt höflich gegen ihn, ſobald ſie merkten, daß er an ſeinen vorigen Platz keinen weitern Anſpruch machte; ein Theil des Publikums wünſchte ihn nochmals auftreten zu ſehen, es wäre ihm unmöglich geweſen, und bey der Geſellſchaft wünſchte es niemand, als allenfalls Frau Melina.","norm":"Serlo und Melina waren äußerst höflich gegen ihn, sobald sie merkten, dass er an seinen vorigen Platz keinen weitern Anspruch machte; ein Teil des Publikums wünschte ihn nochmals auftreten zu sehen, es wäre ihm unmöglich gewesen, und bei der Gesellschaft wünschte es niemand, als allenfalls Frau Melina."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1088,"orig":"Er nahm nun wirklich Abſchied von dieſer Freundin, er war gerührt, und ſagte:","norm":"Er nahm nun wirklich Abschied von dieser Freundin, er war gerührt, und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1089,"orig":"Wenn doch der Menſch ſich nicht vermeſſen wollte irgend etwas für die Zukunft zu verſprechen!","norm":"Wenn doch der Mensch sich nicht vermessen wollte irgendetwas für die Zukunft zu versprechen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1090,"orig":"das geringſte vermag er nicht zu halten, geſchweige wenn ſein Vorſatz von Bedeutung iſt.","norm":"Das Geringste vermag er nicht zu halten, geschweige wenn sein Vorsatz von Bedeutung ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1091,"orig":"Wie ſchäme ich mich, wenn ich denke, was ich Ihnen allen zuſammen in jener unglücklichen Nacht verſprach, da wir beraubt, krank, verletzt und verwundet in eine elende Sch enke zuſammen gedrängt waren.","norm":"Wie schäme ich mich, wenn ich denke, was ich Ihnen allen zusammen in jener unglücklichen Nacht versprach, da wir beraubt, krank, verletzt und verwundet in eine elende Sch enke zusammengedrängt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1092,"orig":"Wie erhöhte damals das Unglück meinen Muth, und welchen Schatz glaubte ich in meinem guten Willen zu finden; nun iſt aus allem dem nichts, gar nichts geworden!","norm":"Wie erhöhte damals das Unglück meinen Mut, und welchen Schatz glaubte ich in meinem guten Willen zu finden; nun ist aus allem dem nichts, gar nichts geworden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1093,"orig":"Ich verlaſſe Sie als Ihr Schuldner, und mein Glück iſt, daß man mein Verſprechen nicht mehr achtete, als es werth war, und daß niemand mich jemals deshalb gemahnt hat.","norm":"Ich verlasse Sie als Ihr Schuldner, und mein Glück ist, dass man mein Versprechen nicht mehr achtete, als es wert war, und dass niemand mich jemals deshalb gemahnt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1094,"orig":"Seyn Sie nicht ungerecht gegen ſich ſelbſt, verſetzte Frau Melina; wenn niemand erkennt, was Sie für uns gethan hatten, ſo werde ich es nicht verkennen; denn unſer ganzer Zuſtand wäre völlig anders, wenn wir Sie nicht beſeſſen hätten.","norm":"Sein Sie nicht ungerecht gegen sich selbst, versetzte Frau Melina; wenn niemand erkennt, was Sie für uns getan hatten, so werde ich es nicht verkennen; denn unser ganzer Zustand wäre völlig anders, wenn wir Sie nicht besessen hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1095,"orig":"Geht es doch unſern Vorſätzen, wie unſern Wünſchen.","norm":"Geht es doch unseren Vorsätzen, wie unseren Wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1096,"orig":"Sie ſehen ſich gar nicht mehr ähnlich, wenn ſie ausgeführt, wenn ſie erfüllt ſind, und wir glauben nichts gethan, nichts erlangt zu haben.","norm":"Sie sehen sich gar nicht mehr ähnlich, wenn sie ausgeführt, wenn sie erfüllt sind, und wir glauben nichts getan, nichts erlangt zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1097,"orig":"Sie werden, verſetzte Wilhelm, durch Ihre freundſchaftliche Auslegung mein Gewiſſen nicht beruhigen, und ich werde mir immer als Ihr Schuldner vorkommen.","norm":"Sie werden, versetzte Wilhelm, durch Ihre freundschaftliche Auslegung mein Gewissen nicht beruhigen, und ich werde mir immer als Ihr Schuldner vorkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1098,"orig":"Es iſt auch wohl möglich, daß Sie es ſind, verſetzte Madame Melina, nur nicht auf die Art, wie Sie es denken.","norm":"Es ist auch wohl möglich, dass Sie es sind, versetzte Madame Melina, nur nicht auf die Art, wie Sie es denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1099,"orig":"Wir rechnen uns zur Schande ein Verſprechen nicht zu erfüllen, das wir mit dem Munde gethan haben.","norm":"Wir rechnen uns zur Schande ein Versprechen nicht zu erfüllen, das wir mit dem Munde getan haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1100,"orig":"O, mein Freund, ein guter Menſch verſpricht durch ſeine Gegenwart nur immer zu viel!","norm":"O, mein Freund, ein guter Mensch verspricht durch seine Gegenwart nur immer zu viel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1101,"orig":"Das Vertrauen, das er hervor lockt, die Neigung, die er einflößt, die Hoffnungen, die er erregt, ſind unendlich, er wird und bleibt ein Schuldner, ohne es zu wiſſen.","norm":"Das Vertrauen, das er hervorlockt, die Neigung, die er einflößt, die Hoffnungen, die er erregt, sind unendlich, er wird und bleibt ein Schuldner, ohne es zu wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1102,"orig":"Leben Sie wohl.","norm":"Leben Sie wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1103,"orig":"Wenn unſere äußeren Umſtände ſich unter Ihrer Leitung recht glücklich hergeſtellt haben; ſo entſteht in meinen Innern durch Ihren Abſchied eine Lücke, die ſich ſo leicht nicht wieder ausfüllen wird.","norm":"Wenn unsere äußeren Umstände sich unter Ihrer Leitung recht glücklich hergestellt haben; so entsteht in meinen Inneren durch Ihren Abschied eine Lücke, die sich so leicht nicht wieder ausfüllen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1104,"orig":"Wilhelm ſchrieb vor ſeiner Abreiſe aus der Stadt noch einen weitläuftigen Brief an Wernern.","norm":"Wilhelm schrieb vor seiner Abreise aus der Stadt noch einen weitläufigen Brief an Wernern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1105,"orig":"Sie hatten zwar einige Briefe gewechſelt, aber weil ſie nicht einig werden konnten, hörten ſie zuletzt auf zu ſchreiben.","norm":"Sie hatten zwar einige Briefe gewechselt, aber weil sie nicht einig werden konnten, hörten sie zuletzt auf zu schreiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1106,"orig":"Nun hatte ſich Wilhelm wieder genähert, er war im Begriff dasjenige zu thun, was jener ſo ſehr wünſchte, er konnte ſagen: ich verlaſſe das Theater, und verbinde mich mit Männern, deren Umgang mich, in jedem Sinne, zu einer reinen und ſichern Thätigkeit führen muß.","norm":"Nun hatte sich Wilhelm wieder genähert, er war im Begriff dasjenige zu tun, was jener so sehr wünschte, er konnte sagen: Ich verlasse das Theater, und verbinde mich mit Männern, deren Umgang mich, in jedem Sinne, zu einer reinen und sichern Tätigkeit führen muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1107,"orig":"Er erkundigte ſich nach ſeinem Vermögen, und es ſchien ihm nunmehr ſonderbar, daß er ſo lange ſich nicht darum bekümmert hatte.","norm":"Er erkundigte sich nach seinem Vermögen, und es schien ihm nunmehr sonderbar, dass er so lange sich nicht darum bekümmert hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1108,"orig":"Er wußte nicht, daß es die Art aller der Menſchen ſey, denen an ihrer innern Bildung viel gelegen iſt, daß ſie die äußeren Verhältniſſe ganz und gar vernachläſſigen.","norm":"Er wusste nicht, dass es die Art aller der Menschen sei, denen an ihrer inneren Bildung viel gelegen ist, dass sie die äußeren Verhältnisse ganz und gar vernachlässigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1109,"orig":"Wilhelm hatte ſich in dieſem Falle befunden, er ſchien nunmehr zum erſtenmal zu merken, daß er äußerer Hülfsmittel bedürfe, um nachhaltig zu wirken.","norm":"Wilhelm hatte sich in diesem Falle befunden, er schien nunmehr zum ersten Mal zu merken, dass er äußerer Hilfsmittel bedürfe, um nachhaltig zu wirken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1110,"orig":"Er reiſte fort mit einem ganz andern Sinn, als das erſtemal; die Ausſichten, die ſich ihm zeigten, waren reizend, und er hoffte auf ſeinem Wege etwas frohes zu erleben.","norm":"Er reiste fort mit einem ganz anderen Sinn, als das erste Mal; die Aussichten, die sich ihm zeigten, waren reizend, und er hoffte auf seinem Wege etwas Frohes zu erleben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1111,"orig":"Als er nach Lothario’s Gut zurückkam, fand er eine große Veränderung.","norm":"Als er nach Lotharios Gut zurückkam, fand er eine große Veränderung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1112,"orig":"Jarno kam ihm entgegen mit der Nachricht, daß der Oheim geſtorben, daß Lothario hingegangen ſey, die hinterlaſſenen Güter in Beſitz zu nehmen.","norm":"Jarno kam ihm entgegen mit der Nachricht, dass der Oheim gestorben, dass Lothario hingegangen sei, die hinterlassenen Güter in Besitz zu nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1113,"orig":"Sie kommen eben zur rechten Zeit, ſagte er, um mir und dem Abbé beyzuſtehn.","norm":"Sie kommen eben zur rechten Zeit, sagte er, um mir und dem Abbé beizustehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1114,"orig":"Lothario hat uns den Handel um wichtige Güter in unſerer Nachbarſchaft aufgetragen; es war ſchon lange vorbereitet, und nun finden wir Geld und Credit eben zur rechten Stunde; das einzige war dabey bedenklich, daß ein auswärtiges Handelshaus auch ſchon auf dieſelben Güter Abſicht hatte, nun ſind wir kurz und gut entſchloſſen mit jenen gemeine Sache zu machen, denn ſonſt hätten wir uns ohne Noth und Vernunft hinaufgetrieben.","norm":"Lothario hat uns den Handel um wichtige Güter in unserer Nachbarschaft aufgetragen; es war schon lange vorbereitet, und nun finden wir Geld und Kredit eben zur rechten Stunde; das einzige war dabei bedenklich, dass ein auswärtiges Handelshaus auch schon auf dieselben Güter Absicht hatte, nun sind wir kurz und gut entschlossen mit jenen gemeine Sache zu machen, denn sonst hätten wir uns ohne Not und Vernunft hinaufgetrieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1115,"orig":"Wir haben, ſo ſcheint es, mit einem klugen Manne zu thun.","norm":"Wir haben, so scheint es, mit einem klugen Manne zu tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1116,"orig":"Nun machen wir Calkuls und Anſchläge, auch muß ökonomiſch überlegt werden, wie wir die Güter theilen können, ſo daß jeder ein ſchönes Beſitzthum erhält.","norm":"Nun machen wir Kalküls und Anschläge, auch muss ökonomisch überlegt werden, wie wir die Güter teilen können, so dass jeder ein schönes Besitztum erhält."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1117,"orig":"Es wurden Wilhelmen die Papiere vorgelegt, man beſah die Felder, Wieſen, Schlöſſer, und obgleich Jarno und der Abbé die Sache ſehr gut zu verſtehen ſchienen, ſo wünſchte Wilhelm doch, daß Fräulein Thereſe von der Geſellſchaft ſeyn möchte.","norm":"Es wurden Wilhelm die Papiere vorgelegt, man besah die Felder, Wiesen, Schlösser, und obgleich Jarno und der Abbé die Sache sehr gut zu verstehen schienen, so wünschte Wilhelm doch, dass Fräulein Therese von der Gesellschaft sein möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1118,"orig":"Sie brachten mehrere Tage mit dieſen Arbeiten zu, und Wilhelm hatte kaum Zeit, ſeine Abentheuer und ſeine zweifelhafte Vaterſchaft den Freunden zu erzählen, die eine ihm ſo wichtige Begebenheit gleichgültig und leichtſinnig behandelten.","norm":"Sie brachten mehrere Tage mit diesen Arbeiten zu, und Wilhelm hatte kaum Zeit, seine Abenteuer und seine zweifelhafte Vaterschaft den Freunden zu erzählen, die eine ihm so wichtige Begebenheit gleichgültig und leichtsinnig behandelten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1119,"orig":"Er hatte bemerkt, daß ſie manchmal in vertrauten Geſprächen, bey Tiſche und auf Spatziergängen, auf einmal inne hielten, ihren Worten eine andere Wendung gaben, und dadurch wenigſtens anzeigten, daß ſie unter ſich manches abzuthun hatten, das ihm verborgen ſey.","norm":"Er hatte bemerkt, dass sie manchmal in vertrauten Gesprächen, bei Tische und auf Spaziergängen, auf einmal innehielten, ihren Worten eine andere Wendung gaben, und dadurch wenigstens anzeigten, dass sie unter sich manches abzutun hatten, das ihm verborgen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1120,"orig":"Er erinnerte ſich an das, was Lydie geſagt hatte, und glaubte um ſo mehr daran, als eine ganze Seite des Schloſſes vor ihm immer unzugänglich geweſen war.","norm":"Er erinnerte sich an das, was Lydie gesagt hatte, und glaubte um so mehr daran, als eine ganze Seite des Schlosses vor ihm immer unzugänglich gewesen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1121,"orig":"Zu gewiſſen Gallerien und beſonders zu dem alten Thurm, den er von außen recht gut kannte, hatte er bisher vergebens Weg und Eingang geſucht.","norm":"Zu gewissen Galerien und besonders zu dem alten Turm, den er von außen recht gut kannte, hatte er bisher vergebens Weg und Eingang gesucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1122,"orig":"Eines Abends ſagte Jarno zu ihm: wir können Sie nun ſo ſicher als den unſern anſehen, daß es unbillig wäre, wenn wir Sie nicht tiefer in unſere Geheimniſſe einführten.","norm":"Eines Abends sagte Jarno zu ihm: Wir können Sie nun so sicher als den unseren ansehen, dass es unbillig wäre, wenn wir Sie nicht tiefer in unsere Geheimnisse einführten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1123,"orig":"Es iſt gut, daß der Menſch, der erſt in die Welt tritt, viel von ſich halte, daß er ſich viele Vorzüge zu erwerben denke, daß er alles möglich zu machen ſuche; aber wenn ſeine Bildung auf einem gewiſſen Grade ſteht, dann iſt es vortheilhaft, wenn er ſich in einer größern Maſſe verliehren lernt, wenn er lernt um anderer willen zu leben, und ſeiner ſelbſt in einer pflichtmäßigen Thätigkeit zu vergeſſen.","norm":"Es ist gut, dass der Mensch, der erst in die Welt tritt, viel von sich halte, dass er sich viele Vorzüge zu erwerben denke, dass er alles möglich zu machen suche; aber wenn seine Bildung auf einem gewissen Grade steht, dann ist es vorteilhaft, wenn er sich in einer größeren Masse verlieren lernt, wenn er lernt um anderer Willen zu leben, und seiner selbst in einer pflichtmäßigen Tätigkeit zu vergessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1124,"orig":"Da lernt er ſich erſt ſelbſt kennen, denn das Handeln eigentlich vergleicht uns mit andern.","norm":"Da lernt er sich erst selbst kennen, denn das Handeln eigentlich vergleicht uns mit anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1125,"orig":"Sie ſollen bald erfahren, welch eine kleine Welt ſich in Ihrer Nähe befindet, und wie gut Sie in dieſer kleinen Welt gekannt ſind; morgen früh, vor Sonnenaufgang, ſeyn Sie angezogen und bereit.","norm":"Sie sollen bald erfahren, welch eine kleine Welt sich in Ihrer Nähe befindet, und wie gut Sie in dieser kleinen Welt gekannt sind; morgen früh, vor Sonnenaufgang, sein Sie angezogen und bereit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1126,"orig":"Jarno kam zur beſtimmten Stunde, und führte ihn durch bekannte und unbekannte Zimmer des Schloſſes, dann durch einige Gallerien, und ſie gelangten endlich vor eine große alte Thüre, die ſtark mit Eiſen beſchlagen war.","norm":"Jarno kam zur bestimmten Stunde, und führte ihn durch bekannte und unbekannte Zimmer des Schlosses, dann durch einige Galerien, und sie gelangten endlich vor eine große alte Türe, die stark mit Eisen beschlagen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1127,"orig":"Jarno pochte, die Thüre that ſich ein wenig auf, ſo daß eben ein Menſch hineinſchlüpfen konnte.","norm":"Jarno pochte, die Türe tat sich ein wenig auf, so dass eben ein Mensch hineinschlüpfen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1128,"orig":"Jarno ſchob Wilhelmen hinein, ohne ihm zu folgen.","norm":"Jarno schob Wilhelm hinein, ohne ihm zu folgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1129,"orig":"Dieſer fand ſich in einem dunkeln und engen Behältniſſe, es war finſter um ihn, und als er einen Schritt vorwärts gehen wollte, ſtieß er ſchon wieder.","norm":"Dieser fand sich in einem dunkeln und engen Behältnisse, es war finster um ihn, und als er einen Schritt vorwärtsgehen wollte, stieß er schon wider."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1130,"orig":"Eine nicht ganz unbekannte Stimme rief ihm zu: tritt herein!","norm":"Eine nicht ganz unbekannte Stimme rief ihm zu: Tritt herein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1131,"orig":"und nun bemerkte er erſt, daß die Seiten des Raums, in dem er ſich befand, nur mit Teppichen behangen waren, durch welche ein ſchwaches Licht hindurch ſchimmerte.","norm":"und nun bemerkte er erst, dass die Seiten des Raums, in dem er sich befand, nur mit Teppichen behangen waren, durch welche ein schwaches Licht hindurchschimmerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1132,"orig":"Tritt herein!","norm":"Tritt herein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1133,"orig":"rief es nochmals, er hob den Teppich auf, und trat hinein.","norm":"rief es nochmals, er hob den Teppich auf, und trat hinein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1134,"orig":"Der Saal, in dem er ſich nunmehr befand, ſchien ehemals eine Capelle geweſen zu ſeyn, an ſtatt des Altars ſtand ein großer Tiſch, auf einigen Stufen mit einem grünen Teppich behangen, darüber ſchien ein zugezogener Vorhang ein Gemälde zu bedecken; an den Seiten waren ſchön gearbeitete Schränke mit feinen Drathgittern verſchloſſen, wie man ſie in Bibliotheken zu ſehen pflegt, nur ſah er an ſtatt der Bücher viele Rollen aufgeſtellt.","norm":"Der Saal, in dem er sich nunmehr befand, schien ehemals eine Kapelle gewesen zu sein, anstatt des Altars stand ein großer Tisch, auf einigen Stufen mit einem grünen Teppich behangen, darüber schien ein zugezogener Vorhang ein Gemälde zu bedecken; an den Seiten waren schön gearbeitete Schränke mit feinen Drahtgittern verschlossen, wie man sie in Bibliotheken zu sehen pflegt, nur sah er anstatt der Bücher viele Rollen aufgestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1135,"orig":"Niemand befand ſich in dem Saal; die aufgehende Sonne fiel, durch die farbigen Fenſter Wilhelmen grade entgegen, und begrüßte ihn freundlich.","norm":"Niemand befand sich in dem Saal; die aufgehende Sonne fiel, durch die farbigen Fenster Wilhelm gerade entgegen, und begrüßte ihn freundlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1136,"orig":"Setze Dich!","norm":"Setze Dich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1137,"orig":"rief eine Stimme, die von dem Altare her zu tönen ſchien.","norm":"rief eine Stimme, die von dem Altar herzutönen schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1138,"orig":"Wilhelm ſetzte ſich auf einen kleinen Armſtuhl, der wider den Vorſchlag des Eingangs ſtand, es war kein anderer Sitz im ganzen Zimmer, er mußte ſich darein ergeben, ob ihn ſchon die Morgenſonne blendete, der Seſſel ſtand feſt, er konnte nur die Hand vor die Augen halten.","norm":"Wilhelm setzte sich auf einen kleinen Armstuhl, der wider den Verschlag des Eingangs stand, es war kein anderer Sitz im ganzen Zimmer, er musste sich darein ergeben, ob ihn schon die Morgensonne blendete, der Sessel stand fest, er konnte nur die Hand vor die Augen halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1139,"orig":"Indem eröfnete ſich, mit einem kleinen Geräuſche, der Vorhang über dem Altar, und zeigte, innerhalb eines Rahmens, eine leere, dunkle Öfnung.","norm":"Indem eröffnete sich, mit einem kleinen Geräusche, der Vorhang über dem Altar, und zeigte, innerhalb eines Rahmens, eine leere, dunkle Öffnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1140,"orig":"Es trat ein Mann hervor in gewöhnlicher Kleidung, der ihn begrüßte, und zu ihm ſagte: ſollten Sie mich nicht wieder erkennen?","norm":"Es trat ein Mann hervor in gewöhnlicher Kleidung, der ihn begrüßte, und zu ihm sagte: Sollten Sie mich nicht wiedererkennen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1141,"orig":"ſollten Sie, unter andern Dingen, die Sie wiſſen möchten, nicht auch zu erfahren wünſchen, wo die Kunſtſammlung Ihres Großvaters ſich gegenwärtig befindet?","norm":"Sollten Sie, unter anderen Dingen, die Sie wissen möchten, nicht auch zu erfahren wünschen, wo die Kunstsammlung Ihres Großvaters sich gegenwärtig befindet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1142,"orig":"Erinnern Sie ſich des Gemäldes nicht mehr, das Ihnen ſo reizend war?","norm":"Erinnern Sie sich des Gemäldes nicht mehr, das Ihnen so reizend war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1143,"orig":"Wo mag der kranke Königsſohn wohl jetzo ſchmachten?","norm":"Wo mag der kranke Königssohn wohl jetzt schmachten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1144,"orig":"Wilhelm erkannte leicht den Fremden, der, in jener bedeutenden Nacht, ſich mit ihm im Gaſthauſe unterhalten hatte.","norm":"Wilhelm erkannte leicht den Fremden, der, in jener bedeutenden Nacht, sich mit ihm im Gasthause unterhalten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1145,"orig":"Vielleicht, fuhr dieſer fort, können wir jetzt über Schickſal und Charakter eher einig werden?","norm":"Vielleicht, fuhr dieser fort, können wir jetzt über Schicksal und Charakter eher einig werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1146,"orig":"Wilhelm wollte eben antworten, als der Vorhang ſich wieder raſch zuſammen zog.","norm":"Wilhelm wollte eben antworten, als der Vorhang sich wieder rasch zusammenzog."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1147,"orig":"Sonderbar!","norm":"Sonderbar!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1148,"orig":"ſagte er bey ſich ſelbſt, ſollten zufällige Ereigniſſe einen Zuſammenhang haben?","norm":"sagte er bei sich selbst, sollten zufällige Ereignisse einen Zusammenhang haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1149,"orig":"und das, was wir Schickſal nennen, ſollte es blos Zufall ſeyn?","norm":"und das, was wir Schicksal nennen, sollte es bloß Zufall sein?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1150,"orig":"wo mag ſich meines Großvaters Sammlung befinden?","norm":"Wo mag sich meines Großvaters Sammlung befinden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1151,"orig":"und warum erinnert man mich in dieſen feyerlichen Augenblicken daran?","norm":"und warum erinnert man mich in diesen feierlichen Augenblicken daran?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1152,"orig":"Er hatte nicht Zeit weiter zu denken, denn der Vorhang eröfnete ſich wieder, und es ſtand ein Mann vor ſeinen Augen, den er ſogleich für den Landgeiſtlichen erkannte, der mit ihm und der luſtigen Geſellſchaft jene Waſſerfahrt gemacht hatte; er glich dem Abbé, ob er gleich nicht dieſelbe Perſon ſchien.","norm":"Er hatte nicht Zeit weiter zu denken, denn der Vorhang öffnete sich wieder, und es stand ein Mann vor seinen Augen, den er sogleich für den Landgeistlichen erkannte, der mit ihm und der lustigen Gesellschaft jene Wasserfahrt gemacht hatte; er glich dem Abbé, ob er gleich nicht dieselbe Person schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1153,"orig":"Mit einem heitern Geſichte und einem würdigen Ausdruck fing der Mann an: nicht vor Irrthum zu bewahren, iſt die Pflicht des Menſchenerziehers, ſondern den irrenden leiten, ja ihn ſeinen Irrthum aus vollen Bechern ausſchlurfen zu laſſen, das iſt Weisheit der Lehrer.","norm":"Mit einem heiteren Gesichte und einem würdigen Ausdruck fing der Mann an: Nicht vor Irrtum zu bewahren, ist die Pflicht des Menschenerziehers, sondern den Irrenden leiten, ja ihn seinen Irrtum aus vollen Bechern ausschlürfen zu lassen, das ist Weisheit der Lehrer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1154,"orig":"Wer ſeinen Irrthum nur koſtet, hält lange damit Haus, er freuet ſich deſſen als eines ſeltenen Glücks, aber wer ihn ganz erſchöpft, der muß ihn kennen lernen, wenn er nicht wahnſinnig iſt.","norm":"Wer seinen Irrtum nur kostet, hält lange damit Haus, er freuet sich dessen als eines seltenen Glücks, aber wer ihn ganz erschöpft, der muss ihn kennen lernen, wenn er nicht wahnsinnig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1155,"orig":"Der Vorhang ſchloß ſich abermals, und Wilhelm hatte Zeit nachzudenken.","norm":"Der Vorhang schloss sich abermals, und Wilhelm hatte Zeit nachzudenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1156,"orig":"Von welchem Irrthum kann der Mann ſprechen?","norm":"Von welchem Irrtum kann der Mann sprechen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1157,"orig":"ſagte er zu ſich ſelbſt, als von dem, der mich mein ganzes Leben verfolgt hat, daß ich da Bildung ſuchte, wo keine zu finden war, daß ich mir einbildete ein Talent erwerben zu können, zu dem ich nicht die geringſte Anlage hatte.","norm":"sagte er zu sich selbst, als von dem, der mich mein ganzes Leben verfolgt hat, dass ich da Bildung suchte, wo keine zu finden war, dass ich mir einbildete ein Talent erwerben zu können, zu dem ich nicht die geringste Anlage hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1158,"orig":"Der Vorhang riß ſich ſchneller auf, ein Officier trat hervor, und ſagte nur im Vorbeygehen: lernen Sie die Menſchen kennen, zu denen man Zutrauen haben kann!","norm":"Der Vorhang riss sich schneller auf, ein Offizier trat hervor, und sagte nur im Vorbeigehen: Lernen Sie die Menschen kennen, zu denen man Zutrauen haben kann!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1159,"orig":"Der Vorhang ſchloß ſich, und Wilhelm brauchte ſich nicht lange zu beſinnen, um dieſen Officier für denjenigen zu erkennen, der ihn in des Grafen Park umarmt hatte, und Schuld geweſen war, daß er Jarno für einen Werber hielt.","norm":"Der Vorhang schloss sich, und Wilhelm brauchte sich nicht lange zu besinnen, um diesen Offizier für denjenigen zu erkennen, der ihn in des Grafen Park umarmt hatte, und Schuld gewesen war, dass er Jarno für einen Werber hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1160,"orig":"Wie dieſer hierher gekommen?","norm":"Wie dieser hierhergekommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1161,"orig":"und wer er ſey, war Wilhelmen völlig ein Rätzel.","norm":"und wer er sei, war Wilhelm völlig ein Rätsel."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1162,"orig":"— Wenn ſo viele Menſchen an dir Theil nahmen, deinen Lebensweg kannten und wußten, was darauf zu thun ſey, warum führten ſie dich nicht ſtrenger?","norm":"— Wenn so viele Menschen an dir teilnahmen, deinen Lebensweg kannten und wussten, was darauf zu tun sei, warum führten sie dich nicht strenger?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1163,"orig":"warum nicht ernſter?","norm":"warum nicht ernster?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1164,"orig":"warum begünſtigten ſie deine Spiele, an ſtatt dich davon wegzuführen.","norm":"warum begünstigten sie deine Spiele, anstatt dich davon wegzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1165,"orig":"Rechte nicht mit uns!","norm":"Rechte nicht mit uns!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1166,"orig":"rief eine Stimme;","norm":"rief eine Stimme;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1167,"orig":"Du biſt gerettet, und auf dem Wege zum Ziel;","norm":"Du bist gerettet, und auf dem Wege zum Ziel;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1168,"orig":"Du wirſt keine Deiner Thorheiten bereuen und keine zurück wünſchen, kein glücklicheres Schickſal kann einem Menſchen werden.","norm":"Du wirst keine Deiner Torheiten bereuen und keine zurückwünschen, kein glücklicheres Schicksal kann einem Menschen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1169,"orig":"Der Vorhang riß ſich von einander, und, in voller Rüſtung, ſtand der alte König von Dännemark in dem Raume.","norm":"Der Vorhang riss sich voneinander, und, in voller Rüstung, stand der alte König von Dänemark in dem Raume."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1170,"orig":"Ich bin der Geiſt Deines Vaters, ſagte das Bildnis, und ſcheide getroſt, da meine Wünſche für Dich, mehr als ich ſie ſelbſt begriff, erfüllt ſind.","norm":"Ich bin der Geist Deines Vaters, sagte das Bildnis, und scheide getrost, da meine Wünsche für Dich, mehr als ich sie selbst begriff, erfüllt sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1171,"orig":"Steile Gegenden laſſen ſich nur durch Umwege erklimmen, auf der Ebene führen gerade Wege von einem Ort zum andern.","norm":"Steile Gegenden lassen sich nur durch Umwege erklimmen, auf der Ebene führen gerade Wege von einem Ort zum anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1172,"orig":"Lebe wohl, und gedenke mein, wenn Du genießeſt, was ich Dir vorbereitet habe.","norm":"Lebe wohl, und gedenke mein, wenn Du genießest, was ich Dir vorbereitet habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1173,"orig":"Wilhelm war äußerſt betroffen, er glaubte die Stimme ſeines Vaters zu hören, und doch war ſie es auch nicht, er befand ſich durch die Gegenwart und die Erinnerung in der verworrenſten Lage.","norm":"Wilhelm war äußerst betroffen, er glaubte die Stimme seines Vaters zu hören, und doch war sie es auch nicht, er befand sich durch die Gegenwart und die Erinnerung in der verworrensten Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1174,"orig":"Nicht lange konnte er nachdenken, als der Abbé hervortrat, und ſich hinter den grünen Tiſch ſtellte.","norm":"Nicht lange konnte er nachdenken, als der Abbé hervortrat, und sich hinter den grünen Tisch stellte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1175,"orig":"Treten Sie herbey!","norm":"Treten Sie herbei!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1176,"orig":"rief er ſeinem verwunderten Freunde zu.","norm":"rief er seinem verwunderten Freunde zu."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1177,"orig":"Er trat herbey, und ſtieg die Stufen hinan.","norm":"Er trat herbei, und stieg die Stufen hinan."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1178,"orig":"Auf dem Teppiche lag eine kleine Rolle.","norm":"Auf dem Teppiche lag eine kleine Rolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1179,"orig":"Hier iſt Ihr Lehrbrief, ſagte der Abbé, beherzigen Sie ihn, er iſt von wichtigem Inhalt.","norm":"Hier ist Ihr Lehrbrief, sagte der Abbé, beherzigen Sie ihn, er ist von wichtigem Inhalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1180,"orig":"Wilhelm nahm ihn auf, eröfnete ihn und las: Lehrbrief.","norm":"Wilhelm nahm ihn auf, öffnete ihn und las: Lehrbrief."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1181,"orig":"Die Kunſt iſt lang, das Leben kurz, das Urtheil ſchwierig, die Gelegenheit flüchtig.","norm":"Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1182,"orig":"Handeln iſt leicht, denken ſchwer; nach dem Gedachten handeln unbequem.","norm":"Handeln ist leicht, Denken schwer; nach dem Gedachten handeln unbequem."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1183,"orig":"Aller Anfang iſt heiter, die Schwelle iſt der Platz der Erwartung.","norm":"Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1184,"orig":"Der Knabe ſtaunt, der Eindruck beſtimmt ihn, er lernt ſpielend, der Ernſt überraſcht ihn.","norm":"Der Knabe staunt, der Eindruck bestimmt ihn, er lernt spielend, der Ernst überrascht ihn."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1185,"orig":"Die Nachahmung iſt uns angebohren, das Nachahmende wird nicht leicht erkannt.","norm":"Die Nachahmung ist uns angeboren, das Nachahmende wird nicht leicht erkannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1186,"orig":"Selten wird das Treffliche gefunden, ſeltner geſchätzt.","norm":"Selten wird das Treffliche gefunden, seltener geschätzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1187,"orig":"Die Höhe reizt uns, nicht die Stufen; den Gipfel im Auge wandeln wir gerne auf der Ebene.","norm":"Die Höhe reizt uns, nicht die Stufen; den Gipfel im Auge wandeln wir gerne auf der Ebene."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1188,"orig":"Nur Ein Theil der Kunſt kann gelehrt werden, der Künſtler braucht ſie ganz.","norm":"Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden, der Künstler braucht sie ganz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1189,"orig":"Wer ſie halb kennt, iſt immer irre und redet viel, wer ſie ganz beſitzt, mag nur thun und redet ſelten oder ſpät.","norm":"Wer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel, wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1190,"orig":"Jene haben keine Geheimniſſe und keine Kraft, ihre Lehre iſt wie gebackenes Brod ſchmackhaft und ſättigend für Einen Tag; aber Mehl kann man nicht ſäen, und die Saatfrüchte ſollen nicht vermahlen werden.","norm":"Jene haben keine Geheimnisse und keine Kraft, ihre Lehre ist wie gebackenes Brot schmackhaft und sättigend für Einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1191,"orig":"Die Worte ſind gut, ſie ſind aber nicht das Beſte.","norm":"Die Worte sind gut, sie sind aber nicht das Beste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1192,"orig":"Das Beſte wird nicht deutlich durch Worte.","norm":"Das Beste wird nicht deutlich durch Worte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1193,"orig":"Der Geiſt, aus dem wir handeln, iſt das Höchſte.","norm":"Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1194,"orig":"Die Handlung wird nur vom Geiſte begriffen und wieder dargeſtellt.","norm":"Die Handlung wird nur vom Geiste begriffen und wieder dargestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1195,"orig":"Niemand weiß was er thut, wenn er recht handelt, aber des Unrechten ſind wir uns immer bewußt.","norm":"Niemand weiß was er tut, wenn er recht handelt, aber des Unrechten sind wir uns immer bewusst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1196,"orig":"Wer bloß mit Zeichen wirkt, iſt ein Pedant, ein Heuchler oder ein Pfuſcher.","norm":"Wer bloß mit Zeichen wirkt, ist ein Pedant, ein Heuchler oder ein Pfuscher."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1197,"orig":"Es ſind ihrer viel, und es wird ihnen wohl zuſammen.","norm":"Es sind ihrer viel, und es wird ihnen wohl zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1198,"orig":"Ihr Geſchwätz hält den Schüler zurück, und ihre beharrliche Mittelmäßigkeit ängſtigt die Beſten.","norm":"Ihr Geschwätz hält den Schüler zurück, und ihre beharrliche Mittelmäßigkeit ängstigt die Besten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1199,"orig":"Des ächten Künſtlers Lehre ſchließt den Sinn auf, denn wo die Worte fehlen, ſpricht die That.","norm":"Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf, denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1200,"orig":"Der ächte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln, und nähert ſich dem Meiſter.","norm":"Der echte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln, und nähert sich dem Meister."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1201,"orig":"Genug!","norm":"Genug!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1202,"orig":"rief der Abbé, das übrige zu ſeiner Zeit.","norm":"rief der Abbé, das Übrige zu seiner Zeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1203,"orig":"Jetzt ſehen Sie ſich in jenen Schränken um.","norm":"Jetzt sehen Sie sich in jenen Schränken um."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1204,"orig":"Wilhelm ging hin, und las die Aufſchriften der Rollen.","norm":"Wilhelm ging hin, und las die Aufschriften der Rollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1205,"orig":"Er fand mit Verwunderung:","norm":"Er fand mit Verwunderung:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1206,"orig":"Lothario’s Lehrjahre, Jarno’s Lehrjahre und ſeine eignen Lehrjahre daſelbſt aufgeſtellt, unter vielen andern, deren Nahmen ihm unbekannt waren.","norm":"Lotharios Lehrjahre, Jarnos Lehrjahre und seine eigenen Lehrjahre daselbst aufgestellt, unter vielen anderen, deren Namen ihm unbekannt waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1207,"orig":"Darf ich hoffen, in dieſe Rollen einen Blick zu werfen?","norm":"Darf ich hoffen, in diese Rollen einen Blick zu werfen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1208,"orig":"Es iſt für Sie nunmehr in dieſem Zimmer nichts verſchloſſen.","norm":"Es ist für Sie nunmehr in diesem Zimmer nichts verschlossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1209,"orig":"Darf ich eine Frage thun?","norm":"Darf ich eine Frage tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1210,"orig":"Ohne Bedenken!","norm":"Ohne Bedenken!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1211,"orig":"und Sie können entſcheidende Antwort erwarten, wenn es eine Angelegenheit betrifft, die Ihnen zunächſt am Herzen liegt, und am Herzen liegen ſoll.","norm":"und Sie können entscheidende Antwort erwarten, wenn es eine Angelegenheit betrifft, die Ihnen zunächst am Herzen liegt, und am Herzen liegen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1212,"orig":"Gut denn, ihr ſonderbaren und weiſen Menſchen, deren Blick in ſo viele Geheimniſſe dringt, könnt Ihr mir ſagen, ob Felix wirklich mein Sohn ſey?","norm":"Gut denn, Ihr sonderbaren und weisen Menschen, deren Blick in so viele Geheimnisse dringt, könnt Ihr mir sagen, ob Felix wirklich mein Sohn sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1213,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1214,"orig":"Heil Ihnen über dieſe Frage!","norm":"Heil Ihnen über diese Frage!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1215,"orig":"rief der Abbé, indem er vor Freuden die Hände zuſammenſchlug, Felix iſt Ihr Sohn!","norm":"rief der Abbé, indem er vor Freuden die Hände zusammenschlug, Felix ist Ihr Sohn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1216,"orig":"bey dem Heiligſten, was unter uns verborgen liegt, ſchwör ich Ihnen, Felix iſt Ihr Sohn, und der Geſinnung nach war ſeine abgeſchiedne Mutter Ihrer nicht unwerth; empfangen Sie das liebliche Kind aus unſerer Hand, kehren Sie ſich um, und wagen Sie es, glücklich zu ſeyn.","norm":"Bei dem Heiligsten, was unter uns verborgen liegt, schwöre ich Ihnen, Felix ist Ihr Sohn, und der Gesinnung nach war seine abgeschiedene Mutter Ihrer nicht unwert; Empfangen Sie das liebliche Kind aus unserer Hand, kehren Sie sich um, und wagen Sie es, glücklich zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1217,"orig":"Wilhelm hörte ein Geräuſch hinter ſich, er kehrte ſich um, und ſah ein Kindergeſicht ſchalkhaft durch die Teppiche des Eingangs hervor gucken.","norm":"Wilhelm hörte ein Geräusch hinter sich, er kehrte sich um, und sah ein Kindergesicht schalkhaft durch die Teppiche des Eingangs hervorgucken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1218,"orig":"Es war Felix!","norm":"Es war Felix!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1219,"orig":"Der Knabe verſteckte ſich ſogleich ſcherzend, als er geſehen wurde.","norm":"Der Knabe versteckte sich sogleich scherzend, als er gesehen wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1220,"orig":"Komm hervor!","norm":"Komme hervor!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1221,"orig":"rief der Abbé.","norm":"rief der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1222,"orig":"Er kam gelaufen, ſein Vater ſtürzte ihm entgegen, nahm ihn in die Arme, und drückte ihn an ſein Herz.","norm":"Er kam gelaufen, sein Vater stürzte ihm entgegen, nahm ihn in die Arme, und drückte ihn an sein Herz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1223,"orig":"Ja ich fühl’s, rief er aus, Du biſt mein!","norm":"Ja ich fühle es, rief er aus, Du bist mein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1224,"orig":"welche Gabe des Himmels habe ich meinen Freunden zu verdanken!","norm":"Welche Gabe des Himmels habe ich meinen Freunden zu verdanken!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1225,"orig":"Wo kommſt Du her, mein Kind, gerade in dieſem Augenblick?","norm":"Wo kommst Du her, mein Kind, gerade in diesem Augenblick?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1226,"orig":"Fragen Sie nicht!","norm":"Fragen Sie nicht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1227,"orig":"ſagte der Abbé.","norm":"sagte der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1228,"orig":"Heil Dir junger Mann!","norm":"Heil Dir junger Mann!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1229,"orig":"Deine Lehrjahre ſind vorüber, die Natur hat Dich loſgeſprochen.","norm":"Deine Lehrjahre sind vorüber, die Natur hat Dich losgesprochen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1230,"orig":"Felix war in den Garten geſprungen, Wilhelm folgte ihm mit Entzücken, der ſchönſte Morgen zeigte jeden Gegenſtand mit neuen Reizen, und Wilhelm genoß den heiterſten Augenblick.","norm":"Felix war in den Garten gesprungen, Wilhelm folgte ihm mit Entzücken, der schönste Morgen zeigte jeden Gegenstand mit neuen Reizen, und Wilhelm genoss den heitersten Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1231,"orig":"Felix war neu in der freyen und herrlichen Welt, und ſein Vater nicht viel bekannter mit den Gegenſtänden, nach denen der Kleine wiederholt und unermüdet fragte.","norm":"Felix war neu in der freien und herrlichen Welt, und sein Vater nicht viel bekannter mit den Gegenständen, nach denen der Kleine wiederholt und unermüdet fragte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1232,"orig":"Sie geſellten ſich endlich zum Gärtner, der die Nahmen und den Gebrauch mancher Pflanzen hererzählen mußte;","norm":"Sie gesellten sich endlich zum Gärtner, der die Namen und den Gebrauch mancher Pflanzen hererzählen musste;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1233,"orig":"Wilhelm ſah die Natur durch ein neues Organ, und die Neugierde, die Wißbegierde des Kindes ließen ihn erſt fühlen, welch ein ſchwaches Intereſſe er an den Dingen außer ſich genommen hatte, wie wenig er kannte und wußte.","norm":"Wilhelm sah die Natur durch ein neues Organ, und die Neugierde, die Wissbegierde des Kindes ließen ihn erst fühlen, welch ein schwaches Interesse er an den Dingen außer sich genommen hatte, wie wenig er kannte und wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1234,"orig":"An dieſem Tage, dem vergnügteſten ſeines Lebens ſchien auch ſeine eigne Bildung erſt anzufangen, er fühlte die Nothwendigkeit ſich zu belehren, indem er zu lehren aufgefordert ward.","norm":"An diesem Tage, dem vergnügtesten seines Lebens schien auch seine eigene Bildung erst anzufangen, er fühlte die Notwendigkeit sich zu belehren, indem er zu lehren aufgefordert wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1235,"orig":"Jarno und der Abbé hatten ſich nicht wieder ſehen laſſen;","norm":"Jarno und der Abbé hatten sich nicht wieder sehen lassen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1236,"orig":"Abends kamen ſie, und brachten einen Fremden mit, Wilhelm ging ihm mit Erſtaunen entgegen, er traute ſeinen Augen nicht, es war Werner, der gleichfalls einen Augenblick anſtand, ihn anzuerkennen.","norm":"Abends kamen sie, und brachten einen Fremden mit, Wilhelm ging ihm mit Erstaunen entgegen, er traute seinen Augen nicht, es war Werner, der gleichfalls einen Augenblick anstand, ihn anzuerkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1237,"orig":"Beyde umarmten ſich aufs zärtlichſte, und beyde konnten nicht verbergen, daß ſie ſich wechſelsweiſe verändert fanden.","norm":"Beide umarmten sich aufs zärtlichste, und beide konnten nicht verbergen, dass sie sich wechselweise verändert fanden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1238,"orig":"Werner behauptete, ſein Freund ſey größer, ſtärker, gerader, in ſeinen Weſen gebildeter und in ſeinem Betragen angenehmer geworden, — etwas von ſeiner alten Treuherzigkeit vermiß ich, ſetzte er hinzu.","norm":"Werner behauptete, sein Freund sei größer, stärker, gerader, in seinen Wesen gebildeter und in seinem Betragen angenehmer geworden, — etwas von seiner alten Treuherzigkeit vermisse ich, setzte er hinzu."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1239,"orig":"— Sie wird ſich auch ſchon wieder zeigen, wenn wir uns nur von der erſten Verwunderung erholt haben, ſagte Wilhelm.","norm":"— sie wird sich auch schon wieder zeigen, wenn wir uns nur von der ersten Verwunderung erholt haben, sagte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1240,"orig":"Es fehlte viel, daß Werner einen gleich vortheilhaften Eindruck auf Wilhelmen gemacht haben ſollte.","norm":"Es fehlte viel, dass Werner einen gleich vorteilhaften Eindruck auf Wilhelm gemacht haben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1241,"orig":"Der gute Mann ſchien eher zurück als vorwärts gegangen zu ſeyn.","norm":"Der gute Mann schien eher zurück als vorwärtsgegangen zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1242,"orig":"Er war viel magerer, als ehemals, ſein ſpitzes Geſicht ſchien feiner, ſeine Naſe länger zu ſeyn, ſeine Stirn und ſein Scheitel waren von Haren entblößt, ſeine Stimme hell, heftig und ſchreyend, und ſeine eingedruckte Bruſt, ſeine vorfallenden Schultern, ſeine farbloſen Wangen ließen keinen Zweifel übrig, daß ein arbeitſamer Hypochondriſte gegenwärtig ſey.","norm":"Er war viel magerer, als ehemals, sein spitzes Gesicht schien feiner, seine Nase länger zu sein, seine Stirn und sein Scheitel waren von Haaren entblößt, seine Stimme hell, heftig und schreiend, und seine eingedrückte Brust, seine vorfallenden Schultern, seine farblosen Wangen ließen keinen Zweifel übrig, dass ein arbeitsamer Hypochondrist gegenwärtig sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1243,"orig":"Wilhelm war beſcheiden genug, um ſich über dieſe große Veränderung ſehr mäßig zu erklären, da der andere hingegen ſeiner freundſchaftlichen Freude völlig den Lauf ließ.","norm":"Wilhelm war bescheiden genug, um sich über diese große Veränderung sehr mäßig zu erklären, da der andere hingegen seiner freundschaftlichen Freude völlig den Lauf ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1244,"orig":"Wahrhaftig!","norm":"Wahrhaftig!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1245,"orig":"rief er aus, wenn Du Deine Zeit ſchlecht angewendet, und, wie ich vermuthe, nichts gewonnen haſt, ſo biſt Du doch indeſſen ein Perſönchen geworden, das ſein Glück machen kann und muß, verſchlendere und verſchleudere nur auch das nicht wieder;","norm":"rief er aus, wenn Du Deine Zeit schlecht angewendet, und, wie ich vermute, nichts gewonnen hast, so bist Du doch indessen ein Persönchen geworden, das sein Glück machen kann und muss, verschlendere und verschleudere nur auch das nicht wieder;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1246,"orig":"Du ſollſt mir mit dieſer Figur eine reiche und ſchöne Erbin erkaufen.","norm":"Du sollst mir mit dieser Figur eine reiche und schöne Erbin erkaufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1247,"orig":"— Du wirſt doch, verſetzte Wilhelm lächelnd, Deinen Character nicht verleugnen!","norm":"— Du wirst doch, versetzte Wilhelm lächelnd, Deinen Charakter nicht verleugnen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1248,"orig":"kaum findeſt Du nach langer Zeit Deinen Freund wieder, ſo ſiehſt Du ihn ſchon als eine Waare, als einen Gegenſtand Deiner Speculation an, mit dem ſich etwas gewinnen läßt.","norm":"kaum findest Du nach langer Zeit Deinen Freund wieder, so siehst Du ihn schon als eine Ware, als einen Gegenstand Deiner Spekulation an, mit dem sich etwas gewinnen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1249,"orig":"Jarno und der Abbé ſchienen über dieſe Erkennung feinesweges verwundert, und ließen beyde Freunde ſich nach Belieben über das Vergangene und Gegenwärtige ausbreiten.","norm":"Jarno und der Abbé schienen über diese Erkennung keineswegs verwundert, und ließen beide Freunde sich nach Belieben über das Vergangene und Gegenwärtige ausbreiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1250,"orig":"Werner ging um ſeinen Freund herum, drehte ihn hin und her, ſo, daß er ihn faſt verlegen machte.","norm":"Werner ging um seinen Freund herum, drehte ihn hin und her, so, dass er ihn fast verlegen machte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1251,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1252,"orig":"nein!","norm":"nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1253,"orig":"rief er aus, ſo was iſt mir noch nicht vorgekommen!","norm":"rief er aus, so was ist mir noch nicht vorgekommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1254,"orig":"und doch weiß ich wohl, daß ich mich nicht betrüge.","norm":"und doch weiß ich wohl, dass ich mich nicht betrüge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1255,"orig":"Deine Augen ſind tiefer, Deine Stirn iſt breiter, Deine Naſe feiner und Dein Mund liebreicher geworden.","norm":"Deine Augen sind tiefer, Deine Stirn ist breiter, Deine Nase feiner und Dein Mund liebreicher geworden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1256,"orig":"Seht nur einmal, wie er ſteht!","norm":"Seht nur einmal, wie er steht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1257,"orig":"wie das alles paßt und zuſammenhängt!","norm":"wie das alles passt und zusammenhängt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1258,"orig":"wie doch das Faullenzen gedeihet!","norm":"Wie doch das Faulenzen gedeihet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1259,"orig":"ich armer Teufel dagegen — er beſah ſich im Spiegel — wenn ich dieſe Zeit her nicht recht viel Geld gewonnen hätte, ſo wäre doch auch gar nichts an mir.","norm":"Ich armer Teufel dagegen — er besah sich im Spiegel — wenn ich diese Zeit her nicht recht viel Geld gewonnen hätte, so wäre doch auch gar nichts an mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1260,"orig":"Werner hatte Wilhelms letzten Brief nicht empfangen, ihre Handlung war das fremde Haus, mit welchem Lothario die Güter in Gemeinſchaft zu kaufen die Abſicht hatte.","norm":"Werner hatte Wilhelms letzten Brief nicht empfangen, ihre Handlung war das fremde Haus, mit welchem Lothario die Güter in Gemeinschaft zu kaufen die Absicht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1261,"orig":"Dieſes Geſchäft führte Wernern hierher, er hatte keine Gedanken, Wilhelmen auf ſeinem Wege zu finden.","norm":"Dieses Geschäft führte Wernern hierher, er hatte keine Gedanken, Wilhelmen auf seinem Wege zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1262,"orig":"Der Gerichtshalter kam, die Papiere wurden vorgelegt, und Werner fand die Vorſchläge billig.","norm":"Der Gerichtshalter kam, die Papiere wurden vorgelegt, und Werner fand die Vorschläge billig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1263,"orig":"Wenn Sie es mit dieſem jungen Manne, wie es ſcheint, gut meynen, ſagte er, ſo ſorgen Sie ſelbſt dafür, daß unſer Theil nicht verkürzt werde; es ſoll von meinem Freunde abhängen, ob er das Gut annehmen und einen Theil ſeines Vermögens daran wenden will.","norm":"Wenn Sie es mit diesem jungen Manne, wie es scheint, gut meinen, sagte er, so Sorgen Sie selbst dafür, dass unser Teil nicht verkürzt werde; es soll von meinem Freunde abhängen, ob er das Gut annehmen und einen Teil seines Vermögens daran wenden will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1264,"orig":"Jarno und der Abbé verſicherten, daß es dieſer Erinnerung nicht bedürfe.","norm":"Jarno und der Abbé versicherten, dass es dieser Erinnerung nicht bedürfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1265,"orig":"Man hatte die Sache kaum im allgemeinen verhandelt, als Werner ſich nach einer Parthie Lombre ſehnte, wozu ſich denn auch gleich der Abbé und Jarno mit hinſetzten; er war es nun einmal ſo gewohnt, er konnte des Abends ohne Spiel nicht leben.","norm":"Man hatte die Sache kaum im Allgemeinen verhandelt, als Werner sich nach einer Partie L'hombre sehnte, wozu sich denn auch gleich der Abbé und Jarno mit hinsetzten; er war es nun einmal so gewohnt, er konnte des Abends ohne Spiel nicht leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1266,"orig":"Als die beyden Freunde nach Tiſche allein waren, befragten und beſprachen ſie ſich ſehr lebhaft über alles, was ſie ſich mitzutheilen wünſchten.","norm":"Als die beiden Freunde nach Tische allein waren, befragten und besprachen sie sich sehr lebhaft über alles, was sie sich mitzuteilen wünschten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1267,"orig":"Wilhelm rühmte ſeine Lage und das Glück ſeiner Auſnahme unter ſo trefflichen Menſchen.","norm":"Wilhelm rühmte seine Lage und das Glück seiner Aufnahme unter so trefflichen Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1268,"orig":"Werner ſchüttelte dagegen den Kopf, und ſagte: man ſollte doch auch nichts glauben, als was man mit Augen ſieht!","norm":"Werner schüttelte dagegen den Kopf, und sagte: Man sollte doch auch nichts glauben, als was man mit Augen sieht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1269,"orig":"Mehr als Ein dienſtfertiger Freund hat mir verſichert, Du lebteſt mit einem liederlichen jungen Edelmann, führteſt ihm Schauſpielerinnen zu, helfeſt ihm ſein Geld durchbringen, und ſeyeſt ſchuld, daß er mit ſeinen ſämmtlichen Anverwandten geſpannt ſey.","norm":"Mehr als Ein dienstfertiger Freund hat mir versichert, Du lebtest mit einem liederlichen jungen Edelmann, führtest ihm Schauspielerinnen zu, hälfest ihm sein Geld durchbringen, und seiest schuld, dass er mit seinen sämtlichen Anverwandten gespannt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1270,"orig":"— Es würde mich um meinetund um der guten Menſchen willen verdrießen, daß wir ſo verkannt werden, verſetzte Wilhelm, wenn mich nicht meine theatraliſche Laufbahn mit jeder übeln Nachrede verſöhnt hätte.","norm":"— Es würde mich um meinet- und um der guten Menschen willen verdrießen, dass wir so verkannt werden, versetzte Wilhelm, wenn mich nicht meine theatralische Laufbahn mit jeder üblen Nachrede versöhnt hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1271,"orig":"Wie ſollten die Menſchen unſere Handlungen beurtheilen, die ihnen nur einzeln und abgeriſſen erſcheinen, wovon ſie das wenigſte ſehen, weil Gutes und Böſes im Verborgenen geſchieht, und eine gleichgültige Erſcheinung meiſtens nur an den Tag kommt.","norm":"Wie sollten die Menschen unsere Handlungen beurteilen, die ihnen nur einzeln und abgerissen erscheinen, wovon sie das wenigste sehen, weil Gutes und Böses im Verborgenen geschieht, und eine gleichgültige Erscheinung meistens nur an den Tag kommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1272,"orig":"Bringt man ihnen doch Schauſpieler und Schauſpielerinnen auf erhöhte Breter, zündet von allen Seiten Licht an, das ganze Werk iſt in wenig Stunden abgeſchloſſen, und doch weiß ſelten jemand eigentlich, was er daraus machen ſoll.","norm":"Bringt man ihnen doch Schauspieler und Schauspielerinnen auf erhöhte Bretter, zündet von allen Seiten Licht an, das ganze Werk ist in wenig Stunden abgeschlossen, und doch weiß selten jemand eigentlich, was er daraus machen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1273,"orig":"Nun ging es an ein Fragen nach der Familie, nach den Jugendfreunden und der Vaterſtadt.","norm":"Nun ging es an ein Fragen nach der Familie, nach den Jugendfreunden und der Vaterstadt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1274,"orig":"Werner erzählte, mit großer Haſt, alles was ſich verändert hatte, und was noch beſtand und geſchah.","norm":"Werner erzählte, mit großer Hast, alles was sich verändert hatte, und was noch bestand und geschah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1275,"orig":"Die Frauen im Hauſe, ſagte er, ſind vergnügt und glücklich, es fehlt nie an Geld, die eine Hälfte der Zeit bringen ſie zu ſich zu putzen, und die andere Hälfte ſich geputzt ſehen zu laſſen.","norm":"Die Frauen im Hause, sagte er, sind vergnügt und glücklich, es fehlt nie an Geld, die eine Hälfte der Zeit bringen sie zu sich zu putzen, und die andere Hälfte sich geputzt sehen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1276,"orig":"Haushältiſch ſind ſie ſo viel als billig iſt, meine Kinder laſſen ſich zu geſcheuten Jungen an.","norm":"Haushältisch sind sie so viel als billig ist, Meine Kinder lassen sich zu gescheiten Jungen an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1277,"orig":"Ich ſehe ſie im Geiſte ſchon ſitzen und ſchreiben, und rechnen, laufen, handeln und trödeln, einem jeden ſoll ſobald als möglich ein eignes Gewerbe eingerichtet werden!","norm":"Ich sehe sie im Geiste schon sitzen und schreiben, und rechnen, laufen, handeln und trödeln, einem jeden soll so bald als möglich ein eigenes Gewerbe eingerichtet werden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1278,"orig":"und was unſer Vermögen betrifft, daran ſollſt Du Deine Luſt ſehen.","norm":"und was unser Vermögen betrifft, daran sollst Du Deine Lust sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1279,"orig":"Wenn wir mit den Gütern in Ordnung ſind, mußt Du gleich mit nach Hauſe; denn es ſieht doch aus, als wenn Du, mit einiger Vernunft, in die menſchlichen Unternehmungen eingreifen könnteſt.","norm":"Wenn wir mit den Gütern in Ordnung sind, musst Du gleich mit nach Hause; denn es sieht doch aus, als wenn Du, mit einiger Vernunft, in die menschlichen Unternehmungen eingreifen könntest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1280,"orig":"Deine neuen Freunde ſollen geprieſen ſeyn, daß ſie Dich auf den rechten Weg gebracht haben.","norm":"Deine neuen Freunde sollen gepriesen sein, dass sie Dich auf den rechten Weg gebracht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1281,"orig":"Ich bin ein närriſcher Teufel, und merke erſt, wie lieb ich Dich habe, da ich mich nicht ſatt an Dir ſehen kann, daß Du ſo wohl und ſo gut ausſiehſt.","norm":"Ich bin ein närrischer Teufel, und merke erst, wie lieb ich Dich habe, da ich mich nicht satt an Dir sehen kann, dass Du so wohl und so gut aussiehst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1282,"orig":"Das iſt doch noch eine andere Geſtalt, als das Portrait, das Du einmal an die Schweſter ſchickteſt, und worüber im Hauſe großer Streit war.","norm":"Das ist doch noch eine andere Gestalt, als das Porträt, das Du einmal an die Schwester schicktest, und worüber im Hause großer Streit war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1283,"orig":"Mutter und Tochter fanden den jungen Herrn allerliebſt, mit offnem Halſe, halbfreyer Bruſt, großer Krauſe, herumhängendem Haar, rundem Hut, kurzem Weſtchen und ſchlotternden langen Hoſen, indeſſen ich behauptete, das Koſtum ſey nur noch zwey Finger breit vom Hanswurſt.","norm":"Mutter und Tochter fanden den jungen Herrn allerliebst, mit offenem Halse, halbfreier Brust, großer Krause, herumhängendem Haar, rundem Hut, kurzem Westchen und schlotternden langen Hosen, indessen ich behauptete, das Kostüm sei nur noch zwei Finger breit vom Hanswurst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1284,"orig":"Nun ſiehſt Du doch aus wie ein Menſch, nur fehlt der Zopf, in den ich Deine Haare einzubinden bitte, ſonſt hält man Dich denn doch einmal unterweges als Juden an, und fordert Zoll und Geleite von Dir.","norm":"Nun siehst Du doch aus wie ein Mensch, nur fehlt der Zopf, in den ich Deine Haare einzubinden bitte, sonst hält man Dich denn doch einmal unterwegs als Juden an, und fordert Zoll und Geleite von Dir"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1285,"orig":"Felix war indeſſen in die Stube gekommen, und hatte ſich, als man auf ihn nicht achtete, aufs Kanapee gelegt, und war eingeſchlafen.","norm":"Felix war indessen in die Stube gekommen, und hatte sich, als man auf ihn nicht achtete, aufs Kanapee gelegt, und war eingeschlafen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1286,"orig":"Was iſt das für ein Wurm?","norm":"Was ist das für ein Wurm?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1287,"orig":"fragte Werner.","norm":"fragte Werner."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1288,"orig":"Wilhelm hatte in dem Augenblicke den Muth nicht, die Wahrheit zu ſagen, noch Luſt eine doch immer zweydeutige Geſchichte einem Manne zu erzählen, der von Natur nichts weniger als gläubig war.","norm":"Wilhelm hatte in dem Augenblicke den Mut nicht, die Wahrheit zu sagen, noch Lust eine doch immer zweideutige Geschichte einem Manne zu erzählen, der von Natur nichts weniger als gläubig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1289,"orig":"Die ganze Geſellſchaft begab ſich nunmehr auf die Güter, um ſie zu beſehen und den Handel abzuſchließen.","norm":"Die ganze Gesellschaft begab sich nunmehr auf die Güter, um sie zu besehen und den Handel abzuschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1290,"orig":"Wilhelm ließ ſeinen Felix nicht von der Seite, und freute ſich, um des Knaben willen, recht lebhaft des Beſitzes, dem man entgegen ſah.","norm":"Wilhelm ließ seinen Felix nicht von der Seite, und freute sich, um des Knaben willen, recht lebhaft des Besitzes, dem man entgegensah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1291,"orig":"Die Lüſternheit des Kindes nach den Kirſchen und Beeren, die bald reif werden ſollten, erinnerten ihn an die Zeit ſeiner Jugend und an die vielfache Pflicht des Vaters, den ſeinigen den Genuß vorzubereiten, zu verſchaffen und zu erhalten.","norm":"Die Lüsternheit des Kindes nach den Kirschen und Beeren, die bald reif werden sollten, erinnerten ihn an die Zeit seiner Jugend und an die vielfache Pflicht des Vaters, den Seinigen den Genuss vorzubereiten, zu verschaffen und zu erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1292,"orig":"Mit welchem Intereſſe betrachtete er die Baumſchulen und die Gebäude, wie lebhaft ſann er darauf, das Vernachläſſigte wieder herzuſtellen und das Verfallne zu erneuern.","norm":"Mit welchem Interesse betrachtete er die Baumschulen und die Gebäude, wie lebhaft sann er darauf, das Vernachlässigte wiederherzustellen und das Verfallene zu erneuern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1293,"orig":"Er ſah die Welt nicht mehr wie ein Zugvogel an, ein Gebäude nicht mehr für eine geſchwind zuſammengeſtellte Laube, die vertrocknet, ehe man ſie verläßt.","norm":"Er sah die Welt nicht mehr wie ein Zugvogel an, ein Gebäude nicht mehr für eine geschwind zusammengestellte Laube, die vertrocknet, ehe man sie verlässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1294,"orig":"Alles, was er anzulegen gedachte, ſollte dem Knaben entgegen wachſen, und alles, was er herſtellte, ſollte eine Dauer auf einige Geſchlechter haben.","norm":"Alles, was er anzulegen gedachte, sollte dem Knaben entgegenwachsen, und alles, was er herstellte, sollte eine Dauer auf einige Geschlechter haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1295,"orig":"In dieſem Sinne waren ſeine Lehrjahre geendigt, und mit dem Gefühl des Vaters hatte er auch alle Tugenden eines Bürgers erworben.","norm":"In diesem Sinne waren seine Lehrjahre geendigt, und mit dem Gefühl des Vaters hatte er auch alle Tugenden eines Bürgers erworben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1296,"orig":"Er fühlte es, und ſeiner Freude konnte nichts gleichen.","norm":"Er fühlte es, und seiner Freude konnte nichts gleichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1297,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1298,"orig":"der unnöthigen Strenge der Moral!","norm":"der unnötigen Strenge der Moral!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1299,"orig":"rief er aus, da die Natur uns auf ihre liebliche Weiſe zu allem bildet, was wir ſeyn ſollen.","norm":"rief er aus, da die Natur uns auf ihre liebliche Weise zu allem bildet, was wir sein sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1300,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1301,"orig":"der ſeltſamen Anforderungen der bürgerlichen Geſellſchaft, die uns erſt verwirrt und mißleitet, und dann mehr als die Natur ſelbſt von uns fordert.","norm":"der seltsamen Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft, die uns erst verwirrt und missleitet, und dann mehr als die Natur selbst von uns fordert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1302,"orig":"Wehe jeder Art von Bildung, welche die wirkſamſten Mittel wahrer Bildung zerſtöhrt, und uns auf das Ende hinweißt, an ſtatt uns auf dem Wege ſelbſt zu beglücken.","norm":"Wehe jeder Art von Bildung, welche die wirksamsten Mittel wahrer Bildung zerstört, und uns auf das Ende hinweist, anstatt uns auf dem Wege selbst zu beglücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1303,"orig":"So manches er auch in ſeinem Leben ſchon geſehen hatte, ſo ſchien ihm doch die menſchliche Natur erſt durch die Beobachtung des Kindes deutlich zu werden.","norm":"So manches er auch in seinem Leben schon gesehen hatte, so schien ihm doch die menschliche Natur erst durch die Beobachtung des Kindes deutlich zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1304,"orig":"Das Theater war ihm, wie die Welt, nur als eine Menge ausgeſchütteter Würfel vorgekommen, deren jeder einzeln auf ſeiner Oberfläche bald mehr, bald weniger bedeutet, und die allenfalls, zuſammengezählt, eine Summe machen.","norm":"Das Theater war ihm, wie die Welt, nur als eine Menge ausgeschütteter Würfel vorgekommen, deren jeder einzeln auf seiner Oberfläche bald mehr, bald weniger bedeutet, und die allenfalls, zusammengezählt, eine Summe machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1305,"orig":"Hier im Kinde lag ihm, konnte man ſagen, ein einzelner Würfel vor, auf deſſen vielfachen Seiten der Werth und der Unwerth der menſchlichen Natur ſo deutlich eingegraben war.","norm":"Hier im Kinde lag ihm, konnte man sagen, ein einzelner Würfel vor, auf dessen vielfachen Seiten der Wert und der Unwert der menschlichen Natur so deutlich eingegraben war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1306,"orig":"Das Verlangen des Kindes nach Unterſcheidung wuchs mit jedem Tage.","norm":"Das Verlangen des Kindes nach Unterscheidung wuchs mit jedem Tage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1307,"orig":"Da es einmal erfahren hatte, daß die Dinge Nahmen haben, ſo wollte es auch den Nahmen von allem hören, es glaubte nicht anders ſein Vater müſſe alles wiſſen, quälte ihn oft mit Fragen, und gab ihm Anlaß ſich nach Gegenſtänden zu erkundigen, denen er ſonſt wenig Aufmerkſamkeit gewidmet hatte.","norm":"Da es einmal erfahren hatte, dass die Dinge Namen haben, so wollte es auch den Namen von allem hören, es glaubte nicht anders sein Vater müsse alles wissen, quälte ihn oft mit Fragen, und gab ihm Anlass sich nach Gegenständen zu erkundigen, denen er sonst wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1308,"orig":"Auch der eingebohrne Trieb, die Herkunft und das Ende der Dinge zu erfahren, zeigte ſich früh bey dem Knaben.","norm":"Auch der eingeborene Trieb, die Herkunft und das Ende der Dinge zu erfahren, zeigte sich früh bei dem Knaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1309,"orig":"Wenn er fragte, wo der Wind herkomme und wo die Flamme hinkomme?","norm":"Wenn er fragte, wo der Wind herkomme und wo die Flamme hinkomme?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1310,"orig":"war dem Vater ſeine eigene Beſchränkung erſt recht lebendig, er wünſchte zu erfahren, wie weit ſich der Menſch mit ſeinen Gedanken wagen, und wovon er hoffen dürfe ſich und andern jemals Rechenſchaft zu geben.","norm":"war dem Vater seine eigene Beschränkung erst recht lebendig, er wünschte zu erfahren, wie weit sich der Mensch mit seinen Gedanken wagen, und wovon er hoffen dürfe sich und anderen jemals Rechenschaft zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1311,"orig":"Die Heftigkeit des Kindes, wenn es irgend einem lebendigen Weſen Unrecht geſchehen ſah, erfreute den Vater höchlich, als das Zeichen eines trefflichen Gemüths.","norm":"Die Heftigkeit des Kindes, wenn es irgendeinem lebendigen Wesen Unrecht geschehen sah, erfreute den Vater höchlich, als das Zeichen eines trefflichen Gemüts."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1312,"orig":"Das Kind ſchlug heftig nach dem Küchenmädchen, das einige Tauben abgeſchnitten hatte; dieſer ſchöne Begriff wurde denn freylich bald wieder zerſtöhrt, als er den Knaben fand, der ohne Barmherzigkeit Fröſche todt ſchlug und Schmetterlinge zerrupfte.","norm":"Das Kind schlug heftig nach dem Küchenmädchen, das einige Tauben abgeschnitten hatte; dieser schöne Begriff wurde denn freilich bald wieder zerstört, als er den Knaben fand, der ohne Barmherzigkeit Frösche totschlug und Schmetterlinge zerrupfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1313,"orig":"Es erinnerte ihn dieſer Zug an ſo viele Menſchen, die höchſt gerecht erſcheinen, wenn ſie ohne Leidenſchaft ſind, und die Handlungen anderer beobachten.","norm":"Es erinnerte ihn dieser Zug an so viele Menschen, die höchst gerecht erscheinen, wenn sie ohne Leidenschaft sind, und die Handlungen anderer beobachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1314,"orig":"Dieſes angenehme Gefühl, daß der Knabe ſo einen ſchönen und wahren Einfluß auf ſein Daſeyn habe, ward einen Augenblick geſtöhrt, als Wilhelm im Kurzen bemerkte, daß wirklich der Knabe mehr ihn als er den Knaben erziehe; er hatte an dem Kinde nichts auszuſetzen, er war nicht im Stande ihm eine Richtung zu geben, die es nicht ſelbſt nahm, und ſogar die Unarten, gegen die Aurelie ſo viel gearbeitet hatte, waren, ſo ſchien es, nach dem Tode dieſer Freundin alle wieder in ihre alten Rechte getreten; noch machte das Kind die Thüre niemals hinter ſich zu, noch wollte er ſeinen Teller nicht abeſſen, und ſein Behagen war niemals größer, als wenn man ihm nachſah, daß er den Biſſen unmittelbar aus der Schüſſel nehmen, das volle Glas ſtehen laſſen und aus der Flaſche trinken konnte; ſo war er auch ganz allerliebſt, wenn er ſich mit einem Buche in die Ecke ſetzte, und ſehr ernſthaft ſagte: ich muß das gelehrte Zeug ſtudiren!","norm":"Dieses angenehme Gefühl, dass der Knabe so einen schönen und wahren Einfluss auf sein Dasein habe, wurde einen Augenblick gestört, als Wilhelm im Kurzen bemerkte, dass wirklich der Knabe mehr ihn als er den Knaben erziehe; er hatte an dem Kinde nichts auszusetzen, er war nicht imstande ihm eine Richtung zu geben, die es nicht selbst nahm, und sogar die Unarten, gegen die Aurelie so viel gearbeitet hatte, waren, so schien es, nach dem Tode dieser Freundin alle wieder in ihre alten Rechte getreten; noch machte das Kind die Türe niemals hinter sich zu, noch wollte er seinen Teller nicht abessen, und sein Behagen war niemals größer, als wenn man ihm nachsah, dass er den Bissen unmittelbar aus der Schüssel nehmen, das volle Glas stehenlassen und aus der Flasche trinken konnte; so war er auch ganz allerliebst, wenn er sich mit einem Buche in die Ecke setzte, und sehr ernsthaft sagte: Ich muss das gelehrte Zeug studieren!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1315,"orig":"ob er gleich die Buchſtaben noch lange weder unterſcheiden konnte noch wollte.","norm":"ob er gleich die Buchstaben noch lange weder unterscheiden konnte noch wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1316,"orig":"Bedachte nun Wilhelm, wie wenig er bisher für das Kind gethan hatte, wie wenig er zu thun fähig ſey, ſo entſtand eine Unruhe in ihm, die ſein ganzes Glück aufzuwiegen im Stande war.","norm":"Bedachte nun Wilhelm, wie wenig er bisher für das Kind getan hatte, wie wenig er zu tun fähig sei, so entstand eine Unruhe in ihm, die sein ganzes Glück aufzuwiegen imstande war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1317,"orig":"Sind wir Männer denn, ſagte er zu ſich, ſo ſelbſtiſch gebohren, daß wir unmöglich für ein Weſen außer uns Sorge tragen können?","norm":"Sind wir Männer denn, sagte er zu sich, so selbstisch geboren, dass wir unmöglich für ein Wesen außer uns Sorge tragen können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1318,"orig":"Bin ich mit dem Knaben nicht eben auf dem Wege, auf dem ich mit Mignon war?","norm":"Bin ich mit dem Knaben nicht eben auf dem Wege, auf dem ich mit Mignon war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1319,"orig":"ich zog das liebe Kind an, ſeine Gegenwart ergötzte mich, und dabey habe ich es aufs grauſamſte vernachläſſigt.","norm":"Ich zog das liebe Kind an, seine Gegenwart ergötzte mich, und dabei habe ich es aufs grausamste vernachlässigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1320,"orig":"Was that ich zu ſeiner Bildung, nach der es ſo ſehr ſtrebte?","norm":"Was tat ich zu seiner Bildung, nach der es so sehr strebte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1321,"orig":"nichts!","norm":"Nichts!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1322,"orig":"Ich überließ es ſich ſelbſt und allen Zufälligkeiten, denen es, in einer ungebildeten Geſellſchaft, nur ausgeſetzt ſeyn konnte; und dann für dieſen Knaben, der dir ſo merkwürdig war, ehe er dir ſo werth ſeyn konnte, hat dich denn dein Herz geheißen auch nur jemals das geringſte für ihn zu thun?","norm":"Ich überließ es sich selbst und allen Zufälligkeiten, denen es, in einer ungebildeten Gesellschaft, nur ausgesetzt sein konnte; und dann für diesen Knaben, der dir so merkwürdig war, ehe er dir so wert sein konnte, hat dich denn dein Herz geheißen auch nur jemals das geringste für ihn zu tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1323,"orig":"Es iſt nicht mehr Zeit, daß du deine eigenen Jahre und die Jahre anderer vergeudeſt; nimm dich zuſammen, und denke was du für dich und die guten Geſchöpfe zu thun haſt, welche Natur und Neigung ſo feſt an dich knüpfte.","norm":"Es ist nicht mehr Zeit, dass du deine eigenen Jahre und die Jahre anderer vergeudest; nimm dich zusammen, und denke was du für dich und die guten Geschöpfe zu tun hast, welche Natur und Neigung so fest an dich knüpfte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1324,"orig":"Eigentlich war dieſes Selbſtgeſpräch nur eine Einleitung, ſich zu bekennen, daß er ſchon gedacht, geſorgt, geſucht und gewählt hatte, er konnte nicht länger anſtehen, ſich es ſelbſt zu geſtehen.","norm":"Eigentlich war dieses Selbstgespräch nur eine Einleitung, sich zu bekennen, dass er schon gedacht, gesorgt, gesucht und gewählt hatte, er konnte nicht länger anstehen, sich es selbst zugestehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1325,"orig":"Nach oft vergebens wiederholtem Schmerz über den Verluſt Marianens, fühlte er nur zu deutlich, daß er eine Mutter für den Knaben ſuchen müſſe, und daß er ſie nicht ſichrer als in Thereſen finden werde.","norm":"Nach oft vergebens wiederholtem Schmerz über den Verlust Marianes, fühlte er nur zu deutlich, dass er eine Mutter für den Knaben suchen müsse, und dass er sie nicht sicherer als in Theresa finden werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1326,"orig":"Er kannte dieſes vortreffliche Frauenzimmer ganz.","norm":"Er kannte dieses vortreffliche Frauenzimmer ganz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1327,"orig":"Eine ſolche Gattin und Gehülfin ſchien die einzige zu ſeyn, der man ſich und die ſeinen anvertrauen könnte.","norm":"Eine solche Gattin und Gehilfin schien die einzige zu sein, der man sich und die Seinen anvertrauen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1328,"orig":"Ihre edle Neigung zu Lothario machte ihm keine Bedenklichkeit.","norm":"Ihre edle Neigung zu Lothario machte ihm keine Bedenklichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1329,"orig":"Sie waren durch ein ſonderbares Schickſal auf ewig getrennt, Thereſe hielt ſich für frey, und hatte von einer Heirath zwar mit Gleichgültigkeit, doch als von einer Sache geſprochen, die ſich von ſelbſt verſteht.","norm":"Sie waren durch ein sonderbares Schicksal auf ewig getrennt, Therese hielt sich für frei, und hatte von einer Heirat zwar mit Gleichgültigkeit, doch als von einer Sache gesprochen, die sich von selbst versteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1330,"orig":"Nachdem er lange mit ſich zu Rathe gegangen war, nahm er ſich vor, ihr von ſich zu ſagen, ſo viel er nur wußte.","norm":"Nachdem er lange mit sich zu Rate gegangen war, nahm er sich vor, ihr von sich zu sagen, soviel er nur wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1331,"orig":"Sie ſollte ihn kennen lernen, wie er ſie kannte, und er fing nun an, ſeine eigene Geſchichte durchzudenken, ſie ſchien ihm an Begebenheiten ſo leer und im Ganzen jedes Bekänntniß ſo wenig zu ſeinem Vortheil, daß er mehr als Einmal von dem Vorſatz abzuſtehn im Begriff war.","norm":"Sie sollte ihn kennen lernen, wie er sie kannte, und er fing nun an, seine eigene Geschichte durchzudenken, sie schien ihm an Begebenheiten so leer und im Ganzen jedes Bekenntnis so wenig zu seinem Vorteil, dass er mehr als einmal von dem Vorsatz abzustehen im Begriff war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1332,"orig":"Endlich entſchloß er ſich die Rolle ſeiner Lehrjahre aus dem Thurme von Jarno zu verlangen; dieſer ſagte: es iſt eben zur rechten Zeit, und Wilhelm erhielt ſie.","norm":"Endlich entschloss er sich die Rolle seiner Lehrjahre aus dem Turme von Jarno zu verlangen; dieser sagte: Es ist eben zur rechten Zeit, und Wilhelm erhielt sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1333,"orig":"Es iſt eine ſchauderhafte Empfindung, wenn ein edler Menſch, mit Bewußtſeyn, auf dem Puncte ſteht, wo er über ſich ſelbſt aufgeklärt werden ſoll.","norm":"Es ist eine schauderhafte Empfindung, wenn ein edler Mensch, mit Bewusstsein, auf dem Punkte steht, wo er über sich selbst aufgeklärt werden soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1334,"orig":"Alle Übergänge ſind Criſen, und iſt eine Criſe nicht Krankheit?","norm":"Alle Übergänge sind Krisen, und ist eine Krise nicht Krankheit?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1335,"orig":"Wie ungern tritt man nach einer Krankheit vor den Spiegel!","norm":"Wie ungern tritt man nach einer Krankheit vor den Spiegel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1336,"orig":"Die Beſſerung fühlt man, und man ſieht nur die Wirkung des vergangenen Übels.","norm":"Die Besserung fühlt man, und man sieht nur die Wirkung des vergangenen Übels."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1337,"orig":"Wilhelm war indeſſen vorbereitet genug, die Umſtände hatten ſchon lebhaft zu ihm geſprochen, ſeine Freunde hatten ihn eben nicht geſchont, und wenn er gleich das Pergament mit einiger Haſt aufrollte, ſo ward er doch immer ruhiger, je weiter er las.","norm":"Wilhelm war indessen vorbereitet genug, die Umstände hatten schon lebhaft zu ihm gesprochen, seine Freunde hatten ihn eben nicht geschont, und wenn er gleich das Pergament mit einiger Hast aufrollte, so wurde er doch immer ruhiger, je weiter er las."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1338,"orig":"Er fand die umſtändliche Geſchichte ſeines Lebens in großen ſcharfen Zügen geſchildert, weder einzelne Begebenheiten, noch beſchränkte Empfindungen verwirrten ſeinen Blick, allgemeine liebevolle Betrachtungen gaben ihm Fingerzeige, ohne ihn zu beſchämen, und er ſah zum erſtenmal ſein Bild außer ſich, zwar nicht, wie im Spiegel, ein zweytes Selbſt, ſondern wie im Portrait, ein anderes Selbſt; man bekennt ſich zwar nicht zu allen Zügen, aber man freut ſich, daß ein denkender Geiſt uns ſo hat faſſen, ein großes Talent uns ſo hat darſtellen wollen, daß ein Bild von dem, was wir waren, noch beſteht, und daß es länger als wir ſelbſt dauren kann.","norm":"Er fand die umständliche Geschichte seines Lebens in großen scharfen Zügen geschildert, weder einzelne Begebenheiten, noch beschränkte Empfindungen verwirrten seinen Blick, allgemeine liebevolle Betrachtungen gaben ihm Fingerzeige, ohne ihn zu beschämen, und er sah zum ersten Mal sein Bild außer sich, zwar nicht, wie im Spiegel, ein zweites Selbst, sondern wie im Porträt, ein anderes Selbst; man bekennt sich zwar nicht zu allen Zügen, aber man freut sich, dass ein denkender Geist uns so hat fassen, ein großes Talent uns so hat darstellen wollen, dass ein Bild von dem, was wir waren, noch besteht, und dass es länger als wir selbst dauern kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1339,"orig":"Wilhelm beſchäftigte ſich nunmehr, indem alle Umſtände durch dieß Manuſcript in ſein Gedächtniß zurück kamen, die Geſchichte ſeines Lebens für Thereſen aufzuſetzen, und er ſchämte ſich faſt, daß er gegen ihre große Tugenden nichts aufzuſtellen hatte, was eine zweckmäßige Thätigkeit beweiſen konnte.","norm":"Wilhelm beschäftigte sich nunmehr, indem alle Umstände durch dies Manuskript in sein Gedächtnis zurückkamen, die Geschichte seines Lebens für Theresa aufzusetzen, und er schämte sich fast, dass er gegen ihre große Tugenden nichts aufzustellen hatte, was eine zweckmäßige Tätigkeit beweisen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1340,"orig":"So umſtändlich er in dem Aufſatze war, ſo kurz faßte er ſich in dem Briefe, den er an ſie ſchrieb; er bat ſie um ihre Freundſchaft, um ihre Liebe, wenns möglich wäre, er bot ihr ſeine Hand an, und bat ſie um baldige Entſcheidung.","norm":"So umständlich er in dem Aufsatze war, so kurz fasste er sich in dem Briefe, den er an sie schrieb; er bat sie um ihre Freundschaft, um ihre Liebe, wenn es möglich wäre, er bot ihr seine Hand an, und bat sie um baldige Entscheidung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1341,"orig":"Nach einigem innerlichen Streit, ob er dieſe wichtige Sache noch erſt mit ſeinen Freunden, mit Jarno und dem Abbé berathen ſolle?","norm":"Nach einigem innerlichen Streit, ob er diese wichtige Sache noch erst mit seinen Freunden, mit Jarno und dem Abbé beraten solle?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1342,"orig":"entſchied er ſich zu ſchweigen.","norm":"entschied er sich zu schweigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1343,"orig":"Er war zu feſt entſchloſſen, die Sache war für ihn zu wichtig, als daß er ſie noch hätte dem Urtheil des vernünftigſten und beſten Mannes unterwerfen mögen; ja ſogar brauchte er die Vorſicht, ſeinen Brief auf der nächſten Poſt ſelbſt zu beſtellen.","norm":"Er war zu fest entschlossen, die Sache war für ihn zu wichtig, als dass er sie noch hätte dem Urteil des vernünftigsten und besten Mannes unterwerfen mögen; ja sogar brauchte er die Vorsicht, seinen Brief auf der nächsten Post selbst zu bestellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1344,"orig":"Vielleicht hatte ihm der Gedanke, daß er in ſo vielen Umſtänden ſeines Lebens, in denen er frey und im Verborgnen zu handeln glaubte, beobachtet, ja ſogar geleitet worden war, wie ihm aus der geſchriebenen Rolle nicht undeutlich erſchien, eine Art von unangenehmer Empfindung gegeben, und nun wollte er, wenigſtens zu Thereſens Herzen, rein vom Herzen reden, und ihrer Entſchließung und Entſcheidung ſein Schickſal ſchuldig ſeyn, und ſo machte er ſich kein Gewiſſen, ſeine Wächter und Aufſeher in dieſem wichtigen Puncte wenigſtens zu umgehen.","norm":"Vielleicht hatte ihm der Gedanke, dass er in so vielen Umständen seines Lebens, in denen er frei und im Verborgenen zu handeln glaubte, beobachtet, ja sogar geleitet worden war, wie ihm aus der geschriebenen Rolle nicht undeutlich erschien, eine Art von unangenehmer Empfindung gegeben, und nun wollte er, wenigstens zu Theresens Herzen, rein vom Herzen reden, und ihrer Entschließung und Entscheidung sein Schicksal schuldig sein, und so machte er sich kein Gewissen, seine Wächter und Aufseher in diesem wichtigen Punkte wenigstens zu umgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1345,"orig":"Kaum war der Brief abgeſendet, als Lothario zurück kam Jedermann freuete ſich die vorbereiteten wichtigen Geſchäfte abgeſchloſſen und bald geendigt zu ſehen, und Wilhelm erwartete mit Verlangen, wie ſo viele Fäden theils neu geknüpft, theils aufgelöſt, und nun ſein eignes Verhältniß auf die Zukunft beſtimmt werden ſollte.","norm":"Kaum war der Brief abgesendet, als Lothario zurückkam jedermann freute sich die vorbereiteten wichtigen Geschäfte abgeschlossen und bald geendigt zu sehen, und Wilhelm erwartete mit Verlangen, wie so viele Fäden teils neu geknüpft, teils aufgelöst, und nun sein eigenes Verhältnis auf die Zukunft bestimmt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1346,"orig":"Lothario begrüßte ſie alle aufs beſte, er war völlig wieder hergeſtellt und heiter, er hatte das Anſehen eines Mannes, der weiß was er thun ſoll, und dem in allem, was er thun will, nichts im Wege ſteht.","norm":"Lothario begrüßte sie alle aufs beste, er war völlig wiederhergestellt und heiter, er hatte das Ansehen eines Mannes, der weiß was er tun soll, und dem in allem, was er tun will, nichts im Wege steht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1347,"orig":"Wilhelm konnte ihm ſeinen herzlichen Gruß nicht zurück geben.","norm":"Wilhelm konnte ihm seinen herzlichen Gruß nicht zurückgeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1348,"orig":"Dies iſt, mußte er zu ſich ſelbſt ſagen, der Freund, der Geliebte, der Bräutigam Thereſens, an deſſen Statt du dich einzudrängen denkſt.","norm":"Dies ist, musste er zu sich selbst sagen, der Freund, der Geliebte, der Bräutigam Theresens, an dessen statt du dich einzudrängen denkst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1349,"orig":"Glaubſt du denn jemals einen ſolchen Eindruck auszulöſchen oder zu verbannen?","norm":"Glaubst du denn jemals einen solchen Eindruck auszulöschen oder zu verbannen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1350,"orig":"— Wäre der Brief noch nicht fort geweſen, er hätte vielleicht nicht gewagt ihn abzulaſſen.","norm":"— Wäre der Brief noch nicht fort gewesen, er hätte vielleicht nicht gewagt ihn abzusenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1351,"orig":"Glücklicher Weiſe war der Wurf ſchon gethan, vielleicht war Thereſe ſchon entſchieden, nur die Entfernung deckte noch eine glückliche Vollendung mit ihrem Schleyer.","norm":"Glücklicherweise war der Wurf schon getan, vielleicht war Therese schon entschieden, nur die Entfernung deckte noch eine glückliche Vollendung mit ihrem Schleier."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1352,"orig":"Gewinn und Verluſt mußten ſich bald entſcheiden.","norm":"Gewinn und Verlust mussten sich bald entscheiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1353,"orig":"Er ſuchte ſich durch alle dieſe Betrachtungen zu beruhigen, und doch waren die Bewegungen ſeines Herzens beynahe fieberhaft.","norm":"Er suchte sich durch alle diese Betrachtungen zu beruhigen, und doch waren die Bewegungen seines Herzens beinahe fieberhaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1354,"orig":"Nur wenig Aufmerkſamkeit konnte er auf das wichtige Geſchäft wenden, woran gewiſſermaßen das Schickſal ſeines ganzen Vermögens hing.","norm":"Nur wenig Aufmerksamkeit konnte er auf das wichtige Geschäft wenden, woran gewissermaßen das Schicksal seines ganzen Vermögens hing."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1355,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1356,"orig":"wie unbedeutend erſcheint dem Menſchen in leidenſchaftlichen Augenblicken alles was ihn umgiebt, alles was ihm angehört.","norm":"wie unbedeutend erscheint dem Menschen in leidenschaftlichen Augenblicken alles was ihn umgibt, alles was ihm angehört."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1357,"orig":"Glücklicher Weiſe für ihn behandelte Lothario die Sache groß und Werner mit Leichtigkeit.","norm":"Glücklicherweise für ihn behandelte Lothario die Sache groß und Werner mit Leichtigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1358,"orig":"Dieſer hatte bey ſeiner heftigen Begierde zum Erwerb eine lebhafte Freude über den ſchönen Beſitz, der ihm oder vielmehr ſeinem Freunde werden ſollte.","norm":"Dieser hatte bei seiner heftigen Begierde zum Erwerbe eine lebhafte Freude über den schönen Besitz, der ihm oder vielmehr seinem Freunde werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1359,"orig":"Lothario von ſeiner Seite ſchien ganz andere Betrachtungen zu machen.","norm":"Lothario von seiner Seite schien ganz andere Betrachtungen zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1360,"orig":"Ich kann mich nicht ſowohl über einen Beſitz freuen, ſagte er, als über die Rechtmäßigkeit deſſelben.","norm":"Ich kann mich nicht sowohl über einen Besitz freuen, sagte er, als über die Rechtmäßigkeit desselben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1361,"orig":"Nun, beym Himmel!","norm":"Nun, beim Himmel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1362,"orig":"rief Werner, wird denn dieſer unſer Beſitz nicht rechtmäßig genug?","norm":"rief Werner, wird denn dieser unser Besitz nicht rechtmäßig genug?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1363,"orig":"Nicht ganz!","norm":"Nicht ganz!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1364,"orig":"verſetzte Lothario.","norm":"versetzte Lothario."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1365,"orig":"Geben wir denn nicht unſer baares Geld dafür?","norm":"Geben wir denn nicht unser bares Geld dafür?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1366,"orig":"Recht gut!","norm":"Recht gut!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1367,"orig":"ſagte Lothario, auch werden Sie dasjenige, was ich zu erinnern habe, vielleicht für einen leeren Scrupel halten.","norm":"sagte Lothario, auch werden Sie dasjenige, was ich zu erinnern habe, vielleicht für einen leeren Skrupel halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1368,"orig":"Mir kommt kein Beſitz ganz rechtmäßig, ganz rein vor, als der dem Staate ſeinen ſchuldigen Theil abträgt.","norm":"Mir kommt kein Besitz ganz rechtmäßig, ganz rein vor, als der dem Staate seinen schuldigen Teil abträgt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1369,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1370,"orig":"ſagte Werner, ſo wollten Sie alſo lieber, daß unſere freygekauften Güter ſteuerbar wären?","norm":"sagte Werner, so wollten Sie also lieber, dass unsere freigekauften Güter steuerbar wären?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1371,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1372,"orig":"verſetzte Lothario, bis auf einen gewiſſen Grad, denn durch dieſe Gleichheit mit allen übrigen Beſitzungen, entſteht ganz allein die Sicherheit des Beſitzes.","norm":"versetzte Lothario, bis auf einen gewissen Grad, denn durch diese Gleichheit mit allen übrigen Besitzungen, entsteht ganz allein die Sicherheit des Besitzes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1373,"orig":"Was hat der Bauer in den neuern Zeiten, wo ſo viele Begriffe ſchwankend werden, für einen Hauptanlaß, den Beſitz des Edelmanns für weniger gegründet anzuſehen, als den ſeinigen?","norm":"Was hat der Bauer in den neueren Zeiten, wo so viele Begriffe schwankend werden, für einen Hauptanlass, den Besitz des Edelmanns für weniger gegründet anzusehen, als den seinigen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1374,"orig":"nur den, daß jener nicht belaſtet iſt, und auf ihn laſtet.","norm":"Nur den, dass jener nicht belastet ist, und auf ihn lastet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1375,"orig":"Wie wird es aber mit den Zinſen unſeres Capitals ausſehen, verſetzte Werner.","norm":"Wie wird es aber mit den Zinsen unseres Kapitals aussehen, versetzte Werner."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1376,"orig":"Um nichts ſchlimmer!","norm":"Um nichts schlimmer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1377,"orig":"ſagte Lothario, wenn uns der Staat gegen eine billige regelmäßige","norm":"sagte Lothario, wenn uns der Staat gegen eine billige regelmäßige"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1378,"orig":"Abgabe das Lehns-Hokus-Pokus erlaſſen, und uns mit unſern Gütern nach Belieben zu ſchalten erlauben wollte, daß wir ſie nicht in ſo großen Maſſen zuſammenhalten müßten, daß wir ſie unter unſere Kinder gleicher vertheilen könnten, um alle in eine lebhafte freye Thätigkeit zu verſetzen, ſtatt ihnen nur die beſchränkten und beſchränkenden Vorrechte zu hinterlaſſen, welche zu genießen wir immer die Geiſter unſerer Vorfahren hervorrufen müſſen.","norm":"Abgabe das Lehns-Hokuspokus erlassen, und uns mit unseren Gütern nach Belieben zu schalten erlauben wollte, dass wir sie nicht in so großen Massen zusammenhalten müssten, dass wir sie unter unsere Kinder gleicher verteilen könnten, um alle in eine lebhafte freie Tätigkeit zu versetzen, statt ihnen nur die beschränkten und beschränkenden Vorrechte zu hinterlassen, welche zu genießen wir immer die Geister unserer Vorfahren hervorrufen müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1379,"orig":"Wie viel glücklicher wären Männer und Frauen, wenn ſie mit freyen Augen umher ſehen, und bald ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen Jüngling, ohne andere Rückſichten, durch ihre Wahl erheben könnten.","norm":"Wie viel glücklicher wären Männer und Frauen, wenn sie mit freien Augen umhersehen, und bald ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen Jüngling, ohne andere Rücksichten, durch ihre Wahl erheben könnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1380,"orig":"Der Staat würde mehr, vielleicht beſſere Bürger haben, und nicht ſo oft um Köpfe und Hände verlegen ſeyn.","norm":"Der Staat würde mehr, vielleicht bessere Bürger haben, und nicht so oft um Köpfe und Hände verlegen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1381,"orig":"Ich kann Sie verſichern, ſagte Werner, daß ich in meinem Leben nie an den Staat gedacht habe, meine Abgaben, Zölle und Geleite habe ich nur ſo bezahlt, weil es einmal hergebracht iſt.","norm":"Ich kann Sie versichern, sagte Werner, dass ich in meinem Leben nie an den Staat gedacht habe, meine Abgaben, Zölle und Geleite habe ich nur so bezahlt, weil es einmal hergebracht ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1382,"orig":"Nun ſagte Lothario, ich hoffe Sie noch zum guten Patrioten zu machen; denn wie der nur ein guter Vater iſt, der bey Tiſche erſt ſeinen Kindern vorlegt, ſo iſt der nur ein guter Bürger, der vor allen andern Ausgaben das, was er dem Staate zu entrichten hat, zurücklegt.","norm":"Nun sagte Lothario, ich hoffe Sie noch zum guten Patrioten zu machen; denn wie der nur ein guter Vater ist, der bei Tische erst seinen Kindern vorlegt, so ist der nur ein guter Bürger, der vor allen anderen Ausgaben das, was er dem Staate zu entrichten hat, zurücklegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1383,"orig":"Durch ſolche allgemeine Betrachtungen wurden ihre beſondern Geſchäfte nicht aufgehalten, vielmehr beſchleunigt.","norm":"Durch solche allgemeine Betrachtungen wurden ihre besonderen Geschäfte nicht aufgehalten, vielmehr beschleunigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1384,"orig":"Als ſie ziemlich damit zu Stande waren, ſagte Lothario zu Wilhelmen: ich muß Sie nun an einen Ort ſchicken, wo Sie nöthiger ſind als hier, meine Schweſter läßt Sie erſuchen ſobald als möglich zu ihr zu kommen, der arme Mignon ſcheint ſich zu verzehren, und man glaubt Ihre Gegenwart könnte vielleicht noch dem Übel Einhalt thun.","norm":"Als sie ziemlich damit zustande waren, sagte Lothario zu Wilhelm: Ich muss Sie nun an einen Ort schicken, wo Sie nötiger sind als hier, meine Schwester lässt Sie ersuchen so bald als möglich zu ihr zu kommen, der arme Mignon scheint sich zu verzehren, und man glaubt Ihre Gegenwart könnte vielleicht noch dem Übel Einhalt tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1385,"orig":"Meine Schweſter ſchickte mir dieſes Billet noch nach, woraus Sie ſehen können, wie viel ihr daran gelegen iſt.","norm":"Meine Schwester schickte mir dieses Billett noch nach, woraus Sie sehen können, wie viel ihr daran gelegen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1386,"orig":"Lothario überreichte ihm ein Blättchen.","norm":"Lothario überreichte ihm ein Blättchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1387,"orig":"Wilhelm, der ſchon in der größten Verlegenheit zugehört hatte, erkannte ſogleich an dieſen flüchtigen Bleiſtiftzügen die Hand der Gräfin, und wußte nicht, was er antworten ſollte.","norm":"Wilhelm, der schon in der größten Verlegenheit zugehört hatte, erkannte sogleich an diesen flüchtigen Bleistiftzügen die Hand der Gräfin, und wusste nicht, was er antworten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1388,"orig":"Nehmen Sie Felix mit, ſagte Lothario, damit die Kinder ſich unter einander aufheitern.","norm":"Nehmen Sie Felix mit, sagte Lothario, damit die Kinder sich untereinander aufheitern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1389,"orig":"Sie müßten morgen früh bey Zeiten weg, der Wagen meiner Schweſter, in welchem meine Leute hergefahren ſind, iſt noch hier, ich gebe Ihnen Pferde bis auf halben Weg, dann nehmen Sie Poſt.","norm":"Sie müssten morgen früh beizeiten weg, der Wagen meiner Schwester, in welchem meine Leute hergefahren sind, ist noch hier, ich gebe Ihnen Pferde bis auf halbem Weg, dann nehmen Sie Post."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1390,"orig":"Leben Sie recht wohl, und richten viele Grüße von mir aus.","norm":"Leben Sie recht wohl, und richten viele Grüße von mir aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1391,"orig":"Sagen Sie dabey meiner Schweſter, ich werde ſie bald wieder ſehen, und ſie ſoll ſich überhaupt auf einige Gäſte vorbereiten.","norm":"Sagen Sie dabei meiner Schwester, ich werde sie bald wiedersehen, und sie soll sich überhaupt auf einige Gäste vorbereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1392,"orig":"Der Freund unſeres Großoheims, der Markeſe Cipriani, iſt auf dem Wege hierher zu kommen, er hoffte den alten Mann noch am Leben anzutreffen, und ſie wollten ſich zuſammen an der Erinnerung früherer Verhältniſſe ergötzen, und ſich ihrer gemeinſamen Kunſtliebhaberey erfreuen.","norm":"Der Freund unseres Großoheims, der Marchese Cipriani, ist auf dem Wege hierherzukommen, er hoffte den alten Mann noch am Leben anzutreffen, und sie wollten sich zusammen an der Erinnerung früherer Verhältnisse ergötzen, und sich ihrer gemeinsamen Kunstliebhaberei erfreuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1393,"orig":"Der Markeſe war viel jünger als mein Oheim, und verdankte ihm den beſten Theil ſeiner Bildung, wir müſſen alles aufbieten, um einigermaßen die Lücke auszufüllen, die er finden wird, und das wird am beſten durch eine größere Geſellſchaft geſchehen.","norm":"Der Marchese war viel jünger als mein Oheim, und verdankte ihm den besten Teil seiner Bildung, wir müssen alles aufbieten, um einigermaßen die Lücke auszufüllen, die er finden wird, und das wird am besten durch eine größere Gesellschaft geschehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1394,"orig":"Lothario ging darauf mit dem Abbé in ſein Zimmer, Jarno war vorher weggeritten, Wilhelm eilte auf ſeine Stube, er hatte niemand, dem er ſich vertrauen, niemand durch den er einen Schritt, vor dem er ſich ſo ſehr fürchtete, hätte abwenden können.","norm":"Lothario ging darauf mit dem Abbé in sein Zimmer, Jarno war vorher weggeritten, Wilhelm eilte auf seine Stube, er hatte niemand, dem er sich vertrauen, niemand durch den er einen Schritt, vor dem er sich so sehr fürchtete, hätte abwenden können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1395,"orig":"Der kleine Diener kam, und erſuchte ihn einzupacken, weil ſie noch dieſe Nacht aufbinden wollten, um mit Anbruch des Tages wegzufahren.","norm":"Der kleine Diener kam, und ersuchte ihn einzupacken, weil sie noch diese Nacht aufbinden wollten, um mit Anbruch des Tages wegzufahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1396,"orig":"Wilhelm wußte nicht, was er thun ſollte, endlich rief er aus:","norm":"Wilhelm wusste nicht, was er tun sollte, endlich rief er aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1397,"orig":"Du willſt nur machen, daß Du aus dieſem Hauſe kommſt, unterweges überlegſt Du, was zu thun iſt, und bleibſt allenfalls auf der Hälfte des Weges liegen, ſchickſt einen Bothen zurück, ſchreibſt was Du Dir nicht zu ſagen getrauſt, und dann mag werden was will.","norm":"Du willst nur machen, dass Du aus diesem Hause kommst, unterwegs überlegst Du, was zu tun ist, und bleibst allenfalls auf der Hälfte des Weges liegen, schickst einen Boten zurück, schreibst was Du Dir nicht zu sagen getraust, und dann mag werden was will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1398,"orig":"Ohngeachtet dieſes Entſchluſſes brachte er eine ſchlafloſe Nacht zu, nur ein Blick auf den ſo ſchön ruhenden Felix gab ihm einige Erquickung.","norm":"Ungeachtet dieses Entschlusses brachte er eine schlaflose Nacht zu, nur ein Blick auf den so schön ruhenden Felix gab ihm einige Erquickung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1399,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1400,"orig":"rief er aus, wer weiß, was noch für Prüfungen auf mich warten, wer weiß wie ſehr mich begangene Fehler noch quälen, wie oft mir gute und vernünftige Plane für die Zukunft mißlingen ſollen, aber dieſen Schatz, den ich einmal beſitze, erhalte mir, du erbittliches, oder unerbittliches Schickſal!","norm":"rief er aus, wer weiß, was noch für Prüfungen auf mich warten, wer weiß wie sehr mich begangene Fehler noch quälen, wie oft mir gute und vernünftige Plane für die Zukunft misslingen sollen, Aber diesen Schatz, den ich einmal besitze, erhalte mir, du erbittliches, oder unerbittliches Schicksal!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1401,"orig":"wäre es möglich, daß dieſer beſte Theil von mir ſelbſt vor mir zerſtöhrt, daß dieſes Herz von meinem Herzen geriſſen werden könnte, ſo lebe wohl Verſtand und Vernunft, lebe wohl jede Sorgfalt und Vorſicht, verſchwinde du Trieb zur Erhaltung!","norm":"wäre es möglich, dass dieser beste Teil von mir selbst vor mir zerstört, dass dieses Herz von meinem Herzen gerissen werden könnte, so lebe wohl Verstand und Vernunft, lebe wohl jede Sorgfalt und Vorsicht, verschwinde du Trieb zur Erhaltung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1402,"orig":"alles, was uns vom Thier unterſcheidet, verliehre ſich!","norm":"Alles, was uns vom Tier unterscheidet, verliere sich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1403,"orig":"und wenn es nicht erlaubt iſt, ſeine traurigen Tage freywillig zu endigen, ſo hebe ein frühzeitiger Wahnſinn das Bewußtſeyn auf, ehe der Tod, der es auf immer zerſtöhrt, die lange Nacht herbeyführt.","norm":"und wenn es nicht erlaubt ist, seine traurigen Tage freiwillig zu endigen, so hebe ein frühzeitiger Wahnsinn das Bewusstsein auf, ehe der Tod, der es auf immer zerstört, die lange Nacht herbeiführt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1404,"orig":"Er faßte den Knaben in ſeine Arme, küßte ihn, drückte ihn an ſich und benetzte ihn mit reichlichen Thränen.","norm":"Er fasste den Knaben in seine Arme, küsste ihn, drückte ihn an sich und benetzte ihn mit reichlichen Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1405,"orig":"Das Kind wachte auf; ſein helles Auge, ſein freundlicher Blick rührten den Vater aufs innigſte.","norm":"Das Kind wachte auf; sein helles Auge, sein freundlicher Blick rührten den Vater aufs innigste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1406,"orig":"Welche Scene ſteht mir bevor, rief er aus, wenn ich Dich der ſchönen unglücklichen Gräfin vorſtellen ſoll, wenn ſie Dich an ihren Buſen drückt, den Dein Vater ſo tief verletzt hat.","norm":"Welche Szene steht mir bevor, rief er aus, wenn ich Dich der schönen unglücklichen Gräfin vorstellen soll, wenn sie Dich an ihren Busen drückt, den Dein Vater so tief verletzt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1407,"orig":"Muß ich nicht fürchten, ſie ſtößt Dich wieder von ſich mit einem Schrey, ſobald Deine Berührung ihren wahren oder eingebildeten Schmerz erneuert.","norm":"Muss ich nicht fürchten, sie stößt Dich wieder von sich mit einem Schrei, sobald Deine Berührung ihren wahren oder eingebildeten Schmerz erneuert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1408,"orig":"Der Kutſcher ließ ihm nicht Zeit weiter zu denken oder zu wählen, er nöthigte ihn vor Tage in den Wagen; nun wickelte er ſeinen Felix wohl ein, der Morgen war kalt aber heiter, das Kind ſah zum erſtenmal in ſeinem Leben die Sonne aufgehn.","norm":"Der Kutscher ließ ihm nicht Zeit weiter zu denken oder zu wählen, er nötigte ihn vor Tage in den Wagen; nun wickelte er seinen Felix wohl ein, der Morgen war kalt aber heiter, das Kind sah zum ersten Mal in seinem Leben die Sonne aufgehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1409,"orig":"Sein Erſtaunen über den erſten feurigen Blick, über die wachſende Gewalt des Lichts, ſeine Freude und ſeine wunderlichen Bemerkungen erfreuten den Vater, und ließen ihn einen Blick in das Herz thun, vor welchem die Sonne wie über einem reinen ſtillen See emporſteigt und ſchwebt.","norm":"Sein Erstaunen über den ersten feurigen Blick, über die wachsende Gewalt des Lichts, seine Freude und seine wunderlichen Bemerkungen erfreuten den Vater, und ließen ihn einen Blick in das Herz tun, vor welchem die Sonne wie über einem reinen stillen See emporsteigt und schwebt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1410,"orig":"In einer kleinen Stadt ſpannte der Kutſcher aus und ritt zurück.","norm":"In einer kleinen Stadt spannte der Kutscher aus und ritt zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1411,"orig":"Wilhelm nahm ſogleich ein Zimmer in Beſitz, und fragte ſich nun, ob er bleiben oder vorwärts gehen ſolle?","norm":"Wilhelm nahm sogleich ein Zimmer in Besitz, und fragte sich nun, ob er bleiben oder vorwärtsgehen solle?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1412,"orig":"In dieſer Unentſchloſſenheit wagte er das Blättchen wieder hervor zu nehmen, das er bisher nochmals anzuſehen nicht getraut hatte, es enthielt folgende Worte:","norm":"In dieser Unentschlossenheit wagte er das Blättchen wieder hervorzunehmen, das er bisher nochmals anzusehen nicht getraut hatte, es enthielt folgende Worte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1413,"orig":"Schicke mir Deinen jungen Freund ja bald;","norm":"Schicke mir Deinen jungen Freund ja bald;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1414,"orig":"Mignon hat ſich dieſe beyden letzten Tage eher verſchlimmert.","norm":"Mignon hat sich diese beiden letzten Tage eher verschlimmert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1415,"orig":"So traurig dieſe Gelegenheit iſt, ſo ſoll michs doch freuen ihn kennen zu lernen.","norm":"So traurig diese Gelegenheit ist, so soll mich es doch freuen ihn kennenzulernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1416,"orig":"Die letzten Worte hatte Wilhelm beym erſten Blick nicht bemerkt.","norm":"Die letzten Worte hatte Wilhelm beim ersten Blick nicht bemerkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1417,"orig":"Er erſchrack darüber, und war ſogleich entſchieden, daß er nicht gehen wollte.","norm":"Er erschrak darüber, und war sogleich entschieden, dass er nicht gehen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1418,"orig":"Wie, rief er aus, Lothario, der das Verhältniß weiß, hat ihr nicht eröfnet wer ich bin.","norm":"Wie, rief er aus, Lothario, der das Verhältnis weiß, hat ihr nicht eröffnet wer ich bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1419,"orig":"Sie erwartet nicht mit geſetztem Gemüth einen Bekannten, den ſie lieber nicht wieder ſähe, ſie erwartet einen Fremden, und ich trete hinein!","norm":"Sie erwartet nicht mit gesetztem Gemüt einen Bekannten, den sie lieber nicht wiedersähe, sie erwartet einen Fremden, und ich trete hinein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1420,"orig":"Ich ſehe ſie zurückſchaudern, ich ſehe ſie erröthen!","norm":"Ich sehe sie zurückschaudern, ich sehe sie erröten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1421,"orig":"Nein es iſt mir unmöglich dieſer Scene entgegen zu gehen.","norm":"Nein es ist mir unmöglich dieser Szene entgegenzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1422,"orig":"So eben wurden die Pferde herausgeführt und eingeſpannt;","norm":"Soeben wurden die Pferde herausgeführt und eingespannt;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1423,"orig":"Wilhelm war entſchloſſen abzuhacken und hier zu bleiben.","norm":"Wilhelm war entschlossen abzuhacken und hier zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1424,"orig":"Er war in der größten Bewegung.","norm":"Er war in der größten Bewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1425,"orig":"Als er ein Mädchen zur Treppe herauf kommen hörte, die ihm anzeigen wollte, daß alles fertig ſey, ſann er geſchwind auf eine Urſache, die ihn hier zu bleiben nöthigte, und ſeine Augen ruhten ohne Aufmerkſamkeit auf dem Billet, das er in der Hand hielt.","norm":"Als er ein Mädchen zur Treppe heraufkommen hörte, die ihm anzeigen wollte, dass alles fertig sei, sann er geschwind auf eine Ursache, die ihn hier zu bleiben nötigte, und seine Augen ruhten ohne Aufmerksamkeit auf dem Billett, das er in der Hand hielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1426,"orig":"Um Gottes Willen!","norm":"Um Gottes willen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1427,"orig":"rief er aus, was iſt das?","norm":"rief er aus, was ist das?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1428,"orig":"das iſt nicht die Hand der Gräfin, es iſt die Hand der Amazone!","norm":"das ist nicht die Hand der Gräfin, es ist die Hand der Amazone!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1429,"orig":"Das Mädchen trat herein, bat ihn herunter zu kommen, und führte Felix mit ſich fort.","norm":"Das Mädchen trat herein, bat ihn herunterzukommen, und führte Felix mit sich fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1430,"orig":"Iſt es möglich?","norm":"Ist es möglich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1431,"orig":"rief er aus, iſt es wahr?","norm":"rief er aus, ist es wahr?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1432,"orig":"was ſoll ich thun?","norm":"was soll ich tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1433,"orig":"bleiben und abwarten und aufklären?","norm":"bleiben und abwarten und aufklären?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1434,"orig":"oder eilen?","norm":"oder eilen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1435,"orig":"eilen!","norm":"eilen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1436,"orig":"und mich einer Entwicklung entgegenſtürzen?","norm":"und mich einer Entwicklung entgegenstürzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1437,"orig":"Du biſt auf dem Wege zu ihr, und kannſt zaudern?","norm":"Du bist auf dem Wege zu ihr, und kannst zaudern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1438,"orig":"Dieſen Abend ſollſt du ſie ſehen, und willſt dich freywillig ins Gefängniß einſperren?","norm":"Diesen Abend sollst du sie sehen, und willst dich freiwillig ins Gefängnis einsperren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1439,"orig":"Es iſt ihre Hand, ja ſie iſts!","norm":"Es ist ihre Hand, ja sie ist es!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1440,"orig":"dieſe Hand beruft dich, ihr Wagen iſt angeſpannt, dich zu ihr zu führen, nun lößt ſich das Rätzel:","norm":"diese Hand beruft dich, ihr Wagen ist angespannt, dich zu ihr zu führen, nun löst sich das Rätsel:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1441,"orig":"Lothario hat zwey Schweſtern.","norm":"Lothario hat zwei Schwestern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1442,"orig":"Er weiß mein Verhältniß zu der einen; wie viel ich der andern ſchuldig bin, iſt ihm unbekannt.","norm":"Er weiß mein Verhältnis zu der einen; wie viel ich der anderen schuldig bin, ist ihm unbekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1443,"orig":"Auch ſie weiß nicht, daß der verwundete Vagabund, der ihr, wo nicht ſein Leben, doch ſeine Geſundheit verdankt, in dem Hauſe ihres Bruders ſo unverdient gütig aufgenommen worden iſt.","norm":"Auch sie weiß nicht, dass der verwundete Vagabund, der ihr, wo nicht sein Leben, doch seine Gesundheit verdankt, in dem Hause ihres Bruders so unverdient gütig aufgenommen worden ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1444,"orig":"Felix, der ſich unten im Wagen ſchaukelte, rief:","norm":"Felix, der sich unten im Wagen schaukelte, rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1445,"orig":"Vater komm!","norm":"Vater komme!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1446,"orig":"o komm!","norm":"o komme!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1447,"orig":"ſieh die ſchönen Wolken, die ſchönen Farben!","norm":"sieh die schönen Wolken, die schönen Farben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1448,"orig":"ja ich komme, rief Wilhelm, indem er die Treppe hinunter ſprang, und alle Erſcheinungen des Himmels, die Du gutes Kind noch ſehr bewunderſt, ſind nichts gegen den Anblick, den ich erwarte.","norm":"Ja ich komme, rief Wilhelm, indem er die Treppe hinuntersprang, und alle Erscheinungen des Himmels, die Du gutes Kind noch sehr bewunderst, sind nichts gegen den Anblick, den ich erwarte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1449,"orig":"Im Wagen ſitzend rief er nun alle Verhältniſſe in ſein Gedächtniß zurück.","norm":"Im Wagen sitzend rief er nun alle Verhältnisse in sein Gedächtnis zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1450,"orig":"So iſt alſo auch dieſe Natalie die Freundin Thereſens!","norm":"So ist also auch diese Natalie die Freundin Theresens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1451,"orig":"welch’ eine Entdeckung, welche Hoffnung und welche Ausſichten.","norm":"welch eine Entdeckung, welche Hoffnung und welche Aussichten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1452,"orig":"Wie ſeltſam, daß die Furcht, von der einen Schweſter reden zu hören, mir das Daſeyn der andern ganz und gar verbergen konnte!","norm":"Wie seltsam, dass die Furcht, von der einen Schwester reden zu hören, mir das Dasein der anderen ganz und gar verbergen konnte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1453,"orig":"Mit welcher Freude ſahe er ſeinen Felix an, er hoffte für den Knaben wie für ſich die beſte Aufnahme.","norm":"Mit welcher Freude sah er seinen Felix an, er hoffte für den Knaben wie für sich die beste Aufnahme."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1454,"orig":"Der Abend kam heran, die Sonne war untergegangen, der Weg nicht der beſte, der Poſtillon fuhr langſam, Felix war eingeſchlafen, und neue Sorgen und Zweifel ſtiegen in dem Buſen unſeres Freundes auf.","norm":"Der Abend kam heran, die Sonne war untergegangen, der Weg nicht der beste, der Postillon fuhr langsam, Felix war eingeschlafen, und neue Sorgen und Zweifel stiegen in dem Busen unseres Freundes auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1455,"orig":"Von welchem Wahn, von welchen Einfällen wirſt du beherrſcht?","norm":"Von welchem Wahn, von welchen Einfällen wirst du beherrscht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1456,"orig":"ſagte er zu ſich ſelbſt, eine ungewiſſe Ähnlichkeit der Handſchrift macht dich auf einmal ſicher, und giebt dir Gelegenheit das wunderbarſte Mährchen auszudenken.","norm":"sagte er zu sich selbst, eine ungewisse Ähnlichkeit der Handschrift macht dich auf einmal sicher, und gibt dir Gelegenheit das wunderbarste Märchen auszudenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1457,"orig":"Er nahm das Billet wieder vor, und bey dem abgehenden Tageslichte glaubte er wieder die Handſchrift der Gräfin zu erkennen, ſeine Augen wollten im Einzelnen nicht wieder finden, was ihm ſein Herz im Ganzen auf einmal geſagt hatte.","norm":"Er nahm das Billett wieder vor, und bei dem abgehenden Tageslicht glaubte er wieder die Handschrift der Gräfin zu erkennen, seine Augen wollten im Einzelnen nicht wiederfinden, was ihm sein Herz im Ganzen auf einmal gesagt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1458,"orig":"— So ziehen dich denn doch dieſe Pferde zu einer ſchrecklichen Scene!","norm":"— So ziehen dich denn doch diese Pferde zu einer schrecklichen Szene!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1459,"orig":"wer weiß ob ſie dich nicht in wenig Stunden ſchon wieder zurück führen werden?","norm":"Wer weiß ob sie dich nicht in wenig Stunden schon wieder zurückführen werden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1460,"orig":"und wenn du ſie nur noch allein anträfeſt; aber vielleicht iſt ihr Gemahl gegenwärtig, vielleicht die Baroneſſe?","norm":"und wenn du sie nur noch allein anträfest; Aber vielleicht ist ihr Gemahl gegenwärtig, vielleicht die Baronesse?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1461,"orig":"wie verändert werde ich ſie finden!","norm":"Wie verändert werde ich sie finden!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1462,"orig":"werde ich vor ihr auf den Füßen ſtehen können?","norm":"Werde ich vor ihr auf den Füßen stehen können?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1463,"orig":"Nur eine ſchwache Hoffnung, daß er ſeiner Amazone entgegen gehe, konnte manchmal durch die trüben Vorſtellungen durchblicken.","norm":"Nur eine schwache Hoffnung, dass er seiner Amazone entgegengehe, konnte manchmal durch die trüben Vorstellungen durchblicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1464,"orig":"Es war Nacht geworden, der Wagen raſſelte in einen Hof hinein, und hielt ſtill; ein Bedienter, mit einer Wachsfackel, trat aus einem prächtigen Portal hervor, und kam die breiten Stufen herunter, bis an den Wagen.","norm":"Es war Nacht geworden, der Wagen rasselte in einen Hof hinein, und hielt still; ein Bedienter, mit einer Wachsfackel, trat aus einem prächtigen Portal hervor, und kam die breiten Stufen herunter, bis an den Wagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1465,"orig":"Sie werden ſchon lange erwartet, ſagte er, indem er das Leder aufſchlug.","norm":"Sie werden schon lange erwartet, sagte er, indem er das Leder aufschlug."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1466,"orig":"Wilhelm, nachdem er ausgeſtiegen war, nahm den ſchlafenden Felix auf den Arm, und der erſte Bediente rief zu einem zweyten, der mit einem Lichte in der Thüre ſtand: führe den Herrn gleich zur Baroneſſe.","norm":"Wilhelm, nachdem er ausgestiegen war, nahm den schlafenden Felix auf den Arm, und der erste Bediente rief zu einem zweiten, der mit einem Lichte in der Türe stand: Führe den Herrn gleich zur Baronesse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1467,"orig":"Blitzſchnell fuhr Wilhelmen durch die Seele: welch ein Glück!","norm":"Blitzschnell fuhr Wilhelm durch die Seele: Welch ein Glück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1468,"orig":"es ſey vorſätzlich oder zufällig, die Baroneſſe iſt hier!","norm":"Es sei vorsätzlich oder zufällig, die Baronesse ist hier!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1469,"orig":"ich ſoll ſie zuerſt ſehen!","norm":"ich soll sie zuerst sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1470,"orig":"wahrſcheinlich ſchläft die Gräfin ſchon!","norm":"wahrscheinlich schläft die Gräfin schon!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1471,"orig":"ihr guten Geiſter helft, daß der Augenblick der größten Verlegenheit leidlich vorübergehe.","norm":"Ihr guten Geister helft, dass der Augenblick der größten Verlegenheit leidlich vorübergehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1472,"orig":"Er trat in das Haus, und fand ſich an dem ernſthafteſten, ſeinem Gefühle nach, dem heiligſten Orte, den er je betreten hatte.","norm":"Er trat in das Haus, und fand sich an dem ernsthaftesten, seinem Gefühle nach, dem heiligsten Orte, den er je betreten hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1473,"orig":"Eine herabhängende blendende Laterne erleuchtete eine breite ſanfte Treppe, die ihm entgegenſtand, und ſich oben beym Umwenden in zwey Theile teilte.","norm":"Eine herabhängende blendende Laterne erleuchtete eine breite sanfte Treppe, die ihm entgegenstand, und sich oben beim Umwenden in zwei Teile teilte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1474,"orig":"Marmorne Statuen und Büſten ſtanden auf Piedeſtalen und in Niſchen geordnet.","norm":"Marmorne Statuen und Büsten standen auf Piedestalen und in Nischen geordnet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1475,"orig":"Einige ſchienen ihm bekannt.","norm":"Einige schienen ihm bekannt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1476,"orig":"Jugendeindrücke verlöſchen nicht auch in ihren kleinſten Theilen.","norm":"Jugendeindrücke verlöschen nicht auch in ihren kleinsten Teilen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1477,"orig":"Er erkannte eine Muſe, die ſeinem Großvater gehört hatte, zwar nicht an ihrer Geſtalt und an ihrem Werth, doch an einem reſtaurirten Arme und an den neueingeſetzten Stücken des Gewandes.","norm":"Er erkannte eine Muse, die seinem Großvater gehört hatte, zwar nicht an ihrer Gestalt und an ihrem Wert, doch an einem restaurierten Arme und an den neueingesetzten Stücken des Gewandes."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1478,"orig":"Es war, als wenn er ein Mährchen erlebte.","norm":"Es war, als wenn er ein Märchen erlebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1479,"orig":"Das Kind ward ihm ſchwer, er zauderte auf den Stufen, und kniete nieder, als ob er es bequemer faſſen wollte.","norm":"Das Kind wurde ihm schwer, er zauderte auf den Stufen, und kniete nieder, als ob er es bequemer fassen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1480,"orig":"Eigentlich aber bedurfte er einer augenblicklichen Erholung.","norm":"Eigentlich aber bedurfte er einer augenblicklichen Erholung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1481,"orig":"Er konnte kaum ſich wieder aufheben.","norm":"Er konnte kaum sich wieder aufheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1482,"orig":"Der vorleuchtende Bediente wollte ihm das Kind abnehmen, er konnte es nicht von ſich laſſen.","norm":"Der vorleuchtende Bediente wollte ihm das Kind abnehmen, er konnte es nicht von sich lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1483,"orig":"Darauf trat er in den Vorſaal, und zu ſeinem noch größern Erſtaunen erblickte er das wohlbekannte Bild vom kranken Königsſohn an der Wand.","norm":"Darauf trat er in den Vorsaal, und zu seinem noch größeren Erstaunen erblickte er das wohlbekannte Bild vom kranken Königssohn an der Wand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1484,"orig":"Er hatte kaum Zeit einen Blick darauf zu werfen, der Bediente nöthigte ihn durch ein paar Zimmer in ein Kabinet.","norm":"Er hatte kaum Zeit einen Blick darauf zu werfen, der Bediente nötigte ihn durch ein paar Zimmer in ein Kabinett."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1485,"orig":"Dort, hinter einem Lichtſchirme, der ſie beſchattete, ſaß ein Frauenzimmer und las.","norm":"Dort, hinter einem Lichtschirme, der sie beschattete, saß ein Frauenzimmer und las."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1486,"orig":"O daß ſie es wäre!","norm":"O dass sie es wäre!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1487,"orig":"ſagte er zu ſich ſelbſt in dieſem entſcheidenden Augenblick.","norm":"sagte er zu sich selbst in diesem entscheidenden Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1488,"orig":"Er ſetzte das Kind nieder, das aufzuwachen ſchien, und dachte ſich der Dame zu nähern, aber das Kind ſank ſchlaftrunken zuſammen, das Frauenzimmer ſtand auf und kam ihm entgegen.","norm":"Er setzte das Kind nieder, das aufzuwachen schien, und dachte sich der Dame zu nähern, aber das Kind sank schlaftrunken zusammen, das Frauenzimmer stand auf und kam ihm entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1489,"orig":"Die Amazone war’s!","norm":"Die Amazone war es!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1490,"orig":"er konnte ſich nicht halten, ſtürzte auf ſeine Knie, und rief aus: ſie iſt’s!","norm":"Er konnte sich nicht halten, stürzte auf seine Knie, und rief aus: Sie ist es!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1491,"orig":"er faßte ihre Hand, und küßte ſie mit unendlichem Entzücken.","norm":"Er fasste ihre Hand, und küsste sie mit unendlichem Entzücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1492,"orig":"Das Kind lag zwiſchen ihnen beyden auf dem Teppich und ſchlief ſanft.","norm":"Das Kind lag zwischen ihnen beiden auf dem Teppich und schlief sanft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1493,"orig":"Felix ward auf das Kanapee gebracht, Natalie ſetzte ſich zu ihm, ſie hieß Wilhelmen auf den Seſſel ſitzen, der zunächſt dabey ſtand.","norm":"Felix wurde auf das Kanapee gebracht, Natalie setzte sich zu ihm, sie hieß Wilhelm auf den Sessel sitzen, der zunächst dabei stand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1494,"orig":"Sie bot ihm einige Erfriſchungen an, die er ausſchlug, indem er nur beſchäftigt war, ſich zu verſichern, daß ſie es ſey, und ihre, durch den Lichtſchirm beſchatteten Züge, genau wieder zu ſehen, und ſicher wieder zu erkennen.","norm":"Sie bot ihm einige Erfrischungen an, die er ausschlug, indem er nur beschäftigt war, sich zu versichern, dass sie es sei, und ihre, durch den Lichtschirm beschatteten Züge, genau wiederzusehen, und sicher wiederzuerkennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1495,"orig":"Sie erzählte ihm von Mignons Krankheit im allgemeinen, daß das Kind von wenigen tiefen Empfindungen nach und nach aufgezehrt werde, daß es bey ſeiner großen Reizbarkeit, die es verberge, von einem Krampf an ſeinem armen Herzen oft heftig und gefährlich leide, daß dieſes erſte Organ des Lebens, bey unvermutheten Gemüthsbewegungen, manchmal plötzlich ſtille ſtehe, und keine Spur der heilſamen Lebensregung in dem Buſen des guten Kindes gefühlt werden könne; ſey dieſer ängſtliche Krampf vorbey, ſo äußere ſich die Kraft der Natur wieder in gewaltſamen Pulſen, und ängſtige das Kind nunmehr durch Übermaß, wie es vorher durch Mangel gelitten habe.","norm":"Sie erzählte ihm von Mignons Krankheit im allgemeinen, dass das Kind von wenigen tiefen Empfindungen nach und nach aufgezehrt werde, dass es bei seiner großen Reizbarkeit, die es verberge, von einem Krampf an seinem armen Herzen oft heftig und gefährlich leide, dass dieses erste Organ des Lebens, bei unvermuteten Gemütsbewegungen, manchmal plötzlich stille stehe, und keine Spur der heilsamen Lebensregung in dem Busen des guten Kindes gefühlt werden könne; sei dieser ängstliche Krampf vorbei, so äußere sich die Kraft der Natur wieder in gewaltsamen Pulsen, und ängstige das Kind nunmehr durch Übermaß, wie es vorher durch Mangel gelitten habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1496,"orig":"Wilhelm erinnerte ſich einer ſolchen krampfhaften Scene, und Natalie bezog ſich auf den Arzt, der weiter mit ihm über die Sache ſprechen, und die Urſache, warum man den Freund und Wohlthäter des Kindes gegenwärtig herbeygerufen, umſtändlicher vorlegen würde.","norm":"Wilhelm erinnerte sich einer solchen krampfhaften Szene, und Natalie bezog sich auf den Arzt, der weiter mit ihm über die Sache sprechen, und die Ursache, warum man den Freund und Wohltäter des Kindes gegenwärtig herbeigerufen, umständlicher vorlegen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1497,"orig":"Eine ſonderbare Veränderung, fuhr Natalie fort, werden Sie an ihr finden, ſie geht nunmehr in Frauenkleidern, vor denen ſie ſonſt einen ſo großen Abſcheu zu haben ſchien.","norm":"Eine sonderbare Veränderung, fuhr Natalie fort, werden Sie an ihr finden, sie geht nunmehr in Frauenkleidern, vor denen sie sonst einen so großen Abscheu zu haben schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1498,"orig":"Wie haben Sie das erreicht?","norm":"Wie haben Sie das erreicht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1499,"orig":"fragte Wilhelm.","norm":"fragte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1500,"orig":"Wenn es wünſchenswerth war, ſo ſind wir es nur dem Zufall ſchuldig.","norm":"Wenn es wünschenswert war, so sind wir es nur dem Zufall schuldig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1501,"orig":"Hören Sie, wie es zugegangen iſt.","norm":"Hören Sie, wie es zugegangen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1502,"orig":"Sie wiſſen vielleicht, daß ich immer eine Anzahl junger Mädchen um mich habe, deren Geſinnungen ich, indem ſie neben mir aufwachſen, zum Guten und Rechten zu bilden wünſchte.","norm":"Sie wissen vielleicht, dass ich immer eine Anzahl junger Mädchen um mich habe, deren Gesinnungen ich, indem sie neben mir aufwachsen, zum Guten und Rechten zu bilden wünsche."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1503,"orig":"Aus meinem Munde hören ſie nichts, als was ich ſelber für wahr halte, doch kann ich und will ich nicht hindern, daß ſie nicht auch von andern manches vernehmen, was als Irrthum, als Vorurtheil in der Welt gäng und gäbe iſt.","norm":"Aus meinem Munde hören sie nichts, als was ich selber für wahr halte, doch kann ich und will ich nicht hindern, dass sie nicht auch von anderen manches vernehmen, was als Irrtum, als Vorurteil in der Welt Gang und gäbe ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1504,"orig":"Fragen ſie mich darüber, ſo ſuche ich, ſo viel nur möglich iſt, jene fremden ungehörigen Begriffe irgendwo an einem richtigen anzuknüpfen, um ſie dadurch, wo nicht nützlich doch unſchädlich zu machen.","norm":"Fragen sie mich darüber, so suche ich, soviel nur möglich ist, jene fremden ungehörigen Begriffe irgendwo an einem richtigen anzuknüpfen, um sie dadurch, wo nicht nützlich doch unschädlich zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1505,"orig":"Schon ſeit einiger Zeit hatten meine Mädchen, aus dem Munde der Bauerkinder, gar manches von Engeln, vom Knechte Ruprecht, vom Heiligen Chriſte vernommen, die zu gewiſſen Zeiten in Perſon erſcheinen, gute Kinder beſchenken und unartige beſtrafen ſollten.","norm":"Schon seit einiger Zeit hatten meine Mädchen, aus dem Munde der Bauerkinder, gar manches von Engeln, vom Knechte Ruprecht, vom Heiligen Christ vernommen, die zu gewissen Zeiten in Person erscheinen, gute Kinder beschenken und unartige bestrafen sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1506,"orig":"Sie hatten eine Vermuthung, daß es verkleidete Perſonen ſeyn müßten, worin ich ſie denn auch beſtärkte, und, ohne mich viel auf Deutungen einzulaſſen, mir vornahm, ihnen bey der erſten Gelegenheit ein ſolches Schauſpiel zu geben.","norm":"Sie hatten eine Vermutung, dass es verkleidete Personen sein müssten, worin ich sie denn auch bestärkte, und, ohne mich viel auf Deutungen einzulassen, mir vornahm, ihnen bei der ersten Gelegenheit ein solches Schauspiel zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1507,"orig":"Es fand ſich eben, daß der Geburtstag von Zwillingſchweſtern, die ſich immer ſehr gut betragen hatten, nahe war; ich verſprach, daß ihnen diesmal ein Engel die kleinen Geſchenke bringen ſollte, die ſie ſowohl verdient hätten.","norm":"Es fand sich eben, dass der Geburtstag von Zwillingsschwestern, die sich immer sehr gut betragen hatten, nahe war; ich versprach, dass ihnen diesmal ein Engel die kleinen Geschenke bringen sollte, die sie wohl verdient hätten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1508,"orig":"Sie waren äußerſt geſpannt auf dieſe Erſcheinung.","norm":"Sie waren äußerst gespannt auf diese Erscheinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1509,"orig":"Ich hatte mir Mignon zu dieſer Rolle ausgeſucht, und ſie ward an dem beſtimmten Tage in ein langes, leichtes, weißes Gewand anſtändig gekleidet.","norm":"Ich hatte mir Mignon zu dieser Rolle ausgesucht, und sie wurde an dem bestimmten Tage in ein langes, leichtes, weißes Gewand anständig gekleidet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1510,"orig":"Es fehlte nicht an einem goldenen Gürtel um die Bruſt, und an einem gleichen Diadem in den Haaren.","norm":"Es fehlte nicht an einem goldenen Gürtel um die Brust, und an einem gleichen Diadem in den Haaren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1511,"orig":"Anfangs wollte ich die Flügel weglaſſen, doch beſtanden die Frauenzimmer, die ſie anputzten, auf ein Paar große goldene Schwingen, an denen ſie recht ihre Kunſt zeigen wollten.","norm":"Anfangs wollte ich die Flügel weglassen, doch bestanden die Frauenzimmer, die sie anputzten, auf ein Paar große goldene Schwingen, an denen sie recht ihre Kunst zeigen wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1512,"orig":"So trat, mit einer Lilie in der einen Hand, und mit einem Körbchen in der andern, die wunderſame Erſcheinung in die Mitte der Mädchen, und überraſchte mich ſelbſt.","norm":"So trat, mit einer Lilie in der einen Hand, und mit einem Körbchen in der anderen, die wundersame Erscheinung in die Mitte der Mädchen, und überraschte mich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1513,"orig":"Da kommt der Engel, ſagte ich.","norm":"Da kommt der Engel, sagte ich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1514,"orig":"Die Kinder traten gleichſam alle zurück!","norm":"Die Kinder traten gleichsam alle zurück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1515,"orig":"Endlich riefen ſie aus: es iſt Mignon, und getrauten ſich doch nicht, dem wunderſamen Bilde näher zu treten.","norm":"Endlich riefen sie aus: Es ist Mignon, und getrauten sich doch nicht, dem wundersamen Bilde näherzutreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1516,"orig":"Hier ſind eure Gaben, ſagte ſie, und reichte das Körbchen hin.","norm":"Hier sind eure Gaben, sagte sie, und reichte das Körbchen hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1517,"orig":"Man verſammelte ſich um ſie, man betrachtete, man befühlte, man befragte ſie.","norm":"Man versammelte sich um sie, man betrachtete, man befühlte, man befragte sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1518,"orig":"Biſt Du ein Engel?","norm":"Bist Du ein Engel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1519,"orig":"fragte das eine Kind.","norm":"fragte das eine Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1520,"orig":"Ich wollte ich wär’ es, verſetzte Mignon.","norm":"Ich wollte ich wäre es, versetzte Mignon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1521,"orig":"Warum trägſt Du eine Lilie?","norm":"Warum trägst Du eine Lilie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1522,"orig":"So rein und offen ſollte mein Herz ſeyn, dann wär’ ich glücklich.","norm":"So rein und offen sollte mein Herz sein, dann wäre ich glücklich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1523,"orig":"Wie iſt’s mit den Flügeln?","norm":"Wie ist es mit den Flügeln?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1524,"orig":"laß ſie ſehen!","norm":"lass sie sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1525,"orig":"Sie ſtellen ſchönere vor, die noch nicht entfaltet ſind.","norm":"Sie stellen schönere vor, die noch nicht entfaltet sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1526,"orig":"Und ſo antwortete ſie bedeutend auf jede unſchuldige, leichte Frage.","norm":"Und so antwortete sie bedeutend auf jede unschuldige, leichte Frage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1527,"orig":"Als die Neugierde der kleinen Geſellſchaft befriedigt war, und der Eindruck dieſer Erſcheinung ſtumpf zu werden anfing, wollte man ſie wieder auskleiden.","norm":"Als die Neugierde der kleinen Gesellschaft befriedigt war, und der Eindruck dieser Erscheinung stumpf zu werden anfing, wollte man sie wieder auskleiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1528,"orig":"Sie verwehrte es, nahm ihre Zitter, ſetzte ſich hier auf dieſen hohen Schreibtiſch hinauf, und ſang ein Lied mit unglaublicher Anmuth.","norm":"Sie verwehrte es, nahm ihre Zither, setzte sich hier auf diesen hohen Schreibtisch hinauf, und sang ein Lied mit unglaublicher Anmut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1529,"orig":"So laßt mich ſcheinen bis ich werde, Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!","norm":"So lasst mich scheinen bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1530,"orig":"Ich eile, von der ſchönen Erde Hinab in jenes feſte Haus.","norm":"Ich eile, von der schönen Erde hinab in jenes feste Haus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1531,"orig":"Dort ruh ich eine kleine Stille, Dann öffnet ſich der friſche Blick, Ich laſſe dann die reine Hülle, Den Gürtel und den Kranz zurück.","norm":"Dort Ruhe ich eine kleine Stille, dann öffnet sich der frische Blick, Ich lasse dann die reine Hülle, den Gürtel und den Kranz zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1532,"orig":"Und jene himmliſche Geſtalten Sie fragen nicht nach Mann und Weib, Und keine Kleider, keine Falten Umgeben den verklärten Leib.","norm":"Und jene himmlische Gestalten Sie fragen nicht nach Mann und Weib, und keine Kleider, keine Falten umgeben den verklärten Leib."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1533,"orig":"Zwar lebt’ ich ohne Sorg und Mühe Doch fühlt’ ich tiefen Schmerz genung.","norm":"Zwar lebte ich ohne Sorg und Mühe doch fühlte ich tiefen Schmerz genug."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1534,"orig":"Vor Kummer altert ich zu frühe, Macht rnich auf ewig wieder jung.","norm":"Vor Kummer altert ich zu frühe, Macht mich auf ewig wieder jung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1535,"orig":"Ich entſchloß mich ſogleich, fuhr Natalie fort, ihr das Kleid zu laſſen, und ihr noch einige der Art anzuſchaffen, in denen ſie nun auch geht, und in denen, wie es mir ſcheint, ihr Weſen einen ganz andern Ausdruck hat.","norm":"Ich entschloss mich sogleich, fuhr Natalie fort, ihr das Kleid zu lassen, und ihr noch einige der Art anzuschaffen, in denen sie nun auch geht, und in denen, wie es mir scheint, ihr Wesen einen ganz anderen Ausdruck hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1536,"orig":"Da es ſchon ſpät war, entließ Natalie den Ankömmling, der nicht ohne einige Bangigkeit ſich von ihr trennte.","norm":"Da es schon spät war, entließ Natalie den Ankömmling, der nicht ohne einige Bangigkeit sich von ihr trennte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1537,"orig":"Iſt ſie verheirathet oder nicht?","norm":"Ist sie verheiratet oder nicht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1538,"orig":"dachte er bey ſich ſelbſt.","norm":"dachte er bei sich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1539,"orig":"Er hatte gefürchtet, ſo oft ſich etwas regte, eine Thüre möchte ſich aufthun, und der Gemahl hereintreten.","norm":"Er hatte gefürchtet, sooft sich etwas regte, eine Türe möchte sich auftun, und der Gemahl hereintreten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1540,"orig":"Der Bediente, der ihn in ſein Zimmer einließ, entfernte ſich ſchneller, als er Muth gefaßt hatte, nach dieſem Verhältniß zu fragen.","norm":"Der Bediente, der ihn in sein Zimmer einließ, entfernte sich schneller, als er Mut gefasst hatte, nach diesem Verhältnis zu fragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1541,"orig":"Die Unruhe hielt ihn noch eine Zeit lang wach, und er beſchäftigte ſich das Bild der Amazone mit dem Bilde ſeiner neuen gegenwärtigen Freundin zu vergleichen.","norm":"Die Unruhe hielt ihn noch eine Zeitlang wach, und er beschäftigte sich das Bild der Amazone mit dem Bilde seiner neuen gegenwärtigen Freundin zu vergleichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1542,"orig":"Sie wollten noch nicht mit einander zuſammenfließen; jenes hatte er ſich gleichſam geſchaffen, und dieſes ſchien faſt ihn umſchaffen zu wollen.","norm":"Sie wollten noch nicht miteinander zusammenfließen; jenes hatte er sich gleichsam geschaffen, und dieses schien fast ihn umschaffen zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1543,"orig":"Den andern Morgen, da noch alles ſtille und ruhig war, ging er ſich im Hauſe umzuſehen.","norm":"Den anderen Morgen, da noch alles still und ruhig war, ging er sich im Hause umzusehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1544,"orig":"Es war die reinſte, ſchönſte, würdigſte Baukunſt, die er geſehen hatte.","norm":"Es war die reinste, schönste, würdigste Baukunst, die er gesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1545,"orig":"Iſt doch wahre Kunſt, rief er aus, wie gute Geſellſchaft; ſie nöthigt uns auf die angenehmſte Weiſe das Maaß zu erkennen, nach dem und zu dem unſer Innerſtes gebildet iſt.","norm":"Ist doch wahre Kunst, rief er aus, wie gute Gesellschaft; sie nötigt uns auf die angenehmste Weise das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem unser Innerstes gebildet ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1546,"orig":"Unglaublich angenehm war der Eindruck, den die Statuen und Büſten ſeines Großvaters auf ihn machten.","norm":"Unglaublich angenehm war der Eindruck, den die Statuen und Büsten seines Großvaters auf ihn machten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1547,"orig":"Mit Verlangen eilte er dem Bilde vom kranken Königsſohn entgegen, und noch immer fand er es reizend und rührend.","norm":"Mit Verlangen eilte er dem Bilde vom kranken Königssohn entgegen, und noch immer fand er es reizend und rührend."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1548,"orig":"Der Bediente öffnete ihm verſchiedene andere Zimmer, er fand eine Bibliothek, eine Naturalienſammlung, ein phyſikaliſches Kabinet.","norm":"Der Bediente öffnete ihm verschiedene andere Zimmer, er fand eine Bibliothek, eine Naturaliensammlung, ein physikalisches Kabinett."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1549,"orig":"Er fühlte ſich ſo fremd vor allen dieſen Gegenſtänden.","norm":"Er fühlte sich so fremd vor allen diesen Gegenständen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1550,"orig":"Felix war indeſſen erwacht und ihm nachgeſprungen; der Gedanke, wie und wann er Thereſens Brief erhalten werde, machte ihm Sorge, er fürchtete ſich vor dem Anblick Mignons, gewiſſermaßen vor dem Anblick Nataliens.","norm":"Felix war indessen erwacht und ihm nachgesprungen; der Gedanke, wie und wann er Theresens Brief erhalten werde, machte ihm Sorge, er fürchtete sich vor dem Anblick Mignons, gewissermaßen vor dem Anblick Natalies."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1551,"orig":"Wie ungleich war ſein gegenwärtiger Zuſtand mit jenen Augenblicken, als er den Brief an Thereſen geſiegelt hatte, und mit frohem Muth ſich ganz einem ſo edlen Weſen hingab.","norm":"Wie ungleich war sein gegenwärtiger Zustand mit jenen Augenblicken, als er den Brief an Theresa gesiegelt hatte, und mit frohem Mut sich ganz einem so edlen Wesen hingab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1552,"orig":"Natalie ließ ihn zum Frühſtück einladen.","norm":"Natalie ließ ihn zum Frühstück einladen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1553,"orig":"Er trat in ein Zimmer, in welchem verſchiedene reinlich gekleidete Mädchen, alle, wie es ſchien, unter zehen Jahren, einen Tiſch zu rechte machten, indem eine ältliche Perſon verſchiedene Arten von Getränken hereinbrachte.","norm":"Er trat in ein Zimmer, in welchem verschiedene reinlich gekleidete Mädchen, alle, wie es schien, unter zehn Jahren, einen Tisch zurechte machten, indem eine ältliche Person verschiedene Arten von Getränken hereinbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1554,"orig":"Wilhelm beſchaute ein Bild, das über dem Kanapee hing, mit Aufmerkſamkeit, er mußte es für das Bild Nataliens erkennen, ſo wenig es ihm genug thun wollte.","norm":"Wilhelm beschaute ein Bild, das über dem Kanapee hing, mit Aufmerksamkeit, er musste es für das Bild Natalies erkennen, so wenig es ihm genugtun wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1555,"orig":"Natalie trat herein, und die Ähnlichkeit ſchien ganz zu verſchwinden.","norm":"Natalie trat herein, und die Ähnlichkeit schien ganz zu verschwinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1556,"orig":"Zu ſeinem Troſte hatte es ein Ordenskreuz an der Bruſt, und er ſah ein gleiches an der Bruſt Nataliens.","norm":"Zu seinem Troste hatte es ein Ordenskreuz an der Brust, und er sah ein gleiches an der Brust Natalies."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1557,"orig":"Ich habe das Portrait hier angeſehen, ſagte er zu ihr, und mich verwundert, wie ein Mahler zugleich ſo wahr und ſo falſch ſeyn kann.","norm":"Ich habe das Porträt hier angesehen, sagte er zu ihr, und mich verwundert, wie ein Maler zugleich so wahr und so falsch sein kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1558,"orig":"Das Bild gleicht Ihnen, im Allgemeinen, recht ſehr gut, und doch ſind es weder Ihre Züge noch ihr Character.","norm":"Das Bild gleicht Ihnen, im Allgemeinen, recht sehr gut, und doch sind es weder Ihre Züge noch Ihr Charakter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1559,"orig":"Es iſt zu verwundern, verſetzte Natalie, daß es noch ſo viel Ähnlichkeit hat; denn es iſt gar mein Bild nicht, es iſt das Bild einer Tante, die mir noch in ihrem Alter glich, da ich erſt ein Kind war.","norm":"Es ist zu verwundern, versetzte Natalie, dass es noch so viel Ähnlichkeit hat; denn es ist gar mein Bild nicht, es ist das Bild einer Tante, die mir noch in ihrem Alter glich, da ich erst ein Kind war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1560,"orig":"Es iſt gemahlt, als ſie ohngefähr meine Jahre hatte, und beym erſten Anblick glaubt jedermann mich zu ſehen.","norm":"Es ist gemalt, als sie ungefähr meine Jahre hatte, und beim ersten Anblick glaubt jedermann mich zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1561,"orig":"Sie hätten dieſe treffliche Perſon kennen ſollen.","norm":"Sie hätten diese treffliche Person kennen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1562,"orig":"Ich bin ihr ſo viel ſchuldig.","norm":"Ich bin ihr so viel schuldig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1563,"orig":"Eine ſehr ſchwache Geſundheit, vielleicht zu viel Beſchäftigung mit ſich ſelbſt, und dabey eine ſittliche und religiöſe Ängſtlichkeit ließen ſie das der Welt nicht ſeyn, was ſie unter andern Umſtänden hätte werden können.","norm":"Eine sehr schwache Gesundheit, vielleicht zu viel Beschäftigung mit sich selbst, und dabei eine sittliche und religiöse Ängstlichkeit ließen sie das der Welt nicht sein, was sie unter anderen Umständen hätte werden können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1564,"orig":"Sie war ein Licht, das nur wenigen Freunden und mir beſonders leuchtete.","norm":"Sie war ein Licht, das nur wenigen Freunden und mir besonders leuchtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1565,"orig":"Wäre es möglich, verſetzte Wilhelm, der ſich einen Augenblick beſonnen hatte, indem nun auf einmal ſo vielerley Umſtände ihm zuſammentreffend erſchienen, wäre es möglich, daß jene ſchöne herrliche Seele, deren ſtille Bekenntniſſe auch mir mitgetheilt worden ſind, Ihre Tante ſey?","norm":"Wäre es möglich, versetzte Wilhelm, der sich einen Augenblick besonnen hatte, indem nun auf einmal so vielerlei Umstände ihm zusammentreffend erschienen, wäre es möglich, dass jene schöne herrliche Seele, deren stille Bekenntnisse auch mir mitgeteilt worden sind, Ihre Tante sei?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1566,"orig":"Sie haben das Heft geleſen?","norm":"Sie haben das Heft gelesen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1567,"orig":"fragte Natalie.","norm":"fragte Natalie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1568,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1569,"orig":"verſetzte Wilhelm, mit der größten Theilnahme und nicht ohne Wirkung auf mein ganzes Leben.","norm":"versetzte Wilhelm, mit der größten Teilnahme und nicht ohne Wirkung auf mein ganzes Leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1570,"orig":"Was mir am meiſten aus dieſer Schrift entgegen leuchtete, war, ich möchte ſo ſagen, die Reinlichkeit des Daſeyns, nicht allein ihrer ſelbſt, ſondern auch alles deſſen, was ſie umgab.","norm":"Was mir am meisten aus dieser Schrift entgegenleuchtete, war, ich möchte so sagen, die Reinlichkeit des Daseins, nicht allein ihrer selbst, sondern auch alles dessen, was sie umgab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1571,"orig":"Dieſe Selbſtſtändigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in ſich aufzunehmen, was mir der edlen, liebevollen Stimmung nicht harmoniſch war.","norm":"Diese Selbständigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in sich aufzunehmen, was mit der edlen, liebevollen Stimmung nicht harmonisch war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1572,"orig":"So ſind Sie, verſetzte Natalie, billiger, ja ich darf wohl ſagen, gerechter gegen dieſe ſchöne Natur, als manche andere, denen man auch dieſes Manuſcript mitgetheilt hat.","norm":"So sind Sie, versetzte Natalie, billiger, ja ich darf wohl sagen, gerechter gegen diese schöne Natur, als manche andere, denen man auch dieses Manuskript mitgeteilt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1573,"orig":"Jeder gebildete Menſch weiß, wie ſehr er an ſich und andern mit einer gewiſſen Roheit zu kämpfen hat, wie viel ihn ſeine Bildung koſtet, und wie ſehr er doch in gewiſſen Fällen nur an ſich ſelbſt denkt und vergißt, was er andern ſchuldig iſt.","norm":"Jeder gebildete Mensch weiß, wie sehr er an sich und anderen mit einer gewissen Rohheit zu kämpfen hat, wie viel ihn seine Bildung kostet, und wie sehr er doch in gewissen Fällen nur an sich selbst denkt und vergisst, was er anderen schuldig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1574,"orig":"Wie oft macht der gute Menſch ſich Vorwürfe, daß er nicht zart genug gehandelt habe, und doch wenn nun eine ſchöne Natur ſich allzu zart, ſich allzu gewiſſenhaft bildet, ja, wenn man will ſich überbildet, für dieſe ſcheint keine Duldung, keine Nachſicht in der Welt zu ſeyn.","norm":"Wie oft macht der gute Mensch sich Vorwürfe, dass er nicht zart genug gehandelt habe, und doch wenn nun eine schöne Natur sich allzu zart, sich allzu gewissenhaft bildet, ja, wenn man will sich überbildet, für diese scheint keine Duldung, keine Nachsicht in der Welt zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1575,"orig":"Und doch ſind die Menſchen dieſer Art, außer uns, was die Ideale im Innern ſind, Vorbilder, nicht zum Nachahmen, ſondern zum Nachſtreben.","norm":"Und doch sind die Menschen dieser Art, außer uns, was die Ideale im Inneren sind, Vorbilder, nicht zum Nachahmen, sondern zum Nachstreben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1576,"orig":"Man lacht über die Reinlichkeit der Holländerinnen, und doch wäre Freundin Thereſe nicht was ſie iſt, wenn ihr nicht eine ähnliche Idee in ihrem Hausweſen immer vorſchwebte.","norm":"Man lacht über die Reinlichkeit der Holländerinnen, und doch wäre Freundin Therese nicht was sie ist, wenn ihr nicht eine ähnliche Idee in ihrem Hauswesen immer vorschwebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1577,"orig":"So finde ich alſo, rief Wilhelm aus, in Thereſens Freundin jene Natalie vor mir, an welcher das Herz jener köſtlichen Verwandten hing, jene Natalie, die von Jugend an ſo theilnehmend, ſo liebevoll und hülfreich war.","norm":"So finde ich also, rief Wilhelm aus, in Theresens Freundin jene Natalie vor mir, an welcher das Herz jener köstlichen Verwandten hing, jene Natalie, die von Jugend an so teilnehmend, so liebevoll und hilfreich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1578,"orig":"Nur aus einem ſolchen Geſchlecht konnte eine ſolche Natur entſtehen!","norm":"Nur aus einem solchen Geschlecht konnte eine solche Natur entstehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1579,"orig":"Welch eine Ausſicht eröfnet ſich vor mir, da ich auf einmal Ihre Voreltern und den ganzen Kreis, dem Sie angehören, überſchaue.","norm":"Welch eine Aussicht eröffnet sich vor mir, da ich auf einmal Ihre Voreltern und den ganzen Kreis, dem Sie angehören, überschaue."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1580,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1581,"orig":"verſetzte Natalie, Sie könnten in einem gewiſſen Sinne nicht beſſer von uns unterrichtet ſeyn, als durch den Aufſatz unſerer Tante; freylich hat ihre Neigung zu mir ſie zu viel Gutes von dem Kinde ſagen laſſen.","norm":"versetzte Natalie, Sie könnten in einem gewissen Sinne nicht besser von uns unterrichtet sein, als durch den Aufsatz unserer Tante; freilich hat ihre Neigung zu mir sie zu viel Gutes von dem Kinde sagen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1582,"orig":"Wenn man von einem Kinde redet, ſpricht man niemals den Gegenſtand, immer nur ſeine Hoffnungen aus.","norm":"Wenn man von einem Kinde redet, spricht man niemals den Gegenstand, immer nur seine Hoffnungen aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1583,"orig":"Wilhelm hatte indeſſen ſchnell überdacht, daß er nun auch von Lothario’s Herkunft und früher Jugend unterrichtet ſey; die ſchöne Gräfin erſchien ihm als Kind mit den Perlen ihrer Tante um den Hals; auch er war dieſen Perlen ſo nahe geweſen, als ihre zarten liebevollen Lippen ſich zu den ſeinigen herunter neigten; er ſuchte dieſe ſchönen Erinnerungen durch andere Gedanken zu entfernen.","norm":"Wilhelm hatte indessen schnell überdacht, dass er nun auch von Lotharios Herkunft und früher Jugend unterrichtet sei; die schöne Gräfin erschien ihm als Kind mit den Perlen ihrer Tante um den Hals; auch er war diesen Perlen so nahe gewesen, als ihre zarten liebevollen Lippen sich zu den seinigen herunterneigten; er suchte diese schönen Erinnerungen durch andere Gedanken zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1584,"orig":"Er lief die Bekanntſchaften durch ‚die ihm jene Schrift verſchafft hatte.","norm":"Er lief die Bekanntschaften durch, die ihm jene Schrift verschafft hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1585,"orig":"So bin ich denn, rief er aus, in dem Hauſe des würdigen Oheims!","norm":"So bin ich denn, rief er aus, in dem Hause des würdigen Oheims!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1586,"orig":"Es iſt kein Haus, es iſt ein Tempel, und Sie ſind die würdige Prieſterinn, ja der Genius ſelbſt; ich werde mich des Eindrucks von geſtern Abend zeitlebens erinnern, als ich hereintrat, und die alten Kunſtbilder der frühſten Jugend wieder vor mir ſtanden.","norm":"Es ist kein Haus, es ist ein Tempel, und Sie sind die würdige Priesterin, ja der Genius selbst; ich werde mich des Eindrucks von gestern Abend zeitlebens erinnern, als ich hereintrat, und die alten Kunstbilder der frühsten Jugend wieder vor mir standen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1587,"orig":"Ich erinnerte mich der mitleidigen Marmorbilder in Mignons Lied; aber dieſe Bilder hatten über mich nicht zu trauern, ſie ſahen mich mit hohem Ernſt an, und ſchloſſen meine früheſte Zeit unmittelbar an dieſen Augenblick.","norm":"Ich erinnerte mich der mitleidigen Marmorbilder in Mignons Lied; aber diese Bilder hatten über mich nicht zu trauern, sie sahen mich mit hohem Ernst an, und schlossen meine früheste Zeit unmittelbar an diesen Augenblick."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1588,"orig":"Dieſen unſern alten Familienſchatz, dieſe Lebensfreude meines Großvaters finde ich hier, zwiſchen ſo vielen andern würdigen Kunſtwerken aufgeſtellt, und mich, den die Natur zum Liebling dieſes guten alten Mannes gemacht hatte, mich Unwürdigen, finde ich nun auch hier!","norm":"Diesen unseren alten Familienschatz, diese Lebensfreude meines Großvaters finde ich hier, zwischen so vielen anderen würdigen Kunstwerken aufgestellt, und mich, den die Natur zum Liebling dieses guten alten Mannes gemacht hatte, mich Unwürdigen, finde ich nun auch hier!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1589,"orig":"o Gott!","norm":"o Gott!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1590,"orig":"in welchen Verbindungen, in welcher Geſellſchaft.","norm":"in welchen Verbindungen, in welcher Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1591,"orig":"Die weibliche Jugend hatte nach und nach das Zimmer verlaſſen, um ihren kleinen Beſchäftigungen nachzugehn.","norm":"Die weibliche Jugend hatte nach und nach das Zimmer verlassen, um ihren kleinen Beschäftigungen nachzugehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1592,"orig":"Wilhelm, der mit Natalien allein geblieben war, mußte ihr ſeine letzten Worte deutlicher erklären.","norm":"Wilhelm, der mit Natalie allein geblieben war, musste ihr seine letzten Worte deutlicher erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1593,"orig":"Die Entdeckung, daß ein ſchätzbarer Theil der aufgeſtellten Kunſtwerke ſeinem Großvater angehört hatte, gab eine ſehr heitere geſellige Stimmung.","norm":"Die Entdeckung, dass ein schätzbarer Teil der aufgestellten Kunstwerke seinem Großvater angehört hatte, gab eine sehr heitere gesellige Stimmung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1594,"orig":"So wie er durch jenes Manuſcript mit dem Hauſe bekannnt worden war, ſo fand er ſich nun auch gleichſam in ſeinem Erbtheile wieder, wünſchte Mignon zu ſehen, die Freundinn bat ihn ſich noch ſo lange zu gedulden, bis der Arzt, der in die Nachbarſchaft gerufen worden, wieder zurück käme.","norm":"So wie er durch jenes Manuskript mit dem Hause bekannt worden war, so fand er sich nun auch gleichsam in seinem Erbteile wieder, wünschte Mignon zu sehen, die Freundin bat ihn sich noch so lange zu gedulden, bis der Arzt, der in die Nachbarschaft gerufen worden, wieder zurückkäme."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1595,"orig":"Man kann leicht denken, daß es derſelbe kleine thätige Mann ſey, den wir ſchon kennen, und deſſen auch die Bekenntniſſe einer ſchönen Seele erwähnten.","norm":"Man kann leicht denken, dass es derselbe kleine tätige Mann sei, den wir schon kennen, und dessen auch die Bekenntnisse einer schönen Seele erwähnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1596,"orig":"Da ich mich, fuhr Wilhelm fort, mitten in jenem Familienkreis befinde, ſo iſt ja wohl der Abbé, deſſen jene Schrift erwähnt, auch der wunderbare, unerklärliche Mann, den ich in dem Hauſe Ihres Bruders, nach den ſeltſamſten Ereigniſſen, wiedergefunden habe.","norm":"Da ich mich, fuhr Wilhelm fort, mitten in jenem Familienkreis befinde, so ist ja wohl der Abbé, dessen jene Schrift erwähnt, auch der wunderbare, unerklärliche Mann, den ich in dem Hause Ihres Bruders, nach den seltsamsten Ereignissen, wiedergefunden habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1597,"orig":"Vielleicht geben Sie mir einige nähere Aufſchlüſſe über ihn?","norm":"Vielleicht geben Sie mir einige nähere Aufschlüsse über ihn?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1598,"orig":"Natalie verſetzte: über ihn wäre vieles zu ſagen; wovon ich am genaueſten unterrichtet bin, iſt der Einfluß, den er auf unſere Erziehung gehabt hat.","norm":"Natalie versetzte: Über ihn wäre vieles zu sagen; wovon ich am genauesten unterrichtet bin, ist der Einfluss, den er auf unsere Erziehung gehabt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1599,"orig":"Er war, wenigſtens eine Zeit lang, überzeugt, daß die Erziehung ſich nur an die Neigung anſchließen müſſe; wie er jetzt denkt, kann ich nicht ſagen.","norm":"Er war, wenigstens eine Zeitlang, überzeugt, dass die Erziehung sich nur an die Neigung anschließen müsse; wie er jetzt denkt, kann ich nicht sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1600,"orig":"Er behauptete: das erſte und letzte am Menſchen ſey Thätigkeit, und man könne nichts thun, ohne die Anlage dazu zu haben, ohne den Inſtinkt, der uns dazu treibe.","norm":"Er behauptete: Das Erste und Letzte am Menschen sei Tätigkeit, und man könne nichts tun, ohne die Anlage dazu zu haben, ohne den Instinkt, der uns dazu treibe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1601,"orig":"Man giebt zu, pflegte er zu ſagen, daß Poeten gebohren werden, man giebt es bey allen Künſten zu, weil man muß, und weil jene Wirkungen der menſchlichen Natur kaum ſcheinbar nachgeäfft werden können; aber, wenn man es genau betrachtet, ſo wird jede auch nur die geringſte Fähigkeit uns angebohren, und es giebt keine unbeſtimmte Fähigkeit.","norm":"Man gibt zu, pflegte er zu sagen, dass Poeten geboren werden, man gibt es bei allen Künsten zu, weil man muss, und weil jene Wirkungen der menschlichen Natur kaum scheinbar nachgeäfft werden können; aber, wenn man es genau betrachtet, so wird jede auch nur die geringste Fähigkeit uns angeboren, und es gibt keine unbestimmte Fähigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1602,"orig":"Nur unſere zweydeutige, zerſtreute Erziehung macht die Menſchen ungewis, ſie erregt Wünſche ſtatt Triebe zu beleben, und, anſtatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen, richtet ſie das Streben nach Gegenſtänden, die ſo oft mit der Natur, die ſich nach ihnen bemüht, nicht übereinſtimmen.","norm":"Nur unsere zweideutige, zerstreute Erziehung macht die Menschen ungewiss, sie erregt Wünsche statt Triebe zu beleben, und, anstatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen, richtet sie das Streben nach Gegenständen, die so oft mit der Natur, die sich nach ihnen bemüht, nicht übereinstimmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1603,"orig":"Ein Kind, ein junger Menſch, die auf ihrem eigenen Wege irre gehen, ſind mir lieber als manche, die auf fremdem Wege recht wandeln.","norm":"Ein Kind, ein junger Mensch, die auf ihrem eigenen Wege irregehen, sind mir lieber als manche, die auf fremdem Wege recht wandeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1604,"orig":"Finden jene, entweder durch ſich ſelbſt, oder durch Anleitung, den rechten Weg, das iſt den, der ihrer Natur gemäß iſt, ſo werden ſie ihn nie verlaſſen, an ſtatt daß dieſe jeden Augenblick in Gefahr ſind, ein fremdes Joch abzuſchütteln, und ſich einer unbedingten Freyheit zu übergeben.","norm":"Finden jene, entweder durch sich selbst, oder durch Anleitung, den rechten Weg, das ist den, der ihrer Natur gemäß ist, so werden sie ihn nie verlassen, anstatt dass diese jeden Augenblick in Gefahr sind, ein fremdes Joch abzuschütteln, und sich einer unbedingten Freiheit zu übergeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1605,"orig":"Es iſt ſonderbar, ſagte Wilhelm, daß dieſer merkwürdige Mann auch an mir Theil genommen, und mich, wie es ſcheint, nach ſeiner Weiſe, wo nicht geleitet, doch wenigſtens eine Zeit lang in meinen Irrthümern geſtärkt hat.","norm":"Es ist sonderbar, sagte Wilhelm, dass dieser merkwürdige Mann auch an mir teilgenommen, und mich, wie es scheint, nach seiner Weise, wo nicht geleitet, doch wenigstens eine Zeitlang in meinen Irrtümern gestärkt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1606,"orig":"Wie er es künftig verantworten will, daß er, und wie es ſcheint mehrere, mich gleichſam zum beſten hatten, muß ich wohl mit Geduld erwarten.","norm":"Wie er es künftig verantworten will, dass er, und wie es scheint mehrere, mich gleichsam zum besten hatten, muss ich wohl mit Geduld erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1607,"orig":"Ich habe mich nicht über dieſe Grille, wenn ſie eine iſt, zu beklagen, ſagte Natalie; denn ich bin freylich unter meinen Geſchwiſtern am beſten dabey gefahren.","norm":"Ich habe mich nicht über diese Grille, wenn sie eine ist, zu beklagen, sagte Natalie; denn ich bin freilich unter meinen Geschwistern am besten dabei gefahren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1608,"orig":"Auch ſeh’ ich nicht, wie mein Bruder Lothario hätte ſchöner ausgebildet werden können, nur hätte vielleicht meine gute Schweſter, die Gräfin, anders behandelt werden ſollen, vielleicht hätte man ihrer Natur etwas mehr Ernſt und Stärke einflößen können.","norm":"Auch sehe ich nicht, wie mein Bruder Lothario hätte schöner ausgebildet werden können, nur hätte vielleicht meine gute Schwester, die Gräfin, anders behandelt werden sollen, vielleicht hätte man ihrer Natur etwas mehr Ernst und Stärke einflößen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1609,"orig":"Was aus Bruder Friedrich werden ſoll, läßt ſich gar nicht denken; ich fürchte, er wird das Opfer dieſer pädagogiſchen Verſuche werden.","norm":"Was aus Bruder Friedrich werden soll, lässt sich gar nicht denken; ich fürchte, er wird das Opfer dieser pädagogischen Versuche werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1610,"orig":"Sie haben noch einen Bruder?","norm":"Sie haben noch einen Bruder?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1611,"orig":"rief Wilhelm.","norm":"rief Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1612,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1613,"orig":"verſetzte Natalie, und zwar eine ſehr luſtige, leichtfertige Natur, und da man ihn nicht abgehalten hatte in der Welt herumzufahren, ſo weiß ich nicht, was aus dieſem loſen, lockern Weſen werden ſoll.","norm":"versetzte Natalie, und zwar eine sehr lustige, leichtfertige Natur, und da man ihn nicht abgehalten hatte in der Welt herumzufahren, so weiß ich nicht, was aus diesem losen, lockern Wesen werden soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1614,"orig":"Ich habe ihn ſeit langer Zeit nicht geſehen.","norm":"Ich habe ihn seit langer Zeit nicht gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1615,"orig":"Das einzige beruhigt mich, daß der Abbé, und überhaupt die Geſellſchaft meines Bruders, jederzeit unterrichtet ſind, wo er ſich aufhält und was er treibt.","norm":"Das einzige beruhigt mich, dass der Abbé, und überhaupt die Gesellschaft meines Bruders, jederzeit unterrichtet sind, wo er sich aufhält und was er treibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1616,"orig":"Wilhelm war eben im Begriff über die ſonderbaren Meinungen ſowohl Nataliens Gedanken zu erforſchen, als auch über die geheimnißvolle Geſellſchaft von ihr Aufſchlüſſe zu begehren, als der Medikus hereintrat, und nach dem erſten Willkommen ſogleich von Mignons Zuſtande zu ſprechen anfing.","norm":"Wilhelm war eben im Begriff über die sonderbaren Meinungen sowohl Natalies Gedanken zu erforschen, als auch über die geheimnisvolle Gesellschaft von ihr Aufschlüsse zu begehren, als der Medikus hereintrat, und nach dem ersten Willkommen sogleich von Mignons Zustande zu sprechen anfing."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1617,"orig":"Natalie, die darauf den Felix bey der Hand nahm, ſagte, ſie wolle ihn zu Mignon führen, und das Kind auf die Erſcheinung ſeines Freundes vorbereiten.","norm":"Natalie, die darauf den Felix bei der Hand nahm, sagte, sie wolle ihn zu Mignon führen, und das Kind auf die Erscheinung seines Freundes vorbereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1618,"orig":"Der Arzt war nunmehr mit Wilhelm allein, und fuhr fort:","norm":"Der Arzt war nunmehr mit Wilhelm allein, und fuhr fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1619,"orig":"Ich habe Ihnen wunderbare Dinge zu erzählen, die Sie kaum vermuthen.","norm":"Ich habe Ihnen wunderbare Dinge zu erzählen, die Sie kaum vermuten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1620,"orig":"Natalie läßt uns Raum, damit wir freyer von Dingen ſprechen können, die, ob ich ſie gleich nur durch ſie ſelbſt erfahren konnte, doch in ihrer Gegenwart ſo frey nicht abgehandelt werden dürften.","norm":"Natalie lässt uns Raum, damit wir freier von Dingen sprechen können, die, ob ich sie gleich nur durch sie selbst erfahren konnte, doch in ihrer Gegenwart so frei nicht abgehandelt werden dürften."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1621,"orig":"Die ſonderbare Natur des guten Kindes, von dem jetzt die Rede iſt, beſteht beynah nur aus einer tiefen Sehnſucht; das Verlangen, ihr Vaterland wieder zu ſehen, und das Verlangen nach Ihnen, mein Freund, iſt, möchte ich faſt ſagen, das einzige Irrdiſche an ihr, beydes greift nur in eine unendliche Ferne, beyde Gegenſtände liegen unerreichbar vor dieſem einzigen Gemüth.","norm":"Die sonderbare Natur des guten Kindes, von dem jetzt die Rede ist, besteht beinahe nur aus einer tiefen Sehnsucht; das Verlangen, ihr Vaterland wiederzusehen, und das Verlangen nach Ihnen, mein Freund, ist, möchte ich fast sagen, das einzige Irdische an ihr, beides greift nur in eine unendliche Ferne, beide Gegenstände liegen unerreichbar vor diesem einzigen Gemüt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1622,"orig":"Sie mag in der Gegend von Mailand zu Hauſe ſeyn, und iſt in ſehr früher Jugend, durch eine Geſellſchaft Seiltänzer, ihren Eltern entführt worden.","norm":"Sie mag in der Gegend von Mailand zu Hause sein, und ist in sehr früher Jugend, durch eine Gesellschaft Seiltänzer, ihren Eltern entführt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1623,"orig":"Näheres kann man von ihr nicht erfahren, theils weil ſie zu jung war, um Ort und Nahmen genau angeben zu können, beſonders aber, weil ſie einen Schwur gethan hat, keinem lebendigen Menſchen ihre Wohnung und Herkunft näher zu bezeichnen.","norm":"Näheres kann man von ihr nicht erfahren, teils weil sie zu jung war, um Ort und Namen genau angeben zu können, besonders aber, weil sie einen Schwur getan hat, keinem lebendigen Menschen ihre Wohnung und Herkunft näher zu bezeichnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1624,"orig":"Denn eben jene Leute, die ſie in der Irre fanden, und denen ſie ihre Wohnung ſo genau beſchrieb, mit ſo dringenden Bitten ſie nach Hauſe zu führen, nahmen ſie nur deſto eiliger mit ſich fort, und ſcherzten Nachts in der Herberge, da ſie glaubten das Kind ſchlafe ſchon, über den guten Fang, und betheuerten, daß es den Weg zurück nicht wieder finden ſollte.","norm":"Denn eben jene Leute, die sie in der Irre fanden, und denen sie ihre Wohnung so genau beschrieb, mit so dringenden Bitten sie nach Hause zu führen, nahmen sie nur desto eiliger mit sich fort, und scherzten Nachts in der Herberge, da sie glaubten das Kind schlafe schon, über den guten Fange, und beteuerten, dass es den Weg zurück nicht wieder finden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1625,"orig":"Da überfiel das arme Geſchöpf eine gräßliche Verzweiflung, in der ihm zuletzt die Mutter Gottes erſchien, und ihm verſicherte, daß ſie ſich ſeiner annehmen wolle.","norm":"Da überfiel das arme Geschöpf eine grässliche Verzweiflung, in der ihm zuletzt die Mutter Gottes erschien, und ihm versicherte, dass sie sich seiner annehmen wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1626,"orig":"Es ſchwur darauf bey ſich ſelbſt einen heiligen Eid, daß ſie künftig niemand mehr vertrauen, niemand ihre Geſchichte erzählen und in der Hoffnung einer unmittelbaren göttlichen Hülfe leben und ſterben wolle.","norm":"Es schwur darauf bei sich selbst einen heiligen Eid, dass sie künftig niemand mehr vertrauen, niemand ihre Geschichte erzählen und in der Hoffnung einer unmittelbaren göttlichen Hilfe leben und sterben wolle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1627,"orig":"Selbſt dieſes, was ich Ihnen hier erzähle, hat ſie Natalien nicht ausdrücklich vertraut; unſere werthe Freundin hat es aus einzelnen Äuſſerungen, aus Liedern und kindlichen Unbeſonnenheiten, die gerade das verrathen, was ſie verſchweigen wollen, zuſammen gebaut.","norm":"Selbst dieses, was ich Ihnen hier erzähle, hat sie Natalie nicht ausdrücklich vertraut; unsere werte Freundin hat es aus einzelnen Äußerungen, aus Liedern und kindlichen Unbesonnenheiten, die gerade das verraten, was sie verschweigen wollen, zusammengebaut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1628,"orig":"Wilhelm konnte ſich nunmehr manches Lied, manches Wort dieſes guten Kindes erklären.","norm":"Wilhelm konnte sich nunmehr manches Lied, manches Wort dieses guten Kindes erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1629,"orig":"Er bat ſeinen Freund aufs dringendſte, ihm ja nichts vorzuenthalten, was ihm von den ſonderbaren Geſängen und Bekenntniſſen des einzigen Weſens bekannt worden ſey.","norm":"Er bat seinen Freund aufs dringendste, ihm ja nichts vorzuenthalten, was ihm von den sonderbaren Gesängen und Bekenntnissen des einzigen Wesens bekannt worden sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1630,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1631,"orig":"ſagte der Arzt, bereiten Sie ſich auf ein ſonderbares Bekenntniß, auf eine Geſchichte, an der Sie, ohne ſich zu erinnern, viel Antheil haben, die, wie ich fürchte, für Tod und Leben dieſes guten Geſchöpfs entſcheidend iſt.","norm":"sagte der Arzt, bereiten Sie sich auf ein sonderbares Bekenntnis, auf eine Geschichte, an der Sie, ohne sich zu erinnern, viel Anteil haben, die, wie ich fürchte, für Tod und Leben dieses guten Geschöpfs entscheidend ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1632,"orig":"Laſſen Sie mich hören, verſetzte Wilhelm, ich bin äußerſt ungeduldig.","norm":"Lassen Sie mich hören, versetzte Wilhelm, ich bin äußerst ungeduldig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1633,"orig":"Erinnern Sie ſich, ſagte der Arzt eines geheimen, nächtlichen, weiblichen Beſuchs nach der Aufführung des Hamlets?","norm":"Erinnern Sie sich, sagte der Arzt eines geheimen, nächtlichen, weiblichen Besuchs nach der Aufführung des Hamlets?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1634,"orig":"Ja ich erinnere mich deſſen wohl!","norm":"Ja ich erinnere mich dessen wohl!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1635,"orig":"rief Wilhelm beſchämt, aber ich glaubte nicht in dieſem Augenblick daran erinnert zu werden.","norm":"rief Wilhelm beschämt, aber ich glaubte nicht in diesem Augenblick daran erinnert zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1636,"orig":"Wiſſen Sie, wer es war?","norm":"Wissen Sie, wer es war?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1637,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1638,"orig":"Sie erſchrecken mich!","norm":"Sie erschrecken mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1639,"orig":"ums Himmels willen doch nicht Mignon?","norm":"um das Himmels Willen doch nicht Mignon?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1640,"orig":"wer war’s?","norm":"wer war es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1641,"orig":"ſagen Sie mir’s.","norm":"sagen Sie mir es."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1642,"orig":"Ich weiß es ſelbſt nicht.","norm":"Ich weiß es selbst nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1643,"orig":"Alſo nicht Mignon?","norm":"Also nicht Mignon?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1644,"orig":"Nein, gewiß nicht, aber Mignon war im Begriff ſich zu Ihnen zu ſchleichen, und mußte, aus einem Winkel, mit Entſetzen ſehen, daß eine Nebenbuhlerinn ihr zuvor kam.","norm":"Nein, gewiss nicht, aber Mignon war im Begriff sich zu Ihnen zu schleichen, und musste, aus einem Winkel, mit Entsetzen sehen, dass eine Nebenbuhlerin ihr zuvorkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1645,"orig":"Eine Nebenbuhlerinn!","norm":"Eine Nebenbuhlerin!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1646,"orig":"rief Wilhelm aus, reden Sie weiter, Sie verwirren mich ganz und gar.","norm":"rief Wilhelm aus, reden Sie weiter, Sie verwirren mich ganz und gar."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1647,"orig":"Seyn Sie froh, ſagte der Arzt, daß Sie dieſe Reſultate ſo ſchnell von mir erfahren können.","norm":"Sein Sie froh, sagte der Arzt, dass Sie diese Resultate so schnell von mir erfahren können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1648,"orig":"Natalie und ich, die wir doch nur einen entferntern Antheil nehmen, wir waren genug gequält, bis wir den verworrenen Zuſtand dieſes guten Weſens, dem wir zu helfen wünſchten, nur ſo deutlich einſehen konnten.","norm":"Natalie und ich, die wir doch nur einen entfernteren Anteil nehmen, wir waren genug gequält, bis wir den verworrenen Zustand dieses guten Wesens, dem wir zu helfen wünschten, nur so deutlich einsehen konnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1649,"orig":"Durch leichtſinnige Reden Philinens und der andern Mädchen, durch ein gewiſſes Liedchen aufmerkſam gemacht, war ihr der Gedanke ſo reizend geworden, eine Nacht bey dem Geliebten zuzubringen, ohne daß ſie dabey etwas weiter als eine vertrauliche, glückliche Ruhe zu denken wußte.","norm":"Durch leichtsinnige Reden Philines und der anderen Mädchen, durch ein gewisses Liedchen aufmerksam gemacht, war ihr der Gedanke so reizend geworden, eine Nacht bei dem Geliebten zuzubringen, ohne dass sie dabei etwas weiter als eine vertrauliche, glückliche Ruhe zu denken wusste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1650,"orig":"Die Neigung für Sie, mein Freund, war in dem guten Herzen ſchon lebhaft und gewaltſam, in ihren Armen hatte das gute Kind ſchon von manchem Schmerzen ausgeruht, ſie wünſchte ſich nun dieſes Glück in ſeiner ganzen Fülle.","norm":"Die Neigung für Sie, mein Freund, war in dem guten Herzen schon lebhaft und gewaltsam, in Ihren Armen hatte das gute Kind schon von manchem Schmerzen ausgeruht, sie wünschte sich nun dieses Glück in seiner ganzen Fülle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1651,"orig":"Bald nahm ſie ſich vor, ſie freundlich darum zu bitten, bald hielt ſie ein heimlicher Schauder wieder davon zurück.","norm":"Bald nahm sie sich vor, sie freundlich darum zu bitten, bald hielt sie ein heimlicher Schauder wieder davon zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1652,"orig":"Endlich gab ihr der luſtige Abend und die Stimmung des häufig genoſſenen Weins, den Muth das Wageſtück zu verſuchen, und ſich jene Nacht bey Ihnen einzuſchleichen.","norm":"Endlich gab ihr der lustige Abend und die Stimmung des häufig genossenen Weins, den Mut das Wagestück zu versuchen, und sich jene Nacht bei Ihnen einzuschleichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1653,"orig":"Schon war ſie vorausgelaufen, um ſich in der unverſchloſſenen Stube zu verbergen, allein als ſie eben die Treppe hinaufgekommen war, hörte ſie ein Geräuſch, ſie verbarg ſich, und ſah ein weißes, weibliches Weſen in ihr Zimmer ſchleichen.","norm":"Schon war sie vorausgelaufen, um sich in der unverschlossenen Stube zu verbergen, allein als sie eben die Treppe hinaufgekommen war, hörte sie ein Geräusch, sie verbarg sich, und sah ein weißes, weibliches Wesen in Ihr Zimmer schleichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1654,"orig":"Sie kamen ſelbſt bald darauf, und ſie hörte den großen Riegel zuſchieben.","norm":"Sie kamen selbst bald darauf, und sie hörte den großen Riegel zuschieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1655,"orig":"Mignon empfand unerhörte Qual, alle die heftigen Empfindungen einer leidenſchaftlichen Eiferſucht miſchten ſich zu dem unerkannten Verlangen einer dunkeln Begierde, und griffen die halb entwickelte Natur gewaltſam an.","norm":"Mignon empfand unerhörte Qual, alle die heftigen Empfindungen einer leidenschaftlichen Eifersucht mischten sich zu dem unerkannten Verlangen einer dunkeln Begierde, und griffen die halbentwickelte Natur gewaltsam an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1656,"orig":"Ihr Herz, das biſher vor Sehnſucht und Erwartung lebhaft geſchlagen hatte, fing auf einmal an zu ſtocken, und drückte, wie eine bleyerne Laſt, ihren Buſen, ſie konnte nicht zu Athem kommen, ſie wußte ſich nicht zu helfen, ſie hörte die Harfe des Alten, eilte zu ihm unter das Dach, und brachte die Nacht zu ſeinen Füßen unter entſetzlichen Zuckungen hin.","norm":"Ihr Herz, das bisher vor Sehnsucht und Erwartung lebhaft geschlagen hatte, fing auf einmal an zu stocken, und drückte, wie eine bleierne Last, ihren Busen, sie konnte nicht zu Atem kommen, sie wusste sich nicht zu helfen, sie hörte die Harfe des Alten, eilte zu ihm unter das Dach, und brachte die Nacht zu seinen Füßen unter entsetzlichen Zuckungen hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1657,"orig":"Der Arzt hielt einen Augenblick inne, und da Wilhelm ſtille ſchwieg, fuhr er fort:","norm":"Der Arzt hielt einen Augenblick inne, und da Wilhelm stille schwieg, fuhr er fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1658,"orig":"Natalie hat mir verſichert, es habe ſie in ihrem Leben nichts ſo erſchreckt und angegriffen, als der Zuſtand des Kindes bey dieſer Erzählung; ja unſere edle Freundin machte ſich Vorwürfe, daß ſie durch ihre Fragen und Anleitungen dieſe Bekenntniſſe hervorgelockt, und durch die Erinnerung die lebhaften Schmerzen des guten Mädchens ſo grauſam erneuert habe.","norm":"Natalie hat mir versichert, es habe sie in ihrem Leben nichts so erschreckt und angegriffen, als der Zustand des Kindes bei dieser Erzählung; ja unsere edle Freundin machte sich Vorwürfe, dass sie durch ihre Fragen und Anleitungen diese Bekenntnisse hervorgelockt, und durch die Erinnerung die lebhaften Schmerzen des guten Mädchens so grausam erneuert habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1659,"orig":"Das gute Geſchöpf, ſo erzählte mir Natalie, war kaum auf dieſem Punkte ſeiner Erzählung, oder vielmehr ſeiner Antworten auf meine ſteigenden Fragen, als es auf einmal vor mir niederſtürzte, und, mit der Hand am Buſen, über den wiederkehrenden Schmerz jener ſchrecklichen Nacht ſich beklagte.","norm":"Das gute Geschöpf, so erzählte mir Natalie, war kaum auf diesem Punkte seiner Erzählung, oder vielmehr seiner Antworten auf meine steigenden Fragen, als es auf einmal vor mir niederstürzte, und, mit der Hand am Busen, über den wiederkehrenden Schmerz jener schrecklichen Nacht sich beklagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1660,"orig":"Es wand ſich wie ein Wurm an der Erde, und ich mußte alle meine Faſſung zuſammen nehmen, um die Mittel, die mir für Geiſt und Körper unter dieſen Umſtänden bekannt waren, zu denken und anzuwenden.","norm":"Es wand sich wie ein Wurm an der Erde, und ich musste alle meine Fassung zusammennehmen, um die Mittel, die mir für Geist und Körper unter diesen Umständen bekannt waren, zu denken und anzuwenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1661,"orig":"Sie ſetzen mich in eine bängliche Lage, verſetzte Wilhelm, indem Sie mich, in dem Augenblicke, da ich das liebe Geſchöpf wieder ſehen ſoll, mein vielfaches Unrecht gegen daſſelbe ſo lebhaft fühlen laſſen.","norm":"Sie setzen mich in eine bängliche Lage, versetzte Wilhelm, indem Sie mich, in dem Augenblicke, da ich das liebe Geschöpf wiedersehen soll, mein vielfaches Unrecht gegen dasselbe so lebhaft fühlen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1662,"orig":"Soll ich ſie ſehen, warum nehmen Sie mir den Muth ihr mit Freyheit entgegen zu treten; und ſoll ich Ihnen geſtehen, da Ihr Gemüth ſo geſtimmt iſt, ſo ſeh ich nicht ein, was meine Gegenwart helfen ſoll?","norm":"Soll ich sie sehen, warum nehmen Sie mir den Mut ihr mit Freiheit entgegenzutreten; und soll ich Ihnen gestehen, da Ihr Gemüt so gestimmt ist, so sehe ich nicht ein, was meine Gegenwart helfen soll?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1663,"orig":"ſind Sie als Arzt überzeugt, daß jene doppelte Sehnſucht ihre Natur ſo weit untergraben hat, daß ſie ſich vom Leben abzuſcheiden droht, warum ſoll ich durch meine Gegenwart ihre Schmerzen erneuern, und vielleicht ihr Ende beſchleunigen?","norm":"sind Sie als Arzt überzeugt, dass jene doppelte Sehnsucht ihre Natur so weit untergraben hat, dass sie sich vom Leben abzuscheiden droht, warum soll ich durch meine Gegenwart ihre Schmerzen erneuern, und vielleicht ihr Ende beschleunigen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1664,"orig":"Mein Freund!","norm":"Mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1665,"orig":"verſetzte der Arzt, wo wir nicht helfen können, ſind wir doch ſchuldig zu lindern, und wie ſehr die Gegenwart eines geliebten Gegenſtandes der Einbildungskraft ihre zerſtöhrende Gewalt nimmt, und die Sehnſucht in ein ruhiges Schauen verwandelt, davon habe ich die wichtigſten Beyſpiele.","norm":"versetzte der Arzt, wo wir nicht helfen können, sind wir doch schuldig zu lindern, und wie sehr die Gegenwart eines geliebten Gegenstandes der Einbildungskraft ihre zerstörende Gewalt nimmt, und die Sehnsucht in ein ruhiges Schauen verwandelt, davon habe ich die wichtigsten Beispiele."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1666,"orig":"Alles mit Maaß und Ziel!","norm":"Alles mit Maß und Ziel!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1667,"orig":"Denn eben ſo kann die Gegenwart eine verlöſchende Leidenſchaft wieder anfachen.","norm":"Denn ebenso kann die Gegenwart eine verlöschende Leidenschaft wieder anfachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1668,"orig":"Sehen Sie das gute Kind, betragen Sie ſich freundlich, und laſſen Sie uns abwarten, was daraus entſteht.","norm":"Sehen Sie das gute Kind, betragen Sie sich freundlich, und lassen Sie uns abwarten, was daraus entsteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1669,"orig":"Natalie kam eben zurück, und verlangte, daß Wilhelm ihr zu Mignon folgen ſollte.","norm":"Natalie kam eben zurück, und verlangte, dass Wilhelm ihr zu Mignon folgen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1670,"orig":"Sie ſcheint mit Felix ganz glücklich zu ſeyn, und wird den Freund, hoffe ich, gut empfangen.","norm":"Sie scheint mit Felix ganz glücklich zu sein, und wird den Freund, hoffe ich, gut empfangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1671,"orig":"Wilhelm folgte nicht ohne einiges Widerſtreben, er war tief gerührt von dem, was er vernommen hatte, und fürchtete eine leidenſchaftliche Scene.","norm":"Wilhelm folgte nicht ohne einiges Widerstreben, er war tief gerührt von dem, was er vernommen hatte, und fürchtete eine leidenschaftliche Szene."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1672,"orig":"Als er hineintrat, ergab ſich gerade das Gegentheil.","norm":"Als er hineintrat, ergab sich gerade das Gegenteil."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1673,"orig":"Mignon im langen weißen Frauengewande, theils mit lockigen, theils aufgebundenen, reichen, braunen Haaren, ſaß, hatte Felix auf dem Schoße und drückte ihn an ihr Herz, ſie ſah völlig aus wie ein abgeſchiedner Geiſt, und der Knabe wie das Leben ſelbſt, es ſchien als wenn Himmel und Erde ſich umarmten.","norm":"Mignon im langen weißen Frauengewande, teils mit lockigen, teils aufgebundenen, reichen, braunen Haaren, saß, hatte Felix auf dem Schoß und drückte ihn an ihr Herz, sie sah völlig aus wie ein abgeschiedener Geist, und der Knabe wie das Leben selbst, es schien als wenn Himmel und Erde sich umarmten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1674,"orig":"Sie reichte Wilhelmen lächelnd die Hand, und ſagte: ich danke Dir, daß Du mir das Kind wieder bringſt, ſie hatten ihn Gott weiß wie entführt, und ich konnte nicht leben zeither.","norm":"Sie reichte Wilhelm lächelnd die Hand, und sagte: Ich danke Dir, dass Du mir das Kind wiederbringst, sie hatten ihn Gott weiß wie entführt, und ich konnte nicht leben zeither."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1675,"orig":"So lange mein Herz auf der Erde noch was bedarf, ſoll dieſer die Lücke ausfüllen.","norm":"Solange mein Herz auf der Erde noch was bedarf, soll dieser die Lücke ausfüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1676,"orig":"Die Ruhe, womit Mignon ihren Freund empfangen hatte, verſetzte die Geſellſchaft in große Zufriedenheit.","norm":"Die Ruhe, womit Mignon ihren Freund empfangen hatte, versetzte die Gesellschaft in große Zufriedenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1677,"orig":"Der Arzt verlangte, daß Wilhelm ſie öfters ſehen, und daß man ſie ſowohl körperlich als geiſtig im Gleichgewicht erhalten ſollte.","norm":"Der Arzt verlangte, dass Wilhelm sie öfters sehen, und dass man sie sowohl körperlich als geistig im Gleichgewicht erhalten sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1678,"orig":"Er ſelbſt entfernte ſich, und verſprach in kurzer Zeit wieder zu kommen.","norm":"Er selbst entfernte sich, und versprach in kurzer Zeit wiederzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1679,"orig":"Wilhelm konnte nun Natalien in ihrem Kreiſe beobachten, man hätte ſich nichts beſſeres gewünſcht, als neben ihr zu leben, ihre Gegenwart hatte den reinſten Einfluß auf junge Mädchen und Frauenzimmer von verſchiedenem Alter, die theils in ihrem Hauſe wohnten, theils aus der Nachbarſchaft ſie mehr oder weniger zu beſuchen kamen.","norm":"Wilhelm konnte nun Natalie in ihrem Kreise beobachten, man hätte sich nichts Besseres gewünscht, als neben ihr zu leben, Ihre Gegenwart hatte den reinsten Einfluss auf junge Mädchen und Frauenzimmer von verschiedenem Alter, die teils in ihrem Hause wohnten, teils aus der Nachbarschaft sie mehr oder weniger zu besuchen kamen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1680,"orig":"Der Gang Ihres Lebens, ſagte Wilhelm einmal zu ihr, iſt wohl immer ſehr gleich geweſen?","norm":"Der Gang Ihres Lebens, sagte Wilhelm einmal zu ihr, ist wohl immer sehr gleich gewesen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1681,"orig":"denn die Schilderung, die Ihre Tante von Ihnen als Kind macht, ſcheint, wenn ich nicht irre, noch immer zu paſſen.","norm":"denn die Schilderung, die Ihre Tante von Ihnen als Kind macht, scheint, wenn ich nicht irre, noch immer zu passen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1682,"orig":"Sie haben ſich, man fühlt es Ihnen wohl an, nie verwirrt.","norm":"Sie haben sich, man fühlt es Ihnen wohl an, nie verwirrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1683,"orig":"Sie waren nie genöthigt einen Schritt zurück zu thun.","norm":"Sie waren nie genötigt einen Schritt zurückzutun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1684,"orig":"Das bin ich meinem Oheim und dem Abbé ſchuldig, verſetzte Natalie, die meine Eigenheiten ſo gut zu beurteilen wußten.","norm":"Das bin ich meinem Oheim und dem Abbé schuldig, versetzte Natalie, die meine Eigenheiten so gut zu beurteilen wussten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1685,"orig":"Ich erinnere mich von Jugend an kaum eines Eindrucks als des lebhafteſten, daß ich überall die Bedürfniſſe der Menſchen ſah, und ein unüberwindliches Verlangen empfand ſie auſzugleichen.","norm":"Ich erinnere mich von Jugend an kaum eines Eindrucks als des lebhaftesten, dass ich überall die Bedürfnisse der Menschen sah, und ein unüberwindliches Verlangen empfand sie auszugleichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1686,"orig":"Das Kind, das noch nicht auf ſeinen Füßen ſtehen konnte, der Alte, der ſich nicht mehr auf den ſeinigen erhielt, das Verlangen einer reichen Familie nach Kindern, die Unfähigkeit einer armen die ihrigen zu erhalten, jedes ſtille Verlangen nach einem Gewerbe, den Trieb zu einem Talente, die Anlagen zu hundert kleinen nothwendigen Fähigkeiten, dieſe überall zu entdecken, ſchien mein Auge von der Natur beſtimmt.","norm":"Das Kind, das noch nicht auf seinen Füßen stehen konnte, der Alte, der sich nicht mehr auf den seinigen erhielt, das Verlangen einer reichen Familie nach Kindern, die Unfähigkeit einer armen die ihrigen zu erhalten, jedes stille Verlangen nach einem Gewerbe, den Trieb zu einem Talente, die Anlagen zu hundert kleinen notwendigen Fähigkeiten, diese überall zu entdecken, schien mein Auge von der Natur bestimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1687,"orig":"Ich ſah, worauf mich niemand aufmerkſam gemacht hatte, ich ſchien aber auch nur gebohren, um das zu ſehen.","norm":"Ich sah, worauf mich niemand aufmerksam gemacht hatte, ich schien aber auch nur geboren, um das zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1688,"orig":"Die Reize der lebloſen Natur, für die ſo viele Menſchen äußerſt empfänglich ſind, hatten keine Wirkung auf mich, beynah noch weniger die Reize der Kunſt, meine angenehmſte Empfindung war und iſt es noch, wenn ſich mir ein Mangel, ein Bedürfniß in der Welt darſtellte, ſogleich im Geiſte einen Erſatz, ein Mittel, eine Hülfe aufzufinden.","norm":"Die Reize der leblosen Natur, für die so viele Menschen äußerst empfänglich sind, hatten keine Wirkung auf mich, beinahe noch weniger die Reize der Kunst, meine angenehmste Empfindung war und ist es noch, wenn sich mir ein Mangel, ein Bedürfnis in der Welt darstellte, sogleich im Geiste einen Ersatz, ein Mittel, eine Hilfe aufzufinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1689,"orig":"Sah ich einen Armen in Lumpen, ſo fielen mir die überflüſſigen Kleider ein, die ich in den Schränken der Meinigen hatte hängen ſehen; ſah ich Kinder, die ſich ohne Sorgfalt und ohne Pflege verzehrten, ſo erinnerte ich mich dieſer oder jener Frau, der ich, bey Reichthum und Bequemlichkeit, Langeweile abgemerkt hatte; ſah ich viele Menſchen in einem engen Raum eingeſperrt, ſo dachte ich ſie müßten in die großen Zimmer mancher Häuſer und Paläſte einquartirt werden.","norm":"Sah ich einen Armen in Lumpen, so fielen mir die überflüssigen Kleider ein, die ich in den Schränken der Meinigen hatte hängen sehen; sah ich Kinder, die sich ohne Sorgfalt und ohne Pflege verzehrten, so erinnerte ich mich dieser oder jener Frau, der ich, bei Reichtum und Bequemlichkeit, Langeweile abgemerkt hatte; sah ich viele Menschen in einem engen Raum eingesperrt, so dachte ich sie müssten in die großen Zimmer mancher Häuser und Paläste einquartiert werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1690,"orig":"Dieſe Art zu ſehen war bey mir ganz natürlich, ohne die mindeſte Reflexion, ſo daß ich darüber, als Kind, das wunderlichſte Zeug von der Welt machte, und mehr als einmal, durch die ſonderbarſten Anträge, die Menſchen in Verlegenheit ſetzte.","norm":"Diese Art zu sehen war bei mir ganz natürlich, ohne die mindeste Reflexion, so dass ich darüber, als Kind, das wunderlichste Zeug von der Welt machte, und mehr als einmal, durch die sonderbarsten Anträge, die Menschen in Verlegenheit setzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1691,"orig":"Noch eine Eigenheit war es, daß ich das Geld nur mit Mühe, und ſpät, als ein Mittel die Bedürfniſſe zu befriedigen, anſehen konnte, alle meine Wohlthaten beſtanden in Naturalien, und ich weiß daß oft genug über mich gelacht worden iſt.","norm":"Noch eine Eigenheit war es, dass ich das Geld nur mit Mühe, und spät, als ein Mittel die Bedürfnisse zu befriedigen, ansehen konnte, alle meine Wohltaten bestanden in Naturalien, und ich weiß dass oft genug über mich gelacht worden ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1692,"orig":"Nur der Abbé ſchien mich zu verſtehen, er kam mir überall entgegen, er machte mich mit mir ſelbſt, mit dieſen Wünſchen und Neigungen bekannt, und lehrte mich, ſie zweckmäßig befriedigen.","norm":"Nur der Abbé schien mich zu verstehen, er kam mir überall entgegen, er machte mich mit mir selbst, mit diesen Wünschen und Neigungen bekannt, und lehrte mich, sie zweckmäßig befriedigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1693,"orig":"Haben Sie denn, fragte Wilhelm, bey der Erziehung Ihrer kleinen weiblichen Welt, auch die Grundſätze jener ſonderbaren Männer angenommen?","norm":"Haben Sie denn, fragte Wilhelm, bei der Erziehung Ihrer kleinen weiblichen Welt, auch die Grundsätze jener sonderbaren Männer angenommen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1694,"orig":"laſſen Sie denn auch jede Natur ſich ſelbſt ausbilden?","norm":"lassen Sie denn auch jede Natur sich selbst ausbilden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1695,"orig":"laſſen Sie denn auch die Ihrigen ſuchen und irren, Mißgriffe thun, ſich glücklich am Ziel finden, oder unglücklich in die Irre verliehren?","norm":"lassen Sie denn auch die Ihrigen suchen und irren, Missgriffe tun, sich glücklich am Ziel finden, oder unglücklich in die Irre verlieren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1696,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1697,"orig":"ſagte Natalie, dieſe Art mit Menſchen zu handeln würde ganz gegen meine Geſinnungen ſeyn.","norm":"sagte Natalie, diese Art mit Menschen zu handeln würde ganz gegen meine Gesinnungen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1698,"orig":"Wer nicht im Augenblick hilft, ſcheint mir nie zu helfen, wer nicht im Augenblicke Rath giebt, nie zu rathen.","norm":"Wer nicht im Augenblick hilft, scheint mir nie zu helfen, wer nicht im Augenblicke Rat gibt, nie zu raten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1699,"orig":"Eben ſo nöthig ſcheint es mir gewiſſe Geſetze auszuſprechen, und den Kindern einzuſchärfen, die dem Leben einen gewiſſen Halt geben.","norm":"Ebenso nötig scheint es mir gewisse Gesetze auszusprechen, und den Kindern einzuschärfen, die dem Leben einen gewissen Halt geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1700,"orig":"Ja, ich möchte beynah behaupten: es ſey beſſer nach Regeln zu irren, als zu irren, wenn uns die Willkühr unſerer Natur hin und her treibt, und wie ich die Menſchen ſehe, ſcheint mir in ihrer Natur immer eine Lücke zu bleiben, die nur durch ein entſchieden ausgeſprochenes Geſetz ausgefüllt werden kann.","norm":"Ja, ich möchte beinahe behaupten: Es sei besser nach Regeln zu irren, als zu irren, wenn uns die Willkür unserer Natur hin und her treibt, und wie ich die Menschen sehe, scheint mir in ihrer Natur immer eine Lücke zu bleiben, die nur durch ein entschieden ausgesprochenes Gesetz ausgefüllt werden kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1701,"orig":"So iſt alſo Ihre Handelsweiſe, ſagte Wilhelm, völlig von jener verſchieden, welche unſere Freunde beobachten.","norm":"So ist also Ihre Handlungsweise, sagte Wilhelm, völlig von jener verschieden, welche unsere Freunde beobachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1702,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1703,"orig":"verſetzte Natalie, Sie können aber hieraus die unglaubliche Toleranz jener Männer ſehen, daß ſie eben auch mich, auf meinem Wege, gerade deswegen, weil es mein Weg iſt, keinesweges ſtören, ſondern mir in allem, was ich nur wünſchen kann, entgegenkommen.","norm":"versetzte Natalie, Sie können aber hieraus die unglaubliche Toleranz jener Männer sehen, dass sie eben auch mich, auf meinem Wege, gerade deswegen, weil es mein Weg ist, keineswegs stören, sondern mir in allem, was ich nur wünschen kann, entgegenkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1704,"orig":"Einen umſtändlichern Bericht, wie Natalie mit ihren Kindern verfuhr, verſparen wir auf eine andere Gelegenheit.","norm":"Einen umständlicheren Bericht, wie Natalie mit ihren Kindern verfuhr, versparen wir auf eine andere Gelegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1705,"orig":"Mignon verlangte oft in der Geſellſchaft zu ſeyn, und man vergönnte es ihr um ſo lieber, als ſie ſich nach und nach wieder an Wilhelmen zu gewöhnen, ihr Herz gegen ihn aufzuſchließen und überhaupt heiterer und lebensluſtiger zu werden ſchien.","norm":"Mignon verlangte oft in der Gesellschaft zu sein, und man vergönnte es ihr um so lieber, als sie sich nach und nach wieder an Wilhelmen zu gewöhnen, ihr Herz gegen ihn aufzuschließen und überhaupt heiterer und lebenslustiger zu werden schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1706,"orig":"Sie hing ſich, beym Spazierengehen, da ſie leicht müde ward, gern an ſeinen Arm.","norm":"Sie hing sich, beim Spazierengehen, da sie leicht müde wurde, gern an seinen Arm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1707,"orig":"Nun, ſagte ſie, Mignon klettert und ſpringt nicht mehr, und doch fühlt er noch immer die Begierde über die Gipfel der Berge wegzuſpazieren, von einem Hauſe aufs andere, von einem Baume auf den andern zu ſchreiten.","norm":"Nun, sagte sie, Mignon klettert und springt nicht mehr, und doch fühlt er noch immer die Begierde über die Gipfel der Berge wegzuspazieren, von einem Hause aufs andere, von einem Baume auf den anderen zu schreiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1708,"orig":"Wie beneidenswerth ſind die Vögel, beſonders wenn ſie ſo artig und vertraulich ihre Neſter bauen.","norm":"Wie beneidenswert sind die Vögel, besonders wenn sie so artig und vertraulich ihre Nester bauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1709,"orig":"Es ward nun bald zur Gewohnheit, daß Mignon ſeinen Freund mehr als einmal in den Garten lud.","norm":"Es wurde nun bald zur Gewohnheit, dass Mignon ihren Freund mehr als einmal in den Garten lud."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1710,"orig":"War dieſer beſchäftigt oder nicht zu finden, ſo mußte Felix die Stelle vertreten, und wenn das gute Mädchen in manchen Augenblicken ganz von der Erde los ſchien, ſo hielt ſie ſich in andern gleichſam wieder feſt an Vater und Sohn, und ſchien eine Trennung von dieſen mehr als alles zu fürchten.","norm":"War dieser beschäftigt oder nicht zu finden, so musste Felix die Stelle vertreten, und wenn das gute Mädchen in manchen Augenblicken ganz von der Erde los schien, so hielt sie sich in anderen gleichsam wieder fest an Vater und Sohn, und schien eine Trennung von diesen mehr als alles zu fürchten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1711,"orig":"Natalie ſchien nachdenklich.","norm":"Natalie schien nachdenklich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1712,"orig":"Wir haben gewünſcht durch Ihre Gegenwart, ſagte ſie, das arme gute Herz wieder aufzuſchließen; ob wir wohl gethan haben, weiß ich nicht.","norm":"Wir haben gewünscht durch Ihre Gegenwart, sagte sie, das arme gute Herz wieder aufzuschließen; ob wir wohlgetan haben, weiß ich nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1713,"orig":"Sie ſchwieg und ſchien zu erwarten, daß Wilhelm etwas ſagen ſollte.","norm":"Sie schwieg und schien zu erwarten, dass Wilhelm etwas sagen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1714,"orig":"Auch ihm fiel ein, daß durch ſeine Verbindung mit Thereſen, Mignon, unter den gegenwärtigen Umſtänden, aufs äußerſte gekränkt werden müſſe; allein er getraute ſich in ſeiner Ungewißheit nichts von dieſem Vorhaben zu ſprechen, er vermuthete nicht, daß Natalie davon unterrichtet ſey.","norm":"Auch ihm fiel ein, dass durch seine Verbindung mit Theresa, Mignon, unter den gegenwärtigen Umständen, aufs äußerste gekränkt werden müsse; allein er getraute sich in seiner Ungewissheit nicht von diesem Vorhaben zu sprechen, er vermutete nicht, dass Natalie davon unterrichtet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1715,"orig":"Eben ſo wenig konnte er mit Freyheit des Geiſtes die Unterredung verfolgen, wenn ſeine edle Freundin von ihrer Schweſter ſprach, ihre guten Eigenſchaften rühmte und ihren Zuſtand bedauerte.","norm":"Ebensowenig konnte er mit Freiheit des Geistes die Unterredung verfolgen, wenn seine edle Freundin von ihrer Schwester sprach, ihre guten Eigenschaften rühmte und ihren Zustand bedauerte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1716,"orig":"Er war nicht wenig verlegen, als Natalie ihm ankündigte, daß er die Gräfin bald hier ſehen werde.","norm":"Er war nicht wenig verlegen, als Natalie ihm ankündigte, dass er die Gräfin bald hier sehen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1717,"orig":"Ihr Gemahl, ſagte ſie, hat nun keinen andern Sinn, als den abgeſchiedenen Grafen in der Gemeinde zu erſetzen, durch Einſicht und Thätigkeit dieſe große Anſtalt zu unterſtützen und weiter aufzubauen, er kommt mit ihr zu uns, um eine Art von Abſchied zu nehmen, er wird nachher die verſchiedenen Orte beſuchen, wo die Gemeinde ſich niedergelaſſen hat, man ſcheint ihn nach ſeinen Wünſchen zu behandeln, und faſt glaub ich, er wagt mit meiner armen Schweſter eine Reiſe nach Amerika, um ja ſeinem Vorgänger recht ähnlich zu werden, und da er einmal ſchon beynah überzeugt iſt, daß ihm nicht viel fehle ein Heiliger zu ſeyn, ſo mag ihm der Wunſch manchmal vor der Seele ſchweben, wo möglich zuletzt auch noch als Märtyrer zu glänzen.","norm":"Ihr Gemahl, sagte sie, hat nun keinen anderen Sinn, als den abgeschiedenen Grafen in der Gemeinde zu ersetzen, durch Einsicht und Tätigkeit diese große Anstalt zu unterstützen und weiter aufzubauen, er kommt mit ihr zu uns, um eine Art von Abschied zu nehmen, er wird nachher die verschiedenen Orte besuchen, wo die Gemeinde sich niedergelassen hat, man scheint ihn nach seinen Wünschen zu behandeln, und fast glaube ich, er wagt mit meiner armen Schwester eine Reise nach Amerika, um ja seinem Vorgänger recht ähnlich zu werden, und da er einmal schon beinahe überzeugt ist, dass ihm nicht viel fehle ein Heiliger zu sein, so mag ihm der Wunsch manchmal vor der Seele schweben, womöglich zuletzt auch noch als Märtyrer zu glänzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1718,"orig":"Oft genug hatte man bisher von Fräulein Thereſe geſprochen, oft genug ihrer im Vorbeygehen erwähnt, und faſt jedesmal war Wilhelm im Begriff ſeiner neuen Freundinn zu bekennen, daß er jenem trefflichen Frauenzimmer ſein Herz und ſeine Hand angeboten habe.","norm":"Oft genug hatte man bisher von Fräulein Therese gesprochen, oft genug ihrer im Vorbeigehen erwähnt, und fast jedes Mal war Wilhelm im Begriff seiner neuen Freundin zu bekennen, dass er jenem trefflichen Frauenzimmer sein Herz und seine Hand angeboten habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1719,"orig":"Ein gewiſſes Gefühl, das er ſich nicht erklären konnte, hielt ihn zurück, er zauderte ſo lange, bis endlich Natalie ſelbſt, mit dem himmliſchen, beſcheidnen, heitern Lächeln, das man an ihr zu ſehen gewohnt war, zu ihm ſagte: ſo muß ich denn doch zuletzt das Stillſchweigen brechen, und mich in Ihr Vertrauen gewaltſam eindrängen!","norm":"Ein gewisses Gefühl, das er sich nicht erklären konnte, hielt ihn zurück, er zauderte so lange, bis endlich Natalie selbst, mit dem himmlischen, bescheidenen, heiteren Lächeln, das man an ihr zu sehen gewohnt war, zu ihm sagte: So muss ich denn doch zuletzt das Stillschweigen brechen, und mich in Ihr Vertrauen gewaltsam eindrängen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1720,"orig":"Warum machen Sie mir ein Geheimnis, mein Freund, aus einer Angelegenheit, die Ihnen ſo wichtig iſt, und die mich ſelbſt ſo nahe angeht?","norm":"Warum machen Sie mir ein Geheimnis, mein Freund, aus einer Angelegenheit, die Ihnen so wichtig ist, und die mich selbst so nahe angeht?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1721,"orig":"Sie haben meiner Freundin Ihre Hand angeboten, ich miſche mich nicht ohne Beruf in dieſe Sache, hier iſt meine Legitimation, hier iſt der Brief, den ſie Ihnen ſchreibt, den ſie durch mich Ihnen ſendet.","norm":"Sie haben meiner Freundin Ihre Hand angeboten, ich mische mich nicht ohne Beruf in diese Sache, hier ist meine Legitimation, hier ist der Brief, den sie Ihnen schreibt, den sie durch mich Ihnen sendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1722,"orig":"Einen Brief von Thereſen!","norm":"Einen Brief von Theresa!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1723,"orig":"rief er aus.","norm":"rief er aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1724,"orig":"Ja, mein Herr, und Ihr Schickſal iſt entſchieden, Sie ſind glücklich.","norm":"Ja, mein Herr, und Ihr Schicksal ist entschieden, Sie sind glücklich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1725,"orig":"Laſſen Sie mich Ihnen und meiner Freundin Glück wünſchen.","norm":"Lassen Sie mich Ihnen und meiner Freundin Glück wünschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1726,"orig":"Wilhelm verſtummte, und ſah vor ſich hin.","norm":"Wilhelm verstummte, und sah vor sich hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1727,"orig":"Natalie ſah ihn an, ſie bemerkte, daß er blaß ward.","norm":"Natalie sah ihn an, sie bemerkte, dass er blass wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1728,"orig":"Ihre Freude iſt ſtark, fuhr ſie fort, ſie nimmt die Geſtalt des Schreckens an, ſie raubt Ihnen die Sprache.","norm":"Ihre Freude ist stark, fuhr sie fort, sie nimmt die Gestalt des Schreckens an, sie raubt Ihnen die Sprache."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1729,"orig":"Mein Antheil iſt darum nicht weniger herzlich, weil er mich noch zum Worte kommen läßt.","norm":"Mein Anteil ist darum nicht weniger herzlich, weil er mich noch zum Worte kommen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1730,"orig":"Ich hoffe Sie werden dankbar ſeyn, denn ich darf Ihnen ſagen: mein Einfluß auf Thereſens Entſchließung war nicht gering, ſie fragte mich um Rath, und, ſonderbarer Weiſe, waren Sie eben hier, ich konnte die wenigen Zweifel, die meine Freundin noch hegte, glücklich beſiegen, die Bothen gingen lebhaft hin und wieder, hier iſt ihr Entſchluß!","norm":"Ich hoffe Sie werden dankbar sein, denn ich darf Ihnen sagen: Mein Einfluss auf Theresens Entschließung war nicht gering, sie fragte mich um Rat, und, sonderbarerweise, waren Sie eben hier, ich konnte die wenigen Zweifel, die meine Freundin noch hegte, glücklich besiegen, die Boten gingen lebhaft hin und wider, hier ist ihr Entschluss!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1731,"orig":"hier iſt die Entwicklung!","norm":"hier ist die Entwicklung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1732,"orig":"und nun ſollen Sie alle ihre Briefe leſen, Sie ſollen in das ſchöne Herz Ihrer Braut einen freyen, reinen Blick thun.","norm":"und nun sollen Sie alle ihre Briefe lesen, Sie sollen in das schöne Herz Ihrer Braut einen freien, reinen Blick tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1733,"orig":"Wilhelm entfaltete das Blatt, das ſie ihm unverſiegelt überreichte, es enthielt die freundlichen Worte:","norm":"Wilhelm entfaltete das Blatt, das sie ihm unversiegelt überreichte, es enthielt die freundlichen Worte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1734,"orig":"Ich bin die Ihre, wie ich bin und wie Sie mich kennen.","norm":"Ich bin die Ihre, wie ich bin und wie Sie mich kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1735,"orig":"Ich nenne Sie den meinen, wie Sie ſind und wie ich Sie kenne.","norm":"Ich nenne Sie den Meinen, wie Sie sind und wie ich Sie kenne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1736,"orig":"Was an uns ſelbſt, was an unſern Verhältniſſen der Eheſtand verändert, werden wir durch Vernunft, frohen Muth und guten Willen zu übertragen wiſſen.","norm":"Was an uns selbst, was an unseren Verhältnissen der Ehestand verändert, werden wir durch Vernunft, frohen Mut und guten Willen zu übertragen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1737,"orig":"Da uns keine Leidenſchaft, ſondern Neigung und Zutrauen zuſammen führt, ſo wagen wir weniger als tauſend andere.","norm":"Da uns keine Leidenschaft, sondern Neigung und Zutrauen zusammenführt, so wagen wir weniger als tausend andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1738,"orig":"Sie verzeihen mir gewis, wenn ich mich manchmal meines alten Freundes herzlich erinnere, dafür will ich Ihren Sohn als Mutter an meinen Buſen drücken.","norm":"Sie verzeihen mir gewiss, wenn ich mich manchmal meines alten Freundes herzlich erinnere, dafür will ich Ihren Sohn als Mutter an meinen Busen drücken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1739,"orig":"Wollen Sie mein kleines Haus ſogleich mit mir theilen, ſo ſind Sie Herr und Meiſter, indeſſen wird der Gutskauf abgeſchloſſen.","norm":"Wollen Sie mein kleines Haus sogleich mit mir teilen, so sind Sie Herr und Meister, indessen wird der Gutskauf abgeschlossen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1740,"orig":"Ich wünſchte, daß dort keine neue Einrichtung ohne mich gemacht würde, um ſogleich zu zeigen, daß ich das Zutrauen verdiene, das Sie mir ſchenken.","norm":"Ich wünschte, dass dort keine neue Einrichtung ohne mich gemacht würde, um sogleich zu zeigen, dass ich das Zutrauen verdiene, das Sie mir schenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1741,"orig":"Leben Sie wohl, lieber, lieber Freund!","norm":"Leben Sie wohl, lieber, lieber Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1742,"orig":"Geliebter Bräutigam, verehrter Gatte!","norm":"Geliebter Bräutigam, verehrter Gatte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1743,"orig":"Thereſe drückt Sie an ihre Bruſt mit Hoffnung und Lebensfreude.","norm":"Therese drückt Sie an ihre Brust mit Hoffnung und Lebensfreude."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1744,"orig":"Meine Freundin wird Ihnen mehr, wird Ihnen alles ſagen.","norm":"Meine Freundin wird Ihnen mehr, wird Ihnen alles sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1745,"orig":"Wilhelm, dem dieſes Blatt ſeine Thereſe wieder völlig vergegenwärtigt hatte, war auch wieder völlig zu ſich ſelbſt gekommen.","norm":"Wilhelm, dem dieses Blatt seine Therese wieder völlig vergegenwärtigt hatte, war auch wieder völlig zu sich selbst gekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1746,"orig":"Unter dem Leſen wechſelten die ſchnellſten Gedanken in ſeiner Seele.","norm":"Unter dem Lesen wechselten die schnellsten Gedanken in seiner Seele."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1747,"orig":"Mit Entſetzen fand er lebhafte Spuren einer Neigung gegen Natalien in ſeinem Herzen, er ſchalt ſich, er erklärte jeden Gedanken der Art für Unſinn, er ſtellte ſich Thereſen in ihrer ganzen Vollkommenheit vor, er las den Brief wieder, er ward heiter, oder vielmehr er erholte ſich ſo weit, daß er erſcheinen konnte.","norm":"Mit Entsetzen fand er lebhafte Spuren einer Neigung gegen Natalie in seinem Herzen, er schalt sich, er erklärte jeden Gedanken der Art für Unsinn, er stellte sich Theresa in ihrer ganzen Vollkommenheit vor, er las den Brief wieder, er wurde heiter, oder vielmehr er erholte sich so weit, dass er erscheinen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1748,"orig":"Natalie legte ihm die gewechſelten Briefe vor, aus denen wir einige Stellen ausziehen wollen.","norm":"Natalie legte ihm die gewechselten Briefe vor, aus denen wir einige Stellen ausziehen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1749,"orig":"Nachdem Thereſe ihren Bräutigam nach ihrer Art geſchildert hatte, fuhr ſie fort:","norm":"Nachdem Therese ihren Bräutigam nach ihrer Art geschildert hatte, fuhr sie fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1750,"orig":"So ſtelle ich mir den Mann vor, der mir jetzt ſeine Hand anbietet.","norm":"So stelle ich mir den Mann vor, der mir jetzt seine Hand anbietet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1751,"orig":"Wie er von ſich ſelbſt denkt, wirſt Du künftig aus den Papieren ſehen, in welchen er ſich mir ganz offen beſchreibt; ich bin überzeugt, daß ich mit ihm glücklich ſeyn werde.","norm":"Wie er von sich selbst denkt, wirst Du künftig aus den Papieren sehen, in welchen er sich mir ganz offen beschreibt; ich bin überzeugt, dass ich mit ihm glücklich sein werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1752,"orig":"Was den Stand betrifft, ſo weißt Du, wie ich von je her drüber gedacht habe.","norm":"Was den Stand betrifft, so weißt Du, wie ich von jeher drüber gedacht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1753,"orig":"Einige Menſchen fühlen die Mißverhältniſſe der äußern Zuſtände fürchterlich, und können ſie nicht übertragen.","norm":"Einige Menschen fühlen die Missverhältnisse der äußeren Zustände fürchterlich, und können sie nicht übertragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1754,"orig":"Ich will niemanden überzeugen, ſo wie ich nach meiner Überzeugung handeln will.","norm":"Ich will niemanden überzeugen, so wie ich nach meiner Überzeugung handeln will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1755,"orig":"Ich denke kein Beyſpiel zu geben, wie ich doch nicht ohne Beyſpiel handle.","norm":"Ich denke kein Beispiel zu geben, wie ich doch nicht ohne Beispiel handle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1756,"orig":"Mich ängſtigen nur die innern Mißverhältniſſe, ein Gefäß, das ſich zu dem, was es enthalten ſoll, nicht ſchickt; viel Prunk und wenig Genuß, Reichthum und Geiz, Adel und Roheit, Jugend und Pedanterei, Bedürfnis und Ceremonien, dieſe Verhältniſſe wärens, die mich vernichten könnten, die Welt mag ſie ſtempeln und ſchätzen wie ſie will.","norm":"Mich ängstigen nur die inneren Missverhältnisse, ein Gefäß, das sich zu dem, was es enthalten soll, nicht schickt; viel Prunk und wenig Genuss, Reichtum und Geiz, Adel und Rohheit, Jugend und Pedanterie, Bedürfnis und Zeremonien, diese Verhältnisse wären es, die mich vernichten könnten, die Welt mag sie stempeln und schätzen wie sie will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1757,"orig":"Wenn ich hoffe, daß wir zuſammen paſſen werden, ſo gründe ich meinen Ausſpruch vorzüglich darauf, daß er Dir, liebe Natalie, die ich ſo unendlich ſchätze und verehre, daß er Dir ähnlich iſt.","norm":"Wenn ich hoffe, dass wir zusammenpassen werden, so gründe ich meinen Ausspruch vorzüglich darauf, dass er Dir, liebe Natalie, die ich so unendlich schätze und verehre, dass er Dir ähnlich ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1758,"orig":"Ja er hat von Dir das edle Suchen und Streben nach dem Beſſern, wodurch wir das Gute, das wir zu finden glauben, ſelbſt hervorbringen.","norm":"Ja er hat von Dir das edle Suchen und Streben nach dem Besseren, wodurch wir das Gute, das wir zu finden glauben, selbst hervorbringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1759,"orig":"Wie oft habe ich Dich nicht im Stillen getadelt, daß Du dieſen oder jenen Menſchen anders behandelteſt, daß Du in dieſem oder jenen Fall Dich anders betrugſt, als ich würde gethan haben, und doch zeigte der Ausgang meiſt, daß Du Recht hatteſt.","norm":"Wie oft habe ich Dich nicht im Stillen getadelt, dass Du diesen oder jenen Menschen anders behandeltest, dass Du in diesem oder jenem Fall Dich anders betrugst, als ich würde getan haben, und doch zeigte der Ausgang meist, dass Du Recht hattest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1760,"orig":"Wenn wir, ſagteſt Du, die Menſchen nur nehmen wie ſie ſind, ſo machen wir ſie ſchlechter; wenn wir ſie behandeln, als wären ſie was ſie ſeyn ſollten, ſo bringen wir ſie dahin, wohin ſie zu bringen ſind.","norm":"Wenn wir, sagtest Du, die Menschen nur nehmen wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1761,"orig":"Ich kann weder ſo ſehen noch handeln, das weiß ich recht gut.","norm":"Ich kann weder so sehen noch handeln, das weiß ich recht gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1762,"orig":"Einſicht, Ordnung, Zucht, Befehl, das iſt meine Sache.","norm":"Einsicht, Ordnung, Zucht, Befehl, das ist meine Sache."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1763,"orig":"Ich erinnere mich noch wohl, was Jarno ſagte:","norm":"Ich erinnere mich noch wohl, was Jarno sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1764,"orig":"Thereſe dreſſirt ihre Zöglinge, Natalie bildet ſie.","norm":"Therese dressiert ihre Zöglinge, Natalie bildet sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1765,"orig":"Ja er ging ſo weit, daß er mir einſt die drey ſchönen Eigenſchaften Glaube, Liebe und Hoffnung völlig abſprach.","norm":"Ja er ging so weit, dass er mir einst die drei schönen Eigenschaften Glaube, Liebe und Hoffnung völlig absprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1766,"orig":"Statt des Glaubens, ſagte er, hat ſie die Einſicht, ſtatt der Liebe, die Beharrlichkeit und ſtatt der Hoffnung das Zutrauen.","norm":"Statt des Glaubens, sagte er, hat sie die Einsicht, statt der Liebe, die Beharrlichkeit und statt der Hoffnung das Zutrauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1767,"orig":"Auch will ich Dir gerne geſtehen, ehe ich Dich kannte, kannte ich nichts Höheres in der Welt als Klarheit und Klugheit, nur Deine Gegenwart hat mich überzeugt, belebt, überwunden, und Deiner ſchönen hohen Seele tret ich gerne den Rang ab.","norm":"Auch will ich Dir gerne gestehen, ehe ich Dich kannte, kannte ich nichts Höheres in der Welt als Klarheit und Klugheit, nur Deine Gegenwart hat mich überzeugt, belebt, überwunden, und Deiner schönen hohen Seele trete ich gerne den Rang ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1768,"orig":"Auch meinen Freund verehre ich in eben demſelben Sinn, ſeine Lebensbeſchreibung iſt ein ewiges Suchen und nicht finden; aber nicht das leere Suchen, ſondern das wunderbare, gutmüthige Suchen begabt ihn, er wähnt man könne ihm das geben, was nur von ihm kommen kann.","norm":"Auch meinen Freund verehre ich in ebendemselben Sinn, seine Lebensbeschreibung ist ein ewiges Suchen und nicht finden; aber nicht das leere Suchen, sondern das wunderbare, gutmütige Suchen begabt ihn, er wähnt man könne ihm das geben, was nur von ihm kommen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1769,"orig":"So meine Liebe ſchadet mir auch diesmal meine Klarheit nichts, ich kenne meinen Gatten beſſer, als er ſich ſelbſt kennt, und ich achte ihn nur um deſto mehr.","norm":"So meine Liebe schadet mir auch diesmal meine Klarheit nichts, ich kenne meinen Gatten besser, als er sich selbst kennt, und ich achte ihn nur um desto mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1770,"orig":"Ich ſehe ihn, aber ich überſehe ihn nicht, und alle meine Einſicht reicht nicht hin zu ahnen, was er wirken kann.","norm":"Ich sehe ihn, aber ich übersehe ihn nicht, und alle meine Einsicht reicht nicht hin zu ahnen, was er wirken kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1771,"orig":"Wenn ich an ihn denke, vermiſcht ſich ſein Bild immer mit dem Deinigen, und ich weiß nicht wie ich es werth bin zwey ſolchen Menſchen anzugehören.","norm":"Wenn ich an ihn denke, vermischt sich sein Bild immer mit dem Deinigen, und ich weiß nicht wie ich es wert bin zwei solchen Menschen anzugehören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1772,"orig":"Aber ich will es werth ſeyn, dadurch daß ich meine Pflicht thue, dadurch daß ich erfülle, was man von mir erwarten und hoffen kann.","norm":"Aber ich will es wert sein, dadurch dass ich meine Pflicht tue, dadurch dass ich erfülle, was man von mir erwarten und hoffen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1773,"orig":"Ob ich Lothario’s gedenke?","norm":"Ob ich Lotharios gedenke?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1774,"orig":"Lebhaft und täglich, ihn kann ich in der Geſellſchaft, die mich im Geiſte umgiebt, nicht einen Augenblick miſſen.","norm":"Lebhaft und täglich, ihn kann ich in der Gesellschaft, die mich im Geiste umgibt, nicht einen Augenblick missen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1775,"orig":"O wie bedaure ich den trefflichen Mann, der durch einen Jugendfehler mit mir verwandt iſt, daß die Natur ihn Dir ſo nahe gewollt hat.","norm":"O wie bedaure ich den trefflichen Mann, der durch einen Jugendfehler mit mir verwandt ist, dass die Natur ihn Dir so nahe gewollt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1776,"orig":"Warlich ein Weſen wie Du, wäre ſeiner mehr werth als ich, Dir könnt ich, Dir müßt ich ihn abtreten, laß uns ihm ſeyn, was nur möglich iſt, bis er eine würdige Gattin findet, und auch dann laß uns zuſammen ſeyn und zuſammen bleiben.","norm":"Wahrlich ein Wesen wie Du, wäre seiner mehr wert als ich, Dir könnte ich, Dir müsste ich ihn abtreten, lass uns ihm sein, was nur möglich ist, bis er eine würdige Gattin findet, und auch dann lass uns zusammen sein und zusammen bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1777,"orig":"Was werden nun aber unſre Freunde ſagen?","norm":"Was werden nun aber unsere Freunde sagen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1778,"orig":"begann Natalie.","norm":"begann Natalie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1779,"orig":"— Ihr Bruder weiß nichts davon?","norm":"— Ihr Bruder weiß nichts davon?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1780,"orig":"— Nein!","norm":"— Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1781,"orig":"ſo wenig als die Ihrigen, die Sache iſt diesmal nur unter uns Weibern verhandelt worden.","norm":"so wenig als die Ihrigen, die Sache ist diesmal nur unter uns Weibern verhandelt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1782,"orig":"Ich weiß nicht, was Lydie Thereſen für Grillen in den Kopf geſetzt hat, ſie ſcheint dem Abbé und Jarno zu mißtrauen.","norm":"Ich weiß nicht, was Lydie Theresa für Grillen in den Kopf gesetzt hat, sie scheint dem Abbé und Jarno zu misstrauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1783,"orig":"Lydie hat ihr gegen gewiſſe geheime Verbindungen und Plane, von denen ich wohl im Allgemeinen weiß, in die ich aber niemals einzudringen gedachte, wenigſtens einigen Argwohn eingeflößt, und bey dieſem entſcheidenden Schritt ihres Lebens wollte ſie niemand als mir einigen Einfluß verſtatten.","norm":"Lydie hat ihr gegen gewisse geheime Verbindungen und Plane, von denen ich wohl im Allgemeinen weiß, in die ich aber niemals einzudringen gedachte, wenigstens einigen Argwohn eingeflößt, und bei diesem entscheidenden Schritt ihres Lebens wollte sie niemand als mir einigen Einfluss verstatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1784,"orig":"Mit meinem Bruder war ſie ſchon früher überein gekommen, daß ſie ſich wechſelsweiſe ihre Heirath nur melden, ſich darüber nicht zu Rathe ziehen wollten.","norm":"Mit meinem Bruder war sie schon früher übereingekommen, dass sie sich wechselweise ihre Heirat nur melden, sich darüber nicht zu Rate ziehen wollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1785,"orig":"Natalie ſchrieb nun einen Brief an ihren Bruder, ſie lud Wilhelmen ein einige Worte dazu zu ſetzen, Thereſe hatte ſie darum gebeten.","norm":"Natalie schrieb nun einen Brief an ihren Bruder, sie lud Wilhelmen ein einige Worte dazuzusetzen, Therese hatte sie darum gebeten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1786,"orig":"Man wollte eben ſiegeln, als Jarno ſich unvermuthet anmelden ließ.","norm":"Man wollte eben siegeln, als Jarno sich unvermutet anmelden ließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1787,"orig":"Aufs freundlichſte ward er empfangen, auch ſchien er ſehr munter und ſcherzhaft, und konnte endlich nicht unterlaſſen zu ſagen: eigentlich komme ich hieher, um Ihnen eine ſehr wunderbare, doch angenehme Nachricht zu bringen; ſie betrifft unſere Thereſe.","norm":"Aufs freundlichste wurde er empfangen, auch schien er sehr munter und scherzhaft, und konnte endlich nicht unterlassen zu sagen: Eigentlich komme ich hierher, um Ihnen eine sehr wunderbare, doch angenehme Nachricht zu bringen; sie betrifft unsere Therese."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1788,"orig":"Sie haben uns manchmal getadelt, ſchöne Natalie!","norm":"Sie haben uns manchmal getadelt, schöne Natalie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1789,"orig":"daß wir uns um ſo vieles bekümmern, nun aber ſehen Sie wie gut es iſt überall ſeine Spione zu haben.","norm":"dass wir uns um so vieles bekümmern, nun aber sehen sie wie gut es ist überall seine Spione zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1790,"orig":"Rathen Sie, und laſſen Sie uns einmal Ihre Sagacität ſehen!","norm":"Raten Sie, und lassen Sie uns einmal Ihre Sagazität sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1791,"orig":"Die Selbſtgefälligkeit, womit er dieſe Worte ausſprach, die ſchalkhafte Mine, womit er Wilhelmen und Natalien anſah, überzeugten beyde, daß ihr Geheimniß entdeckt ſey.","norm":"Die Selbstgefälligkeit, womit er diese Worte aussprach, die schalkhafte Mine, womit er Wilhelm und Natalie ansah, überzeugten beide, dass ihr Geheimnis entdeckt sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1792,"orig":"Natalie antwortete lächelnd: wir ſind viel künſtlicher als Sie denken, wir haben die Auflöſung des Rätzels, noch ehe es uns aufgegeben wurde, ſchon zu Papiere gebracht.","norm":"Natalie antwortete lächelnd: Wir sind viel künstlicher als Sie denken, wir haben die Auflösung des Rätsels, noch ehe es uns aufgegeben wurde, schon zu Papier gebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1793,"orig":"Sie überreichte ihm, mit dieſen Worten, den Brief an Lothario, und war zufrieden der kleinen Überraſchung und Beſchämung, die man ihnen zugedacht hatte, auf dieſe Weiſe zu begegnen.","norm":"Sie überreichte ihm, mit diesen Worten, den Brief an Lothario, und war zufrieden der kleinen Überraschung und Beschämung, die man ihnen zugedacht hatte, auf diese Weise zu begegnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1794,"orig":"Jarno nahm das Blatt, mit einiger Verwunderung, überlief es nur, ſtaunte, ließ es aus der Hand ſinken, und ſah ſie beyde mit großen Augen, mit einen Ausdruck der Überraſchung, ja des Entſetzens an, den man auf ſeinem Geſichte nicht gewohnt war.","norm":"Jarno nahm das Blatt, mit einiger Verwunderung, überlief es nur, staunte, ließ es aus der Hand sinken, und sah sie beide mit großen Augen, mit einen Ausdruck der Überraschung, ja des Entsetzens an, den man auf seinem Gesichte nicht gewohnt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1795,"orig":"Er ſagte kein Wort.","norm":"Er sagte kein Wort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1796,"orig":"Wilhelm und Natalie waren nicht wenig betroffen, Jarno ging in der Stube auf und ab.","norm":"Wilhelm und Natalie waren nicht wenig betroffen, Jarno ging in der Stube auf und ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1797,"orig":"Was ſoll ich ſagen?","norm":"Was soll ich sagen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1798,"orig":"rief er aus, oder ſoll ich’s ſagen?","norm":"rief er aus, oder soll ich es sagen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1799,"orig":"Es kann kein Geheimniß bleiben, die Verwirrung iſt nicht zu vermeiden.","norm":"Es kann kein Geheimnis bleiben, die Verwirrung ist nicht zu vermeiden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1800,"orig":"Alſo denn Geheimniß gegen Geheimniß!","norm":"Also denn Geheimnis gegen Geheimnis!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1801,"orig":"Überraſchung gegen Überraſchung!","norm":"Überraschung gegen Überraschung!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1802,"orig":"Thereſe iſt nicht die Tochter ihrer Mutter!","norm":"Therese ist nicht die Tochter ihrer Mutter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1803,"orig":"das Hinderniß iſt gehoben, ich komme hierher ſie zu bitten, das edle Mädchen zu einer Verbindung mit Lothario vorzubereiten.","norm":"das Hindernis ist gehoben, ich komme hierher sie zu bitten, das edle Mädchen zu einer Verbindung mit Lothario vorzubereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1804,"orig":"Jarno ſah die Beſtürzung der beyden Freunde, welche die Augen zur Erde niederſchlugen.","norm":"Jarno sah die Bestürzung der beiden Freunde, welche die Augen zur Erde niederschlugen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1805,"orig":"Dieſer Fall iſt einer von denen, ſagte er, die ſich in Geſellſchaft am ſchlechteſten ertragen laſſen.","norm":"Dieser Fall ist einer von denen, sagte er, die sich in Gesellschaft am schlechtesten ertragen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1806,"orig":"Was jedes dabey zu denken hat, denkt es am beſten in der Einſamkeit, ich wenigſtens erbitte mir auf eine Stunde Urlaub.","norm":"Was jedes dabei zu denken hat, denkt es am besten in der Einsamkeit, ich wenigstens erbitte mir auf eine Stunde Urlaub."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1807,"orig":"Er eilte in den Garten, Wilhelm folgte ihm mechaniſch, aber in der Ferne.","norm":"Er eilte in den Garten, Wilhelm folgte ihm mechanisch, aber in der Ferne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1808,"orig":"Nach Verlauf einer Stunde fanden ſie ſich wieder zuſammen.","norm":"Nach Verlauf einer Stunde fanden sie sich wieder zusammen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1809,"orig":"Wilhelm nahm das Wort und ſagte: da ich ohne Zweck und Plan leicht, ja leichtfertig lebte, kamen mir Freundſchaft, Liebe, Neigung, Zutrauen mit offenen Armen entgegen, ja ſie drängten ſich zu mir; jetzt, da es Ernſt wird, ſcheint das Schickſal mit mir einen andern Weg zu nehmen: der Entſchluß, Thereſen meine Hand anzubieten, iſt vielleicht der erſte, der ganz rein aus mir ſelbſt kommt.","norm":"Wilhelm nahm das Wort und sagte: da ich ohne Zweck und Plan leicht, ja leichtfertig lebte, kamen mir Freundschaft, Liebe, Neigung, Zutrauen mit offenen Armen entgegen, ja sie drängten sich zu mir; jetzt, da es Ernst wird, scheint das Schicksal mit mir einen anderen Weg zu nehmen: der Entschluss, Theresa meine Hand anzubieten, ist vielleicht der Erste, der ganz rein aus mir selbst kommt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1810,"orig":"Mit Überlegung machte ich meinen Plan, meine Vernunft war völlig damit einig, und durch die Zuſage des trefflichen Mädchens wurden alle meine Hoffnungen erfüllt.","norm":"Mit Überlegung machte ich meinen Plan, meine Vernunft war völlig damit einig, und durch die Zusage des trefflichen Mädchens wurden alle meine Hoffnungen erfüllt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1811,"orig":"Nun drückt das ſonderbarſte Geſchick meine ausgeſtreckte Hand nieder, Thereſe reicht mir die ihrige von ferne, wie im Traume, ich kann ſie nicht faſſen, und das ſchöne Bild verläßt mich auf ewig.","norm":"Nun drückt das sonderbarste Geschick meine ausgestreckte Hand nieder, Therese reicht mir die ihrige von ferne, wie im Traume, ich kann sie nicht fassen, und das schöne Bild verlässt mich auf ewig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1812,"orig":"So lebe denn wohl du ſchönes Bild!","norm":"So lebe denn wohl du schönes Bild!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1813,"orig":"und ihr Bilder der reichſten Glückſeligkeit, die ihr euch darum her verſammeltet!","norm":"und ihr Bilder der reichsten Glückseligkeit, die ihr euch darum her versammeltet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1814,"orig":"Er ſchwieg einen Augenblick ſtill, ſah vor ſich hin, und Jarno wollte reden.","norm":"Er schwieg einen Augenblick still, sah vor sich hin, und Jarno wollte reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1815,"orig":"Laſſen Sie mich noch etwas ſagen, fiel Wilhelm ihm ein, denn um mein ganzes Geſchick wird ja doch diesmal das Loos geworfen.","norm":"Lassen Sie mich noch etwas sagen, fiel Wilhelm ihm ein, denn um mein ganzes Geschick wird ja doch diesmal das Los geworfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1816,"orig":"In dieſem Augenblick kommt mir der Eindruck zu Hülfe, den Lothario’s Gegenwart, beym erſten Anblick, mir einprägte, und der mir beſtändig geblieben iſt.","norm":"In diesem Augenblick kommt mir der Eindruck zu Hilfe, den Lotharios Gegenwart, beim ersten Anblick, mir einprägte, und der mir beständig geblieben ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1817,"orig":"Dieſer Mann verdient jede Art von Neigung und Freundſchaft, und ohne Aufopferung läßt ſich keine Freundſchaft denken.","norm":"Dieser Mann verdient jede Art von Neigung und Freundschaft, und ohne Aufopferung lässt sich keine Freundschaft denken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1818,"orig":"Um ſeinetwillen war es mir leicht ein unglückliches Mädchen zu bethören, um ſeinetwillen ſoll mir möglich werden der würdigſten Braut zu entſagen.","norm":"Um seinetwillen war es mir leicht ein unglückliches Mädchen zu betören, um seinetwillen soll mir möglich werden der würdigsten Braut zu entsagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1819,"orig":"Gehen Sie hin, erzählen Sie ihm die ſonderbare Geſchichte, und ſagen Sie ihm wozu ich bereit bin.","norm":"Gehen Sie hin, erzählen Sie ihm die sonderbare Geschichte, und sagen Sie ihm wozu ich bereit bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1820,"orig":"Jarno verſetzte hierauf: in ſolchen Fällen, halte ich dafür, iſt ſchon alles gethan, wenn man ſich nur nicht übereilt.","norm":"Jarno versetzte hierauf: In solchen Fällen, halte ich dafür, ist schon alles getan, wenn man sich nur nicht übereilt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1821,"orig":"Laſſen Sie uns keinen Schritt ohne Lothario’s Einwilligung thun!","norm":"Lassen Sie uns keinen Schritt ohne Lotharios Einwilligung tun!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1822,"orig":"Ich will zu ihm, erwarten Sie meine Zurückkunft oder ſeine Briefe ruhig.","norm":"Ich will zu ihm, erwarten Sie meine Zurückkunft oder seine Briefe ruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1823,"orig":"Er ritt weg, und hinterließ die beyden Freunde in der größten Wehmuth.","norm":"Er ritt weg, und hinterließ die beiden Freunde in der größten Wehmut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1824,"orig":"Sie hatten Zeit ſich dieſe Begebenheit auf mehr als Eine Weiſe zu wiederholen, und ihre Bemerkungen darüber zu machen.","norm":"Sie hatten Zeit sich diese Begebenheit auf mehr als eine Weise zu wiederholen, und ihre Bemerkungen darüber zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1825,"orig":"Nun fiel es ihnen erſt auf, daß ſie dieſe wunderbare Erklärung ſo gerade von Jarno angenommen, und ſich nicht um die nähern Umſtände erkundigt hatten.","norm":"Nun fiel es ihnen erst auf, dass sie diese wunderbare Erklärung so gerade von Jarno angenommen, und sich nicht um die nähern Umstände erkundigt hatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1826,"orig":"Ja Wilhelm wollte ſogar einigen Zweifel hegen; aber aufs höchſte ſtieg ihr Erſtaunen, ja ihre Verwirrung, als den andern Tag ein Bothe von Thereſen ankam, der folgenden ſonderbaren Brief an Natalien mitbrachte:","norm":"Ja Wilhelm wollte sogar einigen Zweifel hegen; aber aufs höchste stieg ihr Erstaunen, ja ihre Verwirrung, als den anderen Tag ein Bote von Theresa ankam, der folgenden sonderbaren Brief an Natalie mitbrachte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1827,"orig":"»So ſeltſam es auch ſcheinen mag, ſo muß ich doch meinem vorigen Briefe ſogleich noch einen nachſenden, und Dich erſuchen mir meinen Bräutigam eilig zu ſchicken.","norm":"»So seltsam es auch scheinen mag, so muss ich doch meinem vorigen Briefe sogleich noch einen nachsenden, und Dich ersuchen mir meinen Bräutigam eilig zu schicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1828,"orig":"Er ſoll mein Gatte werden, was man auch für Plane macht mir ihn zu rauben.","norm":"Er soll mein Gatte werden, was man auch für Plane macht mir ihn zu rauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1829,"orig":"Gieb ihm inliegenden Brief!","norm":"Gib ihm inliegenden Brief!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1830,"orig":"Nur vor keinem Zeugen, es mag gegenwärtig ſeyn wer will.","norm":"Nur vor keinem Zeugen, es mag gegenwärtig sein wer will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1831,"orig":"«","norm":"«"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1832,"orig":"Der Brief an Wilhelmen enthielt folgendes: »Was werden Sie von Ihrer Thereſe denken?","norm":"Der Brief an Wilhelm enthielt folgendes: »Was werden Sie von Ihrer Therese denken?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1833,"orig":"wenn ſie auf einmal, leidenſchaftlich, auf eine Verbindung dringt, die der ruhigſte Verſtand nur eingeleitet zu haben ſchien.","norm":"wenn sie auf einmal, leidenschaftlich, auf eine Verbindung dringt, die der ruhigste Verstand nur eingeleitet zu haben schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1834,"orig":"Laſſen Sie ſich durch nichts abhalten, gleich nach dem Empfang des Briefes abzureiſen.","norm":"Lassen Sie sich durch nichts abhalten, gleich nach dem Empfang des Briefes abzureisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1835,"orig":"Kommen Sie, lieber, lieber Freund, nun dreyfach Geliebter, da man mir Ihren Beſitz rauben oder wenigſtens erſchweren will.","norm":"Kommen Sie, lieber, lieber Freund, nun dreifach Geliebter, da man mir Ihren Besitz rauben oder wenigstens erschweren will."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1836,"orig":"«","norm":"«"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1837,"orig":"Was iſt zu thun?","norm":"Was ist zu tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1838,"orig":"rief Wilhelm aus, als er dieſen Brief geleſen hatte.","norm":"rief Wilhelm aus, als er diesen Brief gelesen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1839,"orig":"Noch in keinem Fall, verſetzte Natalie, nach einigem Nachdenken, hat mein Herz und mein Verſtand ſo geſchwiegen, als in dieſem, ich wüßte nichts zu thun, ſo wie ich nichts zu rathen weiß.","norm":"Noch in keinem Fall, versetzte Natalie, nach einigem Nachdenken, hat mein Herz und mein Verstand so geschwiegen, als in diesem, ich wüsste nichts zu tun, so wie ich nichts zu raten weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1840,"orig":"Wäre es möglich?","norm":"Wäre es möglich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1841,"orig":"rief Wilhelm mit Heftigkeit aus, daß Lothario ſelbſt nichts davon wüßte, oder wenn er davon weiß, daß er mit uns das Spiel verſteckter Plane wäre?","norm":"rief Wilhelm mit Heftigkeit aus, dass Lothario selbst nichts davon wüsste, oder wenn er davon weiß, dass er mit uns das Spiel versteckter Plane wäre?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1842,"orig":"Hat Jarno, indem er unſern Brief geſehen, das Mährchen aus dem Stegreife erfunden?","norm":"Hat Jarno, indem er unseren Brief gesehen, das Märchen aus dem Stegreife erfunden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1843,"orig":"Würde er uns was anders geſagt haben, wenn wir nicht zu voreilig geweſen wären?","norm":"Würde er uns was anders gesagt haben, wenn wir nicht zu voreilig gewesen wären?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1844,"orig":"Was kann man wollen?","norm":"Was kann man wollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1845,"orig":"was für Abſichten kann man haben?","norm":"Was für Absichten kann man haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1846,"orig":"Was kann Thereſe für einen Plan meynen?","norm":"Was kann Therese für einen Plan meinen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1847,"orig":"Ja es läßt ſich nicht läugnen, Lothario iſt von geheimen Wirkungen und Verbindungen umgeben, ich habe ſelbſt erfahren, daß man thätig iſt, daß man ſich, in einem gewiſſen Sinne, um die Handlungen, um die Schickſale mehrerer Menſchen bekümmert, und ſie zu leiten weiß.","norm":"Ja es lässt sich nicht leugnen, Lothario ist von geheimen Wirkungen und Verbindungen umgeben, ich habe selbst erfahren, dass man tätig ist, dass man sich, in einem gewissen Sinne, um die Handlungen, um die Schicksale mehrerer Menschen bekümmert, und sie zu leiten weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1848,"orig":"Von den Endzwecken dieſer Geheimniſſe verſtehe ich nichts, aber dieſe neuſte Abſicht, mir Thereſen zu entreißen, ſehe ich nur allzu deutlich.","norm":"Von den Endzwecken dieser Geheimnisse verstehe ich nichts, aber diese neueste Absicht, mir Theresa zu entreißen, sehe ich nur allzu deutlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1849,"orig":"Auf einer Seite mahlt man mir das mögliche Glück Lothario’s, vielleicht nur zum Scheine, vor, auf der andern ſehe ich meine Geliebte, meine verehrte Braut, die mich an ihr Herz ruft.","norm":"Auf einer Seite malt man mir das mögliche Glück Lotharios, vielleicht nur zum Scheine, vor, auf der anderen sehe ich meine Geliebte, meine verehrte Braut, die mich an ihr Herz ruft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1850,"orig":"Was ſoll ich thun?","norm":"Was soll ich tun?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1851,"orig":"Was ſoll ich unterlaſſen?","norm":"Was soll ich unterlassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1852,"orig":"Nur ein wenig Geduld!","norm":"Nur ein wenig Geduld!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1853,"orig":"ſagte Natalie, nur eine kurze Bedenkzeit.","norm":"sagte Natalie, nur eine kurze Bedenkzeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1854,"orig":"In dieſer ſonderbaren Verknüpfung weiß ich nur ſo viel: daß wir das, was unwiederbringlich iſt, nicht übereilen ſollen.","norm":"In dieser sonderbaren Verknüpfung weiß ich nur so viel: dass wir das, was unwiederbringlich ist, nicht übereilen sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1855,"orig":"Gegen ein Mährchen, gegen einen künſtlichen Plan ſtehen Beharrlichkeit und Klugheit uns bey, es muß ſich bald aufklären, ob die Sache wahr oder ob ſie erfunden iſt.","norm":"Gegen ein Märchen, gegen einen künstlichen Plan stehen Beharrlichkeit und Klugheit uns bei, es muss sich bald aufklären, ob die Sache wahr oder ob sie erfunden ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1856,"orig":"Hat mein Bruder wirklich Hoffnung ſich mit Thereſen zu verbinden, ſo wäre es grauſam, ſie ihm auf ewig zu entreißen, da ſie ihm ſo freundlich erſcheint.","norm":"Hat mein Bruder wirklich Hoffnung sich mit Theresa zu verbinden, so wäre es grausam, sie ihm auf ewig zu entreißen, da sie ihm so freundlich erscheint."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1857,"orig":"Laſſen Sie uns nur abwarten, ob er etwas davon weiß, ob er ſelbſt glaubt, ob er ſelbſt hofft.","norm":"Lassen Sie uns nur abwarten, ob er etwas davon weiß, ob er selbst glaubt, ob er selbst hofft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1858,"orig":"Dieſen Gründen ihres Raths kam glücklicherweiſe ein Brief von Lothario zu Hülfe:","norm":"Diesen Gründen ihres Rats kam glücklicherweise ein Brief von Lothario zu Hilfe:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1859,"orig":"Ich ſchicke Jarno nicht wieder zurück, ſchrieb er, von meiner Hand eine Zeile, iſt Dir mehr als die umſtändlichſten Worte eines Bothen.","norm":"Ich schicke Jarno nicht wieder zurück, schrieb er, von meiner Hand eine Zeile, ist Dir mehr als die umständlichsten Worte eines Boten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1860,"orig":"Ich bin gewiß, daß Thereſe nicht die Tochter ihrer Mutter iſt, und ich kann die Hoffnung, ſie zu beſitzen, nicht aufgeben, bis ſie auch überzeugt iſt, und alsdann zwiſchen mir und dem Freunde mit ruhiger Überlegung entſcheidet.","norm":"Ich bin gewiss, dass Therese nicht die Tochter ihrer Mutter ist, und ich kann die Hoffnung, sie zu besitzen, nicht aufgeben, bis sie auch überzeugt ist, und alsdann zwischen mir und dem Freunde mit ruhiger Überlegung entscheidet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1861,"orig":"Laß ihn, ich bitte Dich, nicht von Deiner Seite!","norm":"Lass ihn, ich bitte Dich, nicht von Deiner Seite!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1862,"orig":"das Glück, das Leben eines Bruders hängt davon ab.","norm":"das Glück, das Leben eines Bruders hängt davon ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1863,"orig":"Ich verſpreche Dir, dieſe Ungewißheit ſoll nicht lange dauern.","norm":"Ich verspreche Dir, diese Ungewissheit soll nicht lange dauern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1864,"orig":"Sie ſehen, wie die Sache ſteht, ſagte ſie freundlich zu Wilhelmen, geben Sie mir Ihr Ehrenwort nicht aus dem Hauſe zu gehn.","norm":"Sie sehen, wie die Sache steht, sagte sie freundlich zu Wilhelm, geben Sie mir Ihr Ehrenwort nicht aus dem Hause zu gehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1865,"orig":"Ich gebe es!","norm":"Ich gebe es!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1866,"orig":"rief er aus, indem er ihr die Hand reichte, ich will dieſes Haus wider Ihren Willen nicht verlaſſen.","norm":"rief er aus, indem er ihr die Hand reichte, ich will dieses Haus wider Ihren Willen nicht verlassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1867,"orig":"Ich danke Gott und meinem guten Geiſt, daß ich diesmal geleitet werde und zwar von Ihnen.","norm":"Ich danke Gott und meinem guten Geist, dass ich diesmal geleitet werde und zwar von Ihnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1868,"orig":"Natalie ſchrieb Thereſen den ganzen Verlauf, und erklärte: daß ſie ihren Freund nicht von ſich laſſen werde, ſie ſchickte zugleich Lothario’s Brief mit.","norm":"Natalie schrieb Theresa den ganzen Verlauf, und erklärte: dass sie ihren Freund nicht von sich lassen werde, sie schickte zugleich Lotharios Brief mit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1869,"orig":"Thereſe antwortete: »Ich bin nicht wenig verwundert, daß Lothario ſelbſt überzeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen.","norm":"Therese antwortete: »Ich bin nicht wenig verwundert, dass Lothario selbst überzeugt ist, denn gegen seine Schwester wird er sich nicht auf diesen Grad verstellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1870,"orig":"Ich bin verdrießlich, ſehr verdrießlich.","norm":"Ich bin verdrießlich, sehr verdrießlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1871,"orig":"Es iſt beſſer, ich ſage nichts weiter.","norm":"Es ist besser, ich sage nichts weiter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1872,"orig":"Am beſten iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt die arme Lydie untergebracht habe, mit der man grauſam umgeht.","norm":"Am besten ist es, ich komme zu Dir, wenn ich nur erst die arme Lydie untergebracht habe, mit der man grausam umgeht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1873,"orig":"Ich fürchte, wir ſind alle betrogen, und werden ſo betrogen, um nie ins Klare zu kommen.","norm":"Ich fürchte, wir sind alle betrogen, und werden so betrogen, um nie ins Klare zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1874,"orig":"Wenn der Freund meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner Thereſe, die ihm dann niemand entreißen ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren und Lohario nicht wieder gewinnen.","norm":"Wenn der Freund meinen Sinn hätte, so entschlüpfte er Dir doch, und würfe sich an das Herz seiner Therese, die ihm dann niemand entreißen sollte; aber ich fürchte ich soll ihn verlieren und Lothario nicht wiedergewinnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1875,"orig":"Dieſem entreißt man Lydien, indem man ihm die Hoffnung, mich beſitzen zu können, von Weiten zeigt.","norm":"Diesem entreißt man Lydien, indem man ihm die Hoffnung, mich besitzen zu können, von Weitem zeigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1876,"orig":"Ich will nichts weiter ſagen, die Verwirrung wird noch größer werden.","norm":"Ich will nichts weiter sagen, die Verwirrung wird noch größer werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1877,"orig":"Ob nicht indeſſen die ſchönſten Verhältniſſe ſo verſchoben, ſo untergraben und ſo zerrüttet werden, daß auch dann, wenn alles im Klaren ſeyn wird, doch nicht wieder zu helfen iſt, mag die Zeit lehren.","norm":"Ob nicht indessen die schönsten Verhältnisse so verschoben, so untergraben und so zerrüttet werden, dass auch dann, wenn alles im Klaren sein wird, doch nicht wieder zu helfen ist, mag die Zeit lehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1878,"orig":"Reißt ſich mein Freund nicht los, ſo komme ich in wenigen Tagen, um ihn bey Dir aufzuſuchen und feſt zu halten.","norm":"Reißt sich mein Freund nicht los, so komme ich in wenigen Tagen, um ihn bei Dir aufzusuchen und festzuhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1879,"orig":"Du wunderſt Dich, wie dieſe Leidenſchaft ſich Deiner Thereſe bemächtiget hat.","norm":"Du wunderst Dich, wie diese Leidenschaft sich Deiner Therese bemächtigt hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1880,"orig":"Es iſt keine Leidenſchaft, es iſt Überzeugung, daß, da Lothario nicht mein werden konnte, dieſer neue Freund das Glück meines Lebens machen wird.","norm":"Es ist keine Leidenschaft, es ist Überzeugung, dass, da Lothario nicht mein werden konnte, dieser neue Freund das Glück meines Lebens machen wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1881,"orig":"Sag ihm das!","norm":"Sage ihm das!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1882,"orig":"im Nahmen des kleinen Knaben, der mit ihm unter der Eiche ſaß und ſich ſeiner Theilnahme freute.","norm":"im Namen des kleinen Knaben, der mit ihm unter der Eiche saß und sich seiner Teilnahme freute."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1883,"orig":"Sag ihm das im Nahmen Thereſens, die ſeinem Antrage mit einer herzlichen Offenheit entgegen kam.","norm":"Sage ihm das im Namen Theresens, die seinem Antrage mit einer herzlichen Offenheit entgegenkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1884,"orig":"Mein erſter Traum, wie ich mit Lothario leben würde, iſt weit von meiner Seele weggerückt, der Traum, wie ich mit meinem neuen Freund zu leben gedachte, ſteht noch ganz gegenwärtig vor mir.","norm":"Mein erster Traum, wie ich mit Lothario leben würde, ist weit von meiner Seele weggerückt, der Traum, wie ich mit meinem neuen Freund zu leben gedachte, steht noch ganz gegenwärtig vor mir."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1885,"orig":"Achtet man mich ſo wenig, daß man glaubt, es ſey ſo was leichtes dieſen mit jenem aus dem Stegreife wieder umzutauſchen.","norm":"Achtet man mich so wenig, dass man glaubt, es sei so was Leichtes diesen mit jenem aus dem Stegreife wieder umzutauschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1886,"orig":"Ich verlaſſe mich auf Sie, ſagte Natalie zu Wilhelmen, indem ſie ihm den Brief Thereſens gab, Sie entfliehen mir nicht.","norm":"Ich verlasse mich auf Sie, sagte Natalie zu Wilhelmen, indem sie ihm den Brief Theresens gab, Sie entfliehen mir nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1887,"orig":"Bedenken Sie, daß Sie das Glück meines Lebens in Ihrer Hand haben!","norm":"Bedenken Sie, dass Sie das Glück meines Lebens in Ihrer Hand haben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1888,"orig":"Mein Daſeyn iſt mit dem Daſeyn meines Bruders ſo innig verbunden und verwurzelt, daß er keine Schmerzen fühlen kann, die ich nicht empfinde, keine Freude, die nicht auch mein Glück macht.","norm":"Mein Dasein ist mit dem Dasein meines Bruders so innig verbunden und verwurzelt, dass er keine Schmerzen fühlen kann, die ich nicht empfinde, keine Freude, die nicht auch mein Glück macht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1889,"orig":"Ja ich kann wohl ſagen, daß ich allein durch ihn empfunden habe, daß das Herz gerührt und erhoben, daß auf der Welt Freude, Liebe und ein Gefühl ſeyn kann, das über alles Bedürfniß hinaus befriedigt.","norm":"Ja ich kann wohl sagen, dass ich allein durch ihn empfunden habe, dass das Herz gerührt und erhoben, dass auf der Welt Freude, Liebe und ein Gefühl sein kann, das über alles Bedürfnis hinaus befriedigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1890,"orig":"Sie hielt inne, Wilhelm nahm ihre Hand und rief:","norm":"Sie hielt inne, Wilhelm nahm ihre Hand und rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1891,"orig":"O fahren Sie fort, es iſt die rechte Zeit zu einem wahren wechſelſeitigen Vertrauen, wir haben nie nöthiger gehabt uns genauer zu kennen.","norm":"O fahren Sie fort, es ist die rechte Zeit zu einem wahren wechselseitigen Vertrauen, wir haben nie nötiger gehabt uns genauer zu kennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1892,"orig":"Ja, mein Freund!","norm":"Ja, mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1893,"orig":"ſagte ſie lächelnd, mit ihrer ruhigen, ſanften, unbeſchreiblichen Hoheit, es iſt vielleicht nicht außer der Zeit, wenn ich Ihnen ſage, daß alles, was uns ſo manches Buch, was uns die Welt als Liebe nennt und zeigt, mir immer nur als ein Mährchen erſchienen ſey.","norm":"sagte sie lächelnd, mit ihrer ruhigen, sanften, unbeschreiblichen Hoheit, es ist vielleicht nicht außer der Zeit, wenn ich Ihnen sage, dass alles, was uns so manches Buch, was uns die Welt als Liebe nennt und zeigt, mir immer nur als ein Märchen erschienen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1894,"orig":"Sie haben nicht geliebt?","norm":"Sie haben nicht geliebt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1895,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1896,"orig":"Nie oder immer!","norm":"Nie oder immer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1897,"orig":"verſetzte Natalie.","norm":"versetzte Natalie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1898,"orig":"Sie waren unter dieſem Geſpräch im Garten auf- und abgegangen, Natalie hatte verſchiedene Blumen, von ſeltſamer Geſtalt, gebrochen, die Wilhelmen völlig unbekannt waren, und nach deren Nahmen er fragte.","norm":"Sie waren unter diesem Gespräch im Garten auf- und abgegangen, Natalie hatte verschiedene Blumen, von seltsamer Gestalt, gebrochen, die Wilhelmen völlig unbekannt waren, und nach deren Namen er fragte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1899,"orig":"Sie vermuthen wohl nicht, ſagte Natalie, für wen ich dieſen Strauß pflücke?","norm":"Sie vermuten wohl nicht, sagte Natalie, für wen ich diesen Strauß pflücke?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1900,"orig":"er iſt für meinen Oheim beſtimmt, dem wir einen Beſuch machen wollen.","norm":"er ist für meinen Oheim bestimmt, dem wir einen Besuche machen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1901,"orig":"Die Sonne ſcheint eben ſo lebhaft nach dem Saale der Vergangenheit, ich muß ſie dieſen Augenblick hineinführen, und ich gehe niemals hin, ohne einige von denen Blumen, die mein Oheim beſonders begünſtigte, mitzubringen.","norm":"Die Sonne scheint eben so lebhaft nach dem Saale der Vergangenheit, ich muss sie diesen Augenblick hineinführen, und ich gehe niemals hin, ohne einige von den Blumen, die mein Oheim besonders begünstigte, mitzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1902,"orig":"Es war ein ſonderbarer Mann und der eigenſten Eindrücke fähig.","norm":"Es war ein sonderbarer Mann und der eigensten Eindrücke fähig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1903,"orig":"Für gewiſſe Pflanzen und Thiere, für gewiſſe Menſchen und Gegenden, ja ſogar zu einigen Steinarten hatte er eine entſchiedene Neigung, die ſelten erklärlich war.","norm":"Für gewisse Pflanzen und Tiere, für gewisse Menschen und Gegenden, ja sogar zu einigen Steinarten hatte er eine entschiedene Neigung, die selten erklärlich war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1904,"orig":"Wenn ich nicht, pflegte er oft zu ſagen, mir von Jugend auf ſo ſehr widerſtanden hätte, wenn ich nicht geſtrebt hätte, meinen Verſtand ins Weite und Allgemeine auszubilden, ſo wäre ich der beſchränkteſte und unerträglichſte Menſch geworden, denn nichts iſt unerträglicher als abgeſchnittene Eigenheit an demjenigen, von dem man eine reine, gehörige Thätigkeit fordern kann.","norm":"Wenn ich nicht, pflegte er oft zu sagen, mir von Jugend auf so sehr widerstanden hätte, wenn ich nicht gestrebt hätte, meinen Verstand ins Weite und Allgemeine auszubilden, so wäre ich der beschränkteste und unerträglichste Mensch geworden, denn nichts ist unerträglicher als abgeschnittene Eigenheit an demjenigen, von dem man eine reine, gehörige Tätigkeit fordern kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1905,"orig":"Und doch mußte er ſelbſt geſtehen, daß ihm gleichſam Leben und Athem ausgehen würde, wenn er ſich nicht von Zeit zu Zeit nachſähe, und ſich erlaubte, das mit Leidenſchaft zu genießen, was er eben nicht immer loben und entſchuldigen konnte.","norm":"Und doch musste er selbst gestehen, dass ihm gleichsam Leben und Atem ausgehen würde, wenn er sich nicht von Zeit zu Zeit nachsähe, und sich erlaubte, das mit Leidenschaft zu genießen, was er eben nicht immer loben und entschuldigen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1906,"orig":"Es iſt meine Schuld nicht, ſagte er, wenn ich meine Triebe und meine Vernunft nicht völlig habe in Einſtimmung bringen können.","norm":"Es ist meine Schuld nicht, sagte er, wenn ich meine Triebe und meine Vernunft nicht völlig habe in Einstimmung bringen können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1907,"orig":"Bey ſolchen Gelegenheiten pflegte er meiſt über mich zu ſcherzen und zu ſagen:","norm":"Bei solchen Gelegenheiten pflegte er meist über mich zu scherzen und zu sagen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1908,"orig":"Natalien kann man bey Leibesleben ſelig preiſen, da ihre Natur nichts fordert, als was die Welt wünſcht und braucht.","norm":"Natalie kann man bei Leibesleben selig preisen, da ihre Natur nichts fordert, als was die Welt wünscht und braucht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1909,"orig":"Unter dieſen Worten waren ſie wieder in das Hauptgebäude gelangt.","norm":"Unter diesen Worten waren sie wieder in das Hauptgebäude gelangt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1910,"orig":"Sie führte ihn durch einen geräumigen Gang auf eine Thüre zu, vor der zwey Sphinxe von Granit lagen.","norm":"Sie führte ihn durch einen geräumigen Gang auf eine Türe zu, vor der zwei Sphinxe von Granit lagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1911,"orig":"Die Thüre ſelbſt war, auf Ägyptiſche Weiſe, oben ein wenig enger als unten, und ihre ehernen Flügel bereiteten zu einem ernſthaften, ja zu einem ſchauerlichen Anblick vor; wie angenehm ward man daher überraſcht, als dieſe Erwartung ſich in die reinſte Heiterkeit auflöſte, indem man in einen Saal trat, in welchem Kunſt und Leben jede Erinnerung an Tod und Grab aufhoben.","norm":"Die Türe selbst war, auf ägyptische Weise, oben ein wenig enger als unten, und ihre ehernen Flügel bereiteten zu einem ernsthaften, ja zu einem schauerlichen Anblick vor; wie angenehm wurde man daher überrascht, als diese Erwartung sich in die reinste Heiterkeit auflöste, indem man in einen Saal trat, in welchem Kunst und Leben jede Erinnerung an Tod und Grab aufhoben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1912,"orig":"In die Wände waren verhältnißmäßige Bogen vertieft, in denen größere Sarkophagen ſtanden, in den Pfeilern dazwiſchen ſah man kleinere Öfnungen, mit Aſchenkäſtchen und Gefäßen geſchmückt; die übrigen Flächen der Wände und des Gewölbes ſah man in regelmäßige Felder abgetheilt und zwiſchen heitern und mannigfaltigen Einfaſſungen, Kränzen und Zierrathen heitere und bedeutende Geſtalten, in Feldern von verſchiedener Größe, gemahlt.","norm":"In die Wände waren verhältnismäßige Bogen vertieft, in denen größere Sarkophagen standen, in den Pfeilern dazwischen sah man kleinere Öffnungen, mit Aschenkästchen und Gefäßen geschmückt; die übrigen Flächen der Wände und des Gewölbes sah man in regelmäßige Felder abgeteilt und zwischen heiteren und mannigfaltigen Einfassungen, Kränzen und Zierraten heitere und bedeutende Gestalten, in Feldern von verschiedener Größe, gemalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1913,"orig":"Die architectoniſchen Glieder waren mit dem ſchönen gelben Marmor, der ins röthliche hinüberblickt, bekleidet, hellblaue Streifen von einer glücklichen chemiſchen Compoſition ahmten den Laſurſtein nach, und gaben, indem ſie gleichſam in einem Gegenſatz das Auge befriedigten, dem Ganzen Einheit und Verbindung.","norm":"Die architektonischen Glieder waren mit dem schönen gelben Marmor, der ins Rötliche hinüberblickt, bekleidet, hellblaue Streifen von einer glücklichen chemischen Komposition ahmten den Lasurstein nach, und gaben, indem sie gleichsam in einem Gegensatz das Auge befriedigten, dem ganzen Einheit und Verbindung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1914,"orig":"Alle dieſe Pracht und Zierde ſtellte ſich in reinen architectoniſchen Verhältniſſen dar, und ſo ſchien jeder, der hineintrat, über ſich ſelbſt erhoben zu ſeyn, indem er durch die zuſammentreffende Kunſt, erſt erfuhr, was der Menſch ſey und was er ſeyn könne.","norm":"Alle diese Pracht und Zierde stellte sich in reinen architektonischen Verhältnissen dar, und so schien jeder, der hineintrat, über sich selbst erhoben zu sein, indem er durch die zusammentreffende Kunst, erst erfuhr, was der Mensch sei und was er sein könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1915,"orig":"Der Thüre gegenüber ſahe man auf einem prächtigen Sarkophagen das Marmorbild eines würdigen Mannes, an ein Polſter gelehnt.","norm":"Der Türe gegenüber sah man auf einem prächtigen Sarkophagen das Marmorbild eines würdigen Mannes, an ein Polster gelehnt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1916,"orig":"Er hielt eine Rolle vor ſich, und ſchien mit ſtiller Aufmerkſamkeit darauf zu blicken.","norm":"Er hielt eine Rolle vor sich, und schien mit stiller Aufmerksamkeit darauf zu blicken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1917,"orig":"Sie war ſo gerichtet, daß man die Worte, die ſie enthielt, bequem leſen konnte.","norm":"Sie war so gerichtet, dass man die Worte, die sie enthielt, bequem lesen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1918,"orig":"Es ſtand darauf:","norm":"Es stand darauf:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1919,"orig":"Gedenke zu leben.","norm":"Gedenke zu leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1920,"orig":"Natalie, indem ſie einen verwelkten Straus wegnahm, legte den friſchen vor das Bild des Oheims.","norm":"Natalie, indem sie einen verwelkten Strauß wegnahm, legte den frischen vor das Bild des Oheims."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1921,"orig":"Denn er ſelbſt war in der Figur vorgeſtellt, und Wilhelm glaubte ſich noch der Züge des alten Herrn zu erinnern, den er damals im Walde geſehen hatte.","norm":"Denn er selbst war in der Figur vorgestellt, und Wilhelm glaubte sich noch der Züge des alten Herrn zu erinnern, den er damals im Walde gesehen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1922,"orig":"Hier brachten wir manche Stunde zu, ſagte Natalie, bis dieſer Saal fertig war.","norm":"Hier brachten wir manche Stunde zu, sagte Natalie, bis dieser Saal fertig war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1923,"orig":"In ſeinen letzten Jahren hatte er einige geſchickte Künſtler an ſich gezogen, und ſeine beſte Unterhaltung war die Zeichnungen und Cartone zu dieſen Gemählden ausſinnen und beſtimmen zu helfen.","norm":"In seinen letzten Jahren hatte er einige geschickte Künstler an sich gezogen, und seine beste Unterhaltung war die Zeichnungen und Kartone zu diesen Gemälden aussinnen und bestimmen zu helfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1924,"orig":"Wilhelm konnte ſich nicht genug der Gegenſtände freuen, die ihn umgaben.","norm":"Wilhelm konnte sich nicht genug der Gegenstände freuen, die ihn umgaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1925,"orig":"Welch ein Leben, rief er aus, in dieſem Saale der Vergangenheit!","norm":"Welch ein Leben, rief er aus, in diesem Saale der Vergangenheit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1926,"orig":"man könnte ihn eben ſo gut den Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen.","norm":"man könnte ihn ebenso gut den Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1927,"orig":"So war alles und ſo wird alles ſeyn!","norm":"So war alles und so wird alles sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1928,"orig":"Nichts iſt vergänglich, als der Eine der genießt und zuſchaut.","norm":"Nichts ist vergänglich, als der Eine der genießt und zuschaut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1929,"orig":"Hier dieſes Bild der Mutter, die ihr Kind ans Herz drückt, wird viele Generationen glücklicher Mütter überleben, nach Jahrhunderten vielleicht erfreut ſich ein Vater dieſes bärtigen Mannes, der ſeinen Ernſt ablegt, und ſich mit ſeinem Sohne neckt.","norm":"Hier dieses Bild der Mutter, die ihr Kind ans Herz drückt, wird viele Generationen glücklicher Mütter überleben, nach Jahrhunderten vielleicht erfreut sich ein Vater dieses bärtigen Mannes, der seinen Ernst ablegt, und sich mit seinem Sohne neckt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1930,"orig":"So verſchämt wird durch alle Zeiten die Braut ſitzen, und bey ihren ſtillen Wünſchen noch bedürfen, daß man ſie tröſte, daß man ihr zurede; ſo ungeduldig wird der Bräutigam auf der Schwelle horchen, ob er hereintreten darf.","norm":"So verschämt wird durch alle Zeiten die Braut sitzen, und bei ihren stillen Wünschen noch bedürfen, dass man sie tröste, dass man ihr zurede; so ungeduldig wird der Bräutigam auf der Schwelle horchen, ob er hereintreten darf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1931,"orig":"Wilhelms Augen ſchweiften auf unzählige Bilder umher.","norm":"Wilhelms Augen schweiften auf unzählige Bilder umher."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1932,"orig":"Vom erſten frohen Triebe der Kindheit jedes Glied im Spiele nur zu brauchen und zu üben, bis zum ruhigen abgeſchiedenen Ernſte des Weiſen, konnte man, in ſchöner lebendigen Folge, ſehen wie der Menſch keine angebohrne Neigung und Fähigkeit beſitzt, ohne ſie zu brauchen und zu nutzen.","norm":"Vom ersten frohen Triebe der Kindheit jedes Glied im Spiele nur zu brauchen und zu üben, bis zum ruhigen abgeschiedenen Ernste des Weisen, konnte man, in schöner lebendiger Folge, sehen wie der Mensch keine angeborene Neigung und Fähigkeit besitzt, ohne sie zu brauchen und zu nutzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1933,"orig":"Von dem erſten zarten Selbſtgefühl, wenn das Mädchen verweilt den Krug aus dem klaren Waſſer wieder herauf zu heben, und indeſſen ihr Bild gefällig betrachtet, bis zu jenen hohen Feyerlichkeiten, wenn Könige und Völker zu Zeugen ihrer Verbindungen die Götter am Altare anrufen.","norm":"Von dem ersten zarten Selbstgefühl, wenn das Mädchen verweilt den Krug aus dem klaren Wasser wieder heraufzuheben, und indessen ihr Bild gefällig betrachtet, bis zu jenen hohen Feierlichkeiten, wenn Könige und Völker zu Zeugen ihrer Verbindungen die Götter am Altare anrufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1934,"orig":"Es war eine Welt, es war ein Himmel, der den Beſchauenden an dieſer Stätte umgab, und außer den Gedanken, welche jene gebildeten Geſtalten erregten, außer den Empfindungen, welche ſie einflößten, ſchien noch etwas anders gegenwärtig zu ſeyn, wovon der ganze Menſch ſich angegriffen fühlte.","norm":"Es war eine Welt, es war ein Himmel, der den Beschauenden an dieser Stätte umgab, und außer den Gedanken, welche jene gebildeten Gestalten erregten, außer den Empfindungen, welche sie einflößten, schien noch etwas anders gegenwärtig zu sein, wovon der ganze Mensch sich angegriffen fühlte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1935,"orig":"Auch Wilhelm bemerkte es, ohne ſich davon Rechenſchaft geben zu können.","norm":"Auch Wilhelm bemerkte es, ohne sich davon Rechenschaft geben zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1936,"orig":"Was iſt das?","norm":"Was ist das?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1937,"orig":"rief er aus, das, unabhängig von aller Bedeutung, frey von allem Mitgefühl, das uns menſchliche Begebenheiten und Schickſale einflößen, ſo ſtark und zugleich ſo anmuthig auf mich zu wirken vermag?","norm":"rief er aus, das, unabhängig von aller Bedeutung, frei von allem Mitgefühl, das uns menschliche Begebenheiten und Schicksale einflößen, so stark und zugleich so anmutig auf mich zu wirken vermag?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1938,"orig":"Es ſpricht aus dem Ganzen, es ſpricht aus jedem Theile mich an, ohne daß ich jenes begreifen, ohne daß ich dieſe mir beſonders zueignen könnte!","norm":"Es spricht aus dem Ganzen, es spricht aus jedem Teile mich an, ohne dass ich jenes begreifen, ohne dass ich diese mir besonders zueignen könnte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1939,"orig":"Welchen Zauber ahnd’ ich in dieſen Flächen, dieſen Linien, dieſen Höhen und Breiten, dieſen Maſſen und Farben!","norm":"Welchen Zauber ahne ich in diesen Flächen, diesen Linien, diesen Höhen und Breiten, diesen Massen und Farben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1940,"orig":"Was iſt es, das dieſe Figuren, auch nur obenhin betrachtet, ſchon als Zierrath ſo erfreulich macht!","norm":"Was ist es, das diese Figuren, auch nur obenhin betrachtet, schon als Zierrat so erfreulich macht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1941,"orig":"Ja ich fühle, man könnte hier verweilen, ruhen, alles mit den Augen faſſen, ſich glücklich finden und ganz etwas anders fühlen und denken, als das, was vor Augen ſteht.","norm":"Ja ich fühle, man könnte hier verweilen, ruhen, alles mit den Augen fassen, sich glücklich finden und ganz etwas anders fühlen und denken, als das, was vor Augen steht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1942,"orig":"Und gewis!","norm":"Und gewiss!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1943,"orig":"könnten wir beſchreiben wie glücklich alles eingetheilt war, wie an Ort und Stelle durch Verbindung oder Gegenſatz, durch Einfärbigkeit oder Buntheit alles beſtimmt, ſo und nicht anders erſchien, als es erſcheinen ſollte, und eine ſo vollkommne als deutliche Wirkung hervorbrachte; ſo würden wir den Leſer an einen Ort verſetzen, von dem er ſich ſobald nicht zu entfernen wünſchte.","norm":"könnten wir beschreiben wie glücklich alles eingeteilt war, wie an Ort und Stelle durch Verbindung oder Gegensatz, durch Einfarbigkeit oder Buntheit alles bestimmt, so und nicht anders erschien, als es erscheinen sollte, und eine so vollkommene als deutliche Wirkung hervorbrachte; so würden wir den Leser an einen Ort versetzen, von dem er sich sobald nicht zu entfernen wünschte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1944,"orig":"Vier große marmorne Candelaber ſtanden in den Ecken des Saals, vier kleinere in der Mitte, um einen ſehr ſchön gearbeiteten Sarkophag, der ſeiner Größe nach eine junge Perſon von mittlererer Geſtalt enthalten haben ſollte.","norm":"Vier große marmorne Kandelaber standen in den Ecken des Saals, vier kleinere in der Mitte, um einen sehr schön gearbeiteten Sarkophag, der seiner Größe nach eine junge Person von mittlerer Gestalt enthalten haben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1945,"orig":"Natalie blieb bey dieſem Monumente ſtehen, und indem ſie die Hand darauf legte, ſagte ſie: mein guter Oheim hatte große Vorliebe zu dieſem Werke des Alterthums.","norm":"Natalie blieb bei diesem Monumente stehen, und indem sie die Hand darauf legte, sagte sie: Mein guter Oheim hatte große Vorliebe zu diesem Werke des Altertums."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1946,"orig":"Er ſagte manchmal: nicht allein die erſten Blüthen fallen ab, die ihr da oben in jenen kleinen Räumen verwahren könnt, ſondern auch Früchte, die uns, am Zweige hängend, noch lange die ſchönſte Hoffnung geben, indem ein heimlicher Wurm ihre frühere Reife und ihre Zerſtöhrung vorbereitet.","norm":"Er sagte manchmal: Nicht allein die ersten Blüten fallen ab, die ihr da oben in jenen kleinen Räumen verwahren könnt, sondern auch Früchte, die uns, am Zweige hängend, noch lange die schönste Hoffnung geben, indem ein heimlicher Wurm ihre frühere Reife und ihre Zerstörung vorbereitet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1947,"orig":"Ich fürchte, fuhr ſie fort, er hat auf das liebe Mädchen geweiſſagt, das ſich unſerer Pflege nach und nach zu entziehen und zu dieſer ruhigen Wohnung zu neigen ſcheint.","norm":"Ich fürchte, fuhr sie fort, er hat auf das liebe Mädchen geweissagt, das sich unserer Pflege nach und nach zu entziehen und zu dieser ruhigen Wohnung zu neigen scheint."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1948,"orig":"Als ſie im Begriff waren wegzugehn, ſagte Natalie: ich muß Sie noch auf etwas aufmerkſam machen.","norm":"Als sie im Begriff waren wegzugehen, sagte Natalie: Ich muss Sie noch auf etwas aufmerksam machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1949,"orig":"Bemerken Sie dieſe halbrunden Öfnungen in der Höhe auf beyden Seiten!","norm":"Bemerken Sie diese halbrunden Öffnungen in der Höhe auf beiden Seiten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1950,"orig":"hier können die Chöre der Sänger verborgen ſtehen, und dieſe ehrenen Zierrathen unter dem Geſimſe dienen die Teppiche zu befeſtigen, die nach der Verordnung meines Oheims bey jeder Beſtattung aufgehängt werden ſollen.","norm":"Hier können die Chöre der Sänger verborgen stehen, und diese ehernen Zierraten unter dem Gesimse dienen die Teppiche zu befestigen, die nach der Verordnung meines Oheims bei jeder Bestattung aufgehängt werden sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1951,"orig":"Er konnte nicht ohne Muſik, beſonders nicht ohne Geſang leben, und hatte dabey die Eigenheit, daß er die Sänger nicht ſehen wollte.","norm":"Er konnte nicht ohne Musik, besonders nicht ohne Gesang leben, und hatte dabei die Eigenheit, dass er die Sänger nicht sehen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1952,"orig":"Er pflegte zu ſagen: das Theater verwöhnt uns gar zu ſehr, die Muſik dient dort nur gleichſam dem Auge, ſie begleitet die Bewegungen, nicht die Empfindungen, bey Oratorien und Conzerten ſtöhrt uns immer die Geſtalt des Muſikus, die wahre Muſik iſt allein fürs Ohr, eine ſchöne Stimme iſt das Allgemeinſte was ſich denken laßt, und indem das eingeſchränkte Individuum, das ſie hervorbringt, ſich vors Auge ſtellt, zerſtöhrt es den reinen Effect jener Allgemeinheit.","norm":"Er pflegte zu sagen: Das Theater verwöhnt uns gar zu sehr, die Musik dient dort nur gleichsam dem Auge, sie begleitet die Bewegungen, nicht die Empfindungen, bei Oratorien und Konzerten stört uns immer die Gestalt des Musikus, die wahre Musik ist allein fürs Ohr, eine schöne Stimme ist das Allgemeinste was sich denken lässt, und indem das eingeschränkte Individuum, das sie hervorbringt, sich vors Auge stellt, zerstört es den reinen Effekt jener Allgemeinheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1953,"orig":"Ich will jeden ſehen, mit dem ich reden ſoll, denn es iſt ein einzelner Menſch, deſſen Geſtalt und Character die Rede werth oder unwerth macht, hingegen wer mir ſingt, ſoll unſichtbar ſeyn, ſeine Geſtalt ſoll mich nicht beſtechen oder irre machen.","norm":"Ich will jeden sehen, mit dem ich reden soll, denn es ist ein einzelner Mensch, dessen Gestalt und Charakter die Rede wert oder unwert macht, hingegen wer mir singt, soll unsichtbar sein, seine Gestalt soll mich nicht bestechen oder irremachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1954,"orig":"Hier ſpricht nur ein Organ zum Organe, nicht der Geiſt zum Geiſte, nicht eine tauſendfältige Welt zum Auge, nicht ein Himmel zum Menſchen.","norm":"Hier spricht nur ein Organ zum Organe, nicht der Geist zum Geiste, nicht eine tausendfältige Welt zum Auge, nicht ein Himmel zum Menschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1955,"orig":"Eben ſo wollte er auch bey Inſtrumentalmuſiken die Orcheſter ſo viel als möglich verſteckt haben, weil man durch die mechaniſchen Bemühungen und durch die nothdürftigen, immer ſeltſamen Gebärden der Inſtrumentenſpieler ſo ſehr zerſtreut und verwirrt werde.","norm":"Ebenso wollte er auch bei Instrumentalmusiken die Orchester soviel als möglich versteckt haben, weil man durch die mechanischen Bemühungen und durch die notdürftigen, immer seltsamen Gebärden der Instrumentenspieler so sehr zerstreut und verwirrt werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1956,"orig":"Er pflegte daher eine Muſik nicht anders als mit zugeſchloſſenen Augen anzuhören, um ſein ganzes Daſeyn auf den einzigen, reinen Genuß des Ohrs zu concentriren.","norm":"Er pflegte daher eine Musik nicht anders als mit zugeschlossenen Augen anzuhören, um sein ganzes Dasein auf den einzigen, reinen Genuss des Ohrs zu konzentrieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1957,"orig":"Sie wollten eben den Saal verlaſſen, als ſie die Kinder in dem Gange heftig laufen und den Felix rufen hörten: nein ich!","norm":"Sie wollten eben den Saal verlassen, als sie die Kinder in dem Gange heftig laufen und den Felix rufen hörten: Nein ich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1958,"orig":"nein ich!","norm":"nein ich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1959,"orig":"Mignon warf ſich zuerſt zur geöffneten Thüre herein, ſie war außer Athem, und konnte kein Wort ſagen, Felix, noch in einiger Entfernung, rief:","norm":"Mignon warf sich zuerst zur geöffneten Türe herein, sie war außer Atem, und konnte kein Wort sagen, Felix, noch in einiger Entfernung, rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1960,"orig":"Mutter Thereſe iſt da!","norm":"Mutter Therese ist da!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1961,"orig":"Die Kinder hatten, ſo ſchien es, die Nachricht zu überbringen, einen Wettlauf angeſtellt.","norm":"Die Kinder hatten, so schien es, die Nachricht zu überbringen, einen Wettlauf angestellt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1962,"orig":"Mignon lag in Nataliens Armen, ihr Herz pochte gewaltſam.","norm":"Mignon lag in Natalies Armen, ihr Herz pochte gewaltsam."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1963,"orig":"Böſes Kind!","norm":"Böses Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1964,"orig":"ſagte Natalie, iſt Dir nicht alle heftige Bewegung unterſagt?","norm":"sagte Natalie, ist Dir nicht alle heftige Bewegung untersagt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1965,"orig":"ſieh, wie Dein Herz ſchlägt?","norm":"sieh, wie Dein Herz schlägt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1966,"orig":"Laß es brechen!","norm":"Lass es brechen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1967,"orig":"ſagte Mignon, mit einem tiefen Seufzer, es ſchlägt ſchon zu lange.","norm":"sagte Mignon, mit einem tiefen Seufzer, es schlägt schon zu lange."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1968,"orig":"Man hatte ſich von dieſer Verwirrung, von dieſer Art von Beſtürzung kaum erholt, als Thereſe hereintrat.","norm":"Man hatte sich von dieser Verwirrung, von dieser Art von Bestürzung kaum erholt, als Therese hereintrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1969,"orig":"Sie flog auf Natalien zu, umarmte ſie und das gute Kind.","norm":"Sie flog auf Natalie zu, umarmte sie und das gute Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1970,"orig":"Dann wendete ſie ſich zu Wilhelmen, ſah ihn mit ihren klaren Augen an, und ſagte: nun, mein Freund, wie ſteht es, Sie haben ſich doch nicht irre machen laſſen?","norm":"Dann wendete sie sich zu Wilhelmen, sah ihn mit ihren klaren Augen an, und sagte: Nun, mein Freund, wie steht es, Sie haben sich doch nicht irremachen lassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1971,"orig":"Er that einen Schritt gegen ſie, ſie ſprang auf ihn loß und hing an ſeinem Halſe.","norm":"Er tat einen Schritt gegen sie, sie sprang auf ihn los und hing an seinem Halse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1972,"orig":"O meine Thereſe!","norm":"O meine Therese!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1973,"orig":"rief er aus.","norm":"rief er aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1974,"orig":"Mein Freund!","norm":"Mein Freund!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1975,"orig":"mein Geliebter!","norm":"mein Geliebter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1976,"orig":"mein Gatte!","norm":"mein Gatte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1977,"orig":"ja auf ewig die Deine, rief ſie unter den lebhafteſten Küſſen.","norm":"ja auf ewig die Deine, rief sie unter den lebhaftesten Küssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1978,"orig":"Felix zog ſie am Rocke und rief:","norm":"Felix zog sie am Rocke und rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1979,"orig":"Mutter Thereſe, ich bin auch da!","norm":"Mutter Therese, ich bin auch da!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1980,"orig":"Natalie ſtand und ſah vor ſich hin, Mignon fuhr auf einmal mit der linken Hand nach dem Herzen, und indem ſie den rechten Arm heftig ausſtreckte, fiel ſie mit einem Schrey zu Nataliens Füßen für todt nieder.","norm":"Natalie stand und sah vor sich hin, Mignon fuhr auf einmal mit der linken Hand nach dem Herzen, und indem sie den rechten Arm heftig ausstreckte, fiel sie mit einem Schrei zu Natalies Füßen für tot nieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1981,"orig":"Der Schrecken war groß, keine Bewegung des Herzens noch des Pulſes war zu ſpüren.","norm":"Der Schrecken war groß, keine Bewegung des Herzens noch des Pulses war zu spüren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1982,"orig":"Wilhelm nahm ſie auf ſeinen Arm und trug ſie eilig hinauf, der ſchlotternde Körper hing über ſeine Schultern.","norm":"Wilhelm nahm sie auf seinen Arm und trug sie eilig hinauf, der schlotternde Körper hing über seine Schultern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1983,"orig":"Die Gegenwart des Arztes gab wenig Troſt, er und der junge Wundarzt, den wir ſchon kennen, bemühten ſich vergebens.","norm":"Die Gegenwart des Arztes gab wenig Trost, er und der junge Wundarzt, den wir schon kennen, bemühten sich vergebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1984,"orig":"Das liebe Geſchöpf war nicht ins Leben zurück zu rufen.","norm":"Das liebe Geschöpf war nicht ins Leben zurückzurufen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1985,"orig":"Natalie winkte Thereſen.","norm":"Natalie winkte Theresa."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1986,"orig":"Dieſe nahm ihren Freund bey der Hand und führte ihn aus dem Zimmer.","norm":"Diese nahm ihren Freund bei der Hand und führte ihn aus dem Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1987,"orig":"Er war ſtumm und ohne Sprache, und hatte den Muth nicht ihren Augen zu begegnen.","norm":"Er war stumm und ohne Sprache, und hatte den Mut nicht ihren Augen zu begegnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1988,"orig":"So ſaß er neben ihr auf dem Kanapee, auf dem er Natalien zuerſt angetroffen hatte.","norm":"So saß er neben ihr auf dem Kanapee, auf dem er Natalie zuerst angetroffen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1989,"orig":"Er dachte mit großer Schnelle eine Reihe von Schickſalen durch, oder vielmehr er dachte nicht, er ließ das auf ſeine Seele wirken, was er nicht entfernen konnte.","norm":"Er dachte mit großer Schnelle eine Reihe von Schicksalen durch, oder vielmehr er dachte nicht, er ließ das auf seine Seele wirken, was er nicht entfernen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1990,"orig":"Es giebt Augenblicke des Lebens, in welchen die Begebenheiten, gleich geflügelten Weberſchiffchen, vor uns ſich hin und wieder bewegen, und unaufhaltſam ein Gewebe vollenden, das wir mehr oder weniger ſelbſt geſponnen und angelegt haben.","norm":"Es gibt Augenblicke des Lebens, in welchen die Begebenheiten, gleich geflügelten Weberschiffchen, vor uns sich hin und wieder bewegen, und unaufhaltsam ein Gewebe vollenden, das wir mehr oder weniger selbst gesponnen und angelegt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1991,"orig":"Mein Freund, ſagte Thereſe!","norm":"Mein Freund, sagte Therese!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1992,"orig":"mein Geliebter, indem ſie das Stillſchweigen unterbrach, und ihn bey der Hand nahm, laß uns dieſen Augenblick feſt zuſammenhalten, wie wir noch öfters, vielleicht in ähnlichen Fällen, werden zu thun haben.","norm":"mein Geliebter, indem sie das Stillschweigen unterbrach, und ihn bei der Hand nahm, lass uns diesen Augenblick fest zusammenhalten, wie wir noch öfters, vielleicht in ähnlichen Fällen, werden zu tun haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1993,"orig":"Dieß ſind die Ereigniſſe, welche zu ertragen man zu zwey in der Welt ſeyn muß.","norm":"Dies sind die Ereignisse, welche zu ertragen man zu zwei in der Welt sein muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1994,"orig":"Bedenke, mein Freund, fühle!","norm":"Bedenke, mein Freund, fühle!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1995,"orig":"daß Du nicht allein biſt, zeige, daß Du Deine Thereſe liebſt zuerſt dadurch, daß Du Deine Schmerzen ihr mittheilſt.","norm":"dass Du nicht allein bist, zeige, dass Du Deine Therese liebst zuerst dadurch, dass Du Deine Schmerzen ihr mitteilst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1996,"orig":"Sie umarmte ihn und ſchloß ihn ſanft an ihren Buſen, er faßte ſie in ſeine Arme, und drückte ſie mit Heftigkeit an ſich.","norm":"Sie umarmte ihn und schloss ihn sanft an ihren Busen, er fasste sie in seine Arme, und drückte sie mit Heftigkeit an sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1997,"orig":"Das arme Kind, rief er aus, ſuchte in traurigen Augenblicken Schutz und Zuflucht an meinem unſichern Buſen, laß die Sicherheit des Deinigen mir in dieſer ſchrecklichen Stunde zu gute kommen.","norm":"Das arme Kind, rief er aus, suchte in traurigen Augenblicken Schutz und Zuflucht an meinem unsicheren Busen, lass die Sicherheit des Deinigen mir in dieser schrecklichen Stunde zugutekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1998,"orig":"Sie hielten ſich feſt umſchloſſen, er fühlte ihr Herz an ſeinem Buſen ſchlagen, aber in ſeinem Geiſte war es öde und leer, nur die Bilder Mignons und Nataliens ſchwebten wie Schatten vor ſeiner Einbildungskraft.","norm":"Sie hielten sich fest umschlossen, er fühlte ihr Herz an seinem Busen schlagen, aber in seinem Geiste war es öde und leer, nur die Bilder Mignons und Natalies schwebten wie Schatten vor seiner Einbildungskraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":1999,"orig":"Natalie trat herein.","norm":"Natalie trat herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2000,"orig":"Gieb uns Deinen Seegen!","norm":"Gib uns Deinen Segen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2001,"orig":"rief Thereſe, laß uns in dieſem traurigen Augenblicke vor Dir verbunden ſeyn.","norm":"rief Therese, lass uns in diesem traurigen Augenblicke vor Dir verbunden sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2002,"orig":"Wilhelm hatte ſein Geſicht an Thereſens Halſe verborgen, er war glücklich genug weinen zu können.","norm":"Wilhelm hatte sein Gesicht an Theresens Halse verborgen, er war glücklich genug weinen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2003,"orig":"Er hörte Natalien nicht kommen, er ſah ſie nicht, nur bey dem Klang ihrer Stimme verdoppelten ſich ſeine Thränen.","norm":"Er hörte Natalie nicht kommen, er sah sie nicht, nur bei dem Klang ihrer Stimme verdoppelten sich seine Tränen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2004,"orig":"Was Gott zuſammenfügt, will ich nicht ſcheiden, ſagte Natalie lächelnd, aber verbinden kann ich euch nicht, und kann nicht loben, daß Schmerz und Neigung die Erinnerung an meinen Bruder völlig aus euren Herzen zu verbannen ſcheint.","norm":"Was Gott zusammenfügt, will ich nicht scheiden, sagte Natalie lächelnd, aber verbinden kann ich euch nicht, und kann nicht loben, dass Schmerz und Neigung die Erinnerung an meinen Bruder völlig aus euren Herzen zu verbannen scheint."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2005,"orig":"Wilhelm riß ſich bey dieſen Worten aus den Armen Thereſens.","norm":"Wilhelm riss sich bei diesen Worten aus den Armen Theresens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2006,"orig":"Wo wollen Sie hin, riefen beyde Frauen.","norm":"Wo wollen Sie hin, riefen beide Frauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2007,"orig":"Laſſen Sie mich das Kind ſehen, rief er aus, das ich getödtet habe.","norm":"Lassen Sie mich das Kind sehen, rief er aus, das ich getötet habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2008,"orig":"Das Unglück, das wir mit Augen ſehen, iſt geringer, als wenn unſere Einbildungskraft das Übel gewaltſam in unſer Gemüth einſenkt, laſſen Sie uns den abgeſchiedenen Engel ſehen!","norm":"Das Unglück, das wir mit Augen sehen, ist geringer, als wenn unsere Einbildungskraft das Übel gewaltsam in unser Gemüt einsenkt, lassen Sie uns den abgeschiedenen Engel sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2009,"orig":"ſeine heitere Mine wird uns ſagen, daß ihm wohl iſt!","norm":"Seine heitere Mine wird uns sagen, dass ihm wohl ist!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2010,"orig":"Da die Freundinnen den bewegten Jüngling nicht abhalten konnten, folgten ſie ihm, aber der gute Arzt, der mit dem Chirurgus ihnen entgegen kam, hielt ſie ab ſich der Verblichenen zu nähern, und ſagte:","norm":"Da die Freundinnen den bewegten Jüngling nicht abhalten konnten, folgten sie ihm, aber der gute Arzt, der mit dem Chirurg ihnen entgegenkam, hielt sie ab sich der Verblichenen zu nähern, und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2011,"orig":"Halten Sie Sich von dieſem traurigen Gegenſtande entfernt, und erlauben Sie mir, daß ich den Reſten dieſes ſonderbaren Weſens, ſo viel meine Kunſt vermag, einige Dauer gebe.","norm":"Halten Sie sich von diesem traurigen Gegenstande entfernt, und erlauben Sie mir, dass ich den Resten dieses sonderbaren Wesens, soviel meine Kunst vermag, einige Dauer gebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2012,"orig":"Ich will die ſchöne Kunſt, einen Körper nicht allein zu balſamiren, ſondern ihm auch ein lebendiges Anſehn zu erhalten, bey dieſem geliebten Geſchöpfe ſogleich anwenden.","norm":"Ich will die schöne Kunst, einen Körper nicht allein zu balsamieren, sondern ihm auch ein lebendiges Ansehen zu erhalten, bei diesem geliebten Geschöpfe sogleich anwenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2013,"orig":"Da ich ihren Tod voraus ſahe, habe ich alle Anſtalten gemacht, und mit dieſem Gehülfen hier ſoll mir’s gewiß gelingen.","norm":"Da ich ihren Tod voraussah, habe ich alle Anstalten gemacht, und mit diesem Gehilfen hier soll mir es gewiss gelingen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2014,"orig":"Erlauben Sie mir nur noch einige Tage Zeit, und verlangen Sie das liebe Kind nicht wieder zu ſehen, bis wir es in den Saal der Vergangenheit gebracht haben.","norm":"Erlauben Sie mir nur noch einige Tage Zeit, und verlangen Sie das liebe Kind nicht wiederzusehen, bis wir es in den Saal der Vergangenheit gebracht haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2015,"orig":"Der junge Chirurgus hatte jene merkwürdige Inſtrumententaſche wieder in Händen.","norm":"Der junge Chirurg hatte jene merkwürdige Instrumententasche wieder in Händen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2016,"orig":"Von wem kann er ſie wohl haben, fragte Wilhelm den Arzt.","norm":"Von wem kann er sie wohl haben, fragte Wilhelm den Arzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2017,"orig":"Ich kenne ſie ſehr gut, verſetzte Natalie, er hat ſie von ſeinem Vater, der Sie damals im Walde verband.","norm":"Ich kenne sie sehr gut, versetzte Natalie, er hat sie von seinem Vater, der Sie damals im Walde verband."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2018,"orig":"O ſo habe ich mich nicht geirrt, rief Wilhelm, ich erkannte das Band ſogleich.","norm":"O so habe ich mich nicht geirrt, rief Wilhelm, ich erkannte das Band sogleich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2019,"orig":"Treten Sie mir es ab!","norm":"Treten Sie mir es ab!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2020,"orig":"es brachte mich zuerſt wieder auf die Spur von meiner Wohlthäterinn.","norm":"Es brachte mich zuerst wieder auf die Spur von meiner Wohltäterin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2021,"orig":"Wie viel Wohl und Wehe überdauert nicht ein ſolches lebloſes Weſen!","norm":"Wie viel Wohl und Wehe überdauert nicht ein solches lebloses Wesen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2022,"orig":"bey wie viel Schmerzen war dies Band nicht ſchon gegenwärtig, und ſeine Fäden halten noch immer.","norm":"Bei wie viel Schmerzen war dies Band nicht schon gegenwärtig, und seine Fäden halten noch immer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2023,"orig":"Wie vieler Menſchen letzten Augenblick hat es ſchon begleitet, und ſeine Farben ſind noch nicht verblichen.","norm":"Wie vieler Menschen letzten Augenblick hat es schon begleitet, und seine Farben sind noch nicht verblichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2024,"orig":"Es war gegenwärtig in einem der ſchönſten Augenblicke meines Lebens, da ich verwundet auf der Erde lag, und Ihre hülfreiche Geſtalt vor mir erſchien, als das Kind mit blutigen Haren, mit der zärtlichſten Sorgfalt für mein Leben beſorgt war, deſſen frühzeitigen Tod wir nun beweinen.","norm":"Es war gegenwärtig in einem der schönsten Augenblicke meines Lebens, da ich verwundet auf der Erde lag, und Ihre hilfreiche Gestalt vor mir erschien, als das Kind mit blutigen Haaren, mit der zärtlichsten Sorgfalt für mein Leben besorgt war, dessen frühzeitigen Tod wir nun beweinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2025,"orig":"Die Freunde hatten nicht lange Zeit, ſich über dieſe traurige Begebenheit zu unterhalten, und Fräulein Thereſen über das Kind und über die wahrſcheinliche Urſache ſeines unerwarteten Todes aufzuklären; denn es wurden Fremde gemeldet, die, als ſie ſich zeigten, keinesweges fremd waren.","norm":"Die Freunde hatten nicht lange Zeit, sich über diese traurige Begebenheit zu unterhalten, und Fräulein Theresa über das Kind und über die wahrscheinliche Ursache seines unerwarteten Todes aufzuklären; denn es wurden Fremde gemeldet, die, als sie sich zeigten, keineswegs fremd waren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2026,"orig":"Lothario, Jarno, der Abbé traten herein.","norm":"Lothario, Jarno, der Abbé traten herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2027,"orig":"Natalie ging ihrem Bruder entgegen, unter den übrigen entſtand ein augenblickliches Stillſchweigen.","norm":"Natalie ging ihrem Bruder entgegen, unter den übrigen entstand ein augenblickliches Stillschweigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2028,"orig":"Thereſe ſagte lächelnd zu Lothario:","norm":"Therese sagte lächelnd zu Lothario:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2029,"orig":"Sie glaubten wohl kaum mich hier zu finden, wenigſtens iſt es eben nicht räthlich, daß wir uns in dieſem Augenblick aufſuchen, indeſſen ſeyn Sie mir, nach einer ſo langen Abweſenheit, herzlich gegrüßt.","norm":"Sie glaubten wohl kaum mich hier zu finden, wenigstens ist es eben nicht rätlich, dass wir uns in diesem Augenblick aufsuchen, indessen sein Sie mir, nach einer so langen Abwesenheit, herzlich gegrüßt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2030,"orig":"Lothario reichte ihr die Hand, und verſetzte: wenn wir einmal leiden und entbehren ſollen, ſo mag es immerhin auch in der Gegenwart des geliebten, wünſchenswerthen Gutes geſchehen, ich verlange keinen Einfluß auf Ihre Entſchließung, und mein Vertrauen auf Ihr Herz, auf Ihren Verſtand und reinen Sinn iſt noch immer ſo groß, daß ich Ihnen mein Schickſal und das Schickſal meines Freundes gerne in die Hand lege.","norm":"Lothario reichte ihr die Hand, und versetzte: Wenn wir einmal leiden und entbehren sollen, so mag es immerhin auch in der Gegenwart des geliebten, wünschenswerten Gutes geschehen, Ich verlange keinen Einfluss auf Ihre Entschließung, und mein Vertrauen auf Ihr Herz, auf Ihren Verstand und reinen Sinn ist noch immer so groß, dass ich Ihnen mein Schicksal und das Schicksal meines Freundes gerne in die Hand lege."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2031,"orig":"Das Geſpräch wendete ſich ſogleich zu allgemeinen, ja, man darf ſagen, zu unbedeutenden Gegenſtänden.","norm":"Das Gespräch wendete sich sogleich zu allgemeinen, ja, man darf sagen, zu unbedeutenden Gegenständen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2032,"orig":"Die Geſellſchaft trennte ſich bald, zum Spaziren gehen, in einzelne Paare.","norm":"Die Gesellschaft trennte sich bald, zum Spazierengehen, in einzelne Paare."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2033,"orig":"Natalie war mit Lothario, Thereſe mit dem Abbé gegangen und Wilhelm war mit Jarno auf dem Schloſſe geblieben.","norm":"Natalie war mit Lothario, Therese mit dem Abbé gegangen und Wilhelm war mit Jarno auf dem Schlosse geblieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2034,"orig":"Die Erſcheinung der drey Freunde, in dem Augenblick da Wilhelmen ein ſchwerer Schmerz auf der Bruſt lag, hatte ihn, ſtatt ihn zu zerſtreuen, in äußerſt ſchlimme Laune verſetzt, er war verdrießlich und argwöhniſch, und konnte und wollte es nicht verhelen, als Jarno ihn über ſein mürriſches Stillſchweigen zur Rede ſetzte.","norm":"Die Erscheinung der drei Freunde, in dem Augenblick da Wilhelm ein schwerer Schmerz auf der Brust lag, hatte ihn, statt ihn zu zerstreuen, in äußerst schlimme Laune versetzt, er war verdrießlich und argwöhnisch, und konnte und wollte es nicht verhehlen, als Jarno ihn über sein mürrisches Stillschweigen zur Rede setzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2035,"orig":"Was braucht's da weiter?","norm":"Was braucht es da weiter?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2036,"orig":"rief Wilhelm aus.","norm":"rief Wilhelm aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2037,"orig":"Lothario kommt mit ſeinen Beyſtänden, und es wäre wunderbar, wenn jene geheimnißvollen Mächte des Thurms, die immer ſo geſchäftig ſind, jetzt nicht auf uns wirken, und ich weiß nicht was für einen ſeltſamen Zweck mit und an uns ausführen ſollten.","norm":"Lothario kommt mit seinen Beiständen, und es wäre wunderbar, wenn jene geheimnisvollen Mächte des Turms, die immer so geschäftig sind, jetzt nicht auf uns wirken, und ich weiß nicht was für einen seltsamen Zweck mit und an uns ausführen sollten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2038,"orig":"So viel ich dieſe heiligen Männer kenne, ſcheint es jederzeit ihre löbliche Abſicht das Verbundene zu trennen und das Getrennte zu verbinden.","norm":"Soviel ich diese heiligen Männer kenne, scheint es jederzeit ihre löbliche Absicht das Verbundene zu trennen und das Getrennte zu verbinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2039,"orig":"Was daraus für ein Gewebe entſtehen kann, mag wohl unſern unheiligen Augen ewig ein Rätzel bleiben.","norm":"Was daraus für ein Gewebe entstehen kann, mag wohl unseren unheiligen Augen ewig ein Rätsel bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2040,"orig":"Sie ſind verdrießlich und bitter, ſagte Jarno, das iſt recht ſchön und gut.","norm":"Sie sind verdrießlich und bitter, sagte Jarno, das ist recht schön und gut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2041,"orig":"Wenn Sie nur erſt einmal recht böſe werden, wird es noch beſſer ſeyn.","norm":"Wenn Sie nur erst einmal recht böse werden, wird es noch besser sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2042,"orig":"Dazu kann auch Rath werden, verſetzte Wilhelm, und ich fürchte ſehr, daß man Luſt hat meine angebohrne und angebildete Geduld diesmal aufs Äußerſte zu reizen.","norm":"Dazu kann auch Rat werden, versetzte Wilhelm, und ich fürchte sehr, dass man Lust hat meine angeborene und angebildete Geduld diesmal aufs Äußerste zu reizen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2043,"orig":"So möchte ich Ihnen denn doch, ſagte Jarno, indeſſen, bis wir ſehen wo unſere Geſchichten hinaus wollen, etwas von dem Thurme erzählen, gegen den Sie ein ſo großes Mißtrauen zu hegen ſcheinen.","norm":"So möchte ich Ihnen denn doch, sagte Jarno, indessen, bis wir sehen wo unsere Geschichten hinaus wollen, etwas von dem Turme erzählen, gegen den Sie ein so großes Misstrauen zu hegen scheinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2044,"orig":"Es ſteht bey Ihnen, verſetzte Wilhelm, wenn Sie es auf meine Zerſtreuung hin wagen wollen.","norm":"Es steht bei Ihnen, versetzte Wilhelm, wenn Sie es auf meine Zerstreuung hin wagen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2045,"orig":"Mein Gemüth iſt ſo vielfach beſchäftigt, daß ich nicht weiß, ob es an dieſen würdigen Abentheuern den ſchuldigen Theil nehmen kann.","norm":"Mein Gemüt ist so vielfach beschäftigt, dass ich nicht weiß, ob es an diesen würdigen Abenteuern den schuldigen Teil nehmen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2046,"orig":"Ich laſſe mich, ſagte Jarno, durch Ihre angenehme Stimmung nicht abſchrecken, Sie über dieſen Punct aufzuklären.","norm":"Ich lasse mich, sagte Jarno, durch Ihre angenehme Stimmung nicht abschrecken, Sie über diesen Punkt aufzuklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2047,"orig":"Sie halten mich für einen geſcheuten Kerl, und Sie ſollen mich auch noch für einen ehrlichen halten, und, was mehr iſt, dieſmal hab’ ich Auftrag.","norm":"Sie halten mich für einen gescheiten Kerl, und Sie sollen mich auch noch für einen ehrlichen halten, und, was mehr ist, diesmal habe ich Auftrag."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2048,"orig":"— Ich wünſchte, verſetzte Wilhelm, Sie ſprächen aus eigner Bewegung und aus gutem Willen mich aufzuklären; da ich Sie nicht ohne Mißtrauen hören kann, warum ſoll ich Sie anhören?","norm":"— Ich wünschte, versetzte Wilhelm, Sie sprächen aus eigener Bewegung und aus gutem Willen mich aufzuklären; da ich Sie nicht ohne Misstrauen hören kann, warum soll ich Sie anhören?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2049,"orig":"— Wenn ich jetzt nichts beſſeres zu thun habe, ſagte Jarno, als Mährchen zu erzählen, ſo haben Sie ja auch wohl Zeit ihnen einige Aufmerkſamkeit zu widmen, vielleicht ſind Sie dazu geneigter, wenn ich Ihnen gleich anfangs ſage: alles was Sie im Thurme geſehen haben, ſind eigentlich nur noch Reliquien von einem jugendlichen Unternehmen, bey dem es anfangs den meiſten Eingeweihten großer Ernſt war, und über das nun alle gelegentlich nur lächeln.","norm":"— Wenn ich jetzt nichts Besseres zu tun habe, sagte Jarno, als Märchen zu erzählen, so haben Sie ja auch wohl Zeit ihnen einige Aufmerksamkeit zu widmen, vielleicht sind Sie dazu geneigter, wenn ich Ihnen gleich anfangs sage: Alles was Sie im Turme gesehen haben, sind eigentlich nur noch Reliquien von einem jugendlichen Unternehmen, bei dem es anfangs den meisten Eingeweihten großer Ernst war, und über das nun alle gelegentlich nur lächeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2050,"orig":"Alſo mit dieſen würdigen Zeichen und Worten ſpielt man nur, rief Wilhelm aus, man führt uns mit Feyerlichkeit an einen Ort, der uns Ehrfurcht einflößt, man läßt uns die wunderlichſten Erſcheinungen ſehen, man giebt uns Rollen voller herrlichen, geheimnißreichen Sprüche, davon wir freylich das wenigſte verſtehn, man eröfnet uns: daß wir bisher Lehrlinge waren, man ſpricht uns los, und wir ſind ſo klug wie vorher.","norm":"Also mit diesen würdigen Zeichen und Worten spielt man nur, rief Wilhelm aus, man führt uns mit Feierlichkeit an einen Ort, der uns Ehrfurcht einflößt, man lässt uns die wunderlichsten Erscheinungen sehen, man gibt uns Rollen voller herrlichen, geheimnisreichen Sprüche, davon wir freilich das wenigste verstehen, man eröffnet uns: dass wir bisher Lehrlinge waren, man spricht uns los, und wir sind so klug wie vorher."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2051,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2052,"orig":"Haben Sie das Pergament nicht bey der Hand?","norm":"Haben Sie das Pergament nicht bei der Hand?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2053,"orig":"fragte Jarno, es enthält viel Gutes; denn jene allgemeinen Sprüche ſind nicht aus der Luft gegriffen, freylich ſcheinen ſie demjenigen leer und dunkel, der ſich keiner Erfahrung dabey erinnert.","norm":"fragte Jarno, es enthält viel Gutes; denn jene allgemeinen Sprüche sind nicht aus der Luft gegriffen, freilich scheinen sie demjenigen leer und dunkel, der sich keiner Erfahrung dabei erinnert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2054,"orig":"Geben Sie mir den ſogenannten Lehrbrief doch, wenn er in der Nähe iſt.","norm":"Geben Sie mir den sogenannten Lehrbrief doch, wenn er in der Nähe ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2055,"orig":"— Gewiß ganz nah, verſetzte Wilhelm, ſo ein Amulet ſollte man immer auf der Bruſt tragen.","norm":"— Gewiss ganz nah, versetzte Wilhelm, so ein Amulett sollte man immer auf der Brust tragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2056,"orig":"— Nun, ſagte Jarno lächelnd: wer weiß ob der Inhalt nicht einmal in Ihrem Kopf und Herzen Platz findet.","norm":"— Nun, sagte Jarno lächelnd: Wer weiß ob der Inhalt nicht einmal in Ihrem Kopf und Herzen Platz findet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2057,"orig":"Jarno blickte hinein, und überlief die erſte Hälfte mit den Augen.","norm":"Jarno blickte hinein, und überlief die erste Hälfte mit den Augen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2058,"orig":"Dieſe, ſagte er, bezieht ſich auf die Ausbildung des Kunſtſinnes, wovon andere ſprechen mögen; der zweyte handelt vom Leben, und da bin ich beſſer zu Hauſe.","norm":"Diese, sagte er, bezieht sich auf die Ausbildung des Kunstsinnes, wovon andere sprechen mögen; der zweite handelt vom Leben, und da bin ich besser zu Hause."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2059,"orig":"Er fing darauf an Stellen zu leſen, ſprach dazwiſchen und knüpfte Anmerkungen und Erzählungen mit ein:","norm":"Er fing darauf an Stellen zu lesen, sprach dazwischen und knüpfte Anmerkungen und Erzählungen mit ein:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2060,"orig":"Die Neigung der Jugend zum Geheimnis, zu Ceremonien und großen Worten iſt außerordentlich, und oft ein Zeichen einer gewiſſen Tiefe des Charakters.","norm":"Die Neigung der Jugend zum Geheimnis, zu Zeremonien und großen Worten ist außerordentlich, und oft ein Zeichen einer gewissen Tiefe des Charakters."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2061,"orig":"Man will in dieſen Jahren ſein ganzes Weſen, wenn auch nur dunkel und unbeſtimmt, ergriffen und berührt fühlen.","norm":"Man will in diesen Jahren sein ganzes Wesen, wenn auch nur dunkel und unbestimmt, ergriffen und berührt fühlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2062,"orig":"Der Jüngling, der vieles ahnet, glaubt in einem Geheimniſſe viel zu finden, in ein Geheimniß viel legen und durch daſſelbe wirken zu müſſen.","norm":"Der Jüngling, der vieles ahnet, glaubt in einem Geheimnisse viel zu finden, in ein Geheimnis viel legen und durch dasselbe wirken zu müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2063,"orig":"In dieſen Geſinnungen beſtärkte der Abbé eine junge Geſellſchaft, theils nach ſeinen Grundſätzen, theils aus Neigung und Gewohnheit, da er wohl ehemals mit einer Geſellſchaft in Verbindung ſtand, die ſelbſt viel im Verborgenen gewirkt haben mochte.","norm":"In diesen Gesinnungen bestärkte der Abbé eine junge Gesellschaft, teils nach seinen Grundsätzen, teils aus Neigung und Gewohnheit, da er wohl ehemals mit einer Gesellschaft in Verbindung stand, die selbst viel im Verborgenen gewirkt haben mochte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2064,"orig":"Ich konnte mich am wenigſten in dieſes Weſen finden.","norm":"Ich konnte mich am wenigsten in dieses Wesen finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2065,"orig":"Ich war älter als die andern, ich hatte von Jugend auf klar geſehen, und wünſchte in allen Dingen nichts als Klarheit, ich hatte kein ander Intereſſe, als die Welt zu kennen wie ſie war; und ſteckte mit dieſer Liebhaberey die übrigen beſten Gefährten an, und faſt hätte darüber unſere ganze Bildung eine falſche Richtung genommen; denn wir fingen an nur die Fehler der andern und ihre Beſchränkung zu ſehen, und uns ſelbſt für treffliche Weſen zu halten.","norm":"Ich war älter als die anderen, ich hatte von Jugend auf klar gesehen, und wünschte in allen Dingen nichts als Klarheit, ich hatte kein ander Interesse, als die Welt zu kennen wie sie war; und steckte mit dieser Liebhaberei die übrigen besten Gefährten an, und fast hätte darüber unsere ganze Bildung eine falsche Richtung genommen; denn wir fingen an nur die Fehler der anderen und ihre Beschränkung zu sehen, und uns selbst für treffliche Wesen zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2066,"orig":"Der Abbé kam uns zu Hülfe und lehrte uns: daß man die Menſchen nicht beobachten müſſe, ohne ſich für ihre Bildüng zu intereſſiren, und daß man ſich ſelbſt eigentlich nur in der Thätigkeit zu beobachten und zu erlauſchen im Stande ſey.","norm":"Der Abbé kam uns zu Hilfe und lehrte uns: dass man die Menschen nicht beobachten müsse, ohne sich für ihre Bildung zu interessieren, und dass man sich selbst eigentlich nur in der Tätigkeit zu beobachten und zu erlauschen imstande sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2067,"orig":"Er rieth uns jene erſte Formen der Geſellſchaft beyzubehalten, es blieb daher etwas geſetzliches in unſern Zuſammenkünften, man ſah wohl die erſten myſtiſchen Eindrücke auf die Einrichtung des Ganzen, nachher nahm es, wie durch ein Gleichniß, die Geſtalt eines Handwerks, das ſich bis zur Kunſt erhob, an.","norm":"Er riet uns jene erste Formen der Gesellschaft beizubehalten, es blieb daher etwas Gesetzliches in unseren Zusammenkünften, man sah wohl die ersten mystischen Eindrücke auf die Einrichtung des Ganzen, nachher nahm es, wie durch ein Gleichnis, die Gestalt eines Handwerks, das sich bis zur Kunst erhob, an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2068,"orig":"Daher kamen die Benennungen von Lehrlingen, Gehülfen und Meiſtern.","norm":"Daher kamen die Benennungen von Lehrlingen, Gehilfen und Meistern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2069,"orig":"Wir wollten mit eignen Augen ſehen, und uns ein eigenes Archiv unſerer Weltkenntnis bilden, daher entſtanden die vielen Confeſſionen, die wir theils ſelbſt ſchrieben, theils wozu wir andere veranlaßten, und aus denen nachher die Lehrjahre zuſammengeſetzt wurden:","norm":"Wir wollten mit eigenen Augen sehen, und uns ein eigenes Archiv unserer Weltkenntnis bilden, daher entstanden die vielen Konfessionen, die wir teils selbst schrieben, teils wozu wir andere veranlassten, und aus denen nachher die Lehrjahre zusammengesetzt wurden:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2070,"orig":"Nicht allen Menſchen iſt es eigentlich um ihre Bildung zu thun, viele wünſchen nur ſo ein Hausmittel zum Wohlbefinden, Recepte zum Reichthum und zu jeder Art von Glückſeligkeit.","norm":"Nicht allen Menschen ist es eigentlich um ihre Bildung zu tun, viele wünschen nur so ein Hausmittel zum Wohlbefinden, Rezepte zum Reichtum und zu jeder Art von Glückseligkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2071,"orig":"Alle dieſe, die nicht auf ihre Füße geſtellt ſeyn wollten, wurden mit Myſtificationen und anderm Hokus Pokus theils aufgehalten, theils bey Seite gebracht.","norm":"Alle diese, die nicht auf ihre Füße gestellt sein wollten, wurden mit Mystifikationen und anderem Hokuspokus teils aufgehalten, teils beiseitegebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2072,"orig":"Wir ſprachen nur nach unſerer Art diejenigen los, die lebhaft fühlten und deutlich bekannten, wozu ſie gebohren ſeyen, und die ſich genug geübt hatten, um, mit einer gewiſſen Fröhlichkeit und Leichtigkeit, ihren Weg zu verfolgen.","norm":"Wir sprachen nur nach unserer Art diejenigen los, die lebhaft fühlten und deutlich bekannten, wozu sie geboren seien, und die sich genug geübt hatten, um, mit einer gewissen Fröhlichkeit und Leichtigkeit, ihren Weg zu verfolgen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2073,"orig":"So haben Sie ſich mit mir ſehr übereilt, verſetzte Wilhelm, denn was ich kann, will oder ſoll, weiß ich, grade ſeit jenem Augenblick, am allerwenigſten.","norm":"So haben Sie sich mit mir sehr übereilt, versetzte Wilhelm, denn was ich kann, will oder soll, weiß ich, gerade seit jenem Augenblick, am allerwenigsten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2074,"orig":"— Wir ſind ohne Schuld in dieſe Verwirrung gerathen, das gute Glück mag uns wieder heraushelfen; indeſſen hören Sie nur:","norm":"— Wir sind ohne Schuld in diese Verwirrung geraten, das gute Glück mag uns wieder heraushelfen; indessen hören Sie nur:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2075,"orig":"Derjenige, an dem viel zu entwickeln iſt, wird ſpäter über ſich und die Welt aufgeklärt.","norm":"Derjenige, an dem viel zu entwickeln ist, wird später über sich und die Welt aufgeklärt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2076,"orig":"Es ſind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur That fähig ſind.","norm":"Es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2077,"orig":"Der Sinn erweitert, aber lähmt, die That belebt, aber beſchränkt.","norm":"Der Sinn erweitert, aber lähmt, die Tat belebt, aber beschränkt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2078,"orig":"Ich bitte Sie, fiel Wilhelm ein, leſen Sie mir von dieſen wunderlichen Worten nichts mehr!","norm":"Ich bitte Sie, fiel Wilhelm ein, lesen Sie mir von diesen wunderlichen Worten nichts mehr!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2079,"orig":"Dieſe Phraſen haben mich ſchon verwirrt genug gemacht.","norm":"Diese Phrasen haben mich schon verwirrt genug gemacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2080,"orig":"— So will ich bey der Erzählung bleiben, ſagte Jarno, indem er die Rolle halb zuwickelte, und nur manchmal einen Blick hinein that.","norm":"— So will ich bei der Erzählung bleiben, sagte Jarno, indem er die Rolle halb zuwickelte, und nur manchmal einen Blick hineintat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2081,"orig":"Ich ſelbſt habe der Geſellſchaft und den Menſchen am wenigſten genutzt, ich bin ein ſehr ſchlechter Lehrmeiſter, es iſt mir unerträglich zu ſehen, wenn jemand ungeſchickte Verſuche macht, einem Irrenden muß ich gleich zurufen, und wenn es ein Nachtwandler wäre, den ich in Gefahr ſähe auf dem rechten Wege den Hals zu brechen.","norm":"Ich selbst habe der Gesellschaft und den Menschen am wenigsten genutzt, ich bin ein sehr schlechter Lehrmeister, es ist mir unerträglich zu sehen, wenn jemand ungeschickte Versuche macht, einem Irrenden muss ich gleich zurufen, und wenn es ein Nachtwandler wäre, den ich in Gefahr sähe auf dem rechten Wege den Hals zu brechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2082,"orig":"Darüber hatte ich nun immer meine Noth mit dem Abbé, der behauptet, der Irrthum könne nur durch das Irren geheilt werden.","norm":"Darüber hatte ich nun immer meine Not mit dem Abbé, der behauptet, der Irrtum könne nur durch das Irren geheilt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2083,"orig":"Auch über Sie haben wir uns oft geſtritten, er hatte Sie beſonders in Gunſt genommen, und es will ſchon etwas heißen in dem hohen Grade ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen;","norm":"Auch über Sie haben wir uns oft gestritten, er hatte Sie besonders in Gunst genommen, und es will schon etwas heißen in dem hohen Grade seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2084,"orig":"Sie müſſen mir nachſagen, daß ich Ihnen, wo ich Sie antraf, die reine Wahrheit ſagte.","norm":"Sie müssen mir nachsagen, dass ich Ihnen, wo ich Sie antraf, die reine Wahrheit sagte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2085,"orig":"— Sie haben mich wenig geſchont, ſagte Wilhelm, und Sie ſcheinen Ihren Grundſätzen treu zu bleiben.","norm":"— Sie haben mich wenig geschont, sagte Wilhelm, und Sie scheinen Ihren Grundsätzen treu zu bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2086,"orig":"Was iſt denn da zu ſchonen, verſetzte Jarno, wenn ein junger Menſch, von mancherley guten Anlagen, eine ganz falſche Richtung nimmt?","norm":"Was ist denn da zu schonen, versetzte Jarno, wenn ein junger Mensch, von mancherlei guten Anlagen, eine ganz falsche Richtung nimmt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2087,"orig":"— Verzeihen Sie, ſagte Wilhelm, Sie haben mir ſtreng genug alle Fähigkeit zum Schauſpieler abgeſprochen; ich geſtehe Ihnen, daß, ob ich gleich dieſer Kunſt ganz entſagt habe, ſo kann ich mich bey mir ſelbſt doch dazu nicht für ganz unfähig erklären.","norm":"— Verzeihen Sie, sagte Wilhelm, Sie haben mir streng genug alle Fähigkeit zum Schauspieler abgesprochen; ich gestehe Ihnen, dass, ob ich gleich dieser Kunst ganz entsagt habe, so kann ich mich bei mir selbst doch dazu nicht für ganz unfähig erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2088,"orig":"— Und bey mir, ſagte Jarno, iſt es doch ſo rein entſchieden: daß wer ſich nur ſelbſt ſpielen kann, kein Schauſpieler iſt.","norm":"— Und bei mir, sagte Jarno, ist es doch so rein entschieden: dass wer sich nur selbst spielen kann, kein Schauspieler ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2089,"orig":"Wer ſich nicht dem Sinn und der Geſtalt nach in viele Geſtalten verwandeln kann, verdient nicht dieſen Nahmen.","norm":"Wer sich nicht dem Sinn und der Gestalt nach in viele Gestalten verwandeln kann, verdient nicht diesen Namen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2090,"orig":"So haben Sie, zum Beyſpiel, den Hamlet und einige andere Rollen recht gut geſpielt, bey denen Ihnen Ihr Charakter, Ihre Geſtalt und die Stimmung des Augenblicks zu gute kamen.","norm":"So haben Sie, zum Beispiel, den Hamlet und einige andere Rollen recht gut gespielt, bei denen Ihnen Ihr Charakter, Ihre Gestalt und die Stimmung des Augenblicks zugutekamen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2091,"orig":"Das wäre nun für ein Liebhabertheater und für einen jeden gut genug, der keinen andern Weg vor ſich ſähe.","norm":"Das wäre nun für ein Liebhabertheater und für einen jeden gut genug, der keinen anderen Weg vor sich sähe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2092,"orig":"Man ſoll ſich, fuhr Jarno fort, indem er auf die Rolle ſah, vor einem Talente hüten, das man in Vollkommenheit auszuüben nicht Hoffnung hat.","norm":"Man soll sich, fuhr Jarno fort, indem er auf die Rolle sah, vor einem Talente hüten, das man in Vollkommenheit auszuüben nicht Hoffnung hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2093,"orig":"Man mag es darin ſo weit bringen, als man will, ſo wird man doch immer zuletzt, wenn uns einmal das Verdienſt des Meiſters klar wird, den Verluſt von Zeit und Kräften, die man auf eine ſolche Pfuſcherey gewendet hat, ſchmerzlich bedauren.","norm":"Man mag es darin so weit bringen, als man will, so wird man doch immer zuletzt, wenn uns einmal das Verdienst des Meisters klar wird, den Verlust von Zeit und Kräften, die man auf eine solche Pfuscherei gewendet hat, schmerzlich bedauern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2094,"orig":"Leſen Sie nichts!","norm":"Lesen Sie nichts!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2095,"orig":"ſagte Wilhelm, ich bitte Sie inſtändig, ſprechen Sie fort, erzählen Sie mir, klären Sie mich auf!","norm":"sagte Wilhelm, ich bitte Sie inständig, sprechen Sie fort, erzählen Sie mir, klären Sie mich auf!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2096,"orig":"Und ſo hat alſo der Abbé mir zum Hamlet geholfen, indem er einen Geiſt herbeyſchaffte?","norm":"Und so hat also der Abbé mir zum Hamlet geholfen, indem er einen Geist herbeischaffte?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2097,"orig":"— Ja, denn er verſicherte, daß es der einzige Weg ſey Sie zu heilen, wenn Sie heilbar wären.","norm":"— Ja, denn er versicherte, dass es der einzige Weg sei Sie zu heilen, wenn Sie heilbar wären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2098,"orig":"— Und darum ließ er mir den Schleyer zurück, und hieß mich fliehen?","norm":"— Und darum ließ er mir den Schleier zurück, und hieß mich fliehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2099,"orig":"— Ja, er hoffte ſogar mit der Vorſtellung des Hamlets ſollte ihre ganze Luſt gebüßt ſeyn, Sie würden nachher das Theater nicht wieder betreten, behauptete er; ich glaubte das Gegentheil und behielt Recht.","norm":"— Ja, er hoffte sogar mit der Vorstellung des Hamlets sollte Ihre ganze Lust gebüßt sein, Sie würden nachher das Theater nicht wieder betreten, behauptete er; ich glaubte das Gegenteil und behielt Recht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2100,"orig":"Wir ſtritten noch ſelbigen Abend nach der Vorſtellung darüber.","norm":"Wir stritten noch selbigen Abend nach der Vorstellung darüber."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2101,"orig":"— Und Sie haben mich alſo ſpielen ſehen?","norm":"— Und Sie haben mich also spielen sehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2102,"orig":"— O gewis!","norm":"— O gewiss!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2103,"orig":"— Und wer ſtellte denn den Geiſt vor?","norm":"— Und wer stellte denn den Geist vor?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2104,"orig":"— Das kann ich ſelbſt nicht ſagen, entweder der Abbé oder ſein Zwillingsbruder, doch glaub ich dieſer, denn er iſt um ein weniges größer; — Sie haben alſo auch Geheimniſſe unter einander?","norm":"— Das kann ich selbst nicht sagen, entweder der Abbé oder sein Zwillingsbruder, doch glaube ich dieser, denn er ist um ein weniges größer; — Sie haben also auch Geheimnisse untereinander?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2105,"orig":"— Freunde können und müſſen Geheimniſſe vor einander haben, ſie ſind einander doch kein Geheimnis.","norm":"— Freunde können und müssen Geheimnisse voreinander haben, sie sind einander doch kein Geheimnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2106,"orig":"Es verwirrt mich ſchon das Andenken dieſer Verworrenheit.","norm":"Es verwirrt mich schon das Andenken dieser Verworrenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2107,"orig":"Klären Sie mich über den Mann auf, dem ich ſo viel ſchuldig bin, und dem ich ſo viel Vorwürfe zu machen habe.","norm":"Klären Sie mich über den Mann auf, dem ich so viel schuldig bin, und dem ich so viel Vorwürfe zu machen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2108,"orig":"Was ihn uns ſo ſchätzbar macht, verſetzte Jarno, was ihm gewiſſermaßen die Herrſchaft über uns alle erhält, iſt der freye und ſcharfe Blick, den ihm die Natur über alle Kräfte, die im Menſchen nur wohnen, und wovon ſich jede in ihrer Art ausbilden läßt, gegeben hat.","norm":"Was ihn uns so schätzbar macht, versetzte Jarno, was ihm gewissermaßen die Herrschaft über uns alle erhält, ist der freie und scharfe Blick, den ihm die Natur über alle Kräfte, die im Menschen nur wohnen, und wovon sich jede in ihrer Art ausbilden lässt, gegeben hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2109,"orig":"Die meiſten Menſchen, ſelbſt die vorzüglichen, ſind nur beſchränkt, jeder ſchätzt gewiſſe Eigenſchaften an ſich und andern, nur die begünſtigt er, nur die will er ausgebildet wiſſen:","norm":"Die meisten Menschen, selbst die vorzüglichen, sind nur beschränkt, jeder schätzt gewisse Eigenschaften an sich und anderen, nur die begünstigt er, nur die will er ausgebildet wissen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2110,"orig":"Ganz entgegengeſetzt wirkt der Abbé, er hat Sinn für alles, Luſt an allem, es zu erkennen und zu befördern.","norm":"Ganz entgegengesetzt wirkt der Abbé, er hat Sinn für alles, Lust an allem, es zu erkennen und zu befördern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2111,"orig":"Da muß ich doch wieder in die Rolle ſehen!","norm":"Da muss ich doch wieder in die Rolle sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2112,"orig":"fuhr Jarno fort:","norm":"fuhr Jarno fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2113,"orig":"Nur alle Menſchen machen die Menſchheit aus, nur alle Kräfte zuſammengenommen die Welt.","norm":"Nur alle Menschen machen die Menschheit aus, nur alle Kräfte zusammengenommen die Welt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2114,"orig":"Dieſe ſind unter ſich oft im Widerſtreit, und indem ſie ſich zu zerſtören ſuchen, hält ſie die Natur zuſammen, und bringt ſie wieder hervor.","norm":"Diese sind unter sich oft im Widerstreit, und indem sie sich zu zerstören suchen, hält sie die Natur zusammen, und bringt sie wieder hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2115,"orig":"Von dem geringſten thieriſchen Handwerkstriebe, bis zur höchſten Ausübung der geiſtigſten Kunſt, vom Lallen und Jauchzen des Kindes, bis zur treffiichſten Äuſſerung des Redners und Sängers, vom erſten Balgen der Knaben bis zu den ungeheuren Anſtalten, wodurch Länder erhalten und erobert werden, vom leichteſten Wohlwollen und der flüchtigſten Liebe, bis zur heftigſten Leidenſchaft und zum ernſteſten Bunde, von dem reinſten Gefühl der ſinnlichen Gegenwart bis zu den leiſeſten Ahndungen und Hoffnungen der entfernteſten geiſtigen Zukunft, alles das und weit mehr liegt im Menſchen, und muß ausgebildet werden; aber nicht in Einem, ſondern in vielen.","norm":"Von dem geringsten tierischen Handwerkstriebe, bis zur höchsten Ausübung der geistigsten Kunst, vom Lallen und Jauchzen des Kindes, bis zur trefflichsten Äußerung des Redners und Sängers, vom ersten Balgen der Knaben bis zu den ungeheuren Anstalten, wodurch Länder erhalten und erobert werden, vom leichtesten Wohlwollen und der flüchtigsten Liebe, bis zur heftigsten Leidenschaft und zum ernstesten Bunde, von dem reinsten Gefühl der sinnlichen Gegenwart bis zu den leisesten Ahnungen und Hoffnungen der entferntesten geistigen Zukunft, alles das und weit mehr liegt im Menschen, und muss ausgebildet werden; aber nicht in Einem, sondern in vielen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2116,"orig":"Jede Anlage iſt wichtig, und ſie muß entwickelt werden.","norm":"Jede Anlage ist wichtig, und sie muss entwickelt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2117,"orig":"Wenn einer nur das Schöne, der andere nur das Nützliche befördert, ſo machen beyde zuſammen erſt einen","norm":"Wenn einer nur das Schöne, der andere nur das Nützliche befördert, so machen beide zusammen erst einen"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2118,"orig":"Menſchen aus.","norm":"Menschen aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2119,"orig":"Das Nützliche befördert ſich ſelbſt, denn die Menge bringt es hervor, und alle könnens nicht entbehren; das Schöne muß befördert werden, denn wenige ſtellens dar, und viele bedürfens.","norm":"Das Nützliche befördert sich selbst, denn die Menge bringt es hervor, und alle können es nicht entbehren; das Schöne muss befördert werden, denn wenige stellen es dar, und viele bedürfen es."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2120,"orig":"Halten Sie inne, rief Wilhelm, ich habe das alles geleſen.","norm":"Halten Sie inne, rief Wilhelm, ich habe das alles gelesen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2121,"orig":"— Nur noch einige Zeilen, verſetzte Jarno, hier find ich den Abbé ganz wieder:","norm":"— Nur noch einige Zeilen, versetzte Jarno, hier finde ich den Abbé ganz wieder:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2122,"orig":"Eine Kraft beherrſcht die andere, aber keine kann die andere bilden; in jeder Anlage liegt auch allein die Kraft ſich zu vollenden; das verſtehen ſo wenig Menſchen, die doch lehren und wirken wollen.","norm":"Eine Kraft beherrscht die andere, aber keine kann die andere bilden; in jeder Anlage liegt auch allein die Kraft sich zu vollenden; das verstehen so wenig Menschen, die doch lehren und wirken wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2123,"orig":"— Und ich verſtehe es auch nicht, verſetzte Wilhelm: — Sie werden über dieſen Text den Abbé noch oft genug hören, und ſo laſſen Sie uns nur immer recht deutlich ſehen und feſt halten, was an uns iſt, und was wir an uns ausbilden können; laſſen Sie uns gegen die andern gerecht ſeyn, denn wir ſind nur in ſo fern zu achten, als wir zu ſchätzen wiſſen.","norm":"— Und ich verstehe es auch nicht, versetzte Wilhelm: — Sie werden über diesen Text den Abbé noch oft genug hören, und so lassen Sie uns nur immer recht deutlich sehen und festhalten, was an uns ist, und was wir an uns ausbilden können; lassen Sie uns gegen die anderen gerecht sein, denn wir sind nur insofern zu achten, als wir zu schätzen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2124,"orig":"— Um Gottes willen!","norm":"— Um Gottes willen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2125,"orig":"keine Sentenzen weiter!","norm":"keine Sentenzen weiter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2126,"orig":"ich fühle ſie ſind ein ſchlechtes Heilmittel für ein verwundetes Herz.","norm":"Ich fühle sie sind ein schlechtes Heilmittel für ein verwundetes Herz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2127,"orig":"Sagen Sie mir lieber mit Ihrer grauſamen Beſtimmtheit, was Sie von mir erwarten, und wie und auf welche Weiſe Sie mich aufopfern wollen.","norm":"Sagen Sie mir lieber mit Ihrer grausamen Bestimmtheit, was Sie von mir erwarten, und wie und auf welche Weise Sie mich aufopfern wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2128,"orig":"— Jeden Verdacht, ich verſichere Sie, werden Sie uns künftig abbitten.","norm":"— Jeden Verdacht, ich versichere Sie, werden Sie uns künftig abbitten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2129,"orig":"Es iſt Ihre Sache zu prüfen und zu wählen, und die unſere Ihnen beyzuſtehn.","norm":"Es ist Ihre Sache zu prüfen und zu wählen, und die unsere Ihnen beizustehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2130,"orig":"— Der Menſch iſt nicht glücklich, als bis ſein unbedingtes Streben ſich ſelbſt ſeine Begränzung beſtimmt.","norm":"— Der Mensch ist nicht glücklich, als bis sein unbedingtes Streben sich selbst seine Begrenzung bestimmt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2131,"orig":"Nicht an mich halten Sie ſich, ſondern an den Abbé, nicht an ſich denken Sie, ſondern an das, was Sie umgiebt.","norm":"Nicht an mich halten Sie sich, sondern an den Abbé, nicht an sich denken Sie, sondern an das, was Sie umgibt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2132,"orig":"Lernen Sie zum Beyſpiel Lothario’s Trefflichkeit einſehen, wie ſein Überblick und ſeine Thätigkeit unzertrennlich mit einander verbunden ſind, wie er immer im Fortſchreiten iſt, wie er ſich ausbreitet und jeden mit fortreißt.","norm":"Lernen Sie zum Beispiel Lotharios Trefflichkeit einsehen, wie sein Überblick und seine Tätigkeit unzertrennlich miteinander verbunden sind, wie er immer im Fortschreiten ist, wie er sich ausbreitet und jeden mit fortreißt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2133,"orig":"Er führt, wo er auch ſey, eine Welt mit ſich, ſeine Gegenwart belebt und feuert an.","norm":"Er führt, wo er auch sei, eine Welt mit sich, seine Gegenwart belebt und feuert an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2134,"orig":"Sehen Sie unſern guten Medikus dagegen!","norm":"Sehen Sie unseren guten Medikus dagegen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2135,"orig":"es ſcheint gerade die entgegengeſetzte Natur zu ſeyn.","norm":"es scheint gerade die entgegengesetzte Natur zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2136,"orig":"Wenn jener nur ins Ganze und auch in die Ferne wirkt, ſo richtet dieſer ſeinen hellen Blick nur auf die nächſten Dinge, er verſchafft mehr die Mittel zur Thätigkeit, als daß er die Thätigkeit hervorbrächte und belebte, ſein Handeln ſieht einem guten Wirthſchaften vollkommen ähnlich, ſeine Wirkſamkeit iſt ſtill, indem er einen jeden in ſeinem Kreis befördert; ſein Wiſſen iſt ein beſtändiges Sammlen und Ausſpenden, ein Nehmen und Mittheilen im Kleinen.","norm":"Wenn jener nur ins Ganze und auch in die Ferne wirkt, so richtet dieser seinen hellen Blick nur auf die nächsten Dinge, er verschafft mehr die Mittel zur Tätigkeit, als dass er die Tätigkeit hervorbrächte und belebte, sein Handeln sieht einem guten Wirtschaften vollkommen ähnlich, seine Wirksamkeit ist still, indem er einen jeden in seinem Kreis befördert; sein Wissen ist ein beständiges Sammeln und Ausspenden, ein Nehmen und Mitteilen im Kleinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2137,"orig":"Vielleicht könnte Lothario in Einem Tage zerſtöhren, woran dieſer Jahre lang gebaut hat; aber vielleicht theilt auch Lothario, in einem Augenblick, andern die Kraft mit, das Zerſtöhrte hundertfältig wieder herzuſtellen.","norm":"Vielleicht könnte Lothario in einem Tage zerstören, woran dieser jahrelang gebaut hat; aber vielleicht teilt auch Lothario, in einem Augenblick, anderen die Kraft mit, das Zerstörte hundertfaltig wiederherzustellen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2138,"orig":"— Es iſt ein trauriges Geſchäft, ſagte Wilhelm, wenn man über die reinen Vorzüge der andern in einem Augenblicke denken ſoll, da man mit ſich ſelbſt uneins iſt; ſolche Betrachtungen ſtehen dem ruhigen Manne wohl an, nicht dem, der von Leidenſchaft und Ungewisheit bewegt iſt.","norm":"— Es ist ein trauriges Geschäft, sagte Wilhelm, wenn man über die reinen Vorzüge der anderen in einem Augenblicke denken soll, da man mit sich selbst uneins ist; solche Betrachtungen stehen dem ruhigen Manne wohl an, nicht dem, der von Leidenschaft und Ungewissheit bewegt ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2139,"orig":"— Ruhig und vernünftig zu betrachten iſt zu keiner Zeit ſchädlich, und indem wir uns gewöhnen über die Vorzüge anderer zu denken, ſtellen ſich die unſern unvermerkt ſelbſt an ihren Platz, und jede falſche Thätigkeit, wozu uns die Phantaſie lockt, wird alsdann gern von uns aufgegeben.","norm":"— Ruhig und vernünftig zu betrachten ist zu keiner Zeit schädlich, und indem wir uns gewöhnen über die Vorzüge anderer zu denken, stellen sich die unseren unvermerkt selbst an ihren Platz, und jede falsche Tätigkeit, wozu uns die Phantasie lockt, wird alsdann gern von uns aufgegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2140,"orig":"Befreyen Sie wo möglich Ihren Geiſt von allem Argwohn und aller Ängſtlichkeit!","norm":"Befreien Sie womöglich Ihren Geist von allem Argwohn und aller Ängstlichkeit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2141,"orig":"Dort kommt der Abbé, ſeyn Sie ja freundlich gegen ihn, bis Sie noch mehr erfahren, wie viel Dank Sie ihm ſchuldig ſind.","norm":"Dort kommt der Abbé, sein Sie ja freundlich gegen ihn, bis Sie noch mehr erfahren, wie viel Dank Sie ihm schuldig sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2142,"orig":"Der Schalk!","norm":"Der Schalk!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2143,"orig":"da geht er zwiſchen Natalien und Thereſen, ich wollte wetten, er denkt ſich was aus.","norm":"da geht er zwischen Natalie und Theresa, ich wollte wetten, er denkt sich was aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2144,"orig":"So wie er überhaupt gern ein wenig das Schickſal ſpielt, ſo läßt er auch nicht von der Liebhaberey, manchmal eine Heirath zu ſtiften.","norm":"So wie er überhaupt gern ein wenig das Schicksal spielt, so lässt er auch nicht von der Liebhaberei, manchmal eine Heirat zu stiften."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2145,"orig":"Wilhelm, deſſen leidenſchaftliche und verdrießliche Stimmung durch alle die klugen und guten Worte Jarno’s nicht verbeſſert worden war, fand höchſt undelikat, daß ſein Freund, gerade in dieſem Augenblick, eines ſolchen Verhältniſſes erwähnte, und ſagte zwar lächelnd, doch nicht ohne Bitterkeit: ich dächte man überließe die Liebhaberey, Heirathen zu ſtiften, Perſonen die ſich lieb haben.","norm":"Wilhelm, dessen leidenschaftliche und verdrießliche Stimmung durch alle die klugen und guten Worte Jarnos nicht verbessert worden war, fand höchst undelikat, dass sein Freund, gerade in diesem Augenblick, eines solchen Verhältnisses erwähnte, und sagte zwar lächelnd, doch nicht ohne Bitterkeit: Ich dächte man überließe die Liebhaberei, Heiraten zu stiften, Personen die sich lieb haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2146,"orig":"Die Geſellſchaft hatte ſich eben wieder begegnet, und unſere Freunde ſahen ſich genöthigt, das Geſpräch abzubrechen.","norm":"Die Gesellschaft hatte sich eben wieder begegnet, und unsere Freunde sahen sich genötigt, das Gespräch abzubrechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2147,"orig":"Nicht lange, ſo ward ein Curier gemeldet, der einen Brief in Lothario’s eigene Hände übergeben wollte; der Mann ward vorgeführt, er ſah rüſtig und tüchtig aus, ſeine Livree war ſehr reich und geſchmackvoll.","norm":"Nicht lange, so wurde ein Kurier gemeldet, der einen Brief in Lotharios eigene Hände übergeben wollte; der Mann wurde vorgeführt, er sah rüstig und tüchtig aus, seine Livree war sehr reich und geschmackvoll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2148,"orig":"Wilhelm glaubte ihn zu kennen, und er irrte ſich nicht, es war derſelbe Mann, den er damals Philinen und der vermeinten Mariane nachgeſchickt hatte, und der nicht wieder zurück gekommen war.","norm":"Wilhelm glaubte ihn zu kennen, und er irrte sich nicht, es war derselbe Mann, den er damals Philine und der vermeinten Mariane nachgeschickt hatte, und der nicht wieder zurückgekommen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2149,"orig":"Eben wollte er ihn anreden, als Lothario, der den Brief geleſen hatte, ernſthaft und faſt verdrießlich fragte: wie heißt ſein Herr?","norm":"Eben wollte er ihn anreden, als Lothario, der den Brief gelesen hatte, ernsthaft und fast verdrießlich fragte: Wie heißt Sein Herr?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2150,"orig":"Das iſt unter allen Fragen, verſetzte der Curier mit Beſcheidenheit, auf die ich am wenigſten zu antworten weiß, ich hoffe der Brief wird das nöthige vermelden; mündlich iſt mir nichts aufgetragen.","norm":"Das ist unter allen Fragen, versetzte der Kurier mit Bescheidenheit, auf die ich am wenigsten zu antworten weiß, ich hoffe der Brief wird das Nötige vermelden; mündlich ist mir nichts aufgetragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2151,"orig":"Es ſey wie ihm ſey, verſetzte Lothario mit Lächeln, da ſein Herr das Zutrauen zu mir hat, mir ſo haſenfüßig zu ſchreiben, ſo ſoll er uns willkommen ſeyn.","norm":"Es sei wie ihm sei, versetzte Lothario mit Lächeln, da Sein Herr das Zutrauen zu mir hat, mir so hasenfüßig zu schreiben, so soll er uns willkommen sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2152,"orig":"Er wird nicht lange auf ſich warten laſſen, verſetzte der Curier mit einer Verbeugung, und entfernte ſich.","norm":"Er wird nicht lange auf sich warten lassen, versetzte der Kurier mit einer Verbeugung, und entfernte sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2153,"orig":"Vernehmet nur, ſagte Lothario, die tolle abgeſchmackte Bothſchaft.","norm":"Vernehmet nur, sagte Lothario, die tolle abgeschmackte Botschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2154,"orig":"Da unter allen Gäſten, ſo ſchreibt der Unbekannte, ein guter Humor der angenehmſte Gaſt ſeyn ſoll, wenn er ſich einſtellt, und ich denſelben als Reiſegefährten beſtändig mit mir herum führe, ſo hoffe ich, der Beſuch, den ich Ew. Gnaden und Liebden zugedacht habe, wird nicht übel vermerkt werden, vielmehr hoffe ich mit der ſämmtlichen hohen Familie vollkommener Zufriedenheit anzulangen, und gelegentlich mich wieder zu entfernen, der ich mich, und ſo weiter, Graf von Schneckenfuß.","norm":"Da unter allen Gästen, so schreibt der Unbekannte, ein guter Humor der angenehmste Gast sein soll, wenn er sich einstellt, und ich denselben als Reisegefährten beständig mit mir herumführe, so hoffe ich, der Besuche, den ich Ew. Gnaden und Liebden zugedacht habe, wird nicht übel vermerkt werden, vielmehr hoffe ich mit der sämtlichen hohen Familie vollkommener Zufriedenheit anzulangen, und gelegentlich mich wieder zu entfernen, der ich mich, und so weiter, Graf von Schneckenfuß."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2155,"orig":"Das iſt eine neue Familie, ſagte der Abbé.","norm":"Das ist eine neue Familie, sagte der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2156,"orig":"Es mag ein Vikariatsgraf ſeyn, verſetzte Jarno.","norm":"Es mag ein Vikariatsgraf sein, versetzte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2157,"orig":"Das Geheimnis iſt leicht zu errathen, ſagte Natalie, ich wette es iſt Bruder Friedrich, der uns ſchon ſeit dem Tode des Oheims mit einem Beſuche droht.","norm":"Das Geheimnis ist leicht zu erraten, sagte Natalie, ich wette es ist Bruder Friedrich, der uns schon seit dem Tode des Oheims mit einem Besuche droht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2158,"orig":"Getroffen!","norm":"Getroffen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2159,"orig":"ſchöne und weiſe Schweſter, rief jemand aus einem nahen Buſche, und zugleich trat ein angenehmer, heiterer, junger Mann hervor, Wilhelm konnte ſich kaum eines Schreyes enthalten.","norm":"schöne und weise Schwester, rief jemand aus einem nahen Busche, und zugleich trat ein angenehmer, heiterer, junger Mann hervor, Wilhelm konnte sich kaum eines Schreies enthalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2160,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2161,"orig":"rief er, unſer blonder Schelm, der ſoll mir auch hier noch erſcheinen?","norm":"rief er, unser blonder Schelm, der soll mir auch hier noch erscheinen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2162,"orig":"Friedlich ward aufmerkſam, ſah Wilhelmen an und rief: wahrlich, weniger erſtaunt wär ich geweſen, die berühmten Pyramiden, die doch in Ägypten ſo feſt ſtehen, oder das Grab des Königs Mauſolus, das, wie man mir verſichert hat, gar nicht mehr exiſtirt, hier in dem Garten meines Oheims zu finden, als Euch meinen alten Freund und vielfachen Wohlthäter.","norm":"Friedrich wurde aufmerksam, sah Wilhelm an und rief: Wahrlich, weniger erstaunt wäre ich gewesen, die berühmten Pyramiden, die doch in Ägypten so fest stehen, oder das Grab des Königs Mausolus, das, wie man mir versichert hat, gar nicht mehr existiert, hier in dem Garten meines Oheims zu finden, als Euch meinen alten Freund und vielfachen Wohltäter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2163,"orig":"Seyd mir beſonders und ſchönſtens gegrüßt.","norm":"Seid mir besonders und schönstens gegrüßt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2164,"orig":"Nachdem er rings herum alles bewillkommt und geküßt hatte, ſprang er wieder auf Wilhelmen los, und rief:","norm":"Nachdem er ringsherum alles bewillkommt und geküsst hatte, sprang er wieder auf Wilhelm los, und rief:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2165,"orig":"Haltet mir ihn ja warm dieſen Helden, Heerführer und dramatiſchen Philoſophen.","norm":"Haltet mir ihn ja warm diesen Helden, Heerführer und dramatischen Philosophen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2166,"orig":"Ich habe ihn bey unſrer erſten Bekanntſchaft ſchlecht, ja, ich darf wohl ſagen, mit der Hechel friſirt, und er hat mir doch nachher eine tüchtige Tracht Schläge erſpart.","norm":"Ich habe ihn bei unserer ersten Bekanntschaft schlecht, ja, ich darf wohl sagen, mit der Hechel frisiert, und er hat mir doch nachher eine tüchtige Tracht Schläge erspart."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2167,"orig":"Er iſt großmüthig wie Scipio, freygebig wie Alexander, gelegentlich auch verliebt, doch ohne ſeine Nebenbuhler zu haſſen.","norm":"Er ist großmütig wie Scipio, freigebig wie Alexander, gelegentlich auch verliebt, doch ohne seine Nebenbuhler zu hassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2168,"orig":"Nicht etwa, daß er ſeinen Feinden Kohlen aufs Haupt ſammelte, welches, wie man ſagt, ein ſchlechter Dienſt ſeyn ſoll, den man jemanden erzeigen kann, nein, er ſchickt vielmehr den Freunden, die ihm ſein Mädchen entführen, gute und treue Diener nach, damit ihr Fuß an keinen Stein ſtoße.","norm":"Nicht etwa, dass er seinen Feinden Kohlen aufs Haupt sammelte, welches, wie man sagt, ein schlechter Dienst sein soll, den man jemanden erzeigen kann, nein, er schickt vielmehr den Freunden, die ihm sein Mädchen entführen, gute und treue Diener nach, damit ihr Fuß an keinen Stein stoße."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2169,"orig":"In dieſem Geſchmack fuhr er unaufhaltſam fort, ohne daß jemand ihm Einhalt zu thun im Stande geweſen wäre, und da niemand in dieſer Art ihm erwiedern konnte, ſo behielt er das Wort ziemlich allein.","norm":"In diesem Geschmack fuhr er unaufhaltsam fort, ohne dass jemand ihm Einhalt zu tun imstande gewesen wäre, und da niemand in dieser Art ihm erwidern konnte, so behielt er das Wort ziemlich allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2170,"orig":"Verwundert euch nicht, rief er aus, über meine große Beleſenheit in heiligen und profan Scribenten, ihr ſollt erfahren, wie ich zu dieſen Kenntniſſen gelangt bin.","norm":"Verwundert euch nicht, rief er aus, über meine große Belesenheit in heiligen und profan Skribenten, ihr sollt erfahren, wie ich zu diesen Kenntnissen gelangt bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2171,"orig":"Man wollte von ihm wiſſen, wie es ihm gehe?","norm":"Man wollte von ihm wissen, wie es ihm gehe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2172,"orig":"wo er herkomme?","norm":"wo er herkomme?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2173,"orig":"allein er konnte vor lauter Sittenſprüchen und alten Geſchichten nicht zur deutlichen Erklärung gelangen.","norm":"allein er konnte vor lauter Sittensprüchen und alten Geschichten nicht zur deutlichen Erklärung gelangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2174,"orig":"Natalie ſagte leiſe zu Thereſen: ſeine Art von Luſtigkeit thut mir wehe, ich wollte wetten, daß ihm dabey nicht wohl iſt.","norm":"Natalie sagte leise zu Theresa: Seine Art von Lustigkeit tut mir wehe, ich wollte wetten, dass ihm dabei nicht wohl ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2175,"orig":"Da Friedrich, außer einigen Späßen, die ihm Jarno erwiederte, keinen Anklang für ſeine Poſſen in der Geſellſchaft fand, ſagte er: es bleibt mir nichts übrig, als mit der ernſthaften Familie auch ernſthaft zu werden, und weil mir, unter ſolchen bedenklichen Umſtänden, ſogleich meine ſämmtliche Sündenlaſt ſchwer auf die Seele fällt, ſo will ich mich kurz und gut zu einer Generalbeichte entſchließen, wovon Ihr aber, meine werthen Herren und Damen, nichts vernehmen ſollt.","norm":"Da Friedrich, außer einigen Späßen, die ihm Jarno erwiderte, keinen Anklang für seine Possen in der Gesellschaft fand, sagte er: Es bleibt mir nichts übrig, als mit der ernsthaften Familie auch ernsthaft zu werden, und weil mir, unter solchen bedenklichen Umständen, sogleich meine sämtliche Sündenlast schwer auf die Seele fällt, so will ich mich kurz und gut zu einer Generalbeichte entschließen, wovon Ihr aber, meine werten Herren und Damen, nichts vernehmen sollt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2176,"orig":"Dieſer edle Freund hier, dem ſchon einiges von meinem Leben und Thun bekannt iſt, ſoll es allein erfahren, um ſo mehr als er darnach allein zu fragen einige Urſache hat.","norm":"Dieser edle Freund hier, dem schon einiges von meinem Leben und Tun bekannt ist, soll es allein erfahren, um so mehr als er danach allein zu fragen einige Ursache hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2177,"orig":"Wäret Ihr nicht neugierig zu wiſſen, fuhr er gegen Wilhelmen fort, wie und wo?","norm":"Wäret Ihr nicht neugierig zu wissen, fuhr er gegen Wilhelm fort, wie und wo?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2178,"orig":"wer?","norm":"wer?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2179,"orig":"wann und warum?","norm":"wann und warum?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2180,"orig":"wie ſiehts mit der Conjugation des griechiſchen Verbi Phileo, Philoo?","norm":"wie sieht es mit der Konjugation des griechischen Verbi Philéo, Philoo?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2181,"orig":"und mit den Derivativis dieſes allerliebſten Zeitwortes aus?","norm":"und mit den Derivativis dieses allerliebsten Zeitwortes aus?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2182,"orig":"Somit nahm er Wilhelmen beym Arme, führte ihn fort, indem er ihn auf alle Weiſe drückte und küßte.","norm":"Somit nahm er Wilhelm beim Arme, führte ihn fort, indem er ihn auf alle Weise drückte und küsste."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2183,"orig":"Kaum war Friedrich auf Wilhelms Zimmer gekommen, als er im Fenſter ein Pudermeſſer liegen fand, mit der Inſchrift: gedenket mein.","norm":"Kaum war Friedrich auf Wilhelms Zimmer gekommen, als er im Fenster ein Pudermesser liegen fand, mit der Inschrift: Gedenket mein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2184,"orig":"Ihr hebt Eure werthen Sachen gut auf, ſagte er, wahrlich das iſt Philinens Pudermeſſer, das ſie Euch jenen Tag ſchenkte, als ich Euch ſo gerauft hatte.","norm":"Ihr hebt Eure werten Sachen gut auf, sagte er, wahrlich das ist Philines Pudermesser, das sie Euch jenen Tag schenkte, als ich Euch so gerauft hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2185,"orig":"Ich hoffe Ihr habt des ſchönen Mädchens fleißig dabey gedacht, und ich verſichere Euch, ſie hat Euch auch nicht vergeſſen, und wenn ich nicht jede Spur von Eiferſucht ſchon lange aus meinem Herzen verbannnt hätte, ſo würde ich Euch nicht ohne Neid anſehen.","norm":"Ich hoffe Ihr habt des schönen Mädchens fleißig dabei gedacht, und ich versichere Euch, sie hat Euch auch nicht vergessen, und wenn ich nicht jede Spur von Eifersucht schon lange aus meinem Herzen verbannt hätte, so würde ich Euch nicht ohne Neid ansehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2186,"orig":"Reden Sie nichts mehr von dieſem Geſchöpfe, verſetzte Wilhelm.","norm":"Reden Sie nichts mehr von diesem Geschöpfe, versetzte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2187,"orig":"Ich leugne nicht, daß ich den Eindruck ihrer angenehmen Gegenwart lange nicht los werden konnte, aber das war auch alles.","norm":"Ich leugne nicht, dass ich den Eindruck ihrer angenehmen Gegenwart lange nicht loswerden konnte, aber das war auch alles."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2188,"orig":"Pfui!","norm":"Pfui!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2189,"orig":"ſchämt Euch, rief Friedrich, wer wird eine Geliebte verläugnen?","norm":"schämt Euch, rief Friedrich, wer wird eine Geliebte verleugnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2190,"orig":"und Ihr habt ſie ſo complet geliebt, als man es nur wünſchen konnte.","norm":"und Ihr habt sie so komplett geliebt, als man es nur wünschen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2191,"orig":"Es verging kein Tag, daß Ihr ihr nicht etwas ſchenktet, und wenn der Deutſche ſchenkt, liebt er gewiß.","norm":"Es verging kein Tag, dass Ihr ihr nicht etwas schenktet, und wenn der Deutsche schenkt, liebt er gewiss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2192,"orig":"Es blieb mir nichts übrig, als ſie Euch zuletzt wegzuputzen, und dem rothen Officierchen iſt es denn auch endlich geglückt.","norm":"Es blieb mir nichts übrig, als sie Euch zuletzt wegzuputzen, und dem roten Offizierchen ist es denn auch endlich geglückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2193,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2194,"orig":"Sie waren der Officier, den wir bey Philinen antrafen, und mit dem ſie wegreiſte?","norm":"Sie waren der Offizier, den wir bei Philine antrafen, und mit dem sie wegreiste?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2195,"orig":"Ja, verſetzte Friedrich, den Sie für Marianen hielten.","norm":"Ja, versetzte Friedrich, den Sie für Mariane hielten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2196,"orig":"Wir haben genug über den Irrthum gelacht.","norm":"Wir haben genug über den Irrtum gelacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2197,"orig":"Welche Grauſamkeit!","norm":"Welche Grausamkeit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2198,"orig":"rief Wilhelm, mich in einer ſolchen Ungewisheit zu laſſen.","norm":"rief Wilhelm, mich in einer solchen Ungewissheit zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2199,"orig":"Und noch dazu den Curier, den Sie uns nachſchickten, gleich in Dienſte zu nehmen!","norm":"Und noch dazu den Kurier, den Sie uns nachschickten, gleich in Dienste zu nehmen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2200,"orig":"verſetzte Friedrich.","norm":"versetzte Friedrich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2201,"orig":"Es iſt ein tüchtiger Kerl, und iſt dieſe Zeit nicht von unſerer Seite gekommen.","norm":"Es ist ein tüchtiger Kerl, und ist diese Zeit nicht von unserer Seite gekommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2202,"orig":"Und das Mädchen lieb ich noch immer ſo raſend wie jemals.","norm":"Und das Mädchen liebe ich noch immer so rasend wie jemals."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2203,"orig":"Mir hat ſie’s ganz eigens angethan, daß ich mich ganz nahe zu in einem mythologiſchen Falle befinde, und alle Tage fürchte verwandelt zu werden.","norm":"Mir hat sie es ganz eigens angetan, dass ich mich ganz nahezu in einem mythologischen Falle befinde, und alle Tage fürchte verwandelt zu werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2204,"orig":"Sagen Sie mir nur, fragte Wilhelm, wo haben Sie Ihre ausgebreitete Gelehrſamkeit her?","norm":"Sagen Sie mir nur, fragte Wilhelm, wo haben Sie Ihre ausgebreitete Gelehrsamkeit her?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2205,"orig":"Ich höre mit Verwunderung der ſeltſamen Manier zu, die Sie angenommen haben, immer mit Beziehung auf alte Geſchichten und Fabeln zu ſprechen.","norm":"Ich höre mit Verwunderung der seltsamen Manier zu, die Sie angenommen haben, immer mit Beziehung auf alte Geschichten und Fabeln zu sprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2206,"orig":"Auf die luſtigſte Weiſe, ſagte Friedrich, bin ich gelehrt und zwar ſehr gelehrt geworden.","norm":"Auf die lustigste Weise, sagte Friedrich, bin ich gelehrt und zwar sehr gelehrt worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2207,"orig":"Philine iſt nun bey mir, wir haben einem Pachter das alte Schloß eines Rittergutes abgemiethet, worin wir, wie die Kobolde, aufs luſtigſte leben.","norm":"Philine ist nun bei mir, wir haben einem Pachter das alte Schloss eines Rittergutes abgemietet, worin wir, wie die Kobolde, aufs lustigste leben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2208,"orig":"Dort haben wir eine zwar compendiöſe, aber doch ausgeſuchte Bibliothek gefunden, enthaltend eine Bibel in Folio, Gottfrieds Chronik, zwey Bände Theatrum Europaeum, die Acerra Philologica, Gryphii Schriften und noch einige minder wichtige Bücher.","norm":"Dort haben wir eine zwar kompendiöse, aber doch ausgesuchte Bibliothek gefunden, enthaltend eine Bibel in Folio, Gottfrieds Chronik, zwei Bände Theatrum Europaeum, die Acerra Philologica, Gryphii Schriften und noch einige minder wichtige Bücher."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2209,"orig":"Nun hatten wir denn doch, wenn wir ausgetobt hatten, manchmal lange Weile, wir wollten leſen, und ehe wir’s uns verſahen, ward unſere lange Weile noch länger.","norm":"Nun hatten wir denn doch, wenn wir ausgetobt hatten, manchmal lange Weile, wir wollten lesen, und ehe wir es uns versahen, wurde unsere Langeweile noch länger."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2210,"orig":"Endlich hatte Philine den herrlichen Einfall, die ſämmtlichen Bücher auf einem großen Tiſch aufzuſchlagen, wir ſetzten uns gegeneinander und laſen gegeneinander, und immer nur ſtellenweiſe, aus einem Buch wie aus dem andern.","norm":"Endlich hatte Philine den herrlichen Einfall, die sämtlichen Bücher auf einem großen Tisch aufzuschlagen, wir setzten uns gegeneinander und lasen gegeneinander, und immer nur stellenweise, aus einem Buch wie aus dem anderen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2211,"orig":"Das war nun eine rechte Luſt!","norm":"Das war nun eine rechte Lust!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2212,"orig":"wir glaubten wirklich in guter Geſellſchaft zu ſeyn, wo man für unſchicklich hält irgend eine Materie zu lange fortſetzen, oder wohl gar gründlich erörtern zu wollen.","norm":"Wir glaubten wirklich in guter Gesellschaft zu sein, wo man für unschicklich hält irgendeine Materie zu lange fortsetzen, oder wohl gar gründlich erörtern zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2213,"orig":"Wir glaubten in lebhafter Geſellſchaft zu ſeyn, wo keins das andere zum Wort kommen läßt.","norm":"Wir glaubten in lebhafter Gesellschaft zu sein, wo keins das andere zum Wort kommen lässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2214,"orig":"Dieſe Unterhaltung geben wir uns regelmäßig alle Tage, und werden dadurch nach und nach ſo gelehrt, daß wir uns ſelbſt darüber verwunderten.","norm":"Diese Unterhaltung geben wir uns regelmäßig alle Tage, und werden dadurch nach und nach so gelehrt, dass wir uns selbst darüber verwunderten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2215,"orig":"Schon finden wir nichts neues mehr unter der Sonne, zu allem bietet uns unſere Wiſſenſchaft einen Beleg an.","norm":"Schon finden wir nichts Neues mehr unter der Sonne, zu allem bietet uns unsere Wissenschaft einen Beleg an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2216,"orig":"Wir variiren, dieſe Art uns zu unterrichten, auf gar vielerley Weiſe.","norm":"Wir variieren, diese Art uns zu unterrichten, auf gar vielerlei Weise."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2217,"orig":"Manchmal leſen wir nach einer alten verdorbenen Sanduhr, die in einigen Minuten ausgelaufen iſt.","norm":"Manchmal lesen wir nach einer alten verdorbenen Sanduhr, die in einigen Minuten ausgelaufen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2218,"orig":"Schnell dreht ſie das andere herum, und fängt aus einem Buche zu leſen an, und kaum iſt wieder der Sand im untern Glaſe, ſo beginnt das andere ſchon wieder ſeinen Spruch, und ſo ſtudiren wir wirklich auf wahrhaft academiſche Weiſe, nur daß wir kürzere Stunden haben, und unſere Studien äußerſt mannigfaltig ſind.","norm":"Schnell dreht sie das andere herum, und fängt aus einem Buche zu lesen an, und kaum ist wieder der Sand im unteren Glase, so beginnt das andere schon wieder seinen Spruch, und so studieren wir wirklich auf wahrhaft akademische Weise, nur dass wir kürzere Stunden haben, und unsere Studien äußerst mannigfaltig sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2219,"orig":"Dieſe Tollheit begreife ich wohl, ſagte Wilhelm, wenn einmal ſo ein luſtiges Paar beyſammen iſt; wie aber das lockere Paar ſo lange beyſammen bleiben kann, das iſt mir nicht ſobald begreiflich.","norm":"Diese Tollheit begreife ich wohl, sagte Wilhelm, wenn einmal so ein lustiges Paar beisammen ist; wie aber das lockere Paar so lange beisammen bleiben kann, das ist mir nicht sobald begreiflich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2220,"orig":"Das iſt, rief Friedrich, eben das Glück und das Unglück, Philine darf ſich nicht ſehen laſſen, ſie mag ſich ſelbſt nicht ſehen, ſie iſt guter Hoffnung.","norm":"Das ist, rief Friedrich, eben das Glück und das Unglück, Philine darf sich nicht sehen lassen, sie mag sich selbst nicht sehen, sie ist guter Hoffnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2221,"orig":"Unförmlicher und lächerlicher iſt nichts in der Welt als ſie.","norm":"Unförmlicher und lächerlicher ist nichts in der Welt als sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2222,"orig":"Noch kurz ehe ich weg ging, kam ſie zufälliger Weiſe vor den Spiegel.","norm":"Noch kurz ehe ich wegging, kam sie zufälligerweise vor den Spiegel."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2223,"orig":"Pfui Teufel, ſagte ſie, und wendete das Geſicht ab, die leibhaftige Frau Melina!","norm":"Pfui Teufel, sagte sie, und wendete das Gesicht ab, die leibhaftige Frau Melina!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2224,"orig":"das garſtige Bild!","norm":"das garstige Bild!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2225,"orig":"Man ſieht doch ganz niederträchtig aus.","norm":"Man sieht doch ganz niederträchtig aus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2226,"orig":"Ich muß geſtehen, verſetzte Wilhelm lächelnd, daß es ziemlich komiſch ſeyn mag, Euch als Vater und Mutter beyſammen zu ſehen.","norm":"Ich muss gestehen, versetzte Wilhelm lächelnd, dass es ziemlich komisch sein mag, Euch als Vater und Mutter beisammen zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2227,"orig":"Es iſt ein recht närriſcher Streich, ſagte Friedrich, daß ich noch zuletzt als Vater gelten ſoll.","norm":"Es ist ein recht närrischer Streich, sagte Friedrich, dass ich noch zuletzt als Vater gelten soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2228,"orig":"Sie behauptets, und die Zeit trifft auch.","norm":"Sie behauptet e's, und die Zeit trifft auch."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2229,"orig":"Anfangs machte mich der verwünſchte Beſuch, den ſie Euch nach dem Hamlet abgeſtattet hatte, ein wenig irre.","norm":"Anfangs machte mich der verwünschte Besuche, den sie Euch nach dem Hamlet abgestattet hatte, ein wenig irre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2230,"orig":"Was für ein Beſuch?","norm":"Was für ein Besuche?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2231,"orig":"Ihr werdet das Andenken daran doch nicht ganz und gar verſchlafen haben?","norm":"Ihr werdet das Andenken daran doch nicht ganz und gar verschlafen haben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2232,"orig":"das allerliebſte, fühlbare Geſpenſt jener Nacht, wenn Ihrs noch nicht wißt, war Philine.","norm":"Das allerliebste, fühlbare Gespenst jener Nacht, wenn Ihr es noch nicht wisst, war Philine."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2233,"orig":"Die Geſchichte war mir freylich eine harte Mitgift, doch wenn man ſich ſo etwas nicht gefallen laſſen kann, ſo muß man gar nicht lieben.","norm":"Die Geschichte war mir freilich eine harte Mitgift, doch wenn man sich so etwas nicht gefallen lassen kann, so muss man gar nicht lieben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2234,"orig":"Die Vaterſchaft beruht überhaupt nur auf der Überzeugung, ich bin überzeugt und alſo bin ich Vater.","norm":"Die Vaterschaft beruht überhaupt nur auf der Überzeugung, ich bin überzeugt und also bin ich Vater."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2235,"orig":"Da ſeht Ihr, daß ich die Logik auch am rechten Orte zu brauchen weiß.","norm":"Da seht Ihr, dass ich die Logik auch am rechten Orte zu brauchen weiß."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2236,"orig":"Und wenn das Kind ſich nicht gleich nach der Geburt auf der Stelle zu Tode lacht; ſo kann es wo nicht ein nützlicher doch angenehmer Weltbürger werden.","norm":"Und wenn das Kind sich nicht gleich nach der Geburt auf der Stelle zu Tode lacht; so kann es wo nicht ein nützlicher doch angenehmer Weltbürger werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2237,"orig":"Indeſſen die Freunde ſich auf dieſe luſtige Weiſe von leichtfertigen Gegenſtänden unterhielten, hatte die übrige Geſellſchaft ein ernſthaftes Geſpräch begonnen.","norm":"Indessen die Freunde sich auf diese lustige Weise von leichtfertigen Gegenständen unterhielten, hatte die übrige Gesellschaft ein ernsthaftes Gespräch begonnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2238,"orig":"Kaum hatten Friedrich und Wilhelm ſich entfernt, als der Abbé die Freunde unvermerkt in einen Gartenſaal führte, und, als ſie Platz genommen hatten, ſeinen Vortrag begann.","norm":"Kaum hatten Friedrich und Wilhelm sich entfernt, als der Abbé die Freunde unvermerkt in einen Gartensaal führte, und, als sie Platz genommen hatten, seinen Vortrag begann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2239,"orig":"Wir haben, ſagte er, im Allgemeinen behauptet, daß Fräulein Thereſe nicht die Tochter ihrer Mutter ſey; es iſt nöthig, daß wir uns hierüber auch nun im Einzelnen erklären.","norm":"Wir haben, sagte er, im Allgemeinen behauptet, dass Fräulein Therese nicht die Tochter ihrer Mutter sei; es ist nötig, dass wir uns hierüber auch nun im Einzelnen erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2240,"orig":"Hier iſt die Geſchichte, die ich ſodann auf alle Weiſe zu belegen und zu beweiſen mich erbiete.","norm":"Hier ist die Geschichte, die ich sodann auf alle Weise zu belegen und zu beweisen mich erbiete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2241,"orig":"Frau von * * * lebte die erſten Jahre ihres Eheſtandes mit ihrem Gemahl in dem beſten Vernehmen, nur hatten ſie das Unglück, daß die Kinder, zu denen einigemal Hoffnung war, todt zur Welt kamen, und bey dem dritten die Ärzte ſchon beynahe der Mutter den Tod verkündigten, und ihn bey einem folgenden als ganz unvermeidlich weiſſagten.","norm":"Frau von * * * lebte die ersten Jahre ihres Ehestandes mit ihrem Gemahl in dem besten Vernehmen, nur hatten sie das Unglück, dass die Kinder, zu denen einige Mal Hoffnung war, tot zur Welt kamen, und bei dem dritten die Ärzte schon beinahe der Mutter den Tod verkündigten, und ihn bei einem folgenden als ganz unvermeidlich weissagten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2242,"orig":"Man war genöthigt ſich zu entſchließen, man wollte das Eheband nicht aufheben, man befand ſich, bürgerlich genommen, zu wohl.","norm":"Man war genötigt sich zu entschließen, man wollte das Eheband nicht aufheben, man befand sich, bürgerlich genommen, zu wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2243,"orig":"Frau von * * * ſuchte in der Ausbildung ihres Geiſtes, in einer gewiſſen Repräſentation, in den Freuden der Eitelkeit, eine Art von Entſchädigung für das Mutterglück, das ihr verſagt war.","norm":"Frau von * * * suchte in der Ausbildung ihres Geistes, in einer gewissen Repräsentation, in den Freuden der Eitelkeit, eine Art von Entschädigung für das Mutterglück, das ihr versagt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2244,"orig":"Sie ſah ihrem Gemahl mit ſehr viel Heiterkeit nach, als er Neigung zu einem Frauenzimmer faßte, welche die ganze Haushaltung verſah, eine ſchöne Geſtalt und einen ſehr ſoliden Charakter hatte.","norm":"Sie sah ihrem Gemahl mit sehr viel Heiterkeit nach, als er Neigung zu einem Frauenzimmer fasste, welche die ganze Haushaltung versah, eine schöne Gestalt und einen sehr soliden Charakter hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2245,"orig":"Frau von * * * bot nach kurzer Zeit einer Einrichtung ſelbſt die Hände, nach welcher das gute Mädchen ſich Thereſens Vater überließ, in der Beſorgung des Hausweſens fortfuhr und gegen die Frau vom Hauſe faſt noch mehr Dienſtfertigkeit und Ergebung als vorher bezeigte.","norm":"Frau von * * * bot nach kurzer Zeit einer Einrichtung selbst die Hände, nach welcher das gute Mädchen sich Theresens Vater überließ, in der Besorgung des Hauswesens fortfuhr und gegen die Frau vom Hause fast noch mehr Dienstfertigkeit und Ergebung als vorher bezeigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2246,"orig":"Nach einiger Zeit erklärte ſie ſich guter Hoffnung, und die beyden Eheleute kamen bey dieſer Gelegenheit, ob wohl aus ganz verſchiedenen Anläſſen, auf einerley Gedanken.","norm":"Nach einiger Zeit erklärte sie sich guter Hoffnung, und die beiden Eheleute kamen bei dieser Gelegenheit, obwohl aus ganz verschiedenen Anlässen, auf einerlei Gedanken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2247,"orig":"Herr von * * * wünſchte das Kind ſeiner Geliebten als ſein rechtmäßiges im Hauſe einzuführen, und Frau von * * *, verdrießlich, daß durch die Indiſcretion ihres Arztes ihr Zuſtand in der Nachbarſchaft hatte verlauten wollen, dachte durch ein untergeſchobenes Kind ſich wieder in Anſehn zu ſetzen, und durch eine ſolche Nachgiebigkeit ein Übergewicht im Hauſe zu erhalten, das ſie unter den übrigen Umſtänden zu verliehren fürchtete.","norm":"Herr von * * * wünschte das Kind seiner Geliebten als sein rechtmäßiges im Hause einzuführen, und Frau von * * *, verdrießlich, dass durch die Indiskretion ihres Arztes ihr Zustand in der Nachbarschaft hatte verlauten wollen, dachte durch ein untergeschobenes Kind sich wieder in Ansehen zu setzen, und durch eine solche Nachgiebigkeit ein Übergewicht im Hause zu erhalten, das sie unter den übrigen Umständen zu verlieren fürchtete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2248,"orig":"Sie war zurückhaltender als ihr Gemahl, ſie merkte ihm ſeinen Wunſch ab, und wußte, ohne ihm entgegen zu gehn, eine Erklärung zu erleichtern.","norm":"Sie war zurückhaltender als ihr Gemahl, sie merkte ihm seinen Wunsch ab, und wusste, ohne ihm entgegenzugehen, eine Erklärung zu erleichtern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2249,"orig":"Sie machte ihre Bedingungen, und erhielt faſt alles, was ſie verlangte, und ſo entſtand das Teſtament, worin ſo wenig für das Kind geſorgt zu ſeyn ſchien.","norm":"Sie machte ihre Bedingungen, und erhielt fast alles, was sie verlangte, und so entstand das Testament, worin so wenig für das Kind gesorgt zu sein schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2250,"orig":"Der alte Arzt war geſtorben, man wendete ſich an einen jungen, thätigen, geſcheuten Mann, er ward gut belohnt, und er konnte ſelbſt eine Ehre darin ſuchen, die Unſchicklichkeit und Übereilung ſeines abgeſchiedenen Collegen herauszuſetzen und zu verbeſſern.","norm":"Der alte Arzt war gestorben, man wendete sich an einen jungen, tätigen, gescheiten Mann, er wurde gut belohnt, und er konnte selbst eine Ehre darin suchen, die Unschicklichkeit und Übereilung seines abgeschiedenen Kollegen herauszusetzen und zu verbessern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2251,"orig":"Die wahre Mutter willigte nicht ungern ein, man ſpielte die Verſtellung ſehr gut, Thereſe kam zur Welt, und wurde einer Stiefmutter zugeeignet, indeß ihre wahre Mutter ein Opfer dieſer Verſtellung ward, indem ſie ſich zu früh wieder heraus wagte, ſtarb, und den guten Mann troſtlos hinterließ.","norm":"Die wahre Mutter willigte nicht ungern ein, man spielte die Verstellung sehr gut, Therese kam zur Welt, und wurde einer Stiefmutter zugeeignet, indes ihre wahre Mutter ein Opfer dieser Verstellung wurde, indem sie sich zu früh wieder herauswagte, starb, und den guten Mann trostlos hinterließ."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2252,"orig":"Frau von * * * hatte indeſſen ganz ihre Abſicht erreicht, ſie hatte vor den Augen der Welt ein liebenswürdiges Kind, mit dem ſie übertrieben paradirte, ſie war zugleich eine Nebenbuhlerinn los geworden, deren Verhältniß ſie denn doch mit neidiſchen Augen anſah, und deren Einfluß ſie, für die Zukunft wenigſtens, heimlich fürchtete, ſie überhäufte das Kind mit Zärtlichkeit, und wußte ihren Gemahl, in vertraulichen Stunden, durch eine ſo lebhafte Theilnahme an ſeinem Verluſt dergeſtalt an ſich zu ziehen, daß er ſich ihr, man kann wohl ſagen, ganz ergab, ſein Glück und das Glück ihres Kindes in ihre Hände legte, und kaum kurze Zeit vor ſeinem Tode, und noch gewiſſermaßen nur durch ſeine erwachſene Tochter, wieder Herr im Hauſe ward.","norm":"Frau von * * * hatte indessen ganz ihre Absicht erreicht, sie hatte vor den Augen der Welt ein liebenswürdiges Kind, mit dem sie übertrieben paradierte, sie war zugleich eine Nebenbuhlerin losgeworden, deren Verhältnis sie denn doch mit neidischen Augen ansah, und deren Einfluss sie, für die Zukunft wenigstens, heimlich fürchtete, sie überhäufte das Kind mit Zärtlichkeit, und wusste ihren Gemahl, in vertraulichen Stunden, durch eine so lebhafte Teilnahme an seinem Verlust dergestalt an sich zu ziehen, dass er sich ihr, man kann wohl sagen, ganz ergab, sein Glück und das Glück ihres Kindes in ihre Hände legte, und kaum kurze Zeit vor seinem Tode, und noch gewissermaßen nur durch seine erwachsene Tochter, wieder Herr im Hause wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2253,"orig":"Das war, ſchöne Thereſe, das Geheimniß, daß Ihnen Ihr kranker Vater wahrſcheinlich ſo gern entdeckt hätte, das iſts, was ich Ihnen jetzt, eben da der junge Freund, der durch die ſonderbarſte Verknüpfung von der Welt Ihr Bräutigam geworden iſt, in der Geſellſchaft fehlt, umſtändlich vorlegen wollte.","norm":"Das war, schöne Therese, das Geheimnis, dass Ihnen Ihr kranker Vater wahrscheinlich so gern entdeckt hätte, das ist es, was ich Ihnen jetzt, eben da der junge Freund, der durch die sonderbarste Verknüpfung von der Welt Ihr Bräutigam geworden ist, in der Gesellschaft fehlt, umständlich vorlegen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2254,"orig":"Hier ſind die Papiere, die aufs ſtrengſte beweiſen, was ich behauptet habe.","norm":"Hier sind die Papiere, die aufs strengste beweisen, was ich behauptet habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2255,"orig":"Sie werden daraus zugleich erfahren, wie lange ich ſchon dieſer Entdeckung auf der Spur war, und wie ich doch erſt jetzt zur Gewißheit kommen konnte, wie ich nicht wagte, meinem Freund etwas von der Möglichkeit des Glücks zu ſagen, da es ihn zu tief gekränkt haben würde, wenn dieſe Hoffnung zum zweytenmale verſchwunden wäre.","norm":"Sie werden daraus zugleich erfahren, wie lange ich schon dieser Entdeckung auf der Spur war, und wie ich doch erst jetzt zur Gewissheit kommen konnte, wie ich nicht wagte, meinem Freund etwas von der Möglichkeit des Glücks zu sagen, da es ihn zu tief gekränkt haben würde, wenn diese Hoffnung zum zweiten Mal verschwunden wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2256,"orig":"Sie werden Lydiens Argwohn begreifen; denn ich geſtehe gern, daß ich die Neigung unſeres Freundes zu dieſem guten Mädchen keinesweges begünſtigte, ſeitdem ich ſeiner Verbindung mit Thereſen wieder entgegen ſah.","norm":"Sie werden Lydiens Argwohn begreifen; denn ich gestehe gern, dass ich die Neigung unseres Freundes zu diesem guten Mädchen keineswegs begünstigte, seitdem ich seiner Verbindung mit Theresa wieder entgegensah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2257,"orig":"Niemand erwiederte etwas auf dieſe Geſchichte.","norm":"Niemand erwiderte etwas auf diese Geschichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2258,"orig":"Die Frauenzimmer gaben die Papiere nach einigen Tagen zurück, ohne derſelben weiter zu erwähnen.","norm":"Die Frauenzimmer gaben die Papiere nach einigen Tagen zurück, ohne derselben weiter zu erwähnen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2259,"orig":"Man hatte Mittel genug in der Nähe, die Geſellſchaft, wenn ſie beyſammen war, zu beſchäftigen, auch bot die Gegend ſo manche Reize dar, daß man ſich gern darin theils einzeln, theils zuſammen, zu Pferde, zu Wagen oder zu Fuße umſah.","norm":"Man hatte Mittel genug in der Nähe, die Gesellschaft, wenn sie beisammen war, zu beschäftigen, auch bot die Gegend so manche Reize dar, dass man sich gern darin teils einzeln, teils zusammen, zu Pferde, zu Wagen oder zu Fuße umsah."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2260,"orig":"Jarno richtete, bey einer ſolchen Gelegenheit, ſeinen Auftrag an Wilhelmen aus, legte ihm die Papiere vor, ſchien aber weiter keine Entſchließung von ihm zu verlangen.","norm":"Jarno richtete, bei einer solchen Gelegenheit, seinen Auftrag an Wilhelmen aus, legte ihm die Papiere vor, schien aber weiter keine Entschließung von ihm zu verlangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2261,"orig":"In dieſem höchſt ſonderbaren Zuſtand, in dem ich mich befinde, ſagte Wilhelm darauf, brauche ich Ihnen nur das zu wiederholen, was ich gleich Anfangs, in Gegenwart Nataliens, und gewis mit einem reinen Herzen, geſagt habe:","norm":"In diesem höchst sonderbaren Zustand, in dem ich mich befinde, sagte Wilhelm darauf, brauche ich Ihnen nur das zu wiederholen, was ich gleich Anfangs, in Gegenwart Natalies, und gewiss mit einem reinen Herzen, gesagt habe:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2262,"orig":"Lothario und ſeine Freunde können jede Art von Entſagung von mir fordern, ich lege Ihnen hiermit alle meine Anſprüche an Thereſen in die Hand, verſchaffen Sie mir dagegen meine förmliche Entlaſſung.","norm":"Lothario und seine Freunde können jede Art von Entsagung von mir fordern, ich lege Ihnen hiermit alle meine Ansprüche an Theresa in die Hand, verschaffen Sie mir dagegen meine förmliche Entlassung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2263,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2264,"orig":"es bedarf, mein Freund, keines großen Bedenkens mich zu entſchließen.","norm":"es bedarf, mein Freund, keines großen Bedenkens mich zu entschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2265,"orig":"Schon dieſe Tage hab ich gefühlt, daß Thereſe Mühe hat nur einen Schein der Lebhaftigkeit, mit der ſie mich zuerſt hier begrüßte, zu erhalten.","norm":"Schon diese Tage habe ich gefühlt, dass Therese Mühe hat nur einen Schein der Lebhaftigkeit, mit der sie mich zuerst hier begrüßte, zu erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2266,"orig":"Ihre Neigung iſt mir entwendet, oder vielmehr ich habe ſie nie beſeſſen.","norm":"Ihre Neigung ist mir entwendet, oder vielmehr ich habe sie nie besessen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2267,"orig":"Solche Fälle möchten ſich wohl beſſer, nach und nach, unter Schweigen und Erwarten aufklären, verſetzte Jarno, als durch vieles Reden, wodurch immer eine Art von Verlegenheit und Gährung entſteht.","norm":"Solche Fälle möchten sich wohl besser, nach und nach, unter Schweigen und Erwarten aufklären, versetzte Jarno, als durch vieles Reden, wodurch immer eine Art von Verlegenheit und Gärung entsteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2268,"orig":"Ich dächte vielmehr, ſagte Wilhelm, daß gerade dieſer Fall der ruhigſten und der reinſten Entſcheidung fähig ſey.","norm":"Ich dächte vielmehr, sagte Wilhelm, dass gerade dieser Fall der ruhigsten und der reinsten Entscheidung fähig sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2269,"orig":"Man hat mir ſo oft den Vorwurf des Zauderns und der Ungewisheit gemacht; warum will man jetzt, da ich entſchloſſen bin, geradezu einen Fehler, den man an mir tadelte, gegen mich ſelbſt begehn?","norm":"Man hat mir so oft den Vorwurf des Zauderns und der Ungewissheit gemacht; warum will man jetzt, da ich entschlossen bin, geradezu einen Fehler, den man an mir tadelte, gegen mich selbst begehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2270,"orig":"giebt ſich dieWelt nur darum ſo viel Mühe uns zu bilden, um uns fühlen zu laſſen, daß ſie ſich nicht bilden mag?","norm":"gibt sich die Welt nur darum so viel Mühe uns zu bilden, um uns fühlen zu lassen, dass sie sich nicht bilden mag?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2271,"orig":"Ja, gönnen Sie mir recht bald das heitere Gefühl, ein Mißverhältniß los zu werden, in das ich mit den reinſten Geſinnungen von der Welt gerathen bin.","norm":"Ja, gönnen Sie mir recht bald das heitere Gefühl, ein Missverhältnis loszuwerden, in das ich mit den reinsten Gesinnungen von der Welt geraten bin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2272,"orig":"Ohngeachtet dieſer Bitte vergingen einige Tage, in denen er nichts von dieſer Sache hörte, noch auch eine weitere Veränderung an ſeinen Freunden bemerkte, die Unterhaltung war vielmehr bloß allgemein und gleichgültig.","norm":"Ungeachtet dieser Bitte vergingen einige Tage, in denen er nichts von dieser Sache hörte, noch auch eine weitere Veränderung an seinen Freunden bemerkte, die Unterhaltung war vielmehr bloß allgemein und gleichgültig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2273,"orig":"Einſt ſaßen Natalie, Jarno und Wilhelm zuſammen, und Natalie begann:","norm":"Einst saßen Natalie, Jarno und Wilhelm zusammen, und Natalie begann:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2274,"orig":"Sie ſind nachdenklich Jarno, ich kann es Ihnen ſchon einige Zeit abmerken.","norm":"Sie sind nachdenklich Jarno, ich kann es Ihnen schon einige Zeit abmerken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2275,"orig":"Ich bin es, verſetzte der Freund, und ich ſehe ein wichtiges Geſchäft vor mir, das bey uns ſchon lange vorbereitet iſt, und jetzt wohl angegriffen werden muß.","norm":"Ich bin es, versetzte der Freund, und ich sehe ein wichtiges Geschäft vor mir, das bei uns schon lange vorbereitet ist, und jetzt wohl angegriffen werden muss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2276,"orig":"Sie wiſſen ſchon etwas im Allgemeinen davon, und ich darf wohl vor unſerm jungen Freunde davon reden, weil es auf ihm ankommen ſoll, ob er Theil daran zu nehmen Luſt hat.","norm":"Sie wissen schon etwas im Allgemeinen davon, und ich darf wohl vor unserem jungen Freunde davon reden, weil es auf ihn ankommen soll, ob er Teil daran zu nehmen Lust hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2277,"orig":"Sie werden mich nicht lange mehr ſehen, denn ich bin im Begriff nach Amerika überzuſchiffen.","norm":"Sie werden mich nicht lange mehr sehen, denn ich bin im Begriff nach Amerika überzuschiffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2278,"orig":"Nach Amerika?","norm":"Nach Amerika?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2279,"orig":"verſetzte Wilhelm lächelnd; ein ſolches Abentheuer hätte ich nicht von Ihnen erwartet, noch weniger daß Sie mich zum Gefährten ausſehen würden.","norm":"versetzte Wilhelm lächelnd; ein solches Abenteuer hätte ich nicht von Ihnen erwartet, noch weniger dass Sie mich zum Gefährten ausersehen würden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2280,"orig":"Wenn Sie unſern Plan ganz kennen, verſetzte Jarno, ſo werden Sie ihm einen beſſern Nahmen geben, und vielleicht für ihn eingenommen werden.","norm":"Wenn Sie unseren Plan ganz kennen, versetzte Jarno, so werden Sie ihm einen besseren Namen geben, und vielleicht für ihn eingenommen werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2281,"orig":"Hören Sie mich an.","norm":"Hören Sie mich an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2282,"orig":"Man darf nur ein wenig mit den Welthändeln bekannt ſeyn, um zu bemerken, daß uns große Veränderungen bevorſtehn, und daß die Beſitzthümer beynah nirgends mehr recht ſicher ſind.","norm":"Man darf nur ein wenig mit den Welthändeln bekannt sein, um zu bemerken, dass uns große Veränderungen bevorstehen, und dass die Besitztümer beinahe nirgends mehr recht sicher sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2283,"orig":"Ich habe keinen deutlichen Begriff von den Welthändeln, fiel Willhelm ein, und habe mich erſt vor kurzen um meine Beſitzthümer bekümmert.","norm":"Ich habe keinen deutlichen Begriff von den Welthändeln, fiel Wilhelm ein, und habe mich erst vor kurzem um meine Besitztümer bekümmert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2284,"orig":"Vielleicht hätte ich wohl gethan, ſie mir noch länger aus dem Sinne zu ſchlagen, da ich bemerken muß, daß die Sorge für ihre Erhaltung ſo hypochondriſch macht.","norm":"Vielleicht hätte ich wohl getan, sie mir noch länger aus dem Sinne zu schlagen, da ich bemerken muss, dass die Sorge für ihre Erhaltung so hypochondrisch macht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2285,"orig":"Hören Sie mich aus, ſagte Jarno, die Sorge geziemt dem Alter, damit die Jugend eine Zeit lang ſorglos ſeyn könne.","norm":"Hören Sie mich aus, sagte Jarno, die Sorge geziemt dem Alter, damit die Jugend eine Zeitlang sorglos sein könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2286,"orig":"Das Gleichgewicht in den menſchlichen Handlungen kann leider nur durch Gegenſätze hergeſtellt werden.","norm":"Das Gleichgewicht in den menschlichen Handlungen kann leider nur durch Gegensätze hergestellt werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2287,"orig":"Es iſt gegenwärtig nichts weniger als räthlich, nur an Einem Ort zu beſitzen, nur Einem Platze ſein Geld anzuvertrauen, und es iſt wieder ſchwer an vielen Orten Aufſicht darüber zu führen; wir haben uns deswegen etwas anders ausgedacht, aus unſerm alten Thurm ſoll eine Societät ausgehen, die ſich in alle Theile der Welt ausbreiten, in die man aus jedem Theile der Welt eintreten kann.","norm":"Es ist gegenwärtig nichts weniger als rätlich, nur an einem Ort zu besitzen, nur einem Platze sein Geld anzuvertrauen, und es ist wieder schwer an vielen Orten Aufsicht darüber zu führen; wir haben uns deswegen etwas anders ausgedacht, aus unserem alten Turm soll eine Sozietät ausgehen, die sich in alle Teile der Welt ausbreiten, in die man aus jedem Teile der Welt eintreten kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2288,"orig":"Wir aſſecuriren uns unter einander unſere Exiſtenz, auf den einzigen Fall, daß eine Staatsrevolution den einen oder den andern von ſeinen Beſitzthümern völlig vertriebe.","norm":"Wir assekurieren uns untereinander unsere Existenz, auf den einzigen Fall, dass eine Staatsrevolution den einen oder den anderen von seinen Besitztümern völlig vertriebe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2289,"orig":"Ich gehe nun hinüber nach Amerika, um die guten Verhältniſſe zu benutzen, die ſich unſer Freund bey ſeinem dortigen Aufenthalt gemacht hat.","norm":"Ich gehe nun hinüber nach Amerika, um die guten Verhältnisse zu benutzen, die sich unser Freund bei seinem dortigen Aufenthalt gemacht hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2290,"orig":"Der Abbé will nach Rußland gehn, und Sie ſollen die Wahl haben, wenn Sie ſich an uns anſchließen wollen, ob Sie Lothario in Deutſchland beyſtehn, oder mit mir gehen wollen.","norm":"Der Abbé will nach Russland gehen, und Sie sollen die Wahl haben, wenn Sie sich an uns anschließen wollen, ob Sie Lothario in Deutschland beistehen, oder mit mir gehen wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2291,"orig":"Ich dächte Sie wählten das letzte.","norm":"Ich dächte Sie wählten das Letzte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2292,"orig":"Denn eine große Reiſe zu thun iſt für einen jungen Mann äußerſt nützlich.","norm":"Denn eine große Reise zu tun ist für einen jungen Mann äußerst nützlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2293,"orig":"Wilhelm nahm ſich zuſammen und antwortete:","norm":"Wilhelm nahm sich zusammen und antwortete:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2294,"orig":"Der Antrag iſt aller Überlegung werth, denn mein Wahlſpruch wird doch nächſtens ſeyn; je weiter weg, je beſſer!","norm":"Der Antrag ist aller Überlegung wert, denn mein Wahlspruch wird doch nächstens sein; je weiter weg, je besser!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2295,"orig":"Sie werden mich, hoffe ich, mit Ihrem Plane näher bekannt machen.","norm":"Sie werden mich, hoffe ich, mit Ihrem Plane näher bekannt machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2296,"orig":"Es kann von meiner Unbekanntſchaft mit der Welt herrühren; mir ſcheinen aber einer ſolchen Verbindung ſich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen zu ſetzen.","norm":"Es kann von meiner Unbekanntschaft mit der Welt herrühren; mir scheinen aber einer solchen Verbindung sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenzusetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2297,"orig":"Davon ſich die meiſten nur dadurch heben werden, verſetzte Jarno, daß unſerer bis jetzt nur wenig ſind, redliche, geſcheute und entſchloſſene Leute, die einen gewiſſen, allgemeinen Sinn haben, aus dem allein der geſellige Sinn entſtehen kann.","norm":"Davon sich die meisten nur dadurch heben werden, versetzte Jarno, dass unserer bis jetzt nur wenig sind, redliche, gescheite und entschlossene Leute, die einen gewissen, allgemeinen Sinn haben, aus dem allein der gesellige Sinn entstehen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2298,"orig":"Friedrich, der bisher nur zugehört hatte, verſetzte darauf: und wenn Ihr mir ein gutes Wort gebt, gehe ich auch mit.","norm":"Friedrich, der bisher nur zugehört hatte, versetzte darauf: und wenn Ihr mir ein gutes Wort gebt, gehe ich auch mit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2299,"orig":"Jarno ſchüttelte den Kopf.","norm":"Jarno schüttelte den Kopf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2300,"orig":"Nun, was habt Ihr an mir auszuſetzen?","norm":"Nun, was habt Ihr an mir auszusetzen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2301,"orig":"fuhr Friedrich fort.","norm":"fuhr Friedrich fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2302,"orig":"Bey einer neuen Colonie werden auch junge Coloniſten erfordert, und die bring ich gleich mit; auch luſtige Coloniſten, das verſichre ich Euch.","norm":"Bei einer neuen Kolonie werden auch junge Kolonisten erfordert, und die bringe ich gleich mit; auch lustige Kolonisten, das versichere ich Euch."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2303,"orig":"Und dann wüßte ich noch ein gutes junges Mädchen, das hierüber nicht mehr am Platz iſt, die ſüße reizende Lydie.","norm":"Und dann wüsste ich noch ein gutes junges Mädchen, das hierüber nicht mehr am Platz ist, die süße reizende Lydie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2304,"orig":"Wo ſoll das arme Kind mit ſeinem Schmerz und Jammer hin, wenn ſie ihn nicht gelegentlich in die Tiefe des Meeres werfen kann, und wenn ſich nicht ein braver Mann ihrer annimmt?","norm":"Wo soll das arme Kind mit seinem Schmerz und Jammer hin, wenn sie ihn nicht gelegentlich in die Tiefe des Meeres werfen kann, und wenn sich nicht ein braver Mann ihrer annimmt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2305,"orig":"Ich dächte mein Jugendfreund, da Ihr doch im Gange ſeyd, Verlaſſene zu tröſten, Ihr entſchlößt Euch!","norm":"Ich dächte mein Jugendfreund, da Ihr doch im Gange seid, Verlassene zu trösten, Ihr entschlößt Euch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2306,"orig":"jeder nähme ſein Mädchen unter den Arm, und wir folgten dem alten Herrn.","norm":"jeder nähme sein Mädchen unter den Arm, und wir folgten dem alten Herrn."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2307,"orig":"Dieſer Antrag verdroß Wilhelmen.","norm":"Dieser Antrag verdross Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2308,"orig":"Er antwortete mit verſtellter Ruhe: weiß ich doch nicht einmal ob ſie frey iſt, und da ich überhaupt im Werben nicht glücklich zu ſeyn ſcheine, ſo möchte ich einen ſolchen Verſuch nicht machen.","norm":"Er antwortete mit verstellter Ruhe: Weiß ich doch nicht einmal ob sie frei ist, und da ich überhaupt im Werben nicht glücklich zu sein scheine, so möchte ich einen solchen Versuch nicht machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2309,"orig":"Natalie ſagte darauf:","norm":"Natalie sagte darauf:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2310,"orig":"Bruder Friedrich Du glaubſt, weil Du für Dich ſo leichtſinnig handelſt, auch für andere gelte Deine Geſinnung.","norm":"Bruder Friedrich Du glaubst, weil Du für Dich so leichtsinnig handelst, auch für andere gelte Deine Gesinnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2311,"orig":"Unſer Freund verdient ein weibliches Herz, das ihm ganz angehöre, das nicht an ſeiner Seite von fremden Erinnerungen bewegt werde; nur mit einem höchſt vernünftigen und reinen Charakter, wie Thereſens, war ein Wageſtück dieſer Art zu rathen.","norm":"Unser Freund verdient ein weibliches Herz, das ihm ganz angehöre, das nicht an seiner Seite von fremden Erinnerungen bewegt werde; nur mit einem höchst vernünftigen und reinen Charakter, wie Theresens, war ein Wagestück dieser Art zu raten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2312,"orig":"Was Wageſtück!","norm":"Was Wagestück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2313,"orig":"rief Friedrich.","norm":"rief Friedrich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2314,"orig":"In der Liebe iſt alles Wageſtück.","norm":"In der Liebe ist alles Wagestück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2315,"orig":"Unter der Laube, oder vor dem Altar, mit Umarmungen, oder goldenen Ringen, beym Geſange der Heimchen oder bey Trompeten und Pauken; es iſt alles nur ein Wageſtück, und der Zufall thut alles.","norm":"Unter der Laube, oder vor dem Altar, mit Umarmungen, oder goldenen Ringen, beim Gesange der Heimchen oder bei Trompeten und Pauken; es ist alles nur ein Wagestück, und der Zufall tut alles."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2316,"orig":"Ich habe immer geſehen, verſetzte Natalie, daß unſere Grundſätze nur ein Supplement zu unſern Exiſtenzen ſind.","norm":"Ich habe immer gesehen, versetzte Natalie, dass unsere Grundsätze nur ein Supplement zu unseren Existenzen sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2317,"orig":"Wir hängen unſern Fehlern gar zu gern das Gewand eines gültigen Geſetzes um.","norm":"Wir hängen unseren Fehlern gar zu gern das Gewand eines gültigen Gesetzes um."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2318,"orig":"Gieb nur Acht, welchen Weg Dich die Schöne noch führen wird, die Dich auf eine ſo gewaltſame Weiſe angezogen hat und feſt hält.","norm":"Gib nur Acht, welchen Weg Dich die Schöne noch führen wird, die Dich auf eine so gewaltsame Weise angezogen hat und festhält."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2319,"orig":"Sie iſt ſelbſt auf einem ſehr guten Wege, verſetzte Friedrich, auf dem Wege zur Heiligkeit.","norm":"Sie ist selbst auf einem sehr guten Wege, versetzte Friedrich, auf dem Wege zur Heiligkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2320,"orig":"Es iſt freylich ein Umweg, aber deſto luſtiger und ſichrer;","norm":"Es ist freilich ein Umweg, aber desto lustiger und sicherer;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2321,"orig":"Maria von Magdala iſt ihn auch gegangen, und wer weiß wie viel andere.","norm":"Maria von Magdala ist ihn auch gegangen, und wer weiß wie viel andere."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2322,"orig":"Überhaupt, Schweſter, wenn von Liebe die Rede iſt, ſollteſt Du Dich gar nicht drein miſchen.","norm":"Überhaupt, Schwester, wenn von Liebe die Rede ist, solltest Du Dich gar nicht drein mischen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2323,"orig":"Ich glaube Du heiratheſt nicht eher, als bis einmal irgendwo eine Braut fehlt, und Du giebſt Dich alsdann, nach Deiner gewohnten Gutherzigkeit, auch als Supplement irgend einer Exiſtenz hin.","norm":"Ich glaube Du heiratest nicht eher, als bis einmal irgendwo eine Braut fehlt, und Du gibst Dich alsdann, nach Deiner gewohnten Gutherzigkeit, auch als Supplement irgendeiner Existenz hin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2324,"orig":"Alſo laß uns nur jetzt, mit dieſem Seelenverkäufer da, unſern Handel ſchließen, und über unſere Reiſegeſellſchaft einig werden.","norm":"Also lass uns nur jetzt, mit diesem Seelenverkäufer da, unseren Handel schließen, und über unsere Reisegesellschaft einig werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2325,"orig":"Sie kommen mit Ihren Vorſchlägen zu ſpät, ſagte Jarno, für Lydien iſt geſorgt.","norm":"Sie kommen mit Ihren Vorschlägen zu spät, sagte Jarno, für Lydien ist gesorgt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2326,"orig":"Und wie?","norm":"Und wie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2327,"orig":"fragte Friedrich.","norm":"fragte Friedrich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2328,"orig":"Ich habe ihr ſelbſt meine Hand angeboten, verſetzte Jarno.","norm":"Ich habe ihr selbst meine Hand angeboten, versetzte Jarno."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2329,"orig":"Alter Herr, ſagte Friedrich, da macht Ihr einen Streich, zu dem man, wenn man ihn als ein Subſtantivum betrachtet, verſchiedene Adjectiva, und folglich, wenn man ihn als Subject betrachtet, verſchiedene Prädicate finden könnte.","norm":"Alter Herr, sagte Friedrich, da macht Ihr einen Streich, zu dem man, wenn man ihn als ein Substantivum betrachtet, verschiedene Adjektive, und folglich, wenn man ihn als Subjekt betrachtet, verschiedene Prädikate finden könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2330,"orig":"Ich muß aufrichtig geſtehen, verſetzte Natalie, es iſt ein gefährlicher Verſuch, ſich ein Mädchen zuzueignen, in dem Augenblicke, da ſie aus Liebe zu einem andern verzweifelt.","norm":"Ich muss aufrichtig gestehen, versetzte Natalie, es ist ein gefährlicher Versuch, sich ein Mädchen zuzueignen, in dem Augenblicke, da sie aus Liebe zu einem anderen verzweifelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2331,"orig":"Ich habe es gewagt, verſetzte Jarno, ſie wird unter einer gewiſſen Bedingung mein.","norm":"Ich habe es gewagt, versetzte Jarno, sie wird unter einer gewissen Bedingung mein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2332,"orig":"Und, glauben Sie mir, es iſt in der Welt nichts ſchätzbarer als ein Herz, das der Liebe und der Leidenſchaft fähig iſt.","norm":"Und, glauben Sie mir, es ist in der Welt nichts schätzbarer als ein Herz, das der Liebe und der Leidenschaft fähig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2333,"orig":"Ob es geliebt habe?","norm":"Ob es geliebt habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2334,"orig":"ob es noch liebe?","norm":"ob es noch liebe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2335,"orig":"Darauf kommt es nicht an.","norm":"Darauf kommt es nicht an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2336,"orig":"Die Liebe, mit der ein anderer geliebt wird, iſt mir beynah reizender als die, mit der ich geliebt werden könnte; ich ſehe die Kraft, die Gewalt eines ſchönen Herzens, ohne daß die Eigenliebe mir den reinen Anblick trübt.","norm":"Die Liebe, mit der ein anderer geliebt wird, ist mir beinahe reizender als die, mit der ich geliebt werden könnte; ich sehe die Kraft, die Gewalt eines schönen Herzens, ohne dass die Eigenliebe mir den reinen Anblick trübt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2337,"orig":"Haben Sie Lydien in dieſen Tagen ſchon geſprochen?","norm":"Haben Sie Lydien in diesen Tagen schon gesprochen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2338,"orig":"verſetzte Natalie.","norm":"versetzte Natalie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2339,"orig":"Jarno nickte lächelnd, Natalie ſchüttelte den Kopf und ſagte, indem ſie aufſtand: ich weiß bald nicht mehr, was ich aus Euch machen ſoll, aber mich ſollt Ihr gewiß nicht irre machen.","norm":"Jarno nickte lächelnd, Natalie schüttelte den Kopf und sagte, indem sie aufstand: Ich weiß bald nicht mehr, was ich aus Euch machen soll, aber mich sollt Ihr gewiss nicht irremachen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2340,"orig":"Sie wollte ſich eben entfernen, als der Abbé mit einem Brief in der Hand hereintrat, und zu ihr ſagte: bleiben Sie!","norm":"Sie wollte sich eben entfernen, als der Abbé mit einem Brief in der Hand hereintrat, und zu ihr sagte: Bleiben Sie!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2341,"orig":"ich habe hier einen Vorſchlag, bey dem Ihr Rath willkommen ſeyn wird.","norm":"ich habe hier einen Vorschlag, bei dem Ihr Rat willkommen sein wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2342,"orig":"Der Markeſe, der Freund Ihres verſtorbenen Oheims, den wir ſeit einiger Zeit erwarten, muß in dieſen Tagen hier ſeyn.","norm":"Der Marchese, der Freund Ihres verstorbenen Oheims, den wir seit einiger Zeit erwarten, muss in diesen Tagen hier sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2343,"orig":"Er ſchreibt mir, daß ihm doch die deutſche Sprache nicht ſo geläufig ſey, als er geglaubt, daß er eines Geſellſchafters bedürfe, der ſie vollkommen nebſt einigen andern beſitze; da er mehr wünſche in wiſſenſchaftliche als politiſche Verbindungen zu treten, ſo ſey ihm ein ſolcher Dolmetſcher unentbehrlich.","norm":"Er schreibt mir, dass ihm doch die deutsche Sprache nicht so geläufig sei, als er geglaubt, dass er eines Gesellschafters bedürfe, der sie vollkommen nebst einigen anderen besitze; da er mehr wünsche in wissenschaftliche als politische Verbindungen zu treten, so sei ihm ein solcher Dolmetscher unentbehrlich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2344,"orig":"Ich wüßte niemand geſchickter dazu als unſern jungen Freund.","norm":"Ich wüsste niemand geschickter dazu als unseren jungen Freund."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2345,"orig":"Er kennt die Sprache, iſt ſonſt in vielem unterrichtet, und es wird für ihn ſelbſt ein großer Vortheil ſeyn, in ſo guter Geſellſchaft und unter ſo vortheilhaften Umſtänden Deutſchland zu ſehen.","norm":"Er kennt die Sprache, ist sonst in vielem unterrichtet, und es wird für ihn selbst ein großer Vorteil sein, in so guter Gesellschaft und unter so vorteilhaften Umständen Deutschland zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2346,"orig":"Wer ſein Vaterland nicht kennt, hat keinen Maaßſtab für fremde Länder.","norm":"Wer sein Vaterland nicht kennt, hat keinen Maßstab für fremde Länder."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2347,"orig":"Was ſagen Sie, meine Freunde?","norm":"Was sagen Sie, meine Freunde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2348,"orig":"was ſagen Sie, Natalie?","norm":"was sagen Sie, Natalie?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2349,"orig":"Niemand wußte gegen den Antrag etwas einzuwenden.","norm":"Niemand wusste gegen den Antrag etwas einzuwenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2350,"orig":"Jarno ſchien ſeinen Vorſchlag, nach Amerika zu reiſen, ſelbſt als kein Hinderniß anzuſehn, indem er ohnehin nicht ſogleich aufbrechen würde.","norm":"Jarno schien seinen Vorschlag, nach Amerika zu reisen, selbst als kein Hindernis anzusehen, indem er ohnehin nicht sogleich aufbrechen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2351,"orig":"Natalie ſchwieg, und Friedrich führte verſchiedene Sprüchwörter über den Nutzen des Reiſens an.","norm":"Natalie schwieg, und Friedrich führte verschiedene Sprichwörter über den Nutzen des Reisens an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2352,"orig":"Wilhelm war über dieſen neuen Vorſchlag im Herzen ſo entrüſtet, daß er es kaum verbergen konnte.","norm":"Wilhelm war über diesen neuen Vorschlag im Herzen so entrüstet, dass er es kaum verbergen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2353,"orig":"Er ſah eine Verabredung, ihn bald möglichſt los ſeyn zu wollen, nur gar zu deutlich, und was das ſchlimmſte war, man ließ ſie ſo offenbar, ſo ganz ohne Schonung ſehen.","norm":"Er sah eine Verabredung, ihn baldmöglichst los sein zu wollen, nur gar zu deutlich, und was das Schlimmste war, man ließ sie so offenbar, so ganz ohne Schonung sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2354,"orig":"Auch der Verdacht, den Lydie bey ihm erregt, alles, was er ſelbſt erfahren hatte, wurde wieder aufs neue vor ſeiner Seele lebendig, und die natürliche Art, wie Jarno ihm alles ausgelegt hatte, ſchien ihm auch nur eine künſtliche Darſtellung zu ſeyn","norm":"Auch der Verdacht, den Lydie bei ihm erregt, alles, was er selbst erfahren hatte, wurde wieder aufs neue vor seiner Seele lebendig, und die natürliche Art, wie Jarno ihm alles ausgelegt hatte, schien ihm auch nur eine künstliche Darstellung zu sein"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2355,"orig":"Er nahm ſich zuſammen und antwortete:","norm":"Er nahm sich zusammen und antwortete:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2356,"orig":"Dieſer Antrag verdient allerdings eine reifliche Überlegung.","norm":"Dieser Antrag verdient allerdings eine reifliche Überlegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2357,"orig":"Eine geſchwinde Entſchließung möchte nöthig ſeyn, verſetzte der Abbé.","norm":"Eine geschwinde Entschließung möchte nötig sein, versetzte der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2358,"orig":"Dazu bin ich jetzt nicht gefaßt, antwortete Wilhelm.","norm":"Dazu bin ich jetzt nicht gefasst, antwortete Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2359,"orig":"Wir können die Ankunft des Mannes abwarten, und dann ſehen, ob wir zuſammen paſſen.","norm":"Wir können die Ankunft des Mannes abwarten, und dann sehen, ob wir zusammenpassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2360,"orig":"Eine Hauptbedingung aber muß man zum voraus eingehen, daß ich meinen Felix mitnehmen, und ihn überall mit hinführen darf.","norm":"Eine Hauptbedingung aber muss man zum voraus eingehen, dass ich meinen Felix mitnehmen, und ihn überall mit hinführen darf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2361,"orig":"Dieſe Bedingung wird ſchwerlich zugeſtanden werden, verſetzte der Abbé.","norm":"Diese Bedingung wird schwerlich zugestanden werden, versetzte der Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2362,"orig":"Und ich ſehe nicht, rief Wilhelm aus, warum ich mir von irgend einem Menſchen ſollte Bedingungen vorſchreiben laſſen?","norm":"Und ich sehe nicht, rief Wilhelm aus, warum ich mir von irgendeinem Menschen sollte Bedingungen vorschreiben lassen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2363,"orig":"und warum ich, wenn ich einmal mein Vaterland ſehen will, einen Italiener zur Geſellſchaft brauche?","norm":"und warum ich, wenn ich einmal mein Vaterland sehen will, einen Italiener zur Gesellschaft brauche?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2364,"orig":"Weil ein junger Menſch, verſetzte der Abbé, mit einem gewiſſen imponirenden Ernſte, immer Urſache hat ſich anzuſchließen.","norm":"Weil ein junger Mensch, versetzte der Abbé, mit einem gewissen imponierenden Ernste, immer Ursache hat sich anzuschließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2365,"orig":"Wilhelm, der wohl merkte, daß er länger an ſich zu halten nicht im Stande ſey, da ſein Zuſtand nur durch die Gegenwart Nataliens noch einigermaßen gelindert ward, ließ ſich hierauf mit einiger Haſt vernehmen: man vergönne mir nur noch kurze Bedenkzeit, und ich vermuthe es wird ſich geſchwinde entſcheiden, ob ich Urſache habe mich weiter anzuſchließen, oder ob nicht vielmehr Herz und Klugheit mir unwiderſtehlich gebieten, mich von ſo mancherley Banden loszureißen, die mir eine ewige, elende Gefangenſchaft drohen.","norm":"Wilhelm, der wohl merkte, dass er länger an sich zu halten nicht imstande sei, da sein Zustand nur durch die Gegenwart Natalies noch einigermaßen gelindert wurde, ließ sich hierauf mit einiger Hast vernehmen: Man vergönne mir nur noch kurze Bedenkzeit, und ich vermute es wird sich geschwind entscheiden, ob ich Ursache habe mich weiter anzuschließen, oder ob nicht vielmehr Herz und Klugheit mir unwiderstehlich gebieten, mich von so mancherlei Banden loszureißen, die mir eine ewige, elende Gefangenschaft drohen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2366,"orig":"So ſprach er, mit einem lebhaft bewegten Gemüth.","norm":"So sprach er, mit einem lebhaft bewegten Gemüt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2367,"orig":"Ein Blick auf Natalien beruhigte ihn einigermaßen, indem ſich in dieſem leidenſchaftlichen Augenblick, ihre Geſtalt und ihr Werth nur deſto tiefer bey ihm eindrückten.","norm":"Ein Blick auf Natalie beruhigte ihn einigermaßen, indem sich in diesem leidenschaftlichen Augenblick, ihre Gestalt und ihr Wert nur desto tiefer bei ihm eindrückten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2368,"orig":"Ja, ſagte er zu ſich ſelbſt, indem er ſich allein fand, geſtehe dir nur, du liebſt ſie, und du fühlſt wieder, was es heiße, wenn der Menſch mit allen Kräften lieben kann.","norm":"Ja, sagte er zu sich selbst, indem er sich allein fand, gestehe dir nur, du liebst sie, und du fühlst wieder, was es heiße, wenn der Mensch mit allen Kräften lieben kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2369,"orig":"So liebte ich Marianen, und ward ſo ſchrecklich an ihr irre; ich liebte Philinen und mußte ſie verachten.","norm":"So liebte ich Mariane, und wurde so schrecklich an ihr irre; ich liebte Philine und musste sie verachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2370,"orig":"Aurelien achtete ich, und konnte ſie nicht lieben; ich verehrte Thereſen, und die väterliche Liebe nahm die Geſtalt einer Neigung zu ihr an, und jetzt da in deinem Herzen alle Empfindungen zuſammentreffen, die den Menſchen glücklich machen ſollten, jetzt biſt du genöthigt zu fliehen!","norm":"Aurelie achtete ich, und konnte sie nicht lieben; ich verehrte Theresa, und die väterliche Liebe nahm die Gestalt einer Neigung zu ihr an, und jetzt da in deinem Herzen alle Empfindungen zusammentreffen, die den Menschen glücklich machen sollten, jetzt bist du genötigt zu fliehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2371,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2372,"orig":"warum muß ſich zu dieſen Empfindungen, zu dieſen Erkenntniſſen das unüberwindliche Verlangen des Beſitzes geſellen?","norm":"warum muss sich zu diesen Empfindungen, zu diesen Erkenntnissen das unüberwindliche Verlangen des Besitzes gesellen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2373,"orig":"und warum richten, ohne Beſitz, eben dieſe Empfindungen, dieſe Überzeugungen jede andere Art von Glückſeligkeit völlig zu Grunde?","norm":"und warum richten, ohne Besitz, eben diese Empfindungen, diese Überzeugungen jede andere Art von Glückseligkeit völlig zugrunde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2374,"orig":"Werde ich künftig der Sonne und der Welt, der Geſellſchaft oder irgend eines Glücksgutes genießen?","norm":"Werde ich künftig der Sonne und der Welt, der Gesellschaft oder irgendeines Glücksgutes genießen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2375,"orig":"wirſt du nicht immer zu dir ſagen:","norm":"wirst du nicht immer zu dir sagen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2376,"orig":"Natalie iſt nicht da!","norm":"Natalie ist nicht da!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2377,"orig":"und doch wird leider Natalie dir immer gegenwärtig ſeyn.","norm":"und doch wird leider Natalie dir immer gegenwärtig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2378,"orig":"Schließeſt du die Augen, ſo wird ſie ſich dir darſtellen; öfneſt du ſie, ſo wird ſie vor allen Gegenſtänden hinſchweben, wie die Erſcheinung, die ein blendendes Bild im Auge zurück läßt.","norm":"Schließest du die Augen, so wird sie sich dir darstellen; öffnest du sie, so wird sie vor allen Gegenständen hinschweben, wie die Erscheinung, die ein blendendes Bild im Auge zurücklässt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2379,"orig":"War nicht ſchon früher die ſchnell vorübergegangene Geſtalt der Amazone deiner Einbildungskraft immer gegenwärtig?","norm":"War nicht schon früher die schnell vorübergegangene Gestalt der Amazone deiner Einbildungskraft immer gegenwärtig?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2380,"orig":"und du hatteſt ſie nur geſehen, du kannteſt ſie nicht.","norm":"und du hattest sie nur gesehen, du kanntest sie nicht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2381,"orig":"Nun da du ſie kennſt, da du ihr ſo nahe warſt, da ſie ſo vielen Antheil an dir gezeigt hat, nun ſind ihre Eigenſchaften ſo tief in dein Gemüth geprägt, als ihr Bild jemals in deine Sinne.","norm":"Nun da du sie kennst, da du ihr so nahe warst, da sie so vielen Anteil an dir gezeigt hat, nun sind ihre Eigenschaften so tief in dein Gemüt geprägt, als ihr Bild jemals in deine Sinne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2382,"orig":"Ängſtlich iſt es immer zu ſuchen, aber viel ängſtlicher gefunden zu haben und verlaſſen zu müſſen.","norm":"Ängstlich ist es immer zu suchen, aber viel ängstlicher gefunden zu haben und verlassen zu müssen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2383,"orig":"Wornach ſoll ich in der Welt nun weiter fragen?","norm":"Wornach soll ich in der Welt nun weiter fragen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2384,"orig":"wornach ſoll ich mich weiter umſehen?","norm":"wonach soll ich mich weiter umsehen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2385,"orig":"welche Gegend, welche Stadt verwahrt einen Schatz, der dieſem gleich iſt?","norm":"welche Gegend, welche Stadt verwahrt einen Schatz, der diesem gleich ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2386,"orig":"und ich ſoll reiſen, um nur immer das Geringere zu finden?","norm":"und ich soll reisen, um nur immer das Geringere zu finden?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2387,"orig":"Iſt denn das Leben blos wie eine Rennbahn, wo man ſogleich ſchnell wieder umkehren muß, wenn man das äußerſte Ende erreicht hat?","norm":"Ist denn das Leben bloß wie eine Rennbahn, wo man sogleich schnell wieder umkehren muss, wenn man das äußerste Ende erreicht hat?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2388,"orig":"Uns ſteht das Gute, das Vortreffliche nur wie ein feſtes, unverrücktes Ziel da, von dem man ſich eben ſo ſchnell mit raſchen Pferden wieder entfernen muß, als man es erreicht zu haben glaubt, an ſtatt daß jeder andere, der nach irdiſchen Waaren ſtrebt, ſie in den verſchiedenen Himmelsgegenden, oder wohl gar auf der Meſſe und dem Jahrmarkt anſchaffen kann.","norm":"Uns steht das Gute, das Vortreffliche nur wie ein festes, unverrücktes Ziel da, von dem man sich ebenso schnell mit raschen Pferden wieder entfernen muss, als man es erreicht zu haben glaubt, anstatt dass jeder andere, der nach irdischen Waren strebt, sie in den verschiedenen Himmelsgegenden, oder wohl gar auf der Messe und dem Jahrmarkt anschaffen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2389,"orig":"Komm, lieber Knabe!","norm":"Komme, lieber Knabe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2390,"orig":"rief er ſeinem Sohn entgegen, der eben daher geſprungen kam, ſey und bleibe Du mir alles!","norm":"rief er seinem Sohn entgegen, der eben dahergesprungen kam, sei und bleibe Du mir alles!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2391,"orig":"Du warſt mir zum Erſatz Deiner geliebten Mutter gegeben, Du ſollteſt mir die zweyte Mutter erſetzen, die ich Dir beſtimmt hatte, und nun haſt Du noch die größere Lücke auszufüllen.","norm":"Du warst mir zum Ersatz Deiner geliebten Mutter gegeben, Du solltest mir die zweite Mutter ersetzen, die ich Dir bestimmt hatte, und nun hast Du noch die größere Lücke auszufüllen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2392,"orig":"Beſchäftige mein Herz, beſchäftige meinen Geiſt mit Deiner Schönheit, Deiner Liebenswürdigkeit, Deiner Wißbegierde und Deinen Fähigkeiten.","norm":"Beschäftige mein Herz, beschäftige meinen Geist mit Deiner Schönheit, Deiner Liebenswürdigkeit, Deiner Wissbegierde und Deinen Fähigkeiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2393,"orig":"Der Knabe war mit einem neuen Spielwerke beſchäftigt, der Vater ſuchte es ihm beſſer, ordentlicher, zweckmäßiger einzurichten; aber auch in dem Augenblicke verlohr das Kind die Luſt daran.","norm":"Der Knabe war mit einem neuen Spielwerke beschäftigt, der Vater suchte es ihm besser, ordentlicher, zweckmäßiger einzurichten; aber auch in dem Augenblicke verlor das Kind die Lust daran."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2394,"orig":"Du biſt ein wahrer Menſch!","norm":"Du bist ein wahrer Mensch!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2395,"orig":"rief Wilhelm aus, komm mein","norm":"rief Wilhelm aus, komme mein"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2396,"orig":"Sohn!","norm":"Sohn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2397,"orig":"komm mein Bruder, laß uns in der","norm":"komme mein Bruder, lass uns in der"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2398,"orig":"Welt zwecklos hinſpielen, ſo gut wir können.","norm":"Welt zwecklos hinspielen, so gut wir können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2399,"orig":"Sein Entſchluß ſich zu entfernen, das","norm":"Sein Entschluss sich zu entfernen, das"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2400,"orig":"Kind mit ſich zu nehmen, und ſich an den","norm":"Kind mit sich zu nehmen, und sich an den"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2401,"orig":"Gegenſtänden der Welt zu zerſtreuen, war nun ſein feſter Vorſatz.","norm":"Gegenständen der Welt zu zerstreuen, war nun sein fester Vorsatz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2402,"orig":"Er ſchrieb an Wernern, erſuchte ihn um Geld und Creditbriefe, und ſchickte Friedrichs Curier mit dem geſchärften Auftrage weg, bald wieder zu kommen.","norm":"Er schrieb an Wernern, ersuchte ihn um Geld und Kreditbriefe, und schickte Friedrichs Kurier mit dem geschärften Auftrage weg, bald wiederzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2403,"orig":"So ſehr er gegen die übrigen Freunde auch verſtimmt war, ſo rein blieb ſein Verhältniß zu Natalien.","norm":"So sehr er gegen die übrigen Freunde auch verstimmt war, so rein blieb sein Verhältnis zu Natalie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2404,"orig":"Er vertraute ihr ſeine","norm":"Er vertraute ihr seine"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2405,"orig":"Abſicht; auch ſie nahm für bekannt an, daß er gehen könne und müſſe, und wenn ihn auch gleich dieſe ſcheinbare Gleichgültigkeit> an ihr ſchmerzte, ſo beruhigte ihn doch ihre gute Art und ihre Gegenwart vollkommen.","norm":"Absicht; auch sie nahm für bekannt an, dass er gehen könne und müsse, und wenn ihn auch gleich diese scheinbare Gleichgültigkeit> an ihr schmerzte, so beruhigte ihn doch ihre gute Art und ihre Gegenwart vollkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2406,"orig":"Sie rieth ihm verſchiedene Städte zu beſuchen, um dort einige ihrer Freunde und Freundinnen kennen zu lernen.","norm":"Sie riet ihm verschiedene Städte zu besuchen, um dort einige ihrer Freunde und Freundinnen kennenzulernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2407,"orig":"Der Curier kam zurück, brachte was Wilhelm verlangt hatte, obgleich Werner mit dieſem neuen Ausflug nicht zufrieden zu ſeyn ſchien.","norm":"Der Kurier kam zurück, brachte was Wilhelm verlangt hatte, obgleich Werner mit diesem neuen Ausflug nicht zufrieden zu sein schien."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2408,"orig":"Meine Hoffnung, daß Du vernünftig werden würdeſt, ſchrieb dieſer, iſt nun wieder eine gute Weile hinaus geſchoben.","norm":"Meine Hoffnung, dass Du vernünftig werden würdest, schrieb dieser, ist nun wieder eine gute Weile hinausgeschoben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2409,"orig":"Wo ſchweift Ihr nun alle zuſammen herum?","norm":"Wo schweift Ihr nun alle zusammen herum?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2410,"orig":"und wo bleibt denn das Frauenzimmer, zu deſſen wirthſchaftlichem Beyſtande Du mir Hoffnung machteſt?","norm":"und wo bleibt denn das Frauenzimmer, zu dessen wirtschaftlichem Beistande Du mir Hoffnung machtest?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2411,"orig":"Auch die übrigen Freunde ſind nicht gegenwärtig; dem Gerichtshalter und mir iſt das ganze Geſchäft aufgewälzt.","norm":"Auch die übrigen Freunde sind nicht gegenwärtig; dem Gerichtshalter und mir ist das ganze Geschäft aufgewälzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2412,"orig":"Ein Glück, daß er eben ein ſo guter Rechtsmann iſt, als ich ein Finanzman bin, und daß wir beyde etwas zu ſchleppen gewohnt ſind.","norm":"Ein Glück, dass er eben ein so guter Rechtsmann ist, als ich ein Finanzmann bin, und dass wir beide etwas zu schleppen gewohnt sind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2413,"orig":"Lebe wohl.","norm":"Lebe wohl."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2414,"orig":"Deine Ausſchweifungen ſollen Dir verziehen ſeyn, da doch ohne ſie unſer Verhältnis in dieſer Gegend nicht hätte ſo gut werden können.","norm":"Deine Ausschweifungen sollen Dir verziehen sein, da doch ohne sie unser Verhältnis in dieser Gegend nicht hätte so gut werden können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2415,"orig":"Was das Äußere betraf, hätte er nun immer abreiſen können, allein ſein Gemüth war noch durch zwey Hinderniſſe gebunden.","norm":"Was das Äußere betraf, hätte er nun immer abreisen können, allein sein Gemüt war noch durch zwei Hindernisse gebunden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2416,"orig":"Man wollte ihm ein für allemal Mignons Körper nicht zeigen, als bey den Exequien, welche der Abbé zu halten gedachte, zu welcher Feyerlichkeit noch nicht alles bereit war.","norm":"Man wollte ihm ein für allemal Mignons Körper nicht zeigen, als bei den Exequien, welche der Abbé zu halten gedachte, zu welcher Feierlichkeit noch nicht alles bereit war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2417,"orig":"Auch war der Arzt, durch einen ſonderbaren Brief des Landgeiſtlichen, abgerufen worden.","norm":"Auch war der Arzt, durch einen sonderbaren Brief des Landgeistlichen, abgerufen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2418,"orig":"Es betraf den Harfenſpieler, von deſſen Schickſalen Wilhelm näher unterrichtet ſeyn wollte.","norm":"Es betraf den Harfenspieler, von dessen Schicksalen Wilhelm näher unterrichtet sein wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2419,"orig":"In dieſem Zuſtande fand er weder bey Tag noch bey Nacht Ruhe der Seele oder des Körpers.","norm":"In diesem Zustande fand er weder bei Tag noch bei Nacht Ruhe der Seele oder des Körpers."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2420,"orig":"Wenn alles ſchlief, ging er in dem Hauſe hin und her.","norm":"Wenn alles schlief, ging er in dem Hause hin und her."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2421,"orig":"Die Gegenwart der alten bekannten Kunſtwerke zog ihn an, und ſtieß ihn ab.","norm":"Die Gegenwart der alten bekannten Kunstwerke zog ihn an, und stieß ihn ab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2422,"orig":"Er konnte nichts, was ihn umgab, weder ergreifen noch laſſen, alles erinnerte ihn an alles, er überſah den ganzen Ring ſeines Lebens, nur lag er leider zerbrochen vor ihm, und ſchien ſich auf ewig nicht ſchließen zu wollen.","norm":"Er konnte nichts, was ihn umgab, weder ergreifen noch lassen, alles erinnerte ihn an alles, er übersah den ganzen Ring seines Lebens, nur lag er leider zerbrochen vor ihm, und schien sich auf ewig nicht schließen zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2423,"orig":"Dieſe Kunſtwerke, die ſein Vater verkauft hatte, ſchienen ihm ein Symbol, daß auch er von einem ruhigen und gründlichen Beſitz des wünſchenswerthen in der Welt theils ausgeſchloſſen, theils deſſelben durch eigne oder fremde Schuld beraubt werden ſollte.","norm":"Diese Kunstwerke, die sein Vater verkauft hatte, schienen ihm ein Symbol, dass auch er von einem ruhigen und gründlichen Besitz des Wünschenswerten in der Welt teils ausgeschlossen, teils desselben durch eigene oder fremde Schuld beraubt werden sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2424,"orig":"Er verlohr ſich ſo weit in dieſen ſonderbaren und traurigen Betrachtungen, daß er ſich ſelbſt manchmal wie ein Geiſt vorkam, und ſelbſt, wenn er die Dinge außer ſich befühlte und betaſtete, ſich kaum des Zweifels erwehren konnte, ob er denn auch wirklich lebe und da ſey.","norm":"Er verlor sich so weit in diesen sonderbaren und traurigen Betrachtungen, dass er sich selbst manchmal wie ein Geist vorkam, und selbst, wenn er die Dinge außer sich befühlte und betastete, sich kaum des Zweifels erwehren konnte, ob er denn auch wirklich lebe und da sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2425,"orig":"Nur der lebhafte Schmerz, der ihn manchmal ergriff, daß er alles das Gefundene und Wiedergefundene ſo freventlich und doch ſo nothwendig verlaſſen müſſe, nur ſeine Thränen gaben ihm das Gefühl ſeines Daſeyns wieder, vergebens rief er ſich den glücklichen Zuſtand, in dem er ſich doch eigentlich befand, vors Gedächtniß.","norm":"Nur der lebhafte Schmerz, der ihn manchmal ergriff, dass er alles das Gefundene und Wiedergefundene so freventlich und doch so notwendig verlassen müsse, nur seine Tränen gaben ihm das Gefühl seines Daseins wieder, Vergebens rief er sich den glücklichen Zustand, in dem er sich doch eigentlich befand, vors Gedächtnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2426,"orig":"So iſt denn alles nichts!","norm":"So ist denn alles nichts!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2427,"orig":"rief er aus, wenn das Eine fehlt, das dem Menſchen alles übrige werth iſt.","norm":"rief er aus, wenn das Eine fehlt, das dem Menschen alles übrige wert ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2428,"orig":"Der Abbé verkündigte der Geſellſchaft die Ankunft des Markeſe.","norm":"Der Abbé verkündigte der Gesellschaft die Ankunft des Marchese."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2429,"orig":"Sie ſind zwar, wie es ſcheint, ſagte er zu Wilhelmen, mit Ihrem Knaben allein abzureiſen entſchloſſen, lernen Sie jedoch wenigſtens dieſen Mann kennen, der Ihnen, wo Sie ihn auch unterweges antreffen, auf alle Fälle nützlich ſeyn kann.","norm":"Sie sind zwar, wie es scheint, sagte er zu Wilhelm, mit Ihrem Knaben allein abzureisen entschlossen, lernen Sie jedoch wenigstens diesen Mann kennen, der Ihnen, wo Sie ihn auch unterwegs antreffen, auf alle Fälle nützlich sein kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2430,"orig":"Der Markeſe erſchien, es war ein Mann noch nicht hoch in Jahren, eine von den wohlgeſtalteten, gefälligen lombardiſchen Figuren.","norm":"Der Marchese erschien, es war ein Mann noch nicht hoch in Jahren, eine von den wohlgestalteten, gefälligen lombardischen Figuren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2431,"orig":"Er hatte als Jüngling mit dem Oheim, der ſchon um vieles älter war, bey der Armee, dann in Geſchäften Bekanntſchaft gemacht, ſie hatten nachher einen großen Theil von Italien zuſammen durchreiſt, und die Kunſtwerke, die der Markeſe hier wieder fand, waren, zum großen Theil, in ſeiner Gegenwart, und unter manchen glücklichen Umſtänden, deren er ſich noch wohl erinnerte, gekauft und angeſchafft worden.","norm":"Er hatte als Jüngling mit dem Oheim, der schon um vieles älter war, bei der Armee, dann in Geschäften Bekanntschaft gemacht, sie hatten nachher einen großen Teil von Italien zusammen durchreist, und die Kunstwerke, die der Marchese hier wiederfand, waren, zum großen Teil, in seiner Gegenwart, und unter manchen glücklichen Umständen, deren er sich noch wohl erinnerte, gekauft und angeschafft worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2432,"orig":"Der Italiener hat überhaupt ein tieferes Gefühl für die hohe Würde der Kunſt als andere Nationen; jeder, der nur irgend etwas treibt, will Künſtler, Meiſter und Profeſſor heißen, und bekennt wenigſtens durch dieſe Titelſucht, daß es nicht genug ſey nur etwas durch Überlieferung zu erhaſchen, oder durch Übung irgend eine Gewandheit zu erlangen; er geſteht, daß jeder vielmehr über das, was er thut, auch fähig ſeyn ſolle zu denken, Grundſätze aufzuſtellen, und die Urſachen, warum dieſes oder jenes zu thun ſey, ſich ſelbſt und andern deutlich zu machen.","norm":"Der Italiener hat überhaupt ein tieferes Gefühl für die hohe Würde der Kunst als andere Nationen; jeder, der nur irgendetwas treibt, will Künstler, Meister und Professor heißen, und bekennt wenigstens durch diese Titelsucht, dass es nicht genug sei nur etwas durch Überlieferung zu erhaschen, oder durch Übung irgendeine Gewandtheit zu erlangen; er gesteht, dass jeder vielmehr über das, was er tut, auch fähig sein solle zu denken, Grundsätze aufzustellen, und die Ursachen, warum dieses oder jenes zu tun sei, sich selbst und anderen deutlich zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2433,"orig":"Der Fremde ward gerührt, ſo ſchöne Beſitzthümer ohne den Beſitzer wieder zu finden, und erfreut den Geiſt ſeines Freundes aus den vortrefflichen Hinterlaſſenen ſprechen zu hören.","norm":"Der Fremde wurde gerührt, so schöne Besitztümer ohne den Besitzer wiederzufinden, und erfreut den Geist seines Freundes aus den vortrefflichen Hinterlassenen sprechen zu hören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2434,"orig":"Sie gingen die verſchiedenen Werke durch, und fanden eine große Behaglichkeit ſich einander verſtändlich machen zu können.","norm":"Sie gingen die verschiedenen Werke durch, und fanden eine große Behaglichkeit sich einander verständlich machen zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2435,"orig":"Der Markeſe und der Abbé führten das Wort, Natalie, die ſich wieder in die Gegenwart ihres Oheims verſetzt fühlte, wußte ſich ſehr gut in ihre Meinungen und Geſinnungen zu finden.","norm":"Der Marchese und der Abbé führten das Wort, Natalie, die sich wieder in die Gegenwart ihres Oheims versetzt fühlte, wusste sich sehr gut in ihre Meinungen und Gesinnungen zu finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2436,"orig":"Wilhelm mußte ſichs in theatraliſche Terminologie überſetzen, wenn er etwas davon verſtehen ſollte.","norm":"Wilhelm musste sich es in theatralische Terminologie übersetzen, wenn er etwas davon verstehen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2437,"orig":"Man hatte Noth Friedrichs Scherze in Schranken zu halten.","norm":"Man hatte Not Friedrichs Scherze in Schranken zu halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2438,"orig":"Jarno war ſelten zugegen.","norm":"Jarno war selten zugegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2439,"orig":"Bey der Betrachtung, daß vortreffliche Kunſtwerke in der neuern Zeit ſo ſelten ſeyen, ſagte der Markeſe: es läßt ſich nicht leicht denken und überſehen, was die Umſtände für den Künſtler thun müſſen, und dann ſind bey dem größten Genie, bey dem entſcheidenſten Talente noch immer die Forderungen unendlich, die er an ſich ſelbſt zu machen hat, unſäglich der Fleiß, der zu ſeiner Ausbildung nöthig iſt.","norm":"Bei der Betrachtung, dass vortreffliche Kunstwerke in der neueren Zeit so selten seien, sagte der Marchese: Es lässt sich nicht leicht denken und übersehen, was die Umstände für den Künstler tun müssen, und dann sind bei dem größten Genie, bei dem entscheidendsten Talente noch immer die Forderungen unendlich, die er an sich selbst zu machen hat, unsäglich der Fleiß, der zu seiner Ausbildung nötig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2440,"orig":"Wenn nun die Umſtände wenig für ihn thun, wenn er bemerkt, daß die Welt ſehr leicht zu befriedigen iſt, und ſelbſt nur einen leichten, gefälligen, behaglichen Schein begehrt; ſo wäre es zu verwundern, wenn nicht Bequemlichkeit und Eigenliebe ihn bey dem Mittelmäßigen feſt hielten, es wäre ſeltſam, wenn er nicht lieber für Modewaaren Geld und Lob eintauſchen, als den rechten Weg wählen ſollte, der ihn mehr oder weniger zu einem kümmerlichen Märtyrerthum führt.","norm":"Wenn nun die Umstände wenig für ihn tun, wenn er bemerkt, dass die Welt sehr leicht zu befriedigen ist, und selbst nur einen leichten, gefälligen, behaglichen Schein begehrt; so wäre es zu verwundern, wenn nicht Bequemlichkeit und Eigenliebe ihn bei dem Mittelmäßigen festhielten, es wäre seltsam, wenn er nicht lieber für Modewaren Geld und Lob eintauschen, als den rechten Weg wählen sollte, der ihn mehr oder weniger zu einem kümmerlichen Märtyrertum führt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2441,"orig":"Deswegen bieten die Künſtler unſerer Zeit nur immer an, um niemals zu geben.","norm":"Deswegen bieten die Künstler unserer Zeit nur immer an, um niemals zu geben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2442,"orig":"Sie wollen immer reizen, um niemals zu befriedigen; alles iſt nur angedeutet, und man findet nirgends Grund noch Ausführung.","norm":"Sie wollen immer reizen, um niemals zu befriedigen; alles ist nur angedeutet, und man findet nirgends Grund noch Ausführung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2443,"orig":"Man darf aber auch nur eine Zeit lang ruhig in einer Gallerie verweilen, und beobachten, nach welchen Kunſtwerken ſich die Menge zieht, welche geprieſen und welche vernachläßigt werden, ſo hat man wenig Luſt an der Gegenwart, und für die Zukunft wenig Hoffnung.","norm":"Man darf aber auch nur eine Zeitlang ruhig in einer Galerie verweilen, und beobachten, nach welchen Kunstwerken sich die Menge zieht, welche gepriesen und welche vernachlässigt werden, so hat man wenig Lust an der Gegenwart, und für die Zukunft wenig Hoffnung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2444,"orig":"Ja, verſetzte der Abbé, und ſo bilden ſich Liebhaber und Künſtler wechſelsweiſe; der Liebhaber ſucht nur einen allgemeinen unbeſtimmten Genuß, das Kunſtwerk ſoll ihm ohngefähr wie ein Naturwerk behagen, und die Menſchen glauben, die Organe, ein Kunſtwerk zu genießen, bildeten ſich eben ſo von ſelbſt aus, wie die Zunge und der Gaum, man urtheile über ein Kunſtwerk, wie über eine Speiſe, und man begreift nicht, was für einer andern Kultur es bedarf, um ſich zum wahren Kunſtgenuſſe zu erheben.","norm":"Ja, versetzte der Abbé, und so bilden sich Liebhaber und Künstler wechselweise; der Liebhaber sucht nur einen allgemeinen unbestimmten Genuss, das Kunstwerk soll ihm ungefähr wie ein Naturwerk behagen, und die Menschen glauben, die Organe, ein Kunstwerk zu genießen, bildeten sich ebenso von selbst aus, wie die Zunge und der Gaumen, man urteile über ein Kunstwerk, wie über eine Speise, und man begreift nicht, was für einer anderen Kultur es bedarf, um sich zum wahren Kunstgenusse zu erheben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2445,"orig":"Das ſchwerſte finde ich die Art von Abſonderung, die der Menſch in ſich ſelbſt bewirken muß, wenn er ſich überhaupt bilden will, deswegen finden wir ſo viel einſeitige Kulturen, wovon doch jede ſich anmaßt über das Ganze abzuſprechen.","norm":"Das Schwerste finde ich die Art von Absonderung, die der Mensch in sich selbst bewirken muss, wenn er sich überhaupt bilden will, deswegen finden wir so viel einseitige Kulturen, wovon doch jede sich anmaßt über das Ganze abzusprechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2446,"orig":"Was Sie da ſagen, iſt mir nicht ganz deutlich, ſagte Jarno, der eben hinzutrat.","norm":"Was Sie da sagen, ist mir nicht ganz deutlich, sagte Jarno, der eben hinzutrat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2447,"orig":"Auch iſt es ſchwer, verſetzte der Abbé, ſich in der Kürze beſtimmt hierüber zu erklären.","norm":"Auch ist es schwer, versetzte der Abbé, sich in der Kürze bestimmt hierüber zu erklären."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2448,"orig":"Ich ſage nur ſo viel: ſobald der Menſch an mannigfaltige Thätigkeit oder mannigfaltigen Genuß Anſpruch macht, ſo muß er auch fähig ſeyn mannigfaltige Organe an ſich gleichſam unabhängig von einander auszubilden.","norm":"Ich sage nur so viel: sobald der Mensch an mannigfaltige Tätigkeit oder mannigfaltigen Genuss Anspruch macht, so muss er auch fähig sein mannigfaltige Organe an sich gleichsam unabhängig voneinander auszubilden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2449,"orig":"Wer alles und jedes in ſeiner ganzen Menſchheit thun oder genießen will, wer alles außer ſich zu einer ſolchen Art von Genuß verknüpfen will, der wird ſeine Zeit nur mit einem ewig unbefriedigten Streben hinbringen.","norm":"Wer alles und jedes in seiner ganzen Menschheit tun oder genießen will, wer alles außer sich zu einer solchen Art von Genuss verknüpfen will, der wird seine Zeit nur mit einem ewig unbefriedigten Streben hinbringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2450,"orig":"Wie ſchwer iſt es, was ſo natürlich ſcheint, eine gute Natur, ein treffliches Gemählde an und für ſich zu beſchauen, den Geſang um des Geſangs willen zu vernehmen, den Schauſpieler im Schauſpieler zu bewundern, ſich eines Gebäudes um ſeiner eigenen Harmonie und ſeiner Dauer willen zu erfreuen.","norm":"Wie schwer ist es, was so natürlich scheint, eine gute Natur, ein treffliches Gemälde an und für sich zu beschauen, den Gesang um des Gesangs willen zu vernehmen, den Schauspieler im Schauspieler zu bewundern, sich eines Gebäudes um seiner eigenen Harmonie und seiner Dauer Willen zu erfreuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2451,"orig":"Nun ſieht man aber meiſt nur die Menſchen die entſcheidendſten Werke der Kunſt gerade zu behandeln, als wenn es ein weicher Thon wäre.","norm":"Nun sieht man aber meist nur die Menschen die entscheidendsten Werke der Kunst geradezu behandeln, als wenn es ein weicher Ton wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2452,"orig":"Nach ihren Neigungen, Meinungen und Grillen ſoll ſich der gebildete Marmor ſogleich wieder ummodeln, das feſtgemauerte Gebäude ſich ausdehnen oder zuſammenziehen, ein Gemählde ſoll lehren, ein Schauſpieler beſſern und alles ſoll alles werden.","norm":"Nach ihren Neigungen, Meinungen und Grillen soll sich der gebildete Marmor sogleich wieder ummodeln, das festgemauerte Gebäude sich ausdehnen oder zusammenziehen, ein Gemälde soll lehren, ein Schauspieler besseren und alles soll alles werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2453,"orig":"Eigentlich aber weil die meiſten Menſchen ſelbſt formlos ſind, weil ſie ſich und ihrem Weſen ſelbſt keine Geſtalt geben können, ſo arbeiten ſie den Gegenſtänden ihre Geſtalt zu nehmen, damit ja alles loſer und lockrer Stoff werde, wozu ſie auch gehören.","norm":"Eigentlich aber weil die meisten Menschen selbst formlos sind, weil sie sich und ihrem Wesen selbst keine Gestalt geben können, so arbeiten sie den Gegenständen ihre Gestalt zu nehmen, damit ja alles loser und lockerer Stoff werde, wozu sie auch gehören."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2454,"orig":"Alles reduciren ſie zuletzt auf den ſogenannten Effect, alles iſt relativ, und ſo wird auch alles relativ, außer dem Unſinn und der Abgeſchmacktheit, die denn auch ganz abſolut regiert.","norm":"Alles reduzieren sie zuletzt auf den sogenannten Effekt, alles ist relativ, und so wird auch alles relativ, außer dem Unsinn und der Abgeschmacktheit, die denn auch ganz absolut regiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2455,"orig":"Ich verſtehe Sie, verſetzte Jarno, oder vielmehr ich ſehe wohl ein, wie das, was Sie ſagen, mit den Grundſätzen zuſammenhängt, an denen Sie ſo feſt halten; ich kann es aber mit den armen Teufeln von Menſchen unmöglich ſo genau nehmen.","norm":"Ich verstehe Sie, versetzte Jarno, oder vielmehr ich sehe wohl ein, wie das, was Sie sagen, mit den Grundsätzen zusammenhängt, an denen Sie so festhalten; ich kann es aber mit den armen Teufeln von Menschen unmöglich so genau nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2456,"orig":"Ich kenne freylich ihrer genug, die ſich bey den größten Werken der Kunſt und der Natur ſogleich ihres armſeligſten Bedürfniſſes erinnern, ihr Gewiſſen und ihre Moral mit in die Oper nehmen, ihre Liebe und Haß vor einem Säulengange nicht ablegen, und das Beſte und Größte, was ihnen von außen gebracht werden kann, in ihrer Vorſtellungsart erſt möglichſt verkleinern müſſen, um es mit ihrem kümmerlichen Weſen nur einigermaßen verbinden zu können.","norm":"Ich kenne freilich ihrer genug, die sich bei den größten Werken der Kunst und der Natur sogleich ihres armseligsten Bedürfnisses erinnern, ihr Gewissen und ihre Moral mit in die Oper nehmen, ihre Liebe und Hass vor einem Säulengange nicht ablegen, und das Beste und Größte, was ihnen von außen gebracht werden kann, in ihrer Vorstellungsart erst möglichst verkleinern müssen, um es mit ihrem kümmerlichen Wesen nur einigermaßen verbinden zu können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2457,"orig":"Am Abend lud der Abbé zu den Exequien Mignons ein.","norm":"Am Abend lud der Abbé zu den Exequien Mignons ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2458,"orig":"Die Geſellſchaft begab ſich in den Saal der Vergangenheit, und fand denſelben auf das ſonderbarſte erhellt und ausgeſchmückt.","norm":"Die Gesellschaft begab sich in den Saal der Vergangenheit, und fand denselben auf das sonderbarste erhellt und ausgeschmückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2459,"orig":"Mit himmelblauen Teppichen waren die Wände faſt von oben bis unten bekleidet, ſo daß nur Sockel und Frieß hervorſchienen.","norm":"Mit himmelblauen Teppichen waren die Wände fast von oben bis unten bekleidet, so dass nur Sockel und Fries hervorschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2460,"orig":"Auf den vier Candelabern in den Ecken brannten große Wachsfackeln, und ſo nach Verhältnis auf den vier kleinern, die den mittlern Sarkophagen umgaben.","norm":"Auf den vier Kandelabern in den Ecken brannten große Wachsfackeln, und so nach Verhältnis auf den vier kleineren, die den mittleren Sarkophag umgaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2461,"orig":"Neben dieſem ſtanden vier Knaben, himmelblau mit Silber gekleidet, und ſchienen einer Figur, die auf dem Sarkophagen lag, mit breiten Fächern von Straußenfedern Luft zuzuwehn.","norm":"Neben diesem standen vier Knaben, himmelblau mit Silber gekleidet, und schienen einer Figur, die auf dem Sarkophag lag, mit breiten Fächern von Straußenfedern Luft zuzuwehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2462,"orig":"Die Geſellſchaft ſetzte ſich, und zwey unſichtbare Chöre fingen mit holdem Geſang an zu fragen:","norm":"Die Gesellschaft setzte sich, und zwei unsichtbare Chöre fingen mit holdem Gesang an zu fragen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2463,"orig":"Wen bringt ihr uns zur ſtillen Geſellſchaft?","norm":"Wen bringt ihr uns zur stillen Gesellschaft?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2464,"orig":"Die vier Kinder antworteten mit lieblicher Stimme:","norm":"Die vier Kinder antworteten mit lieblicher Stimme:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2465,"orig":"Einen müden Geſpielen bringen wir euch, laßt ihn unter euch ruhen, bis das Jauchzen himmliſcher Geſchwiſter ihn dereinſt wieder aufweckt.","norm":"Einen müden Gespielen bringen wir euch, lasst ihn unter euch ruhen, bis das Jauchzen himmlischer Geschwister ihn dereinst wieder aufweckt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2466,"orig":"Chor.","norm":"Chor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2467,"orig":"Erſtling der Jugend in unſerm Kreiſe, ſey willkommen!","norm":"Erstling der Jugend in unserem Kreise, sei willkommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2468,"orig":"mit Trauer willkommen!","norm":"mit Trauer willkommen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2469,"orig":"Dir folge kein Knabe, kein Mädchen nach!","norm":"Dir folge kein Knabe, kein Mädchen nach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2470,"orig":"Nur das Alter nahe ſich willig und gelaſſen der ſtillen Halle, und in ernſter Geſellſchaft ruhe das liebe, liebe Kind.","norm":"Nur das Alter nahe sich willig und gelassen der stillen Halle, und in ernster Gesellschaft ruhe das liebe, liebe Kind."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2471,"orig":"Knaben.","norm":"Knaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2472,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2473,"orig":"wie ungern brachten wir ihn her!","norm":"wie ungern brachten wir ihn her!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2474,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2475,"orig":"und er ſoll hier bleiben!","norm":"und er soll hier bleiben!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2476,"orig":"laßt uns auch bleiben, laßt uns weinen, weinen an ſeinem Sarge!","norm":"lasst uns auch bleiben, lasst uns weinen, weinen an seinem Sarge!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2477,"orig":"Chor.","norm":"Chor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2478,"orig":"Seht die mächtigen Flügel doch an!","norm":"Seht die mächtigen Flügel doch an!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2479,"orig":"ſeht das leichte reine Gewand!","norm":"seht das leichte reine Gewand!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2480,"orig":"wie blinkt die goldene Binde vom Haupt!","norm":"wie blinkt die goldene Binde vom Haupt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2481,"orig":"ſeht die ſchöne, die würdige Ruh!","norm":"seht die schöne, die würdige Ruhe!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2482,"orig":"Knaben.","norm":"Knaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2483,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2484,"orig":"die Flügel heben ſie nicht, im leichten Spiele flattert das Gewand nicht mehr: als wir mit Roſen kränzten ihr Haupt, blickte ſie hold und freundlich nach uns.","norm":"die Flügel heben sie nicht, im leichten Spiele flattert das Gewand nicht mehr: als wir mit Rosen kränzten ihr Haupt, blickte sie hold und freundlich nach uns."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2485,"orig":"Chor.","norm":"Chor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2486,"orig":"Schaut mit den Augen des Geiſtes hinan!","norm":"Schaut mit den Augen des Geistes hinan!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2487,"orig":"in euch lebe die bildende Kraft, die das Schönſte, das Höchſte hinauf über die Sterne das Leben trägt.","norm":"in euch lebe die bildende Kraft, die das Schönste, das Höchste hinauf über die Sterne das Leben trägt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2488,"orig":"Knaben.","norm":"Knaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2489,"orig":"Aber ach!","norm":"Aber ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2490,"orig":"wir vermiſſen ſie hier, in den Gärten wandelt ſie nicht, ſammelt der Wieſe Blumen nicht mehr.","norm":"wir vermissen sie hier, in den Gärten wandelt sie nicht, sammelt der Wiese Blumen nicht mehr."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2491,"orig":"Laßt uns weinen, wir laſſen ſie hier!","norm":"Lasst uns weinen, wir lassen sie hier!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2492,"orig":"laßt uns weinen und bey ihr bleiben.","norm":"lasst uns weinen und bei ihr bleiben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2493,"orig":"Chor.","norm":"Chor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2494,"orig":"Kinder kehret ins Leben zurück!","norm":"Kinder kehret ins Leben zurück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2495,"orig":"Eure Thränen trockne die friſche Luft, die um das ſchlängelnde Waſſer ſpielt.","norm":"Eure Tränen trockne die frische Luft, die um das schlängelnde Wasser spielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2496,"orig":"Entflieht der Nacht!","norm":"Entflieht der Nacht!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2497,"orig":"Tag und Luſt und Dauer iſt das Loos der Lebendigen.","norm":"Tag und Lust und Dauer ist das Los der Lebendigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2498,"orig":"Knaben.","norm":"Knaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2499,"orig":"Auf, wir kehren ins Leben zurück.","norm":"Auf, wir kehren ins Leben zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2500,"orig":"Gebe der Tag uns Arbeit und Luſt, bis der Abend uns Ruhe bringt, und der nächtliche Schlaf uns erquickt.","norm":"Gebe der Tag uns Arbeit und Lust, bis der Abend uns Ruhe bringt, und der nächtliche Schlaf uns erquickt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2501,"orig":"Chor.","norm":"Chor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2502,"orig":"Kinder!","norm":"Kinder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2503,"orig":"eilet ins Leben hinan!","norm":"eilet ins Leben hinan!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2504,"orig":"In der Schönheit reinem Gewande begegn’ euch die Liebe mit himmliſchem Blick und dem Kranz der Unſterblichkeit.","norm":"In der Schönheit reinem Gewande begegne euch die Liebe mit himmlischem Blick und dem Kranz der Unsterblichkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2505,"orig":"Die Knaben waren ſchon fern, der Abbé ſtand von ſeinem Seſſel auf, und trat hinter den Sarg.","norm":"Die Knaben waren schon fern, der Abbé stand von seinem Sessel auf, und trat hinter den Sarg."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2506,"orig":"Es iſt die Verordnung, ſagte er, des Mannes, der dieſe ſtille Wohnung bereitet hat, daß jeder neue Ankömmling mit Feyerlichkeit empfangen werden ſoll.","norm":"Es ist die Verordnung, sagte er, des Mannes, der diese stille Wohnung bereitet hat, dass jeder neue Ankömmling mit Feierlichkeit empfangen werden soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2507,"orig":"Nach ihm, dem Erbauer dieſes Hauſes, dem Errichter dieſer Stätte, haben wir zuerſt einen jungen Fremdling hierher gebracht, und ſo faßt ſchon dieſer kleine Raum zwey ganz verſchiedene Opfer der ſtrengen, willkührlichen und unerbittlichen Todesgöttinn.","norm":"Nach ihm, dem Erbauer dieses Hauses, dem Errichter dieser Stätte, haben wir zuerst einen jungen Fremdling hierher gebracht, und so fasst schon dieser kleine Raum zwei ganz verschiedene Opfer der strengen, willkürlichen und unerbittlichen Todesgöttin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2508,"orig":"Nach beſtimmten Geſetzen treten wir ins Leben ein, die Tage ſind gezählt, die uns zum Anblicke des Lichts reif machen, aber für die Lebensdauer iſt kein Geſetz.","norm":"Nach bestimmten Gesetzen treten wir ins Leben ein, die Tage sind gezählt, die uns zum Anblicke des Lichts reif machen, aber für die Lebensdauer ist kein Gesetz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2509,"orig":"Der ſchwächſte Lebensfaden zieht ſich in unerwartete Länge, und den ſtärkſten zerſchneidet gewaltſam die Schere einer Parze, die ſich in Widerſprüchen zu gefallen ſcheint.","norm":"Der schwächste Lebensfaden zieht sich in unerwartete Länge, und den stärksten zerschneidet gewaltsam die Schere einer Parze, die sich in Widersprüchen zu gefallen scheint."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2510,"orig":"Von dem Kinde, das wir hier beſtatten, wiſſen wir wenig zu ſagen.","norm":"Von dem Kinde, das wir hier bestatten, wissen wir wenig zu sagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2511,"orig":"Noch iſt uns unbekannt, woher es kam, ſeine Eltern kennen wir nicht, und die Zahl ſeiner Lebensjahre vermuthen wir nur.","norm":"Noch ist uns unbekannt, woher es kam, seine Eltern kennen wir nicht, und die Zahl seiner Lebensjahre vermuten wir nur."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2512,"orig":"Sein tiefes verſchloſſenes Herz ließ uns ſeine innerſten Angelegenheiten kaum errathen, nichts war deutlich an ihm, nichts offenbar, als die Liebe zu dem Mann, der es aus den Händen eines Barbaren rettete.","norm":"Sein tiefes verschlossenes Herz ließ uns seine innersten Angelegenheiten kaum erraten, nichts war deutlich an ihm, nichts offenbar, als die Liebe zu dem Mann, der es aus den Händen eines Barbaren rettete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2513,"orig":"Dieſe zärtliche Neigung, dieſe lebhafte Dankbarkeit ſchien die Flamme zu ſeyn, die das Öl ihres Lebens aufzehrte; die Geſchicklichkeit des Arztes konnte das ſchöne Leben nicht erhalten, die ſorgfältigſte Freundſchaft vermochte nicht es zu friſten.","norm":"Diese zärtliche Neigung, diese lebhafte Dankbarkeit schien die Flamme zu sein, die das Öl ihres Lebens aufzehrte; die Geschicklichkeit des Arztes konnte das schöne Leben nicht erhalten, die sorgfältigste Freundschaft vermochte nicht es zu fristen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2514,"orig":"Aber wenn die Kunſt den ſcheidenden Geiſt nicht zu feſſeln vermochte; ſo hat ſie alle ihre Mittel angewandt, den Körper zu erhalten und ihn der Vergänglichkeit zu entziehen.","norm":"Aber wenn die Kunst den scheidenden Geist nicht zu fesseln vermochte; so hat sie alle ihre Mittel angewandt, den Körper zu erhalten und ihn der Vergänglichkeit zu entziehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2515,"orig":"Eine balſamiſche Maſſe iſt durch alle Adern gedrungen, und färbt nun an der Stelle des Bluts die ſo früh verblichenen Wangen.","norm":"Eine balsamische Masse ist durch alle Adern gedrungen, und färbt nun an der Stelle des Bluts die so früh verblichenen Wangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2516,"orig":"Treten Sie näher, meine Freunde, und ſehen Sie das Wunder der Kunſt und Sorgfalt!","norm":"Treten Sie näher, meine Freunde, und sehen Sie das Wunder der Kunst und Sorgfalt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2517,"orig":"Er hub den Schleyer auf, und das Kind lag in ſeinen Engelkleidern, wie ſchlafend, in der angenehmſten Stellung.","norm":"Er hob den Schleier auf, und das Kind lag in seinen Engelkleidern, wie schlafend, in der angenehmsten Stellung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2518,"orig":"Alle traten herbey, und bewunderten dieſen Schein des Lebens.","norm":"Alle traten herbei, und bewunderten diesen Schein des Lebens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2519,"orig":"Nur Wilhelm blieb in ſeinem Seſſel ſitzen, er konnte ſich nicht faſſen; was er empfand durfte er nicht denken, und jeder Gedanke ſchien ſeine Empfindung zerſtöhren zu wollen.","norm":"Nur Wilhelm blieb in seinem Sessel sitzen, er konnte sich nicht fassen; was er empfand durfte er nicht denken, und jeder Gedanke schien seine Empfindung zerstören zu wollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2520,"orig":"Die Rede war um des Markeſe willen franzöſiſch geſprochen worden.","norm":"Die Rede war um des Marchese Willen Französisch gesprochen worden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2521,"orig":"Dieſer trat mit den andern herbey, und betrachtete die Geſtalt mit Aufmerkſamkeit.","norm":"Dieser trat mit den anderen herbei, und betrachtete die Gestalt mit Aufmerksamkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2522,"orig":"Der Abbé fuhr fort: mit einem heiligen Vertrauen war auch dieſes gute, gegen die Menſchen ſo verſchloſſene Herz, beſtändig zu ſeinem Gott gewendet.","norm":"Der Abbé fuhr fort: Mit einem heiligen Vertrauen war auch dieses gute, gegen die Menschen so verschlossene Herz, beständig zu seinem Gott gewendet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2523,"orig":"Die Demuth, ja eine Neigung ſich äußerlich zu erniedrigen, ſchien ihm angebohren.","norm":"Die Demut, ja eine Neigung sich äußerlich zu erniedrigen, schien ihm angeboren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2524,"orig":"Mit Eifer hing es an der katholiſchen Religion, in der es gebohren und erzogen war.","norm":"Mit Eifer hing es an der katholischen Religion, in der es geboren und erzogen war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2525,"orig":"Oft äußerte ſie den ſtillen Wunſch, auf geweihtem Boden zu ruhen, und wir haben nach den Gebräuchen der Kirche dieſes marmorne Behältniß und die wenige Erde geweihet, die in ihrem Kopfkiſſen verborgen iſt.","norm":"Oft äußerte sie den stillen Wunsch, auf geweihtem Boden zu ruhen, und wir haben nach den Gebräuchen der Kirche dieses marmorne Behältnis und die wenige Erde geweiht, die in ihrem Kopfkissen verborgen ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2526,"orig":"Mit welcher Inbrunſt küßte ſie in ihren letzten Augenblicken das Bild des Gekreuzigten, das auf ihren zarten Armen mit vielen hundert Punkten ſehr zierlich abgebildet ſteht.","norm":"Mit welcher Inbrunst küsste sie in ihren letzten Augenblicken das Bild des Gekreuzigten, das auf ihren zarten Armen mit vielen hundert Punkten sehr zierlich abgebildet steht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2527,"orig":"Er ſtreifte zugleich, indem er das ſagte, ihren rechten Arm auf, und ein Cruzifix, von verſchiedenen Buchſtaben und Zeichen begleitet, ſah man blaulich auf der weißen Haut.","norm":"Er streifte zugleich, indem er das sagte, ihren rechten Arm auf, und ein Kruzifix, von verschiedenen Buchstaben und Zeichen begleitet, sah man blaulich auf der weißen Haut."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2528,"orig":"Der Markeſe betrachtete dieſe neue Erſcheinung ganz in der Nähe.","norm":"Der Marchese betrachtete diese neue Erscheinung ganz in der Nähe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2529,"orig":"O Gott!","norm":"O Gott!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2530,"orig":"rief er aus, indem er ſich aufrichtete, und ſeine Hände gen Himmel hob, armes Kind!","norm":"rief er aus, indem er sich aufrichtete, und seine Hände gen Himmel hob, armes Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2531,"orig":"unglückliche Nichte!","norm":"Unglückliche Nichte!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2532,"orig":"finde ich Dich hier wieder!","norm":"Finde ich Dich hier wieder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2533,"orig":"welche ſchmerzliche Freude, Dich, auf die wir ſchon lange Verzicht gethan hatten, dieſen guten lieben Körper, den wir lange im See einen Raub der Fiſche glaubten, hier wieder zu finden, zwar todt, aber erhalten.","norm":"Welche schmerzliche Freude, Dich, auf die wir schon lange Verzicht getan hatten, diesen guten lieben Körper, den wir lange im See einen Raub der Fische glaubten, hier wiederzufinden, zwar tot, aber erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2534,"orig":"Ich wohne Deiner Beſtattung bey, die ſo herrlich durch ihr Äußeres, und noch herrlicher durch die guten Menſchen wird, die Dich zu Deiner Ruheſtätte begleiten.","norm":"Ich wohne Deiner Bestattung bei, die so herrlich durch ihr Äußeres, und noch herrlicher durch die guten Menschen wird, die Dich zu Deiner Ruhestätte begleiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2535,"orig":"Und wenn ich werde reden können, ſagte er mit gebrochner Stimme, werde ich ihnen danken.","norm":"Und wenn ich werde reden können, sagte er mit gebrochener Stimme, werde ich ihnen danken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2536,"orig":"Die Thränen verhinderten ihn, etwas weiter hervorzubringen.","norm":"Die Tränen verhinderten ihn, etwas weiter hervorzubringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2537,"orig":"Durch den Druck einer Feder verſenkte der Abbé den Körper in die Tiefe des Marmors.","norm":"Durch den Druck einer Feder versenkte der Abbé den Körper in die Tiefe des Marmors."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2538,"orig":"Vier Jünglinge, bekleidet wie jene Knaben, traten hinter den Teppichen hervor, hoben den ſchweren, ſchön verzierten Deckel auf den Sarg, und fingen zugleich ihren Geſang an.","norm":"Vier Jünglinge, bekleidet wie jene Knaben, traten hinter den Teppichen hervor, hoben den schweren, schön verzierten Deckel auf den Sarg, und fingen zugleich ihren Gesang an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2539,"orig":"Wohl verwahrt iſt nun der Schatz!","norm":"Wohl verwahrt ist nun der Schatz!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2540,"orig":"das ſchöne Gebild der Vergangenheit!","norm":"das schöne Gebilde der Vergangenheit!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2541,"orig":"hier im Marmor ruht es unverzehrt, auch in euren Herzen lebt es, wirkt es fort.","norm":"hier im Marmor ruht es unverzehrt, auch in euren Herzen lebt es, wirkt es fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2542,"orig":"Schreitet, ſchreitet ins Leben zurück!","norm":"Schreitet, schreitet ins Leben zurück!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2543,"orig":"nehmet den heiligen Ernſt mit hinaus, denn der Ernſt, der heilige, macht allein das Leben zur Ewigkeit.","norm":"nehmet den heiligen Ernst mit hinaus, denn der Ernst, der heilige, macht allein das Leben zur Ewigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2544,"orig":"Das unſichtbare Chor fiel in die letzten Worte mit ein, aber niemand von der Geſellſchaft vernahm die ſtärkenden Worte, jedes war zu ſehr mit den wunderbaren Entdeckungen und ſeinen eignen Empfindungen beſchäftigt.","norm":"Das unsichtbare Chor fiel in die letzten Worte mit ein, aber niemand von der Gesellschaft vernahm die stärkenden Worte, jedes war zu sehr mit den wunderbaren Entdeckungen und seinen eigenen Empfindungen beschäftigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2545,"orig":"Der Abbé und Natalie führten den Markeſe, Thereſe und Lothario Wilhelmen hinaus, und erſt als der Geſang ihnen völlig verhallte, fielen die Schmerzen, die Betrachtungen, die Gedanken, die Neugierde ſie mit aller Gewalt wieder an, und ſehnlich wünſchten ſie ſich in jenes Element wieder zurück.","norm":"Der Abbé und Natalie führten den Marchese, Therese und Lothario Wilhelmen hinaus, und erst als der Gesang ihnen völlig verhallte, fielen die Schmerzen, die Betrachtungen, die Gedanken, die Neugierde sie mit aller Gewalt wieder an, und sehnlich wünschten sie sich in jenes Element wieder zurück."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2546,"orig":"Der Markeſe vermied von der Sache zu reden, hatte aber heimliche und lange Geſpräche mit dem Abbé.","norm":"Der Marchese vermied von der Sache zu reden, hatte aber heimliche und lange Gespräche mit dem Abbé."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2547,"orig":"Er erbat ſich, wenn die Geſellſchaft beyſammen war, öfters Muſik, man ſorgte gern dafür, weil jedermann zufrieden war des Geſprächs überhoben zu ſeyn.","norm":"Er erbat sich, wenn die Gesellschaft beisammen war, öfters Musik, man sorgte gern dafür, weil jedermann zufrieden war des Gesprächs überhoben zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2548,"orig":"So lebte man einige Zeit fort, als man bemerkte, daß er Anſtalt zur Abreiſe mache.","norm":"So lebte man einige Zeit fort, als man bemerkte, dass er Anstalt zur Abreise mache."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2549,"orig":"Eines Tages ſagte er zu Wilhelmen: ich verlange nicht die Reſte des guten Kindes zu beunruhigen, es bleibe an dem Orte zurück, wo es geliebt und gelitten hat, aber ſeine Freunde müſſen mir verſprechen, mich in ſeinem Vaterlande, an dem Platze zu beſuchen, wo das arme Geſchöpf gebohren und erzogen wurde, ſie müſſen die Säulen und Statuen ſehen, von denen ihm noch eine dunkle Idee übrig geblieben iſt.","norm":"Eines Tages sagte er zu Wilhelmen: Ich verlange nicht die Reste des guten Kindes zu beunruhigen, es bleibe an dem Orte zurück, wo es geliebt und gelitten hat, aber seine Freunde müssen mir versprechen, mich in seinem Vaterlande, an dem Platze zu besuchen, wo das arme Geschöpf geboren und erzogen wurde, sie müssen die Säulen und Statuen sehen, von denen ihm noch eine dunkle Idee übriggeblieben ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2550,"orig":"Ich will Sie in die Buchten führen, wo ſie ſo gern die Steinchen zuſammenlas.","norm":"Ich will Sie in die Buchten führen, wo sie so gern die Steinchen zusammenlas."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2551,"orig":"Sie werden ſich, lieber junger Mann, der Dankbarkeit einer Familie nicht entziehen, die Ihnen ſo viel ſchuldig iſt.","norm":"Sie werden sich, lieber junger Mann, der Dankbarkeit einer Familie nicht entziehen, die Ihnen so viel schuldig ist."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2552,"orig":"Morgen reiſe ich weg.","norm":"Morgen reise ich weg."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2553,"orig":"Ich habe dem Abbé die ganze Geſchichte vertraut, er wird ſie Ihnen wieder erzählen, er konnte mir verzeihen, wenn mein Schmerz mich unterbrach, und er wird als ein Dritter die Begebenheiten mit mehr Zuſammenhang vortragen.","norm":"Ich habe dem Abbé die ganze Geschichte vertraut, er wird sie Ihnen wiedererzählen, er konnte mir verzeihen, wenn mein Schmerz mich unterbrach, und er wird als ein Dritter die Begebenheiten mit mehr Zusammenhang vortragen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2554,"orig":"Wollen Sie mir noch, wie der Abbé vorſchlug, auf meiner Reiſe durch Deutſchland folgen, ſo ſind Sie willkommen.","norm":"Wollen Sie mir noch, wie der Abbé vorschlug, auf meiner Reise durch Deutschland folgen, so sind Sie willkommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2555,"orig":"Laſſen Sie Ihren Knaben nicht zurück, bey jeder kleinen Unbequemlichkeit, die er uns macht, wollen wir uns Ihrer Vorſorge für meine arme Nichte wieder erinnern.","norm":"Lassen Sie Ihren Knaben nicht zurück, bei jeder kleinen Unbequemlichkeit, die er uns macht, wollen wir uns Ihrer Vorsorge für meine arme Nichte wieder erinnern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2556,"orig":"Noch ſelbigen Abend ward man durch die Ankunft der Gräfin überraſcht.","norm":"Noch selbigen Abend wurde man durch die Ankunft der Gräfin überrascht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2557,"orig":"Wilhelm bebte an allen Gliedern, als ſie hereintrat, und ſie, ob ſie gleich vorbereitet war, hielt ſich an ihrer Schweſter, die ihr bald einen Stuhl reichte.","norm":"Wilhelm bebte an allen Gliedern, als sie hereintrat, und sie, ob sie gleich vorbereitet war, hielt sich an ihrer Schwester, die ihr bald einen Stuhl reichte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2558,"orig":"Wie ſonderbar einfach war ihr Anzug, und wie verändert ihre Geſtalt!","norm":"Wie sonderbar einfach war ihr Anzug, und wie verändert ihre Gestalt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2559,"orig":"Wilhelm durfte kaum auf ſie hinblicken, ſie begrüßte ihn mit Freundlichkeit, und einige allgemeine Worte konnten ihre Geſinnung und Empfindungen nicht verbergen.","norm":"Wilhelm durfte kaum auf sie hinblicken, sie begrüßte ihn mit Freundlichkeit, und einige allgemeine Worte konnten ihre Gesinnung und Empfindungen nicht verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2560,"orig":"Der Markeſe war bey Zeiten zu Bette gegangen, und die Geſellſchaft hatte noch keine Luſt ſich zu trennen; der Abbé brachte ein Manuſcript hervor.","norm":"Der Marchese war beizeiten zu Bette gegangen, und die Gesellschaft hatte noch keine Lust sich zu trennen; der Abbé brachte ein Manuskript hervor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2561,"orig":"Ich habe, ſagte er, ſogleich die ſonderbare Geſchichte, wie ſie mir anvertraut wurde, zu Papiere gebracht.","norm":"Ich habe, sagte er, sogleich die sonderbare Geschichte, wie sie mir anvertraut wurde, zu Papier gebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2562,"orig":"Wo man am wenigſten Tinte und Feder ſparen ſoll, das iſt beym Aufzeichnen einzelner Umſtände merkwürdiger Begebenheiten.","norm":"Wo man am wenigsten Tinte und Feder sparen soll, das ist beim Aufzeichnen einzelner Umstände merkwürdiger Begebenheiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2563,"orig":"Man unterrichtete die Gräfin, wovon die Rede ſey, und der Abbé las:","norm":"Man unterrichtete die Gräfin, wovon die Rede sei, und der Abbé las:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2564,"orig":"Meinen Vater, ſagte der Markeſe, muß ich, ſo viel Welt ich auch geſehen habe, immer für einen der wunderbarſten Menſchen halten.","norm":"Meinen Vater, sagte der Marchese, muss ich, so viel Welt ich auch gesehen habe, immer für einen der wunderbarsten Menschen halten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2565,"orig":"Sein Charakter war edel und gerad, ſeine Ideen weit, und man darf ſagen groß; er war ſtreng gegen ſich ſelbſt, in allen ſeinen Planen fand man eine unbeſtechliche Folge, an allen ſeinen Handlungen eine ununterbrochene Schrittmäßigkeit.","norm":"Sein Charakter war edel und gerade, seine Ideen weit, und man darf sagen groß; er war streng gegen sich selbst, in allen seinen Planen fand man eine unbestechliche Folge, an allen seinen Handlungen eine ununterbrochene Schrittmäßigkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2566,"orig":"So gut ſich daher von einer Seite mit ihm umgehen, und ein Geſchäft verhandeln ließ, ſo wenig konnte er, um eben dieſer Eigenſchaften willen, ſich in die Welt finden, da er vom Staate, von ſeinen Nachbarn, von Kindern und Geſinde die Beobachtung aller der Geſetze forderte, die er ſich ſelbſt auferlegt hatte.","norm":"So gut sich daher von einer Seite mit ihm umgehen, und ein Geschäft verhandeln ließ, so wenig konnte er, um eben dieser Eigenschaften Willen, sich in die Welt finden, da er vom Staate, von seinen Nachbarn, von Kindern und Gesinde die Beobachtung aller der Gesetze forderte, die er sich selbst auferlegt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2567,"orig":"Seine mäßigſten Forderungen wurden übertrieben durch ſeine Strenge, und er konnte nie zum Genuß gelangen, weil nichts auf die Weiſe entſtand, wie er ſichs gedacht hatte.","norm":"Seine mäßigsten Forderungen wurden übertrieben durch seine Strenge, und er konnte nie zum Genuss gelangen, weil nichts auf die Weise entstand, wie er sich es gedacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2568,"orig":"Ich habe ihn in dem Augenblick, da er einem Palaſt bauete, einen Garten anlegte, ein großes neues Gut in der ſchönſten Lage erwarb, innerlich, mit dem ernſteſten Ingrimm überzeugt, geſehen, das Schickſal habe ihn verdammt, enthaltſam zu ſeyn und zu dulden.","norm":"Ich habe ihn in dem Augenblick, da er einem Palast baute, einen Garten anlegte, ein großes neues Gut in der schönsten Lage erwarb, innerlich, mit dem ernstesten Ingrimm überzeugt, gesehen, das Schicksal habe ihn verdammt, enthaltsam zu sein und zu dulden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2569,"orig":"In ſeinem Äußerlichen beobachtete er die größte Würde; wenn er ſcherzte, zeigte er nur die Überlegenheit ſeines Verſtandes, es war ihm unerträglich getadelt zu werden, und ich habe ihn nur einmal in meinem Leben ganz außer aller Faſſung geſehen, da er hörte, daß man von einer ſeiner Anſtalten wie von etwas Lächerlichem ſprach.","norm":"In seinem Äußerlichen beobachtete er die größte Würde; wenn er scherzte, zeigte er nur die Überlegenheit seines Verstandes, es war ihm unerträglich getadelt zu werden, und ich habe ihn nur einmal in meinem Leben ganz außer aller Fassung gesehen, da er hörte, dass man von einer seiner Anstalten wie von etwas Lächerlichem sprach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2570,"orig":"In eben dieſem Geiſte hatte er über ſeine Kinder und ſein Vermögen diſponirt.","norm":"In eben diesem Geiste hatte er über seine Kinder und sein Vermögen disponiert."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2571,"orig":"Mein älteſter Bruder ward als ein Mann erzogen, der künftig große Güter zu hoffen hatte.","norm":"Mein ältester Bruder wurde als ein Mann erzogen, der künftig große Güter zu hoffen hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2572,"orig":"Ich ſollte den geiſtlichen Stand ergreifen, und der jüngſte Soldat werden.","norm":"Ich sollte den geistlichen Stand ergreifen, und der jüngste Soldat werden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2573,"orig":"Ich war lebhaft, feurig, thätig, ſchnell, zu allen körperlichen Übungen geſchickt.","norm":"Ich war lebhaft, feurig, tätig, schnell, zu allen körperlichen Übungen geschickt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2574,"orig":"Der jüngſte ſchien zu einer Art von ſchwärmeriſcher Ruhe geneigter, den Wiſſenſchaften, der Muſik und der Dichtkunſt ergeben.","norm":"Der Jüngste schien zu einer Art von schwärmerischer Ruhe geneigter, den Wissenschaften, der Musik und der Dichtkunst ergeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2575,"orig":"Nur nach dem härtſten Kampf, nach der völligſten Überzeugung der Unmöglichkeit gab der Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, daß wir unſern Beruf umtauſchen dürften, und ob er gleich jeden von uns beyden zufrieden ſah, ſo konnte er ſich doch nicht drein finden, und verſicherte, daß nichts gutes daraus entſtehen werde.","norm":"Nur nach dem härtesten Kampf, nach der völligen Überzeugung der Unmöglichkeit gab der Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, dass wir unseren Beruf umtauschen dürften, und ob er gleich jeden von uns beiden zufrieden sah, so konnte er sich doch nicht drein finden, und versicherte, dass nichts Gutes daraus entstehen werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2576,"orig":"Je älter er ward, deſto abgeſchnittener fühlte er ſich von aller Geſellſchaft.","norm":"Je älter er wurde, desto abgeschnittener fühlte er sich von aller Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2577,"orig":"Er lebte zuletzt faſt ganz allein.","norm":"Er lebte zuletzt fast ganz allein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2578,"orig":"Nur ein alter Freund, der unter den Deutſchen gedient, im Feldzuge ſeine Frau verlohren hatte, und eine Tochter mitbrachte, die ohngefähr zehn Jahr alt war, blieb ſein einziger Umgang.","norm":"Nur ein alter Freund, der unter den Deutschen gedient, im Feldzuge seine Frau verloren hatte, und eine Tochter mitbrachte, die ungefähr zehn Jahre alt war, blieb sein einziger Umgang."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2579,"orig":"Dieſer kaufte ſich ein artiges Gut in der Nachbarſchaft, ſah meinen Vater zu beſtimmten Tagen und Stunden der Woche, in denen er auch manchmal ſeine Tochter mitbrachte.","norm":"Dieser kaufte sich ein artiges Gut in der Nachbarschaft, sah meinen Vater zu bestimmten Tagen und Stunden der Woche, in denen er auch manchmal seine Tochter mitbrachte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2580,"orig":"Er widerſprach meinem Vater niemals, der ſich zuletzt völlig an ihn gewöhnte, und ihn als den einzigen erträglichen Geſellſchafter duldete.","norm":"Er widersprach meinem Vater niemals, der sich zuletzt völlig an ihn gewöhnte, und ihn als den einzigen erträglichen Gesellschafter duldete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2581,"orig":"Nach dem Tode unſeres Vaters merkten wir wohl, daß dieſer Mann von unſerm Alten trefflich ausgeſtattet worden war, und ſeine Zeit nicht umſonſt zugebracht hatte; er erweiterte ſeine Güter, ſeine Tochter konnte eine ſchöne Mitgift erwarten.","norm":"Nach dem Tode unseres Vaters merkten wir wohl, dass dieser Mann von unserem Alten trefflich ausgestattet worden war, und seine Zeit nicht umsonst zugebracht hatte; er erweiterte seine Güter, seine Tochter konnte eine schöne Mitgift erwarten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2582,"orig":"Das Mädchen wuchs heran, und war von ſonderbarer Schönheit, mein älterer Bruder ſcherzte oft mit mir, daß ich mich um ſie bewerben ſollte.","norm":"Das Mädchen wuchs heran, und war von sonderbarer Schönheit, mein älterer Bruder scherzte oft mit mir, dass ich mich um sie bewerben sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2583,"orig":"Indeſſen hatte Bruder Auguſtin im Kloſter ſeine Jahre in dem ſonderbarſten Zuſtande zugebracht, er überließ ſich ganz dem Genuß einer heiligen Schwärmerey, jenen halb geiſtigen, halb phyſiſchen Empfindungen, die, wie ſie ihn eine Zeit lang in den dritten Himmel erhuben, bald darauf in einen Abgrund von Ohnmacht und leeres Elend verſinken ließen.","norm":"Indessen hatte Bruder Augustin im Kloster seine Jahre in dem sonderbarsten Zustande zugebracht, er überließ sich ganz dem Genuss einer heiligen Schwärmerei, jenen halb geistigen, halb physischen Empfindungen, die, wie sie ihn eine Zeitlang in den dritten Himmel erhoben, bald darauf in einen Abgrund von Ohnmacht und leeres Elend versinken ließen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2584,"orig":"Bey meines Vaters Lebzeiten war an keine Veränderung zu denken, und was hätte man wünſchen oder vorſchlagen ſollen?","norm":"Bei meines Vaters Lebzeiten war an keine Veränderung zu denken, und was hätte man wünschen oder vorschlagen sollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2585,"orig":"Nach dem Tode unſers Vaters beſuchte er uns fleißig; ſein Zuſtand, der uns im Anfang jammerte, ward nach und nach um vieles erträglicher, denn die Vernunft hatte geſiegt.","norm":"Nach dem Tode unseres Vaters besuchte er uns fleißig; sein Zustand, der uns im Anfang jammerte, wurde nach und nach um vieles erträglicher, denn die Vernunft hatte gesiegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2586,"orig":"Allein je ſichrer ſie ihm völlige Zufriedenheit und Heilung auf dem reinen Wege der Natur verſprach, deſto lebhafter verlangte er von uns, daß wir ihn von ſeinen Gelübden befreyen ſollten; er gab zu verſtehen, daß ſeine Abſicht auf Sperata, unſere Nachbarin, gerichtet ſey.","norm":"Allein je sicherer sie ihm völlige Zufriedenheit und Heilung auf dem reinen Wege der Natur versprach, desto lebhafter verlangte er von uns, dass wir ihn von seinen Gelübden befreien sollten; er gab zu verstehen, dass seine Absicht auf Sperata, unsere Nachbarin, gerichtet sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2587,"orig":"Mein älterer Bruder hatte zu viel durch die Härte unſeres Vaters gelitten, als daß er hätte bey dem Zuſtande des jüngſten ungerührt bleiben können.","norm":"Mein älterer Bruder hatte zu viel durch die Härte unseres Vaters gelitten, als dass er hätte bei dem Zustande des jüngsten unberührt bleiben können."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2588,"orig":"Wir ſprachen mit dem Beichtvater unſerer Familie, einem alten würdigen Manne, entdeckten ihm die doppelte Abſicht unſeres Bruders, und baten ihn die Sache einzuleiten und zu befördern.","norm":"Wir sprachen mit dem Beichtvater unserer Familie, einem alten würdigen Manne, entdeckten ihm die doppelte Absicht unseres Bruders, und baten ihn die Sache einzuleiten und zu befördern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2589,"orig":"Wider ſeine Gewohnheit zögerte er, und als endlich unſer Bruder in uns drang, und wir die Angelegenheit dem Geiſtlichen lebhafter empfahlen, mußte er ſich entſchließen uns die ſonderbare Geſchichte zu entdecken.","norm":"Wider seine Gewohnheit zögerte er, und als endlich unser Bruder in uns drang, und wir die Angelegenheit dem Geistlichen lebhafter empfahlen, musste er sich entschließen uns die sonderbare Geschichte zu entdecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2590,"orig":"Sperata war unſre Schweſter, und zwar ſowohl von Vater als Mutter;","norm":"Sperata war unsere Schwester, und zwar sowohl von Vater als Mutter;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2591,"orig":"Neigung und Sinnlichkeit hatten den Mann in ſpäteren Jahren nochmals überwältigt, in welchen das Recht der Ehegatten ſchon verloſchen zu ſeyn ſcheint; über einen ähnlichen Fall hatte man ſich kurz vorher in der Gegend luſtig gemacht, und mein Vater, um ſich nicht gleichfalls dem Lächerlichen auszuſetzen, beſchloß dieſe ſpäte, geſetzmäßige Frucht der Liebe mit eben der Sorgfalt zu verheimlichen, als man ſonſt die frühern zufälligen Früchte der Neigung zu verbergen pflegt.","norm":"Neigung und Sinnlichkeit hatten den Mann in späteren Jahren nochmals überwältigt, in welchen das Recht der Ehegatten schon verloschen zu sein scheint; über einen ähnlichen Fall hatte man sich kurz vorher in der Gegend lustig gemacht, und mein Vater, um sich nicht gleichfalls dem Lächerlichen auszusetzen, beschloss diese späte, gesetzmäßige Frucht der Liebe mit eben der Sorgfalt zu verheimlichen, als man sonst die früheren zufälligen Früchte der Neigung zu verbergen pflegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2592,"orig":"Unſere Mutter kam heimlich nieder, das Kind wurde aufs Land gebracht, und der alte Hausfreund, der nebſt dem Beichtvater allein um das Geheimniß wußte, ließ ſich leicht bereden, ſie für ſeine Tochter auszugeben.","norm":"Unsere Mutter kam heimlich nieder, das Kind wurde aufs Land gebracht, und der alte Hausfreund, der nebst dem Beichtvater allein um das Geheimnis wusste, ließ sich leicht bereden, sie für seine Tochter auszugeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2593,"orig":"Der Beichtvater hatte ſich nur ausbedungen, im äuſterſten Fall das Geheimniß entdecken zu dürfen.","norm":"Der Beichtvater hatte sich nur ausbedungen, im äußersten Fall das Geheimnis entdecken zu dürfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2594,"orig":"Der Vater war geſtorben, das zarte Mädchen lebte unter der Aufſicht einer alten Frau, wir wußten daß Geſang und Muſik unſern Bruder ſchon bey ihr eingeführt hatten, und da er uns wiederholt aufforderte, ſeine alten Bande zu trennen, um das neue zu knüpfen, ſo war es nöthig, ihn, ſobald als möglich, von der Gefahr zu unterrichten, in der er ſchwebte.","norm":"Der Vater war gestorben, das zarte Mädchen lebte unter der Aufsicht einer alten Frau, wir wussten dass Gesang und Musik unseren Bruder schon bei ihr eingeführt hatten, und da er uns wiederholt aufforderte, seine alten Bande zu trennen, um das neue zu knüpfen, so war es nötig, ihn, so bald als möglich, von der Gefahr zu unterrichten, in der er schwebte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2595,"orig":"Er ſah uns mit wilden, verachtenden Blicken an.","norm":"Er sah uns mit wilden, verachtenden Blicken an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2596,"orig":"Spart eure unwahrſcheinlichen Mährchen!","norm":"Spart eure unwahrscheinlichen Märchen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2597,"orig":"rief er aus, für Kinder und leichtglaubige Thoren; mir werdet ihr Speraten nicht vom Herzen reiſſen, ſie iſt mein.","norm":"rief er aus, für Kinder und leichtgläubige Toren; mir werdet ihr Speraten nicht vom Herzen reißen, sie ist mein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2598,"orig":"Verleugnet ſogleich euer ſchreckliches Geſpenſt, das mich nur vergebens ängſtigen würde.","norm":"Verleugnet sogleich euer schreckliches Gespenst, das mich nur vergebens ängstigen würde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2599,"orig":"Sperata iſt nicht meine Schweſter, ſie iſt mein Weib.","norm":"Sperata ist nicht meine Schwester, sie ist mein Weib."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2600,"orig":"Er beſchrieb uns mit Entzücken, wie ihn das himmliſche Mädchen aus dem Zuſtande der unnatürlichen Abſonderung von den Menſchen in das wahre Leben geführt, wie beyde Gemüther gleich beyden Kehlen zuſammen ſtimmten, und wie er alle ſeine Leiden und Verirrungen ſegnete, weil ſie ihn von allen Frauen bis dahin entfernt gehalten, und weil er nun ganz und gar ſich dem liebenswürdigſten Mädchen ergeben könne.","norm":"Er beschrieb uns mit Entzücken, wie ihn das himmlische Mädchen aus dem Zustande der unnatürlichen Absonderung von den Menschen in das wahre Leben geführt, wie beide Gemüter gleich beiden Kehlen zusammen stimmten, und wie er alle seine Leiden und Verirrungen segnete, weil sie ihn von allen Frauen bis dahin entfernt gehalten, und weil er nun ganz und gar sich dem liebenswürdigsten Mädchen ergeben könne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2601,"orig":"Wir entſetzten uns über die Entdeckung, uns jammerte ſein Zuſtand, wir wußten uns nicht zu helfen, er verſicherte uns mit Heftigkeit, daß Sperata ein Kind von ihm im Buſen trage.","norm":"Wir entsetzten uns über die Entdeckung, uns jammerte sein Zustand, wir wussten uns nicht zu helfen, er versicherte uns mit Heftigkeit, dass Sperata ein Kind von ihm im Busen trage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2602,"orig":"Unſer Beichtvater that alles, was ihm ſeine Pflicht eingab, aber das Übel ward dadurch nur ſchlimmer.","norm":"Unser Beichtvater tat alles, was ihm seine Pflicht eingab, aber das Übel wurde dadurch nur schlimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2603,"orig":"Die Verhältniſſe der Natur und der Religion, der ſittlichen Rechte und der bürgerlichen Geſetze wurden von meinem Bruder aufs heftigſte durchgefochten.","norm":"Die Verhältnisse der Natur und der Religion, der sittlichen Rechte und der bürgerlichen Gesetze wurden von meinem Bruder aufs heftigste durchgefochten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2604,"orig":"Nichts ſchien ihm heilig als das Verhältnis zu Sperata, nichts ſchien ihm würdig als der Nahme Vater und Gattin.","norm":"Nichts schien ihm heilig als das Verhältnis zu Sperata, nichts schien ihm würdig als der Name Vater und Gattin."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2605,"orig":"Dieſe allein, rief er aus, ſind der Natur gemäß, alles andere ſind Grillen und Meinungen.","norm":"Diese allein, rief er aus, sind der Natur gemäß, alles andere sind Grillen und Meinungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2606,"orig":"Gab es nicht edle Völker, die eine Heirath mit der Schweſter billigten?","norm":"Gab es nicht edle Völker, die eine Heirat mit der Schwester billigten?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2607,"orig":"Nennt eure Götter nicht, rief er aus, ihr braucht die Nahmen nie, als wenn ihr uns bethören, uns von dem Wege der Natur abführen, und die edelſten Triebe, durch ſchändlichen Zwang, zu Verbrechen entſtellen wollt.","norm":"Nennt eure Götter nicht, rief er aus, ihr braucht die Namen nie, als wenn ihr uns betören, uns von dem Wege der Natur abführen, und die edelsten Triebe, durch schändlichen Zwang, zu Verbrechen entstellen wollt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2608,"orig":"Zur größten Verwirrung des Geiſtes, zum ſchändlichſten Mißbrauche des Körpers nöthigt ihr die Schlachopfer, die ihr lebendig begrabt.","norm":"Zur größten Verwirrung des Geistes, zum schändlichsten Missbrauche des Körpers nötigt ihr die Schlachtopfer, die ihr lebendig begrabt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2609,"orig":"Ich darf reden, denn ich habe gelitten wie keiner, von der höchſten ſüßeſten Fülle der Schwärmerey bis zu den fürchterlichen Wüſten der Ohnmacht, der Leerheit, der Vernichtung und Verzweiflung, von den höchſten Ahndungen überirdiſcher Weſen, bis zu dem völligſten Unglauben, dem Unglauben an mir ſelbſt.","norm":"Ich darf reden, denn ich habe gelitten wie keiner, von der höchsten süßesten Fülle der Schwärmerei bis zu den fürchterlichen Wüsten der Ohnmacht, der Leerheit, der Vernichtung und Verzweiflung, von den höchsten Ahnungen überirdischer Wesen, bis zu dem völligsten Unglauben, dem Unglauben an mir selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2610,"orig":"Allen dieſen entſetzlichen Bodenſatz des am Rande ſchmeichelnden Kelchs habe ich ausgetrunken, und mein ganzes Weſen war bis in ihr Innerſtes vergiftet; nun da mich die gütige Natur durch ihre größten Gaben, durch die Liebe, wieder geheilt hat, da ich an dem Buſen eines himmliſchen Mädchens wieder fühle, daß ich bin, daß ſie iſt, daß wir eins ſind, daß aus dieſer lebendigen Verbindung ein drittes entſtehen und uns entgegenlächeln ſoll, nun eröfnet ihr die Flammen eurer Höllen, eurer Fegefeuer, die nur eine kranke Einbildungskraft verſengen können, und ſtellt ſie dem lebhaften, wahren, unzerſtöhrlichen Genuß der reinen Liebe entgegen.","norm":"Allen diesen entsetzlichen Bodensatz des am Rande schmeichelnden Kelchs habe ich ausgetrunken, und mein ganzes Wesen war bis in ihr Innerstes vergiftet; nun da mich die gütige Natur durch ihre größten Gaben, durch die Liebe, wieder geheilt hat, da ich an dem Busen eines himmlischen Mädchens wieder fühle, dass ich bin, dass sie ist, dass wir eins sind, dass aus dieser lebendigen Verbindung ein Drittes entstehen und uns entgegenlächeln soll, nun eröffnet ihr die Flammen eurer Höllen, eurer Fegefeuer, die nur eine kranke Einbildungskraft versengen können, und stellt sie dem lebhaften, wahren, unzerstörlichen Genuss der reinen Liebe entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2611,"orig":"Begegnet uns unter jenen Cypreſſen, die ihre ernſthaften Gipfel gen Himmel wenden, beſucht uns an jenen Spalieren, wo die Citronen und Pomeranzen neben uns blühn, wo die zierliche Myrthe uns ihre zarten Blumen darreicht, und dann wagt es, uns mit euren trüben, grauen von Menſchen geſponnenen Netzen zu ängſtigen.","norm":"Begegnet uns unter jenen Zypressen, die ihre ernsthaften Gipfel gen Himmel wenden, besucht uns an jenen Spalieren, wo die Zitronen und Pomeranzen neben uns blühen, wo die zierliche Myrte uns ihre zarten Blumen darreicht, und dann wagt es, uns mit euren trüben, grauen von Menschen gesponnenen Netzen zu ängstigen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2612,"orig":"So beſtand er lange Zeit auf einem hartnäckigen Unglauben unſerer Erzählung, und zuletzt, da wir ihm die Wahrheit derſelben betheuerten, da ſie ihm der Beichtvater ſelbſt verſicherte, ließ er ſich doch dadurch nicht irre machen, vielmehr rief er aus:","norm":"So bestand er lange Zeit auf einem hartnäckigen Unglauben unserer Erzählung, und zuletzt, da wir ihm die Wahrheit derselben beteuerten, da sie ihm der Beichtvater selbstversicherte, ließ er sich doch dadurch nicht irremachen, vielmehr rief er aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2613,"orig":"Fragt nicht den Wiederhall eurer Kreuzgänge, nicht euer vermodertes Pergament, nicht eure verſchränkten Grillen und Verordnungen, fragt die Natur und euer Herz, ſie wird euch lehren, vor was ihr zu ſchaudern habt, ſie wird euch mit dem ſtrengſten Finger zeigen, worüber ſie ewig und unwiederruflich ihren Fluch ausſpricht.","norm":"Fragt nicht den Widerhall eurer Kreuzgänge, nicht euer vermodertes Pergament, nicht eure verschränkten Grillen und Verordnungen, fragt die Natur und euer Herz, sie wird euch lehren, vor was ihr zu schaudern habt, sie wird euch mit dem strengsten Finger zeigen, worüber sie ewig und unwiderruflich ihren Fluch ausspricht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2614,"orig":"Seht die Lilien an, entſpringt nicht Gatte und Gattin auf Einem Stengel?","norm":"Seht die Lilien an, entspringt nicht Gatte und Gattin auf einem Stängel?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2615,"orig":"verbindet beyde nicht die Blume, die beyde gebahr, und iſt die Lilie nicht das Bild der Unſchuld, und iſt ihre geſchwiſterliche Vereinigung nicht fruchtbar?","norm":"Verbindet beide nicht die Blume, die beide gebar, und ist die Lilie nicht das Bild der Unschuld, und ist ihre geschwisterliche Vereinigung nicht fruchtbar?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2616,"orig":"Wenn die Natur verabſcheut, ſo ſpricht ſie es laut aus; das Geſchöpf, das nicht ſeyn ſoll, kann nicht werden, das Geſchöpf, das falſch lebt, wird früh zerſtöhrt.","norm":"Wenn die Natur verabscheut, so spricht sie es laut aus; das Geschöpf, das nicht sein soll, kann nicht werden, das Geschöpf, das falsch lebt, wird früh zerstört."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2617,"orig":"Unfruchtbarkeit, kümmerliches Daſeyn, frühzeitiges Zerfallen, das ſind ihre Flüche, die Kenzeichen ihrer Strenge.","norm":"Unfruchtbarkeit, kümmerliches Dasein, frühzeitiges Zerfallen, das sind ihre Flüche, die Kennzeichen ihrer Strenge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2618,"orig":"Nur durch unmittelbare Folgen ſtraft ſie.","norm":"Nur durch unmittelbare Folgen straft sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2619,"orig":"Da!","norm":"Da!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2620,"orig":"ſeht um euch her, und was verboten, was verflucht iſt, wird euch in die Augen fallen.","norm":"seht um euch her, und was verboten, was verflucht ist, wird euch in die Augen fallen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2621,"orig":"In der Stille des Kloſters und im Geräuſche der Welt ſind tauſend Handlungen geheiligt und geehrt, auf denen ihr Fluch ruht.","norm":"In der Stille des Klosters und im Geräusche der Welt sind tausend Handlungen geheiligt und geehrt, auf denen ihr Fluch ruht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2622,"orig":"Auf bequemem Müſſiggang ſo gut, als überſtrengte Arbeit, auf Willkühr und Überfluß, wie auf Noth und Mangel ſieht ſie mit traurigen Augen nieder, zur Mäßigkeit ruft ſie, wahr ſind alle ihre Verhältniſſe, und ruhig alle ihre Wirkungen.","norm":"Auf bequemem Müßiggang so gut, als überstrengte Arbeit, auf Willkür und Überfluss, wie auf Not und Mangel sieht sie mit traurigen Augen nieder, zur Mäßigkeit ruft sie, wahr sind alle ihre Verhältnisse, und ruhig alle ihre Wirkungen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2623,"orig":"Wer gelitten hat, wie ich, hat das Recht frey zu ſeyn.","norm":"Wer gelitten hat, wie ich, hat das Recht frei zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2624,"orig":"Sperata iſt mein, nur der Tod ſoll mir ſie nehmen.","norm":"Sperata ist mein, nur der Tod soll mir sie nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2625,"orig":"Wie ich ſie behalten kann?","norm":"Wie ich sie behalten kann?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2626,"orig":"wie ich glücklich werden kann?","norm":"wie ich glücklich werden kann?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2627,"orig":"das iſt eure Sorge!","norm":"das ist eure Sorge!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2628,"orig":"Gleich jetzt geh ich zu ihr, um mich nicht wieder von ihr zu trennen.","norm":"Gleich jetzt gehe ich zu ihr, um mich nicht wieder von ihr zu trennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2629,"orig":"Er wollte nach dem Schiffe, um zu ihr überzuſetzen, wir hielten ihn ab, und baten ihn, daß er keinen Schritt thun möchte, der die ſchrecklichſten Folgen haben könnte.","norm":"Er wollte nach dem Schiffe, um zu ihr überzusetzen, wir hielten ihn ab, und baten ihn, dass er keinen Schritt tun möchte, der die schrecklichsten Folgen haben könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2630,"orig":"Er ſolle überlegen, daß er nicht in der freyen Welt ſeiner Gedanken und Vorſtellungen, ſondern in einer Verfaſſung lebe, deren Geſetze und Verhältniſſe die Unbezwinglichkeit eines Naturgeſetzes angenommen haben.","norm":"Er solle überlegen, dass er nicht in der freien Welt seiner Gedanken und Vorstellungen, sondern in einer Verfassung lebe, deren Gesetze und Verhältnisse die Unbezwinglichkeit eines Naturgesetzes angenommen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2631,"orig":"Wir mußten dem Beichtvater verſprechen, daß wir den Bruder nicht aus den Augen, noch weniger aus dem Schloſſe laſſen wollten, darauf ging er weg, und verſprach in einigen Tagen wieder zu kommen.","norm":"Wir mussten dem Beichtvater versprechen, dass wir den Bruder nicht aus den Augen, noch weniger aus dem Schlosse lassen wollten, darauf ging er weg, und versprach in einigen Tagen wiederzukommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2632,"orig":"Was wir vorausgeſehen hatten, traf ein, der Verſtand hatte unſern Bruder ſtark gemacht, aber ſein Herz war weich; die frühern Eindrücke der Religion wurden lebhaft, und die entſetzlichſten Zweifel bemächtigten ſich ſeiner.","norm":"Was wir vorausgesehen hatten, traf ein, der Verstand hatte unseren Bruder stark gemacht, aber sein Herz war weich; die früheren Eindrücke der Religion wurden lebhaft, und die entsetzlichsten Zweifel bemächtigten sich seiner."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2633,"orig":"Er brachte zwey fürchterliche Tage und Nächte zu, der Beichtvater kam ihm wieder zu Hülfe, umſonſt!","norm":"Er brachte zwei fürchterliche Tage und Nächte zu, der Beichtvater kam ihm wieder zu Hilfe, umsonst!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2634,"orig":"Der ungebundene freye Verſtand ſprach ihn los, ſein Gefühl, ſeine Religion, alle gewohnten Begriffe erklärten ihn für einen Verbrecher.","norm":"Der ungebundene freie Verstand sprach ihn los, sein Gefühl, seine Religion, alle gewohnten Begriffe erklärten ihn für einen Verbrecher."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2635,"orig":"Eines Morgens fanden wir ſein Zimmer leer, ein Blatt lag auf dem Tiſche, worinn er uns erklärte, daß er, da wir ihn mit Gewalt gefangen hielten, berechtigt ſey, ſeine Freyheit zu ſuchen; er entfliehe, er gehe zu Sperata, er hoffe mit ihr zu entkommen, er ſey auf alles gefaßt, wenn man ſie trennen wollte.","norm":"Eines Morgens fanden wir sein Zimmer leer, ein Blatt lag auf dem Tische, worin er uns erklärte, dass er, da wir ihn mit Gewalt gefangenhielten, berechtigt sei, seine Freiheit zu suchen; er entfliehe, er gehe zu Sperata, er hoffe mit ihr zu entkommen, er sei auf alles gefasst, wenn man sie trennen wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2636,"orig":"Wir erſchracken nicht wenig, allein der Beichtvater bat uns ruhig zu ſeyn.","norm":"Wir erschraken nicht wenig, allein der Beichtvater bat uns ruhig zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2637,"orig":"Unſer armer Bruder war nahe genug beobachtet worden; die Schiffer, an ſtatt ihn überzuſetzen, führten ihn in ſein Kloſter.","norm":"Unser armer Bruder war nahe genug beobachtet worden; die Schiffer, anstatt ihn überzusetzen, führten ihn in sein Kloster."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2638,"orig":"Ermüdet von einem vierzigſtündigen Wachen ſchlief er ein, ſobald ihn der Kahn im Mondenſchein ſchaukelte, und erwachte nicht früher, als bis er ſich in den Händen ſeiner Brüder ſahe, er erholte ſich nicht eher, als bis er die Kloſterpforte hinter ſich zuſchlagen hörte.","norm":"Ermüdet von einem vierzigstündigen Wachen schlief er ein, sobald ihn der Kahn im Mondenschein schaukelte, und erwachte nicht früher, als bis er sich in den Händen seiner Brüder sah, er erholte sich nicht eher, als bis er die Klosterpforte hinter sich zuschlagen hörte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2639,"orig":"Schmerzlich gerührt von dem Schickſal unſeres Bruders machten wir unſerm Beichtvater die lebhafteſten Vorwürfe, allein dieſer ehrwürdige Mann wußte uns bald mit den Gründen des Wundarztes zu überreden, daß unſer Mitleid für den armen Kranken tödtlich ſey.","norm":"Schmerzlich gerührt von dem Schicksal unseres Bruders machten wir unserem Beichtvater die lebhaftesten Vorwürfe, allein dieser ehrwürdige Mann wusste uns bald mit den Gründen des Wundarztes zu überreden, dass unser Mitleid für den armen Kranken tödlich sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2640,"orig":"Er handle nicht aus eigner Willkühr, ſondern auf Befehl des Biſchoffs und des hohen Rathes.","norm":"Er handle nicht aus eigener Willkür, sondern auf Befehl des Bischofs und des hohen Rates."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2641,"orig":"Die Abſicht war: alles öffentliche Ärgerniß zu vermeiden, und den traurigen Fall mit dem Schleyer einer geheimen Kirchenzucht zu verdecken.","norm":"Die Absicht war: alles öffentliche Ärgernis zu vermeiden, und den traurigen Fall mit dem Schleier einer geheimen Kirchenzucht zu verdecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2642,"orig":"Sperata ſollte geſchont werden, ſie ſollte nicht erfahren, daß ihr Geliebter zugleich ihr Bruder ſey.","norm":"Sperata sollte geschont werden, sie sollte nicht erfahren, dass ihr Geliebter zugleich ihr Bruder sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2643,"orig":"Sie ward einem Geiſtlichen anempfohlen, dem ſie vorher ſchon ihren Zuſtand vertraut hatte.","norm":"Sie wurde einem Geistlichen anempfohlen, dem sie vorher schon ihren Zustand vertraut hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2644,"orig":"Man wußte ihre Schwangerſchaft und Niederkunft zu verbergen.","norm":"Man wusste ihre Schwangerschaft und Niederkunft zu verbergen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2645,"orig":"Sie war als Mutter in dem kleinen Geſchöpfe ganz glücklich.","norm":"Sie war als Mutter in dem kleinen Geschöpfe ganz glücklich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2646,"orig":"So wie die meiſten unſerer Mädchen konnte ſie weder ſchreiben, noch Geſchriebenes leſen, ſie gab daher dem Pater Aufträge, was er ihrem Geliebten ſagen ſollte.","norm":"So wie die meisten unserer Mädchen konnte sie weder schreiben, noch geschriebenes lesen, sie gab daher dem Pater Aufträge, was er ihrem Geliebten sagen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2647,"orig":"Dieſer glaubte den frommen Betrug einer ſäugenden Mutter ſchuldig zu ſeyn, er brachte ihr Nachrichten von unſerm Bruder, den er niemals ſah, ermahnte ſie in ſeinem Nahmen zur Ruhe, bat ſie für ſich und das Kind zu ſorgen, und wegen der Zukunft Gott zu vertrauen.","norm":"Dieser glaubte den frommen Betrug einer säugenden Mutter schuldig zu sein, er brachte ihr Nachrichten von unserem Bruder, den er niemals sah, ermahnte sie in seinem Namen zur Ruhe, bat sie für sich und das Kind zu Sorgen, und wegen der Zukunft Gott zu vertrauen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2648,"orig":"Sperata war von Natur zur Religioſität geneigt.","norm":"Sperata war von Natur zur Religiosität geneigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2649,"orig":"Ihr Zuſtand, ihre Einſamkeit vermehrten dieſen Zug, der Geiſtliche unterhielt ihn, um ſie nach und nach auf eine ewige Trennung vorzubereiten.","norm":"Ihr Zustand, ihre Einsamkeit vermehrten diesen Zug, der Geistliche unterhielt ihn, um sie nach und nach auf eine ewige Trennung vorzubereiten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2650,"orig":"Kaum war das Kind entwöhnt, kaum glaubte er ihren Körper ſtark genug, die ängſtlichſten Seelenleiden zu ertragen, ſo fing er an das Vergehen ihr mit ſchrecklichen Farben vorzumahlen, das Vergehen ſich einem Geiſtlichen ergeben zu haben, das er als eine Art von Sünde gegen die Natur, als einen Inceſt behandelte.","norm":"Kaum war das Kind entwöhnt, kaum glaubte er ihren Körper stark genug, die ängstlichsten Seelenleiden zu ertragen, so fing er an das Vergehen ihr mit schrecklichen Farben vorzumalen, das Vergehen sich einem Geistlichen ergeben zu haben, das er als eine Art von Sünde gegen die Natur, als einen Inzest behandelte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2651,"orig":"Denn er hatte den ſonderbaren Gedanken, ihre Reue jener Reue gleich zu machen, die ſie empfunden haben würde, wenn ſie das wahre Verhältnis ihres Fehltrittes erfahren hätte.","norm":"Denn er hatte den sonderbaren Gedanken, ihre Reue jener Reue gleichzumachen, die sie empfunden haben würde, wenn sie das wahre Verhältnis ihres Fehltritts erfahren hätte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2652,"orig":"Er brachte dadurch ſo viel Jammer und Kummer in ihr Gemüth, er erhöhte die Idee der Kirche und ihres Oberhauptes ſo ſehr vor ihr, er zeigte ihr die ſchrecklichen Folgen für das Heil aller Seelen, wenn man in ſolchen Fällen nachgeben, und die Straffälligen durch eine rechtmäßige Verbindung noch gar belohnen wolle; er zeigte ihr, wie heilſam es ſey, einen ſolchen Fehler in der Zeit abzubüßen, und dafür dereinſt die Krone der Herrlichkeit zu erwerben, daß ſie endlich wie eine arme Sünderinn ihren Nacken dem Beil willig darreichte, und inſtändig bat, daß man ſie auf ewig von unſerm Bruder entfernen möchte.","norm":"Er brachte dadurch so viel Jammer und Kummer in ihr Gemüt, er erhöhte die Idee der Kirche und ihres Oberhauptes so sehr vor ihr, er zeigte ihr die schrecklichen Folgen für das Heil aller Seelen, wenn man in solchen Fällen nachgeben, und die Straffälligen durch eine rechtmäßige Verbindung noch gar belohnen wolle; er zeigte ihr, wie heilsam es sei, einen solchen Fehler in der Zeit abzubüßen, und dafür dereinst die Krone der Herrlichkeit zu erwerben, dass sie endlich wie eine arme Sünderin ihren Nacken dem Beil willig darreichte, und inständig bat, dass man sie auf ewig von unserem Bruder entfernen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2653,"orig":"Als man ſo viel von ihr erlangt hatte, ließ man ihr, doch unter einer gewiſſen Aufſicht, die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald in dem Kloſter zu ſeyn, je nachdem ſie es für gut hielte.","norm":"Als man so viel von ihr erlangt hatte, ließ man ihr, doch unter einer gewissen Aufsicht, die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald in dem Kloster zu sein, je nachdem sie es für gut hielte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2654,"orig":"Ihr Kind wuchs heran, und zeigte bald eine ſonderbare Natur.","norm":"Ihr Kind wuchs heran, und zeigte bald eine sonderbare Natur."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2655,"orig":"Es konnte ſehr früh laufen, und ſich mit aller Geſchicklichkeit bewegen, es ſang bald ſehr artig, und lernte die Zither gleichſam von ſich ſelbſt.","norm":"Es konnte sehr früh laufen, und sich mit aller Geschicklichkeit bewegen, es sang bald sehr artig, und lernte die Zither gleichsam von sich selbst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2656,"orig":"Nur mit Worten konnte es ſich nicht ausdrücken, und es ſchien das Hindernis mehr in ſeiner Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen zu liegen.","norm":"Nur mit Worten konnte es sich nicht ausdrücken, und es schien das Hindernis mehr in seiner Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen zu liegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2657,"orig":"Die arme Mutter fühlte indeſſen ein trauriges Verhältnis zu dem Kinde, die Behandlung des Geiſtlichen hatte ihre Vorſtellungsart ſo verwirrt, daß ſie, ohne wahnſinnig zu ſeyn, ſich in den ſeltſamſten Zuſtänden befand.","norm":"Die arme Mutter fühlte indessen ein trauriges Verhältnis zu dem Kinde, die Behandlung des Geistlichen hatte ihre Vorstellungsart so verwirrt, dass sie, ohne wahnsinnig zu sein, sich in den seltsamsten Zuständen befand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2658,"orig":"Ihr Vergehen ſchien ihr immer ſchrecklicher und ſtraffälliger zu werden, das oft wiederholte Gleichniß des Geiſtlichen vom Inceſte hatte ſich ſo tief bey ihr eingeprägt, daß ſie einen ſolchen Abſcheu empfand, als wenn ihr das Verhältniß ſelbſt bekannt geweſen wäre.","norm":"Ihr Vergehen schien ihr immer schrecklicher und straffälliger zu werden, das oft wiederholte Gleichnis des Geistlichen vom Inzest hatte sich so tief bei ihr eingeprägt, dass sie einen solchen Abscheu empfand, als wenn ihr das Verhältnis selbst bekannt gewesen wäre."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2659,"orig":"Der Beichtvater dünkte ſich nicht wenig über das Kunſtſtück, wodurch er das Herz eines unglücklichen Geſchöpfes zerriß.","norm":"Der Beichtvater dünkte sich nicht wenig über das Kunststück, wodurch er das Herz eines unglücklichen Geschöpfes zerriss."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2660,"orig":"Jämmerlich war es anzuſehen, wie die Mutterliebe, die über das Daſeyn des Kindes ſich ſo herzlich zu erfreuen geneigt war, mir dem ſchrecklichen Gedanken ſtritt, daß dieſes Kind nicht da ſeyn ſollte.","norm":"Jämmerlich war es anzusehen, wie die Mutterliebe, die über das Dasein des Kindes sich so herzlich zu erfreuen geneigt war, mit dem schrecklichen Gedanken stritt, dass dieses Kind nicht da sein sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2661,"orig":"Bald ſtritten dieſe beyden Gefühle zuſammen, bald war der Abſcheu über die Liebe gewaltig.","norm":"Bald stritten diese beiden Gefühle zusammen, bald war der Abscheu über die Liebe gewaltig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2662,"orig":"Man hatte das Kind ſchon lange von ihr weggenommen, und zu guten Leuten unten am See gegeben, und in der mehrern Freiheit, die es hatte, zeigte ſich bald ſeine beſondre Luſt zum klettern.","norm":"Man hatte das Kind schon lange von ihr weggenommen, und zu guten Leuten unten am See gegeben, und in der mehreren Freiheit, die es hatte, zeigte sich bald seine besondere Lust zum Klettern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2663,"orig":"Die höchſten Gipfel zu erſteigen, auf den Rändern der Schiffe wegzulaufen und den Seiltänzern, die ſich manchmal in dem Orte ſehen ließen, die wunderlichſten Kunſtſtücke nachzumachen, war ein natürlicher Trieb.","norm":"Die höchsten Gipfel zu ersteigen, auf den Rändern der Schiffe wegzulaufen und den Seiltänzern, die sich manchmal in dem Orte sehen ließen, die wunderlichsten Kunststücke nachzumachen, war ein natürlicher Trieb."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2664,"orig":"Um das alles leichter zu üben, liebte ſie mit den Knaben die Kleider zu wechſeln, und ob es gleich von ihren Pflegeeltern höchſt unanſtändig und unzuläßig gehalten wurde, ſo ließen wir ihr doch ſo viel als möglich nachſehen.","norm":"Um das alles leichter zu üben, liebte sie mit den Knaben die Kleider zu wechseln, und ob es gleich von ihren Pflegeeltern höchst unanständig und unzulässig gehalten wurde, so ließen wir ihr doch soviel als möglich nachsehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2665,"orig":"Ihre wunderlichen Wege und Sprünge führten ſie manchmal weit, ſie verirrte ſich, ſie blieb aus, und kam immer wieder.","norm":"Ihre wunderlichen Wege und Sprünge führten sie manchmal weit, sie verirrte sich, sie blieb aus, und kam immer wieder."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2666,"orig":"Meiſtentheils wenn ſie zurückkehrte, ſetzte ſie ſich unter die Säulen des Portals vor einem Landhauſe in der Nachbarſchaft; man ſuchte ſie nicht mehr, man erwartete ſie.","norm":"Meistenteils wenn sie zurückkehrte, setzte sie sich unter die Säulen des Portals vor einem Landhause in der Nachbarschaft; man suchte sie nicht mehr, man erwartete sie."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2667,"orig":"Dort ſchien ſie auf den Stufen auszuruhen, dann lief ſie in den großen Saal, beſahe die Statuen, und wenn man ſie nicht beſonders aufhielt, eilte ſie nach Hauſe.","norm":"Dort schien sie auf den Stufen auszuruhen, dann lief sie in den großen Saal, besah die Statuen, und wenn man sie nicht besonders aufhielt, eilte sie nach Hause."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2668,"orig":"Zuletzt ward denn doch unſer Hoffen getäuſcht, und unſere Nachſicht beſtraft.","norm":"Zuletzt wurde denn doch unser Hoffen getäuscht, und unsere Nachsicht bestraft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2669,"orig":"Das Kind blieb aus, man fand ſeinen Hut auf dem Waſſer ſchwimmen, nicht weit von dem Orte, wo ein Gießbach ſich in den See ſtürzt.","norm":"Das Kind blieb aus, man fand seinen Hut auf dem Wasser schwimmen, nicht weit von dem Orte, wo ein Gießbach sich in den See stürzt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2670,"orig":"Man vermuthete, daß es bey ſeinem Klettern zwiſchen den Felſen verunglückt ſey, bey allem Nachforſchen konnte man den Körper nicht finden.","norm":"Man vermutete, dass es bei seinem Klettern zwischen den Felsen verunglückt sei, bei allem Nachforschen konnte man den Körper nicht finden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2671,"orig":"Durch das unvorſichtige Geſchwätz ihrer Geſellſchafterinnen erfuhr Sperata bald den Tod ihres Kindes, ſie ſchien ruhig und heiter, und gab nicht undeutlich zu verſtehen, ſie freue ſich, daß Gott das arme Geſchöpf zu ſich genommen und ſo bewahrt habe, ein größeres Unglück zu erdulden oder zu ſtiften.","norm":"Durch das unvorsichtige Geschwätz ihrer Gesellschafterinnen erfuhr Sperata bald den Tod ihres Kindes, sie schien ruhig und heiter, und gab nicht undeutlich zu verstehen, sie freue sich, dass Gott das arme Geschöpf zu sich genommen und so bewahrt habe, ein größeres Unglück zu erdulden oder zu stiften."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2672,"orig":"Bey dieſer Gelegenheit kamen alle Mährchen zur Sprache, die man von unſern Waſſern zu erzählen pflegt.","norm":"Bei dieser Gelegenheit kamen alle Märchen zur Sprache, die man von unseren Wassern zu erzählen pflegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2673,"orig":"Es hieß: der See müſſe alle Jahre ein unſchuldiges Kind haben, er leide keinen todten Körper, und werfe ihn früh oder ſpät ans Ufer, ja ſogar das letzte Knöchelchen, wenn es zu Grunde geſunken ſey, müſſe wieder heraus.","norm":"Es hieß: Der See müsse alle Jahre ein unschuldiges Kind haben, er leide keinen toten Körper, und werfe ihn früh oder spät ans Ufer, ja sogar das letzte Knöchelchen, wenn es zu Grunde gesunken sei, müsse wieder heraus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2674,"orig":"Man erzählte die Geſchichte einer untröſtlichen Mutter, deren Kind im See ertrunken ſey, und die Gott und ſeine Heiligen angerufen habe, nur wenigſtens ihr die Gebeine zum Begräbniß zu gönnen; der nächſte Sturm habe den Schädel, der folgende den Rumpf ans Ufer gebracht, und nachdem alles beyſammen geweſen, habe ſie ſämmtliche Gebeine in einem Tuch zur Kirche getragen, aber, o Wunder!","norm":"Man erzählte die Geschichte einer untröstlichen Mutter, deren Kind im See ertrunken sei, und die Gott und seine Heiligen angerufen habe, nur wenigstens ihr die Gebeine zum Begräbnis zu gönnen; der nächste Sturm habe den Schädel, der folgende den Rumpf ans Ufer gebracht, und nachdem alles beisammen gewesen, habe sie sämtliche Gebeine in einem Tuch zur Kirche getragen, aber, o Wunder!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2675,"orig":"als ſie in den Tempel getreten, ſey das Paket immer ſchwerer geworden, und endlich als ſie es auf die Stufen des Altars gelegt, habe das Kind zu ſchreyen angefangen, und habe ſich zu jedermanns Erſtaunen aus dem Tuche losgemacht, nur ein Knöchelchen des kleinen Fingers, an der rechten Hand habe gefehlt, welches denn die Mutter nachher noch ſorgfältig aufgeſucht und gefunden, das denn auch noch zum Gedächtniß unter andern Reliquien in der Kirche aufgehoben werde.","norm":"als sie in den Tempel getreten, sei das Paket immer schwerer geworden, und endlich als sie es auf die Stufen des Altars gelegt, habe das Kind zu schreien angefangen, und habe sich zu jedermanns Erstaunen aus dem Tuche losgemacht, nur ein Knöchelchen des kleinen Fingers, an der rechten Hand habe gefehlt, welches denn die Mutter nachher noch sorgfältig aufgesucht und gefunden, das denn auch noch zum Gedächtnis unter anderen Reliquien in der Kirche aufgehoben werde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2676,"orig":"Auf die arme Mutter machten dieſe Geſchichten großen Eindruck, ihre Einbildungskraft fühlte einen neuen Schwung, und begünſtigte die Empfindung ihres Herzens.","norm":"Auf die arme Mutter machten diese Geschichten großen Eindruck, ihre Einbildungskraft fühlte einen neuen Schwung, und begünstigte die Empfindung ihres Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2677,"orig":"Sie nahm an, daß das Kind nunmehr für ſich und ſeine Eltern abgebüßt habe, daß Fluch und Strafe, die bisher auf ihnen geruht, nunmehr gänzlich gehoben ſey, daß es nur darauf ankomme, die Gebeine des Kindes wieder zu finden, um ſie nach Rom zu bringen, ſo würde das Kind auf den Stufen des großen Altars der Peterskirche wieder, mit ſeiner ſchönen friſchen Haut umgeben, vor dem Volke daſtehn.","norm":"Sie nahm an, dass das Kind nunmehr für sich und seine Eltern abgebüßt habe, dass Fluch und Strafe, die bisher auf ihnen geruht, nunmehr gänzlich gehoben sei, dass es nur darauf ankomme, die Gebeine des Kindes wiederzufinden, um sie nach Rom zu bringen, so würde das Kind auf den Stufen des großen Altars der Peterskirche wieder, mit seiner schönen frischen Haut umgeben, vor dem Volke dastehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2678,"orig":"Es werde mit ſeinen eignen Augen wieder Vater und Mutter ſchauen, und der Papſt, von der Einſtimmung Gottes und ſeiner Heiligen überzeugt, werde unter dem lauten Zuruf des Volks, den Eltern die Sünde vergeben, ſie losſprechen und ſie verbinden.","norm":"Es werde mit seinen eigenen Augen wieder Vater und Mutter schauen, und der Papst, von der Einstimmung Gottes und seiner Heiligen überzeugt, werde unter dem lauten Zuruf des Volks, den Eltern die Sünde vergeben, sie lossprechen und sie verbinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2679,"orig":"Nun waren ihre Augen und ihre Sorgfalt immer nach dem See und dem Ufer gerichtet.","norm":"Nun waren ihre Augen und ihre Sorgfalt immer nach dem See und dem Ufer gerichtet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2680,"orig":"Wenn Nachts im Mondſchein ſich die Wellen umſchlugen, glaubte ſie jeder blinkende Saum treibe ihr Kind hervor, es mußte jemand zum Scheine hinablaufen, um es am Ufer aufzufangen.","norm":"Wenn Nachts im Mondschein sich die Wellen umschlugen, glaubte sie jeder blinkende Saum treibe ihr Kind hervor, es musste jemand zum Scheine hinablaufen, um es am Ufer aufzufangen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2681,"orig":"So war ſie auch des Tages unermüdet an den Stellen, wo das kießichte Ufer flach in die See ging, ſie ſammelte in ein Körbchen alle Knochen, die ſie fand.","norm":"So war sie auch des Tages unermüdet an den Stellen, wo das kiesige Ufer flach in die See ging, sie sammelte in ein Körbchen alle Knochen, die sie fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2682,"orig":"Niemand durfte ihr ſagen, daß es Thierknochen ſeyen; die großen begrub ſie, die kleinen hub ſie auf.","norm":"Niemand durfte ihr sagen, dass es Tierknochen seien; die großen begrub sie, die kleinen hob sie auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2683,"orig":"In dieſer Beſchäftigung lebte ſie unabläſſig fort.","norm":"In dieser Beschäftigung lebte sie unablässig fort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2684,"orig":"Der Geiſtliche, der durch die unerläßliche Ausübung ſeiner Pflicht ihren Zuſtand verurſacht hatte, nahm ſich auch ihrer nun aus allen Kräften an.","norm":"Der Geistliche, der durch die unerlässliche Ausübung seiner Pflicht ihren Zustand verursacht hatte, nahm sich auch ihrer nun aus allen Kräften an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2685,"orig":"Durch ſeinen Einfluß ward ſie in der Gegend für eine Entzückte, nicht für eine Verrückte, gehalten, man ſtand mit gefalteten Händen, wenn ſie vorbeyging, und die Kinder küßten ihr die Hand.","norm":"Durch seinen Einfluss wurde sie in der Gegend für eine Entzückte, nicht für eine Verrückte, gehalten, man stand mit gefalteten Händen, wenn sie vorbeiging, und die Kinder küssten ihr die Hand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2686,"orig":"Ihrer alten Freundin und Begleiterin war von dem Beichtvater die Schuld, die ſie bey der unglücklichen Verbindung beyder Perſonen gehabt haben mochte, nur unter der Bedingung erlaſſen, daß ſie, unabläſſig treu, ihr ganzes künftiges Leben die Unglückliche begleiten ſolle, und ſie hat mit einer bewundernswürdigen Geduld und Gewiſſenhaftigkeit ihre Pflichten bis zuletzt ausgeübt.","norm":"Ihrer alten Freundin und Begleiterin war von dem Beichtvater die Schuld, die sie bei der unglücklichen Verbindung beider Personen gehabt haben mochte, nur unter der Bedingung erlassen, dass sie, unablässig treu, ihr ganzes künftiges Leben die Unglückliche begleiten solle, und sie hat mit einer bewundernswürdigen Geduld und Gewissenhaftigkeit ihre Pflichten bis zuletzt ausgeübt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2687,"orig":"Wir hatten unterdeſſen unſern Bruder nicht aus den Augen verlohren, weder die Ärzte noch die Geiſtlichkeit ſeines Kloſters wollten uns erlauben, vor ihm zu erſcheinen; allein um uns zu überzeugen, daß es ihm nach ſeiner Art wohl gehe, konnten wir ihn, ſo oft wir wollten, in dem Garten, in den Kreuzgängen, ja durch ein Fenſter an der Decke ſeines Zimmers belauſchen.","norm":"Wir hatten unterdessen unseren Bruder nicht aus den Augen verloren, weder die Ärzte noch die Geistlichkeit seines Klosters wollten uns erlauben, vor ihm zu erscheinen; allein um uns zu überzeugen, dass es ihm nach seiner Art wohl gehe, konnten wir ihn, so oft wir wollten, in dem Garten, in den Kreuzgängen, ja durch ein Fenster an der Decke seines Zimmers belauschen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2688,"orig":"Nach vielen ſchrecklichen und ſonderbaren Epochen, die ich übergehe, war er in einen ſeltſamen Zuſtand der Ruhe des Geiſtes und der Unruhe des Körpers gerathen.","norm":"Nach vielen schrecklichen und sonderbaren Epochen, die ich übergehe, war er in einen seltsamen Zustand der Ruhe des Geistes und der Unruhe des Körpers geraten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2689,"orig":"Er ſaß faſt niemals, als wenn er ſeine Harfe nahm und darauf ſpielte, da er ſie denn meiſtens mit Geſang begleitete.","norm":"Er saß fast niemals, als wenn er seine Harfe nahm und darauf spielte, da er sie denn meistens mit Gesang begleitete."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2690,"orig":"Übrigens war er immer in Bewegung, und in allem äußerſt lenkſam und folgſam, denn alle ſeine Leidenſchaften ſchienen ſich in der einzigen Furcht des Todes aufgelöſt zu haben.","norm":"Übrigens war er immer in Bewegung, und in allem äußerst lenksam und folgsam, denn alle seine Leidenschaften schienen sich in der einzigen Furcht des Todes aufgelöst zu haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2691,"orig":"Man konnte ihn zu allem in der Welt bewegen, wenn man ihm mit einer gefährlichen Krankheit oder mit dem Tode drohte.","norm":"Man konnte ihn zu allem in der Welt bewegen, wenn man ihm mit einer gefährlichen Krankheit oder mit dem Tode drohte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2692,"orig":"Außer dieſer Sonderbarkeit, daß er unermüdet im Kloſter hin und her ging, und nicht undeutlich zu verſtehen gab: daß es noch beſſer ſeyn würde, über Berg und Thäler ſo zu wandeln, ſprach er auch von einer Erſcheinung, die ihn gewöhnlich ängſtigte.","norm":"Außer dieser Sonderbarkeit, dass er unermüdet im Kloster hin und her ging, und nicht undeutlich zu verstehen gab: dass es noch besser sein würde, über Berg und Täler so zu wandeln, sprach er auch von einer Erscheinung, die ihn gewöhnlich ängstigte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2693,"orig":"Er behauptete nämlich, daß bey ſeinem Erwachen, zu jeder Stunde der Nacht, ein ſchöner Knabe unten an ſeinem Bette ſtehe, und ihm mit einem blanken Meſſer drohe.","norm":"Er behauptete nämlich, dass bei seinem Erwachen, zu jeder Stunde der Nacht, ein schöner Knabe unten an seinem Bette stehe, und ihm mit einem blanken Messer drohe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2694,"orig":"Man verſetzte ihn in ein anderes Zimmer, allein er behauptete, auch da und zuletzt ſogar an andern Stellen des Kloſters ſtehe der Knabe im Hinterhalt.","norm":"Man versetzte ihn in ein anderes Zimmer, allein er behauptete, auch da und zuletzt sogar an anderen Stellen des Klosters stehe der Knabe im Hinterhalt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2695,"orig":"Sein Auf – und Abwandeln ward unruhiger, ja man erinnerte ſich nachher, daß er in der Zeit öfters als ſonſt an dem Fenſter geſtanden und über den See hinüber geſehen habe.","norm":"Sein Auf – und Abwandeln wurde unruhiger, ja man erinnerte sich nachher, dass er in der Zeit öfters als sonst an dem Fenster gestanden und über den See hinübergesehen habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2696,"orig":"Unſere arme Schweſter indeſſen ſchien von dem einzigen Gedanken, von der beſchränkten Beſchäftigung nach und nach aufgerieben zu werden, und unſer Arzt ſchlug vor, man ſollte ihr, nach und nach, unter ihre übrigen Gebeine die Knochen eines Kinderſkelets miſchen, um dadurch ihre Hoffnung zu vermehren.","norm":"Unsere arme Schwester indessen schien von dem einzigen Gedanken, von der beschränkten Beschäftigung nach und nach aufgerieben zu werden, und unser Arzt schlug vor, man sollte ihr, nach und nach, unter ihre übrigen Gebeine die Knochen eines Kinderskeletts mischen, um dadurch ihre Hoffnung zu vermehren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2697,"orig":"Der Verſuch war zweifelhaft, doch ſchien wenigſtens ſo viel dabey gewonnen, daß man ſie, wenn alle Theile beyſammen wären, von dem ewigen Suchen abbringen, und ihr zu einer Reiſe nach Rom Hoffnung machen könnte.","norm":"Der Versuch war zweifelhaft, doch schien wenigstens so viel dabei gewonnen, dass man sie, wenn alle Teile beisammen wären, von dem ewigen Suchen abbringen, und ihr zu einer Reise nach Rom Hoffnung machen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2698,"orig":"Es geſchah, und ihre Begleiterin vertauſchte unmerklich die ihr anvertrauten kleinen Reſte mit den gefundenen, und eine un-> glaubliche Wonne verbreitete ſich über die arme Kranke, als die Theile ſich nach und nach zuſammen fanden, und man diejenigen bezeichnen konnte, die noch fehlten.","norm":"Es geschah, und ihre Begleiterin vertauschte unmerklich die ihr anvertrauten kleinen Reste mit den gefundenen, und eine un-> glaubliche Wonne verbreitete sich über die arme Kranke, als die Teile sich nach und nach zusammenfanden, und man diejenigen bezeichnen konnte, die noch fehlten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2699,"orig":"Sie hatte mit großer Sorgfalt jeden Theil, wo er hingehörte, mit Fäden und Bändern befeſtigt, ſie hatte, wie man die Körper der Heiligen zu ehren pflegt, mit Seide und Stickerey die Zwiſchenräume ausgefüllt.","norm":"Sie hatte mit großer Sorgfalt jeden Teil, wo er hingehörte, mit Fäden und Bändern befestigt, sie hatte, wie man die Körper der Heiligen zu ehren pflegt, mit Seide und Stickerei die Zwischenräume ausgefüllt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2700,"orig":"So hatte man die Glieder zuſammen kommen laſſen, es fehlten nur wenige der äußeren Enden.","norm":"So hatte man die Glieder zusammenkommen lassen, es fehlten nur wenige der äußeren Enden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2701,"orig":"Eines Morgens, als ſie noch ſchlief, und der Medikus gekommen war, nach ihrem Befinden zu fragen, nahm die Alte die verehrten Reſte aus dem Käſtchen weg, das in der Schlafkammer ſtand, um dem Arzte zu zeigen, wie ſich die gute Kranke beſchäftige.","norm":"Eines Morgens, als sie noch schlief, und der Medikus gekommen war, nach ihrem Befinden zu fragen, nahm die Alte die verehrten Reste aus dem Kästchen weg, das in der Schlafkammer stand, um dem Arzte zu zeigen, wie sich die gute Kranke beschäftige."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2702,"orig":"Kurz darauf hörte man ſie aus dem Bette ſpringen, ſie hob das Tuch auf, und fand das Käſtchen leer.","norm":"Kurz darauf hörte man sie aus dem Bette springen, sie hob das Tuch auf, und fand das Kästchen leer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2703,"orig":"Sie warf ſich auf ihre Knie, man kam und hörte ihr freudiges, inbrünſtiges Gebet.","norm":"Sie warf sich auf ihre Knie, man kam und hörte ihr freudiges, inbrünstiges Gebet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2704,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2705,"orig":"es iſt wahr, rief ſie aus, es war kein Traum, es iſt wirklich!","norm":"es ist wahr, rief sie aus, es war kein Traum, es ist wirklich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2706,"orig":"freuet euch meine Freunde mit mir, ich habe das gute, ſchöne Geſchöpf wieder lebendig geſehen.","norm":"Freuet euch meine Freunde mit mir, Ich habe das gute, schöne Geschöpf wieder lebendig gesehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2707,"orig":"Es ſtand auf, und warf den Schleyer von ſich, ſein Glanz erleuchtete das Zimmer, ſeine Schönheit war verklärt, es konnte den Boden nicht betreten, ob es gleich wollte.","norm":"Es stand auf, und warf den Schleier von sich, sein Glanz erleuchtete das Zimmer, seine Schönheit war verklärt, es konnte den Boden nicht betreten, ob es gleich wollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2708,"orig":"Leicht ward es empor gehoben, und konnte mir nicht einmal ſeine Hand reichen.","norm":"Leicht wurde es emporgehoben, und konnte mir nicht einmal seine Hand reichen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2709,"orig":"Da rief es mich zu ſich, und zeigte mir den Weg, den ich gehen ſoll.","norm":"Da rief es mich zu sich, und zeigte mir den Weg, den ich gehen soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2710,"orig":"Ich werde ihm folgen und bald folgen, ich fühl es, und es wird mir ſo leicht ums Herz.","norm":"Ich werde ihm folgen und bald folgen, ich fühle es, und es wird mir so leicht um das Herz."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2711,"orig":"Mein Kummer iſt verſchwunden, und ſchon das Anſchauen meines wieder Auferſtandenen hat mir einen Vorſchmack der himmliſchen Freude gegeben.","norm":"Mein Kummer ist verschwunden, und schon das Anschauen meines Wiederauferstandenen hat mir einen Vorgeschmack der himmlischen Freude gegeben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2712,"orig":"Von der Zeit an war ihr ganzes Gemüth mit den heiterſten Ausſichten beſchäftigt, auf keinen irrdiſchen Gegenſtand richtete ſie ihre Aufmerkſamkeit mehr, ſie genoß nur wenige Speiſen, und ihr Geiſt machte ſich nach und nach von den Banden des Körpers los.","norm":"Von der Zeit an war ihr ganzes Gemüt mit den heitersten Aussichten beschäftigt, auf keinen irdischen Gegenstand richtete sie ihre Aufmerksamkeit mehr, sie genoss nur wenige Speisen, und ihr Geist machte sich nach und nach von den Banden des Körpers los."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2713,"orig":"Auch fand man ſie zuletzt unvermuthet erblaßt und ohne Empfindung, ſie öfnete die Augen nicht wieder, ſie war, was wir todt nennen.","norm":"Auch fand man sie zuletzt unvermutet erblasst und ohne Empfindung, sie öffnete die Augen nicht wieder, sie war, was wir tot nennen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2714,"orig":"Der Ruf ihrer Viſion hatte ſich bald unter das Volk verbreitet, und das ehrwürdige Anſehn, das ſie in ihrem Leben genoß, verwandelte ſich nach ihrem Tode ſchnell in den Gedanken, daß man ſie ſogleich für ſeelig, ja für heilig halten müſſe.","norm":"Der Ruf ihrer Vision hatte sich bald unter das Volk verbreitet, und das ehrwürdige Ansehen, das sie in ihrem Leben genoss, verwandelte sich nach ihrem Tode schnell in den Gedanken, dass man sie sogleich für selig, ja für heilig halten müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2715,"orig":"Als man ſie zu Grabe beſtatten wollte, drängten ſich viele Menſchen mit unglaublicher Heftigkeit hinzu, man wollte ihre Hand, man wollte wenigſtens ihr Kleid berühren.","norm":"Als man sie zu Grabe bestatten wollte, drängten sich viele Menschen mit unglaublicher Heftigkeit hinzu, man wollte ihre Hand, man wollte wenigstens ihr Kleid berühren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2716,"orig":"In dieſer leidenſchaftlichen Erhöhung fühlten verſchiedene Kranke die Übel nicht, von denen ſie ſonſt gequält wurden, ſie hielten ſich für geheilt, ſie bekannten’s, ſie prieſen Gott und ſeine neue Heilige.","norm":"In dieser leidenschaftlichen Erhöhung fühlten verschiedene Kranke die Übel nicht, von denen sie sonst gequält wurden, sie hielten sich für geheilt, sie bekannten es, sie priesen Gott und seine neue Heilige."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2717,"orig":"Die Geiſtlichkeit war genöthigt, den Körper in eine Capelle zu ſtellen, das Volk verlangte Gelegenheit ſeine Andacht zu verrichten, der Zudrang war unglaublich; die Bergbewohner, die ohnedies zu lebhaften, religiöſen Gefühlen geſtimmt ſind, drangen aus ihren Thälern herbey; die Andacht, die Wunder, die Anbetung vermehrten ſich mit jedem Tage.","norm":"Die Geistlichkeit war genötigt, den Körper in eine Kapelle zu stellen, das Volk verlangte Gelegenheit seine Andacht zu verrichten, der Zudrang war unglaublich; die Bergbewohner, die ohnedies zu lebhaften, religiösen Gefühlen gestimmt sind, drangen aus ihren Tälern herbei; die Andacht, die Wunder, die Anbetung vermehrten sich mit jedem Tage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2718,"orig":"Die biſchöfflichen Verordnungen, die einen ſolchen neuen Dienſt einſchränken und nach und nach niederſchlagen ſollten, konnten nicht zur Ausführung gebracht werden; bey jedem Widerſtand war das Volk heftig, und gegen jeden Ungläubigen bereit in Thätlichkeiten auszubrechen.","norm":"Die bischöflichen Verordnungen, die einen solchen neuen Dienst einschränken und nach und nach niederschlagen sollten, konnten nicht zur Ausführung gebracht werden; bei jedem Widerstand war das Volk heftig, und gegen jeden Ungläubigen bereit in Tätlichkeiten auszubrechen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2719,"orig":"Wandelte nicht auch, riefen ſie, der heilige Borromäus unter unſern Vorfahren?","norm":"Wandelte nicht auch, riefen sie, der heilige Borromäus unter unseren Vorfahren?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2720,"orig":"erlebte ſeine Mutter nicht die Wonne ſeiner Seligſprechung?","norm":"Erlebte seine Mutter nicht die Wonne seiner Seligsprechung?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2721,"orig":"hat man nicht durch jenes große Bildniß auf dem Felſen bey Arona uns ſeine geiſtige Größe ſinnlich vergegenwärtigen wollen?","norm":"Hat man nicht durch jenes große Bildnis auf dem Felsen bei Arona uns seine geistige Größe sinnlich vergegenwärtigen wollen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2722,"orig":"leben die ſeinigen nicht noch unter uns?","norm":"Leben die Seinigen nicht noch unter uns?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2723,"orig":"und hat Gott nicht zugeſagt unter einem gläubigen Volke ſeine Wunder ſtets zu erneuern?","norm":"und hat Gott nicht zugesagt unter einem gläubigen Volke seine Wunder stets zu erneuern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2724,"orig":"Als der Körper nach einigen Tagen keine Zeichen der Fäulnis von ſich gab, und eher weißer und gleichſam durchſichtig ward, erhöhte ſich das Zutrauen der Menſchen immer mehr, und es zeigten ſich unter der Menge verſchiedene Kuren, die der aufmerkſame Beobachter ſelbſt nicht erklären, und auch nicht geradezu als Betrug anſprechen konnte.","norm":"Als der Körper nach einigen Tagen keine Zeichen der Fäulnis von sich gab, und eher weißer und gleichsam durchsichtig wurde, erhöhte sich das Zutrauen der Menschen immer mehr, und es zeigten sich unter der Menge verschiedene Kuren, die der aufmerksame Beobachter selbst nicht erklären, und auch nicht geradezu als Betrug ansprechen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2725,"orig":"Die ganze Gegend war in Bewegung, und wer nicht ſelbſt kam, hörte wenigſtens eine Zeit lang von nichts anderm reden.","norm":"Die ganze Gegend war in Bewegung, und wer nicht selbst kam, hörte wenigstens eine Zeitlang von nichts anderem reden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2726,"orig":"Das Kloſter, worin mein Bruder ſich befand, erſcholl ſo gut als die übrige Gegend von dieſen Wundern, und man nahm ſich um ſo weniger in Acht, in ſeiner Gegenwart davon zu ſprechen, als er ſonſt auf nichts aufzumerken pflegte, und ſein Verhältnis niemanden bekannt war.","norm":"Das Kloster, worin mein Bruder sich befand, erscholl so gut als die übrige Gegend von diesen Wundern, und man nahm sich um so weniger in Acht, in seiner Gegenwart davon zu sprechen, als er sonst auf nichts aufzumerken pflegte, und sein Verhältnis niemanden bekannt war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2727,"orig":"Diesmal ſchien er aber mit großer Genauigkeit gehört zu haben, er führte ſeine Flucht mit ſolcher Schlauheit aus, daß niemals jemand hat begreifen können, wie er aus dem Kloſter herausgekommen ſey.","norm":"Diesmal schien er aber mit großer Genauigkeit gehört zu haben, er führte seine Flucht mit solcher Schlauheit aus, dass niemals jemand hat begreifen können, wie er aus dem Kloster herausgekommen sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2728,"orig":"Man erfuhr nachher, daß er ſich mit einer Anzahl Wallfahrer überſetzen laſſen, und daß er die Schiffer, die nichts weiter Verkehrtes an ihm wahrnahmen, nur um die größte Sorgfalt gebeten, daß das Schiff nicht umſchlagen möchte.","norm":"Man erfuhr nachher, dass er sich mit einer Anzahl Wallfahrer übersetzen lassen, und dass er die Schiffer, die nichts weiter Verkehrtes an ihm wahrnahmen, nur um die größte Sorgfalt gebeten, dass das Schiff nicht umschlagen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2729,"orig":"Tief in der Nacht kam er in jene Capelle, wo ſeine unglückliche Geliebte von ihrem Leiden ausruhte, nur wenige Andächtige knieten in den Winkeln, ihre alte Freundin ſaß zu ihren Häupten, er trat hinzu und grüßte ſie, und fragte: wie ſich ihre Gebieterin befände?","norm":"Tief in der Nacht kam er in jene Kapelle, wo seine unglückliche Geliebte von ihrem Leiden ausruhte, nur wenige Andächtige knieten in den Winkeln, ihre alte Freundin saß zu ihren Häupten, er trat hinzu und grüßte sie, und fragte: wie sich ihre Gebieterin befände?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2730,"orig":"Ihr ſeht es, verſetzte dieſe nicht ohne Verlegenheit.","norm":"Ihr seht es, versetzte diese nicht ohne Verlegenheit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2731,"orig":"Er blickte den Leichnam nur von der Seite an.","norm":"Er blickte den Leichnam nur von der Seite an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2732,"orig":"Nach einigem Zaudern nahm er ihre Hand.","norm":"Nach einigem Zaudern nahm er ihre Hand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2733,"orig":"Erſchreckt von der Kälte, ließ er ſie ſogleich wieder fahren, er ſah ſich unruhig um, und ſagte zu der Alten: ich kann jetzt nicht bey ihr bleiben, ich habe noch einen ſehr weiten Weg zu machen, ich will aber zur rechten Zeit ſchon wieder da ſeyn, ſag ihr das, wenn ſie aufwacht.","norm":"Erschreckt von der Kälte, ließ er sie sogleich wieder fahren, er sah sich unruhig um, und sagte zu der Alten: Ich kann jetzt nicht bei ihr bleiben, ich habe noch einen sehr weiten Weg zu machen, ich will aber zur rechten Zeit schon wieder da sein, sage ihr das, wenn sie aufwacht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2734,"orig":"So ging er hinweg, wir wurden nur ſpät von dieſem Vorgange benachrichtigt, man forſchte nach, wo er hingekommen ſey, aber vergebens!","norm":"So ging er hinweg, wir wurden nur spät von diesem Vorgang benachrichtigt, man forschte nach, wo er hingekommen sei, aber vergebens!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2735,"orig":"Wie er ſich durch Berge und Thäler durchgearbeitet haben mag, iſt unbegreiflich.","norm":"Wie er sich durch Berge und Täler durchgearbeitet haben mag, ist unbegreiflich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2736,"orig":"Endlich nach langer Zeit fanden wir in Graubünden eine Spur von ihm wieder, allein zu ſpät, und ſie verlohr ſich bald.","norm":"Endlich nach langer Zeit fanden wir in Graubünden eine Spur von ihm wieder, allein zu spät, und sie verlor sich bald."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2737,"orig":"Wir vermutheten, daß er nach Deutſchland ſey, allein der Krieg hatte ſolche ſchwache Fußtapfen gänzlich verwiſcht.","norm":"Wir vermuteten, dass er nach Deutschland sei, allein der Krieg hatte solche schwache Fußtapfen gänzlich verwischt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2738,"orig":"Der Abbé hörte zu leſen auf, und niemand hatte ohne Thränen zugehört.","norm":"Der Abbé hörte zu lesen auf, und niemand hatte ohne Tränen zugehört."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2739,"orig":"Die Gräfin brachte ihr Tuch nicht von den Augen, zuletzt ſtand ſie auf und verließ mit Natalien das Zimmer.","norm":"Die Gräfin brachte ihr Tuch nicht von den Augen, zuletzt stand sie auf und verließ mit Natalie das Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2740,"orig":"Die übrigen ſchwiegen, und der Abbé ſprach:","norm":"Die übrigen schwiegen, und der Abbé sprach:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2741,"orig":"Es entſteht nun die Frage, ob man den guten Markeſe ſoll abreiſen laſſen, ohne ihm unſer Geheimnis zu entdecken.","norm":"Es entsteht nun die Frage, ob man den guten Marchese soll abreisen lassen, ohne ihm unser Geheimnis zu entdecken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2742,"orig":"Denn wer zweifelt wohl einen Augenblick daran, daß Auguſtin und unſer Harfenſpieler Eine Perſon ſey.","norm":"Denn wer zweifelt wohl einen Augenblick daran, dass Augustin und unser Harfenspieler eine Person sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2743,"orig":"Es iſt zu überlegen, was wir thun, ſowohl um des unglücklichen Mannes als der Familie willen.","norm":"Es ist zu überlegen, was wir tun, sowohl um des unglücklichen Mannes als der Familie Willen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2744,"orig":"Mein Rath wäre nichts zu übereilen, abzuwarten, was uns der Arzt, den wir eben von dort zurückerwarten, für Nachrichten bringt.","norm":"Mein Rat wäre nichts zu übereilen, abzuwarten, was uns der Arzt, den wir eben von dort zurückerwarten, für Nachrichten bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2745,"orig":"Jedermann war derſelben Meynung, und der Abbé fuhr fort: eine andere Frage, die vielleicht ſchneller abzuthun iſt, entſteht zu gleicher Zeit, der Markeſe iſt unglaublich gerührt über die Gaſtfreundſchaft, die ſeine arme Nichte bey uns, beſonders bey unſerm jungen Freunde gefunden hat.","norm":"Jedermann war derselben Meinung, und der Abbé fuhr fort: Eine andere Frage, die vielleicht schneller abzutun ist, entsteht zu gleicher Zeit, der Marchese ist unglaublich gerührt über die Gastfreundschaft, die seine arme Nichte bei uns, besonders bei unserem jungen Freunde gefunden hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2746,"orig":"Ich habe ihm die ganze Geſchichte umſtändlich, ja wiederholt erzählen müſſen, und er zeigte ſeine lebhafteſte Dankbarkeit.","norm":"Ich habe ihm die ganze Geschichte umständlich, ja wiederholt erzählen müssen, und er zeigte seine lebhafteste Dankbarkeit."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2747,"orig":"Der junge Mann, ſagte er, hat ausgeſchlagen mit mir zu reiſen, ehe er das Verhältniß kannte, das unter uns beſteht.","norm":"Der junge Mann, sagte er, hat ausgeschlagen mit mir zu reisen, ehe er das Verhältnis kannte, das unter uns besteht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2748,"orig":"Ich bin ihm nun kein Fremder mehr, von deſſen Art zu ſeyn, und von deſſen Laune er etwa nicht gewis wäre; ich bin ſein Verbundener, wenn Sie wollen ſein Verwandter, und da ſein Knabe, den er nicht zurück laſſen wollte, erſt das Hindernis war, das ihn abhielt ſich zu mir zu geſellen, ſo laſſen Sie jetzt dieſes Kind zum ſchönern Bande werden, das uns nur deſto feſter aneinander knüpft.","norm":"Ich bin ihm nun kein Fremder mehr, von dessen Art zu sein, und von dessen Laune er etwa nicht gewiss wäre; ich bin sein Verbundener, wenn Sie wollen sein Verwandter, und da sein Knabe, den er nicht zurücklassen wollte, erst das Hindernis war, das ihn abhielt sich zu mir zu gesellen, so lassen Sie jetzt dieses Kind zum schöneren Bande werden, das uns nur desto fester aneinanderknüpft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2749,"orig":"Über die Verbindlichkeit, die ich nun ſchon habe, ſey er mir noch auf der Reiſe nützlich, er kehre mit mir zurück, mein älterer Bruder wird ihn mit Freuden empfangen, er verſchmähe die Erbſchaft ſeines Pflegekindes nicht, denn nach einer geheimen Abrede unſeres Vaters mit ſeinem Freunde iſt das Vermögen, das er ſeiner Tochter zugewendet hatte, wieder an uns zurückgefallen, und wir wollen dem Wohlthäter unſerer Nichte gewiß das nicht vorenthalten, was er verdient hat.","norm":"Über die Verbindlichkeit, die ich nun schon habe, sei er mir noch auf der Reise nützlich, er kehre mit mir zurück, mein älterer Bruder wird ihn mit Freuden empfangen, er verschmähe die Erbschaft seines Pflegekindes nicht, denn nach einer geheimen Abrede unseres Vaters mit seinem Freunde ist das Vermögen, das er seiner Tochter zugewendet hatte, wieder an uns zurückgefallen, und wir wollen dem Wohltäter unserer Nichte gewiss das nicht vorenthalten, was er verdient hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2750,"orig":"Thereſe nahm Wilhelmen bey der Hand, und ſagte: wir erleben abermals hier ſo einen ſchönen Fall, daß uneigennütziges Wohlthun die höchſten und ſchönſten Zinſen bringt.","norm":"Therese nahm Wilhelm bei der Hand, und sagte: Wir erleben abermals hier so einen schönen Fall, dass uneigennütziges Wohltun die höchsten und schönsten Zinsen bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2751,"orig":"Folgen Sie dieſem ſonderbaren Ruf, und indem Sie ſich um den Markeſe doppelt verdient machen, eilen Sie einem ſchönen Lande entgegen, das Ihre Einbildungskraft und Ihr Herz mehr als Einmal an ſich gezogen hat.","norm":"Folgen Sie diesem sonderbaren Ruf, und indem Sie sich um den Marchese doppelt verdient machen, eilen Sie einem schönen Lande entgegen, das Ihre Einbildungskraft und Ihr Herz mehr als Einmal an sich gezogen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2752,"orig":"Ich überlaſſe mich ganz meinen Freunden und Ihrer Führung, ſagte Wilhelm; es iſt vergebens in dieſer Welt nach eigenem Willen zu ſtreben.","norm":"Ich überlasse mich ganz meinen Freunden und Ihrer Führung, sagte Wilhelm; es ist vergebens in dieser Welt nach eigenem Willen zu streben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2753,"orig":"Was ich feſt zu halten wünſchte, muß ich fahren laſſen, und eine unverdiente Wohlthat drängt ſich mir auf.","norm":"Was ich festzuhalten wünschte, muss ich fahrenlassen, und eine unverdiente Wohltat drängt sich mir auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2754,"orig":"Mit einen Druck auf Thereſens Hand machte Wilhelm die ſeinige los.","norm":"Mit einen Druck auf Theresens Hand machte Wilhelm die seinige los."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2755,"orig":"Ich überlaſſe Ihnen ganz, ſagte er zu dem Abbé, was Sie über mich beſchließen, wenn ich meinen Felix nicht von mir zu laſſen brauche, ſo bin ich zufrieden überall hinzugehn, und alles, was man für recht hält, zu unternehmen.","norm":"Ich überlasse Ihnen ganz, sagte er zu dem Abbé, was Sie über mich beschließen, wenn ich meinen Felix nicht von mir zu lassen brauche, so bin ich zufrieden überall hinzugehen, und alles, was man für recht hält, zu unternehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2756,"orig":"Auf dieſe Erklärung entwarf der Abbé ſogleich ſeinen Plan.","norm":"Auf diese Erklärung entwarf der Abbé sogleich seinen Plan."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2757,"orig":"Man ſolle, ſagte er, den Markeſe abreiſen laſſen, Wilhelm ſolle die Nachricht des Arztes abwarten, und alsdann, wenn man überlegt hätte, was zu thun ſey, könne Wilhelm mit Felix nachreiſen.","norm":"Man solle, sagte er, den Marchese abreisen lassen, Wilhelm solle die Nachricht des Arztes abwarten, und alsdann, wenn man überlegt hätte, was zu tun sei, könne Wilhelm mit Felix nachreisen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2758,"orig":"So bedeutete er auch den Markeſe, unter einem Vorwand, daß die Einrichtungen des jungen Freundes zur Reiſe ihn nicht abhalten müßten, die Merkwürdigkeiten der Stadt indeſſen zu beſehn.","norm":"So bedeutete er auch den Marchese, unter einem Vorwand, dass die Einrichtungen des jungen Freundes zur Reise ihn nicht abhalten müssten, die Merkwürdigkeiten der Stadt indessen zu besehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2759,"orig":"Der Markeſe ging ab, nicht ohne wiederholte lebhafte Verſicherung ſeiner Dankbarkeit, wovon die Geſchenke, die er zurückließ, und die aus Juwelen, geſchnittenen Steinen und geſtickten Stoffen beſtunden, einen genugſamen Beweis gaben.","norm":"Der Marchese ging ab, nicht ohne wiederholte lebhafte Versicherung seiner Dankbarkeit, wovon die Geschenke, die er zurückließ, und die aus Juwelen, geschnittenen Steinen und gestickten Stoffen bestanden, einen genugsamen Beweis gaben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2760,"orig":"Wilhelm war nun auch völlig reiſefertig, und man war um ſo mehr verlegen, daß keine Nachrichten von dem Arzt kommen wollten, man befürchtete dem armen Harfenſpieler möchte ein Unglück begegnet ſeyn, zu eben der Zeit als man hoffen konnte, ihn durchaus in einen beſſern Zuſtand zu verſetzen.","norm":"Wilhelm war nun auch völlig reisefertig, und man war um so mehr verlegen, dass keine Nachrichten von dem Arzt kommen wollten, man befürchtete dem armen Harfenspieler möchte ein Unglück begegnet sein, zu eben der Zeit als man hoffen konnte, ihn durchaus in einen besseren Zustand zu versetzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2761,"orig":"Man ſchickte den Curier fort, der kaum weggeritten war, als am Abeud der Arzt mit einem Fremden hereintrat, deſſen Geſtalt und Weſen bedeutend, ernſthaft und auffallend war, und den niemand kannte.","norm":"Man schickte den Kurier fort, der kaum weggeritten war, als am Abend der Arzt mit einem Fremden hereintrat, dessen Gestalt und Wesen bedeutend, ernsthaft und auffallend war, und den niemand kannte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2762,"orig":"Beyde Ankömmlinge ſchwiegen eine Zeit lang ſtille, endlich ging der Fremde auf Wilhelmen los, reichte ihm die Hand und ſagte:","norm":"Beide Ankömmlinge schwiegen eine zeitlang still, endlich ging der Fremde auf Wilhelm los, reichte ihm die Hand und sagte:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2763,"orig":"Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr?","norm":"Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2764,"orig":"Es war die Stimme des Harfenſpielers, aber von ſeiner Geſtalt ſchien keine Spur übrig geblieben zu ſeyn.","norm":"Es war die Stimme des Harfenspielers, aber von seiner Gestalt schien keine Spur übriggeblieben zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2765,"orig":"Er war in der gewöhnlichen Tracht eines Reiſenden, reinlich und anſtändig gekleidet, ſein Bart war verſchwunden, ſeinen Locken ſah man einige Kunſt an, und was ihn eigentlich ganz unkenntlich machte, war, daß an ſeinem bedeutenden Geſichte die Züge des Alters nicht mehr erſchienen.","norm":"Er war in der gewöhnlichen Tracht eines Reisenden, reinlich und anständig gekleidet, sein Bart war verschwunden, seinen Locken sah man einige Kunst an, und was ihn eigentlich ganz unkenntlich machte, war, dass an seinem bedeutenden Gesichte die Züge des Alters nicht mehr erschienen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2766,"orig":"Wilhelm umarmte ihn mit der lebhafteſten Freude, er ward den andern vorgeſtellt, und betrug ſich ſehr vernünftig, und wußte nicht, wie bekannt er der Geſellſchaft noch vor kurzem geworden war.","norm":"Wilhelm umarmte ihn mit der lebhaftesten Freude, er wurde den anderen vorgestellt, und betrug sich sehr vernünftig, und wusste nicht, wie bekannt er der Gesellschaft noch vor kurzem geworden war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2767,"orig":"Sie werden Geduld mit einem Menſchen haben, fuhr er mit großer Gelaſſenheit fort, der, ſo erwachſen er auch ausſieht, nach einem langen Leiden erſt wie ein unerfahrnes Kind in die Welt tritt.","norm":"Sie werden Geduld mit einem Menschen haben, fuhr er mit großer Gelassenheit fort, der, so erwachsen er auch aussieht, nach einem langen Leiden erst wie ein unerfahrenes Kind in die Welt tritt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2768,"orig":"Dieſem wackren Mann bin ich ſchuldig, daß ich wieder in einer menſchlichen Geſellſchaft erſcheinen kann.","norm":"Diesem wackeren Mann bin ich schuldig, dass ich wieder in einer menschlichen Gesellschaft erscheinen kann."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2769,"orig":"Man hieß ihn willkommen, und der Arzt veranlaßte ſogleich einen Spaziergang, um das Geſpräch abzubrechen, und ins Gleichgültige zu lenken.","norm":"Man hieß ihn willkommen, und der Arzt veranlasste sogleich einen Spaziergang, um das Gespräch abzubrechen, und ins Gleichgültige zu lenken."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2770,"orig":"Als man allein war, gab der Arzt folgende Erklärung:","norm":"Als man allein war, gab der Arzt folgende Erklärung:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2771,"orig":"Die Geneſung dieſes Mannes iſt uns durch den ſonderbarſten Zufall geglückt.","norm":"Die Genesung dieses Mannes ist uns durch den sonderbarsten Zufall geglückt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2772,"orig":"Wir hatten ihn lange nach unſerer Überzeugung moraliſch und phyſiſch behandelt, es ging auch bis auf einen gewiſſen Grad ganz gut, allein die Todesfurcht war noch immer groß bey ihm, und ſeinen Bart und ſein langes Kleid wollte er uns nicht aufopfern; übrigens nahm er mehr Theil an den weltlichen Dingen, und ſeine Geſänge ſchienen, wie ſeine Vorſtellungsart, wieder dem Leben ſich zu nähern.","norm":"Wir hatten ihn lange nach unserer Überzeugung moralisch und physisch behandelt, es ging auch bis auf einen gewissen Grad ganz gut, allein die Todesfurcht war noch immer groß bei ihm, und seinen Bart und sein langes Kleid wollte er uns nicht aufopfern; übrigens nahm er mehr Teil an den weltlichen Dingen, und seine Gesänge schienen, wie seine Vorstellungsart, wieder dem Leben sich zu nähern."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2773,"orig":"Sie wiſſen, welch ein ſonderbarer Brief des Geiſtlichen mich von hier abrief, ich kam, ich fand unſern Mann ganz verändert, er hatte freywillig ſeinen Bart hergegeben, er hatte erlaubt ſeine Locken in eine hergebrachte Form zuzuſchneiden; er verlangte gewöhnliche Kleider, und ſchien auf einmal ein anderer Menſch geworden zu ſeyn.","norm":"Sie wissen, welch ein sonderbarer Brief des Geistlichen mich von hier abrief, Ich kam, ich fand unseren Mann ganz verändert, er hatte freiwillig seinen Bart hergegeben, er hatte erlaubt seine Locken in eine hergebrachte Form zuzuschneiden; er verlangte gewöhnliche Kleider, und schien auf einmal ein anderer Mensch geworden zu sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2774,"orig":"Wir waren neugierig die Urſache dieſer Verwandlung zu ergründen, und wagten doch nicht uns mit ihm ſelbſt darüber einzulaſſen; endlich entdeckten wir zufällig das ſonderbare Verhältnis.","norm":"Wir waren neugierig die Ursache dieser Verwandlung zu ergründen, und wagten doch nicht uns mit ihm selbst darüber einzulassen; endlich entdeckten wir zufällig das sonderbare Verhältnis."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2775,"orig":"Ein Glas flüſſiges Opium fehlte in der Hausapotheke des Geiſtlichen, man hielt für nöthig die ſtrengſte Unterſuchung anzuſtellen, jedermann ſuchte ſich des Verdachtes zu erwehren, es gab unter den Hausgenoſſen heftige Scenen.","norm":"Ein Glas flüssiges Opium fehlte in der Hausapotheke des Geistlichen, man hielt für nötig die strengste Untersuchung anzustellen, jedermann suchte sich des Verdachtes zu erwehren, es gab unter den Hausgenossen heftige Szenen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2776,"orig":"Endlich trat dieſer Mann auf, und geſtand, daß er es beſitze; man fragte ihn, ob er davon genommen habe?","norm":"Endlich trat dieser Mann auf, und gestand, dass er es besitze; man fragte ihn, ob er davon genommen habe?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2777,"orig":"er ſagte nein!","norm":"er sagte Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2778,"orig":"fuhr aber fort:","norm":"fuhr aber fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2779,"orig":"Ich danke dieſem Beſitz, die Wiederkehr meiner Vernunft, es hängt von euch ab mir dieſes Fläſchchen zu nehmen, und ihr werdet mich ohne Hoffnung in meinen alten Zuſtand wieder zurückfallen ſehen.","norm":"Ich danke diesem Besitz, die Wiederkehr meiner Vernunft, es hängt von euch ab mir dieses Fläschchen zu nehmen, und ihr werdet mich ohne Hoffnung in meinen alten Zustand wieder zurückfallen sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2780,"orig":"Das Gefühl, daß es wünſchenswerth ſey die Leiden dieſer Erde durch den Tod geendigt zu ſehen, brachte mich zuerſt auf den Weg der Geneſung; bald darauf entſtand der Gedanke, ſie durch einen freywilligen Tod zu endigen, und ich nahm in dieſer Abſicht das Glas hinweg; die Möglichkeit, ſogleich die großen Schmerzen auf ewig aufzuheben, gab mir Kraft die Schmerzen zu ertragen, und ſo habe ich, ſeitdem ich den Talismann beſitze, mich durch die Nähe des Todes wieder in das Leben zurückgedrängt?","norm":"Das Gefühl, dass es wünschenswert sei die Leiden dieser Erde durch den Tod geendigt zu sehen, brachte mich zuerst auf den Weg der Genesung; bald darauf entstand der Gedanke, sie durch einen freiwilligen Tod zu endigen, und ich nahm in dieser Absicht das Glas hinweg; die Möglichkeit, sogleich die großen Schmerzen auf ewig aufzuheben, gab mir Kraft die Schmerzen zu ertragen, und so habe ich, seitdem ich den Talisman besitze, mich durch die Nähe des Todes wieder in das Leben zurückgedrängt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2781,"orig":"Sorgt nicht, ſagte er, daß ich Gebrauch davon mache, ſondern entſchließt Euch, als Kenner des menſchlichen Herzens, mich, indem Ihr mir die Unabhängigkeit vom Leben zugeſteht, erſt vom Leben recht abhängig zu machen.","norm":"Sorgt nicht, sagte er, dass ich Gebrauch davon mache, sondern entschließt Euch, als Kenner des menschlichen Herzens, mich, indem Ihr mir die Unabhängigkeit vom Leben zugesteht, erst vom Leben recht abhängig zu machen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2782,"orig":"Nach reiflicher Überlegung drangen wir nicht weiter in ihn, und er führt nun in einem feſten, geſchliffnen Glasfläſchchen dieſes Gift als das ſonderbarſte Gegengift bey ſich.","norm":"Nach reiflicher Überlegung drangen wir nicht weiter in ihn, und er führt nun in einem festen, geschliffenen Glasfläschchen dieses Gift als das sonderbarste Gegengift bei sich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2783,"orig":"Man unterrichtete den Arzt von allem, was indeſſen entdeckt worden war, und man beſchloß gegen Auguſtin das tiefſte Stillſchweigen zu beobachten.","norm":"Man unterrichtete den Arzt von allem, was indessen entdeckt worden war, und man beschloss gegen Augustin das tiefste Stillschweigen zu beobachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2784,"orig":"Der Abbé nahm ſich vor, ihn nicht von ſeiner Seite zu laſſen, und ihn auf dem guten Wege, den er betreten hatte, fortzuführen.","norm":"Der Abbé nahm sich vor, ihn nicht von seiner Seite zu lassen, und ihn auf dem guten Wege, den er betreten hatte, fortzuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2785,"orig":"Indeſſen ſollte Wilhelm die Reiſe durch Deutſchland mit dem Markeſe vollenden.","norm":"Indessen sollte Wilhelm die Reise durch Deutschland mit dem Marchese vollenden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2786,"orig":"Schien es möglich Auguſtinen eine Neigung zu ſeinem Vaterlande wieder einzuflößen, ſo wollte man ſeinen Verwandten den Zuſtand entdecken, und Wilhelm ſollte ihn den Seinigen wieder zuführen.","norm":"Schien es möglich Augustin eine Neigung zu seinem Vaterlande wieder einzuflößen, so wollte man seinen Verwandten den Zustand entdecken, und Wilhelm sollte ihn den Seinigen wieder zuführen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2787,"orig":"Dieſer hatte nun alle Anſtalten zu ſeiner Reiſe gemacht, und wenn es im Anfang wunderbar ſchien, daß Auguſtin ſich freute, als er vernahm, wie ſein alter Freund und Wohlthäter ſich ſogleich wieder entfernen ſollte, ſo entdeckte doch der Abbé bald den Grund dieſer ſeltſamen Gemüthsbewegung.","norm":"Dieser hatte nun alle Anstalten zu seiner Reise gemacht, und wenn es im Anfang wunderbar schien, dass Augustin sich freute, als er vernahm, wie sein alter Freund und Wohltäter sich sogleich wieder entfernen sollte, so entdeckte doch der Abbé bald den Grund dieser seltsamen Gemütsbewegung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2788,"orig":"Auguſtin konnte ſeine alte Furcht, die er vor Felix hatte, nicht überwinden, und wünſchte den Knaben je eher, je lieber entfernt zu ſehen.","norm":"Augustin konnte seine alte Furcht, die er vor Felix hatte, nicht überwinden, und wünschte den Knaben je eher, je lieber entfernt zu sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2789,"orig":"Nun waren nach und nach ſo viele Menſchen angekommen, ſo daß man ſie im Schloß und in den Seitengebäuden kaum alle unterbringen konnte, um ſo mehr als man nicht gleich Anfangs auf den Empfang ſo vieler Gäſte die Einrichtung gemacht hatte.","norm":"Nun waren nach und nach so viele Menschen angekommen, sodass man sie im Schloss und in den Seitengebäuden kaum alle unterbringen konnte, um so mehr als man nicht gleich Anfangs auf den Empfang so vieler Gäste die Einrichtung gemacht hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2790,"orig":"Man frühſtückte, man ſpeiſte zuſammen, und hätte ſich gern beredet, man lebe in einer vergnüglichen Übereinſtimmung, wenn ſchon in der Stille die Gemüther ſich gewiſſermaßen auseinander ſehnten.","norm":"Man frühstückte, man speiste zusammen, und hätte sich gern beredet, man lebe in einer vergnüglichen Übereinstimmung, wenn schon in der Stille die Gemüter sich gewissermaßen auseinander sehnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2791,"orig":"Thereſe war manchmal mit Lothario, noch öfters aber allein ausgeritten, ſie hatte in der Nachbarſchaft ſchon alle Landwirthe und Landwirthinnen kennen lernen; es war ihr Haushaltungsprinzip, und ſie mochte nicht unrecht haben, daß man mit Nachbarn und Nachbarinnen im beſten Vernehmen und immer in einem ewigen Gefälligkeitswechſel ſtehen müſſe.","norm":"Therese war manchmal mit Lothario, noch öfters aber allein ausgeritten, sie hatte in der Nachbarschaft schon alle Landwirte und Landwirtinnen kennen lernen; es war ihr Haushaltungsprinzip, und sie mochte nicht Unrecht haben, dass man mit Nachbarn und Nachbarinnen im besten Vernehmen und immer in einem ewigen Gefälligkeitswechsel stehen müsse."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2792,"orig":"Von einer Verbindung zwiſchen ihr und Lothario ſchien gar die Rede nicht zu ſeyn, die beyden Schweſtern hatten ſich viel zu ſagen, der Abbé ſchien den Umgang des Harfenſpielers zu ſuchen.","norm":"Von einer Verbindung zwischen ihr und Lothario schien gar die Rede nicht zu sein, die beiden Schwestern hatten sich viel zu sagen, der Abbé schien den Umgang des Harfenspielers zu suchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2793,"orig":"Jarno hatte mit dem Arzt öftere Conferenzen, Friedrich hielt ſich an Wilhelmen, und Felix war überall, wo es ihm gut ging.","norm":"Jarno hatte mit dem Arzt öftere Konferenzen, Friedrich hielt sich an Wilhelmen, und Felix war überall, wo es ihm gut ging."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2794,"orig":"So vereinigten ſich auch meiſtentheils die Paare auf dem Spaziergang, indem die Geſellſchaft ſich trennte, und wenn ſie zuſammen ſeyn mußten, ſo nahm man geſchwind ſeine Zuflucht zur Muſik, um alle zu verbinden, indem man jeden ſich ſelbſt wieder gab.","norm":"So vereinigten sich auch meistenteils die Paare auf dem Spaziergang, indem die Gesellschaft sich trennte, und wenn sie zusammen sein mussten, so nahm man geschwind seine Zuflucht zur Musik, um alle zu verbinden, indem man jeden sich selbst wiedergab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2795,"orig":"Unverſehens vermehrte der Graf die Geſellſchaft, ſeine Gemahlin abzuholen, und, wie es ſchien, einen feyerlichen Abſchied von ſeinen weltlichen Verwandten zu nehmen.","norm":"Unversehens vermehrte der Graf die Gesellschaft, seine Gemahlin abzuholen, und, wie es schien, einen feierlichen Abschied von seinen weltlichen Verwandten zu nehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2796,"orig":"Jarno eilte ihm bis an den Wagen entgegen, und als der Ankommende fragte, was er für Geſellſchaft finde?","norm":"Jarno eilte ihm bis an den Wagen entgegen, und als der Ankommende fragte, was er für Gesellschaft finde?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2797,"orig":"ſo ſagte jener in einem Anfall von toller Laune, die ihn immer ergriff, ſobald er den Grafen gewahr ward.","norm":"so sagte jener in einem Anfall von toller Laune, die ihn immer ergriff, sobald er den Grafen gewahr wurde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2798,"orig":"Sie finden den ganzen Adel der Welt beyſammen, Markeſen, Marqui’s, Milord’s und Baronen, es hat nur noch an einen Grafen gefehlt.","norm":"Sie finden den ganzen Adel der Welt beisammen, Marchesen, Marquis, Mylords und Baronen, es hat nur noch an einem Grafen gefehlt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2799,"orig":"So ging man die Treppe hinauf, und Wilhelm war die erſte Perſon, die ihnen im Vorſaal entgegen kam.","norm":"So ging man die Treppe hinauf, und Wilhelm war die erste Person, die ihnen im Vorsaal entgegenkam."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2800,"orig":"Milord!","norm":"Mylord!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2801,"orig":"ſagte der Graf zu ihm auf franzöſiſch, nachdem er ihn einen Augenblick betrachtet hatte, ich freue mich ſehr, Ihre Bekanntſchaft unvermuthet zu erneuern; denn ich müßte mich ſehr irren, wenn ich Sie nicht im Gefolge des Prinzen ſollte in meinem Schloſſe geſehen haben.","norm":"sagte der Graf zu ihm auf Französisch, nachdem er ihn einen Augenblick betrachtet hatte, ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft unvermutet zu erneuern; denn ich müsste mich sehr irren, wenn ich Sie nicht im Gefolge des Prinzen sollte in meinem Schlosse gesehen haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2802,"orig":"— Ich hatte das Glück Ew. Exzellenz damals aufzuwarten, verſetzte Wilhelm, nur erzeigen Sie mir zu viel Ehre, wenn Sie mich für einen Engländer und zwar vom erſten Range halten, ich bin ein Deutſcher, und — zwar ein ſehr braver junger Mann, fiel Jarno ſogleich ein.","norm":"— Ich hatte das Glück Ew. Exzellenz damals aufzuwarten, versetzte Wilhelm, nur erzeigen Sie mir zu viel Ehre, wenn Sie mich für einen Engländer und zwar vom ersten Range halten, ich bin ein Deutscher, und — zwar ein sehr braver junger Mann, fiel Jarno sogleich ein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2803,"orig":"Der Graf ſah Wilhelmen lächelnd an, und wollte eben etwas erwiedern, als die übrige Geſellſchaft herbey kam, und ihn aufs freundlichſte begrüßte.","norm":"Der Graf sah Wilhelmen lächelnd an, und wollte eben etwas erwidern, als die übrige Gesellschaft herbeikam, und ihn aufs freundlichste begrüßte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2804,"orig":"Man entſchuldigte ſich, daß man ihm nicht ſogleich ein anſtändiges Zimmer anweiſen könne, und verſprach den nöthigen Raum ungeſäumt zu verſchaffen.","norm":"Man entschuldigte sich, dass man ihm nicht sogleich ein anständiges Zimmer anweisen könne, und versprach den nötigen Raum ungesäumt zu verschaffen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2805,"orig":"Ey ey!","norm":"Ei ei!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2806,"orig":"ſagte er lächelnd, ich ſehe wohl, daß man dem Zufalle überlaſſen hat, den Fourierzettel zu machen; mit Vorſicht und Einrichtung, wie viel iſt da nicht möglich!","norm":"sagte er lächelnd, ich sehe wohl, dass man dem Zufalle überlassen hat, den Furierzettel zu machen; mit Vorsicht und Einrichtung, wie viel ist da nicht möglich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2807,"orig":"Jetzt bitte ich Euch, rührt mir keinen Pantoffel vom Platze, denn ſonſt, ſeh ich wohl, giebt es eine große Unordnung, jedermann wird unbequem wohnen, und das ſoll niemand um meinetwillen wo möglich auch nur eine Stunde.","norm":"Jetzt bitte ich Euch, rührt mir keinen Pantoffel vom Platze, denn sonst, sehe ich wohl, gibt es eine große Unordnung, jedermann wird unbequem wohnen, und das soll niemand um meinetwillen wo möglich auch nur eine Stunde."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2808,"orig":"Sie waren Zeuge, ſagte er zu Jarno, und auch Sie Miſter, indem er ſich zu Wilhelmen wandte, wie viele Menſchen ich damals auf meinem Schloſſe bequem untergebracht habe.","norm":"Sie waren Zeuge, sagte er zu Jarno, und auch Sie Mister, indem er sich zu Wilhelmen wandte, wie viele Menschen ich damals auf meinem Schlosse bequem untergebracht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2809,"orig":"Man gebe mir die Liſte der Perſonen und Bedienten, man zeige mir an, wie jedermann gegenwärtig einquartirt iſt, ich will einen Dislokationsplan machen, daß mit der wenigſten Bemühung jedermann eine geräumliche Wohnung finde, und daß noch Platz für einen Gaſt bleiben ſoll, der ſich zufälligerweiſe bey uns einſtellen könnte.","norm":"Man gebe mir die Liste der Personen und Bedienten, man zeige mir an, wie jedermann gegenwärtig einquartiert ist, ich will einen Dislokationsplan machen, dass mit der wenigsten Bemühung jedermann eine geräumige Wohnung finde, und dass noch Platz für einen Gast bleiben soll, der sich zufälligerweise bei uns einstellen könnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2810,"orig":"Jarno machte ſogleich den Adjutanten des Grafen, verſchaffte ihm alle nöthigen Notizen, und hatte nach ſeiner Art den größten Spaß, wenn er den alten Herrn mitunter irre machen konnte.","norm":"Jarno machte sogleich den Adjutanten des Grafen, verschaffte ihm alle nötigen Notizen, und hatte nach seiner Art den größten Spaß, wenn er den alten Herrn mitunter irremachen konnte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2811,"orig":"Dieſer gewann aber bald einen großen Triumph.","norm":"Dieser gewann aber bald einen großen Triumph."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2812,"orig":"Die Einrichtung war fertig, er ließ in ſeiner Gegenwart die Nahmen über alle Thüren ſchreiben, und man konnte nicht leugnen, daß mit wenig Umſtänden und Veränderungen der Zweck völlig erreicht war.","norm":"Die Einrichtung war fertig, er ließ in seiner Gegenwart die Namen über alle Türen schreiben, und man konnte nicht leugnen, dass mit wenig Umständen und Veränderungen der Zweck völlig erreicht war."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2813,"orig":"Auch hatte es Jarno unter andern ſo geleitet, daß die Perſonen, die in dem gegenwärtigen Augenblick ein Intereſſe an einander nahmen, zuſammen wohnten.","norm":"Auch hatte es Jarno unter anderen so geleitet, dass die Personen, die in dem gegenwärtigen Augenblick ein Interesse aneinander nahmen, zusammen wohnten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2814,"orig":"Nachdem alles eingerichtet war, ſagte der Graf zu Jarno:","norm":"Nachdem alles eingerichtet war, sagte der Graf zu Jarno:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2815,"orig":"Helfen Sie mir auf die Spur wegen des jungen Mannes, den Sie da Meiſter nennen, und der ein Deutſcher ſeyn ſoll.","norm":"Helfen Sie mir auf die Spur wegen des jungen Mannes, den Sie da Meister nennen, und der ein Deutscher sein soll."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2816,"orig":"Jarno ſchwieg ſtill, denn er wußte recht gut, daß der Graf einer von denen Leuten war, die, wenn ſie fragen, eigentlich belehren wollen, auch fuhr dieſer, ohne Antwort abzuwarten, in ſeiner Rede fort:","norm":"Jarno schwieg still, denn er wusste recht gut, dass der Graf einer von denen Leuten war, die, wenn sie fragen, eigentlich belehren wollen, auch fuhr dieser, ohne Antwort abzuwarten, in seiner Rede fort:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2817,"orig":"Sie hatten mir ihn damals vorgeſtellt, und im Nahmen des Prinzen beſtens empfohlen.","norm":"Sie hatten mir ihn damals vorgestellt, und im Namen des Prinzen bestens empfohlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2818,"orig":"Wenn ſeine Mutter auch eine Deutſche war, ſo hafte ich dafür, daß ſein Vater ein Engländer iſt, und zwar von Stande; wer wollte das engliſche Blut alles berechnen, das ſeit dreyßig Jahren in deutſchen Adern herum fließt; ich will weiter nicht darauf dringen, Ihr habt immer ſolche Familiengeheimniſſe, doch mir wird man in ſolchen Fällen nichts aufbinden.","norm":"Wenn seine Mutter auch eine Deutsche war, so hafte ich dafür, dass sein Vater ein Engländer ist, und zwar von Stande; wer wollte das englische Blut alles berechnen, das seit dreißig Jahren in deutschen Adern herumfließt; Ich will weiter nicht darauf dringen, Ihr habt immer solche Familiengeheimnisse, doch mir wird man in solchen Fällen nichts aufbinden."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2819,"orig":"Darauf erzählte er noch verſchiedenes, was damals mit Wilhelmen auf ſeinem Schloß vorgegangen ſeyn ſollte, wozu Jarno gleichfalls ſchwieg, obgleich der Graf ganz irrig war, und Wilhelmen mit einem jungen Engländer in des Prinzen Gefolge mehr als einmal verwechſelte.","norm":"Darauf erzählte er noch verschiedenes, was damals mit Wilhelmen auf seinem Schloss vorgegangen sein sollte, wozu Jarno gleichfalls schwieg, obgleich der Graf ganz irrig war, und Wilhelmen mit einem jungen Engländer in des Prinzen Gefolge mehr als einmal verwechselte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2820,"orig":"Der gute Herr hatte in frühern Zeiten ein vortreffliches Gedächtniß gehabt, und war noch immer ſtolz darauf, ſich der geringſten Umſtände ſeiner Jugend erinnern zu können; nun beſtimmte er aber mit eben der Gewißheit wunderbare Combinationen und Fabeln als wahr, die ihm bey zunehmender Schwäche ſeines Gedächtniſſes ſeine Einbildungskraft einmal vorgeſpiegelt hatte.","norm":"Der gute Herr hatte in früheren Zeiten ein vortreffliches Gedächtnis gehabt, und war noch immer stolz darauf, sich der geringsten Umstände seiner Jugend erinnern zu können; nun bestimmte er aber mit eben der Gewissheit wunderbare Kombinationen und Fabeln als wahr, die ihm bei zunehmender Schwäche seines Gedächtnisses seine Einbildungskraft einmal vorgespiegelt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2821,"orig":"Übrigens war er ſehr mild und gefällig geworden, und ſeine Gegenwart wirkte recht günſtig auf die Geſellſchaft.","norm":"Übrigens war er sehr mild und gefällig geworden, und seine Gegenwart wirkte recht günstig auf die Gesellschaft."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2822,"orig":"Er verlangte, daß man etwas Nützliches zuſammen leſen ſollte, ja ſogar gab er manchmal kleine Spiele an, die er, wo nicht mitſpielte, doch mit großer Sorgfalt dirigirte, und da man ſich über ſeine Herablaſſung verwunderte, ſagte er: es ſey die Pflicht eines jeden, der ſich in Hauptſachen von der Welt entferne, daß er in gleichgültigen Dingen ſich ihr deſtomehr gleich ſtelle.","norm":"Er verlangte, dass man etwas Nützliches zusammen lesen sollte, ja sogar gab er manchmal kleine Spiele an, die er, wo nicht mitspielte, doch mit großer Sorgfalt dirigierte, und da man sich über seine Herablassung verwunderte, sagte er: Es sei die Pflicht eines jeden, der sich in Hauptsachen von der Welt entferne, dass er in gleichgültigen Dingen sich ihr desto mehr gleichstelle."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2823,"orig":"Wilhelm hatte unter dieſen Spielen mehr als Einen bänglichen und verdrießlichen Augenblick, der leichtſinnige Friedrich ergriff manche Gelegenheit, um auf eine Neigung Wilhelms gegen Natalien zu deuten.","norm":"Wilhelm hatte unter diesen Spielen mehr als Einen bänglichen und verdrießlichen Augenblick, der leichtsinnige Friedrich ergriff manche Gelegenheit, um auf eine Neigung Wilhelms gegen Natalie zu deuten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2824,"orig":"Wie konnte er darauf fallen?","norm":"Wie konnte er darauf fallen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2825,"orig":"wodurch war er dazu berechtigt?","norm":"wodurch war er dazu berechtigt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2826,"orig":"und mußte nicht die Geſellſchaft glauben, daß, weil beyde viel mit einander umgingen, Wilhelm ihm eine ſo unvorſichtige und unglückliche Confidenz gemacht habe.","norm":"und musste nicht die Gesellschaft glauben, dass, weil beide viel miteinander umgingen, Wilhelm ihm eine so unvorsichtige und unglückliche Konfidenz gemacht habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2827,"orig":"Eines Tages waren ſie bey einem ſolchen Scherze heiterer als gewöhnlich, als Auguſtin auf einmal zur Thüre, die er aufriß, mit gräßlicher Gebärde herein ſtürzte; ſein Angeſicht war blaß, ſein Auge wild, er ſchien reden zu wollen, die Sprache verſagte ihm.","norm":"Eines Tages waren sie bei einem solchen Scherze heiterer als gewöhnlich, als Augustin auf einmal zur Türe, die er aufriss, mit grässlicher Gebärde hereinstürzte; sein Angesicht war blass, sein Auge wild, er schien reden zu wollen, die Sprache versagte ihm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2828,"orig":"Die Geſellſchaft entſetzte ſich, Lothario und Jarno, die eine Rückkehr des Wahnſinns vermutheten, ſprangen auf ihn los, und hielten ihn feſt.","norm":"Die Gesellschaft entsetzte sich, Lothario und Jarno, die eine Rückkehr des Wahnsinns vermuteten, sprangen auf ihn los, und hielten ihn fest."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2829,"orig":"Stotternd und dumpf, dann heftig und gewaltſam ſprach und rief er: nicht mich haltet, eilt!","norm":"Stotternd und dumpf, dann heftig und gewaltsam sprach und rief er: Nicht mich haltet, eilt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2830,"orig":"helft!","norm":"helft!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2831,"orig":"rettet das Kind!","norm":"rettet das Kind!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2832,"orig":"Felix iſt vergiftet!","norm":"Felix ist vergiftet!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2833,"orig":"Sie ließen ihn los, er eilte zur Thüre hinaus, und voll Entſetzen drängte ſich die Geſellſchaft ihm nach.","norm":"Sie ließen ihn los, er eilte zur Türe hinaus, und voll Entsetzen drängte sich die Gesellschaft ihm nach."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2834,"orig":"Man rief nach dem Arzte, Auguſtin richtete ſeine Schritte nach dem Zimmer des Abbés, man fand das Kind, das erſchrocken und verlegen ſchien, als man ihm ſchon von weitem zurief: was haſt Du angefangen?","norm":"Man rief nach dem Arzte, Augustin richtete seine Schritte nach dem Zimmer des Abbés, man fand das Kind, das erschrocken und verlegen schien, als man ihm schon von weitem zurief: Was hast Du angefangen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2835,"orig":"Lieber Vater!","norm":"Lieber Vater!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2836,"orig":"rief Felix, ich habe nicht aus der Flaſche, ich habe aus dem Glaſe getrunken, ich war ſo durſtig.","norm":"rief Felix, ich habe nicht aus der Flasche, ich habe aus dem Glase getrunken, ich war so durstig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2837,"orig":"Auguſtin ſchlug die Hände zuſammen, rief: er iſt verlohren!","norm":"Augustin schlug die Hände zusammen, rief: Er ist verloren!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2838,"orig":"drängte ſich durch die Umſtehenden, und eilte davon.","norm":"drängte sich durch die Umstehenden, und eilte davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2839,"orig":"Sie fanden ein Glas Mandelmilch auf dem Tiſche ſtehen, und eine Karavine darneben, die über die Hälfte leer war, der Arzt kam, er erfuhr, was man wußte, und ſah mit Entſetzen das wohlbekannte Fläſchchen, worin ſich das flüſſige Opium befunden hatte, leer auf dem Tiſche liegen, er ließ Eſſig herbey ſchaffen, und rief alle Mittel ſeiner Kunſt zu Hülfe.","norm":"Sie fanden ein Glas Mandelmilch auf dem Tische stehen, und eine Karaffine darneben, die über die Hälfte leer war, der Arzt kam, er erfuhr, was man wusste, und sah mit Entsetzen das wohlbekannte Fläschchen, worin sich das flüssige Opium befunden hatte, leer auf dem Tische liegen, er ließ Essig herbeischaffen, und rief alle Mittel seiner Kunst zu Hilfe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2840,"orig":"Natalie ließ den Knaben in ein Zimmer bringen, ſie bemühte ſich ängſtlich um ihn Der Abbé war fortgerannt, Auguſtinen aufzuſuchen, und einige Aufklärungen von ihm zu erdringen.","norm":"Natalie ließ den Knaben in ein Zimmer bringen, sie bemühte sich ängstlich um ihn der Abbé war fortgerannt, Augustin aufzusuchen, und einige Aufklärungen von ihm zu erdringen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2841,"orig":"Eben ſo hatte ſich der unglückliche Vater vergebens bemüht, und fand, als er zurückkam, auf allen Geſichtern Bangigkeit und Sorge.","norm":"Ebenso hatte sich der unglückliche Vater vergebens bemüht, und fand, als er zurückkam, auf allen Gesichtern Bangigkeit und Sorge."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2842,"orig":"Der Arzt hatte indeſſen die Mandelmilch im Glaſe unterſucht, es entdeckte ſich die ſtärkſte Beymiſchung von Opium, das Kind lag auf dem Ruhebette und ſchien ſehr krank, es bat den Vater, daß man ihm nur nichts mehr einſchütten, daß man es nur nicht mehr quälen möchte.","norm":"Der Arzt hatte indessen die Mandelmilch im Glase untersucht, es entdeckte sich die stärkste Beimischung von Opium, das Kind lag auf dem Ruhebette und schien sehr krank, es bat den Vater, dass man ihm nur nichts mehr einschütten, dass man es nur nicht mehr quälen möchte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2843,"orig":"Lothar hatte ſeine Leute ausgeſchickt und war ſelbſt weggeritten, um der Flucht Auguſtins auf die Spur zu kommen.","norm":"Lothar hatte seine Leute ausgeschickt und war selbst weggeritten, um der Flucht Augustins auf die Spur zu kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2844,"orig":"Natalie ſaß bey dem Kinde, es flüchtete auf ihren Schooß, und bat ſie flehentlich um Schutz, flehentlich um ein Stückchen Zucker, der Eſſig ſey gar zu ſauer!","norm":"Natalie saß bei dem Kinde, es flüchtete auf ihren Schoß, und bat sie flehentlich um Schutz, flehentlich um ein Stückchen Zucker, der Essig sei gar zu sauer!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2845,"orig":"Der Arzt gab es zu; man müſſe das Kind, das in der entſetzlichſten Bewegung war, ſagte er, einen Augenblick ruhen laſſen, es ſey alles räthliche geſchehen, er wolle das mögliche thun.","norm":"Der Arzt gab es zu; man müsse das Kind, das in der entsetzlichsten Bewegung war, sagte er, einen Augenblick ruhen lassen, es sei alles Rätliche geschehen, er wolle das Mögliche tun."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2846,"orig":"Der Graf trat mit einigem Unwillen, wie es ſchien, herbey, er ſah ernſt, ja feyerlich aus, legte die Hände auf das Kind, blickte gen Himmel, und blieb einige Augenblicke in dieſer Stellung.","norm":"Der Graf trat mit einigem Unwillen, wie es schien, herbei, er sah ernst, ja feierlich aus, legte die Hände auf das Kind, blickte gen Himmel, und blieb einige Augenblicke in dieser Stellung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2847,"orig":"Wilhelm, der troſtlos in einem Seſſel lag, ſprang auf, warf einen Blick voll Verzweiflung auf Natalien und ging zur Thüre hinaus.","norm":"Wilhelm, der trostlos in einem Sessel lag, sprang auf, warf einen Blick voll Verzweiflung auf Natalie und ging zur Türe hinaus."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2848,"orig":"Kurz darauf verließ auch der Graf das Zimmer.","norm":"Kurz darauf verließ auch der Graf das Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2849,"orig":"Ich begreife nicht, ſagte der Arzt nach einiger Pauſe, daß ſich auch nicht die geringſte Spur eines gefährlichen Zuſtandes am Kinde zeigt.","norm":"Ich begreife nicht, sagte der Arzt nach einiger Pause, dass sich auch nicht die geringste Spur eines gefährlichen Zustandes am Kinde zeigt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2850,"orig":"Auch nur mit einem Schluck muß es eine ungeheure Doſe Opium zu ſich genommen haben, und nun finde ich an ſeinem Pulſe keine weitere Bewegung, als ich meinen Mitteln und der Furcht zuſchreiben kann, in die wir das Kind verſetzt haben.","norm":"Auch nur mit einem Schluck muss es eine ungeheure Dose Opium zu sich genommen haben, und nun finde ich an seinem Pulse keine weitere Bewegung, als ich meinen Mitteln und der Furcht zuschreiben kann, in die wir das Kind versetzt haben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2851,"orig":"Bald darauf trat Jarno mit der Nachricht herein, daß man Auguſtin auf dem Oberboden in ſeinem Blute gefunden habe, ein Schermeſſer habe neben ihm gelegen, wahrſcheinlich habe er ſich die Kehle abgeſchnitten.","norm":"Bald darauf trat Jarno mit der Nachricht herein, dass man Augustin auf dem Oberboden in seinem Blute gefunden habe, ein Schermesser habe neben ihm gelegen, wahrscheinlich habe er sich die Kehle abgeschnitten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2852,"orig":"Der Arzt eilte fort und begegnete den Leuten, welche den Körper zur Treppe herunterbrachten.","norm":"Der Arzt eilte fort und begegnete den Leuten, welche den Körper zur Treppe herunterbrachten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2853,"orig":"Er ward auf ein Bett gelegt und genau unterſucht, der Schnitt war in die Luftröhre gegangen, auf einen ſtarken Blutverluſt war eine Ohnmacht gefolgt, doch ließ ſich bald bemerken, daß noch Leben, daß noch Hoffnung übrig ſey.","norm":"Er wurde auf ein Bett gelegt und genau untersucht, der Schnitt war in die Luftröhre gegangen, auf einen starken Blutverlust war eine Ohnmacht gefolgt, doch ließ sich bald bemerken, dass noch Leben, dass noch Hoffnung übrig sei."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2854,"orig":"Der Arzt brachte den Körper in die rechte Lage, fügte die getrennten Theile zuſammen, und legte den Verband auf.","norm":"Der Arzt brachte den Körper in die rechte Lage, fügte die getrennten Teile zusammen, und legte den Verband auf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2855,"orig":"Die Nacht ging allen ſchlaflos und ſorgenvoll vorüber.","norm":"Die Nacht ging allen schlaflos und sorgenvoll vorüber."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2856,"orig":"Das Kind wollte ſich nicht von Natalien trennen laſſen.","norm":"Das Kind wollte sich nicht von Natalie trennen lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2857,"orig":"Wilhelm ſaß vor ihr auf einem Schemel; er hatte die Füße des Knaben auf ſeinem Schoße, Kopf und Bruſt lagen auf dem ihrigen, ſo theilten ſie die angenehme Laſt und die ſchmerzlichen Sorgen, und verharrten bis der Tag anbrach, in der unbequemen und traurigen Lage.","norm":"Wilhelm saß vor ihr auf einem Schemel; er hatte die Füße des Knaben auf seinem Schoß, Kopf und Brust lagen auf dem ihrigen, so teilten sie die angenehme Last und die schmerzlichen Sorgen, und verharrten bis der Tag anbrach, in der unbequemen und traurigen Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2858,"orig":"Natalie hatte Wilhelmen ihre Hand gegeben, ſie ſprachen kein Wort, ſahen auf das Kind, und ſahen einander an.","norm":"Natalie hatte Wilhelm ihre Hand gegeben, sie sprachen kein Wort, sahen auf das Kind, und sahen einander an."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2859,"orig":"Lothario und Jarno ſaßen am andern Ende des Zimmers, und führten ein ſehr bedeutendes Geſpräch, das wir gern, wenn uns die Begebenheiten nicht zu ſehr drängten, unſern Leſern hier mittheilten.","norm":"Lothario und Jarno saßen am anderen Ende des Zimmers, und führten ein sehr bedeutendes Gespräch, das wir gern, wenn uns die Begebenheiten nicht zu sehr drängten, unseren Lesern hier mitteilten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2860,"orig":"Der Knabe ſchlief ſanft, erwachte am frühen Morgen ganz heiter, ſprang auf und verlangte ein Butterbrodt.","norm":"Der Knabe schlief sanft, erwachte am frühen Morgen ganz heiter, sprang auf und verlangte ein Butterbrot."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2861,"orig":"Sobald Auguſtin ſich einigermaßen erholt hatte, ſuchte man einige Aufklärung von ihm zu erhalten, man erfuhr nicht ohne Mühe, und nur nach und nach: daß, als er> bey der unglücklichen Dislocation des Grafen in Ein Zimmer mit dem Abbé verſetzt worden, er das Manuſcript gefunden habe, worin er ſeine Geſchichte las, ſein Entſetzen ſey ohne gleichen geweſen, und er habe ſich nun überzeugt, daß er nicht länger leben dürfe, ſogleich habe er ſeine gewöhnliche Zuflucht zum Opium genommen, habe es in ein Glas","norm":"Sobald Augustin sich einigermaßen erholt hatte, suchte man einige Aufklärung von ihm zu erhalten, man erfuhr nicht ohne Mühe, und nur nach und nach: dass, als er> bei der unglücklichen Dislokation des Grafen in ein Zimmer mit dem Abbé versetzt worden, er das Manuskript gefunden habe, worin er seine Geschichte las, sein Entsetzen sei ohnegleichen gewesen, und er habe sich nun überzeugt, dass er nicht länger leben dürfe, sogleich habe er seine gewöhnliche Zuflucht zum Opium genommen, habe es in ein Glas"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2862,"orig":"Mandelmilch geſchüttet, und habe doch, als er es an den Mund geſetzt, geſchaudert; darauf habe er es ſtehen laſſen, um nochmals durch den Garten zu laufen und die Welt zu ſehen, bey ſeiner Zurückkunft habe er das Kind gefunden, eben beſchäftigt, das Glas,","norm":"Mandelmilch geschüttet, und habe doch, als er es an den Mund gesetzt, geschaudert; darauf habe er es stehenlassen, um nochmals durch den Garten zu laufen und die Welt zu sehen, bei seiner Zurückkunft habe er das Kind gefunden, eben beschäftigt, das Glas,"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2863,"orig":"woraus es getrunken, wieder voll zu gießen.","norm":"woraus es getrunken, wieder vollzugießen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2864,"orig":"Man bat den Unglücklichen, ruhig zu ſeyn, er faßte Wilhelmen krampfhaft bey der Hand; ach!","norm":"Man bat den Unglücklichen, ruhig zu sein, er fasste Wilhelm krampfhaft bei der Hand; ach!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2865,"orig":"ſagte er, warum habe ich dich nicht längſt verlaſſen, ich wußte wohl, daß ich den Knaben tödten würde, und er mich.","norm":"sagte er, warum habe ich dich nicht längst verlassen, ich wusste wohl, dass ich den Knaben töten würde, und er mich."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2866,"orig":"Der Knabe lebt!","norm":"Der Knabe lebt!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2867,"orig":"ſagte Wilhelm.","norm":"sagte Wilhelm."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2868,"orig":"Der Arzt, der aufmerkſam zugehört hatte, fragte Auguſtinen, ob alles Getränke vergiftet geweſen?","norm":"Der Arzt, der aufmerksam zugehört hatte, fragte Augustin, ob alles Getränke vergiftet gewesen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2869,"orig":"Er verſetzte, nein!","norm":"Er versetzte, nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2870,"orig":"nur das Glas.","norm":"nur das Glas."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2871,"orig":"So hat durch den glücklichſten Zufall, rief der Arzt, das Kind aus der Flaſche getrunken!","norm":"So hat durch den glücklichsten Zufall, rief der Arzt, das Kind aus der Flasche getrunken!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2872,"orig":"Ein guter Genius hat ſeine Hand geführt, daß es nicht nach den Tode griff, der ſo nahe zubereitet ſtand!","norm":"Ein guter Genius hat seine Hand geführt, dass es nicht nach dem Tode griff, der so nahe zubereitet stand!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2873,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2874,"orig":"nein!","norm":"nein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2875,"orig":"rief Wilhelm mit einem Schrey, indem er die Hände vor die Augen hielt, wie fürchterlich iſt dieſe Ausſage!","norm":"rief Wilhelm mit einem Schrei, indem er die Hände vor die Augen hielt, wie fürchterlich ist diese Aussage!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2876,"orig":"ausdrücklich ſagte das Kind: daß es nicht aus der Flaſche, ſondern aus dem Glaſe getrunken habe.","norm":"Ausdrücklich sagte das Kind: dass es nicht aus der Flasche, sondern aus dem Glase getrunken habe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2877,"orig":"Seine Geſundheit iſt nur ein Schein, es wird uns unter den Händen wegſterben.","norm":"Seine Gesundheit ist nur ein Schein, es wird uns unter den Händen wegsterben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2878,"orig":"Er eilte fort, der Arzt ging hinunter und fragte, indem er das Kind liebkoſte, nicht wahr, Felix, du haſt aus der Flaſche getrunken und nicht aus dem Glaſe?","norm":"Er eilte fort, der Arzt ging hinunter und fragte, indem er das Kind liebkoste, nicht wahr, Felix, du hast aus der Flasche getrunken und nicht aus dem Glase?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2879,"orig":"das Kind fing an zu weinen.","norm":"Das Kind fing an zu weinen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2880,"orig":"Der Arzt erzählte Natalien im ſtillen, wie ſich die Sache verhalte, auch ſie bemühte ſich vergebens, die Wahrheit von dem Kinde zu erfahren, es weinte nur heftiger, und ſo lange bis es einſchlief.","norm":"Der Arzt erzählte Natalie im Stillen, wie sich die Sache verhalte, auch sie bemühte sich vergebens, die Wahrheit von dem Kinde zu erfahren, es weinte nur heftiger, und so lange bis es einschlief."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2881,"orig":"Wilhelm wachte bey ihm, die Nacht verging ruhig.","norm":"Wilhelm wachte bei ihm, die Nacht verging ruhig."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2882,"orig":"Den andern Morgen fand man Auguſtinen todt in ſeinem Bette, er hatte die Aufmerkſamkeit ſeiner Wärter durch eine ſcheinbare Ruhe betrogen, den Verband ſtill aufgelöſt, und ſich verblutet.","norm":"Den anderen Morgen fand man Augustin tot in seinem Bette, er hatte die Aufmerksamkeit seiner Wärter durch eine scheinbare Ruhe betrogen, den Verband still aufgelöst, und sich verblutet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2883,"orig":"Natalie ging mit dem Kinde ſpatzieren, es war munter wie in ſeinen glücklichſten Tagen.","norm":"Natalie ging mit dem Kinde spazieren, es war munter wie in seinen glücklichsten Tagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2884,"orig":"Du biſt doch gut, ſagte Felix zu ihr, du zankſt nicht, du ſchlägſt mich nicht, ich will dirs nur ſagen, ich habe aus der Flaſche getrunken;","norm":"Du bist doch gut, sagte Felix zu ihr, du zankst nicht, du schlägst mich nicht, ich will dir es nur sagen, ich habe aus der Flasche getrunken;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2885,"orig":"Mutter Aurelie ſchlug mich immer auf die Finger, wenn ich nach der Karavine griff, der Vater ſah ſo bös aus, ich dachte, er würde mich ſchlagen.","norm":"Mutter Aurelie schlug mich immer auf die Finger, wenn ich nach der Karaffine griff, der Vater sah so bös aus, ich dachte, er würde mich schlagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2886,"orig":"Mit beflügelten Schritten eilte Natalie zu dem Schloſſe, Wilhelm kam ihr, noch voller Sorgen, entgegen.","norm":"Mit beflügelten Schritten eilte Natalie zu dem Schlosse, Wilhelm kam ihr, noch voller Sorgen, entgegen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2887,"orig":"Glücklicher Vater!","norm":"Glücklicher Vater!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2888,"orig":"rief ſie laut, indem ſie das Kind aufhob und es ihm in die Arme warf, da haſt du deinen Sohn!","norm":"rief sie laut, indem sie das Kind aufhob und es ihm in die Arme warf, da hast du deinen Sohn!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2889,"orig":"er hat aus der Flaſche getrunken, ſeine Unart hat ihn gerettet.","norm":"Er hat aus der Flasche getrunken, seine Unart hat ihn gerettet."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2890,"orig":"Man erzählte den glücklichen Ausgang dem Grafen, der aber nur mit lächelnder, ſtillen, beſcheidnen Gewißheit zuhörte, mit der man den Irrthum guter Menſchen ertragen mag.","norm":"Man erzählte den glücklichen Ausgang dem Grafen, der aber nur mit lächelnder, stiller, bescheidenen Gewissheit zuhörte, mit der man den Irrtum guter Menschen ertragen mag."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2891,"orig":"Jarno, aufmerkſam auf alles, konnte diesmal eine ſolche hohe Selbſtgenügſamkeit nicht erklären, bis er endlich nach manchen Umſchweifen erfuhr: der Graf ſey überzeugt, das Kind habe wirklich Gift genommen, er habe es aber durch ſein Gebet und durch das Auflegen ſeiner Hände, wunderbar am Leben erhalten.","norm":"Jarno, aufmerksam auf alles, konnte diesmal eine solche hohe Selbstgenügsamkeit nicht erklären, bis er endlich nach manchen Umschweifen erfuhr: Der Graf sei überzeugt, das Kind habe wirklich Gift genommen, er habe es aber durch sein Gebet und durch das Auflegen seiner Hände, wunderbar am Leben erhalten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2892,"orig":"Nun beſchloß er auch ſogleich wegzugehn, gepackt war bey ihm alles wie gewöhnlich in Einem Augenblicke, und beym Abſchied faßte die ſchöne Gräfin Wilhelms Hand, ehe ſie noch die Hand der Schweſter los ließ, drückte alle vier Hände zuſammen, kehrte ſich ſchnell um, und ſtieg in den Wagen.","norm":"Nun beschloss er auch sogleich wegzugehen, gepackt war bei ihm alles wie gewöhnlich in einem Augenblicke, und beim Abschied fasste die schöne Gräfin Wilhelms Hand, ehe sie noch die Hand der Schwester losließ, drückte alle vier Hände zusammen, kehrte sich schnell um, und stieg in den Wagen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2893,"orig":"So viel ſchreckliche und wunderbare Begebenheiten, die ſich eine über die andere drängten, zu einer ungewohnten Lebensart nöthigten, und alles in Unordnung und Verwirrung ſetzten, hatten eine Art von fieberhafter Schwingung in das Haus gebracht.","norm":"So viel schreckliche und wunderbare Begebenheiten, die sich eine über die andere drängten, zu einer ungewohnten Lebensart nötigten, und alles in Unordnung und Verwirrung setzten, hatten eine Art von fieberhafter Schwingung in das Haus gebracht."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2894,"orig":"Die Stunden des Schlafens und Wachens, des Eſſens, Trinkens und geſelligen Zuſammenſeyns waren verrückt und umgekehrt.","norm":"Die Stunden des Schlafens und Wachens, des Essens, Trinkens und geselligen Zusammenseins waren verrückt und umgekehrt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2895,"orig":"Außer Thereſen war niemand in ſeinem Geleiſe geblieben, die Männer ſuchten durch geiſtige Getränke ihre gute Laune wieder herzuſtellen, und, indem ſie ſich eine künſtliche Stimmung gaben, entfernten ſie die natürliche, die uns allein wahre Heiterkeit und Thätigkeit gewährt.","norm":"Außer Theresa war niemand in seinem Gleise geblieben, die Männer suchten durch geistige Getränke ihre gute Laune wiederherzustellen, und, indem sie sich eine künstliche Stimmung gaben, entfernten sie die natürliche, die uns allein wahre Heiterkeit und Tätigkeit gewährt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2896,"orig":"Wilhelm war durch die heftigſten Leidenſchaften bewegt und zerrüttet, die unvermutheten und ſchreckhaften Anfälle hatten ſein Innerſtes ganz aus aller Faſſung gebracht, einer Leidenſchaft zu wiederſtehn, die ſich des Herzens ſo gewaltſam bemächtigt hatte.","norm":"Wilhelm war durch die heftigsten Leidenschaften bewegt und zerrüttet, die unvermuteten und schreckhaften Anfälle hatten sein Innerstes ganz aus aller Fassung gebracht, einer Leidenschaft zu widerstehen, die sich des Herzens so gewaltsam bemächtigt hatte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2897,"orig":"Felix war ihm wiedergegeben, und doch ſchien ihm alles zu fehlen, die Briefe von Wernern mit den Anweiſungen waren da, ihm mangelte nichts zu ſeiner Reiſe, als der Muth ſich zu entfernen.","norm":"Felix war ihm wiedergegeben, und doch schien ihm alles zu fehlen, die Briefe von Wernern mit den Anweisungen waren da, ihm mangelte nichts zu seiner Reise, als der Mut sich zu entfernen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2898,"orig":"Alles drängte ihn zu dieſer Reiſe.","norm":"Alles drängte ihn zu dieser Reise."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2899,"orig":"Er konnte vermuthen, daß Lothario und Thereſe nur auf ſeine Entfernung warteten, um ſich trauen zu laſſen.","norm":"Er konnte vermuten, dass Lothario und Therese nur auf seine Entfernung warteten, um sich trauen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2900,"orig":"Jarno war wieder ſeine Gewohnheit ſtill, und man hätte beynahe ſagen können, es habe ſich etwas von ſeiner gewöhnlichen Heiterkeit verlohren.","norm":"Jarno war wider seine Gewohnheit still, und man hätte beinahe sagen können, es habe sich etwas von seiner gewöhnlichen Heiterkeit verloren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2901,"orig":"Glücklicherweiſe half der Arzt unſerm Freunde einigermaßen aus der Verlegenheit, indem er ihn für krank erklärte, und ihm Arzney gab.","norm":"Glücklicherweise half der Arzt unserem Freunde einigermaßen aus der Verlegenheit, indem er ihn für krank erklärte, und ihm Arznei gab."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2902,"orig":"Die Geſellſchaft kam immer Abends zuſammen, und Friedrich, der ausgelaſſene Menſch, der gewöhnlich mehr Wein als billig trank, bemächtigte ſich des Geſprächs, und brachte nach ſeiner Art, mit hundert Zitaten und eulenſpiegelhaften Anſpielungen, die Geſellſchaft zum Lachen, und ſetzte ſie auch nicht ſelten in Verlegenheit, indem er laut zu denken ſich erlaubte.","norm":"Die Gesellschaft kam immer Abends zusammen, und Friedrich, der ausgelassene Mensch, der gewöhnlich mehr Wein als billig trank, bemächtigte sich des Gesprächs, und brachte nach seiner Art, mit hundert Zitaten und eulenspiegelhaften Anspielungen, die Gesellschaft zum Lachen, und setzte sie auch nicht selten in Verlegenheit, indem er laut zu denken sich erlaubte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2903,"orig":"An die Krankheit ſeines Freundes ſchien er gar nicht zu glauben.","norm":"An die Krankheit seines Freundes schien er gar nicht zu glauben."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2904,"orig":"Einſt, als ſie alle beyſammen waren, rief er aus:","norm":"Einst, als sie alle beisammen waren, rief er aus:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2905,"orig":"Wie nennt ihr das Übel, Doktor, das unſern Freund angefallen hat?","norm":"Wie nennt Ihr das Übel, Doktor, das unseren Freund angefallen hat?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2906,"orig":"paßt hier keiner von den dreytauſend Nahmen, mit denen ihr eure Unwiſſenheit ausputzt?","norm":"Passt hier keiner von den dreitausend Namen, mit denen Ihr Eure Unwissenheit ausputzt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2907,"orig":"An ähnlichen Beyſpielen wenigſtens hat es nicht gefehlt.","norm":"An ähnlichen Beispielen wenigstens hat es nicht gefehlt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2908,"orig":"Es kommt, fuhr er mit einem emphathiſchen Tone fort, ein ſolcher Kaſus in der ägyptiſchen oder babyloniſchen Geſchichte vor.","norm":"Es kommt, fuhr er mit einem emphatischen Tone fort, ein solcher Kasus in der ägyptischen oder babylonischen Geschichte vor."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2909,"orig":"Die Geſellſchaft ſah einander an und lächelte.","norm":"Die Gesellschaft sah einander an und lächelte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2910,"orig":"Wie hieß der König?","norm":"Wie hieß der König?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2911,"orig":"rief er aus, und hielt einen Augenblick inne.","norm":"rief er aus, und hielt einen Augenblick inne."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2912,"orig":"Wenn ihr mir nicht einhelfen wollt, fuhr er fort, ſo werde ich mir ſelbſt zu helfen wiſſen.","norm":"Wenn Ihr mir nicht einhelfen wollt, fuhr er fort, so werde ich mir selbst zu helfen wissen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2913,"orig":"Er riß die Thürflügel auf, und wies nach dem großen Bilde im Vorſaal.","norm":"Er riss die Türflügel auf, und wies nach dem großen Bilde im Vorsaal."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2914,"orig":"Wie heißt der Ziegenbart mit der Krone dort, der ſich am Fuße des Bettes um ſeinen kranken Sohn abhärmt?","norm":"Wie heißt der Ziegenbart mit der Krone dort, der sich am Fuße des Bettes um seinen kranken Sohn abhärmt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2915,"orig":"Wie heißt die Schöne, die herein tritt, und in ihren ſittſamen Schelmenaugen Gift und Gegengift zugleich führt?","norm":"Wie heißt die Schöne, die hereintritt, und in ihren sittsamen Schelmenaugen Gift und Gegengift zugleich führt?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2916,"orig":"Wie heißt der Pfuſcher von Arzt, dem erſt in dieſem Augenblicke ein Licht aufgeht, der das erſtemal in ſeinem Leben Gelegenheit findet, ein vernünftiges Recept zu verordnen, eine Arzney zu reichen, die aus dem Grunde curirt, und die eben ſo wohlſchmeckend als heilſam iſt?","norm":"Wie heißt der Pfuscher von Arzt, dem erst in diesem Augenblicke ein Licht aufgeht, der das erste Mal in seinem Leben Gelegenheit findet, ein vernünftiges Rezept zu verordnen, eine Arznei zu reichen, die aus dem Grunde kuriert, und die ebenso wohlschmeckend als heilsam ist?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2917,"orig":"In dieſem Tone fuhr er fort zu ſchwadroniren.","norm":"In diesem Tone fuhr er fort zu schwadronieren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2918,"orig":"Die Geſellſchaft nahm ſich ſo gut als möglich zuſammen, und verbarg ihre Verlegenheit hinter einem gezwungenen Lächeln.","norm":"Die Gesellschaft nahm sich so gut als möglich zusammen, und verbarg ihre Verlegenheit hinter einem gezwungenen Lächeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2919,"orig":"Eine leichte Röthe überzog Nataliens Wangen, und verrieth die Bewegungen ihres Herzens.","norm":"Eine leichte Röte überzog Natalies Wangen, und verriet die Bewegungen ihres Herzens."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2920,"orig":"Glücklicherweiſe ging ſie mit Jarno auf und nieder; als ſie an die Thüre kam, ſchritt ſie mit einer klugen Bewegung> hinaus, einigemal in dem Vorſaale hin und wieder, und ging ſodann auf ihr Zimmer.","norm":"Glücklicherweise ging sie mit Jarno auf und nieder; als sie an die Türe kam, schritt sie mit einer klugen Bewegung> hinaus, einige Mal in dem Vorsaale hin und wider, und ging sodann auf ihr Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2921,"orig":"Die Geſellſchaft war ſtill.","norm":"Die Gesellschaft war still."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2922,"orig":"Friedrich fing> an zu tanzen und zu ſingen:","norm":"Friedrich fing> an zu tanzen und zu singen:"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2923,"orig":"O Ihr werdet Wunder ſehn!","norm":"O Ihr werdet Wunder sehen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2924,"orig":"Was geſchehn iſt, iſt geſchehn, Was geſagt iſt, iſt geſagt.","norm":"Was geschehen ist, ist geschehen, was gesagt ist, ist gesagt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2925,"orig":"Eh es tagt, Sollt Ihr Wunder ſehn.","norm":"Ehe es tagt, sollt Ihr Wunder sehen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2926,"orig":"Thereſe war Natalien nachgegangen, Friedrich zog den Arzt vor das große Gemälde, hielt eine lächerliche Lobrede auf die Medicin, und ſchlich davon.","norm":"Therese war Natalie nachgegangen, Friedrich zog den Arzt vor das große Gemälde, hielt eine lächerliche Lobrede auf die Medizin, und schlich davon."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2927,"orig":"Lothario hatte bisher in einer Fenſtervertiefung geſtanden, und ſah, ohne ſich zu rühren, in den Garten hinunter.","norm":"Lothario hatte bisher in einer Fenstervertiefung gestanden, und sah, ohne sich zu rühren, in den Garten hinunter."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2928,"orig":"Wilhelm war in der ſchrecklichſten Lage.","norm":"Wilhelm war in der schrecklichsten Lage."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2929,"orig":"Selbſt, da er ſich nun mit ſeinem Freunde allein ſah, blieb er eine Zeit lang ſtill, er überlief mit flüchtigem Blick ſeine Geſchichte, und ſah zuletzt mit Schaudern auf ſeinen gegenwärtigen Zuſtand, endlich ſprang er auf und rief: bin ich Schuld an dem, was vorgeht, an dem, was mir und Ihnen begegnet, ſo ſtrafen Sie mich!","norm":"Selbst, da er sich nun mit seinem Freunde allein sah, blieb er eine Zeitlang still, er überlief mit flüchtigem Blick seine Geschichte, und sah zuletzt mit Schaudern auf seinen gegenwärtigen Zustand, endlich sprang er auf und rief: Bin ich schuld an dem, was vorgeht, an dem, was mir und Ihnen begegnet, so strafen Sie mich!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2930,"orig":"Zu meinen übrigen Leiden entziehen Sie mir Ihre Freundſchaft, und laſſen Sie mich ohne Troſt in die weite Welt hinaus gehen, in der ich mich lange hätte verlieren ſollen.","norm":"Zu meinen übrigen Leiden entziehen Sie mir Ihre Freundschaft, und lassen Sie mich ohne Trost in die weite Welt hinausgehen, in der ich mich lange hätte verlieren sollen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2931,"orig":"Sehen Sie aber in mir das Opfer einer grauſamen zufälligen Verwicklung, aus der ich mich heraus zu winden unfähig war, ſo geben Sie mir die Verſicherung Ihrer Liebe, Ihrer Freundſchaft auf eine Reiſe mit, die ich nicht länger verſchieben darf.","norm":"Sehen Sie aber in mir das Opfer einer grausamen zufälligen Verwicklung, aus der ich mich herauszuwinden unfähig war, so geben Sie mir die Versicherung Ihrer Liebe, Ihrer Freundschaft auf eine Reise mit, die ich nicht länger verschieben darf."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2932,"orig":"Es wird eine Zeit kommen, wo ich Ihnen werde ſagen können, was dieſe Tage in mir vorgegangen iſt, vielleicht leide ich eben jetzt dieſe Strafe, weil ich mich Ihnen nicht früh genug entdeckte, weil ich gezaudert habe, mich Ihnen ganz zu zeigen, wie ich bin;","norm":"Es wird eine Zeit kommen, wo ich Ihnen werde sagen können, was diese Tage in mir vorgegangen ist, vielleicht leide ich eben jetzt diese Strafe, weil ich mich Ihnen nicht früh genug entdeckte, weil ich gezaudert habe, mich Ihnen ganz zu zeigen, wie ich bin;"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2933,"orig":"Sie hätten mir beygeſtanden, Sie hätten mir zur rechten Zeit los geholfen.","norm":"Sie hätten mir beigestanden, Sie hätten mir zur rechten Zeit losgeholfen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2934,"orig":"Aber und abermal gehen mir die Augen über mich ſelbſt auf, immer zu ſpät und immer umſonſt.","norm":"Aber und abermals gehen mir die Augen über mich selbst auf, immer zu spät und immer umsonst."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2935,"orig":"Wie ſehr verdiente ich die Strafrede Jarno’s!","norm":"Wie sehr verdiente ich die Strafrede Jarnos!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2936,"orig":"Wie glaubte ich ſie gefaßt zu haben, wie hoffte ich ſie zu nutzen, ein neues Leben zu gewinnen!","norm":"Wie glaubte ich sie gefasst zu haben, wie hoffte ich sie zu nutzen, ein neues Leben zu gewinnen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2937,"orig":"Konnte ichs?","norm":"Konnte ich es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2938,"orig":"Sollte ichs?","norm":"Sollte ich es?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2939,"orig":"Vergebens klagen wir Menſchen uns ſelbſt, vergebens das Schickſal an!","norm":"Vergebens klagen wir Menschen uns selbst, vergebens das Schicksal an!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2940,"orig":"Wir ſind elend und zum Elend beſtimmt, und iſt es nicht völlig einerley, ob eigene Schuld, höherer Einfluß oder Zufall, Tugend oder Laſter, Weisheit oder Wahnſinn uns ins Verderben ſtürzen.","norm":"Wir sind elend und zum Elend bestimmt, und ist es nicht völlig einerlei, ob eigene Schuld, höherer Einfluss oder Zufall, Tugend oder Laster, Weisheit oder Wahnsinn uns ins Verderben stürzen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2941,"orig":"Leben Sie wohl, ich werde keinen Augenblick länger in dem Hauſe verweilen, in welchem ich das Gaſtrecht, wider meinen Willen, ſo ſchrecklich verletzt habe, die Indiskretion Ihres Bruders iſt unverzeihlich, ſie treibt mein Unglück auf den höchſten Grad, ſie macht mich verzweifeln.","norm":"Leben Sie wohl, ich werde keinen Augenblick länger in dem Hause verweilen, in welchem ich das Gastrecht, wider meinen Willen, so schrecklich verletzt habe, die Indiskretion Ihres Bruders ist unverzeihlich, sie treibt mein Unglück auf den höchsten Grad, sie macht mich verzweifeln."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2942,"orig":"Und wenn nun, verſetzte Lothario, indem er ihn bey der Hand nahm, Ihre Verbindung mit meiner Schweſter die geheime Bedingung wäre, unter welcher ſich Thereſe entſchloſſen hat, mir ihre Hand zu geben?","norm":"Und wenn nun, versetzte Lothario, indem er ihn bei der Hand nahm, Ihre Verbindung mit meiner Schwester die geheime Bedingung wäre, unter welcher sich Therese entschlossen hat, mir ihre Hand zu geben?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2943,"orig":"Eine ſolche Entſchädigung hat Ihnen das edle Mädchen zugedacht; ſie ſchwur, daß dieſes doppelte Paar an Einem Tage zum Altare gehen ſollte.","norm":"Eine solche Entschädigung hat Ihnen das edle Mädchen zugedacht; sie schwur, dass dieses doppelte Paar an einem Tage zum Altare gehen sollte."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2944,"orig":"Sein Verſtand hat mich gewählt, ſagte ſie, ſein Herz fordert Natalien, und mein Verſtand wird ſeinem Herzen zu Hülfe kommen.","norm":"Sein Verstand hat mich gewählt, sagte sie, sein Herz fordert Natalie, und mein Verstand wird seinem Herzen zu Hilfe kommen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2945,"orig":"Wir wurden einig, Natalien und ſie zu beobachten, wir machten den Abbé zu unſerm Vertrauten, dem wir verſprechen mußten, keinen Schritt zu dieſer Verbindung zu thun, ſondern alles ſeinen Gang gehen zu laſſen.","norm":"Wir wurden einig, Natalie und sie zu beobachten, wir machten den Abbé zu unserem Vertrauten, dem wir versprechen mussten, keinen Schritt zu dieser Verbindung zu tun, sondern alles seinen Gang gehen zu lassen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2946,"orig":"Wir haben es gethan.","norm":"Wir haben es getan."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2947,"orig":"Die Natur hat gewirkt, und der tolle Bruder hat nur die reiſe Frucht abgeſchüttelt.","norm":"Die Natur hat gewirkt, und der tolle Bruder hat nur die reife Frucht abgeschüttelt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2948,"orig":"Laſſen Sie uns, da wir einmal ſo wunderbar zuſammen kommen, nicht ein gemeines Leben führen, laſſen Sie uns zuſammen auf eine würdige Weiſe thätig ſeyn!","norm":"Lassen Sie uns, da wir einmal so wunderbar zusammenkommen, nicht ein gemeines Leben führen, lassen Sie uns zusammen auf eine würdige Weise tätig sein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2949,"orig":"Unglaublich iſt es, was ein gebildeter Menſch für ſich und andere thun kann, wenn er, ohne herrſchen zu wollen, das Gemüth hat Vormund von Vielen zu ſeyn, ſie leitet dasjenige zur rechten Zeit zu thun, was ſie doch alle gerne thun möchten, und ſie zu ihren Zwecken führt, die ſie meiſtentheils recht gut im Auge haben, und nur meiſt die Wege dazu verfehlen.","norm":"Unglaublich ist es, was ein gebildeter Mensch für sich und andere tun kann, wenn er, ohne herrschen zu wollen, das Gemüt hat Vormund von Vielen zu sein, sie leitet dasjenige zur rechten Zeit zu tun, was sie doch alle gerne tun möchten, und sie zu ihren Zwecken führt, die sie meistenteils recht gut im Auge haben, und nur meist die Wege dazu verfehlen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2950,"orig":"Laſſen Sie uns hierauf einen Bund ſchließen, es iſt keine Schwärmerey, es iſt eine Idee, die recht gut ausführbar iſt, und die öfters, nur nicht immer mit klarem Bewuſtſeyn, von guten Menſchen ausgeführt wird.","norm":"Lassen Sie uns hierauf einen Bund schließen, es ist keine Schwärmerei, es ist eine Idee, die recht gut ausführbar ist, und die öfters, nur nicht immer mit klarem Bewusstsein, von guten Menschen ausgeführt wird."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2951,"orig":"Meine Schweſter Natalie iſt hiervon ein lebhaftes Beyſpiel.","norm":"Meine Schwester Natalie ist hiervon ein lebhaftes Beispiel."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2952,"orig":"Unerreichbar wird immer die Handelsweiſe bleiben, welche die Natur dieſer ſchönen Seele vorgeſchrieben hat.","norm":"Unerreichbar wird immer die Handlungsweise bleiben, welche die Natur dieser schönen Seele vorgeschrieben hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2953,"orig":"Ja ſie verdient dieſen Ehrennahmen vor vielen andern, mehr, wenn ich ſagen darf, als unſre edle Tante ſelbſt, die zu der Zeit, als unſer guter Arzt jenes Manuſcript ſo rubricirte, die ſchönſte Natur war, die wir in unſerm Kreiſe kannten.","norm":"Ja sie verdient diesen Ehrennamen vor vielen anderen, mehr, wenn ich sagen darf, als unsere edle Tante selbst, die zu der Zeit, als unser guter Arzt jenes Manuskript so rubrizierte, die schönste Natur war, die wir in unserem Kreise kannten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2954,"orig":"Indeß hat Natalie ſich entwickelt, und die Menſchheit freut ſich einer ſolchen Erſcheinung.","norm":"Indes hat Natalie sich entwickelt, und die Menschheit freut sich einer solchen Erscheinung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2955,"orig":"Er wollte weiter reden, aber Friedrich ſprang mit großem Geſchrey herein.","norm":"Er wollte weiterreden, aber Friedrich sprang mit großem Geschrei herein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2956,"orig":"Welch einen Kranz verdien ich?","norm":"Welch einen Kranz verdiene ich?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2957,"orig":"rief er aus, und wie werdet Ihr mich belohnen?","norm":"rief er aus, und wie werdet Ihr mich belohnen?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2958,"orig":"Myrthen, Lorbeer, Epheu, Eichenlaub, das friſcheſte, das Ihr finden könnt, windet zuſammen!","norm":"Myrten, Lorbeer, Efeu, Eichenlaub, das frischeste, das Ihr finden könnt, windet zusammen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2959,"orig":"ſo viel Verdienſte habt Ihr in mir zu krönen.","norm":"so viel Verdienste habt Ihr in mir zu krönen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2960,"orig":"Natalie iſt Dein!","norm":"Natalie ist Dein!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2961,"orig":"ich bin der Zauberer, der dieſen Schatz gehoben hat.","norm":"Ich bin der Zauberer, der diesen Schatz gehoben hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2962,"orig":"Er ſchwärmt, ſagte Wilhelm, und ich gehe.","norm":"Er schwärmt, sagte Wilhelm, und ich gehe."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2963,"orig":"Haſt Du Auftrag?","norm":"Hast Du Auftrag?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2964,"orig":"ſagte der Baron, indem er Wilhelmen feſt hielt.","norm":"sagte der Baron, indem er Wilhelm festhielt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2965,"orig":"Aus eigner Macht und Gewalt, verſetzte Friedrich, auch von Gottes Gnaden, wenn Ihr wollt; ſo war ich Freyersmann, ſo bin ich jetzt Geſandter, ich habe an der Thüre gehorcht, ſie hat ſich ganz dem Abbé entdeckt.","norm":"Aus eigener Macht und Gewalt, versetzte Friedrich, auch von Gottes Gnaden, wenn Ihr wollt; so war ich Freiersmann, so bin ich jetzt Gesandter, ich habe an der Türe gehorcht, sie hat sich ganz dem Abbé entdeckt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2966,"orig":"Unverſchämter!","norm":"Unverschämter!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2967,"orig":"ſagte Lothario, wer heißt Dich horchen.","norm":"sagte Lothario, wer heißt Dich horchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2968,"orig":"Wer heißt ſie ſich einſchließen!","norm":"Wer heißt sie sich einschließen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2969,"orig":"verſetzte Friedrich; ich hörte alles ganz genau, Natalie war ſehr bewegt.","norm":"versetzte Friedrich; ich hörte alles ganz genau, Natalie war sehr bewegt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2970,"orig":"In der Nacht, da das Kind ſo krank ſchien, und halb auf ihrem Schoße ruhte, als Du troſtlos vor ihr ſaßeſt, und die geliebte Bürde mit ihr theilteſt, that ſie das Gelübde, wenn das Kind ſtürbe, Dir ihre Liebe zu bekennen, und Dir ſelbſt die Hand anzubieten; jetzt da das Kind lebt, warum ſoll ſie ihre Geſinnung verändern?","norm":"In der Nacht, da das Kind so krank schien, und halb auf ihrem Schoß ruhte, als Du trostlos vor ihr saßest, und die geliebte Bürde mit ihr teiltest, tat sie das Gelübde, wenn das Kind stürbe, Dir ihre Liebe zu bekennen, und Dir selbst die Hand anzubieten; jetzt da das Kind lebt, warum soll sie ihre Gesinnung verändern?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2971,"orig":"Was man einmal ſo verſpricht, hält man unter jeder Bedingung.","norm":"Was man einmal so verspricht, hält man unter jeder Bedingung."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2972,"orig":"Nun wird der Pfaffe kommen, und wunder denken, was er für Neuigkeiten bringt.","norm":"Nun wird der Pfaffe kommen, und wunder denken, was er für Neuigkeiten bringt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2973,"orig":"Der Abbé trat ins Zimmer.","norm":"Der Abbé trat ins Zimmer."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2974,"orig":"Wir wiſſen alles, rief Friedrich ihm entgegen, macht es kurz, denn ihr kommt bloß um der Formalität willen, zu weiter nichts werden die Herren verlangt.","norm":"Wir wissen alles, rief Friedrich ihm entgegen, macht es kurz, denn Ihr kommt bloß um der Formalität willen, zu weiter nichts werden die Herren verlangt."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2975,"orig":"Er hat gehorcht, ſagte der Baron.","norm":"Er hat gehorcht, sagte der Baron."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2976,"orig":"— Wie ungezogen!","norm":"— Wie ungezogen!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2977,"orig":"rief der Abbé!","norm":"rief der Abbé!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2978,"orig":"Nun geſchwind, verſetzte Friedrich, wie ſieht’s mit den Ceremonien aus?","norm":"Nun geschwind, versetzte Friedrich, wie sieht es mit den Zeremonien aus?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2979,"orig":"die laſſen ſich an den Fingern herzählen, ihr müßt reiſen, die Einladung des Markeſe kommt euch herrlich zu ſtatten.","norm":"Die lassen sich an den Fingern herzählen, Ihr müsst reisen, die Einladung des Marchese kommt Euch herrlich zustatten."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2980,"orig":"Seyd ihr nur einmal über die Alpen, ſo findet ſich zu Hauſe alles, die Menſchen wiſſen’s euch Dank, wenn ihr etwas wunderliches unternehmt, ihr verſchafft ihnen eine Unterhaltung, die ſie nicht zu bezahlen brauchen.","norm":"Seid Ihr nur einmal über die Alpen, so findet sich zu Hause alles, die Menschen wissen es Euch Dank, wenn Ihr etwas Wunderliches unternehmt, Ihr verschafft ihnen eine Unterhaltung, die sie nicht zu bezahlen brauchen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2981,"orig":"Es iſt eben, als wenn ihr eine Freyredoute gäbt, es können alle Stände daran Theil nehmen.","norm":"Es ist eben, als wenn Ihr eine Freiredoute gäbt, es können alle Stände daran teilnehmen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2982,"orig":"Ihr habt euch freylich mit ſolchen Volks feſten ſchon ſehr ums Publikum verdient gemacht, verſetzte der Abbé, und ich komme, ſo ſcheint es heute, nicht mehr zum Wort.","norm":"Ihr habt Euch freilich mit solchen Volksfesten schon sehr um das Publikum verdient gemacht, versetzte der Abbé, und ich komme, so scheint es heute, nicht mehr zum Wort."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2983,"orig":"Iſt nicht alles wie ich’s ſage; verſetzte Friedrich, ſo belehrt uns eines beſſern.","norm":"Ist nicht alles wie ich es sage; versetzte Friedrich, so belehrt uns eines Besseren."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2984,"orig":"Kommt herüber, kommt herüber!","norm":"Kommt herüber, kommt herüber!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2985,"orig":"wir müſſen ſie ſehen und uns freuen.","norm":"wir müssen sie sehen und uns freuen."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2986,"orig":"Lothario umarmte ſeinen Freund und führte ihn zu der Schweſter, ſie kam mit Thereſen ihnen entgegen, alles ſchwieg.","norm":"Lothario umarmte seinen Freund und führte ihn zu der Schwester, sie kam mit Theresa ihnen entgegen, alles schwieg."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2987,"orig":"Nicht gezaudert, rief Friedrich, in zwey Tagen könnt ihr reiſefertig ſeyn.","norm":"Nicht gezaudert, rief Friedrich, in zwei Tagen könnt ihr reisefertig sein."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2988,"orig":"Wie meint ihr Freund, fuhr er fort, indem er ſich zu Wilhelmen wendete, als wir Bekanntſchaft machten, als ich euch den ſchönen Strauß abforderte, wer konnte denken, daß ihr jemals eine ſolche Blume aus meiner Hand empfangen würdet?","norm":"Wie meint Ihr Freund, fuhr er fort, indem er sich zu Wilhelm wendete, als wir Bekanntschaft machten, als ich Euch den schönen Strauß abforderte, wer konnte denken, dass Ihr jemals eine solche Blume aus meiner Hand empfangen würdet?"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2989,"orig":"Erinnern Sie mich nicht in dieſem Augenblicke des höchſten Glückes an jene Zeiten!","norm":"Erinnern Sie mich nicht in diesem Augenblicke des höchsten Glückes an jene Zeiten!"} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2990,"orig":"Deren ihr euch nicht ſchämen ſollet, ſo wenig man ſich ſeiner Abkunft zu ſchämen hat.","norm":"Deren Ihr Euch nicht schämen solltet, so wenig man sich seiner Abkunft zu schämen hat."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2991,"orig":"Die Zeiten waren gut, und ich muß lachen, wenn ich dich anſehe, du kommſt mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging ſeines Vaters Eſelinnen zu ſuchen, und ein Königreich fand.","norm":"Die Zeiten waren gut, und ich muss lachen, wenn ich dich ansehe, du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand."} {"basename":"goethe_lehrjahre04_1796","par_idx":2992,"orig":"Ich kenne den Werth eines Königreichs nicht, verſetzte Wilhelm, aber ich weiß, daß ich ein Glück erlangt habe, das ich nicht verdiene, und das ich mit nichts in der Welt vertauſchen möchte.","norm":"Ich kenne den Wert eines Königreichs nicht, versetzte Wilhelm, aber ich weiß, dass ich ein Glück erlangt habe, das ich nicht verdiene, und das ich mit nichts in der Welt vertauschen möchte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":0,"orig":"Alphons, der zweyte, Herzog von Ferrara.","norm":"Alphons, der Zweite, Herzog von Ferrara."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1,"orig":"Leonore von Eſte, Schweſter des Herzogs.","norm":"Leonore von Este, Schwester des Herzogs."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":2,"orig":"Leonore Sanvitale, Gräfinn von Scandiano.","norm":"Leonore Sanvitale, Gräfin von Scandiano."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":3,"orig":"Torquato Taſſo.","norm":"Torquato Tasso."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":4,"orig":"Antonio Montecatino, Staatsſecretär.","norm":"Antonio Montecatino, Staatssekretär."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":5,"orig":"Der Schauplatz iſt auf Belriguardo, einem Luſtſchloſſe.","norm":"Der Schauplatz ist auf Belriguardo, einem Lustschlosse."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":6,"orig":"Du ſiehſt mich lächlend an, Eleonore, Und ſiehſt dich ſelber an und lächelſt wieder.","norm":"Du siehst mich lächelnd an, Eleonore, und siehst dich selber an und lächelst wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":7,"orig":"Was haſt du?","norm":"Was hast du?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":8,"orig":"Laß es eine Freundinn wiſſen!","norm":"Lass es eine Freundin wissen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":9,"orig":"Du ſcheinſt bedenklich, doch du ſcheinſt vergnügt.","norm":"Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":10,"orig":"Ja, meine Fürſtinn, mit Vergnügen ſeh’ ich Uns beyde hier ſo ländlich ausgeſchmückt.","norm":"Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen sehe ich uns beide hier so ländlich ausgeschmückt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":11,"orig":"Wir ſcheinen recht beglückte Schäferinnen Und ſind auch wie die Glücklichen beſchäftigt.","norm":"Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":12,"orig":"Wir winden Kränze.","norm":"Wir winden Kränze."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":13,"orig":"Dieſer, bunt von Blumen, Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand, Du haſt mit höherm Sinn und größerm Herzen Den zarten ſchlanken Lorber dir gewählt.","norm":"Dieser, bunt von Blumen, schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand, Du hast mit höherem Sinn und größerem Herzen den zarten schlanken Lorbeer dir gewählt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":14,"orig":"Die Zweige, die ich in Gedanken flocht, Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden, Ich ſetze ſie Virgilen dankbar auf.","norm":"Die Zweige, die ich in Gedanken flocht, Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden, Ich setze sie Virgil dankbar auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":15,"orig":"So drück’ ich meinen vollen frohen Kranz Dem Meiſter Ludwig auf die hohe Stirne —","norm":"So drücke ich meinen vollen frohen Kranz dem Meister Ludwig auf die hohe Stirn —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":16,"orig":"Er, deſſen Scherze nie verblühen, habe Gleich von dem neuen Frühling ſeinen Theil.","norm":"Er, dessen Scherze nie verblühen, habe gleich von dem neuen Frühling seinen Teil."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":17,"orig":"Mein Bruder iſt gefällig daß er uns In dieſen Tagen ſchon auf’s Land gebracht, Wir können unſer ſeyn und ſtundenlang Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.","norm":"Mein Bruder ist gefällig dass er uns In diesen Tagen schon aufs Land gebracht, wir können unser sein und stundenlang uns in die goldene Zeit der Dichter träumen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":18,"orig":"Ich liebe Belriguardo, denn ich habe Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt, Und dieſes neue Grün und dieſe Sonne Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.","norm":"Ich liebe Belriguardo, denn ich habe hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt, und dieses neue Grün und diese Sonne bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":19,"orig":"Ja es umgibt uns eine neue Welt!","norm":"Ja es umgibt uns eine neue Welt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":20,"orig":"Der Schatten dieſer immer grünen Bäume Wird ſchon erfreulich.","norm":"Der Schatten dieser immergrünen Bäume wird schon erfreulich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":21,"orig":"Schon erquickt uns wieder Das Rauſchen dieſer Brunnen, ſchwankend wiegen Im Morgenwinde ſich die jungen Zweige.","norm":"Schon erquickt uns wieder das Rauschen dieser Brunnen, schwankend wiegen im Morgenwinde sich die jungen Zweige."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":22,"orig":"Die Blumen von den Beeten ſchauen uns Mit ihren Kinderaugen freundlich an.","norm":"Die Blumen von den Beeten schauen uns Mit ihren Kinderaugen freundlich an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":23,"orig":"Der Gärtner deckt getroſt das Winterhaus Schon der Citronen und Orangen ab, Der blaue Himmel ruhet über uns Und an dem Horizonte löſ’t der Schnee Der fernen Berge ſich in leiſen Duſt.","norm":"Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus schon der Zitronen und Orangen ab, der blaue Himmel ruhet über uns Und an dem Horizonte löst der Schnee der fernen Berge sich in leisen Duft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":24,"orig":"Es wäre mir der Frühling ſehr willkommen, Wenn er nicht meine Freundinn mir entführte.","norm":"Es wäre mir der Frühling sehr willkommen, wenn er nicht meine Freundin mir entführte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":25,"orig":"Erinnre mich in dieſen holden Stunden, O Fürſtinn, nicht wie bald ich ſcheiden ſoll.","norm":"Erinnre mich in diesen holden Stunden, O Fürstin, nicht wie bald ich scheiden soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":26,"orig":"Was du verlaſſen magſt, das findeſt du In jener großen Stadt gedoppelt wieder.","norm":"Was du verlassen magst, das findest du in jener großen Stadt gedoppelt wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":27,"orig":"Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich Zu dem Gemahl der mich ſo lang’ entbehrt.","norm":"Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich Zu dem Gemahl der mich so lang entbehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":28,"orig":"Ich bring’ ihm feinen Sohn, der dieſes Jahr So ſchnell gewachſen, ſchnell ſich ausgebildet, Und theile ſeine väterliche Freude.","norm":"Ich bringe ihm seinen Sohn, der dieses Jahr so schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet, und Teile seine väterliche Freude."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":29,"orig":"Groß iſt Florenz und herrlich, doch der Werth Von allen ſeinen aufgehäuften Schätzen Reicht an Ferrara’s Edelſteine nicht.","norm":"Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert von allen seinen aufgehäuften Schätzen reicht an Ferraras Edelsteine nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":30,"orig":"Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht, Ferrara ward durch ſeine Fürſten groß.","norm":"Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht, Ferrara wurde durch seine Fürsten groß."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":31,"orig":"Mehr durch die guten Menſchen, die ſich hier Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.","norm":"Mehr durch die guten Menschen, die sich hier durch Zufall trafen und zum Glück verbanden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":32,"orig":"Sehr leicht zerſtreut der Zufall was er ſammelt.","norm":"Sehr leicht zerstreut der Zufall was er sammelt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":33,"orig":"Ein edler Menſch zieht edle Menſchen an Und weiß ſie feſt zu halten, wie ihr thut.","norm":"Ein edler Mensch zieht edle Menschen an Und weiß sie festzuhalten, wie ihr tut."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":34,"orig":"Um deinen Bruder und um dich verbinden Gemüther ſich, die eurer würdig ſind, Und ihr ſeyd eurer großen Väter werth.","norm":"Um deinen Bruder und um dich verbinden Gemüter sich, die eurer würdig sind, und ihr seid eurer großen Väter wert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":35,"orig":"Hier zündete ſich froh das ſchöne Licht Der Wiſſenſchaft, des freyen Denkens an, Als noch die Barbarey mit ſchwerer Dämmrung Die Welt umher verbarg.","norm":"Hier zündete sich froh das schöne Licht der Wissenschaft, des freien Denkens an, als noch die Barbarei mit schwerer Dämmerung die Welt umher verbarg."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":36,"orig":"Mir klang als Kind Der Name Hercules von Eſte ſchon, Schon Hyppolit von Eſte voll in’s Ohr.","norm":"Mir klang als Kind der Name Hercules von Este schon, schon Hippolyt von Este voll ins Ohr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":37,"orig":"Ferrara ward mit Rom und mit Florenz Von meinem Vater viel geprieſen!","norm":"Ferrara wurde mit Rom und mit Florenz von meinem Vater viel gepriesen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":38,"orig":"Oft Hab’ ich mich hingeſehnt; nun bin ich da.","norm":"Oft Habe ich mich hingesehnt; nun bin ich da."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":39,"orig":"Hier ward Petrarch bewirthet, hier gepflegt, Und Arioſt fand ſeine Muſter hier.","norm":"Hier wurde Petrarca bewirtet, hier gepflegt, und Ariost fand seine Muster hier."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":40,"orig":"Italien nennt keinen großen Namen, Den dieſes Haus nicht ſeinen Gaſt genannt.","norm":"Italien nennt keinen großen Namen, den dieses Haus nicht seinen Gast genannt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":41,"orig":"Und es iſt vortheilhaft den Genius Bewirthen: gibſt du ihm ein Gaſtgeſchenk, So läßt er dir ein ſchöneres zurück.","norm":"Und es ist vorteilhaft den Genius Bewirten: gibst du ihm ein Gastgeschenk, so lässt er dir ein schöneres zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":42,"orig":"Die Stätte, die ein guter Menſch betrat, Iſt.","norm":"Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, Ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":43,"orig":"eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und ſeine That dem Enkel wieder.","norm":"eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":44,"orig":"Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.","norm":"Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":45,"orig":"Gar oft beneid’ ich dich um dieſes Glück.","norm":"Gar oft beneide ich dich um dieses Glück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":46,"orig":"Das du, wie wenig andre, ſtill und rein Genießeſt.","norm":"Das du, wie wenig andere, still und rein genießest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":47,"orig":"Drängt mich doch das volle Herz Sogleich zu ſagen was ich lebhaft fühle, Du fühlſt es beſſer, fühlſt es tief und — ſchweigſt.","norm":"Drängt mich doch das volle Herz sogleich zu sagen was ich lebhaft fühle, Du fühlst es besser, fühlst es tief und — schweigst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":48,"orig":"Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks, Der Witz beſticht dich nicht, die Schmeicheley Schmiegt ſich vergebens künſtlich an dein Ohr:","norm":"Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks, der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":49,"orig":"Feſt bleibt dein Sinn und richtig dein Geſchmack, Dein Urtheil g’rad, ſtets iſt dein Antheil groß Am Großen, das du wie dich ſelbſt erkennſt.","norm":"Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack, Dein Urteil gerade, stets ist dein Anteil groß am Großen, das du wie dich selbst erkennst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":50,"orig":"Du ſollteſt dieſer höchſten Schmeicheley Nicht das Gewand vertrauter Freundſchaft leihen.","norm":"Du solltest dieser höchsten Schmeichelei nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":51,"orig":"Die Freundſchaft iſt gerecht, ſie kann allein Den ganzen Umfang deines Werths erkennen.","norm":"Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein den ganzen Umfang deines Werts erkennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":52,"orig":"Und laß mich der Gelegenheit, dem Glück Auch ſeinen Theil an deiner Bildung geben, Du haſt ſie doch, und biſt’s am Ende doch, Und dich mit deiner Schweſter ehrt die Welt Vor allen großen Frauen eurer Zeit.","norm":"Und lass mich der Gelegenheit, dem Glück auch seinen Teil an deiner Bildung geben, Du hast sie doch, und bist es am Ende doch, und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt vor allen großen Frauen eurer Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":53,"orig":"Mich kann das, Leonore, wenig rühren, Wenn ich bedenke wie man wenig iſt, Und was man iſt, das blieb man andern ſchuldig.","norm":"Mich kann das, Leonore, wenig rühren, wenn ich bedenke wie man wenig ist, und was man ist, das blieb man anderen schuldig."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":54,"orig":"Die Kenntniß alter Sprachen und des Beſten, Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der Mutter;","norm":"Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten, was uns die Vorwelt ließ, dank ich der Mutter;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":55,"orig":"Doch war an Wiſſenſchaft, an rechtem Sinn Ihr keine beyder Töchter jemals gleich;","norm":"Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn Ihr keine beider Töchter jemals gleich;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":56,"orig":"Und ſoll ſich eine ja mit ihr vergleichen, So hat Lucretia gewiß das Recht.","norm":"Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen, so hat Lucretia gewiss das Recht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":57,"orig":"Auch kann ich dir verſichern hab’ ich nie Als Rang und als Beſitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.","norm":"Auch kann ich dir versichern habe ich nie als Rang und als Besitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":58,"orig":"Ich freue mich, wenn kluge Männer ſprechen, Daß ich verſtehen kann wie ſie es meinen.","norm":"Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen, dass ich verstehen kann wie sie es meinen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":59,"orig":"Es ſey ein Urtheil über einen Mann Der alten Zeit und ſeiner Thaten Werth;","norm":"Es sei ein Urteil über einen Mann der alten Zeit und seiner Taten Wert;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":60,"orig":"Es ſey von einer Wiſſenſchaft die Rede, Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menſchen nutzt indem ſie ihn erhebt, Wohin ſich das Geſpräch der Edlen lenkt Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.","norm":"Es sei von einer Wissenschaft die Rede, Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt, wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":61,"orig":"Ich höre gern dem Streit der Klugen zu, Wenn um die Kräfte, die des Menſchen Bruſt So freundlich und ſo fürchterlich bewegen, Mit Grazie die Rednerlippe ſpielt;","norm":"Ich höre gern dem Streit der Klugen zu, wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust so freundlich und so fürchterlich bewegen, mit Grazie die Rednerlippe spielt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":62,"orig":"Gern, wenn die fürſtliche Begier des Ruhms, Des ausgebreiteten Beſitzes Stoff Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit, Von einem klugen Manne zart entwickelt, Statt uns zu hintergehen uns belehrt.","norm":"Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms, des ausgebreiteten Besitzes Stoff dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit, von einem klugen Manne zart entwickelt, statt uns zu hintergehen uns belehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":63,"orig":"Und dann nach dieſer ernſten Unterhaltung Ruht unſer Ohr und unſer innrer Sinn Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus, Der uns die letzten lieblichſten Gefühle Mit holden Tönen in die Seele flößt.","norm":"Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung ruht unser Ohr und unser innerer Sinn Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus, der uns die letzten lieblichsten Gefühle mit holden Tönen in die Seele flößt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":64,"orig":"Dein hoher Geiſt umfaßt ein weites Reich, Ich halte mich am liebſten auf der Inſel Der Poeſie in Lorberhainen auf.","norm":"Dein hoher Geist umfasst ein weites Reich, Ich halte mich am liebsten auf der Insel der Poesie in Lorbeerhainen auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":65,"orig":"In dieſem ſchönen Lande, hat man mir Verſichern wollen, wächſt vor andern Bäumen Die Myrte gern.","norm":"In diesem schönen Lande, hat man mir Versichern wollen, wächst vor anderen Bäumen die Myrte gern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":66,"orig":"Und wenn der Muſen gleich Gar viele ſind, ſo ſucht man unter ihnen Sich ſeltner eine Freundinn und Geſpielinn, Als man dem Dichter gern begegnen mag, Der uns zu meiden, ja zu fliehen ſcheint, Etwas zu ſuchen ſcheint das wir nicht kennen, Und er vielleicht am Ende ſelbſt nicht kennt.","norm":"Und wenn der Musen gleich Gar viele sind, so sucht man unter ihnen Sich seltener eine Freundin und Gespielin, Als man dem Dichter gern begegnen mag, der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint, Etwas zu suchen scheint das wir nicht kennen, und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":67,"orig":"Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde träfe, ſchnell entzückt Uns für den Schatz erkennte, den er lang’ Vergebens in der weiten Welt geſucht.","norm":"Da wäre es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt uns für den Schatz erkennte, den er lang Vergebens in der weiten Welt gesucht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":68,"orig":"Ich muß mir deinen Scherz gefallen laſſen, Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief.","norm":"Ich muss mir deinen Scherz gefallen lassen, er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":69,"orig":"Ich ehre jeden Mann und ſein Verdienſt Und ich bin gegen Taſſo nur gerecht.","norm":"Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst und ich bin gegen Tasso nur gerecht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":70,"orig":"Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum; Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;","norm":"Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum; Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":71,"orig":"Was die Geſchichte reicht, das Leben gibt, Sein Buſen nimmt es gleich und willig auf:","norm":"Was die Geschichte reicht, das Leben gibt, Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":72,"orig":"Das weit zerſtreute ſammelt ſein Gemüth, Und ſein Gefühl belebt das Unbelebte.","norm":"Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt, und sein Gefühl belebt das Unbelebte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":73,"orig":"Oft adelt er was uns gemein erſchien, Und das Geſchätzte wird vor ihm zu nichts.","norm":"Oft adelt er was uns gemein erschien, und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":74,"orig":"In dieſem eignen Zauberkreiſe wandelt Der wunderbare Mann und zieht uns an Mit ihm zu wandeln, Theil an ihm zu nehmen:","norm":"In diesem eigenen Zauberkreise wandelt der wunderbare Mann und zieht uns an Mit ihm zu wandeln, Teil an ihm zu nehmen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":75,"orig":"Er ſcheint ſich uns zu nahn, und bleibt uns fern;","norm":"Er scheint sich uns zu nahen, und bleibt uns fern;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":76,"orig":"Er ſcheint uns anzuſehn, und Geiſter mögen An unſrer Stelle ſeltſam ihm erſcheinen.","norm":"Er scheint uns anzusehen, und Geister mögen an unserer Stelle seltsam ihm erscheinen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":77,"orig":"Du haſt den Dichter fein und zart geſchildert, Der in den Reichen ſüßer Träume ſchwebt.","norm":"Du hast den Dichter fein und zart geschildert, der in den Reichen süßer Träume schwebt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":78,"orig":"Allein mir ſcheint auch ihn das Wirkliche Gewaltſam anzuziehn und feſt zu halten.","norm":"Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche Gewaltsam anzuziehen und festzuhalten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":79,"orig":"Die ſchönen Lieder, die an unſern Bäumen Wir hin und wieder angeheftet finden, Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien Uns duftend bilden.","norm":"Die schönen Lieder, die an unseren Bäumen wir hin und wieder angeheftet finden, Die, goldenen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien uns duftend bilden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":80,"orig":"Erkennſt du ſie nicht alle Für holde Früchte einer wahren Liebe?","norm":"Erkennst du sie nicht alle Für holde Früchte einer wahren Liebe?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":81,"orig":"Ich freue mich der ſchönen Blätter auch.","norm":"Ich freue mich der schönen Blätter auch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":82,"orig":"Mit mannigfalt’gem Geiſt verherrlicht er Ein einzig Bild in allen ſeinen Reimen.","norm":"Mit mannigfaltigem Geist verherrlicht er Ein einzig Bild in allen seinen Reimen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":83,"orig":"Bald hebt er es in lichter Glorie Zum Sternenhimmel auf, beugt ſich verehrend Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;","norm":"Bald hebt er es in lichter Glorie zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend wie Engel über Wolken vor dem Bilde;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":84,"orig":"Dann ſchleicht er ihm durch ſtille Fluren nach Und jede Blume windet er zum Kranz.","norm":"Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach Und jede Blume windet er zum Kranz."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":85,"orig":"Entfernt ſich die Verehrte, heiligt er Den Pfad, den leiſ’ ihr ſchöner Fuß betrat.","norm":"Entfernt sich die Verehrte, heiligt er den Pfad, den leis ihr schöner Fuß betrat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":86,"orig":"Verſteckt im Buſche, gleich der Nachtigall, Füllt er aus einem liebekranken Buſen Mit ſeiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:","norm":"Versteckt im Busche, gleich der Nachtigall, füllt er aus einem liebekranken Busen mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":87,"orig":"Sein reitzend Leid, die ſel’ge Schwermuth lockt Ein jedes Ohr und jedes Herz muß nach —","norm":"Sein reizend Leid, die selige Schwermut lockt ein jedes Ohr und jedes Herz muss nach —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":88,"orig":"Und wenn er ſeinen Gegenſtand benennt, So gibt er ihm den Namen Leonore.","norm":"Und wenn er seinen Gegenstand benennt, so gibt er ihm den Namen Leonore."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":89,"orig":"Es iſt dein Name wie es meiner iſt.","norm":"Es ist dein Name wie es meiner ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":90,"orig":"Ich nähm’ es übel wenn’s ein andrer wäre.","norm":"Ich nähme es übel wenn es ein anderer wäre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":91,"orig":"Mich freut es daß er ſein Gefühl für dich In dieſem Doppelſinn verbergen kann.","norm":"Mich freut es dass er sein Gefühl für dich In diesem Doppelsinn verbergen kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":92,"orig":"Ich bin zufrieden daß er meiner auch Bey dieſes Namens holdem Klang gedenkt.","norm":"Ich bin zufrieden dass er meiner auch Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":93,"orig":"Hier iſt die Frage nicht von einer Liebe, Die ſich des Gegenſtands bemeiſtern will, Ausſchließend ihn beſitzen, eiferſüchtig Den Anblick jedem andern wehren möchte.","norm":"Hier ist die Frage nicht von einer Liebe, die sich des Gegenstands bemeistern will, ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig den Anblick jedem anderen wehren möchte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":94,"orig":"Wenn er in ſeliger Betrachtung ſich Mit deinem Werth beſchäftigt, mag er auch An meinem leichtern Weſen ſich erfreun.","norm":"Wenn er in seliger Betrachtung sich Mit deinem Wert beschäftigt, mag er auch An meinem leichteren Wesen sich erfreuen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":95,"orig":"Uns liebt er nicht, — verzeih daß ich es ſage!","norm":"Uns liebt er nicht, — verzeih dass ich es sage!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":96,"orig":"— Aus allen Sphären trägt er was er liebt Auf einen Namen nieder den wir führen, Und ſein Gefühl theilt er uns mit; wir ſcheinen Den Mann zu lieben, und wir lieben nur Mit ihm das höchſte was wir lieben können.","norm":"— Aus allen Sphären trägt er was er liebt auf einen Namen nieder den wir führen, und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen den Mann zu lieben, und wir lieben nur Mit ihm das Höchste was wir lieben können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":97,"orig":"Du haſt dich ſehr in dieſe Wiſſenſchaft Vertieft, Eleonore, ſagſt mir Dinge, Die mir beynahe nur das Ohr berühren Und in die Seele kaum noch übergehn.","norm":"Du hast dich sehr in diese Wissenschaft Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge, die mir beinahe nur das Ohr berühren und in die Seele kaum noch übergehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":98,"orig":"Du?","norm":"Du?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":99,"orig":"Schülerinn des Plato!","norm":"Schülerin des Plato!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":100,"orig":"nicht begreifen?","norm":"nicht begreifen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":101,"orig":"Was dir ein Neuling vorzuſchwatzen wagt.","norm":"Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":102,"orig":"Es müßte ſeyn daß ich zu ſehr mich irrte, Doch irr’ ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.","norm":"Es müsste sein dass ich zu sehr mich irrte, doch irre ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":103,"orig":"Die Liebe zeigt in dieſer holden Schule Sich nicht, wie ſonſt, als ein verwöhntes Kind:","norm":"Die Liebe zeigt in dieser holden Schule sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":104,"orig":"Es iſt der Jüngling der mit Pſychen ſich Vermählte, der im Rath der Götter Sitz Und Stimme hat.","norm":"Es ist der Jüngling der mit Psychen sich Vermählte, der im Rat der Götter Sitz und Stimme hat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":105,"orig":"Er tobt nicht frevelhaft Von einer Bruſt zur andern hin und her;","norm":"Er tobt nicht frevelhaft von einer Brust zur anderen hin und her;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":106,"orig":"Er heftet ſich an Schönheit und Geſtalt Nicht gleich mit ſüßem Irrthum feſt, und büßet Nicht ſchnellen Rauſch mit Ekel und Verdruß.","norm":"Er heftet sich an Schönheit und Gestalt nicht gleich mit süßem Irrtum fest, und büßt nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":107,"orig":"Da kommt mein Bruder, laß uns nicht verrathen Wohin ſich wieder das Geſpräch gelenkt, Wir würden ſeinen Scherz zu tragen haben, Wie unſre Kleidung ſeinen Spott erfuhr.","norm":"Da kommt mein Bruder, lass uns nicht verraten wohin sich wieder das Gespräch gelenkt, wir würden seinen Scherz zu tragen haben, wie unsere Kleidung seinen Spott erfuhr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":108,"orig":"Ich ſuche Taſſo, den ich nirgends finde, Und treff’ ihn — hier ſogar bey euch nicht an.","norm":"Ich suche Tasso, den ich nirgends finde, und treffe ihn — hier sogar bei euch nicht an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":109,"orig":"Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?","norm":"Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":110,"orig":"Ich ſah’ ihn geſtern wenig, heute nicht.","norm":"Ich sah ihn gestern wenig, heute nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":111,"orig":"Es iſt ein alter Fehler, daß er mehr Die Einſamkeit als die Geſellſchaft ſucht.","norm":"Es ist ein alter Fehler, dass er mehr die Einsamkeit als die Gesellschaft sucht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":112,"orig":"Verzeih’ ich ihm, wenn er den bunten Schwarm Der Menſchen flieht, und lieber frey im Stillen Mit ſeinem Geiſt ſich unterhalten mag, So kann ich doch nicht loben daß er ſelbſt Den Kreis vermeidet den die Freunde ſchließen.","norm":"Verzeih ich ihm, wenn er den bunten Schwarm der Menschen flieht, und lieber frei im Stillen Mit seinem Geist sich unterhalten mag, so kann ich doch nicht loben dass er selbst den Kreis vermeidet den die Freunde schließen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":113,"orig":"Irr’ ich mich nicht, ſo wirſt du bald, o Fürſt, Den Tadel in ein frohes Lob verwandeln.","norm":"Irre ich mich nicht, so wirst du bald, o Fürst, den Tadel in ein frohes Lob verwandeln."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":114,"orig":"Ich ſah’ ihn heut’ von fern; er hielt ein Buch Und eine Tafel, ſchrieb und ging und ſchrieb.","norm":"Ich sah ihn heute von fern; er hielt ein Buch und eine Tafel, schrieb und ging und schrieb."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":115,"orig":"Ein flüchtig Wort das er mir geſtern ſagte Schien mir ſein Werk vollendet anzukünden.","norm":"Ein flüchtig Wort das er mir gestern sagte schien mir sein Werk vollendet anzukünden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":116,"orig":"Er ſorgt nur kleine Züge zu verbeſſern, Um deiner Huld, die ihm ſo viel gewährt, Ein würdig Opfer endlich darzubringen.","norm":"Er sorgt nur kleine Züge zu verbessern, um deiner Huld, die ihm so viel gewährt, ein würdig Opfer endlich darzubringen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":117,"orig":"Er ſoll willkommen ſeyn wenn er es bringt Und losgeſprochen ſeyn auf lange Zeit.","norm":"Er soll willkommen sein wenn er es bringt und losgesprochen sein auf lange Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":118,"orig":"So ſehr ich Theil an ſeiner Arbeit nehme, So ſehr in manchem Sinn das große Werk Mich freut und freuen muß, ſo ſehr vermehrt Sich auch zuletzt die Ungeduld in mir.","norm":"So sehr ich Teil an seiner Arbeit nehme, so sehr in manchem Sinn das große Werk mich freut und freuen muss, so sehr vermehrt sich auch zuletzt die Ungeduld in mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":119,"orig":"Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden, Er ändert ſtets, ruckt langſam weiter vor, Steht wieder ſtill, er hintergeht die Hoffnung;","norm":"Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden, er ändert stets, ruckt langsam weiter vor, steht wieder still, er hintergeht die Hoffnung;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":120,"orig":"Unwillig ſieht man den Genuß entfernt In ſpäte Zeit, den man ſo nah’ geglaubt.","norm":"Unwillig sieht man den Genuss entfernt in späte Zeit, den man so nah geglaubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":121,"orig":"Ich lobe die Beſcheidenheit, die Sorge, Womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht.","norm":"Ich lobe die Bescheidenheit, die Sorge, womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":122,"orig":"Nur durch die Gunſt der Muſen ſchließen ſich So viele Reime feſt in eins zuſammen;","norm":"Nur durch die Gunst der Musen schließen sich So viele Reime fest in eins zusammen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":123,"orig":"Und ſeine Seele hegt nur dieſen Trieb Es ſoll ſich ſein Gedicht zum Ganzen ründen.","norm":"Und seine Seele hegt nur diesen Trieb es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ründen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":124,"orig":"Er will nicht Mährchen über Mährchen häufen, Die reitzend unterhalten und zuletzt Wie loſe Worte nur verklingend täuſchen.","norm":"Er will nicht Märchen über Märchen häufen, die reizend unterhalten und zuletzt wie lose Worte nur verklingend täuschen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":125,"orig":"Laß ihn, mein Bruder!","norm":"Lass ihn, mein Bruder!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":126,"orig":"denn es iſt die Zeit Von einem guten Werke nicht das Maß;","norm":"denn es ist die Zeit von einem guten Werke nicht das Maß;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":127,"orig":"Und wenn die Nachwelt mit genießen ſoll, So muß des Künſtlers Mitwelt ſich vergeſſen.","norm":"Und wenn die Nachwelt mit genießen soll, so muss des Künstlers Mitwelt sich vergessen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":128,"orig":"Laß uns zuſammen, liebe Schweſter, wirken, Wie wir zu beyder Vortheil oft gethan!","norm":"Lass uns zusammen, liebe Schwester, wirken, wie wir zu beider Vorteil oft getan!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":129,"orig":"Wenn ich zu eifrig bin, ſo lindre du:","norm":"Wenn ich zu eifrig bin, so lindre du:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":130,"orig":"Und biſt du zu gelind, ſo will ich treiben.","norm":"Und bist du zu gelind, so will ich treiben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":131,"orig":"Wir ſehen dann auf einmal ihn vielleicht Am Ziel, wo wir ihn lang’ gewünſcht zu ſehn.","norm":"Wir sehen dann auf einmal ihn vielleicht am Ziel, wo wir ihn lang gewünscht zu sehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":132,"orig":"Dann ſoll das Vaterland, es ſoll die Welt Erſtaunen, welch ein Werk vollendet worden.","norm":"Dann soll das Vaterland, es soll die Welt Erstaunen, welch ein Werk vollendet worden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":133,"orig":"Ich nehme meinen Theil des Ruhms davon, Und er wird in das Leben eingeführt.","norm":"Ich nehme meinen Teil des Ruhms davon, und er wird in das Leben eingeführt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":134,"orig":"Ein edler Menſch kann einem engen Kreiſe Nicht ſeine Bildung danken.","norm":"Ein edler Mensch kann einem engen Kreise nicht seine Bildung danken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":135,"orig":"Vaterland Und Welt muß auf ihn wirken.","norm":"Vaterland und Welt muss auf ihn wirken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":136,"orig":"Ruhm und Tadel Muß er ertragen lernen.","norm":"Ruhm und Tadel muss er ertragen lernen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":137,"orig":"Sich und andre Wird er gezwungen recht zu kennen.","norm":"Sich und andere Wird er gezwungen recht zu kennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":138,"orig":"Ihn Wiegt nicht die Einſamkeit mehr ſchmeichelnd ein.","norm":"Ihn Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":139,"orig":"Eſ will der Feind — es darf der Freund nicht ſchonen:","norm":"Es will der Feind — es darf der Freund nicht schonen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":140,"orig":"Dann übt der Jüngling ſtreitend ſeine Kräfte, Fühlt was er iſt und fühlt ſich bald ein Mann.","norm":"Dann übt der Jüngling streitend seine Kräfte, fühlt was er ist und fühlt sich bald ein Mann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":141,"orig":"So wirſt du, Herr, für ihn noch alles thun, Wie du bisher für ihn ſchon viel gethan.","norm":"So wirst du, Herr, für ihn noch alles tun, wie du bisher für ihn schon viel getan."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":142,"orig":"Es bildet ein Talent ſich in der Stille, Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.","norm":"Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":143,"orig":"O daß er ſein Gemüth wie ſeine Kunſt An deinen Lehren bilde!","norm":"O dass er sein Gemüt wie seine Kunst an deinen Lehren bilde!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":144,"orig":"Daß er nicht Die Menſchen länger meide, daß ſein Argwohn Sich nicht zuletzt in Furcht und Haß verwandle!","norm":"Dass er nicht die Menschen länger meide, dass sein Argwohn sich nicht zuletzt in Furcht und Hass verwandle!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":145,"orig":"Die Menſchen fürchtet nur wer ſie nicht kennt, Und wer ſie meidet wird ſie bald verkennen.","norm":"Die Menschen fürchtet nur wer sie nicht kennt, und wer sie meidet wird sie bald verkennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":146,"orig":"Das iſt ſein Fall, und ſo wird nach und nach Ein frey Gemüth verworren und gefeſſelt.","norm":"Das ist sein Fall, und so wird nach und nach Ein frei Gemüt verworren und gefesselt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":147,"orig":"So iſt er oft um meine Gunſt beſorgt Weit mehr als es ihm ziemte; gegen viele Hegt er ein Mißtrauu, die, ich weiß es ſicher, Nicht ſeine Feinde ſind.","norm":"So ist er oft um meine Gunst besorgt Weit mehr als es ihm ziemte; gegen viele Hegt er ein Misstrauen, die, ich weiß es sicher, nicht seine Feinde sind."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":148,"orig":"Begegnet ja Daß ſich ein Brief verirrt, daß ein Bedienter Aus ſeinem Dienſt in einen andern geht, Daß ein Papier aus ſeinen Händen kommt, Gleich ſieht er Abſicht, ſieht Verrätherey Und Tücke die ſein Schickſal untergräbt.","norm":"Begegnet ja dass sich ein Brief verirrt, dass ein Bedienter aus seinem Dienst in einen anderen geht, dass ein Papier aus seinen Händen kommt, gleich sieht er Absicht, sieht Verräterei und Tücke die sein Schicksal untergräbt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":149,"orig":"Laß uns, geliebter Bruder, nicht vergeſſen Daß von ſich ſelbſt der Menſch nicht ſcheiden kann.","norm":"Lass uns, geliebter Bruder, nicht vergessen dass von sich selbst der Mensch nicht scheiden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":150,"orig":"Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln ſollte, Sich einen Fuß beſchädigte, wir würden Doch lieber langſam gehn und unſre Hand Ihm gern und willig leihen?","norm":"Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln sollte, sich einen Fuß beschädigte, wir würden doch lieber langsam gehen und unsere Hand ihm gern und willig leihen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":151,"orig":"Beſſer wär’s, Wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich Auf treuen Rath des Arztes eine Cur Verſuchten, dann mit dem Geheilten froh Den neuen Weg des friſchen Lebens gingen.","norm":"Besser wäre es, wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich auf treuen Rat des Arztes eine Kur versuchten, dann mit dem Geheilten froh Den neuen Weg des frischen Lebens gingen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":152,"orig":"Doch hoff’ ich, meine Lieben, daß ich nie Die Schuld des rauhen Arztes auf mich lade.","norm":"Doch hoffe ich, meine Lieben, dass ich nie die Schuld des rauen Arztes auf mich lade."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":153,"orig":"Ich thue was ich kann um Sicherheit Und Zutraun ſeinem Buſen einzuprägen.","norm":"Ich tue was ich kann um Sicherheit und Zutrauen seinem Busen einzuprägen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":154,"orig":"Ich geb’ ihm oft in Gegenwart von Vielen Entſchiedne Zeichen meiner Gunſt.","norm":"Ich gebe ihm oft in Gegenwart von vielen entschiedene Zeichen meiner Gunst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":155,"orig":"Beklagt Er ſich bey mir, ſo laß’ ich’s unterſuchen;","norm":"Beklagt er sich bei mir, so lass ich es untersuchen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":156,"orig":"Wie ich es that, als er ſein Zimmer neulich Erbrochen glaubte.","norm":"Wie ich es tat, als er sein Zimmer neulich erbrochen glaubte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":157,"orig":"Läßt ſich nichts entdecken, So zeig’ ich ihm gelaſſen wie ich’s ſehe;","norm":"Lässt sich nichts entdecken, so zeige ich ihm gelassen wie ich es sehe;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":158,"orig":"Und da man alles üben muß, ſo üb’ ich, Weil er’s verdient, an Taſſo die Geduld:","norm":"Und da man alles üben muss, so üb ich, weil er das verdient, an Tasso die Geduld:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":159,"orig":"Und ihr, ich weiß es, ſteht mir willig bey.","norm":"Und ihr, ich weiß es, steht mir willig bei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":160,"orig":"Ich hab’ euch nun auf’s Land gebracht und gehe Heut’ Abend nach der Stadt zurück.","norm":"Ich habe euch nun aufs Land gebracht und gehe heute Abend nach der Stadt zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":161,"orig":"Ihr werdet Auf einen Augenblick Antonio ſehen, Er kommt von Rom und hohlt mich ab.","norm":"Ihr werdet auf einen Augenblick Antonio sehen, er kommt von Rom und holt mich ab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":162,"orig":"Wir haben Viel auszureden, abzuthun.","norm":"Wir haben Viel auszureden, abzutun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":163,"orig":"Entſchlüſſe Sind nun zu faſſen, Briefe viel zu ſchreiben, Das alles nöthigt mich zur Stadt zurück.","norm":"Entschlüsse sind nun zu fassen, Briefe viel zu schreiben, das alles nötigt mich zur Stadt zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":164,"orig":"Erlaubſt du uns daß wir dich hinbegleiten?","norm":"Erlaubst du uns dass wir dich hinbegleiten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":165,"orig":"Bleibt nur in Belriguardo, geht zuſammen Hinüber nach Conſandoli!","norm":"Bleibt nur in Belriguardo, geht zusammen Hinüber nach Consandoli!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":166,"orig":"Genießt Der ſchönen Tage ganz nach freyer Luſt.","norm":"Genießt der schönen Tage ganz nach freier Lust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":167,"orig":"Du kannſt nicht bey uns bleiben?","norm":"Du kannst nicht bei uns bleiben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":168,"orig":"die Geſchäfte Nicht hier ſo gut als in der Stadt verrichten?","norm":"die Geschäfte nicht hier so gut als in der Stadt verrichten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":169,"orig":"Du führſt uns gleich Antonio hinweg, Der uns von Rom ſo viel erzählen ſollte?","norm":"Du führst uns gleich Antonio hinweg, der uns von Rom so viel erzählen sollte?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":170,"orig":"Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme Mit ihm ſo bald als möglich iſt, zurück:","norm":"Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme mit ihm so bald als möglich ist, zurück:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":171,"orig":"Dann ſoll er euch erzählen und ihr ſollt Mir ihn belohnen helfen, der ſo viel In meinem Dienſt auf’s neue ſich bemüht.","norm":"Dann soll er euch erzählen und ihr sollt mir ihn belohnen helfen, der so viel In meinem Dienst aufs neue sich bemüht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":172,"orig":"Und haben wir uns wieder ausgeſprochen, So mag der Schwarm dann kommen, daß es luſtig In unſern Gärten werde, daß auch mir, Wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen Wenn ich ſie ſuche gern begegnen mag.","norm":"Und haben wir uns wieder ausgesprochen, so mag der Schwarm dann kommen, dass es lustig In unseren Gärten werde, dass auch mir, wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen Wenn ich sie suche gern begegnen mag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":173,"orig":"Wir wollen freundlich durch die Finger ſehen.","norm":"Wir wollen freundlich durch die Finger sehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":174,"orig":"Dagegen wißt ihr daß ich ſchonen kann.","norm":"Dagegen wisst ihr dass ich schonen kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":175,"orig":"Schon lange ſeh’ ich Taſſo kommen.","norm":"Schon lange sehe ich Tasso kommen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":176,"orig":"Langſam Bewegt er ſeine Schritte, ſteht bisweilen Auf einmal ſtill, wie unentſchloſſen, geht Dann wieder ſchneller auf uns los, und weilt Schon wieder.","norm":"Langsam bewegt er seine Schritte, steht bisweilen auf einmal still, wie unentschlossen, geht dann wieder schneller auf uns los, und weilt schon wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":177,"orig":"Stört ihn, wenn er denkt und dichtet, In ſeinen Träumen nicht, und laßt ihn wandeln.","norm":"Stört ihn, wenn er denkt und dichtet, in seinen Träumen nicht, und lasst ihn wandeln."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":178,"orig":"Nein, er hat uns geſehn, er kommt hierher.","norm":"Nein, er hat uns gesehen, er kommt hierher."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":179,"orig":"Ich komme langſam dir ein Werk zu bringen, Und zaudre noch es dir zu überreichen.","norm":"Ich komme langsam dir ein Werk zu bringen, und zaudre noch es dir zu überreichen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":180,"orig":"Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet, Wenn es auch gleich geendigt ſcheinen möchte.","norm":"Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet, wenn es auch gleich geendigt scheinen möchte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":181,"orig":"Allein, war ich beſorgt es unvollkommen Dir hinzugeben, ſo bezwingt mich nun Die neue Sorge:","norm":"Allein, war ich besorgt es unvollkommen Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun Die neue Sorge:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":182,"orig":"Möcht’ ich doch nicht gern Zu ängſilich, möcht’ ich nicht undankbar ſcheinen.","norm":"Möchte ich doch nicht gern zu ängstlich, möchte ich nicht undankbar scheinen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":183,"orig":"Und wie der Menſch nur ſagen kann:","norm":"Und wie der Mensch nur sagen kann:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":184,"orig":"Hie bin ich!","norm":"Hie bin ich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":185,"orig":"Daß Freunde ſeiner ſchonend ſich erfreuen:","norm":"Dass Freunde seiner schonend sich erfreuen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":186,"orig":"So kann ich auch nur ſagen:","norm":"So kann ich auch nur sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":187,"orig":"Nimm es hin!","norm":"Nimm es hin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":188,"orig":"Du überraſcheſt mich mit deiner Gabe Und machſt mir dieſen ſchönen Tag zum Feſt.","norm":"Du überraschest mich mit deiner Gabe und machst mir diesen schönen Tag zum Fest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":189,"orig":"So halt’ ich’s endlich denn in meinen Händen, Und nenn’ es in gewiſſem Sinne mein!","norm":"So halte ich es endlich denn in meinen Händen, und nenne es in gewissem Sinne mein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":190,"orig":"Lang’ wünſcht’ ich ſchon, du möchteſt dich entſchließen Und endlich ſagen:","norm":"Lang wünscht ich schon, du möchtest dich entschließen und endlich sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":191,"orig":"Hier!","norm":"Hier!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":192,"orig":"es iſt genug.","norm":"es ist genug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":193,"orig":"Wenn Ihr zufrieden ſeyd, ſo iſt’s vollkommen;","norm":"Wenn Ihr zufrieden seid, so ist es vollkommen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":194,"orig":"Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.","norm":"Denn euch gehört es zu in jedem Sinn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":195,"orig":"Betrachtet’ ich den Fleiß den ich verwendet, Sah’ ich die Züge meiner Feder an;","norm":"Betrachtet ich den Fleiß den ich verwendet, sah ich die Züge meiner Feder an;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":196,"orig":"So konnt’ ich ſagen: dieſes Werk iſt mein.","norm":"So konnte ich sagen: Dieses Werk ist mein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":197,"orig":"Doch ſeh’ ich näher an, was dieſer Dichtung Den innren Werth und ihre Würde gibt, Erkenn’ ich wohl, ich hab’ es nur von euch.","norm":"Doch sehe ich näher an, was dieser Dichtung den inneren Wert und ihre Würde gibt, Erkenne ich wohl, ich habe es nur von euch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":198,"orig":"Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe Aus reicher Willkür freundlich mir geſchenkt, So hatte mich das eigenſinn’ge Glück Mit grimmiger Gewalt von ſich geſtoßen:","norm":"Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt, so hatte mich das eigensinnige Glück mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":199,"orig":"Und zog die ſchöne Welt den Blick des Knaben Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an, So trübte bald den jugendlichen Sinn Der theuren Eltern unverdiente Noth. Eröffnete die Lippe ſich zu ſingen, So floß ein traurig Lied von ihr herab, Und ich begleitete mit leiſen Tönen Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.","norm":"Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben mit ihrer ganzen Fülle herrlich an, so trübte bald den jugendlichen Sinn der teuren Eltern unverdiente Not eröffnete die Lippe sich zu singen, so floss ein traurig Lied von ihr herab, und ich begleitete mit leisen Tönen des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":200,"orig":"Du warſt allein der aus dem engen Leben Zu einer ſchönen Freyheit mich erhob;","norm":"Du warst allein der aus dem engen Leben zu einer schönen Freiheit mich erhob;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":201,"orig":"Der jede Sorge mir vom Haupte nahm, Mir Freyheit gab, daß meine Seele ſich Zu muthigem Geſang entfalten konnte;","norm":"Der jede Sorge mir vom Haupte nahm, mir Freiheit gab, dass meine Seele sich Zu mutigem Gesang entfalten konnte;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":202,"orig":"Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält, Euch dank’ ich ihn, denn Euch gehört es zu.","norm":"Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält, Euch dank ich ihn, denn Euch gehört es zu."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":203,"orig":"Zum zweytenmal verdienſt du jedes Lob Und ehrſt beſcheiden dich und uns zugleich.","norm":"Zum zweiten Mal verdienst du jedes Lob und ehrst bescheiden dich und uns zugleich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":204,"orig":"O könnt’ ich ſagen wie ich lebhaft fühle Daß ich von Euch nur habe was ich bringe!","norm":"O könnte ich sagen wie ich lebhaft fühle dass ich von Euch nur habe was ich bringe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":205,"orig":"Der thatenloſe Jüngling — nahm er wohl Die Dichtung aus ſich ſelbſt?","norm":"Der tatenlose Jüngling — nahm er wohl die Dichtung aus sich selbst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":206,"orig":"Die kluge Leitung Des raſchen Krieges — hat er die erſonnen?","norm":"Die kluge Leitung des raschen Krieges — hat er die ersonnen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":207,"orig":"Die Kunſt der Waffen, die ein jeder Held An dem beſchiednen Tage kräftig zeigt, Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Muth Und wie ſich Liſt und Wachſamkeit bekämpft, Haſt du mir nicht, o kluger tapfrer Fürſt, Das alles eingeflößt als wäreſt du Mein Genius, der eine Freude fände Sein hohes, unerreichbar hohes Weſen Durch einen Sterblichen zu offenbaren?","norm":"Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held an dem beschiedenen Tage kräftig zeigt, des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft, Hast du mir nicht, o kluger tapferer Fürst, das alles eingeflößt als wärest du Mein Genius, der eine Freude fände Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen durch einen Sterblichen zu offenbaren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":208,"orig":"Genieße nun des Werks das uns erfreut!","norm":"Genieße nun des Werks das uns erfreut!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":209,"orig":"Erfreue dich des Beyfalls jedes Guten.","norm":"Erfreue dich des Beifalls jedes Guten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":210,"orig":"Des allgemeinen Ruhms erfreue dich.","norm":"Des allgemeinen Ruhms erfreue dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":211,"orig":"Mir iſt an dieſem Augenblick genug.","norm":"Mir ist an diesem Augenblick genug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":212,"orig":"An euch nur dacht’ ich wenn ich ſann und ſchrieb, Euch zu gefallen war mein höchſter Wunſch, Euch zu ergetzen war mein letzter Zweck.","norm":"An euch nur dachte ich wenn ich sann und schrieb, Euch zu gefallen war mein höchster Wunsch, Euch zu ergötzen war mein letzter Zweck."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":213,"orig":"Wer nicht die Welt in ſeinen Freunden ſieht Verdient nicht daß die Welt von ihm erfahre.","norm":"Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht verdient nicht dass die Welt von ihm erfahre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":214,"orig":"Hier iſt mein Vaterland, hier iſt der Kreis In dem ſich meine Seele gern verweilt.","norm":"Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis in dem sich meine Seele gern verweilt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":215,"orig":"Hier horch’ ich auf, hier acht’ ich jeden Wink.","norm":"Hier horch ich auf, hier acht ich jeden Wink."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":216,"orig":"Hier ſpricht Erfahrung, Wiſſenſchaft, Geſchmack;","norm":"Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":217,"orig":"Ja, Welt und Nachwelt ſeh’ ich vor mir ſtehn.","norm":"Ja, Welt und Nachwelt sehe ich vor mir stehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":218,"orig":"Die Menge macht den Künſtler irr’ und ſcheu:","norm":"Die Menge macht den Künstler irre und scheu:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":219,"orig":"Nur wer Euch ähnlich iſt, verſteht und fühlt, Nur der allein ſoll richten und belohnen!","norm":"Nur wer Euch ähnlich ist, versteht und fühlt, nur der allein soll richten und belohnen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":220,"orig":"Und ſtellen wir denn Welt und Nachwelt vor, So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.","norm":"Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor, so ziemt es nicht nur müßig zu empfangen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":221,"orig":"Das ſchöne Zeichen, das den Dichter ehrt, Das ſelbſt der Held, der ſeiner ſtets bedarf, Ihm ohne Neid um’s Haupt gewunden ſieht, Erblick’ ich hier auf deines Anherrn Stirne.","norm":"Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt, das selbst der Held, der seiner stets bedarf, ihm ohne Neid um das Haupt gewunden sieht, Erblicke ich hier auf deines Ahnherrn Stirn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":222,"orig":"Hat es der Zufall, hat’s ein Genius Geflochten und gebracht?","norm":"Hat es der Zufall, hat es ein Genius geflochten und gebracht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":223,"orig":"Es zeigt ſich hier Uns nicht umſonſt.","norm":"Es zeigt sich hier Uns nicht umsonst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":224,"orig":"Virgilen hör’ ich ſagen:","norm":"Virgil höre ich sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":225,"orig":"Was ehret ihr die Todten?","norm":"Was ehret ihr die Toten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":226,"orig":"Hatten die Doch ihren Lohn und Freude da ſie lebten;","norm":"Hatten die Doch ihren Lohn und Freude da sie lebten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":227,"orig":"Und wenn ihr uns bewundert und verehrt, So gebt auch den Lebendigen ihr Theil.","norm":"Und wenn ihr uns bewundert und verehrt, so gebt auch den Lebendigen ihr Teil."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":228,"orig":"Mein Marmorbild iſt ſchon bekränzt genug, Der grüne Zweig gehört dem Leben an.","norm":"Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug, der grüne Zweig gehört dem Leben an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":229,"orig":"Du weigerſt dich?","norm":"Du weigerst dich?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":230,"orig":"Sieh welche Hand den Kranz, Den ſchönen unverwelklichen, dir bietet!","norm":"Sieh welche Hand den Kranz, den schönen unverwelklichen, dir bietet!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":231,"orig":"O laßt mich zögern, ſeh’ ich doch nicht ein Wie ich nach dieſer Stunde leben ſoll.","norm":"O lasst mich zögern, sehe ich doch nicht ein Wie ich nach dieser Stunde leben soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":232,"orig":"In dem Genuß des herrlichen Beſitzes, Der dich im erſten Augenblick erſchreckt.","norm":"In dem Genuss des herrlichen Besitzes, der dich im ersten Augenblick erschreckt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":233,"orig":"Du gönneſt mir die ſeltne Freude, Taſſo, Dir ohne Wort zu ſagen wie ich denke.","norm":"Du gönnest mir die seltene Freude, Tasso, Dir ohne Wort zu sagen wie ich denke."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":234,"orig":"Die ſchöne Laſt aus deinen theuren Händen Empfang’ ich knieend auf mein ſchwaches Haupt.","norm":"Die schöne Last aus deinen teuren Händen Empfang ich kniend auf mein schwaches Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":235,"orig":"Es lebe der zum erſtenmal bekränzte!","norm":"Es lebe der zum ersten Mal bekränzte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":236,"orig":"Wie zieret den beſcheidnen Mann der Kranz!","norm":"Wie zieret den bescheidenen Mann der Kranz!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":237,"orig":"Es iſt ein Vorbild nur von jener Krone, Die auf dem Capitol dich zieren ſoll.","norm":"Es ist ein Vorbild nur von jener Krone, die auf dem Kapitol dich zieren soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":238,"orig":"Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen, Mit leiſer Lippe lohnt die Freundſchaft hier.","norm":"Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen, mit leiser Lippe lohnt die Freundschaft hier."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":239,"orig":"O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder, Nehmt ihn hinweg!","norm":"O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder, nehmt ihn hinweg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":240,"orig":"Er ſengt mir meine Locken!","norm":"Er sengt mir meine Locken!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":241,"orig":"Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft Des Denkens aus der Stirne.","norm":"Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft des Denkens aus der Stirn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":242,"orig":"Fieberhitze Bewegt mein Blut.","norm":"Fieberhitze bewegt mein Blut."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":243,"orig":"Verzeiht!","norm":"Verzeiht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":244,"orig":"Es iſt zu viel!","norm":"Es ist zu viel!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":245,"orig":"Es ſchützet dieſer Zweig vielmehr das Haupt Des Manns, der in den heißen Regionen Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirne.","norm":"Es schützet dieser Zweig vielmehr das Haupt des Manns, der in den heißen Regionen des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":246,"orig":"Ich bin nicht werth die Kühlung zu empfinden, Die nur um Heldenſtirnen wehen ſoll.","norm":"Ich bin nicht wert die Kühlung zu empfinden, die nur um Heldenstirnen wehen soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":247,"orig":"O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt Ihn zwiſchen Wolken, daß er hoch und höher Und unerreichbar ſchwebe!","norm":"O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt ihn zwischen Wolken, dass er hoch und höher und unerreichbar schwebe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":248,"orig":"Daß mein Leben Nach dieſem Ziel ein ewig Wandeln ſey!","norm":"Dass mein Leben nach diesem Ziel ein ewig Wandeln sei!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":249,"orig":"Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Werth Der holden Güter dieſes Lebens ſchätzen;","norm":"Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Wert der holden Güter dieses Lebens schätzen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":250,"orig":"Wer früh genießt, entbehrt in ſeinem Leben Mit Willen nicht was er einmal beſaß;","norm":"Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben mit Willen nicht was er einmal besaß;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":251,"orig":"Und wer beſitzt, der, muß gerüſtet ſeyn.","norm":"Und wer besitzt, der, muss gerüstet sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":252,"orig":"Und wer ſich rüſten will, muß eine Kraft Im Buſen fühlen die ihm nie verſagt.","norm":"Und wer sich rüsten will, muss eine Kraft im Busen fühlen die ihm nie versagt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":253,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":254,"orig":"ſie verſagt mir eben jetzt!","norm":"sie versagt mir eben jetzt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":255,"orig":"Im Glück Verläßt ſie mich, die angeborne Kraft, Die ſtandhaft mich dem Unglück, ſtolz dem Unrecht Begegnen lehrte.","norm":"Im Glück Verlässt sie mich, die angeborene Kraft, die standhaft mich dem Unglück, stolz dem Unrecht Begegnen lehrte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":256,"orig":"Hat die Freude mir, Hat das Entzücken dieſes Augenblicks Das Mark in meinen Gliedern aufgelöſ’t?","norm":"Hat die Freude mir, hat das Entzücken dieses Augenblicks das Mark in meinen Gliedern aufgelöst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":257,"orig":"Es ſinken meine Kniee!","norm":"Es sinken meine Knie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":258,"orig":"Noch einmal Siehſt du, o Fürſtinn, mich gebeugt vor dir!","norm":"Noch einmal siehst du, o Fürstin, mich gebeugt vor dir!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":259,"orig":"Erhöre meine Bitte; nimm ihn weg!","norm":"Erhöre meine Bitte; nimm ihn weg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":260,"orig":"Daß wie aus einem ſchönen Traum erwacht Ich ein erquicktes neues Leben fühle.","norm":"Dass wie aus einem schönen Traum erwacht Ich ein erquicktes neues Leben fühle."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":261,"orig":"Wenn du beſcheiden ruhig das Talent, Das dir die Götter gaben, tragen kannſt, So lern’ auch dieſe Zweige tragen, die Das ſchönſte ſind was wir dir geben können.","norm":"Wenn du bescheiden ruhig das Talent, das dir die Götter gaben, tragen kannst, so lernen auch diese Zweige tragen, die Das Schönste sind was wir dir geben können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":262,"orig":"Wem einmal, würdig, ſie das Haupt berührt, Dem ſchweben ſie auf ewig um die Stirne.","norm":"Wem einmal, würdig, sie das Haupt berührt, dem schweben sie auf ewig um die Stirn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":263,"orig":"So laßt mich denn beſchämt von hinnen gehn!","norm":"So lasst mich denn beschämt von hinnen gehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":264,"orig":"Laßt mich mein Glück im tiefen Hain verbergen, Wie ich ſonſt meine Schmerzen dort verbarg.","norm":"Lasst mich mein Glück im tiefen Hain verbergen, wie ich sonst meine Schmerzen dort verbarg."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":265,"orig":"Dort will ich einſam wandeln, dort erinnert Kein Auge mich an’s unverdiente Glück.","norm":"Dort will ich einsam wandeln, dort erinnert kein Auge mich ans unverdiente Glück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":266,"orig":"Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen In ſeinem reinen Spiegel einen Mann, Der wunderbar bekränzt im Wiederſchein Des Himmels zwiſchen Bäumen, zwiſchen Felſen Nachdenkend ruht: ſo ſcheint es mir, ich ſehe Elyſium auf dieſer Zauberfläche Gebildet.","norm":"Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen in seinem reinen Spiegel einen Mann, der wunderbar bekränzt im Wiederschein des Himmels zwischen Bäumen, zwischen Felsen nachdenkend ruht: so scheint es mir, ich sehe Elysium auf dieser Zauberfläche gebildet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":267,"orig":"Still bedenk’ ich mich und frage, Wer mag der Abgeſchiedne ſeyn?","norm":"Still bedenk ich mich und frage, wer mag der Abgeschiedene sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":268,"orig":"Der Jüngling Aus der vergangnen Zeit?","norm":"Der Jüngling aus der vergangenen Zeit?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":269,"orig":"So ſchön bekränzt?","norm":"So schön bekränzt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":270,"orig":"Wer ſagt mir ſeinen Nahmen?","norm":"Wer sagt mir seinen Namen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":271,"orig":"Sein Verdienſt?","norm":"Sein Verdienst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":272,"orig":"Ich warte lang’ und denke: käme doch Ein andrer und noch einer, ſich zu ihm In freundlichem Geſpräche zu geſellen!","norm":"Ich warte lang und denke: käme doch ein anderer und noch einer, sich zu ihm In freundlichem Gespräche zu gesellen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":273,"orig":"O ſäh’ ich die Heroen, die Poeten Der alten Zeit um dieſen Quell verſammelt!","norm":"O sähe ich die Heroen, die Poeten der alten Zeit um diesen Quell versammelt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":274,"orig":"O ſäh’ ich hier ſie immer unzertrennlich, Wie ſie im Leben feſt verbunden waren!","norm":"O sähe ich hier sie immer unzertrennlich, wie sie im Leben fest verbunden waren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":275,"orig":"So bindet der Magnet durch ſeine Kraft Das Eiſen mit dem Eiſen feſt zuſammen, Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet.","norm":"So bindet der Magnet durch seine Kraft das Eisen mit dem Eisen fest zusammen, wie gleiches Streben Held und Dichter bindet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":276,"orig":"Homer vergaß ſich ſelbſt, ſein ganzes Leben War der Betrachtung zweyer Männer heilig, Und Alexander in Elyſium Eilt den Achill und den Homer zu ſuchen.","norm":"Homer vergaß sich selbst, sein ganzes Leben War der Betrachtung zweier Männer heilig, und Alexander in Elysium Eilt den Achill und den Homer zu suchen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":277,"orig":"O daß ich gegenwärtig wäre, ſie Die größten Seelen nun vereint zu ſehen!","norm":"O dass ich gegenwärtig wäre, sie Die größten Seelen nun vereint zu sehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":278,"orig":"Erwach!","norm":"Erwache!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":279,"orig":"Erwache!","norm":"Erwache!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":280,"orig":"Laß uns nicht empfinden Daß du das Gegenwärt’ge ganz verkennſt.","norm":"Lass uns nicht empfinden dass du das Gegenwärtige ganz verkennst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":281,"orig":"Es iſt die Gegenwart die mich erhöht, Abweſend ſchein’ ich nur, ich bin entzückt.","norm":"Es ist die Gegenwart die mich erhöht, abwesend Schein ich nur, ich bin entzückt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":282,"orig":"Ich freue mich, wenn du mit Geiſtern redeſt, Daß du ſo menſchlich ſprichſt und hör’ es gern.","norm":"Ich freue mich, wenn du mit Geistern redest, dass du so menschlich sprichst und höre es gern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":283,"orig":"Er iſt gekommen!","norm":"Er ist gekommen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":284,"orig":"recht zur guten Stunde.","norm":"recht zur guten Stunde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":285,"orig":"Antonio!","norm":"Antonio!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":286,"orig":"— Bring ihn her — Da kommt er ſchon!","norm":"— Bringe ihn her — da kommt er schon!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":287,"orig":"Willkommen!","norm":"Willkommen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":288,"orig":"der du uns zugleich dich ſelbſt Und gute Bothſchaft bringſt.","norm":"der du uns zugleich dich selbst Und gute Botschaft bringst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":289,"orig":"Sey uns gegrüßt!","norm":"Sei uns gegrüßt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":290,"orig":"Kaum wag’ ich es zu ſagen welch Vergnügen In eurer Gegenwart mich neu belebt.","norm":"Kaum wage ich es zu sagen welch Vergnügen in eurer Gegenwart mich neu belebt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":291,"orig":"Vor euren Augen find’ ich alles wieder Was ich ſo lang’ entbehrt.","norm":"Vor euren Augen finde ich alles wieder Was ich so lang entbehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":292,"orig":"Ihr ſcheint zufrieden Mit dem was ich gethan, was ich vollbracht, Und ſo bin ich belohnt für jede Sorge, Für manchen bald mit Ungeduld durchharrten, Bald abſichtsvoll verlornen Tag.","norm":"Ihr scheint zufrieden mit dem was ich getan, was ich vollbracht, und so bin ich belohnt für jede Sorge, für manchen bald mit Ungeduld durchharrten, bald absichtsvoll verlorenen Tag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":293,"orig":"Wir haben Nun was wir wünſchen, und kein Streit iſt mehr.","norm":"Wir haben nun was wir wünschen, und kein Streit ist mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":294,"orig":"Auch ich begrüße dich, wenn ich ſchon zürne.","norm":"Auch ich begrüße dich, wenn ich schon zürne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":295,"orig":"Du kommſt nur eben da ich reiſen muß.","norm":"Du kommst nur eben da ich reisen muss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":296,"orig":"Damit mein Glück nicht ganz vollkommen werde, Nimmſt du mir gleich den ſchönen Theil hinweg.","norm":"Damit mein Glück nicht ganz vollkommen werde, nimmst du mir gleich den schönen Teil hinweg."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":297,"orig":"Auch meinen Gruß!","norm":"Auch meinen Gruß!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":298,"orig":"Ich hoffe mich der Nähe Des vielerfahrnen Mannes auch zu ſreun.","norm":"Ich hoffe mich der Nähe des vielerfahrenen Mannes auch zu freuen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":299,"orig":"Du wirſt mich wahrhaft finden, wenn du je Aus deiner Welt in meine ſchauen magſt.","norm":"Du wirst mich wahrhaft finden, wenn du je aus deiner Welt in meine schauen magst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":300,"orig":"Wenn du mir gleich in Briefen ſchen gemeldet Was du gethan und wie es dir ergangen;","norm":"Wenn du mir gleich in Briefen schen gemeldet was du getan und wie es dir ergangen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":301,"orig":"So hab’ ich doch noch manches auszufragen Durch welche Mittel das Geſchäft gelang?","norm":"So habe ich doch noch manches auszufragen durch welche Mittel das Geschäft gelang?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":302,"orig":"Auf jenem wunderbaren Boden will der Schritt Wohl abgemeſſen ſeyn, wenn er zuletzt An deinen eignen Zweck dich führen ſoll.","norm":"Auf jenem wunderbaren Boden will der Schritt Wohl abgemessen sein, wenn er zuletzt An deinen eigenen Zweck dich führen soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":303,"orig":"Wer ſeines Herren Vortheil rein bedenkt, Der hat in Rom gar einen ſchweren Stand:","norm":"Wer seines Herren Vorteil rein bedenkt, der hat in Rom gar einen schweren Stand:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":304,"orig":"Denn Rom will Alles nehmen, geben Nichts;","norm":"Denn Rom will alles nehmen, geben nichts;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":305,"orig":"Und kommt man hin um etwas zu erhalten, Erhält man nichts, man bringe denn was hin, Und glücklich, wenn man da noch ’ was erhält.","norm":"Und kommt man hin um etwas zu erhalten, Erhält man nichts, man bringe denn was hin, und glücklich, wenn man da noch ’ was erhält."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":306,"orig":"Es iſt nicht mein Betragen, meine Kunſt, Durch die ich deinen Willen, Herr, vollbracht.","norm":"Es ist nicht mein Betragen, meine Kunst, durch die ich deinen Willen, Herr, vollbracht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":307,"orig":"Denn welcher Kluge fänd’ im Vatican Nicht ſeinen Meiſter?","norm":"Denn welcher Kluge fände im Vatikan nicht seinen Meister?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":308,"orig":"Vieles traf zuſammen Das ich zu unſerm Vortheil nutzen konnte.","norm":"Vieles traf zusammen das ich zu unserem Vorteil nutzen konnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":309,"orig":"Dich ehrt Gregor und grüßt und ſegnet dich.","norm":"Dich ehrt Gregor und grüßt und segnet dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":310,"orig":"Der Greis, der würdigſte dem eine Krone Das Haupt belaſtet, denkt der Zeit mit Freuden, Da er in ſeinen Arm dich ſchloß.","norm":"Der Greis, der würdigste dem eine Krone das Haupt belastet, denkt der Zeit mit Freuden, da er in seinen Arm dich schloss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":311,"orig":"Der Mann Der Männer unterſcheidet, kennt und rühmt Dich hoch!","norm":"Der Mann der Männer unterscheidet, kennt und rühmt Dich hoch!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":312,"orig":"Um deinetwillen that er viel.","norm":"Um deinetwillen tat er viel."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":313,"orig":"Ich freue ſeiner guten Meinung mich, So fern ſie redlich iſt.","norm":"Ich freue seiner guten Meinung mich, sofern sie redlich ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":314,"orig":"Doch weißt du wohl, Vom Vatican herab ſieht man die Reiche Schon klein genug zu ſeinen Füßen liegen, Geſchweige denn die Fürſten und die Menſchen.","norm":"Doch weißt du wohl, vom Vatikan herab sieht man die Reiche Schon klein genug zu seinen Füßen liegen, Geschweige denn die Fürsten und die Menschen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":315,"orig":"Geſtehe nur was dir am meiſten half!","norm":"Gestehe nur was dir am meisten half!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":316,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":317,"orig":"wenn du willſt: der hohe Sinn des Pabſts.","norm":"wenn du willst: der hohe Sinn des Papsts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":318,"orig":"Er ſieht das Kleine klein, das Große groß.","norm":"Er sieht das Kleine klein, das Große groß."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":319,"orig":"Damit er einer Welt gebiete, gibt Er ſeinen Nachbarn gern und freundlich nach.","norm":"Damit er einer Welt gebiete, gibt er seinen Nachbarn gern und freundlich nach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":320,"orig":"Das Streifchen Land, das er dir überläßt, Weiß er, wie deine Freundſchaft, wohl zu ſchätzen.","norm":"Das Streifchen Land, das er dir überlässt, Weiß er, wie deine Freundschaft, wohl zu schätzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":321,"orig":"Italien ſoll ruhig ſeyn, er will In ſeiner Nähe Freunde ſehen, Friede Bey ſeinen Gränzen halten, daß die Macht Der Chriſtenheit, die er gewaltig lenkt, Die Türken da, die Ketzer dort vertilge.","norm":"Italien soll ruhig sein, er will in seiner Nähe Freunde sehen, Friede bei seinen Grenzen halten, dass die Macht der Christenheit, die er gewaltig lenkt, die Türken da, die Ketzer dort vertilge."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":322,"orig":"Weiß man die Männer, die er mehr als andre Begünſtigt, die ſich ihm vertraulich nahn?","norm":"Weiß man die Männer, die er mehr als andere Begünstigt, die sich ihm vertraulich nahen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":323,"orig":"Nur der erfahrne Mann beſitzt ſein Ohr, Der thätige ſein Zutraun, ſeine Gunſt.","norm":"Nur der erfahrene Mann besitzt sein Ohr, der tätige sein Zutrauen, seine Gunst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":324,"orig":"Er, der von Jugend auf dem Staat gedient, Beherrſcht ihn jetzt und wirkt auf jene Höfe, Die er vor Jahren als Geſandter ſchon Geſehen und gekannt und oft gelenkt.","norm":"Er, der von Jugend auf dem Staat gedient, beherrscht ihn jetzt und wirkt auf jene Höfe, die er vor Jahren als Gesandter schon Gesehen und gekannt und oft gelenkt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":325,"orig":"Es liegt die Welt ſo klar vor ſeinem Blick Als wie der Vortheil ſeines eignen Staats.","norm":"Es liegt die Welt so klar vor seinem Blick als wie der Vorteil seines eigenen Staats."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":326,"orig":"Wenn man ihn handeln ſieht, ſo lobt man ihn Und freut ſich, wenn die Zeit entdeckt was er Im Stillen lang bereitet und vollbracht.","norm":"Wenn man ihn handeln sieht, so lobt man ihn Und freut sich, wenn die Zeit entdeckt was er Im Stillen lang bereitet und vollbracht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":327,"orig":"Es iſt kein ſchönrer Anblick in der Welt Als einen Fürſten ſehn der klug regiert;","norm":"Es ist kein schönerer Anblick in der Welt als einen Fürsten sehen der klug regiert;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":328,"orig":"Das Reich zu ſehn, wo jeder ſtolz gehorcht, Wo jeder ſich nur ſelbſt zu dienen glaubt Weil ihm das Rechte nur befohlen wird.","norm":"Das Reich zu sehen, wo jeder stolz gehorcht, wo jeder sich nur selbst zu dienen glaubt weil ihm das Rechte nur befohlen wird."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":329,"orig":"Wie ſehnlich wünſcht’ ich jene Welt einmal Recht nah zu ſehn!","norm":"Wie sehnlich wünscht ich jene Welt einmal Recht nah zu sehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":330,"orig":"Doch wohl um mit zu wirken?","norm":"Doch wohl um mitzuwirken?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":331,"orig":"Denn bloß beſchaun wird Leonore nie.","norm":"Denn bloß beschauen wird Leonore nie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":332,"orig":"Es wäre doch recht artig, meine Freundinn, Wenn in das große Spiel wir auch zuweilen Die zarten Hände miſchen könnten — Nicht?","norm":"Es wäre doch recht artig, meine Freundin, wenn in das große Spiel wir auch zuweilen Die zarten Hände mischen könnten — nicht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":333,"orig":"Du willſt mich reitzen, es gelingt dir nicht.","norm":"Du willst mich reizen, es gelingt dir nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":334,"orig":"Ich bin dir viel von andern Tagen ſchuldig.","norm":"Ich bin dir viel von anderen Tagen schuldig."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":335,"orig":"Nun gut, ſo bleib’ ich heut in deiner Schuld!","norm":"Nun gut, so bleibe ich heute in deiner Schuld!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":336,"orig":"Verzeih’ und ſtöre meine Fragen nicht.","norm":"Verzeih und störe meine Fragen nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":337,"orig":"Hat er für die Nipoten viel gethan?","norm":"Hat er für die Nipoten viel getan?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":338,"orig":"Nicht weniger noch mehr als billig iſt.","norm":"Nicht weniger noch mehr als billig ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":339,"orig":"Ein Mächtiger, der für die Seinen nicht Zu ſorgen weiß, wird von dem Volke ſelbſt Getadelt.","norm":"Ein Mächtiger, der für die Seinen nicht zu Sorgen weiß, wird von dem Volke selbst Getadelt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":340,"orig":"Still und mäßig weiß Gregor Den Seinigen zu nutzen, die dem Staat Als wackre Männer dienen, und erfüllt Mit Einer Sorge zwey verwandte Pflichten.","norm":"Still und mäßig weiß Gregor Den Seinigen zu nutzen, die dem Staat als wackere Männer dienen, und erfüllt mit Einer Sorge zwei verwandte Pflichten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":341,"orig":"Erfreut die Wiſſenſchaft, erfreut die Kunſt Sich ſeines Schutzes auch?","norm":"Erfreut die Wissenschaft, erfreut die Kunst sich seines Schutzes auch?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":342,"orig":"und eifert er Den großen Fürſten alter Zeiten nach?","norm":"und eifert er den großen Fürsten alter Zeiten nach?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":343,"orig":"Er ehrt die Wiſſenſchaft, ſo fern ſie nutzt, Den Staat regieren, Völker kennen lehrt;","norm":"Er ehrt die Wissenschaft, sofern sie nutzt, den Staat regieren, Völker kennen lehrt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":344,"orig":"Er ſchätzt die Kunſt, ſo fern ſie ziert, ſein Rom Verherrlicht, und Pallaſt und Tempel Zu Wunderwerken dieſer Erde macht.","norm":"Er schätzt die Kunst, sofern sie ziert, sein Rom verherrlicht, und Palast und Tempel zu Wunderwerken dieser Erde macht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":345,"orig":"In ſeiner Nähe darf nichts müßig ſeyn!","norm":"In seiner Nähe darf nichts müßig sein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":346,"orig":"Was gelten ſoll, muß wirken und muß dienen.","norm":"Was gelten soll, muss wirken und muss dienen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":347,"orig":"Und glaubſt du, daß wir das Geſchäfte bald Vollenden können?","norm":"Und glaubst du, dass wir das Geschäfte bald Vollenden können?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":348,"orig":"daß ſie nicht zuletzt Noch hie und da uns Hinderniſſe ſtreuen?","norm":"dass sie nicht zuletzt noch hie und da uns Hindernisse streuen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":349,"orig":"Ich müßte ſehr mich irren, wenn nicht gleich Durch deinen Nahmenszug, durch wenig Brieſe Auf immer dieſer Zwiſt gehoben wäre.","norm":"Ich müsste sehr mich irren, wenn nicht gleich durch deinen Namenszug, durch wenig Briefe auf immer dieser Zwist gehoben wäre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":350,"orig":"So lob’ ich dieſe Tage meines Lebens Als eine Zeit des Glückes und Gewinns.","norm":"So Lob ich diese Tage meines Lebens als eine Zeit des Glückes und Gewinns."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":351,"orig":"Erweitert ſeh’ ich meine Gränze, weiß Sie für die Zukunft ſicher.","norm":"Erweitert sehe ich meine Grenze, weiß Sie für die Zukunft sicher."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":352,"orig":"Ohne Schwertſchlag Haſt du’s geleiſtet, eine Bürgerkrone Dir wohl verdient.","norm":"Ohne Schwertschlag Hast du es geleistet, eine Bürgerkrone Dir wohl verdient."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":353,"orig":"Es ſollen unſre Frauen Vom erſten Eichenlaub am ſchönſten Morgen Geflochten dir ſie um die Stirne legen.","norm":"Es sollen unsere Frauen vom ersten Eichenlaub am schönsten Morgen geflochten dir sie um die Stirn legen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":354,"orig":"Indeſſen hat mich Taſſo auch bereichert;","norm":"Indessen hat mich Tasso auch bereichert;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":355,"orig":"Er hat Jeruſalem für uns erobert, Und ſo die neue Chriſtenheit beſchämt;","norm":"Er hat Jerusalem für uns erobert, und so die neue Christenheit beschämt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":356,"orig":"Ein weit entferntes, hoch geſtecktes Ziel Mit frohem Muth und ſtrengem Fleiß erreicht.","norm":"Ein weit entferntes, hochgestecktes Ziel mit frohem Mut und strengem Fleiß erreicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":357,"orig":"Für ſeine Mühe ſiehſt du ihn gekrönt.","norm":"Für seine Mühe siehst du ihn gekrönt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":358,"orig":"Du löſeſt mir ein Räthſel.","norm":"Du lösest mir ein Rätsel."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":359,"orig":"Zwey Bekränzte Erblickt’ ich mit Verwundrung da ich kam.","norm":"Zwei Bekränzte erblickte ich mit Verwunderung da ich kam."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":360,"orig":"Wenn du mein Glück vor deinen Augen ſiehſt;","norm":"Wenn du mein Glück vor deinen Augen siehst;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":361,"orig":"So wünſcht’ ich, daß du mein beſchämt Gemüth Mit eben dieſem Blicke ſchauen könnteſt.","norm":"So wünscht ich, dass du mein beschämt Gemüt mit eben diesem Blicke schauen könntest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":362,"orig":"Mir war es lang’ bekannt, daß im Belohnen Alphons unmäßig iſt, und du erfährſt Was jeder von den Seinen ſchon erfuhr.","norm":"Mir war es lang bekannt, dass im Belohnen Alphons unmäßig ist, und du erfährst was jeder von den Seinen schon erfuhr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":363,"orig":"Wenn du erſt ſiehſt was er geleiſtet hat, So wirſt du uns gerecht und mäßig finden.","norm":"Wenn du erst siehst was er geleistet hat, so wirst du uns gerecht und mäßig finden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":364,"orig":"Wir ſind nur hier die erſten ſtillen Zeugen Des Beyfalls, den die Welt ihm nicht verſagt, Und den ihm zehnfach künft’ge Jahre gönnen.","norm":"Wir sind nur hier die ersten stillen Zeugen des Beifalls, den die Welt ihm nicht versagt, und den ihm zehnfach künftige Jahre gönnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":365,"orig":"Er iſt durch euch ſchon ſeines Ruhms gewiß.","norm":"Er ist durch euch schon seines Ruhms gewiss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":366,"orig":"Wer dürfte zweifeln, wo Ihr preiſen könnt?","norm":"Wer dürfte zweifeln, wo Ihr preisen könnt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":367,"orig":"Doch ſage mir, wer druckte dieſen Kranz Auf Arioſtens Stirne?","norm":"Doch sage mir, wer druckte diesen Kranz auf Ariostens Stirn?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":368,"orig":"Dieſe Hand.","norm":"Diese Hand."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":369,"orig":"Und ſie hat wohl gethan!","norm":"Und sie hat wohl getan!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":370,"orig":"Er ziert ihn ſchön, Als ihn der Lorber ſelbſt nicht zieren würde.","norm":"Er ziert ihn schön, als ihn der Lorbeer selbst nicht zieren würde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":371,"orig":"Wie die Natur die innig reiche Bruſt Mit einem grünen, bunten Kleide deckt, So hüllt er alles was den Menſchen nur Ehrwürdig, liebenswürdig machen kann, In’s blühende Gewand der Fabel ein.","norm":"Wie die Natur die innig reiche Brust mit einem grünen, bunten Kleide deckt, so hüllt er alles was den Menschen nur Ehrwürdig, liebenswürdig machen kann, ins blühende Gewand der Fabel ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":372,"orig":"Zufriedenheit, Erfahrung und Verſtand Und Geiſteskraft, Geſchmack und reiner Sinn Für’s wahre Gute, geiſtig ſcheinen ſie In ſeinen Liedern und perſönlich doch Wie unter Blüthen-Bäumen auszuruhn, Bedeckt vom Schnee der leicht getragnen Blüthen, Umkränzt von Roſen, wunderlich umgaukelt Vom loſen Zauberſpiel der Amoretten.","norm":"Zufriedenheit, Erfahrung und Verstand und Geisteskraft, Geschmack und reiner Sinn fürs wahre Gute, geistig scheinen sie In seinen Liedern und persönlich doch wie unter Blütenbäumen auszuruhen, bedeckt vom Schnee der leicht getragenen Blüten, umkränzt von Rosen, wunderlich umgaukelt vom losen Zauberspiel der Amoretten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":373,"orig":"Der Quell des Ueberfluſſes rauſcht darneben, Und läßt uns bunte Wunderfiſche ſehn.","norm":"Der Quell des Überflusses rauscht darneben, und lässt uns bunte Wunderfische sehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":374,"orig":"Von ſeltenem Geflügel iſt die Luft, Von fremden Herden Wieſ’ und Buſch erfüllt, Die Schalkheit lauſcht im Grünen halb verſteckt, Die Weisheit läßt von einer goldnen Wolke Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche könen, Indeß auf wohl geſtimmter Laute wild Der Wahnſinn hin und her zu wühlen ſcheint Und doch im ſchönſten Tact ſich mäßig hält.","norm":"Von seltenem Geflügel ist die Luft, von fremden Herden Wies und Busch erfüllt, die Schalkheit lauscht im Grünen halb versteckt, die Weisheit lässt von einer goldenen Wolke von Zeit zu Zeit erhabene Sprüche tönen, indes auf wohlgestimmter Laute wild der Wahnsinn hin und her zu wühlen scheint und doch im schönsten Takt sich mäßig hält."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":375,"orig":"Wer neben dieſem Mann ſich wagen darf, Verdient für ſeine Kühnheit ſchon den Kranz.","norm":"Wer neben diesem Mann sich wagen darf, verdient für seine Kühnheit schon den Kranz."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":376,"orig":"Vergebt, wenn ich mich ſelbſt begeiſtert fühle, Wie ein Verzückter weder Zeit noch Ort, Noch was ich ſage wohl bedenken kann;","norm":"Vergebt, wenn ich mich selbst begeistert fühle, wie ein Verzückter weder Zeit noch Ort, noch was ich sage wohl bedenken kann;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":377,"orig":"Denn alle dieſe Dichter, dieſe Kränze, Das ſeltne feſtliche Gewand der Schönen Verſetzt mich aus mir ſelbſt in fremdes Land.","norm":"Denn alle diese Dichter, diese Kränze, das seltene festliche Gewand der Schönen Versetzt mich aus mir selbst in fremdes Land."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":378,"orig":"Wer Ein Verdienſt ſo wohl zu ſchätzen weiß, Der wird das andre nicht verkennen.","norm":"Wer ein Verdienst so wohl zu schätzen weiß, der wird das andere nicht verkennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":379,"orig":"Du Sollſt uns dereinſt in Taſſo’s Liedern zeigen Was wir gefühlt und was nur du erkennſt.","norm":"Du sollst uns dereinst in Tassos Liedern zeigen was wir gefühlt und was nur du erkennst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":380,"orig":"Komm mit, Antonio!","norm":"Komme mit, Antonio!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":381,"orig":"manches hab’ ich noch, Worauf ich ſehr begierig bin, zu fragen.","norm":"manches habe ich noch, worauf ich sehr begierig bin, zu fragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":382,"orig":"Dann ſollſt du bis zum Untergang der Sonne Den Frauen angehören.","norm":"Dann sollst du bis zum Untergang der Sonne den Frauen angehören."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":383,"orig":"Komm!","norm":"Komme!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":384,"orig":"Lebt wohl.","norm":"Lebt wohl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":385,"orig":"Unſicher folgen meine Schritte dir, O Fürſtinn, und Gedanken ohne Maß Und Ordnung regen ſich in meiner Seele.","norm":"Unsicher folgen meine Schritte dir, O Fürstin, und Gedanken ohne Maß und Ordnung regen sich in meiner Seele."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":386,"orig":"Mir ſcheint die Einſamkeit zu winken, mich Gefällig anzulispeln: komm, ich löſe Die neu erregten Zweifel deiner Bruſt.","norm":"Mir scheint die Einsamkeit zu winken, mich Gefällig anzulispeln: komme, ich löse die neu erregten Zweifel deiner Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":387,"orig":"Doch werf’ ich einen Blick auf dich, vernimmt Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe, So wird ein neuer Tag um mich herum Und alle Bande fallen von mir los.","norm":"Doch werfe ich einen Blick auf dich, vernimmt Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe, so wird ein neuer Tag um mich herum Und alle Bande fallen von mir los."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":388,"orig":"Ich will dir gern geſtehn, es hat der Mann, Der unerwartet zu uns trat, nicht ſanft Aus einem ſchönen Traum mich aufgeweckt;","norm":"Ich will dir gern gestehen, es hat der Mann, der unerwartet zu uns trat, nicht sanft aus einem schönen Traum mich aufgeweckt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":389,"orig":"Sein Weſen, ſeine Worte haben mich So wunderbar getroffen, daß ich mehr Als je mich doppelt fühle, mit mir ſelbſt Auf’s neu’ in ſtreitender Verwirrung bin.","norm":"Sein Wesen, seine Worte haben mich So wunderbar getroffen, dass ich mehr Als je mich doppelt fühle, mit mir selbst Aufs neu in streitender Verwirrung bin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":390,"orig":"Es iſt unmöglich, daß ein alter Freund, Der lang’ entfernt ein fremdes Leben führte, Im Augenblick da er uns wiederſieht Sich wieder gleich wie ehmals finden ſoll.","norm":"Es ist unmöglich, dass ein alter Freund, der lang entfernt ein fremdes Leben führte, im Augenblick da er uns wiedersieht sich wieder gleich wie ehemals finden soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":391,"orig":"Er iſt in ſeinem Innern nicht verändert;","norm":"Er ist in seinem Inneren nicht verändert;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":392,"orig":"Laß uns mit ihm nur wenig Tage leben, So ſtimmen ſich die Saiten hin und wieder, Bis glücklich eine ſchöne Harmonie Auf’s neue ſie verbindet.","norm":"Lass uns mit ihm nur wenig Tage leben, so stimmen sich die Saiten hin und wieder, bis glücklich eine schöne Harmonie aufs neue sie verbindet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":393,"orig":"Wird er dann Auch näher kennen was du dieſe Zeit Geleiſtet haſt: ſo ſtellt er dich gewiß Dem Dichter an die Seite, den er jetzt Als einen Rieſen dir entgegen ſtellt.","norm":"Wird er dann Auch näher kennen was du diese Zeit geleistet hast: so stellt er dich gewiss dem Dichter an die Seite, den er jetzt Als einen Riesen dir entgegenstellt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":394,"orig":"Ach meine Fürſtinn, Arioſtens Lob Aus ſeinem Munde hat mich mehr ergetzt Als daß es mich beleidigt hätte.","norm":"Ach meine Fürstin, Ariostens Lob aus seinem Munde hat mich mehr ergötzt Als dass es mich beleidigt hätte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":395,"orig":"Tröſtlich Iſt es für uns den Mann gerühmt zu wiſſen, Der als ein großes Muſter vor uns ſteht.","norm":"Tröstlich Ist es für uns den Mann gerühmt zu wissen, der als ein großes Muster vor uns steht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":396,"orig":"Wir können uns im ſtillen Herzen ſagen:","norm":"Wir können uns im stillen Herzen sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":397,"orig":"Erreichſt du einen Theil von ſeinem Werth, Bleibt dir ein Theil auch ſeines Ruhms gewiß.","norm":"Erreichst du einen Teil von seinem Wert, bleibt dir ein Teil auch seines Ruhms gewiss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":398,"orig":"Nein, was das Herz im tiefſten mir bewegte, Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt, Es waren die Geſtalten jener Welt, Die ſich lebendig, raſtlos, ungeheuer Um Einen großen, einzig klugen Mann Gemeſſen dreht und ihren Lauf vollendet, Den ihr der Halbgott vorzuſchreiben wagt.","norm":"Nein, was das Herz im tiefsten mir bewegte, was mir noch jetzt die ganze Seele füllt, es waren die Gestalten jener Welt, die sich lebendig, rastlos, ungeheuer um Einen großen, einzig klugen Mann gemessen dreht und ihren Lauf vollendet, den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":399,"orig":"Begierig horcht’ ich auf, vernahm mit Luft Die ſichern Worte des erfahrnen Mannes;","norm":"Begierig horchte ich auf, vernahm mit Lust die sichern Worte des erfahrenen Mannes;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":400,"orig":"Doch ach!","norm":"Doch ach!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":401,"orig":"je mehr ich horchte, mehr und mehr Verſank ich vor mir ſelbſt, ich fürchtete Wie Echo an den Felſen zu verſchwinden, Ein Wiederhall, ein Nichts mich zu verlieren.","norm":"je mehr ich horchte, mehr und mehr versank ich vor mir selbst, ich fürchtete wie Echo an den Felsen zu verschwinden, ein Widerhall, ein Nichts mich zu verlieren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":402,"orig":"Und ſchienſt noch kurz vorher ſo rein zu fühlen, Wie Held und Dichter für einander leben, Wie Held und Dichter ſich einander ſuchen, Und keiner je den andern neiden ſoll?","norm":"Und schienst noch kurz vorher so rein zu fühlen, wie Held und Dichter für einander leben, wie Held und Dichter sich einander suchen, und keiner je den anderen neiden soll?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":403,"orig":"Zwar herrlich iſt die liedeswerthe That, Doch ſchön iſt’s auch, der Thaten ſtärkſte Fülle Durch würd’ge Lieder auf die Nachwelt bringen.","norm":"Zwar herrlich ist die liedeswerte Tat, doch schön ist es auch, der Taten stärkste Fülle durch würdige Lieder auf die Nachwelt bringen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":404,"orig":"Begnüge dich aus einem kleinen Staate, Der dich beſchützt, dem wilden Lauf der Welt, Wie von dem Ufer, ruhig zuzuſehn.","norm":"Begnüge dich aus einem kleinen Staate, der dich beschützt, dem wilden Lauf der Welt, wie von dem Ufer, ruhig zuzusehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":405,"orig":"Und ſah’ ich hier mit Staunen nicht zuerſt, Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?","norm":"Und sah ich hier mit Staunen nicht zuerst, wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":406,"orig":"Als unerfahrner Knabe kam ich her, In einem Augenblick, da Feſt auf Feſt Ferrara zu dem Mittelpunct der Ehre Zu machen ſchien.","norm":"Als unerfahrener Knabe kam ich her, in einem Augenblick, da Fest auf Fest Ferrara zu dem Mittelpunkt der Ehre zu machen schien."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":407,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":408,"orig":"welcher Anblick war’s!","norm":"welcher Anblick war es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":409,"orig":"Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze Gewandte Tapferkeit ſich zeigen ſollte, Umſchloß ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht So bald zum zweytenmal beſcheinen wird.","norm":"Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze gewandte Tapferkeit sich zeigen sollte, umschloss ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht so bald zum zweiten Mal bescheinen wird."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":410,"orig":"Es ſaßen hier gedrängt die ſchönſten Frauen, Gedrängt die erſten Männer unſrer Zeit.","norm":"Es saßen hier gedrängt die schönsten Frauen, gedrängt die ersten Männer unserer Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":411,"orig":"Erſtaunt durchlief der Blick die edle Menge;","norm":"Erstaunt durchlief der Blick die edle Menge;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":412,"orig":"Man rief:","norm":"Man rief:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":413,"orig":"Sie alle hat das Vaterland, Das Eine, ſchmale, meerumgebne Land, Hierher geſchickt.","norm":"Sie alle hat das Vaterland, das eine, schmale, meerumgebene Land, hierher geschickt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":414,"orig":"Zuſammen bilden ſie Das herrlichſte Gericht, das über Ehre, Verdienſt und Tugend je entſchieden hat.","norm":"Zusammen bilden sie Das herrlichste Gericht, das über Ehre, Verdienst und Tugend je entschieden hat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":415,"orig":"Gehſt du ſie einzeln durch, du findeſt keinen, Der ſeines Nachbarn ſich zu ſchämen brauche!","norm":"Gehst du sie einzeln durch, du findest keinen, der seines Nachbarn sich zu schämen brauche!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":416,"orig":"— Und dann eröffneten die Schranken ſich.","norm":"— Und dann eröffneten die Schranken sich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":417,"orig":"Da ſtampften Pferde, glänzten Helm und Schilde, Da drängten ſich die Knappen, da erklang Trompetenſchall, und Lanzen krachten ſplitternd, Getroffen tönten Helm und Schilde, Staub, Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd Des Siegers Ehre, des Beſiegten Schmach.","norm":"Da stampften Pferde, glänzten Helm und Schilde, da drängten sich die Knappen, da erklang Trompetenschall, und Lanzen krachten splitternd, getroffen tönten Helm und Schilde, Staub, auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd des Siegers Ehre, des Besiegten Schmach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":418,"orig":"O laß mich einen Vorhang vor das ganze, Mir allzu helle Schauſpiel ziehen, daß In dieſem ſchönen Augenblicke mir Mein Unwerth nicht zu heftig fühlbar werde.","norm":"O lass mich einen Vorhang vor das ganze, mir allzu helle Schauspiel ziehen, dass in diesem schönen Augenblicke mir Mein Unwert nicht zu heftig fühlbar werde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":419,"orig":"Wenn jener edle Kreis, wenn jene Thaten Zu Müh und Streben damals dich entflammten, So konnt’ ich, junger Freund, zu gleicher Zeit Der Duldung ſtille Lehre dir bewähren.","norm":"Wenn jener edle Kreis, wenn jene Taten zu Mühe und Streben damals dich entflammten, so konnte ich, junger Freund, zu gleicher Zeit der Duldung stille Lehre dir bewähren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":420,"orig":"Die Feſte, die du rühmſt, die hundert Zungen Mir damals prieſen und mir manches Jahr Nachher geprieſen haben, ſah’ ich nicht.","norm":"Die Feste, die du rühmst, die hundert Zungen mir damals priesen und mir manches Jahr nachher gepriesen haben, sah ich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":421,"orig":"Am ſtillen Ort wohin kaum unterbrochen Der letzte Wiederhall der Freude ſich Verlieren konnte, mußt’ ich manche Schmerzen Und manchen traurigen Gedanken leiden.","norm":"Am stillen Ort wohin kaum unterbrochen der letzte Widerhall der Freude sich Verlieren konnte, musste ich manche Schmerzen und manchen traurigen Gedanken leiden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":422,"orig":"Mit breiten Flügeln ſchwebte mir das Bild Des Todes vor den Augen, deckte mir Die Ausſicht in die immer neue Welt.","norm":"Mit breiten Flügeln schwebte mir das Bild des Todes vor den Augen, deckte mir die Aussicht in die immer neue Welt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":423,"orig":"Nur nach und nach entfernt’ es ſich, und ließ Mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben Des Lebens, blaß doch angenehm, erblicken.","norm":"Nur nach und nach entfernte es sich, und ließ mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben des Lebens, blass doch angenehm, erblicken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":424,"orig":"Ich ſah’ lebend’ge Formen wieder ſanft ſich regen.","norm":"Ich sah lebendige Formen wieder sanft sich regen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":425,"orig":"Zum erſtenmal trat ich, noch unterſtützt Von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer, Da kam Lukretia voll frohen Lebens Herbey und führte dich an ihrer Hand.","norm":"Zum ersten Mal trat ich, noch unterstützt von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer, da kam Lucretia voll frohen Lebens Herbei und führte dich an ihrer Hand."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":426,"orig":"Du warſt der erſte, der im neuen Leben Mir neu und unbekannt entgegen trat.","norm":"Du warst der Erste, der im neuen Leben mir neu und unbekannt entgegentrat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":427,"orig":"Da hofft’ ich viel für dich und mich, auch hat Uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen.","norm":"Da hofft ich viel für dich und mich, auch hat uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":428,"orig":"Und ich, der ich betäubt von dem Gewimmel Des drängenden Gewühls, von ſo viel Glanz Geblendet, und von mancher Leidenſchaft Bewegt, durch ſtille Gänge des Pallaſts An deiner Schweſter Seite ſchweigend ging, Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald Auf deine Frau’n gelehnt erſchieneſt — Mir Welch ein Moment war dieſer!","norm":"Und ich, der ich betäubt von dem Gewimmel des drängenden Gewühls, von so viel Glanz geblendet, und von mancher Leidenschaft bewegt, durch stille Gänge des Palasts an deiner Schwester Seite schweigend ging, dann in das Zimmer trat, wo du uns bald Auf deine Frauen gelehnt erschienest — mir Welch ein Moment war dieser!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":429,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":430,"orig":"Vergib!","norm":"Vergib!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":431,"orig":"Wie den Bezauberten von Rauſch und Wahn Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;","norm":"Wie den Bezauberten von Rausch und Wahn der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":432,"orig":"So war auch ich von aller Phantaſie, Von jeder Sucht, von jedem falſchen Triebe Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt.","norm":"So war auch ich von aller Phantasie, von jeder Sucht, von jedem falschen Triebe mit einem Blick in deinen Blick geheilt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":433,"orig":"Wenn unerfahren die Begierde ſich Nach tauſend Gegenſtänden ſonſt verlor, Trat ich beſchämt zuerſt in mich zurück, Und lernte nun das Wünſchenswerthe kennen.","norm":"Wenn unerfahren die Begierde sich Nach tausend Gegenständen sonst verlor, trat ich beschämt zuerst in mich zurück, und lernte nun das Wünschenswerte kennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":434,"orig":"So ſucht man in dem weiten Sand des Meers Vergebens eine Perle, die verborgen In ſtillen Schalen eingeſchloſſen ruht.","norm":"So sucht man in dem weiten Sand des Meers Vergebens eine Perle, die verborgen In stillen Schalen eingeschlossen ruht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":435,"orig":"Es fingen ſchöne Zeiten damals an, Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino Die Schweſter weggeführt, uns wären Jahre Im ſchönen ungetrübten Glück verſchwunden.","norm":"Es fingen schöne Zeiten damals an, und hätte uns nicht der Herzog von Urbino die Schwester weggeführt, uns wären Jahre im schönen ungetrübten Glück verschwunden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":436,"orig":"Doch leider jetzt vermiſſen wir zu ſehr Den frohen Geiſt, die Bruſt voll Muth und Leben, Den reichen Witz der liebenswürd’gen Frau.","norm":"Doch leider jetzt vermissen wir zu sehr Den frohen Geist, die Brust voll Mut und Leben, den reichen Witz der liebenswürdigen Frau."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":437,"orig":"Ich weiß es nur zu wohl, ſeit jenem Tage Da ſie von hinnen ſchied, vermochte dir Die reine Freude niemand zu erſetzen.","norm":"Ich weiß es nur zu wohl, seit jenem Tage da sie von hinnen schied, vermochte dir Die reine Freude niemand zu ersetzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":438,"orig":"Wie oft zerriß es meine Bruſt!","norm":"Wie oft zerriss es meine Brust!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":439,"orig":"Wie oft Klagt’ ich dem ſtillen Hain mein Leid um dich!","norm":"Wie oft klagte ich dem stillen Hain mein Leid um dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":440,"orig":"Ach!","norm":"Ach!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":441,"orig":"rief ich aus, hat denn die Schweſter nur Das Glück, das Recht, der Theuern viel zu ſeyn?","norm":"rief ich aus, hat denn die Schwester nur das Glück, das Recht, der Teuren viel zu sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":442,"orig":"Iſt denn kein Herz mehr werth, daß ſie ſich ihm Vertrauen dürfte, kein Gemüth dem ihren Mehr gleich geſtimmt?","norm":"Ist denn kein Herz mehr wert, dass sie sich ihm Vertrauen dürfte, kein Gemüt dem ihren Mehr gleich gestimmt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":443,"orig":"Iſt Geiſt und Witz verloſchen?","norm":"Ist Geist und Witz verloschen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":444,"orig":"Und war die Eine Frau, ſo trefflich ſie Auch war, denn alles?","norm":"Und war die eine Frau, so trefflich sie Auch war, denn alles?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":445,"orig":"Fürſtinn!","norm":"Fürstin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":446,"orig":"o verzeih’!","norm":"o verzeih!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":447,"orig":"Da dacht’ ich manchmal an mich ſelbſt und wünſchte Dir etwas ſeyn zu können.","norm":"Da dachte ich manchmal an mich selbst und wünschte Dir etwas sein zu können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":448,"orig":"Wenig nur, Doch etwas, nicht mit Worten, mit der That Wünſcht’ ich’s zu ſeyn, im Leben dir zu zeigen, Wie ſich mein Herz im Stillen dir geweiht.","norm":"Wenig nur, doch etwas, nicht mit Worten, mit der Tat wünscht ich es zu sein, im Leben dir zu zeigen, wie sich mein Herz im Stillen dir geweiht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":449,"orig":"Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft That ich im Irrthum was dich ſchmerzen mußte, Beleidigte den Mann, den du beſchützteſt, Verwirrte unklug was du löſen wollteſt, Und fühlte ſo mich ſtets im Augenblick, Wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner.","norm":"Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft Tat ich im Irrtum was dich schmerzen musste, beleidigte den Mann, den du beschütztest, Verwirrte unklug was du lösen wolltest, und fühlte so mich stets im Augenblick, wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":450,"orig":"Ich habe, Taſſo, deinen Willen nie Verkannt, und weiß wie du dir ſelbſt zu ſchaden Geſchäftig biſt.","norm":"Ich habe, Tasso, deinen Willen nie verkannt, und weiß wie du dir selbst zu schaden Geschäftig bist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":451,"orig":"Anſtatt daß meine Schweſter Mit jedem, wie er ſey, zu leben weiß, So kannſt du ſelbſt nach vielen Jahren kaum In einen Freund dich finden.","norm":"Anstatt dass meine Schwester mit jedem, wie er sei, zu leben weiß, so kannst du selbst nach vielen Jahren kaum in einen Freund dich finden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":452,"orig":"Tadle mich!","norm":"Tadle mich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":453,"orig":"Doch ſage mir hernach, wo iſt der Mann?","norm":"Doch sage mir hernach, wo ist der Mann?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":454,"orig":"Die Frau?","norm":"Die Frau?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":455,"orig":"mit der ich wie mit dir Aus freyem Buſen wagen darf zu reden.","norm":"mit der ich wie mit dir Aus freiem Busen wagen darf zu reden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":456,"orig":"Du ſollteſt meinem Bruder dich vertraun.","norm":"Du solltest meinem Bruder dich vertrauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":457,"orig":"Er iſt mein Fürſt!","norm":"Er ist mein Fürst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":458,"orig":"— Doch glaube nicht, daß mir Der Freyheit wilder Trieb den Buſen blähe.","norm":"— Doch glaube nicht, dass mir der Freiheit wilder Trieb den Busen blähe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":459,"orig":"Der Menſch iſt nicht geboren frey zu ſeyn, Und für den Edeln iſt kein ſchöner Glück, Als einen Fürſten, den er ehrt, zu dienen.","norm":"Der Mensch ist nicht geboren frei zu sein, und für den Edlen ist kein schöner Glück, als einen Fürsten, den er ehrt, zu dienen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":460,"orig":"Und ſo iſt er mein Herr, und ich empfinde Den ganzen Umfang dieſes großen Worts.","norm":"Und so ist er mein Herr, und ich empfinde den ganzen Umfang dieses großen Worts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":461,"orig":"Nun muß ich ſchweigen lernen wenn er ſpricht, Und thun wenn er gebiethet, mögen auch Verſtand und Herz ihm lebhaft widerſprechen.","norm":"Nun muss ich schweigen lernen wenn er spricht, und tun wenn er gebietet, mögen auch Verstand und Herz ihm lebhaft widersprechen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":462,"orig":"Das iſt der Fall bey meinem Bruder nie.","norm":"Das ist der Fall bei meinem Bruder nie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":463,"orig":"Und nun, da wir Antonio wieder haben, Iſt dir ein neuer kluger Freund gewiß.","norm":"Und nun, da wir Antonio wieder haben, ist dir ein neuer kluger Freund gewiss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":464,"orig":"Ich hofft’ es ehmals, jetzt verzweifl’ ich faſt.","norm":"Ich hofft es ehemals, jetzt verzweifle ich fast."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":465,"orig":"Wie lehrreich wäre mir ſein Umgang, nützlich Sein Rath in tauſend Fällen!","norm":"Wie lehrreich wäre mir sein Umgang, nützlich Sein Rat in tausend Fällen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":466,"orig":"Er beſitzt, Ich mag wohl ſagen, alles was mir fehlt.","norm":"Er besitzt, Ich mag wohl sagen, alles was mir fehlt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":467,"orig":"Doch — haben alle Götter ſich verſammelt Geſchenke ſeiner Wiege darzubringen?","norm":"Doch — haben alle Götter sich versammelt Geschenke seiner Wiege darzubringen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":468,"orig":"Die Grazien ſind leider ausgeblieben, Und wem die Gaben dieſer Holden fehlen, Der kann zwar viel beſitzen, vieles geben, Doch läßt ſich nie an ſeinem Buſen ruhn.","norm":"Die Grazien sind leider ausgeblieben, und wem die Gaben dieser Holden fehlen, der kann zwar viel besitzen, vieles geben, doch lässt sich nie an seinem Busen ruhen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":469,"orig":"Doch läßt ſich ihm vertraun, und das iſt viel.","norm":"Doch lässt sich ihm vertrauen, und das ist viel."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":470,"orig":"Du mußt von Einem Mann nicht alles fordern, Und dieſer leiſtet was er dir verſpricht.","norm":"Du musst von einem Mann nicht alles fordern, und dieser leistet was er dir verspricht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":471,"orig":"Hat er ſich erſt für deinen Freund erklärt, So ſorgt er ſelbſt für dich wo du dir fehlſt.","norm":"Hat er sich erst für deinen Freund erklärt, so sorgt er selbst für dich wo du dir fehlst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":472,"orig":"Ihr müßt verbunden ſeyn!","norm":"Ihr müsst verbunden sein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":473,"orig":"Ich ſchmeichle mir Dieß ſchöne Werk in kurzem zu vollbringen.","norm":"Ich schmeichle mir Dies schöne Werk in kurzem zu vollbringen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":474,"orig":"Nur widerſtehe nicht wie du es pflegſt!","norm":"Nur widerstehe nicht wie du es pflegst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":475,"orig":"So haben wir Lenoren lang’ beſeſſen, Die fein und zierlich iſt, mit der es leicht Sich leben läßt; auch dieſer haſt du nie, Wie ſie es wünſchte, näher treten wollen.","norm":"So haben wir Lenoren lang besessen, die fein und zierlich ist, mit der es leicht Sich leben lässt; auch dieser hast du nie, wie sie es wünschte, näher treten wollen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":476,"orig":"Ich habe dir gehorcht, ſonſt hätt’ ich mich Von ihr entfernt anſtatt mich ihr zu nahen.","norm":"Ich habe dir gehorcht, sonst hätte ich mich Von ihr entfernt anstatt mich ihr zu nahen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":477,"orig":"So liebenswürdig ſie erſcheinen kann, Ich weiß nicht wie es iſt, konnt’ ich nur ſelten Mit ihr ganz offen ſeyn, und wenn ſie auch Die Abſicht hat, den Freunden wohlzuthun, So fühlt man Abſicht und man iſt verſtimmt.","norm":"So liebenswürdig sie erscheinen kann, Ich weiß nicht wie es ist, konnte ich nur selten Mit ihr ganz offen sein, und wenn sie auch die Absicht hat, den Freunden wohlzutun, so fühlt man Absicht und man ist verstimmt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":478,"orig":"Auf dieſem Wege werden wir wohl nie Geſellſchaft finden, Taſſo!","norm":"Auf diesem Wege werden wir wohl nie Gesellschaft finden, Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":479,"orig":"Dieſer Pfad Verleitet uns durch einſames Gebüſch, Durch ſtille Thäler fortzuwandern; mehr Und mehr verwöhnt ſich das Gemüth, und ſtrebt Die goldne Zeit, die ihm von außen mangelt, In ſeinem Innern wieder herzuſtellen, So wenig der Verſuch gelingen will.","norm":"Dieser Pfad verleitet uns durch einsames Gebüsch, durch stille Täler fortzuwandern; mehr und mehr verwöhnt sich das Gemüt, und strebt die goldene Zeit, die ihm von außen mangelt, in seinem Inneren wieder herzustellen, so wenig der Versuch gelingen will."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":480,"orig":"O welches Wort ſpricht meine Fürſtinn aus!","norm":"O welches Wort spricht meine Fürstin aus!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":481,"orig":"Die goldne Zeit wohin iſt ſie geflohn?","norm":"Die goldene Zeit wohin ist sie geflohen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":482,"orig":"Nach der ſich jedes Herz vergebens ſehnt!","norm":"Nach der sich jedes Herz vergebens sehnt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":483,"orig":"Da auf der freyen Erde Menſchen ſich Wie frohe Herden im Genuß verbreiteten;","norm":"Da auf der freien Erde Menschen sich Wie frohe Herden im Genuss verbreiteten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":484,"orig":"Da ein uralter Baum auf bunter Wieſe Dem Hirten und der Hirtinn Schatten gab, Ein jüngeres Gebüſch die zarten Zweige Um ſehnſuchtsvolle Liebe traulich ſchlang;","norm":"Da ein uralter Baum auf bunter Wiese dem Hirten und der Hirtin Schatten gab, ein jüngeres Gebüsch die zarten Zweige um sehnsuchtsvolle Liebe traulich schlang;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":485,"orig":"Wo klar und ſtill auf immer reinem Sande Der weiche Fluß die Nymphe ſanft umfing;","norm":"Wo klar und still auf immer reinem Sande der weiche Fluss die Nymphe sanft umfing;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":486,"orig":"Wo in dem Graſe die geſcheuchte Schlange Unſchädlich ſich verlor, der kühne Faun Vom tapfern Jüngling bald beſtraft entfloh;","norm":"Wo in dem Grase die gescheuchte Schlange unschädlich sich verlor, der kühne Faun vom tapfern Jüngling bald bestraft entfloh;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":487,"orig":"Wo jeder Vogel in der freyen Luft Und jedes Thier durch Berg und Thäler ſchweifend Zum Menſchen ſprach: erlaubt iſt was gefällt.","norm":"Wo jeder Vogel in der freien Luft und jedes Tier durch Berg und Täler schweifend zum Menschen sprach: Erlaubt ist was gefällt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":488,"orig":"Mein Freund, die goldne Zeit iſt wohl vorbey:","norm":"Mein Freund, die goldene Zeit ist wohl vorbei:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":489,"orig":"Allein die Guten bringen ſie zurück;","norm":"Allein die Guten bringen sie zurück;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":490,"orig":"Und ſoll ich dir geſtehen wie ich denke, Die goldne Zeit, womit der Dichter uns Zu ſchmeicheln pflegt, die ſchöne Zeit, ſie war, So ſcheint es mir, ſo wenig als ſie iſt, Und war ſie je, ſo war ſie nur gewiß, Wie ſie uns immer wieder werden kann.","norm":"Und soll ich dir gestehen wie ich denke, die goldene Zeit, womit der Dichter uns Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, so scheint es mir, so wenig als sie ist, und war sie je, so war sie nur gewiss, wie sie uns immer wieder werden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":491,"orig":"Noch treffen ſich verwandte Herzen an Und theilen den Genuß der ſchönen Welt;","norm":"Noch treffen sich verwandte Herzen an Und teilen den Genuss der schönen Welt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":492,"orig":"Nur in dem Wahlſpruch ändert ſich, mein Freund, Ein einzig Wort: erlaubt iſt was ſich ziemt.","norm":"Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund, ein einzig Wort: Erlaubt ist was sich ziemt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":493,"orig":"O wenn aus guten, edlen Menſchen nur Ein allgemein Gericht beſtellt entſchiede, Was ſich denn ziemt!","norm":"O wenn aus guten, edlen Menschen nur ein allgemein Gericht bestellt entscheide, was sich denn ziemt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":494,"orig":"Anſtatt daß jeder glaubt, Es ſey auch ſchicklich was ihm nützlich iſt.","norm":"Anstatt dass jeder glaubt, es sei auch schicklich was ihm nützlich ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":495,"orig":"Wir ſehn ja, dem Gewaltigen, dem Klugen Steht alles wohl, und er erlaubt ſich alles.","norm":"Wir sehen ja, dem Gewaltigen, dem Klugen Steht alles wohl, und er erlaubt sich alles."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":496,"orig":"Willſt du genau erfahren was ſich ziemt;","norm":"Willst du genau erfahren was sich ziemt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":497,"orig":"So frage nur bey edlen Frauen an.","norm":"So frage nur bei edlen Frauen an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":498,"orig":"Denn ihnen iſt am meiſten dran gelegen, Daß alles wohl ſich zieme was geſchieht.","norm":"Denn ihnen ist am meisten dran gelegen, dass alles wohl sich zieme was geschieht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":499,"orig":"Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer Das zarte leicht verletzliche Geſchlecht.","norm":"Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer das zarte leicht verletzliche Geschlecht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":500,"orig":"Wo Sittlichkeit regiert, regieren ſie, Und wo die Frechheit herrſcht, da ſind ſie nichts.","norm":"Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie, und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":501,"orig":"Und wirſt du die Geſchlechter beyde fragen:","norm":"Und wirst du die Geschlechter beide fragen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":502,"orig":"Nach Freyheit ſtrebt der Mann, das Weib nach Sitte.","norm":"Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":503,"orig":"Du nenneſt uns unbändig, roh, gefühllos?","norm":"Du nennest uns unbändig, roh, gefühllos?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":504,"orig":"Nicht das!","norm":"Nicht das!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":505,"orig":"Allein ihr ſtrebt nach fernen Gütern, Und euer Streben muß gewaltſam ſeyn.","norm":"Allein ihr strebt nach fernen Gütern, und euer Streben muss gewaltsam sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":506,"orig":"Ihr wagt es, für die Ewigkeit zu handeln, Wenn wir ein einzig nah beſchränktes Gut Auf dieſer Erde nur beſitzen möchten, Und wünſchen, daß es uns beſtändig bliebe.","norm":"Ihr wagt es, für die Ewigkeit zu handeln, wenn wir ein einzig nah beschränktes Gut auf dieser Erde nur besitzen möchten, und wünschen, dass es uns beständig bliebe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":507,"orig":"Wir ſind von keinem Männerherzen ſicher, Das noch ſo warm ſich einmal uns ergab.","norm":"Wir sind von keinem Männerherzen sicher, das noch so warm sich einmal uns ergab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":508,"orig":"Die Schönheit iſt vergänglich, die ihr doch Allein zu ehren ſcheint.","norm":"Die Schönheit ist vergänglich, die ihr doch Allein zu ehren scheint."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":509,"orig":"Was übrig bleibt, Das reitzt nicht mehr, und was nicht reitzt, iſt todt.","norm":"Was übrig bleibt, das reizt nicht mehr, und was nicht reizt, ist tot."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":510,"orig":"Wenn’s Männer gäbe, die ein weiblich Herz Zu ſchätzen wüßten, die erkennen möchten, Welch einen holden Schatz von Treu’ und Liebe Der Buſen einer Frau bewahren kann, Wenn das Gedächtniß einzig ſchöner Stunden In euren Seelen lebhaft bleiben wollte, Wenn euer Blick, der ſonſt durchdringend iſt, Auch durch den Schleyer dringen könnte, den Uns Alter oder Krankheit überwirft, Wenn der Beſitz, der ruhig machen ſoll, Nach fremden Gütern euch nicht lüſtern machte:","norm":"Wenn es Männer gäbe, die ein weiblich Herz zu schätzen wüssten, die erkennen möchten, Welch einen holden Schatz von Treue und Liebe der Busen einer Frau bewahren kann, wenn das Gedächtnis einzig schöner Stunden in euren Seelen lebhaft bleiben wollte, wenn euer Blick, der sonst durchdringend ist, auch durch den Schleier dringen könnte, den uns Alter oder Krankheit überwirft, wenn der Besitz, der ruhig machen soll, nach fremden Gütern euch nicht lüstern machte:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":511,"orig":"Dann wär’ uns wohl ein ſchöner Tag erſchienen, Wir feierten dann unſre goldne Zeit.","norm":"Dann wäre uns wohl ein schöner Tag erschienen, wir feierten dann unsere goldene Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":512,"orig":"Du ſagſt mir Worte, die in meiner Bruſt Halb ſchon entſchlafne Sorgen mächtig regen.","norm":"Du sagst mir Worte, die in meiner Brust halb schon entschlafene Sorgen mächtig regen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":513,"orig":"Was meinſt du, Taſſo?","norm":"Was meinst du, Tasso?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":514,"orig":"rede frey mit mir.","norm":"rede frei mit mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":515,"orig":"Oft hört’ ich ſchon, und dieſe Tage wieder Hab’ich ’ s gehört, ja hätt’ ich’s nicht vernommen, So müßt’ ich’s denken: edle Fürſten ſtreben Nach deiner Hand!","norm":"Oft hörte ich schon, und diese Tage wieder Hab ich's ’ s gehört, ja hätte ich es nicht vernommen, so müsste ich es denken: edle Fürsten streben nach deiner Hand!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":516,"orig":"Was wir erwarten müſſen, Das fürchten wir und möchten ſchier verzweifeln, Verlaſſen wirſt du uns, es iſt natürlich;","norm":"Was wir erwarten müssen, das fürchten wir und möchten schier verzweifeln, Verlassen wirst du uns, es ist natürlich;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":517,"orig":"Doch wie wir’s tragen wollen, weiß ich nicht.","norm":"Doch wie wir es tragen wollen, weiß ich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":518,"orig":"Für dieſen Augenblick ſeyd unbeſorgt!","norm":"Für diesen Augenblick seid unbesorgt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":519,"orig":"Faſt möcht’ ich ſagen: unbeſorgt für immer.","norm":"Fast möchte ich sagen: unbesorgt für immer."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":520,"orig":"Hier bin ich gern und gerne mag ich bleiben;","norm":"Hier bin ich gern und gerne mag ich bleiben;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":521,"orig":"Noch weiß ich kein Verhältniß, das mich lockte;","norm":"Noch weiß ich kein Verhältnis, das mich lockte;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":522,"orig":"Und wenn ihr mich denn ja behalten wollt, So laßt es mir durch Eintracht ſehn, und ſchafft Euch ſelbſt ein glücklich Leben, mir durch euch.","norm":"Und wenn ihr mich denn ja behalten wollt, so lasst es mir durch Eintracht sehen, und schafft Euch selbst ein glücklich Leben, mir durch euch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":523,"orig":"O lehre mich das Mögliche zu thun!","norm":"O lehre mich das Mögliche zu tun!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":524,"orig":"Gewidmet ſind dir alle meine Tage.","norm":"Gewidmet sind dir alle meine Tage."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":525,"orig":"Wenn dich zu preiſen, dir zu danken ſich Mein Herz entfaltet, dann empfind’ ich erſt Das reinſte Glück, das Menſchen fühlen können.","norm":"Wenn dich zu preisen, dir zu danken sich Mein Herz entfaltet, dann empfinde ich erst Das reinste Glück, das Menschen fühlen können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":526,"orig":"Das göttlichſte erfuhr ich nur in dir.","norm":"Das göttlichste erfuhr ich nur in dir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":527,"orig":"So unterſcheiden ſich die Erdengötter Vor andern Menſchen, wie das hohe Schickſal Vom Rath und Willen ſelbſt der klügſten Männer Sich unterſcheidet.","norm":"So unterscheiden sich die Erdengötter vor anderen Menschen, wie das hohe Schicksal vom Rat und Willen selbst der klügsten Männer sich unterscheidet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":528,"orig":"Vieles laſſen ſie, Wenn wir gewaltſam Wog’ auf Woge ſehn, Wie leichte Wellen, unbemerkt vorüber Vor ihren Füßen rauſchen, hören nicht Den Sturm, der uns umſauſ’t und niederwirft, Vernehmen unſer Flehen kaum, und laſſen, Wie wir beſchränkten armen Kindern thun, Mit Seufzern und Geſchrey die Luft uns füllen.","norm":"Vieles lassen sie, wenn wir gewaltsam Wog auf Woge sehen, wie leichte Wellen, unbemerkt vorüber vor ihren Füßen rauschen, hören nicht den Sturm, der uns umsaust und niederwirft, Vernehmen unser Flehen kaum, und lassen, wie wir beschränkten armen Kindern tun, mit Seufzern und Geschrei die Luft uns füllen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":529,"orig":"Du haſt mich oft, o Göttliche, geduldet, Und wie die Sonne, trocknete dein Blick Den Thau von meinen Augenliedern ab.","norm":"Du hast mich oft, o göttliche, geduldet, und wie die Sonne, trocknete dein Blick den Tau von meinen Augenlidern ab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":530,"orig":"Es iſt ſehr billig, daß die Frauen dir Auf’s freundlichſte begegnen, es verherrlicht Dein Lied auf manche Weiſe das Geſchlecht.","norm":"Es ist sehr billig, dass die Frauen dir Aufs freundlichste begegnen, es verherrlicht Dein Lied auf manche Weise das Geschlecht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":531,"orig":"Zart oder tapfer, haſt du ſtets gewußt Sie liebenswerth und edel vorzuſtellen:","norm":"Zart oder tapfer, hast du stets gewusst Sie liebenswert und edel vorzustellen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":532,"orig":"Und wenn Armide haſſenswerth erſcheint, Verſöhnt ihr Reitz und ihre Liebe bald.","norm":"Und wenn Armide hassenswert erscheint, versöhnt ihr Reiz und ihre Liebe bald."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":533,"orig":"Was auch in meinem Liede wiederklingt, Ich bin nur Einer, Einer alles ſchuldig!","norm":"Was auch in meinem Liede wiederklingt, Ich bin nur Einer, Einer alles schuldig!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":534,"orig":"Es ſchwebt kein geiſtig unbeſtimmtes Bild Vor meiner Stirne, das der Seele bald Sich überglänzend nahte, bald entzöge.","norm":"Es schwebt kein geistig unbestimmtes Bild vor meiner Stirn, das der Seele bald sich überglänzend nahte, bald entzöge."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":535,"orig":"Mit meinen Augen hab’ ich es geſehn, Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;","norm":"Mit meinen Augen habe ich es gesehen, das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":536,"orig":"Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:","norm":"Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":537,"orig":"Tancredens Heldenliebe zu Chlorinden, Erminiens ſtille nicht bemerkte Treue, Sophroniens Großheit und Olindens Noth. Es ſind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, Ich weiß es, ſie ſind ewig, denn ſie ſind.","norm":"Tancredens Heldenliebe zu Chlorinde, Erminies stille nicht bemerkte Treue, Sophronies Großheit und Olindes Not es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":538,"orig":"Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte Zu bleiben und im Stillen fortzuwirken, Als das Geheimniß einer edlen Liebe, Dem holden Lied beſcheiden anvertraut?","norm":"Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte zu bleiben und im Stillen fortzuwirken, als das Geheimnis einer edlen Liebe, dem holden Lied bescheiden anvertraut?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":539,"orig":"Und ſoll ich dir noch einen Vorzug ſagen, Den unvermerkt ſich dieſes Lied erſchleicht?","norm":"Und soll ich dir noch einen Vorzug sagen, den unvermerkt sich dieses Lied erschleicht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":540,"orig":"Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, Wir hören und wir glauben zu verſtehn, Was wir verſtehn, das können wir nicht tadeln, Und ſo gewinnt uns dieſes Lied zuletzt.","norm":"Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, wir hören und wir glauben zu verstehen, was wir verstehen, das können wir nicht tadeln, und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":541,"orig":"Welch einen Himmel öffneſt du vor mir, O Fürſtinn!","norm":"Welch einen Himmel öffnest du vor mir, O Fürstin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":542,"orig":"Macht mich dieſer Glanz nicht blind, So ſeh’ ich unverhofft ein ewig Glück Auf goldnen Strahlen herrlich niederſteigen.","norm":"Macht mich dieser Glanz nicht blind, so sehe ich unverhofft ein ewig Glück auf goldenen Strahlen herrlich niedersteigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":543,"orig":"Nicht weiter, Taſſo!","norm":"Nicht weiter, Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":544,"orig":"Viele Dinge ſind’s, Die wir mit Heftigkeit ergreifen ſollen:","norm":"Viele Dinge sind es, die wir mit Heftigkeit ergreifen sollen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":545,"orig":"Doch andre können nur durch Mäßigung Und durch Entbehren unſer eigen werden.","norm":"Doch andere können nur durch Mäßigung und durch Entbehren unser eigen werden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":546,"orig":"So, ſagt man, ſey die Tugend, ſey die Liebe, Die ihr verwandt iſt.","norm":"So, sagt man, sei die Tugend, sei die Liebe, die ihr verwandt ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":547,"orig":"Das bedenke wohl!","norm":"Das bedenke wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":548,"orig":"Iſt dir’s erlaubt die Augen aufzuſchlagen?","norm":"Ist dir es erlaubt die Augen aufzuschlagen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":549,"orig":"Wagſt du’s umherzuſehn?","norm":"Wagst du es umherzusehen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":550,"orig":"Du biſt allein!","norm":"Du bist allein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":551,"orig":"Vernahmen dieſe Säulen was ſie ſprach?","norm":"Vernahmen diese Säulen was sie sprach?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":552,"orig":"Und haſt du Zeugen, dieſe ſtumme Zeugen Des höchſten Glücks zu fürchten?","norm":"Und hast du Zeugen, diese stumme Zeugen des höchsten Glücks zu fürchten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":553,"orig":"Es erhebt Die Sonne ſich des neuen Lebenstages, Der mit den vorigen ſich nicht vergleicht.","norm":"Es erhebt die Sonne sich des neuen Lebenstages, der mit den vorigen sich nicht vergleicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":554,"orig":"Hernieder ſteigend hebt die Göttinn ſchnell Den Sterblichen hinauf.","norm":"Herniedersteigend hebt die Göttin schnell den Sterblichen hinauf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":555,"orig":"Welch neuer Kreis Entdeckt ſich meinem Auge, welches Reich!","norm":"Welch neuer Kreis entdeckt sich meinem Auge, welches Reich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":556,"orig":"Wie köſtlich wird der heiße Wunſch belohnt!","norm":"Wie köstlich wird der heiße Wunsch belohnt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":557,"orig":"Ich träumte mich dem höchſten Glücke nah, Und dieſes Glück iſt über alle Träume.","norm":"Ich träumte mich dem höchsten Glücke nah, und dieses Glück ist über alle Träume."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":558,"orig":"Der Blindgeborne denke ſich das Licht, Die Farben wie er will, erſcheinet ihm Der neue Tag, iſt’s ihm ein neuer Sinn.","norm":"Der Blindgeborene denke sich das Licht, die Farben wie er will, erscheinet ihm Der neue Tag, ist es ihm ein neuer Sinn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":559,"orig":"Voll Muth und Ahndung, freudetrunken, ſchwankend Betret’ ich dieſe Bahn.","norm":"Voll Mut und Ahndung, freudetrunken, schwankend betrete ich diese Bahn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":560,"orig":"Du gibſt mir viel, Du gibſt, wie Erd’ und Himmel uns Geſchenke Mit vollen Händen übermäßig reichen, Und forderſt wieder, was von mir zu fordern Nur eine ſolche Gabe dich berechtigt.","norm":"Du gibst mir viel, Du gibst, wie Erde und Himmel uns Geschenke mit vollen Händen übermäßig reichen, und forderst wieder, was von mir zu fordern nur eine solche Gabe dich berechtigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":561,"orig":"Ich ſoll entbehren, ſoll mich mäßig zeigen, Und ſo verdienen, daß du mir vertrauſt.","norm":"Ich soll entbehren, soll mich mäßig zeigen, und so verdienen, dass du mir vertraust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":562,"orig":"Was that ich je, daß ſie mich wählen konnte?","norm":"Was tat ich je, dass sie mich wählen konnte?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":563,"orig":"Was ſoll ich thun, um ihrer werth zu ſeyn?","norm":"Was soll ich tun, um ihrer wert zu sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":564,"orig":"Sie konnte dir vertraun und dadurch biſt du’s.","norm":"Sie konnte dir vertrauen und dadurch bist du es."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":565,"orig":"Ja, Fürſtinn, deinen Worten, deinen Blicken Sey ewig meine Seele ganz geweiht!","norm":"Ja, Fürstin, deinen Worten, deinen Blicken Sei ewig meine Seele ganz geweiht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":566,"orig":"Ja, fordre was du willſt, denn ich bin dein!","norm":"Ja, fordre was du willst, denn ich bin dein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":567,"orig":"Sie ſende mich, Müh’ und Gefahr und Ruhm In fernen Landen aufzuſuchen, reiche Im ſtillen Hain die goldne Leyer mir, Sie weihe mich der Ruh’ und ihrem Preis:","norm":"Sie sende mich, Mühe und Gefahr und Ruhm in fernen Landen aufzusuchen, reiche im stillen Hain die goldene Leier mir, Sie weihe mich der Ruhe und ihrem Preis:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":568,"orig":"Ihr bin ich, bildend ſoll ſie mich beſitzen;","norm":"Ihr bin ich, bildend soll sie mich besitzen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":569,"orig":"Mein Herz bewahrte jeden Schatz für Sie.","norm":"Mein Herz bewahrte jeden Schatz für Sie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":570,"orig":"O hätt’ ein tauſendfaches Werkzeug mir Ein Gott gegönnt, kaum drückt’ ich dann genug Die unausſprechliche Verehrung aus.","norm":"O hätte ein tausendfaches Werkzeug mir ein Gott gegönnt, kaum drückte ich dann genug Die unaussprechliche Verehrung aus."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":571,"orig":"Des Mahlers Pinſel und des Dichters Lippe, Die ſüßeſte, die je von frühem Honig Genährt war, wünſcht’ ich mir.","norm":"Des Malers Pinsel und des Dichters Lippe, die süßeste, die je von frühem Honig genährt war, wünscht ich mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":572,"orig":"Nein, künftig ſoll Nicht Taſſo zwiſchen Bäumen, zwiſchen Menſchen Sich einſam, ſchwach und trübgeſinnt verlieren!","norm":"Nein, künftig soll nicht Tasso zwischen Bäumen, zwischen Menschen sich einsam, schwach und trübgesinnt verlieren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":573,"orig":"Er iſt nicht mehr allein, er iſt mit Dir. O daß die edelſte der Thaten ſich Hier ſichtbar vor mich ſtellte, rings umgeben Von gräßlicher Gefahr!","norm":"Er ist nicht mehr allein, er ist mit Dir O dass die edelste der Taten sich Hier sichtbar vor mich stellte, rings umgeben von grässlicher Gefahr!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":574,"orig":"Ich dränge zu Und wagte gern das Leben, das ich nun Von ihren Händen habe — forderte Die beſten Menſchen mir zu Freunden auf, Unmögliches mit einer edeln Schaar Nach Ihrem Wink und Willen zu vollbringen.","norm":"Ich dränge zu und wagte gern das Leben, das ich nun Von ihren Händen habe — forderte die besten Menschen mir zu Freunden auf, Unmögliches mit einer edlen Schar nach Ihrem Wink und Willen zu vollbringen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":575,"orig":"Voreiliger, warum verbarg dein Mund Nicht das was du empfandſt, bis du dich werth Und werther ihr zu Füßen legen konnteſt?","norm":"Voreiliger, warum verbarg dein Mund nicht das was du empfandst, bis du dich wert Und werter ihr zu Füßen legen konntest?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":576,"orig":"Das war dein Vorſatz, war dein kluger Wunſch.","norm":"Das war dein Vorsatz, war dein kluger Wunsch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":577,"orig":"Doch ſey es auch!","norm":"Doch sei es auch!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":578,"orig":"Viel ſchöner iſt es, rein Und unverdient ein ſolch Geſchenk empfangen, Als halb und halb zu wähnen, daß man wohl Es habe fordern dürfen.","norm":"Viel schöner ist es, rein und unverdient ein solch Geschenk empfangen, als halb und halb zu wähnen, dass man wohl Es habe fordern dürfen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":579,"orig":"Blicke freudig, Es iſt ſo groß, ſo weit, was vor dir liegt!","norm":"Blicke freudig, es ist so groß, so weit, was vor dir liegt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":580,"orig":"Und hoffnungsvolle Jugend lockt dich wieder In unbekannte, lichte Zukunft hin.","norm":"Und hoffnungsvolle Jugend lockt dich wieder In unbekannte, lichte Zukunft hin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":581,"orig":"— Schwelle Bruſt!","norm":"— Schwelle Brust!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":582,"orig":"— O Witterung des Glücks Begünſt’ge dieſe Pflanze doch einmal!","norm":"— O Witterung des Glücks Begünstige diese Pflanze doch einmal!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":583,"orig":"Sie ſtrebt gen Himmel, tauſend Zweige dringen Aus ihr hervor, entfalten ſich zu Blüthen.","norm":"Sie strebt gen Himmel, tausend Zweige dringen aus ihr hervor, entfalten sich zu Blüten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":584,"orig":"O daß ſie Frucht, o daß ſie Freuden bringe!","norm":"O dass sie Frucht, o dass sie Freuden bringe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":585,"orig":"Daß eine liebe Hand den goldnen Schmuck Aus ihren friſchen reichen Äſten breche!","norm":"Dass eine liebe Hand den goldenen Schmuck aus ihren frischen reichen Ästen breche!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":586,"orig":"Sey mir willkommen, den ich gleichſam jetzt Zum erſtenmal erblicke!","norm":"Sei mir willkommen, den ich gleichsam jetzt Zum ersten Mal erblicke!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":587,"orig":"Schöner ward Kein Mann mir angekündigt.","norm":"Schöner wurde kein Mann mir angekündigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":588,"orig":"Sey willkommen!","norm":"Sei willkommen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":589,"orig":"Dich kenn’ ich nun und deinen ganzen Werth, Dir biet’ ich ohne Zögern Herz und Hand, Und hoffe, daß auch du mich nicht verſchmähſt.","norm":"Dich kenne ich nun und deinen ganzen Wert, Dir biet ich ohne Zögern Herz und Hand, und hoffe, dass auch du mich nicht verschmähst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":590,"orig":"Freygebig bieteſt du mir ſchöne Gaben, Und ihren Werth erkenn’ ich wie ich ſoll, Drum laß mich zögern eh’ ich ſie ergreife.","norm":"Freigebig bietest du mir schöne Gaben, und ihren Wert erkenne ich wie ich soll, darum lass mich zögern ehe ich sie ergreife."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":591,"orig":"Weiß ich doch nicht, ob ich dir auch dagegen Ein gleiches geben kann.","norm":"Weiß ich doch nicht, ob ich dir auch dagegen Ein Gleiches geben kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":592,"orig":"Ich möchte gern Nicht übereilt und nicht undankbar ſcheinen:","norm":"Ich möchte gern nicht übereilt und nicht undankbar scheinen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":593,"orig":"Laß mich für beyde klug und ſorgſam ſeyn.","norm":"Lass mich für beide klug und sorgsam sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":594,"orig":"Wer wird die Klugheit tadeln?","norm":"Wer wird die Klugheit tadeln?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":595,"orig":"Jeder Schritt Des Lebens zeigt wie ſehr ſie nöthig ſey;","norm":"Jeder Schritt des Lebens zeigt wie sehr sie nötig sei;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":596,"orig":"Doch ſchöner iſt’s, wenn uns die Seele ſagt Wo wir der feinen Vorſicht nicht bedürfen.","norm":"Doch schöner ist es, wenn uns die Seele sagt wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":597,"orig":"Darüber frage jeder ſein Gemüth, Weil er den Fehler ſelbſt zu büßen hat.","norm":"Darüber frage jeder sein Gemüt, weil er den Fehler selbst zu büßen hat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":598,"orig":"So ſey’s!","norm":"So sei es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":599,"orig":"Ich habe meine Pflicht gethan, Der Fürſtinn Wort, die uns zu Freunden wünſcht, Hab’ ich verehrt und mich dir vorgeſtellt.","norm":"Ich habe meine Pflicht getan, der Fürstin Wort, die uns zu Freunden wünscht, Habe ich verehrt und mich dir vorgestellt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":600,"orig":"Rückhalten durft’ ich nicht, Antonio; doch gewiß, Zudringen will ich nicht.","norm":"Rückhalten durfte ich nicht, Antonio; doch gewiss, Zudringen will ich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":601,"orig":"Es mag denn ſeyn.","norm":"Es mag denn sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":602,"orig":"Zeit und Bekanntſchaft heißen dich vielleicht Die Gabe wärmer fodern, die du jetzt So kalt bey Seite lehnſt und faſt verſchmähſt.","norm":"Zeit und Bekanntschaft heißen dich vielleicht die Gabe wärmer fordern, die du jetzt So kalt bei Seite lehnst und fast verschmähst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":603,"orig":"Der Mäßige wird öfters kalt genannt Von Menſchen, die ſich warm vor andern glauben, Weil ſie die Hitze fliegend überfällt.","norm":"Der Mäßige wird öfters kalt genannt von Menschen, die sich warm vor anderen glauben, weil sie die Hitze fliegend überfällt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":604,"orig":"Du tadelſt was ich tadle, was ich meide.","norm":"Du tadelst was ich tadle, was ich meide."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":605,"orig":"Auch ich verſtehe wohl, ſo jung ich bin, Der Heftigkeit die Dauer vorzuziehn.","norm":"Auch ich verstehe wohl, so jung ich bin, der Heftigkeit die Dauer vorzuziehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":606,"orig":"Sehr weislich!","norm":"Sehr weislich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":607,"orig":"Bleibe ſtets auf dieſem Sinne.","norm":"Bleibe stets auf diesem Sinne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":608,"orig":"Du biſt berechtigt mir zu rathen, mich Zu warnen, denn es ſteht Erfahrung die Als lang’ erprobte Freundinn an der Seite.","norm":"Du bist berechtigt mir zu raten, mich Zu warnen, denn es steht Erfahrung dir Als lang erprobte Freundin an der Seite."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":609,"orig":"Doch glaube nur, es horcht ein ſtilles Herz Auf jedes Tages, jeder Stunde Warnung, Und übt ſich ingeheim an jedem Guten, Das deine Strenge neu zu lehren glaubt.","norm":"Doch glaube nur, es horcht ein stilles Herz auf jedes Tages, jeder Stunde Warnung, und übt sich insgeheim an jedem Guten, das deine Strenge neu zu lehren glaubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":610,"orig":"Es iſt wohl angenehm, ſich mit ſich ſelbſt Beſchäft’gen, wenn es nur ſo nützlich wäre.","norm":"Es ist wohl angenehm, sich mit sich selbst Beschäftigen, wenn es nur so nützlich wäre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":611,"orig":"Inwendig lernt kein Menſch ſein Innerſtes Erkennen.","norm":"Inwendig lernt kein Mensch sein innerstes Erkennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":612,"orig":"Denn er mißt nach eignem Maß Sich bald zu klein und leider oft zu groß.","norm":"Denn er misst nach eigenem Maß sich bald zu klein und leider oft zu groß."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":613,"orig":"Der Menſch erkennt ſich nur im Menſchen, nur Das Leben lehret jedem was er ſey.","norm":"Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur das Leben lehrt jedem was er sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":614,"orig":"Mit Beyfall und Verehrung hör’ ich dich.","norm":"Mit Beifall und Verehrung höre ich dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":615,"orig":"Und dennoch denkſt du wohl bey dieſen Worten Ganz etwas anders, als ich ſagen will.","norm":"Und dennoch denkst du wohl bei diesen Worten ganz etwas anders, als ich sagen will."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":616,"orig":"Auf dieſe Weiſe rücken wir nicht näher.","norm":"Auf diese Weise rücken wir nicht näher."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":617,"orig":"Es iſt nicht klug, es iſt nicht wohl gethan, Vorſetzlich einen Menſchen zu verkennen, Er ſey auch wer er ſey.","norm":"Es ist nicht klug, es ist nicht wohl getan, vorsätzlich einen Menschen zu verkennen, er sei auch wer er sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":618,"orig":"Der Fürſtinn Wort Bedurft’ es kaum, leicht hab’ ich dich erkannt:","norm":"Der Fürstin Wort bedurft es kaum, leicht habe ich dich erkannt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":619,"orig":"Ich weiß, daß du das Gute willſt und ſchaffſt.","norm":"Ich weiß, dass du das Gute willst und schaffst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":620,"orig":"Dein eigen Schickſal läßt dich unbeſorgt, An Andre denkſt du, Andern ſtehſt du bey, Und auf des Lebens leicht bewegter Woge Bleibt dir ein ſtetes Herz.","norm":"Dein eigen Schicksal lässt dich unbesorgt, an Andere denkst du, Anderen stehst du bei, und auf des Lebens leicht bewegter Woge bleibt dir ein stetes Herz."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":621,"orig":"So ſeh’ ich dich:","norm":"So sehe ich dich:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":622,"orig":"Und was wär’ ich, ging ich dir nicht entgegen?","norm":"Und was wäre ich, ging ich dir nicht entgegen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":623,"orig":"Sucht’ ich begierig nicht auch einen Theil An dem verſchloßnen Schatz, den du bewahrſt?","norm":"Sucht ich begierig nicht auch einen Teil an dem verschlossenen Schatz, den du bewahrst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":624,"orig":"Ich weiß, es reut dich nicht, wenn du dich öffneſt;","norm":"Ich weiß, es reut dich nicht, wenn du dich öffnest;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":625,"orig":"Ich weiß, du biſt mein Freund, wenn du mich kennſt:","norm":"Ich weiß, du bist mein Freund, wenn du mich kennst:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":626,"orig":"Und eines ſolchen Freunds bedurft’ ich lange.","norm":"Und eines solchen Freunds bedurft ich lange."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":627,"orig":"Ich ſchäme mich der Unerfahrenheit Und meiner Jugend nicht.","norm":"Ich schäme mich der Unerfahrenheit und meiner Jugend nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":628,"orig":"Still ruhet noch Der Zukunft goldne Wolke mir um’s Haupt.","norm":"Still ruhet noch der Zukunft goldene Wolke mir um das Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":629,"orig":"O nimm mich, edler Mann, an deine Bruſt, Und weihe mich, den Raſchen, Unerfahrnen, Zum mäßigen Gebrauch des Lebens ein.","norm":"O nimm mich, edler Mann, an deine Brust, und weihe mich, den Raschen, Unerfahrenen, zum mäßigen Gebrauch des Lebens ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":630,"orig":"In Einem Augenblicke forderſt du, Was wohlbedächtig nur die Zeit gewährt.","norm":"In einem Augenblicke forderst du, was wohlbedächtig nur die Zeit gewährt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":631,"orig":"In Einem Augenblick gewährt die Liebe, Was Mühe kaum in langer Zeit erreicht.","norm":"In einem Augenblick gewährt die Liebe, was Mühe kaum in langer Zeit erreicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":632,"orig":"Ich bitt’ es nicht von dir, ich darf es fodern.","norm":"Ich bitte es nicht von dir, ich darf es fordern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":633,"orig":"Dich ruf’ ich in der Tugend Namen auf, Die gute Menſchen zu verbinden eifert.","norm":"Dich Ruf ich in der Tugend Namen auf, die gute Menschen zu verbinden eifert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":634,"orig":"Und ſoll ich dir noch einen Namen nennen?","norm":"Und soll ich dir noch einen Namen nennen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":635,"orig":"Die Fürſtinn hofft’s, Sie will’s — Eleonore, Sie will mich zu dir führen, dich zu mir.","norm":"Die Fürstin hofft es, Sie will es — Eleonore, Sie will mich zu dir führen, dich zu mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":636,"orig":"O laß uns ihrem Wunſch entgegen gehn!","norm":"O lass uns ihrem Wunsch entgegengehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":637,"orig":"Laß uns verbunden vor die Göttinn treten, Ihr unſern Dienſt, die ganze Seele biethen, Vereint für ſie das Würdigſte zu thun.","norm":"Lass uns verbunden vor die Göttin treten, Ihr unseren Dienst, die ganze Seele bieten, vereint für sie das Würdigste zu tun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":638,"orig":"Noch einmal!","norm":"Noch einmal!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":639,"orig":"— Hier iſt meine Hand!","norm":"— Hier ist meine Hand!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":640,"orig":"Schlag’ ein!","norm":"Schlag ein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":641,"orig":"Tritt nicht zurück und weigre dich nicht länger, O edler Mann, und gönne mir die Wolluſt, Die ſchönſte guter Menſchen, ſich dem Beſſern Vertrauend ohne Rückhalt hinzugeben!","norm":"Tritt nicht zurück und weigre dich nicht länger, O edler Mann, und gönne mir die Wollust, die schönste guter Menschen, sich dem Besseren vertrauend ohne Rückhalt hinzugeben!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":642,"orig":"Du gehſt mit vollen Segeln!","norm":"Du gehst mit vollen Segeln!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":643,"orig":"Scheint es doch, Du biſt gewohnt zu ſiegen, überall Die Wege breit, die Pforten weit zu finden.","norm":"Scheint es doch, Du bist gewohnt zu siegen, überall die Wege breit, die Pforten weit zu finden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":644,"orig":"Ich gönne jeden Werth und jedes Glück Dir gern, allein ich ſehe nur zu ſehr, Wir ſtehn zu weit noch von einander ab.","norm":"Ich gönne jeden Wert und jedes Glück Dir gern, allein ich sehe nur zu sehr, wir stehen zu weit noch voneinander ab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":645,"orig":"Es ſey an Jahren, an geprüftem Werth:","norm":"Es sei an Jahren, an geprüftem Wert:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":646,"orig":"An frohem Muth und Willen weich’ ich keinem.","norm":"An frohem Mut und Willen weich ich keinem."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":647,"orig":"Der Wille lockt die Thaten nicht herbey;","norm":"Der Wille lockt die Taten nicht herbei;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":648,"orig":"Der Muth ſtellt ſich die Wege kürzer vor.","norm":"Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":649,"orig":"Wer angelangt am Ziel iſt, wird gekrönt, Und oft entbehrt ein Würd’ger eine Krone.","norm":"Wer angelangt am Ziel ist, wird gekrönt, und oft entbehrt ein Würdiger eine Krone."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":650,"orig":"Doch gibt es leichte Kränze, Kränze gibt es Von ſehr verſchiedner Art, ſie laſſen ſich Oft im Spazierengehn bequem erreichen.","norm":"Doch gibt es leichte Kränze, Kränze gibt es Von sehr verschiedener Art, sie lassen sich Oft im Spazierengehen bequem erreichen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":651,"orig":"Was eine Gottheit dieſem frey gewährt Und jenem ſtreng verſagt, ein ſolches Gut Erreicht nicht jeder wie er will und mag.","norm":"Was eine Gottheit diesem frei gewährt Und jenem streng versagt, ein solches Gut erreicht nicht jeder wie er will und mag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":652,"orig":"Schreib’ es dem Glück vor andern Göttern zu, So hör’ ich’s gern, denn ſeine Wahl iſt blind.","norm":"Schreibe es dem Glück vor anderen Göttern zu, so höre ich es gern, denn seine Wahl ist blind."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":653,"orig":"Auch die Gerechtigkeit trägt eine Binde Und ſchließt die Augen jedem Blendwerk zu.","norm":"Auch die Gerechtigkeit trägt eine Binde und schließt die Augen jedem Blendwerk zu."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":654,"orig":"Das Glück erhebe billig der Beglückte!","norm":"Das Glück erhebe billig der Beglückte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":655,"orig":"Er dicht’ ihm hundert Augen für’s Verdienſt Und kluge Wahl und ſtrenge Sorgfalt an, Nenn’ es Minerva, nenn’ es wie er will, Er halte gnädiges Geſchenk für Lohn, Zufälligen Putz für wohlverdienten Schmuck.","norm":"Er dicht ihm hundert Augen fürs Verdienst und kluge Wahl und strenge Sorgfalt an, Nenne es Minerva, nenne es wie er will, er halte gnädiges Geschenk für Lohn, zufälligen Putz für wohlverdienten Schmuck."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":656,"orig":"Du brauchſt nicht deutlicher zu ſeyn.","norm":"Du brauchst nicht deutlicher zu sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":657,"orig":"Es iſt genug!","norm":"Es ist genug!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":658,"orig":"Ich blicke tief dir in das Herz und kenne Für’s ganze Leben dich.","norm":"Ich blicke tief dir in das Herz und kenne fürs ganze Leben dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":659,"orig":"O kennte ſo Dich meine Fürſtinn auch!","norm":"O kennte so Dich meine Fürstin auch!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":660,"orig":"Verſchwende nicht Die Pfeile deiner Augen, deiner Zunge!","norm":"Verschwende nicht die Pfeile deiner Augen, deiner Zunge!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":661,"orig":"Du richteſt ſie vergebens nach dem Kranze, Dem unverwelklichen, auf meinem Haupt.","norm":"Du richtest sie vergebens nach dem Kranze, dem unverwelklichen, auf meinem Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":662,"orig":"Sey erſt ſo groß, mir ihn nicht zu beneiden!","norm":"Sei erst so groß, mir ihn nicht zu beneiden!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":663,"orig":"Dann darfſt du mir vielleicht ihn ſtreitig machen.","norm":"Dann darfst du mir vielleicht ihn streitig machen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":664,"orig":"Ich acht’ ihn heilig und das höchſte Gut:","norm":"Ich acht ihn heilig und das höchste Gut:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":665,"orig":"Doch zeige mir den Mann, der das erreicht, Wornach ich ſtrebe, zeige mir den Helden, Von dem mir die Geſchichten nur erzählten;","norm":"Doch zeige mir den Mann, der das erreicht, Wornach ich strebe, zeige mir den Helden, von dem mir die Geschichten nur erzählten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":666,"orig":"Den Dichter ſtell’ mir vor, der ſich Homeren, Virgilen ſich vergleichen darf, ja, was Noch mehr geſagt iſt, zeige mir den Mann, Der dreyfach dieſen Lohn verdiente, den Die ſchöne Krone dreyfach mehr als mich Beſchämte: dann ſollſt du mich knieend ſehn Vor jener Gottheit, die mich ſo begabte;","norm":"Den Dichter stelle mir vor, der sich Homer, Virgil sich vergleichen darf, ja, was Noch mehr gesagt ist, zeige mir den Mann, der dreifach diesen Lohn verdiente, den Die schöne Krone dreifach mehr als mich Beschämte: dann sollst du mich kniend sehen vor jener Gottheit, die mich so begabte;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":667,"orig":"Nicht eher ſtünd’ ich auf, bis ſie die Zierde Von meinem Haupt auf ſeins hinüber drückte.","norm":"Nicht eher stünde ich auf, bis sie die Zierde von meinem Haupt auf seins hinüber drückte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":668,"orig":"Bis dahin bleibſt du freylich ihrer werth.","norm":"Bis dahin bleibst du freilich ihrer wert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":669,"orig":"Man wäge mich, das will ich nicht vermeiden, Allein Verachtung hab’ ich nicht verdient.","norm":"Man wäge mich, das will ich nicht vermeiden, allein Verachtung habe ich nicht verdient."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":670,"orig":"Die Krone, der mein Fürſt mich würdig achtete, Die meiner Fürſtinn Hand für mich gewunden, Soll keiner mir bezweifeln noch begrinſen!","norm":"Die Krone, der mein Fürst mich würdig achtete, die meiner Fürstin Hand für mich gewunden, Soll keiner mir bezweifeln noch begrinsen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":671,"orig":"Es ziemt der hohe Ton, die raſche Glut Nicht dir zu mir, noch dir an dieſem Orte.","norm":"Es ziemt der hohe Ton, die rasche Glut nicht dir zu mir, noch dir an diesem Orte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":672,"orig":"Was du dir hier erlaubſt, das ziemt auch mir.","norm":"Was du dir hier erlaubst, das ziemt auch mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":673,"orig":"Und iſt die Wahrheit wohl von hier verbannt?","norm":"Und ist die Wahrheit wohl von hier verbannt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":674,"orig":"Iſt im Pallaſt der freye Geiſt gekerkert?","norm":"Ist im Palast der freie Geist gekerkert?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":675,"orig":"Hat hier ein edler Menſch nur Druck zu dulden?","norm":"Hat hier ein edler Mensch nur Druck zu dulden?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":676,"orig":"Mich dünkt hier iſt die Hoheit erſt an ihrem Platz, Der Seele Hoheit!","norm":"Mich dünkt hier ist die Hoheit erst an ihrem Platz, der Seele Hoheit!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":677,"orig":"Darf ſie ſich der Nähe Der Großen dieſer Erde nicht erfreun?","norm":"Darf sie sich der Nähe der Großen dieser Erde nicht erfreuen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":678,"orig":"Sie darf’s und ſoll’s.","norm":"Sie darf es und soll es."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":679,"orig":"Wir nahen uns dem Fürſten Durch Adel nur, der uns von Vätern kam;","norm":"Wir nahen uns dem Fürsten durch Adel nur, der uns von Vätern kam;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":680,"orig":"Warum nicht durch’s Gemüth, das die Natur Nicht jedem groß verlieh, wie ſie nicht jedem Die Reihe großer Ahnherrn geben konnte.","norm":"Warum nicht durchs Gemüt, das die Natur nicht jedem groß verlieh, wie sie nicht jedem die Reihe großer Ahnherrn geben konnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":681,"orig":"Nur Kleinheit ſollte hier ſich ängſtlich fühlen, Der Neid, der ſich zu ſeiner Schande zeigt:","norm":"Nur Kleinheit sollte hier sich ängstlich fühlen, der Neid, der sich zu seiner Schande zeigt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":682,"orig":"Wie keiner Spinne ſchmutziges Gewebe An dieſen Marmorwänden haften ſoll.","norm":"Wie keiner Spinne schmutziges Gewebe an diesen Marmorwänden haften soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":683,"orig":"Du zeigſt mir ſelbſt mein Recht dich zu verſchmähn!","norm":"Du zeigst mir selbst mein Recht dich zu verschmähen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":684,"orig":"Der übereilte Knabe will des Mann’s Vertraun und Freundſchaft mit Gewalt ertrotzen?","norm":"Der übereilte Knabe will des Manns Vertrauen und Freundschaft mit Gewalt ertrotzen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":685,"orig":"Unſittlich wie du biſt hältſt du dich gut?","norm":"Unsittlich wie du bist hältst du dich gut?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":686,"orig":"Viel lieber was ihr euch unſittlich nennt, Als was ich mir unedel nennen müßte.","norm":"Viel lieber was ihr euch unsittlich nennt, als was ich mir unedel nennen müsste."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":687,"orig":"Du biſt noch jung genug, daß gute Zucht Dich eines beſſern Wegs belehren kann.","norm":"Du bist noch jung genug, dass gute Zucht Dich eines besseren Wegs belehren kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":688,"orig":"Nicht jung genug, vor Götzen mich zu neigen, Und Trotz mit Trotz zu bänd’gen, alt genug.","norm":"Nicht jung genug, vor Götzen mich zu neigen, und Trotz mit Trotz zu bändigen, alt genug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":689,"orig":"Wo Lippenſpiel und Saitenſpiel entſcheiden, Ziehſt du als Held und Sieger wohl davon.","norm":"Wo Lippenspiel und Saitenspiel entscheiden, ziehst du als Held und Sieger wohl davon."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":690,"orig":"Verwegen wär’ es meine Fauſt zu rühmen, Denn ſie hat nichts gethan, doch ich vertrau’ ihr.","norm":"Verwegen wäre es meine Faust zu rühmen, denn sie hat nichts getan, doch ich vertraue ihr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":691,"orig":"Du trauſt auf Schonung, die dich nur zu ſehr Im frechen Laufe deines Glücks verzog.","norm":"Du traust auf Schonung, die dich nur zu sehr Im frechen Laufe deines Glücks verzog."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":692,"orig":"Daß ich erwachſen bin, das fühl’ ich nun;","norm":"Dass ich erwachsen bin, das fühle ich nun;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":693,"orig":"Mit dir am wenigſten hätt’ ich gewünſcht Das Wageſpiel der Waffen zu verſuchen:","norm":"Mit dir am wenigsten hätte ich gewünscht Das Wagespiel der Waffen zu versuchen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":694,"orig":"Allein du ſchüreſt Glut auf Glut, es kocht Das inn’re Mark, die ſchmerzliche Begier Der Rache ſiedet ſchäumend in der Bruſt.","norm":"Allein du schürest Glut auf Glut, es kocht das innere Mark, die schmerzliche Begier der Rache siedet schäumend in der Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":695,"orig":"Biſt du der Mann der du dich rühmſt, ſo ſteh’ mir.","norm":"Bist du der Mann der du dich rühmst, so stehe mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":696,"orig":"Du weißt ſo wenig wer, als wo du biſt.","norm":"Du weißt so wenig wer, als wo du bist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":697,"orig":"Kein Heiligthum heißt uns den Schimpf ertragen.","norm":"Kein Heiligtum heißt uns den Schimpf ertragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":698,"orig":"Du läſterſt, du entweiheſt dieſen Ort, Nicht ich, der ich Vertraun, Verehrung, Liebe, Das ſchönſte Opfer, dir entgegen trug.","norm":"Du lästerst, du entweihest diesen Ort, nicht ich, der ich Vertrauen, Verehrung, Liebe, das schönste Opfer, dir entgegentrug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":699,"orig":"Dein Geiſt verunreint dieſes Paradies Und deine Worte dieſen reinen Saal, Nicht meines Herzens ſchwellendes Gefühl, Das brauſ’t, den kleinſten Flecken nicht zu leiden.","norm":"Dein Geist verunreinigt dieses Paradies und deine Worte diesen reinen Saal, nicht meines Herzens schwellendes Gefühl, das braust, den kleinsten Flecken nicht zu leiden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":700,"orig":"Welch hoher Geiſt in einer engen Bruſt!","norm":"Welch hoher Geist in einer engen Brust!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":701,"orig":"Hier iſt noch Raum dem Buſen Luft zu machen.","norm":"Hier ist noch Raum dem Busen Luft zu machen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":702,"orig":"Es macht das Volk ſich auch mit Worten Luft.","norm":"Es macht das Volk sich auch mit Worten Luft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":703,"orig":"Biſt du ein Edelmann wie ich, ſo zeig’ es.","norm":"Bist du ein Edelmann wie ich, so zeige es."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":704,"orig":"Ich bin es wohl, doch weiß ich wo ich bin.","norm":"Ich bin es wohl, doch weiß ich wo ich bin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":705,"orig":"Komm mit herab, wo unſre Waffen gelten.","norm":"Komme mit herab, wo unsere Waffen gelten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":706,"orig":"Wie du nicht fordern ſollteſt, folg’ ich nicht.","norm":"Wie du nicht fordern solltest, folge ich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":707,"orig":"Der Feigheit iſt ſolch Hinderniß willkommen.","norm":"Der Feigheit ist solch Hindernis willkommen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":708,"orig":"Der Feige droht nur, wo er ſicher iſt.","norm":"Der Feige droht nur, wo er sicher ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":709,"orig":"Mit Freuden kann ich dieſem Schutz entſagen.","norm":"Mit Freuden kann ich diesem Schutz entsagen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":710,"orig":"Vergib dir nur, dem Ort vergibſt du nichts.","norm":"Vergib dir nur, dem Ort vergibst du nichts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":711,"orig":"Verzeihe mir der Ort daß ich es litt.","norm":"Verzeihe mir der Ort dass ich es litt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":712,"orig":"Zieh’ oder folge, wenn ich nicht auf ewig, Wie ich dich haſſe, dich verachten ſoll.","norm":"Zieh oder folge, wenn ich nicht auf ewig, wie ich dich hasse, dich verachten soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":713,"orig":"In welchem Streit treff’ ich euch unerwartet?","norm":"In welchem Streit treffe ich euch unerwartet?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":714,"orig":"Du findeſt mich, o Fürſt, gelaſſen ſtehn Vor einem, den die Wuth ergriffen hat.","norm":"Du findest mich, o Fürst, gelassen stehen vor einem, den die Wut ergriffen hat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":715,"orig":"Ich bethe dich als eine Gottheit an, Daß du mit Einem Blick mich warnend bändigſt.","norm":"Ich bete dich als eine Gottheit an, dass du mit einem Blick mich warnend bändigst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":716,"orig":"Erzähl’, Antonio, Taſſo, ſag’ mir an, Wie hat der Zwiſt ſich in mein Haus gedrungen?","norm":"Erzähle, Antonio, Tasso, sage mir an, wie hat der Zwist sich in mein Haus gedrungen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":717,"orig":"Wie hat er euch ergriffen, von der Bahn Der Sitten, der Geſetze kluge Männer Im Taumel weggeriſſen?","norm":"Wie hat er euch ergriffen, von der Bahn der Sitten, der Gesetze kluge Männer im Taumel weggerissen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":718,"orig":"Ich erſtaune.","norm":"Ich erstaune."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":719,"orig":"Du kennſt uns beyde nicht, ich glaub’ es wohl:","norm":"Du kennst uns beide nicht, ich glaube es wohl:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":720,"orig":"Hier dieſer Mann, berühmt als klug und ſittlich, Hat roh und hämiſch, wie ein unerzogner, Unedler Menſch ſich gegen mich betragen.","norm":"Hier dieser Mann, berühmt als klug und sittlich, hat roh und hämisch, wie ein unerzogener, unedler Mensch sich gegen mich betragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":721,"orig":"Zutraulich naht’ ich ihm, er ſtieß mich weg;","norm":"Zutraulich naht ich ihm, er stieß mich weg;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":722,"orig":"Beharrlich liebend drang ich mich zu ihm, Und bitter, immer bitt’rer ruht’ er nicht, Bis er den reinſten Tropfen Bluts in mir Zu Galle wandelte.","norm":"Beharrlich liebend drang ich mich zu ihm, und bitter, immer bittrer ruhte er nicht, bis er den reinsten Tropfen Bluts in mir zu Galle wandelte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":723,"orig":"Verzeih’!","norm":"Verzeih!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":724,"orig":"Du haſt mich hier Als einen Wüthenden getroffen.","norm":"Du hast mich hier Als einen Wütenden getroffen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":725,"orig":"Dieſer Hat alle Schuld, wenn ich mich ſchuldig machte.","norm":"Dieser Hat alle Schuld, wenn ich mich schuldig machte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":726,"orig":"Er hat die Glut gewaltſam angefacht, Die mich ergriff und mich und ihn verletzte.","norm":"Er hat die Glut gewaltsam angefacht, die mich ergriff und mich und ihn verletzte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":727,"orig":"Ihn riß der hohe Dichterſchwung hinweg!","norm":"Ihn riss der hohe Dichterschwung hinweg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":728,"orig":"Du haſt, o Fürſt, zuerſt mich angeredet, Haſt mich gefragt: es ſey mir nun erlaubt, Nach dieſem raſchen Redner auch zu ſprechen.","norm":"Du hast, o Fürst, zuerst mich angeredet, Hast mich gefragt: Es sei mir nun erlaubt, nach diesem raschen Redner auch zu sprechen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":729,"orig":"O ja, erzähl’, erzähl’ von Wort zu Wort, Und kannſt du jede Sylbe, jede Miene Vor dieſen Richter ſtellen, wag’ es nur!","norm":"O ja, erzähle, erzähle von Wort zu Wort, und kannst du jede Silbe, jede Miene vor diesen Richter stellen, wage es nur!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":730,"orig":"Beleidige dich ſelbſt zum zweytenmale, Und zeuge wider dich!","norm":"Beleidige dich selbst zum zweiten Mal, und zeuge wider dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":731,"orig":"dagegen will Ich keinen Hauch und keinen Pulsſchlag läugnen.","norm":"dagegen will Ich keinen Hauch und keinen Pulsschlag leugnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":732,"orig":"Wenn du noch mehr zu reden haſt, ſo ſprich:","norm":"Wenn du noch mehr zu reden hast, so sprich:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":733,"orig":"Wo nicht, ſo ſchweig’ und unterbrich mich nicht.","norm":"Wo nicht, so schweige und unterbrich mich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":734,"orig":"Ob ich, mein Fürſt, ob dieſer heiße Kopf Den Streit zuerſt begonnen?","norm":"Ob ich, mein Fürst, ob dieser heiße Kopf den Streit zuerst begonnen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":735,"orig":"wer es ſey, Der Unrecht hat?","norm":"wer es sei, der Unrecht hat?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":736,"orig":"iſt eine weite Frage, Die wohl zuvörderſt noch auf ſich beruht.","norm":"ist eine weite Frage, die wohl zuvörderst noch auf sich beruht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":737,"orig":"Wie das?","norm":"Wie das?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":738,"orig":"Mich dünkt, das iſt die erſte Frage, Wer von uns beyden Recht und Unrecht hat.","norm":"Mich dünkt, das ist die erste Frage, wer von uns beiden Recht und Unrecht hat."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":739,"orig":"Nicht ganz, wie ſich’s der unbegränzte Sinn Gedenken mag.","norm":"Nicht ganz, wie sich es der unbegrenzte Sinn Gedenken mag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":740,"orig":"Antonio!","norm":"Antonio!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":741,"orig":"Gnädigſter, Ich ehre deinen Wink, doch laß ihn ſchweigen;","norm":"Gnädigster, Ich ehre deinen Wink, doch lass ihn schweigen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":742,"orig":"Hab’ ich geſprochen, mag er weiter reden;","norm":"Habe ich gesprochen, mag er weiter reden;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":743,"orig":"Du wirſt entſcheiden.","norm":"Du wirst entscheiden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":744,"orig":"Alſo ſag’ ich nur:","norm":"Also sage ich nur:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":745,"orig":"Ich kann mit ihm nicht rechten, kann ihn weder Verklagen, noch mich ſelbſt vertheid’gen, noch Ihm jetzt genug zu thun mich anerbiethen.","norm":"Ich kann mit ihm nicht rechten, kann ihn weder Verklagen, noch mich selbst verteidigen, noch ihm jetzt genug zu tun mich anerbieten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":746,"orig":"Denn wie er ſteht, iſt er kein freyer Mann.","norm":"Denn wie er steht, ist er kein freier Mann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":747,"orig":"Es waltet über ihm ein ſchwer Geſetz, Das deine Gnade höchſtens lindern wird.","norm":"Es waltet über ihm ein schwer Gesetz, das deine Gnade höchstens lindern wird."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":748,"orig":"Er hat mir hier gedroht, hat mich gefodert;","norm":"Er hat mir hier gedroht, hat mich gefordert;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":749,"orig":"Vor dir verbarg er kaum das nackte Schwert.","norm":"Vor dir verbarg er kaum das nackte Schwert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":750,"orig":"Und tratſt du, Herr, nicht zwiſchen uns herein, So ſtünde jetzt auch ich als pflichtvergeſſen, Mitſchuldig und beſchämt vor deinem Blick.","norm":"Und tratst du, Herr, nicht zwischen uns herein, so stünde jetzt auch ich als pflichtvergessen, Mitschuldig und beschämt vor deinem Blick."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":751,"orig":"Du haſt nicht wohl gethan.","norm":"Du hast nicht wohl getan."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":752,"orig":"Mich ſpricht, o Herr, Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey.","norm":"Mich spricht, o Herr, Mein eigen Herz, gewiss auch deines frei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":753,"orig":"Ja, es iſt wahr, ich drohte, forderte, Ich zog.","norm":"Ja, es ist wahr, ich drohte, forderte, Ich zog."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":754,"orig":"Allein, wie tückiſch ſeine Zunge Mit wohlgewählten Worten mich verletzt, Wie ſcharf und ſchnell ſein Zahn das feine Gift Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber Nur mehr und mehr erhitzt — Du denkſt es nicht!","norm":"Allein, wie tückisch seine Zunge mit wohlgewählten Worten mich verletzt, wie scharf und schnell sein Zahn das feine Gift mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber nur mehr und mehr erhitzt — Du denkst es nicht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":755,"orig":"Gelaſſen, kalt, hat er mich ausgehalten, Auf’s höchſte mich getrieben.","norm":"Gelassen, kalt, hat er mich ausgehalten, aufs höchste mich getrieben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":756,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":757,"orig":"du kennſt, Du kennſt ihn nicht und wirſt ihn niemals kennen!","norm":"du kennst, Du kennst ihn nicht und wirst ihn niemals kennen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":758,"orig":"Ich trug ihm warm die ſchönſte Freundſchaft an;","norm":"Ich trug ihm warm die schönste Freundschaft an;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":759,"orig":"Er warf mir meine Gaben vor die Füße;","norm":"Er warf mir meine Gaben vor die Füße;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":760,"orig":"Und hätte meine Seele nicht geglüht, So war ſie deiner Gnade, deines Dienſtes Auf ewig unwerth.","norm":"Und hätte meine Seele nicht geglüht, so war sie deiner Gnade, deines Dienstes auf ewig unwert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":761,"orig":"Hab’ ich des Geſetzes Und dieſes Orts vergeſſen, ſo verzeih, Auf keinem Boden darf ich niedrig ſeyn, Erniedrigung auf keinem Boden dulden.","norm":"Habe ich des Gesetzes und dieses Orts vergessen, so verzeih, auf keinem Boden darf ich niedrig sein, Erniedrigung auf keinem Boden dulden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":762,"orig":"Wenn dieſes Herz, es ſey auch wo es will, Dir fehlt und ſich, dann ſtrafe, dann verſtoße, Und laß mich nie dein Auge wiederſehn.","norm":"Wenn dieses Herz, es sei auch wo es will, Dir fehlt und sich, dann strafe, dann verstoße, und lass mich nie dein Auge wiedersehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":763,"orig":"Wie leicht der Jüngling ſchwere Laſten trägt Und Fehler wie den Staub vom Kleide ſchüttelt!","norm":"Wie leicht der Jüngling schwere Lasten trägt und Fehler wie den Staub vom Kleide schüttelt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":764,"orig":"Es wäre zu verwundern, wenn die Zauberkraft Der Dichtung nicht bekannter wäre, die Mit dem Unmöglichen ſo gern ihr Spiel Zu treiben liebt.","norm":"Es wäre zu verwundern, wenn die Zauberkraft der Dichtung nicht bekannter wäre, die Mit dem Unmöglichen so gern ihr Spiel zu treiben liebt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":765,"orig":"Ob du auch ſo, mein Fürſt, Ob alle deine Diener dieſe That So unbedeutend halten, zweifl’ ich faſt.","norm":"Ob du auch so, mein Fürst, ob alle deine Diener diese Tat so unbedeutend halten, zweifle ich fast."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":766,"orig":"Die Majeſtät verbreitet ihren Schutz Auf jeden, der ſich ihr wie einer Gottheit Und ihrer unverletzten Wohnung naht.","norm":"Die Majestät verbreitet ihren Schutz auf jeden, der sich ihr wie einer Gottheit und ihrer unverletzten Wohnung naht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":767,"orig":"Wie an dem Fuße des Altars, bezähmt Sich auf der Schwelle jede Leidenſchaft.","norm":"Wie an dem Fuße des Altars, bezähmt sich auf der Schwelle jede Leidenschaft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":768,"orig":"Da blinkt kein Schwert, da fällt kein drohend Wort, Da fordert ſelbſt Beleid’gung keine Rache.","norm":"Da blinkt kein Schwert, da fällt kein drohend Wort, da fordert selbst Beleidigung keine Rache."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":769,"orig":"Es bleibt das weite Feld ein offner Raum Für Grimm und Unverſöhnlichkeit genug.","norm":"Es bleibt das weite Feld ein offener Raum für Grimm und Unversöhnlichkeit genug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":770,"orig":"Dort wird kein Feiger drohn, kein Mann wird fliehn.","norm":"Dort wird kein Feiger drohen, kein Mann wird fliehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":771,"orig":"Hier dieſe Mauern haben deine Väter Auf Sicherheit gegründet, ihrer Würde Ein Heiligthum befeſtigt, dieſe Ruhe Mit ſchweren Strafen ernſt und klug erhalten;","norm":"Hier diese Mauern haben deine Väter auf Sicherheit gegründet, ihrer Würde ein Heiligtum befestigt, diese Ruhe mit schweren Strafen ernst und klug erhalten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":772,"orig":"Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schuldigen.","norm":"Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schuldigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":773,"orig":"Da war kein Anſehn der Perſon, es hielt Die Milde nicht den Arm des Rechts zurück;","norm":"Da war kein Ansehen der Person, es hielt die milde nicht den Arm des Rechts zurück;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":774,"orig":"Und ſelbſt der Frevler fühlte ſich geſchreckt.","norm":"Und selbst der Frevler fühlte sich geschreckt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":775,"orig":"Nun ſehen wir nach langem ſchönem Frieden In das Gebieth der Sitten rohe Wuth Im Taumel wiederkehren.","norm":"Nun sehen wir nach langem schönem Frieden in das Gebiet der Sitten rohe Wut im Taumel wiederkehren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":776,"orig":"Herr, entſcheide, Beſtrafe!","norm":"Herr, entscheide, Bestrafe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":777,"orig":"denn wer kann in ſeiner Pflicht Beſchränkten Gränzen wandeln, ſchützet ihn Nicht das Geſetz und ſeines Fürſten Kraft?","norm":"denn wer kann in seiner Pflicht beschränkten Grenzen wandeln, schützet ihn Nicht das Gesetz und seines Fürsten Kraft?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":778,"orig":"Mehr als ihr beyde ſagt und ſagen könnt, Läßt unparteyiſch das Gemüth mich hören.","norm":"Mehr als ihr beide sagt und sagen könnt, lässt unparteiisch das Gemüt mich hören."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":779,"orig":"Ihr hättet ſchöner eure Pflicht gethan, Wenn ich dieß Urtheil nicht zu ſprechen hätte.","norm":"Ihr hättet schöner eure Pflicht getan, wenn ich dies Urteil nicht zu sprechen hätte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":780,"orig":"Denn hier ſind Recht und Unrecht nah verwandt.","norm":"Denn hier sind Recht und Unrecht nah verwandt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":781,"orig":"Wenn dich Antonio beleidigt hat, So hat er dir auf irgend eine Weiſe Genugzuthun, wie du es fordern wirſt.","norm":"Wenn dich Antonio beleidigt hat, so hat er dir auf irgendeine Weise Genugzutun, wie du es fordern wirst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":782,"orig":"Mir wär’ es lieb, ihr wähltet mich zum Austrag.","norm":"Mir wäre es lieb, ihr wähltet mich zum Austrag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":783,"orig":"Indeſſen, dein Vergehen macht, o Taſſo, Dich zum Gefangnen.","norm":"Indessen, dein Vergehen macht, o Tasso, Dich zum Gefangenen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":784,"orig":"Wie ich dir vergebe:","norm":"Wie ich dir vergebe:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":785,"orig":"So lindr’ ich das Geſetz um deinetwillen.","norm":"So lindere ich das Gesetz um deinetwillen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":786,"orig":"Verlaß uns, Taſſo!","norm":"Verlass uns, Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":787,"orig":"bleib’ auf deinem Zimmer, Von dir und mit dir ſelbſt allein bewacht.","norm":"bleibe auf deinem Zimmer, von dir und mit dir selbst allein bewacht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":788,"orig":"Iſt dieß, o Fürſt, dein richterlicher Spruch?","norm":"Ist dies, o Fürst, dein richterlicher Spruch?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":789,"orig":"Erkenneſt du des Vaters Milde nicht?","norm":"Erkennst du des Vaters Milde nicht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":790,"orig":"Mit dir hab’ ich vorerſt nichts mehr zu reden.","norm":"Mit dir habe ich vorerst nichts mehr zu reden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":791,"orig":"O Fürſt, es übergibt dein ernſtes Wort Mich Freyen der Gefangenſchaft.","norm":"O Fürst, es übergibt dein ernstes Wort mich Freien der Gefangenschaft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":792,"orig":"Es ſey!","norm":"Es sei!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":793,"orig":"Du hältſt es Recht.","norm":"Du hältst es Recht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":794,"orig":"Dein heilig Wort verehrend, Heiß’ ich mein innres Herz im tiefſten ſchweigen.","norm":"Dein heilig Wort verehrend, Heiße ich mein inneres Herz im tiefsten schweigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":795,"orig":"Es iſt mir neu, ſo neu, daß ich faſt dich Und mich und dieſen ſchönen Ort nicht kenne.","norm":"Es ist mir neu, so neu, dass ich fast dich Und mich und diesen schönen Ort nicht kenne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":796,"orig":"Doch dieſen kenn’ ich wohl — Gehorchen will ich, Ob ich gleich hier noch manches ſagen könnte, Und ſagen ſollte.","norm":"Doch diesen kenne ich wohl — Gehorchen will ich, ob ich gleich hier noch manches sagen könnte, und sagen sollte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":797,"orig":"Mir verſtummt die Lippe.","norm":"Mir verstummt die Lippe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":798,"orig":"War’s ein Verbrechen?","norm":"War es ein Verbrechen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":799,"orig":"Wenigſtens es ſcheint, Ich bin als ein Verbrecher angeſehn.","norm":"Wenigstens es scheint, Ich bin als ein Verbrecher angesehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":800,"orig":"Und, was mein Herz auch ſagt, ich bin gefangen.","norm":"Und, was mein Herz auch sagt, ich bin gefangen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":801,"orig":"Du nimmſt es höher, Taſſo, als ich ſelbſt.","norm":"Du nimmst es höher, Tasso, als ich selbst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":802,"orig":"Mir bleibt es unbegreiflich wie es iſt;","norm":"Mir bleibt es unbegreiflich wie es ist;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":803,"orig":"Zwar unbegreiflich nicht, ich bin kein Kind;","norm":"Zwar unbegreiflich nicht, ich bin kein Kind;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":804,"orig":"Ich meine faſt, ich müßt’ es denken können.","norm":"Ich meine fast, ich müsste es denken können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":805,"orig":"Auf einmal winkt mich eine Klarheit an, Doch augenblicklich ſchließt ſich’s wieder zu, Ich höre nur mein Urtheil, beuge mich.","norm":"Auf einmal winkt mich eine Klarheit an, doch augenblicklich schließt sich es wieder zu, Ich höre nur mein Urteil, beuge mich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":806,"orig":"Das ſind zu viel vergebne Worte ſchon!","norm":"Das sind zu viel vergebene Worte schon!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":807,"orig":"Gewöhne dich von nun an zu gehorchen;","norm":"Gewöhne dich von nun an zu gehorchen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":808,"orig":"Ohnmächt’ger!","norm":"Ohnmächtger!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":809,"orig":"du vergaßeſt wo du ſtandſt;","norm":"du vergaßest wo du standst;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":810,"orig":"Der Götter Saal ſchien dir auf gleicher Erde, Nun überwältigt dich der jähe Fall, Gehorche gern, denn es geziemt dem Manne, Auch willig das Beſchwerliche zu thun.","norm":"Der Götter Saal schien dir auf gleicher Erde, nun überwältigt dich der jähe Fall, Gehorche gern, denn es geziemt dem Manne, auch willig das Beschwerliche zu tun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":811,"orig":"Hier nimm den Degen erſt, den du mir gabſt, Als ich dem Cardinal nach Frankreich folgte, Ich führt’ ihn nicht mit Ruhm, doch nicht mit Schande, Auch heute nicht.","norm":"Hier nimm den Degen erst, den du mir gabst, als ich dem Kardinal nach Frankreich folgte, Ich führt ihn nicht mit Ruhm, doch nicht mit Schande, auch heute nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":812,"orig":"Der hoffnungsvollen Gabe Entäußr’ ich mich mit tief gerührtem Herzen.","norm":"Der hoffnungsvollen Gabe Entäußere ich mich mit tiefgerührtem Herzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":813,"orig":"Wie ich zu dir geſinnt bin fühlſt du nicht.","norm":"Wie ich zu dir gesinnt bin fühlst du nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":814,"orig":"Gehorchen iſt mein Loos und nicht zu denken!","norm":"Gehorchen ist mein Los und nicht zu denken!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":815,"orig":"Und leider eines herrlichern Geſchenks Verläugnung fordert das Geſchick von mir.","norm":"Und leider eines herrlichern Geschenks Verleugnung fordert das Geschick von mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":816,"orig":"Die Krone kleidet den Gefangnen nicht:","norm":"Die Krone kleidet den Gefangenen nicht:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":817,"orig":"Ich nehme ſelbſt von meinem Haupt die Zierde, Die für die Ewigkeit gegönnt mir ſchien.","norm":"Ich nehme selbst von meinem Haupt die Zierde, die für die Ewigkeit gegönnt mir schien."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":818,"orig":"Zu früh war mir das ſchönſte Glück verliehen, Und wird, als hätt’ ich ſein mich überhoben, Mir nur zu bald geraubt.","norm":"Zu früh war mir das schönste Glück verliehen, und wird, als hätte ich sein mich überhoben, mir nur zu bald geraubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":819,"orig":"Du nimmſt dir ſelbſt, was keiner nehmen konnte Und was kein Gott zum zweytenmale gibt.","norm":"Du nimmst dir selbst, was keiner nehmen konnte und was kein Gott zum zweiten Mal gibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":820,"orig":"Wir Menſchen werden wunderbar geprüft;","norm":"Wir Menschen werden wunderbar geprüft;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":821,"orig":"Wir könnten’s nicht ertragen, hätt’ uns nicht Den holden Leichtſinn die Natur verliehn.","norm":"Wir könnten es nicht ertragen, hätte uns nicht den holden Leichtsinn die Natur verliehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":822,"orig":"Mit unſchätzbaren Gütern lehret uns Verſchwenderiſch die Noth gelaſſen ſpielen:","norm":"Mit unschätzbaren Gütern lehrt uns Verschwenderisch die Not gelassen spielen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":823,"orig":"Wir öffnen willig unſre Hände, daß Unwiederbringlich uns ein Gut entſchlüpfe.","norm":"Wir öffnen willig unsere Hände, dass Unwiederbringlich uns ein Gut entschlüpfe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":824,"orig":"Mit dieſem Kuß vereint ſich eine Thräne, Und weiht dich der Vergänglichkeit!","norm":"Mit diesem Kuss vereint sich eine Träne, und weiht dich der Vergänglichkeit!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":825,"orig":"es iſt Erlaubt das holde Zeichen unſrer Schwäche.","norm":"es ist erlaubt das holde Zeichen unserer Schwäche."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":826,"orig":"Wer weinte nicht, wenn das Unſterbliche Vor der Zerſtörung ſelbſt nicht ſicher iſt?","norm":"Wer weinte nicht, wenn das Unsterbliche vor der Zerstörung selbst nicht sicher ist?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":827,"orig":"Geſelle dich zu dieſem Degen, der Dich leider nicht erwarb, um ihn geſchlungen Ruhe, wie auf dem Sarg der Tapfern, auf Dem Grabe meines Glücks und meiner Hoffnung!","norm":"Geselle dich zu diesem Degen, der Dich leider nicht erwarb, um ihn geschlungen Ruhe, wie auf dem Sarg der Tapfern, auf dem Grabe meines Glücks und meiner Hoffnung!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":828,"orig":"Hier leg’ ich beyde willig dir zu Füßen;","norm":"Hier lege ich beide willig dir zu Füßen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":829,"orig":"Denn wer iſt wohl gewaffnet, wenn du zürnſt?","norm":"Denn wer ist wohl gewaffnet, wenn du zürnst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":830,"orig":"Und wer geſchmückt, o Herr, den du verkennſt?","norm":"Und wer geschmückt, o Herr, den du verkennst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":831,"orig":"Gefangen geh’ ich, warte des Gerichts.","norm":"Gefangen gehe ich, warte des Gerichts."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":832,"orig":"Wo ſchwärmt der Knabe hin?","norm":"Wo schwärmt der Knabe hin?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":833,"orig":"Mit welchen Farben Mahlt er ſich ſeinen Werth und ſein Geſchick?","norm":"Mit welchen Farben malt er sich seinen Wert und sein Geschick?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":834,"orig":"Beſchränkt und unerfahren hält die Jugend Sich für ein einzig auserwähltes Weſen, Und alles über alle ſich erlaubt.","norm":"Beschränkt und unerfahren hält die Jugend sich für ein einzig auserwähltes Wesen, und alles über alle sich erlaubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":835,"orig":"Er fühle ſich geſtraft, und ſtrafen heißt Dem Jüngling wohlthun, daß der Mann uns danke.","norm":"Er fühle sich gestraft, und strafen heißt dem Jüngling wohltun, dass der Mann uns danke."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":836,"orig":"Er iſt geſtraft, ich fürchte, nur zu viel.","norm":"Er ist gestraft, ich fürchte, nur zu viel."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":837,"orig":"Wenn du gelind mit ihm verfahren magſt, So gib, o Fürſt, ihm ſeine Freyheit wieder, Und unſern Zwiſt entſcheide dann das Schwert.","norm":"Wenn du gelind mit ihm verfahren magst, so gib, o Fürst, ihm seine Freiheit wieder, und unseren Zwist entscheide dann das Schwert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":838,"orig":"Wenn es die Meinung fordert, mag es ſeyn.","norm":"Wenn es die Meinung fordert, mag es sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":839,"orig":"Doch ſprich, wie haſt du ſeinen Zorn gereitzt?","norm":"Doch sprich, wie hast du seinen Zorn gereizt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":840,"orig":"Ich wüßte kaum zu ſagen, wie’s geſchah.","norm":"Ich wüsste kaum zu sagen, wie es geschah."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":841,"orig":"Als Menſchen hab’ ich ihn vielleicht gekränkt, Als Edelmann hab’ ich ihn nicht beleidigt.","norm":"Als Menschen habe ich ihn vielleicht gekränkt, als Edelmann habe ich ihn nicht beleidigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":842,"orig":"Und ſeinen Lippen iſt im größten Zorne Kein ſittenloſes Wort entflohn.","norm":"Und seinen Lippen ist im größten Zorne kein sittenloses Wort entflohen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":843,"orig":"So ſchien Mir euer Streit, und was ich gleich gedacht, Bekräftigt deine Rede mir noch mehr.","norm":"So schien mir euer Streit, und was ich gleich gedacht, bekräftigt deine Rede mir noch mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":844,"orig":"Wenn Männer ſich entzweyen, hält man billig Den Klügſten für den Schuldigen.","norm":"Wenn Männer sich entzweien, hält man billig Den klügsten für den Schuldigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":845,"orig":"Du ſollteſt Mit ihm nicht zürnen; ihn zu leiten ſtünde Dir beſſer an.","norm":"Du solltest mit ihm nicht zürnen; ihn zu leiten stünde Dir besser an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":846,"orig":"Noch immer iſt es Zeit:","norm":"Noch immer ist es Zeit:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":847,"orig":"Hier iſt kein Fall, der euch zu ſtreiten zwänge.","norm":"Hier ist kein Fall, der euch zu streiten zwänge."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":848,"orig":"So lang’ mir Friede bleibt, ſo lange wünſch’ ich In meinem Haus ihn zu genießen.","norm":"Solang mir Friede bleibt, so lange wünsche ich in meinem Haus ihn zu genießen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":849,"orig":"Stelle Die Ruhe wieder her, du kannſt es leicht, Lenore Sanvitale mag ihn erſt Mit zarter Lippe zu beſänft’gen ſuchen!","norm":"Stelle die Ruhe wieder her, du kannst es leicht, Lenore Sanvitale mag ihn erst Mit zarter Lippe zu besänftigen suchen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":850,"orig":"Dann tritt zu ihm, gib ihm in meinem Namen Die volle Freyheit wieder, und gewinne Mit edeln, wahren Worten ſein Vertraun.","norm":"Dann tritt zu ihm, gib ihm in meinem Namen die volle Freiheit wieder, und gewinne mit edlen, wahren Worten sein Vertrauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":851,"orig":"Verrichte das, ſo bald du immer kannſt;","norm":"Verrichte das, sobald du immer kannst;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":852,"orig":"Du wirſt als Freund und Vater mit ihm ſprechen.","norm":"Du wirst als Freund und Vater mit ihm sprechen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":853,"orig":"Noch eh’ wir ſcheiden, will ich Friede wiſſen, Und dir iſt nichts unmöglich, wenn du willſt.","norm":"Noch ehe wir scheiden, will ich Friede wissen, und dir ist nichts unmöglich, wenn du willst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":854,"orig":"Wir bleiben lieber eine Stunde länger, Und laſſen dann die Frauen ſanft vollenden, Was du begannſt; und kehren wir zurück, So haben ſie von dieſem raſchen Eindruck Die letzte Spur vertilgt.","norm":"Wir bleiben lieber eine Stunde länger, und lassen dann die Frauen sanft vollenden, was du begannst; und kehren wir zurück, so haben sie von diesem raschen Eindruck die letzte Spur vertilgt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":855,"orig":"Es ſcheint, Antonio, Du willſt nicht aus der Übung kommen!","norm":"Es scheint, Antonio, Du willst nicht aus der Übung kommen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":856,"orig":"Du Haſt Ein Geſchäft kaum erſt vollendet, nun Kehrſt du zurück und ſchaffſt dir gleich ein neues.","norm":"Du Hast ein Geschäft kaum erst vollendet, nun Kehrst du zurück und schaffst dir gleich ein neues."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":857,"orig":"Ich hoffe, daß auch dieſes dir gelingt.","norm":"Ich hoffe, dass auch dieses dir gelingt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":858,"orig":"Ich bin beſchämt, und ſeh’ in deinen Worten, Wie in dem klarſten Spiegel, meine Schuld!","norm":"Ich bin beschämt, und sehe in deinen Worten, wie in dem klarsten Spiegel, meine Schuld!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":859,"orig":"Gar leicht gehorcht man einem edlen Herrn, Der überzeugt, indem er uns gebiethet.","norm":"Gar leicht gehorcht man einem edlen Herrn, der überzeugt, indem er uns gebietet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":860,"orig":"Wo bleibt Eleonore?","norm":"Wo bleibt Eleonore?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":861,"orig":"Schmerzlicher Bewegt mir jeden Augenblick die Sorge Das tiefſte Herz.","norm":"Schmerzlicher bewegt mir jeden Augenblick die Sorge das tiefste Herz."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":862,"orig":"Kaum weiß ich was geſchah, Kaum weiß ich wer von beyden ſchuldig iſt.","norm":"Kaum weiß ich was geschah, kaum weiß ich wer von beiden schuldig ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":863,"orig":"O daß ſie käme!","norm":"O dass sie käme!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":864,"orig":"Möcht’ ich doch nicht gern Den Bruder nicht, Antonio nicht ſprechen, Eh’ ich gefaßter bin, eh’ ich vernommen, Wie alles ſteht und was es werden kann.","norm":"Möchte ich doch nicht gern den Bruder nicht, Antonio nicht sprechen, Ehe ich gefasster bin, ehe ich vernommen, wie alles steht und was es werden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":865,"orig":"Was bringſt du, Leonore?","norm":"Was bringst du, Leonore?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":866,"orig":"ſag mir an:","norm":"sage mir an:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":867,"orig":"Wie ſteht’s um unſre Freunde?","norm":"Wie steht es um unsere Freunde?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":868,"orig":"Was geſchah?","norm":"Was geschah?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":869,"orig":"Mehr als wir wiſſen hab’ ich nicht erfahren.","norm":"Mehr als wir wissen habe ich nicht erfahren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":870,"orig":"Sie trafen hart zuſammen, Taſſo zog, Dein Bruder trennte ſie: allein es ſcheint, Als habe Taſſo dieſen Streit begonnen.","norm":"Sie trafen hart zusammen, Tasso zog, Dein Bruder trennte sie: allein es scheint, als habe Tasso diesen Streit begonnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":871,"orig":"Antonio geht frey umher und ſpricht Mit ſeinem Fürſten, Taſſo bleibt dagegen Verbannt in ſeinem Zimmer und allein.","norm":"Antonio geht frei umher und spricht mit seinem Fürsten, Tasso bleibt dagegen verbannt in seinem Zimmer und allein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":872,"orig":"Gewiß hat ihn Antonio gereitzt, Den Hochgeſtimmten kalt und fremd beleidigt.","norm":"Gewiss hat ihn Antonio gereizt, den hochgestimmten kalt und fremd beleidigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":873,"orig":"Ich glaub’ es ſelbſt.","norm":"Ich glaube es selbst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":874,"orig":"Denn eine Wolke ſtand, Schon als er zu uns trat, um ſeine Stirn.","norm":"Denn eine Wolke stand, schon als er zu uns trat, um seine Stirn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":875,"orig":"Ach daß wir doch dem reinen ſtillen Wink Des Herzens nachzugehn ſo ſehr verlernen!","norm":"Ach dass wir doch dem reinen stillen Wink des Herzens nachzugehen so sehr verlernen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":876,"orig":"Ganz leiſe ſpricht ein Gott in unſrer Bruſt, Ganz leiſe, ganz vernehmlich, zeigt uns an, Was zu ergreifen iſt und was zu fliehn.","norm":"Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, Was zu ergreifen ist und was zu fliehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":877,"orig":"Antonio erſchien mir heute früh Viel ſchroffer noch als je, in ſich gezogner.","norm":"Antonio erschien mir heute früh Viel schroffer noch als je, in sich gezogener."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":878,"orig":"Es warnte mich mein Geiſt, als neben ihn Sich Taſſo ſtellte.","norm":"Es warnte mich mein Geist, als neben ihn Sich Tasso stellte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":879,"orig":"Sieh das Äußre nur Von beyden an, das Angeſicht, den Ton, Den Blick, den Tritt!","norm":"Sieh das Äußre nur von beiden an, das Angesicht, den Ton, den Blick, den Tritt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":880,"orig":"es widerſtrebt ſich alles, Sie können ewig keine Liebe wechſeln.","norm":"es widerstrebt sich alles, Sie können ewig keine Liebe wechseln."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":881,"orig":"Doch überredete die Hoffnung mich, Die Gleisnerinn, ſie ſind vernünftig beyde, Sind edel, unterrichtet, deine Freunde;","norm":"Doch überredete die Hoffnung mich, die Gleisnerin, sie sind vernünftig beide, sind edel, unterrichtet, deine Freunde;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":882,"orig":"Und welch ein Band iſt ſichrer als der Guten?","norm":"Und welch ein Band ist sicherer als der Guten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":883,"orig":"Ich trieb den Jüngling an; er gab ſich ganz;","norm":"Ich trieb den Jüngling an; er gab sich ganz;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":884,"orig":"Wie ſchön, wie warm ergab er ganz ſich mir!","norm":"Wie schön, wie warm ergab er ganz sich mir!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":885,"orig":"O hätt’ ich gleich Antonio geſprochen!","norm":"O hätte ich gleich Antonio gesprochen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":886,"orig":"Ich zauderte; es war nur kurze Zeit;","norm":"Ich zauderte; es war nur kurze Zeit;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":887,"orig":"Ich ſcheute mich, gleich mit den erſten Worten Und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen, Verließ auf Sitte mich und Höflichkeit, Auf den Gebrauch der Welt, der ſich ſo glatt Selbſt zwiſchen Feinde legt; befürchtete Von dem geprüften Manne dieſe Jähe Der raſchen Jugend nicht.","norm":"Ich scheute mich, gleich mit den ersten Worten und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen, verließ auf Sitte mich und Höflichkeit, auf den Gebrauch der Welt, der sich so glatt Selbst zwischen Feinde legt; befürchtete von dem geprüften Manne diese Jähe Der raschen Jugend nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":888,"orig":"Es iſt geſchehn.","norm":"Es ist geschehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":889,"orig":"Das Übel ſtand mir fern, nun iſt es da.","norm":"Das Übel stand mir fern, nun ist es da."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":890,"orig":"O gib mir einen Rath!","norm":"O gib mir einen Rat!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":891,"orig":"was iſt zu thun?","norm":"was ist zu tun?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":892,"orig":"Wie ſchwer zu rathen ſey, das fühlſt du ſelbſt Nach dem was du geſagt.","norm":"Wie schwer zu raten sei, das fühlst du selbst Nach dem was du gesagt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":893,"orig":"Es iſt nicht hier Ein Mißverſtändniß zwiſchen Gleichgeſtimmten;","norm":"Es ist nicht hier ein Missverständnis zwischen Gleichgestimmten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":894,"orig":"Das ſtellen Worte, ja im Nothfall ſtellen Es Waffen leicht und glücklich wieder her.","norm":"Das stellen Worte, ja im Notfall stellen es Waffen leicht und glücklich wieder her."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":895,"orig":"Zwey Männer ſind’s, ich hab’ es lang gefühlt, Die darum Feinde ſind, weil die Natur Nicht Einen Mann aus ihnen beyden formte.","norm":"Zwei Männer sind es, ich habe es lang gefühlt, die darum Feinde sind, weil die Natur nicht Einen Mann aus ihnen beiden formte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":896,"orig":"Und wären ſie zu ihrem Vortheil klug, So würden ſie als Freunde ſich verbinden; Dann ſtünden ſie für Einen Mann, und gingen Mit Macht und Glück und Luſt durch’s Leben hin.","norm":"Und wären sie zu ihrem Vorteil klug, so würden sie als Freunde sich verbinden; dann stünden sie für Einen Mann, und gingen mit Macht und Glück und Lust durchs Leben hin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":897,"orig":"So hofft’ ich ſelbſt, nun ſeh’ ich wohl umſonſt.","norm":"So hofft ich selbst, nun sehe ich wohl umsonst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":898,"orig":"Der Zwiſt von heute, ſey er wie er ſey, Iſt beyzulegen; doch das ſichert uns Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht.","norm":"Der Zwist von heute, sei er wie er sei, Ist beizulegen; doch das sichert uns Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":899,"orig":"Es wär’ am beſten, dächt’ ich, Taſſo reiſ’te Auf eine Zeit von hier; er könnte ja Nach Rom, auch nach Florenz ſich wenden; dort Träf’ ich in wenig Wochen ihn, und könnte Auf ſein Gemüth als eine Freundinn wirken.","norm":"Es wäre am besten, dächte ich, Tasso reiste auf eine Zeit von hier; er könnte ja nach Rom, auch nach Florenz sich wenden; dort träfe ich in wenig Wochen ihn, und könnte auf sein Gemüt als eine Freundin wirken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":900,"orig":"Du würdeſt hier indeſſen den Antonio, Der uns ſo fremd geworden, dir auf’s neue Und deinen Freunden näher bringen; ſo Gewährte das, was itzt unmöglich ſcheint, Die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt.","norm":"Du würdest hier indessen den Antonio, der uns so fremd geworden, dir aufs neue Und deinen Freunden näher bringen; so Gewährte das, was jetzt unmöglich scheint, die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":901,"orig":"Du willſt dich in Genuß, o Freundinn, ſetzen, Ich ſoll entbehren; heißt das billig ſeyn?","norm":"Du willst dich in Genuss, o Freundin, setzen, Ich soll entbehren; heißt das billig sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":902,"orig":"Entbehren wirſt du nichts, als was du doch In dieſem Falle nicht genießen könnteſt.","norm":"Entbehren wirst du nichts, als was du doch In diesem Falle nicht genießen könntest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":903,"orig":"So ruhig ſoll ich einen Freund verbannen?","norm":"So ruhig soll ich einen Freund verbannen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":904,"orig":"Erhalten, den du nur zum Schein verbannſt.","norm":"Erhalten, den du nur zum Schein verbannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":905,"orig":"Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen laſſen.","norm":"Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen lassen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":906,"orig":"Wenn er es ſieht wie wir, ſo gibt er nach.","norm":"Wenn er es sieht wie wir, so gibt er nach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":907,"orig":"Es iſt ſo ſchwer, im Freunde ſich verdammen.","norm":"Es ist so schwer, im Freunde sich verdammen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":908,"orig":"Und dennoch retteſt du den Freund in dir.","norm":"Und dennoch rettest du den Freund in dir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":909,"orig":"Ich gebe nicht mein Ja, daß es geſchehe.","norm":"Ich gebe nicht mein Ja, dass es geschehe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":910,"orig":"So warte noch ein größres Übel ab.","norm":"So warte noch ein größeres Übel ab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":911,"orig":"Du peinigſt mich, und weißt nicht ob du nützeſt.","norm":"Du peinigst mich, und weißt nicht ob du nützest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":912,"orig":"Wir werden bald entdecken, wer ſich irrt.","norm":"Wir werden bald entdecken, wer sich irrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":913,"orig":"Und ſoll es ſeyn, ſo frage mich nicht länger.","norm":"Und soll es sein, so frage mich nicht länger."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":914,"orig":"Wer ſich entſchließen kann, beſiegt den Schmerz.","norm":"Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":915,"orig":"Entſchloſſen bin ich nicht, allein es ſey, Wenn er ſich nicht auf lange Zeit entfernt — Und laß uns für ihn ſorgen, Leonore, Daß er nicht etwa künftig Mangel leide, Daß ihm der Herzog ſeinen Unterhalt Auch in der Ferne willig reichen laſſe.","norm":"Entschlossen bin ich nicht, allein es sei, wenn er sich nicht auf lange Zeit entfernt — und lass uns für ihn Sorgen, Leonore, dass er nicht etwa künftig Mangel leide, dass ihm der Herzog seinen Unterhalt auch in der Ferne willig reichen lasse."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":916,"orig":"Sprich mit Antonio, denn er vermag Bey meinem Bruder viel, und wird den Streit Nicht unſerm Freund und uns gedenken wollen.","norm":"Sprich mit Antonio, denn er vermag bei meinem Bruder viel, und wird den Streit nicht unserem Freund und uns gedenken wollen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":917,"orig":"Ein Wort von dir, Prinzeſſinn, gälte mehr.","norm":"Ein Wort von dir, Prinzessin, gälte mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":918,"orig":"Ich kann, du weißt es, meine Freundinn, nicht Wie’s meine Schweſter von Urbino kann, Für mich und für die Meinen was erbitten.","norm":"Ich kann, du weißt es, meine Freundin, nicht wie es meine Schwester von Urbino kann, für mich und für die Meinen was erbitten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":919,"orig":"Ich lebe gern ſo ſtille vor mich hin, Und nehme von dem Bruder dankbar an, Was er mir immer geben kann und will.","norm":"Ich lebe gern so stille vor mich hin, und nehme von dem Bruder dankbar an, was er mir immer geben kann und will."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":920,"orig":"Ich habe ſonſt darüber manchen Vorwurf Mir ſelbſt gemacht, nun hab’ ich überwunden.","norm":"Ich habe sonst darüber manchen Vorwurf mir selbst gemacht, nun habe ich überwunden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":921,"orig":"Es ſchalt mich eine Freundinn oft darum:","norm":"Es schalt mich eine Freundin oft darum:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":922,"orig":"Du biſt uneigennützig, ſagte ſie, Das iſt recht ſchön; allein du biſt’s ſo ſehr, Daß du auch das Bedürfniß deiner Freunde Nicht recht empfinden kannſt.","norm":"Du bist uneigennützig, sagte sie, das ist recht schön; allein du bist es so sehr, dass du auch das Bedürfnis deiner Freunde nicht recht empfinden kannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":923,"orig":"Ich laß’ es gehn, Und muß denn eben dieſen Vorwurf tragen.","norm":"Ich lass es gehen, und muss denn eben diesen Vorwurf tragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":924,"orig":"Um deſto mehr erfreut es mich, daß ich Nun in der That dem Freunde nützen kann;","norm":"Um desto mehr erfreut es mich, dass ich nun in der Tat dem Freunde nützen kann;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":925,"orig":"Es fällt mir meiner Mutter Erbſchaft zu, Und gerne will ich für ihn ſorgen helfen.","norm":"Es fällt mir meiner Mutter Erbschaft zu, und gerne will ich für ihn Sorgen helfen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":926,"orig":"Und ich, o Fürſtinn, finde mich im Falle, Daß ich als Freundinn auch mich zeigen kann.","norm":"Und ich, o Fürstin, finde mich im Falle, dass ich als Freundin auch mich zeigen kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":927,"orig":"Er iſt kein guter Wirth; wo es ihm fehlt, Werd’ ich ihm ſchon geſchickt zu helfen wiſſen.","norm":"Er ist kein guter Wirt; wo es ihm fehlt, Werde ich ihm schon geschickt zu helfen wissen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":928,"orig":"So nimm ihn weg, und, ſoll ich ihn entbehren, Vor allen andern ſey er dir gegönnt!","norm":"So nimm ihn weg, und, soll ich ihn entbehren, vor allen anderen sei er dir gegönnt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":929,"orig":"Ich ſeh’ es wohl, ſo wird es beſſer ſeyn.","norm":"Ich sehe es wohl, so wird es besser sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":930,"orig":"Muß ich denn wieder dieſen Schmerz als gut Und heilſam preiſen?","norm":"Muss ich denn wieder diesen Schmerz als gut Und heilsam preisen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":931,"orig":"Das war mein Geſchick Von Jugend auf, ich bin nun dran gewöhnt.","norm":"Das war mein Geschick von Jugend auf, ich bin nun dran gewöhnt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":932,"orig":"Nur halb iſt der Verluſt des ſchönſten Glücks, Wenn wir auf den Beſitz nicht ſicher zählten.","norm":"Nur halb ist der Verlust des schönsten Glücks, wenn wir auf den Besitz nicht sicher zählten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":933,"orig":"Ich hoffe, dich ſo ſchön du es verdienſt Glücklich zu ſehn!","norm":"Ich hoffe, dich so schön du es verdienst Glücklich zu sehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":934,"orig":"Eleonore!","norm":"Eleonore!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":935,"orig":"Glücklich?","norm":"Glücklich?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":936,"orig":"Wer iſt denn glücklich?","norm":"Wer ist denn glücklich?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":937,"orig":"— Meinen Bruder zwar Möcht’ ich ſo nennen, denn ſein großes Herz Trägt ſein Geſchick mit immer gleichem Muth;","norm":"— Meinen Bruder zwar möchte ich so nennen, denn sein großes Herz trägt sein Geschick mit immer gleichem Mut;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":938,"orig":"Allein was er verdient, das ward ihm nie.","norm":"Allein was er verdient, das wurde ihm nie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":939,"orig":"Iſt meine Schweſter von Urbino glücklich?","norm":"Ist meine Schwester von Urbino glücklich?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":940,"orig":"Das ſchöne Weib, das edle große Herz!","norm":"Das schöne Weib, das edle große Herz!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":941,"orig":"Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;","norm":"Sie bringt dem jüngeren Manne keine Kinder;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":942,"orig":"Er achtet ſie, und läßt ſie’s nicht entgelten, Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.","norm":"Er achtet sie, und lässt sie es nicht entgelten, doch keine Freude wohnt in ihrem Haus."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":943,"orig":"Was half denn unſrer Mutter ihre Klugheit?","norm":"Was half denn unserer Mutter ihre Klugheit?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":944,"orig":"Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn?","norm":"Die Kenntnis jeder Art, ihr großer Sinn?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":945,"orig":"Konnt’ er ſie vor dem fremden Irrthum ſchützen?","norm":"Konnte er sie vor dem fremden Irrtum schützen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":946,"orig":"Man nahm uns von ihr weg; nun iſt ſie todt, Sie ließ uns Kindern nicht den Troſt, daß ſie Mit ihrem Gott verſöhnt geſtorben ſey.","norm":"Man nahm uns von ihr weg; nun ist sie tot, Sie ließ uns Kindern nicht den Trost, dass sie Mit ihrem Gott versöhnt gestorben sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":947,"orig":"O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt, Betrachte, was noch einem jeden bleibt!","norm":"O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt, Betrachte, was noch einem jeden bleibt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":948,"orig":"Was bleibt nicht Dir, Prinzeſſinn?","norm":"Was bleibt nicht Dir, Prinzessin?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":949,"orig":"Was mir bleibt?","norm":"Was mir bleibt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":950,"orig":"Geduld, Eleonore!","norm":"Geduld, Eleonore!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":951,"orig":"üben konnt’ ich die Von Jugend auf.","norm":"üben konnte ich die von Jugend auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":952,"orig":"Wenn Freunde, wenn Geſchwiſter Bey Feſt und Spiel geſellig ſich erfreuten, Hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer feſt, Und in.","norm":"Wenn Freunde, wenn Geschwister bei Fest und Spiel gesellig sich erfreuten, hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer fest, und in."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":953,"orig":"Geſellſchaft mancher Leiden mußt’ Ich früh entbehren lernen.","norm":"Gesellschaft mancher Leiden musste Ich früh entbehren lernen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":954,"orig":"Eines war, Was in der Einſamkeit mich ſchön ergetzte, Die Freude des Geſangs; ich unterhielt Mich mit mir ſelbſt, ich wiegte Schmerz und Sehnſucht Und jeden Wunſch mit leiſen Tönen ein.","norm":"Eines war, was in der Einsamkeit mich schön ergötzte, die Freude des Gesangs; ich unterhielt mich mit mir selbst, ich wiegte Schmerz und Sehnsucht und jeden Wunsch mit leisen Tönen ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":955,"orig":"Da wurde Leiden oft Genuß, und ſelbſt Das traurige Gefühl zur Harmonie.","norm":"Da wurde Leiden oft Genuss, und selbst Das traurige Gefühl zur Harmonie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":956,"orig":"Nicht lang’ war mir dieß Glück gegönnt, auch dieſes Nahm mir der Arzt hinweg; ſein ſtreng Geboth Hieß mich verſtummen; leben ſollt’ ich, leiden, Den einz’gen kleinen Troſt ſollt’ ich entbehren.","norm":"Nicht lang war mir dies Glück gegönnt, auch dieses Nahm mir der Arzt hinweg; sein streng Gebot hieß mich verstummen; leben sollte ich, leiden, den einzigen kleinen Trost sollte ich entbehren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":957,"orig":"So viele Freunde fanden ſich zu dir, Und nun biſt du geſund, biſt lebensfroh.","norm":"So viele Freunde fanden sich zu dir, und nun bist du gesund, bist lebensfroh."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":958,"orig":"Ich bin geſund, das heißt, ich bin nicht krank;","norm":"Ich bin gesund, das heißt, ich bin nicht krank;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":959,"orig":"Und manche Freunde hab’ ich, deren Treue Mich glücklich macht.","norm":"Und manche Freunde habe ich, deren Treue mich glücklich macht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":960,"orig":"Auch hatt’ ich einen Freund —","norm":"Auch hatte ich einen Freund —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":961,"orig":"Du haſt ihn noch.","norm":"Du hast ihn noch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":962,"orig":"Und werd’ ihn bald verlieren.","norm":"Und werde ihn bald verlieren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":963,"orig":"Der Augenblick, da ich zuerſt ihn ſah, War viel bedeutend.","norm":"Der Augenblick, da ich zuerst ihn sah, war viel bedeutend."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":964,"orig":"Kaum erholt’ ich mich Von manchen Leiden;","norm":"Kaum erholt ich mich Von manchen Leiden;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":965,"orig":"Schmerz und Krankheit waren Kaum erſt gewichen: ſtill beſcheiden blickt’ ich In’s Leben wieder, freute mich des Tags Und der Geſchwiſter wieder, ſog beherzt Der ſüßen Hoffnung reinſten Balſam ein.","norm":"Schmerz und Krankheit waren kaum erst gewichen: Still bescheiden blickte ich ins Leben wieder, freute mich des Tags und der Geschwister wieder, sog beherzt der süßen Hoffnung reinsten Balsam ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":966,"orig":"Ich wagt’ es vorwärts in das Leben weiter Hinein zu ſehn, und freundliche Geſtalten Begegneten mir aus der Ferne.","norm":"Ich wagt es vorwärts in das Leben weiter Hineinzusehen, und freundliche Gestalten begegneten mir aus der Ferne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":967,"orig":"Da, Eleonore, ſtellte mir den Jüngling Die Schweſter vor; er kam an ihrer Hand, Und, daß ich dir’s geſtehe, da ergriff Ihn mein Gemüth und wird ihn ewig halten.","norm":"Da, Eleonore, stellte mir den Jüngling die Schwester vor; er kam an ihrer Hand, Und, dass ich dir es gestehe, da ergriff ihn mein Gemüt und wird ihn ewig halten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":968,"orig":"O meine Fürſtinn, laß dich’s nicht gereuen!","norm":"O meine Fürstin, lass dich es nicht gereuen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":969,"orig":"Das Edle zu erkennen, iſt Gewinſt, Der nimmer uns entriſſen werden kann.","norm":"Das Edle zu erkennen, ist Gewinst, der nimmer uns entrissen werden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":970,"orig":"Zu fürchten iſt das Schöne das Fürtreffliche, Wie eine Flamme, die ſo herrlich nützt, So lange ſie auf deinem Herde brennt, So lang’ ſie dir von einer Fackel leuchtet, Wie hold!","norm":"Zu fürchten ist das Schöne das Fürtreffliche, wie eine Flamme, die so herrlich nützt, Solange sie auf deinem Herde brennt, Solang sie dir von einer Fackel leuchtet, wie hold!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":971,"orig":"wer mag, wer kann ſie da entbehren?","norm":"wer mag, wer kann sie da entbehren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":972,"orig":"Und frißt ſie ungehütet um ſich her, Wie elend kann ſie machen!","norm":"Und frisst sie ungehütet um sich her, wie elend kann sie machen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":973,"orig":"Laß mich nun.","norm":"Lass mich nun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":974,"orig":"Ich bin geſchwätzig, und verbärge beſſer Auch ſelbſt vor dir, wie ſchwach ich bin und krank.","norm":"Ich bin geschwätzig, und verbärge besser auch selbst vor dir, wie schwach ich bin und krank."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":975,"orig":"Die Krankheit des Gemüthes löſet ſich In Klagen und Vertraun am leicht’ſten auf.","norm":"Die Krankheit des Gemütes löset sich in Klagen und Vertrauen am leichtesten auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":976,"orig":"Wenn das Vertrauen heilt, ſo heil’ ich bald;","norm":"Wenn das Vertrauen heilt, so heile ich bald;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":977,"orig":"Ich hab’ es rein und hab’ es ganz zu dir.","norm":"Ich habe es rein und habe es ganz zu dir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":978,"orig":"Ach, meine Freundinn!","norm":"Ach, meine Freundin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":979,"orig":"Zwar ich bin entſchloſſen, Er ſcheide nur!","norm":"Zwar ich bin entschlossen, er scheide nur!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":980,"orig":"allein ich fühle ſchon Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn Ich nun entbehren ſoll, was mich erfreute.","norm":"allein ich fühle schon den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn Ich nun entbehren soll, was mich erfreute."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":981,"orig":"Die Sonne hebt von meinen Augenliedern Nicht mehr ſein ſchön verklärtes Traumbild auf;","norm":"Die Sonne hebt von meinen Augenlidern nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":982,"orig":"Die Hoffnung ihn zu ſehen füllt nicht mehr Den kaum erwachten Geiſt mit froher Sehnſucht; Mein erſter Blick hinab in unſre Gärten Sucht ihn vergebens in dem Thau der Schatten.","norm":"Die Hoffnung ihn zu sehen füllt nicht mehr den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht; Mein erster Blick hinab in unsere Gärten Sucht ihn vergebens in dem Tau der Schatten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":983,"orig":"Wie ſchön befriedigt fühlte ſich der Wunſch Mit ihm zu ſeyn an jedem heitern Abend!","norm":"Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch mit ihm zu sein an jedem heiteren Abend!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":984,"orig":"Wie mehrte ſich im Umgang das Verlangen Sich mehr zu kennen, mehr ſich zu verſtehn, Und täglich ſtimmte das Gemüth ſich ſchöner Zu immer reinern Harmonien auf.","norm":"Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehen, und täglich stimmte das Gemüt sich schöner Zu immer reineren Harmonien auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":985,"orig":"Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!","norm":"Welch eine Dämmerung fällt nun vor mir ein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":986,"orig":"Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl Des hohen Tags, der tauſendfachen Welt Glanzreiche Gegenwart, iſt öd’ und tief Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.","norm":"Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl des hohen Tags, der tausendfachen Welt Glanzreiche Gegenwart, ist öd und tief im Nebel eingehüllt, der mich umgibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":987,"orig":"Sonſt war mir jeder Tag ein ganzes Leben;","norm":"Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":988,"orig":"Die Sorge ſchwieg, die Ahndung ſelbſt verſtummte, Und glücklich eingeſchifft trug uns der Strom Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:","norm":"Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte, und glücklich eingeschifft trug uns der Strom auf leichten Wellen ohne Ruder hin:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":989,"orig":"Nun überfällt in trüber Gegenwart Der Zukunft Schrecken heimlich meine Bruſt.","norm":"Nun überfällt in trüber Gegenwart der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":990,"orig":"Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder, Und bringt dir neue Freude, neues Glück.","norm":"Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder, und bringt dir neue Freude, neues Glück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":991,"orig":"Was ich beſitze, mag ich gern bewahren:","norm":"Was ich besitze, mag ich gern bewahren:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":992,"orig":"Der Wechſel unterhält, doch nutzt er kaum.","norm":"Der Wechsel unterhält, doch nutzt er kaum."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":993,"orig":"Mit jugendlicher Sehnſucht griff ich nie Begierig in den Loostopf fremder Welt, Für mein bedürfend unerfahren Herz Zufällig einen Gegenſtand zu haſchen.","norm":"Mit jugendlicher Sehnsucht griff ich nie begierig in den Lostopf fremder Welt, für mein bedürfend unerfahren Herz zufällig einen Gegenstand zu haschen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":994,"orig":"Ihn mußt’ ich ehren, darum liebt’ ich ihn;","norm":"Ihn musste ich ehren, darum liebt ich ihn;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":995,"orig":"Ich mußt’ ihn lieben, weil mit ihm mein Leben Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt;","norm":"Ich musste ihn lieben, weil mit ihm mein Leben zum Leben wurde, wie ich es nie gekannt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":996,"orig":"Erſt ſagt’ ich mir, entferne dich von ihm!","norm":"Erst sagt ich mir, entferne dich von ihm!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":997,"orig":"Ich wich und wich und kam nur immer näher, So lieblich angelockt, ſo hart beſtraft!","norm":"Ich wich und wich und kam nur immer näher, so lieblich angelockt, so hart bestraft!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":998,"orig":"Ein reines, wahres Gut verſchwindet mir, Und meiner Sehnſucht ſchiebt ein böſer Geiſt Statt Freud’ und Glück verwandte Schmerzen unter.","norm":"Ein reines, wahres Gut verschwindet mir, und meiner Sehnsucht schiebt ein böser Geist statt Freude und Glück verwandte Schmerzen unter."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":999,"orig":"Wenn einer Freundinn Wort nicht tröſten kann;","norm":"Wenn einer Freundin Wort nicht trösten kann;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1000,"orig":"So wird die ſtille Kraft der ſchönen Welt, Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.","norm":"So wird die stille Kraft der schönen Welt, der guten Zeit dich unvermerkt erquicken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1001,"orig":"Wohl iſt ſie ſchön die Welt!","norm":"Wohl ist sie schön die Welt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1002,"orig":"in ihrer Weite Bewegt ſich ſo viel Gutes hin und her.","norm":"in ihrer Weite bewegt sich so viel Gutes hin und her."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1003,"orig":"Ach daß es immer nur um Einen Schritt Von uns ſich zu entfernen ſcheint, Und unſre bange Sehnſucht durch das Leben Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt!","norm":"Ach dass es immer nur um Einen Schritt von uns sich zu entfernen scheint, und unsere bange Sehnsucht durch das Leben auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1004,"orig":"So ſelten iſt es, daß die Menſchen finden, Was ihnen doch beſtimmt geweſen ſchien, So ſelten, daß ſie das erhalten, was Auch einmal die beglückte Hand ergriff!","norm":"So selten ist es, dass die Menschen finden, was ihnen doch bestimmt gewesen schien, so selten, dass sie das erhalten, was Auch einmal die beglückte Hand ergriff!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1005,"orig":"Es reißt ſich los, was erſt ſich uns ergab, Wir laſſen los, was wir begierig faßten.","norm":"Es reißt sich los, was erst sich uns ergab, wir lassen los, was wir begierig fassten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1006,"orig":"Es gibt ein Glück, allein wir kennen’s nicht:","norm":"Es gibt ein Glück, allein wir kennen es nicht:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1007,"orig":"Wir kennen’s wohl, und wiſſen’s nicht zu ſchätzen.","norm":"Wir kennen es wohl, und wissen es nicht zu schätzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1008,"orig":"Wie jammert mich das edle, ſchöne Herz!","norm":"Wie jammert mich das edle, schöne Herz!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1009,"orig":"Welch traurig Loos, das ihrer Hoheit fällt!","norm":"Welch traurig Los, das ihrer Hoheit fällt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1010,"orig":"Ach ſie verliert — und denkſt du zu gewinnen?","norm":"Ach sie verliert — und denkst du zu gewinnen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1011,"orig":"Iſt’s denn ſo nöthig, daß er ſich entfernt?","norm":"Ist es denn so nötig, dass er sich entfernt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1012,"orig":"Machſt du es nöthig, um allein für dich Das Herz und die Talente zu beſitzen, Die du bisher mit einer andern theilſt Und ungleich theilſt?","norm":"Machst du es nötig, um allein für dich das Herz und die Talente zu besitzen, die du bisher mit einer anderen teilst und ungleich teilst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1013,"orig":"Iſt’s redlich ſo zu handeln?","norm":"Ist es redlich so zu handeln?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1014,"orig":"Biſt du nicht reich genug?","norm":"Bist du nicht reich genug?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1015,"orig":"Was fehlt dir noch?","norm":"Was fehlt dir noch?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1016,"orig":"Gemahl und Sohn und Güter, Rang und Schönheit, Das haſt du alles, und du willſt noch ihn Zu dieſem allen haben?","norm":"Gemahl und Sohn und Güter, Rang und Schönheit, das hast du alles, und du willst noch ihn Zu diesem allen haben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1017,"orig":"Liebſt du ihn?","norm":"Liebst du ihn?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1018,"orig":"Was iſt es ſonſt, warum du ihn nicht mehr Entbehren magſt?","norm":"Was ist es sonst, warum du ihn nicht mehr Entbehren magst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1019,"orig":"Du darfſt es dir geſtehn.","norm":"Du darfst es dir gestehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1020,"orig":"Wie reitzend iſt’s, in ſeinem ſchönen Geiſte Sich ſelber zu beſpiegeln!","norm":"Wie reizend ist es, in seinem schönen Geiste sich selber zu bespiegeln!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1021,"orig":"Wird ein Glück Nicht doppelt groß und herrlich, wenn ſein Lied Uns wie auf Himmels Wolken trägt und hebt?","norm":"Wird ein Glück nicht doppelt groß und herrlich, wenn sein Lied uns wie auf Himmelswolken trägt und hebt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1022,"orig":"Dann biſt du erſt beneidenswerth!","norm":"Dann bist du erst beneidenswert!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1023,"orig":"Du biſt, Du haſt das nicht allein, was viele wünſchen, Es weiß, es kennt auch jeder, was du haſt!","norm":"Du bist, Du hast das nicht allein, was viele wünschen, es weiß, es kennt auch jeder, was du hast!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1024,"orig":"Dich nennt dein Vaterland und ſieht auf dich, Das iſt der höchſte Gipfel jedes Glücks.","norm":"Dich nennt dein Vaterland und sieht auf dich, das ist der höchste Gipfel jedes Glücks."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1025,"orig":"Iſt Laura denn allein der Name, der Von allen zarten Lippen klingen ſoll?","norm":"Ist Laura denn allein der Name, der Von allen zarten Lippen klingen soll?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1026,"orig":"Und hatte nur Petrarch allein das Recht, Die unbekannte Schöne zu vergöttern?","norm":"Und hatte nur Petrarca allein das Recht, die unbekannte Schöne zu vergöttern?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1027,"orig":"Wo iſt ein Mann, der meinem Freunde ſich Vergleichen darf?","norm":"Wo ist ein Mann, der meinem Freunde sich Vergleichen darf?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1028,"orig":"Wie ihn die Welt verehrt, So wird die Nachwelt ihn verehrend nennen.","norm":"Wie ihn die Welt verehrt, so wird die Nachwelt ihn verehrend nennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1029,"orig":"Wie herrlich iſt’s, im Glanze dieſes Lebens Ihn an der Seite haben!","norm":"Wie herrlich ist es, im Glanze dieses Lebens ihn an der Seite haben!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1030,"orig":"ſo mit ihm Der Zukunft ſich mit leichtem Schritte nahn!","norm":"so mit ihm der Zukunft sich mit leichtem Schritte nahen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1031,"orig":"Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts Auf dich, und nichts der freche Ruf, Der hin und her des Beyfalls Woge treibt:","norm":"Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts Auf dich, und nichts der freche Ruf, der hin und her des Beifalls Woge treibt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1032,"orig":"Das was vergänglich iſt, bewahrt ſein Lied.","norm":"Das was vergänglich ist, bewahrt sein Lied."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1033,"orig":"Du biſt noch ſchön, noch glücklich, wenn ſchon lange Der Kreis der Dinge dich mit fortgeriſſen.","norm":"Du bist noch schön, noch glücklich, wenn schon lange der Kreis der Dinge dich mit fortgerissen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1034,"orig":"Du mußt ihn haben, und ihr nimmſt du nichts:","norm":"Du musst ihn haben, und ihr nimmst du nichts:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1035,"orig":"Denn ihre Neigung zu dem werthen Manne Iſt ihren andern Leidenſchaften gleich.","norm":"Denn ihre Neigung zu dem werten Manne ist ihren anderen Leidenschaften gleich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1036,"orig":"Sie leuchten, wie der ſtille Schein des Monds Dem Wandrer ſpärlich auf dem Pfad zu Nacht;","norm":"Sie leuchten, wie der stille Schein des Monds dem Wanderer spärlich auf dem Pfad zu Nacht;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1037,"orig":"Sie wärmen nicht, und gießen keine Luſt Noch Lebensfreud’ umher.","norm":"Sie wärmen nicht, und gießen keine Lust noch Lebensfreude umher."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1038,"orig":"Sie wird ſich freuen, Wenn ſie ihn fern, wenn ſie ihn glücklich weiß, Wie ſie genoß, wenn ſie ihn täglich ſah.","norm":"Sie wird sich freuen, wenn sie ihn fern, wenn sie ihn glücklich weiß, wie sie genoss, wenn sie ihn täglich sah."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1039,"orig":"Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht Von ihr und dieſem Hofe mich verbannen;","norm":"Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht von ihr und diesem Hofe mich verbannen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1040,"orig":"Ich komme wieder, und ich bring’ ihn wieder.","norm":"Ich komme wieder, und ich bringe ihn wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1041,"orig":"So ſoll es ſeyn!","norm":"So soll es sein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1042,"orig":"— Hier kommt der rauhe Freund;","norm":"— Hier kommt der raue Freund;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1043,"orig":"Wir wollen ſehn, ob wir ihn zähmen können.","norm":"Wir wollen sehen, ob wir ihn zähmen können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1044,"orig":"Du bringſt uns Krieg ſtatt Frieden; ſcheint es doch, Du kommſt aus einem Lager, einer Schlacht, Wo die Gewalt regiert, die Fauſt entſcheidet, Und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit Die Hände ſegnend hebt, und eine Welt Zu ihren Füßen ſieht, die gern gehorcht.","norm":"Du bringst uns Krieg statt Frieden; scheint es doch, Du kommst aus einem Lager, einer Schlacht, wo die Gewalt regiert, die Faust entscheidet, und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit die Hände segnend hebt, und eine Welt zu ihren Füßen sieht, die gern gehorcht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1045,"orig":"Ich muß den Tadel, ſchöne Freundinn, dulden, Doch die Entſchuld’gung liegt nicht weit davon.","norm":"Ich muss den Tadel, schöne Freundin, dulden, doch die Entschuldigung liegt nicht weit davon."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1046,"orig":"Es iſt gefährlich, wenn man allzu lang’ Sich klug und mäßig zeigen muß.","norm":"Es ist gefährlich, wenn man allzu lang Sich klug und mäßig zeigen muss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1047,"orig":"Es lauert Der böſe Genius dir an der Seite, Und will gewaltſam auch von Zeit zu Zeit Ein Opfer haben.","norm":"Es lauert der böse Genius dir an der Seite, und will gewaltsam auch von Zeit zu Zeit ein Opfer haben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1048,"orig":"Leider hab’ ich’s dießmal Auf meiner Freunde Koſten ihm gebracht.","norm":"Leider habe ich es diesmal Auf meiner Freunde Kosten ihm gebracht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1049,"orig":"Du haſt um fremde Menſchen dich ſo lang’ Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:","norm":"Du hast um fremde Menschen dich so lang Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1050,"orig":"Nun, da du deine Freunde wieder ſiehſt, Verkennſt du ſie, und rechteſt wie mit Fremden.","norm":"Nun, da du deine Freunde wieder siehst, verkennst du sie, und rechtest wie mit Fremden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1051,"orig":"Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr!","norm":"Da liegt, geliebte Freundin, die Gefahr!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1052,"orig":"Mit fremden Menſchen nimmt man ſich zuſammen, Da merkt man auf, da ſucht man ſeinen Zweck In ihrer Gunſt, damit ſie nutzen ſollen.","norm":"Mit fremden Menschen nimmt man sich zusammen, da merkt man auf, da sucht man seinen Zweck in ihrer Gunst, damit sie nutzen sollen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1053,"orig":"Allein bey Freunden läßt man frey ſich gehn, Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt Sich eine Laune, ungezähmter wirkt Die Leidenſchaft, und ſo verletzen wir Am erſten die, die wir am zärtſten lieben.","norm":"Allein bei Freunden lässt man frei sich gehen, man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt Sich eine Laune, ungezähmter wirkt die Leidenschaft, und so verletzen wir am ersten die, die wir am zartsten lieben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1054,"orig":"In dieſer ruhigen Betrachtung find’ ich dich Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freuden wieder.","norm":"In dieser ruhigen Betrachtung finde ich dich Schon ganz, mein teurer Freund, mit Freuden wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1055,"orig":"Ja, mich verdrießt — und ich bekenn’ es gern — Daß ich mich heut ſo ohne Maß verlor.","norm":"Ja, mich verdrießt — und ich bekenne es gern — dass ich mich heute so ohne Maß verlor."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1056,"orig":"Allein geſtehe, wenn ein wackrer Mann Mit heißer Stirn von ſaurer Arbeit kommt, Und ſpät am Abend in erſehnten Schatten Zu neuer Mühe auszuruhen denkt, Und findet dann von einem Müßiggänger Den Schatten breit beſeſſen, ſoll er nicht Auch etwas menſchlich’s in dem Buſen fühlen?","norm":"Allein gestehe, wenn ein wackerer Mann mit heißer Stirn von saurer Arbeit kommt, und spät am Abend in ersehntem Schatten zu neuer Mühe auszuruhen denkt, und findet dann von einem Müßiggänger den Schatten breit besessen, soll er nicht auch etwas Menschliches in dem Busen fühlen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1057,"orig":"Wenn er recht menſchlich iſt, ſo wird er auch Den Schatten gern mit einem Manne theilen, Der ihm die Ruhe ſüß, die Arbeit leicht Durch ein Geſpräch, durch holde Töne macht.","norm":"Wenn er recht menschlich ist, so wird er auch den Schatten gern mit einem Manne teilen, der ihm die Ruhe süß, die Arbeit leicht durch ein Gespräch, durch holde Töne macht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1058,"orig":"Der Baum iſt breit, mein Freund, der Schatten gibt, Und keiner braucht den andern zu verdrängen.","norm":"Der Baum ist breit, mein Freund, der Schatten gibt, und keiner braucht den anderen zu verdrängen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1059,"orig":"Wir wollen uns, Eleonore, nicht Mit einem Gleichniß hin und wieder ſpielen.","norm":"Wir wollen uns, Eleonore, nicht mit einem Gleichnis hin und wieder spielen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1060,"orig":"Gar viele Dinge ſind in dieſer Welt, Die man dem andern gönnt und gerne theilt;","norm":"Gar viele Dinge sind in dieser Welt, Die man dem anderen gönnt und gerne teilt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1061,"orig":"Jedoch es iſt ein Schatz, den man allein Dem Hochverdienten gerne gönnen mag, Ein andrer, den man mit dem Höchſtverdienten Mit gutem Willen niemals theilen wird — Und fragſt du mich nach dieſen beyden Schätzen;","norm":"Jedoch es ist ein Schatz, den man allein Dem hochverdienten gerne gönnen mag, ein anderer, den man mit dem Höchstverdienten mit gutem Willen niemals teilen wird — und fragst du mich nach diesen beiden Schätzen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1062,"orig":"Der Lorber iſt es und die Gunſt der Frauen.","norm":"Der Lorbeer ist es und die Gunst der Frauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1063,"orig":"Hat jener Kranz um unſers Jünglings Haupt Den ernſten Mann beleidigt?","norm":"Hat jener Kranz um unseres Jünglings Haupt den ernsten Mann beleidigt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1064,"orig":"Hätteſt du Für ſeine Mühe, ſeine ſchöne Dichtung Beſcheid’nern Lohn doch ſelbſt nicht finden können.","norm":"Hättest du für seine Mühe, seine schöne Dichtung bescheideneren Lohn doch selbst nicht finden können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1065,"orig":"Denn ein Verdienſt, das außerirdiſch iſt, Das in den Lüften ſchwebt, in Tönen nur, In leichten Bildern unſern Geiſt umgaukelt, Es wird denn auch mit einem ſchönen Bilde, Mit einem holden Zeichen nur belohnt;","norm":"Denn ein Verdienst, das außerirdisch ist, das in den Lüften schwebt, in Tönen nur, in leichten Bildern unseren Geist umgaukelt, es wird denn auch mit einem schönen Bilde, mit einem holden Zeichen nur belohnt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1066,"orig":"Und wenn er ſelbſt die Erde kaum berührt, Berührt der höchſte Lohn ihm kaum das Haupt.","norm":"Und wenn er selbst die Erde kaum berührt, berührt der höchste Lohn ihm kaum das Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1067,"orig":"Ein unfruchtbarer Zweig iſt das Geſchenk, Das der Verehrer unfruchtbare Neigung Ihm gerne bringt, damit ſie einer Schuld Auf’s leicht’ſte ſich entlade.","norm":"Ein unfruchtbarer Zweig ist das Geschenk, das der Verehrer unfruchtbare Neigung ihm gerne bringt, damit sie einer Schuld aufs leichtste sich entlade."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1068,"orig":"Du mißgönnſt Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein Um’s kahle Haupt wohl ſchwerlich; und gewiß, Der Lorberkranz iſt, wo er dir erſcheint, Ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks.","norm":"Du missgönnst dem Bild des Märtyrers den goldenen Schein um das kahle Haupt wohl schwerlich; und gewiss, der Lorbeerkranz ist, wo er dir erscheint, ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1069,"orig":"Will etwa mich dein liebenswürd’ger Mund Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?","norm":"Will etwa mich dein liebenswürdiger Mund die Eitelkeit der Welt verachten lehren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1070,"orig":"Ein jedes Gut nach ſeinem Werth zu ſchätzen, Brauch’ ich dich nicht zu lehren.","norm":"Ein jedes Gut nach seinem Wert zu schätzen, Brauche ich dich nicht zu lehren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1071,"orig":"Aber doch, Es ſcheint von Zeit zu Zeit bedarf der Weiſe, So ſehr wie andre, daß man ihm die Güter, Die er beſitzt, im rechten Lichte zeige.","norm":"Aber doch, es scheint von Zeit zu Zeit bedarf der Weise, so sehr wie andere, dass man ihm die Güter, die er besitzt, im rechten Lichte zeige."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1072,"orig":"Du, edler Mann, du wirſt an ein Phantom Von Gunſt und Ehre keinen Anſpruch machen.","norm":"Du, edler Mann, du wirst an ein Phantom von Gunst und Ehre keinen Anspruch machen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1073,"orig":"Der Dienſt, mit dem du deinem Fürſten dich, Mit dem du deine Freunde dir verbindeſt, Iſt wirkend, iſt lebendig, und ſo muß Der Lohn auch wirklich und lebendig ſeyn.","norm":"Der Dienst, mit dem du deinem Fürsten dich, mit dem du deine Freunde dir verbindest, ist wirkend, ist lebendig, und so muss der Lohn auch wirklich und lebendig sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1074,"orig":"Dein Lorber iſt das fürſtliche Vertraun, Das auf den Schultern dir, als liebe Laſt, Gehäuft und leicht getragen ruht; es iſt Dein Ruhm das allgemeine Zutraun.","norm":"Dein Lorbeer ist das fürstliche Vertrauen, das auf den Schultern dir, als liebe Last, gehäuft und leicht getragen ruht; es ist Dein Ruhm das allgemeine Zutrauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1075,"orig":"Und von der Gunſt der Frauen ſagſt du nichts, Die willſt du mir doch nicht entbehrlich ſchildern?","norm":"Und von der Gunst der Frauen sagst du nichts, die willst du mir doch nicht entbehrlich schildern?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1076,"orig":"Wie man es nimmt.","norm":"Wie man es nimmt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1077,"orig":"Denn du entbehrſt ſie nicht, Und leichter wäre ſie dir zu entbehren, Als ſie es jenem guten Mann nicht iſt.","norm":"Denn du entbehrst sie nicht, und leichter wäre sie dir zu entbehren, als sie es jenem guten Mann nicht ist."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1078,"orig":"Denn ſag’, geläng’ es einer Frau, wenn ſie Nach ihrer Art für dich zu ſorgen dächte, Mit dir ſich zu beſchäft’gen unternähme?","norm":"Denn sage, gelänge es einer Frau, wenn sie Nach ihrer Art für dich zu Sorgen dächte, mit dir sich zu beschäftigen unternähme?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1079,"orig":"Bey dir iſt alles Ordnung, Sicherheit;","norm":"Bei dir ist alles Ordnung, Sicherheit;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1080,"orig":"Du ſorgſt für dich, wie du für andre ſorgſt, Du haſt, was man dir geben möchte.","norm":"Du sorgst für dich, wie du für andere sorgst, Du hast, was man dir geben möchte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1081,"orig":"Jener Beſchäftigt uns in unſerm eignen Fache.","norm":"Jener Beschäftigt uns in unserem eigenen Fache."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1082,"orig":"Ihm fehlt’s an tauſend Kleinigkeiten, die Zu ſchaffen eine Frau ſich gern bemüht.","norm":"Ihm fehlt es an tausend Kleinigkeiten, die Zu schaffen eine Frau sich gern bemüht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1083,"orig":"Das ſchönſte Leinenzeug, ein ſeiden Kleid Mit etwas Stickerey, das trägt er gern.","norm":"Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid mit etwas Stickerei, das trägt er gern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1084,"orig":"Er ſieht ſich gern geputzt, vielmehr, er kann Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet, An ſeinem Leib nicht dulden, alles ſoll Ihm fein und gut und ſchön und edel ſtehn.","norm":"Er sieht sich gern geputzt, vielmehr, er kann unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet, an seinem Leib nicht dulden, alles soll ihm fein und gut und schön und edel stehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1085,"orig":"Und dennoch hat er kein Geſchick, das alles Sich anzuſchaffen, wenn er es beſitzt, Sich zu erhalten; immer fehlt es ihm An Geld, an Sorgſamkeit, bald läßt er da Ein Stück, bald eines dort.","norm":"Und dennoch hat er kein Geschick, das alles Sich anzuschaffen, wenn er es besitzt, Sich zu erhalten; immer fehlt es ihm an Geld, an Sorgsamkeit, bald lässt er da ein Stück, bald eines dort."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1086,"orig":"Er kehret nie Von einer Reiſe wieder, daß ihm nicht Ein Drittheil ſeiner Sachen fehle.","norm":"Er kehret nie von einer Reise wieder, dass ihm nicht ein Drittteil seiner Sachen fehle."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1087,"orig":"Bald Beſtiehlt ihn der Bediente.","norm":"Bald bestiehlt ihn der Bediente."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1088,"orig":"So, Antonio, Hat man für ihn das ganze Jahr zu ſorgen.","norm":"So, Antonio, Hat man für ihn das ganze Jahr zu Sorgen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1089,"orig":"Und dieſe Sorge macht ihn lieb und lieber.","norm":"Und diese Sorge macht ihn lieb und lieber."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1090,"orig":"Glückſel’ger Jüngling, dem man ſeine Mängel Zur Tugend rechnet, dem ſo ſchön vergönnt iſt, Den Knaben noch als Mann zu ſpielen, der Sich ſeiner holden Schwäche rühmen darf!","norm":"Glückseliger Jüngling, dem man seine Mängel zur Tugend rechnet, dem so schön vergönnt ist, den Knaben noch als Mann zu spielen, der Sich seiner holden Schwäche rühmen darf!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1091,"orig":"Du müßteſt mir verzeihen, ſchöne Freundinn, Wenn ich auch hier ein wenig bitter würde.","norm":"Du müsstest mir verzeihen, schöne Freundin, wenn ich auch hier ein wenig bitter würde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1092,"orig":"Du ſagſt nicht alles, ſagſt nicht was er wagt, Und daß er klüger iſt, als wie man denkt.","norm":"Du sagst nicht alles, sagst nicht was er wagt, und dass er klüger ist, als wie man denkt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1093,"orig":"Er rühmt ſich zweyer Flammen!","norm":"Er rühmt sich zweier Flammen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1094,"orig":"knüpft und löſ’t Die Knoten hin und wieder, und gewinnt Mit ſolchen Künſten ſolche Herzen!","norm":"knüpft und löst die Knoten hin und wieder, und gewinnt mit solchen Künsten solche Herzen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1095,"orig":"Iſt’s Zu glauben?","norm":"Ist es zu glauben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1096,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1097,"orig":"Selbſt das beweiſ’t ja ſchon, Daß es nur Freundſchaft iſt, was uns belebt.","norm":"Selbst das beweist ja schon, dass es nur Freundschaft ist, was uns belebt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1098,"orig":"Und wenn wir denn auch Lieb’ um Liebe tauſchten, Belohnten wir das ſchöne Herz nicht billig, Das ganz ſich ſelbſt vergißt, und hingegeben Im holden Traum für ſeine Freunde lebt?","norm":"Und wenn wir denn auch Liebe um Liebe tauschten, belohnten wir das schöne Herz nicht billig, das ganz sich selbst vergisst, und hingegeben im holden Traum für seine Freunde lebt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1099,"orig":"Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr, Laßt ſeine Selbſtigkeit für Liebe gelten, Beleidigt alle Freunde, die ſich euch Mit treuer Seele widmen, gebt dem Stolzen Freywilligen Tribut, zerſtöret ganz Den ſchönen Kreis geſelligen Vertrauns!","norm":"Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr, lasst seine Selbstigkeit für Liebe gelten, beleidigt alle Freunde, die sich euch Mit treuer Seele widmen, gebt dem Stolzen Freiwilligen Tribut, zerstöret ganz den schönen Kreis geselligen Vertrauens!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1100,"orig":"Wir ſind nicht ſo parteyiſch wie du glaubſt, Ermahnen unſern Freund in manchen Fällen;","norm":"Wir sind nicht so parteiisch wie du glaubst, Ermahnen unseren Freund in manchen Fällen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1101,"orig":"Wir wünſchen ihn zu bilden, daß er mehr Sich ſelbſt genieße, mehr ſich zu genießen Den andern geben könne.","norm":"Wir wünschen ihn zu bilden, dass er mehr Sich selbst genieße, mehr sich zu genießen den anderen geben könne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1102,"orig":"Was an ihm Zu tadeln iſt, das bleibt uns nicht verborgen.","norm":"Was an ihm Zu tadeln ist, das bleibt uns nicht verborgen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1103,"orig":"Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre.","norm":"Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1104,"orig":"Ich kenn’ ihn lang’, er iſt ſo leicht zu kennen, Und iſt zu ſtolz ſich zu verbergen.","norm":"Ich kenne ihn lang, er ist so leicht zu kennen, und ist zu stolz sich zu verbergen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1105,"orig":"Bald Verſinkt er in ſich ſelbſt, als wäre ganz Die Welt in ſeinem Buſen, er ſich ganz In ſeiner Welt genug, und alles rings Umher verſchwindet ihm.","norm":"Bald versinkt er in sich selbst, als wäre ganz die Welt in seinem Busen, er sich ganz In seiner Welt genug, und alles rings Umher verschwindet ihm."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1106,"orig":"Er läßt es gehn, Läßt’s fallen, ſtößt’s hinweg und ruht in ſich — Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke Die Mine zündet, ſey es Freude, Leid, Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:","norm":"Er lässt es gehen, lässt es fallen, stößt es hinweg und ruht in sich — auf einmal, wie ein unbemerkter Funke die Mine zündet, sei es Freude, Leid, Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1107,"orig":"Dann will er Alles faſſen, Alles halten, Dann ſoll geſchehn, was er ſich denken mag;","norm":"Dann will er alles fassen, alles halten, dann soll geschehen, was er sich denken mag;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1108,"orig":"In einem Augenblicke ſoll entſtehn, Was Jahre lang bereitet werden ſollte, In einem Augenblick gehoben ſeyn, Was Mühe kaum in Jahren löſen könnte.","norm":"In einem Augenblicke soll entstehen, was Jahre lang bereitet werden sollte, in einem Augenblick gehoben sein, was Mühe kaum in Jahren lösen könnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1109,"orig":"Er fordert das Unmögliche von ſich, Damit er es von andern fordern dürfe Die letzten Enden aller Dinge will Sein Geiſt zuſammen faſſen; das gelingt Kaum Einem unter Millionen Menſchen, Und er iſt nicht der Mann: er fällt zuletzt, Um nichts gebeſſert, in ſich ſelbſt zurück.","norm":"Er fordert das Unmögliche von sich, damit er es von anderen fordern dürfe die letzten Enden aller Dinge will Sein Geist zusammen fassen; das gelingt kaum einem unter Millionen Menschen, und er ist nicht der Mann: Er fällt zuletzt, um nichts gebessert, in sich selbst zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1110,"orig":"Er ſchadet andern nicht, er ſchadet ſich.","norm":"Er schadet anderen nicht, er schadet sich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1111,"orig":"Und doch verletzt er andre nur zu ſehr.","norm":"Und doch verletzt er andere nur zu sehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1112,"orig":"Kannſt du es läugnen, daß im Augenblick Der Leidenſchaft, die ihn behend ergreift, Er auf den Fürſten, auf die Fürſtinn ſelbſt, Auf wen es ſey, zu ſchmähn, zu läſtern wagt?","norm":"Kannst du es leugnen, dass im Augenblick der Leidenschaft, die ihn behände ergreift, er auf den Fürsten, auf die Fürstin selbst, auf wen es sei, zu schmähen, zu lästern wagt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1113,"orig":"Zwar augenblicklich nur, allein genug Der Augenblick kommt wieder: er beherrſcht So wenig ſeinen Mund als ſeine Bruſt.","norm":"Zwar augenblicklich nur, allein genug der Augenblick kommt wieder: Er beherrscht So wenig seinen Mund als seine Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1114,"orig":"Ich ſollte denken, wenn er ſich von hier Auf eine kurze Zeit entfernte, ſollt’ Es wohl für ihn und andre nützlich ſeyn.","norm":"Ich sollte denken, wenn er sich von hier Auf eine kurze Zeit entfernte, sollte es wohl für ihn und andere nützlich sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1115,"orig":"Vielleicht, vielleicht auch nicht.","norm":"Vielleicht, vielleicht auch nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1116,"orig":"Doch eben jetzt Iſt nicht daran zu denken.","norm":"Doch eben jetzt ist nicht daran zu denken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1117,"orig":"Denn ich will Den Fehler nicht auf meine Schultern laden;","norm":"Denn ich will den Fehler nicht auf meine Schultern laden;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1118,"orig":"Es könnte ſcheinen, daß ich ihn vertreibe, Und ich vertreib’ ihn nicht.","norm":"Es könnte scheinen, dass ich ihn vertreibe, und ich vertreib ihn nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1119,"orig":"Um meinetwillen Kann er an unſerm Hofe ruhig bleiben; Und wenn er ſich mit mir verſöhnen will, Und wenn er meinen Rath befolgen kann, So werden wir ganz leidlich leben können.","norm":"Um meinetwillen kann er an unserem Hofe ruhig bleiben; und wenn er sich mit mir versöhnen will, und wenn er meinen Rat befolgen kann, so werden wir ganz leidlich leben können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1120,"orig":"Nun hoffſt du ſelbſt auf ein Gemüth zu wirken, Das dir vor kurzem noch verloren ſchien.","norm":"Nun hoffst du selbst auf ein Gemüt zu wirken, das dir vor kurzem noch verloren schien."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1121,"orig":"Wir hoffen immer, und in allen Dingen Iſt beſſer hoffen als verzweifeln.","norm":"Wir hoffen immer, und in allen Dingen ist besser hoffen als verzweifeln."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1122,"orig":"Denn Wer kann das Mögliche berechnen?","norm":"Denn wer kann das Mögliche berechnen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1123,"orig":"Er Iſt unſerm Fürſten werth.","norm":"Er ist unserem Fürsten wert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1124,"orig":"Er muß uns bleiben.","norm":"Er muss uns bleiben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1125,"orig":"Und bilden wir dann auch umſonſt an ihm, So iſt er nicht der einz’ge, den wir dulden.","norm":"Und bilden wir dann auch umsonst an ihm, so ist er nicht der einzige, den wir dulden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1126,"orig":"So ohne Leidenſchaft, ſo unparteyiſch Glaubt’ ich dich nicht.","norm":"So ohne Leidenschaft, so unparteiisch glaubte ich dich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1127,"orig":"Du haſt dich ſchnell bekehrt.","norm":"Du hast dich schnell bekehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1128,"orig":"Das Alter muß doch Einen Vorzug haben, Daß, wenn es auch dem Irrthum nicht entgeht, Es doch ſich auf der Stelle faſſen kann.","norm":"Das Alter muss doch Einen Vorzug haben, dass, wenn es auch dem Irrtum nicht entgeht, es doch sich auf der Stelle fassen kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1129,"orig":"Du warſt, mich deinem Freunde zu verſöhnen, Zuerſt bemüht.","norm":"Du warst, mich deinem Freunde zu versöhnen, zuerst bemüht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1130,"orig":"Nun bitt’ ich es von dir.","norm":"Nun bitte ich es von dir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1131,"orig":"Thu’ was du kannſt, daß dieſer Mann ſich finde, Und alles wieder bald im Gleichen ſey.","norm":"Tu was du kannst, dass dieser Mann sich finde, und alles wieder bald im Gleichen sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1132,"orig":"Ich gehe ſelbſt zu ihm, ſo bald ich nur Von dir erfahre, daß er ruhig iſt, So bald du glaubſt, daß meine Gegenwart Das Übel nicht vermehrt.","norm":"Ich gehe selbst zu ihm, sobald ich nur Von dir erfahre, dass er ruhig ist, sobald du glaubst, dass meine Gegenwart das Übel nicht vermehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1133,"orig":"Doch was du thuſt, Das thu’ in dieſer Stunde; denn es geht Alphons heut’ Abend noch zurück, und ich Werd’ ihn begleiten.","norm":"Doch was du tust, das tu in dieser Stunde; denn es geht Alphons heute Abend noch zurück, und ich Werde ihn begleiten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1134,"orig":"Leb’ indeſſen wohl.","norm":"Lebe indessen wohl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1135,"orig":"Für dießmal, lieber Freund, ſind wir nicht eins, Mein Vortheil und der deine gehen heut Nicht Hand in Hand.","norm":"Für diesmal, lieber Freund, sind wir nicht eins, Mein Vorteil und der deine gehen heute nicht Hand in Hand."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1136,"orig":"Ich nütze dieſe Zeit Und ſuche Taſſo zu gewinnen.","norm":"Ich nütze diese Zeit und suche Tasso zu gewinnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1137,"orig":"Schnell!","norm":"Schnell!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1138,"orig":"Biſt du aus einem Traum erwacht, und hat Der ſchöne Trug auf einmal dich verlaſſen?","norm":"Bist du aus einem Traum erwacht, und hat der schöne Trug auf einmal dich verlassen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1139,"orig":"Hat dich nach einem Tag der höchſten Luſt Ein Schlaf gebändigt, hält und ängſtet nun Mit ſchweren Feſſeln deine Seele?","norm":"Hat dich nach einem Tag der höchsten Lust ein Schlaf gebändigt, hält und ängstet nun Mit schweren Fesseln deine Seele?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1140,"orig":"Ja, Du wachſt und träumſt.","norm":"Ja, Du wachst und träumst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1141,"orig":"Wo ſind die Stunden hin, Die um dein Haupt mit Blumenkränzen ſpielten?","norm":"Wo sind die Stunden hin, die um dein Haupt mit Blumenkränzen spielten?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1142,"orig":"Die Tage, wo dein Geiſt mit freyer Sehnſucht Des Himmels ausgeſpanntes Blau durchdrang?","norm":"Die Tage, wo dein Geist mit freier Sehnsucht des Himmels ausgespanntes Blau durchdrang?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1143,"orig":"Und dennoch lebſt du noch, und fühlſt dich an, Du fühlſt dich an, und weißt nicht ob du lebſt.","norm":"Und dennoch lebst du noch, und fühlst dich an, Du fühlst dich an, und weißt nicht ob du lebst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1144,"orig":"Iſt’s meine Schuld, iſt’s eines andern Schuld, Daß ich mich nun als ſchuldig hier beſinde?","norm":"Ist es meine Schuld, ist es eines anderen Schuld, dass ich mich nun als schuldig hier befinde?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1145,"orig":"Hab’ ich verbrochen, daß ich leiden ſoll?","norm":"Habe ich verbrochen, dass ich leiden soll?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1146,"orig":"Iſt nicht mein ganzer Fehler ein Verdienſt?","norm":"Ist nicht mein ganzer Fehler ein Verdienst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1147,"orig":"Ich ſah ihn an, und ward vom guten Willen, Vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt:","norm":"Ich sah ihn an, und wurde vom guten Willen, vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1148,"orig":"Der ſey ein Menſch, der menſchlich Anſehn trägt.","norm":"Der sei ein Mensch, der menschlich Ansehen trägt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1149,"orig":"Ich ging mit off’nen Armen auf ihn los, Und fühlte Schloß und Riegel, keine Bruſt.","norm":"Ich ging mit offenen Armen auf ihn los, und fühlte Schloss und Riegel, keine Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1150,"orig":"O hatt’ ich doch ſo klug mir ausgedacht, Wie ich den Mann empfangen wollte, der Von alten Zeiten mir verdächtig war!","norm":"O hatte ich doch so klug mir ausgedacht, wie ich den Mann empfangen wollte, der Von alten Zeiten mir verdächtig war!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1151,"orig":"Allein was immer dir begegnet ſey, So halte dich an der Gewißheit feſt:","norm":"Allein was immer dir begegnet sei, so halte dich an der Gewissheit fest:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1152,"orig":"Ich habe ſie geſehn!","norm":"Ich habe sie gesehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1153,"orig":"Sie ſtand vor mir!","norm":"Sie stand vor mir!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1154,"orig":"Sie ſprach zu mir, ich habe ſie vernommen!","norm":"Sie sprach zu mir, ich habe sie vernommen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1155,"orig":"Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn, Sie ſind auf ewig mein, es raubt ſie nicht Die Zeit, das Schickſal, noch das wilde Glück, Und hob mein Geiſt ſich da zu ſchnell empor, Und ließ ich allzu raſch in meinem Buſen Der Flamme Luft, die mich nun ſelbſt verzehrt, So kann mich’s nicht gereun, und wäre ſelbſt Auf ewig das Geſchick des Lebens hin.","norm":"Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn, Sie sind auf ewig mein, es raubt sie nicht die Zeit, das Schicksal, noch das wilde Glück, und hob mein Geist sich da zu schnell empor, und ließ ich allzu rasch in meinem Busen der Flamme Luft, die mich nun selbst verzehrt, so kann mich es nicht gereuen, und wäre selbst Auf ewig das Geschick des Lebens hin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1156,"orig":"Ich widmete mich ihr, und folgte froh Dem Winke, der mich in’s Verderben rief.","norm":"Ich widmete mich ihr, und folgte froh dem Winke, der mich ins Verderben rief."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1157,"orig":"Es ſey!","norm":"Es sei!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1158,"orig":"So hab’ ich mich doch werth gezeigt Des köſtlichen Vertrauns, das mich erquickt, In dieſer Stunde ſelbſt erquickt, die mir Die ſchwarze Pforte langer Trauerzeit Gewaltſam öffnet.","norm":"So habe ich mich doch wert gezeigt des köstlichen Vertrauens, das mich erquickt, in dieser Stunde selbst erquickt, die mir Die schwarze Pforte langer Trauerzeit gewaltsam öffnet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1159,"orig":"— Ja, nun iſt’s gethan!","norm":"— Ja, nun ist es getan!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1160,"orig":"Es geht die Sonne mir der ſchönſten Gunſt Auf einmal unter; ſeinen holden Blick Entziehet mir der Fürſt, und läßt mich hier Auf düſtrem, ſchmalen Pfad verloren ſtehn.","norm":"Es geht die Sonne mir der schönsten Gunst auf einmal unter; seinen holden Blick Entziehet mir der Fürst, und lässt mich hier Auf düsterem, schmalen Pfad verloren stehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1161,"orig":"Das häßliche zweydeutige Geflügel, Das leidige Gefolg’ der alten Nacht, Es ſchwärmt hervor und ſchwirrt mir um das Haupt.","norm":"Das hässliche zweideutige Geflügel, das leidige Gefolge der alten Nacht, es schwärmt hervor und schwirrt mir um das Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1162,"orig":"Wohin, wohin beweg’ ich meinen Schritt?","norm":"Wohin, wohin beweg ich meinen Schritt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1163,"orig":"Dem Ekel zu entfliehn, der mich umſaußt, Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?","norm":"Dem Ekel zu entfliehen, der mich umsaust, dem Abgrund zu entgehen, der vor mir liegt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1164,"orig":"Was iſt begegnet?","norm":"Was ist begegnet?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1165,"orig":"Lieber Taſſo, hat Dein Eifer dich, dein Argwohn ſo getrieben?","norm":"Lieber Tasso, hat Dein Eifer dich, dein Argwohn so getrieben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1166,"orig":"Wie iſt’s geſchehn?","norm":"Wie ist es geschehen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1167,"orig":"Wir alle ſtehn beſtürzt.","norm":"Wir alle stehen bestürzt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1168,"orig":"Und deine Sanftmuth, dein gefällig Weſen, Dein ſchneller Blick, dein richtiger Verſtand, Mit dem du jedem gibſt was ihm gehört, Dein Gleichmuth, der erträgt, was zu ertragen Der Edle bald, der Eitle ſelten lernt, Die kluge Herrſchaft über Zung’ und Lippe?","norm":"Und deine Sanftmut, dein gefällig Wesen, Dein schneller Blick, dein richtiger Verstand, mit dem du jedem gibst was ihm gehört, Dein Gleichmut, der erträgt, was zu ertragen der Edle bald, der Eitle selten lernt, die kluge Herrschaft über Zunge und Lippe?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1169,"orig":"— Mein theurer Freund, faſt ganz verkenn’ ich dich.","norm":"— Mein teurer Freund, fast ganz verkenn ich dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1170,"orig":"Und wenn das alles nun verloren wäre?","norm":"Und wenn das alles nun verloren wäre?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1171,"orig":"Wenn einen Freund, den du einſt reich geglaubt, Auf einmal du als einen Bettler fändeſt?","norm":"Wenn einen Freund, den du einst reich geglaubt, auf einmal du als einen Bettler fändest?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1172,"orig":"Wohl haſt du recht, ich bin nicht mehr ich ſelbſt, Und bin’s doch noch ſo gut als wie ich’s war.","norm":"Wohl hast du recht, ich bin nicht mehr ich selbst, und bin es doch noch so gut als wie ich es war."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1173,"orig":"Es ſcheint ein Räthſel, und doch iſt es keins.","norm":"Es scheint ein Rätsel, und doch ist es keins."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1174,"orig":"Der ſtille Mond, der dich bey Nacht erfreut, Dein Auge, dein Gemüth mit ſeinem Schein Unwiderſtehlich lockt, er ſchwebt am Tage Ein unbedeutend blaſſes Wölkchen hin.","norm":"Der stille Mond, der dich bei Nacht erfreut, Dein Auge, dein Gemüt mit seinem Schein unwiderstehlich lockt, er schwebt am Tage ein unbedeutend blasses Wölkchen hin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1175,"orig":"Ich bin vom Glanz des Tages überſchienen, Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr.","norm":"Ich bin vom Glanz des Tages überschienen, Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1176,"orig":"Was du mir ſagſt, mein Freund, verſteh’ ich nicht Wie du es ſagſt.","norm":"Was du mir sagst, mein Freund, verstehe ich nicht wie du es sagst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1177,"orig":"Erkläre dich mit mir.","norm":"Erkläre dich mit mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1178,"orig":"Hat die Beleidigung des ſchroffen Mann’s Dich ſo gekränkt, daß du dich ſelbſt und uns So ganz verkennen magſt?","norm":"Hat die Beleidigung des schroffen Manns Dich so gekränkt, dass du dich selbst und uns So ganz verkennen magst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1179,"orig":"Vertraue mir.","norm":"Vertraue mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1180,"orig":"Ich bin nicht der Beleidigte, du ſiehſt Mich ja beſtraft, weil ich beleidigt habe.","norm":"Ich bin nicht der Beleidigte, du siehst mich ja bestraft, weil ich beleidigt habe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1181,"orig":"Die Knoten vieler Worte löſ’t das Schwert Gar leicht und ſchnell, allein ich bin gefangen.","norm":"Die Knoten vieler Worte löst das Schwert Gar leicht und schnell, allein ich bin gefangen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1182,"orig":"Du weißt wohl kaum — erſchrick nicht, zarte Freundinn — Du triffſt den Frennd in einem Kerker an.","norm":"Du weißt wohl kaum — erschrick nicht, zarte Freundin — Du triffst den Freund in einem Kerker an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1183,"orig":"Mich züchtiget der Fürſt wie einen Schüler.","norm":"Mich züchtiget der Fürst wie einen Schüler."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1184,"orig":"Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht.","norm":"Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1185,"orig":"Du ſcheineſt mehr, als billig iſt, bewegt.","norm":"Du scheinest mehr, als billig ist, bewegt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1186,"orig":"Hältſt du mich für ſo ſchwach, für ſo ein Kind, Daß ſolch ein Fall mich gleich zerrütten könne?","norm":"Hältst du mich für so schwach, für so ein Kind, dass solch ein Fall mich gleich zerrütten könne?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1187,"orig":"Das was geſchehn iſt, kränkt mich nicht ſo tief, Allein das kränkt mich, was es mir bedeutet.","norm":"Das was geschehen ist, kränkt mich nicht so tief, allein das kränkt mich, was es mir bedeutet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1188,"orig":"Laß meine Neider meine Feinde nur Gewähren!","norm":"Lass meine Neider meine Feinde nur Gewähren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1189,"orig":"Frey und offen iſt das Feld.","norm":"Frei und offen ist das Feld."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1190,"orig":"Du haſt gar manchen fälſchlich in Verdacht, Ich habe ſelbſt mich überzeugen können.","norm":"Du hast gar manchen fälschlich in Verdacht, Ich habe selbst mich überzeugen können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1191,"orig":"Und auch Antonio feindet dich nicht an, Wie du es wähnſt.","norm":"Und auch Antonio feindet dich nicht an, wie du es wähnst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1192,"orig":"Der heutige Verdruß —","norm":"Der heutige Verdruss —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1193,"orig":"Den laß’ ich ganz bey Seite, nehme nur Antonio wie er war und wie er bleibt.","norm":"Den lass ich ganz bei Seite, nehme nur Antonio wie er war und wie er bleibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1194,"orig":"Verdrießlich fiel mir ſtets die ſteife Klugheit, Und daß er immer nur den Meiſter ſpielt.","norm":"Verdrießlich fiel mir stets die steife Klugheit, und dass er immer nur den Meister spielt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1195,"orig":"Anſtatt zu forſchen, ob des Hörers Geiſt Nicht ſchon für ſich auf guten Spuren wandle, Belehrt er dich von manchem, das du beſſer Und tiefer fühlteſt, und vernimmt kein Wort, Das du ihm ſagſt, und wird dich ſtets verkennen.","norm":"Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist nicht schon für sich auf guten Spuren wandle, belehrt er dich von manchem, das du besser Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort, das du ihm sagst, und wird dich stets verkennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1196,"orig":"Verkannt zu ſeyn, verkannt von einem Stolzen, Der lächelnd dich zu überſehen glaubt!","norm":"Verkannt zu sein, verkannt von einem Stolzen, der lächelnd dich zu übersehen glaubt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1197,"orig":"Ich bin ſo alt noch nicht und nicht ſo klug, Daß ich nur duldend gegenlächeln ſollte.","norm":"Ich bin so alt noch nicht und nicht so klug, dass ich nur duldend gegenlächeln sollte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1198,"orig":"Früh oder ſpat, es konnte ſich nicht halten, Wir mußten brechen; ſpäter wär’ es nur, Um deſto ſchlimmer worden.","norm":"Früh oder spat, es konnte sich nicht halten, wir mussten brechen; später wäre es nur, um desto schlimmer worden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1199,"orig":"Einen Herrn Erkenn’ ich nur, den Herrn der mich ernährt, Dem folg’ ich gern, ſonſt will ich keinen Meiſter.","norm":"Einen Herrn Erkenne ich nur, den Herrn der mich ernährt, dem folge ich gern, sonst will ich keinen Meister."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1200,"orig":"Frey will ich ſeyn im Denken und im Dichten, Im Handeln ſchränkt die Welt genug uns ein.","norm":"Frei will ich sein im Denken und im Dichten, im Handeln schränkt die Welt genug uns ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1201,"orig":"Er ſpricht mit Achtung oft genug von dir.","norm":"Er spricht mit Achtung oft genug von dir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1202,"orig":"Mit Schonung willſt du ſagen, fein und klug.","norm":"Mit Schonung willst du sagen, fein und klug."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1203,"orig":"Und das verdrießt mich eben; denn er weiß So glatt und ſo bedingt zu ſprechen, daß Sein Lob erſt recht zum Tadel wird, und daß Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt, als Lob Aus ſeinem Munde.","norm":"Und das verdrießt mich eben; denn er weiß so glatt und so bedingt zu sprechen, dass Sein Lob erst recht zum Tadel wird, und dass Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt, als Lob aus seinem Munde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1204,"orig":"Möchteſt du, mein Freund, Vernommen haben, wie er ſonſt von dir Und dem Talente ſprach, das dir vor vielen Die gütige Natur verlieh.","norm":"Möchtest du, mein Freund, vernommen haben, wie er sonst von dir Und dem Talente sprach, das dir vor vielen Die gütige Natur verlieh."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1205,"orig":"Er fühlt gewiß, Das was du biſt und haſt, und ſchätzt es auch.","norm":"Er fühlt gewiss, das was du bist und hast, und schätzt es auch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1206,"orig":"O glaube mir, ein ſelbſtiſches Gemüth Kann nicht der Qual des engen Neid’s entfliehen.","norm":"O glaube mir, ein selbstisches Gemüt kann nicht der Qual des engen Neids entfliehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1207,"orig":"Ein ſolcher Mann verzeiht dem andern wohl Vermögen, Stand und Ehre; denn er denkt, Das haſt du ſelbſt, das haſt du wenn du willſt, Wenn du beharrſt, wenn dich das Glück begünſtigt.","norm":"Ein solcher Mann verzeiht dem anderen wohl Vermögen, Stand und Ehre; denn er denkt, das hast du selbst, das hast du wenn du willst, wenn du beharrst, wenn dich das Glück begünstigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1208,"orig":"Doch das, was die Natur allein verleiht, Was jeglicher Bemühung, jedem Streben Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold, Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit Erzwingen kann, das wird er nie verzeihn.","norm":"Doch das, was die Natur allein verleiht, was jeglicher Bemühung, jedem Streben stets unerreichbar bleibt, was weder Gold, noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit Erzwingen kann, das wird er nie verzeihen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1209,"orig":"Er gönnt es mir?","norm":"Er gönnt es mir?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1210,"orig":"Er, der mit ſteifem Sinn Die Gunſt der Muſen zu ertrotzen glaubt?","norm":"Er, der mit steifem Sinn die Gunst der Musen zu ertrotzen glaubt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1211,"orig":"Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter Zuſammenreiht, ſich ſelbſt ein Dichter ſcheint?","norm":"Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1212,"orig":"Weit eher gönnt er mir des Fürſten Gunſt, Die er doch gern auf ſich beſchränken möchte, Als das Talent, das jene Himmliſchen Dem armen, dem verwaiſ’ten Jüngling gaben.","norm":"Weit eher gönnt er mir des Fürsten Gunst, die er doch gern auf sich beschränken möchte, als das Talent, das jene Himmlischen Dem armen, dem verwaisten Jüngling gaben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1213,"orig":"O ſäheſt du ſo klar, wie ich es ſehe!","norm":"O sähest du so klar, wie ich es sehe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1214,"orig":"Du irrſt dich über ihn, ſo iſt er nicht.","norm":"Du irrst dich über ihn, so ist er nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1215,"orig":"Und irr’ ich mich an ihm, ſo irr’ ich gern!","norm":"Und irre ich mich an ihm, so irre ich gern!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1216,"orig":"Ich denk’ ihn mir als meinen ärgſten Feind, Und wär’ untröſtlich, wenn ich mir ihn nun Gelinder denken müßte.","norm":"Ich denke ihn mir als meinen ärgsten Feind, und wäre untröstlich, wenn ich mir ihn nun Gelinder denken müsste."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1217,"orig":"Thöricht iſt’s In allen Stücken billig ſeyn; es heißt Sein eigen Selbſt zerſtören.","norm":"Töricht ist es in allen Stücken billig sein; es heißt Sein eigen Selbst zerstören."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1218,"orig":"Sind die Menſchen Denn gegen uns ſo billig?","norm":"Sind die Menschen denn gegen uns so billig?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1219,"orig":"Nein, o nein!","norm":"Nein, o nein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1220,"orig":"Der Menſch bedarf in ſeinem engen Weſen Der doppelten Empfindung, Lieb’ und Haß.","norm":"Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen der doppelten Empfindung, Liebe und Hass."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1221,"orig":"Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tag’s?","norm":"Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tags?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1222,"orig":"Des Schlafens wie des Wachens?","norm":"Des Schlafens wie des Wachens?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1223,"orig":"Nein, ich muß Von nun an dieſen Mann als Gegenſtand, Von meinem tiefſten Haß behalten; nichts Kann mir die Luſt entreißen ſchlimm und ſchlimmer Von ihm zu denken.","norm":"Nein, ich muss von nun an diesen Mann als Gegenstand, von meinem tiefsten Hass behalten; nichts Kann mir die Lust entreißen schlimm und schlimmer von ihm zu denken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1224,"orig":"Willſt du, theurer Freund, Von deinem Sinn nicht laſſen, ſeh’ ich kaum, Wie du am Hofe länger bleiben willſt.","norm":"Willst du, teurer Freund, von deinem Sinn nicht lassen, sehe ich kaum, wie du am Hofe länger bleiben willst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1225,"orig":"Du weißt, wie viel er gilt und gelten muß.","norm":"Du weißt, wie viel er gilt und gelten muss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1226,"orig":"Wie ſehr ich lang’, o ſchöne Freundinn, hier Schon überflüſſig bin, das weiß ich wohl.","norm":"Wie sehr ich lang, o schöne Freundin, hier schon überflüssig bin, das weiß ich wohl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1227,"orig":"Das biſt du nicht, das kannſt du nimmer werden!","norm":"Das bist du nicht, das kannst du nimmer werden!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1228,"orig":"Du weißt vielmehr, wie gern der Fürſt mit dir, Wie gern die Fürſtinn mit dir lebt; und kommt Die Schweſter von Urbino, kommt ſie faſt So ſehr um dein’t - als der Geſchwiſter willen.","norm":"Du weißt vielmehr, wie gern der Fürst mit dir, wie gern die Fürstin mit dir lebt; und kommt die Schwester von Urbino, kommt sie fast So sehr um deinet - als der Geschwister Willen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1229,"orig":"Sie denken alle gut und gleich von dir, Und jegliches vertraut dir unbedingt.","norm":"Sie denken alle gut und gleich von dir, und jegliches vertraut dir unbedingt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1230,"orig":"O Leonore, welch Vertraun iſt das?","norm":"O Leonore, welch Vertrauen ist das?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1231,"orig":"Hat er von ſeinem Staate je ein Wort, Ein ernſtes Wort mit mir geſprochen?","norm":"Hat er von seinem Staate je ein Wort, ein ernstes Wort mit mir gesprochen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1232,"orig":"Kam Ein eigner Fall, worüber er ſogar In meiner Gegenwart mit ſeiner Schweſter, Mit andern ſich berieth, mich fragt’ er nie.","norm":"Kam ein eigener Fall, worüber er sogar In meiner Gegenwart mit seiner Schwester, mit anderen sich beriet, mich fragte er nie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1233,"orig":"Da hieß es immer nur:","norm":"Da hieß es immer nur:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1234,"orig":"Antonio kommt!","norm":"Antonio kommt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1235,"orig":"Man muß Antonio ſchreiben!","norm":"Man muss Antonio schreiben!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1236,"orig":"fragt Antonio!","norm":"fragt Antonio!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1237,"orig":"Du klagſt anſtatt zu danken.","norm":"Du klagst anstatt zu danken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1238,"orig":"Wenn er dich In unbedingter Freyheit laſſen mag, So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.","norm":"Wenn er dich In unbedingter Freiheit lassen mag, so ehrt er dich, wie er dich ehren kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1239,"orig":"Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.","norm":"Er lässt mich ruhen, weil er mich unnütz glaubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1240,"orig":"Du biſt nicht unnütz, eben weil du ruhſt.","norm":"Du bist nicht unnütz, eben weil du ruhst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1241,"orig":"So lange hegſt du ſchon Verdruß und Sorge, Wie ein geliebtes Kind, an deiner Bruſt.","norm":"So lange hegst du schon Verdruss und Sorge, wie ein geliebtes Kind, an deiner Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1242,"orig":"Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken Wie ich es will, auf dieſem ſchönen Boden, Wohin das Glück dich zu verpflanzen ſchien, Gedeihſt du nicht.","norm":"Ich habe es oft bedacht, und mag es bedenken wie ich es will, auf diesem schönen Boden, wohin das Glück dich zu verpflanzen schien, gedeihst du nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1243,"orig":"O Taſſo!","norm":"O Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1244,"orig":"— rath’ ich dir’s?","norm":"— rat ich dir es?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1245,"orig":"Sprech’ ich es aus?","norm":"Spreche ich es aus?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1246,"orig":"— Du ſollteſt dich entfernen!","norm":"— Du solltest dich entfernen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1247,"orig":"Verſchone nicht den Kranken, lieber Arzt!","norm":"Verschone nicht den Kranken, lieber Arzt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1248,"orig":"Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran, Ob’s bitter ſey.","norm":"Reich ihm das Mittel, denke nicht daran, ob es bitter sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1249,"orig":"— Ob er geneßen könne, Das überlege wohl, o kluge, gute Freundinn!","norm":"— Ob er genesen könne, das überlege wohl, o kluge, gute Freundin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1250,"orig":"Ich ſeh’ es alles ſelbſt, es iſt vorbey!","norm":"Ich sehe es alles selbst, es ist vorbei!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1251,"orig":"Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir;","norm":"Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1252,"orig":"Und ſein bedarf man, leider!","norm":"Und sein Bedarf man, leider!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1253,"orig":"meiner nicht.","norm":"meiner nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1254,"orig":"Und er iſt klug, und leider!","norm":"Und er ist klug, und leider!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1255,"orig":"bin ich’s nicht.","norm":"bin ich es nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1256,"orig":"Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann, Ich mag nicht gegenwirken.","norm":"Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann, Ich mag nicht gegenwirken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1257,"orig":"Meine Freunde Sie laſſen’s gehn, ſie ſehen’s anders an, Sie widerſtreben kaum, und ſollten kämpfen.","norm":"Meine Freunde Sie lassen es gehen, sie sehen es anders an, Sie widerstreben kaum, und sollten kämpfen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1258,"orig":"Du glaubſt, ich ſoll hinweg, ich glaub’ es ſelbſt — So lebt denn wohl!","norm":"Du glaubst, ich soll hinweg, ich glaube es selbst — so lebt denn wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1259,"orig":"ich werd’ auch das ertragen.","norm":"ich werde auch das ertragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1260,"orig":"Ihr ſeyd von mir geſchieden — werd’ auch mir Von euch zu ſcheiden, Kraft und Muth verliehn!","norm":"Ihr seid von mir geschieden — werde auch mir Von euch zu scheiden, Kraft und Mut verliehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1261,"orig":"Ach in der Ferne zeigt ſich alles reiner, Was in der Gegenwart uns nur verwirrt.","norm":"Ach in der Ferne zeigt sich alles reiner, was in der Gegenwart uns nur verwirrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1262,"orig":"Vielleicht wirſt du erkennen, welche Liebe Dich überall umgab, und welchen Werth Die Treue wahrer Freunde hat, und wie Die weite Welt die Nächſten nicht erſetzt.","norm":"Vielleicht wirst du erkennen, welche Liebe Dich überall umgab, und welchen Wert die Treue wahrer Freunde hat, und wie Die weite Welt die Nächsten nicht ersetzt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1263,"orig":"Das werden wir erfahren!","norm":"Das werden wir erfahren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1264,"orig":"Kenn’ ich doch Die Welt von Jugend auf, wie ſie ſo leicht Und hülflos, einſam läßt, und ihren Weg Wie Sonn’ und Mond und andre Götter geht.","norm":"Kenne ich doch die Welt von Jugend auf, wie sie so leicht Und hilflos, einsam lässt, und ihren Weg wie Sonne und Mond und andere Götter geht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1265,"orig":"Vernimmſt du mich, mein Freund, ſo ſollſt du nie Die traurige Erfahrung wiederhohlen.","norm":"Vernimmst du mich, mein Freund, so sollst du nie die traurige Erfahrung wiederholen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1266,"orig":"Soll ich dir rathen, ſo begibſt du dich Erſt nach Florenz, und eine Freundinn wird Gar freundlich für dich ſorgen.","norm":"Soll ich dir raten, so begibst du dich Erst nach Florenz, und eine Freundin wird Gar freundlich für dich Sorgen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1267,"orig":"Sey getroſt, Ich bin es ſelbſt.","norm":"Sei getrost, Ich bin es selbst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1268,"orig":"Ich reiſe, den Gemahl Die nächſten Tage dort zu finden, kann Nichts freudiger für ihn und mich bereiten, Als wenn ich dich in unſre Mitte bringe.","norm":"Ich reise, den Gemahl die nächsten Tage dort zu finden, kann nichts freudiger für ihn und mich bereiten, als wenn ich dich in unsere Mitte bringe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1269,"orig":"Ich ſage dir kein Wort, du weißt es ſelbſt, Welch einem Fürſten du dich nahen wirſt, Und welche Männer dieſe ſchöne Stadt In ihrem Buſen hegt, und welche Frauen.","norm":"Ich sage dir kein Wort, du weißt es selbst, Welch einem Fürsten du dich nahen wirst, und welche Männer diese schöne Stadt in ihrem Busen hegt, und welche Frauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1270,"orig":"Du ſchweigſt?","norm":"Du schweigst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1271,"orig":"Bedenk’ es wohl!","norm":"Bedenk es wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1272,"orig":"Entſchließe dich.","norm":"Entschließe dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1273,"orig":"Gar reitzend iſt, was du mir ſagſt, ſo ganz Dem Wunſch gemäß, den ich im Stillen nähre;","norm":"Gar reizend ist, was du mir sagst, so ganz dem Wunsch gemäß, den ich im Stillen nähre;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1274,"orig":"Allein es iſt zu neu: ich bitte dich Laß mich bedenken, ich beſchließe bald.","norm":"Allein es ist zu neu: Ich bitte dich Lass mich bedenken, ich beschließe bald."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1275,"orig":"Ich gehe mit der ſchönſten Hoffnung weg Für dich und uns und auch für dieſes Haus.","norm":"Ich gehe mit der schönsten Hoffnung weg für dich und uns und auch für dieses Haus."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1276,"orig":"Bedenke nur, und wenn du recht bedenkſt, So wirſt du ſchwerlich etwas beſſers denken.","norm":"Bedenke nur, und wenn du recht bedenkst, so wirst du schwerlich etwas Bessers denken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1277,"orig":"Noch eins, geliebte Freundinn!","norm":"Noch eins, geliebte Freundin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1278,"orig":"ſage mir, Wie iſt die Fürſtinn gegen mich geſinnt?","norm":"sage mir, wie ist die Fürstin gegen mich gesinnt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1279,"orig":"War ſie erzürnt auf mich?","norm":"War sie erzürnt auf mich?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1280,"orig":"Was ſagte ſie?","norm":"Was sagte sie?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1281,"orig":"— Sie hat mich ſehr getadelt?","norm":"— sie hat mich sehr getadelt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1282,"orig":"Rede frey.","norm":"Rede frei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1283,"orig":"Da ſie dich kennt, hat ſie dich leicht entſchuldigt.","norm":"Da sie dich kennt, hat sie dich leicht entschuldigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1284,"orig":"Hab’ ich bey ihr verloren?","norm":"Habe ich bei ihr verloren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1285,"orig":"ſchmeichle nicht.","norm":"schmeichle nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1286,"orig":"Der Frauen Gunſt wird nicht ſo leicht verſcherzt.","norm":"Der Frauen Gunst wird nicht so leicht verscherzt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1287,"orig":"Wird ſie mich gern entlaſſen, wenn ich gehe?","norm":"Wird sie mich gern entlassen, wenn ich gehe?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1288,"orig":"Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiß.","norm":"Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1289,"orig":"Werd’ ich des Fürſten Gnade nicht verlieren?","norm":"Werde ich des Fürsten Gnade nicht verlieren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1290,"orig":"In ſeiner Großmuth kannſt du ſicher ruhn.","norm":"In seiner Großmut kannst du sicher ruhen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1291,"orig":"Und laſſen wir die Fürſtinn ganz allein?","norm":"Und lassen wir die Fürstin ganz allein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1292,"orig":"Du gehſt hinweg; und wenn ich wenig bin, So weiß ich doch, daß ich ihr etwas war.","norm":"Du gehst hinweg; und wenn ich wenig bin, so weiß ich doch, dass ich ihr etwas war."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1293,"orig":"Gar freundliche Geſellſchaft leiſtet uns Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich wiſſen.","norm":"Gar freundliche Gesellschaft leistet uns Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich wissen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1294,"orig":"Und es gelingt, ich ſehe dich beglückt, Du wirſt von hier nicht unzufrieden gehn.","norm":"Und es gelingt, ich sehe dich beglückt, Du wirst von hier nicht unzufrieden gehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1295,"orig":"Der Fürſt befahl’s, Antonio ſucht dich auf.","norm":"Der Fürst befahl es, Antonio sucht dich auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1296,"orig":"Er tadelt ſelbſt an ſich die Bitterkeit, Womit er dich verletzt.","norm":"Er tadelt selbst an sich die Bitterkeit, womit er dich verletzt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1297,"orig":"Ich bitte dich, Nimm ihn gelaſſen auf, ſo wie er kommt.","norm":"Ich bitte dich, Nimm ihn gelassen auf, so wie er kommt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1298,"orig":"Ich darf in jedem Sinne vor ihm ſtehn.","norm":"Ich darf in jedem Sinne vor ihm stehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1299,"orig":"Und ſchenke mir der Himmel, lieber Freund, Noch eh’ du ſcheideſt, dir das Aug’ zu öffnen:","norm":"Und schenke mir der Himmel, lieber Freund, noch ehe du scheidest, dir das Auge zu öffnen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1300,"orig":"Daß niemand dich im ganzen Vaterlande Verfolgt und haßt, und heimlich druckt und neckt!","norm":"Dass niemand dich im ganzen Vaterlande verfolgt und hasst, und heimlich druckt und neckt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1301,"orig":"Du irrſt gewiß, und wie du ſonſt zur Freude Von andern dichteſt, leider dichteſt du In dieſem Fall ein ſeltenes Gewebe, Dich ſelbſt zu kränken.","norm":"Du irrst gewiss, und wie du sonst zur Freude von anderen dichtest, leider dichtest du in diesem Fall ein seltenes Gewebe, Dich selbst zu kränken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1302,"orig":"Alles will ich thun, Um es entzwey zu reißen, daß du frey Den ſchönen Weg des Lebens wandeln mögeſt.","norm":"Alles will ich tun, um es entzweizureißen, dass du frei Den schönen Weg des Lebens wandeln mögest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1303,"orig":"Leb’ wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1304,"orig":"Ich hoffe bald ein glücklich Wort.","norm":"Ich hoffe bald ein glücklich Wort."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1305,"orig":"Ich ſoll erkennen, daß mich niemand haßt, Daß niemand mich verfolgt, daß alle Liſt Und alles heimliche Gewebe ſich Allein in meinem Kopfe ſpinnt und webt!","norm":"Ich soll erkennen, dass mich niemand hasst, dass niemand mich verfolgt, dass alle List und alles heimliche Gewebe sich Allein in meinem Kopfe spinnt und webt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1306,"orig":"Bekennen ſoll ich, daß ich unrecht habe, Und manchem unrecht thue, der es nicht Um mich verdient!","norm":"Bekennen soll ich, dass ich Unrecht habe, und manchem Unrecht tue, der es nicht um mich verdient!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1307,"orig":"Und das in einer Stunde, Da vor dem Angeſicht der Sonne klar Mein volles Recht, wie ihre Türke, liegt!","norm":"Und das in einer Stunde, da vor dem Angesicht der Sonne klar Mein volles Recht, wie ihre Tücke, liegt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1308,"orig":"Ich ſoll es tief empfinden, wie der Fürſt Mit offner Bruſt mir ſeine Gunſt gewährt, Mit reichem Maß die Gaben mir ertheilt, Im Augenblicke, da er, ſchwach genug, Von meinen Feinden ſich das Auge trüben Und ſeine Hand gewiß auch feſſeln läßt!","norm":"Ich soll es tief empfinden, wie der Fürst mit offener Brust mir seine Gunst gewährt, mit reichem Maß die Gaben mir erteilt, im Augenblicke, da er, schwach genug, von meinen Feinden sich das Auge trüben und seine Hand gewiss auch fesseln lässt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1309,"orig":"Daß er betrogen iſt, kann er nicht ſehen, Daß ſie Betrüger ſind, kann ich nicht zeigen, Und nur damit er ruhig ſich betrüge, Daß ſie gemächlich ihn betrügen können, Soll ich mich ſtille halten, weichen gar!","norm":"Dass er betrogen ist, kann er nicht sehen, dass sie Betrüger sind, kann ich nicht zeigen, und nur damit er ruhig sich betrüge, dass sie gemächlich ihn betrügen können, Soll ich mich stille halten, weichen gar!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1310,"orig":"Und wer gibt mir den Rath?","norm":"Und wer gibt mir den Rat?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1311,"orig":"Wer dringt ſo klug Mit treuer, lieber Meinung auf mich ein?","norm":"Wer dringt so klug mit treuer, lieber Meinung auf mich ein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1312,"orig":"Lenore ſelbſt, Lenore Sanvitale, Die zarte Freundinn!","norm":"Lenore selbst, Lenore Sanvitale, die zarte Freundin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1313,"orig":"Ha, dich kenn’ ich nun!","norm":"Ha, dich kenne ich nun!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1314,"orig":"O warum traut’ ich ihrer Lippe je!","norm":"O warum traut ich ihrer Lippe je!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1315,"orig":"Sie war nicht redlich, wenn ſie noch ſo ſehr Mir ihre Gunſt, mir ihre Zärtlichkeit Mit ſüßen Worten zeigte!","norm":"Sie war nicht redlich, wenn sie noch so sehr mir ihre Gunst, mir ihre Zärtlichkeit mit süßen Worten zeigte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1316,"orig":"Nein, ſie war Und bleibt ein liſtig Herz, ſie wendet ſich Mit leiſen klugen Tritten nach der Gunſt.","norm":"Nein, sie war und bleibt ein listig Herz, sie wendet sich Mit leisen klugen Tritten nach der Gunst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1317,"orig":"Wie oft hab’ ich mich willig ſelbſt betrogen, Auch über ſie; und doch im Grunde hat Mich nur — die Eitelkeit betrogen.","norm":"Wie oft habe ich mich willig selbst betrogen, auch über sie; und doch im Grunde hat mich nur — die Eitelkeit betrogen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1318,"orig":"Wohl!","norm":"Wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1319,"orig":"Ich kannte ſie, und ſchmeichelte mir ſelbſt.","norm":"Ich kannte sie, und schmeichelte mir selbst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1320,"orig":"So iſt ſie gegen andre, ſagt’ ich mir, Doch gegen dich iſt’s offne treue Meinung.","norm":"So ist sie gegen andere, sagt ich mir, doch gegen dich ist es offene treue Meinung."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1321,"orig":"Nun ſeh’ ich’s wohl, und ſeh’ es nur zu ſpät:","norm":"Nun sehe ich es wohl, und sehe es nur zu spät:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1322,"orig":"Ich war begünſtigt, und ſie ſchmiegte ſich So zart — an den Beglückten.","norm":"Ich war begünstigt, und sie schmiegte sich So zart — an den Beglückten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1323,"orig":"Nun ich falle, Sie wendet mir den Rücken wie das Glück.","norm":"Nun ich falle, Sie wendet mir den Rücken wie das Glück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1324,"orig":"Nun kommt ſie als ein Werkzeug meines Feindes, Sie ſchleicht heran und ziſcht mit glatter Zunge, Die kleine Schlange, zauberiſche Töne.","norm":"Nun kommt sie als ein Werkzeug meines Feindes, Sie schleicht heran und zischt mit glatter Zunge, die kleine Schlange, zauberische Töne."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1325,"orig":"Wie lieblich ſchien ſie!","norm":"Wie lieblich schien sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1326,"orig":"Lieblicher als je!","norm":"Lieblicher als je!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1327,"orig":"Wie wohl that von der Lippe jedes Wort!","norm":"Wie wohl tat von der Lippe jedes Wort!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1328,"orig":"Doch konnte mir die Schmeicheley nicht lang’ Den falſchen Sinn verbergen; an der Stirne Schien ihr das Gegentheil zu klar geſchrieben Von allem was ſie ſprach.","norm":"Doch konnte mir die Schmeichelei nicht lang den falschen Sinn verbergen; an der Stirn schien ihr das Gegenteil zu klar geschrieben Von allem was sie sprach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1329,"orig":"Ich fühl’ es leicht, Wenn man den Weg zu meinem Herzen ſucht Und es nicht herzlich meint.","norm":"Ich fühle es leicht, wenn man den Weg zu meinem Herzen sucht und es nicht herzlich meint."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1330,"orig":"Ich ſoll hinweg?","norm":"Ich soll hinweg?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1331,"orig":"Soll nach Florenz, ſobald ich immer kann?","norm":"Soll nach Florenz, sobald ich immer kann?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1332,"orig":"Und warum nach Florenz?","norm":"Und warum nach Florenz?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1333,"orig":"Ich ſeh’ es wohl.","norm":"Ich sehe es wohl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1334,"orig":"Dort herrſcht der Mediceer neues Haus, Zwar nicht in offner Feindſchaft mit Ferrara, Doch hält der ſtille Neid mit kalter Hand, Die edelſten Gemüther aus einander.","norm":"Dort herrscht der Medici neues Haus, zwar nicht in offener Feindschaft mit Ferrara, doch hält der stille Neid mit kalter Hand, die edelsten Gemüter auseinander."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1335,"orig":"Empfang’ ich dort von jenen edlen Fürſten Erhabne Zeichen ihrer Gunſt, wie ich Gewiß erwarten dürfte, würde bald Der Höfling meine Treu’ und Dankbarkeit Verdächtig machen.","norm":"Empfang ich dort von jenen edlen Fürsten erhabene Zeichen ihrer Gunst, wie ich gewiss erwarten dürfte, würde bald der Höfling meine Treue und Dankbarkeit Verdächtig machen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1336,"orig":"Leicht geläng’ es ihm.","norm":"Leicht gelänge es ihm."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1337,"orig":"Ja, ich will weg, allein nicht wie ihr wollt;","norm":"Ja, ich will weg, allein nicht wie ihr wollt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1338,"orig":"Ich will hinweg, und weiter als ihr denkt.","norm":"Ich will hinweg, und weiter als ihr denkt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1339,"orig":"Was ſoll ich hier?","norm":"Was soll ich hier?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1340,"orig":"Wer hält mich hier zurück?","norm":"Wer hält mich hier zurück?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1341,"orig":"O ich verſtund ein jedes Wort zu gut, Das ich Lenoren von den Lippen lockte!","norm":"O ich verstand ein jedes Wort zu gut, das ich Lenoren von den Lippen lockte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1342,"orig":"Von Sylb’ zu Sylbe nur erhaſcht’ ich’s kaum, Und weiß nun ganz wie die Prinzeſſinn denkt — Ja, ja, auch das iſt wahr, verzweifle nicht!","norm":"Von Silbe zu Silbe nur erhascht ich es kaum, und weiß nun ganz wie die Prinzessin denkt — Ja, ja, auch das ist wahr, verzweifle nicht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1343,"orig":"„Sie wird mich gern entlaſſen, wenn ich gehe, Da es zu meinem Wohl gereicht.","norm":"„sie wird mich gern entlassen, wenn ich gehe, da es zu meinem Wohl gereicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1344,"orig":"“ O!","norm":"“ O!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1345,"orig":"fühlte Sie eine Leidenſchaft im Herzen, die mein Wohl Und mich zu Grunde richtete!","norm":"fühlte Sie eine Leidenschaft im Herzen, die mein Wohl und mich zu Grunde richtete!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1346,"orig":"Willkommner Ergriffe mich der Tod, als dieſe Hand, Die kalt und ſtarr mich von ſich läßt.","norm":"Willkommener Ergriffe mich der Tod, als diese Hand, die kalt und starr mich von sich lässt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1347,"orig":"— Ich gehe!","norm":"— Ich gehe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1348,"orig":"— Nun hüte dich, und laß dich keinen Schein Von Freundſchaft oder Güte täuſchen!","norm":"— Nun hüte dich, und lass dich keinen Schein von Freundschaft oder Güte täuschen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1349,"orig":"Niemand Betrügt dich nun, wenn du dich nicht betrügſt.","norm":"Niemand Betrügt dich nun, wenn du dich nicht betrügst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1350,"orig":"Hier bin ich, Taſſo, dir ein Wort zu ſagen, Wenn du mich ruhig hören magſt und kannſt.","norm":"Hier bin ich, Tasso, dir ein Wort zu sagen, wenn du mich ruhig hören magst und kannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1351,"orig":"Das Handeln, weißt du, bleibt mir unterſagt, Es ziemt mir wohl zu warten und zu hören.","norm":"Das Handeln, weißt du, bleibt mir untersagt, es ziemt mir wohl zu warten und zu hören."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1352,"orig":"Ich treffe dich gelaſſen, wie ich wünſchte, Und ſpreche gern zu dir aus freyer Bruſt.","norm":"Ich treffe dich gelassen, wie ich wünschte, und spreche gern zu dir aus freier Brust."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1353,"orig":"Zuvörderſt löſ’ ich in des Fürſten Namen Das ſchwache Band, das dich zu feſſeln ſchien.","norm":"Zuvörderst lös ich in des Fürsten Namen das schwache Band, das dich zu fesseln schien."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1354,"orig":"Die Willkür macht mich frey, wie ſie mich band;","norm":"Die Willkür macht mich frei, wie sie mich band;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1355,"orig":"Ich nehm’ es an und fordre kein Gericht.","norm":"Ich nehme es an und fordre kein Gericht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1356,"orig":"Dann ſag’ ich dir von mir:","norm":"Dann sage ich dir von mir:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1357,"orig":"Ich habe dich Mit Worten, ſcheint es, tief und mehr gekränkt, Als ich, von mancher Leidenſchaft bewegt, Es ſelbſt empfand.","norm":"Ich habe dich mit Worten, scheint es, tief und mehr gekränkt, als ich, von mancher Leidenschaft bewegt, es selbst empfand."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1358,"orig":"Allein kein ſchimpflich Wort Iſt meinen Lippen unbedacht entflohen;","norm":"Allein kein schimpflich Wort ist meinen Lippen unbedacht entflohen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1359,"orig":"Zu rächen haſt du nichts als Edelmann, Und wirſt als Menſch Vergebung nicht verſagen.","norm":"Zu rächen hast du nichts als Edelmann, und wirst als Mensch Vergebung nicht versagen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1360,"orig":"Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf, Will ich nicht unterſuchen; jene dringt In’s tiefe Mark, und dieſer reitzt die Haut.","norm":"Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf, will ich nicht untersuchen; jene dringt ins tiefe Mark, und dieser reizt die Haut."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1361,"orig":"Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück, Der zu verwunden glaubt, die Meinung andrer Befriedigt leicht das wohl geführte Schwert — Doch ein gekränktes Herz erhohlt ſich ſchwer.","norm":"Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück, Der zu verwunden glaubt, die Meinung anderer Befriedigt leicht das wohlgeführte Schwert — doch ein gekränktes Herz erholt sich schwer."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1362,"orig":"Jetzt iſt’s an mir, daß ich dir dringend ſage:","norm":"Jetzt ist es an mir, dass ich dir dringend sage:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1363,"orig":"Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunſch, Den Wunſch des Fürſten, der mich zu dir ſendet.","norm":"Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunsch, den Wunsch des Fürsten, der mich zu dir sendet."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1364,"orig":"Ich kenne meine Pflicht und gebe nach.","norm":"Ich kenne meine Pflicht und gebe nach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1365,"orig":"Es ſey verziehn, ſo fern es möglich iſt!","norm":"Es sei verziehen, sofern es möglich ist!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1366,"orig":"Die Dichter ſagen uns von einem Speer, Der eine Wunde, die er ſelbſt geſchlagen, Durch freundliche Berührung heilen konnte.","norm":"Die Dichter sagen uns von einem Speer, der eine Wunde, die er selbst geschlagen, durch freundliche Berührung heilen konnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1367,"orig":"Es hat des Menſchen Zunge dieſe Kraft;","norm":"Es hat des Menschen Zunge diese Kraft;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1368,"orig":"Ich will ihr nicht gehäſſig widerſtehn.","norm":"Ich will ihr nicht gehässig widerstehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1369,"orig":"Ich danke dir, und wünſche, daß du mich Und meinen Willen dir zu dienen gleich Vertraulich prüfen mögeſt.","norm":"Ich danke dir, und wünsche, dass du mich Und meinen Willen dir zu dienen gleich Vertraulich prüfen mögest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1370,"orig":"Sage mir, Kann ich dir nützlich ſeyn?","norm":"Sage mir, kann ich dir nützlich sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1371,"orig":"Ich zeig’ es gern.","norm":"Ich zeige es gern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1372,"orig":"Du bietheſt an, was ich nur wünſchen konnte.","norm":"Du bietest an, was ich nur wünschen konnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1373,"orig":"Du brachteſt mir die Freyheit wieder, nun Verſchaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.","norm":"Du brachtest mir die Freiheit wieder, nun Verschaffe mir, ich bitte, den Gebrauch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1374,"orig":"Was kannſt du meinen?","norm":"Was kannst du meinen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1375,"orig":"Sag’ es deutlich an.","norm":"Sage es deutlich an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1376,"orig":"Du weißt, geendet hab’ ich mein Gedicht;","norm":"Du weißt, geendet habe ich mein Gedicht;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1377,"orig":"Es fehlt noch viel, daß es vollendet wäre.","norm":"Es fehlt noch viel, dass es vollendet wäre."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1378,"orig":"Hent überreicht’ ich es dem Fürſten, hoffte Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen.","norm":"Heute überreicht ich es dem Fürsten, hoffte zugleich ihm eine Bitte vorzutragen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1379,"orig":"Gar viele meiner Freunde find’ ich jetzt In Rom verſammelt; einzeln haben ſie Mir über manche Stellen ihre Meinung In Briefen ſchon eröffnet: vieles hab’ ich Benutzen können, manches ſcheint mir noch Zu überlegen; und verſchiedne Stellen Möcht’ ich nicht gern verändern, wenn man mich Nicht mehr, als es geſchehn iſt, überzeugt.","norm":"Gar viele meiner Freunde finde ich jetzt In Rom versammelt; einzeln haben sie Mir über manche Stellen ihre Meinung in Briefen schon eröffnet: Vieles habe ich Benutzen können, manches scheint mir noch Zu überlegen; und verschiedene Stellen möchte ich nicht gern verändern, wenn man mich Nicht mehr, als es geschehen ist, überzeugt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1380,"orig":"Das alles wird durch Briefe nicht gethan;","norm":"Das alles wird durch Briefe nicht getan;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1381,"orig":"Die Gegenwart löſ’t dieſe Knoten bald.","norm":"Die Gegenwart löst diese Knoten bald."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1382,"orig":"So dacht’ ich heut den Fürſten ſelbſt zu bitten: Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen, Und hoffe dieſen Urlaub nun durch dich.","norm":"So dachte ich heute den Fürsten selbst zu bitten: Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen, und hoffe diesen Urlaub nun durch dich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1383,"orig":"Mir ſcheint nicht räthlich, daß du dich entfernſt In dem Moment, da dein vollendet Werk Dem Fürſten und der Fürſtinn dich empfiehlt.","norm":"Mir scheint nicht rätlich, dass du dich entfernst in dem Moment, da dein vollendet Werk dem Fürsten und der Fürstin dich empfiehlt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1384,"orig":"Ein Tag der Gunſt iſt wie ein Tag der Ernde;","norm":"Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1385,"orig":"Man muß geſchäftig ſeyn, ſobald ſie reift.","norm":"Man muss geschäftig sein, sobald sie reift."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1386,"orig":"Entfernſt du dich, ſo wirſt du nichts gewinnen, Vielleicht verlieren, was du ſchon gewannſt.","norm":"Entfernst du dich, so wirst du nichts gewinnen, vielleicht verlieren, was du schon gewannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1387,"orig":"Die Gegenwart iſt eine mächt’ge Göttinn;","norm":"Die Gegenwart ist eine mächtige Göttin;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1388,"orig":"Lern’ ihren Einfluß kennen, bleibe hier!","norm":"Lernen ihren Einfluss kennen, bleibe hier!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1389,"orig":"Zu fürchten hab’ ich nichts;","norm":"Zu fürchten habe ich nichts;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1390,"orig":"Alphons iſt edel, Stets hat er gegen mich ſich groß gezeigt:","norm":"Alphons ist edel, stets hat er gegen mich sich groß gezeigt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1391,"orig":"Und was ich hoffe, will ich ſeinem Herzen Allein verdanken, keine Gnade mir Erſchleichen; nichts will ich von ihm empfangen, Was ihn gereuen könnte daß er’s gab.","norm":"Und was ich hoffe, will ich seinem Herzen allein verdanken, keine Gnade mir Erschleichen; nichts will ich von ihm empfangen, was ihn gereuen könnte dass er das gab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1392,"orig":"So fordre nicht von ihm, daß er dich jetzt Entlaſſen ſoll; er wird es ungern thun, Und ich befürchte faſt, er thut es nicht.","norm":"So fordre nicht von ihm, dass er dich jetzt Entlassen soll; er wird es ungern tun, und ich befürchte fast, er tut es nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1393,"orig":"Er wird es gern, wenn recht gebethen wird, Und du vermagſt es wohl, ſobald du willſt.","norm":"Er wird es gern, wenn recht gebeten wird, und du vermagst es wohl, sobald du willst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1394,"orig":"Doch welche Gründe, ſag’ mir, leg’ ich vor?","norm":"Doch welche Gründe, sage mir, lege ich vor?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1395,"orig":"Laß mein Gedicht aus jeder Stanze ſprechen!","norm":"Lass mein Gedicht aus jeder Stanze sprechen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1396,"orig":"Was ich gewollt iſt löblich, wenn das Ziel Auch meinen Kräften unerreichbar blieb.","norm":"Was ich gewollt ist löblich, wenn das Ziel auch meinen Kräften unerreichbar blieb."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1397,"orig":"An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt.","norm":"An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1398,"orig":"Der heitre Wandel mancher ſchönen Tage, Der ſtille Raum ſo mancher tiefen Nächte, War einzig dieſem frommen Lied geweiht.","norm":"Der heitere Wandel mancher schönen Tage, der stille Raum so mancher tiefen Nächte, war einzig diesem frommen Lied geweiht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1399,"orig":"Beſcheiden hofft’ ich, jenen großen Meiſtern Der Vorwelt mich zu nahen; kühn geſinnt Zu edlen Thaten unſern Zeitgenoſſen Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann Vielleicht mit einem edlen Chriſten-Heere, Gefahr und Ruhm des heil’gen Kriegs zu theilen.","norm":"Bescheiden hofft ich, jenen großen Meistern der Vorwelt mich zu nahen; kühn gesinnt zu edlen Taten unseren Zeitgenossen aus einem langen Schlaf zu rufen, dann vielleicht mit einem edlen Christenheere, Gefahr und Ruhm des heiligen Kriegs zu teilen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1400,"orig":"Und ſoll mein Lied die beſten Männer wecken, So muß es auch der beſten würdig ſeyn.","norm":"Und soll mein Lied die besten Männer wecken, so muss es auch der besten würdig sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1401,"orig":"Alphonſen bin ich ſchuldig was ich that, Nun möcht’ ich ihm auch die Vollendung danken.","norm":"Alphons bin ich schuldig was ich tat, nun möchte ich ihm auch die Vollendung danken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1402,"orig":"Und eben dieſer Fürſt iſt hier, mit andern, Die dich ſo gut als Römer leiten können.","norm":"Und eben dieser Fürst ist hier, mit anderen, die dich so gut als Römer leiten können."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1403,"orig":"Vollende hier dein Werk, hier iſt der Platz, Und um zu wirken eile dann nach Rom.","norm":"Vollende hier dein Werk, hier ist der Platz, und um zu wirken eile dann nach Rom."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1404,"orig":"Alphons hat mich zuerſt begeiſtert, wird Gewiß der letzte ſeyn, der mich belehrt.","norm":"Alphons hat mich zuerst begeistert, wird Gewiss der letzte sein, der mich belehrt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1405,"orig":"Und deinen Rath, den Rath der klugen Männer, Die unſer Hof verſammelt, ſchätz’ ich hoch.","norm":"Und deinen Rat, den Rat der klugen Männer, die unser Hof versammelt, schätze ich hoch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1406,"orig":"Ihr ſollt entſcheiden, wenn mich ja zu Rom Die Freunde nicht vollkommen überzeugen.","norm":"Ihr sollt entscheiden, wenn mich ja zu Rom die Freunde nicht vollkommen überzeugen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1407,"orig":"Doch dieſe muß ich ſehn.","norm":"Doch diese muss ich sehen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1408,"orig":"Gonzaga hat Mir ein Gericht verſammelt, dem ich erſt Mich ſtellen muß.","norm":"Gonzaga hat mir ein Gericht versammelt, dem ich erst Mich stellen muss."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1409,"orig":"Ich kann es kaum erwarten.","norm":"Ich kann es kaum erwarten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1410,"orig":"Flaminio de’ Nobili, Angelio Da Varga, Antoniano, und Speron Speroni!","norm":"Flaminio de' Nobili, Angelio da Barga, Antoniano, und Speron Speroni!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1411,"orig":"Du wirſt ſie kennen.","norm":"Du wirst sie kennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1412,"orig":"— Welche Namen ſind’s!","norm":"— Welche Namen sind es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1413,"orig":"Vertraun und Sorge flößen ſie zugleich In meinen Geiſt, der gern ſich unterwirft.","norm":"Vertrauen und Sorge flößen sie zugleich In meinen Geist, der gern sich unterwirft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1414,"orig":"Du denkſt nur dich und denkſt den Fürſten nicht.","norm":"Du denkst nur dich und denkst den Fürsten nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1415,"orig":"Ich ſage dir, er wird dich nicht entlaſſen;","norm":"Ich sage dir, er wird dich nicht entlassen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1416,"orig":"Und wenn er’s thut, entläßt er dich nicht gern, Du willſt ja nicht verlangen, was er dir Nicht gern gewähren mag.","norm":"Und wenn er das tut, entlässt er dich nicht gern, Du willst ja nicht verlangen, was er dir Nicht gern gewähren mag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1417,"orig":"Und ſoll ich hier Vermitteln, was ich ſelbſt nicht loben kann?","norm":"Und soll ich hier Vermitteln, was ich selbst nicht loben kann?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1418,"orig":"Verſagſt du mir den erſten Dienſt, wenn ich Die angebothne Freundſchaft prüfen will?","norm":"Versagst du mir den ersten Dienst, wenn ich die angebotene Freundschaft prüfen will?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1419,"orig":"Die wahre Freundſchaft zeigt ſich im Verſagen Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe Gar oft ein ſchädlich Gut, wenn ſie den Willen Des Fordernden mehr als ſein Glück bedenkt.","norm":"Die wahre Freundschaft zeigt sich im Versagen zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe Gar oft ein schädlich Gut, wenn sie den Willen des fordernden mehr als sein Glück bedenkt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1420,"orig":"Du ſcheineſt mir in dieſem Augenblick Für gut zu halten, was du eifrig wünſcheſt, Und willſt im Augenblick, was du begehrſt.","norm":"Du scheinest mir in diesem Augenblick für gut zu halten, was du eifrig wünschest, und willst im Augenblick, was du begehrst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1421,"orig":"Durch Heftigkeit erſetzt der Irrende, Was ihm an Wahrheit und an Kräſten ſehlt.","norm":"Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1422,"orig":"Es fordert meine Pflicht, ſo viel ich kann Die Haſt zu mäß’gen, die dich übel treibt.","norm":"Es fordert meine Pflicht, so viel ich kann die Hast zu mäßigen, die dich übel treibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1423,"orig":"Schon lange kenn’ ich dieſe Tyranney Der Freundſchaft, die von allen Tyranneyen Die unerträglichſte mir ſcheint.","norm":"Schon lange kenne ich diese Tyrannei der Freundschaft, die von allen Tyranneien die unerträglichste mir scheint."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1424,"orig":"Du denkſt Nur anders, und du glaubſt deswegen Schon recht zu denken.","norm":"Du denkst nur anders, und du glaubst deswegen schon recht zu denken."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1425,"orig":"Gern erkenn’ ich an, Du willſt mein Wohl; allein verlange nicht, Daß ich auf deinem Weg es finden ſoll.","norm":"Gern erkenne ich an, Du willst mein Wohl; allein verlange nicht, dass ich auf deinem Weg es finden soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1426,"orig":"Und ſoll ich dir ſogleich mit kaltem Blut, Mit voller, klarer Überzeugung ſchaden?","norm":"Und soll ich dir sogleich mit kaltem Blut, mit voller, klarer Überzeugung schaden?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1427,"orig":"Von dieſer Sorge will ich dich befreyn!","norm":"Von dieser Sorge will ich dich befreien!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1428,"orig":"Du hältſt mich nicht mit dieſen Worten ab.","norm":"Du hältst mich nicht mit diesen Worten ab."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1429,"orig":"Du haſt mich frey erklärt, und dieſe Thüre Steht mir nun offen, die zum Fürſten führt.","norm":"Du hast mich frei erklärt, und diese Türe steht mir nun offen, die zum Fürsten führt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1430,"orig":"Ich laſſe dir die Wahl.","norm":"Ich lasse dir die Wahl."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1431,"orig":"Du oder ich!","norm":"Du oder ich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1432,"orig":"Der Fürſt geht fort.","norm":"Der Fürst geht fort."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1433,"orig":"Hier iſt kein Augenblick Zu harren.","norm":"Hier ist kein Augenblick zu harren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1434,"orig":"Wähle ſchnell!","norm":"Wähle schnell!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1435,"orig":"Wenn du nicht gehſt, So geh’ ich ſelbſt, und werd’ es wie es will.","norm":"Wenn du nicht gehst, so gehe ich selbst, und werde es wie es will."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1436,"orig":"Laß mich nur wenig Zeit von dir erlangen, Und warte nur des Fürſten Rückkehr ab!","norm":"Lass mich nur wenig Zeit von dir erlangen, und warte nur des Fürsten Rückkehr ab!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1437,"orig":"Nur heute nicht!","norm":"Nur heute nicht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1438,"orig":"Nein, dieſe Stunde noch, Wenn’s möglich iſt!","norm":"Nein, diese Stunde noch, wenn es möglich ist!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1439,"orig":"Es brennen mir die Sohlen Auf dieſem Marmorboden; eher kann Mein Geiſt nicht Ruhe finden, bis der Staub Des freyen Wegs mich Eilenden umgibt.","norm":"Es brennen mir die Sohlen auf diesem Marmorboden; eher kann Mein Geist nicht Ruhe finden, bis der Staub des freien Wegs mich Eilenden umgibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1440,"orig":"Ich bitte dich!","norm":"Ich bitte dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1441,"orig":"Du ſiehſt, wie ungeſchickt In dieſem Augenblick ich ſey mit meinem Herrn Zu reden; ſiehſt — wie kann ich das verbergen — Daß ich mir ſelbſt in dieſem Augenblick, Mir keine Macht der Welt gebiethen kann.","norm":"Du siehst, wie ungeschickt in diesem Augenblick ich sei mit meinem Herrn Zu reden; siehst — wie kann ich das verbergen — dass ich mir selbst in diesem Augenblick, mir keine Macht der Welt gebieten kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1442,"orig":"Nur Feſſeln ſind es, die mich halten können!","norm":"Nur Fesseln sind es, die mich halten können!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1443,"orig":"Alphons iſt kein Tyrann, er ſprach mich frey.","norm":"Alphons ist kein Tyrann, er sprach mich frei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1444,"orig":"Wie gern gehorcht’ ich ſeinen Worten ſonſt!","norm":"Wie gern gehorcht ich seinen Worten sonst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1445,"orig":"Heut kann ich nicht gehorchen.","norm":"Heute kann ich nicht gehorchen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1446,"orig":"Heute nur Laßt mich in Freyheit, daß mein Geiſt ſich finde!","norm":"Heute nur lasst mich in Freiheit, dass mein Geist sich finde!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1447,"orig":"Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.","norm":"Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1448,"orig":"Du machſt mich zweifelhaft.","norm":"Du machst mich zweifelhaft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1449,"orig":"Was ſoll ich thun?","norm":"Was soll ich tun?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1450,"orig":"Ich merke wohl, es ſteckt der Irrthum an.","norm":"Ich merke wohl, es steckt der Irrtum an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1451,"orig":"Soll ich dir glauben, denkſt du gut für mich, So wirke was ich wünſche, was du kannſt.","norm":"Soll ich dir glauben, denkst du gut für mich, so wirke was ich wünsche, was du kannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1452,"orig":"Der Fürſt entläßt mich dann, und ich verliere Nicht ſeine Gnade, ſeine Hülfe nicht.","norm":"Der Fürst entlässt mich dann, und ich verliere nicht seine Gnade, seine Hilfe nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1453,"orig":"Das dank’ ich dir, und will dir’s gern verdanken;","norm":"Das dank ich dir, und will dir es gern verdanken;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1454,"orig":"Doch hegſt du einen alten Groll im Buſen, Willſt du von dieſem Hofe mich verbannen, Willſt du auf ewig mein Geſchick verkehren, Mich hülflos in die weite Welt vertreiben, So bleib’ auf deinem Sinn und widerſteh!","norm":"Doch hegst du einen alten Groll im Busen, willst du von diesem Hofe mich verbannen, willst du auf ewig mein Geschick verkehren, mich hilflos in die weite Welt vertreiben, so bleibe auf deinem Sinn und widerstehe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1455,"orig":"Weil ich dir doch, o Taſſo, ſchaden ſoll, So wähl’ ich denn den Weg, den du erwählſt.","norm":"Weil ich dir doch, o Tasso, schaden soll, so wähle ich denn den Weg, den du erwählst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1456,"orig":"Der Ausgang mag entſcheiden wer ſich irrt!","norm":"Der Ausgang mag entscheiden wer sich irrt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1457,"orig":"Du willſt hinweg!","norm":"Du willst hinweg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1458,"orig":"Ich ſag’ es dir zuvor, Du wendeſt dieſem Hauſe kaum den Rücken, So wird dein Herz zurück verlangen, wird Dein Eigenſinn dich vorwärts treiben:","norm":"Ich sage es dir zuvor, Du wendest diesem Hause kaum den Rücken, so wird dein Herz zurückverlangen, wird Dein Eigensinn dich vorwärtstreiben:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1459,"orig":"Schmerz, Verwirrung, Trübſinn harr’t in Rom auf dich, Und du verfehleſt hier und dort den Zweck.","norm":"Schmerz, Verwirrung, Trübsinn harrt in Rom auf dich, und du verfehlest hier und dort den Zweck."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1460,"orig":"Doch ſag’ ich dieß nicht mehr, um dir zu rathen;","norm":"Doch sage ich dies nicht mehr, um dir zu raten;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1461,"orig":"Ich ſage nur voraus, was bald geſchieht, Und lade dich auch ſchon im voraus ein, Mir in dem ſchlimmſten Falle zu vertraun.","norm":"Ich sage nur voraus, was bald geschieht, und lade dich auch schon im Voraus ein, mir in dem schlimmsten Falle zu vertrauen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1462,"orig":"Ich ſpreche nun den Fürſten, wie du’s forderſt.","norm":"Ich spreche nun den Fürsten, wie du es forderst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1463,"orig":"Ja gehe nur, und gehe ſicher weg, Daß du mich überredeſt was du willſt, Ich lerne mich verſtellen, denn du biſt Ein großer Meiſter und ich faſſe leicht.","norm":"Ja gehe nur, und gehe sicher weg, dass du mich überredest was du willst, Ich lerne mich verstellen, denn du bist ein großer Meister und ich fasse leicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1464,"orig":"So zwingt das Leben uns zu ſcheinen, ja Zu ſeyn wie jene, die wir kühn und ſtolz Verachten konnten.","norm":"So zwingt das Leben uns zu scheinen, ja zu sein wie jene, die wir kühn und stolz Verachten konnten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1465,"orig":"Deutlich ſeh’ ich nun Die ganze Kunſt des höfiſchen Gewebes!","norm":"Deutlich sehe ich nun Die ganze Kunst des höfischen Gewebes!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1466,"orig":"Mich will Antonio von hinnen treiben, Und will nicht ſcheinen, daß er mich vertreibt.","norm":"Mich will Antonio von hinnen treiben, und will nicht scheinen, dass er mich vertreibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1467,"orig":"Er ſpielt den Schonenden, den Klugen, daß Man nur recht krank und ungeſchickt mich finde, Beſtellet ſich zum Vormund, daß er mich Zum Kind erniedrige, den er zum Knecht Nicht zwingen konnte.","norm":"Er spielt den Schonenden, den Klugen, dass man nur recht krank und ungeschickt mich finde, Bestellet sich zum Vormund, dass er mich zum Kind erniedrige, den er zum Knecht nicht zwingen konnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1468,"orig":"So umnebelt er Die Stirn des Fürſten und der Fürſtinn Blick.","norm":"So umnebelt er die Stirn des Fürsten und der Fürstin Blick."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1469,"orig":"Man ſoll mich halten, meint er; habe doch Ein ſchön Verdienſt mir die Natur geſchenkt, Doch leider habe ſie mit manchen Schwächen Die hohe Gabe wieder ſchlimm begleitet, Mit ungebundnem Stolz, mit übertriebner Empfindlichkeit und eignem düſtern Sinn.","norm":"Man soll mich halten, meint er; habe doch ein schön Verdienst mir die Natur geschenkt, doch leider habe sie mit manchen Schwächen die hohe Gabe wieder schlimm begleitet, mit ungebundenem Stolz, mit übertriebener Empfindlichkeit und eigenem düstern Sinn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1470,"orig":"Es ſey nicht anders, einmal habe nun Den Einen Mann das Schickſal ſo gebildet, Nun müſſe man ihn nehmen wie er ſey, Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm Was Freude bringen kann am guten Tage Als unerwarteten Gewinſt genießen, Im übrigen, wie er geboren ſey, So müſſe man ihn leben, ſterben laſſen.","norm":"Es sei nicht anders, einmal habe nun den Einen Mann das Schicksal so gebildet, nun müsse man ihn nehmen wie er sei, ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm was Freude bringen kann am guten Tage als unerwarteten Gewinst genießen, im Übrigen, wie er geboren sei, so müsse man ihn leben, sterben lassen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1471,"orig":"Erkenn’ ich noch Alphonſens feſten Sinn?","norm":"Erkenne ich noch Alphonsens festen Sinn?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1472,"orig":"Der Feinden trotzt und Freunde treulich ſchützt, Erkenn’ ich ihn, wie er nun mir begegnet?","norm":"Der Feinden trotzt und Freunde treulich schützt, Erkenne ich ihn, wie er nun mir begegnet?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1473,"orig":"Ja wohl erkenn’ ich ganz mein Unglück nun!","norm":"Ja wohl erkenne ich ganz mein Unglück nun!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1474,"orig":"Das iſt mein Schickſal, daß nur gegen mich Sich jeglicher verändert, der für andre feſt Und treu und ſicher bleibt, ſich leicht verändert Durch einen Hauch, in einem Augenblick.","norm":"Das ist mein Schicksal, dass nur gegen mich Sich jeglicher verändert, der für andere fest Und treu und sicher bleibt, sich leicht verändert Durch einen Hauch, in einem Augenblick."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1475,"orig":"Hat nicht die Ankunft dieſes Mann’s allein Mein ganz Geſchick zerſtört, in Einer Stunde?","norm":"Hat nicht die Ankunft dieses Manns allein Mein ganz Geschick zerstört, in Einer Stunde?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1476,"orig":"Nicht dieſer das Gebäude meines Glücks Von ſeinem tiefſten Grund aus umgeſtürzt?","norm":"Nicht dieser das Gebäude meines Glücks von seinem tiefsten Grund aus umgestürzt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1477,"orig":"O muß ich das erfahren?","norm":"O muss ich das erfahren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1478,"orig":"Muß ich’s heut?","norm":"Muss ich es heute?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1479,"orig":"Ja, wie ſich alles zu mir drängte, läßt Mich alles nun; wie jeder mich an ſich Zu reißen ſtrebte, jeder mich zu faſſen, So ſtößt mich alles weg und meidet mich.","norm":"Ja, wie sich alles zu mir drängte, lässt mich alles nun; wie jeder mich an sich Zu reißen strebte, jeder mich zu fassen, so stößt mich alles weg und meidet mich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1480,"orig":"Und das warum?","norm":"Und das warum?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1481,"orig":"Und wiegt denn er allein Die Schale meines Werths und aller Liebe, Die ich ſo reichlich ſonſt beſeſſen, auf?","norm":"Und wiegt denn er allein die Schale meines Werts und aller Liebe, die ich so reichlich sonst besessen, auf?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1482,"orig":"Ja, alles flieht mich nun.","norm":"Ja, alles flieht mich nun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1483,"orig":"Auch du!","norm":"Auch du!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1484,"orig":"Auch du!","norm":"Auch du!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1485,"orig":"Geliebte Fürſtinn, du entziehſt dich mir.","norm":"Geliebte Fürstin, du entziehst dich mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1486,"orig":"In dieſen trüben Stunden hat ſie mir Kein einzig Zeichen ihrer Gunſt geſandt.","norm":"In diesen trüben Stunden hat sie mir Kein einzig Zeichen ihrer Gunst gesandt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1487,"orig":"Hab’ ich’s um ſie verdient?","norm":"Habe ich es um sie verdient?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1488,"orig":"— Du armes Herz, Dem ſo natürlich war ſie zu verehren!","norm":"— Du armes Herz, dem so natürlich war sie zu verehren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1489,"orig":"— Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang Ein unausſprechliches Gefühl die Bruſt!","norm":"— Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang ein unaussprechliches Gefühl die Brust!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1490,"orig":"Erblickt’ ich ſie, da ward das helle Licht Des Tag’s mir trüb’; unwiderſtehlich zog Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie Erhielt ſich kaum, und aller Kraft Des Geiſt’s bedurft’ ich, aufrecht mich zu halten, Vor ihre Füße nicht zu fallen, kaum Vermocht’ ich dieſen Taumel zu zerſtreun.","norm":"Erblickte ich sie, da wurde das helle Licht des Tags mir trübe; unwiderstehlich zog Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie erhielt sich kaum, und aller Kraft des Geists bedurft ich, aufrecht mich zu halten, vor ihre Füße nicht zu fallen, kaum vermocht ich diesen Taumel zu zerstreuen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1491,"orig":"Hier halte feſt, mein Herz!","norm":"Hier halte fest, mein Herz!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1492,"orig":"Du klarer Sinn, Laß hier dich nicht umnebeln!","norm":"Du klarer Sinn, Lass hier dich nicht umnebeln!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1493,"orig":"Ja auch Sie!","norm":"Ja auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1494,"orig":"Darf ich es ſagen?","norm":"Darf ich es sagen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1495,"orig":"und ich glaub’ es kaum, Ich glaub’ es wohl, und möcht’ es mir verſchweigen.","norm":"und ich glaube es kaum, Ich glaube es wohl, und möchte es mir verschweigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1496,"orig":"Auch Sie!","norm":"Auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1497,"orig":"auch Sie!","norm":"auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1498,"orig":"Entſchuldige ſie ganz, Allein verbirg’ dir’s nicht: auch Sie!","norm":"Entschuldige sie ganz, allein verbirg dir es nicht: auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1499,"orig":"auch Sie!","norm":"auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1500,"orig":"O dieſes Wort, an dem ich zweifeln ſollte, So lang’ ein Hauch von Glauben in mir lebt, Ja, dieſes Wort, es gräbt ſich, wie ein Schluß Des Schickſals noch zuletzt am ehrnen Rande Der vollgeſchriebnen Qualentafel, ein.","norm":"O dieses Wort, an dem ich zweifeln sollte, Solang ein Hauch von Glauben in mir lebt, Ja, dieses Wort, es gräbt sich, wie ein Schluss des Schicksals noch zuletzt am ehernen Rande der vollgeschriebenen Qualentafel, ein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1501,"orig":"Nun ſind erſt meine Feinde ſtark, nun bin ich Auf ewig einer jeden Kraft beraubt.","norm":"Nun sind erst meine Feinde stark, nun bin ich Auf ewig einer jeden Kraft beraubt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1502,"orig":"Wie ſoll ich ſtreiten, wenn Sie gegenüber Im Heere ſteht?","norm":"Wie soll ich streiten, wenn Sie gegenüber im Heere steht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1503,"orig":"Wie ſoll ich duldend harren, Wenn Sie die Hand mir nicht von ferne reicht?","norm":"Wie soll ich duldend harren, wenn Sie die Hand mir nicht von ferne reicht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1504,"orig":"Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begegnet?","norm":"Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begegnet?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1505,"orig":"Du haſt’s gewagt zu denken, haſt’s geſprochen, Und es iſt wahr, eh’ du es fürchten konnteſt!","norm":"Du hast du das gewagt zu denken, hast du das gesprochen, und es ist wahr, ehe du es fürchten konntest!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1506,"orig":"Und eh’ nun die Verzweiflung deine Sinnen Mit ehrnen Klauen aus einander reißt, Ja, klage nur das bittre Schickſal an, Und wiederhole nur, auch Sie!","norm":"Und ehe nun die Verzweiflung deine Sinnen mit ehernen Klauen auseinander reißt, Ja, klage nur das bittere Schicksal an, und wiederhole nur, auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1507,"orig":"auch Sie!","norm":"auch Sie!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1508,"orig":"Auf deinen Wink ging ich das zweytemal Zu Taſſo hin, ich komme von ihm her.","norm":"Auf deinen Wink ging ich das zweite Mal zu Tasso hin, ich komme von ihm her."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1509,"orig":"Ich hab’ ihm zugeredet, ja gedrungen;","norm":"Ich habe ihm zugeredet, ja gedrungen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1510,"orig":"Allein er geht von ſeinem Sinn nicht ab, Und bittet ſehnlich, daß du ihn nach Rom Auf eine kurze Zeit entlaſſen mögeſt.","norm":"Allein er geht von seinem Sinn nicht ab, und bittet sehnlich, dass du ihn nach Rom auf eine kurze Zeit entlassen mögest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1511,"orig":"Ich bin verdrießlich, daß ich dir’s geſtehe, Und lieber ſag’ ich dir, daß ich es bin, Als daß ich den Verdruß verberg’ und mehre.","norm":"Ich bin verdrießlich, dass ich dir es gestehe, und lieber sage ich dir, dass ich es bin, als dass ich den Verdruss verberge und mehrere."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1512,"orig":"Er will verreiſen; gut, ich halt’ ihn nicht:","norm":"Er will verreisen; gut, ich halte ihn nicht:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1513,"orig":"Er will hinweg, er will nach Rom; es ſey!","norm":"Er will hinweg, er will nach Rom; es sei!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1514,"orig":"Nur daß mir Scipio Gonzaga nicht, Der kluge Medicis, ihn nicht entwende!","norm":"Nur dass mir Scipio Gonzaga nicht, der kluge Medicis, ihn nicht entwende!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1515,"orig":"Das hat Italien ſo groß gemacht, Daß jeder Nachbar mit dem andern ſtreitet, Die Beſſern zu beſitzen, zu benutzen.","norm":"Das hat Italien so groß gemacht, dass jeder Nachbar mit dem anderen streitet, die Besseren zu besitzen, zu benutzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1516,"orig":"Ein Feldherr ohne Heer ſcheint mir ein Fürſt, Der die Talente nicht um ſich verſammelt.","norm":"Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst, der die Talente nicht um sich versammelt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1517,"orig":"Und wer der Dichtkunſt Stimme nicht vernimmt, Iſt ein Barbar, er ſey auch wer er ſey.","norm":"Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, ist ein Barbar, er sei auch wer er sei."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1518,"orig":"Gefunden hab’ ich dieſen und gewählt, Ich bin auf ihn als meinen Diener ſtolz, Und da ich ſchon für ihn ſo viel gethan, So möcht’ ich ihn nicht ohne Noth verlieren.","norm":"Gefunden habe ich diesen und gewählt, Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz, und da ich schon für ihn so viel getan, so möchte ich ihn nicht ohne Not verlieren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1519,"orig":"Ich bin verlegen, denn ich trage doch Vor dir die Schuld von dem, was heut geſchah;","norm":"Ich bin verlegen, denn ich trage doch vor dir die Schuld von dem, was heute geschah;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1520,"orig":"Auch will ich meinen Fehler gern geſtehn, Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn:","norm":"Auch will ich meinen Fehler gern gestehen, er bleibt deiner Gnade zu verzeihen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1521,"orig":"Doch wenn du glauben könnteſt, daß ich nicht Das Mögliche gethan ihn zu verſöhnen, So würd’ ich ganz untröſtlich ſeyn.","norm":"Doch wenn du glauben könntest, dass ich nicht das Mögliche getan ihn zu versöhnen, so würde ich ganz untröstlich sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1522,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1523,"orig":"ſprich Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder Mich faſſen kann, mir ſelbſt vertrauen mag.","norm":"sprich mit holdem Blick mich an, damit ich wieder Mich fassen kann, mir selbst vertrauen mag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1524,"orig":"Antonio, nein, da ſey nur immer ruhig, Ich ſchreib’ es dir auf keine Weiſe zu;","norm":"Antonio, nein, da sei nur immer ruhig, Ich schreibe es dir auf keine Weise zu;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1525,"orig":"Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes, Und weiß nur allzu wohl was ich gethan, Wie ſehr ich ihn geſchont, wie ſehr ich ganz Vergeſſen, daß ich eigentlich an ihm Zu fordern hätte.","norm":"Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes, und weiß nur allzu wohl was ich getan, wie sehr ich ihn geschont, wie sehr ich ganz Vergessen, dass ich eigentlich an ihn Zu fordern hätte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1526,"orig":"Über vieles kann Der Menſch zum Herrn ſich machen, ſeinen Sinn Bezwinget kaum die Noth und lange Zeit.","norm":"Über vieles kann der Mensch zum Herrn sich machen, seinen Sinn Bezwinget kaum die Not und lange Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1527,"orig":"Wenn andre vieles um den Einen thun;","norm":"Wenn andere vieles um den Einen tun;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1528,"orig":"So iſt’s auch billig, daß der Eine wieder Sich fleißig frage, was den andern nützt.","norm":"So ist es auch billig, dass der Eine wieder sich fleißig frage, was den anderen nützt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1529,"orig":"Wer ſeinen Geiſt ſo viel gebildet hat, Wer jede Wiſſenſchaft zuſammengeitzt, Und jede Kenntniß, die uns zu ergreifen Erlaubt iſt, ſollte der ſich zu beherrſchen Nicht doppelt ſchuldig ſeyn?","norm":"Wer seinen Geist so viel gebildet hat, wer jede Wissenschaft zusammengeizt, und jede Kenntnis, die uns zu ergreifen erlaubt ist, sollte der sich zu beherrschen nicht doppelt schuldig sein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1530,"orig":"Und denkt er dran?","norm":"Und denkt er dran?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1531,"orig":"Wir ſollen eben nicht in Ruhe bleiben!","norm":"Wir sollen eben nicht in Ruhe bleiben!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1532,"orig":"Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken, Zur Übung unſrer Tapferkeit ein Feind, Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.","norm":"Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken, zur Übung unserer Tapferkeit ein Feind, zur Übung der Geduld ein Freund gegeben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1533,"orig":"Die erſte Pflicht des Menſchen, Speiſ’ und Trank Zu wählen, da ihn die Natur ſo eng’ Nicht wie das Thier beſchränkt, erfüllt er die?","norm":"Die erste Pflicht des Menschen, Speis und Trank zu wählen, da ihn die Natur so eng nicht wie das Tier beschränkt, erfüllt er die?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1534,"orig":"Und läßt er nicht vielmehr ſich wie ein Kind Von allem reitzen, was dem Gaumen ſchmeichelt?","norm":"Und lässt er nicht vielmehr sich wie ein Kind von allem reizen, was dem Gaumen schmeichelt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1535,"orig":"Wann miſcht er Waſſer unter ſeinen Wein?","norm":"Wann mischt er Wasser unter seinen Wein?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1536,"orig":"Gewürze, ſüße Sachen, ſtark Getränke, Eins um das andre ſchlingt er haſtig ein, Und dann beklagt er ſeinen trüben Sinn, Sein feurig Blut, ſein allzu heftig Weſen.","norm":"Gewürze, süße Sachen, stark Getränke, Eins um das andere schlingt er hastig ein, und dann beklagt er seinen trüben Sinn, Sein feurig Blut, sein allzuheftig Wesen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1537,"orig":"Er ſchilt auf die Natnr und das Geſchick.","norm":"Er scheltet auf die Natur und das Geschick."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1538,"orig":"Wie bitter und wie thöricht hab’ ich ihn Nicht oft mit ſeinem Arzte rechten ſehn;","norm":"Wie bitter und wie töricht habe ich ihn Nicht oft mit seinem Arzte rechten sehen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1539,"orig":"Zum Lachen faſt, wär’ irgend lächerlich Was einen Menſchen quält und andre plagt.","norm":"Zum Lachen fast, wäre irgend lächerlich was einen Menschen quält und andere plagt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1540,"orig":"„Ich fühle dieſes Übel,“ ſagt er bänglich Und voll Verdruß: „Was rühmt ihre eure Kunſt?","norm":"„Ich fühle dieses Übel,“ sagt er bänglich und voll Verdruss: „Was rühmt ihre Eure Kunst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1541,"orig":"„Schafft mir Geneſung!“ Gut verſetzt der Arzt, So meidet das und das — „Das kann ich nicht“ — So nehmet dieſen Trank — „O nein!","norm":"„Schafft mir Genesung!“ Gut versetzt der Arzt, so meidet das und das — „Das kann ich nicht“ — so nehmet diesen Trank — „O nein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1542,"orig":"der ſchmeckt „Abſcheulich, er empört mir die Natur“ — So trinkt denn Waſſer — „Waſſer?","norm":"der schmeckt „Abscheulich, er empört mir die Natur“ — so trinkt denn Wasser — „Wasser?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1543,"orig":"nimmermehr!","norm":"nimmermehr!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1544,"orig":"„Ich bin ſo waſſerſcheu als ein Gebißner —“ So iſt euch nicht zu helfen — „Und warum?“ — Das Übel wird ſich ſtets mit Übeln häufen, Und, wenn es euch nicht tödten kann, nur mehr Und mehr mit jedem Tag euch quälen — „Schön!","norm":"„Ich bin so wasserscheu als ein Gebißener —“ So ist Euch nicht zu helfen — „Und warum?“ — Das Übel wird sich stets mit Üblen häufen, und, wenn es Euch nicht töten kann, nur mehr und mehr mit jedem Tag Euch quälen — „Schön!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1545,"orig":"Wofür ſeyd ihr ein Arzt?","norm":"Wofür seid Ihr ein Arzt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1546,"orig":"Ihr kennt mein Übel, „Ihr ſolltet auch die Mittel kennen, ſie Auch ſchmackhaft machen, daß ich nicht noch erſt, „Der Leiden los zu ſeyn, recht leiden müſſe.","norm":"Ihr kennt mein Übel, „Ihr solltet auch die Mittel kennen, sie Auch schmackhaft machen, dass ich nicht noch erst, „Der Leiden los zu sein, recht leiden müsse."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1547,"orig":"“ Du lächelſt ſelbſt und doch iſt es gewiß, Du haſt es wohl aus ſeinem Mund gehört?","norm":"“ Du lächelst selbst und doch ist es gewiss, Du hast es wohl aus seinem Mund gehört?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1548,"orig":"Ich hab’ es oft gehört und oft entſchuldigt.","norm":"Ich habe es oft gehört und oft entschuldigt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1549,"orig":"Es iſt gewiß, ein ungemäßigt Leben, Wie es uns ſchwere, wilde Träume gibt, Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen.","norm":"Es ist gewiss, ein ungemäßigt Leben, wie es uns schwere, wilde Träume gibt, Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1550,"orig":"Was iſt ſein Argwohn anders als ein Traum?","norm":"Was ist sein Argwohn anders als ein Traum?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1551,"orig":"Wohin er tritt, glaubt er von Feinden ſich Umgeben.","norm":"Wohin er tritt, glaubt er von Feinden sich Umgeben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1552,"orig":"Sein Talent kann niemand ſehn, Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden, Der ihn nicht haßt und bitter ihn verfolgt.","norm":"Sein Talent kann niemand sehen, der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden, der ihn nicht hasst und bitter ihn verfolgt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1553,"orig":"So hat er oft mit Klagen dich beläſtigt:","norm":"So hat er oft mit Klagen dich belästigt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1554,"orig":"Erbrochne Schlöſſer, aufgefangne Briefe, Und Gift und Dolch!","norm":"Erbrochene Schlösser, aufgefangene Briefe, und Gift und Dolch!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1555,"orig":"Was alles vor ihm ſchwebt!","norm":"Was alles vor ihm schwebt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1556,"orig":"Du haſt es unterſuchen laſſen, unterſucht, Und haſt du was gefunden?","norm":"Du hast es untersuchen lassen, untersucht, und hast du was gefunden?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1557,"orig":"Kaum den Schein.","norm":"Kaum den Schein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1558,"orig":"Der Schutz von keinem Fürſten macht ihn ſicher, Der Buſen keines Freundes kann ihn laben.","norm":"Der Schutz von keinem Fürsten macht ihn sicher, der Busen keines Freundes kann ihn laben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1559,"orig":"Und willſt du einem ſolchen Ruh’ und Glück, Willſt du von ihm wohl Freude dir verſprechen?","norm":"Und willst du einem solchen Ruhe und Glück, willst du von ihm wohl Freude dir versprechen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1560,"orig":"Du hätteſt Recht, Antonio, wenn in ihm Ich meinen nächſten Vortheil ſuchen wollte!","norm":"Du hättest Recht, Antonio, wenn in ihm Ich meinen nächsten Vorteil suchen wollte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1561,"orig":"Zwar iſt es ſchon mein Vortheil, daß ich nicht Den Nutzen g’rad ’ und unbedingt erwarte.","norm":"Zwar ist es schon mein Vorteil, dass ich nicht den Nutzen gerade ’ und unbedingt erwarte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1562,"orig":"Nicht alles dienet uns auf gleiche Weiſe;","norm":"Nicht alles dient uns auf gleiche Weise;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1563,"orig":"Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes In ſeiner Art, ſo iſt er wohl bedient.","norm":"Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes In seiner Art, so ist er wohl bedient."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1564,"orig":"Das haben uns die Medicis gelehrt, Das haben uns die Päbſte ſelbſt gewieſen.","norm":"Das haben uns die Medicis gelehrt, das haben uns die Päpste selbst gewiesen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1565,"orig":"Mit welcher Nachſicht, welcher fürſtlichen Geduld und Langmuth trugen dieſe Männer Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade Nicht zu bedürfen ſchien und doch bedurfte!","norm":"Mit welcher Nachsicht, welcher fürstlichen Geduld und Langmut trugen diese Männer Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade Nicht zu bedürfen schien und doch bedurfte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1566,"orig":"Wer weiß es nicht, mein Fürſt?","norm":"Wer weiß es nicht, mein Fürst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1567,"orig":"Des Lebens Mühe Lehrt uns allein des Lebens Güter ſchätzen.","norm":"Des Lebens Mühe lehrt uns allein des Lebens Güter schätzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1568,"orig":"So jung hat er zu vieles ſchon erreicht, Als daß genügſam er genießen könnte.","norm":"So jung hat er zu vieles schon erreicht, als dass genügsam er genießen könnte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1569,"orig":"O ſollt’ er erſt erwerben, was ihm nun Mit offnen Händen angebothen wird;","norm":"O sollte er erst erwerben, was ihm nun Mit offenen Händen angeboten wird;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1570,"orig":"Er ſtrengte ſeine Kräfte männlich an, Und fühlte ſich von Schritt zu Schritt begnügt.","norm":"Er strengte seine Kräfte männlich an, und fühlte sich von Schritt zu Schritt begnügt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1571,"orig":"Ein armer Edelmann hat ſchon das Ziel Von ſeinem beſten Wunſch erreicht, wenn ihn Ein edler Fürſt zu ſeinem Hofgenoſſen Erwählen will, und ihn der Dürftigkeit Mit milder Hand entzieht.","norm":"Ein armer Edelmann hat schon das Ziel von seinem besten Wunsch erreicht, wenn ihn Ein edler Fürst zu seinem Hofgenossen Erwählen will, und ihn der Dürftigkeit mit milder Hand entzieht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1572,"orig":"Schenkt er ihm noch Vertrann und Gunſt, und will an ſeine Seite Vor andern ihn erheben, ſey’s im Krieg, Sey’s in Geſchäften oder im Geſpräch;","norm":"Schenkt er ihm noch Vertrauen und Gunst, und will an seine Seite vor anderen ihn erheben, sei es im Krieg, Sei es in Geschäften oder im Gespräch;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1573,"orig":"So dächt’ ich, könnte der beſcheidne Mann Sein Glück mit ſtiller Dankbarkeit verehren, Und Taſſo hat zu allem dieſem noch Das ſchönſte Glück des Jünglings: daß ihn ſchon Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft.","norm":"So dächte ich, könnte der bescheidene Mann Sein Glück mit stiller Dankbarkeit verehren, und Tasso hat zu allem diesem noch Das schönste Glück des Jünglings: dass ihn schon Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1574,"orig":"O glaube mir, ſein launiſch Mißbehagen Ruht auf dem breiten Polſter ſeines Glücks.","norm":"O glaube mir, sein launisch Missbehagen ruht auf dem breiten Polster seines Glücks."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1575,"orig":"Er kommt, entlaß ihn gnädig, gib ihm Zeit;","norm":"Er kommt, entlaße ihn gnädig, gib ihm Zeit;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1576,"orig":"In Rom und in Neapel, wo er will, Das aufzuſuchen, was er hier vermißt, Und was er hier nur wiederfinden kann.","norm":"In Rom und in Neapel, wo er will, Das aufzusuchen, was er hier vermisst, und was er hier nur wiederfinden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1577,"orig":"Will er zurück erſt nach Ferrara gehn?","norm":"Will er zurück erst nach Ferrara gehen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1578,"orig":"Er wünſcht in Belriguardo zu verweilen.","norm":"Er wünscht in Belriguardo zu verweilen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1579,"orig":"Das nöthigſte, was er zur Reiſe braucht, Will er durch einen Freund ſich ſenden laſſen.","norm":"Das Nötigste, was er zur Reise braucht, will er durch einen Freund sich senden lassen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1580,"orig":"Ich bin’s zufrieden.","norm":"Ich bin es zufrieden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1581,"orig":"Meine Schweſter geht Mit ihrer Freundinn gleich zurück, und reitend Werd’ ich vor ihnen noch zu Hauſe ſeyn.","norm":"Meine Schwester geht mit ihrer Freundin gleich zurück, und reitend Werde ich vor ihnen noch zu Hause sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1582,"orig":"Du folgſt uns bald, wenn du für ihn geſorgt.","norm":"Du folgst uns bald, wenn du für ihn gesorgt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1583,"orig":"Dem Caſtellan befiehl das Nöthige, Daß er hier auf dem Schloſſe bleiben kann, So lang’ er will, ſo lang’ bis ſeine Freunde Ihm das Gepäck geſendet, bis wir ihm Die Briefe ſchicken, die ich ihm nach Rom Zu geben Willens bin.","norm":"Dem Kastellan befiehl das Nötige, dass er hier auf dem Schlosse bleiben kann, Solang er will, solang bis seine Freunde ihm das Gepäck gesendet, bis wir ihm die Briefe schicken, die ich ihm nach Rom zu geben Willens bin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1584,"orig":"Er kommt!","norm":"Er kommt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1585,"orig":"Leb’ wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1586,"orig":"Die Gnade, die du mir ſo oft bewieſen, Erſcheinet heute mir in vollem Licht.","norm":"Die Gnade, die du mir so oft bewiesen, Erscheinet heute mir in vollem Licht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1587,"orig":"Du haſt verziehen, was in deiner Nähe Ich unbedacht und frevelhaft beging, Du haſt den Widerſacher mir verſöhnt, Du willſt erlauben, daß ich eine Zeit Von deiner Seite mich entferne, willſt Mir deine Gunſt großmüthig vorbehalten.","norm":"Du hast verziehen, was in deiner Nähe Ich unbedacht und frevelhaft beging, Du hast den Widersacher mir versöhnt, Du willst erlauben, dass ich eine Zeit von deiner Seite mich entferne, willst mir deine Gunst großmütig vorbehalten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1588,"orig":"Ich ſcheide nun mit völligem Vertraun, Und hoffe ſtill, mich ſoll die kleine Friſt Von allem heilen, was mich jetzt beklemmt.","norm":"Ich scheide nun mit völligem Vertrauen, und hoffe still, mich soll die kleine Frist von allem heilen, was mich jetzt beklemmt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1589,"orig":"Es ſoll mein Geiſt auf’s neue ſich erheben, Und auf dem Wege, den ich froh und kühn, Durch deinen Blick ermuntert, erſt betrat, Sich deiner Gunſt auf’s neue würdig machen.","norm":"Es soll mein Geist aufs neue sich erheben, und auf dem Wege, den ich froh und kühn, durch deinen Blick ermuntert, erst betrat, sich deiner Gunst aufs neue würdig machen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1590,"orig":"Ich wünſche dir zu deiner Reiſe Glück, Und hoffe, daß du froh und ganz geheilt Uns wieder kommen wirſt.","norm":"Ich wünsche dir zu deiner Reise Glück, und hoffe, dass du froh und ganz geheilt uns wieder kommen wirst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1591,"orig":"Du bringſt uns dann Den doppelten Gewinſt für jede Stunde, Die du uns nun entziehſt, vergnügt zurück.","norm":"Du bringst uns dann Den doppelten Gewinst für jede Stunde, die du uns nun entziehst, vergnügt zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1592,"orig":"Ich gebe Briefe dir an meine Leute, An Freunde dir nach Rom, und wünſche ſehr, Daß du dich zu den Meinen überall Zutraulich halten mögeſt, wie ich dich Als mein, obgleich entfernt, gewiß betrachte.","norm":"Ich gebe Briefe dir an meine Leute, an Freunde dir nach Rom, und wünsche sehr, dass du dich zu den Meinen überall Zutraulich halten mögest, wie ich dich Als mein, obgleich entfernt, gewiss betrachte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1593,"orig":"Du überhäufſt, o Fürſt, mit Gnade den, Der ſich unwürdig fühlt, und ſelbſt zu danken In dieſem Augenblicke nicht vermag.","norm":"Du überhäufst, o Fürst, mit Gnade den, der sich unwürdig fühlt, und selbst zu danken in diesem Augenblicke nicht vermag."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1594,"orig":"Anſtatt des Danks eröffn’ ich eine Bitte!","norm":"Anstatt des Danks eröffne ich eine Bitte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1595,"orig":"Am meiſten liegt mir mein Gedicht am Herzen.","norm":"Am meisten liegt mir mein Gedicht am Herzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1596,"orig":"Ich habe viel gethan und keine Mühe Und keinen Fleiß geſpart, allein es bleibt Zu viel mir noch zurück.","norm":"Ich habe viel getan und keine Mühe und keinen Fleiß gespart, allein es bleibt zu viel mir noch zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1597,"orig":"Ich möchte dort, Wo noch der Geiſt der großen Männer ſchwebt, Und wirkſam ſchwebt, dort möcht’ ich in die Schule Auf’s neue mich begeben; würdiger Erfreute deines Beyfalls ſich mein Lied.","norm":"Ich möchte dort, wo noch der Geist der großen Männer schwebt, und wirksam schwebt, dort möchte ich in die Schule aufs neue mich begeben; würdiger erfreute deines Beifalls sich mein Lied."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1598,"orig":"O gib die Blätter mir zurück, die ich Jetzt nur beſchämt in deinen Händen weiß.","norm":"O gib die Blätter mir zurück, die ich jetzt nur beschämt in deinen Händen weiß."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1599,"orig":"Du wirſt mir nicht an dieſem Tage nehmen, Was du mir kaum an dieſem Tag gebracht?","norm":"Du wirst mir nicht an diesem Tage nehmen, was du mir kaum an diesem Tag gebracht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1600,"orig":"Laß zwiſchen dich und zwiſchen dein Gedicht Mich als Vermittler treten; hüte dich Durch ſtrengen Fleiß die liebliche Natur Zu kränken, die in deinen Reimen lebt, Und höre nicht auf Rath von allen Seiten!","norm":"Lass zwischen dich und zwischen dein Gedicht mich als Vermittler treten; hüte dich Durch strengen Fleiß die liebliche Natur zu kränken, die in deinen Reimen lebt, und höre nicht auf Rat von allen Seiten!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1601,"orig":"Die tauſendfältigen Gedanken vieler Verſchiedner Menſchen, die im Leben ſich Und in der Meinung widerſprechen, faßt Der Dichter klug in Eins, und ſcheut ſich nicht Gar manchem zu mißfallen, daß er manchem Um deſto mehr gefallen möge.","norm":"Die tausendfältigen Gedanken vieler verschiedener Menschen, die im Leben sich Und in der Meinung widersprechen, fasst der Dichter klug in Eins, und scheut sich nicht Gar manchem zu missfallen, dass er manchem Um desto mehr gefallen möge."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1602,"orig":"Doch Ich ſage nicht, daß du nicht hie und da Beſcheiden deine Feile brauchen ſollteſt;","norm":"Doch Ich sage nicht, dass du nicht hie und da Bescheiden deine Feile brauchen solltest;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1603,"orig":"Verſpreche dir zugleich, in kurzer Zeit Erhältſt du abgeſchrieben dein Gedicht.","norm":"Verspreche dir zugleich, in kurzer Zeit erhältst du abgeschrieben dein Gedicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1604,"orig":"Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen, Damit ich ſeiner erſt mit meinen Schweſtern Mich recht erfreuen möge.","norm":"Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen, damit ich seiner erst mit meinen Schwestern mich recht erfreuen möge."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1605,"orig":"Bringſt du es Vollkommner dann zurück; wir werden uns Des höheren Genuſſes freun, und dich Bey mancher Stelle nur als Freunde warnen.","norm":"Bringst du es Vollkommener dann zurück; wir werden uns Des höheren Genusses freuen, und dich Bei mancher Stelle nur als Freunde warnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1606,"orig":"Ich wiederhohle nur beſchämt die Bitte:","norm":"Ich wiederhole nur beschämt die Bitte:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1607,"orig":"Laß mich die Abſchrift eilig haben, ganz Ruht mein Gemüth auf dieſem Werke nun.","norm":"Lass mich die Abschrift eilig haben, ganz ruht mein Gemüt auf diesem Werke nun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1608,"orig":"Nun muß es werden was es werden kann.","norm":"Nun muss es werden was es werden kann."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1609,"orig":"Ich billige den Trieb der dich beſeelt!","norm":"Ich billige den Trieb der dich beseelt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1610,"orig":"Doch, guter Taſſo, wenn es möglich wäre, So ſollteſt du erſt eine kurze Zeit Der freyen Welt genießen, dich zerſtreuen, Dein Blut durch eine Cur verbeſſern.","norm":"Doch, guter Tasso, wenn es möglich wäre, so solltest du erst eine kurze Zeit der freien Welt genießen, dich zerstreuen, Dein Blut durch eine Kur verbessern."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1611,"orig":"Dir Gewährte dann die ſchöne Harmonie Der hergeſtellten Sinne, was du nun Im trüben Eifer nur vergebens ſuchſt.","norm":"Dir Gewährte dann die schöne Harmonie der hergestellten Sinne, was du nun Im trüben Eifer nur vergebens suchst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1612,"orig":"Mein Fürſt, ſo ſcheint es; doch, ich bin geſund, Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann, Und ſo macht wieder mich der Fleiß geſund.","norm":"Mein Fürst, so scheint es; doch, ich bin gesund, wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann, und so macht wieder mich der Fleiß gesund."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1613,"orig":"Du haſt mich lang’ geſehn, mir iſt nicht wohl In freyer Üppigkeit.","norm":"Du hast mich lang gesehen, mir ist nicht wohl in freier Üppigkeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1614,"orig":"Mir läßt die Ruh’ Am mind’ſten Ruhe.","norm":"Mir lässt die Ruhe am mindesten Ruhe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1615,"orig":"Dieß Gemüth iſt nicht Von der Natur beſtimmt, ich fühl’ es leider, Auf weichem Element der Tage froh In’s weite Meer der Zeiten hinzuſchwimmen.","norm":"Dies Gemüt ist nicht von der Natur bestimmt, ich fühle es leider, auf weichem Element der Tage froh ins weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1616,"orig":"Dich führet alles, was du ſinnſt und treibſt, Tief in dich ſelbſt.","norm":"Dich führt alles, was du sinnst und treibst, Tief in dich selbst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1617,"orig":"Es liegt um uns herum Gar mancher Abgrund, den das Schickſal grub;","norm":"Es liegt um uns herum Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1618,"orig":"Doch hier in unſerm Herzen iſt der tiefſte, Und reitzend iſt es ſich hinab zu ſtürzen.","norm":"Doch hier in unserem Herzen ist der tiefste, und reizend ist es sich hinabzustürzen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1619,"orig":"Ich bitte dich, entreiße dich dir ſelbſt!","norm":"Ich bitte dich, entreiße dich dir selbst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1620,"orig":"Der Menſch gewinnt, was der Poet verliert.","norm":"Der Mensch gewinnt, was der Poet verliert."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1621,"orig":"Ich halte dieſen Drang vergebens auf, Der Tag und Nacht in meinem Buſen wechſelt.","norm":"Ich halte diesen Drang vergebens auf, der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1622,"orig":"Wenn ich nicht ſinnen oder dichten ſoll, So iſt das Leben mir kein Leben mehr.","norm":"Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, so ist das Leben mir kein Leben mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1623,"orig":"Verbiethe du dem Seidenwurm zu ſpinnen, Wenn er ſich ſchon dem Tode näher ſpinnt.","norm":"Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er sich schon dem Tode näher spinnt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1624,"orig":"Das köſtliche Geweb’ entwickelt er Aus ſeinem Innerſten, und läßt nicht ab, Bis er in ſeinen Sarg ſich eingeſchloſſen.","norm":"Das köstliche Gewebe entwickelt er aus seinem Innersten, und lässt nicht ab, bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1625,"orig":"O geb’ ein guter Gott uns auch dereinſt Das Schickſal des beneidenswerthen Wurms, Im neuen Sonnenthal die Flügel raſch Und freudig zu entfalten!","norm":"O gebe ein guter Gott uns auch dereinst das Schicksal des beneidenswerten Wurms, im neuen Sonnental die Flügel rasch und freudig zu entfalten!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1626,"orig":"Höre mich!","norm":"Höre mich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1627,"orig":"Du gibſt ſo vielen doppelten Genuß Des Lebens, lern’, ich bitte dich, Den Werth des Lebens kennen, das du noch Und zehnfach reich beſitzeſt.","norm":"Du gibst so vielen doppelten Genuss des Lebens, lernen, ich bitte dich, den Wert des Lebens kennen, das du noch Und zehnfach reich besitzest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1628,"orig":"Lebe wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1629,"orig":"Je eher du zu uns zurücke kehrſt, Je ſchöner wirſt du uns willkommen ſeyn.","norm":"Je eher du zu uns zurücke kehrst, je schöner wirst du uns willkommen sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1630,"orig":"So halte feſt, mein Herz, ſo war es recht!","norm":"So halte fest, mein Herz, so war es recht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1631,"orig":"Es wird dir ſchwer, es iſt das erſtemal, Daß du dich ſo verſtellen magſt und kannſt.","norm":"Es wird dir schwer, es ist das erste Mal, dass du dich so verstellen magst und kannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1632,"orig":"Du hörteſt wohl, das war nicht ſein Gemüth, Das waren ſeine Worte nicht; mir ſchien, Als klänge nur Antonio’s Stimme wieder.","norm":"Du hörtest wohl, das war nicht sein Gemüt, das waren seine Worte nicht; mir schien, als klänge nur Antonios Stimme wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1633,"orig":"O gib nur Acht!","norm":"O gib nur Acht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1634,"orig":"Du wirſt ſie nun ſo fort Von allen Seiten hören.","norm":"Du wirst sie nun so fort von allen Seiten hören."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1635,"orig":"Feſt, nur feſt!","norm":"Fest, nur fest!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1636,"orig":"Um einen Augenblick iſt’s noch zu thun.","norm":"Um einen Augenblick ist es noch zu tun."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1637,"orig":"Wer ſpät im Leben ſich verſtellen lernt, Der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus, Es wird ſchon gehn, nur übe dich mit ihnen.","norm":"Wer spät im Leben sich verstellen lernt, der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus, es wird schon gehen, nur übe dich mit ihnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1638,"orig":"Du triumphirſt zu früh, dort kommt ſie her!","norm":"Du triumphierst zu früh, dort kommt sie her!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1639,"orig":"Die holde Fürſtinn kommt!","norm":"Die holde Fürstin kommt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1640,"orig":"O welch Gefühl!","norm":"O welch Gefühl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1641,"orig":"Sie tritt herein, es löſ’t in meinem Buſen Verdruß und Argwohn ſich in Schmerzen auf.","norm":"Sie tritt herein, es löst in meinem Busen Verdruss und Argwohn sich in Schmerzen auf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1642,"orig":"Du denkſt uns zu verlaſſen, oder bleibſt Vielmehr in Belriguardo noch zurück, Und willſt dich dann von uns entfernen, Taſſo?","norm":"Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst vielmehr in Belriguardo noch zurück, und willst dich dann von uns entfernen, Tasso?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1643,"orig":"Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit.","norm":"Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1644,"orig":"Du gehſt nach Rom?","norm":"Du gehst nach Rom?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1645,"orig":"Ich richte meinen Weg Zuerſt dahin, und nehmen meine Freunde Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf, So leg’ ich da mit Sorgfalt und Geduld Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht.","norm":"Ich richte meinen Weg zuerst dahin, und nehmen meine Freunde mich gütig auf, wie ich es hoffen darf, so lege ich da mit Sorgfalt und Geduld vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1646,"orig":"Ich finde viele Männer dort verſammelt, Die Meiſter aller Art ſich nennen dürfen.","norm":"Ich finde viele Männer dort versammelt, die Meister aller Art sich nennen dürfen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1647,"orig":"Und ſpricht in jener erſten Stadt der Welt Nicht jeder Platz nicht jeder Stein zu uns?","norm":"Und spricht in jener ersten Stadt der Welt nicht jeder Platz nicht jeder Stein zu uns?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1648,"orig":"Wie viele tauſend ſtumme Lehrer winken In ernſter Majeſtät uns freundlich an!","norm":"Wie viele tausend stumme Lehrer winken in ernster Majestät uns freundlich an!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1649,"orig":"Vollend’ ich da nicht mein Gedicht, ſo kann Ich’s nie vollenden.","norm":"Vollende ich da nicht mein Gedicht, so kann Ich es nie vollenden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1650,"orig":"Leider, ach, ſchon fühl’ ich, Mir wird zu keinem Unternehmen Glück!","norm":"Leider, ach, schon fühle ich, mir wird zu keinem Unternehmen Glück!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1651,"orig":"Verändern werd’ ich es, vollenden nie.","norm":"Verändern werde ich es, vollenden nie."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1652,"orig":"Ich fühl’, ich fühl’ es wohl, die große Kunſt, Die jeden nährt, die den geſunden Geiſt Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten, Vertreiben wird ſie mich.","norm":"Ich fühle, ich fühle es wohl, die große Kunst, die jeden nährt, die den gesunden Geist stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten, Vertreiben wird sie mich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1653,"orig":"Ich eile fort!","norm":"Ich eile fort!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1654,"orig":"Nach Napel will ich bald!","norm":"Nach Napel will ich bald!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1655,"orig":"Darfſt du es wagen?","norm":"Darfst du es wagen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1656,"orig":"Noch iſt der ſtrenge Bann nicht aufgehoben, Der dich zugleich mit deinem Vater traf.","norm":"Noch ist der strenge Bann nicht aufgehoben, der dich zugleich mit deinem Vater traf."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1657,"orig":"Du warneſt recht, ich hab’ es ſchon bedacht.","norm":"Du warnest recht, ich habe es schon bedacht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1658,"orig":"Verkleidet geh’ ich hin, den armen Rock Des Pilgers oder Schäfers zieh’ ich an.","norm":"Verkleidet gehe ich hin, den armen Rock des Pilgers oder Schäfers zieh ich an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1659,"orig":"Ich ſchleiche durch die Stadt, wo die Bewegung Der Tauſende den Einen leicht verbirgt.","norm":"Ich schleiche durch die Stadt, wo die Bewegung der Tausende den Einen leicht verbirgt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1660,"orig":"Ich eile nach dem Ufer, finde dort Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten, Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun Nach Hauſe kehren, Leute von Sorrent;","norm":"Ich eile nach dem Ufer, finde dort gleich einen Kahn mit willig guten Leuten, mit Bauern, die zum Markte kamen, nun nach Hause kehren, Leute von Sorrent;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1661,"orig":"Denn ich muß nach Sorrent hinüber eilen.","norm":"Denn ich muss nach Sorrent hinübereilen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1662,"orig":"Dort wohnet meine Schweſter, die mit mir Die Schmerzensfreude meiner Eltern war.","norm":"Dort wohnt meine Schwester, die mit mir die Schmerzensfreude meiner Eltern war."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1663,"orig":"Im Schiffe bin ich ſtill, und trete dann Auch ſchweigend an das Land, ich gehe ſacht Den Pfad hinauf, und an dem Thore frag’ ich: Wo wohnt Cornelia?","norm":"Im Schiffe bin ich still, und trete dann auch schweigend an das Land, ich gehe sacht den Pfad hinauf, und an dem Tore frag ich: Wo wohnt Cornelia?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1664,"orig":"Zeigt mir es an!","norm":"Zeigt mir es an!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1665,"orig":"Cornelia Serſale?","norm":"Cornelia Sersale?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1666,"orig":"Freundlich deutet Mir eine Spinnerinn die Straße, ſie Bezeichnet mir das Haus.","norm":"Freundlich deutet mir eine Spinnerin die Straße, sie Bezeichnet mir das Haus."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1667,"orig":"So ſteig’ ich weiter.","norm":"So steige ich weiter."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1668,"orig":"Die Kinder laufen nebenher und ſchauen Das wilde Haar, den düſtern Fremdling an.","norm":"Die Kinder laufen nebenher und schauen das wilde Haar, den düstern Fremdling an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1669,"orig":"So komm’ ich an die Schwelle.","norm":"So komme ich an die Schwelle."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1670,"orig":"Offen ſteht Die Thüre ſchon, ſo tret’ ich in das Haus —","norm":"Offen steht die Türe schon, so trete ich in das Haus —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1671,"orig":"Blick’ auf, o Taſſo, wenn es möglich iſt, Erkenne die Gefahr, in der du ſchwebſt!","norm":"Blicke auf, o Tasso, wenn es möglich ist, Erkenne die Gefahr, in der du schwebst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1672,"orig":"Ich ſchone dich; denn ſonſt würd’ ich dir ſagen:","norm":"Ich schone dich; denn sonst würde ich dir sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1673,"orig":"Iſt’s edel ſo zu reden, wie du ſprichſt?","norm":"Ist es edel so zu reden, wie du sprichst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1674,"orig":"Iſt’s edel nur allein an ſich zu denken, Als kränkteſt du der Freunde Herzen nicht?","norm":"Ist es edel nur allein an sich zu denken, als kränktest du der Freunde Herzen nicht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1675,"orig":"Iſt’s dir verborgen wie mein Bruder denkt?","norm":"Ist es dir verborgen wie mein Bruder denkt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1676,"orig":"Wie beyde Schweſtern dich zu ſchätzen wiſſen?","norm":"Wie beide Schwestern dich zu schätzen wissen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1677,"orig":"Haſt du es nicht empfunden und erkannt?","norm":"Hast du es nicht empfunden und erkannt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1678,"orig":"Iſt alles denn in wenig Augenblicken Verändert?","norm":"Ist alles denn in wenig Augenblicken verändert?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1679,"orig":"Taſſo!","norm":"Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1680,"orig":"Wenn du ſcheiden willſt, So laß uns Schmerz und Sorge nicht zurück.","norm":"Wenn du scheiden willst, so lass uns Schmerz und Sorge nicht zurück."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1681,"orig":"Wie tröſtlich iſt es einem Freunde, der Auf eine kurze Zeit verreiſen will, Ein klein Geſchenk zu geben, ſey es nur Ein neuer Mantel, oder eine Waffe!","norm":"Wie tröstlich ist es einem Freunde, der Auf eine kurze Zeit verreisen will, ein klein Geschenk zu geben, sei es nur Ein neuer Mantel, oder eine Waffe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1682,"orig":"Dir kann man nichts mehr geben, denn du wirfſt Unwillig alles weg, was du beſitzeſt.","norm":"Dir kann man nichts mehr geben, denn du wirfst Unwillig alles weg, was du besitzest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1683,"orig":"Die Pilgermuſchel und den ſchwarzen Kittel, Den langen Stab erwählſt du dir, und gehſt Freywillig arm dahin, und nimmſt uns weg, Was du mit uns allein genießen konnteſt.","norm":"Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel, den langen Stab erwählst du dir, und gehst Freiwillig arm dahin, und nimmst uns weg, was du mit uns allein genießen konntest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1684,"orig":"So willſt du mich nicht ganz und gar verſtoßen?","norm":"So willst du mich nicht ganz und gar verstoßen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1685,"orig":"O ſüßes Wort, o ſchöner, theurer Troſt, Vertritt mich!","norm":"O süßes Wort, o schöner, teurer Trost, Vertritt mich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1686,"orig":"Nimm in deinen Schutz mich auf!","norm":"Nimm in deinen Schutz mich auf!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1687,"orig":"— Laß mich in Belriguardo hier, verſetze Mich nach Conſandoli, wohin du willſt!","norm":"— Lass mich in Belriguardo hier, versetze mich nach Consandoli, wohin du willst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1688,"orig":"Es hat der Fürſt ſo manches ſchöne Schloß, So manchen Garten, der das ganze Jahr Gewartet wird, und ihr betretet kaum Ihn Einen Tag, vielleicht nur Eine Stunde.","norm":"Es hat der Fürst so manches schöne Schloss, so manchen Garten, der das ganze Jahr gewartet wird, und ihr betretet kaum ihn Einen Tag, vielleicht nur eine Stunde."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1689,"orig":"Ja wählet den entferntſten aus, den ihr In ganzen Jahren nicht beſuchen geht, Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt, Dort ſchickt mich hin!","norm":"Ja wählet den entferntsten aus, den ihr In ganzen Jahren nicht besuchen geht, und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt, dort schickt mich hin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1690,"orig":"Dort laßt mich euer ſeyn!","norm":"Dort lasst mich euer sein!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1691,"orig":"Wie will ich deine Bäume pflegen!","norm":"Wie will ich deine Bäume pflegen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1692,"orig":"Die Citronen Im Herbſt mit Bretern und mit Ziegeln decken, Und mit verbund’nem Rohre wohl verwahren!","norm":"Die Zitronen im Herbst mit Brettern und mit Ziegeln decken, und mit verbundenem Rohre wohl verwahren!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1693,"orig":"Es ſollen ſchöne Blumen in den Beeten Die breiten Wurzeln ſchlagen, rein und zierlich Soll jeder Gang und jedes Fleckchen ſeyn.","norm":"Es sollen schöne Blumen in den Beeten die breiten Wurzeln schlagen, rein und zierlich Soll jeder Gang und jedes Fleckchen sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1694,"orig":"Und laßt mir auch die Sorge des Pallaſtes!","norm":"Und lasst mir auch die Sorge des Palastes!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1695,"orig":"Ich will zur rechten Zeit die Fenſter öffnen, Daß Feuchtigkeit nicht den Gemählden ſchade; Die ſchön mit Stuckatur verzierten Wände Will ich mit einem leichten Wedel ſäubern, Es ſoll das Eſtrich blank und reinlich glänzen, Es ſoll kein Stein, kein Ziegel ſich verrücken, Es ſoll kein Gras aus einer Ritze keimen!","norm":"Ich will zur rechten Zeit die Fenster öffnen, dass Feuchtigkeit nicht den Gemälden schade; die schön mit Stuckatur verzierten Wände will ich mit einem leichten Wedel säubern, es soll das Estrich blank und reinlich glänzen, es soll kein Stein, kein Ziegel sich verrücken, es soll kein Gras aus einer Ritze keimen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1696,"orig":"Ich finde keinen Rath in meinem Buſen, Und finde keinen Troſt für dich und — uns.","norm":"Ich finde keinen Rat in meinem Busen, und finde keinen Trost für dich und — uns."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1697,"orig":"Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott Uns Hülfe reichen möchte?","norm":"Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott uns Hilfe reichen möchte?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1698,"orig":"Möchte mir Ein heilſam Kraut entdecken, einen Trank, Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns.","norm":"Möchte mir Ein heilsam Kraut entdecken, einen Trank, der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1699,"orig":"Das treuſte Wort, das von der Lippe fließt, Das ſchönſte Heilungsmittel wirkt nicht mehr.","norm":"Das treuste Wort, das von der Lippe fließt, das schönste Heilungsmittel wirkt nicht mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1700,"orig":"Ich muß dich laſſen, und verlaſſen kann Mein Herz dich nicht.","norm":"Ich muss dich lassen, und verlassen kann Mein Herz dich nicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1701,"orig":"Ihr Götter, iſt ſie’s doch, Die mit dir ſpricht und deiner ſich erbarmt?","norm":"Ihr Götter, ist sie es doch, die mit dir spricht und deiner sich erbarmt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1702,"orig":"Und konnteſt du das edle Herz verkennen?","norm":"Und konntest du das edle Herz verkennen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1703,"orig":"War’s möglich, daß in ihrer Gegenwart Der Kleinmuth dich ergriff und dich bezwang?","norm":"War es möglich, dass in ihrer Gegenwart der Kleinmut dich ergriff und dich bezwang?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1704,"orig":"Nein, nein, du biſt’s!","norm":"Nein, nein, du bist es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1705,"orig":"und nun ich bin es auch.","norm":"und nun ich bin es auch."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1706,"orig":"O fahre fort, und laß mich jeden Troſt Aus deinem Munde hören!","norm":"O fahre fort, und lass mich jeden Trost aus deinem Munde hören!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1707,"orig":"Deinen Rath Entzieh’ mir nicht!","norm":"Deinen Rat Entzieh mir nicht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1708,"orig":"O ſprich: was ſoll ich thun?","norm":"O sprich: was soll ich tun?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1709,"orig":"Damit dein Bruder mir vergeben könne, Damit du ſelbſt mir gern vergeben mögeſt, Damit ihr wieder zu den Euren mich Mit Freuden zählen möget.","norm":"Damit dein Bruder mir vergeben könne, damit du selbst mir gern vergeben mögest, damit ihr wieder zu den Euren mich mit Freuden zählen möget."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1710,"orig":"Sag’ mir an.","norm":"Sage mir an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1711,"orig":"Gar wenig iſt’s, was wir von dir verlangen;","norm":"Gar wenig ist es, was wir von dir verlangen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1712,"orig":"Und dennoch ſcheint es allzu viel zu ſeyn.","norm":"Und dennoch scheint es allzu viel zu sein."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1713,"orig":"Du ſollſt dich ſelbſt uns freundlich überlaſſen.","norm":"Du sollst dich selbst uns freundlich überlassen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1714,"orig":"Wir wollen nichts von dir, was du nicht biſt, Wenn du nur erſt dir mit dir ſelbſt gefällſt.","norm":"Wir wollen nichts von dir, was du nicht bist, wenn du nur erst dir mit dir selbst gefällst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1715,"orig":"Du machſt uns Freude, wenn du Freude haſt, Und du betrübſt uns nur, wenn du ſie flichſt;","norm":"Du machst uns Freude, wenn du Freude hast, und du betrübst uns nur, wenn du sie flichst;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1716,"orig":"Und wenn du uns auch ungeduldig machſt, So iſt es nur, daß wir dir helfen möchten, Und, leider!","norm":"Und wenn du uns auch ungeduldig machst, so ist es nur, dass wir dir helfen möchten, und, leider!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1717,"orig":"ſehn, daß nicht zu helfen iſt;","norm":"sehen, dass nicht zu helfen ist;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1718,"orig":"Wenn du nicht ſelbſt des Freundes Hand ergreifſt, Die, ſehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.","norm":"Wenn du nicht selbst des Freundes Hand ergreifst, Die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1719,"orig":"Du biſt es ſelbſt, wie du zum erſtenmal, Ein heil’ger Engel, mir entgegen kamſt!","norm":"Du bist es selbst, wie du zum ersten Mal, ein heiliger Engel, mir entgegenkamst!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1720,"orig":"Verzeih’ dem trüben Blick des Sterblichen, Wenn er auf Augenblicke dich verkannt.","norm":"Verzeih dem trüben Blick des Sterblichen, wenn er auf Augenblicke dich verkannt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1721,"orig":"Er kennt dich wieder!","norm":"Er kennt dich wieder!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1722,"orig":"Ganz eröffnet ſich Die Seele, nur dich ewig zu verehren.","norm":"Ganz eröffnet sich die Seele, nur dich ewig zu verehren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1723,"orig":"Es füllt ſich ganz das Herz von Zärtlichkeit — Sie iſt’s, ſie ſteht vor mir.","norm":"Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit — sie ist es, sie steht vor mir."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1724,"orig":"Welch ein Gefühl!","norm":"Welch ein Gefühl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1725,"orig":"Iſt es Verirrung, was mich nach dir zieht?","norm":"Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1726,"orig":"Iſt’s Raſerey?","norm":"Ist es Raserei?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1727,"orig":"Iſt’s ein erhöhter Sinn, Der erſt die höchſte, reinſte Wahrheit faßt?","norm":"Ist es ein erhöhter Sinn, der erst die höchste, reinste Wahrheit fasst?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1728,"orig":"Ja, es iſt das Gefühl, das mich allein Auf dieſer Erde glücklich machen kann, Das mich allein ſo elend werden ließ, Wenn ich ihm widerſtand und aus dem Herzen Es bannen wollte.","norm":"Ja, es ist das Gefühl, das mich allein Auf dieser Erde glücklich machen kann, das mich allein so elend werden ließ, wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen es bannen wollte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1729,"orig":"Dieſe Leidenſchaft Gedacht’ ich zu bekämpfen; ſtritt und ſtritt Mit meinem tiefſten Seyn, zerſtörte frech Mein eignes Selbſt, dem du ſo ganz gehörſt.","norm":"Diese Leidenschaft gedacht ich zu bekämpfen; stritt und stritt mit meinem tiefsten Sein, zerstörte frech Mein eigenes Selbst, dem du so ganz gehörst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1730,"orig":"Wenn ich dich, Taſſo, länger hören ſoll, So mäßige die Gluth, die mich erſchreckt.","norm":"Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll, so mäßige die Glut, die mich erschreckt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1731,"orig":"Beſchränkt der Rand des Bechers einen Wein, Der ſchäumend wallt und brauſend überſchwillt?","norm":"Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein, der schäumend wallt und brausend überschwillt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1732,"orig":"Mit jedem Wort’ erhöheſt du mein Glück, Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller.","norm":"Mit jedem Wort erhöhest du mein Glück, mit jedem Worte glänzt dein Auge heller."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1733,"orig":"Ich fühle mich im innerſten verändert, Ich fühle mich von aller Noth entladen, Frey wie ein Gott, und alles dank’ ich dir!","norm":"Ich fühle mich im Innersten verändert, Ich fühle mich von aller Not entladen, frei wie ein Gott, und alles dank ich dir!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1734,"orig":"Unſägliche Gewalt, die mich beherrſcht, Entfließet deinen Lippen; ja, du machſt Mich ganz dir eigen.","norm":"Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht, Entfließet deinen Lippen; ja, du machst mich ganz dir eigen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1735,"orig":"Nichts gehöret mir Von meinem ganzen Ich mir künftig an.","norm":"Nichts gehört mir Von meinem ganzen Ich mir künftig an."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1736,"orig":"Es trübt mein Auge ſich in Glück und Licht, Es ſchwankt mein Sinn.","norm":"Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht, es schwankt mein Sinn."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1737,"orig":"Mich hält der Fuß nicht mehr.","norm":"Mich hält der Fuß nicht mehr."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1738,"orig":"Unwiderſtehlich ziehſt du mich zu dir, Und unaufhaltſam dringt mein Herz dir zu.","norm":"Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir, und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1739,"orig":"Du haſt mich ganz auf ewig dir gewonnen, So nimm denn auch mein ganzes Weſen hin.","norm":"Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen, so nimm denn auch mein ganzes Wesen hin."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1740,"orig":"Hinweg!","norm":"Hinweg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1741,"orig":"Was iſt geſchehen?","norm":"Was ist geschehen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1742,"orig":"Taſſo!","norm":"Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1743,"orig":"Taſſo!","norm":"Tasso!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1744,"orig":"O Gött!","norm":"O Gott!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1745,"orig":"Er kommt von Sinnen, halt ihn feſt.","norm":"Er kommt von Sinnen, halt ihn fest."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1746,"orig":"O ſtünde jetzt, ſo wie du immer glaubſt Daß du von Feinden rings umgeben biſt, Ein Feind bey dir, wie würd’ er triumphiren?","norm":"O stünde jetzt, so wie du immer glaubst dass du von Feinden rings umgeben bist, ein Feind bei dir, wie würde er triumphieren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1747,"orig":"Unglücklicher, noch kaum erhohl’ ich mich!","norm":"Unglücklicher, noch kaum erhol ich mich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1748,"orig":"Wenn ganz was unerwartetes begegnet, Wenn unſer Blick was ungeheures ſieht, Steht unſer Geiſt auf eine Weile ſtill, Wir haben nichts, womit wir das vergleichen.","norm":"Wenn ganz was Unerwartetes begegnet, wenn unser Blick was Ungeheures sieht, steht unser Geist auf eine Weile still, wir haben nichts, womit wir das vergleichen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1749,"orig":"Vollende nur dein Amt, ich ſeh’ du biſt’s!","norm":"Vollende nur dein Amt, ich sehe du bist es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1750,"orig":"Ja du verdienſt das fürſtliche Vertraun;","norm":"Ja du verdienst das fürstliche Vertrauen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1751,"orig":"Vollende nur dein Amt, und martre mich, Da mir der Stab gebrochen iſt, noch langſam Zu Tode!","norm":"Vollende nur dein Amt, und martre mich, da mir der Stab gebrochen ist, noch langsam zu Tode!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1752,"orig":"Ziehe!","norm":"Ziehe!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1753,"orig":"Zieh’ am Pfeile nur, Daß ich den Widerhaken grimmig fühle, Der mich zerfleiſcht!","norm":"Zieh am Pfeile nur, dass ich den Widerhaken grimmig fühle, der mich zerfleischt!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1754,"orig":"Du biſt ein theures Werkzeug des Tyrannen, Sey Kerkermeiſter, ſey der Marterknecht, Wie wohl!","norm":"Du bist ein teures Werkzeug des Tyrannen, Sei Kerkermeister, sei der Marterknecht, wie wohl!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1755,"orig":"wie eigen ſteht dir beydes an!","norm":"wie eigen steht dir beides an!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1756,"orig":"Ja, gehe nur, Tyrann!","norm":"Ja, gehe nur, Tyrann!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1757,"orig":"Du konnteſt dich Nicht bis zuletzt verſtellen, triumphire!","norm":"Du konntest dich Nicht bis zuletzt verstellen, triumphiere!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1758,"orig":"Du haſt den Sclaven wohl gekettet, haſt Ihn wohl geſpart zu ausgedachten Qualen:","norm":"Du hast den Sklaven wohl gekettet, hast ihn wohl gespart zu ausgedachten Qualen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1759,"orig":"Geh’ nur, ich haſſe dich, ich fühle ganz Den Abſcheu, den die Übermacht erregt, Die frevelhaft und ungerecht ergreift.","norm":"Gehe nur, ich hasse dich, ich fühle ganz den Abscheu, den die Übermacht erregt, die frevelhaft und ungerecht ergreift."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1760,"orig":"So ſeh’ ich mich am Ende denn verbannt, Verſtoßen und verbannt als Bettler hier?","norm":"So sehe ich mich am Ende denn verbannt, Verstoßen und verbannt als Bettler hier?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1761,"orig":"So hat man mich bekränzt, um mich geſchmückt Als Opferthier vor den Altar zu führen!","norm":"So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt als Opfertier vor den Altar zu führen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1762,"orig":"So lockte man mir noch am letzten Tage Mein einzig Eigenthum, mir mein Gedicht Mit glatten Worten ab, und hielt es feſt!","norm":"So lockte man mir noch am letzten Tage Mein einzig Eigentum, mir mein Gedicht mit glatten Worten ab, und hielt es fest!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1763,"orig":"Mein einzig Gut iſt nun in euren Händen, Das mich an jedem Ort empfohlen hätte:","norm":"Mein einzig Gut ist nun in euren Händen, das mich an jedem Ort empfohlen hätte:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1764,"orig":"Das mir noch blieb vom Hunger mich zu retten!","norm":"Das mir noch blieb vom Hunger mich zu retten!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1765,"orig":"Jetzt ſeh’ ich wohl, warum ich feyern ſoll.","norm":"Jetzt sehe ich wohl, warum ich feiern soll."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1766,"orig":"Es iſt Verſchwörung, und du biſt das Haupt.","norm":"Es ist Verschwörung, und du bist das Haupt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1767,"orig":"Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde, Daß nur mein Name ſich nicht mehr verbreite, Daß meine Neider tauſend Schwächen finden, Daß man am Ende meiner gar vergeſſe;","norm":"Damit mein Lied nur nicht vollkommener werde, dass nur mein Name sich nicht mehr verbreite, dass meine Neider tausend Schwächen finden, Dass man am Ende meiner gar vergesse;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1768,"orig":"Drum ſoll ich mich zum Müßiggang gewöhnen, Drum ſoll ich mich und meine Sinne ſchonen.","norm":"Darum soll ich mich zum Müßiggang gewöhnen, darum soll ich mich und meine Sinne schonen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1769,"orig":"O werthe Freundſchaft, theure Sorglichkeit!","norm":"O werte Freundschaft, teure Sorglichkeit!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1770,"orig":"Abſcheulich dacht’ ich die Verſchwörung mir, Die unſichtbar und raſtlos mich umſpann, Allein abſcheulicher iſt es geworden.","norm":"Abscheulich dachte ich die Verschwörung mir, die unsichtbar und rastlos mich umspann, allein abscheulicher ist es geworden."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1771,"orig":"Und du, Sirene!","norm":"Und du, Sirene!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1772,"orig":"die du mich ſo zart, So himmliſch angelockt, ich ſehe nun Dich auf einmal!","norm":"die du mich so zart, so himmlisch angelockt, ich sehe nun Dich auf einmal!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1773,"orig":"O Gott, warum ſo ſpät!","norm":"O Gott, warum so spät!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1774,"orig":"Allein wir ſelbſt betrügen uns ſo gern, Und ehren die Verworfnen, die uns ehren.","norm":"Allein wir selbst betrügen uns so gern, und ehren die Verworfenen, die uns ehren."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1775,"orig":"Die Menſchen kennen ſich einander nicht;","norm":"Die Menschen kennen sich einander nicht;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1776,"orig":"Nur die Galerenſclaven kennen ſich, Die eng’ an Eine Bank geſchmiedet keuchen;","norm":"Nur die Galeerensklaven kennen sich, die eng an eine Bank geschmiedet keuchen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1777,"orig":"Wo keiner was zu fordern hat und keiner Was zu verlieren hat, die kennen ſich!","norm":"Wo keiner was zu fordern hat und keiner Was zu verlieren hat, die kennen sich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1778,"orig":"Wo jeder ſich für einen Schelmen gibt, Und ſeines Gleichen auch für Schelmen nimmt.","norm":"Wo jeder sich für einen Schelmen gibt, und seinesgleichen auch für Schelmen nimmt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1779,"orig":"Doch wir verkennen nur die andern höflich, Damit ſie wieder uns verkennen ſollen.","norm":"Doch wir verkennen nur die anderen höflich, damit sie wieder uns verkennen sollen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1780,"orig":"Wie lang’ verdeckte mir dein heilig Bild Die Buhlerinn, die kleine Künſte treibt.","norm":"Wie lang verdeckte mir dein heilig Bild die Buhlerin, die kleine Künste treibt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1781,"orig":"Die Maske fällt, Armiden ſeh’ ich nun Entblößt von allen Reitzen — ja, du biſt’s!","norm":"Die Maske fällt, Armide sehe ich nun Entblößt von allen Reizen — ja, du bist es!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1782,"orig":"Von dir hat ahndungsvoll mein Lied geſungen!","norm":"Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1783,"orig":"Und die verſchmitzte kleine Mittlerinn!","norm":"Und die verschmitzte kleine Mittlerin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1784,"orig":"Wie tief erniedrigt ſeh’ ich ſie vor mir!","norm":"Wie tief erniedrigt sehe ich sie vor mir!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1785,"orig":"Ich höre nun die leiſen Tritte rauſchen, Ich kenne nun den Kreis, um den ſie ſchlich.","norm":"Ich höre nun die leisen Tritte rauschen, Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1786,"orig":"Euch alle kenn’ ich!","norm":"Euch alle kenne ich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1787,"orig":"Sey mir das genug!","norm":"Sei mir das genug!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1788,"orig":"Und wenn das Elend alles mir geraubt, So preiſ’ ich’s doch; die Wahrheit lehrt es mich.","norm":"Und wenn das Elend alles mir geraubt, so preis ich es doch; die Wahrheit lehrt es mich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1789,"orig":"Ich höre, Taſſo, dich mit Staunen an, So ſehr ich weiß, wie leicht dein raſcher Geiſt Von einer Gränze zu der andern ſchwankt.","norm":"Ich höre, Tasso, dich mit Staunen an, so sehr ich weiß, wie leicht dein rascher Geist von einer Grenze zu der anderen schwankt."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1790,"orig":"Beſinne dich!","norm":"Besinne dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1791,"orig":"Gebiethe dieſer Wuth!","norm":"Gebiete dieser Wut!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1792,"orig":"Du läſterſt, du erlaubſt dir Wort auf Wort, Das deinen Schmerzen zu verzeihen iſt, Doch das du ſelbſt dir nie verzeihen kannſt.","norm":"Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort, das deinen Schmerzen zu verzeihen ist, doch das du selbst dir nie verzeihen kannst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1793,"orig":"O ſprich mir nicht mit ſanfter Lippe zu, Laß mich kein kluges Wort von dir vernehmen!","norm":"O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu, Lass mich kein kluges Wort von dir vernehmen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1794,"orig":"Laß mir das dumpfe Glück, damit ich nicht Mich erſt beſinne, dann von Sinnen komme.","norm":"Lass mir das dumpfe Glück, damit ich nicht mich erst besinne, dann von Sinnen komme."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1795,"orig":"Ich fühle mir das innerſte Gebein Zerſchmettert, und ich leb’ um es zu fühlen.","norm":"Ich fühle mir das innerste Gebein zerschmettert, und ich lebe um es zu fühlen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1796,"orig":"Verzweiflung faßt mit aller Wuth mich an, Und in der Höllenqual, die mich vernichtet, Wird Läſt’rung nur ein leiſer Schmerzenslaut.","norm":"Verzweiflung fasst mit aller Wut mich an, und in der Höllenqual, die mich vernichtet, wird Lästerung nur ein leiser Schmerzenslaut."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1797,"orig":"Ich will hinweg!","norm":"Ich will hinweg!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1798,"orig":"Und wenn du redlich biſt, So zeig’ es mir, und laß mich gleich von hinnen.","norm":"Und wenn du redlich bist, so zeige es mir, und lass mich gleich von hinnen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1799,"orig":"Ich werde dich in dieſer Noth nicht laſſen;","norm":"Ich werde dich in dieser Not nicht lassen;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1800,"orig":"Und wenn es dir an Faſſung ganz gebricht, So ſoll mir’s an Geduld gewiß nicht fehlen.","norm":"Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht, so soll mir es an Geduld gewiss nicht fehlen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1801,"orig":"So muß ich mich dir denn gefangen geben?","norm":"So muss ich mich dir denn gefangen geben?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1802,"orig":"Ich gebe mich, und ſo iſt es gethan;","norm":"Ich gebe mich, und so ist es getan;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1803,"orig":"Ich widerſtehe nicht, ſo iſt mir wohl — Und laß es dann mich ſchmerzlich wiederhohlen, Wie ſchön es war, was ich mir ſelbſt verſcherzte.","norm":"Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl — und lass es dann mich schmerzlich wiederholen, wie schön es war, was ich mir selbst verscherzte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1804,"orig":"Sie gehn hinweg — O Gott!","norm":"Sie gehen hinweg — O Gott!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1805,"orig":"dort ſeh’ ich ſchon Den Staub, der von den Wagen ſich erhebt — Die Reiter ſind voraus — Dort fahren ſie, Dort gehn ſie hin!","norm":"dort sehe ich schon den Staub, der von den Wagen sich erhebt — die Reiter sind voraus — dort fahren sie, dort gehen sie hin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1806,"orig":"Kam ich nicht auch daher?","norm":"Kam ich nicht auch daher?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1807,"orig":"Sie ſind hinweg, ſie ſind erzürnt auf mich.","norm":"Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1808,"orig":"O küßt’ ich nur noch einmal ſeine Hand!","norm":"O küsst ich nur noch einmal seine Hand!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1809,"orig":"O daß ich nur noch Abſchied nehmen könnte!","norm":"O dass ich nur noch Abschied nehmen könnte!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1810,"orig":"Nur einmal noch zu ſagen:","norm":"Nur einmal noch zu sagen:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1811,"orig":"O verzeiht!","norm":"O verzeiht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1812,"orig":"Nur noch zu hören:","norm":"Nur noch zu hören:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1813,"orig":"Geh’, dir iſt verziehn!","norm":"Gehe, dir ist verziehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1814,"orig":"Allein ich hör’ es nicht, ich hör’ es nie — Ich will ja gehn!","norm":"Allein ich höre es nicht, ich höre es nie — Ich will ja gehen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1815,"orig":"Laßt mich nur Abſchied nehmen, Nur Abſchied nehmen!","norm":"Lasst mich nur Abschied nehmen, nur Abschied nehmen!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1816,"orig":"Gebt, o gebt mir nur Auf einen Augenblick die Gegenwart Zurück!","norm":"Gebt, o gebt mir nur Auf einen Augenblick die Gegenwart Zurück!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1817,"orig":"Vielleicht geneſ’ ich wieder.","norm":"Vielleicht genes ich wieder."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1818,"orig":"Nein, Ich bin verſtoßen, bin verbannt, ich habe Mich ſelbſt verbannt, ich werde dieſe Stimme Nicht mehr vernehmen, dieſem Blicke nicht, Nicht mehr begegnen —","norm":"Nein, Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht, nicht mehr begegnen —"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1819,"orig":"Laß eines Mannes Stimme dich erinnern, Der neben dir nicht ohne Rührung ſteht!","norm":"Lass eines Mannes Stimme dich erinnern, der neben dir nicht ohne Rührung steht!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1820,"orig":"Du biſt ſo elend nicht, als wie du glaubſt.","norm":"Du bist so elend nicht, als wie du glaubst."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1821,"orig":"Ermanne dich!","norm":"Ermanne dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1822,"orig":"Du gibſt zu viel dir nach.","norm":"Du gibst zu viel dir nach."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1823,"orig":"Und bin ich denn ſo elend wie ich ſcheine?","norm":"Und bin ich denn so elend wie ich scheine?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1824,"orig":"Bin ich ſo ſchwach, wie ich vor dir mich zeige?","norm":"Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1825,"orig":"Iſt alles denn verloren?","norm":"Ist alles denn verloren?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1826,"orig":"Hat der Schmerz, Als ſchütterte der Boden, das Gebäude In einen grauſen Haufen Schutt verwandelt?","norm":"Hat der Schmerz, als schütterte der Boden, das Gebäude in einen grausen Haufen Schutt verwandelt?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1827,"orig":"Iſt kein Talent mehr übrig, tauſendfältig Mich zu zerſtreun, zu unterſtützen?","norm":"Ist kein Talent mehr übrig, tausendfältig Mich zu zerstreuen, zu unterstützen?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1828,"orig":"Iſt alle Kraft verloſchen, die ſich ſonſt In meinem Buſen regte?","norm":"Ist alle Kraft verloschen, die sich sonst In meinem Busen regte?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1829,"orig":"Bin ich Nichts, Ganz Nichts geworden?","norm":"Bin ich nichts, ganz nichts geworden?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1830,"orig":"Nein, es iſt alles da, und ich bin nichts;","norm":"Nein, es ist alles da, und ich bin nichts;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1831,"orig":"Ich bin mir ſelbſt entwandt, ſie iſt es mir;","norm":"Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1832,"orig":"Und wenn du ganz dich zu verlieren ſcheinſt, Vergleiche dich!","norm":"Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst, Vergleiche dich!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1833,"orig":"Erkenne was du biſt!","norm":"Erkenne was du bist!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1834,"orig":"Ja, du erinnerſt mich zur rechten Zeit!","norm":"Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1835,"orig":"— Hilft denn kein Beyſpiel der Geſchichte mehr?","norm":"— Hilft denn kein Beispiel der Geschichte mehr?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1836,"orig":"Stellt ſich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt;","norm":"Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen, der mehr gelitten, als ich jemals litt;"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1837,"orig":"Damit ich mich mit ihm vergleichend faſſe?","norm":"Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse?"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1838,"orig":"Nein, Alles iſt dahin!","norm":"Nein, alles ist dahin!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1839,"orig":"— Nur Eines bleibt:","norm":"— Nur eines bleibt:"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1840,"orig":"Die Thräne hat uns die Natur verliehen, Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt — Und mir noch über alles — Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefſte Fülle meiner Noth zu klagen: Und wenn der Menſch in ſeiner Qual verſtummt, Gab mir ein Gott, zu ſagen wie ich leide.","norm":"Die Träne hat uns die Natur verliehen, den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt es nicht mehr trägt — und mir noch über alles — Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, die tiefste Fülle meiner Not zu klagen: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1841,"orig":"O edler Mann!","norm":"O edler Mann!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1842,"orig":"Du ſteheſt feſt und ſtill, Ich ſcheine nur die ſturmbewegte Welle.","norm":"Du stehest fest und still, Ich scheine nur die sturmbewegte Welle."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1843,"orig":"Allein bedenk’, und überhebe nicht Dich deiner Kraft!","norm":"Allein bedenk, und überhebe nicht Dich deiner Kraft!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1844,"orig":"Die mächtige Natur, Die dieſen Felſen gründete, hat auch Der Welle die Beweglichkeit gegeben.","norm":"Die mächtige Natur, die diesen Felsen gründete, hat auch der Welle die Beweglichkeit gegeben."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1845,"orig":"Sie ſendet ihren Sturm, die Welle flieht Und ſchwankt und ſchwillt und beugt ſich ſchäumend über.","norm":"Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1846,"orig":"In dieſer Woge ſpiegelte ſo ſchön Die Sonne ſich, es ruhten die Geſtirne An dieſer Bruſt, die zärtlich ſich bewegte.","norm":"In dieser Woge spiegelte so schön die Sonne sich, es ruhten die Gestirne an dieser Brust, die zärtlich sich bewegte."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1847,"orig":"Verſchwunden iſt der Glanz, entflohn die Ruhe.","norm":"Verschwunden ist der Glanz, entflohen die Ruhe."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1848,"orig":"Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr, Und ſchäme mich nicht mehr es zu bekennen.","norm":"Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr, und schäme mich nicht mehr es zu bekennen."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1849,"orig":"Zerbrochen iſt das Steuer, und es kracht Das Schiff an allen Seiten.","norm":"Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht das Schiff an allen Seiten."} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1850,"orig":"Berſtend reißt Der Boden unter meinen Füßen auf!","norm":"Berstend reißt der Boden unter meinen Füßen auf!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1851,"orig":"Ich faſſe dich mit beyden Armen an!","norm":"Ich fasse dich mit beiden Armen an!"} {"basename":"goethe_torquato_1790","par_idx":1852,"orig":"So klammert ſich der Schiffer endlich noch Am Felſen feſt, an dem er ſcheitern ſollte.","norm":"So klammert sich der Schiffer endlich noch am Felsen fest, an dem er scheitern sollte."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":0,"orig":"Aufklärung iſt der Ausgang des Menſchen aus ſeiner ſelbſt verſchuldeten Unmündigkeit.","norm":"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":1,"orig":"Unmündigkeit iſt das Unvermögen, ſich ſeines Verſtandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.","norm":"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":2,"orig":"Selbſtverſchuldet iſt dieſe Unmündigkeit, wenn die Urſache derſelben nicht am Mangel des Verſtandes, ſondern der Entſchließung und des Muthes liegt, ſich ſeiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.","norm":"Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":3,"orig":"Sapere aude!","norm":"Sapere aude!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":4,"orig":"Habe Muth dich deines eigenen Verſtandes zu bedienen!","norm":"Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":5,"orig":"iſt alſo der Wahlſpruch der Aufklärung.","norm":"ist also der Wahlspruch der Aufklärung."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":6,"orig":"Faulheit und Feigheit ſind die Urſachen, warum","norm":"Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":7,"orig":"ein ſo großer Theil der Menſchen, nachdem ſie die","norm":"ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":8,"orig":"Natur längſt von fremder Leitung frei geſprochen","norm":"Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":9,"orig":"B. Monatsſchr. IV. B. 6. St. Hh (na- (naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen ſo leicht wird, ſich zu deren Vormündern aufzuwerfen.","norm":"B. Monatsschr. IV. B. 6. St. Hh (na- (naturaliter maiorennes), dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":10,"orig":"Es iſt ſo bequem, unmündig zu ſein.","norm":"Es ist so bequem, unmündig zu sein."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":11,"orig":"Habe ich ein Buch, das für mich Verſtand hat, einen Seelſorger, der für mich Gewiſſen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurtheilt, u. ſ. w. ſo brauche ich mich ja nicht ſelbſt zu bemühen.","norm":"Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurteilt, u. s. w. so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":12,"orig":"Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geſchäft ſchon für mich übernehmen.","norm":"Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":13,"orig":"Daß der bei weitem größte Theil der Menſchen (darunter das ganze ſchöne Geſchlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beſchwerlich iſt, auch für ſehr gefährlich halte: dafür ſorgen ſchon jene Vormünder, die die Oberaufſicht über ſie gütigſt auf ſich genommen haben.","norm":"Dass der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür Sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":14,"orig":"Nachdem ſie ihr Hausvieh zuerſt dumm gemacht haben, und ſorgfältig verhüteten, daß dieſe ruhigen Geſchöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin ſie ſie einſperreten, wagen durften; ſo zeigen ſie ihnen nachher die Gefahr, die lhnen drohet, wenn ſie es verſuchen allein zu gehen.","norm":"Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":15,"orig":"Nun iſt dieſe Gefahr zwar eben ſo groß nicht, denn ſie würden durch einigemahl Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beiſpiel von der Art macht doch ſchüchtern, und ſchrekt gemeiniglich von allen ferneren Verſuchen ab.","norm":"Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige Mal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":16,"orig":"Es iſt alſo für jeden einzelnen Menſchen ſchwer, ſich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten.","norm":"Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur, gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":17,"orig":"Er hat ſie ſogar lieb gewonnen, und iſt vor der Hand wirklich unfähig, ſich ſeines eigenen Verſtandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Verſuch davon machen ließ.","norm":"Er hat sie sogar lieb gewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":18,"orig":"Satzungen und Formeln, dieſe mechaniſchen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs ſeiner Naturgaben, ſind die Fußſchellen einer immerwährenden Unmündigkeit.","norm":"Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":19,"orig":"Wer ſie auch abwürfe, würde dennoch auch über den ſchmaleſten Graben einen nur unſicheren Sprung#thun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt iſt.","norm":"Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":20,"orig":"Daher giebt es nur Wenige, denen es gelungen iſt, durch eigene Bearbeitung ihres Geiſtes ſich aus der Unmündigkeit heraus zu wikkeln, und dennoch einen ſicheren Gang zu thun.","norm":"Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln, und dennoch einen sicheren Gang zu tun."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":21,"orig":"Daß aber ein Publikum ſich ſelbſt aufkläre, iſt eher möglich; ja es iſt, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.","norm":"Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":22,"orig":"Denn da werden ſich immer einige Selbſtdenkende, ſogar unter den eingeſetzten Vormündern des großen Haufens, finden, welche, nachdem ſie das Joch der Unmündigkeit ſelbſt abgeworfen haben, den Geiſt einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werths und des Berufs jedes Menſchen ſelbſt zu denken um ſich verbreiten werden.","norm":"Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen selbst zu denken um sich verbreiten werden."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":23,"orig":"Beſonders iſt hiebei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieſes Joch gebracht worden, ſie hernach ſelbſt zwingt darunter zu bleiben, wenn es von einigen ſeiner Vormünder, die ſelbſt aller Aufklärung unfähig ſind, dazu aufgewiegelt worden; ſo ſchädlich iſt es Vorurtheile zu pflanzen, weil ſie ſich zuletzt an denen ſelbſt rächen, die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber geweſen ſind.","norm":"Besonders ist hierbei: dass das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber gewesen sind."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":24,"orig":"Daher kann ein Publikum nur langſam zur Aufklärung gelangen.","norm":"Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":25,"orig":"Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von perſönlichem Despotism und gewinnſüchtiger oder herrſchſüchtiger Bedrükkung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zu Stande kommen; ſondern neue Vorurtheile werden, eben ſowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenloſen großen Haufens dienen.","norm":"Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zu Stande kommen; sondern neue Vorurteile werden, eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":26,"orig":"Zu dieſer Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unſchädlichſte unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von ſeiner Vernunft in allen Stükken öffentlichen Gebrauch zu machen.","norm":"Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":27,"orig":"Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räſonnirt nicht!","norm":"Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":28,"orig":"Der Offizier ſagt: räſonnirt nicht, ſondern exercirt!","norm":"Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":29,"orig":"Der Finanzrath: räſonnirt nicht, ſondern bezahlt!","norm":"Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":30,"orig":"Der Geiſtliche: räſonnirt nicht, ſondern glaubt!","norm":"Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":31,"orig":"(Nur ein einziger Herr in der Welt ſagt: räſonnirt, ſo viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!","norm":"(Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsoniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":32,"orig":") Hier iſt überall Einſchränkung der Freiheit.","norm":") Hier ist überall Einschränkung der Freiheit."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":33,"orig":"Welche Einſchränkung aber iſt der Aufklärung hinderlich?","norm":"Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich?"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":34,"orig":"welche nicht, ſondern ihr wohl gar beförderlich?","norm":"welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich?"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":35,"orig":"— Ich antworte: der öffentliche Gebrauch ſeiner Vernunft muß jederzeit frei ſein, und der allein kann Aufklärung unter Menſchen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derſelben aber darf öfters ſehr enge eingeſchränkt ſein, ohne doch darum den Fortſchritt der Aufklärung ſonderlich zu hindern.","norm":"— Ich antworte: Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":36,"orig":"Ich verſtehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche ſeiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leſerwelt macht.","norm":"Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":37,"orig":"Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewiſſen ihm anvertrauten bürgerlichen Poſten, oder Amte, von ſeiner Vernunft machen darf.","norm":"Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":38,"orig":"Nun iſt zu manchen Geſchäften, die in das Intereſſe des gemeinen Weſens laufen, ein gewiſſer Mechanism nothwendig, vermittelſt deſſen einige Glieder des gemeinen Weſens ſich bloß paſſiv verhalten müſſen, um durch eine künſtliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwekken gerichtet, oder wenigſtens von der Zerſtörung dieſer Zwekke abgehalten zu werden.","norm":"Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanismus notwendig, vermittels dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet, oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":39,"orig":"Hier iſt es nun freilich nicht erlaubt, zu räſonniren; ſondern man muß gehorchen.","norm":"Hier ist es nun freilich nicht erlaubt, zu räsonieren; sondern man muss gehorchen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":40,"orig":"So fern ſich aber dieſer Theil der Maſchine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Weſens, ja ſogar der Weltbürgergeſellſchaft anſieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der ſich an ein Publikum im eigentlichen Verſtande durch Schriften wendet; kann er allerdings räſonniren, ohne daß dadurch die Geſchäfte leiden, zu denen er zum Theile als paſſives Glied angeſetzt iſt.","norm":"Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet; kann er allerdings räsonieren, ohne dass dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied angesetzt ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":41,"orig":"So würde es ſehr verderblich ſein, wenn ein Offizier, dem von ſeinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienſte über die Zwekmäßigkeit oder Nützlichkeit dieſes Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen.","norm":"So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muss gehorchen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":42,"orig":"Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegesdienſte Anmerkungen zu machen, und dieſe ſeinem Publikum zur Beurtheilung vorzulegen.","norm":"Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegesdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":43,"orig":"Der Bürger kann ſich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leiſten; ſogar kann ein vorwitziger Tadel ſolcher Auflagen, wenn ſie von ihm geleiſtet werden ſollen, als ein Skandal (das allgemeine Widerſetzlichkeiten veranlaſſen könnte) beſtraft werden.","norm":"Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten; sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal (das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte) bestraft werden."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":44,"orig":"Eben derſelbe handelt demohngeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er, als Gelehrter, wider die Unſchiklichkeit oder auch Ungerechtigkelt ſolcher Ausſchreibungen öffentlich ſeine Gedanken äußert.","norm":"Eben derselbe handelt dem ungeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er, als Gelehrter, wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":45,"orig":"Eben ſo iſt ein Geiſtlicher verbunden, ſeinen Katechismusſchülern und ſeiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, ſeinen Vortrag zu thun; denn er iſt auf dieſe Bedlngung angenommen worden.","norm":"Eben so ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu tun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":46,"orig":"Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja ſogar den Beruf dazu, alle ſeine ſorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorſchläge wegen beſſerer Einrichtung des Religions- und Kirchenweſens, dem Publikum mitzutheilen.","norm":"Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens, dem Publikum mitzuteilen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":47,"orig":"Es iſt hiebei auch nichts, was dem Gewiſſen zur Laſt gelegt werden könnte.","norm":"Es ist hierbei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":48,"orig":"Denn, was er zu Folge ſeines Amts, als Geſchäftträger der Kirche, lehrt, das ſtellt er als etwas vor, in Anſehung deſſen er nicht freie Gewalt hat nach eigenem Gutdünken zu lehren, ſondern das er nach Vorſchrlft und im Namen eines andern vorzutragen angeſtellt iſt.","norm":"Denn, was er zu Folge seines Amts, als Geschäftträger der Kirche, lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines anderen vorzutragen angestellt ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":49,"orig":"Er wird ſagen: unſere Kirche lehrt dieſes oder jenes; das ſind die Beweisgründe, deren ſie ſich bedient.","norm":"Er wird sagen: Unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":50,"orig":"Er zieht alsdann allen praktiſchen Nutzen für ſeine Gemeinde aus Satzungen, die er ſelbſt nicht mit voller Ueberzeugung unterſchreiben würde, zu deren Vortrag er ſich gleichwohl anheiſchig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich iſt, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigſtens doch nichts der innern Religion widerſprechendes darin angetroffen wird.","norm":"Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, dass darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der inneren Religion widersprechendes darin angetroffen wird."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":51,"orig":"Denn glaubte er das letztere darin zu finden, ſo würde er ſein Amt mit Gewiſſen nicht verwalten können; er müßte es niederlegen.","norm":"Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen nicht verwalten können; er müsste es niederlegen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":52,"orig":"Der Gebrauch alſo, den ein angeſtellter Lehrer von ſeiner Vernunft vor ſeiner Gemeinde macht, iſt bloß ein Privatgebrauch; weil dieſe immer nur eine häusliche, obzwar noch ſo große, Verſammlung iſt; und in Anſehung deſſen iſt er, als Prieſter, nicht frei, und darf es auch nicht ſein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet.","norm":"Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch; weil diese immer nur eine häusliche, obzwar noch so große, Versammlung ist; und in Ansehung dessen ist er, als Priester, nicht frei, und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":53,"orig":"Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt, ſpricht, mithin der Geiſtliche im öffentlichen Gebrauche ſeiner Vernunft, genießt einer uneingeſchränkten Freiheit, ſich ſeiner eigenen Vernunft zu bedienen und in ſeiner eigenen Perſon zu ſprechen.","norm":"Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt, spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":54,"orig":"Denn daß die Vormünder des Volks (in geiſtlichen Dingen) ſelbſt wieder unmündig ſein ſollen, iſt eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.","norm":"Denn dass die Vormünder des Volks (in geistlichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":55,"orig":"Aber ſollte nicht eine Geſellſchaft von Geiſtlichen, etwa eine Kirchenverſammlung, oder eine ehrwürdige Klaſſis (wie ſie ſich unter den Holländern ſelbſt nennt) berechtigt ſein, ſich eidlich unter einander auf ein gewiſſes unveränderliches Symbol zu verpflichten, um ſo eine unaufhörliche Obervormundſchaft über jedes ihrer Glieder und vermittelſt ihrer über das Volk zu führen, und dieſe ſo gar zu verewigen?","norm":"Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung, oder eine ehrwürdige Classis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt) berechtigt ein, sich eidlich untereinander auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittels ihrer über das Volk zu führen, und diese so gar zu verewigen?"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":56,"orig":"Ich ſage: das iſt ganz unmöglich.","norm":"Ich sage: Das ist ganz unmöglich."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":57,"orig":"Ein ſolcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menſchengeſchlechte abzuhalten geſchloſſen würde, iſt ſchlechterdings null und nichtig; und ſollte er auch durch die oberſte Gewalt, durch Reichſtäge und die feierlichſten Friedensſchlüſſe beſtätigt ſein.","norm":"Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig; und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":58,"orig":"Ein Zeitalter kann ſich nicht verbünden und darauf verſchwören, das folgende in einen Zuſtand zu ſetzen, darin es ihm unmöglich werden muß, ſeine (vornehmlich ſo ſehr angelegentliche) Erkenntniſſe zu erweitern, von Irrthümern zu reinigen, und überhaupt in der Aufklärung weiter zu ſchreiten.","norm":"Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das Folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muss, seine (vornehmlich so sehr angelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen, und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":59,"orig":"Das wäre ein Verbrechen wider die menſchliche Natur, deren urſprüngliche Beſtimmung gerade in dieſem Fortſchreiten beſteht; und die Nachkommen ſind alſo vollkommen dazu berechtigt, jene Beſchlüſſe, als unbefugter und frevelhafter Weiſe genommen, zu verwerfen.","norm":"Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht; und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwerfen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":60,"orig":"Der Probierſtein alles deſſen, was über ein Volk als Geſetz beſchloſſen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk ſich ſelbſt wohl ein ſolches Geſetz auferlegen könnte?","norm":"Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":61,"orig":"Nun wäre dieſes wohl, gleichſam in der Erwartung eines beſſern, auf eine beſtimmte kurze Zeit möglich, um eine gewiſſe Ordnung einzuführen; indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geiſtlichen, frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung ſeine Anmerkungen zu machen, indeſſen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einſicht in die Beſchaffenheit dieſer Sachen öffentlich ſo weit gekommen und bewähret worden, daß ſie durch Vereinigung ihrer Stimmen (wenn gleich nicht aller) einen Vorſchlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die ſich etwa nach ihren Begriffen der beſſeren Einſicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden laſſen.","norm":"Nun wäre dieses wohl, gleichsam in der Erwartung eines besseren, auf eine bestimmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen; indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen, frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der damaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewähret worden, dass sie durch Vereinigung ihrer Stimmen (wenn gleich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden lassen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":62,"orig":"Aber auf eine beharrliche, von Niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfaſſung, auch nur binnen der Lebensdauer eines Menſchen, ſich zu einigen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgange der Menſchheit zur Verbeſſerung gleichſam zu vernichten, und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenſchaft nachtheilig, zu machen, iſt ſchlechterdings unerlaubt.","norm":"Aber auf eine beharrliche, von niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung, auch nur binnen der Lebensdauer eines Menschen, sich zu einigen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgange der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten, und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig, zu machen, ist schlechterdings unerlaubt."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":63,"orig":"Ein Menſch kann zwar für ſeine Perſon, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem was ihm zu wiſſen obliegt die Aufklärung aufſchieben; aber auf ſie Verzicht zu thun, es ſei für ſeine Perſon, mehr aber noch für die Nachkommenſchaft, heißt die heiligen Rechte der Menſchheit verletzen und mit Füßen treten.","norm":"Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem was ihm zu wissen obliegt die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":64,"orig":"Was aber nicht einmal ein Volk über ſich ſelbſt beſchließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beſchließen; denn ſein geſetzgebendes Anſehen beruht eben darauf, daß er den geſammten Volkswillen in dem ſeinigen vereinigt.","norm":"Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, dass er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":65,"orig":"Wenn er nur darauf ſieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbeſſerung mit der bürgerlichen Ordnung zuſammen beſtehe; ſo kann er ſeine Unterthanen übrigens nur ſelbſt machen laſſen, was ſie um ihres Seelenheils willen zu thun nöthig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den andern gewaltthätig hindere, an der Beſtimmung und Beförderung deſſelben nach allem ſeinen Vermögen zu arbeiten.","norm":"Wenn er nur darauf sieht, dass alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe; so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun nötig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, dass nicht einer den anderen gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":66,"orig":"Es thut ſelbſt ſeiner Majeſtät Abbruch, wenn er ſich hierin miſcht, indem er die Schriften, wodurch ſeine Unterthanen ihre Einſichten ins Reine zu bringen ſuchen, ſeiner Regierungsaufſicht würdigt, ſowohl wenn er dieſes aus eigener höchſten Einſicht thut, wo er ſich dem Vorwurfe ausſetzt:","norm":"Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine Untertanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht tut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt:"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":67,"orig":"Caeſar non eſt ſupra Grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er ſeine oberſte Gewalt ſo weit erniedrigt, den geiſtlichen Despotism einiger Tyrannen in ſeinem Staate gegen ſeine übrigen Unterthanen zu unterſtützen.","norm":"Caesar non est supra Grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit erniedrigt, den geistlichen Despotism einiger Tyrannen in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":68,"orig":"Wenn denn nun gefragt wird:","norm":"Wenn denn nun gefragt wird:"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":69,"orig":"Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?","norm":"Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":70,"orig":"ſo iſt die Antwort:","norm":"so ist die Antwort:"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":71,"orig":"Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.","norm":"Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":72,"orig":"Daß die Menſchen, wie die Sachen jetzt ſtehen, im Ganzen genommen, ſchon im Stande waͤren, oder darin auch nur geſetzt werden könnten, in Religionsdingen ſich ihres eigenen Verſtandes ohne Leitung eines Andern ſicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch ſehr viel.","norm":"Dass die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon im Stande wären, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":73,"orig":"Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, ſich dahin frei zu bearbeiten, und die Hinderniſſe der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer ſelbſt verſchuldeten Unmündigkeit, allmälig weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.","norm":"Allein, dass jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":74,"orig":"In dieſem Betracht iſt dieſes Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friederichs.","norm":"In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friederichs."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":75,"orig":"Ein Fürſt, der es ſeiner nicht unwürdig findet, zu ſagen: daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menſchen nichts vorzuſchreiben, ſondern ihnen darin volle Freiheit zu laſſen, der alſo ſelbſt den hochmüthigen Namen der Toleranz von ſich ablehnt: iſt ſelbſt aufgeklärt, und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige geprieſen zu werden, der zuerſt das menſchliche Geſchlecht der Unmündigkeit, wenigſtens von Seiten der Regierung, entſchlug, und Jedem frei ließ, ſich in allem, was Gewiſſensangelegenheit iſt, ſeiner eigenen Vernunft zu bedienen.","norm":"Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen: dass er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt: ist selbst aufgeklärt, und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regierung, entschlug, und jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":76,"orig":"Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geiſtliche, unbeſchadet ihrer Amtspflicht, ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urtheile und Einſichten, in der Qualität der Gelehrten, frei und öffentlich der der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeſchränkt iſt.","norm":"Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche, unbeschadet ihrer Amtspflicht, ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urteile und Einsichten, in der Qualität der Gelehrten, frei und öffentlich der der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":77,"orig":"Dieſer Geiſt der Freiheit breitet ſich auch außerhalb aus, ſelbſt da, wo er mit äußeren Hinderniſſen einer ſich ſelbſt mißverſtehenden Regierung zu ringen hat.","norm":"Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst missverstehenden Regierung zu ringen hat."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":78,"orig":"Denn es leuchtet dieſer doch ein Beiſpiel vor, daß bei Freiheit, für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Weſens nicht das mindeſte zu beſorgen ſei.","norm":"Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, dass bei Freiheit, für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das mindeste zu besorgen sei."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":79,"orig":"Die Menſchen arbeiten ſich von ſelbſt nach und nach a#s der Rohigkeit heraus, wenn man nur nicht abſichtlich künſtelt, um ſie darin zu erhalten.","norm":"Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohheit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":80,"orig":"Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Menſchen aus ihrer ſelbſt verſchuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionsſachen geſetzt: weil in Anſehung der Künſte und Wiſſenſchaften unſere Beherrſcher kein Intereſſe haben, den Vormund über ihre Unterthanen zu ſpielen; überdem auch jene Unmündigkeit, ſo wie die ſchädlichſte, alſo auch die entehrendſte unter allen iſt.","norm":"Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt: weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen; überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":81,"orig":"Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erſtere begünſtigt, geht noch weiter, und ſieht ein: daß ſelbſt in Anſehung ſeiner Geſetzgebung es ohne Gefahr ſei, ſeinen Unterthanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen, und lhre Gedanken über eine beſſere Abfaſſung derſelben, ſogar mit einer freimüthigen Kritik der ſchon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beiſpiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.","norm":"Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter, und sieht ein: dass selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Untertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen, und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":82,"orig":"Aber auch nur derjenige, der, ſelbſt aufgeklärt, ſich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldisciplinirtes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, — kann das ſagen, was ein Freiſtaat nicht wagen darf: räſonnirt ſo viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!","norm":"Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, — kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsoniert so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!"} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":83,"orig":"So zeigt ſich hier ein befremdlicher nicht erwarteter Gang menſchlicher Dinge; ſo wie auch ſonſt, wenn man ihn im Großen betrachtet, darin faſt alles paradox iſt.","norm":"So zeigt sich hier ein befremdlicher nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; so wie auch sonst, wenn man ihn im Großen betrachtet, darin fast alles paradox ist."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":84,"orig":"Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit ſcheint der Freiheit des Geiſtes des Volks vortheilhaft, und ſetzt ihr doch unüberſteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verſchaft hingegen dieſem Raum, ſich nach allem ſeinen Vermögen auszubreiten.","norm":"Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft, und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":85,"orig":"Wenn denn die Natur unter dieſer harten Hülle den Keim, für den ſie am zärtlichſten ſorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewikkelt hat; ſo wirkt dieſer allmählig zurük auf die Sinnesart des Volks, (wodurch dieſes der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch ſogar auf die Grundſätze der Regierung, die es ihr ſelbſt zuträglich findet, den Menſchen, der nun mehr als Maſchine iſt, ſeiner Würde gemäß zu behandeln.","norm":"Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat; so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks, (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":86,"orig":"I. Kant.","norm":"I. Kant."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":87,"orig":"Königsberg in Preußen, den 30.","norm":"Königsberg in Preußen, den 30."} {"basename":"kant_aufklaerung_1784","par_idx":88,"orig":"Septemb. 1784.","norm":"Septemb. 1784."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":0,"orig":"Ich habe die erſte Haͤlfte dieſes Aufſatzes in meinen Beytraͤgen bekannt gemacht.","norm":"Ich habe die erste Hälfte dieses Aufsatzes in meinen Beiträgen bekannt gemacht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":1,"orig":"Itzt bin ich im Stande, das Uebrige nachfolgen zu laſſen.","norm":"Jetzt bin ich im Stande, das Übrige nachfolgen zu lassen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":2,"orig":"Der Verfaſſer hat ſich darinn auf einen Huͤgel geſtellt ‚von welchem er etwas mehr, als den vorgeſchriebenen Weg ſeines heutigen Tages zu uͤberſehen glaubt.","norm":"Der Verfasser hat sich darin auf einen Hügel gestellt, von welchem er etwas mehr, als den vorgeschriebenen Weg seines heutigen Tages zu übersehen glaubt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":3,"orig":"Aber er ruft keinen eilfertigen Wanderer, der nur das Nachtlager bald zu erreichen wuͤnſcht ‚von ſeinem Pfade.","norm":"Aber er ruft keinen eilfertigen Wanderer, der nur das Nachtlager bald zu erreichen wünscht, von seinem Pfade."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":4,"orig":"Er verlangt nicht ‚daß die Ausſicht ‚die ihn entzuͤcket, auch jedes andere Auge entzuͤcken muͤſſe.","norm":"Er verlangt nicht, dass die Aussicht, die ihn entzücket, auch jedes andere Auge entzücken müsse."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":5,"orig":"Und ſo ‚daͤchte ich ‚koͤnnte man ihn ja wohl ſtehen und ſtaunen laſſen ‚wo er ſteht und ſtaunt!","norm":"Und so, dächte ich, könnte man ihn ja wohl stehen und staunen lassen, wo er steht und staunt!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":6,"orig":"Wenn er aus der unermeßlichen Ferne, die ein ſanftes Abendroth ſeinem Blicke weder ganz verhuͤllt noch ganz entdeckt, nun gar einen Fingerzeig mitbraͤchte, um den ich oft verlegen geweſen!","norm":"Wenn er aus der unermesslichen Ferne, die ein sanftes Abendrot seinem Blicke weder ganz verhüllt noch ganz entdeckt, nun gar einen Fingerzeig mitbrächte, um den ich oft verlegen gewesen!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":7,"orig":"Ich meyne dieſen.","norm":"Ich meine diesen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":8,"orig":"— Warum wollen wir in allen poſitiven Religionen nicht lieber weiter nichts, als den Gang erblicken, nach welchem ſich der menſchliche Verſtand jedes Orts einzig und allein entwickeln koͤnnen, und noch ferner entwickeln ſoll; als uͤber eine derſelben entweder laͤcheln ‚oder zuͤrnen?","norm":"— Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht lieber weiter nichts, als den Gang erblicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein entwickeln können, und noch ferner entwickeln soll; als über eine derselben entweder lächeln, oder zürnen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":9,"orig":"Dieſen unſern Hohn ‚dieſen unſern Unwillen ‚verdiente in der beſten Welt nichts: und nur die Religionen ſollten ihn verdienen?","norm":"Diesen unseren Hohn, diesen unseren Unwillen, verdiente in der besten Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":10,"orig":"Gott haͤtte ſeine Hand bey allem im Spiele: nur bey unſern Irrthuͤmern nicht?","norm":"Gott hätte seine Hand bei allem im Spiele: nur bei unseren Irrtümern nicht?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":11,"orig":"Was die Erziehung bey dem einzeln Menſchen iſt, iſt die Offenbarung bey dem ganzen Menſchengeſchlechte.","norm":"Was die Erziehung bei dem einzeln Menschen ist, ist die Offenbarung bei dem ganzen Menschengeschlechte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":12,"orig":"Erziehung iſt Offenbarung, die dem einzeln Menſchen geſchieht: und Offenbarung iſt Erziehung, die dem Menſchengeſchlechte geſchehen iſt, und noch geſchieht.","norm":"Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist, und noch geschieht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":13,"orig":"Ob die Erziehung aus dieſem Geſichtspunkte zu betrachten, in der Paͤdagogik Nutzen haben kann, will ich hier nicht unterſuchen.","norm":"Ob die Erziehung aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten, in der Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier nicht untersuchen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":14,"orig":"Aber in der Theologie kann es gewiß ſehr großen Nutzen haben, und viele Schwierigkeiten heben, wenn man ſich die Offenbarung als eine Erziehung des Menſchengeſchlechts vorſtellet.","norm":"Aber in der Theologie kann es gewiss sehr großen Nutzen haben, und viele Schwierigkeiten heben, wenn man sich die Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechts vorstellet."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":15,"orig":"Erziehung giebt dem Menſchen nichts, was er nicht auch aus ſich ſelbſt haben koͤnnte: ſie giebt ihm das, was er aus ſich ſelber haben koͤnnte, nur geſchwinder und leichter.","norm":"Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: Sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":16,"orig":"Alſo giebt auch die Offenbarung dem Menſchengeſchlechte nichts, worauf die menſchliche Vernunft, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, nicht auch kommen wuͤrde: ſondern ſie gab und giebt ihm die wichtigſten dieſer Dinge nur fruͤher.","norm":"Also gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":17,"orig":"Und ſo wie es der Erziehung nicht gleichguͤltig iſt, in welcher Ordnung ſie die Kraͤfte des Menſchen entwickelt; wie ſie dem Menſchen nicht alles auf einmal beybringen kann: eben ſo hat auch Gott bey ſeiner Offenbarung eine gewiſſe Ordnung, ein gewiſſes Maaß halten muͤſſen.","norm":"Und so wie es der Erziehung nicht gleichgültig ist, in welcher Ordnung sie die Kräfte des Menschen entwickelt; wie sie dem Menschen nicht alles auf einmal beibringen kann: eben so hat auch Gott bei seiner Offenbarung eine gewisse Ordnung, ein gewisses Maß halten müssen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":18,"orig":"Wenn auch der erſte Menſch mit einem Begriffe von einem Einigen Gotte ſofort auſgeſtattet wurde: ſo konnte doch dieſer mitgetheilte, und nicht erworbene Begriff, unmoͤglich lange in ſeiner Lauterkeit beſtehen.","norm":"Wenn auch der erste Mensch mit einem Begriffe von einem einigen Gotte sofort ausgestattet wurde: so konnte doch dieser mitgeteilte, und nicht erworbene Begriff, unmöglich lange in seiner Lauterkeit bestehen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":19,"orig":"Sobald ihn die ſich ſelbſt uͤberlaſſene menſchliche Vernunft zu bearbeiten anfing, zerlegte ſie den Einzigen Unermeßlichen in mehrere Ermeßlichere, und gab jedem dieſer Theile ein Merkzeichen.","norm":"Sobald ihn die sich selbst überlassene menschliche Vernunft zu bearbeiten anfing, zerlegte sie den Einzigen Unermesslichen in mehrere Ermeßlichere, und gab jedem dieser Teile ein Merkzeichen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":20,"orig":"So entſtand natuͤrlicher Weiſe Vielgoͤtterey und Abgoͤtterey.","norm":"So entstand natürlicherweise Vielgötterei und Abgötterei."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":21,"orig":"Und wer weiß, wie viele Millionen Jahre ſich die menſchliche Vernunft noch in dieſen Irrwegen wuͤrde herumgetrieben haben; ohngeachtet uͤberall und zu allen Zeiten einzelne Menſchen erkannten, daß es Irrwege waren: wenn es Gott nicht gefallen hatte, ihr durch einen neuen Stoß eine beſſere Richtung zu geben.","norm":"Und wer weiß, wie viele Millionen Jahre sich die menschliche Vernunft noch in diesen Irrwegen würde herumgetrieben haben; ungeachtet überall und zu allen Zeiten einzelne Menschen erkannten, dass es Irrwege waren: wenn es Gott nicht gefallen hätte, ihr durch einen neuen Stoß eine bessere Richtung zu geben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":22,"orig":"Da er aber einem jeden einzeln Menſchen ſich nicht mehr offenbaren konnte, noch wollte: ſo waͤhlte er ſich ein einzelnes Volk zu ſeiner beſondern Erziehung; und eben das ungeſchliffenſte, das verwildertſte, um mit ihm ganz von vorne anfangen zu koͤnnen.","norm":"Da er aber einem jeden einzeln Menschen sich nicht mehr offenbaren konnte, noch wollte: so wählte er sich ein einzelnes Volk zu seiner besonderen Erziehung; und eben das ungeschliffenste, das verwildertste, um mit ihm ganz von vorne anfangen zu können."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":23,"orig":"Dieß war das Iſraelitiſche Volk, von welchem man gar nicht einmal weiß, was es fuͤr einen Gottesdienſt in Aegypten hatte.","norm":"Dies war das israelitische Volk, von welchem man gar nicht einmal weiß, was es für einen Gottesdienst in Ägypten hatte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":24,"orig":"Denn an dem Gottesdienſte der Aegyptier durften ſo verachtete Sklaven nicht Theil nehmen: und der Gott ſeiner Vaͤter war ihm gaͤnzlich unbekannt geworden.","norm":"Denn an dem Gottesdienste der Ägypter durften so verachtete Sklaven nicht Teil nehmen: und der Gott seiner Väter war ihm gänzlich unbekannt geworden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":25,"orig":"Vielleicht, daß ihm die Aegyptier allen Gott, alle Goͤtter ausdruͤcklich unterſagt hatten; es in den Glauben geſtuͤrzt hatten, es habe gar keinen Gott, gar keine Goͤtter;","norm":"Vielleicht, dass ihm die Ägypter allen Gott, alle Götter ausdrücklich untersagt hatten; es in den Glauben gestürzt hatten, es habe gar keinen Gott, gar keine Götter;"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":26,"orig":"Gott, Goͤtter haben, ſey nur ein Vorrecht der beſſern Aegyptier: und das, um es mit ſo viel groͤßerm Anſcheine von Billigkeit tyranniſiren zu duͤrfen.","norm":"Gott, Götter haben, sei nur ein Vorrecht der besseren Ägypter: und das, um es mit so viel Größerem anscheine von Billigkeit tyrannisieren zu dürfen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":27,"orig":"— Machen Chriſten es mit ihren Sklaven noch itzt viel anders?","norm":"— Machen Christen es mit ihren Sklaven noch jetzt viel anders?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":28,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":29,"orig":"Dieſem rohen Volke alſo ließ ſich Gott anfangs blos als den Gott ſeiner Vaͤter ankuͤndigen, um es nur erſt mit der Idee eines auch ihm zuſtehenden Gottes bekannt und vertraut zu machen.","norm":"Diesem rohen Volke also ließ sich Gott anfangs bloß als den Gott seiner Väter ankündigen, um es nur erst mit der Idee eines auch ihm zustehenden Gottes bekannt und vertraut zu machen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":30,"orig":"Durch die Wunder, mit welchen er es aus Aegypten fuͤhrte, und in Kanaan einſetzte, bezeugte er ſich ihm gleich darauf als einen Gott, der maͤchtiger ſey, als irgend ein andrer Gott.","norm":"Durch die Wunder, mit welchen er es aus Ägypten führte, und in Kanaan einsetzte, bezeugte er sich ihm gleich darauf als einen Gott, der mächtiger sei, als irgendein anderer Gott."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":31,"orig":"Und indem er fortfuhr, ſich ihm als den Maͤchtigſten von allen zu bezeugen — welches doch nur einer ſeyn kann, — gewoͤhnte er es allmaͤlig zu dem Begriffe des Einigen.","norm":"Und indem er fortfuhr, sich ihm als den Mächtigsten von allen zu bezeugen — welches doch nur einer sein kann, — gewöhnte er es allmählich zu dem Begriffe des einigen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":32,"orig":"Aber wie weit war dieſer Begriff des Einigen, noch unter dem wahren tranſcendentalen Begriffe des Einigen, welchen die Vernunft ſo ſpaͤt erſt aus dem Begriffe des Unendlichen mit Sicherheit ſchließen lernen!","norm":"Aber wie weit war dieser Begriff des einigen, noch unter dem wahren transzendentalen Begriffe des einigen, welchen die Vernunft so spät erst aus dem Begriffe des Unendlichen mit Sicherheit schließen lernen!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":33,"orig":"Zu dem wahren Begriffe des Einigen — wenn ſich ihm auch ſchon die Beſſerern des Volks mehr ober weniger naͤherten — konnte ſich doch das Volk lange nicht erheben: und dieſes war die einzige wahre Urſache, warum es ſo oft ſeinen Einigen Gott verließ, und den Einigen, d. i. Maͤchtigſten, in irgend einem andern Gotte eines andern Volks zu finden glaubte.","norm":"Zu dem wahren Begriffe des einigen — wenn sich ihm auch schon die Besserern des Volks mehr oder weniger näherten — konnte sich doch das Volk lange nicht erheben: und dieses war die einzige wahre Ursache, warum es so oft seinen einigen Gott verließ, und den einigen, d. i. Mächtigsten, in irgendeinem anderen Gotte eines anderen Volks zu finden glaubte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":34,"orig":"Ein Volk aber, das ſo roh, ſo ungeſchickt zu abgezognen Gedanken war, noch ſo voͤllig in ſeiner Kindheit war, was war es fuͤr einer moraliſchen Erziehung faͤhig?","norm":"Ein Volk aber, das so roh, so ungeschickt zu abgezogenen Gedanken war, noch so völlig in seiner Kindheit war, was war es für einer moralischen Erziehung fähig?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":35,"orig":"Keiner andern, als die dem Alter der Kindheit entſpricht.","norm":"Keiner anderen, als die dem Alter der Kindheit entspricht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":36,"orig":"Der Erziehung durch unmittelbare ſinnliche Strafen und Belohnungen.","norm":"Der Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":37,"orig":"Auch hier alſo treffen Erziehung und Offenbarung zuſammen.","norm":"Auch hier also treffen Erziehung und Offenbarung zusammen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":38,"orig":"Noch konnte Gott ſeinem Volke keine andere Religion, kein anders Geſetz geben, als eines, durch deſſen Beobachtung oder Nichtbeobachtung es hier auf Erden gluͤcklich oder ungluͤcklich zu werden hoffte oder fuͤrchtete.","norm":"Noch konnte Gott seinem Volke keine andere Religion, kein anderes Gesetz geben, als eines, durch dessen Beobachtung oder Nichtbeobachtung es hier auf Erden glücklich oder unglücklich zu werden hoffte oder fürchtete."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":39,"orig":"Denn weiter als auf dieſes Leben gingen noch ſeine Blicke nicht.","norm":"Denn weiter als auf dieses Leben gingen noch seine Blicke nicht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":40,"orig":"Es wußte von keiner Unſterblichkeit der Seele; es ſehnte ſich nach keinem kuͤnftigen Leben.","norm":"Es wusste von keiner Unsterblichkeit der Seele; es sehnte sich nach keinem künftigen Leben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":41,"orig":"Ihm aber nun ſchon dieſe Dinge zu offenbaren, welchen ſeine Vernunft noch ſo wenig gewachſen war: was wuͤrde es bey Gott anders geweſen ſeyn, als der Fehler des eiteln Paͤdagogen, der ſein Kind lieber uͤbereilen und mit ihm prahlen, als gruͤndlich unterrichten will.","norm":"Ihm aber nun schon diese Dinge zu offenbaren, welchen seine Vernunft noch so wenig gewachsen war: Was würde es bei Gott anders gewesen sein, als der Fehler des eitlen Pädagogen, der sein Kind lieber übereilen und mit ihm prahlen, als gründlich unterrichten will."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":42,"orig":"Allein wozu, wird man fragen, dieſe Erziehung eines ſo rohen Volkes, eines Volkes, mit welchem Gott ſo ganz von vorne anfangen mußte?","norm":"Allein wozu, wird man fragen, diese Erziehung eines so rohen Volkes, eines Volkes, mit welchem Gott so ganz von vorne anfangen musste?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":43,"orig":"Ich antworte: um in der Folge der Zeit einzelne Glieder deſſelben ſo viel ſichrer zu Erziehern aller uͤbrigen Voͤlker brauchen zu koͤnnen.","norm":"Ich antworte: um in der Folge der Zeit einzelne Glieder desselben so viel sicherer zu Erziehern aller übrigen Völker brauchen zu können."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":44,"orig":"Er erzog in ihm die kuͤnftigen Erzieher des Menſchengeſchlechts.","norm":"Er erzog in ihm die künftigen Erzieher des Menschengeschlechts."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":45,"orig":"Das wurden Juden, das konnten nur Juden werden, nur Maͤnner aus einem ſo erzogenen Volke.","norm":"Das wurden Juden, das konnten nur Juden werden, nur Männer aus einem so erzogenen Volke."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":46,"orig":"Denn weiter.","norm":"Denn weiter."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":47,"orig":"Als das Kind unter Schlaͤgen und Liebkoſungen aufgewachſen und nun zu Jahren des Verſtandes gekommen war, ſtieß es der Vater auf einmal in die Fremde; und hier erkannte es auf einmal das Gute, das es in ſeines Vaters Hauſe gehabt und nicht erkannt hatte.","norm":"Als das Kind unter Schlägen und Liebkosungen aufgewachsen und nun zu Jahren des Verstandes gekommen war, stieß es der Vater auf einmal in die Fremde; und hier erkannte es auf einmal das Gute, das es in seines Vaters Hause gehabt und nicht erkannt hatte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":48,"orig":"Waͤhrend daß Gott ſein erwaͤhltes Volk durch alle Staffeln einer kindiſchen Erziehung fuͤhrte: waren die andern Voͤlker des Erdbodens bey dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen.","norm":"Während dass Gott sein erwähltes Volk durch alle Staffeln einer kindischen Erziehung führte: waren die anderen Völker des Erdbodens bei dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":49,"orig":"Die meiſten derſelben waren weit hinter dem erwaͤhlten Volke zuruͤckgeblieben: nur einige waren ihm zuvorgekommen.","norm":"Die meisten derselben waren weit hinter dem erwählten Volke zurückgeblieben: nur einige waren ihm zuvorgekommen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":50,"orig":"Und auch das geſchieht bey Kindern, die man fuͤr ſich aufwachſen laͤßt; viele bleiben ganz roh; einige bilden ſich zum Erſtaunen ſelbſt.","norm":"Und auch das geschieht bei Kindern, die man für sich aufwachsen lässt; viele bleiben ganz roh; einige bilden sich zum Erstaunen selbst."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":51,"orig":"Wie aber dieſe gluͤcklichern Einige nichts gegen den Nutzen und die Nothwendigkeit der Erziehung beweiſen: ſo beweiſen die wenigen heidniſchen Voͤlker, die ſelbſt in der Erkenntniß Gottes vor dem erwaͤhlten Volke noch bis itzt einen Vorſprung zu haben ſchienen, nichts gegen die Offenbarung.","norm":"Wie aber diese glücklicheren einige nichts gegen den Nutzen und die Notwendigkeit der Erziehung beweisen: so beweisen die wenigen heidnischen Völker, die selbst in der Erkenntnis Gottes vor dem erwählten Volke noch bis jetzt einen Vorsprung zu haben schienen, nichts gegen die Offenbarung."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":52,"orig":"Das Kind der Erziehung faͤngt mit langſamen aber ſichern Schritten an; es hohlt manches gluͤcklicher organiſirte Kind","norm":"Das Kind der Erziehung fängt mit langsamen aber sichern Schritten an; es holt manches glücklicher organisierte Kind"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":53,"orig":"der Natur ſpaͤt ein; aber es hohlt es doch ein, und iſt alsdann nie wieder von ihm","norm":"der Natur spät ein; aber es holt es doch ein, und ist alsdann nie wieder von ihm"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":54,"orig":"einzuholen.","norm":"einzuholen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":55,"orig":"Auf gleiche Weiſe.","norm":"Auf gleiche Weise."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":56,"orig":"Daß, — die Lehre von der Einheit Gottes bey Seite geſetzt, welche in den Buͤchern des Alten Teſtaments ſich findet, und ſich nicht findet — daß, ſage ich, wenigſtens die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe und Belohnung in einem kuͤnftigen Leben, darinn voͤllig fremd ſind: beweiſet eben ſo wenig wider den goͤttlichen Urſprung dieſer Buͤcher.","norm":"Dass, — die Lehre von der Einheit Gottes bei Seite gesetzt, welche in den Büchern des Alten Testaments sich findet, und sich nicht findet — dass, sage ich, wenigstens die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe und Belohnung in einem künftigen Leben, darin völlig fremd sind: beweiset ebenso wenig wider den göttlichen Ursprung dieser Bücher."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":57,"orig":"Es kann dem ohngeachtet mit allen darinn enthaltenen Wundern und Prophezeyungen ſeine gute Richtigkeit haben.","norm":"Es kann dem ungeachtet mit allen darin enthaltenen Wundern und Prophezeiungen seine gute Richtigkeit haben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":58,"orig":"Denn laßt uns ſetzen, jene Lehren wuͤrden nicht allein darinn vermißt, jene Lehren waͤren auch ſogar nicht einmal wahr; laßt uns ſetzen, es waͤre wirklich fuͤr die Menſchen in dieſem Leben alles aus: waͤre darum das Daſeyn Gottes minder erwieſen?","norm":"Denn lasst uns setzen, jene Lehren würden nicht allein darin vermisst, jene Lehren wären auch sogar nicht einmal wahr; lasst uns setzen, es wäre wirklich für die Menschen in diesem Leben alles aus: wäre darum das Dasein Gottes minder erwiesen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":59,"orig":"ſtuͤnde es darum Gotte minder frey, wuͤrde es darum Gotte minder ziemen, ſich der zeitlichen Schickſale irgend eines Volks aus dieſem vergaͤnglichen Geſchlechte unmittelbar anzunehmen?","norm":"stünde es darum Gotte minder frei, würde es darum Gotte minder ziemen, sich der zeitlichen Schicksale irgendeines Volks aus diesem vergänglichen Geschlecht unmittelbar anzunehmen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":60,"orig":"Die Wunder, die er fuͤr die Juden that, die Prophezeyungen, die er durch ſie aufzeichnen ließ, waren ja nicht blos fuͤr die wenigen ſterblichen Juden, zu deren Zeiten ſie geſchahen und aufgezeichnet wurden: er hatte ſeine Abſichten damit auf das ganze Juͤdiſche Volk, auf das ganze Menſchengeſchlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern ſollen, wenn ſchon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Menſch auf immer dahin ſtirbt.","norm":"Die Wunder, die er für die Juden tat, die Prophezeiungen, die er durch sie aufzeichnen ließ, waren ja nicht bloß für die wenigen sterblichen Juden, zu deren Zeiten sie geschahen und aufgezeichnet wurden: Er hatte seine Absichten damit auf das ganze jüdische Volk, auf das ganze Menschengeschlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern sollen, wenn schon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Mensch auf immer dahin stirbt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":61,"orig":"Noch einmal.","norm":"Noch einmal."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":62,"orig":"Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten Teſtaments beweiſet wider ihre Goͤttlichkeit nichts.","norm":"Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten Testaments beweiset wider ihre Göttlichkeit nichts."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":63,"orig":"Moſes war doch von Gott geſandt, obſchon die Sanktion ſeines Geſetzes ſich nur auf dieſes Leben erſtreckte.","norm":"Moses war doch von Gott gesandt, obschon die Sanktion seines Gesetzes sich nur auf dieses Leben erstreckte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":64,"orig":"Denn warum weiter?","norm":"Denn warum weiter?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":65,"orig":"Er war ja nur an das Iſraelitſche Volk, an das damalige Iſraelitiſche Volk geſandt: und ſein Auftrag war den Kenntniſſen, den Faͤhigkeiten, den Neigungen dieſes damaligen Iſraelitiſchen Volks, ſo wie der Beſtimmung des kuͤnftigen, vollkommen angemeſſen.","norm":"Er war ja nur an das israelitische Volk, an das damalige israelitische Volk gesandt: und sein Auftrag war den Kenntnissen, den Fähigkeiten, den Neigungen dieses damaligen israelitischen Volks, so wie der Bestimmung des künftigen, vollkommen angemessen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":66,"orig":"Das iſt genug.","norm":"Das ist genug."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":67,"orig":"So weit haͤtte Warburton auch nur gehen muͤſſen, und nicht weiter.","norm":"So weit hätte Warburton auch nur gehen müssen, und nicht weiter."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":68,"orig":"Aber der gelehrte Mann uͤberſpannte den Bogen.","norm":"Aber der gelehrte Mann überspannte den Bogen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":69,"orig":"Nicht zufrieden, daß der Mangel jener Lehren der goͤttlichen Sendung Moſis nichts ſchade: er ſollte ihm die goͤttliche Sendung Moſis ſogar beweiſen.","norm":"Nicht zufrieden, dass der Mangel jener Lehren der göttlichen Sendung Mosis nichts schade: Er sollte ihm die göttliche Sendung Mosis sogar beweisen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":70,"orig":"Und wenn er dieſen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines ſolchen Geſetzes fuͤr ein ſolches Volk zu fuͤhren geſucht haͤtte!","norm":"Und wenn er diesen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines solchen Gesetzes für ein solches Volk zu führen gesucht hätte!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":71,"orig":"Aber er nahm ſeine Zuflucht zu einem von Moſe bis auf Chriſtum ununterbrochen fortdaurenden Wunder, nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade ſo gluͤcklich oder ungluͤcklich gemacht habe, als es deſſen Gehorſam oder Ungehorſam gegen das Geſetz verdiente.","norm":"Aber er nahm seine Zuflucht zu einem von Mose bis auf Christus ununterbrochen fortdauernden Wunder, nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade so glücklich oder unglücklich gemacht habe, als es dessen Gehorsam oder Ungehorsam gegen das Gesetz verdiente."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":72,"orig":"Dieſes Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne welche kein Staat beſtehen koͤnne, erſetzt; und eine ſolche Erſetzung eben beweiſe, was jener Mangel, auf den erſten Anblick, zu verneinen ſcheine.","norm":"Dieses Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne welche kein Staat bestehen könne, ersetzt; und eine solche Ersetzung eben beweise, was jener Mangel, auf den ersten Anblick, zu verneinen scheine."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":73,"orig":"Wie gut war es, daß Warburton dieſes anhaltende Wunder, in welches er das Weſentliche der Iſraelitiſchen Theokratie ſetzte, durch nichts erhaͤrten, durch nichts wahrſcheinlich machen konnte.","norm":"Wie gut war es, dass Warburton dieses anhaltende Wunder, in welches er das Wesentliche der Israelitischen Theokratie setzte, durch nichts erhärten, durch nichts wahrscheinlich machen konnte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":74,"orig":"Denn haͤtte er das gekonnt; wahrlich — alsdenn erſt haͤtte er die Schwierigkeit unaufloͤslich gemacht.","norm":"Denn hätte er das gekonnt; wahrlich — alsdann erst hätte er die Schwierigkeit unauflöslich gemacht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":75,"orig":"— Mir wenigſtens.","norm":"— Mir wenigstens."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":76,"orig":"— Denn was die Goͤttlichkeit der Sendung Moſis wieder herſtellen ſollte, wuͤrde an der Sache ſelbſt zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mittheilen, aber doch gewiß auch nicht erſchweren wollte.","norm":"— Denn was die Göttlichkeit der Sendung Mosis wieder herstellen sollte, würde an der Sache selbst zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mitteilen, aber doch gewiss auch nicht erschweren wollte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":77,"orig":"Ich erklaͤre mich an dem Gegenbilde der Offenbarung.","norm":"Ich erkläre mich an dem Gegenbilde der Offenbarung."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":78,"orig":"Ein Elementarbuch fuͤr Kinder, darf gar wohl dieſes oder jenes wichtige Stuͤck der Wiſſenſchaft oder Kunſt, die es vortraͤgt, mit Stillſchweigen uͤbergehen, von dem der Paͤdagog urtheilte, daß es den Faͤhigkeiten der Kinder, fuͤr die er ſchrieb, noch nicht angemeſſen ſey.","norm":"Ein Elementarbuch für Kinder, darf gar wohl dieses oder jenes wichtige Stück der Wissenschaft oder Kunst, die es vorträgt, mit Stillschweigen übergehen, von dem der Pädagoge urteilte, dass es den Fähigkeiten der Kinder, für die er schrieb, noch nicht angemessen sei."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":79,"orig":"Aber es darf ſchlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den zuruͤckbehaltnen wichtigen Stuͤcken verſperre oder verlege.","norm":"Aber es darf schlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den zurückbehaltenen wichtigen Stücken versperre oder verlege."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":80,"orig":"Vielmehr muͤſſen ihnen alle Zugaͤnge zu denſelben ſorgfaͤltig offen gelaſſen werden: und ſie nur von einem einzigen dieſer Zugaͤnge ableiten, oder verurſachen, daß ſie denſelben ſpaͤter betreten, wuͤrde allein die Unvollſtaͤndigkeit des Elementarbuchs zu einem weſentlichen Fehler deſſelben machen.","norm":"Vielmehr müssen ihnen alle Zugänge zu denselben sorgfältig offen gelassen werden: und sie nur von einem einzigen dieser Zugänge ableiten, oder verursachen, dass sie denselben später betreten, würde allein die Unvollständigkeit des Elementarbuchs zu einem wesentlichen Fehler desselben machen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":81,"orig":"Alſo auch konnten in den Schriften des Alten Teſtaments ‚in dieſen Elementarbuͤchern fuͤr das rohe und im Denken ungeuͤbte Iſraelitiſche Volk ‚die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele und kuͤnftigen Vergeltung gar wohl mangeln: aber enthalten durften ſie ſchlechterdings nichts ‚was das Volk ‚fuͤr das ſie geſchrieben waren ‚auf dem Wege zu dieſer großen Wahrheit auch nur verſpaͤtet haͤtte.","norm":"Also auch konnten in den Schriften des Alten Testaments, in diesen Elementarbüchern für das rohe und im Denken ungeübte israelitische Volk, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und künftigen Vergeltung gar wohl mangeln: aber enthalten durften sie schlechterdings nichts, was das Volk, für das sie geschrieben waren, auf dem Wege zu dieser großen Wahrheit auch nur verspätet hätte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":82,"orig":"Und was haͤtte es ‚wenig zu ſagen ‚mehr dahin verſpaͤtet, als wenn jene wunderbare Vergeltung in dieſem Leben darinn waͤre verſprochen, und von dem waͤre verſprochen worden, der nichts verſpricht, was er nicht haͤlt?","norm":"Und was hätte es, wenig zu sagen, mehr dahin verspätet, als wenn jene wunderbare Vergeltung in diesem Leben darin wäre versprochen, und von dem wäre versprochen worden, der nichts verspricht, was er nicht hält?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":83,"orig":"Denn wenn ſchon aus der ungleichen Austheilung der Guͤter dieſes Lebens, bey der auf Tugend und Laſter ſo wenig Ruͤckſicht genommen zu ſeyn ſcheinet, eben nicht der ſtrengſte Beweis fuͤr die Unſterblichkeit der Seele und fuͤr ein anders Leben, in welchem jener Knoten ſich aufloͤſe, zu fuͤhren: ſo iſt doch wohl gewiß, daß der menſchliche Verſtand ohne jenem Knoten noch lange nicht — und vielleicht auch nie — auf beſſere und ſtrengere Beweiſe gekommen waͤre.","norm":"Denn wenn schon aus der ungleichen Austeilung der Güter dieses Lebens, bei der auf Tugend und Laster so wenig Rücksicht genommen zu sein scheinet, eben nicht der strengste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele und für ein anderes Leben, in welchem jener Knoten sich auflöse, zu führen: so ist doch wohl gewiss, dass der menschliche Verstand ohne jenem Knoten noch lange nicht — und vielleicht auch nie — auf bessere und strengere Beweise gekommen wäre."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":84,"orig":"Denn was ſollte ihn antreiben koͤnnen, dieſe beſſern Beweiſe zu ſuchen?","norm":"Denn was sollte ihn antreiben können, diese besseren Beweise zu suchen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":85,"orig":"Die bloſſe Neugierde?","norm":"Die bloße Neugierde?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":86,"orig":"Der und jener Iſraelite mochte freylich wohl die goͤttlichen Verſprechungen und Androhungen, die ſich auf den geſammten Staat bezogen, auf jedes einzelne Glied deſſelben erſtrecken, und in dem feſten Glauben ſtehen, daß wer fromm ſey auch gluͤcklich ſeyn muͤſſe, und wer ungluͤcklich ſey, oder werde, die Strafe ſeiner Miſſethat trage, welche ſich ſofort wieder in Segen verkehre, ſobald er von ſeiner Miſſethat ablaſſe.","norm":"Der und jener Israelit mochte freilich wohl die göttlichen Versprechungen und Androhungen, die sich auf den gesamten Staat bezogen, auf jedes einzelne Glied desselben erstrecken, und in dem festen Glauben stehen, dass wer fromm sei auch glücklich sein müsse, und wer unglücklich sei, oder werde, die Strafe seiner Missetat trage, welche sich sofort wieder in Segen verkehre, sobald er von seiner Missetat ablasse."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":87,"orig":"— Ein ſolcher ſcheinet den Hiob geſchrieben zu haben; denn der Plan deſſelben iſt ganz in dieſem Geiſte.","norm":"— Ein solcher scheinet den Hiob geschrieben zu haben; denn der Plan desselben ist ganz in diesem Geiste."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":88,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":89,"orig":"Aber unmoͤglich durfte die taͤgliche Erfahrung dieſen Glauben beſtaͤrken: oder es war auf immer bey dem Volke, das dieſe Erfahrung hatte, auf immer um die Erkennung und Aufnahme der ihm noch ungelaͤufigen Wahrheit geſchehen.","norm":"Aber unmöglich durfte die tägliche Erfahrung diesen Glauben bestärken: oder es war auf immer bei dem Volke, das diese Erfahrung hatte, auf immer um die Erkennung und Aufnahme der ihm noch ungeläufigen Wahrheit geschehen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":90,"orig":"Denn wenn der Fromme ſchlechterdings gluͤcklich war, und es zu ſeinem Gluͤcke doch wohl auch mit gehoͤrte, daß ſeine Zufriedenheit keine ſchrecklichen Gedanken des Todes unterbrachen, daß er alt und lebensſatt ſtarb: wie konnte er ſich nach einem andern Leben ſehnen?","norm":"Denn wenn der Fromme schlechterdings glücklich war, und es zu seinem Glücke doch wohl auch mit gehörte, dass seine Zufriedenheit keine schrecklichen Gedanken des Todes unterbrachen, dass er alt und lebenssatt starb: wie konnte er sich nach einem anderen Leben sehnen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":91,"orig":"wie konnte er uͤber etwas nachdenken, wornach er ſich nicht ſehnte?","norm":"wie konnte er über etwas nachdenken, wonach er sich nicht sehnte?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":92,"orig":"Wenn aber der Fromme daruͤber nicht nachdachte: wer ſollte es denn?","norm":"Wenn aber der Fromme darüber nicht nachdachte: Wer sollte es denn?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":93,"orig":"Der Boͤſewicht?","norm":"Der Bösewicht?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":94,"orig":"der die Strafe ſeiner Miſſethat fuͤhlte, und wenn er dieſes Leben verwuͤnſchte, ſo gern auf jedes andere Leben Verzicht that?","norm":"der die Strafe seiner Missetat fühlte, und wenn er dieses Leben verwünschte, so gern auf jedes andere Leben Verzicht tat?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":95,"orig":"Weit weniger verſchlug es, daß der und jener Iſraelite die Unſterblichkeit der Seele und kuͤnftige Vergeltung, weil ſich das Geſetz nicht darauf bezog, gerade zu und ausdruͤcklich leugnete.","norm":"Weit weniger verschlug es, dass der und jener Israelit die Unsterblichkeit der Seele und künftige Vergeltung, weil sich das Gesetz nicht darauf bezog, gerade zu und ausdrücklich leugnete."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":96,"orig":"Das Leugnen eines Einzeln — waͤre es auch ein Salomo geweſen, — hielt den Fortgang des gemeinen Verſtandes nicht auf, und war an und fuͤr ſich ſelbſt ſchon ein Beweis, daß das Volk nun einen großen Schritt der Wahrheit naͤher gekommen war.","norm":"Das Leugnen eines Einzeln — wäre es auch ein Salomo gewesen, — hielt den Fortgang des gemeinen Verstandes nicht auf, und war an und für sich selbst schon ein Beweis, dass das Volk nun einen großen Schritt der Wahrheit näher gekommen war."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":97,"orig":"Denn Einzelne leugnen nur, was Mehrere in Ueberlegung ziehen; und in Ueberlegung ziehen, warum man ſich vorher ganz und gar nicht bekuͤmmerte, iſt der halbe Weg zur Erkenntniß.","norm":"Denn Einzelne leugnen nur, was Mehrere in Überlegung ziehen; und in Überlegung ziehen, warum man sich vorher ganz und gar nicht bekümmerte, ist der halbe Weg zur Erkenntnis."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":98,"orig":"Laßt uns auch bekennen, daß es ein heroiſcher Gehorſam iſt, die Geſetze Gottes beobachten, blos weil es Gottes Geſetze ſind, und nicht, weil er die Beobachter derſelben hier und dort zu belohnen verheiſſen hat; ſie beobachten, ob man ſchon an der kuͤnftigen Belohnung ganz verzweifelt ‚und der zeitlichen auch nicht ſo ganz gewiß iſt.","norm":"Lasst uns auch bekennen, dass es ein heroischer Gehorsam ist, die Gesetze Gottes beobachten, bloß weil es Gottes Gesetze sind, und nicht, weil er die Beobachter derselben hier und dort zu belohnen verheißen hat; sie beobachten, ob man schon an der künftigen Belohnung ganz verzweifelt, und der zeitlichen auch nicht so ganz gewiss ist."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":99,"orig":"Ein Volk ‚in dieſem heroiſchen Gehorſame gegen Gott erzogen ‚ſollte es nicht beſtimmt ‚ſollte es nicht vor allen andern faͤhig ſeyn, ganz beſondere goͤttliche Abſichten auszufuͤhren?","norm":"Ein Volk, in diesem heroischen Gehorsame gegen Gott erzogen, sollte es nicht bestimmt, sollte es nicht vor allen anderen fähig sein, ganz besondere göttliche Absichten auszuführen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":100,"orig":"— Laßt den Soldaten, der ſeinem Fuͤhrer blinden Gehorſam leiſtet, nun auch von der Klugheit ſeines Fuͤhrers uͤberzeugt werden, und ſagt, was dieſer Fuͤhrer mit ihm auszufuͤhren ſich nicht unterſtehen darf?","norm":"— Lasst den Soldaten, der seinem Führer blinden Gehorsam leistet, nun auch von der Klugheit seines Führers überzeugt werden, und sagt, was dieser Führer mit ihm auszuführen sich nicht unterstehen darf?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":101,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":102,"orig":"Noch hatte das Juͤdiſche Volk in ſeinem Jehova mehr den Maͤchtigſten, als den Weiſeſten aller Goͤtter verehrt; noch hatte es ihn als einen eifrigen Gott mehr gefuͤrchtet, als geliebt: auch dieſes zum Beweiſe, daß die Begriffe, die es von ſeinem hoͤchſten einigen Gott hatte, nicht eben die rechten Begriffe warm, die wir von Gott haben muͤſſen.","norm":"Noch hatte das jüdische Volk in seinem Jehova mehr den Mächtigsten, als den Weisesten aller Götter verehrt; noch hatte es ihn als einen eifrigen Gott mehr gefürchtet, als geliebt: auch dieses zum Beweise, dass die Begriffe, die es von seinem höchsten einigen Gott hatte, nicht eben die rechten Begriffe waren, die wir von Gott haben müssen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":103,"orig":"Doch nun war die Zeit da, daß dieſe ſeine Begriffe erweitert, veredelt, berichtiget werden ſollten, wozu ſich Gott eines ganz natuͤrlichen Mittels bediente; eines beſſern richtigern Maaßſtabes, nach welchem es ihn zu ſchaͤtzen Gelegenheit bekam.","norm":"Doch nun war die Zeit da, dass diese seine Begriffe erweitert, veredelt, berichtiget werden sollten, wozu sich Gott eines ganz natürlichen Mittels bediente; eines besseren richtigeren Maßstabes, nach welchem es ihn zu schätzen Gelegenheit bekam."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":104,"orig":"Anſtatt daß es ihn bisher nnr gegen die armſeligen Goͤtzen der kleinen benachbarten rohen Voͤlkerſchaften geſchaͤtzt hatte, mit welchen es in beſtaͤndiger Eiferſucht lebte: fing es in der Gefangenſchaft unter dem weiſen Perſer an, ihn gegen das Weſen aller Weſen zu meſſen, wie das eine geuͤbtere Vernunft erkannte und verehrte.","norm":"Anstatt dass es ihn bisher nur gegen die armseligen Götzen der kleinen benachbarten rohen Völkerschaften geschätzt hatte, mit welchen es in beständiger Eifersucht lebte: fing es in der Gefangenschaft unter dem weisen Perser an, ihn gegen das Wesen aller Wesen zu messen, wie das eine geübtere Vernunft erkannte und verehrte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":105,"orig":"Die Offenbarung hatte ſeine Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf einmal ſeine Offenbarung.","norm":"Die Offenbarung hatte seine Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf einmal seine Offenbarung."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":106,"orig":"Das war der erſte wechſelſeitige Dienſt, den beyde einander leiſteten; und dem Urheber beyder iſt ein ſolcher gegenſeitiger Einfluß ſo wenig unanſtaͤndig, daß ohne ihm eines von beyden uͤberfluͤſſig ſeyn wuͤrde.","norm":"Das war der erste wechselseitige Dienst, den beide einander leisteten; und dem Urheber beider ist ein solcher gegenseitiger Einfluss so wenig unanständig, dass ohne ihm eines von beiden überflüssig sein würde."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":107,"orig":"Das in die Fremde geſchickte Kind ſahe andere Kinder, die mehr wußten, die anſtaͤndiger lebten, und fragte ſich beſchaͤmt: warum weiß ich das nicht auch?","norm":"Das in die Fremde geschickte Kind sah andere Kinder, die mehr wussten, die anständiger lebten, und fragte sich beschämt: warum weiß ich das nicht auch?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":108,"orig":"warum lebe ich nicht auch ſo?","norm":"warum lebe ich nicht auch so?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":109,"orig":"Haͤtte in meines Vaters Hauſe man mir das nicht auch beybringen; dazu mich nicht auch anhalten ſollen?","norm":"Hätte in meines Vaters Hause man mir das nicht auch beibringen; dazu mich nicht auch anhalten sollen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":110,"orig":"Da ſucht es ſeine Elementarbuͤcher wieder vor, die ihm laͤngſt zum Ekel geworden, um die Schuld auf die Elementarbuͤcher zu ſchieben.","norm":"Da sucht es seine Elementarbücher wieder vor, die ihm längst zum Ekel geworden, um die Schuld auf die Elementarbücher zu schieben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":111,"orig":"Aber ſiehe!","norm":"Aber siehe!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":112,"orig":"es erkennet, daß die Schuld nicht an den Buͤchern liege, daß die Schuld ledig ſein eigen ſey, warum es nicht laͤngſt eben das wiſſe, eben ſo lebe.","norm":"es erkennt, dass die Schuld nicht an den Büchern liege, dass die Schuld ledig sein eigen sei, warum es nicht längst eben das wisse, eben so lebe."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":113,"orig":"Da die Juden nunmehr, auf Veranlaſſung der reinern Perſiſchen Lehre, in ihrem Jehova nicht blos den groͤßten aller Nationalgoͤtter, ſondern Gott erkannten; da ſie ihn als ſolchen in ihren wieder hervorgeſuchten heiligen Schriften um ſo eher finden und andern zeigen konnten, als er wirklich darinn war; da ſie vor allen ſinnlichen Vorſtellungen deſſelben einen eben ſo großen Abſcheu bezeugten, oder doch in dieſen Schriften zu haben angewieſen wurden, als die Perſer nur immer hatten: was Wunder, daß ſie vor den Augen des Cyrus mit einem Gottesdienſte Gnade fanden, den er zwar noch weit unter dem reinen Sabeismus, aber doch auch weit uͤber die groben Abgoͤttereyen zu ſeyn erkannte, die ſich dafuͤr des verlaßnen Landes der Juden bemaͤchtiget hatten?","norm":"Da die Juden nunmehr, auf Veranlassung der reineren persischen Lehre, in ihrem Jehova nicht bloß den größten aller Nationalgötter, sondern Gott erkannten; da sie ihn als solchen in ihren wieder hervorgesuchten heiligen Schriften um so eher finden und anderen zeigen konnten, als er wirklich darin war; da sie vor allen sinnlichen Vorstellungen desselben einen eben so großen Abscheu bezeugten, oder doch in diesen Schriften zu haben angewiesen wurden, als die Perser nur immer hatten: was Wunder, dass sie vor den Augen des Cyrus mit einem Gottesdienste Gnade fanden, den er zwar noch weit unter dem reinen Sabäismus, aber doch auch weit über die groben Abgöttereien zu sein erkannte, die sich dafür des verlassenen Landes der Juden bemächtiget hatten?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":114,"orig":"So erleuchtet uͤber ihre eignen unerkannten Schaͤtze kamen ſie zuruͤck, und wurden ein ganz andres Volk, deſſen erſte Sorge es war, dieſe Erleuchtung unter ſich dauerhaft zu machen.","norm":"So erleuchtet über ihre eigenen unerkannten Schätze kamen sie zurück, und wurden ein ganz anderes Volk, dessen erste Sorge es war, diese Erleuchtung unter sich dauerhaft zu machen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":115,"orig":"Bald war an Abfall und Abgoͤtterey unter ihm nicht mehr zu denken.","norm":"Bald war an Abfall und Abgötterei unter ihm nicht mehr zu denken."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":116,"orig":"Denn man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, ſo bald man ihn einmal erkannt hat.","norm":"Denn man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, so bald man ihn einmal erkannt hat."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":117,"orig":"Die Gottesgelehrten haben dieſe gaͤnzliche Veraͤnderung des juͤdiſchen Volks verſchiedentlich zu erklaͤren geſucht; und Einer, der die Unzulaͤnglichkeit aller dieſer verſchiednen Erklaͤrungen ſehr wohl gezeigt hat, wollte endlich „die augeuſcheinliche Erfuͤllung der uͤber die Babyloniſche Gefangenſchaft und die Wiederherſtellung aus derſelben ausgeſprochnen und aufgeſchriebnen Weiſſagungen,“ fuͤr die wahre Urſache derſelben angeben.","norm":"Die Gottesgelehrten haben diese gänzliche Veränderung des jüdischen Volks verschiedentlich zu erklären gesucht; und Einer, der die Unzulänglichkeit aller dieser verschiedenen Erklärungen sehr wohl gezeigt hat, wollte endlich „die augenscheinliche Erfüllung der über die babylonische Gefangenschaft und die Wiederherstellung aus derselben ausgesprochenen und aufgeschriebenen Weissagungen,“ für die wahre Ursache derselben angeben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":118,"orig":"Aber auch dieſe Urſache kann nur in ſo fern die wahre ſeyn, als ſie die nun erſt veredelten Begriffe von Gott voraus ſetzt.","norm":"Aber auch diese Ursache kann nur insofern die wahre sein, als sie die nun erst veredelten Begriffe von Gott voraussetzt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":119,"orig":"Die Juden mußten nun erſt erkannt haben, daß Wunderthun und das Kuͤnftige vorherſagen, nur Gott zukomme; welches beydes ſie ſonſt auch den falſchen Goͤtzen beygeleget hatten, wodurch eben Wunder und Weiſſagungen bisher nur einen ſo ſchwachen, vergaͤnglichen Eindruck auf ſie gemacht hatten.","norm":"Die Juden mussten nun erst erkannt haben, dass Wundertun und das Künftige vorhersagen, nur Gott zukomme; welches beides sie sonst auch den falschen Götzen beigelegt hatten, wodurch eben Wunder und Weissagungen bisher nur einen so schwachen, vergänglichen Eindruck auf sie gemacht hatten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":120,"orig":"Ohne Zweifel waren die Juden unter den Chaldaͤern und Perſern auch mit der Lehre von der Unſterblichkeit der Seele bekannter geworden.","norm":"Ohne Zweifel waren die Juden unter den Chaldäern und Persern auch mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele bekannter geworden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":121,"orig":"Vertrauter mit ihr wurden ſie in den Schulen der Griechiſchen Philoſophen in Aegypten.","norm":"Vertrauter mit ihr wurden sie in den Schulen der griechischen Philosophen in Ägypten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":122,"orig":"Doch da es mit dieſer Lehre, in Anſehung ihrer heiligen Schriften, die Bewandniß nicht hatte, die es mit der Lehre von der Einheit und den Eigenſchaften Gottes gehabt hatte; da jene von dem ſinnlichen Volke darinn war groͤblich uͤberſehen worden, dieſe aber geſucht ſeyn wollte; da auf dieſe noch Voruͤbungen noͤthig geweſen waren, und alſo nur Anſpielungen und Fingerzeige Statt gehabt hatten: ſo konnte der Glaube an die Unſterblichkeit der Seele natuͤrlicher Weiſe nie der Glaube des geſammten Volks werden.","norm":"Doch da es mit dieser Lehre, in Ansehung ihrer heiligen Schriften, die Bewandtnis nicht hatte, die es mit der Lehre von der Einheit und den Eigenschaften Gottes gehabt hatte; da jene von dem sinnlichen Volke darin war gröblich übersehen worden, diese aber gesucht sein wollte; da auf diese noch Vorübungen nötig gewesen waren, und also nur Anspielungen und Fingerzeige statt gehabt hatten: so konnte der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele natürlicherweise nie der Glaube des gesamten Volks werden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":123,"orig":"Er war und blieb nur der Glaube einer gewiſſen Sekte deſſelben.","norm":"Er war und blieb nur der Glaube einer gewissen Sekte desselben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":124,"orig":"Eine Voruͤbung auf die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele, nenne ich z. E. die goͤttliche Androhung, die Miſſethat des Vaters an ſeinen Kindern bis ins dritte und vierte Glied zu ſtrafen.","norm":"Eine Vorübung auf die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, nenne ich z. E. die göttliche Androhung, die Missetat des Vaters an seinen Kindern bis ins dritte und vierte Glied zu strafen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":125,"orig":"Dieß gewoͤhnte die Vaͤter in Gedanken mit ihren ſpaͤteſten Nachkommen zu leben, und das Ungluͤck, welches ſie uͤber dieſe Unſchuldige gebracht hatten, voraus zu fuͤhlen.","norm":"Dies gewöhnte die Väter in Gedanken mit ihren spätesten Nachkommen zu leben, und das Unglück, welches sie über diese Unschuldige gebracht hatten, voraus zu fühlen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":126,"orig":"Eine Anſpielung nenne ich, was blos die Neugierde reizen und eine Frage veranlaſſen ſollte.","norm":"Eine Anspielung nenne ich, was bloß die Neugierde reizen und eine Frage veranlassen sollte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":127,"orig":"Als die oft vorkommende Redensart, zu ſeinen Vaͤtern verſammlet werden, fuͤr ſterben.","norm":"Als die oft vorkommende Redensart, zu seinen Vätern versammelt werden, für Sterben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":128,"orig":"Einen Fingerzeig nenne ich, was ſchon irgend einen Keim enthaͤlt, aus welchem ſich die noch zuruͤckgehaltne Wahrheit entwickeln laͤßt.","norm":"Einen Fingerzeig nenne ich, was schon irgendeinen Keim enthält, aus welchem sich die noch zurückgehaltene Wahrheit entwickeln lässt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":129,"orig":"Dergleichen war Chriſti Schluß aus der Benennung Gott Abrahams, Iſaacs und Jacobs.","norm":"Dergleichen war Christi Schluss aus der Benennung Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":130,"orig":"Dieſer Fingerzeig ſcheint mir allerdings in einen ſtrengen Beweis ausgebildet werden zu koͤnnen.","norm":"Dieser Fingerzeig scheint mir allerdings in einen strengen Beweis ausgebildet werden zu können."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":131,"orig":"In ſolchen Voruͤbungen, Anſpielungen, Fingerzeigen beſteht die poſitive Vollkommenheit eines Elementarbuchs; ſo wie die oben erwaͤhnte Eigenſchaft, daß es den Weg zu den noch zuruͤckgehaltenen Wahrheiten nicht erſchwere, oder verſperre, die negative Vollkommenheit deſſelben war.","norm":"In solchen Vorübungen, Anspielungen, Fingerzeigen besteht die positive Vollkommenheit eines Elementarbuchs; so wie die oben erwähnte Eigenschaft, dass es den Weg zu den noch zurückgehaltenen Wahrheiten nicht erschwere, oder versperre, die negative Vollkommenheit desselben war."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":132,"orig":"Setzt hierzu noch die Einkleidung und den Stil — 1) die Einkleidung der nicht wohl zu uͤbergehenden abſtrakten Wahrheiten in Allegorieen und lehrreiche einzelne Faͤlle, die als wirklich geſchehen erzaͤhlet werden.","norm":"Setzt hierzu noch die Einkleidung und den Stil — 1) die Einkleidung der nicht wohl zu übergehenden abstrakten Wahrheiten in Allegorien und lehrreiche einzelne Fälle, die als wirklich geschehen erzählet werden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":133,"orig":"Dergleichen ſind die Schoͤpfung, unter dem Bilde des werdenden Tages; die Quelle des moraliſchen Boͤſen, in der Erzaͤhlung vom verbotnen Baume; der Urſprung der mancherley Sprachen, in der Geſchichte vom Thurmbaue zu Babel, u. ſ. w.","norm":"Dergleichen sind die Schöpfung, unter dem Bilde des werdenden Tages; die Quelle des moralischen Bösen, in der Erzählung vom verbotenen Baume; der Ursprung der mancherlei Sprachen, in der Geschichte vom Turmbaue zu Babel, u. s. w."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":134,"orig":"2) den Stil — bald plan und einfaͤltig, bald poetiſch, durchaus voll Tavtologieen, aber ſolchen, die den Scharfſinn uͤben, indem ſie bald etwas anders zu ſagen ſcheinen, und doch das nehmliche ſagen, bald das nehmliche zu ſagen ſcheinen, und im Grunde etwas anders bedeuten oder bedeuten koͤnnen: —","norm":"2) den Stil — bald plan und einfältig, bald poetisch, durchaus voll Tautologien, aber solchen, die den Scharfsinn üben, indem sie bald etwas anders zu sagen scheinen, und doch das nämliche sagen, bald das nämliche zu sagen scheinen, und im Grunde etwas anders bedeuten oder bedeuten können: —"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":135,"orig":"Und ihr habt alle gute Eigenſchaften eines Elementarbuchs ſowol fuͤr Kinder, als fuͤr ein kindiſches Volk.","norm":"Und ihr habt alle gute Eigenschaften eines Elementarbuchs sowohl für Kinder, als für ein kindisches Volk."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":136,"orig":"Aber jedes Elementarbuch iſt nur fuͤr ein gewiſſes Alter.","norm":"Aber jedes Elementarbuch ist nur für ein gewisses Alter."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":137,"orig":"Das ihm entwachſene Kind laͤnger, als die Meinung geweſen, dabey zu verweilen, iſt ſchaͤdlich.","norm":"Das ihm entwachsene Kind länger, als die Meinung gewesen, dabei zu verweilen, ist schädlich."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":138,"orig":"Denn um dieſes auf eine nur einigermaaſſen nuͤtzliche Art thun zu koͤnnen, muß man mehr hineinlegen, als darinn liegt; mehr hineintragen, als es faſſen kann.","norm":"Denn um dieses auf eine nur einigermaßen nützliche Art tun zu können, muss man mehr hineinlegen, als darin liegt; mehr hineintragen, als es fassen kann."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":139,"orig":"Man muß der Anſpielungen und Fingerzeige zu viel ſuchen und machen, die Allegorieen zu genau ausſchuͤtteln, die Beyſpiele zu umſtaͤndlich deuten, die Worte zu ſtark preſſen.","norm":"Man muss der Anspielungen und Fingerzeige zu viel suchen und machen, die Allegorien zu genau ausschütteln, die Beispiele zu umständlich deuten, die Worte zu stark pressen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":140,"orig":"Das giebt dem Kinde einen kleinlichen, ſchiefen, ſpitzfindigen Verſtand; das macht es geheimnißreich, aberglaͤubiſch, voll Verachtung gegen alles Faßliche und Leichte.","norm":"Das gibt dem Kinde einen kleinlichen, schiefen, spitzfindigen Verstand; das macht es geheimnisreich, abergläubisch, voll Verachtung gegen alles Fassliche und Leichte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":141,"orig":"Die nehmliche Weiſe, wie die Rabbinen ihre heiligen Buͤcher behandelten!","norm":"Die nämliche Weise, wie die Rabbinen ihre heiligen Bücher behandelten!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":142,"orig":"Der nehmliche Charakter, den ſie dem Geiſte ihres Volks dadurch ertheilten!","norm":"Der nämliche Charakter, den sie dem Geiste ihres Volks dadurch erteilten!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":143,"orig":"Ein beſſrer Paͤdagog muß kommen, und dem Kinde das erſchoͤpfte Elementarbuch aus den Haͤnden reißen.","norm":"Ein besserer Pädagoge muss kommen, und dem Kinde das erschöpfte Elementarbuch aus den Händen reißen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":144,"orig":"— Chriſtus kam.","norm":"— Christus kam."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":145,"orig":"§.","norm":"§."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":146,"orig":"54.","norm":"54."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":147,"orig":"Der Theil des Menſchengeſchlechts, den Gott in Einen Erziehungsplan hatte faſſen wollen.","norm":"Der Teil des Menschengeschlechts, den Gott in Einen Erziehungsplan hatte fassen wollen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":148,"orig":"— Er hatte aber nur denjenigen in Einen faſſen wollen, der durch Sprache, durch Handlung, durch Regierung, durch andere natuͤrliche und politiſche Verhaͤltniſſe in ſich bereits verbunden war — war zu dem zweyten großen Schritte der Erziehung reif.","norm":"— Er hatte aber nur denjenigen in Einen fassen wollen, der durch Sprache, durch Handlung, durch Regierung, durch andere natürliche und politische Verhältnisse in sich bereits verbunden war — war zu dem zweiten großen Schritte der Erziehung reif."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":149,"orig":"Das iſt: dieſer Theil des Menſchengeſchlechts war in der Ausuͤbung ſeiner Vernunft ſo weit gekommen, daß er zu ſeinen moraliſchen Handlungen edlere, wuͤrdigere Bewegungsgruͤnde bedurfte und brauchen konnte, als zeitliche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher geleitet hatten.","norm":"Das ist: Dieser Teil des Menschengeschlechts war in der Ausübung seiner Vernunft so weit gekommen, dass er zu seinen moralischen Handlungen edlere, würdigere Bewegungsgründe bedurfte und brauchen konnte, als zeitliche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher geleitet hatten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":150,"orig":"Das Kind wird Knabe.","norm":"Das Kind wird Knabe."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":151,"orig":"Leckerey und Spielwerk weicht der aufkeimenden Begierde, eben ſo frey, eben ſo geehrt, eben ſo gluͤcklich zu werden, als es ſein aͤlteres Geſchwiſter ſieht.","norm":"Leckerei und Spielwerk weicht der aufkeimenden Begierde, eben so frei, eben so geehrt, eben so glücklich zu werden, als es sein älteres Geschwister sieht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":152,"orig":"Schon laͤngſt waren die Beſſern von jenem Theile des Menſchengeſchlechts gewohnt, ſich durch einen Schatten ſolcher edlern Bewegungsgruͤnde regieren zu laſſen.","norm":"Schon längst waren die Besseren von jenem Teile des Menschengeschlechts gewohnt, sich durch einen Schatten solcher edleren Bewegungsgründe regieren zu lassen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":153,"orig":"Um nach dieſem Leben auch nur in dem Andenken ſeiner Mitbuͤrger fortzuleben, that der Grieche und Roͤmer alles.","norm":"Um nach diesem Leben auch nur in dem Andenken seiner Mitbürger fortzuleben, tat der Grieche und Römer alles."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":154,"orig":"Es war Zeit, daß ein andres wahres nach dieſem Leben zu gewaͤrtigendes Leben Einfluß auf ſeine Handlungen gewoͤnne.","norm":"Es war Zeit, dass ein anderes wahres nach diesem Leben zu gewärtigendes Leben Einfluss auf seine Handlungen gewönne."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":155,"orig":"Und ſo ward Chriſtus der erſte zuverlaͤſſige, praktiſche Lehrer der Unſterblichkeit der Seele.","norm":"Und so wurde Christus der erste zuverlässige, praktische Lehrer der Unsterblichkeit der Seele."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":156,"orig":"Der erſte zuverlaͤſſige Lehrer.","norm":"Der erste zuverlässige Lehrer."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":157,"orig":"— Zuverlaͤſſig durch die Weiſſagungen, die in ihm erfuͤllt ſchienen; zuverlaͤſſig durch die Wunder, die er verrichtete; zuverlaͤſſig durch ſeine eigene Wiederbelebung nach einem Tode, durch den er ſeine Lehre verſiegelt hatte.","norm":"— Zuverlässig durch die Weissagungen, die in ihm erfüllt schienen; zuverlässig durch die Wunder, die er verrichtete; zuverlässig durch seine eigene Wiederbelebung nach einem Tode, durch den er seine Lehre versiegelt hatte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":158,"orig":"Ob wir noch itzt dieſe Wiederbelebung, dieſe Wunder beweiſen koͤnnen: das laſſe ich dahin geſtellt ſeyn.","norm":"Ob wir noch jetzt diese Wiederbelebung, diese Wunder beweisen können: Das lasse ich dahin gestellt sein."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":159,"orig":"So, wie ich es dahin geſtellt ſeyn laſſe, wer die Perſon dieſes Chriſtus geweſen.","norm":"So, wie ich es dahin gestellt sein lasse, wer die Person dieses Christus gewesen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":160,"orig":"Alles das kann damals zur Annehmung ſeiner Lehre wichtig geweſen ſeyn: itzt iſt es zur Erkennung der Wahrheit dieſer Lehre ſo wichtig nicht mehr.","norm":"Alles das kann damals zur Annehmung seiner Lehre wichtig gewesen sein: jetzt ist es zur Erkennung der Wahrheit dieser Lehre so wichtig nicht mehr."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":161,"orig":"Der erſte praktiſche Lehrer.","norm":"Der erste praktische Lehrer."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":162,"orig":"— Denn ein anders iſt die Unſterblichkeit der Seele, als eine philoſophiſche Speculation, vermuthen, wuͤnſchen, glauben: ein anders, ſeine innern und aͤuſſern Handlungen darnach einrichten.","norm":"— Denn ein anders ist die Unsterblichkeit der Seele, als eine philosophische Spekulation, vermuten, wünschen, glauben: ein anders, seine inneren und äußeren Handlungen danach einrichten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":163,"orig":"Und dieſes wenigſtens lehrte Chriſtus zuerſt.","norm":"Und dieses wenigstens lehrte Christus zuerst."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":164,"orig":"Denn ob es gleich bey manchen Voͤlkern auch ſchon vor ihm eingefuͤhrter Glaube war, daß boͤſe Handlungen noch in jenem Leben beſtraft wuͤrden: ſo waren es doch nur ſolche, die der buͤrgerlichen Geſellſchaft Nachtheil brachten, und daher auch ſchon in der buͤrgerlichen Geſellſchaft ihre Strafe hatten.","norm":"Denn ob es gleich bei manchen Völkern auch schon vor ihm eingeführter Glaube war, dass böse Handlungen noch in jenem Leben bestraft würden: so waren es doch nur solche, die der bürgerlichen Gesellschaft Nachteil brachten, und daher auch schon in der bürgerlichen Gesellschaft ihre Strafe hatten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":165,"orig":"Eine innere Reinigkeit des Herzens in Hinſicht auf ein andres Leben zu empfehlen, war ihm allein vorbehalten.","norm":"Eine innere Reinheit des Herzens in Hinsicht auf ein anderes Leben zu empfehlen, war ihm allein vorbehalten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":166,"orig":"Seine Juͤnger haben dieſe Lehre getreulich fortgepflanzt.","norm":"Seine Jünger haben diese Lehre getreulich fortgepflanzt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":167,"orig":"Und wenn ſie auch kein ander Verdienſt haͤtten, als daß ſie einer Wahrheit, die Chriſtus nur allein fuͤr die Juden beſtimmt zu haben ſchien.","norm":"Und wenn sie auch kein ander Verdienst hätten, als dass sie einer Wahrheit, die Christus nur allein für die Juden bestimmt zu haben schien."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":168,"orig":"einen allgemeinern Umlauf unter mehrern Voͤlkern verſchaft haͤtten: ſo waͤren ſie ſchon darum unter die Pfleger und Wohlthaͤter des Menſchengeſchlechts zu rechnen.","norm":"einen allgemeineren Umlauf unter mehreren Völkern verschafft hätten: so wären sie schon darum unter die Pfleger und Wohltäter des Menschengeschlechts zu rechnen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":169,"orig":"Daß ſie aber dieſe Eine große Lehre noch mit andern Lehren verſetzten, deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich war: wie konnte das anders ſeyn?","norm":"Dass sie aber diese Eine große Lehre noch mit anderen Lehren versetzten, deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich war: wie konnte das anders sein?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":170,"orig":"Laßt uns ſie darum nicht ſchelten, ſondern vielmehr mit Ernſt unterſuchen: ob nicht ſelbſt dieſe beygemiſchten Lehren ein neuer Richtungsſtoß fuͤr die menſchliche Vernunft geworden.","norm":"Lasst uns sie darum nicht schelten, sondern vielmehr mit Ernst untersuchen: ob nicht selbst diese beigemischten Lehren ein neuer Richtungsstoß für die menschliche Vernunft geworden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":171,"orig":"Wenigſtens iſt es ſchon aus der Erfahrung klar, daß die Neuteſtamentlichen Schriften, in welchen ſich dieſe Lehren nach einiger Zeit aufbewahret fanden, das zweyte beßre Elementarbuch fuͤr das Menſchengeſchlecht abgegeben haben, und noch abgeben.","norm":"Wenigstens ist es schon aus der Erfahrung klar, dass die neutestamentlichen Schriften, in welchen sich diese Lehren nach einiger Zeit aufbewahret fanden, das zweite bessere Elementarbuch für das Menschengeschlecht abgegeben haben, und noch abgeben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":172,"orig":"Sie haben ſeit ſiebzehnhundert Jahren den menſchlichen Verſtand mehr als alle andere Buͤcher beſchaͤftiget; mehr als alle andere Buͤcher erleuchtet, ſollte es auch nur durch das Licht ſeyn, welches der menſchliche Verſtand ſelbſt hineintrug.","norm":"Sie haben seit siebzehnhundert Jahren den menschlichen Verstand mehr als alle andere Bücher beschäftiget; mehr als alle andere Bücher erleuchtet, sollte es auch nur durch das Licht sein, welches der menschliche Verstand selbst hineintrug."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":173,"orig":"Unmoͤglich haͤtte irgend ein ander Buch unter ſo verſchiednen Voͤlkern ſo allgemein bekannt werden koͤnnen: und unſtreitig hat das, daß ſo ganz ungleiche Denkungsarten ſich mit dieſem nehmlichen Buche beſchaͤftigten, den menſchlichen Verſtand mehr fortgeholfen, als wenn jedes Volk fuͤr ſich beſonders ſein eignes Elementarbuch gehabt haͤtte.","norm":"Unmöglich hätte irgendein ander Buch unter so verschiedenen Völkern so allgemein bekannt werden können: und unstreitig hat das, dass so ganz ungleiche Denkungsarten sich mit diesem nämlichen Buche beschäftigten, den menschlichen Verstand mehr fortgeholfen, als wenn jedes Volk für sich besonders sein eigenes Elementarbuch gehabt hätte."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":174,"orig":"Auch war es hoͤchſt noͤthig, daß jedes Volk dieſes Buch eine Zeit lang fuͤr das Non plus ultra ſeiner Erkenntniſſe halten mußte.","norm":"Auch war es höchst nötig, dass jedes Volk dieses Buch eine Zeit lang für das Non plus ultra seiner Erkenntnisse halten musste."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":175,"orig":"Denn dafuͤr muß auch der Knabe ſein Elementarbuch vors erſte anſehen; damit die Ungeduld, nur fertig zu werden, ihn nicht zu Dingen fortreißt, zu welchen er noch keinen Grund gelegt hat.","norm":"Denn dafür muss auch der Knabe sein Elementarbuch vors erste ansehen; damit die Ungeduld, nur fertig zu werden, ihn nicht zu Dingen fortreißt, zu welchen er noch keinen Grund gelegt hat."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":176,"orig":"Uud was noch itzt hoͤchſt wichtig iſt: — Huͤte dich, du faͤhigeres Individuum, der du an dem letzten Blatte dieſes Elementarbuches ſtampfeſt und gluͤheſt, huͤte dich, es deine ſchwaͤchere Mitſchuͤler merken zu laſſen, was du witterſt, oder ſchon zu ſehn beginneſt.","norm":"Und was noch jetzt höchst wichtig ist: — Hüte dich, du fähigeres Individuum, der du an dem letzten Blatte dieses Elementarbuches stampfest und glühest, hüte dich, es deine schwächere Mitschüler merken zu lassen, was du witterst, oder schon zu sehen beginnest."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":177,"orig":"Bis ſie dir nach ſind, dieſe ſchwaͤchere Mitſchuͤler; — kehre lieber noch einmal ſelbſt in dieſes Elementarbuch zuruͤck, und unterſuche, ob das, was du nur fuͤr Wendungen der Methode, fuͤr Luͤckenbuͤſſer der Didaktik haͤltſt, auch wohl nicht etwas Mehrers iſt.","norm":"Bis sie dir nach sind, diese schwächere Mitschüler; — kehre lieber noch einmal selbst in dieses Elementarbuch zurück, und untersuche, ob das, was du nur für Wendungen der Methode, für Lückenbüßer der Didaktik hältst, auch wohl nicht etwas Mehreres ist."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":178,"orig":"Du haſt in der Kindheit des Menſchengeſchlechts an der Lehre von der Einheit Gottes geſehen, daß Gott auch bloße Vernunftswahrheiten unmittelbar offenbaret; oder verſtattet und einleitet, daß bloße Vernunftswahrheiten als unmittelbar geoffenbarte Wahrheiten eine Zeit lang gelehret werden: um ſie geſchwinder zu verbreiten, und ſie feſter zu gruͤnden.","norm":"Du hast in der Kindheit des Menschengeschlechts an der Lehre von der Einheit Gottes gesehen, dass Gott auch bloße Vernunftswahrheiten unmittelbar offenbart; oder verstattet und einleitet, dass bloße Vernunftswahrheiten als unmittelbar offenbarte Wahrheiten eine Zeit lang gelehrt werden: um sie geschwinder zu verbreiten, und sie fester zu gründen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":179,"orig":"Du erfaͤhrſt, in dem Knabenalter des Menſchengeſchlechts, an der Lehre von der Unſterblichkeit der Seele, das Nehmliche.","norm":"Du erfährst, in dem Knabenalter des Menschengeschlechts, an der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, das Nämliche."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":180,"orig":"Sie wird in dem zweyten beſſern Elementarbuche als Offenbarung geprediget ‚nicht als Reſultat menſchlicher Schluͤſſe gelehret.","norm":"Sie wird in dem zweiten besseren Elementarbuche als Offenbarung gepredigt, nicht als Resultat menschlicher Schlüsse gelehrt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":181,"orig":"So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Teſtaments entbehren koͤnnen; ſo wie wir allmaͤlig ‚zur Lehre von der Unſterblichkeit der Seele ‚auch des Neuen Teſtaments entbehren zu koͤnnen anfangen: koͤnnten in dieſem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgeſpiegelt werden, die wir als Offenbarungen ſo lange anſtaunen ſollen ‚bis ſie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?","norm":"So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Testaments entbehren können; so wie wir allmählich, zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, auch des Neuen Testaments entbehren zu können anfangen: könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren anderen ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":182,"orig":"Z. E. die Lehre von der Dreyeinigkeit.","norm":"Z. E. die Lehre von der Dreieinigkeit."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":183,"orig":"— Wie, wenn dieſe Lehre den menſchlichen Verſtand, nach unendlichen Verirrungen rechts und links, nur endlich auf den Weg bringen ſollte, zu erkennen, daß Gott in dem Verſtande, in welchem endliche Dinge eins ſind, unmoͤglich eins ſeyn koͤnne; daß auch ſeine Einheit eine tranſcendentale Einheit ſeyn muͤſſe, welche eine Art von Mehrheit nicht ausſchließt?","norm":"— Wie, wenn diese Lehre den menschlichen Verstand, nach unendlichen Verirrungen rechts und links, nur endlich auf den Weg bringen sollte, zu erkennen, dass Gott in dem Verstande, in welchem endliche Dinge eins sind, unmöglich eins sein könne; dass auch seine Einheit eine transzendentale Einheit sein müsse, welche eine Art von Mehrheit nicht ausschließt?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":184,"orig":"— Muß Gott wenigſtens nicht die vollſtaͤndigſte Vorſtellung von ſich ſelbſt haben?","norm":"— Muss Gott wenigstens nicht die vollständigste Vorstellung von sich selbst haben?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":185,"orig":"d. i. eine Vorſtellung, in der ſich alles befindet, was in ihm ſelbſt iſt.","norm":"d. i. eine Vorstellung, in der sich alles befindet, was in ihm selbst ist."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":186,"orig":"Wuͤrde ſich aber alles in ihr finden, was in ihm ſelbſt iſt, wenn auch von ſeiner nothwendigen Wirklichkeit, ſo wie von ſeinen uͤbrigen Eigenſchaften, ſich blos eine Vorſtellung, ſich blos eine Moͤglichkeit faͤnde?","norm":"Würde sich aber alles in ihr finden, was in ihm selbst ist, wenn auch von seiner notwendigen Wirklichkeit, so wie von seinen übrigen Eigenschaften, sich bloß eine Vorstellung, sich bloß eine Möglichkeit fände?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":187,"orig":"Dieſe Moͤglichkeit erſchoͤpft das Weſen ſeiner uͤbrigen Eigenſchaften: aber auch ſeiner nothwendigen Wirklichkeit?","norm":"Diese Möglichkeit erschöpft das Wesen seiner übrigen Eigenschaften: aber auch seiner notwendigen Wirklichkeit?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":188,"orig":"Mich duͤnkt nicht.","norm":"Mich dünkt nicht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":189,"orig":"— Folglich kann entweder Gott gar keine vollſtaͤndige Vorſtellung von ſich ſelbſt haben: oder dieſe vollſtaͤndige Vorſtellung iſt eben ſo nothwendig wirklich ‚als er es ſelbſt iſt #c.","norm":"— Folglich kann entweder Gott gar keine vollständige Vorstellung von sich selbst haben: oder diese vollständige Vorstellung ist eben so notwendig wirklich, als er es selbst ist etc."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":190,"orig":"— Freylich iſt das Bild von mir im Spiegel nichts als eine leere Vorſtellung von mir ‚weil es nur das von mir hat ‚wovon Lichtſtrahlen auf ſeine Flaͤche fallen.","norm":"— Freilich ist das Bild von mir im Spiegel nichts als eine leere Vorstellung von mir, weil es nur das von mir hat, wovon Lichtstrahlen auf seine Fläche fallen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":191,"orig":"Aber wenn denn nun dieſes Bild alles, alles ohne Ausnahme haͤtte ‚was ich ſelbſt habe: wuͤrde es ſodann auch noch eine leere Vorſtellung ‚oder nicht vielmehr eine wahre Verdopplung meines Selbſt ſeyn?","norm":"Aber wenn denn nun dieses Bild alles, alles ohne Ausnahme hätte, was ich selbst habe: würde es sodann auch noch eine leere Vorstellung, oder nicht vielmehr eine wahre Verdopplung meines Selbst sein?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":192,"orig":"— Wenn ich eine aͤhnliche Verdopplung in Gott zu erkennen glaube: ſo irre ich mich vielleicht nicht ſo wohl, als daß die Sprache meinen Begriffen unterliegt; und ſo viel bleibt doch immer unwiderſprechlich, daß diejenigen, welche die Idee davon populaͤr machen wollen, ſich ſchwerlich faßlicher und ſchicklicher haͤtten ausdruͤcken koͤnnen, als durch die Benennung eines Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt.","norm":"— Wenn ich eine ähnliche Verdopplung in Gott zu erkennen glaube: so irre ich mich vielleicht nicht so wohl, als dass die Sprache meinen Begriffen unterliegt; und so viel bleibt doch immer unwidersprechlich, dass diejenigen, welche die Idee davon populär machen wollen, sich schwerlich fasslicher und schicklicher hätten ausdrücken können, als durch die Benennung eines Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":193,"orig":"Und die Lehre von der Erbſuͤnde.","norm":"Und die Lehre von der Erbsünde."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":194,"orig":"— Wie, wenn uns endlich alles uͤberfuͤhrte, daß der Menſch auf der erſten und niedrigſten Stufe ſeiner Menſchheit, ſchlechterdings ſo Herr ſeiner Handlungen nicht ſey, daß er moraliſchen Geſetzen folgen koͤnne?","norm":"— Wie, wenn uns endlich alles überführte, dass der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner Menschheit, schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sei, dass er moralischen Gesetzen folgen könne?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":195,"orig":"Und die Lehre von der Genugthuung des Sohnes.","norm":"Und die Lehre von der Genugtuung des Sohnes."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":196,"orig":"— Wie, wenn uns endlich alles noͤthigte, anzunehmen: daß Gott, ungeachtet jener urſpruͤnglichen Unvermoͤgenheit des Menſchen, ihm dennoch moraliſche Geſetze lieber geben, und ihm alle Uebertretungen, in Ruͤckſicht auf ſeinen Sohn, d. i. in Ruͤckſicht auf den ſelbſtſtaͤndigen Umfang aller ſeiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede Unvollkommenheit des Einzeln verſchwindet, lieber verzeihen wollen; als daß er ſie ihm nicht geben, und ihn von aller moraliſchen Gluͤckſeligkeit ausſchlieſſen wollen, die ſich ohne moraliſche Geſetze nicht denken laͤßt?","norm":"— Wie, wenn uns endlich alles nötigte, anzunehmen: dass Gott, ungeachtet jener ursprünglichen Unvermögenheit des Menschen, ihm dennoch moralische Gesetze lieber geben, und ihm alle Übertretungen, in Rücksicht auf seinen Sohn, d. i. in Rücksicht auf den selbstständigen Umfang aller seiner Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede Unvollkommenheit des Einzeln verschwindet, lieber verzeihen wollen; als dass er sie ihm nicht geben, und ihn von aller moralischen Glückseligkeit ausschließen wollen, die sich ohne moralische Gesetze nicht denken lässt?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":197,"orig":"Man wende nicht ein, daß dergleichen Vernuͤnfteleyen uͤber die Geheimniſſe der Religion unterſagt ſind.","norm":"Man wende nicht ein, dass dergleichen Vernünfteleien über die Geheimnisse der Religion untersagt sind."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":198,"orig":"— Das Wort Geheimniß bedeutete, in den erſten Zeiten des Chriſtenthums, ganz etwas anders, als wir itzt darunter verſtehen; und die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftswahrheiten iſt ſchlechtterdings nothwendig, wenn dem menſchlichen Geſchlechte damit geholfen ſeyn ſoll.","norm":"— Das Wort Geheimnis bedeutete, in den ersten Zeiten des Christentums, ganz etwas anders, als wir jetzt darunter verstehen; und die Ausbildung offenbarter Wahrheiten in Vernunftswahrheiten ist schlechterdings notwendig, wenn dem menschlichen Geschlecht damit geholfen sein soll."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":199,"orig":"Als ſie geoffenbart wurden, waren ſie freylich noch keine Vernunftswahrheiten; aber ſie wurden geoffenbaret, um es zu werden.","norm":"Als sie offenbart wurden, waren sie freilich noch keine Vernunftswahrheiten; aber sie wurden offenbart, um es zu werden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":200,"orig":"Sie waren gleichſam das Facit, welches der Rechenmeiſter ſeinen Schuͤlern voraus ſagt, damit ſie ſich im Rechnen einigermaaſſen darnach richten koͤnnen.","norm":"Sie waren gleichsam das Fazit, welches der Rechenmeister seinen Schülern voraussagt, damit sie sich im Rechnen einigermaßen danach richten können."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":201,"orig":"Wollten ſich die Schuͤler an dem voraus geſagten Facit begnuͤgen: ſo wuͤrden ſie nie rechnen lernen, und die Abſicht ‚in welcher der gute Meiſter ihnen bey ihrer Arbeit einen Leitfaden gab, ſchlecht erfuͤllen.","norm":"Wollten sich die Schüler an dem voraus gesagten Fazit begnügen: so würden sie nie rechnen lernen, und die Absicht, in welcher der gute Meister ihnen bei ihrer Arbeit einen Leitfaden gab, schlecht erfüllen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":202,"orig":"Und warum ſollten wir nicht auch durch eine Religion, mit deren hiſtoriſchen Wahrheit, wenn man will ‚es ſo mißlich ausſieht ‚gleichwohl auf naͤhere und beſſere Begriffe vom goͤttlichen Weſen ‚von unſrer Natur ‚von unſern Verhaͤltniſſen zu Gott ‚geleitet werden koͤnnen ‚auf welche die menſchliche Vernunft von ſelbſt nimmermehr gekommen waͤre?","norm":"Und warum sollten wir nicht auch durch eine Religion, mit deren historischen Wahrheit, wenn man will, es so misslich aussieht, gleichwohl auf nähere und bessere Begriffe vom göttlichen Wesen, von unserer Natur, von unseren Verhältnissen zu Gott, geleitet werden können, auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr gekommen wäre?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":203,"orig":"Es iſt nicht wahr, daß Speculationen uͤber dieſe Dinge jemals Unheil geſtiftet, und der buͤrgerlichen Geſellſchaft nachtheilig geworden.","norm":"Es ist nicht wahr, dass Spekulationen über diese Dinge jemals Unheil gestiftet, und der bürgerlichen Gesellschaft nachteilig geworden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":204,"orig":"— Nicht den Speculationen: dem Unſinne, der Tyranney, dieſen Speculationen zu ſteuern;","norm":"— Nicht den Spekulationen: dem Unsinn, der Tyrannei, diesen Spekulationen zu steuern;"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":205,"orig":"Menſchen, die ihre eigenen hatten, nicht ihre eigenen zu goͤnnen, iſt dieſer Vorwurf zu machen.","norm":"Menschen, die ihre eigenen hatten, nicht ihre eigenen zu gönnen, ist dieser Vorwurf zu machen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":206,"orig":"Vielmehr ſind dergleichen Speculationen — moͤgen ſie im Einzeln doch ausfallen, wie ſie wollen — unſtreitig die ſchicklichſten Uebungen des menſchlichen Verſtandes uͤberhaupt, ſo lange das menſchliche Herz uͤberhaupt, hoͤchſtens nur vermoͤgend iſt, die Tugend wegen ihrer ewigen gluͤckſeligen Folgen zu lieben.","norm":"Vielmehr sind dergleichen Spekulationen — mögen sie im Einzeln doch ausfallen, wie sie wollen — unstreitig die schicklichsten Übungen des menschlichen Verstandes überhaupt, solange das menschliche Herz überhaupt, höchstens nur vermögend ist, die Tugend wegen ihrer ewigen glückseligen Folgen zu lieben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":207,"orig":"Denn bey dieſer Eigennuͤtzigkeit des menſchlichen Herzens, auch den Verſtand nur allein an dem uͤben wollen, was unſere koͤrperlichen Beduͤrfniſſe betrift, wuͤrde ihn mehr ſtumpfen, als wetzen heiſſen.","norm":"Denn bei dieser Eigennützigkeit des menschlichen Herzens, auch den Verstand nur allein an dem üben wollen, was unsere körperlichen Bedürfnisse betrifft, würde ihn mehr stumpfen, als wetzen heißen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":208,"orig":"Er will ſchlechterdings an geiſtigen Gegenſtaͤnden geuͤbt ſeyn, wenn er zu ſeiner voͤlligen Aufklaͤrung gelangen, und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen ſoll, die uns, die Tugend um ihrer ſelbſt willen zu lieben, faͤhig macht.","norm":"Er will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt sein, wenn er zu seiner völligen Aufklärung gelangen, und diejenige Reinheit des Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, fähig macht."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":209,"orig":"Oder ſoll das menſchliche Geſchlecht auf dieſe hoͤchſte Stufen der Aufklaͤrung und Reinigkeit nie kommen?","norm":"Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufen der Aufklärung und Reinheit nie kommen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":210,"orig":"Nie?","norm":"Nie?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":211,"orig":"Nie?","norm":"Nie?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":212,"orig":"— Laß mich dieſe Laͤſterung nicht denken, Allguͤtiger!","norm":"— Lass mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":213,"orig":"— Die Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geſchlechte nicht weniger als bey dem Einzeln.","norm":"— Die Erziehung hat ihr Ziel; bei dem Geschlecht nicht weniger als bei dem Einzeln."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":214,"orig":"Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.","norm":"Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":215,"orig":"Die ſchmeichelnden Ausſichten, die man dem Juͤnglinge eroͤfnet; die Ehre, der Wohlſtand, die man ihm vorſpiegelt: was ſind ſie mehr, als Mittel, ihn zum Manne zu erziehen, der auch dann, wenn dieſe Ausſichten der Ehre und des Wohlſtandes wegfallen, ſeine Pflicht zu thun vermoͤgend ſey.","norm":"Die schmeichelnden Aussichten, die man dem Jünglinge eröffnet; die Ehre, der Wohlstand, die man ihm vorspiegelt: Was sind sie mehr, als Mittel, ihn zum Manne zu erziehen, der auch dann, wenn diese Aussichten der Ehre und des Wohlstandes wegfallen, seine Pflicht zu tun vermögend sei."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":216,"orig":"Darauf zwecke die menſchliche Erziehung ab: und die goͤttliche reiche dahiu nicht?","norm":"Darauf zwecke die menschliche Erziehung ab: und die göttliche reiche dahin nicht?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":217,"orig":"Was der Kunſt mit dem Einzeln gelingt, ſollte der Natur nicht auch mit dem Ganzen gelingen?","norm":"Was der Kunst mit dem Einzeln gelingt, sollte der Natur nicht auch mit dem Ganzen gelingen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":218,"orig":"Laͤſterung!","norm":"Lästerung!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":219,"orig":"Laͤſierung!","norm":"Lästerung!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":220,"orig":"Nein; ſie wird kommen, ſie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Menſch, je uͤberzeugter ſein Verſtand einer immer beſſern Zukunft ſich fuͤhlet, von dieſer Zukunft gleichwohl Bewegungsgruͤnde zu ſeinen Handlungen zu erborgen, nicht noͤthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute iſt, nicht weil willkuͤhrliche Belohnungen darauf geſetzt ſind, die ſeinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und ſtaͤrken ſollten, die innern beſſern Belohnungen deſſelben zu erkennen.","norm":"Nein; sie wird kommen, sie wird gewiss kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer besseren Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem bloß heften und stärken sollten, die inneren besseren Belohnungen desselben zu erkennen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":221,"orig":"Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns ſelbſt in den Elementarbuͤchern des Neuen Bundes verſprochen wird.","norm":"Sie wird gewiss kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des neuen Bundes versprochen wird."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":222,"orig":"Vielleicht, daß ſelbſt gewiſſe Schwaͤrmer des dreyzehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieſes neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darinn irrten, daß ſie den Ansbruch deſſelben ſo nahe verkuͤndigten.","norm":"Vielleicht, dass selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darin irrten, dass sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":223,"orig":"Vielleicht war ihr dreyfaches Alter der Welt keine ſo leere Grille; und gewiß hatten ſie keine ſchlimme Abſichten, wenn ſie lehrten, daß der Neue Bund eben ſo wohl antiquiret werden muͤſſe, als es der Alte geworden.","norm":"Vielleicht war ihr dreifaches Alter der Welt keine so leere Grille; und gewiss hatten sie keine schlimme Absichten, wenn sie lehrten, dass der neue Bund eben so wohl antiquieret werden müsse, als es der Alte geworden."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":224,"orig":"Es blieb auch bey ihnen immer die nehmliche Oekonomie des nehmlichen Gottes.","norm":"Es blieb auch bei ihnen immer die nämliche Ökonomie des nämlichen Gottes."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":225,"orig":"Immer — ſie meine Sprache ſprechen zu laſſen — der nehmliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menſchengeſchlechts.","norm":"Immer — sie meine Sprache sprechen zu lassen — der nämliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechts."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":226,"orig":"Nur daß ſie ihn uͤbereilten; nur daß ſie ihre Zeitgenoſſen, die noch kaum der Kindheit entwachſen waren, ohne Aufklaͤrung, ohne Vorbereitung, mit Eins zu Maͤnnern machen zu koͤnnen glaubten, die ihres dritten Zeitalters wuͤrdig waͤren.","norm":"Nur dass sie ihn übereilten; nur dass sie ihre Zeitgenossen, die noch kaum der Kindheit entwachsen waren, ohne Aufklärung, ohne Vorbereitung, mit Eins zu Männern machen zu können glaubten, die ihres dritten Zeitalters würdig wären."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":227,"orig":"Und eben das machte ſie zu Schwaͤrmern.","norm":"Und eben das machte sie zu Schwärmern."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":228,"orig":"Der Schwaͤrmer thut oft ſehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann dieſe Zukunft nur nicht erwarten.","norm":"Der Schwärmer tut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft nur nicht erwarten."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":229,"orig":"Er wuͤnſcht dieſe Zukunft beſchleuniget; und wuͤnſcht, daß ſie durch ihn beſchleuniget werde.","norm":"Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und wünscht, dass sie durch ihn beschleuniget werde."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":230,"orig":"Wozu ſich die Natur Jahrtauſende Zeit nimmt, ſoll in dem Augenblicke ſeines Daſeyns reifen.","norm":"Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseins reifen."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":231,"orig":"Denn was hat er davon, wenn das, was er fuͤr das Beſſere erkennt, nicht noch bey ſeinen Lebzeiten das Beſſere wird?","norm":"Denn was hat er davon, wenn das, was er für das Bessere erkennt, nicht noch bei seinen Lebzeiten das Bessere wird?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":232,"orig":"Koͤmmt er wieder?","norm":"Kommt er wieder?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":233,"orig":"Glaubt er wieder zu kommen?","norm":"Glaubt er wiederzukommen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":234,"orig":"— Sonderbar, daß dieſe Schwaͤrmerey allein unter den Schwaͤrmern nicht mehr Mode werden will!","norm":"— Sonderbar, dass diese Schwärmerei allein unter den Schwärmern nicht mehr Mode werden will!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":235,"orig":"Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorſehung!","norm":"Gehe deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":236,"orig":"Nur laß mich dieſer Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln.","norm":"Nur lass mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":237,"orig":"— Laß mich an dir nicht verzweifeln, wenn ſelbſt deine Schritte mir ſcheinen ſollten, zuruͤck zu gehen!","norm":"— Lass mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurückzugehen!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":238,"orig":"— Es iſt nicht wahr, daß die kuͤrzeſte Linie immer die gerade iſt.","norm":"— Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":239,"orig":"Du haſt auf deinem ewigen Wege ſo viel mitzunehmen!","norm":"Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":240,"orig":"ſo viel Seitenſchritte zu thun!","norm":"so viel Seitenschritte zu tun!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":241,"orig":"— Und wie?","norm":"— Und wie?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":242,"orig":"wenn es nun gar ſo gut als ausgemacht waͤre, daß das große langſame Rad, welches das Geſchlecht ſeiner Vollkommenheit naͤher bringt, nur durch kleinere ſchnellere Raͤder in Bewegung geſetzt wuͤrde, deren jedes ſein Einzelnes eben dahin liefert?","norm":"wenn es nun gar so gut als ausgemacht wäre, dass das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere Räder in Bewegung gesetzt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":243,"orig":"Nicht anders!","norm":"Nicht anders!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":244,"orig":"Eben die Bahn, auf welcher das Geſchlecht zu ſeiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Menſch (der fruͤher, der ſpaͤter) erſt durchlaufen haben.","norm":"Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muss jeder einzelne Mensch (der früher, der später) erst durchlaufen haben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":245,"orig":"— „In einem und eben demſelben Leben durchlaufen haben?","norm":"— „In einem und eben demselben Leben durchlaufen haben?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":246,"orig":"Kann er in eben demſelben Leben ein ſinnlicher Jude und ein geiſtiger Chriſt geweſen ſeyn?","norm":"Kann er in eben demselben Leben ein sinnlicher Jude und ein geistiger Christ gewesen sein?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":247,"orig":"Kann er in eben demſelben Leben beyde uͤberhohlet haben?“","norm":"Kann er in eben demselben Leben beide überholt haben?“"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":248,"orig":"Das wohl nun nicht!","norm":"Das wohl nun nicht!"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":249,"orig":"— Aber warum koͤnnte jeder einzelne Menſch auch nicht mehr als einmal auf dieſer Welt vorhanden geweſen ſeyn?","norm":"— Aber warum könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt vorhanden gewesen sein?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":250,"orig":"Iſt dieſe Hypotheſe darum ſo laͤcherlich, weil ſie die aͤlteſte iſt?","norm":"Ist diese Hypothese darum so lächerlich, weil sie die älteste ist?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":251,"orig":"weil der menſchliche Verſtand, ehe ihn die Sophiſterey der Schule zerſtreut und geſchwaͤcht hatte, ſogleich darauf verfiel?","norm":"weil der menschliche Verstand, ehe ihn die Sophisterei der Schule zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf verfiel?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":252,"orig":"Warum koͤnnte auch Ich nicht hier bereits einmal alle die Schritte zu meiner Vervollkommung gethan haben, welche blos zeitliche Strafen und Belohnungen den Menſchen bringen koͤnnen?","norm":"Warum könnte auch Ich nicht hier bereits einmal alle die Schritte zu meiner Vervollkommnung getan haben, welche bloß zeitliche Strafen und Belohnungen den Menschen bringen können?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":253,"orig":"Und warum nicht ein andermal alle die, welche zu thun, uns die Ausſichten in ewige Belohnungen, ſo maͤchtig helfen?","norm":"Und warum nicht ein andermal alle die, welche zu tun, uns die Aussichten in ewige Belohnungen, so mächtig helfen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":254,"orig":"Warum ſollte ich nicht ſo oft wiederkommen, als ich neue Kenntniſſe, neue Fertigkeiten zu erlangen geſchickt bin?","norm":"Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":255,"orig":"Bringe ich auf Einmal ſo viel weg, daß es der Muͤhe wieder zu kommen etwa nicht lohnet?","norm":"Bringe ich auf Einmal so viel weg, dass es der Mühe wiederzukommen etwa nicht lohnet?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":256,"orig":"Darum nicht?","norm":"Darum nicht?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":257,"orig":"— Oder, weil ich es vergeſſe, daß ich ſchon da geweſen?","norm":"— Oder, weil ich es vergesse, dass ich schon da gewesen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":258,"orig":"Wohl mir, daß ich das vergeſſe.","norm":"Wohl mir, dass ich das vergesse."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":259,"orig":"Die Erinnerung meiner vorigen Zuſtaͤnde, wuͤrde mir nur einen ſchlechten Gebrauch des gegenwaͤrtigen zu machen erlauben.","norm":"Die Erinnerung meiner vorigen Zustände, würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen erlauben."} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":260,"orig":"Und was ich auf itzt vergeſſen muß, habe ich denn das auf ewig vergeſſen?","norm":"Und was ich auf jetzt vergessen muss, habe ich denn das auf ewig vergessen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":261,"orig":"Oder, weil ſo zu viel Zeit fuͤr mich verloren gehen wuͤrde?","norm":"Oder, weil so zu viel Zeit für mich verloren gehen würde?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":262,"orig":"— Verloren?","norm":"— Verloren?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":263,"orig":"— Und was habe ich denn zu verſaͤumen?","norm":"— Und was habe ich denn zu versäumen?"} {"basename":"lessing_menschengeschlecht_1780","par_idx":264,"orig":"Iſt nicht die ganze Ewigkeit mein?","norm":"Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":0,"orig":"Einmal fuͤr allemal.","norm":"Einmal für allemal."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1,"orig":"Der Handel wird ernſthaft.","norm":"Der Handel wird ernsthaft."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2,"orig":"Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geſchrei.","norm":"Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":3,"orig":"Mein Haus wird verrufen.","norm":"Mein Haus wird verrufen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":4,"orig":"Der Praͤſident bekommt Wind, und — kurz und gut, ich biete dem Junker aus.","norm":"Der Präsident bekommt Wind, und — kurz und gut, ich biete dem Junker aus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":5,"orig":"Du haſt ihn nicht in dein Haus geſchwazt — haſt ihm deine Tochter nicht nachgeworfen.","norm":"Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt — hast ihm deine Tochter nicht nachgeworfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":6,"orig":"Hab ihn nicht in mein Haus geſchwazt — hab ihm's Maͤdel nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon?","norm":"Habe ihn nicht in mein Haus geschwatzt — habe ihm es Mädel nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":7,"orig":"— Ich war Herr im Haus.","norm":"— Ich war Herr im Haus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":8,"orig":"Ich haͤtt meine Tochter mehr koram nehmen ſollen.","norm":"Ich hätte meine Tochter mehr koram nehmen sollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":9,"orig":"Ich haͤtt dem Major beſſer auftrumpfen ſollen — oder haͤtt gleich alles Seiner Exzellenz dem Herrn Papa ſteken ſollen.","norm":"Ich hätte dem Major besser auftrumpfen sollen — oder hätte gleich alles Seiner Exzellenz dem Herrn Papa stecken sollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":10,"orig":"Der junge Baron bringts mit einem Wiſcher hinaus, das muß ich wiſſen, und alles Wetter kommt uͤber den Geiger.","norm":"Der junge Baron bringt es mit einem Wischer hinaus, das muss ich wissen, und alles Wetter kommt über den Geiger."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":11,"orig":"Poſſen!","norm":"Possen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":12,"orig":"Geſchwaͤz!","norm":"Geschwätz!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":13,"orig":"Was kann uͤber dich kommen?","norm":"Was kann über dich kommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":14,"orig":"Wer kann dir was anhaben?","norm":"Wer kann dir was anhaben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":15,"orig":"Du gehſt deiner Profeßion nach, und rafſt Scholaren zuſammen, wo ſie zu kriegen ſind.","norm":"Du gehst deiner Profession nach, und raffst Scholaren zusammen, wo sie zu kriegen sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":16,"orig":"Aber, ſag mir doch, was wird bei dem ganzen Kommerz auch herauskommen?","norm":"Aber, sage mir doch, was wird bei dem ganzen Kommerz auch herauskommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":17,"orig":"— Nehmen kann er das Maͤdel nicht — Vom Nehmen iſt gar die Rede nicht, und zu einer daß Gott erbarm?","norm":"— Nehmen kann er das Mädel nicht — vom Nehmen ist gar die Rede nicht, und zu einer dass Gott erbarm?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":18,"orig":"— Guten Morgen!","norm":"— Guten Morgen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":19,"orig":"— Gelt, wenn ſo ein Musje von, ſich da und dort, und dort und hier ſchon herumbeholfen hat, wenn er, der Henker weiß was als?","norm":"— Geld, wenn so ein Musje von, sich da und dort, und dort und hier schon herumbeholfen hat, wenn er, der Henker weiß was als?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":20,"orig":"geloͤß't hat, ſchmekts meinem guten Schluker freilich, einmal auf ſuͤß Waſſer zu graben.","norm":"gelöst hat, schmeckt es meinem guten Schlucker freilich, einmal auf Süßwasser zu graben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":21,"orig":"Gib du acht!","norm":"Gib du acht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":22,"orig":"gib du acht!","norm":"gib du acht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":23,"orig":"und wenn du aus jedem Aſtloch ein Auge ſtrekteſt, und vor jedem Blutstropfen Schildwache ſtaͤndeſt, er wird ſie, dir auf der Naſe, beſchwazen, dem Maͤdel eins hinſezen, und fuͤhrt ſich ab, und das Maͤdel iſt verſchimpfiert auf ihr Lebenlang, bleibt ſizen, oder hat's Handwerk verſchmekt, treibts fort.","norm":"und wenn du aus jedem Astloch ein Auge strecktest, und vor jedem Blutstropfen Schildwache ständest, er wird sie, dir auf der Nase, beschwatzen, dem Mädel eins hinsetzen, und führt sich ab, und das Mädel ist verschimpfiert auf ihr Leben lang, bleibt sitzen, oder hat es Handwerk verschmeckt, treibt es fort."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":24,"orig":"Jeſus Chriſtus!","norm":"Jesus Christus!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":25,"orig":"Gott behuͤt uns in Gnaden!","norm":"Gott behüte uns in Gnaden!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":26,"orig":"Es hat ſich zu behuͤten.","norm":"Es hat sich zu behüten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":27,"orig":"Worauf kann ſo ein Windfuß wohl ſonſt ſein Abſehen richten?","norm":"Worauf kann so ein Windfuß wohl sonst sein Absehen richten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":28,"orig":"— Das Maͤdel iſt ſchoͤn — ſchlank — fuͤhrt ſeinen netten Fus. Unter'm Dach mags ausſehen, wie's will.","norm":"— Das Mädel ist schön — schlank — führt seinen netten Fuß unterm Dach mag es aussehen, wie es will."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":29,"orig":"Daruͤber kukt man bei euch Weibsleuten weg, wenn's nur der liebe Gott par Terre nicht hat fehlen laſſen — Stoͤbert mein Springinsfeld erſt noch dieſes Kapitel aus — heh da!","norm":"Darüber guckt man bei euch Weibsleuten weg, wenn es nur der liebe Gott parterre nicht hat fehlen lassen — stöbert mein Springinsfeld erst noch dieses Kapitel aus — he da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":30,"orig":"geht ihm ein Licht auf, wie meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Franzoſen kriegt, und nun muͤſſen alle Segel dran, und drauf los, und — ich verdenks ihm gar nicht.","norm":"geht ihm ein Licht auf, wie meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Franzosen kriegt, und nun müssen alle Segel dran, und drauflos, und — ich verdenke es ihm gar nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":31,"orig":"Menſch iſt Menſch.","norm":"Mensch ist Mensch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":32,"orig":"Das muß ich wiſſen.","norm":"Das muss ich wissen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":33,"orig":"Solteſt nur die wunderhuͤbſche Billeter auch leſen, die der gnaͤdige Herr an deine Tochter als ſchreiben thut.","norm":"Solltest nur die wunderhübsche Billetter auch lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter als schreiben tut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":34,"orig":"Guter Gott!","norm":"Guter Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":35,"orig":"Da ſieht man's ja ſonnenklar, wie es ihm pur um ihre ſchoͤne Seele zu thun iſt.","norm":"Da sieht man es ja sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu tun ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":36,"orig":"Das iſt die rechte Hoͤhe.","norm":"Das ist die rechte Höhe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":37,"orig":"Auf den Sak ſchlagt man; den Eſel meynt man.","norm":"Auf den Sak schlagt man; den Esel meint man."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":38,"orig":"Wer einen Gruß an das liebe Fleiſch zu beſtellen hat, darf nur das gute Herz Boten gehen laſſen.","norm":"Wer einen Gruß an das liebe Fleisch zu bestellen hat, darf nur das gute Herz Boten gehen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":39,"orig":"Wie hab ich's gemacht?","norm":"Wie habe ich es gemacht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":40,"orig":"Hat man's nur erſt ſo weit im Reinen, daß die Gemuͤther topp machen, wutſch!","norm":"Hat man es nur erst so weit im Reinen, dass die Gemüter topp machen, wutsch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":41,"orig":"nehmen die Koͤrper ein Exempel; das Geſind machts der Herrſchaft nach und der ſilberne Mond iſt am End nur der Kuppler geweſen.","norm":"nehmen die Körper ein Exempel; das Gesinde macht es der Herrschaft nach und der silberne Mond ist am Ende nur der Kuppler gewesen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":42,"orig":"Sieh doch nur erſt die praͤchtigen Buͤcher an, die der Herr Major ins Haus geſchaft haben.","norm":"Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus geschafft haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":43,"orig":"Deine Tochter betet auch immer draus.","norm":"Deine Tochter betet auch immer draus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":44,"orig":"Hui da!","norm":"Hui da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":45,"orig":"Betet!","norm":"Betet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":46,"orig":"Du haſt den Wiz davon.","norm":"Du hast den Witz davon."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":47,"orig":"Die rohe Kraftbruͤhen der Natur ſind Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart.","norm":"Die rohe Kraftbrühen der Natur sind Ihre Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":48,"orig":"— Er muß ſie erſt in der hoͤlliſchen Peſtilenzkuͤche der Bellatriſten kuͤnſtlich aufkochen laſſen.","norm":"— Er muss sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Bellatristen künstlich aufkochen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":49,"orig":"Ins Feuer mit dem Quark.","norm":"Ins Feuer mit dem Quark."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":50,"orig":"Da ſaugt mir das Maͤdel — weiß Gott was als fuͤr?","norm":"Da saugt mir das Mädel — weiß Gott was als für?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":51,"orig":"— uͤberhimmliſche Alfanzereien ein, das laͤuft dann wie ſpaniſche Muken ins Blut und wirft mir die Handvoll Chriſtentum noch gar auseinander, die der Vater mit knapper Noth ſo ſo noch zuſammen hielt.","norm":"— überhimmlische Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und wirft mir die Handvoll Christentum noch gar auseinander, die der Vater mit knapper Not so so noch zusammenhielt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":52,"orig":"Ins Feuer ſag ich.","norm":"Ins Feuer sage ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":53,"orig":"Das Maͤdel ſezt ſich alles Teufels Gezeug in den Kopf; uͤber all dem Herumſchwaͤnzen in der Schlaraffenwelt findet's zulezt ſeine Heimat nicht mehr, vergißt, ſchaͤmt ſich, daß ſein Vater Miller der Geiger iſt, und verſchlaͤgt mir am End einen wakern ehrbaren Schwiegerſohn, der ſich ſo warm in meine Kundſchaft hineingeſezt haͤtte — — Nein!","norm":"Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findet es zuletzt seine Heimat nicht mehr, vergisst, schämt sich, dass sein Vater Miller der Geiger ist, und verschlägt mir am Ende einen wackeren ehrbaren Schwiegersohn, der sich so warm in meine Kundschaft hineingesetzt hätte — — Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":54,"orig":"Gott verdamm mich Gleich muß die Paſtete auf den Heerd, und dem Major — ja ja dem Major will ich weiſen, wo Meiſter Zimmermann das Loch gemacht hat.","norm":"Gott verdamme mich Gleich muss die Pastete auf den Herd, und dem Major — ja ja dem Major will ich weisen, wo Meister Zimmermann das Loch gemacht hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":55,"orig":"Sei artig Miller.","norm":"Sei artig Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":56,"orig":"Wie manchen ſchoͤnen Groſchen haben uns nur die Praͤſenter — —","norm":"Wie manchen schönen Groschen haben uns nur die Präsenter — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":57,"orig":"Das Blutgeld meiner Tochter?","norm":"Das Blutgeld meiner Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":58,"orig":"— Schier dich zum Satan infame Kupplerin!","norm":"— Schier dich zum Satan infame Kupplerin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":59,"orig":"— Eh will ich mit meiner Geig' auf den Bettel herumziehen, und das Konzert um was Warmes geben — eh will ich mein Violonzello zerſchlagen, und Miſt im Sonanzboden fuͤhren, eh ich mirs ſchmeken laß von dem Geld, das mein einziges Kind mit Seel und Seeligkeit abverdient.","norm":"— Ehe will ich mit meiner Geig auf den Bettel herumziehen, und das Konzert um was Warmes geben — ehe will ich mein Violoncello zerschlagen, und Mist im Resonanzboden führen, ehe ich mir es schmecken lass von dem Geld, das mein einziges Kind mit Seele und Seligkeit abverdient."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":60,"orig":"— Stell den vermaledeyten Kaffe ein, und das Tobakſchnupfen, ſo brauchſt du deiner Tochter Geſicht nicht zu Markt zu treiben.","norm":"— Stell den vermaledeiten Kaffee ein, und das Tobakschnupfen, so brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markt zu treiben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":61,"orig":"Ich hab mich ſatt gefreſſen, und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt, eh ſo ein vertrakter Tauſend Sa Sa in meine Stube geſchmekt hat.","norm":"Ich habe mich satt gefressen, und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt, ehe so ein vertrackter Tausendsasa in meine Stube geschmeckt hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":62,"orig":"Nur nicht gleich mit der Thuͤr ins Haus.","norm":"Nur nicht gleich mit der Tür ins Haus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":63,"orig":"Wie du doch den Augenblik in Feuer und Flammen ſtehſt!","norm":"Wie du doch den Augenblick in Feuer und Flammen stehst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":64,"orig":"Ich ſprech ja nur, man muͤß den Herrn Major nicht disguſchthuͤren, weil Sie des Praͤſidenten Sohn ſind.","norm":"Ich spreche ja nur, man müsse den Herrn Major nicht disguschtüren, weil Sie des Präsidenten Sohn sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":65,"orig":"Da liegt der Haas im Pfeffer.","norm":"Da liegt der Hase im Pfeffer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":66,"orig":"Darum, juſt eben darum, muß die Sach noch heut auseinander.","norm":"Darum, just eben darum, muss die Sache noch heute auseinander."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":67,"orig":"Der Praͤſident muß es mir Dank wiſſen, wenn er ein rechtſchaffener Vater iſt.","norm":"Der Präsident muss es mir Dank wissen, wenn er ein rechtschaffener Vater ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":68,"orig":"Du wirſt mir meinen rothen pluͤſchenen Rok ausbuͤrſten, und ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden laſſen.","norm":"Du wirst mir meinen roten plüschenen Rock ausbürsten, und ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":69,"orig":"Ich werde ſprechen zu Seiner Exzellenz:","norm":"Ich werde sprechen zu Seiner Exzellenz:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":70,"orig":"Dero Herr Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter iſt zu ſchlecht zu Dero Herrn Sohnes Frau, aber zu Dero Herrn Sohnes Hure iſt meine Tochter zu koſtbar, und damit baſta!","norm":"Deren Herr Sohn haben ein Auge auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht zu deren Herrn Sohnes Frau, aber zu deren Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar, und damit basta!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":71,"orig":"— Ich heiſſe Miller.","norm":"— Ich heiße Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":72,"orig":"Ah guten Morgen, Herr Sekertare.","norm":"Ah guten Morgen, Herr Sekertare."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":73,"orig":"Hat man auch einmal wieder das Vergnuͤgen von Ihnen?","norm":"Hat man auch einmal wieder das Vergnügen von Ihnen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":74,"orig":"Meinerſeits, Meinerſeits, Frau Baſe.","norm":"Meinerseits, Meinerseits, Frau Base."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":75,"orig":"Wo eine Kavaliersgnade einſpricht, kommt mein buͤrgerliches Vergnuͤgen in gar keine Rechnung.","norm":"Wo eine Kavaliersgnade einspricht, kommt mein bürgerliches Vergnügen in gar keine Rechnung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":76,"orig":"Was Sie nicht ſagen, Herr Sekertare!","norm":"Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":77,"orig":"Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Blaͤſier, doch verachten wir darum niemand.","norm":"Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier, doch verachten wir darum niemand."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":78,"orig":"Dem Herrn einen Seßel, Frau.","norm":"Dem Herrn einen Sessel, Frau."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":79,"orig":"Wollen's ablegen, Herr Landsmann?","norm":"Wollen es ablegen, Herr Landsmann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":80,"orig":"Nun!","norm":"Nun!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":81,"orig":"Nun!","norm":"Nun!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":82,"orig":"Und wie befindet ſich denn meine Zukuͤnftige — oder Geweſene?","norm":"Und wie befindet sich denn meine Zukünftige — oder Gewesene?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":83,"orig":"— Ich will doch nicht hoffen — kriegt man ſie nicht zu ſehen.","norm":"— Ich will doch nicht hoffen — kriegt man sie nicht zu sehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":84,"orig":"— Mamſell Louiſen?","norm":"— Mamsell Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":85,"orig":"Danken der Nachfrage Herr Sekertare.","norm":"Danken der Nachfrage Herr Sekertare."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":86,"orig":"Aber meine Tochter iſt doch gar nicht hochmuͤthig.","norm":"Aber meine Tochter ist doch gar nicht hochmütig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":87,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":88,"orig":"Bedauern's nur, daß ſie die Ehre nicht haben kann vom Herrn Sekertare.","norm":"Bedauerns nur, dass sie die Ehre nicht haben kann vom Herrn Sekertare."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":89,"orig":"Sie iſt eben in die Meß, meine Tochter.","norm":"Sie ist eben in die Messe, meine Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":90,"orig":"Das freut mich, freut mich.","norm":"Das freut mich, freut mich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":91,"orig":"Ich werd einmal eine fromme chriſtliche Frau an ihr haben.","norm":"Ich werde einmal eine fromme christliche Frau an ihr haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":92,"orig":"Ja — aber Herr Sekertare —","norm":"Ja — aber Herr Sekertare —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":93,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":94,"orig":"Wenn Ihnen unſer Haus ſonſt irgendwo dienen kann — Mit allem Vergnuͤgen Herr Sekertare —","norm":"Wenn Ihnen unser Haus sonst irgendwo dienen kann — mit allem Vergnügen Herr Sekertare —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":95,"orig":"Sonſt irgendwo!","norm":"Sonst irgendwo!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":96,"orig":"Schoͤnen Dank!","norm":"Schönen Dank!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":97,"orig":"Schoͤnen Dank — Hem!","norm":"Schönen Dank — Hem!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":98,"orig":"hem!","norm":"hem!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":99,"orig":"hem!","norm":"hem!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":100,"orig":"Aber — wie der Herr Sekertare ſelber die Einſicht werden haben —","norm":"Aber — wie der Herr Sekertare selber die Einsicht werden haben —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":101,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":102,"orig":"Gut iſt gut, und beßer iſt beßer, und einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor ſeinem Gluͤk ſeyn.","norm":"Gut ist gut, und besser ist besser, und einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor seinem Glück sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":103,"orig":"Sie werden mich je doch wohl merken Herr Sekertare?","norm":"Sie werden mich je doch wohl merken Herr Sekertare?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":104,"orig":"Merken?","norm":"Merken?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":105,"orig":"Nicht doch — O ja — Wie meynen Sie denn?","norm":"Nicht doch — O ja — wie meinen Sie denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":106,"orig":"Nu — Nu — ich daͤchte nur — ich meyne Weil eben halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnaͤdigen Madam will haben —","norm":"Nu — Nu — ich dächte nur — ich meine Weil eben halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":107,"orig":"Was ſagen Sie da?","norm":"Was sagen Sie da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":108,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":109,"orig":"Bleiben ſizen!","norm":"Bleiben sitzen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":110,"orig":"Bleiben ſizen Herr Sekretarius.","norm":"Bleiben sitzen Herr Sekretarius."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":111,"orig":"Das Weib iſt eine alberne Gans.","norm":"Das Weib ist eine alberne Gans."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":112,"orig":"Wo ſoll eine gnaͤdige Madam herkommen?","norm":"Wo soll eine gnädige Madam herkommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":113,"orig":"Was fuͤr ein Eſel ſtrekt ſein Langohr aus dieſem Geſchwaͤze?","norm":"Was für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":114,"orig":"Schmaͤl du ſo lang du wilſt.","norm":"Schmäle du so lang du willst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":115,"orig":"Was ich weis, weis ich — und was der Herr Major geſagt hat, das hat er geſagt.","norm":"Was ich weiß, weiß ich — und was der Herr Major gesagt hat, das hat er gesagt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":116,"orig":"Wilſt du dein Maul halten?","norm":"Willst du dein Maul halten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":117,"orig":"Wilſt das Violonzello am Hirnkaſten wiſſen?","norm":"Willst das Violoncello am Hirnkasten wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":118,"orig":"— Was kannſt du wiſſen?","norm":"— Was kannst du wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":119,"orig":"Was kann er geſagt haben?","norm":"Was kann er gesagt haben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":120,"orig":"— Kehren Sich an das Geklatſch nicht Herr Vetter — Marſch du in deine Kuͤche — Werden mich doch nicht fuͤr des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, daß ich obenaus woll mit dem Maͤdel?","norm":"— Kehren sich an das Geklatsche nicht Herr Vetter — Marsch du in deine Küche — Werden mich doch nicht für des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, dass ich obenaus woll mit dem Mädel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":121,"orig":"Werden doch das nicht von mir denken Herr Sekretarius?","norm":"Werden doch das nicht von mir denken Herr Sekretarius?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":122,"orig":"Auch hab ich es nicht um Sie verdient Herr Muſikmeiſter.","norm":"Auch habe ich es nicht um Sie verdient Herr Musikmeister."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":123,"orig":"Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort ſehen laſſen, und meine Anſpruͤche auf Ihre Tochter waren ſo gut, als unterſchrieben.","norm":"Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort sehen lassen, und meine Ansprüche auf Ihre Tochter waren so gut, als unterschrieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":124,"orig":"Ich habe ein Amt das ſeinen guten Haushaͤlter naͤhren kann, der Praͤſident iſt mir gewogen, an Empfehlungen kanns nicht fehlen, wenn ich mich hoͤher poußieren will.","norm":"Ich habe ein Amt das seinen guten Haushälter nähren kann, der Präsident ist mir gewogen, an Empfehlungen kann es nicht fehlen, wenn ich mich höher poussieren will."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":125,"orig":"Sie ſehen, daß meine Abſichten auf Mamſell Louiſen ernſthaft ſind, wenn Sie vielleicht von einem adelichen Windbeutel herumgehohlt — —","norm":"Sie sehen, dass meine Absichten auf Mamsell Louise ernsthaft sind, wenn Sie vielleicht von einem adeligen Windbeutel herumgeholt — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":126,"orig":"Herr Sekertare Wurm!","norm":"Herr Sekertare Wurm!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":127,"orig":"Mehr Reſpekt, wenn man bitten darf —","norm":"Mehr Respekt, wenn man bitten darf —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":128,"orig":"Halt du dein Maul ſag ich — Laſſen Sie es gut ſeyn, Herr Vetter.","norm":"Halt du dein Maul sage ich — Lassen Sie es gut sein, Herr Vetter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":129,"orig":"Es bleibt beim alten.","norm":"Es bleibt beim Alten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":130,"orig":"Was ich Ihnen verwichenen Herbſt zum Beſcheid gab, bring ich heut wieder.","norm":"Was ich Ihnen verwichenen Herbst zum Bescheid gab, bringe ich heute wieder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":131,"orig":"Ich zwinge meine Tochter nicht.","norm":"Ich zwinge meine Tochter nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":132,"orig":"Stehen Sie ihr an — wol und gut, ſo mag ſie zuſehen, wie ſie gluͤklich mit Ihnen wird.","norm":"Stehen Sie ihr an — wohl und gut, so mag sie zusehen, wie sie glücklich mit Ihnen wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":133,"orig":"Schuͤttelt ſie den Kopf — noch beßer — — in Gottes Namen wolt ich ſagen — ſo ſteken Sie den Korb ein, und trinken eine Bouteille mit dem Vater — Das Maͤdel muß mit Ihnen leben — ich nicht — warum ſoll ich ihr einen Mann, den ſie nicht ſchmeken kann, aus purem klarem Eigenſinn an den Hals werfen?","norm":"Schüttelt sie den Kopf — noch besser — — in Gottes Namen wollte ich sagen — so stecken Sie den Korb ein, und trinken eine Bouteille mit dem Vater — das Mädel muss mit Ihnen leben — ich nicht — warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht schmecken kann, aus purem klarem Eigensinn an den Hals werfen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":134,"orig":"— Daß mich der boͤſe Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie ſein Wildpret herumheze — daß ichs in jedem Glas Wein zu ſaufen — in jeder Suppe zu freſſen kriege:","norm":"— Dass mich der böse Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie sein Wildbret herumhetze — dass ich es in jedem Glas Wein zu saufen — in jeder Suppe zu fressen kriege:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":135,"orig":"Du biſt der Spizbube der ſein Kind ruinirt hat!","norm":"Du bist der Spitzbube der sein Kind ruiniert hat!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":136,"orig":"Und kurz und gut — ich geb meinen Konſenz abſolut nicht; meine Tochter iſt zu was hohem gemuͤnzt, und ich lauf in die Gerichte, wenn mein Mann ſich beſchwazen laͤßt.","norm":"Und kurz und gut — ich gebe meinen Konsens absolut nicht; meine Tochter ist zu was Hohem gemünzt, und ich Lauf in die Gerichte, wenn mein Mann sich beschwatzen lässt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":137,"orig":"Willſt du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?","norm":"Willst du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":138,"orig":"Ein vaͤterlicher Rath vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?","norm":"Ein väterlicher Rat vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":139,"orig":"Daß dich alle Hagel!","norm":"Dass dich alle Hagel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":140,"orig":"' sMaͤdel muß Sie kennen.","norm":"' s Mädel muss Sie kennen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":141,"orig":"Was ich alter Knaſterbart an Ihnen abkuke, iſt juſt kein Freſſen fuͤrs junge naſchhafte Maͤdel.","norm":"Was ich alter Knasterbart an Ihnen abgucke, ist just kein Fressen fürs junge naschhafte Mädel."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":142,"orig":"Ich will Ihnen aufs Haar hin ſagen, ob Sie ein Mann fuͤrs Orcheſter ſind — aber eine Weiberſeel iſt auch fuͤr einen Kapellmeiſter zu ſpizig.","norm":"Ich will Ihnen aufs Haar hinsagen, ob Sie ein Mann fürs Orchester sind — aber eine Weiberseele ist auch für einen Kapellmeister zu spitzig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":143,"orig":"— Und dann von der Bruſt weg, Herr Vetter — ich bin halt ein plumper gerader teutſcher Kerl — fuͤr meinen Rath wuͤrden Sie ſich zu lezt wenig bedanken.","norm":"— Und dann von der Brust weg, Herr Vetter — ich bin halt ein plumper gerader deutscher Kerl — für meinen Rat würden Sie sich zuletzt wenig bedanken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":144,"orig":"Ich rathe meiner Tochter zu keinem — aber Sie misrath' ich meiner Tochter, Herr Sekretarius.","norm":"Ich rate meiner Tochter zu keinem — aber Sie missrat ich meiner Tochter, Herr Sekretarius."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":145,"orig":"Laſſen mich ausreden.","norm":"Lassen mich ausreden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":146,"orig":"Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, trau ich — erlauben Sie, — keine hole Haſelnus zu.","norm":"Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, traue ich — erlauben Sie, — keine hohle Haselnuss zu."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":147,"orig":"Iſt er was, ſo wird er ſich ſchaͤmen, ſeine Talente durch dieſen altmodiſchen Kanal vor ſeine Liebſte zu bringen — Hat er' sKourage nicht, ſo iſt er ein Haſenfus, und fuͤr den ſind keine Louiſen gewachſen — — Da!","norm":"Ist er was, so wird er sich schämen, seine Talente durch diesen altmodischen Kanal vor seine Liebste zu bringen — hat er' die Kourage nicht, so ist er ein Hasenfuß, und für den sind keine Louise gewachsen — — da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":148,"orig":"hinter dem Ruͤken des Vaters muß er ſein Gewerb an die Tochter beſtellen.","norm":"hinter dem Rücken des Vaters muss er sein Gewerbe an die Tochter bestellen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":149,"orig":"Machen muß er, daß das Maͤdel lieber Vater und Mutter zum Teufel wuͤnſcht, als ihn fahren laͤßt — oder ſelber kommt, dem Vater zu Fuͤßen ſich wirft, und ſich um Gottes willen den ſchwarzen gelben Tod, oder den Herzeinzigen ausbittet, — Das nenn ich einen Kerl!","norm":"Machen muss er, dass das Mädel lieber Vater und Mutter zum Teufel wünscht, als ihn fahren lässt — oder selber kommt, dem Vater zu Füßen sich wirft, und sich um Gottes willen den schwarzen gelben Tod, oder den Herzeinzigen ausbittet, — das nenne ich einen Kerl!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":150,"orig":"Das heißt lieben!","norm":"Das heißt lieben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":151,"orig":"— und wer's bei dem Weibsvolk nicht ſo weit bringt, der ſoll — — auf ſeinem Gaͤnſekiel reiten.","norm":"— und wer es bei dem Weibsvolk nicht so weit bringt, der soll — — auf seinem Gänsekiel reiten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":152,"orig":"Obligazion, Herr Miller.","norm":"Obligation, Herr Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":153,"orig":"Fuͤr was?","norm":"Für was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":154,"orig":"Fuͤr was?","norm":"Für was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":155,"orig":"Haben Sie ja doch nichts genoſſen, Herr Sekretarius.","norm":"Haben Sie ja doch nichts genossen, Herr Sekretarius."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":156,"orig":"Nichts hoͤrt er und hin zieht er — — Iſt mirs doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federnfuchſer zu Geſichte krieg.","norm":"Nichts hört er und hinzieht er — — ist mir es doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federnfuchser zu Gesichte kriege."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":157,"orig":"Ein konfiſzierter widriger Kerl, als haͤtt ihn irgend ein Schleichhaͤndler in die Welt meines Herrgotts hineingeſchachert — Die kleinen tuͤkiſchen Mausaugen — die Haare brandroth — das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur fuͤr purem Gift uͤber das verhunzte Stuͤk Arbeit meinen Schlingel da angefaßt, und in irgend eine Eke geworfen haͤtte — Nein!","norm":"Ein konfiszierter widriger Kerl, als hätte ihn irgendein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert — die kleinen tückischen Mausaugen — die Haare brandrot — das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da angefasst, und in irgendeine Ecke geworfen hätte — Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":158,"orig":"Eh ich meine Tochter an ſo einen Schuft wegwerfe, lieber ſoll ſie mir — Gott verzeih mirs —","norm":"Ehe ich meine Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir — Gott verzeih mir es —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":159,"orig":"Der Hund!","norm":"Der Hund!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":160,"orig":"— Aber man wird dir's Maul ſauber halten.","norm":"— Aber man wird dir es Maul sauber halten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":161,"orig":"Du aber auch mit deinem peſtilenzialiſchen Junker — Haſt mich vorhin auch ſo in Harniſch gebracht — Biſt doch nie dummer, als wenn du um Gotteswillen geſcheid ſeyn ſolteſt.","norm":"Du aber auch mit deinem pestilenzialischen Junker — Hast mich vorhin auch so in Harnisch gebracht — bist doch nie dummer, als wenn du um Gottes willen gescheit sein solltest."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":162,"orig":"Was hat das Getraͤtſch von einer gnaͤdigen Madam und deiner Tochter da vorſtellen ſollen?","norm":"Was hat das Getratsche von einer gnädigen Madam und deiner Tochter da vorstellen sollen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":163,"orig":"Das iſt mir der Alte.","norm":"Das ist mir der Alte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":164,"orig":"Dem muß man ſo was an die Naſe heften, wenns morgen am Marktbrunnen ausgeſchellt ſeyn ſoll.","norm":"Dem muss man so was an die Nase heften, wenn es morgen am Marktbrunnen ausgeschellt sein soll."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":165,"orig":"Das iſt juſt ſo ein Musje, wie ſie in der Leute Haͤuſern herum riechen, uͤber Keller und Koch raͤſonnieren, und ſpringt einem ein naſenweiſes Wort uͤber's Maul — Bumbs!","norm":"Das ist just so ein Musje, wie sie in der Leute Häusern herumriechen, über Keller und Koch räsonieren, und springt einem ein nasenweises Wort übers Maul — Bums!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":166,"orig":"habens Fuͤrſt und Matreß und Praͤſident, und Du haſt das ſiedende Donnerwetter am Halſe.","norm":"habens Fürst und Matress und Präsident, und Du hast das siedende Donnerwetter am Halse."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":167,"orig":"Guten Morgen lieber Vater.","norm":"Guten Morgen lieber Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":168,"orig":"Brav meine Louiſe — Freut mich, daß du ſo fleißig an deinen Schoͤpfer denkſt.","norm":"Brav meine Louise — freut mich, dass du so fleißig an deinen Schöpfer denkst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":169,"orig":"Bleib immer ſo, und ſein Arm wird dich halten.","norm":"Bleib immer so, und sein Arm wird dich halten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":170,"orig":"O ich bin eine ſchwere Suͤnderin, Vater — War er da Mutter?","norm":"O ich bin eine schwere Sünderin, Vater — war er da Mutter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":171,"orig":"Wer mein Kind?","norm":"Wer mein Kind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":172,"orig":"Ah!","norm":"Ah!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":173,"orig":"ich vergaß, daß es noch außer ihm Menſchen gibt — Mein Kopf iſt ſo wuͤſte — Er war nicht da?","norm":"ich vergaß, dass es noch außer ihm Menschen gibt — Mein Kopf ist so wüste — er war nicht da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":174,"orig":"Walter?","norm":"Walter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":175,"orig":"Ich dachte, meine Louiſe haͤtte den Namen in der Kirche gelaſſen?","norm":"Ich dachte, meine Louise hätte den Namen in der Kirche gelassen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":176,"orig":"Ich verſteh Ihn Vater — fuͤhle das Meſſer, das er in mein Gewiſſen ſtoͤßt; aber es kommt zu ſpaͤt.","norm":"Ich verstehe ihn Vater — fühle das Messer, das er in mein Gewissen stößt; aber es kommt zu spät."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":177,"orig":"— Ich hab keine Andacht mehr Vater — der Himmel und Ferdinand reiſſen an meiner blutenden Seele, und ich fuͤrchte — ich fuͤrchte — Doch nein, guter Vater.","norm":"— Ich habe keine Andacht mehr Vater — der Himmel und Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele, und ich fürchte — ich fürchte — doch nein, guter Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":178,"orig":"Wenn wir ihn uͤber dem Gemaͤlde vernachlaͤßigen, findet ſich ja der Kuͤnſtler am feinſten gelobt.","norm":"Wenn wir ihn über dem Gemälde vernachlässigen, findet sich ja der Künstler am feinsten gelobt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":179,"orig":"— Wenn meine Freude uͤber ſein Meiſterſtuͤk mich ihn ſelbſt uͤberſehen macht, Vater, muß das Gott nicht ergoͤzen?","norm":"— Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn selbst übersehen macht, Vater, muss das Gott nicht ergötzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":180,"orig":"Da haben wirs!","norm":"Da haben wir es!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":181,"orig":"Das iſt die Frucht von dem gottloſen Leſen.","norm":"Das ist die Frucht von dem gottlosen Lesen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":182,"orig":"Wo er wol jezt iſt?","norm":"Wo er wohl jetzt ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":183,"orig":"— Die vornehmen Fraͤulein, die ihn ſehen — ihn hoͤren — — — ich bin ein ſchlechtes vergeſſenes Maͤdchen Doch nein!","norm":"— Die vornehmen Fräulein, die ihn sehen — ihn hören — — — ich bin ein schlechtes vergessenes Mädchen doch nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":184,"orig":"nein!","norm":"nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":185,"orig":"verzeih er mir.","norm":"verzeih er mir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":186,"orig":"Ich beweine mein Schikſal nicht.","norm":"Ich beweine mein Schicksal nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":187,"orig":"Ich will ja nur wenig — — — an ihn denken — das koſtet ja nichts.","norm":"Ich will ja nur wenig — — — an ihn denken — das kostet ja nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":188,"orig":"Dis Bischen Leben — duͤrft ich es hinhauchen in ein leiſes ſchmeichelndes Luͤftchen, ſein Geſicht abzukuͤhlen!","norm":"Dies Bisschen Leben — dürft ich es hinhauchen in ein leises schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":189,"orig":"— Dis Bluͤmchen Jugend — waͤr es ein Veilchen, und Er traͤte drauf, und es duͤrfte beſcheiden unter ihm ſterben!","norm":"— Dies Blümchen Jugend — wäre es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte bescheiden unter ihm sterben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":190,"orig":"— Damit genuͤgte mir Vater.","norm":"— Damit genügte mir Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":191,"orig":"Wenn die Muͤke in ihren Stralen ſich ſonnt — kann ſie das ſtrafen, die ſtolze majeſtaͤtiſche Sonne?","norm":"Wenn die Mücke in ihren Strahlen sich sonnt — kann sie das strafen, die stolze majestätische Sonne?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":192,"orig":"Hoͤre Louiſe — Das Bißel Bodenſaz meiner Jahre, ich gaͤb es hin, haͤtteſt du den Major nie geſehen.","norm":"Höre Louise — das Bissel Bodensatz meiner Jahre, ich gäbe es hin, hättest du den Major nie gesehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":193,"orig":"Was ſagt er da?","norm":"Was sagt er da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":194,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":195,"orig":"— Nein!","norm":"— Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":196,"orig":"er meynt es anders der gute Vater.","norm":"er meint es anders der gute Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":197,"orig":"Er wird nicht wiſſen, daß Ferdinand mein iſt, mir geſchaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden Als ich ihn das erſtemal ſah — und mir das Blut in die Wangen ſtieg, froher jagten alle Pulſe, jede Wallung ſprach, jeder Athem liſpelte:","norm":"Er wird nicht wissen, dass Ferdinand mein ist, mir geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden Als ich ihn das erste Mal sah — und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Atem lispelte:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":198,"orig":"Er iſts, und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekraͤftigte, Er iſts, und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuende Welt.","norm":"Er ist es, und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekräftigte, er ist es, und wie das widerklang durch die ganze mitfreuende Welt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":199,"orig":"Damals — o damals gieng in meiner Seele der erſte Morgen auf.","norm":"Damals — o damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":200,"orig":"Tauſend junge Gefuͤhle ſchoßen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenns Fruͤhling wird.","norm":"Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenn es Frühling wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":201,"orig":"Ich ſah keine Welt mehr, und doch beſinn ich mich, daß ſie niemals ſo ſchoͤn war.","norm":"Ich sah keine Welt mehr, und doch besinne ich mich, dass sie niemals so schön war."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":202,"orig":"Ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt' ich ihn nie ſo geliebt.","norm":"Ich wusste von keinem Gott mehr, und doch hatte ich ihn nie so geliebt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":203,"orig":"Louiſe — theures — herrliches Kind — Nimm meinen alten muͤrben Kopf — nimm alles — alles!","norm":"Louise — teures — herrliches Kind — Nimm meinen alten mürben Kopf — nimm alles — alles!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":204,"orig":"— den Maior — Gott iſt mein Zeuge — ich kann dir ihn nimmer geben.","norm":"— den Major — Gott ist mein Zeuge — ich kann dir ihn nimmer geben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":205,"orig":"Auch will ich ihn ja jezt nicht mein Vater.","norm":"Auch will ich ihn ja jetzt nicht mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":206,"orig":"Dieſer karge Thautropfe Zeit — ſchon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wolluͤſtig auf.","norm":"Dieser karge Tautropfe Zeit — schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":207,"orig":"Ich entſag ihm fuͤr dieſes Leben.","norm":"Ich entsage ihm für dieses Leben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":208,"orig":"Dann, Mutter — dann, wenn die Schranken des Unterſchieds einſtuͤrzen — wenn von uns abſpringen all die verhaßte Huͤlſen des Standes — Menſchen nur Menſchen ſind — Ich bringe nichts mit mir, als meine Unſchuld, aber der Vater hat ja ſo oft geſagt, daß der Schmuk und die praͤchtigen Titel wolfeil werden wenn Gott kommt, und die Herzen im Preiſe ſteigen.","norm":"Dann, Mutter — dann, wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen — wenn von uns abspringen all die verhasste Hülsen des Standes — Menschen nur Menschen sind — Ich bringe nichts mit mir, als meine Unschuld, aber der Vater hat ja so oft gesagt, dass der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":209,"orig":"Ich werde dann reich ſeyn.","norm":"Ich werde dann reich sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":210,"orig":"Dort rechnet man Traͤnen fuͤr Triumphe, und ſchoͤne Gedanken fuͤr Ahnen an.","norm":"Dort rechnet man Tränen für Triumphe, und schöne Gedanken für Ahnen an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":211,"orig":"Ich werde dann vornehm ſeyn Mutter — Was haͤtte er dann noch fuͤr ſeinem Maͤdchen voraus?","norm":"Ich werde dann vornehm sein Mutter — was hätte er dann noch für seinem Mädchen voraus?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":212,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":213,"orig":"Der Major!","norm":"Der Major!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":214,"orig":"Er ſpringt uͤber die Planke.","norm":"Er springt über die Planke."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":215,"orig":"Wo verberg ich mich doch?","norm":"Wo verberge ich mich doch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":216,"orig":"Bleib ſie doch Mutter.","norm":"Bleib sie doch Mutter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":217,"orig":"Mein Gott!","norm":"Mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":218,"orig":"Wie ſeh ich aus.","norm":"Wie sehe ich aus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":219,"orig":"Ich muß mich ja ſchaͤmen.","norm":"Ich muss mich ja schämen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":220,"orig":"Ich darf mich nicht vor Seiner Gnaden ſo ſehen laſſen.","norm":"Ich darf mich nicht vor seiner Gnaden so sehen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":221,"orig":"Du biſt blaß Louiſe?","norm":"Du bist blass Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":222,"orig":"Es iſt nichts.","norm":"Es ist nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":223,"orig":"Nichts.","norm":"Nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":224,"orig":"Du biſt ja da.","norm":"Du bist ja da."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":225,"orig":"Es iſt voruͤber.","norm":"Es ist vorüber."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":226,"orig":"Und liebt mich meine Louiſe noch?","norm":"Und liebt mich meine Louise noch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":227,"orig":"Mein Herz iſt das geſtrige, iſts auch das Deine noch?","norm":"Mein Herz ist das gestrige, ist es auch das Deine noch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":228,"orig":"Ich fliege nur her, will ſehn ob du heiter biſt, und gehn und es auch ſeyn — Du biſts nicht.","norm":"Ich fliege nur her, will sehen ob du heiter bist, und gehen und es auch sein — Du bist es nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":229,"orig":"Doch, doch, mein Geliebter.","norm":"Doch, doch, mein Geliebter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":230,"orig":"Rede mir Wahrheit.","norm":"Rede mir Wahrheit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":231,"orig":"Du biſts nicht.","norm":"Du bist es nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":232,"orig":"Ich ſchaue durch deine Seele, wie durch das klare Waſſer dieſes Brillanten,","norm":"Ich schaue durch deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Brillanten,"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":233,"orig":"Hier wirft ſich kein Blaͤschen auf, das ich nicht merkte — kein Gedanke tritt in dis Angeſicht, der mir entwiſchte.","norm":"Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht merkte — kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":234,"orig":"Was haſt du?","norm":"Was hast du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":235,"orig":"Geſchwind!","norm":"Geschwind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":236,"orig":"Weis ich nur dieſen Spiegel helle, ſo laͤuft keine Wolke uͤber die Welt.","norm":"Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":237,"orig":"Was bekuͤmmert dich?","norm":"Was bekümmert dich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":238,"orig":"Ferdinand!","norm":"Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":239,"orig":"Ferdinand!","norm":"Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":240,"orig":"Daß du doch wuͤßteſt, wie ſchoͤn in dieſer Sprache das buͤrgerliche Maͤdchen ſich ausnimmt —","norm":"Dass du doch wüsstest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":241,"orig":"Was iſt das?","norm":"Was ist das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":242,"orig":"Maͤdchen!","norm":"Mädchen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":243,"orig":"Hoͤre!","norm":"Höre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":244,"orig":"Wie kommſt du auf das?","norm":"Wie kommst du auf das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":245,"orig":"— Du biſt meine Louiſe.","norm":"— Du bist meine Louise."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":246,"orig":"Wer ſagt dir, daß du noch etwas ſeyn ſolteſt.","norm":"Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":247,"orig":"Siehſt du Falſche, auf welchem Kaltſinn ich dir begegnen muß.","norm":"Siehst du falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":248,"orig":"Waͤreſt du ganz nur Liebe fuͤr mich, wann haͤtteſt du Zeit gehabt eine Vergleichung zu machen.","norm":"Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt eine Vergleichung zu machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":249,"orig":"Wenn ich bei dir bin, zerſchmilzt meine Vernunft in einen Blik — in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und Du haſt noch eine Klugheit neben deiner Liebe?","norm":"Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick — in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und Du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":250,"orig":"— Schaͤme dich!","norm":"— Schäme dich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":251,"orig":"Jeder Augenblik, den du an dieſen Kummer verlorſt, war deinem Juͤngling geſtolen.","norm":"Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jüngling gestohlen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":252,"orig":"Du wilſt mich einſchlaͤfern Ferdinand — wilſt meine Augen von dieſem Abgrund hinwegloken, in den ich ganz gewiß ſtuͤrzen muß.","norm":"Du willst mich einschläfern Ferdinand — willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiss stürzen muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":253,"orig":"Ich ſeh in die Zukunft — die Stimme des Ruhms — deine Entwuͤrfe — dein Vater — mein Nichts Ferdinand!","norm":"Ich sehe in die Zukunft — die Stimme des Ruhms — deine Entwürfe — dein Vater — mein Nichts Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":254,"orig":"ein Dolch uͤber dir und mir!","norm":"ein Dolch über dir und mir!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":255,"orig":"— Man trennt uns!","norm":"— Man trennt uns!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":256,"orig":"Trennt uns!","norm":"Trennt uns!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":257,"orig":"Woher bringſt du dieſe Ahndung Louiſe?","norm":"Woher bringst du diese Ahndung Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":258,"orig":"Trennt uns?","norm":"Trennt uns?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":259,"orig":"— Wer kann den Bund zwoer Herzen loͤſen, oder die Toͤne eines Accords auseinander reiſſen?","norm":"— Wer kann den Bund zweier Herzen lösen, oder die Töne eines Akkords auseinanderreissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":260,"orig":"— Ich bin ein Edelmann — Laß doch ſehen, ob mein Adelbrief aͤlter iſt, als der Riß zum unendlichen Weltall?","norm":"— Ich bin ein Edelmann — Lass doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist, als der Riss zum unendlichen Weltall?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":261,"orig":"oder mein Wappen guͤltiger als die Handſchrift des Himmels in Louiſens Augen:","norm":"oder mein Wappen gültiger als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":262,"orig":"Dieſes Weib iſt fuͤr dieſen Mann?","norm":"Dieses Weib ist für diesen Mann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":263,"orig":"— Ich bin des Praͤſidenten Sohn.","norm":"— Ich bin des Präsidenten Sohn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":264,"orig":"Eben darum.","norm":"Eben darum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":265,"orig":"Wer, als die Liebe, kann mir die Fluͤche verſuͤßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?","norm":"Wer, als die Liebe, kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":266,"orig":"O wie ſehr fuͤrcht ich ihn — Dieſen Vater!","norm":"O wie sehr fürchte ich ihn — diesen Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":267,"orig":"Ich fuͤrchte nichts — nichts — als die Graͤnzen deiner Liebe.","norm":"Ich fürchte nichts — nichts — als die Grenzen deiner Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":268,"orig":"Laß auch Hinderniſſe wie Gebuͤrge zwiſchen uns treten, ich will ſie fuͤr Treppen nehmen und druͤber hin in Louiſens Arme fliegen.","norm":"Lass auch Hindernisse wie Gebürge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":269,"orig":"Die Stuͤrme des widrigen Schikſals ſollen meine Empfindung emporblaſen, Gefahren werden meine Louiſe nur reizender machen.","norm":"Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Louise nur reizender machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":270,"orig":"— Alſo nichts mehr von Furcht meine Liebe.","norm":"— Also nichts mehr von Furcht meine Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":271,"orig":"Ich ſelbſt — ich will uͤber dir wachen wie der Zauberdrach uͤber unterirrdiſchem Golde — Mir vertraue dich.","norm":"Ich selbst — ich will über dir wachen wie der Zauberdrache über unterirdischem Golde — mir vertraue dich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":272,"orig":"Du brauchſt keinen Engel mehr — Ich will mich zwiſchen dich und das Schikſal werfen — empfangen fuͤr dich jede Wunde — auffaſſen fuͤr dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude — dir ihn bringen in der Schaale der Liebe.","norm":"Du brauchst keinen Engel mehr — Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen — empfangen für dich jede Wunde — auffassen für dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude — dir ihn bringen in der Schale der Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":273,"orig":"An dieſem Arm ſoll meine Louiſe durchs Leben huͤpfen, ſchoͤner als er dich von ſich lies ſoll der Himmel dich wieder haben, und mit Verwunderung eingeſtehn, daß nur die Liebe die lezte Hand an die Seelen legte —","norm":"An diesem Arm soll meine Louise durchs Leben hüpfen, schöner als er dich von sich lies soll der Himmel dich wieder haben, und mit Verwunderung eingestehen, dass nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":274,"orig":"Nichts mehr!","norm":"Nichts mehr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":275,"orig":"Ich bitte dich, ſchweig!","norm":"Ich bitte dich, schweige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":276,"orig":"— Wuͤßteſt du — Laß mich — du weiſt nicht, daß deine Hoffnungen mein Herz, wie Furien, anfallen.","norm":"— Wüsstest du — Lass mich — du weißt nicht, dass deine Hoffnungen mein Herz, wie Furien, anfallen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":277,"orig":"Louiſe?","norm":"Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":278,"orig":"Wie!","norm":"Wie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":279,"orig":"Was!","norm":"Was!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":280,"orig":"Welche Anwandlung?","norm":"Welche Anwandlung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":281,"orig":"Ich hatte dieſe Traͤume vergeſſen und war gluͤklich — Jezt!","norm":"Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich — jetzt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":282,"orig":"Jezt!","norm":"Jetzt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":283,"orig":"Von heut an — der Friede meines Lebens iſt aus — Wilde Wuͤnſche — ich weis es — werden in meinem Buſen raſen.","norm":"Von heute an — der Friede meines Lebens ist aus — Wilde Wünsche — ich weiß es — werden in meinem Busen rasen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":284,"orig":"— Geh — Gott vergebe dirs — Du haſt den Feuerbrand in mein junges friedſames Herz geworfen, und er wird nimmer nimmer geloͤſcht werden.","norm":"— Gehe — Gott vergebe dir es — Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer nimmer gelöscht werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":285,"orig":"Ein ernſthaftes Attachement!","norm":"Ein ernsthaftes Attachement!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":286,"orig":"Mein Sohn?","norm":"Mein Sohn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":287,"orig":"— Nein Wurm, das macht er mich nimmermehr glauben.","norm":"— Nein Wurm, das macht er mich nimmermehr glauben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":288,"orig":"Ihro Exzellenz haben die Gnade mir den Beweis zu befehlen.","norm":"Ihre Exzellenz haben die Gnade mir den Beweis zu befehlen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":289,"orig":"Daß er der Buͤrgerkanaille den Hof macht — Flatterien ſagt — auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert — Das ſind lauter Sachen, die ich moͤglich finde — verzeilich finde — aber — und noch gar die Tochter eines Muſikus ſagt er?","norm":"Dass er der Bürgerkanaille den Hof macht — Flatterien sagt — auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert — das sind lauter Sachen, die ich möglich finde — verzeihlich finde — aber — und noch gar die Tochter eines Musikus sagt er?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":290,"orig":"Muſikmeiſter Millers Tochter.","norm":"Musikmeister Millers Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":291,"orig":"Huͤbſch?","norm":"Hübsch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":292,"orig":"— Zwar das verſteht ſich.","norm":"— Zwar das versteht sich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":293,"orig":"Das ſchoͤnſte Exemplar einer Blondine, die, nicht zu viel geſagt, neben den erſten Schoͤnheiten des Hofes noch Figur machen wuͤrde.","norm":"Das schönste Exemplar einer Blondine, die, nicht zu viel gesagt, neben den ersten Schönheiten des Hofes noch Figur machen würde."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":294,"orig":"Er ſagt mir Wurm — er habe ein Aug auf das Ding — das find ich.","norm":"Er sagt mir Wurm — er habe ein Auge auf das Ding — das finde ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":295,"orig":"Aber ſieht er mein lieber Wurm — daß mein Sohn Gefuͤhl fuͤr das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, daß ihn die Damen nicht haſſen werden.","norm":"Aber sieht er mein lieber Wurm — dass mein Sohn Gefühl für das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, dass ihn die Damen nicht hassen werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":296,"orig":"Er kann bei Hof etwas durchſezen.","norm":"Er kann bei Hof etwas durchsetzen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":297,"orig":"Das Maͤdchen iſt ſchoͤn, ſagt er, das gefaͤllt mir an meinem Sohn, daß er Geſchmak hat.","norm":"Das Mädchen ist schön, sagt er, das gefällt mir an meinem Sohn, dass er Geschmack hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":298,"orig":"Spiegelt er der Naͤrrin ſolide Abſichten vor?","norm":"Spiegelt er der Närrin solide Absichten vor?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":299,"orig":"Noch beſſer — ſo ſeh ich, daß er Wiz genug hat, in ſeinen Beutel zu luͤgen.","norm":"Noch besser — so sehe ich, dass er Witz genug hat, in seinen Beutel zu lügen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":300,"orig":"Er kann Praͤſident werden.","norm":"Er kann Präsident werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":301,"orig":"Sezt er es noch dazu durch?","norm":"Setzt er es noch dazu durch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":302,"orig":"Herrlich!","norm":"Herrlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":303,"orig":"das zeigt mir an, daß er Gluͤk hat.","norm":"das zeigt mir an, dass er Glück hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":304,"orig":"— Schließt ſich die Farçe mit einem geſunden Enkel — Unvergleichlich!","norm":"— Schließt sich die Farce mit einem gesunden Enkel — Unvergleichlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":305,"orig":"ſo trink ich auf die guten Aſpekten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr, und bezale die Skortazionsſtrafe fuͤr ſeine Dirne.","norm":"so trinke ich auf die guten Aspekten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr, und bezahle die Skortationsstrafe für seine Dirne."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":306,"orig":"Alles was ich wuͤnſche, Ihr' Exzellenz, iſt, daß Sie nicht noͤtig haben moͤchten dieſe Bouteille zu Ihrer Zerſtreuung zu trinken.","norm":"Alles was ich wünsche, Ihre Exzellenz, ist, dass Sie nicht nötig haben möchten diese Bouteille zu Ihrer Zerstreuung zu trinken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":307,"orig":"Wurm, beſinn Er ſich, daß ich, wenn ich einmal glaube, hartnaͤkig glaube, raſe, wenn ich zuͤrne — Ich will einen Spaß daraus machen, daß er mich aufhezen wolte.","norm":"Wurm, besinne er sich, dass ich, wenn ich einmal glaube, hartnäckig glaube, rase, wenn ich zürne — Ich will einen Spaß daraus machen, dass er mich aufhetzen wollte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":308,"orig":"Daß er ſich ſeinen Nebenbuler gern vom Hals geſchaft haͤtte, glaub ich Ihm herzlich gern.","norm":"Dass er sich seinen Nebenbuhler gern vom Hals geschafft hätte, glaube ich ihm herzlich gern."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":309,"orig":"Da er meinen Sohn bei dem Maͤdchen auszuſtechen Muͤhe haben moͤchte, ſoll ihm der Vater zur Fliegenklatſche dienen, das find ich wieder begreiflich — und daß er einen ſo herrlichen Anſaz zum Schelmen hat, entzuͤkt mich ſogar — Nur mein lieber Wurm, muß er mich nicht mit prellen wollen.","norm":"Da er meinen Sohn bei dem Mädchen auszustechen Mühe haben möchte, soll ihm der Vater zur Fliegenklatsche dienen, das finde ich wieder begreiflich — und dass er einen so herrlichen Ansatz zum Schelmen hat, entzückt mich sogar — nur mein lieber Wurm, muss er mich nicht mitprellen wollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":310,"orig":"— Nur verſteht er mich, muß er den Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundſaͤze treiben.","norm":"— Nur versteht er mich, muss er den Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundsätze treiben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":311,"orig":"Ihro Exzellenz verzeihen.","norm":"Ihre Exzellenz verzeihen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":312,"orig":"Wenn auch wirklich — wie Sie argwohnen — die Eiferſucht hier im Spiel ſeyn ſolte, ſo waͤre ſie es wenigſtens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.","norm":"Wenn auch wirklich — wie Sie argwöhnen — die Eifersucht hier im Spiel sein sollte, so wäre sie es wenigstens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":313,"orig":"Und ich daͤchte, ſie bliebe ganz weg.","norm":"Und ich dächte, sie bliebe ganz weg."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":314,"orig":"Dummer Teufel, was verſchlaͤgt es denn ihm, ob er die Karolin friſch aus der Muͤnze, oder vom Banquier bekommt.","norm":"Dummer Teufel, was verschlägt es denn ihm, ob er die Karolin frisch aus der Münze, oder vom Bankier bekommt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":315,"orig":"Troͤſt er ſich mit dem hieſigen Adel; — Wiſſentlich oder nicht — bei uns wird ſelten eine Mariage geſchloſſen, wo nicht wenigſtens ein halb Duzend der Gaͤſte — oder der Aufwaͤrter — das Paradies des Braͤutigams geometriſch ermeſſen kann.","norm":"Tröste er sich mit dem hiesigen Adel; — wissentlich oder nicht — bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht wenigstens ein halb Dutzend der Gäste — oder der Aufwärter — das Paradies des Bräutigams geometrisch ermessen kann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":316,"orig":"Ich mache hier gern den Buͤrgersmann, gnaͤdiger Herr.","norm":"Ich mache hier gern den Bürgersmann, gnädiger Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":317,"orig":"Ueberdis kann er mit naͤchſtem die Freude haben, ſeinem Nebenbuler den Spott auf die ſchoͤnſte Art heimzugeben.","norm":"Überdies kann er mit nächstem die Freude haben, seinem Nebenbuhler den Spott auf die schönste Art heimzugeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":318,"orig":"Eben jezt liegt der Anſchlag im Kabinet, daß, auf die Ankunft der neuen Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abſchied erhalten, und, den Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen ſoll.","norm":"Eben jetzt liegt der Anschlag im Kabinett, dass, auf die Ankunft der neuen Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abschied erhalten, und, den Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen soll."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":319,"orig":"Er weiß Wurm, wie ſehr ſich mein Anſehen auf den Einfluß der Lady ſtuͤzt — wie uͤberhaupt meine maͤchtigſten Springfedern in die Wallungen des Fuͤrſten hineinſpielen.","norm":"Er weiß Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluss der Lady stützt — wie überhaupt meine mächtigsten Springfedern in die Wallungen des Fürsten hineinspielen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":320,"orig":"Der Herzog ſucht eine Parthie fuͤr die Milford.","norm":"Der Herzog sucht eine Partie für die Milford."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":321,"orig":"Ein anderer kann ſich melden — den Kauf ſchließen, mit der Dame das Vertrauen des Fuͤrſten anreiſſen, ſich ihm unentbehrlich machen — damit nun der Fuͤrſt im Nez meiner Familie bleibe, ſoll mein Ferdinand die Milford heuraten — — Iſt Ihm das helle?","norm":"Ein anderer kann sich melden — den Kauf schließen, mit der Dame das Vertrauen des Fürsten anreißen, sich ihm unentbehrlich machen — damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heiraten — — ist ihm das helle?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":322,"orig":"Daß mich die Augen beiſſen — — Wenigſtens bewies der Praͤſident hier, daß der Vater nur ein Anfaͤnger gegen ihn iſt.","norm":"Dass mich die Augen beißen — — wenigstens bewies der Präsident hier, dass der Vater nur ein Anfänger gegen ihn ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":323,"orig":"Wenn der Major Ihnen eben ſo den gehorſamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zaͤrtlichen Vater, ſo doͤrfte Ihre Anfoderung mit Proteſt zuruͤkkommen.","norm":"Wenn der Major Ihnen ebenso den gehorsamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zärtlichen Vater, so dürfte Ihre Anforderung mit Protest zurückkommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":324,"orig":"Zum Gluͤk war mir noch nie fuͤr die Ausfuͤhrung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit einem:","norm":"Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit einem:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":325,"orig":"Es ſoll ſo ſeyn, einſtellen konnte.","norm":"Es soll so sein, einstellen konnte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":326,"orig":"— Aber ſeh er nun Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen Punkt geleitet.","norm":"— Aber sehe er nun Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen Punkt geleitet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":327,"orig":"Ich kuͤndige meinem Sohn noch dieſen Vormittag ſeine Vermaͤlung an.","norm":"Ich kündige meinem Sohn noch diesen Vormittag seine Vermählung an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":328,"orig":"Das Geſicht, das er mir zeigen wird, ſoll ſeinen Argwohn entweder rechtfertigen, oder ganz widerlegen.","norm":"Das Gesicht, das er mir zeigen wird, soll seinen Argwohn entweder rechtfertigen, oder ganz widerlegen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":329,"orig":"Gnaͤdiger Herr, ich bitte ſehr um Vergebung.","norm":"Gnädiger Herr, ich bitte sehr um Vergebung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":330,"orig":"Das finſtre Geſicht, das er Ihnen ganz zuverlaͤßig zeigt, laͤßt ſich eben ſo gut auf die Rechnung der Braut ſchreiben, die Sie ihm zufuͤhren, als derjenigen, die Sie ihm nehmen.","norm":"Das finstre Gesicht, das er Ihnen ganz zuverlässig zeigt, lässt sich ebenso gut auf die Rechnung der Braut schreiben, die Sie ihm zuführen, als derjenigen, die Sie ihm nehmen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":331,"orig":"Ich erſuche Sie um eine ſchaͤrfere Probe.","norm":"Ich ersuche Sie um eine schärfere Probe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":332,"orig":"Waͤhlen Sie ihm die untadelichſte Parthie im Land, und ſagt er ja, ſo laſſen Sie den Sekretair Wurm drei Jahre Kugeln ſchleifen.","norm":"Wählen Sie ihm die untadeligste Partie im Land, und sagt er ja, so lassen Sie den Sekretär Wurm drei Jahre Kugeln schleifen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":333,"orig":"Teufel!","norm":"Teufel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":334,"orig":"Es iſt nicht anders.","norm":"Es ist nicht anders."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":335,"orig":"Die Mutter — die Dummheit ſelbſt — hat mir in der Einfalt zuviel geplaudert.","norm":"Die Mutter — die Dummheit selbst — hat mir in der Einfalt zu viel geplaudert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":336,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":337,"orig":"Dieſen Morgen noch.","norm":"Diesen Morgen noch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":338,"orig":"Nur vergeſſen Ewr Exzellenz nicht, daß der Major — der Sohn meines Herrn iſt.","norm":"Nur vergessen Euer Exzellenz nicht, dass der Major — der Sohn meines Herrn ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":339,"orig":"Er ſoll geſchont werden, Wurm.","norm":"Er soll geschont werden, Wurm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":340,"orig":"Und daß der Dienſt, Ihnen von einer unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen —","norm":"Und dass der Dienst, Ihnen von einer unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":341,"orig":"Den Gegendienſt werth iſt, Ihm zu einer Frau zu helfen?","norm":"Den Gegendienst wert ist, ihm zu einer Frau zu helfen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":342,"orig":"— Auch das Wurm.","norm":"— Auch das Wurm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":343,"orig":"Ewig der Ihrige, gnaͤdiger Herr.","norm":"Ewig der Ihrige, gnädiger Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":344,"orig":"Was ich Ihm vorhin vertraut habe Wurm Wenn er plaudert —","norm":"Was ich ihm vorhin vertraut habe Wurm wenn er plaudert —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":345,"orig":"So zeigen Ihr Exzellenz meine falſchen Handſchriften auf.","norm":"So zeigen Ihre Exzellenz meine falschen Handschriften auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":346,"orig":"Zwar Du biſt mir gewis.","norm":"Zwar Du bist mir gewiss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":347,"orig":"Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schroͤter am Faden.","norm":"Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schröter am Faden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":348,"orig":"Hofmarſchall von Kalb —","norm":"Hofmarschall von Kalb —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":349,"orig":"Kommt, wie gerufen.","norm":"Kommt, wie gerufen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":350,"orig":"— Er ſoll mir angenehm ſeyn","norm":"— Er soll mir angenehm sein"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":351,"orig":"Ah guten Morgen mein Beſter!","norm":"Ah guten Morgen mein Bester!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":352,"orig":"Wie geruht?","norm":"Wie geruht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":353,"orig":"Wie geſchlafen?","norm":"Wie geschlafen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":354,"orig":"— Sie verzeihen doch, daß ich ſo ſpaͤt das Vergnuͤgen habe — dringende Geſchaͤfte — der Kuͤchenzettel — Viſitenbillets — das Arrangement der Parthien auf die heutige Schlittenfarth — Ah — und denn mußt ich ja auch bey dem Lever zugegen ſeyn, und Seiner Durchleucht das Wetter verkuͤndigen.","norm":"— Sie verzeihen doch, dass ich so spät das Vergnügen habe — dringende Geschäfte — der Küchenzettel — Visitenbilletts — das Arrangement der Partien auf die heutige Schlittenfahrt — ah — und denn musst ich ja auch bei dem Lever zugegen sein, und seiner Durchlaucht das Wetter verkündigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":355,"orig":"Ja Marſchall.","norm":"Ja Marschall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":356,"orig":"Da haben Sie freilich nicht abkommen koͤnnen.","norm":"Da haben Sie freilich nicht abkommen können."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":357,"orig":"Oben drein hat mich ein Schelm von Schneider noch ſizen laſſen.","norm":"Obendrein hat mich ein Schelm von Schneider noch sitzen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":358,"orig":"Und doch fix und fertig?","norm":"Und doch fix und fertig?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":359,"orig":"Das iſt noch nicht alles.","norm":"Das ist noch nicht alles."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":360,"orig":"— Ein Malheur jagt heut das andere.","norm":"— Ein Malheur jagt heute das andere."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":361,"orig":"Hoͤren Sie nur.","norm":"Hören Sie nur."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":362,"orig":"Iſt das moͤglich?","norm":"Ist das möglich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":363,"orig":"Hoͤren Sie nur.","norm":"Hören Sie nur."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":364,"orig":"Ich ſteige kaum aus dem Wagen, ſo werden die Hengſte ſcheu, ſtampfen und ſchlagen aus, daß mir — ich bitte Sie!","norm":"Ich steige kaum aus dem Wagen, so werden die Hengste scheu, stampfen und schlagen aus, dass mir — ich bitte Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":365,"orig":"— der Gaſſenkoth uͤber und uͤber an die Beinkleider ſpruͤzt.","norm":"— der Gassenkot über und über an die Beinkleider spritzt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":366,"orig":"Was anzufangen?","norm":"Was anzufangen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":367,"orig":"Sezen Sie Sich um Gotteswillen in meine Lage Baron.","norm":"Setzen Sie sich um Gottes willen in meine Lage Baron."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":368,"orig":"Da ſtand ich.","norm":"Da stand ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":369,"orig":"Spaͤt war es.","norm":"Spät war es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":370,"orig":"Eine Tagreiſe iſt es — und in dem Aufzug vor Seine Durchleucht!","norm":"Eine Tagreise ist es — und in dem Aufzug vor Seine Durchlaucht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":371,"orig":"Gott der Gerechte!","norm":"Gott der Gerechte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":372,"orig":"— Was faͤllt mir bei?","norm":"— Was fällt mir bei?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":373,"orig":"Ich fingiere eine Ohnmacht.","norm":"Ich fingiere eine Ohnmacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":374,"orig":"Man bringt mich uͤber Hals und Kopf in die Kutſche.","norm":"Man bringt mich über Hals und Kopf in die Kutsche."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":375,"orig":"Ich in voller Karriere nach Haus — wechsle die Kleider — fahre zuruͤk — Was ſagen Sie?","norm":"Ich in voller Karriere nach Haus — wechsle die Kleider — fahre zurück — was sagen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":376,"orig":"— und bin noch der erſte in der Antiſchamber — Was denken Sie?","norm":"— und bin noch der erste in der Antichambre — was denken Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":377,"orig":"Ein herrliches Inpromtu des menſchlichen Wizes — Doch das beiſeite Kalb — Sie ſprachen alſo ſchon mit dem Herzog?","norm":"Ein herrliches Impromptu des menschlichen Witzes — doch das beiseite Kalb — Sie sprachen also schon mit dem Herzog?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":378,"orig":"Zwanzig Minuten und eine halbe.","norm":"Zwanzig Minuten und eine halbe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":379,"orig":"Das geſteh ich!","norm":"Das gestehe ich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":380,"orig":"— und wiſſen mir alſo ohne Zweifel eine wichtige Neuigkeit?","norm":"— und wissen mir also ohne Zweifel eine wichtige Neuigkeit?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":381,"orig":"Seine Durchleucht haben heute einen Merde d'Oye Biber an.","norm":"Seine Durchlaucht haben heute einen Merde d'Oye Biber an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":382,"orig":"Man denke — Nein Marſchall, ſo hab ich doch eine beſſere Zeitung fuͤr Sie — daß Lady Milford Majorin von Walter wird, iſt Ihnen gewiß etwas neues?","norm":"Man denke — Nein Marschall, so habe ich doch eine bessere Zeitung für Sie — dass Lady Milford Majorin von Walter wird, ist Ihnen gewiss etwas Neues?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":383,"orig":"Denken Sie!","norm":"Denken Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":384,"orig":"— Und das iſt ſchon richtig gemacht?","norm":"— Und das ist schon richtig gemacht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":385,"orig":"Unterſchrieben, Marſchall — und Sie verbinden mich, wenn Sie ohne Aufſchub dahin gehen, die Lady auf ſeinen Beſuch praͤparieren, und den Entſchluß meines Ferdinands in der ganzen Reſidenz bekannt machen.","norm":"Unterschrieben, Marschall — und Sie verbinden mich, wenn Sie ohne Aufschub dahin gehen, die Lady auf seinen Besuche präparieren, und den Entschluss meines Ferdinands in der ganzen Residenz bekanntmachen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":386,"orig":"O mit tauſend Freuden mein Beſter — Was kann mir erwuͤnſchter kommen?","norm":"O mit tausend Freuden mein Bester — was kann mir erwünschter kommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":387,"orig":"— Ich fliege ſogleich — Leben Sie wol — In Dreiviertelſtunden weiß es die ganze Stadt.","norm":"— Ich fliege sogleich — Leben Sie wohl — in Dreiviertelstunden weiß es die ganze Stadt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":388,"orig":"Man ſage noch, daß dieſe Geſchoͤpfe in der Welt zu nichts taugen — — Nun muß ja mein Ferdinand wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen.","norm":"Man sage noch, dass diese Geschöpfe in der Welt zu nichts taugen — — nun muss ja mein Ferdinand wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":389,"orig":"Mein Sohn ſoll hereinkommen.","norm":"Mein Sohn soll hereinkommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":390,"orig":"Sie haben befolen, gnaͤdiger Herr Vater —","norm":"Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":391,"orig":"Leider muß ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden will — Laß er uns allein, Wurm.","norm":"Leider muss ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden will — Lass er uns allein, Wurm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":392,"orig":"— Ferdinand, ich beobachte dich ſchon eine Zeit lang, und finde die offene raſche Jugend nicht mehr, die mich ſonſt ſo entzuͤkt hat.","norm":"— Ferdinand, ich beobachte dich schon eine Zeit lang, und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich sonst so entzückt hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":393,"orig":"Ein ſeltſamer Gram bruͤtet auf deinem Geſicht — Du fliehſt mich — Du fliehſt deine Zirkel — Pfuy!","norm":"Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht — Du fliehst mich — Du fliehst deine Zirkel — Pfui!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":394,"orig":"— Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausſchweifungen vor einer einzigen Grille.","norm":"— Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":395,"orig":"Ueberlaß dieſe mir, lieber Sohn.","norm":"Überlaße diese mir, lieber Sohn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":396,"orig":"Mich laß an deinem Gluͤk arbeiten, und denke auf nichts, als in meine Entwuͤrfe zu ſpielen.","norm":"Mich lass an deinem Glück arbeiten, und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":397,"orig":"— Komm!","norm":"— Komme!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":398,"orig":"Umarme mich Ferdinand.","norm":"Umarme mich Ferdinand."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":399,"orig":"Sie ſind heute ſehr gnaͤdig mein Vater.","norm":"Sie sind heute sehr gnädig mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":400,"orig":"Heute du Schalk — und dieſes heute noch mit der herben Grimaſſe?","norm":"Heute du Schalk — und dieses Heute noch mit der herben Grimasse?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":401,"orig":"Ferdinand!","norm":"Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":402,"orig":"— Wem zu lieb hab ich die gefaͤrliche Bahn zum Herzen des Fuͤrſten betreten?","norm":"— Wem zulieb habe ich die gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":403,"orig":"Wem zu lieb bin ich auf ewig mit meinem Gewiſſen und dem Himmel zerfallen?","norm":"Wem zulieb bin ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":404,"orig":"— Hoͤre Ferdinand — — Wem hab ich durch die Hinwegraͤumung meines Vorgaͤngers Plaz gemacht — eine Geſchichte, die deſto blutiger in mein Inwendiges ſchneidet, je ſorgfaͤltiger ich das Meſſer der Welt verberge.","norm":"— Höre Ferdinand — — wem habe ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht — eine Geschichte, die desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das Messer der Welt verberge."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":405,"orig":"Hoͤre.","norm":"Höre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":406,"orig":"Sage mir Ferdinand:","norm":"Sage mir Ferdinand:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":407,"orig":"Wem that ich dis alles?","norm":"Wem tat ich dies alles?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":408,"orig":"Doch mir nicht mein Vater?","norm":"Doch mir nicht mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":409,"orig":"Doch auf mich ſoll der blutige Wiederſchein dieſes Frevels nicht fallen?","norm":"Doch auf mich soll der blutige Wiederschein dieses Frevels nicht fallen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":410,"orig":"Beim allmaͤchtigen Gott!","norm":"Beim allmächtigen Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":411,"orig":"Es iſt beſſer, gar nicht geboren ſeyn, als dieſer Mißethat zur Ausrede dienen.","norm":"Es ist besser, gar nicht geboren sein, als dieser Missetat zur Ausrede dienen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":412,"orig":"Was war das?","norm":"Was war das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":413,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":414,"orig":"Doch!","norm":"Doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":415,"orig":"ich will es dem Romanenkopfe zu gut halten — Ferdinand — ich will mich nicht erhizen vorlauter Knabe — Lohnſt du mir alſo fuͤr meine ſchlafloſen Naͤchte?","norm":"ich will es dem Romanenkopfe zugut halten — Ferdinand — ich will mich nicht erhitzen vorlauter Knabe — lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":416,"orig":"Alſo fuͤr meine raſtloſe Sorge?","norm":"Also für meine rastlose Sorge?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":417,"orig":"Alſo fuͤr den ewigen Skorpion meines Gewiſſens?","norm":"Also für den ewigen Skorpion meines Gewissens?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":418,"orig":"— Auf mich faͤllt die Laſt der Verantwortung — auf mich der Fluch, der Donner des Richters — Du empfaͤngſt dein Gluͤk von der zweiten Hand — das Verbrechen klebt nicht am Erbe.","norm":"— Auf mich fällt die Last der Verantwortung — auf mich der Fluch, der Donner des Richters — Du empfängst dein Glück von der zweiten Hand — das Verbrechen klebt nicht am Erbe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":419,"orig":"Feierlich entſag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abſcheulichen Vater erinnert.","norm":"Feierlich entsage ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":420,"orig":"Hoͤre junger Menſch, bringe mich nicht auf.","norm":"Höre junger Mensch, bringe mich nicht auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":421,"orig":"— Wenn es nach deinem Kopfe gienge, Du kroͤcheſt dein Lebenlang im Staube.","norm":"— Wenn es nach deinem Kopfe ginge, Du kröchest dein Leben lang im Staube."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":422,"orig":"O, immer noch beſſer, Vater, als ich kroͤch um den Tron herum.","norm":"O, immer noch besser, Vater, als ich kröche um den Thron herum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":423,"orig":"Hum!","norm":"Hum!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":424,"orig":"— Zwingen muß man dich, dein Gluͤk zu erkennen.","norm":"— Zwingen muss man dich, dein Glück zu erkennen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":425,"orig":"Wo zehn andre mit aller Anſtrengung nicht hinaufklimmen, wirſt du ſpielend, im Schlafe gehoben.","norm":"Wo zehn andere mit aller Anstrengung nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":426,"orig":"Du biſt im zwoͤlften Jahre Faͤhndrich.","norm":"Du bist im zwölften Jahre Fähndrich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":427,"orig":"Im zwanzigſten Major.","norm":"Im zwanzigsten Major."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":428,"orig":"Ich hab es durchgeſezt beim Fuͤrſten.","norm":"Ich habe es durchgesetzt beim Fürsten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":429,"orig":"Du wirſt die Uniform ausziehen, und in das Miniſterium eintreten.","norm":"Du wirst die Uniform ausziehen, und in das Ministerium eintreten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":430,"orig":"Der Fuͤrſt ſprach vom Geheimenrath — Geſandſchaften — außerordentlichen Gnaden.","norm":"Der Fürst sprach vom Geheimenrat — Gesandtschaften — außerordentlichen Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":431,"orig":"Eine herrliche Ausſicht dehnt ſich vor dir.","norm":"Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":432,"orig":"— Die ebene Straſſe zunaͤchſt nach dem Trone — zum Trone ſelbſt, wenn anders die Gewalt ſo viel werth iſt, als ihre Zeichen — das begeiſtert dich nicht?","norm":"— Die ebene Straße zunächst nach dem Throne — zum Throne selbst, wenn anders die Gewalt soviel wert ist, als ihre Zeichen — das begeistert dich nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":433,"orig":"Weil meine Begriffe von Groͤße und Gluͤk nicht ganz die Ihrigen ſind — Ihre Gluͤkſeligkeit macht ſich nur ſelten anders als durch Verderben bekannt.","norm":"Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die Ihrigen sind — Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten anders als durch Verderben bekannt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":434,"orig":"Neid, Furcht, Verwuͤnſchung ſind die traurigen Spiegel, worinn ſich die Hoheit eines Herrſchers belaͤchelt.","norm":"Neid, Furcht, Verwünschung sind die traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":435,"orig":"— Traͤnen, Fluͤche, Verzweiflung die entſezliche Malzeit, woran dieſe geprieſenen Gluͤklichen ſchwelgen, von der ſie betrunken aufſtehen, und ſo in die Ewigkeit vor den Tron Gottes taumeln — Mein Ideal von Gluͤk zieht ſich genuͤgſamer in mich ſelbſt zuruͤk.","norm":"— Tränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken aufstehen, und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln — Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":436,"orig":"In meinem Herzen liegen alle meine Wuͤnſche begraben.","norm":"In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":437,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":438,"orig":"Meiſterhaft!","norm":"Meisterhaft!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":439,"orig":"Unverbeßerlich!","norm":"Unverbesserlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":440,"orig":"Herrlich!","norm":"Herrlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":441,"orig":"Nach dreißig Jahren die erſte Vorleſung wieder!","norm":"Nach dreißig Jahren die erste Vorlesung wieder!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":442,"orig":"— Schade nur, daß mein fuͤnfzigjaͤhriger Kopf zu zaͤh fuͤr das Lernen iſt!","norm":"— Schade nur, dass mein fünfzigjähriger Kopf zu zäh für das Lernen ist!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":443,"orig":"— Doch — diß ſeltne Talent nicht einroſten zu laſſen, will ich dir jemand an die Seite geben, bey dem du dich in dieſer buntſchekigen Tollheit nach Wunſch exerzieren kannſt.","norm":"— Doch — das seltene Talent nicht einrosten zu lassen, will ich dir jemand an die Seite geben, bei dem du dich in dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exerzieren kannst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":444,"orig":"— Du wirſt dich entſchließen — noch heute entſchließen — eine Frau zu nehmen.","norm":"— Du wirst dich entschließen — noch heute entschließen — eine Frau zu nehmen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":445,"orig":"Mein Vater?","norm":"Mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":446,"orig":"Ohne Komplimente — Ich habe der Lady Milford in deinem Namen eine Charte geſchikt.","norm":"Ohne Komplimente — Ich habe der Lady Milford in deinem Namen eine Karte geschickt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":447,"orig":"Du wirſt dich ohne Aufſchub bequemen, dahin zu gehen, und ihr zu ſagen, daß du ihr Braͤutigam biſt.","norm":"Du wirst dich ohne Aufschub bequemen, dahin zu gehen, und ihr zu sagen, dass du ihr Bräutigam bist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":448,"orig":"Der Milford mein Vater?","norm":"Der Milford mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":449,"orig":"Wenn ſie dir bekannt iſt —","norm":"Wenn sie dir bekannt ist —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":450,"orig":"Welcher Schandſaͤule im Herzogthum iſt ſie das nicht!","norm":"Welcher Schandsäule im Herzogtum ist sie das nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":451,"orig":"— Aber ich bin wol laͤcherlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune fuͤr Ernſt aufnehme?","norm":"— Aber ich bin wohl lächerlich, lieber Vater, dass ich Ihre Laune für Ernst aufnehme?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":452,"orig":"Wuͤrden Sie Vater zu dem Schurken Sohne ſeyn wollen, der eine privilegierte Bulerin heuratete?","norm":"Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohne sein wollen, der eine privilegierte Buhlerin heiratete?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":453,"orig":"Noch mehr.","norm":"Noch mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":454,"orig":"Ich wuͤrde ſelbſt um ſie werben, wenn ſie einen Fuͤnfziger moͤchte — Wuͤrdeſt du zu dem Schurken Vater nicht Sohn ſeyn wollen?","norm":"Ich würde selbst um sie werben, wenn sie einen Fünfziger möchte — würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn sein wollen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":455,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":456,"orig":"So wahr Gott lebt!","norm":"So wahr Gott lebt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":457,"orig":"Eine Frechheit, bei meiner Ehre!","norm":"Eine Frechheit, bei meiner Ehre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":458,"orig":"die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe —","norm":"die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":459,"orig":"Ich bitte Sie Vater!","norm":"Ich bitte Sie Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":460,"orig":"laſſen Sie mich nicht laͤnger in einer Vermutung, wo es mir unertraͤglich wird, mich ihren Sohn zu nennen.","norm":"lassen Sie mich nicht länger in einer Vermutung, wo es mir unerträglich wird, mich Ihren Sohn zu nennen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":461,"orig":"Junge biſt du toll?","norm":"Junge bist du toll?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":462,"orig":"Welcher Menſch von Vernunft wuͤrde nicht nach der Diſtinkzion geizen, mit ſeinem Landesherrn an einem dritten Orte zu wechſeln?","norm":"Welcher Mensch von Vernunft würde nicht nach der Distinktion geizen, mit seinem Landesherrn an einem dritten Orte zu wechseln?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":463,"orig":"Sie werden mir zum Raͤzel mein Vater.","norm":"Sie werden mir zum Rätsel mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":464,"orig":"Diſtinkzion nennen Sie es — Diſtinkzion, da mit dem Fuͤrſten zu theilen, wo er auch unter den Menſchen hinunterkriecht?","norm":"Distinktion nennen Sie es — Distinktion, da mit dem Fürsten zu teilen, wo er auch unter den Menschen hinunterkriecht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":465,"orig":"Sie koͤnnen lachen — und ich will uͤber das hinweggehen Vater.","norm":"Sie können lachen — und ich will über das hinweggehen Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":466,"orig":"Mit welchem Geſicht ſoll ich vor den ſchlechteſten Handwerker treten, der mit ſeiner Frau wenigſtens doch einem ganzen Koͤrper zum Mitgift bekommt?","norm":"Mit welchem Gesicht soll ich vor den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einem ganzen Körper zum Mitgift bekommt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":467,"orig":"Mit welchem Geſicht vor die Welt?","norm":"Mit welchem Gesicht vor die Welt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":468,"orig":"Vor den Fuͤrſten?","norm":"Vor den Fürsten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":469,"orig":"Mit welchem vor die Bulerin ſelbſt, die den Brandfleken ihrer Ehre in meiner Schande auswaſchen wuͤrde?","norm":"Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":470,"orig":"Wo in aller Welt bringſt du das Maul her, Junge?","norm":"Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":471,"orig":"Ich beſchwoͤre Sie bei Himmel und Erde!","norm":"Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":472,"orig":"Vater, Sie koͤnnen durch dieſe Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes ſo gluͤklich nicht werden, als Sie ihn ungluͤklich machen.","norm":"Vater, Sie können durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht werden, als Sie ihn unglücklich machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":473,"orig":"Ich gebe Ihnen mein Leben, wenn das Sie ſteigen machen kann.","norm":"Ich gebe Ihnen mein Leben, wenn das Sie steigen machen kann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":474,"orig":"Mein Leben hab ich von Ihnen, ich werde keinen Augenblik anſtehen, es ganz Ihrer Groͤße zu opfern.","norm":"Mein Leben habe ich von Ihnen, ich werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":475,"orig":"— Meine Ehre, Vater — wenn Sie mir dieſe nehmen, ſo war es ein leichtfertiges Schelmenſtuͤk mir das Leben zu geben, und ich muß den Vater wie den Kuppler verfluchen.","norm":"— Meine Ehre, Vater — wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein leichtfertiges Schelmenstück mir das Leben zu geben, und ich muss den Vater wie den Kuppler verfluchen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":476,"orig":"Brav, lieber Sohn.","norm":"Brav, lieber Sohn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":477,"orig":"Jezt ſeh ich, daß du ein ganzer Kerl biſt, und der beſten Frau im Herzogthum wuͤrdig.","norm":"Jetzt sehe ich, dass du ein ganzer Kerl bist, und der besten Frau im Herzogtum würdig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":478,"orig":"— Sie ſoll dir werden — Noch dieſen Mittag wirſt du dich mit der Graͤfin von Oſtheim verloben.","norm":"— Sie soll dir werden — noch diesen Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":479,"orig":"Iſt dieſe Stunde beſtimmt, mich ganz zu zerſchmettern?","norm":"Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz zu zerschmettern?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":480,"orig":"Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?","norm":"Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":481,"orig":"Nein mein Vater.","norm":"Nein mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":482,"orig":"Friderike von Oſtheim koͤnnte jeden andern zum Gluͤklichſten machen.","norm":"Friederike von Ostheim könnte jeden anderen zum Glücklichsten machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":483,"orig":"Was ſeine Bosheit an meinem Herzen noch ganz lies, zerreißt ſeine Guͤte.","norm":"Was seine Bosheit an meinem Herzen noch ganz lies, zerreißt seine Güte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":484,"orig":"Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand —","norm":"Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":485,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":486,"orig":"Ihre Gnade entflammt meine ganze Empfindung — Vater!","norm":"Ihre Gnade entflammt meine ganze Empfindung — Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":487,"orig":"meinen heißeſten Dank fuͤr Ihre herzliche Meynung — Ihre Wahl iſt untadelhaft — aber — ich kann — ich darf — Bedauern Sie mich — Ich kann die Graͤfin nicht lieben.","norm":"meinen heißesten Dank für Ihre herzliche Meinung — Ihre Wahl ist untadelhaft — aber — ich kann — ich darf — Bedauern Sie mich — Ich kann die Gräfin nicht lieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":488,"orig":"Holla!","norm":"Holla!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":489,"orig":"Jezt hab ich den jungen Herrn.","norm":"Jetzt habe ich den jungen Herrn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":490,"orig":"Alſo in dieſe Falle gieng er, der liſtige Heuchler — Alſo es war nicht die Ehre, die dir die Lady verbot?","norm":"Also in diese Falle ging er, der listige Heuchler — also es war nicht die Ehre, die dir die Lady verbot?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":491,"orig":"— Es war nicht die Perſon ſondern die Heurath die du verabſcheuteſt?","norm":"— Es war nicht die Person sondern die Heirat die du verabscheutest?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":492,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":493,"orig":"Wohin?","norm":"Wohin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":494,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":495,"orig":"Iſt das der Reſpekt den du mir ſchuldig biſt?","norm":"Ist das der Respekt den du mir schuldig bist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":496,"orig":"Du biſt bey der Lady gemeldet.","norm":"Du bist bei der Lady gemeldet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":497,"orig":"Der Fuͤrſt hat mein Wort.","norm":"Der Fürst hat mein Wort."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":498,"orig":"Stadt und Hof wiſſen es richtig.","norm":"Stadt und Hof wissen es richtig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":499,"orig":"— Wenn du mich zum Luͤgner machſt, Junge — vor dem Fuͤrſten — der Lady — der Stadt — dem Hof mich zum Luͤgner machſt — Hoͤre Junge — oder wenn ich hinter gewiſſe Hiſtorien komme — Halt!","norm":"— Wenn du mich zum Lügner machst, Junge — vor dem Fürsten — der Lady — der Stadt — dem Hof mich zum Lügner machst — Höre Junge — oder wenn ich hinter gewisse Historien komme — Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":500,"orig":"Holla!","norm":"Holla!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":501,"orig":"Was blaͤßt ſo auf einmal das Feuer in deinen Wangen aus?","norm":"Was bläst so auf einmal das Feuer in deinen Wangen aus?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":502,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":503,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":504,"orig":"Es iſt gewiß nichts, mein Vater!","norm":"Es ist gewiss nichts, mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":505,"orig":"Und wenn es was iſt — und wenn ich die Spur finden ſollte, woher dieſe Widerſezlichkeit ſtammt?","norm":"Und wenn es was ist — und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese Widersetzlichkeit stammt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":506,"orig":"— — Ha Junge!","norm":"— — Ha Junge!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":507,"orig":"der bloſe Verdacht ſchon bringt mich zum Raſen.","norm":"der bloße Verdacht schon bringt mich zum Rasen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":508,"orig":"Geh den Augenblik.","norm":"Gehe den Augenblick."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":509,"orig":"Die Wachparade faͤngt an.","norm":"Die Wachparade fängt an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":510,"orig":"Du wirſt bei der Lady ſeyn, ſobald die Parole gegeben iſt — Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogtum.","norm":"Du wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist — wenn ich auftrete, zittert ein Herzogtum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":511,"orig":"Laß doch ſehen, ob mich ein Starrkopf von Sohn meiſtert.","norm":"Lass doch sehen, ob mich ein Starrkopf von Sohn meistert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":512,"orig":"Junge, ich ſage dir, du wirſt dort ſeyn, oder fliehe meinen Zorn.","norm":"Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":513,"orig":"Iſt er weg?","norm":"Ist er weg?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":514,"orig":"War das eines Vaters Stimme?","norm":"War das eines Vaters Stimme?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":515,"orig":"— Ja!","norm":"— Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":516,"orig":"ich will zu ihr — will hin — will ihr Dinge ſagen, will ihr einen Spiegel vorhalten — Nichtswuͤrdige!","norm":"ich will zu ihr — will hin — will ihr Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten — nichtswürdige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":517,"orig":"und wenn du auch noch dann meine Hand verlangſt — Im Angeſicht des verſammelten Adels, des Militaͤrs und des Volks — Umguͤrte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands — Ich verwerfe dich — ein teutſcher Juͤngling!","norm":"und wenn du auch noch dann meine Hand verlangst — im Angesicht des versammelten Adels, des Militärs und des Volks — Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands — Ich verwerfe dich — ein deutscher Jüngling!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":518,"orig":"Die Officiers gehen auseinander.","norm":"Die Offiziers gehen auseinander."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":519,"orig":"Die Wachparade iſt aus — aber ich ſehe noch keinen Walter.","norm":"Die Wachparade ist aus — aber ich sehe noch keinen Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":520,"orig":"Ich weis nicht, wie ich mich heute finde, Sophie — Ich bin noch nie ſo geweſen — Alſo du ſahſt ihn gar nicht?","norm":"Ich weiß nicht, wie ich mich heute finde, Sophie — Ich bin noch nie so gewesen — also du sahst ihn gar nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":521,"orig":"— Freilich wol — Es wird ihm nicht eilen — Wie ein Verbrechen liegt es auf meiner Bruſt — Geh Sophie — Man ſoll mir den wildeſten Renner herausfuͤhren, der im Marſtall iſt.","norm":"— Freilich wohl — es wird ihm nicht eilen — wie ein Verbrechen liegt es auf meiner Brust — Gehe Sophie — Man soll mir den wildesten Renner herausführen, der im Marstall ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":522,"orig":"Ich muß ins Freie — Menſchen ſehen und blauen Himmel, und mich leichter reiten ums Herz herum.","norm":"Ich muss ins Freie — Menschen sehen und blauen Himmel, und mich leichter reiten um das Herz herum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":523,"orig":"Wenn Sie ſich unpaͤßlich fuͤhlen, Milady — berufen Sie Aßemblee hier zuſammen.","norm":"Wenn Sie sich unpässlich fühlen, Mylady — berufen Sie Assemblee hier zusammen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":524,"orig":"Laßen Sie den Herzog hier Tafel halten, oder die l'Hom - bretiſche vor Ihren Sofa ſezen.","norm":"Lassen Sie den Herzog hier Tafel halten, oder die l'Hom - bretische vor Ihren Sofa setzen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":525,"orig":"Mir ſollte der Fuͤrſt und ſein ganzer Hof zu Gebote ſtehn, und eine Grille im Kopfe ſurren?","norm":"Mir sollte der Fürst und sein ganzer Hof zu Gebote stehen, und eine Grille im Kopfe surren?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":526,"orig":"Ich bitte, verſchone mich.","norm":"Ich bitte, verschone mich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":527,"orig":"Ich gebe dir einen Demant fuͤr jede Stunde, wo ich ſie mir vom Hals ſchaffen kann.","norm":"Ich gebe dir einen Demant für jede Stunde, wo ich sie mir vom Hals schaffen kann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":528,"orig":"Soll ich meine Zimmer mit dieſem Volk tapezieren?","norm":"Soll ich meine Zimmer mit diesem Volk tapezieren?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":529,"orig":"— Das ſind ſchlechte erbaͤrmliche Menſchen, die ſich entſezen, wenn mir ein warmes herzliches Wort entwiſcht, Mund und Naſen aufreiſſen, als ſaͤhen ſie einen Geiſt — Sklaven eines einzigen Marionettendraths, den ich leichter als mein Filet regiere.","norm":"— Das sind schlechte erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein warmes herzliches Wort entwischt, Mund und Nasen aufreißen, als sähen sie einen Geist — Sklaven eines einzigen Marionettendrahts, den ich leichter als mein Filet regiere."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":530,"orig":"— Was fang ich mit Leuten an, deren Seelen ſo gleich als ihre Sakuhren gehen?","norm":"— Was fange ich mit Leuten an, deren Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":531,"orig":"Kann ich eine Freude dran finden, ſie was zu fragen, wenn ich voraus weis, was ſie mir antworten werden?","norm":"Kann ich eine Freude dran finden, sie was zu fragen, wenn ich vorausweiß, was sie mir antworten werden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":532,"orig":"Oder Worte mit ihnen wechſeln, wenn ſie das Herz nicht haben, andrer Meynung als ich zu ſeyn?","norm":"Oder Worte mit ihnen wechseln, wenn sie das Herz nicht haben, anderer Meinung als ich zu sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":533,"orig":"— Weg mit ihnen!","norm":"— Weg mit ihnen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":534,"orig":"Es iſt verdruͤßlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zuͤgel beißt.","norm":"Es ist verdrießlich, ein Ross zu reiten, das nicht auch in den Zügel beißt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":535,"orig":"Aber den Fuͤrſten werden Sie doch ausnehmen Lady?","norm":"Aber den Fürsten werden Sie doch ausnehmen Lady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":536,"orig":"Den ſchoͤnſten Mann — den feurigſten Liebhaber — den wizigſten Kopf in ſeinem ganzen Lande!","norm":"Den schönsten Mann — den feurigsten Liebhaber — den witzigsten Kopf in seinem ganzen Lande!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":537,"orig":"Denn es iſt ſein Land — und nur ein Fuͤrſtenthum, Sophie, kann meinem Geſchmak zur ertraͤglichen Ausrede dienen — Du ſagſt, man beneide mich.","norm":"Denn es ist sein Land — und nur ein Fürstentum, Sophie, kann meinem Geschmack zur erträglichen Ausrede dienen — Du sagst, man beneide mich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":538,"orig":"Armes Ding!","norm":"Armes Ding!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":539,"orig":"Beklagen ſoll man mich vielmehr.","norm":"Beklagen soll man mich vielmehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":540,"orig":"Unter allen, die an den Bruͤſten der Majeſtaͤt trinken, kommt die Favoritin am ſchlechteſten weg, weil ſie allein dem großen und reichen Mann auf dem Bettelſtabe begegnet — Wahr iſts, er kann mit dem Talisman ſeiner Groͤße jeden Geluſt meines Herzens, wie ein Feenſchloß, aus der Erde rufen.","norm":"Unter allen, die an den Brüsten der Majestät trinken, kommt die Favoritin am schlechtesten weg, weil sie allein dem großen und reichen Mann auf dem Bettelstabe begegnet — Wahr ist es, er kann mit dem Talisman seiner Größe jeden Gelust meines Herzens, wie ein Feenschloss, aus der Erde rufen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":541,"orig":"— Er ſezt den Saft von zwei Indien auf die Tafel — ruft Paradieſe aus Wildnißen — laͤßt die Quellen ſeines Landes in ſtolzen Boͤgen gen Himmel ſpringen, oder das Mark ſeiner Unterthanen in einem Feuerwerk hinpuffen — — Aber kann er auch ſeinem Herzen befehlen, gegen ein großes feuriges Herz groß und feurig zu ſchlagen?","norm":"— Er setzt den Saft von zwei Indien auf die Tafel — ruft Paradiese aus Wildnissen — lässt die Quellen seines Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner Untertanen in einem Feuerwerk hinpuffen — — Aber kann er auch seinem Herzen befehlen, gegen ein großes feuriges Herz groß und feurig zu schlagen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":542,"orig":"Kann er ſein darbendes Gehirn auf ein einziges ſchoͤnes Gefuͤl exequieren?","norm":"Kann er sein darbendes Gehirn auf ein einziges schönes Gefühl exequieren?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":543,"orig":"— Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne, und was helfen mich tauſend beßre Empfindungen, wo ich nur Wallungen loͤſchen darf?","norm":"— Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne, und was helfen mich tausend bessere Empfindungen, wo ich nur Wallungen löschen darf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":544,"orig":"Wie lang iſt es denn aber, daß ich Ihnen diene, Milady?","norm":"Wie lang ist es denn aber, dass ich Ihnen diene, Mylady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":545,"orig":"Weil du erſt heute mit mir bekannt wirſt?","norm":"Weil du erst heute mit mir bekannt wirst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":546,"orig":"— Es iſt wahr, liebe Sophie — ich habe dem Fuͤrſten meine Ehre verkauft, aber mein Herz habe ich frei behalten — ein Herz, meine Gute, das vielleicht eines Mannes noch werth iſt — uͤber welches der giftige Wind des Hofes nur wie der Hauch uͤber den Spiegel gieng — Trau es mir zu, meine Liebe, daß ich es laͤngſt gegen dieſen armſeligen Fuͤrſten behauptet haͤtte, wenn ich es nur von meinem Ehrgeiz erhalten koͤnnte, einer Dame am Hof den Rang vor mir einzuraͤumen.","norm":"— Es ist wahr, liebe Sophie — ich habe dem Fürsten meine Ehre verkauft, aber mein Herz habe ich frei behalten — ein Herz, meine Gute, das vielleicht eines Mannes noch wert ist — über welches der giftige Wind des Hofes nur wie der Hauch über den Spiegel ging — Traue es mir zu, meine Liebe, dass ich es längst gegen diesen armseligen Fürsten behauptet hätte, wenn ich es nur von meinem Ehrgeiz erhalten könnte, einer Dame am Hof den Rang vor mir einzuräumen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":547,"orig":"Und dieſes Herz unterwarf ſich dem Ehrgeiz ſo gern?","norm":"Und dieses Herz unterwarf sich dem Ehrgeiz so gern?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":548,"orig":"Als wenn es ſich nicht ſchon geraͤcht haͤtte?","norm":"Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":549,"orig":"— Nicht jezt noch ſich raͤchte?","norm":"— Nicht jetzt noch sich rächte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":550,"orig":"— — — Sophie Wir Frauenzimmer koͤnnen nur zwiſchen Herrſchen und Dienen waͤhlen — aber die hoͤchſte Wonne der Gewalt iſt doch nur ein elender Behelf, wenn uns die groͤßere Wonne verſagt wird, Sklavinnen eines Manns zu ſeyn, den wir lieben.","norm":"— — — Sophie wir Frauenzimmer können nur zwischen Herrschen und Dienen wählen — aber die höchste Wonne der Gewalt ist doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird, Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":551,"orig":"Eine Wahrheit, Milady, die ich von Ihnen zulezt hoͤren wollte!","norm":"Eine Wahrheit, Mylady, die ich von Ihnen zuletzt hören wollte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":552,"orig":"Und warum, meine Sophie?","norm":"Und warum, meine Sophie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":553,"orig":"Sieht man es denn dieſer kindiſchen Fuͤhrung des Zepters nicht an, daß wir nur fuͤr das Gaͤngelband taugen?","norm":"Sieht man es denn dieser kindischen Führung des Zepters nicht an, dass wir nur für das Gängelband taugen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":554,"orig":"Sahſt du es denn dieſem launiſchen Flatterſinn nicht an — dieſen wilden Ergoͤzungen nicht an, daß ſie nur wildere Wuͤnſche in meiner Bruſt uͤberlermen ſollten?","norm":"Sahst du es denn diesem launischen Flattersinn nicht an — diesen wilden Ergötzungen nicht an, dass sie nur wildere Wünsche in meiner Brust überlärmen sollten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":555,"orig":"Lady?","norm":"Lady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":556,"orig":"Befriedige dieſe!","norm":"Befriedige diese!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":557,"orig":"Gib mir den Mann, den ich jezt denke — den ich anbete — ſterben, Sophie, oder beſizen muß Laß mich aus ſeinem Mund es vernehmen, daß Traͤnen der Liebe ſchoͤner glaͤnzen in unſern Augen, als die Brillanten in unſerm Haar und ich werfe dem Fuͤrſten ſein Herz und ſein Fuͤrſtenthum vor die Fuͤße, fliehe mit dieſem Mann, fliehe in die entlegenſte Wuͤſte der Welt — —","norm":"Gib mir den Mann, den ich jetzt denke — den ich anbete — sterben, Sophie, oder besitzen muss Lass mich aus seinem Mund es vernehmen, dass Tränen der Liebe schöner glänzen in unseren Augen, als die Brillanten in unserem Haar und ich werfe dem Fürsten sein Herz und sein Fürstentum vor die Füße, fliehe mit diesem Mann, fliehe in die entlegenste Wüste der Welt — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":558,"orig":"Himmel!","norm":"Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":559,"orig":"was machen Sie?","norm":"was machen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":560,"orig":"Wie wird Ihnen Lady?","norm":"Wie wird Ihnen Lady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":561,"orig":"Du entfaͤrbſt dich?","norm":"Du entfärbst dich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":562,"orig":"— — — Hab ich vielleicht etwas zu viel geſagt?","norm":"— — — Habe ich vielleicht etwas zu viel gesagt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":563,"orig":"— O ſo laß mich deine Zunge mit meinem Zutrauen binden — hoͤre noch mehr — hoͤre alles —","norm":"— O so lass mich deine Zunge mit meinem Zutrauen binden — höre noch mehr — höre alles —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":564,"orig":"Ich fuͤrchte Milady — ich fuͤrchte — ich brauch es nicht mehr zu hoͤren.","norm":"Ich fürchte Mylady — ich fürchte — ich brauche es nicht mehr zu hören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":565,"orig":"Die Verbindung mit dem Major — Du und die Welt ſtehen im Wahn, ſie ſei eine Hofkabale — Sophie — erroͤthe nicht — ſchaͤme dich meiner nicht — ſie iſt das Werk — meiner Liebe.","norm":"Die Verbindung mit dem Major — Du und die Welt stehen im Wahn, sie sei eine Hofkabale — Sophie — erröte nicht — schäme dich meiner nicht — sie ist das Werk — meiner Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":566,"orig":"Bei Gott!","norm":"Bei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":567,"orig":"Was mir ahndete!","norm":"Was mir ahndete!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":568,"orig":"Sie ließen ſich beſchwazen, Sophie — der ſchwache Fuͤrſt — der hofſchlaue Walter — der alberne Marſchall — Jeder von ihnen wird darauf ſchwoͤren, daß dieſe Heurath das unfehlbarſte Mittel ſei, mich dem Herzog zu retten, unſer Band um ſo feſter zu knuͤpfen.","norm":"Sie ließen sich beschwatzen, Sophie — der schwache Fürst — der hofschlaue Walter — der alberne Marschall — jeder von ihnen wird darauf schwören, dass diese Heirat das unfehlbarste Mittel sei, mich dem Herzog zu retten, unser Band um so fester zu knüpfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":569,"orig":"— — — Ja!","norm":"— — — Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":570,"orig":"es auf ewig zu trennen!","norm":"es auf ewig zu trennen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":571,"orig":"auf ewig dieſe ſchaͤndliche Ketten zu brechen!","norm":"auf ewig diese schändliche Ketten zu brechen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":572,"orig":"— Belogene Luͤgner!","norm":"— Belogene Lügner!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":573,"orig":"Von einem ſchwachen Weib uͤberliſtet!","norm":"Von einem schwachen Weib überlistet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":574,"orig":"— Ihr ſelbſt fuͤhrt mir jezt meinen Geliebten zu.","norm":"— Ihr selbst führt mir jetzt meinen Geliebten zu."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":575,"orig":"Das war es ja nur was ich wollte — Hab ich ihn einmal — hab ich ihn — o dann auf immer gute Nacht abſcheuliche Herrlichkeit —","norm":"Das war es ja nur was ich wollte — Habe ich ihn einmal — habe ich ihn — o dann auf immer gute Nacht abscheuliche Herrlichkeit —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":576,"orig":"Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen Sich Milady zu Gnaden, und ſchiken Ihnen dieſe Brillanten zur Hochzeit.","norm":"Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Mylady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":577,"orig":"Sie kommen ſo eben erſt aus Venedig.","norm":"Sie kommen soeben erst aus Venedig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":578,"orig":"Menſch!","norm":"Mensch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":579,"orig":"was bezahlt dein Herzog fuͤr dieſe Steine?","norm":"was bezahlt dein Herzog für diese Steine?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":580,"orig":"Sie koſten ihn keinen Heller.","norm":"Sie kosten ihn keinen Heller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":581,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":582,"orig":"Biſt du raſend?","norm":"Bist du rasend?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":583,"orig":"Nichts: — und du wirfſt mir ja einen Blik zu, als wenn du mich durchbohren wolteſt — Nichts koſten ihn dieſe unermeßlich koſtbaren Steine?","norm":"Nichts: — und du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest — nichts kosten ihn diese unermesslich kostbaren Steine?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":584,"orig":"Geſtern ſind ſiebentauſend Landskinder nach Amerika fort — Die zahlen alles.","norm":"Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort — die zahlen alles."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":585,"orig":"Mann, was iſt dir?","norm":"Mann, was ist dir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":586,"orig":"Ich glaube, du weinſt?","norm":"Ich glaube, du weinst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":587,"orig":"Edelſteine wie dieſe da — Ich hab auch ein paar Soͤhne drunter.","norm":"Edelsteine wie diese da — Ich habe auch ein paar Söhne drunter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":588,"orig":"Doch keinen Gezwungenen?","norm":"Doch keinen Gezwungenen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":589,"orig":"O Gott — Nein — lauter Freiwillige.","norm":"O Gott — Nein — lauter Freiwillige."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":590,"orig":"Es traten wol ſo etliche vorlaute Burſch' vor die Front heraus, und fragten den Oberſten, wie theuer der Fuͤrſt das Joch Menſchen verkaufe?","norm":"Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch vor die Front heraus, und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":591,"orig":"— aber unſer gnaͤdigſter Landesherr lies alle Regimenter auf dem Paradeplaz aufmarſchieren, und die Maulaffen niederſchießen.","norm":"— aber unser gnädigster Landesherr lies alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren, und die Maulaffen niederschießen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":592,"orig":"Wir hoͤrten die Buͤchſen knallen, ſahen ihr Gehirn auf das Pflaſter ſpruͤzen, und die ganze Armee ſchrie:","norm":"Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":593,"orig":"Juchhe nach Amerika!","norm":"Juchhe nach Amerika!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":594,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":595,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":596,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":597,"orig":"— Und ich hoͤrte nichts?","norm":"— Und ich hörte nichts?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":598,"orig":"Und ich merkte nichts?","norm":"Und ich merkte nichts?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":599,"orig":"Ja gnaͤdige Frau — warum mußtet Ihr denn mit unſerm Herrn gerad auf die Baͤrenhaz reiten, als man den Lermen zum Aufbruch ſchlug?","norm":"Ja gnädige Frau — warum musstet Ihr denn mit unserem Herrn gerad auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":600,"orig":"— Die Herrlichkeit haͤttet Ihr doch nicht verſaͤumen ſollen, wie uns die gellenden Trommeln verkuͤndigten, es iſt Zeit, und heulende Waiſen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wuͤtende Mutter lief, ihr ſaugendes Kind an Bajoneten zu ſpießen, und wie man Braͤutigam und Braut mit Saͤbelhieben auseinander riſſ, und wir Graubaͤrte verzweiflungsvoll da ſtanden, und den Burſchen auch zulezt die Kruͤken noch nachwarfen in die neue Welt — Oh, und mitunter das polternde Wirbelſchlagen, damit der Allwiſſende uns nicht ſolte beten hoͤren —","norm":"— Die Herrlichkeit hättet Ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wütende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinanderriss, und wir Graubärte verzweiflungsvoll dastanden, und den Burschen auch zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt — oh, und mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns nicht sollte beten hören —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":601,"orig":"Weg mit dieſen Steinen — ſie blizzen Hoͤllenflammen in mein Herz Maͤßige dich armer alter Mann.","norm":"Weg mit diesen Steinen — sie blitzen Höllenflammen in mein Herz Mäßige dich armer alter Mann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":602,"orig":"Sie werden wieder kommen.","norm":"Sie werden wiederkommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":603,"orig":"Sie werden ihr Vaterland wieder ſehen.","norm":"Sie werden ihr Vaterland wiedersehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":604,"orig":"Das weiß der Himmel!","norm":"Das weiß der Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":605,"orig":"Das werden Sie!","norm":"Das werden Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":606,"orig":"— Noch am Stadtthor drehten ſie ſich um, und ſchrieen: „Gott mit Euch, Weib und Kinder — Es leb unſer Landesvater — am juͤngſten Gericht ſind wir wieder da! „—","norm":"— Noch am Stadttor drehten sie sich um, und schrien: „Gott mit Euch, Weib und Kinder — es lebe unser Landesvater — am jüngsten Gericht sind wir wieder da! „—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":607,"orig":"Abſcheulich!","norm":"Abscheulich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":608,"orig":"Fuͤrchterlich!","norm":"Fürchterlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":609,"orig":"— Mich beredete man, ich habe ſie alle getroknet die Traͤnen des Landes — Schreklich, ſchreklich gehen mir die Augen auf — Geh du — Sag deinem Herrn — Ich werd ihm perſoͤnlich danken Und das nimm, weil du mir Wahrheit ſagteſt —","norm":"— Mich beredete man, ich habe sie alle getrocknet die Tränen des Landes — Schrecklich, schrecklich gehen mir die Augen auf — Gehe du — Sage deinem Herrn — Ich werde ihm persönlich danken und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":610,"orig":"Legts zu dem uͤbrigen.","norm":"Legt es zu dem übrigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":611,"orig":"Sophie, ſpring ihm nach, frag ihn um ſeinen Namen.","norm":"Sophie, spring ihm nach, frag ihn um seinen Namen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":612,"orig":"Er ſoll ſeine Soͤhne wieder haben.","norm":"Er soll seine Söhne wiederhaben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":613,"orig":"Gieng nicht juͤngſt ein Geruͤchte, daß das Feuer eine Stadt an der Grenze verwuͤſtet, und bei vierhundert Familien an den Bettelſtab gebracht habe?","norm":"Ging nicht jüngst ein Gerüchte, dass das Feuer eine Stadt an der Grenze verwüstet, und bei vierhundert Familien an den Bettelstab gebracht habe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":614,"orig":"Wie kommen Sie auf das?","norm":"Wie kommen Sie auf das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":615,"orig":"Allerdings iſt es ſo, und die mehreſten dieſer Ungluͤklichen dienen jezt ihren Glaͤubigern als Sklaven, oder verderben in den Schachten der fuͤrſtlichen Silberbergwerke.","norm":"Allerdings ist es so, und die meisten dieser Unglücklichen dienen jetzt ihren Gläubigern als Sklaven, oder verderben in den Schachten der fürstlichen Silberbergwerke."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":616,"orig":"Was befehlen Milady?","norm":"Was befehlen Mylady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":617,"orig":"Daß das ohne Verzug in die Landſchaft gebracht werde!","norm":"Dass das ohne Verzug in die Landschaft gebracht werde!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":618,"orig":"— Man ſoll es ſogleich zu Geld machen, befehl ich, und den Gewinſt davon unter die Vierhundert vertheilen, die der Brand ruiniert hat.","norm":"— Man soll es sogleich zu Geld machen, Befehl ich, und den Gewinst davon unter die vierhundert verteilen, die der Brand ruiniert hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":619,"orig":"Milady, bedenken Sie, daß Sie die hoͤchſte Ungnade wagen.","norm":"Mylady, bedenken Sie, dass Sie die höchste Ungnade wagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":620,"orig":"Soll ich den Fluch ſeines Landes in meinen Haaren tragen?","norm":"Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren tragen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":621,"orig":"Oder wilſt du, daß ich unter dem ſchreklichen Geſchirr ſolcher Traͤnen zu Boden ſinke?","norm":"Oder willst du, dass ich unter dem schrecklichen Geschirr solcher Tränen zu Boden sinke?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":622,"orig":"— Geh Sophie — Es iſt beſſer falſche Juweelen im Haar, und das Bewußtſeyn dieſer That im Herzen zu haben.","norm":"— Gehe Sophie — es ist besser falsche Juwelen im Haar, und das Bewusstsein dieser Tat im Herzen zu haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":623,"orig":"Aber Juweelen, wie dieſe!","norm":"Aber Juwelen, wie diese!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":624,"orig":"Haͤtten Sie nicht Ihre ſchlechtern nehmen koͤnnen.","norm":"Hätten Sie nicht Ihre schlechteren nehmen können."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":625,"orig":"Nein wahrlich Milady!","norm":"Nein wahrlich Mylady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":626,"orig":"Es iſt Ihnen nicht zu vergeben.","norm":"Es ist Ihnen nicht zu vergeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":627,"orig":"Naͤrriſches Maͤdchen!","norm":"Närrisches Mädchen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":628,"orig":"Dafuͤr werden in einem Augenblik mehr Brillanten und Perlen fuͤr mich fallen, als zehen Koͤnige in ihren Diademen getragen, und ſchoͤnere —","norm":"Dafür werden in einem Augenblick mehr Brillanten und Perlen für mich fallen, als zehn Könige in ihren Diademen getragen, und schönere —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":629,"orig":"Major von Walter —","norm":"Major von Walter —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":630,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":631,"orig":"Sie verblaſſen —","norm":"Sie verblassen —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":632,"orig":"Der erſte Mann der mir Schreken macht — Sophie — Ich ſei unpaͤßlich Eduard — Halt — Iſt er aufgeraͤumt?","norm":"Der erste Mann der mir Schrecken macht — Sophie — Ich sei unpässlich Eduard — Halt — ist er aufgeräumt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":633,"orig":"Lacht er?","norm":"Lacht er?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":634,"orig":"Was ſpricht er?","norm":"Was spricht er?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":635,"orig":"O Sophie!","norm":"O Sophie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":636,"orig":"Nicht wahr, ich ſehe haͤßlich aus?","norm":"Nicht wahr, ich sehe hässlich aus?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":637,"orig":"Ich bitte Sie Lady —","norm":"Ich bitte Sie Lady —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":638,"orig":"Befehlen Sie, daß ich ihn abweiſe?","norm":"Befehlen Sie, dass ich ihn abweise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":639,"orig":"Er ſoll mir willkommen ſeyn.","norm":"Er soll mir willkommen sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":640,"orig":"Sprich Sophie — Was ſag ich ihm?","norm":"Sprich Sophie — was sage ich ihm?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":641,"orig":"Wie empfang ich ihn?","norm":"Wie Empfang ich ihn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":642,"orig":"— Ich werde ſtumm ſeyn.","norm":"— Ich werde stumm sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":643,"orig":"— Er wird meiner Schwaͤche ſpotten — Er wird — o was ahndet mir — Du verlaͤſſeſt mich Sophie?","norm":"— Er wird meiner Schwäche spotten — er wird — o was ahndet mir — Du verlässt mich Sophie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":644,"orig":"— Bleib — Doch nein!","norm":"— Bleib — doch nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":645,"orig":"Gehe!","norm":"Gehe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":646,"orig":"— So bleib doch.","norm":"— So bleibe doch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":647,"orig":"Sammeln Sie ſich.","norm":"Sammeln Sie sich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":648,"orig":"Er iſt ſchon da.","norm":"Er ist schon da."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":649,"orig":"Wenn ich Sie worinn unterbreche, gnaͤdige Frau —","norm":"Wenn ich Sie worin unterbreche, gnädige Frau —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":650,"orig":"In nichts, Herr Major, das mir wichtiger waͤre.","norm":"In nichts, Herr Major, das mir wichtiger wäre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":651,"orig":"Ich komme auf Befehl meines Vaters.","norm":"Ich komme auf Befehl meines Vaters."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":652,"orig":"Ich bin ſeine Schuldnerin.","norm":"Ich bin seine Schuldnerin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":653,"orig":"Und ſoll Ihnen melden, daß wir uns heurathen — So weit der Auftrag meines Vaters.","norm":"Und soll Ihnen melden, dass wir uns heiraten — soweit der Auftrag meines Vaters."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":654,"orig":"Nicht Ihres eigenen Herzens?","norm":"Nicht Ihres eigenen Herzens?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":655,"orig":"Miniſter und Kuppler pflegen das niemals zu fragen.","norm":"Minister und Kuppler pflegen das niemals zu fragen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":656,"orig":"Und Sie Selbſt haͤtten ſonſt nichts beizuſezen?","norm":"Und Sie Selbst hätten sonst nichts beizusetzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":657,"orig":"Noch ſehr viel, Milady.","norm":"Noch sehr viel, Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":658,"orig":"Darf ich Ihnen dieſen Sofa anbieten?","norm":"Darf ich Ihnen diesen Sofa anbieten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":659,"orig":"Ich werde kurz ſeyn, Milady.","norm":"Ich werde kurz sein, Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":660,"orig":"Nun?","norm":"Nun?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":661,"orig":"Ich bin ein Mann von Ehre.","norm":"Ich bin ein Mann von Ehre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":662,"orig":"Den ich zu ſchaͤzen weis.","norm":"Den ich zu schätzen weiß."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":663,"orig":"Kavalier.","norm":"Kavalier."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":664,"orig":"Kein beßrer im Herzogthum.","norm":"Kein besserer im Herzogtum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":665,"orig":"Und Offizier.","norm":"Und Offizier."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":666,"orig":"Sie beruͤhren hier Vorzuͤge, die auch andere mit Ihnen gemein haben.","norm":"Sie berühren hier Vorzüge, die auch andere mit Ihnen gemein haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":667,"orig":"Warum verſchweigen Sie groͤſere, worin Sie einzig ſind?","norm":"Warum verschweigen Sie größere, worin Sie einzig sind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":668,"orig":"Hier brauch ich ſie nicht.","norm":"Hier brauche ich sie nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":669,"orig":"Aber fuͤr was muß ich dieſen Vorbericht nehmen?","norm":"Aber für was muss ich diesen Vorbericht nehmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":670,"orig":"Fuͤr den Einwurf der Ehre, wenn Sie Luſt haben ſolten, meine Hand zu erzwingen.","norm":"Für den Einwurf der Ehre, wenn Sie Lust haben sollten, meine Hand zu erzwingen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":671,"orig":"Was iſt das Herr Major?","norm":"Was ist das Herr Major?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":672,"orig":"Die Sprache meines Herzens — meines Wappens — und dieſes Degens.","norm":"Die Sprache meines Herzens — meines Wappens — und dieses Degens."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":673,"orig":"Dieſen Degen gab Ihnen der Fuͤrſt.","norm":"Diesen Degen gab Ihnen der Fürst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":674,"orig":"Der Staat gab mir ihn, durch die Hand des Fuͤrſten — Mein Herz Gott — mein Wappen ein halbes Jahrtauſend.","norm":"Der Staat gab mir ihn, durch die Hand des Fürsten — Mein Herz Gott — mein Wappen ein halbes Jahrtausend."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":675,"orig":"Der Name des Herzogs —","norm":"Der Name des Herzogs —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":676,"orig":"Kann der Herzog Geſeze der Menſchheit verdrehen, oder Handlungen muͤnzen, wie ſeine Dreier?","norm":"Kann der Herzog Gesetze der Menschheit verdrehen, oder Handlungen münzen, wie seine Dreier?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":677,"orig":"— Er ſelbſt iſt nicht uͤber die Ehre erhaben, aber er kann ihren Mund mit ſeinem Golde verſtopfen.","norm":"— Er selbst ist nicht über die Ehre erhaben, aber er kann ihren Mund mit seinem Golde verstopfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":678,"orig":"Er kann den Hermelin uͤber ſeine Schande herwerfen.","norm":"Er kann den Hermelin über seine Schande herwerfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":679,"orig":"Ich bitte mir aus, davon nichts mehr Milady — Es iſt nicht mehr die Rede von weggeworfenen Ausſichten und Ahnen — oder von dieſer Degenquaſte — oder von der Meinung der Welt.","norm":"Ich bitte mir aus, davon nichts mehr Mylady — es ist nicht mehr die Rede von weggeworfenen Aussichten und Ahnen — oder von dieser Degenquaste — oder von der Meinung der Welt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":680,"orig":"Ich bin bereit, dis alles mit Fuͤßen zu treten, ſobald Sie mich nur uͤberzeugt haben werden, daß der Preiß nicht ſchlimmer noch als das Opfer iſt.","norm":"Ich bin bereit, dies alles mit Füßen zu treten, sobald Sie mich nur überzeugt haben werden, dass der Preis nicht schlimmer noch als das Opfer ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":681,"orig":"Herr Major!","norm":"Herr Major!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":682,"orig":"Das hab ich nicht verdient.","norm":"Das habe ich nicht verdient."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":683,"orig":"Vergeben Sie.","norm":"Vergeben Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":684,"orig":"Wir reden hier ohne Zeugen.","norm":"Wir reden hier ohne Zeugen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":685,"orig":"Der Umſtand, der Sie und mich — heute und nie mehr — zuſammen fuͤhrt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein geheimſtes Gefuͤhl nicht zuruͤk zu halten.","norm":"Der Umstand, der Sie und mich — heute und nie mehr — zusammenführt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein geheimstes Gefühl nicht zurückzuhalten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":686,"orig":"— — — Es will mir nicht zu Kopfe, Milady, daß eine Dame von ſo viel Schoͤnheit und Geiſt — Eigenſchaften, die ein Mann ſchaͤzen wuͤrde — ſich an einen Fuͤrſten ſollte wegwerfen koͤnnen, der nur das Geſchlecht an Ihr zu bewundern gelernt hat, wenn ſich dieſe Dame nicht ſchaͤmte, vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten.","norm":"— — — es will mir nicht zu Kopfe, Mylady, dass eine Dame von so viel Schönheit und Geist — Eigenschaften, die ein Mann schätzen würde — sich an einen Fürsten sollte wegwerfen können, der nur das Geschlecht an Ihr zu bewundern gelernt hat, wenn sich diese Dame nicht schämte, vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":687,"orig":"Reden Sie ganz aus.","norm":"Reden Sie ganz aus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":688,"orig":"Sie nennen ſich eine Brittin.","norm":"Sie nennen sich eine Britin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":689,"orig":"Erlauben Sie mir — ich kann es nicht glauben, daß Sie eine Brittin ſind.","norm":"Erlauben Sie mir — ich kann es nicht glauben, dass Sie eine Britin sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":690,"orig":"Die freigeborene Tochter des freieſten Volks unter dem Himmel — das auch zu ſtolz iſt, fremder Tugend zu raͤuchern, — kann ſich nimmermehr an fremdes Laſter verdingen.","norm":"Die freigeborene Tochter des freiesten Volks unter dem Himmel — das auch zu stolz ist, fremder Tugend zu räuchern, — kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":691,"orig":"Es iſt nicht moͤglich, daß Sie eine Brittin ſind, — oder das Herz dieſer Brittin muß um ſo viel kleiner ſeyn, als groͤßer und kuͤhner Britanniens Adern ſchlagen.","norm":"Es ist nicht möglich, dass Sie eine Britin sind, — oder das Herz dieser Britin muss um soviel kleiner sein, als größer und kühner Britanniens Adern schlagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":692,"orig":"Sind Sie zu Ende?","norm":"Sind Sie zu Ende?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":693,"orig":"Man koͤnnte antworten, es iſt weibliche Eitelkeit — Leidenſchaft — Temperament — Hang zum Vergnuͤgen.","norm":"Man könnte antworten, es ist weibliche Eitelkeit — Leidenschaft — Temperament — Hang zum Vergnügen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":694,"orig":"Schon oͤfters uͤberlebte Tugend die Ehre.","norm":"Schon öfters überlebte Tugend die Ehre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":695,"orig":"Schon manche, die mit Schande in dieſe Schranke trat, hat nachher die Welt durch edle Handlungen mit ſich ausgeſoͤhnt, und das haͤßliche Handwerk durch einen ſchoͤnen Gebrauch geadelt — — — Aber woher denn jezt dieſe ungeheure Preſſung des Landes, die vorher nie ſo geweſen?","norm":"Schon manche, die mit Schande in diese Schranke trat, hat nachher die Welt durch edle Handlungen mit sich ausgesöhnt, und das hässliche Handwerk durch einen schönen Gebrauch geadelt — — — Aber woher denn jetzt diese ungeheure Pressung des Landes, die vorher nie so gewesen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":696,"orig":"— Das war im Namen des Herzogthums.","norm":"— Das war im Namen des Herzogtums."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":697,"orig":"— Ich bin zu Ende.","norm":"— Ich bin zu Ende."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":698,"orig":"Es iſt das erſtemal, Walter, daß ſolche Reden an mich gewagt werden, und Sie ſind der einige Menſch, dem ich darauf antworte — — Daß Sie meine Hand verwerfen, darum ſchaͤz ich Sie.","norm":"Es ist das erste Mal, Walter, dass solche Reden an mich gewagt werden, und Sie sind der einzige Mensch, dem ich darauf antworte — — dass Sie meine Hand verwerfen, darum schätz ich Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":699,"orig":"Daß Sie mein Herz laͤſtern, vergebe ich Ihnen.","norm":"Dass Sie mein Herz lästern, vergebe ich Ihnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":700,"orig":"Daß es Ihr Ernſt iſt, glaube ich Ihnen nicht.","norm":"Dass es Ihr Ernst ist, glaube ich Ihnen nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":701,"orig":"Wer ſich herausnimmt, Beleidigungen dieſer Art einer Dame zu ſagen, die nicht mehr als eine Nacht braucht, ihn ganz zu verderben, muß dieſer Dame eine große Seele zutrauen, oder — — von Sinnen ſeyn — — Daß Sie den Ruin des Landes auf meine Bruſt waͤlzen, vergebe Ihnen Gott der Allmaͤchtige, der Sie und Mich und den Fuͤrſten einſt gegeneinander ſtellt.","norm":"Wer sich herausnimmt, Beleidigungen dieser Art einer Dame zu sagen, die nicht mehr als eine Nacht braucht, ihn ganz zu verderben, muss dieser Dame eine große Seele zutrauen, oder — — von Sinnen sein — — dass Sie den Ruin des Landes auf meine Brust wälzen, vergebe Ihnen Gott der Allmächtige, der Sie und mich und den Fürsten einst gegeneinanderstellt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":702,"orig":"— — Aber Sie haben die Englaͤnderin in mir aufgefodert, und auf Vorwuͤrfe dieſer Art muß mein Vaterland Antwort haben.","norm":"— — Aber Sie haben die Engländerin in mir aufgefordert, und auf Vorwürfe dieser Art muss mein Vaterland Antwort haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":703,"orig":"Ich bin begierig.","norm":"Ich bin begierig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":704,"orig":"Hoͤren Sie alſo, was ich, außer Ihnen, noch niemand vertraute, noch jemals einem Menſchen vertrauen will.","norm":"Hören Sie also, was ich, außer Ihnen, noch niemand vertraute, noch jemals einem Menschen vertrauen will."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":705,"orig":"— — — Ich bin nicht die Abentheurerin, Walter, fuͤr die Sie mich halten.","norm":"— — — Ich bin nicht die Abenteurerin, Walter, für die Sie mich halten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":706,"orig":"Ich koͤnnte groß thun und ſagen:","norm":"Ich könnte großtun und sagen:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":707,"orig":"Ich bin fuͤrſtlichen Gebluͤts — — aus des ungluͤklichen Thomas Norfolks Geſchlechte, der fuͤr die ſchottiſche Maria ein Opfer war — Mein Vater, des Koͤnigs oberſter Kaͤmmerer wurde bezuͤchtigt, in verraͤthriſchem Vernehmen mit Frankreich zu ſtehen, durch einen Spruch der Parlamente verdammt, und enthauptet.","norm":"Ich bin fürstlichen Geblüts — — aus des unglücklichen Thomas Norfolks Geschlecht, der für die schottische Maria ein Opfer war — Mein Vater, des Königs oberster Kämmerer wurde bezichtigt, in verräterischem Vernehmen mit Frankreich zu stehen, durch einen Spruch der Parlamente verdammt, und enthauptet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":708,"orig":"— Alle unſre Guͤter fielen der Krone zu.","norm":"— Alle unsere Güter fielen der Krone zu."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":709,"orig":"Wir ſelbſt wurden des Landes verwieſen.","norm":"Wir selbst wurden des Landes verwiesen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":710,"orig":"Meine Mutter ſtarb am Tage der Hinrichtung.","norm":"Meine Mutter starb am Tage der Hinrichtung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":711,"orig":"Ich — — ein vierzehenjaͤhriges Maͤdchen — flohe nach Teutſchland mit meiner Waͤrterin — einem Kaͤſtchen Juweelen — und dieſem Familienkreuz, das meine ſterbende Mutter mit ihrem lezten Seegen mir in den Buſen ſtekte.","norm":"Ich — — ein vierzehnjähriges Mädchen — floh nach Deutschland mit meiner Wärterin — einem Kästchen Juwelen — und diesem Familienkreuz, das meine sterbende Mutter mit ihrem letzten Segen mir in den Busen steckte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":712,"orig":"Krank — — ohne Namen — — ohne Schuz und Vermoͤgen — eine auslaͤndiſche Wayſe kam ich nach Hamburg.","norm":"Krank — — ohne Namen — — ohne Schutz und Vermögen — eine ausländische Waise kam ich nach Hamburg."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":713,"orig":"Ich hatte nichts gelernt, als das Bischen Franzoͤſiſch — ein wenig Filet, und den Fluͤgel — deſto beſſer verſtund ich auf Gold und Silber zu ſpeiſen, unter damaſtenen Deken zu ſchlafen, mit einem Wink zehen Bediente fliegen zu machen, und die Schmeicheleien der Großen Ihres Geſchlechts aufzunehmen.","norm":"Ich hatte nichts gelernt, als das Bisschen Französisch — ein wenig Filet, und den Flügel — desto besser verstand ich auf Gold und Silber zu speisen, unter damastenen Decken zu schlafen, mit einem Wink zehn Bediente fliegen zu machen, und die Schmeicheleien der Großen Ihres Geschlechts aufzunehmen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":714,"orig":"— Sechs Jahre waren ſchon hingeweint.","norm":"— Sechs Jahre waren schon hingeweint."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":715,"orig":"— Die lezte Schmuknadel flog dahin — Meine Waͤrterin ſtarb — — — und jezt fuͤhrte mein Schikſal Ihren Herzog nach Hamburg.","norm":"— Die letzte Schmucknadel flog dahin — Meine Wärterin starb — — — und jetzt führte mein Schicksal Ihren Herzog nach Hamburg."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":716,"orig":"Ich ſpazierte damals an den Ufern der Elbe, ſah in den Strom, und fieng eben an zu phantaſieren, ob dieſes Waſſer oder mein Leiden das tiefſte waͤre?","norm":"Ich spazierte damals an den Ufern der Elbe, sah in den Strom, und fing eben an zu phantasieren, ob dieses Wasser oder mein Leiden das tiefste wäre?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":717,"orig":"— — Der Herzog ſah mich, verfolgte mich, fand meinen Aufenthalt, — lag zu meinen Fuͤßen, und ſchwur, daß er mich liebe.","norm":"— — der Herzog sah mich, verfolgte mich, fand meinen Aufenthalt, — lag zu meinen Füßen, und schwur, dass er mich liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":718,"orig":"Alle Bilder meiner gluͤklichen Kindheit wachten jezt wieder mit verfuͤhrendem Schimmer auf — Schwarz wie das Grab grau’te mich eine troſtloſe Zukunft an — Mein Herz brannte nach einem Herzen — Ich ſank an das ſeinige Jezt verdammen Sie mich!","norm":"Alle Bilder meiner glücklichen Kindheit wachten jetzt wieder mit verführendem Schimmer auf — Schwarz wie das Grab graute mich eine trostlose Zukunft an — Mein Herz brannte nach einem Herzen — Ich sank an das seinige jetzt verdammen Sie mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":719,"orig":"Lady!","norm":"Lady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":720,"orig":"o Himmel!","norm":"o Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":721,"orig":"Was hoͤr ich?","norm":"Was höre ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":722,"orig":"Was that ich?","norm":"Was tat ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":723,"orig":"— — Schreklich enthuͤllt ſich mein Frevel mir.","norm":"— — schrecklich enthüllt sich mein Frevel mir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":724,"orig":"Sie koͤnnen mir nicht mehr vergeben.","norm":"Sie können mir nicht mehr vergeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":725,"orig":"Hoͤren Sie weiter.","norm":"Hören Sie weiter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":726,"orig":"Der Fuͤrſt uͤberraſchte zwar meine wehrloſe Jugend — aber das Blut der Norfolk empoͤrte ſich in mir:","norm":"Der Fürst überraschte zwar meine wehrlose Jugend — aber das Blut der Norfolk empörte sich in mir:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":727,"orig":"Du eine geborene Fuͤrſtin, Emilie, rief es, und jezt eines Fuͤrſten Konkubine?","norm":"Du eine geborene Fürstin, Emilie, rief es, und jetzt eines Fürsten Konkubine?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":728,"orig":"— Stolz und Schikſal kaͤmpften in meiner Bruſt, als der Fuͤrſt mich hieher brachte, und auf einmal die ſchauderndſte Szene vor meinen Augen ſtand.","norm":"— Stolz und Schicksal kämpften in meiner Brust, als der Fürst mich hierher brachte, und auf einmal die schauderndste Szene vor meinen Augen stand."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":729,"orig":"— Die Wolluſt der Großen dieſer Welt iſt die nimmer ſatte Hyaͤne, die ſich mit Heißhunger Opfer ſucht.","norm":"— Die Wollust der Großen dieser Welt ist die nimmersatte Hyäne, die sich mit Heißhunger Opfer sucht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":730,"orig":"— Fuͤrchterlich hatte ſie ſchon in dieſem Lande gewuͤtet — hatte Braut und Braͤutigam zertrennt — hatte ſelbſt der Ehen goͤttliches Band zerriſſen — — hier das ſtille Gluͤk einer Familie geſchleift — dort ein junges unerfahrnes Herz der verheerenden Peſt aufgeſchloſſen, und ſterbende Schuͤlerinnen ſchaͤumten den Namen ihres Lehrers unter Fluͤchen und Zukungen aus — Ich ſtellte mich zwiſchen das Lamm und den Tyger; nahm einen fuͤrſtlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenſchaft, und dieſe abſcheuliche Opferung mußte aufhoͤren.","norm":"— Fürchterlich hatte sie schon in diesem Lande gewütet — hatte Braut und Bräutigam zertrennt — hatte selbst der Ehen göttliches Band zerrissen — — hier das stille Glück einer Familie geschleift — dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres Lehrers unter Flüchen und Zuckungen aus — Ich stellte mich zwischen das Lamm und den Tiger; nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung musste aufhören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":731,"orig":"Nichts mehr Milady!","norm":"Nichts mehr Mylady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":732,"orig":"Nicht weiter!","norm":"Nicht weiter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":733,"orig":"Dieſe traurige Periode hatte einer noch traurigern Plaz gemacht.","norm":"Diese traurige Periode hatte einer noch traurigeren Platz gemacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":734,"orig":"Hof und Serail wimmelten jezt von Italiens Auswurf.","norm":"Hof und Serail wimmelten jetzt von Italiens Auswurf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":735,"orig":"Flatterhafte Pariſerinnen taͤndelten mit dem furchtbaren Zepter, und das Volk blutete unter ihren Launen — Sie alle erlebten ihren Tag.","norm":"Flatterhafte Pariserinnen tändelten mit dem furchtbaren Zepter, und das Volk blutete unter ihren Launen — Sie alle erlebten ihren Tag."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":736,"orig":"Ich ſah ſie neben mir in den Staub ſinken, denn ich war mehr Kokette, als ſie alle.","norm":"Ich sah sie neben mir in den Staub sinken, denn ich war mehr Kokette, als sie alle."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":737,"orig":"Ich nahm dem Tyrannen den Zuͤgel ab, der wolluͤſtig in meiner Umarmung erſchlappte — dein Vaterland, Walter, fuͤhlte zum erſtenmal eine Menſchenhand, und ſank vertrauend an meinen Buſen.","norm":"Ich nahm dem Tyrannen den Zügel ab, der wollüstig in meiner Umarmung erschlappte — dein Vaterland, Walter, fühlte zum ersten Mal eine Menschenhand, und sank vertrauend an meinen Busen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":738,"orig":"O daß der Mann, von dem ich allein nicht verkannt ſeyn moͤchte, mich jezt zwingen muß, groß zu pralen, und meine ſtille Tugend am Licht der Bewunderung zu verſengen!","norm":"O dass der Mann, von dem ich allein nicht verkannt sein möchte, mich jetzt zwingen muss, groß zu prahlen, und meine stille Tugend am Licht der Bewunderung zu versengen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":739,"orig":"— Walter, ich habe Kerker geſprengt — habe Todesurtheile zerriſſen, und manche entſezliche Ewigkeit auf Galeeren verkuͤrzt.","norm":"— Walter, ich habe Kerker gesprengt — habe Todesurteile zerrissen, und manche entsetzliche Ewigkeit auf Galeeren verkürzt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":740,"orig":"In unheilbare Wunden hab ich doch wenigſtens ſtillenden Balſam gegoſſen — maͤchtige Frevler in Staub gelegt, und die verlorne Sache der Unſchuld oft noch mit einer buleriſchen Traͤne gerettet — Ha Juͤngling!","norm":"In unheilbare Wunden habe ich doch wenigstens stillenden Balsam gegossen — mächtige Frevler in Staub gelegt, und die verlorene Sache der Unschuld oft noch mit einer buhlerischen Träne gerettet — ha Jüngling!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":741,"orig":"wie ſuͤß war mir das!","norm":"wie süß war mir das!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":742,"orig":"Wie ſtolz konnte mein Herz jede Anklage meiner fuͤrſtlichen Geburt widerlegen!","norm":"Wie stolz konnte mein Herz jede Anklage meiner fürstlichen Geburt widerlegen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":743,"orig":"— Und jezt kommt der Mann, der allein mir das alles belonen ſollte — der Mann, den mein erſchoͤpftes Schikſal vielleicht zum Erſaz meiner vorigen Leiden ſchuf — der Mann, den ich mit brennender Sehnſucht im Traum ſchon umfaſſe —","norm":"— Und jetzt kommt der Mann, der allein mir das alles belohnen sollte — der Mann, den mein erschöpftes Schicksal vielleicht zum Ersatz meiner vorigen Leiden schuf — der Mann, den ich mit brennender Sehnsucht im Traum schon umfasse —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":744,"orig":"Zuviel!","norm":"Zu viel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":745,"orig":"Zuviel!","norm":"Zu viel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":746,"orig":"Das iſt wider die Abrede, Lady.","norm":"Das ist wider die Abrede, Lady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":747,"orig":"Sie ſollten ſich von Anklagen reinigen, und machen mich zu einem Verbrecher.","norm":"Sie sollten sich von Anklagen reinigen, und machen mich zu einem Verbrecher."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":748,"orig":"Schonen Sie — ich beſchwoͤre Sie — ſchonen Sie meines Herzens, das Beſchaͤmung und wuͤtende Reue zerreiſſen —","norm":"Schonen Sie — ich beschwöre Sie — schonen Sie meines Herzens, das Beschämung und wütende Reue zerreißen —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":749,"orig":"Jezt oder nimmermehr.","norm":"Jetzt oder nimmermehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":750,"orig":"Lange genug hielt die Heldin ſtand — Das Gewicht dieſer Traͤnen muſt du noch fuͤhlen Hoͤre Walter — wenn eine Ungluͤkliche — unwiderſtehlich allmaͤchtig an Dich gezogen — ſich an Dich preßt mit einem Buſen voll gluͤender unerſchoͤpflicher Liebe, — Walter — und Du jezt noch das kalte Wort Ehre ſprichſt — Wenn dieſe Ungluͤkliche — niedergedruͤkt vom Gefuͤl ihrer Schande — des Laſters uͤberdruͤßig — heldenmaͤßig empor gehoben vom Rufe der Tugend — ſich ſo — in Deine Arme wirft Durch Dich gerettet — durch Dich dem Himmel wieder geſchenkt ſeyn will, oder Deinem Bild zu entfliehen, dem fuͤrchterlichen Ruf der Verzweiflung gehorſam, in noch abſcheulichere Tiefen des Laſters wieder hinuntertaumelt —","norm":"Lange genug hielt die Heldin stand — das Gewicht dieser Tränen musst du noch fühlen Höre Walter — wenn eine Unglückliche — unwiderstehlich allmächtig an Dich gezogen — sich an Dich presst mit einem Busen voll glühender unerschöpflicher Liebe, — Walter — und Du jetzt noch das kalte Wort Ehre sprichst — wenn diese Unglückliche — niedergedrückt vom Gefühl ihrer Schande — des Lasters überdrüssig — heldenmäßig emporgehoben vom Rufe der Tugend — sich so — in Deine Arme wirft durch Dich gerettet — durch Dich dem Himmel wieder geschenkt sein will, oder Deinem Bild zu entfliehen, dem fürchterlichen Ruf der Verzweiflung Gehorsam, in noch abscheulichere Tiefen des Lasters wieder hinuntertaumelt —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":751,"orig":"Nein, beim großen Gott!","norm":"Nein, beim großen Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":752,"orig":"Ich kann das nicht aushalten — Lady, ich muß — Himmel und Erde liegen auf mir — ich muß Ihnen ein Geſtaͤndniß thun, Lady.","norm":"Ich kann das nicht aushalten — Lady, ich muss — Himmel und Erde liegen auf mir — ich muss Ihnen ein Geständnis tun, Lady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":753,"orig":"Jezt nicht!","norm":"Jetzt nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":754,"orig":"Jezt nicht, bei allem was heilig iſt — In dieſem entſezlichen Augenblik nicht, wo mein zerriſſenes Herz an tauſend Dolchſtichen blutet — Sey‘ s Tod oder Leben — ich darf es nicht — ich will es nicht hoͤren.","norm":"Jetzt nicht, bei allem was heilig ist — in diesem entsetzlichen Augenblick nicht, wo mein zerrissenes Herz an tausend Dolchstichen blutet — Sei‘ s Tod oder Leben — ich darf es nicht — ich will es nicht hören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":755,"orig":"Doch, doch beſte Lady.","norm":"Doch, doch beste Lady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":756,"orig":"Sie muͤſſen es.","norm":"Sie müssen es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":757,"orig":"Was ich Ihnen jezt ſagen werde, wird meine Strafbarkeit mindern, und eine warme Abbitte des Vergangenen ſeyn — Ich habe mich in Ihnen betrogen, Milady.","norm":"Was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird meine Strafbarkeit mindern, und eine warme Abbitte des Vergangenen sein — Ich habe mich in Ihnen betrogen, Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":758,"orig":"Ich erwartete — ich wuͤnſchte, Sie meiner Verachtung wuͤrdig zu finden.","norm":"Ich erwartete — ich wünschte, Sie meiner Verachtung würdig zu finden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":759,"orig":"Feſt entſchloſſen Sie zu beleidigen, und Ihren Haß zu verdienen, kam ich her — Gluͤklich wir beide, wenn mein Vorſaz gelungen waͤre!","norm":"Fest entschlossen Sie zu beleidigen, und Ihren Hass zu verdienen, kam ich her — glücklich wir beide, wenn mein Vorsatz gelungen wäre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":760,"orig":"Ich liebe Milady — liebe ein buͤrgerliches Maͤdchen — Louiſen Millerin — eines Muſikus Tochter.","norm":"Ich liebe Mylady — liebe ein bürgerliches Mädchen — Louise Millerin — eines Musikus Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":761,"orig":"Ich weiß, worein ich mich ſtuͤrze; aber wenn auch Klugheit die Leidenſchaft ſchweigen heißt, ſo redet die Pflicht deſto lauter — Ich bin der Schuldige.","norm":"Ich weiß, worein ich mich stürze; aber wenn auch Klugheit die Leidenschaft schweigen heißt, so redet die Pflicht desto lauter — Ich bin der Schuldige."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":762,"orig":"Ich zuerſt zerriß ihrer Unſchuld goldenen Frieden — wiegte ihr Herz mit vermeſſenen Hoffnungen, und gab es verraͤtheriſch der wilden Leidenſchaft Preiß.","norm":"Ich zuerst zerriss ihrer Unschuld goldenen Frieden — wiegte ihr Herz mit vermessenen Hoffnungen, und gab es verräterisch der wilden Leidenschaft Preis."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":763,"orig":"— Sie werden mich an Stand — an Geburt — an die Grundſaͤze meines Vaters erinnern — aber ich liebe — Meine Hoffnung ſteigt um ſo hoͤher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen zerfallen iſt.","norm":"— Sie werden mich an Stand — an Geburt — an die Grundsätze meines Vaters erinnern — aber ich liebe — Meine Hoffnung steigt um so höher, je tiefer die Natur mit Konvenienzen zerfallen ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":764,"orig":"— Mein Entſchluß und das Vorurtheil!","norm":"— Mein Entschluss und das Vorurteil!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":765,"orig":"— Wir wollen ſehen, ob die Mode oder die Menſchheit auf dem Plaz bleiben wird.","norm":"— Wir wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platz bleiben wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":766,"orig":"Sie wolten mir etwas ſagen, Milady?","norm":"Sie wollten mir etwas sagen, Mylady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":767,"orig":"Nichts Herr von Walter!","norm":"Nichts Herr von Walter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":768,"orig":"Nichts, als daß ſie Sich und Mich und noch eine Dritte zu Grund richten.","norm":"Nichts, als dass sie Sich und mich und noch eine Dritte zugrund richten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":769,"orig":"Noch eine Dritte?","norm":"Noch eine Dritte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":770,"orig":"Wir koͤnnen miteinander nicht gluͤklich werden.","norm":"Wir können miteinander nicht glücklich werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":771,"orig":"Wir muͤßen doch der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden.","norm":"Wir müssen doch der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":772,"orig":"Nimmermehr werd ich das Herz eines Mannes haben, der mir ſeine Hand nur gezwungen gab.","norm":"Nimmermehr werde ich das Herz eines Mannes haben, der mir seine Hand nur gezwungen gab."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":773,"orig":"Gezwungen Lady?","norm":"Gezwungen Lady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":774,"orig":"Gezwungen gab?","norm":"Gezwungen gab?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":775,"orig":"und alſo doch gab?","norm":"und also doch gab?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":776,"orig":"Koͤnnen Sie eine Hand ohne Herz erzwingen?","norm":"Können Sie eine Hand ohne Herz erzwingen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":777,"orig":"Sie einem Maͤdchen den Mann entwenden, der die ganze Welt dieſes Maͤdchens iſt?","norm":"Sie einem Mädchen den Mann entwenden, der die ganze Welt dieses Mädchens ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":778,"orig":"Sie einen Mann von dem Maͤdchen reiſſen, das die ganze Welt dieſes Mannes iſt?","norm":"Sie einen Mann von dem Mädchen reißen, das die ganze Welt dieses Mannes ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":779,"orig":"Sie Milady — vor einem Augenblik die bewundernſwuͤrdige Brittin?","norm":"Sie Mylady — vor einem Augenblick die bewunderungswürdige Britin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":780,"orig":"— Sie koͤnnen das?","norm":"— Sie können das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":781,"orig":"Weil ich es muß.","norm":"Weil ich es muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":782,"orig":"Meine Leidenſchaft, Walter, weicht meiner Zaͤrtlichkeit fuͤr Sie.","norm":"Meine Leidenschaft, Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":783,"orig":"Meine Ehre kanns nicht mehr — Unſre Verbindung iſt das Geſpraͤch des ganzen Landes.","norm":"Meine Ehre kann es nicht mehr — unsere Verbindung ist das Gespräch des ganzen Landes."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":784,"orig":"Alle Augen, alle Pfeile des Spotts ſind auf mich geſpannt.","norm":"Alle Augen, alle Pfeile des Spotts sind auf mich gespannt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":785,"orig":"Die Beſchimpfung iſt unausloͤſchlich, wenn ein Unterthan des Fuͤrſten mich ausſchlaͤgt.","norm":"Die Beschimpfung ist unauslöschlich, wenn ein Untertan des Fürsten mich ausschlägt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":786,"orig":"Rechten Sie mit Ihrem Vater.","norm":"Rechten Sie mit Ihrem Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":787,"orig":"Wehren Sie ſich ſo gut Sie koͤnnen.","norm":"Wehren Sie sich so gut Sie können."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":788,"orig":"— Ich laß alle Minen ſprengen.","norm":"— Ich lass alle Meinen sprengen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":789,"orig":"Ich habs ja zuvor geſagt!","norm":"Ich habe es ja zuvor gesagt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":790,"orig":"Was, Vater, Was?","norm":"Was, Vater, Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":791,"orig":"Meinen Staatsrok her — hurtig — ich muß ihm zuvorkommen — und ein weiſſes Manſchettenhemd!","norm":"Meinen Staatsrock her — hurtig — ich muss ihm zuvorkommen — und ein weißes Manschettenhemd!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":792,"orig":"— Das hab ich mir gleich eingebildet!","norm":"— Das habe ich mir gleich eingebildet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":793,"orig":"Um Gotteswillen!","norm":"Um Gottes willen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":794,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":795,"orig":"Was gibts denn?","norm":"Was gibt es denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":796,"orig":"Was iſts denn?","norm":"Was ist es denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":797,"orig":"Nur gleich zum Friſeur das!","norm":"Nur gleich zum Friseur das!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":798,"orig":"— Was es gibt?","norm":"— Was es gibt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":799,"orig":"Und mein Bart iſt auch wieder Fingerslang — Was es gibt?","norm":"Und mein Bart ist auch wieder Fingerslang — was es gibt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":800,"orig":"— Was wirds geben, du Rabenaas?","norm":"— Was wird es geben, du Rabenaas?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":801,"orig":"— Der Teufel iſt los, und dich ſoll das Wetter ſchlagen.","norm":"— Der Teufel ist los, und dich soll das Wetter schlagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":802,"orig":"Da ſehe man!","norm":"Da sehe man!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":803,"orig":"Ueber mich muß gleich alles kommen.","norm":"Über mich muss gleich alles kommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":804,"orig":"Ueber dich?","norm":"Über dich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":805,"orig":"Ja blaues Donnermaul und uͤber wen anders?","norm":"Ja blaues Donnermaul und über wen anders?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":806,"orig":"Heute fruͤh mit deinem diaboliſchen Junker — Hab ichs nicht im Moment geſagt?","norm":"Heute früh mit deinem diabolischen Junker — Habe ich es nicht im Moment gesagt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":807,"orig":"— Der Wurm hat geplaudert.","norm":"— Der Wurm hat geplaudert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":808,"orig":"Ah was!","norm":"Ah was!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":809,"orig":"Wie kannſt du das wiſſen?","norm":"Wie kannst du das wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":810,"orig":"Wie kann ich das wiſſen?","norm":"Wie kann ich das wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":811,"orig":"— Da!","norm":"— Da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":812,"orig":"— unter der Hausthuͤre ſpukt ein Kerl des Miniſters, und fragt nach dem Geiger.","norm":"— unter der Haustür spukt ein Kerl des Ministers, und fragt nach dem Geiger."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":813,"orig":"Ich bin des Todes.","norm":"Ich bin des Todes."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":814,"orig":"Du aber auch mit deinen Vergißmeinnichtsaugen Das hat ſeine Richtigkeit, wem der Teufel ein Ey in die Wirthſchaft gelegt hat, dem wird eine huͤbſche Tochter geboren — Jezt hab ichs blank!","norm":"Du aber auch mit deinen Vergissmeinnichtsaugen das hat seine Richtigkeit, wem der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt hat, dem wird eine hübsche Tochter geboren — jetzt habe ich es blank!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":815,"orig":"Woher weißt du denn, daß es der Louiſe gilt?","norm":"Woher weißt du denn, dass es der Louise gilt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":816,"orig":"— Du kannſt dem Herzog rekommendirt worden ſeyn.","norm":"— Du kannst dem Herzog rekommendiert worden sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":817,"orig":"Er kann dich ins Orcheſter verlangen.","norm":"Er kann dich ins Orchester verlangen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":818,"orig":"Daß dich der Schwefelregen von Sodom!","norm":"Dass dich der Schwefelregen von Sodom!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":819,"orig":"— Orcheſter!","norm":"— Orchester!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":820,"orig":"— Ja, wo du Kupplerin den Diskant wirſt heulen, und mein blauer Hinterer den Konterbaß vorſtellen.","norm":"— Ja, wo du Kupplerin den Diskant wirst heulen, und mein blauer Hinterer den Konterbass vorstellen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":821,"orig":"Gott im Himmel!","norm":"Gott im Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":822,"orig":"Mutter!","norm":"Mutter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":823,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":824,"orig":"Warum wird mir auf einmal ſo bange?","norm":"Warum wird mir auf einmal so bange?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":825,"orig":"Aber ſoll mir der Dintenklekſer einmal in den Schuß laufen?","norm":"Aber soll mir der Tintenkleckser einmal in den Schuss laufen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":826,"orig":"Soll er mir laufen?","norm":"Soll er mir laufen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":827,"orig":"— Es ſei in dieſer oder in jener Welt — Wenn ich ihm nicht Leib und Seele breyweich zuſammen dreſche, alle zehen Gebote und alle ſieben Bitten im Vaterunſer, und alle Buͤcher Moſis und der Propheten aufs Leder ſchreibe, daß man die blaue Fleken bei der Auferſtehung der Toden noch ſehen ſoll —","norm":"— Es sei in dieser oder in jener Welt — wenn ich ihm nicht Leib und Seele breiweich zusammendresche, alle zehn Gebote und alle sieben Bitten im Vaterunser, und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder schreibe, dass man die blaue Flecken bei der Auferstehung der Toten noch sehen soll —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":828,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":829,"orig":"fluch du und poltre du!","norm":"Fluch du und poltre du!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":830,"orig":"Das wird jezt den Teufel bannen.","norm":"Das wird jetzt den Teufel bannen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":831,"orig":"Hilf heiliger Herregott!","norm":"Hilf heiliger Herregott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":832,"orig":"Wohinaus nun?","norm":"Wohinaus nun?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":833,"orig":"Wie werden wir Rath ſchaffen?","norm":"Wie werden wir Rat schaffen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":834,"orig":"Was nun anfangen?","norm":"Was nun anfangen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":835,"orig":"Vater Miller, ſo rede doch!","norm":"Vater Miller, so rede doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":836,"orig":"Auf der Stell zum Miniſter will ich.","norm":"Auf der Stell zum Minister will ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":837,"orig":"Ich zuerſt will mein Maul aufthun — Ich ſelbſt will es angeben.","norm":"Ich zuerst will mein Maul auftun — Ich selbst will es angeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":838,"orig":"Du haſt es vor mir gewußt.","norm":"Du hast es vor mir gewusst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":839,"orig":"Du haͤtteſt mir einen Wink geben koͤnnen.","norm":"Du hättest mir einen Wink geben können."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":840,"orig":"Das Maͤdel haͤtt ſich noch weiſen laſſen.","norm":"Das Mädel hätte sich noch weisen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":841,"orig":"Es waͤre noch Zeit geweſen — aber Nein!","norm":"Es wäre noch Zeit gewesen — aber Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":842,"orig":"— Da hat ſich was makeln laſſen; da hat ſich was fiſchen laſſen!","norm":"— Da hat sich was makeln lassen; da hat sich was fischen lassen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":843,"orig":"Da haſt du noch Holz obendrein zugetragen!","norm":"Da hast du noch Holz obendrein zugetragen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":844,"orig":"— Jezt ſorg auch fuͤr deinen Kuppelpelz.","norm":"— Jetzt sorg auch für deinen Kuppelpelz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":845,"orig":"Friß aus, was du einbrokteſt.","norm":"Friss aus, was du einbrocktest."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":846,"orig":"Ich nehme meine Tochter in Arm, und marſch mit ihr uͤber die Graͤnze.","norm":"Ich nehme meine Tochter in Arm, und marsch mit ihr über die Grenze."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":847,"orig":"War mein Vater da?","norm":"War mein Vater da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":848,"orig":"Sein Vater!","norm":"Sein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":849,"orig":"allmaͤchtiger Gott!","norm":"Allmächtiger Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":850,"orig":"Der Praͤſident!","norm":"Der Präsident!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":851,"orig":"Es iſt aus mit uns!","norm":"Es ist aus mit uns!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":852,"orig":"Gottlob!","norm":"Gottlob!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":853,"orig":"Gottlob!","norm":"Gottlob!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":854,"orig":"Da haben wir ja die Beſcheerung!","norm":"Da haben wir ja die Bescherung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":855,"orig":"Mein biſt du, und waͤrfen Hoͤll' und Himmel ſich zwiſchen uns.","norm":"Mein bist du, und würfen Höll und Himmel sich zwischen uns."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":856,"orig":"Mein Tod iſt gewis — Rede weiter — Du ſprachſt einen ſchreklichen Namen aus — dein Vater?","norm":"Mein Tod ist gewiss — Rede weiter — Du sprachst einen schrecklichen Namen aus — dein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":857,"orig":"Nichts.","norm":"Nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":858,"orig":"Nichts.","norm":"Nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":859,"orig":"Es iſt uͤberſtanden.","norm":"Es ist überstanden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":860,"orig":"Ich hab dich ja wieder.","norm":"Ich habe dich ja wieder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":861,"orig":"Du haſt mich ja wieder.","norm":"Du hast mich ja wieder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":862,"orig":"O laß mich Athem ſchoͤpfen an dieſer Bruſt.","norm":"O lass mich Atem schöpfen an dieser Brust."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":863,"orig":"Es war eine ſchrekliche Stunde.","norm":"Es war eine schreckliche Stunde."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":864,"orig":"Welche?","norm":"Welche?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":865,"orig":"Du toͤdeſt mich!","norm":"Du tötest mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":866,"orig":"Eine Stunde, Louiſe, wo zwiſchen mein Herz und Dich eine fremde Geſtalt ſich warf — wo meine Liebe vor meinem Gewiſſen erblaßte — wo meine Louiſe aufhoͤrte, Ihrem Ferdinand alles zu ſeyn — —","norm":"Eine Stunde, Louise, wo zwischen mein Herz und Dich eine fremde Gestalt sich warf — wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblasste — wo meine Louise aufhörte, Ihrem Ferdinand alles zu sein — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":867,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":868,"orig":"Nimmermehr!","norm":"Nimmermehr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":869,"orig":"Unmoͤglich Lady!","norm":"Unmöglich Lady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":870,"orig":"Zuviel verlangt!","norm":"Zu viel verlangt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":871,"orig":"Ich kann Dir dieſe Unſchuld nicht opfern — Nein beim unendlichen Gott!","norm":"Ich kann Dir diese Unschuld nicht opfern — Nein beim unendlichen Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":872,"orig":"ich kann meinen Eid nicht verlezen, der mich laut wie des Himmels Donner aus dieſem brechenden Auge mahnt — Lady blik hieher — hieher du Rabenvater — Ich ſoll dieſen Engel wuͤrgen?","norm":"ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels Donner aus diesem brechenden Auge mahnt — Lady Blick hierher — hierher du Rabenvater — Ich soll diesen Engel würgen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":873,"orig":"Die Hoͤlle ſoll ich in dieſen himmliſchen Buſen ſchuͤtten?","norm":"Die Hölle soll ich in diesen himmlischen Busen schütten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":874,"orig":"Ich will ſie fuͤhren vor des Weltrichters Tron, und ob meine Liebe Verbrechen iſt, ſoll der Ewige ſagen.","norm":"Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe Verbrechen ist, soll der Ewige sagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":875,"orig":"Faſſe Muth meine Theuerſte!","norm":"Fasse Mut meine Teuerste!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":876,"orig":"— Du haſt gewonnen.","norm":"— Du hast gewonnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":877,"orig":"Als Sieger komm ich aus dem gefaͤhrlichſten Kampf zuruͤk.","norm":"Als Sieger komme ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":878,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":879,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":880,"orig":"Verhehle mir nichts.","norm":"Verhehle mir nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":881,"orig":"Sprich es aus das entſezliche Urtheil.","norm":"Sprich es aus das entsetzliche Urteil."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":882,"orig":"Deinen Vater nannteſt du?","norm":"Deinen Vater nanntest du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":883,"orig":"Du nannteſt die Lady?","norm":"Du nanntest die Lady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":884,"orig":"— Schauer des Todes ergreifen mich — Man ſagt, ſie wird heiraten.","norm":"— Schauer des Todes ergreifen mich — Man sagt, sie wird heiraten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":885,"orig":"Mich, Ungluͤkſelige!","norm":"Mich, Unglückselige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":886,"orig":"Nun — was erſchrek ich denn?","norm":"Nun — was erschrecke ich denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":887,"orig":"— Der alte Mann dort hat mirs ja oft geſagt — ich hab es ihm nie glauben wollen","norm":"— Der alte Mann dort hat mir es ja oft gesagt — ich habe es ihm nie glauben wollen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":888,"orig":"Vater, hier iſt deine Tochter wieder — Verzeihung Vater — Dein Kind kann ja nicht dafuͤr, daß dieſer Traum ſo ſchoͤn war, und — — ſo fuͤrchterlich jezt das Erwachen — —","norm":"Vater, hier ist deine Tochter wieder — Verzeihung Vater — Dein Kind kann ja nicht dafür, dass dieser Traum so schön war, und — — so fürchterlich jetzt das Erwachen — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":889,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":890,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":891,"orig":"— O Gott ſie iſt von ſich — Meine Tochter, mein armes Kind — Fluch uͤber den Verfuͤhrer!","norm":"— O Gott sie ist von sich — Meine Tochter, mein armes Kind — Fluch über den Verführer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":892,"orig":"— Fluch uͤber das Weib, das ihm kuppelte!","norm":"— Fluch über das Weib, das ihm kuppelte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":893,"orig":"Verdien ich dieſen Fluch, meine Tochter?","norm":"Verdiene ich diesen Fluch, meine Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":894,"orig":"Vergebs Ihnen Gott, Baron — Was hat dieſes Lamm gethan, daß Sie es wuͤrgen?","norm":"Vergebe es Ihnen Gott, Baron — was hat dieses Lamm getan, dass Sie es würgen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":895,"orig":"Aber ich will ſeine Kabalen durchboren — durchreiſſen will ich alle dieſe eiſerne Ketten des Vorurtheils — Frei wie ein Mann will ich waͤhlen, daß dieſe Inſektenſeelen am Rieſenwerk meiner Liebe hinaufſchwindeln","norm":"Aber ich will seine Kabalen durchbohren — durchreißen will ich alle diese eiserne Ketten des Vorurteils — Frei wie ein Mann will ich wählen, dass diese Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":896,"orig":"Bleib!","norm":"Bleib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":897,"orig":"Bleib!","norm":"Bleib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":898,"orig":"Wohin willſt du?","norm":"Wohin willst du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":899,"orig":"— Vater — Mutter — in dieſer bangen Stunde verlaͤßt er uns?","norm":"— Vater — Mutter — in dieser bangen Stunde verlässt er uns?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":900,"orig":"Der Praͤſident wird hieher kommen — Er wird unſer Kind mishandeln — Er wird uns mishandeln — Herr von Walter, und Sie verlaſſen uns?","norm":"Der Präsident wird hierherkommen — er wird unser Kind misshandeln — er wird uns misshandeln — Herr von Walter, und Sie verlassen uns?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":901,"orig":"Verlaͤßt uns!","norm":"Verlässt uns!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":902,"orig":"Freilich!","norm":"Freilich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":903,"orig":"Warum nicht?","norm":"Warum nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":904,"orig":"— Sie gab ihm ja alles hin!","norm":"— Sie gab ihm ja alles hin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":905,"orig":"Geduld Herr!","norm":"Geduld Herr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":906,"orig":"der Weg aus meinem Hauſe geht nur uͤber Dieſe da — Erwarte erſt deinen Vater, wenn du kein Bube biſt — Erzaͤhl es ihm, wie du dich in ihr Herz ſtahlſt, Betruͤger, oder bei Gott Du ſollſt mir zuvor dieſen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu Dir ſo zu Schanden richtete.","norm":"der Weg aus meinem Hause geht nur über diese da — Erwarte erst deinen Vater, wenn du kein Bube bist — Erzähle es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder bei Gott Du sollst mir zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu Dir so zuschanden richtete."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":907,"orig":"Zwar die Gewalt des Praͤſidenten iſt gros — Vaterrecht iſt ein weites Wort — der Frevel ſelbſt kann ſich in ſeinen Falten verſteken — er kann es weit damit treiben — Weit!","norm":"Zwar die Gewalt des Präsidenten ist groß — Vaterrecht ist ein weites Wort — der Frevel selbst kann sich in seinen Falten verstecken — er kann es weit damit treiben — weit!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":908,"orig":"— Doch aufs aͤuſerſte treibts nur die Liebe — Hier Louiſe!","norm":"— Doch aufs Äußerste treibt es nur die Liebe — hier Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":909,"orig":"Deine Hand in die meinige So wahr mich Gott im lezten Hauch nicht verlaſſen ſoll!","norm":"Deine Hand in die meinige so wahr mich Gott im letzten Hauch nicht verlassen soll!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":910,"orig":"— Der Augenblik, der dieſe zwo Haͤnde trennt, zerreißt auch den Faden zwiſchen Mir und der Schoͤpfung.","norm":"— Der Augenblick, der diese zwei Hände trennt, zerreißt auch den Faden zwischen Mir und der Schöpfung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":911,"orig":"Mir wird bange!","norm":"Mir wird bange!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":912,"orig":"Blik weg!","norm":"Blick weg!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":913,"orig":"Deine Lippen beben.","norm":"Deine Lippen beben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":914,"orig":"Dein Auge rollt fuͤrchterlich —","norm":"Dein Auge rollt fürchterlich —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":915,"orig":"Nein Louiſe.","norm":"Nein Louise."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":916,"orig":"Zittre nicht.","norm":"Zittre nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":917,"orig":"Es iſt nicht Wahnſinn was aus mir redet.","norm":"Es ist nicht Wahnsinn was aus mir redet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":918,"orig":"Es iſt das koͤſtliche Geſchenk des Himmels, Entſchluß in dem geltenden Augenblik, wo die gepreßte Bruſt nur durch etwas Unerhoͤrtes ſich Luft macht — Ich liebe dich Louiſe — Du ſollſt mir bleiben, Louiſe — Jezt zu meinem Vater","norm":"Es ist das köstliche Geschenk des Himmels, Entschluss in dem geltenden Augenblick, wo die gepresste Brust nur durch etwas Unerhörtes sich Luft macht — Ich liebe dich Louise — Du sollst mir bleiben, Louise — jetzt zu meinem Vater"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":919,"orig":"Da iſt er ſchon.","norm":"Da ist er schon."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":920,"orig":"Im Hauſe der Unſchuld.","norm":"Im Hause der Unschuld."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":921,"orig":"Wo der Sohn Gehorſam gegen den Vater lernt?","norm":"Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":922,"orig":"Laſſen Sie uns das — —","norm":"Lassen Sie uns das — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":923,"orig":"Er iſt der Vater?","norm":"Er ist der Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":924,"orig":"Stadtmuſikant Miller.","norm":"Stadtmusikant Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":925,"orig":"Sie die Mutter?","norm":"Sie die Mutter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":926,"orig":"Ach ja!","norm":"Ach ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":927,"orig":"die Mutter.","norm":"die Mutter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":928,"orig":"Vater, bring er die Tochter weg — Sie droht eine Ohnmacht.","norm":"Vater, bringe er die Tochter weg — Sie droht eine Ohnmacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":929,"orig":"Ueberfluͤßige Sorgfalt.","norm":"Überflüssige Sorgfalt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":930,"orig":"Ich will ſie anſtreichen Wie lang kennt Sie den Sohn des Praͤſidenten?","norm":"Ich will sie anstreichen wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":931,"orig":"Dieſem habe ich nie nachgefragt.","norm":"Diesem habe ich nie nachgefragt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":932,"orig":"Ferdinand von Walter beſucht mich ſeit dem November.","norm":"Ferdinand von Walter besucht mich seit dem November."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":933,"orig":"Betet ſie an.","norm":"Betet sie an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":934,"orig":"Erhielt Sie Verſicherungen?","norm":"Erhielt Sie Versicherungen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":935,"orig":"Vor wenig Augenbliken die feierlichſte im Angeſicht Gottes.","norm":"Vor wenigen Augenblicken die feierlichste im Angesicht Gottes."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":936,"orig":"Zur Beichte deiner Thorheit wird man dir ſchon das Zeichen geben Ich warte auf Antwort.","norm":"Zur Beichte deiner Torheit wird man dir schon das Zeichen geben Ich warte auf Antwort."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":937,"orig":"Er ſchwur mir Liebe.","norm":"Er schwur mir Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":938,"orig":"Und wird ſie halten.","norm":"Und wird sie halten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":939,"orig":"Muß ich befehlen, daß du ſchweigſt?","norm":"Muss ich befehlen, dass du schweigst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":940,"orig":"— Nahm Sie den Schwur an?","norm":"— Nahm Sie den Schwur an?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":941,"orig":"Ich erwiederte ihn.","norm":"Ich erwiderte ihn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":942,"orig":"Der Bund iſt geſchloſſen.","norm":"Der Bund ist geschlossen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":943,"orig":"Ich werde das Echo hinauswerfen laſſen Aber er bezahlte Sie doch jederzeit baar?","norm":"Ich werde das Echo hinauswerfen lassen Aber er bezahlte Sie doch jederzeit bar?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":944,"orig":"Dieſe Frage verſtehe ich nicht ganz.","norm":"Diese Frage verstehe ich nicht ganz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":945,"orig":"Nicht?","norm":"Nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":946,"orig":"Nun!","norm":"Nun!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":947,"orig":"ich meyne nur — Jedes Handwerk hat, wie man ſagt, ſeinen goldenen Boden — auch Sie, hoff ich, wird ihre Gunſt nicht verſchenkt haben — oder wars Ihr vielleicht mit dem bloſen Verſchluß gedient?","norm":"ich meine nur — jedes Handwerk hat, wie man sagt, seinen goldenen Boden — auch Sie, hoffe ich, wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben — oder war es Ihr vielleicht mit dem bloßen Verschluss gedient?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":948,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":949,"orig":"Hoͤlle!","norm":"Hölle!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":950,"orig":"was war das?","norm":"was war das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":951,"orig":"Herr von Walter, jezt ſind Sie frei.","norm":"Herr von Walter, jetzt sind Sie frei."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":952,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":953,"orig":"Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid.","norm":"Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":954,"orig":"Eine luſtige Zumutung!","norm":"Eine lustige Zumutung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":955,"orig":"Der Vater ſoll die Hure des Sohns reſpektiren.","norm":"Der Vater soll die Hure des Sohns respektieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":956,"orig":"O Himmel und Erde!","norm":"O Himmel und Erde!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":957,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":958,"orig":"Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fodern — Es iſt bezahlt Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerriſſen da —","norm":"Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fordern — es ist bezahlt der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":959,"orig":"Ewr Exzellenz — Das Kind iſt des Vaters Arbeit — Halten zu Gnaden — Wer das Kind eine Maͤhre ſchilt, ſchlaͤgt den Vater an's Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig — Das iſt ſo Tax bei uns — Halten zu Gnaden.","norm":"Euer Exzellenz — das Kind ist des Vaters Arbeit — Halten zu Gnaden — wer das Kind eine Mähre scheltet, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig — das ist so Tax bei uns — Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":960,"orig":"Hilf Herr und Heiland!","norm":"Hilf Herr und Heiland!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":961,"orig":"— Jezt bricht auch der Alte los — uͤber unſerm Kopf wird das Wetter zuſammenſchlagen.","norm":"— Jetzt bricht auch der Alte los — über unserem Kopf wird das Wetter zusammenschlagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":962,"orig":"Regt ſich der Kuppler auch?","norm":"Regt sich der Kuppler auch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":963,"orig":"— Wir ſprechen uns gleich Kuppler.","norm":"— Wir sprechen uns gleich Kuppler."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":964,"orig":"Halten zu Gnaden.","norm":"Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":965,"orig":"Ich heiſſe Miller, wenn Sie ein Adagio hoͤren wollen — mit Buhlſchaften dien ich nicht.","norm":"Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio hören wollen — mit Buhlschaften diene ich nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":966,"orig":"So lang der Hof da noch Vorrath hat, kommt die Lieferung nicht an uns Buͤrgersleut'.","norm":"Solang der Hof da noch Vorrat hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":967,"orig":"Halten zu Gnaden.","norm":"Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":968,"orig":"Um des Himmels willen, Mann!","norm":"Um des Himmels willen, Mann!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":969,"orig":"Du bringſt Weib und Kind um.","norm":"Du bringst Weib und Kind um."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":970,"orig":"Sie ſpielen hier eine Rolle mein Vater, wobei Sie ſich wenigſtens die Zeugen haͤtten erſparen koͤnnen.","norm":"Sie spielen hier eine Rolle mein Vater, wobei Sie sich wenigstens die Zeugen hätten ersparen können."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":971,"orig":"Teutſch und verſtaͤndlich.","norm":"Deutsch und verständlich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":972,"orig":"Halten zu Gnaden.","norm":"Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":973,"orig":"Ewr Exzellenz ſchalten und walten im Land.","norm":"Euer Exzellenz schalten und walten im Land."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":974,"orig":"Das iſt meine Stube.","norm":"Das ist meine Stube."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":975,"orig":"Mein devoteſtes Kompliment, wenn ich dermaleins ein pro memoria bringe, aber den ungehobelten Gaſt werf ich zur Thuͤr hinaus — Halten zu Gnaden.","norm":"Mein devotestes Kompliment, wenn ich dermaleins ein Promemoria bringe, aber den ungehobelten Gast werfe ich zur Tür hinaus — Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":976,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":977,"orig":"— Was iſt das?","norm":"— Was ist das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":978,"orig":"Das war nur ſo meine Meynung, Herr — Halten zu Gnaden.","norm":"Das war nur so meine Meinung, Herr — Halten zu Gnaden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":979,"orig":"Ha Spizbube!","norm":"Ha Spitzbube!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":980,"orig":"In's Zuchthaus ſpricht dich deine vermeſſene Meynung — Fort!","norm":"Ins Zuchthaus spricht dich deine vermessene Meinung — Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":981,"orig":"Man ſoll Gerichtsdiener hohlen","norm":"Man soll Gerichtsdiener holen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":982,"orig":"Vater ins Zuchthaus — an den Pranger, Mutter und Maͤtze von Tochter!","norm":"Vater ins Zuchthaus — an den Pranger, Mutter und Metze von Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":983,"orig":"— Die Gerechtigkeit ſoll meiner Wut ihre Arme borgen.","norm":"— Die Gerechtigkeit soll meiner Wut ihre Arme borgen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":984,"orig":"Fuͤr dieſen Schimpf muß ich ſchrekliche Genugthuung haben — Ein ſolches Geſindel ſolte meine Plane zerſchlagen, und ungeſtraft Vater und Sohn aneinander hezen?","norm":"Für diesen Schimpf muss ich schreckliche Genugtuung haben — ein solches Gesindel sollte meine Plane zerschlagen, und ungestraft Vater und Sohn aneinanderhetzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":985,"orig":"— Ha Verfluchte!","norm":"— Ha Verfluchte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":986,"orig":"Ich will meinen Haß an eurem Untergang ſaͤttigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern.","norm":"Ich will meinen Hass an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":987,"orig":"O nicht doch!","norm":"O nicht doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":988,"orig":"Seyd auſſer Furcht!","norm":"Seid außer Furcht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":989,"orig":"Ich bin zugegen Keine Uebereilung mein Vater!","norm":"Ich bin zugegen keine Übereilung mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":990,"orig":"Wenn Sie ſich ſelbſt lieben, keine Gewalthaͤtigkeit — Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worinn das Wort Vater noch nie gehoͤrt worden iſt — Dringen Sie nicht bis in dieſe.","norm":"Wenn Sie sich selbst lieben, keine Gewalttätigkeit — es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist — Dringen Sie nicht bis in diese."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":991,"orig":"Nichtswuͤrdiger!","norm":"Nichtswürdiger!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":992,"orig":"Schweig!","norm":"Schweige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":993,"orig":"Reize meinen Grimm nicht noch mehr.","norm":"Reize meinen Grimm nicht noch mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":994,"orig":"Schau du nach deinem Kinde, Frau.","norm":"Schau du nach deinem Kinde, Frau."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":995,"orig":"Ich laufe zum Herzog.","norm":"Ich laufe zum Herzog."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":996,"orig":"Der Leibſchneider — das hat mir Gott eingeblaſen!","norm":"Der Leibschneider — das hat mir Gott eingeblasen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":997,"orig":"— Der Leibſchneider lernt die Floͤte bei mir.","norm":"— Der Leibschneider lernt die Flöte bei mir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":998,"orig":"Es kann mir nicht fehlen beim Herzog","norm":"Es kann mir nicht fehlen beim Herzog"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":999,"orig":"Beim Herzog ſagſt du?","norm":"Beim Herzog sagst du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1000,"orig":"— Haſt du vergeſſen, daß ich die Schwelle bin, woruͤber du ſpringen oder den Hals brechen muſt?","norm":"— Hast du vergessen, dass ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen musst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1001,"orig":"— Beim Herzog du Dummkopf?","norm":"— Beim Herzog du Dummkopf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1002,"orig":"— Verſuch' es, wenn du, lebendig todt, eine Thurmhoͤhe tief, unter dem Boden im Kerker liegſt, wo die Nacht mit der Hoͤlle liebaͤugelt, und Schall und Licht wieder umkehren, raßle dann mit deinen Ketten und wimmre:","norm":"— Versuch es, wenn du, lebendig tot, eine Turmhöhe tief, unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt, und Schall und Licht wieder umkehren, rassle dann mit deinen Ketten und wimmre:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1003,"orig":"Mir iſt zuviel geſchehen!","norm":"Mir ist zu viel geschehen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1004,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1005,"orig":"Hilfe!","norm":"Hilfe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1006,"orig":"Rettung!","norm":"Rettung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1007,"orig":"Der Schreken uͤberwaͤltigte ſie.","norm":"Der Schrecken überwältigte sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1008,"orig":"Legt Hand an im Namen des Herzogs — Weg von der Maͤze, Junge — Ohnmaͤchtig oder nicht — Wenn ſie nur erſt das eiſerne Halsband um hat, wird man ſie ſchon mit Steinwuͤrfen aufweken.","norm":"Legt Hand an im Namen des Herzogs — Weg von der Metze, Junge — Ohnmächtig oder nicht — wenn sie nur erst das eiserne Halsband um hat, wird man sie schon mit Steinwürfen aufwecken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1009,"orig":"Erbarmung Ihro Exzellenz!","norm":"Erbarmung Ihre Exzellenz!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1010,"orig":"Erbarmung!","norm":"Erbarmung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1011,"orig":"Erbarmung!","norm":"Erbarmung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1012,"orig":"Knie vor Gott alte Heulhure, und nicht vor — — Schelmen, weil ich ja doch ſchon ins Zuchthaus muß.","norm":"Knie vor Gott alte Heulhure, und nicht vor — — Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1013,"orig":"Du kannſt dich verrechnen, Bube.","norm":"Du kannst dich verrechnen, Bube."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1014,"orig":"Es ſtehen noch Galgen leer Muß ich es noch einmal ſagen?","norm":"Es stehen noch Galgen leer muss ich es noch einmal sagen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1015,"orig":"Wer will was?","norm":"Wer will was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1016,"orig":"Wag es, ſie anzuruͤhren, wer nicht auch die Hirnſchale an die Gerichte vermiethet hat","norm":"Wage es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an die Gerichte vermietet hat"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1017,"orig":"Schonen Sie Ihrer ſelbſt.","norm":"Schonen Sie Ihrer selbst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1018,"orig":"Treiben Sie mich nicht weiter mein Vater.","norm":"Treiben Sie mich nicht weiter mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1019,"orig":"Wenn euch euer Brod lieb iſt, Memmen —","norm":"Wenn euch euer Brot lieb ist, Memmen —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1020,"orig":"Tod und alle Teufel!","norm":"Tod und alle Teufel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1021,"orig":"Ich ſage:","norm":"Ich sage:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1022,"orig":"Zuruͤk — Noch einmal.","norm":"Zurück — noch einmal."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1023,"orig":"Haben Sie Erbarmen mit ſich ſelbſt.","norm":"Haben Sie Erbarmen mit sich selbst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1024,"orig":"Treiben Sie mich nicht aufs aͤuſerſte, Vater.","norm":"Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1025,"orig":"Iſt das euer Dienſteifer, Schurken?","norm":"Ist das euer Diensteifer, Schurken?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1026,"orig":"Wenn es denn ſeyn muß","norm":"Wenn es denn sein muss"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1027,"orig":"ſo verzeih mir, Gerechtigkeit!","norm":"so verzeih mir, Gerechtigkeit!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1028,"orig":"Ich will doch ſehen, ob auch ich dieſen Degen fuͤhle","norm":"Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen fühle"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1029,"orig":"Vater, Vater, Sie machen hier ein beiſſendes Pasquill auf die Gottheit, die ſich ſo uͤbel auf ihre Leute verſtund, und aus vollkommenen Henkersknechten ſchlechte Miniſter machte.","norm":"Vater, Vater, Sie machen hier ein beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute verstand, und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister machte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1030,"orig":"Fort mit ihr!","norm":"Fort mit ihr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1031,"orig":"Vater, ſie ſoll an den Pranger ſtehn, aber mit dem Major, des Praͤſidenten Sohn — Beſtehen Sie noch darauf?","norm":"Vater, sie soll an dem Pranger stehen, aber mit dem Major, des Präsidenten Sohn — Bestehen Sie noch darauf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1032,"orig":"Deſto poßierlicher wird das Spektakel — Fort!","norm":"Desto possierlicher wird das Spektakel — Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1033,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1034,"orig":"ich werfe meinen OffiziersDegen auf das Maͤdchen — Beſtehen Sie noch darauf?","norm":"ich werfe meinen Offiziersdegen auf das Mädchen — Bestehen Sie noch darauf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1035,"orig":"Das Port d'Epee iſt an Deiner Seite des Prangerſtehens gewohnt worden — Fort!","norm":"Das Port d'Epee ist an Deiner Seite des Prangerstehens gewohnt worden — Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1036,"orig":"Fort!","norm":"Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1037,"orig":"Ihr wißt meinen Willen.","norm":"Ihr wisst meinen Willen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1038,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1039,"orig":"Eh Sie meine Gemahlin beſchimpfen, durchſtoß ich ſie — Beſtehen Sie noch darauf?","norm":"Ehe Sie meine Gemahlin beschimpfen, durchstoße ich sie — Bestehen Sie noch darauf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1040,"orig":"Thu es, wenn deine Klinge auch ſpizig iſt.","norm":"Tu es, wenn deine Klinge auch spitzig ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1041,"orig":"Du Allmaͤchtiger biſt Zeuge!","norm":"Du allmächtiger bist Zeuge!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1042,"orig":"Kein menſchliches Mittel lies ich unverſucht — ich muß zu einem teufliſchen ſchreiten — Ihr fuͤhrt ſie zum Pranger fort, unterdeſſen erzaͤhl' ich der Reſidenz eine Geſchichte, wie man Praͤſident wird","norm":"Kein menschliches Mittel lies ich unversucht — ich muss zu einem teuflischen schreiten — Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen erzähle ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1043,"orig":"Was iſt das?","norm":"Was ist das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1044,"orig":"— Ferdinand — Laßt ſie ledig","norm":"— Ferdinand — lasst sie ledig"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1045,"orig":"Der Streich war verwuͤnſcht.","norm":"Der Streich war verwünscht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1046,"orig":"Wie ich befuͤrchtete gnaͤdiger Herr.","norm":"Wie ich befürchtete gnädiger Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1047,"orig":"Zwang erbittert die Schwaͤrmer immer, aber bekehrt ſie nie.","norm":"Zwang erbittert die Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1048,"orig":"Ich hatte mein beſtes Vertrauen in dieſen Anſchlag geſezt.","norm":"Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag gesetzt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1049,"orig":"Ich urtheilte ſo:","norm":"Ich urteilte so:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1050,"orig":"Wenn das Maͤdchen beſchimpft wird, muß er, als Offizier, zuruͤktreten.","norm":"Wenn das Mädchen beschimpft wird, muss er, als Offizier, zurücktreten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1051,"orig":"Ganz vortreflich.","norm":"Ganz vortrefflich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1052,"orig":"Aber zum Beſchimpfen haͤtt' es auch kommen ſollen.","norm":"Aber zum Beschimpfen hätte es auch kommen sollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1053,"orig":"Und doch — wenn ich es jezt mit kaltem Blut uͤberdenke — Ich haͤtte mich nicht ſollen eintreiben laſſen.","norm":"Und doch — wenn ich es jetzt mit kaltem Blut überdenke — Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1054,"orig":"Es war eine Drohung, woraus er wol nimmermehr Ernſt gemacht haͤtte.","norm":"Es war eine Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1055,"orig":"Das denken Sie ja nicht.","norm":"Das denken Sie ja nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1056,"orig":"Der gereizten Leidenſchaft iſt keine Thorheit zu bunt.","norm":"Der gereizten Leidenschaft ist keine Torheit zu bunt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1057,"orig":"Sie ſagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu ihrer Regierung geſchuͤttelt.","norm":"Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu Ihrer Regierung geschüttelt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1058,"orig":"Ich glaubs.","norm":"Ich glaube es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1059,"orig":"Die Grundſaͤze, die er aus Akademien hieherbrachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten.","norm":"Die Grundsätze, die er aus Akademien hierherbrachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1060,"orig":"Was ſolten auch die fantaſtiſchen Traͤumereien von Seelengroͤße und perſoͤnlichem Adel an einem Hof, wo die groͤſte Weisheit diejenige iſt, im rechten Tempo, auf eine geſchikte Art, Gros und Klein zu ſeyn.","norm":"Was sollten auch die phantastischen Träumereien von Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art, Groß und Klein zu sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1061,"orig":"Er iſt zu jung und zu feurig, um Geſchmak am langſamen krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird ſeine Ambizion in Bewegung ſezen, als was gros iſt und abenteuerlich.","norm":"Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack am langsamen krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1062,"orig":"Aber was wird dieſe wohlweiſe Anmerkung an unſerm Handel verbeſſern?","norm":"Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an unserem Handel verbessern?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1063,"orig":"Sie wird Ewr. Exzellenz auf die Wunde hin weiſen, und auch vielleicht auf den Verband.","norm":"Sie wird Ewr. Exzellenz auf die Wunde hinweisen, und auch vielleicht auf den Verband."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1064,"orig":"Einen ſolchen Karakter — erlauben Sie — haͤtte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind machen ſollen.","norm":"Einen solchen Charakter — erlauben sie — hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind machen sollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1065,"orig":"Er verabſcheut das Mittel, wodurch Sie geſtiegen ſind.","norm":"Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1066,"orig":"Vielleicht war es bis jezt nur der Sohn, der die Zunge des Verraͤthers band.","norm":"Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des Verräters band."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1067,"orig":"Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmaͤßig abzuſchuͤtteln.","norm":"Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig abzuschütteln."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1068,"orig":"Machen Sie ihn durch wiederholte Stuͤrme auf ſeine Leidenſchaft glauben, daß Sie der zaͤrtliche Vater nicht ſind, ſo dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor.","norm":"Machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine Leidenschaft glauben, dass Sie der zärtliche Vater nicht sind, so dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1069,"orig":"Ja, ſchon allein die ſeltſame Phantaſie, der Gerechtigkeit ein ſo merkwuͤrdiges Opfer zu bringen, koͤnnte Reiz genug fuͤr ihn haben, ſelbſt ſeinen Vater zu ſtuͤrzen.","norm":"Ja, schon allein die seltsame Phantasie, der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu stürzen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1070,"orig":"Wurm — Wurm — Er fuͤhrt mich da vor einen entſezlichen Abgrund.","norm":"Wurm — Wurm — er führt mich da vor einen entsetzlichen Abgrund."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1071,"orig":"Ich will Sie zuruͤkfuͤhren, gnaͤdiger Herr.","norm":"Ich will Sie zurückführen, gnädiger Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1072,"orig":"Darf ich freymuͤtig reden?","norm":"Darf ich freimütig reden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1073,"orig":"Wie ein Verdammter zum Mitverdammten.","norm":"Wie ein Verdammter zum Mitverdammten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1074,"orig":"Alſo verzeihen Sie — Sie haben, duͤnkt mich, der biegſamen Hofkunſt den ganzen Praͤſidenten zu danken, warum vertrauten Sie ihr nicht auch den Vater an?","norm":"Also verzeihen Sie — Sie haben, dünkt mich, der biegsamen Hofkunst den ganzen Präsidenten zu danken, warum vertrauten Sie ihr nicht auch den Vater an?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1075,"orig":"Ich beſinne mich, mit welcher Offenheit Sie ihren Vorgaͤnger damals zu einer Partie Piquet beredeten, und bey ihm die halbe Nacht mit freundſchaftlichem Burgunder hinwegſchwemmten, und das war doch die naͤmliche Nacht wo die groſe Mine losgehen, und den guten Mann in die Luft blaſen ſolte — Warum zeigten Sie ihrem Sohne den Feind?","norm":"Ich besinne mich, mit welcher Offenheit Sie Ihren Vorgänger damals zu einer Partie Pikett beredeten, und bei ihm die halbe Nacht mit freundschaftlichem Burgunder hinwegschwemmten, und das war doch die nämliche Nacht wo die große Mine losgehen, und den guten Mann in die Luft blasen sollte — warum zeigten Sie Ihrem Sohne den Feind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1076,"orig":"Nimmermehr haͤtte dieſer erfahren ſollen, daß ich um ſeine Liebesangelegenheit wiſſe.","norm":"Nimmermehr hätte dieser erfahren sollen, dass ich um seine Liebesangelegenheit wisse."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1077,"orig":"Sie haͤtten den Roman von Seiten des Maͤdchens unterhoͤlt, und das Herz ihres Sohnes behalten.","norm":"Sie hätten den Roman von Seiten des Mädchens unterhöhlt, und das Herz Ihres Sohnes behalten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1078,"orig":"Sie haͤtten den klugen General geſpielt, der den Feind nicht am Kern ſeiner Truppen faßt, ſondern Spaltungen unter den Gliedern ſtiftet.","norm":"Sie hätten den klugen General gespielt, der den Feind nicht am Kern seiner Truppen fasst, sondern Spaltungen unter den Gliedern stiftet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1079,"orig":"Wie war das zu machen?","norm":"Wie war das zu machen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1080,"orig":"Auf die einfachſte Art — und die Karten ſind noch nicht ganz vergeben.","norm":"Auf die einfachste Art — und die Karten sind noch nicht ganz vergeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1081,"orig":"Unterdruͤken Sie eine Zeitlang, daß Sie Vater ſind.","norm":"Unterdrücken Sie eine Zeitlang, dass Sie Vater sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1082,"orig":"Meſſen Sie ſich mit einer Leidenſchaft nicht, die jeder Wiſtand nur maͤchtiger machte — Ueberlaſſen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubruͤten, der ſie zerfrißt.","norm":"Messen Sie sich mit einer Leidenschaft nicht, die jeder Widerstand nur mächtiger machte — Überlassen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubrüten, der sie zerfrisst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1083,"orig":"Ich bin begierig.","norm":"Ich bin begierig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1084,"orig":"Ich muͤßte mich ſchlecht auf den Barometer der Seele verſtehen, oder der Herr Major iſt in der Eiferſucht ſchreklich, wie in der Liebe.","norm":"Ich müsste mich schlecht auf den Barometer der Seele verstehen, oder der Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich, wie in der Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1085,"orig":"Machen Sie ihm das Maͤdchen verdaͤchtig — — Wahrſcheinlich oder nicht.","norm":"Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig — — wahrscheinlich oder nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1086,"orig":"Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Maſſe in eine zerſtoͤrende Gaͤhrung zu jagen.","norm":"Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Masse in eine zerstörende Gärung zu jagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1087,"orig":"Aber woher dieſen Gran nehmen?","norm":"Aber woher diesen Gran nehmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1088,"orig":"Da ſind wir auf dem Punkt — Vor allen Dingen, gnaͤdiger Herr, erklaͤren Sie ſich mir, wie viel Sie bei der fernern Weigerung des Majors auf dem Spiel haben — in welchem Grade es ihnen wichtig iſt, den Roman mit dem Buͤrgermaͤdchen zu endigen, und die Verbindung mit Lady Milford zu Stand zu bringen?","norm":"Da sind wir auf dem Punkt — vor allen Dingen, gnädiger Herr, erklären Sie sich mir, wie viel Sie bei der ferneren Weigerung des Majors auf dem Spiel haben — in welchem Grade es Ihnen wichtig ist, den Roman mit dem Bürgermädchen zu endigen, und die Verbindung mit Lady Milford zustand zu bringen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1089,"orig":"Kann er noch fragen Wurm?","norm":"Kann er noch fragen Wurm?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1090,"orig":"— Mein ganzer Einfluß iſt in Gefahr, wenn die Parthie mit der Lady zuruͤkgeht, und wenn ich den Major zwinge, mein Hals.","norm":"— Mein ganzer Einfluss ist in Gefahr, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht, und wenn ich den Major zwinge, mein Hals."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1091,"orig":"Jezt haben Sie die Gnade und hoͤren.","norm":"Jetzt haben Sie die Gnade und hören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1092,"orig":"— Den Herrn Major umſpinnen wir mit Liſt.","norm":"— Den Herrn Major umspinnen wir mit List."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1093,"orig":"Gegen das Maͤdchen nehmen wir ihre ganze Gewalt zu Hilfe.","norm":"Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze Gewalt zu Hilfe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1094,"orig":"Wir diktieren ihr ein Billetdoux an eine dritte Perſon in die Feder, und ſpielen das mit guter Art dem Major in die Haͤnde.","norm":"Wir diktieren ihr ein Billet-doux an eine dritte Person in die Feder, und spielen das mit guter Art dem Major in die Hände."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1095,"orig":"Toller Einfall!","norm":"Toller Einfall!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1096,"orig":"Als ob Sie ſich ſo geſchwind hin bequemen wuͤrde, ihr eigenes Todesurtheil zu ſchreiben?","norm":"Als ob sie sich so geschwind hin bequemen würde, ihr eigenes Todesurteil zu schreiben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1097,"orig":"Sie muß, wenn Sie mir freie Hand laſſen wollen.","norm":"Sie muss, wenn Sie mir freie Hand lassen wollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1098,"orig":"Ich kenne das gute Herz auf und nieder.","norm":"Ich kenne das gute Herz auf und nieder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1099,"orig":"Sie hat nicht mehr als zwo toͤdliche Seiten, durch welche wir ihr Gewiſſen beſtuͤrmen koͤnnen — ihren Vater und den Major.","norm":"Sie hat nicht mehr als zwei tödliche Seiten, durch welche wir ihr Gewissen bestürmen können — ihren Vater und den Major."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1100,"orig":"Der leztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel, deſto freier koͤnnen wir mit dem Muſikanten umſpringen.","norm":"Der letztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel, desto freier können wir mit dem Musikanten umspringen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1101,"orig":"Als zum Exempel?","norm":"Als zum Exempel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1102,"orig":"Nach dem, was Ewr. Exzellenz mir von dem Auftritt in ſeinem Hauſe geſagt haben, wird nichts leichter ſeyn, als den Vater mit einen Halsprozeß zu bedrohen.","norm":"Nach dem, was Ewr. Exzellenz mir von dem Auftritt in seinem Hause gesagt haben, wird nichts leichter sein, als den Vater mit einem Halsprozess zu bedrohen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1103,"orig":"Die Perſon des Guͤnſtlings und Siegelbewahrers iſt gewiſſermaſen der Schatten der Majeſtaͤt — Beleidigungen gegen jenen ſind Verlezungen dieſer — Wenigſtens will ich den armen Schaͤcher mit dieſem zuſammengeflikten Kobold durch ein Nadeloͤhr jagen.","norm":"Die Person des Günstlings und Siegelbewahrers ist gewissermaßen der Schatten der Majestät — Beleidigungen gegen jenen sind Verletzungen dieser — wenigstens will ich den armen Schächer mit diesem zusammengeflickten Kobold durch ein Nadelöhr jagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1104,"orig":"Doch — ernſthaft duͤrfte der Handel nicht werden.","norm":"Doch — ernsthaft dürfte der Handel nicht werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1105,"orig":"Ganz und gar nicht — Nur in ſo weit als es noͤtig iſt, die Familie in die Klemme zu treiben — Wir ſezen alſo in aller Stille den Muſikus feſt — Die Noth um ſo dringender zu machen, koͤnnte man auch die Mutter mitnehmen, — ſprechen von peinlicher Anklage, von Schaffot, von ewiger Veſtung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen Bedingniß ſeiner Befreiung.","norm":"Ganz und gar nicht — nur insoweit als es nötig ist, die Familie in die Klemme zu treiben — wir setzen also in aller Stille den Musikus fest — die Not um so dringender zu machen, könnte man auch die Mutter mitnehmen, — sprechen von peinlicher Anklage, von Schafott, von ewiger Festung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen Bedingung seiner Befreiung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1106,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1107,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1108,"orig":"Ich verſtehe.","norm":"Ich verstehe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1109,"orig":"Sie liebt ihren Vater — bis zur Leidenſchaft moͤcht ich ſagen.","norm":"Sie liebt ihren Vater — bis zur Leidenschaft möchte ich sagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1110,"orig":"Die Gefahr ſeines Lebens — ſeiner Freiheit zum mindeſten — Die Vorwuͤrfe ihres Gewiſſens den Anlaß dazu gegeben zu haben — Die Unmoͤglichkeit, den Major zu beſizen — endlich die Betaͤubung ihres Kopfs, die ich auf mich nehme — Es kann nicht fehlen — Sie muß in die Falle gehn.","norm":"Die Gefahr seines Lebens — seiner Freiheit zum mindesten — die Vorwürfe ihres Gewissens den Anlass dazu gegeben zu haben — die Unmöglichkeit, den Major zu besitzen — endlich die Betäubung ihres Kopfs, die ich auf mich nehme — es kann nicht fehlen — Sie muss in die Falle gehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1111,"orig":"Aber mein Sohn?","norm":"Aber mein Sohn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1112,"orig":"Wird der nicht auf der Stelle Wind davon haben?","norm":"Wird der nicht auf der Stelle Wind davon haben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1113,"orig":"Wird er nicht wuͤtender werden?","norm":"Wird er nicht wütender werden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1114,"orig":"Das laſſen Sie meine Sorge ſeyn, gnaͤdiger Herr — Vater und Mutter werden nicht eher frei gelaſſen, bis die ganze Familie einen koͤrperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheim zu halten, und den Betrug zu beſtaͤtigen.","norm":"Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädiger Herr — Vater und Mutter werden nicht eher freigelassen, bis die ganze Familie einen körperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheim zu halten, und den Betrug zu bestätigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1115,"orig":"Einen Eid?","norm":"Einen Eid?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1116,"orig":"Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?","norm":"Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1117,"orig":"Nichts bei uns gnaͤdiger Herr.","norm":"Nichts bei uns gnädiger Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1118,"orig":"Bei dieſer Menſchenart alles — Und ſehen Sie nun, wie ſchoͤn wir beide auf dieſe Manier zum Ziel kommen werden — Das Maͤdchen verliert die Liebe des Majors, und den Ruf ihrer Tugend.","norm":"Bei dieser Menschenart alles — und sehen Sie nun, wie schön wir beide auf diese Manier zum Ziel kommen werden — das Mädchen verliert die Liebe des Majors, und den Ruf ihrer Tugend."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1119,"orig":"Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch und durch weich gemacht von Schikſalen dieſer Art, erkennen ſie's noch zulezt fuͤr Erbarmung, wenn ich der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wieder gebe.","norm":"Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch und durch weich gemacht von Schicksalen dieser Art, erkennen sie es noch zuletzt für Erbarmung, wenn ich der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wiedergebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1120,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1121,"orig":"ich gebe mich dir uͤberwunden, Schurke.","norm":"ich gebe mich dir überwunden, Schurke."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1122,"orig":"Das Geweb iſt ſataniſch fein.","norm":"Das Gewebe ist satanisch fein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1123,"orig":"Der Schuͤler uͤbertrift ſeinen Meiſter — — Nun iſt die Frage, an Wen das Billet muß gerichtet werden?","norm":"Der Schüler übertrifft seinen Meister — — nun ist die Frage, an Wen das Billett muss gerichtet werden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1124,"orig":"Mit Wem wir ſie in Verdacht bringen muͤßen?","norm":"Mit Wem wir sie in Verdacht bringen müssen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1125,"orig":"Nothwendig mit jemand, der durch den Entſchluß Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles verlieren muß.","norm":"Notwendig mit jemand, der durch den Entschluss Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles verlieren muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1126,"orig":"Ich weiß nur den Hofmarſchall.","norm":"Ich weiß nur den Hofmarschall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1127,"orig":"Mein Geſchmak waͤr er nun freilich nicht, wenn ich Louiſe Millerin hieße.","norm":"Mein Geschmack wäre er nun freilich nicht, wenn ich Louise Millerin hieße."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1128,"orig":"Und warum nicht?","norm":"Und warum nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1129,"orig":"Wunderlich!","norm":"Wunderlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1130,"orig":"Eine blendende Garderobe — eine Atmosphaͤre von Eau de mille fleurs und Biſam — auf jedes alberne Wort eine Handvoll Dukaten — und alles das ſolte die Delikateſſe einer buͤrgerlichen Dirne nicht endlich beſtechen koͤnnen?","norm":"Eine blendende Garderobe — eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs und Bisam — auf jedes alberne Wort eine Handvoll Dukaten — und alles das sollte die Delikatesse einer bürgerlichen Dirne nicht endlich bestechen können?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1131,"orig":"— O guter Freund.","norm":"— O guter Freund."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1132,"orig":"So ſcrupuloͤs iſt die Eiferſucht nicht.","norm":"So skrupulös ist die Eifersucht nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1133,"orig":"Ich ſchike zum Marſchall.","norm":"Ich schicke zum Marschall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1134,"orig":"Unterdeſſen, daß Ewr Exzellenz dieſes, und die Gefangennehmung des Geigers beſorgen, werd ich hingehen, und den bewußten Liebesbrief aufſezen.","norm":"Unterdessen, dass Euer Exzellenz dieses, und die Gefangennehmung des Geigers besorgen, werde ich hingehen, und den bewussten Liebesbrief aufsetzen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1135,"orig":"Den er mir zum Durchleſen heraufbringt, ſobald er zu Stand ſeyn wird.","norm":"Den er mir zum Durchlesen heraufbringt, sobald er zustande sein wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1136,"orig":"Dieſer Verhaftsbefehl muß ohne Aufſchub in die Gerichte — ein andrer von euch wird den Hofmarſchall zu mir bitten.","norm":"Dieser Haftbefehl muss ohne Aufschub in die Gerichte — ein anderer von euch wird den Hofmarschall zu mir bitten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1137,"orig":"Der gnaͤdige Herr ſind ſo eben hier angefahren.","norm":"Der gnädige Herr sind soeben hier angefahren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1138,"orig":"Noch beſſer — Aber die Anſtalten ſollen mit Vorſicht getroffen werden, ſagt ihr, daß kein Aufſtand erfolgt.","norm":"Noch besser — Aber die Anstalten sollen mit Vorsicht getroffen werden, sagt Ihr, dass kein Aufstand erfolgt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1139,"orig":"Sehr wol, Ihr' Exzellenz.","norm":"Sehr wohl, Ihre Exzellenz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1140,"orig":"Verſteht ihr?","norm":"Versteht Ihr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1141,"orig":"Ganz in der Stille.","norm":"Ganz in der Stille."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1142,"orig":"Ganz gut, Ihr' Exzellenz.","norm":"Ganz gut, Ihre Exzellenz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1143,"orig":"Nur en paffant mein Beſter — Wie leben Sie?","norm":"Nur en passant mein Bester — wie leben Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1144,"orig":"Wie befinden Sie ſich?","norm":"Wie befinden Sie sich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1145,"orig":"— Heute Abend iſt große Opera Dido — das ſuͤperbeſte Feuerwerk — eine ganze Stadt brennt zuſammen — Sie ſehen ſie doch auch brennen?","norm":"— Heute Abend ist große Opera Dido — das superbeste Feuerwerk — eine ganze Stadt brennt zusammen — Sie sehen sie doch auch brennen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1146,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1147,"orig":"Ich habe Feuerwerks genug in meinem eigenen Hause, das meine ganze Herrlichkeit in die Luft nimmt — Sie kommen erwuͤnſcht, lieber Marſchall, mir in einer Sache zu rathen, thaͤtig zu helfen, die uns beide poußiert oder voͤllig zu Grund richtet.","norm":"Ich habe Feuerwerks genug in meinem eigenen Hause, das meine ganze Herrlichkeit in die Luft nimmt — Sie kommen erwünscht, lieber Marschall, mir in einer Sache zu raten, tätig zu helfen, die uns beide poussiert oder völlig zugrund richtet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1148,"orig":"Sezen Sie ſich.","norm":"Setzen Sie sich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1149,"orig":"Machen Sie mir nicht Angſt, mein Suͤßer.","norm":"Machen Sie mir nicht Angst, mein Süßer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1150,"orig":"Wie geſagt — poußiert oder ganz zu Grund richtet.","norm":"Wie gesagt — poussiert oder ganz zugrund richtet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1151,"orig":"Sie wiſſen mein Projekt mit dem Major und der Lady.","norm":"Sie wissen mein Projekt mit dem Major und der Lady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1152,"orig":"Sie begreifen auch, wie unentbehrlich es war, unſer beider Gluͤk zu fixieren.","norm":"Sie begreifen auch, wie unentbehrlich es war, unser beider Glück zu fixieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1153,"orig":"Es kann alles zuſammenfallen Kalb.","norm":"Es kann alles zusammenfallen Kalb."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1154,"orig":"Mein Ferdinand will nicht.","norm":"Mein Ferdinand will nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1155,"orig":"Will nicht — will nicht — ich habs ja in der ganzen Stadt ſchon herumgeſagt.","norm":"Will nicht — will nicht — ich habe es ja in der ganzen Stadt schon herumgesagt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1156,"orig":"Die Mariage iſt ja in Jedermanns Munde.","norm":"Die Mariage ist ja in jedermanns Munde."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1157,"orig":"Sie koͤnnen vor der ganzen Stadt als Windmacher da ſtehen.","norm":"Sie können vor der ganzen Stadt als Windmacher dastehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1158,"orig":"Er liebt eine andere.","norm":"Er liebt eine andere."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1159,"orig":"Sie ſcherzen.","norm":"Sie scherzen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1160,"orig":"Iſt das auch wol ein Hinderniß?","norm":"Ist das auch wohl ein Hindernis?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1161,"orig":"Bei dem Trozkopf das unuͤberwindlichſte.","norm":"Bei dem Trotzkopf das unüberwindlichste."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1162,"orig":"Er ſollte ſo wahnſinnig ſeyn, und ſein Fortune von ſich ſtoßen?","norm":"Er sollte so wahnsinnig sein, und sein Fortune von sich stoßen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1163,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1164,"orig":"Fragen Sie ihn das und hoͤren Sie, was er antwortet.","norm":"Fragen Sie ihn das und hören Sie, was er antwortet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1165,"orig":"Aber mon Dieu!","norm":"Aber mon Dieu!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1166,"orig":"Was kann er denn antworten?","norm":"Was kann er denn antworten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1167,"orig":"Daß er der ganzen Welt das Verbrechen entdeken wolle, wodurch wir geſtiegen ſind — daß er unſere falſchen Briefe und Quittungen angeben — daß er uns beide an's Meſſer liefern wolle — Das kann er antworten.","norm":"Dass er der ganzen Welt das Verbrechen entdecken wolle, wodurch wir gestiegen sind — dass er unsere falschen Briefe und Quittungen angeben — dass er uns beide ans Messer liefern wolle — das kann er antworten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1168,"orig":"Sind Sie von Sinnen?","norm":"Sind Sie von Sinnen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1169,"orig":"Das hat er geantwortet.","norm":"Das hat er geantwortet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1170,"orig":"Das war er ſchon Willens ins Werk zu richten — Davon hab ich ihn kaum noch durch meine hoͤchſte Erniedrigung abgebracht.","norm":"Das war er schon Willens ins Werk zu richten — davon habe ich ihn kaum noch durch meine höchste Erniedrigung abgebracht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1171,"orig":"Was wiſſen Sie hierauf zu ſagen?","norm":"Was wissen Sie hierauf zu sagen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1172,"orig":"Mein Verſtand ſteht ſtill.","norm":"Mein Verstand steht still."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1173,"orig":"Das koͤnnte noch hingehen.","norm":"Das könnte noch hingehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1174,"orig":"Aber zugleich hinterbringen mir meine Spionen, daß der Oberſchenk von Bok auf dem Sprunge ſei, um die Lady zu werben.","norm":"Aber zugleich hinterbringen mir meine Spionen, dass der Oberschenk von Bock auf dem Sprunge sei, um die Lady zu werben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1175,"orig":"Sie machen mich raſend.","norm":"Sie machen mich rasend."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1176,"orig":"Wer ſagen Sie?","norm":"Wer sagen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1177,"orig":"Von Bok ſagen Sie?","norm":"Von Bock sagen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1178,"orig":"— Wiſſen Sie denn auch, daß wir Todfeinde zuſammen ſind?","norm":"— Wissen Sie denn auch, dass wir Todfeinde zusammen sind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1179,"orig":"Wiſſen Sie auch, warum wir es ſind?","norm":"Wissen Sie auch, warum wir es sind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1180,"orig":"Das erſte Wort, das ich hoͤre.","norm":"Das erste Wort, das ich höre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1181,"orig":"Beſter!","norm":"Bester!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1182,"orig":"Sie werden hoͤren und aus der Haut werden Sie fahren — Wenn Sie ſich noch des Hofballs entſinnen — — es geht jezt ins ein und zwanzigſte Jahr — wiſſen Sie, worauf man den erſten Engliſchen tanzte, und dem Grafen von Meerſchaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino troͤpfelte — Ach Gott!","norm":"Sie werden hören und aus der Haut werden Sie fahren — wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen — — es geht jetzt ins einundzwanzigste Jahr — wissen Sie, worauf man den ersten Englischen tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino tröpfelte — ach Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1183,"orig":"das muͤßen Sie freilich noch wiſſen!","norm":"das müssen Sie freilich noch wissen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1184,"orig":"Wer koͤnnte ſo was vergeſſen?","norm":"Wer könnte so was vergessen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1185,"orig":"Sehen Sie!","norm":"Sehen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1186,"orig":"Da hatte Prinzeſſin Amalie in der Hize des Tanzes ein Strumpfband verloren.","norm":"Da hatte Prinzessin Amalie in der Hitze des Tanzes ein Strumpfband verloren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1187,"orig":"— Alles kommt, wie begreiflich iſt, in Allarm — von Bok und Ich — Wir waren noch Kammerjunker — wir kriechen durch den ganzen Redoutenſaal, das Strumpfband zu ſuchen — endlich erblik Ichs — von Bok merkts — von Bok darauf zu — reißt es mir aus den Haͤnden — ich bitte Sie!","norm":"— Alles kommt, wie begreiflich ist, in Alarm — von Bock und Ich — wir waren noch Kammerjunker — wir kriechen durch den ganzen Redoutensaal, das Strumpfband zu suchen — endlich erblicke Ich es — von Bock merkt es — von Bock darauf zu — reißt es mir aus den Händen — ich bitte Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1188,"orig":"— bringts der Prinzeßin und ſchnappt mir gluͤklich das Kompliment weg — Was denken Sie?","norm":"— bringt es der Prinzessin und schnappt mir glücklich das Kompliment weg — was denken Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1189,"orig":"Impertinent!","norm":"Impertinent!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1190,"orig":"Schnappt mir das Kompliment weg — Ich meyne in Ohnmacht zu ſinken.","norm":"Schnappt mir das Kompliment weg — Ich meine in Ohnmacht zu sinken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1191,"orig":"Eine ſolche Malice iſt gar nicht erlebt worden.","norm":"Eine solche Malice ist gar nicht erlebt worden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1192,"orig":"— Endlich ermann ich mich, naͤhere mich Ihrer Durchlaucht und ſpreche:","norm":"— Endlich ermanne ich mich, nähere mich Ihrer Durchlaucht und spreche:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1193,"orig":"Gnaͤdigſte Frau!","norm":"Gnädigste Frau!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1194,"orig":"von Bok war ſo gluͤklich, Hoͤchſtdenenſelben das Strumpfband zu uͤberreichen, aber wer das Strumpfband zuerſt erblikte, belohnt ſich in der Stille und ſchweigt.","norm":"von Bock war so glücklich, Höchstdenselben das Strumpfband zu überreichen, aber wer das Strumpfband zuerst erblickte, belohnt sich in der Stille und schweigt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1195,"orig":"Bravo Marſchall!","norm":"Bravo Marschall!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1196,"orig":"Braviſſimo!","norm":"Bravissimo!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1197,"orig":"Und ſchweigt — Aber ich werds dem von Bok bis zum juͤngſten Gerichte noch nachtragen — der niedertraͤchtige kriechende Schmeichler!","norm":"Und schweigt — Aber ich werde es dem von Bock bis zum jüngsten Gerichte noch nachtragen — der niederträchtige kriechende Schmeichler!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1198,"orig":"— und das war noch nicht genug — Wie wir beide zugleich auf das Strumpfband zu Boden fallen, wiſcht mir von Bok an der rechten Friſur allen Puder weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen Ball.","norm":"— und das war noch nicht genug — wie wir beide zugleich auf das Strumpfband zu Boden fallen, wischt mir von Bock an der rechten Frisur allen Puder weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen Ball."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1199,"orig":"Das iſt der Mann, der die Milford heuraten, und die erſte Perſon am Hof werden wird.","norm":"Das ist der Mann, der die Milford heiraten, und die erste Person am Hof werden wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1200,"orig":"Sie ſtoßen mir ein Meſſer ins Herz.","norm":"Sie stoßen mir ein Messer ins Herz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1201,"orig":"Wird?","norm":"Wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1202,"orig":"Wird?","norm":"Wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1203,"orig":"Warum wird er?","norm":"Warum wird er?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1204,"orig":"Wo iſt die Notwendigkeit?","norm":"Wo ist die Notwendigkeit?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1205,"orig":"Weil mein Ferdinand nicht will, und ſonſt keiner ſich meldet.","norm":"Weil mein Ferdinand nicht will, und sonst keiner sich meldet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1206,"orig":"Aber wiſſen Sie denn gar kein einziges Mittel, den Major zum Entſchluß zu bringen?","norm":"Aber wissen Sie denn gar kein einziges Mittel, den Major zum Entschluss zu bringen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1207,"orig":"— — Seys auch noch ſo biſarr!","norm":"— — Sei es auch noch so bizarr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1208,"orig":"ſo verzweifelt!","norm":"so verzweifelt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1209,"orig":"— Was in der Welt kann ſo widrig ſeyn, das uns jezt nicht willkommen waͤre, den verhaßten von Bok auszuſtechen?","norm":"— Was in der Welt kann so widrig sein, das uns jetzt nicht willkommen wäre, den verhassten von Bock auszustechen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1210,"orig":"Ich weiß nur eines, und das bei Ihnen ſteht.","norm":"Ich weiß nur eines, und das bei Ihnen steht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1211,"orig":"Bei mir ſteht?","norm":"Bei mir steht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1212,"orig":"Und das iſt?","norm":"Und das ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1213,"orig":"Den Major mit ſeiner Geliebten zu entzweyen.","norm":"Den Major mit seiner Geliebten zu entzweien."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1214,"orig":"Zu entzweyen?","norm":"Zu entzweien?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1215,"orig":"Wie meynen Sie das?","norm":"Wie meinen Sie das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1216,"orig":"— und wie mach ich das?","norm":"— und wie mache ich das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1217,"orig":"Alles iſt gewonnen, ſobald wir ihm das Maͤdchen verdaͤchtig machen.","norm":"Alles ist gewonnen, sobald wir ihm das Mädchen verdächtig machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1218,"orig":"Daß ſie ſtehle, meynen Sie?","norm":"Dass sie stehle, meinen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1219,"orig":"Ach Nein doch!","norm":"Ach Nein doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1220,"orig":"Wie glaubte er das?","norm":"Wie glaubte er das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1221,"orig":"— daß ſie es noch mit einem andern habe.","norm":"— dass sie es noch mit einem anderen habe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1222,"orig":"Dieſer andre?","norm":"Dieser andere?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1223,"orig":"Muͤßten Sie ſeyn, Baron.","norm":"Müssten Sie sein, Baron."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1224,"orig":"Ich ſeyn?","norm":"Ich sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1225,"orig":"Ich?","norm":"Ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1226,"orig":"— Iſt ſie von Adel?","norm":"— Ist sie von Adel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1227,"orig":"Wozu das?","norm":"Wozu das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1228,"orig":"Welcher Einfall!","norm":"Welcher Einfall!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1229,"orig":"— eines Muſikanten Tochter.","norm":"— eines Musikanten Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1230,"orig":"Buͤrgerlich alſo?","norm":"Bürgerlich also?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1231,"orig":"Das wird nicht angehen.","norm":"Das wird nicht angehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1232,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1233,"orig":"Was wird nicht angehen?","norm":"Was wird nicht angehen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1234,"orig":"Narrenspoſſen!","norm":"Narrenspossen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1235,"orig":"Wem unter der Sonne wird es einfallen, einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stammbaum zu fragen?","norm":"Wem unter der Sonne wird es einfallen, einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stammbaum zu fragen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1236,"orig":"Aber bedenken Sie doch, ein Ehmann!","norm":"Aber bedenken Sie doch, ein Ehemann!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1237,"orig":"Und meine Reputazion bei Hofe!","norm":"Und meine Reputation bei Hofe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1238,"orig":"Das iſt was anders.","norm":"Das ist was anders."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1239,"orig":"Verzeihen Sie.","norm":"Verzeihen Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1240,"orig":"Ich hab das noch nicht gewußt, daß Ihnen der Mann von unbeſcholtenen Sitten mehr iſt als der von Einfluß.","norm":"Ich habe das noch nicht gewusst, dass Ihnen der Mann von unbescholtenen Sitten mehr ist als der von Einfluss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1241,"orig":"Wollen wir abbrechen?","norm":"Wollen wir abbrechen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1242,"orig":"Seien Sie klug Baron.","norm":"Seien Sie klug Baron."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1243,"orig":"Es war ja nicht ſo verſtanden.","norm":"Es war ja nicht so verstanden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1244,"orig":"Nein — nein!","norm":"Nein — nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1245,"orig":"Sie haben vollkommen recht.","norm":"Sie haben vollkommen recht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1246,"orig":"Ich bin es auch muͤde.","norm":"Ich bin es auch müde."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1247,"orig":"Ich laſſe den Karren ſtehen.","norm":"Ich lasse den Karren stehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1248,"orig":"Dem von Bok wuͤnſch ich Gluͤk zum Premierminiſter.","norm":"Dem von Bock wünsche ich Glück zum Premierminister."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1249,"orig":"Die Welt iſt noch anderswo.","norm":"Die Welt ist noch anderswo."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1250,"orig":"Ich fodre meine Entlaſſung vom Herzog.","norm":"Ich fodre meine Entlassung vom Herzog."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1251,"orig":"Und Ich: — Sie haben gut ſchwazen, Sie!","norm":"Und Ich: — Sie haben gut schwatzen, Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1252,"orig":"Sie ſind ein Stuttierter!","norm":"Sie sind ein Studierter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1253,"orig":"Aber Ich: — Mon Dieu!","norm":"Aber Ich: — Mon Dieu!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1254,"orig":"Was bin dann ich, wenn mich Seine Durchleucht entlaſſen?","norm":"Was bin dann ich, wenn mich Seine Durchlaucht entlassen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1255,"orig":"Ein Bonmot von Vorgeſtern.","norm":"Ein Bonmot von vorgestern."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1256,"orig":"Die Mode vom vorigen Jahr.","norm":"Die Mode vom vorigen Jahr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1257,"orig":"Ich beſchwoͤre Sie, Theurer, Goldner!","norm":"Ich beschwöre Sie, Teurer, Goldener!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1258,"orig":"— Erſtiken Sie dieſen Gedanken!","norm":"— Ersticken Sie diesen Gedanken!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1259,"orig":"Ich will mir ja alles gefallen laſſen.","norm":"Ich will mir ja alles gefallen lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1260,"orig":"Wollen Sie ihren Namen zu einem Rendezvous hergeben, den Ihnen dieſe Millerin ſchriftlich vorſchlagen ſoll?","norm":"Wollen Sie Ihren Namen zu einem Rendezvous hergeben, den Ihnen diese Millerin schriftlich vorschlagen soll?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1261,"orig":"Im Namen Gottes!","norm":"Im Namen Gottes!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1262,"orig":"Ich will ihn hergeben.","norm":"Ich will ihn hergeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1263,"orig":"Und den Brief irgend wo herausfallen laßen, wo er dem Major zu Geſicht kommen muß.","norm":"Und den Brief irgendwo herausfallen lassen, wo er dem Major zu Gesicht kommen muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1264,"orig":"Zum Exempel auf der Parade will ich ihn als von Ohngefehr, mit dem Schnupftuch herausſchleudern?","norm":"Zum Exempel auf der Parade will ich ihn als von Ungefähr, mit dem Schnupftuch herausschleudern?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1265,"orig":"Und die Rolle ihres Liebhabers gegen den Major behaupten?","norm":"Und die Rolle ihres Liebhabers gegen den Major behaupten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1266,"orig":"Mort de ma vie!","norm":"Mort de ma vie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1267,"orig":"Ich will ihn ſchon waſchen!","norm":"Ich will ihn schon waschen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1268,"orig":"Ich will dem Naſeweis den Appetit nach meinen Amouren verleiden.","norm":"Ich will dem Naseweis den Appetit nach meinen Amouren verleiden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1269,"orig":"Nun gehts nach Wunſch.","norm":"Nun geht es nach Wunsch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1270,"orig":"Der Brief mus noch heute geſchrieben ſeyn.","norm":"Der Brief muss noch heute geschrieben sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1271,"orig":"Sie muͤſſen vor Abend noch her kommen, ihn abzuholen, und ihre Rolle mit mir zu berichtigen.","norm":"Sie müssen vor Abend noch herkommen, ihn abzuholen, und Ihre Rolle mit mir zu berichtigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1272,"orig":"Sobald ich ſechszehn Viſiten werde gegeben haben, die von allerhoͤchſter Importance ſind.","norm":"Sobald ich sechzehn Visiten werde gegeben haben, die von allerhöchster Importance sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1273,"orig":"Verzeihen Sie alſo, wenn ich mich ohne Aufſchub beurlaube","norm":"Verzeihen Sie also, wenn ich mich ohne Aufschub beurlaube"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1274,"orig":"Ich zaͤle auf Ihre Verſchlagenheit, Marſchall.","norm":"Ich zähle auf Ihre Verschlagenheit, Marschall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1275,"orig":"Ah mon Dieu!","norm":"Ah mon Dieu!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1276,"orig":"Sie kennen mich ja.","norm":"Sie kennen mich ja."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1277,"orig":"Der Geiger und ſeine Frau ſind gluͤklich und ohne alles Geraͤuſch in Verhaft gebracht.","norm":"Der Geiger und seine Frau sind glücklich und ohne alles Geräusch in Verhaft gebracht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1278,"orig":"Wollen Ewr. Exzellenz jezt den Brief uͤberleſen?","norm":"Wollen Ewr. Exzellenz jetzt den Brief überlesen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1279,"orig":"Herrlich!","norm":"Herrlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1280,"orig":"Herrlich Sekretair!","norm":"Herrlich Sekretär!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1281,"orig":"Auch der Marſchall hat angebiſſen!","norm":"Auch der Marschall hat angebissen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1282,"orig":"— Ein Gift, wie das muͤßte die Geſundheit ſelbſt in eiternden Auſſaz verwandeln — Nun gleich mit den Vorſchlaͤgen zum Vater, und dann warm zu der Tochter.","norm":"— Ein Gift, wie das müsste die Gesundheit selbst in eiternden Aufsatz verwandeln — nun gleich mit den Vorschlägen zum Vater, und dann warm zu der Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1283,"orig":"Ich bitte dich, hoͤre auf.","norm":"Ich bitte dich, höre auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1284,"orig":"Ich glaube an keine gluͤkliche Tage mehr.","norm":"Ich glaube an keine glückliche Tage mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1285,"orig":"Alle meine Hoffnungen ſind geſunken.","norm":"Alle meine Hoffnungen sind gesunken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1286,"orig":"So ſind die meinigen geſtiegen.","norm":"So sind die meinigen gestiegen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1287,"orig":"Mein Vater iſt aufgereizt.","norm":"Mein Vater ist aufgereizt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1288,"orig":"Mein Vater wird alle Geſchuͤze gegen uns richten.","norm":"Mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1289,"orig":"Er wird mich zwingen, den unmenſchlichen Sohn zu machen.","norm":"Er wird mich zwingen, den unmenschlichen Sohn zu machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1290,"orig":"Ich ſtehe nicht mehr fuͤr meine kindliche Pflicht.","norm":"Ich stehe nicht mehr für meine kindliche Pflicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1291,"orig":"Wut und Verzweiflung werden mir das ſchwarze Geheimniß ſeiner Mordthat erpreſſen.","norm":"Wut und Verzweiflung werden mir das schwarze Geheimnis seiner Mordtat erpressen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1292,"orig":"Der Sohn wird den Vater in die Haͤnde des Henkers liefern — Es iſt die hoͤchſte Gefahr — — und die hoͤchſte Gefahr mußte da ſeyn, wenn meine Liebe den Rieſenſprung wagen ſolte.","norm":"Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers liefern — es ist die höchste Gefahr — — und die höchste Gefahr musste da sein, wenn meine Liebe den Riesensprung wagen sollte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1293,"orig":"— — Hoͤre Louiſe — ein Gedanke, gros und vermeſſen wie meine Leidenſchaft draͤngt ſich vor meine Seele — Du Louiſe und ich und die Liebe!","norm":"— — Höre Louise — ein Gedanke, groß und vermessen wie meine Leidenschaft drängt sich vor meine Seele — Du Louise und ich und die Liebe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1294,"orig":"— Liegt nicht in dieſem Zirkel der ganze Himmel?","norm":"— Liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1295,"orig":"oder brauchſt du noch etwas Viertes dazu?","norm":"oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1296,"orig":"Brich ab.","norm":"Brich ab."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1297,"orig":"Nichts mehr.","norm":"Nichts mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1298,"orig":"Ich erblaſſe uͤber das, was du ſagen wilſt.","norm":"Ich erblasse über das, was du sagen willst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1299,"orig":"Haben wir an die Welt keine Foderung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln?","norm":"Haben wir an die Welt keine Forderung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1300,"orig":"Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und alles verloren werden kann?","norm":"Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und alles verloren werden kann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1301,"orig":"— Wird dieſes Aug nicht eben ſo ſchmelzend funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe ſich ſpiegelt oder im baltiſchen Meer?","norm":"— Wird dieses Auge nicht ebenso schmelzend funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe sich spiegelt oder im baltischen Meer?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1302,"orig":"Mein Vaterland iſt, wo mich Louiſe liebt.","norm":"Mein Vaterland ist, wo mich Louise liebt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1303,"orig":"Deine Fußtapfe in wilden ſandigten Wuͤſten mir intereſſanter, als das Muͤnſter in meiner Heimat — Werden wir die Pracht der Staͤdte vermiſſen?","norm":"Deine Fußtapfen in wilden sandigen Wüsten mir interessanter, als das Münster in meiner Heimat — Werden wir die Pracht der Städte vermissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1304,"orig":"Wo wir ſeyn moͤgen, Louiſe, geht eine Sonne auf, eine unter — Schauſpiele, neben welchen der uͤppigſte Schwung der Kuͤnſte verblaßt.","norm":"Wo wir sein mögen, Louise, geht eine Sonne auf, eine unter — Schauspiele, neben welchen der üppigste Schwung der Künste verblasst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1305,"orig":"Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, ſo ziehet die Nacht mit begeiſternden Schauern auf, der wechſelnde Mond predigt uns Buße, und eine andaͤchtige Kirche von Sternen betet mit uns.","norm":"Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, so ziehet die Nacht mit begeisternden Schauern auf, der wechselnde Mond predigt uns Buße, und eine andächtige Kirche von Sternen betet mit uns."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1306,"orig":"Werden wir uns in Geſpraͤchen der Liebe erſchoͤpfen?","norm":"Werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1307,"orig":"— Ein Laͤcheln meiner Louiſe iſt Stoff fuͤr Jahrhunderte, und der Traum des Lebens iſt aus, bis ich dieſe Traͤne ergruͤnde.","norm":"— Ein Lächeln meiner Louise ist Stoff für Jahrhunderte, und der Traum des Lebens ist aus, bis ich diese Träne ergründe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1308,"orig":"Und haͤtteſt du ſonſt keine Pflicht mehr, als deine Liebe?","norm":"Und hättest du sonst keine Pflicht mehr, als deine Liebe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1309,"orig":"Deine Ruhe iſt meine heiligſte.","norm":"Deine Ruhe ist meine heiligste."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1310,"orig":"So ſchweig und verlaß mich — Ich habe einen Vater, der kein Vermoͤgen hat, als dieſe einzige Tochter — der morgen ſechzig alt wird — der der Rache des Praͤſidenten gewiß iſt.","norm":"So schweige und verlass mich — Ich habe einen Vater, der kein Vermögen hat, als diese einzige Tochter — der morgen sechzig alt wird — der der Rache des Präsidenten gewiss ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1311,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1312,"orig":"Der uns begleiten wird.","norm":"Der uns begleiten wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1313,"orig":"Darum keinen Einwurf mehr, Liebe.","norm":"Darum keinen Einwurf mehr, Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1314,"orig":"Ich gehe, mache meine Koſtbarkeiten zu Geld, erhebe Summen auf meinen Vater.","norm":"Ich gehe, mache meine Kostbarkeiten zu Geld, erhebe Summen auf meinen Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1315,"orig":"Es iſt erlaubt einen Raͤuber zu pluͤndern, und ſind ſeine Schaͤze nicht Blutgeld des Vaterlands?","norm":"Es ist erlaubt einen Räuber zu plündern, und sind seine Schätze nicht Blutgeld des Vaterlands?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1316,"orig":"— Schlag ein Uhr um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren.","norm":"— Schlag ein Uhr um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1317,"orig":"Ihr werft euch hinein.","norm":"Ihr werft euch hinein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1318,"orig":"Wir fliehen.","norm":"Wir fliehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1319,"orig":"Und der Fluch deines Vaters uns nach?","norm":"Und der Fluch deines Vaters uns nach?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1320,"orig":"— ein Fluch Unbeſonnene, den auch Moͤrder nie ohne Erhoͤrung ausſprechen, den die Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade haͤlt, der uns Fluͤchtlinge, unbarmherzig, wie ein Geſpenſt, von Meer zu Meer jagen wuͤrde?","norm":"— ein Fluch unbesonnene, den auch Mörder nie ohne Erhörung aussprechen, den die Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade hält, der uns Flüchtlinge, unbarmherzig, wie ein Gespenst, von Meer zu Meer jagen würde?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1321,"orig":"— Nein mein Geliebter!","norm":"— Nein mein Geliebter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1322,"orig":"Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten kann, ſo hab ich noch Staͤrke, dich zu verlieren.","norm":"Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten kann, so habe ich noch Stärke, dich zu verlieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1323,"orig":"Wirklich?","norm":"Wirklich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1324,"orig":"Verlieren!","norm":"Verlieren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1325,"orig":"— O ohne Graͤnzen entſezlich iſt der Gedanke — Graͤßlich genug, den unſterblichen Geiſt zu durchboren, und die gluͤende Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand!","norm":"— O ohne Grenzen entsetzlich ist der Gedanke — Grässlich genug, den unsterblichen Geist zu durchbohren, und die glühende Wange der Freude zu bleichen — Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1326,"orig":"dich zu verlieren!","norm":"dich zu verlieren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1327,"orig":"— Doch!","norm":"— Doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1328,"orig":"Man verliert ja nur, was man beſeſſen hat, und dein Herz gehoͤrt deinem Stande — Mein Anſpruch war Kirchenraub, und ſchauernd geb ich ihn auf.","norm":"Man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein Herz gehört deinem Stande — Mein Anspruch war Kirchenraub, und schauernd gebe ich ihn auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1329,"orig":"Gibſt du ihn auf.","norm":"Gibst du ihn auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1330,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1331,"orig":"Sieh mich an lieber Walter.","norm":"Sieh mich an lieber Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1332,"orig":"Nicht ſo bitter die Zaͤhne geknirrſcht.","norm":"Nicht so bitter die Zähne geknirscht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1333,"orig":"Komm!","norm":"Komme!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1334,"orig":"Laß mich jezt deinen ſterbenden Mut durch mein Beiſpiel beleben.","norm":"Lass mich jetzt deinen sterbenden Mut durch mein Beispiel beleben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1335,"orig":"Laß mich die Heldin dieſes Augenbliks ſeyn — einem Vater den entflohenen Sohn wieder ſchenken — einem Buͤndniß entſagen, das die Fugen der Buͤrgerwelt auseinander treiben, und die allgemeine ewige Ordnung zu Grund ſtuͤrzen wuͤrde — Ich bin die Verbrecherin — mit frechen thoͤrigten Wuͤnſchen hat ſich mein Buſen getragen — mein Ungluͤk iſt meine Strafe, ſo laß mir doch jezt die ſuͤße ſchmeichelnde Taͤuſchung, daß es mein Opfer war — Wirſt du mir dieſe Wolluſt misgoͤnnen?","norm":"Lass mich die Heldin dieses Augenblicks sein — einem Vater den entflohenen Sohn wiederschenken — einem Bündnis entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinandertreiben, und die allgemeine ewige Ordnung zugrund stürzen würde — Ich bin die Verbrecherin — mit frechen törichten Wünschen hat sich mein Busen getragen — mein Unglück ist meine Strafe, so lass mir doch jetzt die süße schmeichelnde Täuschung, dass es mein Opfer war — wirst du mir diese Wollust missgönnen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1336,"orig":"Walter!","norm":"Walter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1337,"orig":"Gott im Himmel!","norm":"Gott im Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1338,"orig":"Was ſoll das?","norm":"Was soll das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1339,"orig":"— Ermanne dich.","norm":"— Ermanne dich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1340,"orig":"Faſſung verlangt dieſe Stunde — es iſt eine trennende.","norm":"Fassung verlangt diese Stunde — es ist eine trennende."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1341,"orig":"Du haſt ein Herz, lieber Walter.","norm":"Du hast ein Herz, lieber Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1342,"orig":"Ich kenne es.","norm":"Ich kenne es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1343,"orig":"Warm wie das Leben iſt deine Liebe, und ohne Schranken, wie's Unermeßliche — Schenke ſie einer Edeln und Wuͤrdigern — ſie wird die gluͤklichſten ihres Geſchlechts nicht beneiden — —","norm":"Warm wie das Leben ist deine Liebe, und ohne Schranken, wie es Unermessliche — Schenke sie einer Edlen und Würdigern — sie wird die Glücklichsten ihres Geschlechts nicht beneiden — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1344,"orig":"mich ſolſt du nicht mehr ſehn — Das eitle betrogene Maͤdchen verweine ſeinen Gram in einſamen Mauren, um ſeine Traͤnen wird ſich niemand bekuͤmmern — Leer und erſtorben iſt meine Zukunft — Doch werd ich noch je und je am verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen Leben Sie wol Herr von Walter.","norm":"mich sollst du nicht mehr sehen — das eitle betrogene Mädchen verweine seinen Gram in einsamen Mauren, um seine Tränen wird sich niemand bekümmern — Leer und erstorben ist meine Zukunft — doch werde ich noch je und je am verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen Leben Sie wohl Herr von Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1345,"orig":"Ich entfliehe, Louiſe.","norm":"Ich entfliehe, Louise."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1346,"orig":"Wirſt du mir wirklich nicht folgen?","norm":"Wirst du mir wirklich nicht folgen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1347,"orig":"Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.","norm":"Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1348,"orig":"Schlange, du luͤgſt.","norm":"Schlange, du lügst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1349,"orig":"Dich feſſelt was anders hier.","norm":"Dich fesselt was anders hier."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1350,"orig":"Bleiben Sie bei dieſer Vermutung — ſie macht vielleicht weniger elend.","norm":"Bleiben Sie bei dieser Vermutung — sie macht vielleicht weniger elend."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1351,"orig":"Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!","norm":"Kalte Pflicht gegen feurige Liebe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1352,"orig":"— Und mich ſoll das Maͤrchen blenden?","norm":"— Und mich soll das Märchen blenden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1353,"orig":"— Ein Liebhaber feſſelt dich, und Weh uͤber dich und ihn, wenn mein Verdacht ſich beſtaͤtigt","norm":"— Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1354,"orig":"Wo meine Eltern bleiben?","norm":"Wo meine Eltern bleiben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1355,"orig":"— Mein Vater verſprach in wenigen Minuten zuruͤk zu ſeyn, und ſchon ſind fuͤnf volle fuͤrchterliche Stunden voruͤber — Wenn ihm ein Unfall — Wie wird mir?","norm":"— Mein Vater versprach in wenigen Minuten zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden vorüber — wenn ihm ein Unfall — wie wird mir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1356,"orig":"— Warum geht mein Odem ſo aͤngſtlich?","norm":"— Warum geht mein Odem so ängstlich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1357,"orig":"Es iſt nichts wirkliches — Es iſt nichts als das ſchaudernde Gaukelſpiel des erhizten Gebluͤts — Hat unſre Seele nur einmal Entſezen genug in ſich getrunken, ſo wird das Aug in jedem Winkel Geſpenſter ſehn.","norm":"Es ist nichts Wirkliches — es ist nichts als das schaudernde Gaukelspiel des erhitzten Geblüts — hat unsere Seele nur einmal Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Auge in jedem Winkel Gespenster sehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1358,"orig":"Guten Abend Jungfer.","norm":"Guten Abend Jungfer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1359,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1360,"orig":"Wer ſpricht da?","norm":"Wer spricht da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1361,"orig":"Schreklich!","norm":"Schrecklich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1362,"orig":"Schreklich!","norm":"Schrecklich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1363,"orig":"Meiner aͤngſtlichen Ahndung eilt ſchon die ungluͤkſeligſte Erfuͤllung nach!","norm":"Meiner ängstlichen Ahndung eilt schon die unglückseligste Erfüllung nach!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1364,"orig":"Suchen Sie etwa den Praͤſidenten?","norm":"Suchen Sie etwa den Präsidenten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1365,"orig":"Er iſt nicht mehr da.","norm":"Er ist nicht mehr da."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1366,"orig":"Jungfer, ich ſuche Sie.","norm":"Jungfer, ich suche Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1367,"orig":"So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplaz giengen.","norm":"So muss ich mich wundern, dass Sie nicht nach dem Marktplatz gingen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1368,"orig":"Warum eben dahin?","norm":"Warum eben dahin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1369,"orig":"Ihre Braut von der Schandbuͤhne abzuholen.","norm":"Ihre Braut von der Schandbühne abzuholen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1370,"orig":"Mamſell Millerin, Sie haben einen falſchen Verdacht —","norm":"Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1371,"orig":"Was ſteht Ihnen zu Dienſten?","norm":"Was steht Ihnen zu Diensten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1372,"orig":"Ich komme, geſchikt von Ihrem Vater.","norm":"Ich komme, geschickt von Ihrem Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1373,"orig":"Von meinem Vater?","norm":"Von meinem Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1374,"orig":"— Wo iſt mein Vater?","norm":"— Wo ist mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1375,"orig":"Wo er nicht gern iſt.","norm":"Wo er nicht gern ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1376,"orig":"Um Gotteswillen!","norm":"Um Gottes willen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1377,"orig":"Geſchwind!","norm":"Geschwind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1378,"orig":"Mich befaͤllt eine uͤble Ahndung — Wo iſt mein Vater?","norm":"Mich befällt eine üble Ahndung — wo ist mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1379,"orig":"Im Thurm, wenn Sie es ja wiſſen wollen.","norm":"Im Turm, wenn Sie es ja wissen wollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1380,"orig":"Das noch!","norm":"Das noch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1381,"orig":"das auch noch!","norm":"das auch noch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1382,"orig":"— — Im Thurm?","norm":"— — im Turm?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1383,"orig":"Und warum im Thurm?","norm":"Und warum im Turm?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1384,"orig":"Auf Befehl des Herzogs.","norm":"Auf Befehl des Herzogs."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1385,"orig":"Des Herzogs?","norm":"Des Herzogs?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1386,"orig":"Der die Verlezung der Majeſtaͤt in der Perſon ſeines Stellvertreters —","norm":"Der die Verletzung der Majestät in der Person seines Stellvertreters —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1387,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1388,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1389,"orig":"O ewige Allmacht!","norm":"O ewige Allmacht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1390,"orig":"Auffallend zu ahnden beſchloſſen hat.","norm":"Auffallend zu ahnden beschlossen hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1391,"orig":"Das war noch uͤbrig!","norm":"Das war noch übrig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1392,"orig":"Das!","norm":"Das!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1393,"orig":"— freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas theures — Das durfte nicht uͤbergangen werden — Verlezung der Majeſtaͤt — Himmliſche Vorſicht!","norm":"— freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas Teures — das durfte nicht übergangen werden — Verletzung der Majestät — himmlische Vorsicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1394,"orig":"Rette, o rette meinen ſinkenden Glauben!","norm":"Rette, o rette meinen sinkenden Glauben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1395,"orig":"— und Ferdinand?","norm":"— und Ferdinand?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1396,"orig":"Waͤlt Lady Milford oder Fluch und Enterbung.","norm":"Wählt Lady Milford oder Fluch und Enterbung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1397,"orig":"Entſezliche Freiheit!","norm":"Entsetzliche Freiheit!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1398,"orig":"— und doch — doch iſt er gluͤklicher.","norm":"— und doch — doch ist er glücklicher."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1399,"orig":"Er hat keinen Vater zu verlieren.","norm":"Er hat keinen Vater zu verlieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1400,"orig":"Zwar keinen haben iſt Verdammniß genug!","norm":"Zwar keinen haben ist Verdammnis genug!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1401,"orig":"— Mein Vater auf Verlezung der Majeſtaͤt — mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung — Warlich bewundernswerth!","norm":"— Mein Vater auf Verletzung der Majestät — mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung — wahrlich bewundernswert!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1402,"orig":"Eine vollkommene Buͤberei iſt auch eine Vollkommenheit — Vollkommenheit?","norm":"Eine vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit — Vollkommenheit?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1403,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1404,"orig":"dazu fehlte noch etwas — — Wo iſt meine Mutter?","norm":"dazu fehlte noch etwas — — wo ist meine Mutter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1405,"orig":"Im Spinnhaus.","norm":"Im Spinnhaus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1406,"orig":"Jezt iſt es voͤllig!","norm":"Jetzt ist es völlig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1407,"orig":"— voͤllig, und jezt waͤr ich ja frei — Abgeſchaͤlt von allen Pflichten — und Traͤnen — und Freuden.","norm":"— völlig, und jetzt wäre ich ja frei — abgeschält von allen Pflichten — und Tränen — und Freuden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1408,"orig":"Abgeſchaͤlt von der Vorſicht.","norm":"Abgeschält von der Vorsicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1409,"orig":"Ich brauch ſie ja nicht mehr — Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung?","norm":"Ich brauche sie ja nicht mehr — Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1410,"orig":"Reden Sie immerhin.","norm":"Reden Sie immerhin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1411,"orig":"Jezt kann ich alles hoͤren.","norm":"Jetzt kann ich alles hören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1412,"orig":"Was geſchehen iſt, wiſſen Sie.","norm":"Was geschehen ist, wissen Sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1413,"orig":"Alſo nicht, was noch kommen wird?","norm":"Also nicht, was noch kommen wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1414,"orig":"Armer Menſch!","norm":"Armer Mensch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1415,"orig":"Du treibſt ein trauriges Handwerk, wobei du ohnmoͤglich ſeelig werden kannſt.","norm":"Du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du unmöglich selig werden kannst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1416,"orig":"Ungluͤkliche machen iſt ſchon ſchreklich genug, aber graͤßlich iſts, es ihnen verkuͤndigen — Ihn vorzuſingen den Eulengeſang, dabei zu ſtehn, wenn das blutende Herz am eiſernen Schaft der Nothwendigkeit zittert, und Chriſten an Gott zweifeln.","norm":"Unglückliche machen ist schon schrecklich genug, aber grässlich ist es, es ihnen verkündigen — ihn vorzusingen den Eulengesang, dabeizustehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Notwendigkeit zittert, und Christen an Gott zweifeln."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1417,"orig":"— Der Himmel bewahre mich!","norm":"— Der Himmel bewahre mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1418,"orig":"und wuͤrde dir jeder Angſttropfe, den du fallen ſiehſt, mit einer Tonne Golds aufgewogen — ich moͤchte nicht Du ſeyn — — Was kann noch geſchehen?","norm":"und würde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen — ich möchte nicht Du sein — — was kann noch geschehen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1419,"orig":"Ich weiß nicht.","norm":"Ich weiß nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1420,"orig":"Sie wollen nicht wiſſen?","norm":"Sie wollen nicht wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1421,"orig":"— Dieſe lichtſcheue Bothſchaft fuͤrchtet das Geraͤuſch der Worte, aber in der Grabſtille Ihres Geſichts zeigt ſich mir das Geſpenſt — Was iſt noch uͤbrig — Sie ſagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahnden?","norm":"— Diese lichtscheue Botschaft fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst — was ist noch übrig — Sie sagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahnden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1422,"orig":"Was nennen Sie auffallend?","norm":"Was nennen Sie auffallend?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1423,"orig":"Fragen Sie nichts mehr.","norm":"Fragen Sie nichts mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1424,"orig":"Hoͤre Menſch!","norm":"Höre Mensch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1425,"orig":"Du giengſt beim Henker zur Schule.","norm":"Du gingst beim Henker zur Schule."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1426,"orig":"Wie verſtuͤndeſt du ſonſt, das Eiſen erſt langſam-bedaͤchtlich an den knirrſchenden Gelenken hinaufzufuͤhren, und das zukende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu neken?","norm":"Wie verstündest du sonst, das Eisen erst langsam-bedächtig an den knirschenden Gelenken hinaufzuführen, und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1427,"orig":"— Welches Schikſal wartet auf meinen Vater?","norm":"— Welches Schicksal wartet auf meinen Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1428,"orig":"— Es iſt Tod in dem, was du lachend ſagſt, wie mag das ausſehen, was du an dich haͤltſt?","norm":"— Es ist Tod in dem, was du lachend sagst, wie mag das aussehen, was du an dich hältst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1429,"orig":"Sprich es aus.","norm":"Sprich es aus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1430,"orig":"Laß mich ſie auf einmal haben die ganze zermalmende Ladung.","norm":"Lass mich sie auf einmal haben die ganze zermalmende Ladung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1431,"orig":"Was wartet auf meinen Vater?","norm":"Was wartet auf meinen Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1432,"orig":"Ein Kriminalprozeß.","norm":"Ein Kriminalprozess."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1433,"orig":"Was iſt aber das?","norm":"Was ist aber das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1434,"orig":"— Ich bin ein unwiſſendes unſchuldiges Ding, verſtehe mich wenig auf eure fuͤrchterliche lateiniſche Woͤrter.","norm":"— Ich bin ein unwissendes unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fürchterliche lateinische Wörter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1435,"orig":"Was heißt Kriminalprozeß?","norm":"Was heißt Kriminalprozess?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1436,"orig":"Gericht um Leben und Tod.","norm":"Gericht um Leben und Tod."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1437,"orig":"So dank ich Ihnen!","norm":"So dank ich Ihnen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1438,"orig":"Wo will das hinaus?","norm":"Wo will das hinaus?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1439,"orig":"Sollte die Naͤrrin etwa?","norm":"Sollte die Närrin etwa?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1440,"orig":"— Teufel!","norm":"— Teufel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1441,"orig":"ſie wird doch nicht — Ich eile nach — ich muß fuͤr ihr Leben buͤrgen","norm":"sie wird doch nicht — Ich eile nach — ich muss für ihr Leben bürgen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1442,"orig":"Verzeihen Sie, Sekretair.","norm":"Verzeihen Sie, Sekretär."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1443,"orig":"Ich ſchließe das Zimmer.","norm":"Ich schließe das Zimmer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1444,"orig":"Und wohin denn ſo eilig?","norm":"Und wohin denn so eilig?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1445,"orig":"Zum Herzog","norm":"Zum Herzog"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1446,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1447,"orig":"Wo hin?","norm":"Wohin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1448,"orig":"Zum Herzog.","norm":"Zum Herzog."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1449,"orig":"Hoͤren Sie nicht?","norm":"Hören Sie nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1450,"orig":"Zu eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten laſſen — Nein!","norm":"Zu eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten lassen — Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1451,"orig":"Nicht will — muß richten laſſen, weil einige Boͤswichter wollen; der zu dem ganzen Prozeß der beleidigten Majeſtaͤt nichts hergiebt, als eine Majeſtaͤt und ſeine fuͤrſtliche Handſchrift.","norm":"Nicht will — muss richten lassen, weil einige Bösewichter wollen; der zu dem ganzen Prozess der beleidigten Majestät nichts hergibt, als eine Majestät und seine fürstliche Handschrift."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1452,"orig":"Zum Herzog!","norm":"Zum Herzog!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1453,"orig":"Ich weiß, woruͤber Sie lachen — aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden — Gott bewahre mich!","norm":"Ich weiß, worüber Sie lachen — aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden — Gott bewahre mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1454,"orig":"nur Ekel — Ekel nur an meinem Geſchrei.","norm":"nur Ekel — Ekel nur an meinem Geschrei."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1455,"orig":"Man hat mir geſagt, daß die Großen der Welt noch nicht belehrt ſind, was Elend iſt — nicht wollen belehrt ſeyn.","norm":"Man hat mir gesagt, dass die Großen der Welt noch nicht belehrt sind, was Elend ist — nicht wollen belehrt sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1456,"orig":"Ich will ihm ſagen was Elend iſt — will es ihm vormahlen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend iſt — will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Toͤnen, was Elend iſt — und wenn ihm jezt uͤber der Beſchreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluß in die Ohren ſchreyn, daß in der Sterbeſtunde auch die Lungen der Erdengoͤtter zu roͤcheln anfangen, und das juͤngſte Gericht Majeſtaͤten und Bettler in dem naͤmlichen Siebe ruͤttle.","norm":"Ich will ihm sagen was Elend ist — will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend ist — will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Tönen, was Elend ist — und wenn ihm jetzt über der Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluss in die Ohren schreien, dass in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengötter zu röcheln anfangen, und das Jüngste Gericht Majestäten und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttle."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1457,"orig":"Gehen Sie, o gehen Sie ja.","norm":"Gehen Sie, o gehen Sie ja."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1458,"orig":"Sie koͤnnen warlich nichts kluͤgeres thun.","norm":"Sie können wahrlich nichts Klügeres tun."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1459,"orig":"Ich rathe es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren wird.","norm":"Ich rate es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, dass der Herzog willfahren wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1460,"orig":"Wie ſagen Sie?","norm":"Wie sagen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1461,"orig":"— Sie rathen mir ſelbſt dazu?","norm":"— Sie raten mir selbst dazu?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1462,"orig":"Hm!","norm":"Hm!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1463,"orig":"Was will ich denn?","norm":"Was will ich denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1464,"orig":"Etwas abſcheuliches muß es ſeyn, weil dieſer Menſch dazu rathet — Woher wiſſen Sie, daß der Fuͤrſt mir willfahren wird?","norm":"Etwas Abscheuliches muss es sein, weil dieser Mensch dazu ratet — woher wissen Sie, dass der Fürst mir willfahren wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1465,"orig":"Weil er es nicht wird umſonſt thun duͤrfen.","norm":"Weil er es nicht wird umsonst tun dürfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1466,"orig":"Nicht umſonſt?","norm":"Nicht umsonst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1467,"orig":"Welchen Preiß kann er auf eine Menſchlichkeit ſezen?","norm":"Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit setzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1468,"orig":"Die ſchoͤne Supplikantin iſt Preiſes genug.","norm":"Die schöne Supplikantin ist Preises genug."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1469,"orig":"Allgerechter!","norm":"Allgerechter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1470,"orig":"Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um dieſe gnaͤdige Taxe nicht uͤberfodert finden?","norm":"Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese gnädige Taxe nicht überfodert finden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1471,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1472,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1473,"orig":"Es iſt wahr.","norm":"Es ist wahr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1474,"orig":"Sie ſind verſchanzt eure Großen — verſchanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laſter, wie hinter Schwerdter der Cherubim — Helfe dir der Allmaͤchtige, Vater.","norm":"Sie sind verschanzt eure Großen — verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim — helfe dir der Allmächtige, Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1475,"orig":"Deine Tochter kann fuͤr dich ſterben, aber nicht ſuͤndigen.","norm":"Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht sündigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1476,"orig":"Das mag ihm wohl eine Neuigkeit ſeyn dem armen verlaſſenen Mann — „Meine Louiſe „ſagte er mir „hat mich zu Boden geworfen.","norm":"Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein dem armen verlassenen Mann — „Meine Louise „sagte er mir „hat mich zu Boden geworfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1477,"orig":"Meine Louiſe wird mich auch aufrichten „— Ich eile Mamſell, ihm die Antwort zu bringen.","norm":"Meine Louise wird mich auch aufrichten „— Ich eile Mamsell, ihm die Antwort zu bringen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1478,"orig":"Bleiben Sie!","norm":"Bleiben Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1479,"orig":"Bleiben Sie!","norm":"Bleiben Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1480,"orig":"Geduld!","norm":"Geduld!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1481,"orig":"— Wie flink dieſer Satan iſt, wenn es gilt, Menſchen raſend zu machen!","norm":"— Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1482,"orig":"— Ich hab ihn niedergeworfen.","norm":"— Ich habe ihn niedergeworfen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1483,"orig":"Ich muß ihn aufrichten.","norm":"Ich muss ihn aufrichten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1484,"orig":"Reden Sie!","norm":"Reden Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1485,"orig":"Rathen Sie!","norm":"Raten Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1486,"orig":"Was kann ich?","norm":"Was kann ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1487,"orig":"Was muß ich thun?","norm":"Was muss ich tun?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1488,"orig":"Es iſt nur ein Mittel.","norm":"Es ist nur ein Mittel."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1489,"orig":"Dieſes einzige Mittel?","norm":"Dieses einzige Mittel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1490,"orig":"Auch Ihr Vater wuͤnſcht —","norm":"Auch Ihr Vater wünscht —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1491,"orig":"Auch mein Vater?","norm":"Auch mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1492,"orig":"— Was iſt das fuͤr ein Mittel?","norm":"— Was ist das für ein Mittel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1493,"orig":"Es iſt Ihnen leicht.","norm":"Es ist Ihnen leicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1494,"orig":"Ich kenne nichts ſchwerers als die Schande.","norm":"Ich kenne nichts Schwereres als die Schande."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1495,"orig":"Wenn Sie den Major wieder frey machen wollen?","norm":"Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1496,"orig":"Von ſeiner Liebe?","norm":"Von seiner Liebe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1497,"orig":"Spotten Sie meiner?","norm":"Spotten Sie meiner?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1498,"orig":"— Das meiner Willkuͤhr zu uͤberlaſſen, wozu ich gezwungen ward?","norm":"— Das meiner Willkür zu überlassen, wozu ich gezwungen wurde?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1499,"orig":"So iſt es nicht gemeynt, liebe Jungfer.","norm":"So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1500,"orig":"Der Major muß zuerſt und freiwillig zuruͤktreten.","norm":"Der Major muss zuerst und freiwillig zurücktreten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1501,"orig":"Er wird nicht.","norm":"Er wird nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1502,"orig":"So ſcheint es.","norm":"So scheint es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1503,"orig":"Wuͤrde man denn wol ſeine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen koͤnnten?","norm":"Würde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen könnten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1504,"orig":"Kann ich ihn zwingen, daß er mich haſſen muß?","norm":"Kann ich ihn zwingen, dass er mich hassen muss?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1505,"orig":"Wir wollen verſuchen.","norm":"Wir wollen versuchen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1506,"orig":"Sezen Sie ſich.","norm":"Setzen Sie sich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1507,"orig":"Menſch!","norm":"Mensch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1508,"orig":"Was bruͤteſt du?","norm":"Was brütest du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1509,"orig":"Sezen Sie ſich.","norm":"Setzen Sie sich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1510,"orig":"Schreiben Sie!","norm":"Schreiben Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1511,"orig":"Hier iſt Feder, Papier und Dinte.","norm":"Hier ist Feder, Papier und Tinte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1512,"orig":"Was ſoll ich ſchreiben?","norm":"Was soll ich schreiben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1513,"orig":"An wen ſoll ich ſchreiben?","norm":"An wen soll ich schreiben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1514,"orig":"An den Henker Ihres Vaters.","norm":"An den Henker Ihres Vaters."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1515,"orig":"Ha!","norm":"Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1516,"orig":"du verſtehſt dich darauf, Seelen auf die Folter zu ſchrauben","norm":"du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu schrauben"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1517,"orig":"Gnaͤdiger Herr „—","norm":"Gnädiger Herr „—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1518,"orig":"„Schon drei unertraͤgliche Tage ſind voruͤber — — ſind voruͤber — und wir ſahen uns nicht „","norm":"„Schon drei unerträgliche Tage sind vorüber — — sind vorüber — und wir sahen uns nicht „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1519,"orig":"An wen iſt der Brief?","norm":"An wen ist der Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1520,"orig":"An den Henker Ihres Vaters.","norm":"An den Henker Ihres Vaters."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1521,"orig":"O mein Gott!","norm":"O mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1522,"orig":"„Halten Sie ſich deßwegen an den Major — an den Major — der mich den ganzen Tag wie ein Argus huͤtet „","norm":"„Halten Sie sich deswegen an den Major — an den Major — der mich den ganzen Tag wie ein Argus hütet „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1523,"orig":"Buͤberei, wie noch keine erhoͤrt worden!","norm":"Büberei, wie noch keine erhört worden!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1524,"orig":"An wen iſt der Brief?","norm":"An wen ist der Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1525,"orig":"An den Henker Ihres Vaters.","norm":"An den Henker Ihres Vaters."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1526,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1527,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1528,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1529,"orig":"Das iſt thyranniſch o Himmel!","norm":"Das ist tyrannisch o Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1530,"orig":"Strafe Menſchen menſchlich, wenn ſie dich reizen, aber warum mich zwiſchen zwei Schroͤkniſſe preſſen?","norm":"Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich reizen, aber warum mich zwischen zwei Schrecknisse pressen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1531,"orig":"Warum zwiſchen Tod und Schande mich hin und her wiegen?","norm":"Warum zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1532,"orig":"Warum dieſen blutſaugenden Teufel mir auf den Naken ſezen?","norm":"Warum diesen blutsaugenden Teufel mir auf den Nacken setzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1533,"orig":"— Macht was ihr wollt.","norm":"— Macht was Ihr wollt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1534,"orig":"Ich ſchreibe das nimmermehr.","norm":"Ich schreibe das nimmermehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1535,"orig":"Wie Sie wollen, Mademoiſelle.","norm":"Wie Sie wollen, Mademoiselle."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1536,"orig":"Das ſteht ganz in Ihrem Belieben.","norm":"Das steht ganz in Ihrem Belieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1537,"orig":"Belieben, ſagen Sie?","norm":"Belieben, sagen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1538,"orig":"In meinem Belieben?","norm":"In meinem Belieben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1539,"orig":"— Geh Barbar!","norm":"— Gehe Barbar!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1540,"orig":"haͤnge einen Ungluͤklichen uͤber dem Abgrund der Hoͤlle aus, bitt ihn um etwas, und laͤſtre Gott, und frag ihn, obs ihm beliebe?","norm":"hänge einen Unglücklichen über dem Abgrund der Hölle aus, bitte ihn um etwas, und lästre Gott, und frag ihn, ob es ihm beliebe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1541,"orig":"— O du weiſt allzugut, daß unſer Herz an natuͤrlichen Trieben, ſo feſt als an Ketten liegt — Nunmehr iſt alles gleich.","norm":"— O du weißt allzu gut, dass unser Herz an natürlichen Trieben, so fest als an Ketten liegt — nunmehr ist alles gleich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1542,"orig":"Diktieren Sie weiter.","norm":"Diktieren Sie weiter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1543,"orig":"Ich denke nichts mehr.","norm":"Ich denke nichts mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1544,"orig":"Ich weiche der uͤberliſtenden Hoͤlle","norm":"Ich weiche der überlistenden Hölle"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1545,"orig":"„Den ganzen Tag wie ein Argus huͤtet „— Haben Sie das?","norm":"„Den ganzen Tag wie ein Argus hütet „— Haben Sie das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1546,"orig":"Weiter!","norm":"Weiter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1547,"orig":"Weiter!","norm":"Weiter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1548,"orig":"„Wir haben geſtern den Praͤſidenten im Haus gehabt.","norm":"„Wir haben gestern den Präsidenten im Haus gehabt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1549,"orig":"Es war poßirlich zu ſehen, wie der gute Major um meine Ehre ſich wehrte“","norm":"Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich wehrte“"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1550,"orig":"O ſchoͤn, ſchoͤn!","norm":"O schön, schön!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1551,"orig":"o herrlich!","norm":"o herrlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1552,"orig":"— Nur immer fort.","norm":"— Nur immer fort."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1553,"orig":"„Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht — zu einer Ohnmacht — daß ich nicht laut lachte „","norm":"„Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht — zu einer Ohnmacht — dass ich nicht laut lachte „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1554,"orig":"O Himmel!","norm":"O Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1555,"orig":"„Aber bald wird mir meine Maske unertraͤglich — unertraͤglich — Wenn ich nur loskommen koͤnnte —","norm":"„Aber bald wird mir meine Maske unerträglich — unerträglich — wenn ich nur loskommen könnte —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1556,"orig":"Loskommen koͤnnte „","norm":"Loskommen könnte „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1557,"orig":"„Morgen hat er den Dienſt — Paſſen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewußten Ort „— Haben Sie bewußten?","norm":"„Morgen hat er den Dienst — Passen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewussten Ort „— Haben Sie bewussten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1558,"orig":"Ich habe alles.","norm":"Ich habe alles."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1559,"orig":"„An den bewußten Ort zu Ihrer zaͤrtlichen .....","norm":"„An den bewussten Ort zu Ihrer zärtlichen ....."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1560,"orig":"Louiſe „","norm":"Louise „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1561,"orig":"Nun fehlt die Adreſſe noch.","norm":"Nun fehlt die Adresse noch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1562,"orig":"„An Herrn Hofmarſchall von Kalb „","norm":"„An Herrn Hofmarschall von Kalb „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1563,"orig":"Ewige Vorſicht!","norm":"Ewige Vorsicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1564,"orig":"ein Name, ſo fremd meinen Ohren, als meinem Herzen dieſe ſchaͤndlichen Zeilen","norm":"ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem Herzen diese schändlichen Zeilen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1565,"orig":"Nehmen Sie mein Herr.","norm":"Nehmen Sie mein Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1566,"orig":"Es iſt mein ehrlicher Name — es iſt Ferdinand — iſt die ganze Wonne meines Lebens, was ich jezt in Ihre Haͤnde gebe — Ich bin eine Bettlerin!","norm":"Es ist mein ehrlicher Name — es ist Ferdinand — ist die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Hände gebe — Ich bin eine Bettlerin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1567,"orig":"O Nein doch!","norm":"O Nein doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1568,"orig":"Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiſelle.","norm":"Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1569,"orig":"Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen.","norm":"Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1570,"orig":"Vielleicht — wer weiß?","norm":"Vielleicht — wer weiß?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1571,"orig":"— Ich koͤnnte mich noch wol uͤber gewiſſe Dinge hinwegſezen — War lich!","norm":"— Ich könnte mich noch wohl über gewisse Dinge hinwegsetzen — war lich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1572,"orig":"Bei Gott!","norm":"Bei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1573,"orig":"Ich habe Mitleid mit Ihnen.","norm":"Ich habe Mitleid mit Ihnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1574,"orig":"Reden Sie nicht aus mein Herr.","norm":"Reden Sie nicht aus mein Herr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1575,"orig":"Sie ſind auf dem Wege ſich etwas Entſezliches zu wuͤnſchen.","norm":"Sie sind auf dem Wege sich etwas Entsetzliches zu wünschen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1576,"orig":"Geſezt, es waͤre dieſe niedliche Hand — Wie ſo liebe Jungfer?","norm":"Gesetzt, es wäre diese niedliche Hand — wieso liebe Jungfer?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1577,"orig":"Weil ich dich in der Brautnacht erdroſſelte, und mich dann mit Wolluſt aufs Rad flechten ließe Sind wir jezt fertig mein Herr?","norm":"Weil ich dich in der Brautnacht erdrosselte, und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten ließe sind wir jetzt fertig mein Herr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1578,"orig":"Darf die Taube nun fliegen?","norm":"Darf die Taube nun fliegen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1579,"orig":"Nur noch die Kleinigkeit Jungfer.","norm":"Nur noch die Kleinigkeit Jungfer."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1580,"orig":"Sie muͤſſen mit mir, und das Sakrament darauf nehmen, dieſen Brief fuͤr einen freiwilligen zu erkennen.","norm":"Sie müssen mit mir, und das Sakrament darauf nehmen, diesen Brief für einen freiwilligen zu erkennen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1581,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1582,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1583,"orig":"und du ſelbſt muſt das Siegel geben, die Werke der Hoͤlle zu verwahren?","norm":"und du selbst musst das Siegel geben, die Werke der Hölle zu verwahren?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1584,"orig":"War kein Marſchall da?","norm":"War kein Marschall da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1585,"orig":"Herr Major, der Herr Praͤſident fragen nach Ihnen.","norm":"Herr Major, der Herr Präsident fragen nach Ihnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1586,"orig":"Alle Donner!","norm":"Alle Donner!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1587,"orig":"Ich frag, war kein Marſchall da?","norm":"Ich frag, war kein Marschall da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1588,"orig":"Der gnaͤdige Herr ſizen oben am Pharotiſch.","norm":"Der gnädige Herr sitzen oben am Pharotisch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1589,"orig":"Der gnaͤdige Herr ſoll im Namen der ganzen Hoͤlle daher kommen.","norm":"Der gnädige Herr soll im Namen der ganzen Hölle daher kommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1590,"orig":"Es iſt nicht moͤglich.","norm":"Es ist nicht möglich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1591,"orig":"Nicht moͤglich.","norm":"Nicht möglich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1592,"orig":"Dieſe himmliſche Huͤlle verſtekt kein ſo teufliſches Herz — — Und doch!","norm":"Diese himmlische Hülle versteckt kein so teuflisches Herz — — und doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1593,"orig":"doch!","norm":"doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1594,"orig":"Wenn alle Engel herunter ſtiegen, fuͤr ihre Unſchuld buͤrgten — wenn Himmel und Erde, wenn Schoͤpfung und Schoͤpfer zuſammen traͤten, fuͤr ihre Unſchuld buͤrgten — Es iſt ihre Hand — ein unerhoͤrter ungeheurer Betrug, wie die Menſchheit noch keinen erlebte!","norm":"Wenn alle Engel herunterstiegen, für ihre Unschuld bürgten — wenn Himmel und Erde, wenn Schöpfung und Schöpfer zusammenträten, für ihre Unschuld bürgten — es ist ihre Hand — ein unerhörter ungeheurer Betrug, wie die Menschheit noch keinen erlebte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1595,"orig":"— Das alſo wars, warum man ſich ſo beharrlich der Flucht widerſezte!","norm":"— Das also war es, warum man sich so beharrlich der Flucht widersetzte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1596,"orig":"— Darum — o Gott!","norm":"— Darum — o Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1597,"orig":"jezt erwach ich, jezt enthuͤllt ſich mir alles!","norm":"jetzt erwache ich, jetzt enthüllt sich mir alles!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1598,"orig":"— Darum gab man ſeinen Anſpruch auf meine Liebe mit ſo viel Heldenmut auf, und bald bald haͤtte ſelbſt mich die himmliſche Schminke betrogen!","norm":"— Darum gab man seinen Anspruch auf meine Liebe mit soviel Heldenmut auf, und bald bald hätte selbst mich die himmlische Schminke betrogen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1599,"orig":"Mich ſo ganz zu ergruͤnden!","norm":"Mich so ganz zu ergründen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1600,"orig":"— Jedes kuͤhne Gefuͤhl, jede leiſe ſchuͤchterne Bebung zu erwiedern, jede feurige Wallung — An der feinſten Unbeſchreiblichkeit eines ſchwebenden Lauts meine Seele zu faſſen — Mich zu berechnen in einer Traͤne — Auf jeden gaͤhen Gipfel der Leidenſchaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem ſchwindelnden Abſturz — Gott!","norm":"— Jedes kühne Gefühl, jede leise schüchterne Bebung zu erwidern, jede feurige Wallung — an der feinsten Unbeschreiblichkeit eines schwebenden Lauts meine Seele zu fassen — Mich zu berechnen in einer Träne — auf jeden gähen Gipfel der Leidenschaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem schwindelnden Absturz — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1601,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1602,"orig":"und alles das nichts als Grimaſſe: — Grimaſſe?","norm":"und alles das nichts als Grimasse: — Grimasse?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1603,"orig":"— O wenn die Luͤge eine ſo haltbare Farbe hat, wie gieng es zu, daß ſich kein Teufel noch in das Himmelreich hineinlog?","norm":"— O wenn die Lüge eine so haltbare Farbe hat, wie ging es zu, dass sich kein Teufel noch in das Himmelreich hineinlog?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1604,"orig":"Da ich ihr die Gefahr unſrer Liebe entdekte, mit welch uͤberzeugender Taͤuſchung erblaßte die Falſche da!","norm":"Da ich ihr die Gefahr unserer Liebe entdeckte, mit welch überzeugender Täuschung erblasste die Falsche da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1605,"orig":"Mit welch ſiegender Wuͤrde ſchlug ſie den frechen Hohn meines Vaters zu Boden, und in eben dem Augenblik fuͤhlte das Weib ſich doch ſchuldig — Was?","norm":"Mit welch siegender Würde schlug sie den frechen Hohn meines Vaters zu Boden, und in eben dem Augenblick fühlte das Weib sich doch schuldig — was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1606,"orig":"hielt ſie nicht ſelbſt die Feuerprobe der Wahrheit aus — die Heuchlerin ſinkt in Ohnmacht.","norm":"hielt sie nicht selbst die Feuerprobe der Wahrheit aus — die Heuchlerin sinkt in Ohnmacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1607,"orig":"Welche Sprache wirſt du jezt fuͤhren, Empfindung?","norm":"Welche Sprache wirst du jetzt führen, Empfindung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1608,"orig":"Auch Koketten ſinken in Ohnmacht.","norm":"Auch Koketten sinken in Ohnmacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1609,"orig":"Womit wirſt Du dich rechtfertigen Unſchuld — Auch Maͤzen ſinken in Ohnmacht.","norm":"Womit wirst Du Dich rechtfertigen Unschuld — auch Metzen sinken in Ohnmacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1610,"orig":"Sie weiß, was ſie aus mir gemacht hat.","norm":"Sie weiß, was sie aus mir gemacht hat."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1611,"orig":"Sie hat meine ganze Seele geſehn.","norm":"Sie hat meine ganze Seele gesehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1612,"orig":"Mein Herz trat beim Erroͤthen des erſten Kuſſes ſichtbar in meine Augen — und ſie empfand nichts?","norm":"Mein Herz trat beim Erröten des ersten Kusses sichtbar in meine Augen — und sie empfand nichts?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1613,"orig":"Empfand vielleicht nur den Triumph ihrer Kunſt?","norm":"Empfand vielleicht nur den Triumph ihrer Kunst?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1614,"orig":"— Da mein gluͤklicher Wahnſinn den ganzen Himmel in ihr zu umſpannen waͤhnte?","norm":"— Da mein glücklicher Wahnsinn den ganzen Himmel in ihr zu umspannen wähnte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1615,"orig":"Meine wildeſten Wuͤnſche ſchwiegen?","norm":"Meine wildesten Wünsche schwiegen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1616,"orig":"Vor meinem Gemuͤth ſtand kein Gedanke als die Ewigkeit und das Maͤdchen — Gott!","norm":"Vor meinem Gemüt stand kein Gedanke als die Ewigkeit und das Mädchen — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1617,"orig":"da empfand ſie nichts?","norm":"da empfand sie nichts?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1618,"orig":"Fuͤhlte nichts, als ihren Anſchlag gelungen?","norm":"Fühlte nichts, als ihren Anschlag gelungen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1619,"orig":"Nichts, als ihre Reize geſchmeichelt?","norm":"Nichts, als ihre Reize geschmeichelt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1620,"orig":"Tod und Rache!","norm":"Tod und Rache!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1621,"orig":"Nichts, als daß ich betrogen ſei?","norm":"Nichts, als dass ich betrogen sei?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1622,"orig":"Sie haben den Wunſch bliken laſſen, mein Beſter —","norm":"Sie haben den Wunsch blicken lassen, mein Bester —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1623,"orig":"Einem Schurken den Hals zu brechen.","norm":"Einem Schurken den Hals zu brechen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1624,"orig":"Marſchall, dieſer Brief muß Ihnen bei der Parade aus der Taſche gefallen ſeyn — und ich","norm":"Marschall, dieser Brief muss Ihnen bei der Parade aus der Tasche gefallen sein — und ich"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1625,"orig":"war zum Gluͤk noch der Finder.","norm":"war zum Glück noch der Finder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1626,"orig":"Sie?","norm":"Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1627,"orig":"Durch den luſtigſten Zufall.","norm":"Durch den lustigsten Zufall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1628,"orig":"Machen Sie's mit der Allmacht aus.","norm":"Machen Sie es mit der Allmacht aus."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1629,"orig":"Sie ſehen, wie ich erſchrecke, Baron.","norm":"Sie sehen, wie ich erschrecke, Baron."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1630,"orig":"Leſen Sie!","norm":"Lesen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1631,"orig":"Leſen Sie!","norm":"Lesen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1632,"orig":"Bin ich auch ſchon zum Liebhaber zu ſchlecht, vielleicht laß ich mich deſto beſſer als Kuppler an.","norm":"Bin ich auch schon zum Liebhaber zu schlecht, vielleicht lass ich mich desto besser als Kuppler an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1633,"orig":"Verflucht!","norm":"Verflucht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1634,"orig":"Geduld, lieber Marſchall.","norm":"Geduld, lieber Marschall."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1635,"orig":"Die Zeitungen duͤnken mich angenehm.","norm":"Die Zeitungen dünken mich angenehm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1636,"orig":"Ich will meinen Finderlohn haben.","norm":"Ich will meinen Finderlohn haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1637,"orig":"Sie werden vernuͤnftig ſeyn, Beſter.","norm":"Sie werden vernünftig sein, Bester."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1638,"orig":"Mehr als zuviel um einen Schelmen, wie Du biſt, in jene Welt zu ſchiken!","norm":"Mehr als zu viel um einen Schelmen, wie Du bist, in jene Welt zu schicken!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1639,"orig":"Nehmen Sie!","norm":"Nehmen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1640,"orig":"dieſes Schnupftuch da faſſen Sie!","norm":"dieses Schnupftuch da fassen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1641,"orig":"— Ich habs von der Bulerin.","norm":"— Ich habe es von der Buhlerin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1642,"orig":"Ueber dem Schnupftuch?","norm":"Über dem Schnupftuch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1643,"orig":"Raſen Sie?","norm":"Rasen Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1644,"orig":"Wohin denken Sie?","norm":"Wohin denken Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1645,"orig":"Faß dieſes End' an ſag ich.","norm":"Faße dieses Ende ansage ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1646,"orig":"Sonſt wirſt du ja fehl ſchießen Memme!","norm":"Sonst wirst du ja fehlschießen Memme!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1647,"orig":"— Wie ſie zittert die Memme!","norm":"— Wie sie zittert die Memme!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1648,"orig":"Du ſolteſt Gott danken, Memme, daß du zum erſtenmal etwas in deinen Hirnkaſten kriegſt.","norm":"Du solltest Gott danken, Memme, dass du zum ersten Mal etwas in deinen Hirnkasten kriegst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1649,"orig":"Sachte!","norm":"Sachte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1650,"orig":"Dafuͤr wird gebeten ſeyn.","norm":"Dafür wird gebeten sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1651,"orig":"Auf dem Zimmer, Baron?","norm":"Auf dem Zimmer, Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1652,"orig":"Als ob ſich mit Dir ein Gang vor den Wall verlohnte?","norm":"Als ob sich mit Dir ein Gang vor den Wall verlohnte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1653,"orig":"— Schaz, ſo knallts deſto lauter, und das iſt ja doch wol das erſte Geraͤuſch, das Du in der Welt machſt — Schlag an!","norm":"— Schatz, so knallt es desto lauter, und das ist ja doch wohl das erste Geräusch, das Du in der Welt machst — Schlag an!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1654,"orig":"Und Sie wollen Ihr koſtbares Leben ſo ausſezen, junger hoffnungsvoller Mann?","norm":"Und Sie wollen Ihr kostbares Leben so aussetzen, junger hoffnungsvoller Mann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1655,"orig":"Schlag an, ſag ich.","norm":"Schlag an, sage ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1656,"orig":"Ich habe nichts mehr in dieſer Welt zu thun.","norm":"Ich habe nichts mehr in dieser Welt zu tun."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1657,"orig":"Aber ich deſto mehr, mein Allervortreflichſter.","norm":"Aber ich desto mehr, mein Allervortrefflichster."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1658,"orig":"Du Burſche?","norm":"Du Bursche?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1659,"orig":"Was Du?","norm":"Was Du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1660,"orig":"— Der Nothnagel zu ſeyn, wo die Menſchen ſich rar machen?","norm":"— Der Notnagel zu sein, wo die Menschen sich rarmachen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1661,"orig":"In einem Augenblik ſiebenmal kurz und ſiebenmal lang zu werden, wie der Schmetterling an der Nadel?","norm":"In einem Augenblick siebenmal kurz und siebenmal lang zu werden, wie der Schmetterling an der Nadel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1662,"orig":"Ein Regiſter zu fuͤhren uͤber die Stuhlgaͤnge deines Herrn, und der Miethgaul ſeines Wizes zu ſeyn?","norm":"Ein Register zu führen über die Stuhlgänge deines Herrn, und der Mietgaul seines Witzes zu sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1663,"orig":"Eben ſo gut.","norm":"Ebenso gut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1664,"orig":"Ich fuͤhre dich, wie irgend ein ſeltenes Murmelthier mit mir.","norm":"Ich führe dich, wie irgendein seltenes Murmeltier mit mir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1665,"orig":"Wie ein zahmer Affe ſollſt du zum Geheul der Verdammten tanzen, apportieren und aufwarten, und mit deinen hoͤfiſchen Kuͤnſten die ewige Verzweiflung beluſtigen.","norm":"Wie ein zahmer Affe sollst du zum Geheul der Verdammten tanzen, apportieren und aufwarten, und mit deinen höfischen Künsten die ewige Verzweiflung belustigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1666,"orig":"Was Sie befehlen, Herr, wie Sie belieben — Nur die Piſtolen weg!","norm":"Was Sie befehlen, Herr, wie Sie belieben — nur die Pistolen weg!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1667,"orig":"Wie er da ſteht der Schmerzensſohn!","norm":"Wie er dasteht der Schmerzenssohn!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1668,"orig":"— Da ſteht, dem ſechsten Schoͤpfungstag zum Schimpfe!","norm":"— Dasteht, dem sechsten Schöpfungstag zum Schimpfe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1669,"orig":"Als wenn ihn ein Tuͤbinger Buchhaͤndler dem Allmaͤchtigen nachgedrukt haͤtte!","norm":"Als wenn ihn ein Tübinger Buchhändler dem Allmächtigen nachgedruckt hätte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1670,"orig":"— Schade nur, ewig Schande fuͤr die Unze Gehirn, die ſo ſchlecht in dieſem undankbaren Schaͤdel wuchert.","norm":"— Schade nur, ewig Schande für die Unze Gehirn, die so schlecht in diesem undankbaren Schädel wuchert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1671,"orig":"Dieſe einzige Unze haͤtte dem Pavian noch vollends zum Menſchen geholfen, da ſie jezt nur einen Bruch von Vernunft macht — Und mit dieſem ihr Herz zu theilen?","norm":"Diese einzige Unze hätte dem Pavian noch vollends zum Menschen geholfen, da sie jetzt nur einen Bruch von Vernunft macht — und mit diesem ihr Herz zu teilen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1672,"orig":"— Ungeheuer!","norm":"— Ungeheuer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1673,"orig":"Unverantwortlich!","norm":"Unverantwortlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1674,"orig":"— Einem Kerl, mehr gemacht, von Suͤnden zu entwoͤhnen, als dazu anzureizen.","norm":"— Einem Kerl, mehr gemacht, von Sünden zu entwöhnen, als dazu anzureizen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1675,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1676,"orig":"Gott ſei ewig Dank!","norm":"Gott sei ewig Dank!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1677,"orig":"Er wird wizig.","norm":"Er wird witzig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1678,"orig":"Ich will ihn gelten laſſen.","norm":"Ich will ihn gelten lassen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1679,"orig":"Die Toleranz, die der Raupe ſchont, ſoll auch dieſem zu gute kommen.","norm":"Die Toleranz, die der Raupe schont, soll auch diesem zugutekommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1680,"orig":"Man begegnet ihm, zukt etwa die Achſel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirthſchaft des Himmels, der auch mit Traͤbern und Bodenſaz noch Kreaturen ſpeißt; der dem Raben am Hochgericht, und einem Hoͤfling im Schlamme der Majeſtaͤten den Tiſch dekt — Zulezt erſtaunt man noch uͤber die große Polizei der Vorſicht, die auch in der Geiſterwelt ihre Blindſchleichen und Tarandeln zur Ausfuhr des Gifts beſoldet.","norm":"Man begegnet ihm, zuckt etwa die Achsel, bewundert vielleicht noch die kluge Wirtschaft des Himmels, der auch mit Trebern und Bodensatz noch Kreaturen speist; der dem Raben am Hochgericht, und einem Höfling im Schlamme der Majestäten den Tisch deckt — zuletzt erstaunt man noch über die große Polizei der Vorsicht, die auch in der Geisterwelt ihre Blindschleichen und Taranteln zur Ausfuhr des Gifts besoldet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1681,"orig":"— Aber an meine Blume ſoll mir das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es ſo und ſo und wieder ſo durcheinander quetſchen.","norm":"— Aber an meine Blume soll mir das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es so und so und wieder so durcheinanderquetschen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1682,"orig":"O mein Gott!","norm":"O mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1683,"orig":"Wer hier weg waͤre!","norm":"Wer hier weg wäre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1684,"orig":"Hundert Meilen von hier im Biçetre zu Paris!","norm":"Hundert Meilen von hier im Bicêtre zu Paris!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1685,"orig":"nur bei dieſem nicht!","norm":"nur bei diesem nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1686,"orig":"Bube!","norm":"Bube!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1687,"orig":"Wenn ſie nicht rein mehr iſt?","norm":"Wenn sie nicht rein mehr ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1688,"orig":"Bube!","norm":"Bube!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1689,"orig":"Wenn du genoßeſt, wo ich anbetete: Schwelgteſt, wo ich einen Gott mich fuͤhlte?","norm":"Wenn du genossest, wo ich anbetete: Schwelgtest, wo ich einen Gott mich fühlte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1690,"orig":"Dir waͤre beſſer, Bube, du floͤheſt der Hoͤlle zu, als daß dir mein Zorn im Himmel begegnete!","norm":"Dir wäre besser, Bube, du flöhest der Hölle zu, als dass dir mein Zorn im Himmel begegnete!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1691,"orig":"— Wie weit kamſt du mit dem Maͤdchen?","norm":"— Wie weit kamst du mit dem Mädchen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1692,"orig":"Bekenne!","norm":"Bekenne!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1693,"orig":"Laſſen Sie mich los.","norm":"Lassen Sie mich los."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1694,"orig":"Ich will alles verrathen.","norm":"Ich will alles verraten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1695,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1696,"orig":"es muß reizender ſeyn mit dieſem Maͤdchen zu bulen, als mit andern noch ſo himmliſch zu ſchwaͤrmen — Wolte ſie ausſchweifen, wolte ſie, ſie koͤnnte den Werth der Seele herunter bringen, und die Tugend mit der Wolluſt verfaͤlſchen.","norm":"es muss reizender sein mit diesem Mädchen zu buhlen, als mit anderen noch so himmlisch zu schwärmen — wollte sie ausschweifen, wollte sie, sie könnte den Wert der Seele herunterbringen, und die Tugend mit der Wollust verfälschen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1697,"orig":"Wie weit kamſt du mit ihr?","norm":"Wie weit kamst du mit ihr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1698,"orig":"Ich druͤke ab, oder bekenne!","norm":"Ich drücke ab, oder bekenne!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1699,"orig":"Es iſt nichts — iſt ja alles nichts.","norm":"Es ist nichts — ist ja alles nichts."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1700,"orig":"Haben Sie nur eine Minute Geduld.","norm":"Haben Sie nur eine Minute Geduld."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1701,"orig":"Sie ſind ja betrogen.","norm":"Sie sind ja betrogen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1702,"orig":"Und daran mahnſt du mich Boͤſewicht?","norm":"Und daran mahnst du mich Bösewicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1703,"orig":"— Wie weit kamſt du mit ihr?","norm":"— Wie weit kamst du mit ihr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1704,"orig":"Du biſt des Todes, oder bekenne!","norm":"Du bist des Todes, oder bekenne!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1705,"orig":"Mon Dieu!","norm":"Mon Dieu!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1706,"orig":"Mein Gott!","norm":"Mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1707,"orig":"Ich ſpreche ja — So hoͤren Sie doch nur — Ihr Vater — Ihr eigener leiblicher Vater —","norm":"Ich spreche ja — so hören Sie doch nur — Ihr Vater — Ihr eigener leiblicher Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1708,"orig":"Hat ſeine Tochter an Dich verkuppelt?","norm":"Hat seine Tochter an Dich verkuppelt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1709,"orig":"Und wie weit kamſt du mit ihr?","norm":"Und wie weit kamst du mit ihr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1710,"orig":"Ich ermorde dich, oder bekenne!","norm":"Ich ermorde dich, oder bekenne!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1711,"orig":"Sie raſen.","norm":"Sie rasen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1712,"orig":"Sie hoͤren nicht.","norm":"Sie hören nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1713,"orig":"Ich ſah ſie nie.","norm":"Ich sah sie nie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1714,"orig":"Ich kenne ſie nicht.","norm":"Ich kenne sie nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1715,"orig":"Ich weiß gar nichts von ihr.","norm":"Ich weiß gar nichts von ihr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1716,"orig":"Du ſahſt ſie nie?","norm":"Du sahst sie nie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1717,"orig":"Kennſt ſie nicht?","norm":"Kennst sie nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1718,"orig":"Weiſt gar nichts von ihr?","norm":"Weißt gar nichts von ihr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1719,"orig":"— Die Millerin iſt verloren um deinetwillen, du laͤugneſt ſie dreimal in Einem Athem hinweg?","norm":"— Die Millerin ist verloren um deinetwillen, du leugnest sie dreimal in einem Atem hinweg?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1720,"orig":"— Fort ſchlechter Kerl.","norm":"— Fort schlechter Kerl."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1721,"orig":"Fuͤr Deinesgleichen iſt kein Pulver erfunden!","norm":"Für Deinesgleichen ist kein Pulver erfunden!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1722,"orig":"Verloren!","norm":"Verloren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1723,"orig":"Ja Ungluͤkſeelige!","norm":"Ja unglückselige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1724,"orig":"— Ich bin es.","norm":"— Ich bin es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1725,"orig":"Du biſt es auch.","norm":"Du bist es auch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1726,"orig":"Ja bei dem großen Gott!","norm":"Ja bei dem großen Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1727,"orig":"Wenn ich verloren bin, biſt du es auch!","norm":"Wenn ich verloren bin, bist du es auch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1728,"orig":"— Richter der Welt!","norm":"— Richter der Welt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1729,"orig":"Fodre Sie mir nicht ab Das Maͤdchen iſt mein.","norm":"Fordere sie mir nicht ab das Mädchen ist mein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1730,"orig":"Ich trat dir deine ganze Welt fuͤr das Maͤdchen ab, habe Verzicht gethan auf deine ganze herrliche Schoͤpfung.","norm":"Ich trat dir deine ganze Welt für das Mädchen ab, habe Verzicht getan auf deine ganze herrliche Schöpfung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1731,"orig":"Laß mir das Maͤdchen.","norm":"Lass mir das Mädchen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1732,"orig":"— Richter der Welt!","norm":"— Richter der Welt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1733,"orig":"Dort winſeln Millionen Seelen nach dir — Dorthin kehre das Aug deines Erbarmens — Mich laß allein machen, Richter der Welt!","norm":"Dort winseln Millionen Seelen nach dir — dorthin kehre das Auge deines Erbarmens — mich lass allein machen, Richter der Welt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1734,"orig":"Solte der reiche vermoͤgende Schoͤpfer mit einer Seele geizen, die noch dazu die ſchlechteſte ſeiner Schoͤpfung iſt?","norm":"Sollte der reiche vermögende Schöpfer mit einer Seele geizen, die noch dazu die schlechteste seiner Schöpfung ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1735,"orig":"— Das Maͤdchen iſt mein!","norm":"— Das Mädchen ist mein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1736,"orig":"Ich einſt ihr Gott, jezt ihr Teufel!","norm":"Ich einst ihr Gott, jetzt ihr Teufel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1737,"orig":"Eine Ewigkeit mit Ihr auf ein Rad der Verdammniß geflochten — Augen in Augen wurzelnd — Haare zu Berge ſtehend gegen Haare — Auch unſer holes Wimmern in eins geſchmolzen — Und jezt zu widerholen meine Zaͤrtlichkeiten, und jezt ihr vorzuſingen ihre Schwuͤre — Gott!","norm":"Eine Ewigkeit mit Ihr auf ein Rad der Verdammnis geflochten — Augen in Augen wurzelnd — Haare zu Berge stehend gegen Haare — auch unser hohles Wimmern in eins geschmolzen — und jetzt zu wiederholen meine Zärtlichkeiten, und jetzt ihr vorzusingen ihre Schwüre — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1738,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1739,"orig":"Die Vermaͤlung iſt fuͤrchterlich — aber ewig!","norm":"Die Vermählung ist fürchterlich — aber ewig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1740,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1741,"orig":"— Mein Vater!","norm":"— Mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1742,"orig":"Sehr gut, daß wir uns finden, mein Sohn.","norm":"Sehr gut, dass wir uns finden, mein Sohn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1743,"orig":"Ich komme, dir etwas angenehmes zu verkuͤndigen, und etwas, lieber Sohn, das dich ganz gewiß uͤberraſchen wird.","norm":"Ich komme, dir etwas Angenehmes zu verkündigen, und etwas, lieber Sohn, das dich ganz gewiss überraschen wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1744,"orig":"Wollen wir uns ſezen?","norm":"Wollen wir uns setzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1745,"orig":"Mein Vater!","norm":"Mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1746,"orig":"Mein Vater!","norm":"Mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1747,"orig":"O mein Vater!","norm":"O mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1748,"orig":"Was iſt dir mein Sohn?","norm":"Was ist dir mein Sohn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1749,"orig":"Steh auf.","norm":"Stehe auf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1750,"orig":"Deine Hand brennt und zittert.","norm":"Deine Hand brennt und zittert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1751,"orig":"Verzeihung fuͤr meinen Undank mein Vater!","norm":"Verzeihung für meinen Undank mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1752,"orig":"Ich bin ein verworfener Menſch.","norm":"Ich bin ein verworfener Mensch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1753,"orig":"Ich habe ihre Guͤte miskannt.","norm":"Ich habe Ihre Güte mißkannt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1754,"orig":"Sie meynten es mit mir ſo vaͤterlich — O!","norm":"Sie meinten es mit mir so väterlich — O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1755,"orig":"Sie hatten eine weißagende Seele — Jezt iſts zu ſpaͤt — Verzeihung!","norm":"Sie hatten eine weissagende Seele — jetzt ist es zu Spät — Verzeihung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1756,"orig":"Verzeihung!","norm":"Verzeihung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1757,"orig":"Ihren Seegen, mein Vater!","norm":"Ihren Segen, mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1758,"orig":"Steh auf mein Sohn!","norm":"Stehe auf mein Sohn!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1759,"orig":"Beſinne dich, daß du mir Raͤzel ſprichſt.","norm":"Besinne dich, dass du mir Rätsel sprichst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1760,"orig":"Dieſe Millerin mein Vater — O Sie kennen den Menſchen — Ihre Wut war damals ſo gerecht, ſo edel, ſo vaͤterlich warm — Nur verfehlte der warme Vatereifer des Weges — Dieſe Millerin!","norm":"Diese Millerin mein Vater — O Sie kennen den Menschen — Ihre Wut war damals so gerecht, so edel, so väterlich warm — nur verfehlte der warme Vatereifer des Weges — diese Millerin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1761,"orig":"Martre mich nicht mein Sohn.","norm":"Martre mich nicht mein Sohn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1762,"orig":"Ich verfluche meine Haͤrte!","norm":"Ich verfluche meine Härte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1763,"orig":"Ich bin gekommen dir abzubitten.","norm":"Ich bin gekommen dir abzubitten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1764,"orig":"Abbitten an mir!","norm":"Abbitten an mir!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1765,"orig":"Verfluchen an mir!","norm":"Verfluchen an mir!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1766,"orig":"— Ihre Mißbilligung war Weisheit.","norm":"— Ihre Missbilligung war Weisheit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1767,"orig":"Ihre Haͤrte war himmliſches Mitleid — — Dieſe Millerin, Vater —","norm":"Ihre Härte war himmlisches Mitleid — — diese Millerin, Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1768,"orig":"Iſt ein edles, ein liebes Maͤdchen.","norm":"Ist ein edles, ein liebes Mädchen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1769,"orig":"— Ich widerrufe meinen uͤbereilten Verdacht.","norm":"— Ich widerrufe meinen übereilten Verdacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1770,"orig":"Sie hat meine Achtung erworben.","norm":"Sie hat meine Achtung erworben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1771,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1772,"orig":"auch Sie?","norm":"auch Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1773,"orig":"— Vater!","norm":"— Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1774,"orig":"auch Sie?","norm":"auch Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1775,"orig":"— Und nicht wahr, mein Vater, ein Geſchoͤpf wie die Unſchuld?","norm":"— Und nicht wahr, mein Vater, ein Geschöpf wie die Unschuld?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1776,"orig":"— und es iſt ſo menſchlich, dieſes Maͤdchen zu lieben?","norm":"— und es ist so menschlich, dieses Mädchen zu lieben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1777,"orig":"Sage ſo:","norm":"Sage so:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1778,"orig":"Es iſt ein Verbrechen, es nicht zu lieben.","norm":"Es ist ein Verbrechen, es nicht zu lieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1779,"orig":"Unerhoͤrt!","norm":"Unerhört!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1780,"orig":"Ungeheuer!","norm":"Ungeheuer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1781,"orig":"— Und Sie ſchauen ja doch ſonſt die Herzen ſo durch!","norm":"— Und Sie schauen ja doch sonst die Herzen so durch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1782,"orig":"Sahen Sie noch dazu mit Augen des Haſſes!","norm":"Sahen Sie noch dazu mit Augen des Hasses!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1783,"orig":"— Heuchelei ohne Beiſpiel — Dieſe Millerin, Vater —","norm":"— Heuchelei ohne Beispiel — diese Millerin, Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1784,"orig":"Iſt es werth meine Tochter zu ſeyn.","norm":"Ist es wert meine Tochter zu sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1785,"orig":"Ich rechne ihre Tugend fuͤr Ahnen, und ihre Schoͤnheit fuͤr Gold.","norm":"Ich rechne ihre Tugend für Ahnen, und ihre Schönheit für Gold."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1786,"orig":"Meine Grundſaͤze weichen deiner Liebe — Sie ſei dein!","norm":"Meine Grundsätze weichen deiner Liebe — sie sei dein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1787,"orig":"Das fehlte noch!","norm":"Das fehlte noch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1788,"orig":"— Leben Sie wol mein Vater.","norm":"— Leben Sie wohl mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1789,"orig":"Bleib!","norm":"Bleib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1790,"orig":"Bleib!","norm":"Bleib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1791,"orig":"Wohin ſtuͤrmſt du?","norm":"Wohin stürmst du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1792,"orig":"Alſo ſahſt du ſie?","norm":"Also sahst du sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1793,"orig":"Wird ſie kommen?","norm":"Wird sie kommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1794,"orig":"Dieſen Augenblik.","norm":"Diesen Augenblick."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1795,"orig":"Sie war noch im Hausgewand, und wollte ſich nur in der Geſchwindigkeit umkleiden.","norm":"Sie war noch im Hausgewand, und wollte sich nur in der Geschwindigkeit umkleiden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1796,"orig":"Sage mir nichts von ihr — Stille — wie eine Verbrecherin zittre ich, die Gluͤkliche zu ſehen, die mit meinem Herzen ſo ſchreklich harmoniſch fuͤhlt — Und wie nahm ſie ſich bei der Einladung?","norm":"Sage mir nichts von ihr — Stille — wie eine Verbrecherin zittre ich, die Glückliche zu sehen, die mit meinem Herzen so schrecklich harmonisch fühlt — und wie nahm sie sich bei der Einladung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1797,"orig":"Sie ſchien beſtuͤrzt, wurde nachdenkend, ſah mich mit großen Augen an, und ſchwieg.","norm":"Sie schien bestürzt, wurde nachdenkend, sah mich mit großen Augen an, und schwieg."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1798,"orig":"Ich hatte mich ſchon auf ihre Ausfluͤchte vorbereitet, als ſie mit einem Blik, der mich ganz uͤberraſchte, zur Antwort gab:","norm":"Ich hatte mich schon auf ihre Ausflüchte vorbereitet, als sie mit einem Blick, der mich ganz überraschte, zur Antwort gab:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1799,"orig":"Ihre Dame befiehlt mir, was ich mir morgen erbitten wolte.","norm":"Ihre Dame befiehlt mir, was ich mir morgen erbitten wollte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1800,"orig":"Laß mich Sophie.","norm":"Lass mich Sophie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1801,"orig":"Beklage mich.","norm":"Beklage mich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1802,"orig":"Ich muß erroͤthen, wenn ſie nur das gewoͤhnliche Weib iſt, und wenn ſie mehr iſt, verzagen.","norm":"Ich muss erröten, wenn sie nur das gewöhnliche Weib ist, und wenn sie mehr ist, verzagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1803,"orig":"Aber Milady — Das iſt die Laune nicht, eine Nebenbulerin zu empfangen.","norm":"Aber Mylady — das ist die Laune nicht, eine Nebenbuhlerin zu empfangen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1804,"orig":"Erinnern Sie ſich wer Sie ſind.","norm":"Erinnern Sie sich wer Sie sind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1805,"orig":"Rufen Sie Ihre Geburt, Ihren Rang, Ihre Macht zu Hilfe.","norm":"Rufen Sie Ihre Geburt, Ihren Rang, Ihre Macht zu Hilfe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1806,"orig":"Ein ſtolzeres Herz muß die ſtolze Pracht Ihres Anbliks erheben.","norm":"Ein stolzeres Herz muss die stolze Pracht Ihres Anblicks erheben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1807,"orig":"Was ſchwazt die Naͤrrin da?","norm":"Was schwatzt die Närrin da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1808,"orig":"Oder es iſt vielleicht Zufall, daß eben heute die koſtbarſten Brillanten an Ihnen blizen?","norm":"Oder es ist vielleicht Zufall, dass eben heute die kostbarsten Brillanten an Ihnen blitzen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1809,"orig":"Zufall, daß eben heute der reichſte Stoff Sie bekleiden muß — daß Ihre Antiſchamber von Heiduken und Pagen wimmelt, und das Buͤrgermaͤdchen im fuͤrſtlichſten Saal Ihres Pallaſtes erwartet wird?","norm":"Zufall, dass eben heute der reichste Stoff Sie bekleiden muss — dass Ihre Antichambre von Heiducken und Pagen wimmelt, und das Bürgermädchen im fürstlichsten Saal Ihres Palastes erwartet wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1810,"orig":"Verwuͤnſcht!","norm":"Verwünscht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1811,"orig":"Unertraͤglich!","norm":"Unerträglich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1812,"orig":"Daß Weiber fuͤr Weiberſchwaͤchen ſolche Luchsaugen haben!","norm":"Dass Weiber für Weiberschwächen solche Luchsaugen haben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1813,"orig":"— — Aber wie tief, wie tief muß ich ſchon geſunken ſeyn, daß eine ſolche Kreatur mich ergruͤndet!","norm":"— — Aber wie tief, wie tief muss ich schon gesunken sein, dass eine solche Kreatur mich ergründet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1814,"orig":"Mamſell Millerin —","norm":"Mamsell Millerin —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1815,"orig":"Hinweg du!","norm":"Hinweg du!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1816,"orig":"Entferne dich!","norm":"Entferne dich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1817,"orig":"Hinweg!","norm":"Hinweg!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1818,"orig":"Ich befehl es.","norm":"Ich Befehl es."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1819,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1820,"orig":"Recht gut, daß ich in Wallung kam.","norm":"Recht gut, dass ich in Wallung kam."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1821,"orig":"Ich bin, wie ich wuͤnſchte.","norm":"Ich bin, wie ich wünschte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1822,"orig":"Die Mamſell mag hereintreten.","norm":"Die Mamsell mag hereintreten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1823,"orig":"Gnaͤdige Frau, ich erwarte ihre Befehle.","norm":"Gnädige Frau, ich erwarte Ihre Befehle."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1824,"orig":"Aha!","norm":"Aha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1825,"orig":"Iſt Sie hier?","norm":"Ist Sie hier?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1826,"orig":"— Ohne Zweifel die Mamſell — eine gewiſſe — Wie nennt man ſie doch?","norm":"— Ohne Zweifel die Mamsell — eine gewisse — wie nennt man sie doch?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1827,"orig":"Miller nennt ſich mein Vater, und Ihro Gnaden ſchikten nach ſeiner Tochter.","norm":"Miller nennt sich mein Vater, und Ihre Gnaden schickten nach seiner Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1828,"orig":"Recht!","norm":"Recht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1829,"orig":"Recht!","norm":"Recht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1830,"orig":"Ich entſinne mich — die arme Geigerstochter, wovon neulich die Rede war.","norm":"Ich entsinne mich — die arme Geigerstochter, wovon neulich die Rede war."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1831,"orig":"Sehr intereſſant, und doch keine Schoͤnheit — Trete ſie naͤher mein Kind.","norm":"Sehr interessant, und doch keine Schönheit — trete sie näher mein Kind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1832,"orig":"Augen, die ſich im Weinen uͤbten — Wie lieb' ich ſie, dieſe Augen!","norm":"Augen, die sich im Weinen übten — wie liebe ich sie, diese Augen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1833,"orig":"Nur naͤher — Nur ganz nah — Gutes Kind, ich glaube, du fuͤrchteſt mich?","norm":"Nur näher — nur ganz nah — Gutes Kind, ich glaube, du fürchtest mich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1834,"orig":"Nein Milady.","norm":"Nein Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1835,"orig":"Ich verachte das Urtheil der Menge.","norm":"Ich verachte das Urteil der Menge."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1836,"orig":"Sieh doch!","norm":"Sieh doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1837,"orig":"— und dieſen Trozkopf hat ſie von ihm.","norm":"— und diesen Trotzkopf hat sie von ihm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1838,"orig":"Man hat ſie mir empfohlen, Mamſell.","norm":"Man hat sie mir empfohlen, Mamsell."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1839,"orig":"Sie ſoll was gelernt haben, und ſonſt auch zu leben wiſſen — Nun ja.","norm":"Sie soll was gelernt haben, und sonst auch zu leben wissen — nun ja."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1840,"orig":"Ich wills glauben — auch naͤhm ich die ganze Welt nicht, einen ſo warmen Fuͤrſprecher Luͤgen zu ſtrafen.","norm":"Ich will es glauben — auch nähme ich die ganze Welt nicht, einen so warmen Fürsprecher Lügen zu strafen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1841,"orig":"Doch kenn ich niemand, Milady, der ſich Muͤhe gaͤbe, mir eine Patronin zu ſuchen.","norm":"Doch kenne ich niemand, Mylady, der sich Mühe gäbe, mir eine Patronin zu suchen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1842,"orig":"Muͤhe um die Klientin oder Patronin?","norm":"Mühe um die Klientin oder Patronin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1843,"orig":"Das iſt mir zu hoch, gnaͤdige Frau.","norm":"Das ist mir zu hoch, gnädige Frau."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1844,"orig":"Mehr Schelmerei, als dieſe offene Bildung vermuthen laͤßt!","norm":"Mehr Schelmerei, als diese offene Bildung vermuten lässt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1845,"orig":"Louiſe nennt ſie ſich?","norm":"Louise nennt sie sich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1846,"orig":"Und wie jung, wenn man fragen darf?","norm":"Und wie jung, wenn man fragen darf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1847,"orig":"Sechszehn geweſen.","norm":"Sechzehn gewesen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1848,"orig":"Nun iſts heraus!","norm":"Nun ist es heraus!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1849,"orig":"Sechszehen Jahre!","norm":"Sechszehen Jahre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1850,"orig":"Der erſte Puls dieſer Leidenſchaft!","norm":"Der erste Puls dieser Leidenschaft!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1851,"orig":"— Auf dem unberuͤhrten Klavier der erſte einweihende Silberton!","norm":"— Auf dem unberührten Klavier der erste einweihende Silberton!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1852,"orig":"— Nichts iſt verfuͤhrender — Sez dich, ich bin dir gut, liebes Maͤdchen — Und auch Er liebt zum erſtenmal — Was Wunder, wenn ſich die Stralen Eines Morgenrots finden?","norm":"— Nichts ist verführender — Setze dich, ich bin dir gut, liebes Mädchen — und auch er liebt zum ersten Mal — was Wunder, wenn sich die Strahlen eines Morgenrots finden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1853,"orig":"Es bleibt dabei, ich will dein Gluͤk machen, liebe — Nichts, nichts als die ſuͤße fruͤheverfliegende Traͤumerei Meine Sophie heirathet.","norm":"Es bleibt dabei, ich will dein Glück machen, Liebe — nichts, nichts als die süße früheverfliegende Träumerei Meine Sophie heiratet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1854,"orig":"Du ſolſt ihre Stelle haben — Sechszehn Jahr!","norm":"Du sollst ihre Stelle haben — Sechzehn Jahr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1855,"orig":"Es kann nicht von Dauer ſeyn.","norm":"Es kann nicht von Dauer sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1856,"orig":"Ich danke fuͤr dieſe Gnade Milady, als wenn ich ſie annehmen duͤrfte.","norm":"Ich danke für diese Gnade Mylady, als wenn ich sie annehmen dürfte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1857,"orig":"Man ſehe die große Dame!","norm":"Man sehe die große Dame!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1858,"orig":"— Sonſt wiſſen ſich Jungfern ihrer Herkunft noch gluͤklich, wenn ſie Herrſchaften finden — wo will denn Sie hinaus, meine Koſtbare?","norm":"— Sonst wissen sich Jungfern Ihrer Herkunft noch glücklich, wenn sie Herrschaften finden — wo will denn Sie hinaus, meine Kostbare?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1859,"orig":"Sind dieſe Finger zur Arbeit zu niedlich?","norm":"Sind diese Finger zur Arbeit zu niedlich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1860,"orig":"Iſt es Ihr Bischen Geſicht, worauf Sie ſo trozig thut?","norm":"Ist es Ihr Bisschen Gesicht, worauf Sie so trotzig tut?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1861,"orig":"Mein Geſicht, gnaͤdige Frau, gehoͤrt mir ſo wenig, als meine Herkunft.","norm":"Mein Gesicht, gnädige Frau, gehört mir so wenig, als meine Herkunft."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1862,"orig":"Oder glaubt Sie vielleicht, das werde nimmer ein Ende nehmen?","norm":"Oder glaubt Sie vielleicht, das werde nimmer ein Ende nehmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1863,"orig":"— Armes Geſchoͤpf, wer dir das in den Kopf ſezte — mag er ſeyn, wer er will — er hat euch beide zum Beſten gehabt.","norm":"— Armes Geschöpf, wer dir das in den Kopf setzte — mag er sein, wer er will — er hat euch beide zum Besten gehabt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1864,"orig":"Dieſe Wangen ſind nicht im Feuer vergoldet.","norm":"Diese Wangen sind nicht im Feuer vergoldet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1865,"orig":"Was dir dein Spiegel fuͤr maßiv und ewig verkauft, iſt nur ein duͤnner angeflogener Goldſchaum, der deinem Anbeter uͤber kurz oder lang in der Hand bleiben muß — Was werden wir dann machen?","norm":"Was dir dein Spiegel für massiv und ewig verkauft, ist nur ein dünner angeflogener Goldschaum, der deinem Anbeter über kurz oder lang in der Hand bleiben muss — was werden wir dann machen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1866,"orig":"Den Anbeter bedauern, Milady, der einen Demant kaufte, weil er in Gold ſchien gefaßt zu ſeyn.","norm":"Den Anbeter bedauern, Mylady, der einen Demant kaufte, weil er in Gold schien gefasst zu sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1867,"orig":"Ein Maͤdchen von ihren Jahren hat immer zween Spiegel zugleich, den Wahren und ihren Bewunderer — Die gefaͤllige Geſchmeidigkeit des leztern macht die rauhe Offenherzigkeit des erſtern wieder gut.","norm":"Ein Mädchen von Ihren Jahren hat immer zween Spiegel zugleich, den Wahren und ihren Bewunderer — die gefällige Geschmeidigkeit des letzten macht die raue Offenherzigkeit des ersteren wieder gut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1868,"orig":"Der eine ruͤgt eine haͤßliche Blatternarbe.","norm":"Der eine rügt eine hässliche Blatternarbe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1869,"orig":"Weit gefehlt, ſagt der andere, es iſt ein Gruͤbchen der Grazien.","norm":"Weit gefehlt, sagt der andere, es ist ein Grübchen der Grazien."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1870,"orig":"Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch dieſer geſagt hat, huͤpft von einem zum andern, bis ihr zulezt die Auſſagen beider verwechſelt — Warum begaft ſie mich ſo?","norm":"Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch dieser gesagt hat, hüpft von einem zum anderen, bis ihr zuletzt die Aussagen beider verwechselt — warum begafft sie mich so?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1871,"orig":"Verzeihen Sie gnaͤdige Frau — Ich war ſo eben im Begriff, dieſen praͤchtig blitzenden Rubin zu beweinen, der es nicht wiſſen muß, daß ſeine Beſizerin ſo ſcharf wider Eitelkeit eifert.","norm":"Verzeihen sie gnädige Frau — Ich war soeben im Begriff, diesen prächtig blitzenden Rubin zu beweinen, der es nicht wissen muss, dass seine Besitzerin so scharf wider Eitelkeit eifert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1872,"orig":"Keinen Seitenſprung, Loſe!","norm":"Keinen Seitensprung, Lose!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1873,"orig":"— Wenn es nicht die Promeſſen Ihrer Geſtalt ſind, was in der Welt koͤnnte Sie abhalten, einen Stand zu erwaͤhlen, der der einzige iſt, wo Sie Manieren und Welt lernen kann, der einzige iſt, wo Sie ſich ihrer buͤrgerlichen Vorurtheile entledigen kann?","norm":"— Wenn es nicht die Promessen Ihrer Gestalt sind, was in der Welt könnte Sie abhalten, einen Stand zu erwählen, der der einzige ist, wo Sie Manieren und Welt lernen kann, der einzige ist, wo Sie sich Ihrer bürgerlichen Vorurteile entledigen kann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1874,"orig":"Auch meiner buͤrgerlichen Unſchuld, Milady?","norm":"Auch meiner bürgerlichen Unschuld, Mylady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1875,"orig":"Laͤppiſcher Einwurf!","norm":"Läppischer Einwurf!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1876,"orig":"Der ausgelaſſenſte Bube iſt zu verzagt, uns etwas beſchimpfendes zuzumuthen, wenn wir ihm nicht ſelbſt ermunternd entgegen gehn.","norm":"Der ausgelassenste Bube ist zu verzagt, uns etwas Beschimpfendes zuzumuten, wenn wir ihm nicht selbst ermunternd entgegengehn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1877,"orig":"Zeige Sie, wer Sie iſt.","norm":"Zeige Sie, wer sie ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1878,"orig":"Gebe Sie ſich Ehre und Wuͤrde, und ich ſage ihrer Jugend fuͤr alle Verſuchung gut.","norm":"Gebe Sie sich Ehre und Würde, und ich sage Ihrer Jugend für alle Versuchung gut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1879,"orig":"Erlauben Sie, gnaͤdige Frau, daß ich mich unterſtehe, daran zu zweifeln.","norm":"Erlauben Sie, gnädige Frau, dass ich mich unterstehe, daran zu zweifeln."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1880,"orig":"Die Pallaͤſte gewiſſer Damen ſind oft die Freiſtaͤtten der frechſten Ergoͤzlichkeit.","norm":"Die Paläste gewisser Damen sind oft die Freistätten der frechsten Ergötzlichkeit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1881,"orig":"Wer ſolte der Tochter des armen Geigers den Heldenmuth zutrauen, den Heldenmuth, mitten in die Peſt ſich zu werfen, und doch dabei vor der Vergiftung zu ſchaudern?","norm":"Wer sollte der Tochter des armen Geigers den Heldenmut zutrauen, den Heldenmut, mitten in die Pest sich zu werfen, und doch dabei vor der Vergiftung zu schaudern?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1882,"orig":"Wer ſolte ſich traͤumen laſſen, daß Lady Milford ihrem Gewiſſen einen ewigen Skorpion halte, daß ſie Geldſummen aufwende, um den Vortheil zu haben, jeden Augenblik ſchamroth zu werden?","norm":"Wer sollte sich träumen lassen, dass Lady Milford ihrem Gewissen einen ewigen Skorpion halte, dass sie Geldsummen aufwende, um den Vorteil zu haben, jeden Augenblick schamrot zu werden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1883,"orig":"— Ich bin offenherzig, gnaͤdige Frau — Wuͤrde Sie mein Anblik ergoͤzen, wenn Sie einem Vergnuͤgen entgegengiengen?","norm":"— Ich bin offenherzig, gnädige Frau — Würde Sie mein Anblick ergötzen, wenn Sie einem Vergnügen entgegengingen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1884,"orig":"Wuͤrden Sie ihn ertragen, wenn Sie zuruͤkkaͤmen?","norm":"Würden Sie ihn ertragen, wenn Sie zurückkämen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1885,"orig":"— — O Beſſer!","norm":"— — O besser!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1886,"orig":"Beſſer!","norm":"Besser!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1887,"orig":"Sie laſſen Himmelsſtriche uns trennen — Sie laſſen Meere zwiſchen uns fließen!","norm":"Sie lassen Himmelsstriche uns trennen — Sie lassen Meere zwischen uns fließen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1888,"orig":"— Sehen Sie ſich wol fuͤr, Milady — Stunden der Nuͤchternheit, Augenblike der Erſchoͤpfung koͤnnten ſich melden — Schlangen der Reue koͤnnten ihren Buſen anfallen, und nun — welche Folter fuͤr Sie, im Geſicht ihres Dienſtmaͤdchens die heitre Rube zu leſen, womit die Unſchuld ein reines Herz zu belohnen pflegt Noch einmal, gnaͤdige Frau.","norm":"— Sehen Sie sich wohl für, Mylady — Stunden der Nüchternheit, Augenblicke der Erschöpfung könnten sich melden — Schlangen der Reue könnten Ihren Busen anfallen, und nun — welche Folter für Sie, im Gesicht ihres Dienstmädchens die heitere Ruhe zu lesen, womit die Unschuld ein reines Herz zu belohnen pflegt noch einmal, gnädige Frau."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1889,"orig":"Ich bitte ſehr um Vergebung.","norm":"Ich bitte sehr um Vergebung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1890,"orig":"Unertraͤglich, daß Sie mir das ſagt!","norm":"Unerträglich, dass Sie mir das sagt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1891,"orig":"Unertraͤglicher, daß ſie recht hat!","norm":"Unerträglicher, dass sie recht hat!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1892,"orig":"Maͤdchen, du wirſt mich nicht uͤberliſten.","norm":"Mädchen, du wirst mich nicht überlisten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1893,"orig":"So warm ſprechen Meynungen nicht.","norm":"So warm sprechen Meinungen nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1894,"orig":"Hinter dieſen Maximen lauert ein feurigeres Intereſſe, das dir meine Dienſte beſonders abſcheulich mahlt — das dein Geſpraͤch ſo erhizte — das ich entdeken muß.","norm":"Hinter diesen Maximen lauert ein feurigeres Interesse, das dir meine Dienste besonders abscheulich malt — das dein Gespräch so erhitzte — das ich entdecken muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1895,"orig":"Und wenn Sie es nun entdekten?","norm":"Und wenn Sie es nun entdeckten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1896,"orig":"und wenn ihr veraͤchtlicher Ferſenſtoß den beleidigten Wurm aufwekte, dem ſein Schoͤpfer gegen Mishandlung noch einen Stachel gab?","norm":"und wenn Ihr verächtlicher Fersenstoß den beleidigten Wurm aufweckte, dem sein Schöpfer gegen Misshandlung noch einen Stachel gab?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1897,"orig":"— Ich fuͤrchte Ihre Rache nicht, Lady — Die arme Suͤnderin auf dem beruͤchtigten Henkerſtuhl lacht zu Weltuntergang.","norm":"— Ich fürchte Ihre Rache nicht, Lady — die arme Sünderin auf dem berüchtigten Henkerstuhl lacht zu Weltuntergang."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1898,"orig":"— Mein Elend iſt ſo hoch geſtiegen, daß ſelbſt Aufrichtigkeit es nicht mehr vergroͤſſern kann.","norm":"— Mein Elend ist so hoch gestiegen, dass selbst Aufrichtigkeit es nicht mehr vergrößern kann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1899,"orig":"Sie wollen mich aus dem Staub meiner Herkunft reiſſen.","norm":"Sie wollen mich aus dem Staub meiner Herkunft reißen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1900,"orig":"Ich will ſie nicht zergliedern dieſe verdaͤchtige Gnade.","norm":"Ich will sie nicht zergliedern diese verdächtige Gnade."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1901,"orig":"Ich will nur fragen, was Milady bewegen konnte, mich fuͤr die Thoͤrin zu halten, die uͤber ihre Herkunft erroͤthet?","norm":"Ich will nur fragen, was Mylady bewegen konnte, mich für die Törin zu halten, die über ihre Herkunft errötet?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1902,"orig":"Was ſie berechtigen konnte, ſich zur Schoͤpferin meines Gluͤks aufzuwerfen, ehe ſie noch wußte, ob ich mein Gluͤk auch von ihren Haͤnden empfangen wolle?","norm":"Was sie berechtigen konnte, sich zur Schöpferin meines Glücks aufzuwerfen, ehe sie noch wusste, ob ich mein Glück auch von ihren Händen empfangen wolle?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1903,"orig":"— Ich hatte meinen ewigen Anſpruch auf die Freuden der Welt zerriſſen.","norm":"— Ich hatte meinen ewigen Anspruch auf die Freuden der Welt zerrissen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1904,"orig":"Ich hatte dem Gluͤk ſeine Uebereilung vergeben — Warum mahnen Sie mich aufs neu an dieſelbe?","norm":"Ich hatte dem Glück seine Übereilung vergeben — warum mahnen Sie mich aufs neu an dieselbe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1905,"orig":"— Wenn ſelbſt die Gottheit dem Blik der Erſchaffenen ihre Stralen verbirgt, daß nicht ihr oberſter Seraph vor ſeiner Verfinſterung zuruͤkſchaure — warum wollen Menſchen ſo grauſambarmherzig ſeyn?","norm":"— Wenn selbst die Gottheit dem Blick der Erschaffenen ihre Strahlen verbirgt, dass nicht ihr oberster Seraph vor seiner Verfinsterung zurückschaure — warum wollen Menschen so grausambarmherzig sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1906,"orig":"— Wie kommt es Milady, daß Ihr geprieſenes Gluͤk das Elend ſo gern um Neid und Bewunderung anbettelt?","norm":"— Wie kommt es Mylady, dass Ihr gepriesenes Glück das Elend so gern um Neid und Bewunderung anbettelt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1907,"orig":"— Hat ihre Wonne die Verzweiflung ſo noͤthig zur Folie?","norm":"— Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so nötig zur Folie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1908,"orig":"— O lieber!","norm":"— O lieber!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1909,"orig":"So goͤnnen Sie mir doch eine Blindheit, die mich allein noch mit meinem barbariſchen Loos verſoͤhnt — Fuͤhlt ſich doch das Inſekt in einem Tropfen Waſſers ſo ſelig, als waͤr es ein Himmelreich, ſo froh und ſo ſelig, bis man ihm von einem Weltmeer erzaͤlt, worinn Flotten und Wallfiſche ſpielen!","norm":"So gönnen Sie mir doch eine Blindheit, die mich allein noch mit meinem barbarischen Los versöhnt — fühlt sich doch das Insekt in einem Tropfen Wassers so selig, als wäre es ein Himmelreich, so froh und so selig, bis man ihm von einem Weltmeer erzählt, worin Flotten und Walfische spielen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1910,"orig":"— — — Aber gluͤklich wollen Sie mich ja wiſſen?","norm":"— — — Aber glücklich wollen Sie mich ja wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1911,"orig":"Sind Sie gluͤklich, Milady?","norm":"Sind Sie glücklich, Mylady?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1912,"orig":"Hat dieſes Herz auch die lachende Geſtalt Ihres Standes?","norm":"Hat dieses Herz auch die lachende Gestalt Ihres Standes?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1913,"orig":"Und wenn wir jezt Bruſt gegen Bruſt, und Schikſal gegen Schikſal auswechſeln ſolten — und wenn ich in kindlicher Unſchuld — und wenn ich auf ihr Gewiſſen — und wenn ich als meine Mutter Sie fragte — Wuͤrden Sie mir wol zu dem Tauſche rathen?","norm":"Und wenn wir jetzt Brust gegen Brust, und Schicksal gegen Schicksal auswechseln sollten — und wenn ich in kindlicher Unschuld — und wenn ich auf Ihr Gewissen — und wenn ich als meine Mutter Sie fragte — Würden Sie mir wohl zu dem Tausche raten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1914,"orig":"Unerhoͤrt!","norm":"Unerhört!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1915,"orig":"Unbegreiflich!","norm":"Unbegreiflich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1916,"orig":"Nein Maͤdchen!","norm":"Nein Mädchen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1917,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1918,"orig":"Dieſe Groͤße haſt du nicht auf die Welt gebracht, und fuͤr einen Vater iſt ſie zu jugendlich.","norm":"Diese Größe hast du nicht auf die Welt gebracht, und für einen Vater ist sie zu jugendlich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1919,"orig":"Luͤge mir nicht.","norm":"Lüge mir nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1920,"orig":"Ich hoͤre einen andern Lehrer —","norm":"Ich höre einen anderen Lehrer —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1921,"orig":"Es ſolte mich doch wundern, Milady, wenn Sie jezt erſt auf dieſen Lehrer fielen, und doch vorhin ſchon eine Kondizion fuͤr mich wußten.","norm":"Es sollte mich doch wundern, Mylady, wenn Sie jetzt erst auf diesen Lehrer fielen, und doch vorhin schon eine Kondition für mich wussten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1922,"orig":"Es iſt nicht auszuhalten!","norm":"Es ist nicht auszuhalten!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1923,"orig":"— Ja denn!","norm":"— Ja denn!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1924,"orig":"weil ich dir doch nicht entwiſchen kann Ich kenn ihn — weiß alles — weiß mehr als ich wiſſen mag","norm":"weil ich dir doch nicht entwischen kann Ich kenne ihn — weiß alles — weiß mehr als ich wissen mag"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1925,"orig":"Aber wag' es, Ungluͤkliche — wag es, ihn jezt noch zu lieben, oder von ihm geliebt zu werden — Was ſage ich?","norm":"Aber wage es, unglückliche — wage es, ihn jetzt noch zu lieben, oder von ihm geliebt zu werden — was sage ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1926,"orig":"— Wag es an ihn zu denken, oder einer von ſeinen Gedanken zu ſeyn — Ich bin maͤchtig, Ungluͤkliche — fuͤrchterlich — So wahr Gott lebt!","norm":"— Wage es an ihn zu denken, oder einer von seinen Gedanken zu sein — Ich bin mächtig, unglückliche — fürchterlich — so wahr Gott lebt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1927,"orig":"du biſt verloren!","norm":"du bist verloren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1928,"orig":"Ohne Rettung Milady, ſobald Sie ihn zwingen, daß er Sie lieben muß.","norm":"Ohne Rettung Mylady, sobald Sie ihn zwingen, dass er Sie lieben muss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1929,"orig":"Ich verſtehe dich — aber er ſoll mich nicht lieben.","norm":"Ich verstehe dich — aber er soll mich nicht lieben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1930,"orig":"Ich will uͤber dieſe ſchimpfliche Leidenſchaft ſiegen, mein Herz unterdruͤcken, und das deinige zermalmen — Felſen und Abgruͤnde will ich zwiſchen euch werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehn; mein Name ſoll eure Kuͤſſe wie ein Geſpenſt Verbrecher auseinander ſcheuchen; deine junge bluͤhende Geſtalt unter ſeiner Umarmung welk wie eine Mumie zuſammenfallen — Ich kann nicht mit ihm gluͤklich werden — aber Du ſolſt es auch nicht werden — Wiſſe das Elende!","norm":"Ich will über diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrücken, und das deinige zermalmen — Felsen und Abgründe will ich zwischen euch werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein Name soll eure Küsse wie ein Gespenst Verbrecher auseinanderscheuchen; deine junge blühende Gestalt unter seiner Umarmung welk wie eine Mumie zusammenfallen — Ich kann nicht mit ihm glücklich werden — aber Du sollst es auch nicht werden — Wisse das Elende!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1931,"orig":"Seligkeit zerſtoͤren iſt auch Seligkeit.","norm":"Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1932,"orig":"Eine Seligkeit, um die man Sie ſchon gebracht hat, Milady.","norm":"Eine Seligkeit, um die man sie schon gebracht hat, Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1933,"orig":"Laͤſtern Sie ihr eigenes Herz nicht.","norm":"Lästern Sie Ihr eigenes Herz nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1934,"orig":"Sie ſind nicht faͤhig das auszuuͤben, was Sie ſo drohend auf mich herabſchwoͤren.","norm":"Sie sind nicht fähig das auszuüben, was Sie so drohend auf mich herabschwören."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1935,"orig":"Sie ſind nicht faͤhig ein Geſchoͤpf zu quaͤlen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als daß es empfunden hat, wie Sie — Aber ich liebe Sie um dieſer Wallung willen, Milady.","norm":"Sie sind nicht fähig ein Geschöpf zu quälen, das Ihnen nichts zu Leide getan, als dass es empfunden hat, wie Sie — Aber ich liebe Sie um dieser Wallung Willen, Mylady."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1936,"orig":"Wo bin ich?","norm":"Wo bin ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1937,"orig":"Wo war ich?","norm":"Wo war ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1938,"orig":"Was hab ich merken laſſen?","norm":"Was habe ich merken lassen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1939,"orig":"Wen hab ichs merken laſſen?","norm":"Wen habe ich es merken lassen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1940,"orig":"— O Louiſe, edle, große, goͤttliche Seele!","norm":"— O Louise, edle, große, göttliche Seele!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1941,"orig":"Vergibs einer Raſenden — Ich will dir kein Haar kraͤnken, mein Kind.","norm":"Vergib es einer Rasenden — Ich will dir kein Haar kränken, mein Kind."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1942,"orig":"Wuͤnſche!","norm":"Wünsche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1943,"orig":"Fodre!","norm":"Fordere!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1944,"orig":"Ich will dich auf den Haͤnden tragen, deine Freundin, deine Schweſter will ich ſeyn — Du biſt arm — Sieh!","norm":"Ich will dich auf den Händen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein — Du bist arm — Sieh!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1945,"orig":"Ich will dieſen Schmuk verkaufen — meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen — Dein ſei alles, aber entſag ihm!","norm":"Ich will diesen Schmuck verkaufen — meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen — Dein sei alles, aber entsage ihm!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1946,"orig":"Spottet Sie einer Verzweifelnden, oder ſolte Sie an der barbariſchen That im Ernſt keinen Antheil gehabt haben?","norm":"Spottet Sie einer Verzweifelnden, oder sollte Sie an der barbarischen Tat im Ernst keinen Anteil gehabt haben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1947,"orig":"— Ha!","norm":"— Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1948,"orig":"So koͤnnt ich mir ja noch den Schein einer Heldin geben, und meine Ohnmacht zu einem Verdienſt aufpuzen Nehmen Sie ihn denn hin Milady — Freiwillig tret ich Ihnen ab den Mann, den man mit Haken der Hoͤlle von meinem blutenden Herzen riß.","norm":"So könnte ich mir ja noch den Schein einer Heldin geben, und meine Ohnmacht zu einem Verdienst aufputzen Nehmen Sie ihn denn hin Mylady — freiwillig trete ich Ihnen ab den Mann, den man mit Haken der Hölle von meinem blutenden Herzen riss."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1949,"orig":"— — Vielleicht wiſſen Sie es ſelbſt nicht, Milady, aber Sie haben den Himmel zweier Liebenden geſchleift, voneinander gezerrt zwei Herzen, die Gott aneinander band; zerſchmettert ein Geſchoͤpf, das ihm nahe gieng, wie Sie, das er zur Freude ſchuf, wie Sie, das ihm geprieſen hat, wie Sie, und ihn nun nimmermehr preiſen wird — Lady!","norm":"— — vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Mylady, aber Sie haben den Himmel zweier Liebenden geschleift, voneinander gezerrt zwei Herzen, die Gott aneinanderband; zerschmettert ein Geschöpf, das ihm nahe ging, wie Sie, das er zur Freude schuf, wie Sie, das ihm gepriesen hat, wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird — Lady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1950,"orig":"Ins Ohr des Allwiſſenden ſchreit auch der lezte Krampf des zertretenen Wurms — es wird ihm nicht gleichguͤltig ſeyn, wenn man Seelen in ſeinen Haͤnden mordet!","norm":"Ins Ohr des Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms — es wird ihm nicht gleichgültig sein, wenn man Seelen in seinen Händen mordet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1951,"orig":"Jezt iſt er Ihnen!","norm":"Jetzt ist er Ihnen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1952,"orig":"Jezt Milady nehmen Sie ihn hin!","norm":"Jetzt Mylady nehmen Sie ihn hin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1953,"orig":"Rennen Sie in ſeine Arme!","norm":"Rennen Sie in seine Arme!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1954,"orig":"Reiſſen Sie ihn zum Altar — Nur vergeſſen Sie nicht, daß zwiſchen ihren Brautkuß das Geſpenſt einer Selbſtmoͤrderin ſtuͤrzen wird — Gott wird barmherzig ſeyn — Ich kann mir nicht anders helfen","norm":"Reißen Sie ihn zum Altar — nur vergessen Sie nicht, dass zwischen Ihren Brautkuss das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird — Gott wird barmherzig sein — Ich kann mir nicht anders helfen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1955,"orig":"Wie war das?","norm":"Wie war das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1956,"orig":"Wie geſchah mir?","norm":"Wie geschah mir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1957,"orig":"Was ſprach die Ungluͤkliche?","norm":"Was sprach die Unglückliche?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1958,"orig":"— Noch o Himmel!","norm":"— Noch o Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1959,"orig":"noch zerreiſſen ſie mein Ohr die fuͤrchterlichen mich verdammenden Worte:","norm":"noch zerreißen sie mein Ohr die fürchterlichen mich verdammenden Worte:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1960,"orig":"Nehmen Sie ihn hin!","norm":"Nehmen Sie ihn hin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1961,"orig":"— Wen Ungluͤkſelige?","norm":"— Wen Unglückselige?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1962,"orig":"Das Geſchenk deines Sterberoͤchelns — das ſchauervolle Vermaͤchtniß deiner Verzweiflung!","norm":"Das Geschenk deines Sterberöchelns — das schauervolle Vermächtnis deiner Verzweiflung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1963,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1964,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1965,"orig":"Bin ich ſo tief geſunken — ſo ploͤzlich von allen Tronen meines Stolzes herabgeſtuͤrzt, daß ich heißhungrig erwarte, was einer Bettlerin Großmuth aus ihrem lezten Todeskampfe mir zuwerfen wird?","norm":"Bin ich so tief gesunken — so plötzlich von allen Thronen meines Stolzes herabgestürzt, dass ich heißhungrig erwarte, was einer Bettlerin Großmut aus ihrem letzten Todeskampfe mir zuwerfen wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1966,"orig":"— Nehmen Sie ihn hin, und das ſpricht ſie mit einem Tone, begleitet ſie mit einem Blike — — Ha!","norm":"— Nehmen Sie ihn hin, und das spricht sie mit einem Tone, begleitet sie mit einem Blicke — — ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1967,"orig":"Emilie!","norm":"Emilie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1968,"orig":"Biſt du darum uͤber die Graͤnzen deines Geſchlechts weggeſchritten?","norm":"Bist du darum über die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1969,"orig":"Mußteſt du darum um den praͤchtigen Namen des großen brittiſchen Weibes buhlen, daß das pralende Gebaͤude deiner Ehre neben der hoͤheren Tugend einer verwahrloſten Buͤrgerdirne verſinken ſoll?","norm":"Musstest du darum um den prächtigen Namen des großen britischen Weibes buhlen, dass das prahlende Gebäude deiner Ehre neben der höheren Tugend einer verwahrlosten Bürgerdirne versinken soll?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1970,"orig":"— Nein ſtolze Ungluͤkliche!","norm":"— Nein stolze Unglückliche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1971,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1972,"orig":"— Beſchaͤmen laͤßt ſich Emilie Milford — doch beſchimpfen nie!","norm":"— Beschämen lässt sich Emilie Milford — doch beschimpfen nie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1973,"orig":"Auch ich habe Kraft, zu entſagen.","norm":"Auch ich habe Kraft, zu entsagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1974,"orig":"Verkrieche dich jezt weiches leidendes Weib — Fahret hin ſuͤße goldene Bilder der Liebe — Großmuth allein ſei jezt meine Fuͤhrerin!","norm":"Verkrieche dich jetzt weiches leidendes Weib — Fahret hin süße goldene Bilder der Liebe — Großmut allein sei jetzt meine Führerin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1975,"orig":"— — Dieſes liebende Paar iſt verloren, oder Milford muß ihren Anſpruch vertilgen, und im Herzen des Fuͤrſten erloͤſchen!","norm":"— — dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muss ihren Anspruch vertilgen, und im Herzen des Fürsten erlöschen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1976,"orig":"Es iſt geſchehen!","norm":"Es ist geschehen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1977,"orig":"— Gehoben das furchtbare Hinderniß — Zerbrochen alle Bande zwiſchen mir und dem Herzog, geriſſen aus meinem Buſen dieſe wuͤtende Liebe!","norm":"— Gehoben das furchtbare Hindernis — zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wütende Liebe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1978,"orig":"— — In deine Arme werf ich mich, Tugend!","norm":"— — in deine Arme werfe ich mich, Tugend!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1979,"orig":"— Nimm ſie auf, deine reuige Tochter Emilie!","norm":"— Nimm sie auf, deine reuige Tochter Emilie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1980,"orig":"— Ha!","norm":"— Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1981,"orig":"wie mir ſo wohl iſt!","norm":"wie mir so wohl ist!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1982,"orig":"Wie ich auf einmal ſo leicht!","norm":"Wie ich auf einmal so leicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1983,"orig":"ſo gehoben mich fuͤhle!","norm":"so gehoben mich fühle!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1984,"orig":"— Groß, wie eine fallende Sonne, will ich heut vom Gipfel meiner Hoheit herunterſinken, meine Herrlichkeit ſterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleiten mich in dieſe ſtolze Verweiſung","norm":"— Groß, wie eine fallende Sonne, will ich heute vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein Herz begleite mich in diese stolze Verweisung"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1985,"orig":"Jezt gleich muß es geſchehen — jezt auf der Stelle, ehe die Reize des lieben Juͤnglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuren.","norm":"Jetzt gleich muss es geschehen — jetzt auf der Stelle, ehe die Reize des lieben Jünglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuern."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1986,"orig":"Hofmarſchall von Kalb ſtehen im Vorzimmer mit einem Auftrag vom Herzog.","norm":"Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem Auftrag vom Herzog."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1987,"orig":"Auftaumeln wird ſie die fuͤrſtliche Drahtpuppe!","norm":"Auftaumeln wird sie die fürstliche Drahtpuppe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1988,"orig":"Freilich!","norm":"Freilich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1989,"orig":"der Einfall iſt auch drollig genug, ſo eine Durchlauchtige Hirnſchaale auseinander zu treiben!","norm":"der Einfall ist auch drollig genug, so eine Durchlauchtige Hirnschale auseinanderzutreiben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1990,"orig":"— Seine Hofſchranzen werden wirbeln — Das ganze Land wird in Gaͤhrung kommen.","norm":"— Seine Hofschranzen werden wirbeln — das ganze Land wird in Gärung kommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1991,"orig":"Der, Hofmarſchall, Milady —","norm":"Der, Hofmarschall, Mylady —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1992,"orig":"Wer?","norm":"Wer?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1993,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1994,"orig":"— Deſto beſſer!","norm":"— Desto besser!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1995,"orig":"Dieſe Sorte von Geſchoͤpfen iſt zum Saktragen auf der Welt.","norm":"Diese Sorte von Geschöpfen ist zum Sacktragen auf der Welt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1996,"orig":"Er ſoll mir willkommen ſeyn.","norm":"Er soll mir willkommen sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1997,"orig":"Wenn ich nicht fuͤrchten muͤßte, Milady, es waͤre Vermeſſenheit Die Millerin ſtuͤrzte außer ſich durch den Vorſaal — Sie gluͤhen — Sie ſprechen mit ſich ſelbſt Ich erſchreke — Was muß geſchehen ſeyn?","norm":"Wenn ich nicht fürchten müsste, Mylady, es wäre Vermessenheit die Millerin stürzte außer sich durch den Vorsaal — Sie glühen — Sie sprechen mit sich selbst Ich erschrecke — was muss geschehen sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1998,"orig":"Serenißimus —","norm":"Serenissimus —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":1999,"orig":"Er wird mir ſchwarzen Undank zur Laſt legen — Ich war eine Verlaſſene.","norm":"Er wird mir schwarzen Undank zur Last legen — Ich war eine Verlassene."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2000,"orig":"Er hat mich aus dem Elend gezogen — Aus dem Elend?","norm":"Er hat mich aus dem Elend gezogen — aus dem Elend?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2001,"orig":"— Abſcheulicher Tauſch!","norm":"— Abscheulicher Tausche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2002,"orig":"— Zerreiſſe deine Rechnung, Verfuͤhrer!","norm":"— Zerreiße deine Rechnung, Verführer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2003,"orig":"Meine ewige Schaamroͤthe bezahlt ſie mit Wucher.","norm":"Meine ewige Schamröte bezahlt sie mit Wucher."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2004,"orig":"Milady ſcheinen etwas diſtrait zu ſeyn — Ich werde mir wol ſelbſt die Kuͤhnheit erlauben muͤſſen.","norm":"Mylady scheinen etwas distrait zu sein — Ich werde mir wohl selbst die Kühnheit erlauben müssen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2005,"orig":"Sereniſſimus ſchiken mich, Milady zu fragen, ob dieſen Abend Vauxhall ſeyn werde, oder teutſche Komoͤdie?","norm":"Serenissimus schicken mich, Mylady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde, oder deutsche Komödie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2006,"orig":"Eins von beiden, mein Engel — Unterdeſſen bringen Sie ihrem Herzog dieſe Charte zum Deſert!","norm":"Eins von beiden, mein Engel — unterdessen bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2007,"orig":"Du, Sophie, befiehlſt, daß man anſpannen ſoll, und rufſt meine ganze Garderobe in dieſen Saal zuſammen.","norm":"Du, Sophie, befiehlst, dass man anspannen soll, und rufst meine ganze Garderobe in diesen Saal zusammen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2008,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2009,"orig":"O Himmel!","norm":"O Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2010,"orig":"Was ahndet mir?","norm":"Was ahndet mir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2011,"orig":"Was wird das noch werden?","norm":"Was wird das noch werden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2012,"orig":"Sie ſind echauffiert meine Gnaͤdige?","norm":"Sie sind echauffiert meine Gnädige?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2013,"orig":"Um ſo weniger wird hier gelogen ſeyn — Hurrah Herr Hofmarſchall!","norm":"Um so weniger wird hier gelogen sein — Hurra Herr Hofmarschall!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2014,"orig":"Es wird eine Stelle vakant.","norm":"Es wird eine Stelle vakant."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2015,"orig":"Gut Wetter fuͤr Kuppler Leſen Sie, leſen Sie!","norm":"Gut Wetter für Kuppler Lesen Sie, lesen Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2016,"orig":"— Es iſt mein Wille, daß der Inhalt nicht unter vier Augen bleibe.","norm":"— Es ist mein Wille, dass der Inhalt nicht unter vier Augen bleibe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2017,"orig":"Gnaͤdigſter Herr, & q; Ein Vertrag, den Sie ſo leichtſinnig bra- & q; chen, kann Mich nicht mehr binden.","norm":"Gnädigster Herr, & q; ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig bra- & q; chen, kann mich nicht mehr binden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2018,"orig":"Die Gluͤk- & q; ſeligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner & q; Liebe.","norm":"Die Glük- & q; Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner & q; Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2019,"orig":"Drei Jahre waͤhrte der Betrug.","norm":"Drei Jahre währte der Betrug."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2020,"orig":"Die Binde & q; faͤllt mir von den Augen; ich verabſcheue Gunſtbe- & q; zeugungen, die von den Traͤnen der Unterthanen & q; triefen.","norm":"Die Binde & q; fällt mir von den Augen; ich verabscheue Gunstbe- & q; zeugungen, die von den Tränen der Untertanen & q; triefen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2021,"orig":"— Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen & q; nicht mehr erwiedern kann, ihrem weinenden Lan- & q; de, und lernen von einer brittiſchen Fuͤrſtin Er- & q;b armen gegen Ihr teutſches Volk.","norm":"— Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen & q; nicht mehr erwidern kann, Ihrem weinenden Lan- & q; de, und lernen von einer britischen Fürstin Er- & q;b Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2022,"orig":"In einer & q; Stunde bin ich uͤber der Graͤnze.","norm":"In einer & q; Stunde bin ich über der Grenze."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2023,"orig":"Johanna Norfolk.","norm":"Johanna Norfolk."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2024,"orig":"Ueber der Graͤnze?","norm":"Über der Grenze?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2025,"orig":"Behuͤte der Himmel, meine Beſte und Gnaͤdige!","norm":"Behüte der Himmel, meine Beste und Gnädige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2026,"orig":"Den Ueberbringer muͤßte der Hals eben ſo juͤken, als der Schreiberin.","norm":"Den Überbringer müsste der Hals ebenso jücken, als der Schreiberin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2027,"orig":"Das iſt deine Sorge du Goldmann — Leider weiß ich es, daß Du und Deinesgleichen am Nachbeten deſſen, was andre gethan haben, erwuͤrgen!","norm":"Das ist deine Sorge du Goldmann — leider weiß ich es, dass Du und deinesgleichen am Nachbeten dessen, was andere getan haben, erwürgen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2028,"orig":"— Mein Rath waͤre, man bakte den Zettel in eine Wildpretpaſtete, ſo faͤnden ihn Sereniſſimus auf dem Teller —","norm":"— Mein Rat wäre, man backte den Zettel in eine Wildbretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem Teller —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2029,"orig":"Ciel!","norm":"Ciel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2030,"orig":"Dieſe Vermeſſenheit!","norm":"Diese Vermessenheit!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2031,"orig":"— So erwaͤgen Sie doch, ſo bedenken Sie doch, wie ſehr Sie ſich in Disgrace ſezen, Lady!","norm":"— So erwägen Sie doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen, Lady!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2032,"orig":"Ihr ſteht beſtuͤrzt guten Leute, erwartet angſtvoll, wie ſich das Raͤzel entwikeln wird?","norm":"Ihr steht bestürzt guten Leute, erwartet angstvoll, wie sich das Rätsel entwickeln wird?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2033,"orig":"— Kommt naͤher, meine Lieben — Ihr dientet mir redlich und warm, ſahet mir oͤfter in die Augen, als in die Boͤrſe, euer Gehorſam war eure Leidenſchaft, euer Stolz — meine Gnade!","norm":"— Kommt näher, meine Lieben — Ihr dientet mir redlich und warm, saht mir öfter in die Augen, als in die Börse, euer Gehorsam war eure Leidenschaft, euer Stolz — meine Gnade!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2034,"orig":"— — Daß das Andenken eurer Treue zugleich das Gedaͤchtniß meiner Erniedrigung ſeyn muß!","norm":"— — dass das Andenken eurer Treue zugleich das Gedächtnis meiner Erniedrigung sein muss!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2035,"orig":"Trauriges Schikſal, daß meine ſchwaͤrzeſten Tage eure gluͤklichen waren!","norm":"Trauriges Schicksal, dass meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2036,"orig":"Ich entlaſſe euch meine Kinder — — Lady Milford iſt nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld abzutragen — Mein Schazmeiſter ſtuͤrze meine Schatulle unter euch — Dieſer Pallaſt bleibt dem Herzog — Der Aermſte von euch wird reicher von hinnen gehen als ſeine Gebieterin.","norm":"Ich entlasse euch meine Kinder — — Lady Milford ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld abzutragen — Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter euch — dieser Palast bleibt dem Herzog — der Ärmste von euch wird reicher von hinnen gehen als seine Gebieterin."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2037,"orig":"Ich verſtehe euch meine guten — Lebt wol!","norm":"Ich verstehe euch meine Guten — lebt wohl!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2038,"orig":"Lebt ewig wol!","norm":"Lebt ewig wohl!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2039,"orig":"Ich hoͤre den Wagen vorfahren.","norm":"Ich höre den Wagen vorfahren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2040,"orig":"Mann des Erbarmens, ſtehſt du noch immer da?","norm":"Mann des Erbarmens, stehst du noch immer da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2041,"orig":"Und dieſes Billet ſoll ich Seiner Hochfuͤrſtlichen Durchlaucht zu hoͤchſteigenen Haͤnden geben?","norm":"Und dieses Billett soll ich seiner hochfürstlichen Durchlaucht zu höchsteigenen Händen geben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2042,"orig":"Mann des Erbarmens!","norm":"Mann des Erbarmens!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2043,"orig":"zu hoͤchſteigenen Haͤnden, und ſolſt melden zu hoͤchſteigenen Ohren, weil ich nicht baarfuß nach Loretto koͤnne, ſo werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf, ihn beherrſcht zu haben.","norm":"zu höchsteigenen Händen, und sollst melden zu höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto könne, so werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf, ihn beherrscht zu haben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2044,"orig":"Hier iſt ſie auch nicht.","norm":"Hier ist sie auch nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2045,"orig":"Hier wieder nicht — Durch alle Gaſſen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich geweſen, auf allen Thoren hab ich gefragt — Mein Kind hat man nirgends geſehen Geduld armer ungluͤklicher Vater.","norm":"Hier wieder nicht — durch alle Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf allen Toren habe ich gefragt — Mein Kind hat man nirgends gesehen Geduld armer unglücklicher Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2046,"orig":"Warte ab, bis es morgen wird.","norm":"Warte ab, bis es Morgen wird."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2047,"orig":"Vielleicht kommt deine Einzige dann an‘ s Ufer geſchwommen — — Gott!","norm":"Vielleicht kommt deine Einzige dann an‘ s Ufer geschwommen — — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2048,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2049,"orig":"Wenn ich mein Herz zu abgoͤttiſch an dieſe Tochter hieng?","norm":"Wenn ich mein Herz zu abgöttisch an diese Tochter hing?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2050,"orig":"— Die Strafe iſt hart.","norm":"— Die Strafe ist hart."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2051,"orig":"Himmliſcher Vater, hart!","norm":"Himmlischer Vater, hart!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2052,"orig":"Ich will nicht murren, himmliſcher Vater, aber die Strafe iſt hart","norm":"Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2053,"orig":"Du thuſt recht, armer alter Mann!","norm":"Du tust recht, armer alter Mann!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2054,"orig":"Lerne bei Zeit noch verlieren.","norm":"Lerne beizeit noch verlieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2055,"orig":"Biſt du da mein Kind?","norm":"Bist du da mein Kind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2056,"orig":"Biſt du?","norm":"Bist du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2057,"orig":"— Aber warum denn ſo einſam und ohne Licht?","norm":"— Aber warum denn so einsam und ohne Licht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2058,"orig":"Ich bin darum doch nicht einſam.","norm":"Ich bin darum doch nicht einsam."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2059,"orig":"Wenns ſo recht ſchwarz wird um mich herum, hab ich meine beſten Beſuche.","norm":"Wenn es so recht schwarz wird um mich herum, habe ich meine besten Besuche."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2060,"orig":"Gott bewahre dich!","norm":"Gott bewahre dich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2061,"orig":"Nur der Gewiſſenswurm ſchwaͤrmt mit der Eule.","norm":"Nur der Gewissenswurm schwärmt mit der Eule."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2062,"orig":"Suͤnden und boͤſe Geiſter ſcheuen das Licht.","norm":"Sünden und böse Geister scheuen das Licht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2063,"orig":"Auch die Ewigkeit Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen redet.","norm":"Auch die Ewigkeit Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen redet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2064,"orig":"Kind!","norm":"Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2065,"orig":"Kind!","norm":"Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2066,"orig":"Was fuͤr Reden ſind das?","norm":"Was für Reden sind das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2067,"orig":"Ich hab einen harten Kampf gekaͤmpft.","norm":"Ich habe einen harten Kampf gekämpft."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2068,"orig":"Er weiß es Vater.","norm":"Er weiß es Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2069,"orig":"Gott gab mir Kraft.","norm":"Gott gab mir Kraft."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2070,"orig":"Der Kampf iſt entſchieden.","norm":"Der Kampf ist entschieden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2071,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2072,"orig":"man pflegt unſer Geſchlecht zart und zerbrechlich zu nennen.","norm":"man pflegt unser Geschlecht zart und zerbrechlich zu nennen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2073,"orig":"Glaub Er das nicht mehr.","norm":"Glaube er das nicht mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2074,"orig":"Vor einer Spinne ſchuͤtteln wir uns, aber das ſchwarze Ungeheuer Verweſung druͤken wir im Spaß in die Arme.","norm":"Vor einer Spinne schütteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drücken wir im Spaß in die Arme."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2075,"orig":"Dieſes zur Nachricht Vater.","norm":"Dieses zur Nachricht Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2076,"orig":"Seine Louiſe iſt luſtig.","norm":"Seine Louise ist lustig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2077,"orig":"Hoͤre Tochter!","norm":"Höre Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2078,"orig":"Ich wollte du heulteſt.","norm":"Ich wollte du heultest."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2079,"orig":"Du gefielſt mir ſo beſſer.","norm":"Du gefielst mir so besser."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2080,"orig":"Wie ich ihn uͤberliſten will, Vater Wie ich den Tyrannen betruͤgen will!","norm":"Wie ich ihn überlisten will, Vater wie ich den Tyrannen betrügen will!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2081,"orig":"— Die Liebe iſt ſchlauer als die Bosheit und kuͤhner — das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern — O!","norm":"— Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und kühner — das hat er nicht gewusst, der Mann mit dem traurigen Stern — O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2082,"orig":"ſie ſind pfiffig, ſo lang ſie es nur mit dem Kopf zu thun haben, aber ſobald ſie mit dem Herzen anbinden, werden die Boͤswichter dumm — — Mit einem Eid gedachte er ſeinen Betrug zu verſiegeln?","norm":"sie sind pfiffig, solang sie es nur mit dem Kopf zu tun haben, aber sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Bösewichter dumm — — mit einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2083,"orig":"Eide, Vater, binden wol die Lebendigen, im Tode ſchmilzt auch der Sakramente eiſernes Band.","norm":"Eide, Vater, binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sakramente eisernes Band."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2084,"orig":"Ferdinand wird ſeine Louiſe kennen — Will er mir diß Billet beſorgen, Vater?","norm":"Ferdinand wird seine Louise kennen — will er mir dies Billett besorgen, Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2085,"orig":"Will er ſo gut ſeyn?","norm":"Will er so gut sein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2086,"orig":"An Wen, meine Tochter?","norm":"An Wen, meine Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2087,"orig":"Seltſame Frage!","norm":"Seltsame Frage!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2088,"orig":"Die Unendlichkeit und mein Herz haben miteinander nicht Raum genug fuͤr einen einzigen Gedanken an ihn — Wenn haͤtt ich denn wol an ſonſt jemand ſchreiben ſollen?","norm":"Die Unendlichkeit und mein Herz haben miteinander nicht Raum genug für einen einzigen Gedanken an ihn — wenn hätte ich denn wohl an sonst jemand schreiben sollen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2089,"orig":"Hoͤre Louiſe!","norm":"Höre Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2090,"orig":"Ich erbreche den Brief.","norm":"Ich erbreche den Brief."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2091,"orig":"Wie Er will, Vater — aber Er wird nicht klug daraus werden.","norm":"Wie Er will, Vater — aber er wird nicht klug daraus werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2092,"orig":"Die Buchſtaben liegen wie kalte Leichname da, und leben nur Augen der Liebe.","norm":"Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da, und leben nur Augen der Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2093,"orig":"Du biſt verrathen, Ferdinand — ein Bubenſtuͤk ohne Beiſpiel zerriß den Bund unſrer Herzen, aber ein ſchroͤklicher Schwur hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat uͤberall ſeine Horcher geſtellt.","norm":"Du bist verraten, Ferdinand — ein Bubenstück ohne Beispiel zerriss den Bund unserer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat überall seine Horcher gestellt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2094,"orig":"Doch wenn du Muth haſt, Geliebter — ich weiß einen dritten Ort, wo kein Eidſchwur mehr bindet, und wohin ihm kein Horcher geht „","norm":"Doch wenn du Mut hast, geliebter — ich weiß einen dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet, und wohin ihm kein Horcher geht „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2095,"orig":"Warum ſieht Er mich ſo an?","norm":"Warum sieht er mich so an?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2096,"orig":"Leſ‘ Er doch ganz aus, Vater.","norm":"Les‘ Er doch ganz aus, Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2097,"orig":"„Aber Muth genug muſt du haben, eine finſtre Straſſe zu wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Louiſe und Gott — Ganz nur Liebe muſt du kommen, daheim laſſen all deine Hofnungen, und alle deine brauſenden Wuͤnſche; nichts kannſt du brauchen als dein Herz.","norm":"„Aber Mut genug musst du haben, eine finstre Straße zu wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Louise und Gott — Ganz nur Liebe musst du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen, und all deine brausenden Wünsche; nichts kannst du brauchen als dein Herz."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2098,"orig":"Willſt du — ſo brich auf, wenn die Gloke den zwoͤlften Streich thut auf dem Karmeliterthurm.","norm":"Willst du — so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich tut auf dem Karmeliterturm."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2099,"orig":"Bangt dir — ſo durchſtreiche das Wort ſtark vor deinem Geſchlechte, denn ein Maͤdchen hat dich zu ſchanden gemacht „","norm":"Bangt dir — so durchstreiche das Wort stark vor deinem Geschlecht, denn ein Mädchen hat dich zuschanden gemacht „"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2100,"orig":"Und dieſer dritte Ort, meine Tochter?","norm":"Und dieser dritte Ort, meine Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2101,"orig":"Er kennt ihn nicht, Er kennt ihn wirklich nicht, Vater?","norm":"Er kennt ihn nicht, er kennt ihn wirklich nicht, Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2102,"orig":"— Sonderbar!","norm":"— Sonderbar!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2103,"orig":"Der Ort iſt zum Finden gemahlt.","norm":"Der Ort ist zum Finden gemalt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2104,"orig":"Ferdinand wird ihn finden.","norm":"Ferdinand wird ihn finden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2105,"orig":"Hum!","norm":"Hum!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2106,"orig":"Rede deutlicher.","norm":"Rede deutlicher."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2107,"orig":"Ich weiß ſo eben kein liebliches Wort dafuͤr — Er muß nicht erſchreken Vater, wenn ich ihm ein haͤßliches nenne.","norm":"Ich weiß soeben kein liebliches Wort dafür — er muss nicht erschrecken Vater, wenn ich ihm ein hässliches nenne."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2108,"orig":"Dieſer Ort — O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden!","norm":"Dieser Ort — O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2109,"orig":"Den ſchoͤnſten haͤtte ſie dieſem gegeben.","norm":"Den schönsten hätte sie diesem gegeben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2110,"orig":"Der dritte Ort, guter Vater — aber Er muß mich ausreden laſſen — Der dritte Ort iſt das Grab.","norm":"Der dritte Ort, guter Vater — aber er muss mich ausreden lassen — der dritte Ort ist das Grab."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2111,"orig":".","norm":"."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2112,"orig":"O mein Gott!","norm":"O mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2113,"orig":"Nicht doch mein Vater!","norm":"Nicht doch mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2114,"orig":"Das ſind nur Schauer, die ſich um das Wort herum lagern — Weg mit dieſem, und es liegt ein Brautbette da, woruͤber der Morgen ſeinen goldenen Teppich breitet, und die Fruͤhlinge ihre bunte Guirlanden ſtreun.","norm":"Das sind nur Schauer, die sich um das Wort herumlagern — Weg mit diesem, und es liegt ein Brautbette da, worüber der Morgen seinen goldenen Teppich breitet, und die Frühlinge ihre bunte Girlanden streuen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2115,"orig":"Nur ein heulender Suͤnder konnte den Tod ein Gerippe ſchelten; es iſt ein holder niedlicher Knabe, bluͤhend, wie ſie den Liebesgott mahlen, aber ſo tuͤkiſch nicht — ein ſtiller dienſtbarer Genius, der der erſchoͤpften Pilgerin Seele den Arm bietet uͤber den Graben der Zeit, das Feenſchloß der ewigen Herrlichkeit aufſchließt, freundlich nikt, und verſchwindet.","norm":"Nur ein heulender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein holder niedlicher Knabe, blühend, wie sie den Liebesgott malen, aber so tückisch nicht — ein stiller dienstbarer Genius, der der erschöpften Pilgerin Seele den Arm bietet über den Graben der Zeit, das Feenschloss der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt, und verschwindet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2116,"orig":"Was haſt du vor, meine Tochter?","norm":"Was hast du vor, meine Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2117,"orig":"— Du willſt eigenmaͤchtig Hand an dich legen.","norm":"— Du willst eigenmächtig Hand an dich legen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2118,"orig":"Nenn Er es nicht ſo mein Vater.","norm":"Nenne er es nicht so mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2119,"orig":"Eine Geſellſchaft raͤumen, wo ich nicht wol gelitten bin — An einen Ort vorausſpringen, den ich nicht laͤnger miſſen kann — Iſt denn das Suͤnde?","norm":"Eine Gesellschaft räumen, wo ich nicht wohlgelitten bin — an einen Ort vorausspringen, den ich nicht länger missen kann — ist denn das Sünde?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2120,"orig":"Selbſtmord iſt die abſcheulichſte mein Kind — die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Miſſethat zuſammenfallen.","norm":"Selbstmord ist die abscheulichste mein Kind — die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missetat zusammenfallen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2121,"orig":"Entſezlich!","norm":"Entsetzlich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2122,"orig":"— Aber ſo raſch wird es doch nicht gehn.","norm":"— Aber so rasch wird es doch nicht gehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2123,"orig":"Ich will in den Fluß ſpringen, Vater, und im Hinunterſinken Gott den Allmaͤchtigen um Erbarmen bitten.","norm":"Ich will in den Fluss springen, Vater, und im Hinuntersinken Gott den Allmächtigen um Erbarmen bitten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2124,"orig":"Das heißt, du wilſt den Diebſtal bereuen, ſobald du das Geſtohlene in Sicherheit weiſt — Tochter!","norm":"Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das Gestohlene in Sicherheit weißt — Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2125,"orig":"Tochter!","norm":"Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2126,"orig":"gib acht, daß du Gottes nicht ſpotteſt, wenn du ſeiner am meiſten vonnoͤthen haſt.","norm":"gib acht, dass du Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnöten hast."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2127,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2128,"orig":"es iſt weit!","norm":"es ist weit!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2129,"orig":"weit mit dir gekommen!","norm":"weit mit dir gekommen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2130,"orig":"— Du haſt dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog ſeine Hand von dir.","norm":"— Du hast dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog seine Hand von dir."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2131,"orig":"Iſt lieben denn Frevel, mein Vater?","norm":"Ist lieben denn Frevel, mein Vater?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2132,"orig":"Wenn du Gott liebſt, wirſt du nie bis zum Frevel lieben — — Du haſt mich tief gebeugt, meine Einzige!","norm":"Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben — — Du hast mich tief gebeugt, meine Einzige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2133,"orig":"tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt.","norm":"tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2134,"orig":"— Doch!","norm":"— Doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2135,"orig":"ich will dir dein Herz nicht noch ſchwerer machen — Tochter!","norm":"ich will dir dein Herz nicht noch schwerer machen — Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2136,"orig":"ich ſprach vorhin etwas.","norm":"ich sprach vorhin etwas."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2137,"orig":"Ich glaubte allein zu ſeyn.","norm":"Ich glaubte allein zu sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2138,"orig":"Du haſt mich behorcht, und warum ſolt ich's noch laͤnger geheim halten?","norm":"Du hast mich behorcht, und warum sollte ich es noch länger geheim halten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2139,"orig":"Du warſt mein Abgott.","norm":"Du warst mein Abgott."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2140,"orig":"Hoͤre Louiſe, wenn du noch Plaz fuͤr das Gefuͤhl eines Vaters haſt — Du warſt mein Alles.","norm":"Höre Louise, wenn du noch Platz für das Gefühl eines Vaters hast — Du warst mein alles."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2141,"orig":"Jezt verthuſt du nicht mehr von deinem Eigenthum.","norm":"Jetzt vertust du nicht mehr von deinem Eigentum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2142,"orig":"Auch Ich hab alles zu verlieren.","norm":"Auch Ich habe alles zu verlieren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2143,"orig":"Du ſiehſt, mein Haar faͤngt an grau zu werden.","norm":"Du siehst, mein Haar fängt an grau zu werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2144,"orig":"Die Zeit meldet ſich allgemach bei mir, wo uns Vaͤtern die Kapitale zu ſtatten kommen, die wir im Herzen unſrer Kinder anlegten — Wirſt du mich darum betruͤgen, Louiſe?","norm":"Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zustatten kommen, die wir im Herzen unserer Kinder anlegten — wirst du mich darum betrügen, Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2145,"orig":"Wirſt du dich mit dem Haab und Gut deines Vaters auf und davon machen?","norm":"Wirst du dich mit dem Hab und Gut deines Vaters auf und davon machen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2146,"orig":"Nein mein Vater.","norm":"Nein mein Vater."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2147,"orig":"Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt, und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezalen.","norm":"Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt, und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezahlen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2148,"orig":"Gib acht, ob du dich da nicht verrechneſt, mein Kind?","norm":"Gib acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2149,"orig":"Werden wir uns dort wol noch finden?","norm":"Werden wir uns dort wohl noch finden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2150,"orig":"— — Sieh!","norm":"— — Sieh!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2151,"orig":"Wie du blaß wirſt!","norm":"Wie du blass wirst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2152,"orig":"— Meine Louiſe begreift es von ſelbſt, doß ich ſie in jener Welt nicht wol mehr einholen kann, weil ich nicht ſo fruͤh dahin eile, wie ſie o Tochter!","norm":"— Meine Louise begreift es von selbst, dass ich sie in jener Welt nicht wohl mehr einholen kann, weil ich nicht so früh dahin eile, wie sie o Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2153,"orig":"Tochter!","norm":"Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2154,"orig":"Gefallene, vielleicht ſchon verlorene Tochter!","norm":"Gefallene, vielleicht schon verlorene Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2155,"orig":"Beherzige das ernſthafte Vaterwort!","norm":"Beherzige das ernsthafte Vaterwort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2156,"orig":"Ich kann nicht uͤber dich wachen.","norm":"Ich kann nicht über dich wachen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2157,"orig":"Ich kann dir die Meſſer nehmen, du kannſt dich mit einer Striknadel toͤdten.","norm":"Ich kann dir die Messer nehmen, du kannst dich mit einer Stricknadel töten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2158,"orig":"Fuͤr Gift kann ich dich bewahren, du kannſt dich mit einer Schnur Perlen erwuͤrgen.","norm":"Für Gift kann ich dich bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwürgen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2159,"orig":"— Louiſe — Louiſe — nur warnen kann ich dich noch — Wilſt du es darauf ankommen laſſen, daß dein treuloſes Gaukelbild auf der ſchroͤklichen Bruͤke zwiſchen Zeit und Ewigkeit von dir weiche?","norm":"— Louise — Louise — nur warnen kann ich dich noch — willst du es darauf ankommen lassen, dass dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2160,"orig":"Wilſt du dich vor des Allwiſſenden Tron mit der Luͤge waͤgen:","norm":"Willst du dich vor des allwissenden Thron mit der Lüge wagen:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2161,"orig":"Deinetwegen, Schoͤpfer, bin ich da!","norm":"Deinetwegen, Schöpfer, bin ich da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2162,"orig":"wenn deine ſtrafbare Augen ihre ſterbliche Puppe ſuchen?","norm":"wenn deine strafbare Augen ihre sterbliche Puppe suchen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2163,"orig":"— Und wenn dieſer zerbrechliche Gott deines Gehirns, jezt Wurm wie du, zu den Fuͤßen deines Richters ſich windet, deine gottloſe Zuverſicht in dieſem ſchwankenden Augenblik Luͤgen ſtraft, und deine betrogene Hofnungen an die ewige Erbarmung verweißt, die der Elende fuͤr ſich ſelbſt kaum erflehen kann — Wie dann?","norm":"— Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt Wurm wie du, zu den Füßen deines Richters sich windet, deine gottlose Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lügen straft, und deine betrogene Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende für sich selbst kaum erflehen kann — wie dann?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2164,"orig":"Wie dann Ungluͤkſelige?","norm":"Wie dann unglückselige?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2165,"orig":"Jezt weiß ich nichts mehr ſtehe dir, Gott Richter!","norm":"Jetzt weiß ich nichts mehr stehe dir, Gott Richter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2166,"orig":"fuͤr dieſe Seele nicht mehr.","norm":"für diese Seele nicht mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2167,"orig":"Thu was du wilſt.","norm":"Tu was du willst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2168,"orig":"Bring deinem ſchlanken Juͤngling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen, und deine guten Engel zuruͤktreten — Zieh hin!","norm":"Bringe deinem schlanken Jüngling ein Opfer, dass deine Teufel jauchzen, und deine guten Engel zurücktreten — Zieh hin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2169,"orig":"Lade alle deine Suͤnden auf, lade auch dieſe, die lezte, die entſezlichſte auf, und wenn die Laſt noch zu leicht iſt, ſo mache mein Fluch das Gewicht vollkommen — Hier iſt ein Meſſer — durchſtich dein Herz, und das Vaterherz!","norm":"Lade alle deine Sünden auf, lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht vollkommen — hier ist ein Messer — durchstich dein Herz, und das Vaterherz!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2170,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2171,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2172,"orig":"O mein Vater!","norm":"O mein Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2173,"orig":"— Daß die Zaͤrtlichkeit noch barbariſcher zwingt, als Tyrannenwuth!","norm":"— Dass die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2174,"orig":"— Was ſoll ich?","norm":"— Was soll ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2175,"orig":"Ich kann nicht!","norm":"Ich kann nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2176,"orig":"Was muß ich thun?","norm":"Was muss ich tun?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2177,"orig":"Wenn die Kuͤſſe deines Majors heißer brennen als die Traͤnen deines Vaters — ſtirb!","norm":"Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Tränen deines Vaters — stirb!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2178,"orig":"Vater!","norm":"Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2179,"orig":"Hier iſt meine Hand!","norm":"Hier ist meine Hand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2180,"orig":"Ich will — Gott!","norm":"Ich will — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2181,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2182,"orig":"was thu ich?","norm":"was tu ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2183,"orig":"was will ich?","norm":"was will ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2184,"orig":"— Vater ich ſchwoͤre — Wehe mir, wehe!","norm":"— Vater ich schwöre — Wehe mir, wehe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2185,"orig":"Verbrecherin wohin ich mich neige!","norm":"Verbrecherin wohin ich mich neige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2186,"orig":"— Vater es ſei!","norm":"— Vater es sei!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2187,"orig":"— Ferdinand — Gott ſieht herab!","norm":"— Ferdinand — Gott sieht herab!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2188,"orig":"— So zernicht' ich ſein leztes Gedaͤchtniß","norm":"— So zernichte ich sein letztes Gedächtnis"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2189,"orig":"Das iſt meine Tochter!","norm":"Das ist meine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2190,"orig":"— Blik auf!","norm":"— Blick auf!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2191,"orig":"Um einen Liebhaber biſt du leichter, dafuͤr haſt du einen gluͤklichen Vater gemacht.","norm":"Um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du einen glücklichen Vater gemacht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2192,"orig":"Kind!","norm":"Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2193,"orig":"Kind, daß ich den Tag meines Lebens nicht werth war!","norm":"Kind, dass ich den Tag meines Lebens nicht wert war!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2194,"orig":"Gott weiß, wie ich ſchlechter Mann zu dieſem Engel gekommen bin!","norm":"Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2195,"orig":"— Meine Louiſe, mein Himmelreich!","norm":"— Meine Louise, mein Himmelreich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2196,"orig":"— O Gott!","norm":"— O Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2197,"orig":"ich verſtehe ja wenig vom Lieben, aber daß es eine Quaal ſeyn muß, aufzuhoͤren — ſo was begreif ich noch.","norm":"ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber dass es eine Qual sein muss, aufzuhören — so was begreife ich noch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2198,"orig":"Doch hinweg aus dieſer Gegend mein Vater — Weg von der Stadt, wo meine Geſpielinnen meiner ſpotten, und mein guter Name dahin iſt auf immerdar — Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich ſo viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden — Weg, wenn es moͤglich iſt —","norm":"Doch hinweg aus dieser Gegend mein Vater — Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten, und mein guter Name dahin ist auf immerdar — Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden — Weg, wenn es möglich ist —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2199,"orig":"Wohin du nur wilſt, meine Tochter.","norm":"Wohin du nur willst, meine Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2200,"orig":"Das Brod unſers Herrgotts waͤchſt uͤberall, und Ohren wird er auch meiner Geige beſcheeren.","norm":"Das Brot unseres Herrgotts wächst überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2201,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2202,"orig":"Laß auch alles dahingehn — Ich ſeze die Geſchichte deines Grams auf die Laute, ſinge dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriſſ' — wir betteln mit der Ballade von Thuͤre zu Thuͤre, und das Allmoſen wird koͤſtlich ſchmeken von den Haͤnden der Weinenden —","norm":"Lass auch alles dahingehen — Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriss — wir betteln mit der Ballade von Türe zu Türe, und das Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2203,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2204,"orig":"Da iſt er!","norm":"Da ist er!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2205,"orig":"Ich bin verloren.","norm":"Ich bin verloren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2206,"orig":"Wo?","norm":"Wo?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2207,"orig":"Wer?","norm":"Wer?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2208,"orig":"Er!","norm":"Er!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2209,"orig":"Er ſelbſt!","norm":"Er selbst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2210,"orig":"— Seh er nur um ſich Vater — Mich zu ermorden iſt er da.","norm":"— Sehe er nur um sich Vater — Mich zu ermorden ist er da."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2211,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2212,"orig":"Sie hier Baron?","norm":"Sie hier Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2213,"orig":"Ueberraſchtes Gewiſſen, habe Dank!","norm":"Überraschtes Gewissen, habe Dank!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2214,"orig":"Dein Bekenntniß iſt ſchreklich aber ſchnell und gewiß, und erſpart mir die Folterung.","norm":"Dein Bekenntnis ist schrecklich aber schnell und gewiss, und erspart mir die Folterung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2215,"orig":"— Guten Abend Miller.","norm":"— Guten Abend Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2216,"orig":"Aber um Gotteswillen!","norm":"Aber um Gottes willen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2217,"orig":"Was wollen Sie Baron?","norm":"Was wollen Sie Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2218,"orig":"Was fuͤhrt Sie her?","norm":"Was führt Sie her?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2219,"orig":"Was ſoll dieſer Ueberfall?","norm":"Was soll dieser Überfall?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2220,"orig":"Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in ſeine Sekunden zerſtuͤkte, wo Sehnſucht nach mir ſich an die Gewichte der zoͤgernden Wanduhr hieng, und auf den Aderſchlag lauerte, unter dem ich erſcheinen ſolte — Wie kommts, daß ich jezt uͤberraſche?","norm":"Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Sekunden zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden Wanduhr hing, und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte — wie kommt es, dass ich jetzt überrasche?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2221,"orig":"Gehen Sie, gehen Sie Baron — Wenn noch ein Funke von Menſchlichkeit in Ihrem Herzen zuruͤkblieb — Wenn Sie die nicht erwuͤrgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblik laͤnger.","norm":"Gehen Sie, gehen Sie Baron — wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb — wenn Sie die nicht erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick länger."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2222,"orig":"Der Seegen war fort aus meiner Huͤtte, ſobald Sie einen Fuß darein ſezten — Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo ſonſt nur die Freude zu Hauſe war.","norm":"Der Segen war fort aus meiner Hütte, sobald Sie einen Fuß darein setzten — Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2223,"orig":"Sind Sie noch nicht zufrieden?","norm":"Sind Sie noch nicht zufrieden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2224,"orig":"Wollen Sie auch in der Wunde noch wuͤhlen, die Ihre ungluͤkliche Bekanntſchaft meinem einzigen Kinde ſchlug?","norm":"Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre unglückliche Bekanntschaft meinem einzigen Kinde schlug?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2225,"orig":"Wunderlicher Vater, jezt komm ich ja, deiner Tochter etwas erfreuliches zu ſagen.","norm":"Wunderlicher Vater, jetzt komme ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2226,"orig":"Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?","norm":"Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2227,"orig":"— Geh Ungluͤksbote!","norm":"— Gehe Unglücksbote!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2228,"orig":"Dein Geſicht ſchimpft deine Waare.","norm":"Dein Gesicht schimpft deine Ware."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2229,"orig":"Endlich iſt es erſchienen, das Ziel meiner Hoffnungen!","norm":"Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2230,"orig":"Lady Milford, das furchtbarſte Hinderniß unſrer Liebe, floh dieſen Augenblik aus dem Lande.","norm":"Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unserer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2231,"orig":"Mein Vater billigt meine Wahl.","norm":"Mein Vater billigt meine Wahl."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2232,"orig":"Das Schikſal laͤßt nach, uns zu verfolgen.","norm":"Das Schicksal lässt nach, uns zu verfolgen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2233,"orig":"Unſre gluͤklichen Sterne gehen auf — Ich bin jezt da, mein gegebenes Wort einzuloͤſen, und meine Braut zum Altar abzuholen.","norm":"Unsere glücklichen Sterne gehen auf — Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen, und meine Braut zum Altar abzuholen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2234,"orig":"Hoͤrſt du ihn meine Tochter?","norm":"Hörst du ihn meine Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2235,"orig":"Hoͤrſt du ihn ſein Geſpoͤtte mit deinen getaͤuſchten Hoffnungen treiben?","norm":"Hörst du ihn sein Gespötte mit deinen getäuschten Hoffnungen treiben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2236,"orig":"O wahrlich Baron!","norm":"O wahrlich Baron!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2237,"orig":"Es ſteht dem Verfuͤhrer ſo ſchoͤn, an ſeinem Verbrechen ſeinen Wiz noch zu kuͤzeln.","norm":"Es steht dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kützeln."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2238,"orig":"Du glaubſt, ich ſcherze.","norm":"Du glaubst, ich scherze."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2239,"orig":"Bei meiner Ehre nicht!","norm":"Bei meiner Ehre nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2240,"orig":"Meine Auſſage iſt wahr, wie die Liebe meiner Louiſe, und heilig will ich ſie halten, wie Sie ihre Eide — Ich kenne nichts heiligers — Noch zweifelſt du?","norm":"Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Louise, und heilig will ich sie halten, wie Sie ihre Eide — Ich kenne nichts Heiligers — noch zweifelst du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2241,"orig":"Noch kein freudiges Erroͤthen auf den Wangen meiner ſchoͤnen Gemahlin?","norm":"Noch kein freudiges Erröten auf den Wangen meiner schönen Gemahlin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2242,"orig":"Sonderbar!","norm":"Sonderbar!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2243,"orig":"Die Luͤge muß hier gangbare Muͤnze ſeyn, wenn die Wahrheit ſo wenig Glauben findet.","norm":"Die Lüge muss hier gangbare Münze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2244,"orig":"Ihr mißtraut meinen Worten?","norm":"Ihr misstraut meinen Worten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2245,"orig":"So glaubt dieſem ſchriftlichen Zeugniß.","norm":"So glaubt diesem schriftlichen Zeugnis."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2246,"orig":"Was ſoll das bedeuten, Baron?","norm":"Was soll das bedeuten, Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2247,"orig":"Ich verſtehe Sie nicht.","norm":"Ich verstehe Sie nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2248,"orig":"Deſto beſſer hat mich dieſe verſtanden!","norm":"Desto besser hat mich diese verstanden!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2249,"orig":"O Gott!","norm":"O Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2250,"orig":"meine Tochter!","norm":"meine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2251,"orig":"Bleich wie der Tod!","norm":"Bleich wie der Tod!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2252,"orig":"— Jezt erſt gefaͤllt ſie mir deine Tochter!","norm":"— Jetzt erst gefällt sie mir deine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2253,"orig":"So ſchoͤn war ſie nie die fromme rechtſchaffne Tochter — Mit dieſem Leichengeſicht — — Der Odem des Weltgerichts, der den Firniß von jeder Luͤge ſtreift, hat jezt die Schminke verblaſen, womit die Tauſendkuͤnſtlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat — Es iſt ihr ſchoͤnſtes Geſicht!","norm":"So schön war sie nie die fromme rechtschaffene Tochter — mit diesem Leichengesicht — — der Odem des Weltgerichts, der den Firnis von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat — es ist ihr schönstes Gesicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2254,"orig":"Es iſt ihr erſtes wahres Geſicht!","norm":"Es ist ihr erstes wahres Gesicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2255,"orig":"Laß mich es kuͤſſen","norm":"Lass mich es küssen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2256,"orig":"Zuruͤk!","norm":"Zurück!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2257,"orig":"Weg!","norm":"Weg!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2258,"orig":"Greife nicht an das Vaterherz, Knabe!","norm":"Greife nicht an das Vaterherz, Knabe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2259,"orig":"Vor deinen Liebkoſungen konnt ich ſie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Mißhandlungen.","norm":"Vor deinen Liebkosungen konnte ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Misshandlungen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2260,"orig":"Was wilſt du Graukopf?","norm":"Was willst du Graukopf?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2261,"orig":"Mit dir hab ich nichts zu ſchaffen.","norm":"Mit dir habe ich nichts zu schaffen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2262,"orig":"Menge dich ja nicht in ein Spiel, das ſo offenbar verloren iſt — oder biſt du auch vielleicht kluͤger, als ich dir zugetraut habe?","norm":"Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist — oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2263,"orig":"Haſt du die Weißheit deiner ſechzig Jahre zu den Buhlſchaften deiner Tochter geborgt, und diß ehrwuͤrdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geſchaͤndet?","norm":"Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt, und dieses ehrwürdige Haar mit dem Gewerbe eines Kupplers geschändet?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2264,"orig":"— O!","norm":"— O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2265,"orig":"wenn das nicht iſt, ungluͤklicher alter Mann, lege dich nieder und ſtirb — Noch iſt es Zeit.","norm":"wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb — noch ist es Zeit."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2266,"orig":"Noch kannſt du in dem ſuͤßen Taumel entſchlafen:","norm":"Noch kannst du in dem süßen Taumel entschlafen:"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2267,"orig":"Ich war ein gluͤklicher Vater!","norm":"Ich war ein glücklicher Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2268,"orig":"— einen Augenblik ſpaͤter, und du ſchleuderſt die giftige Natter ihrer hoͤlliſchen Heimat zu, verfluchſt das Geſchenk und den Geber, und faͤhrſt mit der Gotteslaͤſterung in die Grube.","norm":"— einen Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer höllischen Heimat zu, verfluchst das Geschenk und den Geber, und fährst mit der Gotteslästerung in die Grube."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2269,"orig":"Sprich Ungluͤkſelige!","norm":"Sprich unglückselige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2270,"orig":"Schriebſt du dieſen Brief?","norm":"Schriebst du diesen Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2271,"orig":"Um Gotteswillen Tochter!","norm":"Um Gottes willen Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2272,"orig":"Vergiß nicht!","norm":"Vergiss nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2273,"orig":"Vergiß nicht!","norm":"Vergiss nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2274,"orig":"O dieſer Brief mein Vater —","norm":"O dieser Brief mein Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2275,"orig":"Daß er in die unrechte Haͤnde fiel?","norm":"Dass er in die unrechte Hände fiel?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2276,"orig":"— Geprieſen ſei mir der Zufall, er hat groͤßere Thaten gethan als die kluͤgelnde Vernunft, und wird beſſer beſtehn an jenem Tag als der Wiz aller Weiſen — Zufall ſage ich?","norm":"— Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere Taten getan als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehen an jenem Tag als der Witz aller Weisen — Zufall sage ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2277,"orig":"— O die Vorſehung iſt dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden ſoll?","norm":"— O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2278,"orig":"— Antwort will ich!","norm":"— Antwort will ich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2279,"orig":"— Schriebſt du dieſen Brief?","norm":"— Schriebst du diesen Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2280,"orig":"Standhaft!","norm":"Standhaft!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2281,"orig":"Standhaft meine Tochter!","norm":"Standhaft meine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2282,"orig":"Nur noch das einzige Ja, und alles iſt uͤberwunden.","norm":"Nur noch das einzige Ja, und alles ist überwunden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2283,"orig":"Luſtig!","norm":"Lustig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2284,"orig":"Luſtig!","norm":"Lustig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2285,"orig":"Auch der Vater betrogen.","norm":"Auch der Vater betrogen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2286,"orig":"Alles betrogen!","norm":"Alles betrogen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2287,"orig":"Nun ſieh, wie ſie daſteht die Schaͤndliche, und ſelbſt ihre Zunge nun ihrer lezten Luͤge den Gehorſam aufkuͤndigt!","norm":"Nun sieh, wie sie dasteht die Schändliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2288,"orig":"Schwoͤre bei Gott!","norm":"Schwöre bei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2289,"orig":"bei dem fuͤrchterlich wahren!","norm":"bei dem fürchterlich wahren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2290,"orig":"Schriebſt du dieſen Brief?","norm":"Schriebst du diesen Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2291,"orig":"Ich ſchrieb ihn.","norm":"Ich schrieb ihn."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2292,"orig":"Louiſe — Nein!","norm":"Louise — Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2293,"orig":"Sowahr meine Seele lebt!","norm":"So wahr meine Seele lebt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2294,"orig":"du luͤgſt — Auch die Unſchuld bekennt ſich auf der Folterbank zu Freveln, die ſie nie begieng — Ich fragte zu heftig — Nicht wahr Louiſe — Du bekannteſt nur, weil ich zu hefti gfragte?","norm":"du lügst — auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging — Ich fragte zu heftig — nicht wahr Louise — Du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2295,"orig":"Ich bekannte was wahr iſt.","norm":"Ich bekannte was wahr ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2296,"orig":"Nein ſag ich!","norm":"Nein sage ich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2297,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2298,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2299,"orig":"Du ſchriebſt nicht.","norm":"Du schriebst nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2300,"orig":"Es iſt deine Hand gar nicht — Und waͤre ſie's, warum ſolten Handſchriften ſchwerer nachzumachen ſeyn, als Herzen zu verderben?","norm":"Es ist deine Hand gar nicht — und wäre sie es, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2301,"orig":"Rede mir wahr Louiſe — oder nein, nein, thu es nicht, du koͤnnteſt Ja ſagen, und ich waͤr verloren — Eine Luͤge Louiſe — eine Luͤge — O wenn du jezt eine wuͤßteſt, mir hinwaͤrfeſt mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug uͤberredeteſt, dieſes Herz auch noch ſo abſcheulich taͤuſchteſt — O Louiſe!","norm":"Rede mir wahr Louise — oder nein, nein, tu es nicht, du könntest Ja sagen, und ich wäre verloren — eine Lüge Louise — eine Lüge — O wenn du jetzt eine wüsstest, mir hinwerfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Auge überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich täuschtest — O Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2302,"orig":"Alle Wahrheit moͤchte dann mit dieſem Hauch aus der Schoͤpfung wandern, und die gute Sache ihren ſtarren Hals von nun an zu einem hoͤfiſchen Buͤkling beugen!","norm":"Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus der Schöpfung wandern, und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem höfischen Bückling beugen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2303,"orig":"Schriebſt du dieſen Brief?","norm":"Schriebst du diesen Brief?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2304,"orig":"Bei Gott!","norm":"Bei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2305,"orig":"Bei dem fuͤrchterlich wahren!","norm":"Bei dem fürchterlich wahren!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2306,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2307,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2308,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2309,"orig":"— Das Geſicht, mit dem du jezt vor mir ſtehſt!","norm":"— Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2310,"orig":"— Theile mit dieſem Geſicht Paradieſe aus, du wirſt ſelbſt im Reich der Verdammniß keinen Kaͤufer finden — Wußteſt du, was du mir wareſt, Louiſe?","norm":"— Teile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammnis keinen Käufer finden — wusstest du, was du mir warst, Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2311,"orig":"Ohnmoͤglich!","norm":"Unmöglich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2312,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2313,"orig":"Du wußteſt nicht, daß du mir Alles warſt!","norm":"Du wusstest nicht, dass du mir alles warst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2314,"orig":"Alles!","norm":"Alles!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2315,"orig":"— Es iſt ein armes veraͤchtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Muͤhe, es zu umwandern, Weltſyſteme vollenden ihre Bahnen darinn — Alles!","norm":"— Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es zu umwandern, Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin — alles!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2316,"orig":"Und ſo frevelhaft damit zu ſpielen — O es iſt ſchreklich —","norm":"Und so frevelhaft damit zu spielen — O es ist schrecklich —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2317,"orig":"Sie haben mein Geſtaͤndniß Herr von Walter.","norm":"Sie haben mein Geständnis Herr von Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2318,"orig":"Ich habe mich ſelbſt verdammt.","norm":"Ich habe mich selbst verdammt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2319,"orig":"Gehen Sie nun!","norm":"Gehen Sie nun!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2320,"orig":"Verlaſſen Sie ein Haus, wo Sie ſo ungluͤklich waren.","norm":"Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2321,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2322,"orig":"Gut!","norm":"Gut!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2323,"orig":"Ich bin ja ruhig — ruhig, ſagt man ja, iſt auch der ſchaudernde Strich Landes, woruͤber die Peſt gieng — ich bins Noch eine Bitte Louiſe — die lezte!","norm":"Ich bin ja ruhig — ruhig, sagt man ja, ist auch der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging — ich bin es noch eine Bitte Louise — die Letzte!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2324,"orig":"Mein Kopf brennt ſo fieberiſch.","norm":"Mein Kopf brennt so fieberisch."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2325,"orig":"Ich brauche Kuͤhlung — Wilſt du mir ein Glas Limonade zurecht machen","norm":"Ich brauche Kühlung — willst du mir ein Glas Limonade zurechtmachen"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2326,"orig":"Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wann ich Ihnen geſtehe, daß ich Sie herzlich bedaure?","norm":"Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wann ich Ihnen gestehe, dass ich Sie herzlich bedaure?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2327,"orig":"Laß er es gut ſeyn Miller Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in ſein Haus kam — Was war die Veranlaſſung?","norm":"Lass er es gut sein Miller Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam — was war die Veranlassung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2328,"orig":"Wie Herr Major?","norm":"Wie Herr Major?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2329,"orig":"Sie wolten ja Lekzion auf der Floͤte bei mir nehmen?","norm":"Sie wollten ja Lektion auf der Flöte bei mir nehmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2330,"orig":"Das wiſſen Sie nicht mehr?","norm":"Das wissen Sie nicht mehr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2331,"orig":"Ich ſah ſeine Tochter Er hat nicht Wort gehalten, Freund.","norm":"Ich sah Seine Tochter er hat nicht Wort gehalten, Freund."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2332,"orig":"Wir akkordierten Ruhe fuͤr meine einſame Stunden.","norm":"Wir akkordierten Ruhe für meine einsame Stunden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2333,"orig":"Er betrog mich, und verkaufte mir Skorpionen Nein!","norm":"Er betrog mich, und verkaufte mir Skorpionen Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2334,"orig":"Erſchrik nur nicht alter Mann","norm":"Erschrick nur nicht alter Mann"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2335,"orig":"Du biſt nicht ſchuldig.","norm":"Du bist nicht schuldig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2336,"orig":"Das weiß der allwiſſende Gott!","norm":"Das weiß der allwissende Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2337,"orig":"Seltſam o unbegreiflich ſeltſam ſpielt Gott mit uns.","norm":"Seltsam o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2338,"orig":"An duͤnnen unmerkbaren Seilen haͤngen oft fuͤrchterliche Gewichte — Wuͤßte der Menſch, daß er an dieſem Apfel den Tod eſſen ſolte — Hum!","norm":"An dünnen unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte — Wüsste der Mensch, dass er an diesem Apfel den Tod essen sollte — Hum!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2339,"orig":"— wuͤßte er das?","norm":"— wüsste er das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2340,"orig":"Mann!","norm":"Mann!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2341,"orig":"ich bezahle dir dein Bischen Floͤte zu theuer — — und du gewinnſt nicht einmal — auch du verlierſt — verlierſt vielleicht alles Ungluͤkſeliges Floͤtenſpiel, das mir nie haͤtte einfallen ſollen.","norm":"ich bezahle dir dein Bisschen Flöte zu teuer — — und du gewinnst nicht einmal — auch du verlierst — verlierst vielleicht alles unglückseliges Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2342,"orig":"Die Limonade bleibt auch gar zulang auſſen.","norm":"Die Limonade bleibt auch gar zu lang außen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2343,"orig":"Ich denke, ich ſehe nach, wenn Sie mirs nicht fuͤr uͤbel nehmen —","norm":"Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir es nicht für übel nehmen —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2344,"orig":"Es eilt nicht lieber Miller zumal fuͤr den Vater nicht — Bleib er nur — Was hatt ich doch fragen wollen?","norm":"Es eilt nicht lieber Miller zumal für den Vater nicht — Bleib er nur — was hatte ich doch fragen wollen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2345,"orig":"— Ja!","norm":"— Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2346,"orig":"— Iſt Louiſe ſeine einzige Tochter?","norm":"— Ist Louise Seine einzige Tochter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2347,"orig":"Sonſt hat er keine Kinder mehr?","norm":"Sonst hat er keine Kinder mehr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2348,"orig":"Habe ſonſt keins mehr Baron — wuͤnſch mir auch keins mehr.","norm":"Habe sonst keins mehr Baron — wünsche mir auch keins mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2349,"orig":"Das Maͤdel iſt juſt ſo recht, mein ganzes Vaterherz einzusteken — hab meine ganze Baarſchaft von Liebe an der Tochter ſchon zugeſezt.","norm":"Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz einzustecken — habe meine ganze Barschaft von Liebe an der Tochter schon zugesetzt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2350,"orig":"Ha!","norm":"Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2351,"orig":"— — Seh Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller.","norm":"— — sehe er doch lieber nach dem Trank, guter Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2352,"orig":"Das einzige Kind!","norm":"Das einzige Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2353,"orig":"— Fuͤhlſt du das, Moͤrder?","norm":"— Fühlst du das, Mörder?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2354,"orig":"Das einzige!","norm":"Das einzige!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2355,"orig":"Moͤrder!","norm":"Mörder!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2356,"orig":"hoͤrſt du, das einzige?","norm":"hörst du, das einzige?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2357,"orig":"— Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes nichts, als ſein Inſtrument und das einzige — Du willſt's ihm rauben?","norm":"— Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes nichts, als sein Instrument und das einzige — Du willst es ihm rauben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2358,"orig":"Rauben?","norm":"Rauben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2359,"orig":"— Rauben den lezten Nothpfenning einem Bettler?","norm":"— Rauben den letzten Notpfennig einem Bettler?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2360,"orig":"Die Kruͤke zerbrochen vor die Fuͤße werfen dem Lahmen?","norm":"Die Krücke zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2361,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2362,"orig":"Hab ich auch Bruſt fuͤr das?","norm":"Habe ich auch Brust für das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2363,"orig":"— — Und wenn er nun heimeilt, und nicht erwarten kann, die ganze Summe ſeiner Freuden vom Geſicht dieſer Tochter herunter zu zaͤhlen, und hereintritt, und ſie da liegt die Blume — welk — todt — zertreten, muthwillig die lezte, einzige, unuͤberſchwengliche Hoffnung — Ha!","norm":"— — und wenn er nun heimeilt, und nicht erwarten kann, die ganze Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunterzuzählen, und hereintritt, und sie da liegt die Blume — welk — tot — zertreten, mutwillig die letzte, einzige, unüberschwengliche Hoffnung — ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2364,"orig":"und er da ſteht vor ihr, und da ſteht, und ihm die ganze Natur den lebendigen Odem anhaͤlt, und ſein erſtarrter Blik die entvoͤlkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott ſucht, und Gott nicht mehr finden kann, und leerer zuruͤk kommt — — Gott!","norm":"und er dasteht vor ihr, und dasteht, und ihm die ganze Natur den lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr finden kann, und leerer zurückkommt — — Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2365,"orig":"Gott!","norm":"Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2366,"orig":"aber auch mein Vater hat dieſen einzigen Sohn — den einzigen Sohn, doch nicht den einzigen Reichthum — Doch wie?","norm":"aber auch mein Vater hat diesen einzigen Sohn — den einzigen Sohn, doch nicht den einzigen Reichtum — doch wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2367,"orig":"was verliert er denn?","norm":"was verliert er denn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2368,"orig":"Das Maͤdchen, dem die heiligſten Gefuͤhle der Liebe nur Puppen waren, wird es den Vater gluͤklich machen koͤnnen?","norm":"Das Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen waren, wird es den Vater glücklich machen können?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2369,"orig":"— Es wird nicht!","norm":"— Es wird nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2370,"orig":"Es wird nicht!","norm":"Es wird nicht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2371,"orig":"Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete, ehe ſie auch noch den Vater verwundet.","norm":"Und ich verdiene noch Dank, dass ich die Natter zertrete, ehe sie auch noch den Vater verwundet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2372,"orig":"Gleich ſollen Sie bedient ſeyn, Baron.","norm":"Gleich sollen Sie bedient sein, Baron."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2373,"orig":"Draußen ſizt das arme Ding, und will ſich zu Tode weinen.","norm":"Draußen sitzt das arme Ding, und will sich zu Tode weinen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2374,"orig":"Sie wird Ihnen mit der Limonade auch Traͤnen zu trinken geben.","norm":"Sie wird Ihnen mit der Limonade auch Tränen zu trinken geben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2375,"orig":"Und wol, wenns nur Traͤnen waͤren!","norm":"Und wohl, wenn es nur Tränen wären!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2376,"orig":"— — Weil wir vorhin von der Muſik ſprachen Miller Ich bin noch ſein Schuldner.","norm":"— — weil wir vorhin von der Musik sprachen Miller Ich bin noch Sein Schuldner."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2377,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2378,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2379,"orig":"Gehen Sie mir Baron!","norm":"Gehen Sie mir Baron!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2380,"orig":"Wofuͤr halten Sie mich?","norm":"Wofür halten Sie mich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2381,"orig":"Das ſteht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an, und ſind wir ja, wills Gott, nicht das leztemal bei einander.","norm":"Das steht ja in guter Hand, tun Sie mir doch den Schimpf nicht an, und sind wir ja, will es Gott, nicht das letzte Mal beieinander."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2382,"orig":"Wer kann das wiſſen?","norm":"Wer kann das wissen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2383,"orig":"Nehm er nur.","norm":"Nehme er nur."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2384,"orig":"Es iſt fuͤr Leben und Sterben.","norm":"Es ist für Leben und Sterben."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2385,"orig":"O deßwegen Baron!","norm":"O deswegen Baron!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2386,"orig":"Auf den Fall, denk ich, kann mans wagen bei Ihnen.","norm":"Auf den Fall, denke ich, kann man es wagen bei Ihnen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2387,"orig":"Man wagte wirklich — Hat er nie gehoͤrt, daß Juͤnglinge gefallen ſind — Maͤdchen und Juͤnglinge, die Kinder der Hoffnung, die Luftſchloͤſſer betrogener Vaͤter — Was Wurm und Alter nicht thun, kann oft ein Donnerſchlag ausrichten — Auch ſeine Louiſe iſt nicht unſterblich.","norm":"Man wagte wirklich — hat er nie gehört, dass Jünglinge gefallen sind — Mädchen und Jünglinge, die Kinder der Hoffnung, die Luftschlösser betrogener Väter — was Wurm und Alter nicht tun, kann oft ein Donnerschlag ausrichten — auch Seine Louise ist nicht unsterblich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2388,"orig":"Ich hab ſie von Gott.","norm":"Ich habe sie von Gott."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2389,"orig":"Hoͤr er — Ich ſag ihm, ſie iſt nicht unſterblich.","norm":"Höre er — Ich sage ihm, sie ist nicht unsterblich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2390,"orig":"Dieſe Tochter iſt ſein Augapfel.","norm":"Diese Tochter ist Sein Augapfel."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2391,"orig":"Er hat ſich mit Herz und Seel an dieſe Tochter gehaͤngt.","norm":"Er hat sich mit Herz und Seele an diese Tochter gehängt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2392,"orig":"Sei er vorſichtig Miller.","norm":"Sei er vorsichtig Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2393,"orig":"Nur ein verzweifelter Spieler ſezt alles auf einen einzigen Wurf.","norm":"Nur ein verzweifelter Spieler setzt alles auf einen einzigen Wurf."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2394,"orig":"Einen Waghals nennt man den Kaufmann, der auf ein Schiff ſein ganzes Vermoͤgen ladet — Hoͤr er, denk er der Warnung nach — — Aber warum nimmt er ſein Geld nicht?","norm":"Einen Waghals nennt man den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermögen ladet — Höre er, denke er der Warnung nach — — Aber warum nimmt er Sein Geld nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2395,"orig":"Was Herr?","norm":"Was Herr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2396,"orig":"Die ganze allmaͤchtige Boͤrſe?","norm":"Die ganze allmächtige Börse?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2397,"orig":"Wohin denken Euer Gnaden?","norm":"Wohin denken Euer Gnaden?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2398,"orig":"Auf meine Schuldigkeit — Da!","norm":"Auf meine Schuldigkeit — da!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2399,"orig":"Ich kann den Quark nicht eine Ewigkeit ſo halten.","norm":"Ich kann den Quark nicht eine Ewigkeit so halten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2400,"orig":"Was beim großen Gott?","norm":"Was beim großen Gott?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2401,"orig":"Das klang nicht wie Silbergeld!","norm":"Das klang nicht wie Silbergeld!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2402,"orig":"Wie um aller Himmel willen Baron?","norm":"Wie um aller Himmel Willen Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2403,"orig":"Baron?","norm":"Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2404,"orig":"Wo ſind Sie?","norm":"Wo sind Sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2405,"orig":"Was treiben Sie Baron?","norm":"Was treiben Sie Baron?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2406,"orig":"Das nenn ich mir Zerſtreuung!","norm":"Das nenne ich mir Zerstreuung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2407,"orig":"Hier liegt ja — oder bin ich verhext, oder — Gott verdamm mich!","norm":"Hier liegt ja — oder bin ich verhext, oder — Gott verdamme mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2408,"orig":"Da greif ich ja das baare gelbe leibhafte Gottesgold — — Nein Satanas!","norm":"Da greife ich ja das bare gelbe leibhafte Gottesgold — — Nein Satanas!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2409,"orig":"Du ſolſt mich nicht daran kriegen!","norm":"Du sollst mich nicht daran kriegen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2410,"orig":"Hat er Alten oder Neuen getrunken, Miller?","norm":"Hat er Alten oder Neuen getrunken, Miller?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2411,"orig":"Donner und Wetter!","norm":"Donner und Wetter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2412,"orig":"Da ſchauen Sie nur hin!","norm":"Da schauen Sie nur hin!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2413,"orig":"— Gold!","norm":"— Gold!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2414,"orig":"Und was nun weiter?","norm":"Und was nun weiter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2415,"orig":"Ins Henkers Nahmen — ich ſage — ich bitte Sie um Gottes Chriſti willen — Gold!","norm":"Ins Henkers Namen — ich sage — ich bitte Sie um Gottes Christi Willen — Gold!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2416,"orig":"Das iſt nun freilich etwas merkwuͤrdiges.","norm":"Das ist nun freilich etwas Merkwürdiges."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2417,"orig":"Gnaͤdiger Herr, ich bin ein ſchlichter gerader Mann, wenn Sie mich etwas zu einem Bubenſtuͤk anſpannen wollen — denn ſo viel Geld laͤßt ſich, weiß Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.","norm":"Gnädiger Herr, ich bin ein schlichter gerader Mann, wenn Sie mich etwa zu einem Bubenstück anspannen wollen — denn so viel Geld lässt sich, weiß Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2418,"orig":"Sei er ganz getroſt, lieber Miller.","norm":"Sei er ganz getrost, lieber Miller."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2419,"orig":"Das Geld hat er laͤngſt verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit ſeinem guten Gewiſſen dafuͤr bezahlt machen ſollte.","norm":"Das Geld hat er längst verdient, und Gott bewahre mich, dass ich mich mit Seinem guten Gewissen dafür bezahlt machen sollte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2420,"orig":"Mein alſo!","norm":"Mein also!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2421,"orig":"Mein!","norm":"Mein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2422,"orig":"Mit des guten Gottes Wiſſen und Willen, mein!","norm":"Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2423,"orig":"Weib!","norm":"Weib!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2424,"orig":"Tochter!","norm":"Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2425,"orig":"Viktoria!","norm":"Viktoria!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2426,"orig":"Herbei!","norm":"Herbei!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2427,"orig":"Aber du lieber Himmel!","norm":"Aber du lieber Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2428,"orig":"wie komm ich denn ſo auf einmal zu dem ganzen grauſamen Reichthum?","norm":"wie komme ich denn so auf einmal zu dem ganzen grausamen Reichtum?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2429,"orig":"Wie verdien ich ihn?","norm":"Wie verdiene ich ihn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2430,"orig":"Lohn ich ihn?","norm":"Lohn ich ihn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2431,"orig":"Heh?","norm":"He?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2432,"orig":"Nicht mit ſeinen Muſikſtunden, Miller — Mit dem Geld hier bezahl ich ihm bezahl ich ihm den dreimonatlangen gluͤklichen Traum von ſeiner Tochter.","norm":"Nicht mit seinen Musikstunden, Miller — mit dem Geld hier bezahle ich ihm bezahle ich ihm den drei monatlangen glücklichen Traum von seiner Tochter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2433,"orig":"Gnaͤdiger Herr!","norm":"Gnädiger Herr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2434,"orig":"Waͤren Sie ein ſchlechter geringer Buͤrgersmann — und mein Maͤdel liebte Sie nicht?","norm":"Wären Sie ein schlechter geringer Bürgersmann — und mein Mädel liebte Sie nicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2435,"orig":"Erſtechen wollt ich's, das Maͤdel Aber da hab ich ja nun alles, und Sie nichts, und da werd ich nun das ganze Gaudium wieder heraus blechen muͤßen?","norm":"Erstechen wollte ich es, das Mädel Aber da habe ich ja nun alles, und Sie nichts, und da werde ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen müssen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2436,"orig":"Heh?","norm":"He?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2437,"orig":"Laß er ſich das nicht anfechten, Freund — Ich reiſe ab, und in dem Land, wo ich mich zu ſezen gedenke, gelten die Stempel nicht.","norm":"Lass er sich das nicht anfechten, Freund — Ich reise ab, und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel nicht."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2438,"orig":"Bleibts alſo mein?","norm":"Bleibt es also mein?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2439,"orig":"Bleibts?","norm":"Bleibt es?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2440,"orig":"— Aber das thut mir nur leid, daß Sie verreiſen — Und wart, was ich jezt auftreten will!","norm":"— Aber das tut mir nur leid, dass Sie verreisen — und wart, was ich jetzt auftreten will!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2441,"orig":"Wie ich die Baken jezt voll nehmen will!","norm":"Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2442,"orig":"Und auf dem Markt will ich meine Muſikſtunden geben, und Numero fuͤnfe Dreikoͤnig rauchen, und wenn ich wieder auf den Dreibatzenplaz ſize, ſoll mich der Teufel holen.","norm":"Und auf dem Markt will ich meine Musikstunden geben, und Numero fünf Dreikönig rauchen, und wenn ich wieder auf den Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2443,"orig":"Bleib Er!","norm":"Bleib er!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2444,"orig":"Schweig Er!","norm":"Schweige er!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2445,"orig":"und ſtreich Er ſein Geld ein.","norm":"und Streiche er sein Geld ein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2446,"orig":"Nur dieſen Abend noch ſchweig Er, und geb Er, mir zu Gefallen, von Nun an keine Muſikſtunden mehr.","norm":"Nur diesen Abend noch schweige er, und gebe er, mir zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2447,"orig":"Und Herr!","norm":"Und Herr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2448,"orig":"meine Tochter!","norm":"meine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2449,"orig":"Geld macht den Mann nicht — Geld nicht — Ich habe Kartoffeln gegeſſen oder ein wildes Huhn; ſatt iſt ſatt, und dieſer Rok da iſt ewig gut, wenn Gottes liebe Sonne nicht durch den Ermel ſcheint — Fuͤr mich iſt das Plunder — Aber dem Maͤdel ſoll der Seegen bekommen, was ich ihr nur an den Augen abſehen kann, ſoll ſie haben —","norm":"Geld macht den Mann nicht — Geld nicht — Ich habe Kartoffeln gegessen oder ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn Gottes liebe Sonne nicht durch den Ärmel scheint — für mich ist das Plunder — Aber dem Mädel soll der Segen bekommen, was ich ihr nur an den Augen absehen kann, soll sie haben —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2450,"orig":"Stille, o Stille —","norm":"Stille, o Stille —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2451,"orig":"Und ſoll mir Franzoͤſiſch lernen aus dem Fundament, und Menuettanzen, und Singen, daß mans in den Zeitungen leſen ſoll; und eine Haube ſoll ſie tragen wie die Hofrathstoͤchter, und einen Kidebarri, wie ſies heiſſen, und von der Geigerstochter ſoll man reden auf vier Meilen weit —","norm":"Und soll mir Französisch lernen aus dem Fundament, und Menuetttanzen, und Singen, dass man es in den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen wie die Hofratstöchter, und einen Kidebarri, wie sie es heißen, und von der Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2452,"orig":"Nichts mehr!","norm":"Nichts mehr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2453,"orig":"Nichts mehr!","norm":"Nichts mehr!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2454,"orig":"Um Gottes willen, ſchweig er ſtill!","norm":"Um Gottes willen, schweige er still!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2455,"orig":"Nur noch heute ſchweig er ſtill, das ſei der einzige Dank, den ich von ihm fordre.","norm":"Nur noch heute schweige er still, das sei der einzige Dank, den ich von ihm fordre."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2456,"orig":"Sie befehlen, wenn ſie nicht ſtark genug iſt?","norm":"Sie befehlen, wenn sie nicht stark genug ist?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2457,"orig":"O beinahe haͤtt ich das vergeſſen!","norm":"O beinahe hätte ich das vergessen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2458,"orig":"— Darf ich Ihn um etwas bitten lieber Miller?","norm":"— Darf ich ihn um etwas bitten lieber Miller?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2459,"orig":"Will Er mir einen kleinen Gefallen thun?","norm":"Will Er mir einen kleinen Gefallen tun?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2460,"orig":"Tauſend fuͤr einen!","norm":"Tausend für einen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2461,"orig":"Was befehlen — —","norm":"Was befehlen — —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2462,"orig":"Man wird mich bei der Tafel erwarten.","norm":"Man wird mich bei der Tafel erwarten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2463,"orig":"Zum Ungluͤk hab ich eine ſehr boͤſe Laune.","norm":"Zum Unglück habe ich eine sehr böse Laune."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2464,"orig":"Es iſt mir ganz unmoͤglich, unter Menſchen zu gehn — Will Er einen Gang thun zu meinem Vater und mich entſchuldigen?","norm":"Es ist mir ganz unmöglich, unter Menschen zu gehen — Will Er einen Gang tun zu meinem Vater und mich entschuldigen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2465,"orig":"Den Gang kann ja Ich thun.","norm":"Den Gang kann ja Ich tun."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2466,"orig":"Zum Praͤſidenten?","norm":"Zum Präsidenten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2467,"orig":"Nicht zu ihm ſelbſt.","norm":"Nicht zu ihm selbst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2468,"orig":"Er uͤbergibt ſeinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdiener — Zu ſeiner Legitimazion iſt hier meine Uhr — Ich bin noch da, wenn er wieder kommt.","norm":"Er übergibt seinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdiener — zu seiner Legitimation ist hier meine Uhr — Ich bin noch da, wenn er wiederkommt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2469,"orig":"— Er wartet auf Antwort.","norm":"— Er wartet auf Antwort."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2470,"orig":"Kann denn Ich das nicht auch beſorgen?","norm":"Kann denn Ich das nicht auch besorgen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2471,"orig":"Halt, und noch etwas!","norm":"Halt, und noch etwas!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2472,"orig":"Hier iſt ein Brief an meinen Vater, der dieſen Abend an mich eingeſchloſſen kam — Vielleicht dringende Geſchaͤfte — Es geht in einer Beſtellung hin —","norm":"Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich eingeschlossen kam — vielleicht dringende Geschäfte — es geht in einer Bestellung hin —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2473,"orig":"Schon gut, Baron!","norm":"Schon gut, Baron!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2474,"orig":"Aber mein Vater, dis alles koͤnnt ich ja recht gut beſorgen.","norm":"Aber mein Vater, dies alles könnte ich ja recht gut besorgen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2475,"orig":"Du biſt allein, und es iſt finſtre Nacht meine Tochter,","norm":"Du bist allein, und es ist finstre Nacht meine Tochter,"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2476,"orig":"Leuchte deinem Vater, Louiſe.","norm":"Leuchte deinem Vater, Louise."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2477,"orig":"Ja!","norm":"Ja!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2478,"orig":"Sie ſoll dran!","norm":"Sie soll dran!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2479,"orig":"Sie ſoll!","norm":"Sie soll!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2480,"orig":"Die obern Maͤchte niken mir ihr ſchrekliches Ja herunter, die Rache des Himmels unterſchreibt, ihr guter Engel laͤßt ſie fahren —","norm":"Die oberen Mächte nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels unterschreibt, ihr guter Engel lässt sie fahren —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2481,"orig":"Wollen Sie mich akkompagnieren Herr von Walter, ſo mach ich einen Gang auf dem Fortepiano.","norm":"Wollen Sie mich akkompagnieren Herr von Walter, so mache ich einen Gang auf dem Fortepiano."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2482,"orig":"Sie ſind mir auch noch Revange auf dem Schachbrett ſchuldig.","norm":"Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2483,"orig":"Wollen wir eine Parthie Herr von Walter?","norm":"Wollen wir eine Partie Herr von Walter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2484,"orig":"Herr von Walter, die Brieftaſche, die ich Ihnen einmal zu ſtiken verſprochen — Ich habe ſie angefangen — Wollen ſie das Deſſein nicht beſehen?","norm":"Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu sticken versprochen — Ich habe sie angefangen — Wollen sie das Dessin nicht besehen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2485,"orig":"O ich bin ſehr elend!","norm":"O ich bin sehr elend!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2486,"orig":"Das koͤnnte wahr ſeyn.","norm":"Das könnte wahr sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2487,"orig":"Meine Schuld iſt es nicht, Herr von Walter, daß Sie ſo ſchlecht unterhalten werden.","norm":"Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, dass Sie so schlecht unterhalten werden."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2488,"orig":"Denn was kannſt du fuͤr meine bloͤde Beſcheidenheit?","norm":"Denn was kannst du für meine blöde Bescheidenheit?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2489,"orig":"Ich hab es ja wol gewußt, daß wir jezt nicht zuſammen taugen.","norm":"Ich habe es ja wohl gewusst, dass wir jetzt nicht zusammen taugen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2490,"orig":"Ich erſchrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen Vater verſchikten — Herr von Walter, ich vermuthe, dieſer Augenblik wird uns beiden gleich unertraͤglich ſeyn — Wenn Sie mirs erlauben wollen, ſo geh ich, und bitte einige von meinen Bekannten her.","norm":"Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen Vater verschickten — Herr von Walter, ich vermute, dieser Augenblick wird uns beiden gleich unerträglich sein — wenn Sie mir es erlauben wollen, so gehe ich, und bitte einige von meinen Bekannten her."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2491,"orig":"O ja doch, das thu.","norm":"O ja doch, das tu."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2492,"orig":"Ich will auch gleich gehn, und von den meinigen bitten.","norm":"Ich will auch gleich gehen, und von den meinigen bitten."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2493,"orig":"Herr von Walter?","norm":"Herr von Walter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2494,"orig":"Bei meiner Ehre!","norm":"Bei meiner Ehre!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2495,"orig":"Der geſcheideſte Einfall, den ein Menſch in dieſer Lage nur haben kann.","norm":"Der gescheiteste Einfall, den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2496,"orig":"Wir machen aus dieſem verdruͤßlichen Duett eine Luſtbarkeit, und raͤchen uns mit Hilfe gewiſſer Galanterien an den Grillen der Liebe.","norm":"Wir machen aus diesem verdrießlichen Duett eine Lustbarkeit, und rächen uns mit Hilfe gewisser Galanterien an den Grillen der Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2497,"orig":"Sie ſind aufgeraͤumt, Herr von Walter?","norm":"Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2498,"orig":"Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter mir herzujagen!","norm":"Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter mir herzujagen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2499,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2500,"orig":"in Wahrheit Louiſe.","norm":"in Wahrheit Louise."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2501,"orig":"Dein Beiſpiel bekehrt mich — Du ſollſt meine Lehrerin ſeyn.","norm":"Dein Beispiel bekehrt mich — Du sollst meine Lehrerin sein."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2502,"orig":"Thoren ſinds, die von ewiger Liebe ſchwazen, ewiges Einerlei widerſteht, Veraͤnderung nur iſt das Salz des Vergnuͤgens — Topp Louiſe!","norm":"Toren sind es, die von ewiger Liebe schwatzen, ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das Salz des Vergnügens — Topp Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2503,"orig":"Ich bin dabei — Wir huͤpfen von Roman zu Romane, waͤlzen uns von Schlamme zu Schlamm — Du dahin — Ich dorthin — Vielleicht, daß meine verlorene Ruhe ſich in einem Bordell wieder finden laͤßt — Vielleicht, daß wir dann nach dem luſtigen Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmſten Ueberraſchung von der Welt zum zweitenmal aufeinander ſtoßen, daß wir uns da an dem gemeinſchaftlichen Familienzug, den kein Kind dieſer Mutter verlaͤugnet, wie in Komoͤdien wieder erkennen, daß Ekel und Schaam noch eine Harmonie veranſtalten, die der zaͤrtlichſten Liebe unmoͤglich geweſen iſt.","norm":"Ich bin dabei — wir hüpfen von Roman zu Romane, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm — Du dahin — Ich dorthin — vielleicht, dass meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell wiederfinden lässt — vielleicht, dass wir dann nach dem lustigen Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung von der Welt zum zweiten Mal aufeinanderstoßen, dass wir uns da an dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter verleugnet, wie in Komödien wiedererkennen, dass Ekel und Scham noch eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich gewesen ist."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2504,"orig":"O Juͤngling!","norm":"O Jüngling!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2505,"orig":"Juͤngling!","norm":"Jüngling!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2506,"orig":"Ungluͤklich biſt du ſchon, wilſt du es auch noch verdienen?","norm":"Unglücklich bist du schon, willst du es auch noch verdienen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2507,"orig":"Ungluͤklich bin ich?","norm":"Unglücklich bin ich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2508,"orig":"Wer hat dir das geſagt?","norm":"Wer hat dir das gesagt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2509,"orig":"Weib, du biſt zu ſchlecht, um ſelbſt zu empfinden — womit kannſt du eines andern Empfindungen waͤgen?","norm":"Weib, du bist zu schlecht, um selbst zu empfinden — womit kannst du eines anderen Empfindungen wägen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2510,"orig":"— Ungluͤklich, ſagte ſie?","norm":"— Unglücklich, sagte sie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2511,"orig":"— Ha!","norm":"— Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2512,"orig":"dieſes Wort koͤnnte meine Wut aus dem Grabe rufen!","norm":"dieses Wort könnte meine Wut aus dem Grabe rufen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2513,"orig":"— Ungluͤklich mußt ich werden, das wußte ſie.","norm":"— Unglücklich musst ich werden, das wusste sie."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2514,"orig":"Tod und Verdammniß!","norm":"Tod und Verdammnis!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2515,"orig":"das wußte ſie, und hat mich dennoch verrathen — Siehe Schlange!","norm":"das wusste sie, und hat mich dennoch verraten — Siehe Schlange!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2516,"orig":"Das war der einzige Flek der Vergebung — Deine Auſſage bricht dir den Hals — Biß jezt konnt ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beſchoͤnigen, in meiner Verachtung waͤrſt du beinahe meiner Rache entſprungen.","norm":"Das war der einzige Fleck der Vergebung — Deine Aussage bricht dir den Hals — bis jetzt konnte ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2517,"orig":"Alſo leichtſinnig warſt du nicht — dumm warſt du nicht — du warſt nur ein Teufel Die Limonade iſt matt, wie deine Seele — Verſuche!","norm":"Also leichtsinnig warst du nicht — dumm warst du nicht — du warst nur ein Teufel die Limonade ist matt, wie deine Seele — Versuche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2518,"orig":"O Himmel!","norm":"O Himmel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2519,"orig":"Nicht umſonſt hab ich dieſen Auftritt gefuͤrchtet.","norm":"Nicht umsonst habe ich diesen Auftritt gefürchtet."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2520,"orig":"Verſuche!","norm":"Versuche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2521,"orig":"Die Limonade iſt gut.","norm":"Die Limonade ist gut."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2522,"orig":"Wohl bekomms!","norm":"Wohl bekomme es!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2523,"orig":"O wenn Sie wuͤßten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.","norm":"O wenn Sie wüssten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele beleidigen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2524,"orig":"Hum!","norm":"Hum!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2525,"orig":"Es wird eine Zeit kommen, Walter —","norm":"Es wird eine Zeit kommen, Walter —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2526,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2527,"orig":"Mit der Zeit waͤren wir fertig.","norm":"Mit der Zeit wären wir fertig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2528,"orig":"Wo der heutige Abend ſchwer auf Ihr Herz fallen duͤrfte —","norm":"Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen dürfte —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2529,"orig":"Gute Nacht, Herrendienſt!","norm":"Gute Nacht, Herrendienst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2530,"orig":"Mein Gott!","norm":"Mein Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2531,"orig":"Wie wird Ihnen?","norm":"Wie wird Ihnen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2532,"orig":"Heiß und enge — will mirs bequemer machen.","norm":"Heiß und enge — will mir es bequemer machen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2533,"orig":"Trinken Sie!","norm":"Trinken Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2534,"orig":"Trinken Sie!","norm":"Trinken Sie!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2535,"orig":"Der Trank wird Sie kuͤhlen.","norm":"Der Trank wird Sie kühlen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2536,"orig":"Das wird er auch ganz gewiß — Die Maͤze iſt gutherzig, doch!","norm":"Das wird er auch ganz gewiss — die Metze ist gutherzig, doch!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2537,"orig":"das ſind alle!","norm":"das sind alle!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2538,"orig":"Das deiner Louiſe, Ferdinand?","norm":"Das deiner Louise, Ferdinand?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2539,"orig":"Fort!","norm":"Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2540,"orig":"Fort!","norm":"Fort!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2541,"orig":"Dieſe ſanfte ſchmelzende Augen weg!","norm":"Diese sanfte schmelzende Augen weg!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2542,"orig":"Ich erliege.","norm":"Ich erliege."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2543,"orig":"Komm in deiner ungeheuren Furchtbarkeit, Schlange, ſpring an mir auf, Wurm — krame vor mir deine graͤßliche Knoten aus, baͤume deine Wirbel zum Himmel — So abſcheulich als dich jemals der Abgrund ſah — Nur keinen Engel mehr — Nur jezt keinen Engel mehr — es iſt zu ſpaͤt — Ich muß dich zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln — Erbarme dich!","norm":"Komme in deiner ungeheuren Furchtbarkeit, Schlange, spring an mir auf, Wurm — krame vor mir deine grässliche Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel — so abscheulich als dich jemals der Abgrund sah — nur keinen Engel mehr — nur jetzt keinen Engel mehr — es ist zu spät — Ich muss dich zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln — Erbarme dich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2544,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2545,"orig":"Daß es ſo weit kommen mußte!","norm":"Dass es so weit kommen musste!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2546,"orig":"Dieſes ſchoͤne Werk des himmliſchen Bildners — Wer kann das glauben?","norm":"Dieses schöne Werk des himmlischen Bildners — wer kann das glauben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2547,"orig":"— Wer ſollte das glauben?","norm":"— Wer sollte das glauben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2548,"orig":"Ich will dich nicht zur Rede ſtellen, Gott Schoͤpfer — aber warum denn dein Gift in ſo ſchoͤnen Gefaͤſſen?","norm":"Ich will dich nicht zur Rede stellen, Gott Schöpfer — aber warum denn dein Gift in so schönen Gefäßen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2549,"orig":"— — Kann das Laſter in dieſem milden Himmelſtrich fortkommen?","norm":"— — kann das Laster in diesem milden Himmelstrich fortkommen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2550,"orig":"— O es iſt ſeltſam.","norm":"— O es ist seltsam."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2551,"orig":"Das anzuhoͤren, und ſchweigen zu muͤſſen!","norm":"Das anzuhören, und schweigen zu müssen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2552,"orig":"Und die ſuͤße melodiſche Stimme — Wie kann ſo viel Wohlklang kommen aus zerriſſenen Saiten?","norm":"Und die süße melodische Stimme — wie kann so viel Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2553,"orig":"Alles ſo ſchoͤn — ſo voll Ebenmaas — ſo goͤttlich vollkommen!","norm":"Alles so schön — so voll Ebenmaß — so göttlich vollkommen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2554,"orig":"— Ueberal das Werk ſeiner himmliſchen Schaͤferſtunde!","norm":"— Überall das Werk seiner himmlischen Schäferstunde!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2555,"orig":"Bei Gott!","norm":"Bei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2556,"orig":"als waͤre die große Welt nur entſtanden, den Schoͤpfer fuͤr dieſes Meiſterſtuͤk in Laune zu ſezen!","norm":"als wäre die große Welt nur entstanden, den Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2557,"orig":"— — Und nur in der Seele ſolte Gott ſich vergriffen haben?","norm":"— — und nur in der Seele sollte Gott sich vergriffen haben?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2558,"orig":"Iſt es moͤglich, daß dieſe empoͤrende Mißgeburt in die Natur ohne Tadel kam?","norm":"Ist es möglich, dass diese empörende Missgeburt in die Natur ohne Tadel kam?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2559,"orig":"Oder ſah er einen Engel unter dem Meiſſel hervorgehen, und half dieſem Irrthum in der Eile mit einem deſto ſchlechteren Herzen ab?","norm":"Oder sah er einen Engel unter dem Meißel hervorgehen, und half diesem Irrtum in der Eile mit einem desto schlechteren Herzen ab?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2560,"orig":"O des frevelhaften Eigenſinns!","norm":"O des frevelhaften Eigensinns!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2561,"orig":"Ehe er ſich eine Uebereilung geſtaͤnde, greift er lieber den Himmel an.","norm":"Ehe er sich eine Übereilung gestände, greift er lieber den Himmel an."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2562,"orig":"Noch einmal Louiſe — Noch einmal, wie am Tag unſers erſten Kuſſes, da du Ferdinand ſtammelteſt, und das erſte Du auf deine brennende Lippen trat — O eine Saat unendlicher unausſprechlicher Freuden ſchien in dem Augenblik wie in der Knoſpe zu liegen — Da lag die Ewigkeit wie ein ſchoͤner Maitag vor unſern Augen; goldne Jahrtauſende huͤpften, wie Braͤute, vor unſrer Seele vorbei — — Da war ich der Gluͤkliche!","norm":"Noch einmal Louise — noch einmal, wie am Tag unseres ersten Kusses, da du Ferdinand stammeltest, und das erste Du auf deine brennende Lippen trat — O eine Saat unendlicher unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick wie in der Knospe zu liegen — da lag die Ewigkeit wie ein schöner Maitag vor unseren Augen; goldene Jahrtausende hüpften, wie Bräute, vor unserer Seele vorbei — — da war ich der Glückliche!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2563,"orig":"— O Louiſe!","norm":"— O Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2564,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2565,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2566,"orig":"Warum haſt du mir das gethan?","norm":"Warum hast du mir das getan?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2567,"orig":"Weinen Sie, weinen Sie Walter.","norm":"Weinen Sie, weinen Sie Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2568,"orig":"Ihre Wehmut wird gerechter gegen mich ſeyn, als Ihre Entruͤſtung.","norm":"Ihre Wehmut wird gerechter gegen mich sein, als Ihre Entrüstung."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2569,"orig":"Du betruͤgſt dich.","norm":"Du betrügst dich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2570,"orig":"Das ſind ihre Traͤnen nicht — Nicht jener warme wolluͤſtige Thau, der in die Wunde der Seele balſamiſch fließt, und das ſtarre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt.","norm":"Das sind ihre Tränen nicht — nicht jener warme wollüstige Tau, der in die Wunde der Seele balsamisch fließt, und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2571,"orig":"Es ſind einzelne — kalte Tropfen — das ſchauerliche ewige Lebewol meiner Liebe.","norm":"Es sind einzelne — kalte Tropfen — das schauerliche ewige Lebewohl meiner Liebe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2572,"orig":"Traͤnen um deine Seele, Louiſe — Traͤnen um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die ſo muthwillig um das herrlichſte ihrer Werke kommt — O mich daͤucht, die ganze Schoͤpfung ſolte den Flor anlegen, und uͤber das Beiſpiel betreten ſeyn, das in ihrer Mitte geſchieht — Es iſt was gemeines, daß Menſchen fallen, und Paradieſe verloren werden; aber wenn die Peſt unter Engel wuͤthet, ſo rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.","norm":"Tränen um deine Seele, Louise — Tränen um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so mutwillig um das herrlichste ihrer Werke kommt — O mich deucht, die ganze Schöpfung sollte den Flor anlegen, und über das Beispiel betreten sein, das in ihrer Mitte geschieht — es ist was Gemeines, dass Menschen fallen, und Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wütet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2573,"orig":"Treiben Sie mich nicht aufs aͤuſerſte, Walter.","norm":"Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2574,"orig":"Ich habe Seelenſtaͤrke ſo gut wie eine — aber ſie muß auf eine menſchliche Probe kommen.","norm":"Ich habe Seelenstärke so gut wie eine — aber sie muss auf eine menschliche Probe kommen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2575,"orig":"Walter, das Wort noch, und dann geſchieden — — Ein entſezliches Schikſal hat die Sprache unſrer Herzen verwirrt.","norm":"Walter, das Wort noch, und dann geschieden — — ein entsetzliches Schicksal hat die Sprache unserer Herzen verwirrt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2576,"orig":"Duͤrft ich den Mund aufthun, Walter, ich koͤnnte dir Dinge ſagen — ich koͤnnte — — aber das harte Verhaͤngniß band meine Zunge, wie meine Liebe, und dulden muß ichs, wenn du mich wie eine gemeine Maͤze mishandelſt.","norm":"Dürft ich den Mund auftun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen — ich könnte — — aber das harte Verhängnis band meine Zunge, wie meine Liebe, und dulden muss ich es, wenn du mich wie eine gemeine Metze misshandelst."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2577,"orig":"Fuͤhlſt du dich wohl, Louiſe?","norm":"Fühlst du dich wohl, Louise?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2578,"orig":"Wozu dieſe Frage?","norm":"Wozu diese Frage?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2579,"orig":"Sonſt ſolte mirs leid um dich thun, wenn du mit dieſer Luͤge von hinnen muͤßteſt.","norm":"Sonst sollte mir es leid um dich tun, wenn du mit dieser Lüge von hinnen müsstest."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2580,"orig":"Ich beſchwoͤre Sie Walter —","norm":"Ich beschwöre Sie Walter —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2581,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2582,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2583,"orig":"zu ſataniſch waͤre dieſe Rache!","norm":"zu satanisch wäre diese Rache!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2584,"orig":"Nein!","norm":"Nein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2585,"orig":"Gott bewahre mich!","norm":"Gott bewahre mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2586,"orig":"in jene Welt hinaus will ichs nicht treiben — Louiſe!","norm":"in jene Welt hinaus will ich es nicht treiben — Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2587,"orig":"Haſt du den Marſchall geliebt?","norm":"Hast du den Marschall geliebt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2588,"orig":"Du wirſt nicht mehr aus dieſem Zimmer gehen.","norm":"Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2589,"orig":"Fragen Sie was Sie wollen.","norm":"Fragen Sie was Sie wollen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2590,"orig":"Ich antworte nichts mehr.","norm":"Ich antworte nichts mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2591,"orig":"Sorge fuͤr deine unſterbliche Seele, Louiſe!","norm":"Sorge für deine unsterbliche Seele, Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2592,"orig":"— Haſt du den Marſchall geliebt?","norm":"— Hast du den Marschall geliebt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2593,"orig":"Du wirſt nicht mehr aus dieſem Zimmer gehen.","norm":"Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2594,"orig":"Ich antworte nichts mehr.","norm":"Ich antworte nichts mehr."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2595,"orig":"Louiſe!","norm":"Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2596,"orig":"Haſt du den Marſchall geliebt?","norm":"Hast du den Marschall geliebt?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2597,"orig":"Ehe dieſes Licht noch ausbrennt — ſtehſt du — vor Gott!","norm":"Ehe dieses Licht noch ausbrennt — stehst du — vor Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2598,"orig":"Jeſus!","norm":"Jesus!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2599,"orig":"Was iſt das?","norm":"Was ist das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2600,"orig":"— — — und mir wird ſehr uͤbel.","norm":"— — — und mir wird sehr übel."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2601,"orig":"Schon?","norm":"Schon?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2602,"orig":"— Ueber euch Weiber und das ewige Raͤzel!","norm":"— Über euch Weiber und das ewige Rätsel!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2603,"orig":"Die zaͤrtliche Nerve haͤlt Freveln feſt, die die Menſchheit an ihren Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arſenik wirft ſie um —","norm":"Die zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2604,"orig":"Gift!","norm":"Gift!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2605,"orig":"Gift!","norm":"Gift!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2606,"orig":"O mein Herrgott!","norm":"O mein Herrgott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2607,"orig":"So fuͤrcht ich.","norm":"So fürchte ich."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2608,"orig":"Deine Limonade war in der Hoͤlle gewuͤrzt.","norm":"Deine Limonade war in der Hölle gewürzt."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2609,"orig":"Du haſt ſie dem Tod zugetrunken.","norm":"Du hast sie dem Tod zugetrunken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2610,"orig":"Sterben!","norm":"Sterben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2611,"orig":"Sterben!","norm":"Sterben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2612,"orig":"Gott Allbarmherziger!","norm":"Gott Allbarmherziger!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2613,"orig":"Gift in der Limonade und ſterben!","norm":"Gift in der Limonade und sterben!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2614,"orig":"— O meiner Seele erbarme dich Gott der Erbarmer!","norm":"— O meiner Seele erbarme dich Gott der Erbarmer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2615,"orig":"Das iſt die Hauptſache.","norm":"Das ist die Hauptsache."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2616,"orig":"Ich bitt ihn auch darum.","norm":"Ich bitte ihn auch darum."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2617,"orig":"Und meine Mutter — mein Vater — Heiland der Welt!","norm":"Und meine Mutter — mein Vater — Heiland der Welt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2618,"orig":"mein armer verlorener Vater!","norm":"mein armer verlorener Vater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2619,"orig":"Iſt keine Rettung mehr?","norm":"Ist keine Rettung mehr?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2620,"orig":"Mein junges Leben und keine Rettung!","norm":"Mein junges Leben und keine Rettung!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2621,"orig":"und muß ich jezt ſchon dahin?","norm":"und muss ich jetzt schon dahin?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2622,"orig":"Keine Rettung, muſt jezt ſchon dahin — aber ſei ruhig.","norm":"Keine Rettung, musst jetzt schon dahin — aber sei ruhig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2623,"orig":"Wir machen die Reiſe zuſammen.","norm":"Wir machen die Reise zusammen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2624,"orig":"Ferdinand auch du!","norm":"Ferdinand auch du!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2625,"orig":"Gift Ferdinand!","norm":"Gift Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2626,"orig":"Von dir?","norm":"Von dir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2627,"orig":"O Gott vergiß es ihm — Gott der Gnade, nimm die Suͤnde von ihm —","norm":"O Gott vergiss es ihm — Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2628,"orig":"Sieh du nach deinen Rechnungen — Ich fuͤrchte, ſie ſtehen uͤbel.","norm":"Sieh du nach deinen Rechnungen — Ich fürchte, sie stehen übel."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2629,"orig":"Ferdinand!","norm":"Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2630,"orig":"Ferdinand!","norm":"Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2631,"orig":"— O — Nun kann ich nicht mehr ſchweigen — der Tod — der Tod hebt alle Eide auf — Ferdinand — Himmel und Erde hat nichts ungluͤkſeligers als dich — Ich ſterbe unſchuldig, Ferdinand.","norm":"— O — nun kann ich nicht mehr schweigen — der Tod — der Tod hebt alle Eide auf — Ferdinand — Himmel und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich — Ich sterbe unschuldig, Ferdinand."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2632,"orig":"Was ſagt ſie da?","norm":"Was sagt sie da?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2633,"orig":"— Eine Luͤge pflegt man doch ſonſt nicht auf dieſe Reiſe zu nehmen?","norm":"— Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2634,"orig":"Ich luͤge nicht — luͤge nicht — hab nur einmal gelogen mein Lebenlang — Huh!","norm":"Ich lüge nicht — lüge nicht — habe nur einmal gelogen mein Lebenl ang — Huh!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2635,"orig":"Wie das eiskalt durch meine Adern ſchauert — — als ich den Brief ſchrieb an den Hofmarſchall —","norm":"Wie das eiskalt durch meine Adern schauert — — als ich den Brief schrieb an den Hofmarschall —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2636,"orig":"Ha!","norm":"Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2637,"orig":"dieſer Brief!","norm":"dieser Brief!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2638,"orig":"— Gottlob!","norm":"— Gottlob!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2639,"orig":"Jezt hab ich all meine Mannheit wieder.","norm":"Jetzt habe ich all meine Mannheit wieder."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2640,"orig":"Dieſer Brief — Faſſe dich, ein entſezliches Wort zu hoͤren — Meine Hand ſchrieb, was mein Herz verdammte — dein Vater hat ihn diktiert.","norm":"Dieser Brief — Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu hören — Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte — dein Vater hat ihn diktiert."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2641,"orig":"O des klaͤglichen Mißverſtands — Ferdinand — Man zwang mich — vergib — deine Louiſe haͤtte den Tod vorgezogen — aber mein Vater — die Gefahr — ſie machten es liſtig.","norm":"O des kläglichen Missverstands — Ferdinand — Man zwang mich — vergib — deine Louise hätte den Tod vorgezogen — aber mein Vater — die Gefahr — sie machten es listig."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2642,"orig":"Gelobet ſey Gott!","norm":"Gelobt sei Gott!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2643,"orig":"Noch ſpuͤr ich den Gift nicht","norm":"Noch spür ich den Gift nicht"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2644,"orig":"Weh!","norm":"Weh!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2645,"orig":"Was beginnſt du?","norm":"Was beginnst du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2646,"orig":"Es iſt dein Vater —","norm":"Es ist dein Vater —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2647,"orig":"Moͤrder und Moͤrdervater!","norm":"Mörder und Mördervater!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2648,"orig":"— Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen raſe","norm":"— Mit muss er, dass der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2649,"orig":"Sterbend vergab mein Erloͤſer — Heil uͤber dich und ihn","norm":"Sterbend vergab mein Erlöser — Heil über dich und ihn"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2650,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2651,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2652,"orig":"Entſpringe mir nicht Engel des Himmels!","norm":"Entspringe mir nicht Engel des Himmels!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2653,"orig":"Kalt, kalt und feucht!","norm":"Kalt, kalt und feucht!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2654,"orig":"Ihre Seele iſt dahin Gott meiner Louiſe!","norm":"Ihre Seele ist dahin Gott meiner Louise!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2655,"orig":"Gnade!","norm":"Gnade!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2656,"orig":"Gnade dem Verruchteſten der Moͤrder!","norm":"Gnade dem Verruchtesten der Mörder!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2657,"orig":"Es war ihr leztes Gebet!","norm":"Es war ihr letztes Gebet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2658,"orig":"— — Wie reizend und ſchoͤn auch im Leichnam!","norm":"— — wie reizend und schön auch im Leichnam!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2659,"orig":"Der geruͤhrte Wuͤrger gieng ſchonend uͤber dieſe freundliche Wangen hin — Dieſe Sanftmuth war keine Larve — ſie hat auch dem Tod ſtand gehalten Aber wie?","norm":"Der gerührte Würger ging schonend über diese freundliche Wangen hin — diese Sanftmut war keine Larve — sie hat auch dem Tod standgehalten Aber wie?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2660,"orig":"Warum fuͤhl ich nichts?","norm":"Warum fühle ich nichts?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2661,"orig":"Will die Kraft meiner Jugend mich retten?","norm":"Will die Kraft meiner Jugend mich retten?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2662,"orig":"Undankbare Muͤhe!","norm":"Undankbare Mühe!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2663,"orig":"Das iſt meine Meinung nicht","norm":"Das ist meine Meinung nicht"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2664,"orig":"Sohn, was iſt das?","norm":"Sohn, was ist das?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2665,"orig":"— Ich will doch nimmermehr glauben —","norm":"— Ich will doch nimmermehr glauben —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2666,"orig":"So ſieh Moͤrder!","norm":"So sieh Mörder!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2667,"orig":"Mein Sohn!","norm":"Mein Sohn!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2668,"orig":"Warum haſt du mir das gethan?","norm":"Warum hast du mir das getan?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2669,"orig":"O ja freilich!","norm":"O ja freilich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2670,"orig":"Ich haͤtte den Staatsmann erſt hoͤren ſollen, ob der Streich auch zu ſeinen Charten paſſe?","norm":"Ich hätte den Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten passe?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2671,"orig":"— Fein und bewundernswerth, ich geſteh's, war die Finte, den Bund unſrer Herzen zu zerreiſſen durch Eiferſucht — Die Rechnung hatte ein Meiſter gemacht, aber ſchade nur, daß die zuͤrnende Liebe dem Draht nicht ſo gehorſam blieb, wie deine hoͤlzerne Puppe.","norm":"— Fein und bewundernswert, ich gestehe es, war die Finte, den Bund unserer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht — die Rechnung hatte ein Meister gemacht, aber schade nur, dass die zürnende Liebe dem Draht nicht so Gehorsam blieb, wie deine hölzerne Puppe."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2672,"orig":"Iſt hier niemand, der um einen troſtloſen Vater weinte?","norm":"Ist hier niemand, der um einen trostlosen Vater weinte?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2673,"orig":"Laßt mich hinein!","norm":"Lasst mich hinein!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2674,"orig":"Um Gotteswillen!","norm":"Um Gottes willen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2675,"orig":"Laßt mich!","norm":"Lasst mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2676,"orig":"Das Maͤdchen iſt eine Heilige — fuͤr ſie muß ein anderer rechten","norm":"Das Mädchen ist eine Heilige — für sie muss ein anderer rechten"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2677,"orig":"Mein Kind!","norm":"Mein Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2678,"orig":"Mein Kind!","norm":"Mein Kind!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2679,"orig":"— Gift — Gift, ſchreyt man, ſey hier genommen worden — Meine Tochter!","norm":"— Gift — Gift, schreit man, sei hier genommen worden — Meine Tochter!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2680,"orig":"Wo biſt du?","norm":"Wo bist du?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2681,"orig":"Ich bin unſchuldig — Danke dieſem hier.","norm":"Ich bin unschuldig — Danke diesem hier."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2682,"orig":"O Jeſus!","norm":"O Jesus!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2683,"orig":"In wenig Worten Vater — ſie fangen an mir koſtbar zu werden — Ich bin buͤbiſch um mein Leben beſtohlen, beſtohlen durch Sie, Wie ich mit Gott ſtehe, zittre ich — doch ein Boͤſewicht bin ich niemals geweſen.","norm":"In wenig Worten Vater — sie fangen an mir kostbar zu werden — Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie, wie ich mit Gott stehe, zittre ich — doch ein Bösewicht bin ich niemals gewesen."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2684,"orig":"Mein ewiges Loos falle, wie es will — auf Sie fall es nicht — Aber ich hab einen Mord begangen einen Mord, den Du mir nicht zumuthen wirſt allein vor den Richter der Welt hinzuſchleppen, feierlich waͤlz ich dir hier die groͤßte graͤßlichſte Haͤlfte zu, wie du damit zurecht kommen magſt, ſiehe du ſelber Hier Barbar!","norm":"Mein ewiges Los falle, wie es will — auf Sie fall es nicht — Aber ich habe einen Mord begangen einen Mord, den Du mir nicht zumuten wirst allein vor den Richter der Welt hinzuschleppen, feierlich wälze ich dir hier die größte grässlichste Hälfte zu, wie du damit zurechtkommen magst, siehe du selber hier Barbar!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2685,"orig":"weide dich an der entſezlichen Frucht deines Wizes, auf dieſes Geſicht iſt mit Verzerrungen Dein Name geſchrieben, und die Wuͤrgengel werden ihn leſen — Eine Geſtalt, wie dieſe, ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du ſchlaͤfſt, und gebe dir ihre eiskalte Hand — Eine Geſtalt, wie dieſe, ſtehe vor deiner Seele, wenn du ſtirbſt, und draͤnge dein leztes Gebet weg.","norm":"Weide dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht ist mit Verzerrungen Dein Name geschrieben, und die Würgengel werden ihn lesen — eine Gestalt, wie diese, ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand — eine Gestalt, wie diese, stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2686,"orig":"— Eine Geſtalt, wie dieſe, ſtehe auf deinem Grabe, wenn du auferſtehſt — und neben Gott, wenn er dich richtet","norm":"— Eine Gestalt, wie diese, stehe auf deinem Grabe, wenn du auferstehst — und neben Gott, wenn er dich richtet"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2687,"orig":"Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fodre dieſe Seelen von Dieſem!","norm":"Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fodre diese Seelen von Diesem!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2688,"orig":"Von Mir?","norm":"Von Mir?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2689,"orig":"Verfluchter von Dir!","norm":"Verfluchter von Dir!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2690,"orig":"Von Dir Satan!","norm":"Von Dir Satan!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2691,"orig":"— Du, du gabſt den Schlangenrath — Ueber Dich die Verantwortung — Ich waſche die Haͤnde.","norm":"— Du, du gabst den Schlangenrat — über Dich die Verantwortung — Ich wasche die Hände."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2692,"orig":"Ueber mich?","norm":"Über mich?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2693,"orig":"Luſtig!","norm":"Lustig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2694,"orig":"Luſtig!","norm":"Lustig!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2695,"orig":"So weiß ich doch nun auch, auf was Art ſich die Teufel danken.","norm":"So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel danken."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2696,"orig":"— Ueber mich dummer Boͤſewicht?","norm":"— Über mich dummer Bösewicht?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2697,"orig":"Wa es mein Sohn?","norm":"Wa es mein Sohn?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2698,"orig":"War ich dein Gebieter?","norm":"War ich dein Gebieter?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2699,"orig":"— Ueber mich die Verantwortung?","norm":"— Über mich die Verantwortung?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2700,"orig":"Ha!","norm":"Ha!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2701,"orig":"bei dieſem Anblik, der alles Mark in meinen Gebeinen erkaͤltet!","norm":"bei diesem Anblick, der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2702,"orig":"Ueber mich ſoll ſie kommen!","norm":"Über mich soll sie kommen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2703,"orig":"— Jezt will ich verlohren ſeyn, aber Du ſolſt es mit mir ſeyn — Auf!","norm":"— Jetzt will ich verloren sein, aber Du sollst es mit mir sein — auf!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2704,"orig":"Auf!","norm":"Auf!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2705,"orig":"Ruft Mord durch die Gaſſen!","norm":"Ruft Mord durch die Gassen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2706,"orig":"Wekt die Juſtiz auf!","norm":"Weckt die Justiz auf!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2707,"orig":"Gerichtsdiener bindet mich!","norm":"Gerichtsdiener bindet mich!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2708,"orig":"Fuͤhrt mich von hinnen!","norm":"Führt mich von hinnen!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2709,"orig":"Ich will Geheimniſſe aufdeken, daß denen, die ſie hoͤren, die Haut ſchauern ſoll","norm":"Ich will Geheimnisse aufdecken, dass denen, die sie hören, die Haut schauern soll"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2710,"orig":"Du wirſt doch nicht, Raſender?","norm":"Du wirst doch nicht, rasender?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2711,"orig":"Ich werde, Kamerad!","norm":"Ich werde, Kamerad!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2712,"orig":"Ich werde — Raſend bin ich, das iſt wahr — das iſt dein Werk — ſo will ich auch jezt handeln wie ein Raſender — Arm in Arm mit Dir zum Blutgeruͤſt!","norm":"Ich werde — rasend bin ich, das ist wahr — das ist dein Werk — so will ich auch jetzt handeln wie ein Rasender — Arm in Arm mit Dir zum Blutgerüst!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2713,"orig":"Arm in Arm mit Dir zur Hoͤlle!","norm":"Arm in Arm mit Dir zur Hölle!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2714,"orig":"Es ſoll mich kizeln, Bube, mit Dir verdammt zu ſeyn","norm":"Es soll mich kitzeln, Bube, mit Dir verdammt zu sein"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2715,"orig":"Giftmiſcher!","norm":"Giftmischer!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2716,"orig":"Behalt dein verfluchtes Gold!","norm":"Behalte dein verfluchtes Gold!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2717,"orig":"— Wolteſt du mir mein Kind damit abkaufen?","norm":"— Wolltest du mir mein Kind damit abkaufen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2718,"orig":"Geht ihm nach!","norm":"Geht ihm nach!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2719,"orig":"Er verzweifelt — Das Geld hier ſoll man ihm retten — Es iſt meine fuͤrchterliche Erkenntlichkeit Louiſe — Louiſe — Ich komme — — Lebt wol — — Laßt mich an dieſem Altar verſcheiden —","norm":"Er verzweifelt — das Geld hier soll man ihm retten — es ist meine fürchterliche Erkenntlichkeit Louise — Louise — Ich komme — — lebt wohl — — lasst mich an diesem Altar verscheiden —"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2720,"orig":"Sohn Ferdinand!","norm":"Sohn Ferdinand!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2721,"orig":"Soll kein Blik mehr auf einen zerſchmetterten Vater fallen?","norm":"Soll kein Blick mehr auf einen zerschmetterten Vater fallen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2722,"orig":"Gott dem Erbarmenden gehoͤrt dieſer lezte.","norm":"Gott dem Erbarmenden gehört dieser letzte."} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2723,"orig":"Geſchoͤpf und Schoͤpfer verlaſſen mich — Soll kein Blik mehr zu meiner lezten Erquikung fallen?","norm":"Geschöpf und Schöpfer verlassen mich — Soll kein Blick mehr zu meiner letzten Erquickung fallen?"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2724,"orig":"Er vergab mir!","norm":"Er vergab mir!"} {"basename":"schiller_kabale_1784","par_idx":2725,"orig":"Jezt euer Gefangener!","norm":"Jetzt euer Gefangener!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":0,"orig":"Wenn aber die Großmama kommt im Herbſt, dann gibt es gewiß noch manche neue Freude und Ueberraſchung für das Heidi wie für die Großmutter, und ſicher kommt auch gleich ein richtiges Bett auf den Heuboden hinauf, denn wo die Großmama hintritt, da kommen alle Dinge bald in die erwünſchte Ordnung und Richtigkeit, nach außen wie nach innen.","norm":"Wenn aber die Großmama kommt im Herbst, dann gibt es gewiss noch manche neue Freude und Überraschung für das Heidi wie für die Großmutter, und sicher kommt auch gleich ein richtiges Bett auf den Heuboden hinauf, denn wo die Großmama hintritt, da kommen alle Dinge bald in die erwünschte Ordnung und Richtigkeit, nach außen wie nach innen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1,"orig":"Vom freundlichen Dorfe Mayenfeld führt ein Fußweg durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen, die von dieſer Seite groß und ernſt auf das Thal herniederſchauen.","norm":"Vom freundlichen Dorfe Maienfeld führt ein Fußweg durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen, die von dieser Seite groß und ernst auf das Tal herniederschauen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2,"orig":"Wo der Fußweg zu ſteigen anfängt, beginnt bald Haideland mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern dem Kommenden entgegenzuduften, denn der Fußweg geht ſteil und direkt zu den Alpen hinauf.","norm":"Wo der Fußweg zu steigen anfängt, beginnt bald Heideland mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern dem Kommenden entgegenzuduften, denn der Fußweg geht steil und direkt zu den Alpen hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":3,"orig":"Auf dieſem ſchmalen Bergpfade ſtieg am hellen, ſonnigen Junimorgen ein großes, kräftig ausſehendes Mädchen dieſes Berglandes hinan, ein Kind an der Hand führend, deſſen Wangen ſo glühend waren, daß ſie ſelbſt die ſonnverbrannte, völlig braune Haut des Kindes flammendroth durchleuchteten.","norm":"Auf diesem schmalen Bergpfade stieg am hellen, sonnigen Junimorgen ein großes, kräftig aussehendes Mädchen dieses Berglandes hinan, ein Kind an der Hand führend, dessen Wangen so glühend waren, dass sie selbst die sonnverbrannte, völlig braune Haut des Kindes flammendrot durchleuchteten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":4,"orig":"Es war auch kein Wunder, das Kind war trotz der heißen Juniſonne ſo verpackt, als hätte es ſich eines bitteren Froſtes zu erwehren.","norm":"Es war auch kein Wunder, das Kind war trotz der heißen Junisonne so verpackt, als hätte es sich eines bitteren Frostes zu erwehren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":5,"orig":"Das kleine Mädchen mochte kaum fünf Jahre zählen; was aber ſeine natürliche Geſtalt war, konnte man nicht erſehen, denn es hatte ſichtlich zwei, wenn nicht drei Kleider übereinander angezogen und drüberhin ein großes, rothes Baumwollentuch um und um gebunden, ſo daß die kleine Perſon eine völlig formloſe Figur darſtellte, die, in zwei ſchwere, mit Nägeln beſchlagene Bergſchuhe geſteckt, ſich heiß und mühſam den Berg hinaufarbeitete.","norm":"Das kleine Mädchen mochte kaum fünf Jahre zählen; was aber seine natürliche Gestalt war, konnte man nicht ersehen, denn es hatte sichtlich zwei, wenn nicht drei Kleider übereinander angezogen und drüber hin ein großes, rotes Baumwollentuch um und um gebunden, so dass die kleine Person eine völlig formlose Figur darstellte, die, in zwei schwere, mit Nägeln beschlagene Bergschuhe gesteckt, sich heiß und mühsam den Berg hinaufarbeitete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":6,"orig":"Eine Stunde vom Thal aufwärts mochten die Beiden geſtiegen ſein, als ſie zu dem Weiler kamen, der auf halber Höhe der Alm liegt und „im Dörfii“ heißt.","norm":"Eine Stunde vom Tal aufwärts mochten die Beiden gestiegen sein, als sie zu dem Weiler kamen, der auf halber Höhe der Alm liegt und „im Dörfli“ heißt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":7,"orig":"Hier wurden die Wandernden faſt von jedem Hauſe aus angerufen, einmal vom Fenſter, einmal von einer Hauſthüre und einmal vom Wege her, denn das Mädchen war in ſeinem Heimatsort angelangt.","norm":"Hier wurden die Wandernden fast von jedem Hause aus angerufen, einmal vom Fenster, einmal von einer Haustür und einmal vom Wege her, denn das Mädchen war in seinem Heimatsort angelangt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":8,"orig":"Es machte aber nirgends Halt, ſondern erwiderte alle zugerufenen Grüße und Fragen im Vorbeigehen, ohne ſtill zu ſtehen, bis es am Ende des Weilers bei dem letzten der zerſtreuten Häuschen angelangt war.","norm":"Es machte aber nirgends Halt, sondern erwiderte alle zugerufenen Grüße und Fragen im Vorbeigehen, ohne stillzustehen, bis es am Ende des Weilers bei dem letzten der zerstreuten Häuschen angelangt war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":9,"orig":"Hier rief es aus einer Thür: „Wart' einen Augenblick, Dete, ich komme mit, wenn du weiter hinaufgehſt.","norm":"Hier rief es aus einer Tür: „Warte einen Augenblick, Dete, ich komme mit, wenn du weiter hinaufgehst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":10,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":11,"orig":"Die Angeredete ſtand ſtill, ſofort machte ſich das Kind von ihrer Hand los und ſetzte ſich auf den Boden.","norm":"Die Angeredete stand still, sofort machte sich das Kind von ihrer Hand los und setzte sich auf den Boden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":12,"orig":"„Biſt du müde, Heidi?“ fragte die Begleiterin.","norm":"„Bist du müde, Heidi?“ fragte die Begleiterin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":13,"orig":"„Nein, es iſt mir heiß“, entgegnete das Kind.","norm":"„Nein, es ist mir heiß“, entgegnete das Kind."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":14,"orig":"„Wir ſind jetzt gleich oben, du mußt dich nur noch ein wenig anſtrengen und große Schritte nehmen, dann ſind wir in einer Stunde oben“, ermunterte die Gefährtin.","norm":"„Wir sind jetzt gleich oben, du musst dich nur noch ein wenig anstrengen und große Schritte nehmen, dann sind wir in einer Stunde oben“, ermunterte die Gefährtin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":15,"orig":"Jetzt trat eine breite, gutmüthig ausſehende Frau aus der Thür und geſellte ſich zu den Beiden.","norm":"Jetzt trat eine breite, gutmütig aussehende Frau aus der Tür und gesellte sich zu den Beiden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":16,"orig":"Das Kind war aufgeſtanden und wanderte nun hinter den zwei alten Bekannten her, die ſofort in ein lebhaftes Geſpräch geriethen über allerlei Bewohner des „Dörfli“ und vieler umherliegenden Behauſungen.","norm":"Das Kind war aufgestanden und wanderte nun hinter den zwei alten Bekannten her, die sofort in ein lebhaftes Gespräch gerieten über allerlei Bewohner des „Dörfli“ und vieler umherliegender Behausungen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":17,"orig":"„Aber wohin willſt du eigentlich mit dem Kind, Dete?“ fragte jetzt die neu Hinzugekommene.","norm":"„Aber wohin willst du eigentlich mit dem Kind, Dete?“ fragte jetzt die neu Hinzugekommene."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":18,"orig":"„Es wird wohl deiner Schweſter Kind ſein, das hinterlaſſene.","norm":"„Es wird wohl deiner Schwester Kind sein, das hinterlassene."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":19,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":20,"orig":"„Das iſt es“, erwiderte Dete, „ich will mit ihm hinauf zum Oehi, es muß dort bleiben.","norm":"„Das ist es“, erwiderte Dete, „ich will mit ihm hinauf zum Öhi, es muss dort bleiben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":21,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":22,"orig":"„Was, beim Alm-Oehi ſoll das Kind bleiben?","norm":"„Was, beim Alm-Öhi soll das Kind bleiben?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":23,"orig":"Du biſt, denk' ich, nicht recht bei Verſtand, Dete!","norm":"Du bist, denke ich, nicht recht bei Verstand, Dete!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":24,"orig":"Wie kannſt du ſo Etwas thun!","norm":"Wie kannst du so Etwas tun!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":25,"orig":"Der Alte wird dich aber ſchon heimſchicken mit deinem Vorhaben!“","norm":"Der Alte wird dich aber schon heimschicken mit deinem Vorhaben!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":26,"orig":"„Das kann er nicht, er iſt der Großvater, er muß Etwas thun, ich habe das Kind bis jetzt gehabt und das kann ich dir ſchon ſagen, Barbel, daß ich einen Platz, wie ich ihn jetzt haben kann, nicht dahinten laſſe um des Kindes willen; jetzt ſoll der Großvater das Seinige thun.","norm":"„Das kann er nicht, er ist der Großvater, er muss etwas tun, ich habe das Kind bis jetzt gehabt und das kann ich dir schon sagen, Barbel, dass ich einen Platz, wie ich ihn jetzt haben kann, nicht dahinten lasse um des Kindes willen; jetzt soll der Großvater das Seinige tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":27,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":28,"orig":"„Ja, wenn der wäre wie andere Leute, dann ſchon“, beſtätigte die kleine Barbel eifrig; „aber du kennſt ja den, was wird der mit einem Kinde anfangen und dann noch einem ſo kleinen!","norm":"„Ja, wenn der wäre wie andere Leute, dann schon“, bestätigte die kleine Barbel eifrig; „aber du kennst ja den, was wird der mit einem Kinde anfangen und dann noch einem so kleinen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":29,"orig":"Das hält's nicht aus bei ihm!","norm":"Das hält es nicht aus bei ihm!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":30,"orig":"Aber wo willſt du denn hin?“","norm":"Aber wo willst du denn hin?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":31,"orig":"„Nach Frankfurt“, erklärte Dete, „da bekomm' ich einen extra guten Dienſt.","norm":"„Nach Frankfurt“, erklärte Dete, „da bekomme ich einen extraguten Dienst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":32,"orig":"Die Herrſchaft war ſchon im vorigen Sommer unten im Bad, ich habe ihre Zimmer auf meinem Gang gehabt und ſie beſorgt, und ſchon damals wollten ſie mich mitnehmen, aber ich konnte nicht fortkommen, und jetzt ſind ſie wieder da und wollen mich mitnehmen und ich will auch gehn, da kannſt du ſicher ſein.","norm":"Die Herrschaft war schon im vorigen Sommer unten im Bad, ich habe ihre Zimmer auf meinem Gang gehabt und sie besorgt, und schon damals wollten sie mich mitnehmen, aber ich konnte nicht fortkommen, und jetzt sind sie wieder da und wollen mich mitnehmen und ich will auch gehen, da kannst du sicher sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":33,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":34,"orig":"„Ich möchte nicht das Kind ſein“, rief die Barbel mit abwehrender Geberde aus.","norm":"„Ich möchte nicht das Kind sein“, rief die Barbel mit abwehrender Gebärde aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":35,"orig":"„Es weiß ja kein Menſch, was mit dem Alten da oben iſt!","norm":"„Es weiß ja kein Mensch, was mit dem Alten da oben ist!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":36,"orig":"Mit keinem Menſchen will er Etwas zu thun haben, Jahr aus Jahr ein ſetzt er keinen Fuß in eine Kirche, und wenn er mit ſeinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt, ſo weicht ihm Alles aus und muß ſich vor ihm fürchten.","norm":"Mit keinem Menschen will er Etwas zu tun haben, jahraus jahrein setzt er keinen Fuß in eine Kirche, und wenn er mit seinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt, so weicht ihm alles aus und muss sich vor ihm fürchten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":37,"orig":"Mit ſeinen dicken grauen Augenbrauen und dem furchtbaren Bart ſieht er auch aus wie ein alter Heide und Indianer, daß man froh iſt, wenn man ihm nicht allein begegnet.","norm":"Mit seinen dicken grauen Augenbrauen und dem furchtbaren Bart sieht er auch aus wie ein alter Heide und Indianer, dass man froh ist, wenn man ihm nicht allein begegnet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":38,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":39,"orig":"„Und auch“, ſagte „er trotzig, iſt der Großvater und muß für das Kind ſorgen, er wird ihm wohl Nichts thun, ſonſt hat er's zu verantworten, nicht ich.","norm":"„Und auch“, sagte „er trotzig, ist der Großvater und muss für das Kind Sorgen, er wird ihm wohl Nichts tun, sonst hat er es zu verantworten, nicht ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":40,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":41,"orig":"„Ich möchte nur wiſſen“, ſagte die Barbel forſchend, „was der Alte auf dem Gewiſſen hat, daß er ſolche Augen macht und ſo mutterſeelenallein da droben auf der Alm bleibt und ſich faſt nie blicken läßt.","norm":"„Ich möchte nur wissen“, sagte die Barbel forschend, „was der Alte auf dem Gewissen hat, dass er solche Augen macht und so mutterseelenallein da droben auf der Alm bleibt und sich fast nie blicken lässt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":42,"orig":"Man ſagt allerhand von ihm, du weißt doch gewiß auch Etwas davon, von deiner Schweſter, nicht, Dete?“","norm":"Man sagt allerhand von ihm, du weißt doch gewiss auch etwas davon, von deiner Schwester, nicht, Dete?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":43,"orig":"„Freilich, aber ich rede nicht; wenn er's hörte, ſo käme ich ſchön an!“","norm":"„Freilich, aber ich rede nicht; wenn er es hörte, so käme ich schön an!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":44,"orig":"Aber die Barbel hätte ſchon lange gern gewußt, wie es ſich mit dem Alm-Oehi verhalte, daß er ſo menſchenfeindlich ausſehe und da oben ganz allein wohne und die Leute immer ſo mit halben Worten von ihm redeten, als fürchteten ſie ſich, gegen ihn zu ſein, und wollten doch nicht für ihn ſein.","norm":"Aber die Barbel hätte schon lange gern gewusst, wie es sich mit dem Alm-Öhi verhalte, dass er so menschenfeindlich aussehe und da oben ganz allein wohne und die Leute immer so mit halben Worten von ihm redeten, als fürchteten sie sich, gegen ihn zu sein, und wollten doch nicht für ihn sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":45,"orig":"Auch wußte die Barbel gar nicht, warum der Alte von allen Leuten im Dörfli der Alm-Oehi genannt wurde, er konnte doch nicht der wirkliche Oheim von den ſämmtlichen Bewohnern ſein; da aber alle ihn ſo nannten, that ſie es auch und nannte den Alten nie anders als Oehi, was die Ausſprache der Gegend für Oheim iſt.","norm":"Auch wusste die Barbel gar nicht, warum der Alte von allen Leuten im Dörfli der Alm-Öhi genannt wurde, er konnte doch nicht der wirkliche Oheim von den sämtlichen Bewohnern sein; da aber alle ihn so nannten, tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als Öhi, was die Aussprache der Gegend für Oheim ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":46,"orig":"Die Barbel hatte ſich erſt vor kurzer Zeit nach dem Dörfli hinauf verheirathet, vorher hatte ſie unten im Prättigau gewohnt, und ſo war ſie noch nicht ſo ganz bekannt mit allen Erlebniſſen und beſondern Perſönlichkeiten aller Zeiten vom Dörfli und der Umgegend.","norm":"Die Barbel hatte sich erst vor kurzer Zeit nach dem Dörfli hinauf verheiratet, vorher hatte sie unten im Prättigau gewohnt, und so war sie noch nicht so ganz bekannt mit allen Erlebnissen und besonderen Persönlichkeiten aller Zeiten vom Dörfli und der Umgegend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":47,"orig":"Die Dete, ihre gute Bekannte, war dagegen vom Dörfli gebürtig und hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr; da war dieſe geſtorben und die Dete war nach dem Bade Ragatz hinübergezogen, wo ſie im großen Hôtel als Zimmermädchen einen guten Verdienſt fand.","norm":"Die Dete, ihre gute Bekannte, war dagegen vom Dörfli gebürtig und hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr; da war diese gestorben und die Dete war nach dem Bade Ragaz hinübergezogen, wo sie im großen Hotel als Zimmermädchen einen guten Verdienst fand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":48,"orig":"Sie war auch an dieſem Morgen mit dem Kinde von Ragatz hergekommen; bis Mayenfeld hatte ſie auf einem Heuwagen fahren können, auf dem ein Bekannter von ihr heimfuhr und ſie und das Kind mitnahm.","norm":"Sie war auch an diesem Morgen mit dem Kinde von Ragaz hergekommen; bis Maienfeld hatte sie auf einem Heuwagen fahren können, auf dem ein Bekannter von ihr heimfuhr und sie und das Kind mitnahm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":49,"orig":"Die Barbel wollte aber dies Mal die gute Gelegenheit, Etwas zu vernehmen, nicht unbenutzt vorbeigehen laſſen; ſie faßte vertraulich die Dete am Arm und ſagte: „Von dir kann man doch vernehmen, was wahr iſt und was die Leute darüber hinaus ſagen; du weißt, denk' ich, die ganze Geſchichte.","norm":"Die Barbel wollte aber diesmal die gute Gelegenheit, Etwas zu vernehmen, nicht unbenutzt vorbeigehen lassen; sie fasste vertraulich die Dete am Arm und sagte: „Von dir kann man doch vernehmen, was wahr ist und was die Leute darüber hinaus sagen; du weißt, denke ich, die ganze Geschichte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":50,"orig":"Sag' mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten iſt und ob der immer ſo gefürchtet und ein ſolcher Menſchenhaſſer war.","norm":"Sage mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten ist und ob der immer so gefürchtet und ein solcher Menschenhasser war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":51,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":52,"orig":"„Ob er immer ſo war, kann ich, denk' ich, nicht präzis wiſſen, ich bin jetzt ſechsundzwanzig und er ſicher ſiebenzig Jahr alt, ſo hab' ich ihn nicht geſehen, wie er jung war, das wirſt du nicht erwarten.","norm":"„Ob er immer so war, kann ich, denke ich, nicht präzis wissen, ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebzig Jahr alt, so habe ich ihn nicht gesehen, wie er jung war, das wirst du nicht erwarten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":53,"orig":"Wenn ich aber wüßte, daß es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme, ſo könnte ich dir ſchon allerhand erzählen von ihm, meine Mutter war aus dem Domleſchg und er auch.","norm":"Wenn ich aber wüsste, dass es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme, so könnte ich dir schon allerhand erzählen von ihm, meine Mutter war aus dem Domleschg und er auch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":54,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":55,"orig":"„A bah, Dete, was meinſt denn?“ gab die Barbel ein wenig beleidigt zurück, „es geht nicht ſo ſtreng mit dem Schwatzen im Prättigau, und dann kann ich ſchon etwas für mich behalten, wenn es ſein muß.","norm":"„A bah, Dete, was meinst denn?“ gab die Barbel ein wenig beleidigt zurück, „es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im Prättigau, und dann kann ich schon etwas für mich behalten, wenn es sein muss."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":56,"orig":"Erzähl' mir's jetzt, es muß dich nicht gereuen.","norm":"Erzähle mir es jetzt, es muss dich nicht gereuen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":57,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":58,"orig":"„Ja nu, ſo will ich, aber halt' Wort!“ mahnte die Dete.","norm":"„Ja nu, so will ich, aber halt Wort!“ mahnte die Dete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":59,"orig":"Erſt ſah ſie ſich aber um, ob das Kind nicht zu nah ſei und Alles anhöre, was ſie ſagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu ſehen, es mußte ſchon ſeit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt ſein, dieſe hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt.","norm":"Erst sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und alles anhöre, was sie sagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu sehen, es musste schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt sein, diese hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":60,"orig":"Dete ſtand ſtill und ſchaute ſich überall um.","norm":"Dete stand still und schaute sich überall um."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":61,"orig":"Der Fußweg machte einige Krümmungen, doch konnte man ihn faſt bis zum Dörfli hinunter überſehen, es war aber Niemand darauf ſichtbar.","norm":"Der Fußweg machte einige Krümmungen, doch konnte man ihn fast bis zum Dörfli hinunter übersehen, es war aber niemand darauf sichtbar."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":62,"orig":"Jetzt ſeh' ich's“, erklärte die Bärbel, „ſiehſt du dort?“ und ſie wies mit dem Zeigefinger weit ab vom Bergpfad.","norm":"Jetzt sehe ich es“, erklärte die Bärbel, „siehst du dort?“ und sie wies mit dem Zeigefinger weit ab vom Bergpfad."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":63,"orig":"„Es klettert die Abhänge hinauf mit dem Gaißen-Peter und ſeinen Gaißen.","norm":"„Es klettert die Abhänge hinauf mit dem Geißenpeter und seinen Geißen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":64,"orig":"Warum der heut' ſo ſpät hinauffährt mit ſeinen Thieren?","norm":"Warum der heute so spät hinauffährt mit seinen Tieren?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":65,"orig":"Es iſt aber grad' recht, er kann nun zu dem Kinde ſehen und du kannſt mir um ſo beſſer erzählen.","norm":"Es ist aber gerade recht, er kann nun zu dem Kinde sehen und du kannst mir um so besser erzählen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":66,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":67,"orig":"„Mit dem nach ihm Sehen muß ſich der Peter nicht anſtrengen“, bemerkte die Dete; „es iſt nicht dumm für ſeine fünf Jahre, es thut ſeine Augen auf und ſieht, was vorgeht, das hab' ich ſchon bemerkt an ihm, und es wird ihm einmal gut kommen, denn der Alte hat gar Nichts mehr, als ſeine zwei Gaißen und die Almhütte.","norm":"„Mit dem nach ihm Sehen muss sich der Peter nicht anstrengen“, bemerkte die Dete; „es ist nicht dumm für seine fünf Jahre, es tut seine Augen auf und sieht, was vorgeht, das habe ich schon bemerkt an ihm, und es wird ihm einmal gut kommen, denn der Alte hat gar nichts mehr, als seine zwei Geißen und die Almhütte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":68,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":69,"orig":"„Hat er denn einmal mehr gehabt?“ fragte die Barbel.","norm":"„Hat er denn einmal mehr gehabt?“ fragte die Barbel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":70,"orig":"„Der?","norm":"„Der?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":71,"orig":"Ja das denk' ich, daß er einmal mehr gehabt hat“, entgegnete eifrig die Dete, „eins der ſchönſten Bauerngüter im Domleſchg hat er gehabt.","norm":"Ja das denke ich, dass er einmal mehr gehabt hat“, entgegnete eifrig die Dete, „eins der schönsten Bauerngüter im Domleschg hat er gehabt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":72,"orig":"Er war der ältere Sohn und hatte nur noch einen Bruder, der war ſtill und ordentlich.","norm":"Er war der ältere Sohn und hatte nur noch einen Bruder, der war still und ordentlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":73,"orig":"Aber der Aeltere wollte Nichts thun, als den Herrn ſpielen und im Land herumfahren und mit böſem Volk zu thun haben, das Niemand kannte.","norm":"Aber der Ältere wollte nichts tun, als den Herrn spielen und im Lande herumfahren und mit bösem Volk zu tun haben, das Niemand kannte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":74,"orig":"Den ganzen Hof hat er verſpielt und verzecht, und wie es herauskam, da ſind ſein Vater und ſeine Mutter hinter einander geſtorben vor lauter Gram, und der Bruder, der nun auch am Bettelſtab war, iſt vor Verdruß in die Welt hinaus, es weiß kein Menſch wohin, und der Oehi ſelber, als er Nichts mehr hatte, als einen böſen Namen, iſt auch verſchwunden.","norm":"Den ganzen Hof hat er verspielt und verzecht, und wie es herauskam, da sind sein Vater und seine Mutter hintereinander gestorben vor lauter Gram, und der Bruder, der nun auch am Bettelstab war, ist vor Verdruss in die Welt hinaus, es weiß kein Mensch wohin, und der Öhi selber, als er nichts mehr hatte, als einen bösen Namen, ist auch verschwunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":75,"orig":"Erſt wußte Niemand wohin, dann vernahm man, er ſei unter das Militär gegangen nach Neapel, und dann hörte man Nichts mehr von ihm zwölf oder fünfzehn Jahre lang.","norm":"Erst wusste niemand wohin, dann vernahm man, er sei unter das Militär gegangen nach Neapel, und dann hörte man Nichts mehr von ihm zwölf oder fünfzehn Jahre lang."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":76,"orig":"Dann auf einmal erſchien er wieder im Domleſchg mit einem halb gewachſenen Buben und wollte dieſen in der Verwandtſchaft unterzubringen ſuchen.","norm":"Dann auf einmal erschien er wieder im Domleschg mit einem halb gewachsenen Buben und wollte diesen in der Verwandtschaft unterzubringen suchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":77,"orig":"Aber es ſchloſſen ſich alle Thüren vor ihm und Keiner wollte mehr Etwas von ihm wiſſen.","norm":"Aber es schlossen sich alle Türen vor ihm und keiner wollte mehr etwas von ihm wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":78,"orig":"Das erbitterte ihn ſehr; er ſagte: in's Domleſchg ſetze er keinen Fuß mehr, und dann kam er hieher in's Dörfli und lebte da mit dem Buben.","norm":"Das erbitterte ihn sehr; er sagte: ins Domleschg setze er keinen Fuß mehr, und dann kam er hierher ins Dörfli und lebte da mit dem Buben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":79,"orig":"Die Frau muß eine Bündtnerin geweſen ſein, die er dort unten getroffen und dann bald wieder verloren hatte.","norm":"Die Frau muss eine Bündnerin gewesen sein, die er dort unten getroffen und dann bald wieder verloren hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":80,"orig":"Er mußte noch etwas Geld haben, denn er ließ den Buben, den Tobias, ein Handwerk erlernen, Zimmermann, und der war ein ordentlicher Menſch und wohl gelitten bei allen Leuten im Dörfli.","norm":"Er musste noch etwas Geld haben, denn er ließ den Buben, den Tobias, ein Handwerk erlernen, Zimmermann, und der war ein ordentlicher Mensch und wohlgelitten bei allen Leuten im Dörfli."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":81,"orig":"Aber dem Alten traute Keiner, man ſagte auch, er ſei von Neapel deſertirt, es wäre ihm ſonſt ſchlimm gegangen, denn er habe Einen erſchlagen, natürlich nicht im Krieg, verſtehſt du, ſondern beim Raufhandel.","norm":"Aber dem Alten traute Keiner, man sagte auch, er sei von Neapel desertiert, es wäre ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe Einen erschlagen, natürlich nicht im Krieg, verstehst du, sondern beim Raufhandel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":82,"orig":"Wir anerkannten aber die Verwandtſchaft, da meiner Mutter Großmutter mit ſeiner Großmutter Geſchwiſterkind geweſen war.","norm":"Wir anerkannten aber die Verwandtschaft, da meiner Mutter Großmutter mit seiner Großmutter Geschwisterkind gewesen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":83,"orig":"So nannten wir ihn Oehi, und da wir faſt mit allen Leuten im Dörfli wieder verwandt ſind vom Vater her, ſo nannten ihn dieſe Alle auch Oehi, und ſeit er dann auf die Alm hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der, AlmOehi' .“","norm":"So nannten wir ihn Öhi, und da wir fast mit allen Leuten im Dörfli wieder verwandt sind vom Vater her, so nannten ihn diese alle auch Öhi, und seit er dann auf die Alm hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der, Alm-Öhi .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":84,"orig":"„Aber wie iſt es dann mit dem Tobias gegangen?“ fragte geſpannt die Barbel.","norm":"„Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen?“ fragte gespannt die Barbel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":85,"orig":"„Wart' nur, das kommt ſchon, ich kann nicht Alles auf einmal ſagen“, erklärte Dete.","norm":"„Warte nur, das kommt schon, ich kann nicht alles auf einmal sagen“, erklärte Dete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":86,"orig":"„Alſo der Tobias war in der Lehre draußen in Mels, und ſo wie er fertig war, kam er heim in's Dörfli und nahm meine Schweſter zur Frau, die Adelheid, denn ſie hatten ſich ſchon immer gern gehabt, und auch wie ſie nun verheirathet waren, konnten ſie's ſehr gut zuſammen.","norm":"„Also der Tobias war in der Lehre draußen in Mels, und sowie er fertig war, kam er heim ins Dörfli und nahm meine Schwester zur Frau, die Adelheid, denn sie hatten sich schon immer gern gehabt, und auch wie sie nun verheiratet waren, konnten sie es sehr gut zusammen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":87,"orig":"Aber es ging nicht lange.","norm":"Aber es ging nicht lange."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":88,"orig":"Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und ſchlug ihn todt.","norm":"Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und schlug ihn tot."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":89,"orig":"Und wie man den Mann ſo entſtellt nach Haus brachte, da fiel die Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und konnte ſich nicht mehr erholen, ſie war ſonſt nicht ſehr kräftig und hatte manchmal ſo eigne Zuſtände gehabt, daß man nicht recht wußte, ſchlief ſie, oder war ſie wach.","norm":"Und wie man den Mann so entstellt nach Haus brachte, da fiel die Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und konnte sich nicht mehr erholen, sie war sonst nicht sehr kräftig und hatte manchmal so eigene Zustände gehabt, dass man nicht recht wusste, schlief sie, oder war sie wach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":90,"orig":"Nur ein paar Wochen, nachdem der Tobias todt war, begrub man auch die Adelheid.","norm":"Nur ein paar Wochen, nachdem der Tobias tot war, begrub man auch die Adelheid."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":91,"orig":"Da ſprachen alle Leute weit und breit von dem traurigen Schickſal der Beiden, und leiſe und laut ſagten ſie, das ſei die Strafe, die der Oehi verdient habe für ſein gottloſes Leben, und ihm ſelbſt wurde es geſagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm in's Gewiſſen, er ſollte doch jetzt Buße thun, aber er wurde nur immer grimmiger und verſtockter und redete mit Niemandem mehr, es ging ihm auch Jeder aus dem Wege.","norm":"Da sprachen alle Leute weit und breit von dem traurigen Schicksal der Beiden, und leise und laut sagten sie, das sei die Strafe, die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben, und ihm selbst wurde es gesagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm ins Gewissen, er sollte doch jetzt Buße tun, aber er wurde nur immer grimmiger und verstockter und redete mit Niemandem mehr, es ging ihm auch Jeder aus dem Wege."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":92,"orig":"Auf einmal hieß es, der Oehi ſei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht mehr herunter, und ſeither iſt er dort und lebt mit Gott und Menſchen im Unfrieden.","norm":"Auf einmal hieß es, der Öhi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott und Menschen im Unfrieden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":93,"orig":"Das kleine Kind der Adelheid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich, es war ein Jahr alt.","norm":"Das kleine Kind der Adelheid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich, es war ein Jahr alt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":94,"orig":"Wie nun im letzten Sommer die Mutter ſtarb und ich im Bad drunten Etwas verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Urſel oben im Pfäfferſerdorf an die Koſt.","norm":"Wie nun im letzten Sommer die Mutter starb und ich im Bad drunten etwas verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Ursel oben im Pfäfferserdorf an die Kost."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":95,"orig":"Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und flicken verſtehe, und früh im Frühling kam die Herrſchaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will; übermorgen reiſen wir ab und der Dienſt iſt gut, das kann ich dir ſagen.","norm":"Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu nähen und flicken verstehe, und früh im Frühling kam die Herrschaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will; übermorgen reisen wir ab und der Dienst ist gut, das kann ich dir sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":96,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":97,"orig":"„Und dem Alten da droben willſt du nun das Kind übergeben?","norm":"„Und dem Alten da droben willst du nun das Kind übergeben?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":98,"orig":"Es nimmt mich nur Wunder, was du denkſt, Dete“, ſagte die Barbel vorwurfsvoll.","norm":"Es nimmt mich nur Wunder, was du denkst, Dete“, sagte die Barbel vorwurfsvoll."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":99,"orig":"„Was meinſt du denn?“ gab Dete zurück.","norm":"„Was meinst du denn?“ gab Dete zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":100,"orig":"„Ich habe das Meinige an dem Kind gethan, und was ſollte ich denn mit ihm machen?","norm":"„Ich habe das Meinige an dem Kind getan, und was sollte ich denn mit ihm machen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":101,"orig":"Ich denke, ich kann Eines, das erſt fünf Jahr alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen.","norm":"Ich denke, ich kann eines, das erst fünf Jahr alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":102,"orig":"Aber wohin gehſt du eigentlich, Barbel, wir ſind ja ſchon halb Wegs auf der Alm.“","norm":"Aber wohin gehst du eigentlich, Barbel, wir sind ja schon halbwegs auf der Alm“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":103,"orig":"„Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß“, entgegnete die Barbel; „ich habe mit der Gaißen-Peterin zu reden, ſie ſpinnt mir im Winter.","norm":"„Ich bin auch gleich da, wo ich hin muss“, entgegnete die Barbel; „ich habe mit der Geißenpeterin zu reden, sie spinnt mir im Winter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":104,"orig":"So leb' wohl, Dete, mit Glück!“ Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb ſtehen, während dieſe der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die einige Schritte ſeitwärts vom Pfad in einer Mulde ſtand, wo ſie vor dem Bergwind ziemlich geſchützt war.","norm":"So lebe wohl, Dete, mit Glück!“ Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen, während diese der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die einige Schritte seitwärts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie vor dem Bergwind ziemlich geschützt war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":105,"orig":"Die Hütte ſtand auf der halben Höhe der Alm, vom Dörfli aus gerechnet, und daß ſie in einer kleinen Vertiefung des Berges ſtand, war gut, denn ſie ſah ſo baufällig und verwittert aus, daß es auch ſo noch ein gefährliches Darinnenwohnen ſein mußte, wenn der Föhnwind ſo mächtig über die Berge ſtrich, daß Alles an der Hütte klapperte, Thüren und Fenſter und alle die morſchen Balken zitterten und krachten.","norm":"Die Hütte stand auf der halben Höhe der Alm, vom Dörfli aus gerechnet, und dass sie in einer kleinen Vertiefung des Berges stand, war gut, denn sie sah so baufällig und verwittert aus, dass es auch so noch ein gefährliches Darinnenwohnen sein musste, wenn der Föhnwind so mächtig über die Berge strich, dass alles an der Hütte klapperte, Türen und Fenster und alle die morschen Balken zitterten und krachten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":106,"orig":"Hätte die Hütte an ſolchen Tagen oben auf der Alm geſtanden, ſie wäre unverzüglich in's Thal hinabgeweht worden.","norm":"Hätte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm gestanden, sie wäre unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":107,"orig":"Hier wohnte der Gaißen-Peter, der elfjährige Bube, der jeden Morgen unten im Dörfli die Gaißen holte, um ſie hoch auf die Alm hinaufzutreiben, um ſie da die kurzen kräftigen Kräuter freſſen zu laſſen bis zum Abend; dann ſprang der Peter mit den leichtfüßigen Thierchen wieder herunter, that, im Dörfli angekommen, einen ſchrillen Pfiff durch die Finger und jeder Beſitzer holte ſeine Gaiß auf dem Platz.","norm":"Hier wohnte der Geißenpeter, der elfjährige Bube, der jeden Morgen unten im Dörfli die Geißen holte, um sie hoch auf die Alm hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kräftigen Kräuter fressen zu lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den leichtfüßigen Tierchen wieder herunter, tat, im Dörfli angekommen, einen schrillen Pfiff durch die Finger und jeder Besitzer holte seine Geiß auf dem Platz."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":108,"orig":"Meiſtens kamen kleine Buben und Mädchen, denn die friedlichen Gaißen waren nicht zu fürchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage, da der Peter mit Seinesgleichen verkehrte, ſonſt lebte er nur mit den Gaißen.","norm":"Meistens kamen kleine Buben und Mädchen, denn die friedlichen Geißen waren nicht zu fürchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage, da der Peter mit Seinesgleichen verkehrte, sonst lebte er nur mit den Geißen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":109,"orig":"Er hatte zwar daheim ſeine Mutter und die blinde Großmutter; aber da er immer am Morgen ſehr früh fort mußte und am Abend vom Dörfli ſpät heimkam, weil er ſich da noch ſo lang als möglich mit den Kindern unterhalten mußte, ſo verbrachte er daheim nur gerade ſo viel Zeit, um am Morgen ſeine Milch und Brod und am Abend ebendaſſelbe herunterzuſchlucken und dann ſich auf's Ohr zu legen und zu ſchlafen.","norm":"Er hatte zwar daheim seine Mutter und die blinde Großmutter; aber da er immer am Morgen sehr früh fort musste und am Abend vom Dörfli spät heimkam, weil er sich da noch so lang als möglich mit den Kindern unterhalten musste, so verbrachte er daheim nur gerade so viel Zeit, um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend eben dasselbe herunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu legen und zu schlafen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":110,"orig":"Sein Vater, der auch ſchon der Gaißen-Peter genannt worden war, weil er in früheren Jahren in demſelben Berufe geſtanden hatte, war vor einigen Jahren beim Holzfällen verunglückt.","norm":"Sein Vater, der auch schon der Geißenpeter genannt worden war, weil er in früheren Jahren in demselben Berufe gestanden hatte, war vor einigen Jahren beim Holzfällen verunglückt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":111,"orig":"Seine Mutter, die zwar Brigitte hieß, wurde von Jedermann um des Zuſammenhangs willen die Gaißen-Peterin genannt, und die blinde Großmutter kannten weit und breit Alt und Jung nur unter dem Namen Großmutter.","norm":"Seine Mutter, die zwar Brigitte hieß, wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die Geißenpeterin genannt, und die blinde Großmutter kannten weit und breit Alt und Jung nur unter dem Namen Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":112,"orig":"Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und ſich nach allen Seiten umgeſehen, ob die Kinder mit den Gaißen noch nirgends zu ſehen ſeien; als dieß aber nicht der Fall war, ſo ſtieg ſie noch ein wenig höher, wo ſie beſſer die ganze Alm bis hinunter überſehen konnte und guckte nun von hier aus bald dahin, bald dorthin mit Zeichen großer Ungeduld auf dem Geſicht und in den Bewegungen.","norm":"Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach allen Seiten umgesehen, ob die Kinder mit den Geißen noch nirgends zu sehen seien; als dies aber nicht der Fall war, so stieg sie noch ein wenig höher, wo sie besser die ganze Alm bis hinunter übersehen konnte und guckte nun von hier aus bald dahin, bald dorthin mit Zeichen großer Ungeduld auf dem Gesicht und in den Bewegungen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":113,"orig":"Unterdeſſen rückten die Kinder auf einem großen Umwege heran, denn der Peter wußte viele Stellen, wo allerhand Gutes an Sträuchern und Gebüſchen für ſeine Gaißen zu nagen war; darum machte er mit ſeiner Heerde vielerlei Wendungen auf dem Wege.","norm":"Unterdessen rückten die Kinder auf einem großen Umwege heran, denn der Peter wusste viele Stellen, wo allerhand Gutes an Sträuchern und Gebüschen für seine Geißen zu nagen war; darum machte er mit seiner Herde vielerlei Wendungen auf dem Wege."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":114,"orig":"Erſt war das Kind mühſam nachgeklettert, in ſeiner ſchweren Rüſtung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kräfte anſtrengend.","norm":"Erst war das Kind mühsam nachgeklettert, in seiner schweren Rüstung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kräfte anstrengend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":115,"orig":"Es ſagte kein Wort, blickte aber unverwandt bald auf den Peter, der mit ſeinen nackten Füßen und leichten Höschen ohne alle Mühe hin- und herſprang, bald auf die Gaißen, die mit den dünnen, ſchlanken Beinchen noch leichter über Buſch und Stein und ſteile Abhänge hinaufkletterten.","norm":"Es sagte kein Wort, blickte aber unverwandt bald auf den Peter, der mit seinen nackten Füßen und leichten Höschen ohne alle Mühe hin- und hersprang, bald auf die Geißen, die mit den dünnen, schlanken Beinchen noch leichter über Busch und Stein und steile Abhänge hinaufkletterten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":116,"orig":"Auf einmal ſetzte das Kind ſich auf den Boden nieder, zog mit großer Schnelligkeit Schuhe und Strümpfe aus, ſtand wieder auf, zog ſein rothes, dickes Halstuch weg, machte ſein Röckchen auf, zog es ſchnell aus und hatte gleich noch eins auszuhäkeln, denn die Baſe Dete hatte ihm das Sonntagskleidchen über das Alltagszeug angezogen, um der Kürze willen, damit Niemand es tragen müſſe.","norm":"Auf einmal setzte das Kind sich auf den Boden nieder, zog mit großer Schnelligkeit Schuhe und Strümpfe aus, stand wieder auf, zog sein rotes, dickes Halstuch weg, machte sein Röckchen auf, zog es schnell aus und hatte gleich noch eins auszuhäkeln, denn die Base Dete hatte ihm das Sonntagskleidchen über das Alltagszeug angezogen, um der Kürze willen, damit Niemand es tragen müsse."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":117,"orig":"Blitzſchnell war auch das Alltagsröcklein weg und nun ſtand das Kind im leichten Unterröckchen, die bloßen Arme aus den kurzen Hemdärmelchen vergnüglich in die Luft hinausſtreckend.","norm":"Blitzschnell war auch das Alltagsröcklein weg und nun stand das Kind im leichten Unterröckchen, die bloßen Arme aus den kurzen Hemdärmelchen vergnüglich in die Luft hinausstreckend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":118,"orig":"Dann legte es ſchön Alles auf ein Häufchen, und nun ſprang und kletterte es hinter den Gaißen und neben dem Peter her, ſo leicht als nur Eines aus der ganzen Geſellſchaft.","norm":"Dann legte es schön alles auf ein Häufchen, und nun sprang und kletterte es hinter den Geißen und neben dem Peter her, so leicht als nur Eines aus der ganzen Gesellschaft."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":119,"orig":"Der Peter hatte nicht Acht gegeben, was das Kind mache, als es zurückgeblieben war.","norm":"Der Peter hatte nicht achtgegeben, was das Kind mache, als es zurückgeblieben war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":120,"orig":"Wie es nun in der neuen Bekleidung nachgeſprungen kam, zog er luſtig grinſend das ganze Geſicht auseinander und ſchaute zurück, und wie er unten das Häuflein Kleider liegen ſah, ging ſein Geſicht noch ein wenig mehr auseinander, und ſein Mund kam faſt von einem Ohr bis zum andern; er ſagte aber Nichts.","norm":"Wie es nun in der neuen Bekleidung nachgesprungen kam, zog er lustig grinsend das ganze Gesicht auseinander und schaute zurück, und wie er unten das Häuflein Kleider liegen sah, ging sein Gesicht noch ein wenig mehr auseinander, und sein Mund kam fast von einem Ohr bis zum anderen; er sagte aber nichts."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":121,"orig":"Wie nun das Kind ſich ſo frei und leicht fühlte, fing es ein Geſpräch mit dem Peter an, und er fing auch an zu reden und mußte auf vielerlei Fragen antworten, denn das Kind wollte wiſſen, wie viele Gaißen er habe und wohin er mit ihnen gehe und was er dort thue, wo er hinkomme.","norm":"Wie nun das Kind sich so frei und leicht fühlte, fing es ein Gespräch mit dem Peter an, und er fing auch an zu reden und musste auf vielerlei Fragen antworten, denn das Kind wollte wissen, wie viele Geißen er habe und wohin er mit ihnen gehe und was er dort tue, wo er hinkomme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":122,"orig":"So langten endlich die Kinder ſammt den Gaißen oben bei der Hütte an und kamen der Baſe Dete zu Geſicht.","norm":"So langten endlich die Kinder samt den Geißen oben bei der Hütte an und kamen der Base Dete zu Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":123,"orig":"Kaum aber hatte dieſe die herankletternde Geſellſchaft erblickt, als ſie laut aufſchrie: „Heidi, was machſt du?","norm":"Kaum aber hatte diese die herankletternde Gesellschaft erblickt, als sie laut aufschrie: „Heidi, was machst du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":124,"orig":"Wie ſiehſt du aus?","norm":"Wie siehst du aus?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":125,"orig":"Wo haſt du deinen Rock und den zweiten und das Halstuch?","norm":"Wo hast du deinen Rock und den zweiten und das Halstuch?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":126,"orig":"Und ganz neue Schuhe habe ich dir gekauft auf den Berg und dir neue Strümpfe gemacht und Alles fort!","norm":"Und ganz neue Schuhe habe ich dir gekauft auf den Berg und dir neue Strümpfe gemacht und alles fort!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":127,"orig":"Alles fort!","norm":"Alles fort!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":128,"orig":"Heidi, was machſt du, wo haſt du Alles?“","norm":"Heidi, was machst du, wo hast du alles?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":129,"orig":"Das Kind zeigte ruhig den Berg hinunter und ſagte: „Dort!“ Die Baſe folgte ſeinem Finger.","norm":"Das Kind zeigte ruhig den Berg hinunter und sagte: „Dort!“ Die Base folgte seinem Finger."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":130,"orig":"Richtig, dort lag Etwas und oben auf war ein rother Punkt, das mußte das Halstuch ſein.","norm":"Richtig, dort lag etwas und oben auf war ein roter Punkt, das musste das Halstuch sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":131,"orig":"„Du Unglückstropf!“ rief die Baſe in großer Aufregung; „was kommt dir denn in den Sinn, warum haſt du Alles ausgezogen?","norm":"„Du Unglückstropf!“ rief die Base in großer Aufregung; „was kommt dir denn in den Sinn, warum hast du alles ausgezogen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":132,"orig":"Was ſoll das ſein?“","norm":"Was soll das sein?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":133,"orig":"„Ich brauch' es nicht“, ſagte das Kind und ſah gar nicht reuevoll aus über ſeine That.","norm":"„Ich brauche es nicht“, sagte das Kind und sah gar nicht reuevoll aus über seine Tat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":134,"orig":"„Ach du unglückſeliges, vernunftloſes Heidi, haſt du denn auch noch gar keine Begriffe?“ jammerte und ſchalt die Baſe weiter; „wer ſoll nun wieder da hinunter, es iſt ja eine halbe Stunde!","norm":"„Ach du unglückseliges, vernunftloses Heidi, hast du denn auch noch gar keine Begriffe?“ jammerte und schalt die Base weiter; „wer soll nun wieder da hinunter, es ist ja eine halbe Stunde!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":135,"orig":"Komm', Peter, lauf' du mir ſchnell zurück und hol' das Zeug, komm' ſchnell und ſteh' nicht dort und glotze mich an, als wärſt du im Boden feſtgenagelt.","norm":"Komme, Peter, laufe du mir schnell zurück und hole das Zeug, komme schnell und stehe nicht dort und glotze mich an, als wärst du im Boden festgenagelt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":136,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":137,"orig":"„Ich bin ſchon zu ſpät“, ſagte Peter langſam und blieb, ohne ſich zu rühren, auf demſelben Flecke ſtehen, von dem aus er, beide Hände in die Taſchen geſteckt, dem Schreckensausbruch der Baſe zugehört hatte.","norm":"„Ich bin schon zu spät“, sagte Peter langsam und blieb, ohne sich zu rühren, auf demselben Flecke stehen, von dem aus er, beide Hände in die Taschen gesteckt, dem Schreckensausbruch der Base zugehört hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":138,"orig":"„Du ſtehſt ja doch nur und reißeſt deine Augen auf und kommſt, denk' ich, nicht weit auf die Art“, rief ihm die Baſe Dete zu, „komm' her, du mußt etwas Schönes haben, ſiehſt du?“ Sie hielt ihm ein neues Fünferchen hin, das glänzte ihm in die Augen.","norm":"„Du stehst ja doch nur und reißest deine Augen auf und kommst, denke ich, nicht weit auf die Art“, rief ihm die Base Dete zu, „komme her, du musst etwas Schönes haben, siehst du?“ Sie hielt ihm ein neues Fünferchen hin, das glänzte ihm in die Augen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":139,"orig":"Plötzlich ſprang er auf und davon auf dem geradeſten Weg die Alm hinunter und kam in ungeheuren Sätzen in kurzer Zeit bei dem Häuflein Kleider an, packte ſie auf und erſchien damit ſo ſchnell, daß ihn die Baſe rühmen mußte und ihm ſogleich ſein Fünfrappenſtück überreichte.","norm":"Plötzlich sprang er auf und davon auf dem geradesten Weg die Alm hinunter und kam in ungeheuren Sätzen in kurzer Zeit bei dem Häuflein Kleider an, packte sie auf und erschien damit so schnell, dass ihn die Base rühmen musste und ihm sogleich sein Fünfrappenstück überreichte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":140,"orig":"Peter ſteckte es ſchnell tief in ſeine Taſche und ſein Geſicht glänzte und lachte in voller Breite, denn ein ſolcher Schatz wurde ihm nicht oft zu Theil.","norm":"Peter steckte es schnell tief in seine Tasche und sein Gesicht glänzte und lachte in voller Breite, denn ein solcher Schatz wurde ihm nicht oft zuteil."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":141,"orig":"„Du kannſt mir das Zeug noch tragen bis zum Oehi hinauf, du gehſt ja auch den Weg“, ſagte die Baſe Dete jetzt, indem ſie ſich anſchickte, den ſteilen Abhang zu erklimmen, der gleich hinter der Hütte des Gaißen-Peter' s emporragte.","norm":"„Du kannst mir das Zeug noch tragen bis zum Öhi hinauf, du gehst ja auch den Weg“, sagte die Base Dete jetzt, indem sie sich anschickte, den steilen Abhang zu erklimmen, der gleich hinter der Hütte des Geißenpeter' s emporragte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":142,"orig":"Willig übernahm dieſer den Auftrag und folgte der Voranſchreitenden auf dem Fuße nach, den linken Arm um ſein Bündel geſchlungen, in der Rechten die Gaißenruthe ſchwingend.","norm":"Willig übernahm dieser den Auftrag und folgte der Voranschreitenden auf dem Fuße nach, den linken Arm um sein Bündel geschlungen, in der Rechten die Geißenrute schwingend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":143,"orig":"Das Heidi und die Gaißen hüpften und ſprangen fröhlich neben ihm her.","norm":"Das Heidi und die Geißen hüpften und sprangen fröhlich neben ihm her."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":144,"orig":"So gelangte der Zug nach drei Viertelſtunden auf die Almhöhe, wo frei auf dem Vorſprung des Berges die Hütte des alten Oehi ſtand, allen Winden ausgeſetzt, aber auch jedem Sonnenblick zugänglich und mit der vollen Ausſicht weit in's Thal hinab.","norm":"So gelangte der Zug nach drei Viertelstunden auf die Almhöhe, wo frei auf dem Vorsprung des Berges die Hütte des alten Öhi stand, allen Winden ausgesetzt, aber auch jedem Sonnenblick zugänglich und mit der vollen Aussicht weit ins Tal hinab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":145,"orig":"Hinter der Hütte ſtanden drei alte Tannen mit dichten, langen, unbeſchnittenen Aeſten.","norm":"Hinter der Hütte standen drei alte Tannen mit dichten, langen, unbeschnittenen Ästen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":146,"orig":"Weiter hinten ging es nochmals bergan bis hoch hinauf in die alten, grauen Felſen, erſt noch über ſchöne, kräuterreiche Höhen, dann in ſteiniges Geſtrüpp und endlich zu den kahlen, ſteilen Felſen hinan.","norm":"Weiter hinten ging es nochmals bergan bis hoch hinauf in die alten, grauen Felsen, erst noch über schöne, kräuterreiche Höhen, dann in steiniges Gestrüpp und endlich zu den kahlen, steilen Felsen hinan."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":147,"orig":"An die Hütte feſt gemacht, der Thalſeite zu, hatte ſich der Oehi eine Bank gezimmert.","norm":"An die Hütte festgemacht, der Talseite zu, hatte sich der Öhi eine Bank gezimmert."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":148,"orig":"Hier ſaß er, eine Pfeife im Mund, beide Hände auf ſeine Kniee gelegt und ſchaute ruhig zu, wie die Kinder, die Gaißen und die Baſe Dete herankletterten, denn die Letztere war nach und nach von den Andern überholt werden.","norm":"Hier saß er, eine Pfeife im Mund, beide Hände auf seine Knie gelegt und schaute ruhig zu, wie die Kinder, die Geißen und die Base Dete herankletterten, denn die Letztere war nach und nach von den Anderen überholt worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":149,"orig":"Heidi war zuerſt oben; es ging gerade aus auf den Alten zu, ſtreckte ihm die Hand entgegen und ſagte: „Guten Abend, Großvater!“","norm":"Heidi war zuerst oben; es ging geradeaus auf den Alten zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: „Guten Abend, Großvater!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":150,"orig":"„So, ſo, wie iſt das gemeint?“ fragte der Alte barſch, gab dem Kinde kurz die Hand und ſchaute es mit einem langen, durchdringenden Blick an unter ſeinen buſchigen Angenbraunen hervor.","norm":"„So, so, wie ist das gemeint?“ fragte der Alte barsch, gab dem Kinde kurz die Hand und schaute es mit einem langen, durchdringenden Blick an unter seinen buschigen Augenbrauen hervor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":151,"orig":"Heidi gab den langen Blick ausdauernd zurück, ohne nur ein Mal mit den Augen zu zwinkern, denn der Großvater mit dem langen Bart und den dichten, grauen Augenbraunen, die in der Mitte zuſammengewachſen waren und ausſahen wie eine Art Geſträuch, war ſo verwunderlich anzuſehen, daß Heidi ihn recht betrachten mußte.","norm":"Heidi gab den langen Blick ausdauernd zurück, ohne nur einmal mit den Augen zu zwinkern, denn der Großvater mit dem langen Bart und den dichten, grauen Augenbrauen, die in der Mitte zusammengewachsen waren und aussahen wie eine Art Gesträuch, war so verwunderlich anzusehen, dass Heidi ihn recht betrachten musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":152,"orig":"Unterdeſſen war auch die Baſe herangekommen ſammt dem Peter, der eine Weile ſtille ſtand und zuſah, was ſich da ereigne.","norm":"Unterdessen war auch die Base herangekommen samt dem Peter, der eine Weile stillestand und zusah, was sich da ereigne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":153,"orig":"„Ich wünſche Euch guten Tag, Oehi“, ſagte die Dete, hinzutretend, „und hier bring' ich Euch das Kind vom Tobias und der Adelheid.","norm":"„Ich wünsche Euch guten Tag, Öhi“, sagte die Dete, hinzutretend, „und hier bringe ich Euch das Kind vom Tobias und der Adelheid."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":154,"orig":"Ihr werdet es wohl nicht mehr kennen, denn ſeit es jährig war, habt Ihr es nie mehr geſehen.","norm":"Ihr werdet es wohl nicht mehr kennen, denn seit es jährig war, habt Ihr es nie mehr gesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":155,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":156,"orig":"„So, was muß das Kind bei mir?“ fragte der Alte kurz, „und du dort“, rief er dem Peter zu, „du kannſt gehen mit deinen Gaißen, du biſt nicht zu früh, nimm meine mit!“","norm":"„So, was muss das Kind bei mir?“ fragte der Alte kurz, „und du dort“, rief er dem Peter zu, „du kannst gehen mit deinen Geißen, du bist nicht zu früh, nimm meine mit!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":157,"orig":"Der Peter gehorchte ſofort und verſchwand, denn der Oehi hatte ihn angeſchaut, daß er ſchon genug davon hatte.","norm":"Der Peter gehorchte sofort und verschwand, denn der Öhi hatte ihn angeschaut, dass er schon genug davon hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":158,"orig":"„Es muß eben bei Euch bleiben, Oehi“, gab die Dete auf ſeine Frage zurück.","norm":"„Es muss eben bei Euch bleiben, Öhi“, gab die Dete auf seine Frage zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":159,"orig":"„Ich habe, denk' ich, das Meinige an ihm gethan die vier Jahre durch, es wird jetzt wohl an Euch ſein, das Eurige auch einmal zu thun.","norm":"„Ich habe, denke ich, das Meinige an ihm getan die vier Jahre durch, es wird jetzt wohl an Euch sein, das Eurige auch einmal zu tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":160,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":161,"orig":"„So“, ſagte der Alte und warf einen blitzenden Blick auf die Dete.","norm":"„So“, sagte der Alte und warf einen blitzenden Blick auf die Dete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":162,"orig":"„Und wenn nun das Kind anfängt dir nachzuflennen und zu winſeln, wie kleine Unvernünftige thun, was muß ich dann mit ihm anfangen?“ Das iſt dann Eure Sache“, warf die Dete zurück; ich meine faſt, es habe mir auch kein Menſch geſagt, wie ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich ſchon für mich und die Mutter genug zu thun hatte.","norm":"„Und wenn nun das Kind anfängt dir nachzuflennen und zu winseln, wie kleine Unvernünftige tun, was muss ich dann mit ihm anfangen?“ Das ist dann Eure Sache“, warf die Dete zurück; ich meine fast, es habe mir auch kein Mensch gesagt, wie ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich schon für mich und die Mutter genug zu tun hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":163,"orig":"Jetzt muß ich meinem Verdienſt nach und Ihr ſeid der Nächſte am Kind; wenn Ihr's nicht haben könnt, ſo macht mit ihm, was Ihr wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt, und Ihr werdet wohl nicht nöthig haben, noch etwas aufzuladen.","norm":"Jetzt muss ich meinem Verdienst nach und Ihr seid der Nächste am Kind; wenn Ihr es nicht haben könnt, so macht mit ihm, was Ihr wollt, dann habt Ihr es zu verantworten, wenn es verdirbt, und Ihr werdet wohl nicht nötig haben, noch etwas aufzuladen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":164,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":165,"orig":"Die Dete hatte kein recht gutes Gewiſſen bei der Sache, darum war ſie ſo hitzig geworden und hatte mehr geſagt, als ſie im Sinn gehabt hatte.","norm":"Die Dete hatte kein recht gutes Gewissen bei der Sache, darum war sie so hitzig geworden und hatte mehr gesagt, als sie im Sinn gehabt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":166,"orig":"Bei ihren letzten Worten war der Oehi aufgeſtanden; er ſchaute ſie ſo an, daß ſie einige Schritte zurückwich; dann ſtreckte er den Arm aus und ſagte befehlend: „Mach', daß du hinunterkommſt, wo du heraufgekommen biſt, und zeig' dich nicht ſo bald wieder!“ Das ließ ſich die Dete nicht zwei Mal ſagen.","norm":"Bei ihren letzten Worten war der Öhi aufgestanden; er schaute sie so an, dass sie einige Schritte zurückwich; dann streckte er den Arm aus und sagte befehlend: „Mache, dass du hinunterkommst, wo du heraufgekommen bist, und zeige dich nicht so bald wieder!“ Das ließ sich die Dete nicht zweimal sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":167,"orig":"„So lebt wohl, und du auch, Heidi“, ſagte ſie ſchnell und lief den Berg hinunter in Einem Trab bis in's Dörfli hinab, denn die innere Aufregung trieb ſie vorwärts, ſo wie ein wirkſamer Dampf.","norm":"„So lebt wohl, und du auch, Heidi“, sagte sie schnell und lief den Berg hinunter in einem Trab bis ins Dörfli hinab, denn die innere Aufregung trieb sie vorwärts, so wie ein wirksamer Dampf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":168,"orig":"Im Dörfli wurde ſie diesmal noch viel mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind ſei; ſie kannten ja Alle die Dete genau und wußten, wem das Kind gehörte, und Alles, was mit ihm vorgegangen war.","norm":"Im Dörfli wurde sie diesmal noch viel mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind sei; sie kannten ja alle die Dete genau und wussten, wem das Kind gehörte, und alles, was mit ihm vorgegangen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":169,"orig":"Als es nun aus allen Thüren und Fenſtern tönte: Wo iſt das Kind?","norm":"Als es nun aus allen Türen und Fenstern tönte: Wo ist das Kind?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":170,"orig":"Dete, wo haſt du das Kind gelaſſen?“ rief ſie immer unwilliger zurück: „Droben Droben beim Alm-Oehi!","norm":"Dete, wo hast du das Kind gelassen?“ rief sie immer unwilliger zurück: „Droben droben beim Alm-Öhi!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":171,"orig":"Nu, beim Alm-Oehi, Ihr hört's ja!“","norm":"Nu, beim Alm-Öhi, Ihr hört es ja!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":172,"orig":"Sie wurde aber ſo maßleidig, weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen: „Wie kannſt du ſo etwas thun!“ und: „Das arme Tröpfli!“ und: „So ein kleines Hülfloſes da droben laſſen!“ und dann wieder und wieder: „Das arme Tröpfli!“ Die Dete lief, ſo ſchnell ſie konnte, weiter und war froh, als ſie Nichts mehr hörte, denn es war ihr nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch übergeben.","norm":"Sie wurde aber so maßleidig, weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen: „Wie kannst du so etwas tun!“ und: „Das arme Tröpfchen!“ und: „So ein kleines Hilfloses da droben lassen!“ und dann wieder und wieder: „Das arme Tröpfchen!“ Die Dete lief, so schnell sie konnte, weiter und war froh, als sie Nichts mehr hörte, denn es war ihr nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch übergeben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":173,"orig":"Aber ſie ſagte ſich zur Beruhigung, ſie könne dann ja eher wieder etwas für das Kind thun, wenn ſie nun viel Geld verdiene, und ſo war ſie ſehr froh, daß ſie bald weit von allen Leuten, die ihr dreinredeten, weg- und zu einem ſchönen Verdienſt kommen konnte.","norm":"Aber sie sagte sich zur Beruhigung, sie könne dann ja eher wieder etwas für das Kind tun, wenn sie nun viel Geld verdiene, und so war sie sehr froh, dass sie bald weit von allen Leuten, die ihr dreinredeten, weg- und zu einem schönen Verdienst kommen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":174,"orig":"Nachdem die Dete verſchwunden war, hatte der Oehi ſich wieder auf die Bank hingeſetzt und blies nun große Wolken aus ſeiner Pfeife; dabei ſtarrte er auf den Boden und ſagte kein Wort.","norm":"Nachdem die Dete verschwunden war, hatte der Öhi sich wieder auf die Bank hingesetzt und blies nun große Wolken aus seiner Pfeife; dabei starrte er auf den Boden und sagte kein Wort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":175,"orig":"Derweilen ſchaute das Heidi vergnüglich um ſich, entdeckte den Gaißenſtall, der an die Hütte angebaut war, und guckte hinein.","norm":"Derweil schaute das Heidi vergnüglich um sich, entdeckte den Geißenstall, der an die Hütte angebaut war, und guckte hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":176,"orig":"Es war Nichts darin.","norm":"Es war nichts darin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":177,"orig":"Das Kind ſetzte ſeine Unterſuchungen fort und kam hinter die Hütte zu den alten Tannen.","norm":"Das Kind setzte seine Untersuchungen fort und kam hinter die Hütte zu den alten Tannen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":178,"orig":"Da blies der Wind durch die Aeſte ſo ſtark, daß es ſauſte und brauſte oben in den Wipfeln.","norm":"Da blies der Wind durch die Äste so stark, dass es sauste und brauste oben in den Wipfeln."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":179,"orig":"Heidi blieb ſtehen und hörte zu.","norm":"Heidi blieb stehen und hörte zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":180,"orig":"Als es ein wenig ſtiller wurde, ging das Kind um die kommende Ecke der Hütte herum und kam vorn wieder zum Großvater zurück.","norm":"Als es ein wenig stiller wurde, ging das Kind um die kommende Ecke der Hütte herum und kam vorn wieder zum Großvater zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":181,"orig":"Als es dieſen noch in derſelben Stellung erblickte, wie es ihn verlaſſen hatte, ſtellte es ſich vor ihn hin, legte die Hände auf den Rücken und betrachtete ihn.","norm":"Als es diesen noch in derselben Stellung erblickte, wie es ihn verlassen hatte, stellte es sich vor ihn hin, legte die Hände auf den Rücken und betrachtete ihn."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":182,"orig":"Der Großvater ſchaute auf.","norm":"Der Großvater schaute auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":183,"orig":"„Was willſt jetzt thun?“ fragte er, als das Kind immer noch unbeweglich vor ihm ſtand.","norm":"„Was willst jetzt tun?“ fragte er, als das Kind immer noch unbeweglich vor ihm stand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":184,"orig":"Ich will ſehen, was du drinnen haſt, in der Hütte“, ſagte Heidi.","norm":"Ich will sehen, was du drinnen hast, in der Hütte“, sagte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":185,"orig":"„So komm'!“ und der Großvater ſtand auf und ging voran in die Hütte hinein.","norm":"„So komme!“ und der Großvater stand auf und ging voran in die Hütte hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":186,"orig":"„Nimm dort dein Bündel Kleider noch mit“, befahl er im Hereintreten.","norm":"„Nimm dort dein Bündel Kleider noch mit“, befahl er im Hereintreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":187,"orig":"„Das brauch' ich nicht mehr“, erklärte Heidi.","norm":"„Das brauche ich nicht mehr“, erklärte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":188,"orig":"Der Alte kehrte ſich um und ſchaute durchdringend auf das Kind, deſſen ſchwarze Augen glühten in Erwartung der Dinge, die da drinnen ſein konnten.","norm":"Der Alte kehrte sich um und schaute durchdringend auf das Kind, dessen schwarze Augen glühten in Erwartung der Dinge, die da drinnen sein konnten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":189,"orig":"„Es kann ihm nicht am Verſtand fehlen“, ſagte er halblaut.","norm":"„Es kann ihm nicht am Verstand fehlen“, sagte er halblaut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":190,"orig":"„Warum brauchſt du's nicht mehr?“ ſetzte er laut hinzu.","norm":"„Warum brauchst du es nicht mehr?“ setzte er laut hinzu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":191,"orig":"„Ich will am liebſten gehen wie die Gaißen, die haben ganz leichte Beinchen.","norm":"„Ich will am liebsten gehen wie die Geißen, die haben ganz leichte Beinchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":192,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":193,"orig":"„So, das kannſt du, aber hol' das Zeug“, befahl der Großvater, „es kommt in den Kaſten.","norm":"„So, das kannst du, aber hole das Zeug“, befahl der Großvater, „es kommt in den Kasten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":194,"orig":"“ Heidi gehorchte.","norm":"“ Heidi gehorchte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":195,"orig":"Jetzt machte der Alte die Thür auf und Heidi trat hinter ihm her in einen ziemlich großen Raum ein, es war der Umfang der ganzen Hütte.","norm":"Jetzt machte der Alte die Tür auf und Heidi trat hinter ihm her in einen ziemlich großen Raum ein, es war der Umfang der ganzen Hütte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":196,"orig":"Da ſtand ein Tiſch und ein Stuhl daran; in einer Ecke war des Großvaters Schlaflager, in einer andern hing der große Keſſel über dem Heerd; auf der andern Seite war eine große Thür in der Wand, die machte der Großvater auf, es war der Schrank.","norm":"Da stand ein Tisch und ein Stuhl daran; in einer Ecke war des Großvaters Schlaflager, in einer anderen hing der große Kessel über dem Herd; auf der anderen Seite war eine große Tür in der Wand, die machte der Großvater auf, es war der Schrank."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":197,"orig":"Da hingen ſeine Kleider drin und auf einem Geſtell lagen ein paar Hemden, Strümpfe und Tücher und auf einem andern einige Teller und Taſſen und Gläſer und auf dem oberſten ein rundes Brod und geräuchertes Fleiſch und Käſe, denn in dem Kaſten war Alles enthalten, was der Alm-Oehi beſaß und zu ſeinem Lebensunterhalt gebrauchte.","norm":"Da hingen seine Kleider drin und auf einem Gestell lagen ein paar Hemden, Strümpfe und Tücher und auf einem anderen einige Teller und Tassen und Gläser und auf dem obersten ein rundes Brot und geräuchertes Fleisch und Käse, denn in dem Kasten war alles enthalten, was der Alm-Öhi besaß und zu seinem Lebensunterhalt gebrauchte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":198,"orig":"Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi ſchnell heran und ſtieß ſein Zeug hinein, ſo weit hinter des Großvaters Kleider als möglich, damit es nicht ſo leicht wieder zu finden ſei.","norm":"Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi schnell heran und stieß sein Zeug hinein, so weit hinter des Großvaters Kleider als möglich, damit es nicht so leicht wiederzufinden sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":199,"orig":"Nun ſah es ſich aufmerkſam um in dem Raum und ſagte dann: „Wo muß ich ſchlafen, Großvater?“","norm":"Nun sah es sich aufmerksam um in dem Raum und sagte dann: „Wo muss ich schlafen, Großvater?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":200,"orig":"„Wo du willſt“, gab dieſer zur Antwort.","norm":"„Wo du willst“, gab dieser zur Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":201,"orig":"Das war dem Heidi eben recht.","norm":"Das war dem Heidi eben recht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":202,"orig":"Nun fuhr es in alle Winkel hinein und ſchaute jedes Plätzchen aus, wo am ſchönſten zu ſchlafen wäre.","norm":"Nun fuhr es in alle Winkel hinein und schaute jedes Plätzchen aus, wo am schönsten zu schlafen wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":203,"orig":"In der Ecke vorüber des Großvaters Lagerſtätte war eine kleine Leiter aufgerichtet;","norm":"In der Ecke vorüber des Großvaters Lagerstätte war eine kleine Leiter aufgerichtet;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":204,"orig":"Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an.","norm":"Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":205,"orig":"Da lag ein friſcher, duftender Heuhaufen oben und durch eine runde Lücke ſah man weit in's Thal hinab.","norm":"Da lag ein frischer, duftender Heuhaufen oben und durch eine runde Luke sah man weit ins Tal hinab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":206,"orig":"„Hier will ich ſchlafen“, rief Heidi hinunter, „hier iſt's ſchön!","norm":"„Hier will ich schlafen“, rief Heidi hinunter, „hier ist es schön!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":207,"orig":"Komm' und ſieh' einmal, wie ſchön es hier iſt, Großvater!“","norm":"Komme und sieh einmal, wie schön es hier ist, Großvater!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":208,"orig":"„Ich weiß ſchon“, tönte es von unten herauf.","norm":"„Ich Weiß schon“, tönte es von unten herauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":209,"orig":"„Ich mache jetzt das Bett“, rief das Kind wieder, indem es oben geſchäftig hin- und herfuhr, „aber du mußt heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man.","norm":"„Ich mache jetzt das Bett“, rief das Kind wieder, indem es oben geschäftig hin- und herfuhr, „aber du musst heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":210,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":211,"orig":"„So, ſo“, ſagte unten der Großvater, und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum; dann zog er unter ſeinen Hemden ein langes, grobes Tuch hervor, das mußte ſo Etwas ſein, wie ein Leintuch.","norm":"„So, so“, sagte unten der Großvater, und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum; dann zog er unter seinen Hemden ein langes, grobes Tuch hervor, das musste so Etwas sein, wie ein Leintuch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":212,"orig":"Er kam damit die Leiter herauf.","norm":"Er kam damit die Leiter herauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":213,"orig":"Da war auf dem Heuboden ein ganz artiges Bettlein zugerichtet; oben, wo der Kopf liegen mußte, war das Heu hoch aufgeſchichtet, und das Geſicht kam ſo zu liegen, daß es gerade auf das offene, runde Loch traf.","norm":"Da war auf dem Heuboden ein ganz artiges Bettlein zugerichtet; oben, wo der Kopf liegen musste, war das Heu hoch aufgeschichtet, und das Gesicht kam so zu liegen, dass es gerade auf das offene, runde Loch traf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":214,"orig":"„Das iſt recht gemacht“, ſagte der Großvater, „jetzt wird das Tuch kommen, aber wart' noch“, — damit nahm er einen guten Wiſch Heu von dem Haufen und machte das Lager doppelt ſo dick, damit der harte Boden nicht durchgefühlt werden konnte, „ſo, jetzt komm' her damit.","norm":"„Das ist recht gemacht“, sagte der Großvater, „jetzt wird das Tuch kommen, aber wart noch“, — damit nahm er einen guten Wisch Heu von dem Haufen und machte das Lager doppelt so dick, damit der harte Boden nicht durchgefühlt werden konnte, „so, jetzt komme her damit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":215,"orig":"“ Heidi hatte das Leintuch ſchnell zu Handen genommen, konnte es aber faſt nicht tragen, ſo ſchwer war's; aber das war ſehr gut, denn durch das feſte Zeug konnten die ſpitzen Heuhalme nicht durchſtechen.","norm":"“ Heidi hatte das Leintuch schnell zuhanden genommen, konnte es aber fast nicht tragen, so schwer war es; aber das war sehr gut, denn durch das feste Zeug konnten die spitzen Heuhalme nicht durchstechen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":216,"orig":"Jetzt breiteten die Beiden miteinander das Tuch über das Heu und wo es zu breit und zu lang war, ſtopfte Heidi die Enden eilfertig unter das Lager.","norm":"Jetzt breiteten die Beiden miteinander das Tuch über das Heu und wo es zu breit und zu lang war, stopfte Heidi die Enden eilfertig unter das Lager."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":217,"orig":"Nun ſah es recht gut und reinlich aus, und Heidi ſtellte ſich davor und betrachtete es nachdenklich.","norm":"Nun sah es recht gut und reinlich aus, und Heidi stellte sich davor und betrachtete es nachdenklich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":218,"orig":"„Wir haben noch etwas vergeſſen, Großvater“, ſagte es dann.","norm":"„Wir haben noch etwas vergessen, Großvater“, sagte es dann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":219,"orig":"„Was denn?“ fragte er.","norm":"„Was denn?“ fragte er."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":220,"orig":"„Eine Decke; denn wenn man in's Bett geht, kriecht man zwiſchen das Leintuch und die Decke hinein.","norm":"„Eine Decke; denn wenn man ins Bett geht, kriecht man zwischen das Leintuch und die Decke hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":221,"orig":"“ So, meinſt du?","norm":"“ So, meinst du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":222,"orig":"Wenn ich aber keine habe?“ ſagte der Alte.","norm":"Wenn ich aber keine habe?“ sagte der Alte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":223,"orig":"„O dann iſt's gleich, Großvater“, beruhigte Heidi, dann nimmt man wieder Heu zur Decke“, und eilfertig wollte es gleich wieder an den Heuſtock gehen, aber der Großvater wehrte es ihm.","norm":"„O dann ist es gleich, Großvater“, beruhigte Heidi, dann nimmt man wieder Heu zur Decke“, und eilfertig wollte es gleich wieder an den Heustock gehen, aber der Großvater wehrte es ihm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":224,"orig":"„Wart' einen Augenblick“, ſagte er, ſtieg die Leiter hinab und ging an ſein Lager hin.","norm":"„Warte einen Augenblick“, sagte er, stieg die Leiter hinab und ging an sein Lager hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":225,"orig":"Dann kam er wieder und legte einen großen, ſchweren, leinenen Sack auf den Boden.","norm":"Dann kam er wieder und legte einen großen, schweren, Leinen Sack auf den Boden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":226,"orig":"„Iſt das nicht beſſer als Heu?“ fragte er.","norm":"„Ist das nicht besser als Heu?“ fragte er."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":227,"orig":"Heidi zog aus Leibeskräften an dem Sacke hin und her, um ihn auseinanderzulegen, aber die kleinen Hände konnten das ſchwere Zeug nicht bewältigen.","norm":"Heidi zog aus Leibeskräften an dem Sacke hin und her, um ihn auseinanderzulegen, aber die kleinen Hände konnten das schwere Zeug nicht bewältigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":228,"orig":"Der Großvater half, und wie es nun ausgebreitet auf dem Bette lag, da ſah Alles ſehr gut und haltbar aus, und Heidi ſtand ſtaunend vor ſeinem neuen Lager und ſagte: „Das iſt eine prächtige Decke und das ganze Bett!","norm":"Der Großvater half, und wie es nun ausgebreitet auf dem Bette lag, da sah alles sehr gut und haltbar aus, und Heidi stand staunend vor seinem neuen Lager und sagte: „Das ist eine prächtige Decke und das ganze Bett!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":229,"orig":"Jetzt wollt' ich, es wäre ſchon Nacht, ſo könnte ich hinein liegen.","norm":"Jetzt wollte ich, es wäre schon Nacht, so könnte ich hineinliegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":230,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":231,"orig":"„Ich meine, wir könnten erſt einmal etwas eſſen“, ſagte der Großvater, „oder was meinſt du?“ Heidi hatte über dem Eifer des Bettens alles Andere vergeſſen; nun ihm aber der Gedanke an's Eſſen kam, ſtieg ein großer Hunger in ihm auf, denn es hatte auch heute noch gar Nichts bekommen, als früh am Morgen ſein Stück Brod und ein paar Schlücke dünnen Kaffee, und nachher hatte es die lange Reiſe gemacht.","norm":"„Ich meine, wir könnten erst einmal etwas essen“, sagte der Großvater, „oder was meinst du?“ Heidi hatte über dem Eifer des Bettens alles Andere vergessen; nun ihm aber der Gedanke ans Essen kam, stieg ein großer Hunger in ihm auf, denn es hatte auch heute noch gar nichts bekommen, als früh am Morgen sein Stück Brot und ein paar Schlucke dünnen Kaffee, und nachher hatte es die lange Reise gemacht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":232,"orig":"So ſagte Heidi ganz zuſtimmend: „Ja, ich meine es auch.","norm":"So sagte Heidi ganz zustimmend: „Ja, ich meine es auch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":233,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":234,"orig":"„So geh' hinunter, wenn wir denn einig ſind“, ſagte der Alte und folgte dem Kind auf dem Fuß nach.","norm":"„So gehe hinunter, wenn wir denn einig sind“, sagte der Alte und folgte dem Kind auf dem Fuß nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":235,"orig":"Dann ging er zum Keſſel hin, ſchob den großen weg und drehte den kleinen heran, der an der Kette hing, ſetzte ſich auf den hölzernen Dreifuß mit dem runden Sitz davor hin und blies ein helles Feuer an.","norm":"Dann ging er zum Kessel hin, schob den großen weg und drehte den kleinen heran, der an der Kette hing, setzte sich auf den hölzernen Dreifuß mit dem runden Sitz davor hin und blies ein helles Feuer an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":236,"orig":"Im Keſſel fing es an zu ſieden und unten hielt der Alte an einer langen Eiſengabel ein großes Stück Käſe über das Feuer und drehte es hin und her, bis es auf allen Seiten goldgelb war.","norm":"Im Kessel fing es an zu sieden und unten hielt der Alte an einer langen Eisengabel ein großes Stück Käse über das Feuer und drehte es hin und her, bis es auf allen Seiten goldgelb war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":237,"orig":"Heidi hatte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugeſehen; jetzt mußte ihm etwas Neues in den Sinn gekommen ſein; auf einmal ſprang es weg und an den Schrank und von da hin und her.","norm":"Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugesehen; jetzt musste ihm etwas Neues in den Sinn gekommen sein; auf einmal sprang es weg und an den Schrank und von da hin und her."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":238,"orig":"Jetzt kam der Großvater mit einem Topf und dem Käſebraten an der Gabel zum Tiſch heran; da lag ſchon das runde Brod darauf und zwei Teller und zwei Meſſer, Alles ſchön geordnet, denn das Heidi hatte Alles im Schrank gut wahrgenommen und wußte, daß man das Alles nun gleich zum Eſſen brauchen werde.","norm":"Jetzt kam der Großvater mit einem Topf und dem Käsebraten an der Gabel zum Tisch heran; da lag schon das runde Brot darauf und zwei Teller und zwei Messer, alles schön geordnet, denn das Heidi hatte alles im Schrank gut wahrgenommen und wusste, dass man das alles nun gleich zum Essen brauchen werde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":239,"orig":"„So, das iſt recht, daß du ſelbſt etwas ausdenkſt“, ſagte der Großvater und legte den Braten auf das Brod, als Unterlage; „aber es fehlt noch Etwas auf dem Tiſch.","norm":"„So, das ist recht, dass du selbst etwas ausdenkst“, sagte der Großvater und legte den Braten auf das Brot, als Unterlage; „aber es fehlt noch etwas auf dem Tisch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":240,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":241,"orig":"Heidi ſah, wie einladend es aus dem Topf hervordampfte, und ſprang ſchnell wieder an den Schrank.","norm":"Heidi sah, wie einladend es aus dem Topf hervordampfte, und sprang schnell wieder an den Schrank."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":242,"orig":"Da ſtand aber nur ein einziges Schüſſelchen.","norm":"Da stand aber nur ein einziges Schüsselchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":243,"orig":"Heidi war nicht lang in Verlegenheit, dort hinten ſtanden zwei Gläſer; augenblicklich kam das Kind zurück und ſtellte Schüſſelchen und Glas auf den Tiſch.","norm":"Heidi war nicht lang in Verlegenheit, dort hinten standen zwei Gläser; augenblicklich kam das Kind zurück und stellte Schüsselchen und Glas auf den Tisch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":244,"orig":"„Recht ſo, du weißt dir zu helfen; aber wo willſt du ſitzen?“ Auf dem einzigen Stuhl ſaß der Großvater ſelbſt.","norm":"„Recht so, du weißt dir zu helfen; aber wo willst du sitzen?“ Auf dem einzigen Stuhl saß der Großvater selbst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":245,"orig":"Heidi ſchoß pfeilſchnell zum Heerd hin, brachte den kleinen Dreifuß zurück und ſetzte ſich drauf.","norm":"Heidi schoss pfeilschnell zum Herd hin, brachte den kleinen Dreifuß zurück und setzte sich drauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":246,"orig":"„Einen Sitz haſt du wenigſtens, das iſt wahr, nur ein wenig weit unten“, ſagte der Großvater; aber von meinem Stuhl wärſt auch zu kurz, auf den Tiſch zu langen; jetzt mußt aber einmal Etwas haben, ſo komm'!“ Damit ſtand er auf, füllte das Schüſſelchen mit Milch, ſtellte es auf den Stuhl, und rutſchte den ganz nah an den Dreifuß hin, ſo daß das Heidi nun einen Tiſch vor ſich hatte.","norm":"„Einen Sitz hast du wenigstens, das ist wahr, nur ein wenig weit unten“, sagte der Großvater; aber von meinem Stuhl wärst auch zu kurz, auf den Tisch zu langen; jetzt musst aber einmal etwas haben, so komme!“ Damit stand er auf, füllte das Schüsselchen mit Milch, stellte es auf den Stuhl, und rutschte den ganz nah an den Dreifuß hin, so dass das Heidi nun einen Tisch vor sich hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":247,"orig":"Der Großvater legte ein großes Stück Brod und ein Stück von dem goldenen Käſe darauf und ſagte: „Jetzt iß!“ Er ſelbſt ſetzte ſich nun auf die Ecke des Tiſches und begann ſein Mittagsmahl.","norm":"Der Großvater legte ein großes Stück Brot und ein Stück von dem goldenen Käse darauf und sagte: „Jetzt esse!“ Er selbst setzte sich nun auf die Ecke des Tisches und begann sein Mittagsmahl."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":248,"orig":"Heidi ergriff ſein Schüſſelchen und trank und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durſt ſeiner langen Reiſe war ihm wieder aufgeſtiegen.","norm":"Heidi ergriff sein Schüsselchen und trank und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durst seiner langen Reise war ihm wieder aufgestiegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":249,"orig":"Jetzt that es einen langen Athemzug, denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Athem nicht holen können, und ſtellte ſein Schüſſelchen hin.","norm":"Jetzt tat es einen langen Atemzug, denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Atem nicht holen können, und stellte sein Schüsselchen hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":250,"orig":"„Gefällt dir die Milch?“ fragte der Großvater.","norm":"„Gefällt dir die Milch?“ fragte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":251,"orig":"„Ich habe noch gar nie ſo gute Milch getrunken“, antwortete Heidi.","norm":"„Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken“, antwortete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":252,"orig":"So mußt du mehr haben“, und der Großvater füllte das Schüſſelchen noch einmal bis oben hin und ſtellte es vor das Kind, das vergnüglich in ſein Brod biß und dann von dem weichen Käſe darauf ſtrich, denn der war, ſo gebraten, weich wie Butter, und das ſchmeckte ganz kräftig zuſammen, und zwiſchen durch trank es ſeine Milch und ſah ſehr vergnüglich aus.","norm":"So musst du mehr haben“, und der Großvater füllte das Schüsselchen noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind, das vergnüglich in sein Brot bis und dann von dem weichen Käse daraufstrich, denn der war, so gebraten, weich wie Butter, und das schmeckte ganz kräftig zusammen, und zwischendurch trank es seine Milch und sah sehr vergnüglich aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":253,"orig":"Als nun das Eſſen zu Ende war, ging der Großvater in den Gaißenſtall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi ſah ihm aufmerkſam zu, wie er erſt mit dem Beſen ſäuberte, dann friſche Streu legte, daß die Thierchen darauf ſchlafen konnten; wie er dann nach dem Schöpfchen ging nebenan und hier runde Stöcke zurecht ſchnitt und an einem Brett herum hackte und Löcher hinein bohrte und dann die runden Stöcke hinein ſteckte und aufſtellte; da war es auf einmal ein Stuhl, wie der vom Großvater, nur viel höher, und Heidi ſtaunte das Werk an, ſprachlos vor Verwunderung.","norm":"Als nun das Essen zu Ende war, ging der Großvater in den Geißenstall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi sah ihm aufmerksam zu, wie er erst mit dem Besen säuberte, dann frische Streue legte, dass die Tierchen darauf schlafen konnten; wie er dann nach dem Schöpfchen ging nebenan und hier runde Stöcke zurechtschnitt und an einem Brett herumhackte und Löcher hineinbohrte und dann die runden Stöcke hineinsteckte und aufstellte; da war es auf einmal ein Stuhl, wie der vom Großvater, nur viel höher, und Heidi staunte das Werk an, sprachlos vor Verwunderung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":254,"orig":"„Was iſt das, Heidi?“ fragte der Großvater.","norm":"„Was ist das, Heidi?“ fragte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":255,"orig":"„Das iſt mein Stuhl, weil er ſo hoch iſt; auf einmal war er fertig“, ſagte das Kind noch in tiefem Erſtaunen und Bewunderung.","norm":"„Das ist mein Stuhl, weil er so hoch ist; auf einmal war er fertig“, sagte das Kind noch in tiefem Erstaunen und Bewunderung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":256,"orig":"„Es weiß, was es ſieht, es hat die Augen am rechten Ort“, bemerkte der Großvater vor ſich hin, als er nun um die Hütte herum ging und hier einen Nagel einſchlug und dort einen und dann an der Thür etwas zu befeſtigen hatte und ſo mit Hammer und Nägeln und Holzſtücken von einem Ort zum andern wanderte und immer etwas ausbeſſerte oder wegſchlug, je nach dem Bedürfniß.","norm":"„Es weiß, was es sieht, es hat die Augen am rechten Ort“, bemerkte der Großvater vor sich hin, als er nun um die Hütte herumging und hier einen Nagel einschlug und dort einen und dann an der Tür etwas zu befestigen hatte und so mit Hammer und Nägeln und Holzstücken von einem Ort zum anderen wanderte und immer etwas ausbesserte oder wegschlug, je nach dem Bedürfnis."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":257,"orig":"Heidi ging Schritt für Schritt hinter ihm her und ſchaute ihm unverwandt mit der größten Aufmerkſamkeit, zu und Alles, was da vorging, war ihm ſehr kurzweilig anzuſehen.","norm":"Heidi ging Schritt für Schritt hinter ihm her und schaute ihm unverwandt mit der größten Aufmerksamkeit, zu und alles, was da vorging, war ihm sehr kurzweilig anzusehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":258,"orig":"So kam der Abend heran.","norm":"So kam der Abend heran."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":259,"orig":"Es fing an ſtärker zu rauſchen in den alten Tannen, ein mächtiger Wind fuhr daher und ſauſte und brauſte durch die dichten Wipfel.","norm":"Es fing an stärker zu rauschen in den alten Tannen, ein mächtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste durch die dichten Wipfel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":260,"orig":"Das tönte dem Heidi ſo ſchön in die Ohren und in's Herz hinein, daß es ganz fröhlich darüber wurde, und hüpfte und ſprang unter den Tannen umher, als hätte es eine unerhörte Freude erlebt.","norm":"Das tönte dem Heidi so schön in die Ohren und ins Herz hinein, dass es ganz fröhlich darüber wurde, und hüpfte und sprang unter den Tannen umher, als hätte es eine unerhörte Freude erlebt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":261,"orig":"Der Großvater ſtand unter der Schopfthür und ſchaute dem Kinde zu.","norm":"Der Großvater stand unter der Schopftür und schaute dem Kind zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":262,"orig":"Jetzt ertönte ein ſchriller Pfiff.","norm":"Jetzt ertönte ein schriller Pfiff."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":263,"orig":"Heidi hielt an in ſeinen Sprüngen, der Großvater trat heraus.","norm":"Heidi hielt an in seinen Sprüngen, der Großvater trat heraus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":264,"orig":"Von oben herunter kam es geſprungen, Gaiß um Gaiß, wie eine Jagd und mitten drin der Peter.","norm":"Von oben herunterkam es gesprungen, Geiß um Geiß, wie eine Jagd und mitten drin der Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":265,"orig":"Mit einem Freudenruf ſchoß Heidi mitten in den Rudel hinein und begrüßte die alten Freunde von heute Morgen einen um den andern.","norm":"Mit einem Freudenruf schoss Heidi mitten in den Rudel hinein und begrüßte die alten Freunde von heute Morgen einen um den anderen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":266,"orig":"Bei der Hütte angekommen, ſtand Alles ſtill und aus der Heerde heraus kamen zwei ſchöne, ſchlanke Gaißen, eine weiße und eine braune auf den Großvater zu und leckten ſeine Hände, denn er hielt ein wenig Salz darin, wie er jeden Abend zum Empfang ſeiner zwei Thierlein that.","norm":"Bei der Hütte angekommen, stand alles still und aus der Herde heraus kamen zwei schöne, schlanke Geißen, eine weiße und eine braune auf den Großvater zu und leckten seine Hände, denn er hielt ein wenig Salz darin, wie er jeden Abend zum Empfang seiner zwei Tierlein tat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":267,"orig":"Der Peter verſchwand mit ſeiner Schaar.","norm":"Der Peter verschwand mit seiner Schar."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":268,"orig":"Heidi ſtreichelte zärtlich die eine und dann die andere von den Gaißen und ſprang um ſie herum, um ſie von der andern Seite auch zu ſtreicheln, und war ganz Glück und Freude über die Thierchen.","norm":"Heidi streichelte zärtlich die eine und dann die andere von den Geißen und sprang um sie herum, um sie von der anderen Seite auch zu streicheln, und war ganz Glück und Freude über die Tierchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":269,"orig":"„Sind ſie unſer, Großvater?","norm":"„Sind sie unser, Großvater?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":270,"orig":"Sind ſie beide unſer?","norm":"Sind sie beide unser?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":271,"orig":"Kommen ſie in den Stall?","norm":"Kommen sie in den Stall?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":272,"orig":"Bleiben ſie immer bei uns?“ So fragte Heidi hinter einander in ſeinem Vergnügen, und der Großvater konnte kaum ſein ſtätiges „Ja, ja!“ zwiſchen die eine und die andere Frage hineinbringen.","norm":"Bleiben sie immer bei uns?“ So fragte Heidi hintereinander in seinem Vergnügen, und der Großvater konnte kaum sein stetiges „Ja, ja!“ zwischen die eine und die andere Frage hineinbringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":273,"orig":"Als die Gaißen ihr Salz aufgeleckt hatten, ſagte der Alte: „Geh' und hol' dein Schüſſelchen heraus und das Brod.","norm":"Als die Geißen ihr Salz aufgeleckt hatten, sagte der Alte: „Gehe und hole dein Schüsselchen heraus und das Brot."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":274,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":275,"orig":"Heidi gehorchte und kam gleich wieder.","norm":"Heidi gehorchte und kam gleich wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":276,"orig":"Nun melkte der Großvater gleich von der Weißen das Schüſſelchen voll und ſchnitt ein Stück Brod ab und ſagte: „Nun iß und dann geh' hinauf und ſchlaf'!","norm":"Nun melkte der Großvater gleich von der Weißen das Schüsselchen voll und schnitt ein Stück Brot ab und sagte: „Nun esse und dann gehe hinauf und schlafe!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":277,"orig":"Die Baſe Dete hat noch ein Bündelchen abgelegt für dich, da ſeien Hemdlein und ſo etwas darin, das liegt unten im Kaſten, wenn du's brauchſt; ich muß nun mit den Gaißen hinein, ſo ſchlaf' wohl!“","norm":"Die Base Dete hat noch ein Bündelchen abgelegt für dich, da seien Hemdlein und so etwas darin, das liegt unten im Kasten, wenn du es brauchst; ich muss nun mit den Geißen hinein, so schlafe wohl!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":278,"orig":"„Gut' Nacht, Großvater!","norm":"„Gute Nacht, Großvater!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":279,"orig":"Gut' Nacht — wie heißen ſie, Großvater, wie heißen ſie?“ rief das Kind und lief dem verſchwindenden Alten und den Gaißen nach.","norm":"Gute Nacht — wie heißen sie, Großvater, wie heißen sie?“ rief das Kind und lief dem verschwindenden Alten und den Geißen nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":280,"orig":"„Die Weiße heißt Schwänli und die Braune Bärli“, gab der Großvater zurück.","norm":"„Die Weiße heißt Schwänli und die Braune Bärli“, gab der Großvater zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":281,"orig":"„Gut' Nacht, Schwänli, gut' Nacht, Bärli“, rief nun Heidi noch mit Macht, denn eben verſchwanden Beide in den Stall hinein.","norm":"„Gute Nacht, Schwänli, gute Nacht, Bärli“, rief nun Heidi noch mit Macht, denn eben verschwanden beide in den Stall hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":282,"orig":"Nun ſetzte ſich Heidi noch auf die Bank und aß ſein Brod und trank ſeine Milch; aber der ſtarke Wind wehte es faſt von ſeinem Sitz herunter; ſo machte es ſchnell fertig, ging dann hinein und ſtieg zu ſeinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher ſo feſt und herrlich ſchlief, als nur Einer im ſchönſten Fürſtenbett ſchlafen konnte.","norm":"Nun setzte sich Heidi noch auf die Bank und aß sein Brot und trank seine Milch; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz herunter; so machte es schnell fertig, ging dann hinein und stieg zu seinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher so fest und herrlich schlief, als nur Einer im schönsten Fürstenbett schlafen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":283,"orig":"Nicht lange nachher, noch eh' es völlig dunkel war, legte auch der Großvater ſich auf ſein Lager, denn am Morgen war er immer ſchon mit der Sonne wieder draußen, und die kam ſehr früh über die Berge hereingeſtiegen in dieſer Sommerszeit.","norm":"Nicht lange nachher, noch ehe es völlig dunkel war, legte auch der Großvater sich auf sein Lager, denn am Morgen war er immer schon mit der Sonne wieder draußen, und die kam sehr früh über die Berge hereingestiegen in dieser Sommerszeit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":284,"orig":"In der Nacht kam der Wind ſo gewaltig, daß bei ſeinen Stößen die ganze Hütte erzitterte und es in allen Balken krachte; durch den Schornſtein heulte und ächzte es wie Jammerſtimmen, und in den alten Tannen draußen tobte es mit ſolcher Wuth, daß hie und da ein Aſt niederkrachte.","norm":"In der Nacht kam der Wind so gewaltig, dass bei seinen Stößen die ganze Hütte erzitterte und es in allen Balken krachte; durch den Schornstein heulte und ächzte es wie Jammerstimmen, und in den alten Tannen draußen tobte es mit solcher Wut, dass hier und da ein Ast niederkrachte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":285,"orig":"Mitten in der Nacht ſtand der Großvater auf und ſagte halblaut vor ſich hin: „Es wird ſich wohl fürchten.","norm":"Mitten in der Nacht stand der Großvater auf und sagte halblaut vor sich hin: „Es wird sich wohl fürchten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":286,"orig":"“ Er ſtieg die Leiter hinauf und trat an Heidi's Lager heran.","norm":"“ Er stieg die Leiter hinauf und trat an Heidis Lager heran."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":287,"orig":"Der Mond draußen ſtand einmal hell leuchtend am Himmel, dann fuhren wieder die jagenden Wolken darüber hin und Alles wurde dunkel.","norm":"Der Mond draußen stand einmal hellleuchtend am Himmel, dann fuhren wieder die jagenden Wolken darüber hin und alles wurde dunkel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":288,"orig":"Jetzt kam der Mondſchein eben leuchtend durch die runde Oeffnung herein und fiel gerade auf Heidi's Lager.","norm":"Jetzt kam der Mondschein eben leuchtend durch die runde Öffnung herein und fiel gerade auf Heidis Lager."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":289,"orig":"Es hatte ſich feuerrothe Backen erſchlafen unter ſeiner ſchweren Decke, und ganz ruhig und friedlich lag es auf ſeinem runden Aermchen und träumte von etwas Erfreulichem, denn ſein Geſichtchen ſah ganz wohlgemuth aus.","norm":"Es hatte sich feuerrote Backen erschlafen unter seiner schweren Decke, und ganz ruhig und friedlich lag es auf seinem runden Ärmchen und träumte von etwas Erfreulichem, denn sein Gesichtchen sah ganz wohlgemut aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":290,"orig":"Der Großvater ſchaute ſo lange auf das friedlich ſchlafende Kind, bis der Mond wieder hinter die Wolken kam und es dunkel wurde, dann kehrte er auf ſein Lager zurück.","norm":"Der Großvater schaute so lange auf das friedlich schlafende Kind, bis der Mond wieder hinter die Wolken kam und es dunkel wurde, dann kehrte er auf sein Lager zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":291,"orig":"Heidi erwachte am frühen Morgen an einem lauten Pfiff, und als es die Augen aufſchlug, kam ein goldner Schein durch das runde Loch hereingefloſſen auf ſein Lager und auf das Heu daneben, daß Alles golden leuchtete ringsherum.","norm":"Heidi erwachte am frühen Morgen an einem lauten Pfiff, und als es die Augen aufschlug, kam ein goldener Schein durch das runde Loch hereingeflossen auf sein Lager und auf das Heu daneben, dass alles golden leuchtete ringsherum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":292,"orig":"Heidi ſchaute erſtaunt um ſich und wußte durchaus nicht, wo es war.","norm":"Heidi schaute erstaunt um sich und wusste durchaus nicht, wo es war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":293,"orig":"Aber nun hörte es draußen des Großvaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm Alles in den Sinn, woher es gekommen war, und daß es nun auf der Alm beim Großvater ſei, nicht mehr bei der alten Urſel, die faſt Nichts mehr hörte und meiſtens fror, ſo daß ſie immer am Küchenfeuer oder am Stubenofen geſeſſen hatte, wo dann auch Heidi hatte verweilen müſſen oder doch ganz in der Nähe, damit die Alte ſehen konnte, wo es war, weil ſie es nicht hören konnte.","norm":"Aber nun hörte es draußen des Großvaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm alles in den Sinn, woher es gekommen war, und dass es nun auf der Alm beim Großvater sei, nicht mehr bei der alten Ursel, die fast Nichts mehr hörte und meistens fror, so dass sie immer am Küchenfeuer oder am Stubenofen gesessen hatte, wo dann auch Heidi hatte verweilen müssen oder doch ganz in der Nähe, damit die Alte sehen konnte, wo es war, weil sie es nicht hören konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":294,"orig":"Da war es dem Heidi manchmal zu eng drinnen, und es wäre lieber hinausgelaufen.","norm":"Da war es dem Heidi manchmal zu eng drinnen, und es wäre lieber hinausgelaufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":295,"orig":"So war es ſehr froh, als es in der neuen Behauſung erwachte und ſich erinnerte, wie viel Neues es geſtern geſehen hatte und was es heute wieder Alles ſehen könnte, vor Allem das Schwänli und das Bärli.","norm":"So war es sehr froh, als es in der neuen Behausung erwachte und sich erinnerte, wie viel Neues es gestern gesehen hatte und was es heute wieder alles sehen könnte, vor allem das Schwänli und das Bärli."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":296,"orig":"Heidi ſprang eilig aus ſeinem Bett und hatte in wenig Minuten Alles wieder angelegt, was es geſtern getragen hatte, denn es war ſehr wenig.","norm":"Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles wieder angelegt, was es gestern getragen hatte, denn es war sehr wenig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":297,"orig":"Nun ſtieg es die Leiter hinunter und ſprang vor die Hütte hinaus.","norm":"Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die Hütte hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":298,"orig":"Da ſtand ſchon der Gaißen-Peter mit ſeiner Schaar und der Großvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei, daß ſie ſich der Geſellſchaft anſchlöſſen.","norm":"Da stand schon der Geißenpeter mit seiner Schar und der Großvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei, dass sie sich der Gesellschaft anschlössen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":299,"orig":"Heidi lief ihm entgegen, um ihm und den Gaißen guten Tag zu ſagen.","norm":"Heidi lief ihm entgegen, um ihm und den Geißen guten Tag zu sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":300,"orig":"„Willſt mit auf die Weide?“ fragte der Großvater.","norm":"„Willst mit auf die Weide?“ fragte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":301,"orig":"Das war dem Heidi eben recht, es hüpfte hoch auf vor Freuden.","norm":"Das war dem Heidi eben recht, es hüpfte hoch auf vor Freuden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":302,"orig":"„Aber erſt waſchen und ſauber ſein, ſonſt lacht Einen die Sonne aus, wenn ſie ſo ſchön glänzt da droben und ſieht, daß du ſchwarz biſt; ſieh, dort iſt's für dich gerichtet.","norm":"„Aber erst waschen und sauber sein, sonst lacht Einen die Sonne aus, wenn sie so schön glänzt da droben und sieht, dass du schwarz bist; sieh, dort ist es für dich gerichtet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":303,"orig":"“ Der Großvater zeigte auf einen großen Zuber voll Waſſer, der vor der Thür in der Sonne ſtand.","norm":"“ Der Großvater zeigte auf einen großen Zuber voll Wasser, der vor der Tür in der Sonne stand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":304,"orig":"Heidi ſprang hin und patſchte und rieb, bis es ganz glänzend war.","norm":"Heidi sprang hin und patschte und rieb, bis es ganz glänzend war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":305,"orig":"Unterdeſſen ging der Großvater in die Hütte hinein und rief dem Peter zu: „Komm' hieher, Gaißengeneral, und bring' deinen Haberſack mit!“ Verwundert folgte Peter dem Ruf und ſtreckte ſein Säcklein hin, in dem er ſein mageres Mittageſſen bei ſich trug.","norm":"Unterdessen ging der Großvater in die Hütte hinein und rief dem Peter zu: „Komme hierher, Geißengeneral, und bringe deinen Habersack mit!“ Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein Säcklein hin, in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":306,"orig":"„Mach' auf!“ befahl der Alte und ſteckte nun ein großes Stück Brod und ein ebenſo großes Stück Käſe hinein.","norm":"„Mache auf!“ befahl der Alte und steckte nun ein großes Stück Brot und ein ebenso großes Stück Käse hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":307,"orig":"Der Peter machte vor Erſtaunen ſeine runden Augen ſo weit auf, als nur möglich, denn die beiden Stücke waren wohl die Hälfte ſo groß wie die zwei, die er als eignes Mittagsmahl drinnen hatte.","norm":"Der Peter machte vor Erstaunen seine runden Augen so weit auf, als nur möglich, denn die beiden Stücke waren wohl die Hälfte so groß wie die zwei, die er als eigenes Mittagsmahl drinnen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":308,"orig":"„So, nun kommt noch das Schüſſelchen hinein“, fuhr der Oehi fort, „denn das Kind kann nicht trinken wie du, nur ſo von der Gaiß weg, es kennt das nicht.","norm":"„So, nun kommt noch das Schüsselchen hinein“, fuhr der Öhi fort, „denn das Kind kann nicht trinken wie du, nur so von der Geiß weg, es kennt das nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":309,"orig":"Du melkſt ihm zwei Schüſſelchen voll zu Mittag, denn das Kind geht mit dir und bleibt bei dir, bis du wieder herunterkommſt; gib Acht, daß es nicht über die Felſen hinunterfällt, hörſt du?“","norm":"Du melkst ihm zwei Schüsselchen voll zu Mittag, denn das Kind geht mit dir und bleibt bei dir, bis du wieder herunterkommst; gib Acht, dass es nicht über die Felsen hinunterfällt, hörst du?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":310,"orig":"Nun kam Heidi hereingelaufen.","norm":"Nun kam Heidi hereingelaufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":311,"orig":"„Kann mich die Sonne jetzt nicht auslachen, Großvater?“ fragte es angelegentlich.","norm":"„Kann mich die Sonne jetzt nicht auslachen, Großvater?“ fragte es angelegentlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":312,"orig":"Es hatte ſich mit dem groben Tuch, das der Großvater neben dem Waſſerzuber aufgehängt hatte, Geſicht, Hals und Arme in ſeinem Schrecken vor der Sonne ſo erſtaunlich gerieben, daß es krebsroth vor dem Großvater ſtand.","norm":"Es hatte sich mit dem groben Tuch, das der Großvater neben dem Wasserzuber aufgehängt hatte, Gesicht, Hals und Arme in seinem Schrecken vor der Sonne so erstaunlich gerieben, dass es krebsrot vor dem Großvater stand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":313,"orig":"Er lachte ein wenig.","norm":"Er lachte ein wenig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":314,"orig":"„Nein, nun hat ſie Nichts zu lachen“, beſtätigte er.","norm":"„Nein, nun hat sie Nichts zu lachen“, bestätigte er."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":315,"orig":"Aber weißt was?","norm":"Aber weißt was?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":316,"orig":"Am Abend, wenn du heimkommſt, da gehſt du noch ganz hinein in den Zuber, wie ein Fiſch; denn wenn man geht, wie die Gaißen, da bekommt man ſchwarze Füße.","norm":"Am Abend, wenn du heimkommst, da gehst du noch ganz hinein in den Zuber, wie ein Fisch; denn wenn man geht, wie die Geißen, da bekommt man schwarze Füße."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":317,"orig":"Jetzt könnt ihr ausziehen.","norm":"Jetzt könnt ihr ausziehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":318,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":319,"orig":"Nun ging es luſtig die Alm hinan.","norm":"Nun ging es lustig die Alm hinan."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":320,"orig":"Der Wind hatte in der Nacht das letzte Wölkchen weggeblaſen; dunkelblau ſchaute der Himmel von allen Seiten hernieder, und mitten drauf ſtand die leuchtende Sonne und ſchimmerte auf die grüne Alp, und alle die blauen und gelben Blümchen darauf machten ihre Kelche auf und ſchauten ihr fröhlich entgegen.","norm":"Der Wind hatte in der Nacht das letzte Wölkchen weggeblasen; dunkelblau schaute der Himmel von allen Seiten hernieder, und mitten draufstand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die grüne Alp, und alle die blauen und gelben Blümchen darauf machten ihre Kelche auf und schauten ihr fröhlich entgegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":321,"orig":"Heidi ſprang hierhin und dorthin und jauchzte vor Freude, denn da waren ganze Trüppchen feiner, rother Himmelsſchlüſſelchen bei einander, und dort ſchimmerte es ganz blau von den ſchönen Enzianen, und überall lachten und nickten die zartblättrigen, goldenen Cyſtusröſchen in der Sonne.","norm":"Heidi sprang hierhin und dorthin und jauchzte vor Freude, denn da waren ganze Trüppchen feiner, roter Himmelsschlüsselchen bei einander, und dort schimmerte es ganz blau von den schönen Enzianen, und überall lachten und nickten die zartblättrigen, goldenen Zistroschen in der Sonne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":322,"orig":"Vor Entzücken über all den flimmernden, winkenden Blümchen vergaß Heidi ſogar die Gaißen und auch den Peter.","norm":"Vor Entzücken über all den flimmernden, winkenden Blümchen vergaß Heidi sogar die Geißen und auch den Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":323,"orig":"Es ſprang ganze Strecken voran und dann auf die Seite, denn dort funkelte es roth und da gelb und lockte Heidi auf alle Seiten.","norm":"Es sprang ganze Strecken voran und dann auf die Seite, denn dort funkelte es rot und da gelb und lockte Heidi auf alle Seiten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":324,"orig":"Und überall brach Heidi ganze Schaaren von den Blumen und packte ſie in ſein Schürzchen ein, denn es wollte ſie alle mit heim nehmen und in's Heu ſtecken in ſeiner Schlafkammer, daß es dort werde wie hier draußen.","norm":"Und überall brach Heidi ganze Scharen von den Blumen und packte sie in sein Schürzchen ein, denn es wollte sie alle mit heimnehmen und ins Heu stecken in seiner Schlafkammer, dass es dort werde wie hier draußen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":325,"orig":"So hatte der Peter heut' nach allen Seiten zu gucken und ſeine kugelrunden Augen, die nicht beſonders ſchnell hin- und hergingen, hatten mehr Arbeit, als der Peter gut bewältigen konnte, denn die Gaißen hatten es wie das Heidi, ſie liefen auch dahin und dorthin und er mußte überallhin pfeifen und rufen und ſeine Ruthe ſchwingen, um wieder alle die Verlaufenen zuſammenzutreiben.","norm":"So hatte der Peter heute nach allen Seiten zu gucken und seine kugelrunden Augen, die nicht besonders schnell hin- und hergingen, hatten mehr Arbeit, als der Peter gut bewältigen konnte, denn die Geißen hatten es wie das Heidi, sie liefen auch dahin und dorthin und er musste überallhin pfeifen und rufen und seine Rute schwingen, um wieder alle die Verlaufenen zusammenzutreiben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":326,"orig":"„Wo biſt du ſchon wieder, Heidi?“ rief er jetzt mit ziemlich grimmiger Stimme.","norm":"„Wo bist du schon wieder, Heidi?“ rief er jetzt mit ziemlich grimmiger Stimme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":327,"orig":"„Da“, tönte es von irgendwoher zurück.","norm":"„Da“, tönte es von irgendwoher zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":328,"orig":"Sehen konnte Peter Niemand, denn Heidi ſaß am Boden hinter einem Hügelchen, das dicht mit duftenden Prünellen beſät war; da war die ganze Luft umher ſo mit Wohlgeruch erfüllt, daß Heidi noch nie ſo Liebliches eingeathmet hatte.","norm":"Sehen konnte Peter Niemand, denn Heidi saß am Boden hinter einem Hügelchen, das dicht mit duftenden Prünellen besät war; da war die ganze Luft umher so mit Wohlgeruch erfüllt, dass Heidi noch nie so Liebliches eingeatmet hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":329,"orig":"Es ſetzte ſich in die Blumen hinein und zog den Duft in vollen Zügen ein.","norm":"Es setzte sich in die Blumen hinein und zog den Duft in vollen Zügen ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":330,"orig":"„Komm' nach“, rief der Peter wieder.","norm":"„Komme nach“, rief der Peter wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":331,"orig":"„Du mußt nicht über die Felſen hinunterfallen, der Oehi hat's verboten.","norm":"„Du musst nicht über die Felsen hinunterfallen, der Öhi hat es verboten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":332,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":333,"orig":"„Wo ſind die Felſen?“ fragte Heidi zurück, bewegte ſich aber nicht von der Stelle, denn der ſüße Duft ſtrömte mit jedem Windhauch dem Kinde lieblicher entgegen.","norm":"„Wo sind die Felsen?“ fragte Heidi zurück, bewegte sich aber nicht von der Stelle, denn der süße Duft strömte mit jedem Windhauch dem Kinde lieblicher entgegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":334,"orig":"„Dort oben, ganz oben, wir haben noch weit, drum komm' jetzt!","norm":"„Dort oben, ganz oben, wir haben noch weit, darum komme jetzt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":335,"orig":"Und oben am höchſten ſitzt der alte Raubvogel und krächzt.","norm":"Und oben am höchsten sitzt der alte Raubvogel und krächzt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":336,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":337,"orig":"Das half.","norm":"Das half."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":338,"orig":"Augenblicklich ſprang Heidi in die Höhe und rannte mit ſeiner Schürze voller Blumen dem Peter zu.","norm":"Augenblicklich sprang Heidi in die Höhe und rannte mit seiner Schürze voller Blumen dem Peter zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":339,"orig":"„Jetzt haſt genug“, ſagte dieſer, als ſie wieder zuſammen weiter kletterten, „ſonſt bleibſt du immer ſtecken, und wenn du alle nimmſt, hat's morgen keine mehr.","norm":"„Jetzt hast genug“, sagte dieser, als sie wieder zusammen weiter kletterten, „sonst bleibst du immer stecken, und wenn du alle nimmst, hat es morgen keine mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":340,"orig":"“ Der letzte Grund leuchtete Heidi ein, und dann hatte es die Schürze ſchon ſo angefüllt, daß da wenig Platz mehr geweſen wäre, und morgen mußten auch noch da ſein.","norm":"“ Der letzte Grund leuchtete Heidi ein, und dann hatte es die Schürze schon so angefüllt, dass da wenig Platz mehr gewesen wäre, und morgen mussten auch noch da sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":341,"orig":"So zog es nun mit dem Peter weiter und die Gaißen gingen nun auch geregelter, denn ſie rochen die guten Kräuter von dem hohen Weideplatz ſchon von fern und ſtrebten nun ohne Aufenthalt dahin.","norm":"So zog es nun mit dem Peter weiter und die Geißen gingen nun auch geregelter, denn sie rochen die guten Kräuter von dem hohen Weideplatz schon von fern und strebten nun ohne Aufenthalt dahin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":342,"orig":"Der Weideplatz, wo Peter gewöhnlich Halt machte mit ſeinen Gaißen und ſein Quartier für den Tag aufſchlug, lag am Fuße der hohen Felſen, die, erſt noch von Gebüſch und Tannen bedeckt, zuletzt ganz kahl und ſchroff zum Himmel hinaufragen.","norm":"Der Weideplatz, wo Peter gewöhnlich Halt machte mit seinen Geißen und sein Quartier für den Tag aufschlug, lag am Fuße der hohen Felsen, die, erst noch von Gebüsch und Tannen bedeckt, zuletzt ganz kahl und schroff zum Himmel hinaufragen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":343,"orig":"An der einen Seite der Alp zogen ſich Felſenklüfte weit hinunter und der Großvater hatte Recht, davor zu warnen.","norm":"An der einen Seite der Alp zogen sich Felsenklüfte weit hinunter und der Großvater hatte Recht, davor zu warnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":344,"orig":"Als nun dieſer Punkt der Höhe erreicht war, nahm Peter ſeinen Sack ab und legte ihn ſorgfältig in eine kleine Vertiefung des Bodens hinein, denn der Wind kam manchmal in ſtarken Stößen daher gefahren, und den kannte Peter und wollte ſeine koſtbare Habe nicht den Berg hinunterrollen ſehen; dann ſtreckte er ſich lang und breit auf den ſonnigen Weideboden hin, denn er mußte ſich nun von der Anſtrengung des Steigens erholen.","norm":"Als nun dieser Punkt der Höhe erreicht war, nahm Peter seinen Sack ab und legte ihn sorgfältig in eine kleine Vertiefung des Bodens hinein, denn der Wind kam manchmal in starken Stößen dahergefahren, und den kannte Peter und wollte seine kostbare Habe nicht den Berg hinunterrollen sehen; dann streckte er sich lang und breit auf den sonnigen Weideboden hin, denn er musste sich nun von der Anstrengung des Steigens erholen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":345,"orig":"Heidi hatte unterdeſſen ſein Schürzchen losgemacht und ſchön feſt zuſammengerollt mit den Blumen darin zum Proviantſack in die Vertiefung hineingelegt und nun ſetzte es ſich neben den ausgeſtreckten Peter hin und ſchaute um ſich.","norm":"Heidi hatte unterdessen sein Schürzchen losgemacht und schön fest zusammengerollt mit den Blumen darin zum Proviantsack in die Vertiefung hineingelegt und nun setzte es sich neben den ausgestreckten Peter hin und schaute um sich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":346,"orig":"Das Thal lag weit unten im vollen Morgenglanz; vor ſich ſah Heidi ein großes, weites Schneefeld ſich erheben hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf, und links davon ſtand eine ungeheuere Felſenmaſſe und zu jeder Seite derſelben ragte ein hoher Felſenthurm kahl und zackig in die Bläue hinauf und ſchaute von dort oben ganz ernſthaft auf das Heidi nieder.","norm":"Das Tal lag weit unten im vollen Morgenglanz; vor sich sah Heidi ein großes, weites Schneefeld sich erheben hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf, und links davon stand eine ungeheure Felsenmasse und zu jeder Seite derselben ragte ein hoher Felsenturm kahl und zackig in die Bläue hinauf und schaute von dort oben ganz ernsthaft auf das Heidi nieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":347,"orig":"Das Kind ſaß mäuſchenſtill da und ſchaute ringsum, und weit umher war eine große, tiefe Stille, nur ganz ſanft und leiſe ging der Wind über die zarten, blauen Glockenblümchen und die golden ſtrahlenden Cyſtusröschen, die überall herumſtanden auf ihren dünnen Stengelchen und leiſe und fröhlich hin- und hernickten.","norm":"Das Kind saß mäuschenstill da und schaute ringsum, und weit umher war eine große, tiefe Stille, nur ganz sanft und leise ging der Wind über die zarten, blauen Glockenblümchen und die golden strahlenden Zistroschen, die überall herumstanden auf ihren dünnen Stengelchen und leise und fröhlich hin- und hernickten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":348,"orig":"Der Peter war entſchlafen nach ſeiner Anſtrengung und die Gaißen kletterten oben an den Büſchen umher.","norm":"Der Peter war entschlafen nach seiner Anstrengung und die Geißen kletterten oben an den Büschen umher."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":349,"orig":"Dem Heidi war es ſo ſchön zu Muth, wie in ſeinem Leben noch nie.","norm":"Dem Heidi war es so schön zumut, wie in seinem Leben noch nie."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":350,"orig":"Es trank das goldne Sonnenlicht, die friſchen Lüfte, den zarten Blumenduft in ſich ein und begehrte gar Nichts mehr, als ſo da zu bleiben immerzu.","norm":"Es trank das goldene Sonnenlicht, die frischen Lüfte, den zarten Blumenduft in sich ein und begehrte gar nichts mehr, als so dazubleiben immerzu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":351,"orig":"So verging eine gute Zeit und Heidi hatte ſo oft und ſo lange zu den hohen Bergſtöcken drüben aufgeſchaut, daß es nun war, als haben ſie alle auch Geſichter bekommen und ſchauten ganz bekannt zu ihm hernieder, ſo wie gute Freunde.","norm":"So verging eine gute Zeit und Heidi hatte so oft und so lange zu den hohen Bergstöcken drüben aufgeschaut, dass es nun war, als haben sie alle auch Gesichter bekommen und schauten ganz bekannt zu ihm hernieder, so wie gute Freunde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":352,"orig":"Jetzt hörte Heidi über ſich ein lautes, ſcharfes Geſchrei und Krächzen ertönen, und wie es aufſchaute, kreiſte über ihm ein ſo großer Vogel, wie es nie in ſeinem Leben geſehen hatte, mit weitausgebreiteten Schwingen in der Luft umher, und in großen Bogen kehrte er immer wieder zurück und krächzte laut und durchdringend über Heidi's Kopf.","norm":"Jetzt hörte Heidi über sich ein lautes, scharfes Geschrei und Krächzen ertönen, und wie es aufschaute, kreiste über ihm ein so großer Vogel, wie es nie in seinem Leben gesehen hatte, mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Luft umher, und in großen Bogen kehrte er immer wieder zurück und krächzte laut und durchdringend über Heidis Kopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":353,"orig":"„Peter!","norm":"„Peter!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":354,"orig":"Peter!","norm":"Peter!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":355,"orig":"erwach'!“ rief Heidi laut.","norm":"Erwache!“ rief Heidi laut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":356,"orig":"„Sieh', der Raubvogel iſt da, ſieh'!","norm":"„Sieh, der Raubvogel ist da, sieh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":357,"orig":"ſieh'!“","norm":"sieh!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":358,"orig":"Peter erhob ſich auf den Ruf und ſchaute mit Heidi dem Vogel nach, der ſich nun höher und höher hinaufſchwang in's Himmelblau und endlich über grauen Felſen verſchwand.","norm":"Peter erhob sich auf den Ruf und schaute mit Heidi dem Vogel nach, der sich nun höher und höher hinaufschwang ins Himmelblau und endlich über grauen Felsen verschwand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":359,"orig":"Wo iſt er jetzt hin?“ fragte Heidi, das mit geſpannter Aufmerkſamkeit den Vogel verfolgt hatte.","norm":"Wo ist er jetzt hin?“ fragte Heidi, das mit gespannter Aufmerksamkeit den Vogel verfolgt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":360,"orig":"„Heim in's Neſt“, war Peter's Antwort.","norm":"„Heim ins Nest“, war Peters Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":361,"orig":"„Iſt er dort oben daheim?","norm":"„Ist er dort oben daheim?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":362,"orig":"O wie ſchön ſo hoch oben!","norm":"O wie schön so hoch oben!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":363,"orig":"Warum ſchreit er ſo?“ fragte Heidi weiter.","norm":"Warum schreit er so?“ fragte Heidi weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":364,"orig":"„Weil er muß“, erklärte Peter.","norm":"„Weil er muss“, erklärte Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":365,"orig":"„Wir wollen doch dort hinaufklettern und ſehen, wo er daheim iſt“, ſchlug Heidi vor.","norm":"„Wir wollen doch dort hinaufklettern und sehen, wo er daheim ist“, schlug Heidi vor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":366,"orig":"„O!","norm":"„O!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":367,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":368,"orig":"O!“ brach der Peter aus, jeden Ausruf mit verſtärkter Mißbilligung hervorſtoßend, „wenn keine Gaiß mehr dort hinkann und der Oehi geſagt hat, du dürfeſt nicht über die Felſen hinunterfallen.","norm":"O!“ brach der Peter aus, jeden Ausruf mit verstärkter Missbilligung hervorstoßend, „wenn keine Geiß mehr dort hinkann und der Öhi gesagt hat, du dürfest nicht über die Felsen hinunterfallen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":369,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":370,"orig":"Jetzt begann der Peter mit einem Mal ein ſo gewaltiges Pfeifen und Rufen anzuſtimmen, daß Heidi gar nicht wußte, was begegnen ſollte: aber die Gaißen mußten die Töne verſtehen, denn eine nach der andern kam heruntergeſprungen und nun war die ganze Schaar auf der grünen Halde verſammelt, die Einen fortnagend an den würzigen Halmen, die Andern hin- und herrennend und die Dritten ein wenig gegeneinanderſtoßend mit ihren Hörnern zum Zeitvertreib.","norm":"Jetzt begann der Peter mit einem Mal ein so gewaltiges Pfeifen und Rufen anzustimmen, dass Heidi gar nicht wusste, was begegnen sollte: aber die Geißen mussten die Töne verstehen, denn eine nach der anderen kam heruntergesprungen und nun war die ganze Schar auf der grünen Halde versammelt, die Einen fortnagend an den würzigen Halmen, die Anderen hin- und herrennend und die Dritten ein wenig gegeneinanderstoßend mit ihren Hörnern zum Zeitvertreib."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":371,"orig":"Heidi war aufgeſprungen und rannte mitten unter den Gaißen umher, denn das war ihm ein neuer, unbeſchreiblich vergnüglicher Anblick, wie die Thierlein durcheinander ſprangen und ſich luſtig machten, und Heidi ſprang von einem zum andern und machte mit jedem ganz perſönliche Bekanntſchaft, denn jedes war eine ganz beſondere Erſcheinung für ſich und hatte ſeine eignen Manieren.","norm":"Heidi war aufgesprungen und rannte mitten unter den Geißen umher, denn das war ihm ein neuer, unbeschreiblich vergnüglicher Anblick, wie die Tierlein durcheinandersprangen und sich lustig machten, und Heidi sprang von einem zum anderen und machte mit jedem ganz persönliche Bekanntschaft, denn jedes war eine ganz besondere Erscheinung für sich und hatte seine eigenen Manieren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":372,"orig":"Unterdeſſen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier Stücke, die drin waren, ſchön auf den Boden hingelegt in ein Viereck, die großen Stücke auf Heidi's Seite und die kleinen auf die ſeinige hin, denn er wußte genau, wie er ſie erhalten hatte.","norm":"Unterdessen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier Stücke, die drin waren, schön auf den Boden hingelegt in ein Viereck, die großen Stücke auf Heidis Seite und die kleinen auf die seinige hin, denn er wusste genau, wie er sie erhalten hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":373,"orig":"Dann nahm er das Schüſſelchen und melkte ſchöne, friſche Milch hinein vom Schwänli und ſtellte das Schüſſelchen mitten in's Viereck.","norm":"Dann nahm er das Schüsselchen und melkte schöne, frische Milch hinein vom Schwänli und stellte das Schüsselchen mitten ins Viereck."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":374,"orig":"Dann rief er Heidi herbei, mußte aber länger rufen, als nach den Gaißen, denn das Kind war ſo in Eifer und Freude über die mannigfaltigen Sprünge und Erluſtigungen ſeiner neuen Spielkameraden, daß es Nichts ſah und Nichts hörte außer dieſen.","norm":"Dann rief er Heidi herbei, musste aber länger rufen, als nach den Geißen, denn das Kind war so in Eifer und Freude über die mannigfaltigen Sprünge und Erlustigungen seiner neuen Spielkameraden, dass es Nichts sah und nichts hörte außer diesen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":375,"orig":"Aber Peter wußte ſich verſtändlich zu machen, er rief, daß es bis in die Felſen hinauf dröhnte, und nun erſchien Heidi und die gedeckte Tafel ſah ſo einladend aus, daß es darum herumhüpfte vor Wohlgefallen.","norm":"Aber Peter wusste sich verständlich zu machen, er rief, dass es bis in die Felsen hinaufdröhnte, und nun erschien Heidi und die gedeckte Tafel sah so einladend aus, dass es darum herumhüpfte vor Wohlgefallen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":376,"orig":"„Hör auf zu hopfen, es iſt Zeit zum Eſſen“, ſagte Peter: „jetzt ſitz' und fang' an.","norm":"„Höre auf zu hopsen, es ist Zeit zum Essen“, sagte Peter: „jetzt sitze und fange an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":377,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":378,"orig":"Heidi ſetzte ſich hin.","norm":"Heidi setzte sich hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":379,"orig":"„Iſt die Milch mein?“ fragte es, nochmals das ſchöne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend.","norm":"„Ist die Milch mein?“ fragte es, nochmals das schöne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":380,"orig":"„Ja“, erwiderte Peter, „und die zwei großen Stücke zum Eſſen ſind auch dein und wenn du ausgetrunken haſt, bekommſt du noch ein Schüſſelchen vom Schwänli und dann komm' ich.","norm":"„Ja“, erwiderte Peter, „und die zwei großen Stücke zum Essen sind auch dein und wenn du ausgetrunken hast, bekommst du noch ein Schüsselchen vom Schwänli und dann komme ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":381,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":382,"orig":"„Und von wem bekommſt du die Milch?“ wollte Heidi wiſſen.","norm":"„Und von wem bekommst du die Milch?“ wollte Heidi wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":383,"orig":"Von meiner Gaiß, von der Schnecke.","norm":"Von meiner Geiß, von der Schnecke."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":384,"orig":"Fang' einmal zu eſſen an“, mahnte Peter wieder.","norm":"Fange einmal zu essen an“, mahnte Peter wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":385,"orig":"Heidi fing bei ſeiner Milch an, und ſo wie es ſein leeres Schüſſelchen hinſtellte, ſtand Peter auf und holte ein zweites herbei.","norm":"Heidi fing bei seiner Milch an, und so wie es sein leeres Schüsselchen hinstellte, stand Peter auf und holte ein zweites herbei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":386,"orig":"Dazu brach Heidi ein Stück von ſeinem Brod ab, und das ganze übrige Stück, das immer noch größer war, als Peter's eignes Stück geweſen, das nun ſchon ſammt der Zubehör faſt zu Ende war, reichte es dieſem hinüber mit dem ganzen großen Brocken Käſe und ſagte: „Das kannſt du haben, ich habe nun genug.","norm":"Dazu brach Heidi ein Stück von seinem Brot ab, und das ganze übrige Stück, das immer noch größer war, als Peters eigenes Stück gewesen, das nun schon samt der Zubehör fast zu Ende war, reichte es diesem hinüber mit dem ganzen großen Brocken Käse und sagte: „Das kannst du haben, ich habe nun genug."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":387,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":388,"orig":"Peter ſchaute das Heidi mit ſprachloſer Verwunderung an, denn noch nie in ſeinem Leben hätte er ſo ſagen und Etwas weggeben können.","norm":"Peter schaute das Heidi mit sprachloser Verwunderung an, denn noch nie in seinem Leben hätte er so sagen und etwas weggeben können."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":389,"orig":"Er zögerte noch ein wenig, denn er konnte nicht recht glauben, daß es dem Heidi Ernſt ſei; aber dieſes hielt erſt feſt ſeine Stücke hin, und da Peter nicht zugriff, legt' es ſie ihm auf's Knie.","norm":"Er zögerte noch ein wenig, denn er konnte nicht recht glauben, dass es dem Heidi Ernst sei; aber dieses hielt erst fest seine Stücke hin, und da Peter nicht zugriff, legte es sie ihm aufs Knie."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":390,"orig":"Nun ſah er, daß es ernſt gemeint ſei, er erfaßte ſein Geſchenk, nickte in Dank und Zuſtimmung und hielt nun ein ſo reichliches Mittagsmahl, wie noch nie in ſeinem Leben als Gaißbub.","norm":"Nun sah er, dass es ernst gemeint sei, er erfasste sein Geschenk, nickte in Dank und Zustimmung und hielt nun ein so reichliches Mittagsmahl, wie noch nie in seinem Leben als Geißbub."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":391,"orig":"Heidi ſchaute derweilen nach den Gaißen aus.","norm":"Heidi schaute derweil nach den Geißen aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":392,"orig":"„Wie heißen ſie alle, Peter?“ fragte es.","norm":"„Wie heißen sie alle, Peter?“ fragte es."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":393,"orig":"Das wußte dieſer nun ganz genau und konnte es um ſo beſſer in ſeinem Kopf behalten, da er daneben wenig darin aufzubewahren hatte.","norm":"Das wusste dieser nun ganz genau und konnte es um so besser in seinem Kopf behalten, da er daneben wenig darin aufzubewahren hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":394,"orig":"Er fing alſo an und nannte ohne Anſtoß eine nach der andern, immer je mit dem Finger die betreffende bezeichnend.","norm":"Er fing also an und nannte ohne Anstoß eine nach der anderen, immer je mit dem Finger die betreffende bezeichnend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":395,"orig":"Heidi hörte mit geſpannter Aufmerkſamkeit der Unterweiſung zu, und es währte gar nicht lange, ſo konnte es ſie alle von einander unterſcheiden und jede bei ihrem Namen nennen, denn es hatte eine jede ihre Beſonderheiten, die Einem gleich im Sinne bleiben mußten, man mußte nur Allem genau zuſehen, und das that Heidi.","norm":"Heidi hörte mit gespannter Aufmerksamkeit der Unterweisung zu, und es währte gar nicht lange, so konnte es sie alle voneinander unterscheiden und jede bei ihrem Namen nennen, denn es hatte eine jede ihre Besonderheiten, die Einem gleich im Sinne bleiben mussten, man musste nur allem genau zusehen, und das tat Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":396,"orig":"Da war der große Türk mit den ſtarken Hörnern, der wollte mit dieſen immer gegen alle andern ſtoßen, und die meiſten liefen davon, wenn er kam, und wollten Nichts von dem groben Kameraden wiſſen.","norm":"Da war der große Türk mit den starken Hörnern, der wollte mit diesen immer gegen alle anderen stoßen, und die meisten liefen davon, wenn er kam, und wollten nichts von dem groben Kameraden wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":397,"orig":"Nur der kecke Diſtelfink, das ſchlanke, behende Gaißchen, wich ihm nicht aus, ſondern rannte von ſich aus manchmal drei, vier Mal hinter einander ſo raſch und tüchtig gegen ihn an, daß der große Türk öfters ganz erſtaunt daſtand und nicht mehr angriff, denn der Diſtelfink ſtand ganz kriegsluſtig vor ihm und hatte ſcharfe Hörnchen.","norm":"Nur der kecke Distelfink, das schlanke, behände Geißchen, wich ihm nicht aus, sondern rannte von sich aus manchmal drei, viermal hintereinander so rasch und tüchtig gegen ihn an, dass der große Türk öfters ganz erstaunt dastand und nicht mehr angriff, denn der Distelfink stand ganz kriegslustig vor ihm und hatte scharfe Hörnchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":398,"orig":"Da war das kleine, weiße Schneehöppli, das immer ſo eindringlich und flehentlich meckerte, daß Heidi ſchon mehrmals zu ihm hingelaufen war und es tröſtend beim Kopf genommen hatte.","norm":"Da war das kleine, weiße Schneehöppli, das immer so eindringlich und flehentlich meckerte, dass Heidi schon mehrmals zu ihm hingelaufen war und es tröstend beim Kopf genommen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":399,"orig":"Auch jetzt ſprang das Kind wieder hin, denn die junge, jammernde Stimme hatte eben wieder flehentlich gerufen.","norm":"Auch jetzt sprang das Kind wieder hin, denn die junge, jammernde Stimme hatte eben wieder flehentlich gerufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":400,"orig":"Heidi legte ſeinen Arm um den Hals des Gaißleins und fragte ganz theilnehmend: „Was haſt du, Schneehöppli?","norm":"Heidi legte seinen Arm um den Hals des Geißleins und fragte ganz teilnehmend: „Was hast du, Schneehöppli?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":401,"orig":"Warum rufſt du ſo um Hülfe?“ Das Gaißlein ſchmiegte ſich nahe und vertrauensvoll an Heidi an und war jetzt ganz ſtill.","norm":"Warum rufst du so um Hilfe?“ Das Geißlein schmiegte sich nahe und vertrauensvoll an Heidi an und war jetzt ganz still."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":402,"orig":"Peter rief von ſeinem Sitz aus, mit einigen Unterbrechungen, denn er hatte immer noch zu beißen und zu ſchlucken: „Es thut ſo, weil die Alte nicht mehr mitkommt, ſie haben ſie verkauft nach Mayenfeld vorgeſtern, nun kommt ſie nicht mehr auf die Alm.“","norm":"Peter rief von seinem Sitz aus, mit einigen Unterbrechungen, denn er hatte immer noch zu beißen und zu schlucken: „Es tut so, weil die Alte nicht mehr mitkommt, sie haben sie verkauft nach Maienfeld vorgestern, nun kommt sie nicht mehr auf die Alm.“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":403,"orig":"„Wer iſt die Alte?“ fragte Heidi zurück.","norm":"„Wer ist die Alte?“ fragte Heidi zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":404,"orig":"„Pah, ſeine Mutter“, war die Antwort.","norm":"„Pah, seine Mutter“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":405,"orig":"„Wo iſt die Großmutter?“ rief Heidi wieder.","norm":"„Wo ist die Großmutter?“ rief Heidi wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":406,"orig":"„Hat keine.","norm":"„Hat keine."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":407,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":408,"orig":"„Und der Großvater?“","norm":"„Und der Großvater?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":409,"orig":"„Hat keinen.","norm":"„Hat keinen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":410,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":411,"orig":"„Du armes Schneehöppli du“, ſagte Heidi und drückte das Thierlein zärtlich an ſich.","norm":"„Du armes Schneehöppli du“, sagte Heidi und drückte das Tierlein zärtlich an sich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":412,"orig":"„Aber jammere jetzt nur nicht mehr ſo, ſiehſt du, ich komme nun jeden Tag mit dir, dann biſt du nicht mehr ſo verlaſſen, und wenn dir Etwas fehlt, kannſt du nur zu mir kommen.","norm":"„Aber jammere jetzt nur nicht mehr so, siehst du, ich komme nun jeden Tag mit dir, dann bist du nicht mehr so verlassen, und wenn dir Etwas fehlt, kannst du nur zu mir kommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":413,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":414,"orig":"Das Schneehöppli rieb ganz vergnügt ſeinen Kopf an Heidi's Schulter und meckerte nicht mehr kläglich.","norm":"Das Schneehöppli rieb ganz vergnügt seinen Kopf an Heidis Schulter und meckerte nicht mehr kläglich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":415,"orig":"Unterdeſſen hatte Peter ſein Mittagsmahl beendet und kam nun auch wieder zu ſeiner Heerde und zu Heidi heran, das ſchon wieder allerlei Betrachtungen angeſtellt hatte.","norm":"Unterdessen hatte Peter sein Mittagsmahl beendet und kam nun auch wieder zu seiner Herde und zu Heidi heran, das schon wieder allerlei Betrachtungen angestellt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":416,"orig":"Weitaus die zwei ſchönſten und ſauberſten Gaißen der ganzen Schaar waren Schwänli und Bärli, die ſich auch mit einer gewiſſen Vornehmheit betrugen, meiſtens ihre eignen Wege gingen und beſonders dem zudringlichen Türk abweiſend und verächtlich begegneten.","norm":"Weitaus die zwei schönsten und saubersten Geißen der ganzen Schar waren Schwänli und Bärli, die sich auch mit einer gewissen Vornehmheit betrugen, meistens ihre eigenen Wege gingen und besonders dem zudringlichen Türk abweisend und verächtlich begegneten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":417,"orig":"Die Thierchen hatten nun wieder begonnen nach den Büſchen hinaufzuklettern, und jedes hatte ſeine eigne Weiſe dabei, die einen leichtfertig über Alles weghüpfend, die andern bedächtlich die guten Kräutlein ſuchend unterwegs, der Türk hie und da ſeine Angriffe probierend.","norm":"Die Tierchen hatten nun wieder begonnen nach den Büschen hinaufzuklettern, und jedes hatte seine eigene Weise dabei, die einen leichtfertig über alles weghüpfend, die anderen bedächtig die guten Kräutlein suchend unterwegs, der Türk hier und da seine Angriffe probierend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":418,"orig":"Schwänli und Bärli kletterten hübſch und leicht hinan und fanden oben ſogleich die ſchönſten Büſche, ſtellten ſich geſchickt daran auf und nagten ſie zierlich ab.","norm":"Schwänli und Bärli kletterten hübsch und leicht hinan und fanden oben sogleich die schönsten Büsche, stellten sich geschickt daran auf und nagten sie zierlich ab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":419,"orig":"Heidi ſtand mit den Händen auf dem Rücken und ſchaute dem Allem mit der größten Aufmerkſamkeit zu.","norm":"Heidi stand mit den Händen auf dem Rücken und schaute dem allen mit der größten Aufmerksamkeit zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":420,"orig":"„Peter“, bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden Liegenden, „die ſchönſten von allen ſind das Schwänli und das Bärli.","norm":"„Peter“, bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden liegenden, „die schönsten von allen sind das Schwänli und das Bärli."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":421,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":422,"orig":"„Weiß ſchon“, war die Antwort.","norm":"„Weiß schon“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":423,"orig":"„Der Alm-Oehi putzt und wäſcht ſie und giebt ihnen Salz und hat den ſchönſten Stall.","norm":"„Der Alm-Öhi putzt und wäscht sie und gibt ihnen Salz und hat den schönsten Stall."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":424,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":425,"orig":"Aber auf einmal ſprang Peter auf und ſetzte in großen Sprüngen den Gaißen nach, und das Heidi lief hinterdrein, da mußte Etwas begegnet ſein, es konnte da nicht zurückbleiben.","norm":"Aber auf einmal sprang Peter auf und setzte in großen Sprüngen den Geißen nach, und das Heidi lief hinterdrein, da musste etwas begegnet sein, es konnte da nicht zurückbleiben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":426,"orig":"Der Peter ſprang durch den Gaißenrudel durch der Seite der Alm zu, wo die Felſen ſchroff und kahl weit hinabſteigen und ein unbeſonnenes Gaißlein, wenn es dorthin ging, leicht hinunterſtürzen und alle Beine brechen konnte.","norm":"Der Peter sprang durch den Geißenrudel durch der Seite der Alm zu, wo die Felsen schroff und kahl weit hinabstiegen und ein unbesonnenes Geißlein, wenn es dorthin ging, leicht hinunterstürzen und alle Beine brechen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":427,"orig":"Er hatte geſehen, wie der vorwitzige Diſtelfink nach jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht, denn eben ſprang das Gaißlein dem Rande des Abgrunds zu.","norm":"Er hatte gesehen, wie der vorwitzige Distelfink nach jener Seite hin gehüpft war, und kam noch gerade recht, denn eben sprang das Geißlein dem Rande des Abgrunds zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":428,"orig":"Peter wollte es eben packen, da ſtürzte er auf den Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Thierleins erwiſchen und es daran feſthalten.","norm":"Peter wollte es eben packen, da stürzte er auf den Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Tierleins erwischen und es daran festhalten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":429,"orig":"Der Diſtelfink meckerte voller Zorn und Ueberraſchung, daß er ſo am Bein feſtgehalten und am Fortſetzen ſeines fröhlichen Streifzugs gehindert war, und ſtrebte eigenſinnig vorwärts.","norm":"Der Distelfink meckerte voller Zorn und Überraschung, dass er so am Bein festgehalten und am Fortsetzen seines fröhlichen Streifzuges gehindert war, und strebte eigensinnig vorwärts."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":430,"orig":"Der Peter ſchrie nach Heidi, daß es ihm beiſtehe, denn er konnte nicht aufſtehen und riß dem Diſtelfink faſt das Bein aus.","norm":"Der Peter schrie nach Heidi, dass es ihm beistehe, denn er konnte nicht aufstehen und riss dem Distelfink fast das Bein aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":431,"orig":"Heidi war ſchon da und erkannte gleich die ſchlimme Lage der Beiden.","norm":"Heidi war schon da und erkannte gleich die schlimme Lage der Beiden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":432,"orig":"Es riß ſchnell einige wohlduftende Kräuter aus dem Boden und hielt ſie dem Diſtelfink unter die Naſe und ſagte begütigend: „Komm', komm', Diſtelfink, du mußt auch vernünftig ſein!","norm":"Es riss schnell einige wohlduftende Kräuter aus dem Boden und hielt sie dem Distelfink unter die Nase und sagte begütigend: „Komme, komme, Distelfink, du musst auch vernünftig sein!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":433,"orig":"Sieh', da kannſt du hinabfallen und ein Bein brechen, das thut dir furchtbar weh.","norm":"Sieh, da kannst du hinabfallen und ein Bein brechen, das tut dir furchtbar weh."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":434,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":435,"orig":"Das Gaißlein hatte ſich ſchnell umgewandt und dem Heidi vergnüglich die Kräuter aus der Hand gefreſſen.","norm":"Das Geißlein hatte sich schnell umgewandt und dem Heidi vergnüglich die Kräuter aus der Hand gefressen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":436,"orig":"Derweilen war der Peter auf ſeine Füße gekommen und hatte den Diſtelfink an der Schnur erfaßt, an welcher ſein Glöckchen um den Hals gebunden war, und Heidi erfaßte dieſe von der andern Seite und ſo führten die Beiden den Ausreißer zu der friedlich weidenden Heerde zurück.","norm":"Derweil war der Peter auf seine Füße gekommen und hatte den Distelfink an der Schnur erfasst, an welcher sein Glöckchen um den Hals gebunden war, und Heidi erfasste diese von der anderen Seite und so führten die Beiden den Ausreißer zu der friedlich weidenden Herde zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":437,"orig":"Als ihn aber Peter hier in Sicherheit hatte, erhob er ſeine Ruthe und wollte ihn zur Srafe tüchtig durchprügeln, und der Diſtelfink wich ſcheu zurück, denn er merkte, was begegnen ſollte.","norm":"Als ihn aber Peter hier in Sicherheit hatte, erhob er seine Rute und wollte ihn zur Strafe tüchtig durchprügeln, und der Distelfink wich scheu zurück, denn er merkte, was begegnen sollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":438,"orig":"Aber Heidi ſchrie laut auf: „Nein, Peter, nein, du mußt ihn nicht ſchlagen, ſieh', wie er ſich fürchtet.","norm":"Aber Heidi schrie laut auf: „Nein, Peter, nein, du musst ihn nicht schlagen, sieh, wie er sich fürchtet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":439,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":440,"orig":"„Er verdient's“, ſchnurrte Peter und wollte zuſchlagen.","norm":"„Er verdient es“, schnurrte Peter und wollte zuschlagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":441,"orig":"Aber Heidi fiel ihm in den Arm und rief ganz entrüſtet: „Du darfſt ihm Nichts thun, es thut ihm weh, laß ihn los.","norm":"Aber Heidi fiel ihm in den Arm und rief ganz entrüstet: „Du darfst ihm Nichts tun, es tut ihm weh, lass ihn los."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":442,"orig":"“ Peter ſchaute erſtaunt auf das gebietende Heidi, deſſen ſchwarze Augen ihn ſo anfunkelten, daß er unwillkürlich ſeine Ruthe niederhielt.","norm":"“ Peter schaute erstaunt auf das gebietende Heidi, dessen schwarze Augen ihn so anfunkelten, dass er unwillkürlich seine Rute niederhielt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":443,"orig":"„So kann er gehen, wenn du mir morgen wieder von deinem Käſe gibſt“, ſagte dann der Peter nachgebend, denn eine Entſchädigung wollte er haben für den Schrecken.","norm":"„So kann er gehen, wenn du mir morgen wieder von deinem Käse gibst“, sagte dann der Peter nachgebend, denn eine Entschädigung wollte er haben für den Schrecken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":444,"orig":"„Allen kannſt du haben, das ganze Stück morgen und alle Tage, ich brauche ihn gar nicht“, ſagte Heidi zuſtimmend, und Brod gebe ich dir auch ganz viel, wie heute, aber dann darfſt du den Diſtelfink nie, gar nie ſchlagen und auch das Schneehöppli nie und gar keine Gaiß.","norm":"„Allen kannst du haben, das ganze Stück morgen und alle Tage, ich brauche ihn gar nicht“, sagte Heidi zustimmend, und Brot gebe ich dir auch ganz viel, wie heute, aber dann darfst du den Distelfink nie, gar nie schlagen und auch das Schneehöppli nie und gar keine Geiß."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":445,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":446,"orig":"„Es iſt mir gleich“, bemerkte Peter, und das war bei ihm ſo viel als eine Zuſage.","norm":"„Es ist mir gleich“, bemerkte Peter, und das war bei ihm so viel als eine Zusage."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":447,"orig":"Jetzt ließ er den Schuldigen los, und der fröhliche Diſtelfink ſprang in hohen Sprüngen auf und davon in die Heerde hinein.","norm":"Jetzt ließ er den Schuldigen los, und der fröhliche Distelfink sprang in hohen Sprüngen auf und davon in die Herde hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":448,"orig":"So war unvermerkt der Tag vergangen, und ſchon war die Sonne im Begriff, weit drüben hinter den Bergen hinabzugehen.","norm":"So war unvermerkt der Tag vergangen, und schon war die Sonne im Begriff, weit drüben hinter den Bergen hinabzugehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":449,"orig":"Heidi ſaß wieder am Boden und ſchaute ganz ſtill auf die Blauglöckchen und die Cyſtusröschen, die im goldnen Abendſchein leuchteten, und alles Gras wurde wie golden angehaucht und die Felſen droben fingen zu ſchimmern und zu funkeln an, und auf einmal ſprang Heidi auf und ſchrie: „Peter!","norm":"Heidi saß wieder am Boden und schaute ganz still auf die Blauglöckchen und die Zistroschen, die im goldenen Abendschein leuchteten, und alles Gras wurde wie golden angehaucht und die Felsen droben fingen zu schimmern und zu funkeln an, und auf einmal sprang Heidi auf und schrie: „Peter!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":450,"orig":"Peter!","norm":"Peter!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":451,"orig":"es brennt!","norm":"es brennt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":452,"orig":"es brennt!","norm":"es brennt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":453,"orig":"Alle Berge brennen und der große Schnee drüben brennt und der Himmel.","norm":"Alle Berge brennen und der große Schnee drüben brennt und der Himmel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":454,"orig":"O ſieh'!","norm":"O sieh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":455,"orig":"ſieh'!","norm":"sieh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":456,"orig":"der hohe Felſenberg iſt ganz glühend!","norm":"der hohe Felsenberg ist ganz glühend!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":457,"orig":"O der ſchöne, feurige Schnee!","norm":"O der schöne, feurige Schnee!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":458,"orig":"Peter, ſieh' auf, ſieh', das Feuer iſt auch beim Raubvogel!","norm":"Peter, sieh auf, sieh, das Feuer ist auch beim Raubvogel!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":459,"orig":"ſieh' doch die Felſen!","norm":"sieh doch die Felsen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":460,"orig":"ſieh' die Tannen!","norm":"sieh die Tannen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":461,"orig":"Alles, Alles iſt im Feuer!“","norm":"Alles, alles ist im Feuer!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":462,"orig":"„Es war immer ſo“, ſagte jetzt der Peter gemüthlich und ſchälte an ſeiner Ruthe fort, „aber es iſt kein Feuer.","norm":"„Es war immer so“, sagte jetzt der Peter gemütlich und schälte an seiner Rute fort, „aber es ist kein Feuer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":463,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":464,"orig":"„Was iſt es denn?“ rief Heidi und ſprang hierhin und dorthin, daß es überallhin ſehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, ſo ſchön war's auf allen Seiten.","norm":"„Was ist es denn?“ rief Heidi und sprang hierhin und dorthin, dass es überallhin sehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, so schön war es auf allen Seiten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":465,"orig":"„Was iſt es, Peter, was iſt es?“ rief Heidi wieder.","norm":"„Was ist es, Peter, was ist es?“ rief Heidi wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":466,"orig":"„Es kommt von ſelbſt ſo“, erklärte der Peter.","norm":"„Es kommt von selbst so“, erklärte der Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":467,"orig":"„O ſieh', ſieh'“, rief Heidi in großer Aufregung, „auf einmal werden ſie roſenroth!","norm":"„O sieh, sieh“, rief Heidi in großer Aufregung, „auf einmal werden sie rosenrot!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":468,"orig":"Sieh' den mit dem Schnee und den mit den hohen, ſpitzigen Felſen!","norm":"Sieh den mit dem Schnee und den mit den hohen, spitzigen Felsen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":469,"orig":"wie heißen ſie, Peter?“","norm":"Wie heißen sie, Peter?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":470,"orig":"„Berge heißen nicht“, erwiderte dieſer.","norm":"„Berge heißen nicht“, erwiderte dieser."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":471,"orig":"„O wie ſchön, ſieh' den roſenrothen Schnee!","norm":"„O wie schön, sieh den rosenroten Schnee!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":472,"orig":"O, und an den Felſen oben ſind viele, viele Roſen!","norm":"O, und an den Felsen oben sind viele, viele Rosen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":473,"orig":"O, nun werden ſie grau!","norm":"O, nun werden sie grau!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":474,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":475,"orig":"O!","norm":"O!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":476,"orig":"Nun iſt Alles ausgelöſcht!","norm":"Nun ist alles ausgelöscht!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":477,"orig":"Nun iſt Alles aus, Peter!“ Und Heidi ſetzte ſich auf den Boden und ſah ſo verſtört aus, als ginge wirklich Alles zu Ende.","norm":"Nun ist alles aus, Peter!“ Und Heidi setzte sich auf den Boden und sah so verstört aus, als ginge wirklich alles zu Ende."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":478,"orig":"„Es iſt morgen wieder ſo“, erklärte Peter.","norm":"„Es ist morgen wieder so“, erklärte Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":479,"orig":"„Steh' auf, nun müſſen wir heim.","norm":"„Stehe auf, nun müssen wir heim."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":480,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":481,"orig":"Die Gaißen wurden herbeigepfiffen und -gerufen und die Heimfahrt angetreten.","norm":"Die Geißen wurden herbeigepfiffen und gerufen und die Heimfahrt angetreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":482,"orig":"„Iſt's alle Tage wieder ſo, alle Tage, wenn wir auf der Weide ſind?“ fragte Heidi, begierig nach einer bejahenden Verſicherung horchend, als es nun neben dem Peter die Alm hinunterſtieg.","norm":"„Ist es alle Tage wieder so, alle Tage, wenn wir auf der Weide sind?“ fragte Heidi, begierig nach einer bejahenden Versicherung horchend, als es nun neben dem Peter die Alm hinunterstieg."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":483,"orig":"„Meiſtens“, gab dieſer zur Antwort.","norm":"„Meistens“, gab dieser zur Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":484,"orig":"„Aber gewiß morgen wieder?“ wollte es noch wiſſen.","norm":"„Aber gewiss morgen wieder?“ wollte es noch wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":485,"orig":"„Ja, ja, morgen ſchon!“ verſicherte Peter.","norm":"„Ja, ja, morgen schon!“ versicherte Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":486,"orig":"Nun war Heidi wieder froh' und es hatte ſo viele Eindrücke in ſich aufgenommen und ſo viele Dinge gingen ihm im Sinn herum, daß es nun ganz ſtill ſchwieg, bis es bei der Almhütte ankam und unter den Tannen den Großvater ſitzen ſah, wo er auch eine Bank angebracht hatte und am Abend ſeine Gaißen erwartete, die von dieſer Seite herunterkamen.","norm":"Nun war Heidi wieder froh und es hatte so viele Eindrücke in sich aufgenommen und so viele Dinge gingen ihm im Sinn herum, dass es nun ganz stillschwieg, bis es bei der Almhütte ankam und unter den Tannen den Großvater sitzen sah, wo er auch eine Bank angebracht hatte und am Abend seine Geißen erwartete, die von dieser Seite herunterkamen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":487,"orig":"Heidi ſprang gleich auf ihn zu und Schwänli und Bärli hinter ihm drein, denn die Gaißen kannten ihren Herrn und ihren Stall.","norm":"Heidi sprang gleich auf ihn zu und Schwänli und Bärli hinter ihm drein, denn die Geißen kannten ihren Herrn und ihren Stall."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":488,"orig":"Der Peter rief dem Heidi nach: „Komm' dann morgen wieder!","norm":"Der Peter rief dem Heidi nach: „Komme dann morgen wieder!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":489,"orig":"Gute Nacht!“ Denn es war ihm ſehr daran gelegen, daß das Heidi wiederkomme.","norm":"Gute Nacht!“ Denn es war ihm sehr daran gelegen, dass das Heidi wiederkomme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":490,"orig":"Da rannte das Heidi ſchnell wieder zurück und gab dem Peter die Hand und verſicherte ihn, daß es wieder mitkomme und dann ſprang es mitten in die davonziehende Heerde hinein und faßte noch einmal das Schneehöppli um den Hals und ſagte vertraulich: „Schlaf' wohl, Schneehöppli, und denk' dran, daß ich morgen wiederkomme und daß du nie mehr ſo jämmerlich meckern mußt.","norm":"Da rannte das Heidi schnell wieder zurück und gab dem Peter die Hand und versicherte ihm, dass es wieder mitkomme und dann sprang es mitten in die davonziehende Herde hinein und fasste noch einmal das Schneehöppli um den Hals und sagte vertraulich: „Schlafe wohl, Schneehöppli, und denke dran, dass ich morgen wiederkomme und dass du nie mehr so jämmerlich meckern musst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":491,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":492,"orig":"Das Schneehöppli ſchaute ganz freundlich und dankbar zu Heidi auf und ſprang dann fröhlich der Heerde nach.","norm":"Das Schneehöppli schaute ganz freundlich und dankbar zu Heidi auf und sprang dann fröhlich der Herde nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":493,"orig":"Heidi kam unter die Tannen zurück.","norm":"Heidi kam unter die Tannen zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":494,"orig":"O Großvater, das war ſo ſchön!“ rief es, noch bevor es bei ihm war, das Feuer und die Roſen am Felſen und die blauen und gelben Blumen und ſieh', was ich dir bringe!“ Und damit ſchüttete Heidi ſeinen ganzen Blumenreichthum aus dem gefalteten Schürzchen vor den Großvater hin.","norm":"O Großvater, das war so schön!“ rief es, noch bevor es bei ihm war, das Feuer und die Rosen am Felsen und die blauen und gelben Blumen und sieh, was ich dir bringe!“ Und damit schüttete Heidi seinen ganzen Blumenreichtum aus dem gefalteten Schürzchen vor den Großvater hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":495,"orig":"Aber wie ſahen die armen Blümchen aus!","norm":"Aber wie sahen die armen Blümchen aus!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":496,"orig":"Heidi erkannte ſie nicht mehr.","norm":"Heidi erkannte sie nicht mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":497,"orig":"Es war Alles wie Heu und kein einziges Kelchlein ſtand mehr offen.","norm":"Es war alles wie Heu und kein einziges Kelchlein stand mehr offen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":498,"orig":"„O Großvater, was haben ſie?“ rief Heidi ganz erſchrocken aus, „ſo waren ſie nicht, warum ſehen ſie ſo aus?“","norm":"„O Großvater, was haben sie?“ rief Heidi ganz erschrocken aus, „So waren sie nicht, warum sehen sie so aus?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":499,"orig":"„Die wollen draußen ſtehen in der Sonne und nicht in's Schürzchen hinein“, ſagte der Großvater.","norm":"„Die wollen draußen stehen in der Sonne und nicht ins Schürzchen hinein“, sagte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":500,"orig":"„Dann will ich gar keine mehr mitnehmen.","norm":"„Dann will ich gar keine mehr mitnehmen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":501,"orig":"Aber, Großvater, warum hat der Raubvogel ſo gekrächzt?“ fragte Heidi nun angelegentlich.","norm":"Aber, Großvater, warum hat der Raubvogel so gekrächzt?“ fragte Heidi nun angelegentlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":502,"orig":"„Jetzt gehſt du in's Waſſer und ich in den Stall und hole Milch, und nachher kommen wir hinein zuſammen in die Hütte und eſſen zu Nacht, dann ſag' ich dir's .“","norm":"„Jetzt gehst du ins Wasser und ich in den Stall und hole Milch, und nachher kommen wir hinein zusammen in die Hütte und essen zu Nacht, dann sage ich dir es .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":503,"orig":"So wurde gethan, und wie nun ſpäter Heidi auf ſeinem hohen Stuhl ſaß vor ſeinem Milchſchüſſelchen und der Großvater neben ihm, da kam das Kind gleich wieder mit ſeiner Frage: „Warum krächzt der Raubvogel ſo und ſchreit immer ſo herunter, Großvater?“","norm":"So wurde getan, und wie nun später Heidi auf seinem hohen Stuhl saß vor seinem Milchschüsselchen und der Großvater neben ihm, da kam das Kind gleich wieder mit seiner Frage: „Warum krächzt der Raubvogel so und schreit immer so herunter, Großvater?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":504,"orig":"„Der höhnt die Leute aus dort unten, daß ſie ſo Viele zuſammenſitzen in den Dörfern und einander bös machen.","norm":"„Der höhnt die Leute aus dort unten, dass sie so Viele zusammensitzen in den Dörfern und einander bös machen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":505,"orig":"Da höhnt er hinunter:","norm":"Da höhnt er hinunter:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":506,"orig":"Würdet Ihr auseinandergehen und jedes ſeinen Weg und auf eine Höhe ſteigen, wie ich, ſo wär's euch wohler!“ Der Großvater ſagte dieſe Worte faſt wild, ſo daß dem Heidi das Gekrächz des Raubvogels dadurch noch eindrücklicher wurde in der Erinnerung.","norm":"Würdet Ihr auseinandergehen und jedes seinen Weg und auf eine Höhe steigen, wie ich, so wäre es euch wohler!“ Der Großvater sagte diese Worte fast wild, so dass dem Heidi das Gekrächz des Raubvogels dadurch noch eindrücklicher wurde in der Erinnerung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":507,"orig":"„Warum haben die Berge keine Namen, Großvater?“ fragte Heidi wieder.","norm":"„Warum haben die Berge keine Namen, Großvater?“ fragte Heidi wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":508,"orig":"„Die haben Namen“, erwiderte dieſer, „und wenn du mir einen ſo beſchreiben kannſt, daß ich ihn kenne, ſo ſage ich dir, wie es heißt.","norm":"„Die haben Namen“, erwiderte dieser, „und wenn du mir einen so beschreiben kannst, dass ich ihn kenne, so sage ich dir, wie es heißt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":509,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":510,"orig":"Nun beſchrieb Heidi den Felſenberg mit den zwei hohen Thürmen genau ſo, wie es ihn geſehen hatte, und der Großvater ſagte wohlgefällig: „Recht ſo, den kenn' ich, der heißt Falkniß.","norm":"Nun beschrieb Heidi den Felsenberg mit den zwei hohen Türmen genau so, wie es ihn gesehen hatte, und der Großvater sagte wohlgefällig: „Recht so, den kenne ich, der heißt Falknis."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":511,"orig":"Haſt du noch einen geſehen?“","norm":"Hast du noch einen gesehen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":512,"orig":"Nun beſchrieb Heidi den Berg mit dem großen Schneefeld, auf dem der ganze Schnee im Feuer geſtanden hatte und dann roſenroth geworden war und dann auf einmal ganz bleich und erloſchen daſtand.","norm":"Nun beschrieb Heidi den Berg mit dem großen Schneefeld, auf dem der ganze Schnee im Feuer gestanden hatte und dann rosenrot geworden war und dann auf einmal ganz bleich und erloschen dastand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":513,"orig":"„Den erkenn' ich auch“, ſagte der Großvater, „das iſt der Cäſaplana; ſo hat es dir gefallen auf der Weide?“","norm":"„Den erkenne ich auch“, sagte der Großvater, „das ist der Schesaplana; so hat es dir gefallen auf der Weide?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":514,"orig":"Nun erzählte Heidi Alles vom ganzen Tage, wie ſchön es geweſen und beſonders von dem Feuer am Abend, und nun ſollte der Großvater auch ſagen, woher es gekommen war, denn der Peter hatte Nichts davon gewußt.","norm":"Nun erzählte Heidi alles vom ganzen Tage, wie schön es gewesen und besonders von dem Feuer am Abend, und nun sollte der Großvater auch sagen, woher es gekommen war, denn der Peter hatte nichts davon gewusst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":515,"orig":"„Siehſt du“, erklärte der Großvater, „das macht die Sonne, wenn ſie den Bergen gute Nacht ſagt, dann wirft ſie ihnen noch ihre ſchönſten Strahlen zu, daß ſie ſie nicht vergeſſen, bis ſie am Morgen wiederkommt.","norm":"„Siehst du“, erklärte der Großvater, „das macht die Sonne, wenn sie den Bergen gute Nacht sagt, dann wirft sie ihnen noch ihre schönsten Strahlen zu, dass sie sie nicht vergessen, bis sie am Morgen wiederkommt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":516,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":517,"orig":"Das gefiel dem Heidi und es konnte faſt nicht erwarten, daß wieder ein Tag komme, da es hinaufkonnte auf die Weide und wieder ſehen, wie die Sonne den Bergen gute Nacht ſagte.","norm":"Das gefiel dem Heidi und es konnte fast nicht erwarten, dass wieder ein Tag komme, da es hinaufkonnte auf die Weide und wieder sehen, wie die Sonne den Bergen gute Nacht sagte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":518,"orig":"Aber erſt mußte es nun ſchlafen gehen, und es ſchlief auch die ganze Nacht herrlich auf ſeinem Heulager und träumte von lauter ſchimmernden Bergen und rothen Roſen darauf und mitten drinn das Schneehöppli in fröhlichen Sprüngen.","norm":"Aber erst musste es nun schlafen gehen, und es schlief auch die ganze Nacht herrlich auf seinem Heulager und träumte von lauter schimmernden Bergen und roten Rosen darauf und mitten drin das Schneehöppli in fröhlichen Sprüngen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":519,"orig":"Am andern Morgen kam wieder die helle Sonne, und dann kam der Peter und die Gaißen, und wieder zogen ſie Alle miteinander nach der Weide hinauf, und ſo ging es Tag für Tag, und Heidi wurde bei dieſem Weideleben ganz gebräunt und ſo kräftig und geſund, daß ihm gar nie etwas fehlte, und ſo froh und glücklich lebte Heidi von einem Tag zum andern, wie nur die luſtigen Vögelein leben auf allen Bäumen im grünen Wald.","norm":"Am anderen Morgen kam wieder die helle Sonne, und dann kam der Peter und die Geißen, und wieder zogen sie alle miteinander nach der Weide hinauf, und so ging es Tag für Tag, und Heidi wurde bei diesem Weideleben ganz gebräunt und so kräftig und gesund, dass ihm gar nie etwas fehlte, und so froh und glücklich lebte Heidi von einem Tag zum anderen, wie nur die lustigen Vögelein leben auf allen Bäumen im grünen Wald."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":520,"orig":"Wie es nun Herbſt wurde und der Wind lauter zu ſauſen anfing über die Berge hin, dann ſagte etwa der Großvater: „Heut' bleibſt du da, Heidi; ein Kleines, wie du biſt, kann der Wind mit einem Ruck über alle Felſen in's Thal hinabwehen.","norm":"Wie es nun Herbst wurde und der Wind lauter zu sausen anfing über die Berge hin, dann sagte etwa der Großvater: „Heute bleibst du da, Heidi; ein Kleines, wie du bist, kann der Wind mit einem Ruck über alle Felsen ins Tal hinabwehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":521,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":522,"orig":"Wenn aber das am Morgen der Peter vernahm, ſah er ſehr unglücklich aus, denn er ſah lauter Mißgeſchick vor ſich: einmal wußte er vor Langerweile nun gar nicht mehr was anfangen, wenn Heidi nicht bei ihm war; dann kam er um ſein reichliches Mittagsmahl, und dann waren die Gaißen ſo ſtörrig an dieſen Tagen, daß er die doppelte Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch ſo an Heidi's Geſellſchaft gewöhnt, daß ſie nicht vorwärts wollten, wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten.","norm":"Wenn aber das am Morgen der Peter vernahm, sah er sehr unglücklich aus, denn er sah lauter Missgeschick vor sich: einmal wusste er vor Langeweile nun gar nicht mehr was anfangen, wenn Heidi nicht bei ihm war; dann kam er um sein reichliches Mittagsmahl, und dann waren die Geißen so störrig an diesen Tagen, dass er die doppelte Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch so an Heidis Gesellschaft gewöhnt, dass sie nicht vorwärts wollten, wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":523,"orig":"Heidi wurde niemals unglücklich, denn es ſah immer irgend etwas Erfreuliches vor ſich; am liebſten ging es ſchon mit Hirt und Gaißen auf die Weide zu den Blumen und zum Raubvogel hinauf, wo ſo mannigfaltige Dinge zu erleben waren mit all' den verſchieden gearteten Gaißen, aber auch das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters war ſehr unterhaltend für Heidi; und traf es ſich, daß er gerade die ſchönen runden Gaißkäschen zubereitete, wenn es daheimbleiben mußte, ſo war das ein ganz beſonderes Vergnügen, dieſer merkwürdigen Thätigkeit zuzuſchauen, wobei der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem großen Keſſel herumrührte.","norm":"Heidi wurde niemals unglücklich, denn es sah immer irgendetwas Erfreuliches vor sich; am liebsten ging es schon mit Hirt und Geißen auf die Weide zu den Blumen und zum Raubvogel hinauf, wo so mannigfaltige Dinge zu erleben waren mit alle den verschieden gearteten Geißen, aber auch das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters war sehr unterhaltend für Heidi; und traf es sich, dass er gerade die schönen runden Geißkäschen zubereitete, wenn es daheimbleiben musste, so war das ein ganz besonderes Vergnügen, dieser merkwürdigen Tätigkeit zuzuschauen, wobei der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem großen Kessel herumrührte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":524,"orig":"Aber vor Allem anziehend war für das Heidi an ſolchen Windtagen das Wogen und Rauſchen in den drei alten Tannen hinter der Hütte.","norm":"Aber vor allem anziehend war für das Heidi an solchen Windtagen das Wogen und Rauschen in den drei alten Tannen hinter der Hütte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":525,"orig":"Da mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem Andern weg, was es auch ſein mochte, denn ſo ſchön und wunderbar war gar Nichts, wie dieſes tiefe, geheimnißvolle Toſen in den Wipfeln da droben; da ſtand Heidi unten und lauſchte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu ſehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rauſchte in den Bäumen mit großer Macht.","norm":"Da musste es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem Anderen weg, was es auch sein mochte, denn so schön und wunderbar war gar nichts, wie dieses tiefe, geheimnisvolle Tosen in den Wipfeln da droben; da stand Heidi unten und lauschte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu sehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rauschte in den Bäumen mit großer Macht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":526,"orig":"Jetzt gab die Sonne nicht mehr heiß wie im Sommer und Heidi ſuchte ſeine Strümpfe und Schuhe hervor und auch den Rock, denn nun wurde es immer friſcher und wenn das Heidi unter den Tannen ſtand, wurde es durchblaſen wie ein dünnes Blättlein, aber es lief doch immer wieder hin und konnte nicht in der Hütte bleiben, wenn es das Windeswehen vernahm.","norm":"Jetzt gab die Sonne nicht mehr heiß wie im Sommer und Heidi suchte seine Strümpfe und Schuhe hervor und auch den Rock, denn nun wurde es immer frischer und wenn das Heidi unter den Tannen stand, wurde es durchblasen wie ein dünnes Blättlein, aber es lief doch immer wieder hin und konnte nicht in der Hütte bleiben, wenn es das Windeswehen vernahm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":527,"orig":"Dann wurde es kalt und der Peter hauchte in die Hände, wenn er früh am Morgen herauf kam, aber nicht lange; denn auf einmal fiel über Nacht ein tiefer Schnee und am Morgen war die ganze Alm ſchneeweiß und kein einziges grünes Blättlein mehr zu ſehen ringsum und um.","norm":"Dann wurde es kalt und der Peter hauchte in die Hände, wenn er früh am Morgen heraufkam, aber nicht lange; denn auf einmal fiel über Nacht ein tiefer Schnee und am Morgen war die ganze Alm schneeweiß und kein einziges grünes Blättlein mehr zu sehen ringsum und um."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":528,"orig":"Da kam der Gaißen-Peter nicht mehr mit ſeiner Heerde, und Heidi ſchaute ganz verwundert durch das kleine Fenſter, denn nun fing es wieder zu ſchneien an, und die dicken Flocken fielen fort und fort, bis der Schnee ſo hoch wurde, daß er bis an's Fenſter hinaufreichte und dann noch höher, daß man das Fenſter gar nicht mehr aufmachen konnte und man ganz verpackt war in dem Häuschen.","norm":"Da kam der Geißenpeter nicht mehr mit seiner Herde, und Heidi schaute ganz verwundert durch das kleine Fenster, denn nun fing es wieder zu schneien an, und die dicken Flocken fielen fort und fort, bis der Schnee so hoch wurde, dass er bis ans Fenster hinaufreichte und dann noch höher, dass man das Fenster gar nicht mehr aufmachen konnte und man ganz verpackt war in dem Häuschen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":529,"orig":"Das kam dem Heidi ſo luſtig vor, daß es immer von einem Fenſter zum andern rannte, um zu ſehen, wie es denn noch werden wollte und ob der Schnee noch die ganze Hütte zudecken wollte, daß man müßte ein Licht anzünden am hellen Tag.","norm":"Das kam dem Heidi so lustig vor, dass es immer von einem Fenster zum anderen rannte, um zu sehen, wie es denn noch werden wollte und ob der Schnee noch die ganze Hütte zudecken wollte, dass man müsste ein Licht anzünden am hellen Tag."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":530,"orig":"Es kam aber nicht ſo weit und am andern Tag ging der Großvater hinaus, denn nun ſchneite es nicht mehr, und ſchaufelte um's ganze Haus herum und warf große, große Schneehaufen auf einander, daß es war wie hier ein Berg und dort ein Berg um die Hütte herum; aber nun waren die Fenſter wieder frei und auch die Thüre, und das war gut, denn als am Nachmittag Heidi und der Großvater am Feuer ſaßen, Jedes auf ſeinem Dreifuß, denn der Großvater hatte längſt auch einen für das Kind gezimmert, da polterte auf einmal etwas heran und ſchlug immer zu gegen die Holzſchwelle und machte endlich die Thür auf.","norm":"Es kam aber nicht so weit und am anderen Tag ging der Großvater hinaus, denn nun schneite es nicht mehr, und schaufelte um das ganze Haus herum und warf große, große Schneehaufen aufeinander, dass es war wie hier ein Berg und dort ein Berg um die Hütte herum; aber nun waren die Fenster wieder frei und auch die Türe, und das war gut, denn als am Nachmittag Heidi und der Großvater am Feuer saßen, jedes auf seinem Dreifuß, denn der Großvater hatte längst auch einen für das Kind gezimmert, da polterte auf einmal etwas heran und schlug immerzu gegen die Holzschwelle und machte endlich die Tür auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":531,"orig":"Es war der Gaißenpeter; er hatte aber nicht aus Unart ſo gegen die Thüre gepoltert, ſondern um ſeinen Schnee von den Schuhen abzuſchlagen, die hoch hinauf davon bedeckt waren; eigentlich der ganze Peter war von Schnee bedeckt, denn er hatte ſich durch die hohen Schichten ſo durchkämpfen müſſen, daß ganze Maſſen an ihm hängen geblieben und auf ihm feſtgefroren waren, denn es war ſehr kalt.","norm":"Es war der Geißenpeter; er hatte aber nicht aus Unart so gegen die Türe gepoltert, sondern um seinen Schnee von den Schuhen abzuschlagen, die hoch hinauf davon bedeckt waren; eigentlich der ganze Peter war von Schnee bedeckt, denn er hatte sich durch die hohen Schichten so durchkämpfen müssen, dass ganze Massen an ihm hängen geblieben und auf ihm festgefroren waren, denn es war sehr kalt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":532,"orig":"Aber er hatte nicht nachgegeben, denn er wollte zum Heidi hinauf, er hatte es jetzt acht Tage lang nicht geſehn.","norm":"Aber er hatte nicht nachgegeben, denn er wollte zum Heidi hinauf, er hatte es jetzt acht Tage lang nicht gesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":533,"orig":"„Guten Abend“, ſagte er im Eintreten, ſtellte ſich gleich ſo nah als möglich an's Feuer heran und ſagte weiter Nichts mehr, aber ſein ganzes Geſicht lachte vor Vergnügen, daß er da war.","norm":"„Guten Abend“, sagte er im Eintreten, stellte sich gleich so nah als möglich ans Feuer heran und sagte weiter nichts mehr, aber sein ganzes Gesicht lachte vor Vergnügen, dass er da war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":534,"orig":"Heidi ſchaute ihn ſehr verwundert an, denn nun er ſo nah am Feuer war, fing es überall an ihm zu thauen an, ſo daß der ganze Peter anzuſehen war wie ein gelinder Waſſerfall.","norm":"Heidi schaute ihn sehr verwundert an, denn nun er so nah am Feuer war, fing es überall an ihm zu tauen an, so dass der ganze Peter anzusehen war wie ein gelinder Wasserfall."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":535,"orig":"„Nu General, wie ſteht's?“ ſagte jetzt der Großvater.","norm":"„Nu General, wie steht es?“ sagte jetzt der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":536,"orig":"Nun biſt du ohne Armee und mußt am Griffel nagen!“","norm":"Nun bist du ohne Armee und musst am Griffel nagen!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":537,"orig":"„Warum muß er am Griffel nagen, Großvater?“ fragte Heidi ſogleich mit Wißbegierde.","norm":"„Warum muss er am Griffel nagen, Großvater?“ fragte Heidi sogleich mit Wissbegierde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":538,"orig":"„Im Winter muß er in die Schule gehen“, erklärte der Großvater, „da lernt man leſen und ſchreiben und das geht manchmal ſchwer, da hilft's ein wenig nach, wenn man am Griffel nagt, iſt's nicht wahr, General?“","norm":"„Im Winter muss er in die Schule gehen“, erklärte der Großvater, „da lernt man lesen und schreiben und das geht manchmal schwer, da hilft es ein wenig nach, wenn man am Griffel nagt, ist es nicht wahr, General?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":539,"orig":"„Ja,' s iſt wahr“, beſtätigte Peter.","norm":"„Ja,' s ist wahr“, bestätigte Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":540,"orig":"Jetzt war Heidi's Theilnahme an der Sache wach geworden und es hatte ſehr viele Fragen über die Schule und Alles, was da begegnete und zu hören und zu ſehen war, an den Peter zu richten, und da immer viel Zeit verfloß über einer Unterhaltung, an der Peter Theil nehmen mußte, ſo konnte er derweilen ſchön trocknen von oben bis unten.","norm":"Jetzt war Heidis Teilnahme an der Sache wach geworden und es hatte sehr viele Fragen über die Schule und alles, was da begegnete und zu hören und zu sehen war, an den Peter zu richten, und da immer viel Zeit verfloss über einer Unterhaltung, an der Peter teilnehmen musste, so konnte er derweil schön trocknen von oben bis unten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":541,"orig":"Es war immer eine große Anſtrengung für ihn, ſeine Vorſtellungen in die Worte zu bringen, die bedeuteten, was er meinte, aber diesmal hatte er's beſonders ſtreng, denn kaum hatte er eine Antwort zu Stande gebracht, ſo hatte ihm Heidi ſchon wieder zwei oder drei unerwartete Fragen zugeworfen und meiſtens ſolche, die einen ganzen Satz als Antwort erforderten.","norm":"Es war immer eine große Anstrengung für ihn, seine Vorstellungen in die Worte zu bringen, die bedeuteten, was er meinte, aber diesmal hatte er es besonders streng, denn kaum hatte er eine Antwort zustande gebracht, so hatte ihm Heidi schon wieder zwei oder drei unerwartete Fragen zugeworfen und meistens solche, die einen ganzen Satz als Antwort erforderten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":542,"orig":"Der Großvater hatte ſich ganz ſtill verhalten während dieſer Unterhaltung, aber es hatte ihm öfter ganz luſtig um die Mundwinkel gezuckt, was ein Zeichen war, daß er zuhörte.","norm":"Der Großvater hatte sich ganz still verhalten während dieser Unterhaltung, aber es hatte ihm öfter ganz lustig um die Mundwinkel gezuckt, was ein Zeichen war, dass er zuhörte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":543,"orig":"So General, nun warſt du im Feuer und brauchſt Stärkung, komm', halt mit!“ Damit ſtand der Großvater auf und holte das Abendeſſen aus dem Schrank hervor, und Heidi rückte die Stühle zum Tiſch.","norm":"So General, nun warst du im Feuer und brauchst Stärkung, komme, halt mit!“ Damit stand der Großvater auf und holte das Abendessen aus dem Schrank hervor, und Heidi rückte die Stühle zum Tisch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":544,"orig":"Unterdeſſen war auch eine Bank an die Wand gezimmert worden vom Großvater, nun er nicht mehr allein war, hatte er da und dort allerlei Sitze zu Zweien eingerichtet, denn Heidi hatte die Art, daß es ſich überall nah zum Großvater hielt, wo er ging und ſtand und ſaß.","norm":"Unterdessen war auch eine Bank an die Wand gezimmert worden vom Großvater, nun er nicht mehr allein war, hatte er da und dort allerlei Sitze zu Zweien eingerichtet, denn Heidi hatte die Art, dass es sich überall nah zum Großvater hielt, wo er ging und stand und saß."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":545,"orig":"So hatten ſie alle drei gut Platz zum Sitzen und der Peter that ſeine runden Augen ganz weit auf, als er ſah, welch ein mächtiges Stück von dem ſchönen getrockneten Fleiſch der Alm-Oehi ihm auf ſeine dicke Brodſchnitte legte.","norm":"So hatten sie alle drei gut Platz zum Sitzen und der Peter tat seine runden Augen ganz weit auf, als er sah, welch ein mächtiges Stück von dem schönen getrockneten Fleisch der Alm-Öhi ihm auf seine dicke Brotschnitte legte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":546,"orig":"So gut hatte es der Peter lange nicht gehabt.","norm":"So gut hatte es der Peter lange nicht gehabt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":547,"orig":"Als nun das vergnügte Mahl zu Ende war, fing es an zu dunkeln und Peter ſchickte ſich zur Heimkehr an.","norm":"Als nun das vergnügte Mahl zu Ende war, fing es an zu dunkeln und Peter schickte sich zur Heimkehr an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":548,"orig":"Als er nun „gute Nacht“ und „Dank Euch Gott“ geſagt hatte und ſchon unter der Thür war, kehrte er ſich noch einmal um und ſagte: „Am Sonntag komm' ich wieder, heut' über acht Tag', und du ſollteſt auch einmal zur Großmutter kommen, hat ſie geſagt.","norm":"Als er nun „Gute Nacht“ und „Dank Euch Gott“ gesagt hatte und schon unter der Tür war, kehrte er sich noch einmal um und sagte: „Am Sonntag komme ich wieder, heute über acht Tage, und du solltest auch einmal zur Großmutter kommen, hat sie gesagt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":549,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":550,"orig":"Das war ein ganz neuer Gedanke für Heidi, daß es zu Jemandem gehen ſolle, aber er faßte auf der Stelle Boden bei ihm, und gleich am folgenden Morgen war ſein Erſtes, daß es erklärte: „Großvater, jetzt muß ich gewiß zu der Großmutter hinunter, ſie erwartet mich.","norm":"Das war ein ganz neuer Gedanke für Heidi, dass es zu Jemandem gehen solle, aber er fasste auf der Stelle Boden bei ihm, und gleich am folgenden Morgen war sein Erstes, dass es erklärte: „Großvater, jetzt muss ich gewiss zu der Großmutter hinunter, sie erwartet mich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":551,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":552,"orig":"„Es hat zu viel Schnee“, erwiderte der Großvater abwehrend.","norm":"„Es hat zu viel Schnee“, erwiderte der Großvater abwehrend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":553,"orig":"Aber das Vorhaben ſaß feſt in Heidi's Sinn, denn die Großmutter hatte es ja ſagen laſſen, ſo mußte es ſein.","norm":"Aber das Vorhaben saß fest in Heidis Sinn, denn die Großmutter hatte es ja sagen lassen, so musste es sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":554,"orig":"So verging kein Tag mehr, an dem das Kind nicht fünf und ſechs Mal ſagte: „Großvater, jetzt muß ich gewiß gehn, die Großmutter wartet ja immer auf mich.","norm":"So verging kein Tag mehr, an dem das Kind nicht fünf und sechsmal sagte: „Großvater, jetzt muss ich gewiss gehen, die Großmutter wartet ja immer auf mich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":555,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":556,"orig":"Am vierten Tag, als es draußen kniſterte und knarrte vor Kälte bei jedem Schritt und die ganze große Schneedecke ringsum hart gefroren war, aber eine ſchöne Sonne in's Fenſter guckte gerade auf Heidi's hohen Stuhl hin, wo es am Mittagsmahl ſaß, da begann es wieder ſein Sprüchlein: „Heut' muß ich aber gewiß zur Großmutter gehn, es währt ihr ſonſt zu lange.","norm":"Am vierten Tag, als es draußen knisterte und knarrte vor Kälte bei jedem Schritt und die ganze große Schneedecke ringsum hart gefroren war, aber eine schöne Sonne ins Fenster guckte gerade auf Heidis hohen Stuhl hin, wo es am Mittagsmahl saß, da begann es wieder sein Sprüchlein: „Heute muss ich aber gewiss zur Großmutter gehen, es währt ihr sonst zu lange."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":557,"orig":"“ Da ſtand der Großvater auf vom Mittagstiſch, ſtieg auf den Heuboden hinauf, brachte den dicken Sack herunter, der Heidi's Bettdecke war und ſagte: „So komm!“ In großer Freude hüpfte das Kind ihm nach in die glitzernde Schneewelt hinaus.","norm":"“ Da stand der Großvater auf vom Mittagstisch, stieg auf den Heuboden hinauf, brachte den dicken Sack herunter, der Heidis Bettdecke war und sagte: „So komme!“ In großer Freude hüpfte das Kind ihm nach in die glitzernde Schneewelt hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":558,"orig":"In den alten Tannen war es nun ganz ſtill und auf allen Aeſten lag der weiße Schnee und in dem Sonnenſchein ſchimmerte und funkelte es überall von den Bäumen in ſolcher Pracht, daß Heidi hoch aufſprang vor Entzücken und ein Mal über's andere ausrief: „Komm' heraus, Großvater, komm' heraus!","norm":"In den alten Tannen war es nun ganz still und auf allen Ästen lag der weiße Schnee und in dem Sonnenschein schimmerte und funkelte es überall von den Bäumen in solcher Pracht, dass Heidi hoch aufsprang vor Entzücken und ein Mal übers andere ausrief: „Komme heraus, Großvater, komme heraus!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":559,"orig":"Es iſt lauter Silber und Gold an den Tannen!“ Denn der Großvater war in den Schopf hineingegangen und kam nun heraus mit einem breiten Stoßſchlitten, da war vorn eine Stange angebracht und von dem flachen Sitz konnte man die Füße nach vorn hinunter halten und gegen den Schneeboden ſtemmen und der Fahrt die Weiſung geben.","norm":"Es ist lauter Silber und Gold an den Tannen!“ Denn der Großvater war in den Schopf hineingegangen und kam nun heraus mit einem breiten Stoßschlitten, da war vorn eine Stange angebracht und von dem flachen Sitz konnte man die Füße nach vorn hinunter halten und gegen den Schneeboden stemmen und der Fahrt die Weisung geben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":560,"orig":"Hier ſetzte ſich der Großvater hin, nachdem er erſt die Tannen ringsum mit Heidi hatte beſchauen müſſen, nahm das Kind auf ſeinen Schooß, wickelte es um und um in den Sack ein, damit es hübſch warm bleibe, und drückte es feſt mit dem linken Arm an ſich, denn das war nöthig bei der kommenden Fahrt.","norm":"Hier setzte sich der Großvater hin, nachdem er erst die Tannen ringsum mit Heidi hatte beschauen müssen, nahm das Kind auf seinen Schoß, wickelte es um und um in den Sack ein, damit es hübsch warm bleibe, und drückte es fest mit dem linken Arm an sich, denn das war nötig bei der kommenden Fahrt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":561,"orig":"Dann umfaßte er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden Füßen.","norm":"Dann umfasste er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden Füßen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":562,"orig":"Da ſchoß der Schlitten davon die Alm hinab mit einer ſolchen Schnelligkeit, daß das Heidi meinte, es fliege in der Luft, wie ein Vogel und laut aufjauchzte.","norm":"Da schoss der Schlitten davon die Alm hinab mit einer solchen Schnelligkeit, dass das Heidi meinte, es fliege in der Luft, wie ein Vogel und laut aufjauchzte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":563,"orig":"Auf einmal ſtand der Schlitten ſtill, gerade bei der Hütte vom Gaißen- Peter.","norm":"Auf einmal stand der Schlitten still, gerade bei der Hütte vom Geißen-Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":564,"orig":"Der Großvater ſtellte das Kind auf den Boden, wickelte es aus ſeiner Decke heraus und ſagte: „So, nun geh' hinein, und wenn es anfängt dunkel zu werden, dann komm' wieder heraus und mach' dich auf den Weg.","norm":"Der Großvater stellte das Kind auf den Boden, wickelte es aus seiner Decke heraus und sagte: „So, nun gehe hinein, und wenn es anfängt dunkel zu werden, dann komme wieder heraus und mache dich auf den Weg."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":565,"orig":"“ Dann kehrte er um mit ſeinem Schlitten und zog ihn den Berg hinauf.","norm":"“ Dann kehrte er um mit seinem Schlitten und zog ihn den Berg hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":566,"orig":"Heidi machte die Thüre auf und kam in einen kleinen Raum hinein, da ſah es ſchwarz aus und ein Heerd war da und einige Schüſſelchen auf einem Geſtell, das war die kleine Küche; dann kam gleich wieder eine Thüre, die machte Heidi wieder auf und kam in eine enge Stube hinein, denn das Ganze war nicht eine Sennhütte, wie beim Großvater, wo ein einziger, großer Raum war und oben ein Heuboden, ſondern es war ein kleines, uraltes Häuschen, wo Alles eng war und ſchmal und dürftig.","norm":"Heidi machte die Türe auf und kam in einen kleinen Raum hinein, da sah es schwarz aus und ein Herd war da und einige Schüsselchen auf einem Gestell, das war die kleine Küche; dann kam gleich wieder eine Türe, die machte Heidi wieder auf und kam in eine enge Stube hinein, denn das Ganze war nicht eine Sennhütte, wie beim Großvater, wo ein einziger, großer Raum war und oben ein Heuboden, sondern es war ein kleines, uraltes Häuschen, wo alles eng war und schmal und dürftig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":567,"orig":"Als Heidi in das Stübchen trat, ſtand es gleich vor einem Tiſch, daran ſaß eine Frau und flickte an Peter's Wams, denn dieſes erkannte Heidi ſogleich.","norm":"Als Heidi in das Stübchen trat, stand es gleich vor einem Tisch, daran saß eine Frau und flickte an Peters Wams, denn dieses erkannte Heidi sogleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":568,"orig":"In der Ecke ſaß ein altes, gekrümmtes Mütterchen und ſpann.","norm":"In der Ecke saß ein altes, gekrümmtes Mütterchen und spann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":569,"orig":"Heidi wußte gleich, woran es war; es ging gradaus auf das Spinnrad zu und ſagte: „Guten Tag, Großmutter, jetzt komme ich zu dir; haſt du gedacht, es währe lang, bis ich komme?“","norm":"Heidi wusste gleich, woran es war; es ging geradeaus auf das Spinnrad zu und sagte: „Guten Tag, Großmutter, jetzt komme ich zu dir; hast du gedacht, es währe lang, bis ich komme?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":570,"orig":"Die Großmutter erhob den Kopf und ſuchte die Hand, die gegen ſie ausgeſtreckt war, und als ſie dieſe erfaßt hatte, befühlte ſie dieſelbe erſt eine Weile nachdenklich in der ihrigen, dann ſagte ſie: „Biſt du das Kind droben beim Alm-Oehi, biſt du das Heidi?“","norm":"Die Großmutter erhob den Kopf und suchte die Hand, die gegen sie ausgestreckt war, und als sie diese erfasst hatte, befühlte sie dieselbe erst eine Weile nachdenklich in der ihrigen, dann sagte sie: „Bist du das Kind droben beim Alm-Öhi, bist du das Heidi?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":571,"orig":"„Ja, ja“, beſtätigte das Kind, „jetzt gerade bin ich mit dem Großvater im Schlitten heruntergefahren.","norm":"„Ja, ja“, bestätigte das Kind, „jetzt gerade bin ich mit dem Großvater im Schlitten heruntergefahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":572,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":573,"orig":"„Wie iſt das möglich!","norm":"„Wie ist das möglich!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":574,"orig":"Du haſt ja eine ſo warme Hand!","norm":"Du hast ja eine so warme Hand!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":575,"orig":"Sag', Brigitte, iſt der Alm-Oehi ſelber mit dem Kind heruntergekommen?“","norm":"Sage, Brigitte, ist der Alm-Öhi selber mit dem Kind heruntergekommen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":576,"orig":"Peter's Mutter, die Brigitte, die am Tiſch geflickt hatte, war aufgeſtanden und betrachtete nun mit Neugierde das Kind von oben bis unten; dann ſagte ſie: „Ich weiß nicht, Mutter, ob der Oehi ſelber heruntergekommen iſt mit ihm, es iſt nicht glaublich, das Kind wird's nicht recht wiſſen.","norm":"Peters Mutter, die Brigitte, die am Tisch geflickt hatte, war aufgestanden und betrachtete nun mit Neugierde das Kind von oben bis unten; dann sagte sie: „Ich weiß nicht, Mutter, ob der Öhi selber heruntergekommen ist mit ihm, es ist nicht glaublich, das Kind wird es nicht recht wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":577,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":578,"orig":"Aber das Heidi ſah die Frau ſehr beſtimmt an und gar nicht, als ſei es im Ungewiſſen, und ſagte: „Ich weiß ganz gut, wer mich in die Bettdecke gewickelt hat und mit mir heruntergeſchlittet iſt, das iſt der Großvater.","norm":"Aber das Heidi sah die Frau sehr bestimmt an und gar nicht, als sei es im Ungewissen, und sagte: „Ich weiß ganz gut, wer mich in die Bettdecke gewickelt hat und mit mir heruntergeschlittet ist, das ist der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":579,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":580,"orig":"„Es muß doch etwas daran ſein, was der Peter ſo geſagt hat den Sommer durch vom Alm-Oehi, wenn wir dachten, er wiſſe es nicht recht“, ſagte die Großmutter, „wer hätte freilich auch glauben können, daß ſo etwas möglich ſei, ich dachte, das Kind lebe keine drei Wochen da oben.","norm":"„Es muss doch etwas daran sein, was der Peter so gesagt hat den Sommer durch vom Alm-Öhi, wenn wir dachten, er wisse es nicht recht“, sagte die Großmutter, „wer hätte freilich auch glauben können, dass so etwas möglich sei, ich dachte, das Kind lebe keine drei Wochen da oben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":581,"orig":"Wie ſieht es auch aus, Brigitte?“ Dieſe hatte das Kind unterdeſſen ſo von allen Seiten angeſehn, daß ſie nun wohl berichten konnte, wie es ausſah.","norm":"Wie sieht es auch aus, Brigitte?“ Diese hatte das Kind unterdessen so von allen Seiten angesehen, dass sie nun wohl berichten konnte, wie es aussah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":582,"orig":"„Es iſt ſo fein gegliedert, wie die Adelheid war“, gab ſie zur Antwort, „aber es hat die ſchwarzen Augen und das krauſe Haar, wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben, ich glaube, es ſieht den Zweien gleich.","norm":"„Es ist so fein gegliedert, wie die Adelheid war“, gab sie zur Antwort, „aber es hat die schwarzen Augen und das krause Haar, wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben, ich glaube, es sieht den Zweien gleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":583,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":584,"orig":"Unterdeſſen war Heidi nicht müßig geblieben; es hatte ringsum geguckt und Alles genau betrachtet, was da zu ſehen war.","norm":"Unterdessen war Heidi nicht müßig geblieben; es hatte ringsum geguckt und alles genau betrachtet, was da zu sehen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":585,"orig":"Jetzt ſagte es: „Sieh', Großmutter, dort ſchlägt es einen Laden immer hin und her, und der Großvater würde auf der Stelle einen Nagel einſchlagen, daß er wieder feſt hält, ſonſt ſchlägt er auch einmal eine Scheibe ein; ſieh', ſieh', wie er thut!“","norm":"Jetzt sagte es: „Sieh, Großmutter, dort schlägt es einen Laden immer hin und her, und der Großvater würde auf der Stelle einen Nagel einschlagen, dass er wieder festhält, sonst schlägt er auch einmal eine Scheibe ein; sieh, sieh, wie er tut!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":586,"orig":"„Ach du gutes Kind ſagte die Großmutter, „ſehn kann ich es nicht, aber hören kann ich es wohl und noch viel mehr, nicht nur den Laden, da kracht und klappert es überall, wenn der Wind kommt und er kann überall herein blaſen, es hält Nichts mehr zuſammen und in der Nacht, wenn ſie Beide ſchlafen, iſt es mir manchmal ſo angſt und bang, es falle Alles über uns zuſammen und ſchlage uns alle Drei todt; ach und da iſt kein Menſch, der etwas ausbeſſern könnte an der Hütte, der Peter verſteht's nicht.","norm":"„Ach du gutes Kind sagte die Großmutter, „sehen kann ich es nicht, aber hören kann ich es wohl und noch viel mehr, nicht nur den Laden, da kracht und klappert es überall, wenn der Wind kommt und er kann überall hereinblasen, es hält nichts mehr zusammen und in der Nacht, wenn sie Beide schlafen, ist es mir manchmal so Angst und bang, es falle alles über uns zusammen und schlage uns alle Drei tot; ach und da ist kein Mensch, der etwas ausbessern könnte an der Hütte, der Peter versteht es nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":587,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":588,"orig":"„Aber warum kannſt du denn nicht ſehen, wie der Laden thut, Großmutter?","norm":"„Aber warum kannst du denn nicht sehen, wie der Laden tut, Großmutter?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":589,"orig":"Sieh' jetzt wieder, dort gerade dort.","norm":"Sieh jetzt wieder, dort gerade dort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":590,"orig":"“ Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger.","norm":"“ Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":591,"orig":"„Ach Kind, ich kann ja gar Nichts ſehen, gar Nichts, nicht nur den Laden nicht“, klagte die Großmutter.","norm":"„Ach Kind, ich kann ja gar nichts sehen, gar nichts, nicht nur den Laden nicht“, klagte die Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":592,"orig":"„Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache, daß es recht hell wird, kannſt du dann ſehen, Großmutter?“","norm":"„Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache, dass es recht hell wird, kannst du dann sehen, Großmutter?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":593,"orig":"„Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir Niemand mehr hell machen.","norm":"„Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir Niemand mehr hell machen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":594,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":595,"orig":"„Aber wenn du hinausgehſt in den ganz weißen Schnee, dann wird es dir gewiß hell; komm' nur mit mir, Großmutter, ich will dir's zeigen.","norm":"„Aber wenn du hinausgehst in den ganz weißen Schnee, dann wird es dir gewiss hell; komme nur mit mir, Großmutter, ich will dir es zeigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":596,"orig":"“ Heidi nahm die Großmutter bei der Hand und wollte ſie fortziehn, denn es fing an, ihm ganz ängſtlich zu Muth zu werden, daß es ihr nirgends hell wurde.","norm":"“ Heidi nahm die Großmutter bei der Hand und wollte sie fortziehen, denn es fing an, ihm ganz ängstlich zu Mut zu werden, dass es ihr nirgends hell wurde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":597,"orig":"„Laß mich nur ſitzen, du gutes Kind, es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, ſie dringt nicht mehr in meine Augen.","norm":"„Lass mich nur sitzen, du gutes Kind, es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, sie dringt nicht mehr in meine Augen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":598,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":599,"orig":"„Aber dann doch im Sommer, Großmutter“, ſagte Heidi immer ängſtlicher nach einem guten Ausweg ſuchend, weißt, wann dann wieder die Sonne ganz heiß herunterbrennt und dann gute Nacht ſagt und die Berge alle feuerroth ſchimmern und alle gelben Blümlein glitzern, dann wird es dir wieder ſchön hell?“","norm":"„Aber dann doch im Sommer, Großmutter“, sagte Heidi immer ängstlicher nach einem guten Ausweg suchend, weißt, wenn dann wieder die Sonne ganz heiß herunterbrennt und dann gute Nacht sagt und die Berge alle feuerrot schimmern und alle gelben Blümlein glitzern, dann wird es dir wieder schön hell?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":600,"orig":"„Ach Kind, ich kann ſie nie mehr ſehen, die feurigen Berge und die goldenen Blümlein droben, es wird mir nie mehr hell auf Erden, nie mehr.","norm":"„Ach Kind, ich kann sie nie mehr sehen, die feurigen Berge und die goldenen Blümlein droben, es wird mir nie mehr hell auf Erden, nie mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":601,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":602,"orig":"Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus.","norm":"Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":603,"orig":"Voller Jammer ſchluchzte es fortwährend: „Wer kann dir denn wieder hell machen?","norm":"Voller Jammer schluchzte es fortwährend: „Wer kann dir denn wieder hell machen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":604,"orig":"Kann es Niemand?","norm":"Kann es niemand?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":605,"orig":"Kann es gar Niemand?“","norm":"Kann es gar Niemand?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":606,"orig":"Die Großmutter ſuchte nun das Kind zu tröſten, aber es gelang ihr nicht ſo bald.","norm":"Die Großmutter suchte nun das Kind zu trösten, aber es gelang ihr nicht so bald."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":607,"orig":"Heidi weinte faſt nie; wenn es aber einmal anfing, dann konnte es auch faſt nicht mehr aus der Betrübniß herauskommen.","norm":"Heidi weinte fast nie; wenn es aber einmal anfing, dann konnte es auch fast nicht mehr aus der Betrübnis herauskommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":608,"orig":"Die Großmutter hatte ſchon allerhand probiert, um das Kind zu beſchwichtigen, denn es ging ihr zu Herzen, daß es ſo jämmerlich ſchluchzen mußte.","norm":"Die Großmutter hatte schon allerhand probiert, um das Kind zu beschwichtigen, denn es ging ihr zu Herzen, dass es so jämmerlich schluchzen musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":609,"orig":"Jetzt ſagte ſie: „Komm', du gutes Heidi, komm' hier heran, ich will dir etwas ſagen.","norm":"Jetzt sagte sie: „Komme, du gutes Heidi, komme hier heran, ich will dir etwas sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":610,"orig":"Siehſt du, wenn man Nichts ſehen kann, dann hört man ſo gern ein freundliches Wort und ich höre es gern, wenn du redeſt; komm', ſetz' dich da nahe zu mir und erzähl' mir Etwas, was du machſt da droben und was der Großvater macht, ich habe ihn früher gut gekannt; aber jetzt hab' ich ſeit manchem Jahr Nichts mehr gehört von ihm, als durch den Peter, aber der ſagt nicht viel.","norm":"Siehst du, wenn man Nichts sehen kann, dann hört man so gern ein freundliches Wort und ich höre es gern, wenn du redest; komme, setze dich da nahe zu mir und erzähle mir Etwas, was du machst da droben und was der Großvater macht, ich habe ihn früher gut gekannt; aber jetzt habe ich seit manchem Jahr nichts mehr gehört von ihm, als durch den Peter, aber der sagt nicht viel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":611,"orig":"“ Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke; es wiſchte raſch ſeine Thränen weg und ſagte tröſtlich: „Wart' nur, Großmutter, ich will Alles dem Großvater ſagen, er macht dir ſchon wieder hell und macht, daß die Hütte nicht zuſammenfällt, er kann Alles wieder in Ordnung machen.","norm":"“ Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke; es wischte rasch seine Tränen weg und sagte tröstlich: „Warte nur, Großmutter, ich will alles dem Großvater sagen, er macht dir schon wieder hell und macht, dass die Hütte nicht zusammenfällt, er kann alles wieder in Ordnung machen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":612,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":613,"orig":"Die Großmutter ſchwieg ſtille, und nun fing Heidi an, ihr mit großer Lebendigkeit zu erzählen von ſeinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater, was er Alles aus Holz machen könne, Bänke und Stühle und ſchöne Krippen, wo man für das Schwänli und Bärli das Heu hineinlegen könnte, und einen großen neuen Waſſertrog zum Baden im Sommer, und ein neues Milchſchüſſelchen und Löffel, und Heidi wurde immer eifriger im Beſchreiben all der ſchönen Sachen, die ſo auf einmal aus einem Stück Holz herauskommen und wie es dann neben dem Großvater ſtehe und ihm zuſchaue und wie es das Alles auch einmal machen wolle.","norm":"Die Großmutter schwieg stille, und nun fing Heidi an, ihr mit großer Lebendigkeit zu erzählen von seinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater, was er alles aus Holz machen könne, Bänke und Stühle und schöne Krippen, wo man für das Schwänli und Bärli das Heu hineinlegen könnte, und einen großen neuen Wassertrog zum Baden im Sommer, und ein neues Milchschüsselchen und Löffel, und Heidi wurde immer eifriger im Beschreiben all der schönen Sachen, die so auf einmal aus einem Stück Holz herauskommen und wie es dann neben dem Großvater stehe und ihm zuschaue und wie es das alles auch einmal machen wolle."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":614,"orig":"Die Großmutter hörte mit großer Aufmerkſamkeit zu, und von Zeit zu Zeit ſagte ſie dazwiſchen: „Hörſt du's auch, Brigitte?","norm":"Die Großmutter hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, und von Zeit zu Zeit sagte sie dazwischen: „Hörst du es auch, Brigitte?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":615,"orig":"Hörſt du, was es vom Oehi ſagt?“","norm":"Hörst du, was es vom Öhi sagt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":616,"orig":"Mit einem Mal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Thüre, und herein ſtampfte der Peter, blieb aber ſogleich ſtille ſtehn und ſperrte ſeine runden Augen ganz erſtaunlich weit auf, als er das Heidi erblickte, und ſchnitt die allerfreundlichſte Grimaſſe, als es ihm ſogleich zurief: „Guten Abend, Peter!“","norm":"Mit einem Mal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Türe, und herein stampfte der Peter, blieb aber sogleich stille stehen und sperrte seine runden Augen ganz erstaunlich weit auf, als er das Heidi erblickte, und schnitt die allerfreundlichste Grimasse, als es ihm sogleich zurief: „Guten Abend, Peter!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":617,"orig":"„Iſt denn das möglich, daß der ſchon aus der Schule kommt“, rief die Großmutter ganz verwundert aus; „ſo geſchwind iſt mir ſeit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen!","norm":"„Ist denn das möglich, dass der schon aus der Schule kommt“, rief die Großmutter ganz verwundert aus; „so geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":618,"orig":"Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Leſen?“","norm":"Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Lesen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":619,"orig":"„Gleich“, gab der Peter zur Antwort.","norm":"„Gleich“, gab der Peter zur Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":620,"orig":"„So, ſo“, ſagte die Großmutter ein wenig ſeufzend, ich habe gedacht, es gebe vielleicht eine Aenderung auf die Zeit, wenn du dann zwölf Jahr alt wirſt gegen den Hornung hin.","norm":"„So, so“, sagte die Großmutter ein wenig seufzend, ich habe gedacht, es gebe vielleicht eine Änderung auf die Zeit, wenn du dann zwölf Jahr alt wirst gegen den Hornung hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":621,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":622,"orig":"„Warum muß es eine Aenderung geben, Großmutter?“ fragte Heidi gleich mit Intereſſe.","norm":"„Warum muss es eine Änderung geben, Großmutter?“ fragte Heidi gleich mit Interesse."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":623,"orig":"„Ich meine nur, daß er es etwa noch hätte lernen können“, ſagte die Großmutter, „das Leſen mein' ich.","norm":"„Ich meine nur, dass er es etwa noch hätte lernen können“, sagte die Großmutter, „das Lesen meine ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":624,"orig":"Ich habe dort oben auf dem Geſtell ein altes Gebetbuch, da ſind ſchöne Lieder drin, die habe ich ſo lange nicht mehr gehört, und im Gedächtniß habe ich ſie auch nicht mehr, da habe ich gehofft, wenn der Peterli nun leſen lerne, ſo könne er mir etwa ein gutes Lied leſen, aber er kann es nicht lernen, es iſt ihm zu ſchwer.","norm":"Ich habe dort oben auf dem Gestell ein altes Gebetbuch, da sind schöne Lieder drin, die habe ich so lange nicht mehr gehört, und im Gedächtnis habe ich sie auch nicht mehr, da habe ich gehofft, wenn der Peterli nun lesen lerne, so könne er mir etwa ein gutes Lied lesen, aber er kann es nicht lernen, es ist ihm zu schwer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":625,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":626,"orig":"„Ich denke, ich muß Licht machen, es wird ja ſchon ganz dunkel“, ſagte jetzt Peter's Mutter, die immer emſig am Wams fortgeflickt hatte, „der Nachmittag iſt mir auch vergangen, ohne daß ich's merkte.","norm":"„Ich denke, ich muss Licht machen, es wird ja schon ganz dunkel“, sagte jetzt Peters Mutter, die immer emsig am Wams fortgeflickt hatte, „der Nachmittag ist mir auch vergangen, ohne dass ich es merkte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":627,"orig":"“ Nun ſprang Heidi von ſeinem Stühlchen auf, ſtreckte eilig ſeine Hand aus und ſagte: „Gut' Nacht, Großmutter, ich muß auf der Stelle heim, wenn es dunkel wird“, und hinter einander bot es dem Peter und ſeiner Mutter die Hand und ging der Thüre zu.","norm":"“ Nun sprang Heidi von seinem Stühlchen auf, streckte eilig seine Hand aus und sagte: „Gute Nacht, Großmutter, ich muss auf der Stelle heim, wenn es dunkel wird“, und hintereinander bot es dem Peter und seiner Mutter die Hand und ging der Türe zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":628,"orig":"Aber die Großmutter rief beſorgt: „Wart', wart', Heidi, ſo allein mußt du nicht fort, der Peter muß mit dir, hörſt du?","norm":"Aber die Großmutter rief besorgt: „Warte, wart, Heidi, so allein musst du nicht fort, der Peter muss mit dir, hörst du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":629,"orig":"Und gib Acht auf das Kind, Peterli, daß es nicht umfällt, und ſteh' nicht ſtill mit ihm, daß es nicht friert, hörſt du?","norm":"Und gib Acht auf das Kind, Peterli, dass es nicht umfällt, und stehe nicht still mit ihm, dass es nicht friert, hörst du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":630,"orig":"Hat es auch ein dickes Halstuch an?“","norm":"Hat es auch ein dickes Halstuch an?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":631,"orig":"„Ich habe gar kein Halstuch an“, rief Heidi zurück, aber ich will ſchon nicht frieren“; damit war es zur Thür hinaus und huſchte ſo behend weiter, daß der Peter kaum nachkam.","norm":"„Ich habe gar kein Halstuch an“, rief Heidi zurück, aber ich will schon nicht frieren“; damit war es zur Tür hinaus und huschte so behände weiter, dass der Peter kaum nachkam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":632,"orig":"Aber die Großmutter rief jammernd: „Lauf' ihm nach, Brigitte, lauf', das Kind muß ja erfrieren, ſo bei der Nacht, nimm mein Halſtuch mit, lauf' ſchnell!“ Die Brigitte gehorchte.","norm":"Aber die Großmutter rief jammernd: „Laufe ihm nach, Brigitte, laufe, das Kind muss ja erfrieren, so bei der Nacht, nimm mein Halstuch mit, laufe schnell!“ Die Brigitte gehorchte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":633,"orig":"Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan gethan, ſo ſahen ſie von oben herunter den Großvater kommen und mit wenigen rüſtigen Schritten ſtand er vor ihnen.","norm":"Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan getan, so sahen sie von oben herunter den Großvater kommen und mit wenigen rüstigen Schritten stand er vor ihnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":634,"orig":"„Recht ſo, Heidi, Wort gehalten!“ ſagte er, packte das Kind wieder feſt in ſeine Decke ein, nahm es auf ſeinen Arm und ſtieg den Berg hinauf.","norm":"„Recht so, Heidi, Wort gehalten!“ sagte er, packte das Kind wieder fest in seine Decke ein, nahm es auf seinen Arm und stieg den Berg hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":635,"orig":"Eben hatte die Brigitte noch geſehen, wie der Alte das Kind wohl verpackt auf ſeinen Arm genommen und den Rückweg angetreten hatte.","norm":"Eben hatte die Brigitte noch gesehen, wie der Alte das Kind wohlverpackt auf seinen Arm genommen und den Rückweg angetreten hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":636,"orig":"Sie trat mit dem Peter wieder in die Hütte ein und erzählte der Großmutter mit Verwunderung, was ſie geſehen hatte.","norm":"Sie trat mit dem Peter wieder in die Hütte ein und erzählte der Großmutter mit Verwunderung, was sie gesehen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":637,"orig":"Auch dieſe mußte ſich ſehr verwundern und ein Mal über das andere ſagen: „Gott Lob und Dank, daß er ſo iſt mit dem Kind, Gott Lob und Dank!","norm":"Auch diese musste sich sehr verwundern und ein Mal über das andere sagen: „Gott Lob und Dank, dass er so ist mit dem Kind, Gott Lob und Dank!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":638,"orig":"Wenn er es nur auch wieder zu mir läßt, das Kind hat mir ſo wohl gemacht!","norm":"Wenn er es nur auch wieder zu mir lässt, das Kind hat mir so wohl gemacht!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":639,"orig":"Was hat es für ein gutes Herz und wie kann es ſo kurzweilig erzählen!“ Und immer wieder freute ſich die Großmutter, und bis ſie in's Bett ging, ſagte ſie immer wieder: „Wenn es nur auch wiederkommt!","norm":"Was hat es für ein gutes Herz und wie kann es so kurzweilig erzählen!“ Und immer wieder freute sich die Großmutter, und bis sie ins Bett ging, sagte sie immer wieder: „Wenn es nur auch wiederkommt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":640,"orig":"Jetzt habe ich doch noch Etwas auf der Welt, auf das ich mich freuen kann!“ Und die Brigitte ſtimmte jedes Mal ein, wenn die Großmutter wieder daſſelbe ſagte, und auch der Peter nickte jedes Mal zuſtimmend mit dem Kopf und zog ſeinen Mund weit auseinander vor Vergnüglichkeit und ſagte: „Hab's ſchon gewußt.","norm":"Jetzt habe ich doch noch Etwas auf der Welt, auf das ich mich freuen kann!“ Und die Brigitte stimmte jedes Mal ein, wenn die Großmutter wieder dasselbe sagte, und auch der Peter nickte jedes Mal zustimmend mit dem Kopf und zog seinen Mund weit auseinander vor Vergnüglichkeit und sagte: „Habe es schon gewusst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":641,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":642,"orig":"Unterdeſſen redete das Heidi in ſeinem Sack drinnen immerzu an den Großvater heran; da die Stimme aber nicht durch den achtfachen Umſchlag dringen konnte und er daher kein Wort verſtand, ſagte er: „Wart' ein wenig, bis wir daheim ſind, dann ſag's .“","norm":"Unterdessen redete das Heidi in seinem Sack drinnen immerzu an den Großvater heran; da die Stimme aber nicht durch den achtfachen Umschlag dringen konnte und er daher kein Wort verstand, sagte er: „Warte ein wenig, bis wir daheim sind, dann sage es .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":643,"orig":"Sobald er nun, oben angekommen, in ſeine Hütte eingetreten war und Heidi aus ſeiner Hülle herausgeſchält hatte, ſagte es: „Großvater, morgen müſſen wir den Hammer und die großen Nägel mitnehmen und den Laden feſtſchlagen bei der Großmutter und ſonſt noch viele Nägel einſchlagen, denn es kracht und klappert Alles bei ihr.","norm":"Sobald er nun, oben angekommen, in seine Hütte eingetreten war und Heidi aus seiner Hülle herausgeschält hatte, sagte es: „Großvater, morgen müssen wir den Hammer und die großen Nägel mitnehmen und den Laden festschlagen bei der Großmutter und sonst noch viele Nägel einschlagen, denn es kracht und klappert alles bei ihr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":644,"orig":"“ Müſſen wir?","norm":"“ Müssen wir?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":645,"orig":"So, das müſſen wir?","norm":"So, das müssen wir?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":646,"orig":"Wer hat dir das geſagt?“ fragte der Großvater.","norm":"Wer hat dir das gesagt?“ fragte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":647,"orig":"„Das hat mir kein Menſch geſagt, ich weiß es ſonſt“, entgegnete Heidi, „denn es hält Alles nicht mehr feſt und es iſt der Großmutter angſt und bang, wenn ſie nicht ſchlafen kann und es ſo thut, und ſie denkt:","norm":"„Das hat mir kein Mensch gesagt, ich weiß es sonst“, entgegnete Heidi, „denn es hält alles nicht mehr fest und es ist der Großmutter Angst und bang, wenn sie nicht schlafen kann und es so tut, und sie denkt:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":648,"orig":"Jetzt fällt Alles ein und gerade auf unſre Köpfe, und der Großmutter kann man gar nicht mehr hell machen, ſie weiß gar nicht, wie man es könnte, aber du kannſt es ſchon, Großvater, denk' nur, wie traurig es iſt, wenn ſie immer im Dunkeln iſt und es ihr dann noch angſt und bang iſt und es kann ihr kein Menſch helfen, als du!","norm":"Jetzt fällt alles ein und gerade auf unsere Köpfe, und der Großmutter kann man gar nicht mehr hell machen, sie weiß gar nicht, wie man es könnte, aber du kannst es schon, Großvater, denke nur, wie traurig es ist, wenn sie immer im Dunkeln ist und es ihr dann noch angst und bang ist und es kann ihr kein Mensch helfen, als du!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":649,"orig":"Morgen wollen wir gehen und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?“","norm":"Morgen wollen wir gehen und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":650,"orig":"Heidi hatte ſich an den Großvater angeklammert und ſchaute mit zweifelloſem Vertrauen zu ihm auf.","norm":"Heidi hatte sich an den Großvater angeklammert und schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":651,"orig":"Der Alte ſchaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann ſagte er: „Ja, Heidi, wir wollen machen, daß es nicht mehr so klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen thun wir's .“","norm":"Der Alte schaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann sagte er: „Ja, Heidi, wir wollen machen, dass es nicht mehr so klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen tun wir es .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":652,"orig":"Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hüttenraum herum und rief ein Mal um's andere: „Morgen thun wir's!","norm":"Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hüttenraum herum und rief ein Mal um das andere: „Morgen tun wir es!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":653,"orig":"Morgen thun wir's!“","norm":"Morgen tun wir es!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":654,"orig":"Der Großvater hielt Wort.","norm":"Der Großvater hielt Wort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":655,"orig":"Am folgenden Nachmittag wurde dieſelbe Schlittenfahrt ausgeführt.","norm":"Am folgenden Nachmittag wurde dieselbe Schlittenfahrt ausgeführt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":656,"orig":"Wie am vorhergehenden Tag ſtellte der Alte das Kind vor der Thüre der Gaißenpeter-Hütte nieder und ſagte: „Nun geh' hinein, und wenn's Nacht wird, komm' wieder.","norm":"Wie am vorhergehenden Tag stellte der Alte das Kind vor der Türe der Geißenpeter-Hütte nieder und sagte: „Nun gehe hinein, und wenn es Nacht wird, komme wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":657,"orig":"Dann legte er den Sack auf den Schlitten und ging um das Häuschen herum.","norm":"Dann legte er den Sack auf den Schlitten und ging um das Häuschen herum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":658,"orig":"Kaum hatte Heidi die Thüre aufgemacht und war in die Stube hineingeſprungen, ſo rief ſchon die Großmutter aus der Ecke: „Da kommt das Kind!","norm":"Kaum hatte Heidi die Türe aufgemacht und war in die Stube hineingesprungen, so rief schon die Großmutter aus der Ecke: „Da kommt das Kind!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":659,"orig":"Das iſt das Kind!“ Und ließ vor Freuden den Faden los und das Rädchen ſtehen und ſtreckte beide Hände nach dem Kinde aus.","norm":"Das ist das Kind!“ Und ließ vor Freuden den Faden los und das Rädchen stehen und streckte beide Hände nach dem Kinde aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":660,"orig":"Heidi lief zu ihr, rückte gleich das niedere Stühlchen ganz nahe an ſie heran, ſetzte ſich darauf und hatte der Großmutter ſchon wieder eine große Menge von Dingen zu erzählen und von ihr zu erfragen.","norm":"Heidi lief zu ihr, rückte gleich das niedere Stühlchen ganz nahe an sie heran, setzte sich darauf und hatte der Großmutter schon wieder eine große Menge von Dingen zu erzählen und von ihr zu erfragen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":661,"orig":"Aber auf einmal ertönten ſo gewaltige Schläge an das Haus, daß die Großmutter vor Schrecken ſo zuſammenfuhr, daß ſie faſt das Spinnrad umwarf, und zitternd ausrief: „Ach du mein Gott, jetzt kommt's, es fällt Alles zuſammen!“ Aber Heidi hielt ſie feſt um den Arm und ſagte tröſtend: „Nein, nein, Großmutter, erſchrick du nur nicht, das iſt der Großvater mit dem Hammer, jetzt macht er Alles feſt, daß es dir nicht mehr angſt und bang wird.","norm":"Aber auf einmal ertönten so gewaltige Schläge an das Haus, dass die Großmutter vor Schrecken so zusammenfuhr, dass sie fast das Spinnrad umwarf, und zitternd ausrief: „Ach du mein Gott, jetzt kommt es, es fällt alles zusammen!“ Aber Heidi hielt sie fest um den Arm und sagte tröstend: „Nein, nein, Großmutter, erschrick du nur nicht, das ist der Großvater mit dem Hammer, jetzt macht er alles fest, dass es dir nicht mehr Angst und bang wird."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":662,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":663,"orig":"„Ach iſt auch das möglich!","norm":"„Ach ist auch das möglich!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":664,"orig":"Iſt auch ſo etwas möglich!","norm":"Ist auch so etwas möglich!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":665,"orig":"So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergeſſen!“ rief die Großmutter aus.","norm":"So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergessen!“ rief die Großmutter aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":666,"orig":"„Haſt du's gehört, Brigitte, was es iſt, hörſt du's?","norm":"„Hast du es gehört, Brigitte, was es ist, hörst du es?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":667,"orig":"Wahrhaftig, es iſt ein Hammer!","norm":"Wahrhaftig, es ist ein Hammer!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":668,"orig":"Geh' hinaus, Brigitte, und wenn es der Alm-Oehi iſt, ſo ſag' ihm, er ſoll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen, daß ich ihm auch danken kann.","norm":"Gehe hinaus, Brigitte, und wenn es der Alm-Öhi ist, so sage ihm, er soll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen, dass ich ihm auch danken kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":669,"orig":"“ Die Brigitte ging hinaus.","norm":"“ Die Brigitte ging hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":670,"orig":"Eben ſchlug der Alm-Oehi mit großer Gewalt neue Kloben in die Mauer ein;","norm":"Eben schlug der Alm-Öhi mit großer Gewalt neue Kloben in die Mauer ein;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":671,"orig":"Brigitte trat an ihn heran und ſagte: „Ich wünſche Euch guten Abend, Oehi, und die Mutter auch, und wir haben Euch zu danken, daß Ihr uns einen ſolchen Dienſt thut, und die Mutter möchte Euch noch gern eigens danken drinnen; ſicher, es hätte uns das nicht grad Einer gethan, wir wollen Euch auch dran denken, denn ſicher —“","norm":"Brigitte trat an ihn heran und sagte: „Ich wünsche Euch guten Abend, Öhi, und die Mutter auch, und wir haben Euch zu danken, dass Ihr uns einen solchen Dienst tut, und die Mutter möchte Euch noch gern eigens danken drinnen; sicher, es hätte uns das nicht gerade Einer getan, wir wollen Euch auch dran denken, denn sicher —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":672,"orig":"„Macht's kurz“, unterbrach ſie der Alte hier; „was Ihr vom Alm-Oehi haltet, weiß ich ſchon.","norm":"„Macht es kurz“, unterbrach sie der Alte hier; „was Ihr vom Alm-Öhi haltet, weiß ich schon."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":673,"orig":"Geht nur wieder hinein; wo's fehlt, find' ich ſelber.","norm":"Geht nur wieder hinein; wo es fehlt, finde ich selber."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":674,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":675,"orig":"Brigitte gehorchte ſogleich, denn der Oehi hatte eine Art, der man ſich nicht leicht widerſetzte.","norm":"Brigitte gehorchte sogleich, denn der Öhi hatte eine Art, der man sich nicht leicht widersetzte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":676,"orig":"Er klopfte und hämmerte um das ganze Häuschen herum, ſtieg dann das ſchmale Treppchen hinauf bis unter das Dach, hämmerte weiter und weiter, bis er auch den letzten Nagel eingeſchlagen, den er mitgebracht hatte.","norm":"Er klopfte und hämmerte um das ganze Häuschen herum, stieg dann das schmale Treppchen hinauf bis unter das Dach, hämmerte weiter und weiter, bis er auch den letzten Nagel eingeschlagen, den er mitgebracht hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":677,"orig":"Unterdeſſen war auch ſchon die Dunkelheit hereingebrochen, und kaum war er heruntergetiegen und hatte ſeinen Schlitten hinter dem Gaißenſtall hervorgezogen, als auch ſchon Heidi aus der Thüre trat und vom Großvater wie geſtern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde, denn allein da drauf ſitzend, wäre die ganze Umhüllung vom Heidi abgefallen, und es wäre faſt oder ganz erfroren.","norm":"Unterdessen war auch schon die Dunkelheit hereingebrochen, und kaum war er heruntergestiegen und hatte seinen Schlitten hinter dem Geißenstall hervorgezogen, als auch schon Heidi aus der Türe trat und vom Großvater wie gestern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde, denn allein da drauf sitzend, wäre die ganze Umhüllung vom Heidi abgefallen, und es wäre fast oder ganz erfroren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":678,"orig":"Das wußte der Großvater wohl und hielt das Kind ganz warm in ſeinem Arm.","norm":"Das wusste der Großvater wohl und hielt das Kind ganz warm in seinem Arm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":679,"orig":"So ging der Winter dahin.","norm":"So ging der Winter dahin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":680,"orig":"In das freudloſe Leben der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte ſie immer Etwas in Ausſicht, nach dem ſie verlangen konnte.","norm":"In das freudlose Leben der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte sie immer Etwas in Aussicht, nach dem sie verlangen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":681,"orig":"Vom frühen Morgen an lauſchte ſie auch ſchon auf den trippelnden Schritt, und ging dann die Thüre auf und das Kind kam wirklich daher geſprungen, dann rief ſie jedes Mal in lauter Freude: „Gott Lob, da kommt's wieder!“ Und Heidi ſetzte ſich zu ihr und plauderte und erzählte ſo luſtig von Allem, was es wußte, daß es der Großmutter ganz wohl machte und ihr die Stunden dahin gingen, ſie merkte es nicht, und kein einziges Mal fragte ſie mehr ſo wie früher: „Brigitte, iſt der Tag noch nicht um?“ Sondern jedes Mal, wenn Heidi die Thür hinter ſich ſchloß, ſagte ſie: „Wie war doch der Nachmittag ſo kurz, iſt es nicht wahr, Brigitte?“ Und dieſe ſagte: „Doch ſicher, es iſt mir, wir haben erſt die Teller vom Eſſen weggeſtellt.","norm":"Vom frühen Morgen an lauschte sie auch schon auf den trippelnden Schritt, und ging dann die Türe auf und das Kind kam wirklich dahergesprungen, dann rief sie jedes Mal in lauter Freude: „Gottlob, da kommt es wieder!“ Und Heidi setzte sich zu ihr und plauderte und erzählte so lustig von allem, was es wusste, dass es der Großmutter ganz wohl machte und ihr die Stunden dahingingen, sie merkte es nicht, und kein einziges Mal fragte sie mehr so wie früher: „Brigitte, ist der Tag noch nicht um?“ Sondern jedes Mal, wenn Heidi die Tür hinter sich schloss, sagte sie: „Wie war doch der Nachmittag so kurz, ist es nicht wahr, Brigitte?“ Und diese sagte: „Doch sicher, es ist mir, wir haben erst die Teller vom Essen weggestellt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":682,"orig":"“ Und die Großmutter ſagte wieder: „Wenn mir nur der Herr Gott das Kind erhält und dem Alm-Oehi den guten Willen!","norm":"“ Und die Großmutter sagte wieder: „Wenn mir nur der Herr Gott das Kind erhält und dem Alm-Öhi den guten Willen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":683,"orig":"Sieht es auch geſund aus, Brigitte?“ Und jedes Mal erwiderte dieſe: „Es ſieht aus wie ein Erdbeerapfel.","norm":"Sieht es auch gesund aus, Brigitte?“ Und jedes Mal erwiderte diese: „Es sieht aus wie ein Erdbeerapfel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":684,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":685,"orig":"Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte Großmutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam, daß ihr gar Niemand, auch der Großvater nicht mehr hell machen konnte, überkam es immer wieder eine große Betrübniß; aber die Großmutter ſagte ihm immer wieder, daß ſie am wenigſten davon leide, wenn es bei ihr ſei, und Heidi kam auch an jedem ſchönen Wintertag heruntergefahren auf ſeinem Schlitten.","norm":"Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte Großmutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam, dass ihr gar Niemand, auch der Großvater nicht mehr hell machen konnte, überkam es immer wieder eine große Betrübnis; aber die Großmutter sagte ihm immer wieder, dass sie am wenigsten davon leide, wenn es bei ihr sei, und Heidi kam auch an jedem schönen Wintertag heruntergefahren auf seinem Schlitten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":686,"orig":"Der Großvater hatte, ohne weitere Worte, ſo fortgefahren, hatte jedes Mal den Hammer und allerlei andere Sachen mit aufgeladen und manchen Nachmittag durch an dem Gaißenpeter-Häuschen herumgeklopft.","norm":"Der Großvater hatte, ohne weitere Worte, so fortgefahren, hatte jedes Mal den Hammer und allerlei andere Sachen mit aufgeladen und manchen Nachmittag durch an dem Geißenpeter-Häuschen herumgeklopft."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":687,"orig":"Das hatte aber auch ſeine gute Wirkung; es krachte und klapperte nicht mehr die ganzen Nächte durch, und die Großmutter ſagte, ſo habe ſie manchen Winter lang nicht mehr ſchlafen können, das wolle ſie auch dem Oehi nie vergeſſen.","norm":"Das hatte aber auch seine gute Wirkung; es krachte und klapperte nicht mehr die ganzen Nächte durch, und die Großmutter sagte, so habe sie manchen Winter lang nicht mehr schlafen können, das wolle sie auch dem Öhi nie vergessen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":688,"orig":"Schnell war der Winter und noch ſchneller der fröhliche Sommer darauf vergangen, und ein neuer Winter neigte ſich ſchon wieder dem Ende zu.","norm":"Schnell war der Winter und noch schneller der fröhliche Sommer darauf vergangen, und ein neuer Winter neigte sich schon wieder dem Ende zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":689,"orig":"Heidi war glücklich und froh, wie die Vöglein des Himmels und freute ſich jeden Tag mehr auf die herannahenden Frühlingstage, da der warme Föhn durch die Tannen brauſen und den Schnee wegfegen würde und dann die helle Sonne die blauen und gelben Blümlein hervorlocken und die Tage der Weide kommen würden, die für Heidi das Schönſte mit ſich brachten, was es auf Erden geben konnte.","norm":"Heidi war glücklich und froh, wie die Vöglein des Himmels und freute sich jeden Tag mehr auf die herannahenden Frühlingstage, da der warme Föhn durch die Tannen brausen und den Schnee wegfegen würde und dann die helle Sonne die blauen und gelben Blümlein hervorlocken und die Tage der Weide kommen würden, die für Heidi das Schönste mit sich brachten, was es auf Erden geben konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":690,"orig":"Heidi ſtand nun in ſeinem achten Jahre; es hatte vom Großvater allerlei Kunſtgriffe erlernt; mit den Gaißen wußte es ſo gut umzugehen, als nur Einer, und Schwänli und Bärli liefen ihm nach wie treue Hündlein und meckerten gleich laut vor Freude, wenn ſie nur ſeine Stimme hörten.","norm":"Heidi stand nun in seinem achten Jahre; es hatte vom Großvater allerlei Kunstgriffe erlernt; mit den Geißen wusste es so gut umzugehen, als nur Einer, und Schwänli und Bärli liefen ihm nach wie treue Hündlein und meckerten gleich laut vor Freude, wenn sie nur seine Stimme hörten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":691,"orig":"In dieſem Winter hatte Peter ſchon zwei Mal vom Schullehrer im Dörfli den Bericht gebracht, der Alm-Oehi ſollte das Kind, das bei ihm ſei, nun in die Schule ſchicken, es habe ſchon mehr als das Alter und hätte ſchon im letzten Winter kommen ſollen.","norm":"In diesem Winter hatte Peter schon zweimal vom Schullehrer im Dörfli den Bericht gebracht, der Alm-Öhi sollte das Kind, das bei ihm sei, nun in die Schule schicken, es habe schon mehr als das Alter und hätte schon im letzten Winter kommen sollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":692,"orig":"Der Oehi hatte beide Male dem Schullehrer ſagen laſſen, wenn er Etwas mit ihm wollte, ſo ſei er daheim, das Kind ſchicke er nicht in die Schule.","norm":"Der Öhi hatte beide Male dem Schullehrer sagen lassen, wenn er etwas mit ihm wollte, so sei er daheim, das Kind schicke er nicht in die Schule."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":693,"orig":"Dieſen Bericht hatte der Peter richtig überbracht.","norm":"Diesen Bericht hatte der Peter richtig überbracht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":694,"orig":"Als die Märzſonne den Schnee an den Abhängen geſchmolzen hatte und überall die weißen Schneeglöckchen hervorguckten im Thal und auf der Alm die Tannen ihre Schneelaſt abgeſchüttelt hatten und die Aeſte wieder luſtig wehten, da rannte Heidi vor Wonne immer hin und her, von der Hausthür zum Gaißenſtall und von da unter die Tannen und dann wieder hinein zum Großvater, um ihm zu berichten, wie viel größer das Stück grüner Boden unter den Bäumen wieder geworden ſei, und gleich nachher kam es wieder nachzuſehen, denn es konnte es nicht erwarten, daß Alles wieder grün und der ganze ſchöne Sommer mit Grün und Blumen wieder auf die Alm gezogen kam.","norm":"Als die Märzsonne den Schnee an den Abhängen geschmolzen hatte und überall die weißen Schneeglöckchen hervorguckten im Tal und auf der Alm die Tannen ihre Schneelast abgeschüttelt hatten und die Äste wieder lustig wehten, da rannte Heidi vor Wonne immer hin und her, von der Haustür zum Geißenstall und von da unter die Tannen und dann wieder hinein zum Großvater, um ihm zu berichten, wie viel größer das Stück grüner Boden unter den Bäumen wieder geworden sei, und gleich nachher kam es wieder nachzusehen, denn es konnte es nicht erwarten, dass alles wieder grün und der ganze schöne Sommer mit Grün und Blumen wieder auf die Alm gezogen kam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":695,"orig":"Als Heidi ſo am ſonnigen Märzmorgen hin- und herrannte und jetzt wohl zum zehnten Mal über die Thürſchwelle ſprang, wäre es vor Schrecken faſt rückwärts wiederhineingefallen, denn auf einmal ſtand es vor einem ſchwarzen, alten Herrn, der es ganz ernſthaft anblickte.","norm":"Als Heidi so am sonnigen Märzmorgen hin- und herrannte und jetzt wohl zum zehntenmal über die Türschwelle sprang, wäre es vor Schrecken fast rückwärts wieder hineingefallen, denn auf einmal stand es vor einem schwarzen, alten Herrn, der es ganz ernsthaft anblickte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":696,"orig":"Als er aber ſeinen Schrecken ſah, ſagte er freundlich: „Du mußt nicht erſchrecken vor mir, die Kinder ſind mir lieb.","norm":"Als er aber seinen Schrecken sah, sagte er freundlich: „Du musst nicht erschrecken vor mir, die Kinder sind mir lieb."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":697,"orig":"Gib mir die Hand!","norm":"Gib mir die Hand!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":698,"orig":"du wirſt das Heidi ſein; wo iſt der Großvater?“","norm":"du wirst das Heidi sein; wo ist der Großvater?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":699,"orig":"„Er ſitzt am Tiſch und ſchnitzt runde Löffel von Holz“, erklärte Heidi und machte nun die Thüre wieder auf.","norm":"„Er sitzt am Tisch und schnitzt runde Löffel von Holz“, erklärte Heidi und machte nun die Türe wieder auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":700,"orig":"Es war der alte Herr Pfarrer aus dem Dörfli, der den Oehi vor Jahren gut gekannt hatte, als er noch unten wohnte und ſein Nachbar war.","norm":"Es war der alte Herr Pfarrer aus dem Dörfli, der den Öhi vor Jahren gut gekannt hatte, als er noch unten wohnte und sein Nachbar war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":701,"orig":"Er trat in die Hütte ein, ging auf den Alten zu, der ſich über ſein Schnitzwerk hinbeugte und ſagte: „Guten Morgen, Nachbar.","norm":"Er trat in die Hütte ein, ging auf den Alten zu, der sich über sein Schnitzwerk hinbeugte und sagte: „Guten Morgen, Nachbar."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":702,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":703,"orig":"Verwundert ſchaute dieſer in die Höhe, ſtand dann auf und entgegnete: „Guten Morgen dem Herrn Pfarrer.","norm":"Verwundert schaute dieser in die Höhe, stand dann auf und entgegnete: „Guten Morgen dem Herrn Pfarrer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":704,"orig":"“ Dann ſtellte er ſeinen Stuhl vor den Herrn hin und fuhr fort: „Wenn der Herr Pfarrer einen Holzſitz nicht ſcheut, hier iſt einer.","norm":"“ Dann stellte er seinen Stuhl vor den Herrn hin und fuhr fort: „Wenn der Herr Pfarrer einen Holzsitz nicht scheut, hier ist einer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":705,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":706,"orig":"Der Herr Pfarrer ſetzte ſich.","norm":"Der Herr Pfarrer setzte sich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":707,"orig":"„Ich habe Euch lange nicht geſehen, Nachbar“, ſagte er dann.","norm":"„Ich habe Euch lange nicht gesehen, Nachbar“, sagte er dann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":708,"orig":"„Ich den Herrn Pfarrer auch nicht“, war die Antwort.","norm":"„Ich den Herrn Pfarrer auch nicht“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":709,"orig":"„Ich komme heut', um Etwas mit Euch zu beſprechen“, fing der Herr Pfarrer wieder an, „ich denke, ihr könnt ſchon wiſſen, was meine Angelegenheit iſt, worüber ich mich mit Euch verſtändigen und hören will, was Ihr im Sinne habt.","norm":"„Ich komme heute, um etwas mit Euch zu besprechen“, fing der Herr Pfarrer wieder an, „ich denke, Ihr könnt schon wissen, was meine Angelegenheit ist, worüber ich mich mit Euch verständigen und hören will, was Ihr im Sinne habt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":710,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":711,"orig":"Der Herr Pfarrer ſchwieg und ſchaute auf Heidi, das an der Thüre ſtand und die neue Erſcheinung aufmerkſam betrachtete.","norm":"Der Herr Pfarrer schwieg und schaute auf Heidi, das an der Türe stand und die neue Erscheinung aufmerksam betrachtete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":712,"orig":"Heidi, geh' zu den Gaißen“, ſagte der Großvater.","norm":"Heidi, gehe zu den Geißen“, sagte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":713,"orig":"Kannſt ein wenig Salz mitnehmen und bei ihnen bleiben, bis ich auch komme.","norm":"Kannst ein wenig Salz mitnehmen und bei ihnen bleiben, bis ich auch komme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":714,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":715,"orig":"Heidi verſchwand ſofort.","norm":"Heidi verschwand sofort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":716,"orig":"„Das Kind hätte ſchon vor dem Jahr und noch ſicherer dieſen Winter die Schule beſuchen ſollen“, ſagte nun der Herr Pfarrer; „der Lehrer hat Euch mahnen laſſen, Ihr habt keine Antwort darauf gegeben; was habt Ihr mit dem Kind im Sinn, Nachbar?“","norm":"„Das Kind hätte schon vor dem Jahr und noch sicherer diesen Winter die Schule besuchen sollen“, sagte nun der Herr Pfarrer; „der Lehrer hat Euch mahnen lassen, Ihr habt keine Antwort darauf gegeben; was habt Ihr mit dem Kind im Sinn, Nachbar?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":717,"orig":"„Ich habe im Sinn, es nicht in die Schule zu ſchicken“, war die Antwort.","norm":"„Ich habe im Sinn, es nicht in die Schule zu schicken“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":718,"orig":"Verwundert ſchaute der Herr Pfarrer auf den Alten, der mit gekreuzten Armen auf ſeiner Bank ſaß und gar nicht nachgiebig ausſah.","norm":"Verwundert schaute der Herr Pfarrer auf den Alten, der mit gekreuzten Armen auf seiner Bank saß und gar nicht nachgiebig aussah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":719,"orig":"„Was wollt Ihr aus dem Kinde machen?“ fragte jetzt der Herr Pfarrer.","norm":"„Was wollt Ihr aus dem Kinde machen?“ fragte jetzt der Herr Pfarrer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":720,"orig":"„Nichts, es wächſt und gedeiht mit den Gaißen und den Vögeln; bei denen iſt es ihm wohl und es lernt nichts Böſes von ihnen.","norm":"„Nichts, es wächst und gedeiht mit den Geißen und den Vögeln; bei denen ist es ihm wohl und es lernt nichts Böses von ihnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":721,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":722,"orig":"„Aber das Kind iſt keine Gaiß und kein Vogel, es iſt ein Menſchenkind.","norm":"„Aber das Kind ist keine Geiß und kein Vogel, es ist ein Menschenkind."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":723,"orig":"Wenn es nichts Böſes lernt von dieſen ſeinen Kameraden, ſo lernt es auch ſonſt Nichts von ihnen, es ſoll aber Etwas lernen, und die Zeit dazu iſt da.","norm":"Wenn es nichts Böses lernt von diesen seinen Kameraden, so lernt es auch sonst Nichts von ihnen, es soll aber etwas lernen, und die Zeit dazu ist da."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":724,"orig":"Ich bin gekommen, es Euch zeitig zu ſagen, Nachbar, damit Ihr Euch beſinnen und einrichten könnt den Sommer durch.","norm":"Ich bin gekommen, es Euch zeitig zu sagen, Nachbar, damit Ihr Euch besinnen und einrichten könnt den Sommer durch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":725,"orig":"Dieſes war der letzte Winter, den das Kind ſo ohne allen Unterricht zugebracht hat; nächſten Winter kommt es zur Schule und zwar jeden Tag.","norm":"Dieses war der letzte Winter, den das Kind so ohne allen Unterricht zugebracht hat; nächsten Winter kommt es zur Schule und zwar jeden Tag."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":726,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":727,"orig":"„Ich thu's nicht, Herr Pfarrer“, ſagte der Alte unentwegt.","norm":"„Ich tue es nicht, Herr Pfarrer“, sagte der Alte unentwegt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":728,"orig":"„Meint Ihr denn wirklich, es gebe kein Mittel, Euch zur Vernunft zu bringen, wenn Ihr ſo eigenſinnig bei Eurem unvernünftigen Thun beharren wollt?“ ſagte der Herr Pfarrer jetzt ein wenig eifrig.","norm":"„Meint Ihr denn wirklich, es gebe kein Mittel, Euch zur Vernunft zu bringen, wenn Ihr so eigensinnig bei Eurem unvernünftigen Tun beharren wollt?“ sagte der Herr Pfarrer jetzt ein wenig eifrig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":729,"orig":"„Ihr ſeid weit in der Welt herumgekommen und habt viel geſehen und Vieles lernen können, ich hätte Euch mehr Einſicht zugetraut, Nachbar.","norm":"„Ihr seid weit in der Welt herumgekommen und habt viel gesehen und vieles lernen können, ich hätte Euch mehr Einsicht zugetraut, Nachbar."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":730,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":731,"orig":"„So“, ſagte jetzt der Alte und ſeine Stimme verrieth, daß es auch in ſeinem Innern nicht mehr ſo ganz ruhig war; „und meint denn der Herr Pfarrer, ich werde wirklich im nächſten Winter am eiſigen Morgen durch Sturm und Schnee ein zartgliedriges Kind den Berg hinunterſchicken, zwei Stunden weit und zur Nacht wieder heraufkommen laſſen, wenn's manchmal tobt und thut, daß Unſereiner faſt in Wind und Schnee erſticken müßte und dann ein Kind wie dieſes!","norm":"„So“, sagte jetzt der Alte und seine Stimme verriet, dass es auch in seinem Inneren nicht mehr so ganz ruhig war; „und meint denn der Herr Pfarrer, ich werde wirklich im nächsten Winter am eisigen Morgen durch Sturm und Schnee ein zartgliedriges Kind den Berg hinunterschicken, zwei Stunden weit und zur Nacht wieder heraufkommen lassen, wenn es manchmal tobt und tut, dass Unsereiner fast in Wind und Schnee ersticken müsste und dann ein Kind wie dieses!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":732,"orig":"Und vielleicht kann ſich der Herr Pfarrer auch noch der Mutter erinnern, der Adelheid; ſie war mondſüchtig und hatte Zufälle, ſoll das Kind auch ſo Etwas holen mit der Anſtrengung?","norm":"Und vielleicht kann sich der Herr Pfarrer auch noch der Mutter erinnern, der Adelheid; sie war mondsüchtig und hatte Zufälle, soll das Kind auch so Etwas holen mit der Anstrengung?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":733,"orig":"Es ſoll mir Einer kommen und mich zwingen wollen!","norm":"Es soll mir Einer kommen und mich zwingen wollen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":734,"orig":"Ich gehe vor alle Gerichte mit ihm, dann wollen wir ſehen, wer mich zwingt!“","norm":"Ich gehe vor alle Gerichte mit ihm, dann wollen wir sehen, wer mich zwingt!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":735,"orig":"„Ihr habt ganz Recht, Nachbar“, ſagte der Herr Pfarrer mit Freundlichkeit; „es wäre nicht möglich, das Kind von hier aus zur Schule zu ſchicken; aber ich kann ſehen, das Kind iſt Euch lieb, thut um ſeinetwillen Etwas, das Ihr ſchon lange hättet thun ſollen, kommt wieder in's Dörfli herunter und lebt wieder mit den Menſchen.","norm":"„Ihr habt ganz Recht, Nachbar“, sagte der Herr Pfarrer mit Freundlichkeit; „es wäre nicht möglich, das Kind von hier aus zur Schule zu schicken; Aber ich kann sehen, das Kind ist Euch lieb, tut um seinetwillen etwas, das Ihr schon lange hättet tun sollen, kommt wieder ins Dörfli herunter und lebt wieder mit den Menschen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":736,"orig":"Was iſt das für ein Leben hier oben, allein und verbittert gegen Gott und Menſchen!","norm":"Was ist das für ein Leben hier oben, allein und verbittert gegen Gott und Menschen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":737,"orig":"Wenn Euch einmal Etwas zuſtoßen würde hier oben, wer würde Euch beiſtehen?","norm":"Wenn Euch einmal etwas zustoßen würde hier oben, wer würde Euch beistehen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":738,"orig":"Ich kann auch gar nicht begreifen, daß Ihr den Winter durch nicht halb erfriert in Eurer Hütte und wie das zarte Kind es nur aushalten kann!“","norm":"Ich kann auch gar nicht begreifen, dass Ihr den Winter durch nicht halb erfriert in Eurer Hütte und wie das zarte Kind es nur aushalten kann!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":739,"orig":"„Das Kind hat junges Blut und eine gute Decke, das möchte ich dem Herrn Pfarrer ſagen, und dann noch Eins: ich weiß, wo es Holz gibt, und auch wann die gute Zeit iſt, es zu holen, der Herr Pfarrer darf in meinen Schopf hineinſehen, es iſt Etwas drinn, in meiner Hütte geht das Feuer nie aus den Winter durch.","norm":"„Das Kind hat junges Blut und eine gute Decke, das möchte ich dem Herrn Pfarrer sagen, und dann noch Eins: Ich weiß, wo es Holz gibt, und auch wann die gute Zeit ist, es zu holen, der Herr Pfarrer darf in meinen Schopf hineinsehen, es ist etwas drin, in meiner Hütte geht das Feuer nie aus den Winter durch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":740,"orig":"Was der Herr Pfarrer mit dem Herunterkommen meint, iſt nicht für mich; die Menſchen da unten verachten mich und ich ſie auch, wir bleiben von einander, ſo iſt's Beiden wohl.","norm":"Was der Herr Pfarrer mit dem Herunterkommen meint, ist nicht für mich; die Menschen da unten verachten mich und ich sie auch, wir bleiben voneinander, so ist es beiden wohl."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":741,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":742,"orig":"„Nein, nein, es iſt Euch nicht wohl; ich weiß, was Euch fehlt“, ſagte der Herr Pfarrer mit herzlichem Ton.","norm":"„Nein, nein, es ist Euch nicht wohl; ich weiß, was Euch fehlt“, sagte der Herr Pfarrer mit herzlichem Ton."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":743,"orig":"„Mit der Verachtung der Menſchen dort unten iſt es ſo ſchlimm nicht.","norm":"„Mit der Verachtung der Menschen dort unten ist es so schlimm nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":744,"orig":"Glaubt mir, Nachbar, ſucht Frieden mit Euerm Gott zu machen, bittet um Seine Verzeihung, wo Ihr ſie nöthig habt, und dann kommt und ſeht, wie anders Euch die Menſchen anſehen und wie wohl es Euch noch werden kann.","norm":"Glaubt mir, Nachbar, sucht Frieden mit Euerem Gott zu machen, bittet um Seine Verzeihung, wo Ihr sie nötig habt, und dann kommt und seht, wie anders Euch die Menschen ansehen und wie wohl es Euch noch werden kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":745,"orig":"“ Der Herr Pfarrer war aufgeſtanden; er hielt dem Alten die Hand hin und ſagte nochmals mit Herzlichkeit: „Ich zähle darauf, Nachbar, im nächſten Winter ſeid Ihr wieder unten bei uns und wir ſind die alten, guten Nachbarn.","norm":"“ Der Herr Pfarrer war aufgestanden; er hielt dem Alten die Hand hin und sagte nochmals mit Herzlichkeit: „Ich zähle darauf, Nachbar, im nächsten Winter seid Ihr wieder unten bei uns und wir sind die alten, guten Nachbarn."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":746,"orig":"Es würde mir große Mühe machen, wenn ein Zwang gegen Euch müßte angewandt werden; gebt mir jetzt die Hand darauf, daß Ihr herunterkommt und wieder unter uns leben wollt, ausgeſöhnt mit Gott und den Menſchen.","norm":"Es würde mir große Mühe machen, wenn ein Zwang gegen Euch müsste angewandt werden; gebt mir jetzt die Hand darauf, dass Ihr herunterkommt und wieder unter uns leben wollt, ausgesöhnt mit Gott und den Menschen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":747,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":748,"orig":"Der Alm-Oehi gab dem Herrn Pfarrer die Hand und ſagte feſt und beſtimmt: „Der Herr Pfarrer meint es recht mit mir; aber was er erwartet, das thu' ich nicht, ich ſag' es ſicher und ohne Wandel: das Kind ſchick' ich nicht, und herunter komm' ich nicht.","norm":"Der Alm-Öhi gab dem Herrn Pfarrer die Hand und sagte fest und bestimmt: „Der Herr Pfarrer meint es recht mit mir; aber was er erwartet, das tue ich nicht, ich sage es sicher und ohne Wandel: Das Kind schicke ich nicht, und herunterkomme ich nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":749,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":750,"orig":"„So helf' Euch Gott!“ ſagte der Herr Pfarrer und ging traurig zur Thür hinaus und den Berg hinunter.","norm":"„So helfe Euch Gott!“ sagte der Herr Pfarrer und ging traurig zur Tür hinaus und den Berg hinunter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":751,"orig":"Der Alm-Oehi war verſtimmt.","norm":"Der Alm-Öhi war verstimmt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":752,"orig":"Als Heidi am Nachmittag ſagte: „Jetzt wollen wir zur Großmutter“, erwiderte er kurz: „Heut' nicht.","norm":"Als Heidi am Nachmittag sagte: „Jetzt wollen wir zur Großmutter“, erwiderte er kurz: „Heute nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":753,"orig":"“ Den ganzen Tag ſprach er nicht mehr, und am folgenden Morgen, als Heidi fragte: „Gehen wir heut' zur Großmutter?“ war er noch gleich kurz von Worten wie im Ton und ſagte nur: „Wollen ſehen.","norm":"“ Den ganzen Tag sprach er nicht mehr, und am folgenden Morgen, als Heidi fragte: „Gehen wir heute zur Großmutter?“ war er noch gleich kurz von Worten wie im Ton und sagte nur: „Wollen sehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":754,"orig":"“ Aber noch bevor die Schüſſelchen vom Mittageſſen weggeſtellt waren, trat ſchon wieder ein Beſuch zur Thür herein, es war die Baſe Dete.","norm":"“ Aber noch bevor die Schüsselchen vom Mittagessen weggestellt waren, trat schon wieder ein Besuche zur Tür herein, es war die Base Dete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":755,"orig":"Sie hatte einen ſchönen Hut auf dem Kopf mit einer Feder drauf und ein Kleid, das Alles mitfegte, was am Boden lag, und in der Sennhütte lag da Allerlei, das nicht an ein Kleid gehörte.","norm":"Sie hatte einen schönen Hut auf dem Kopf mit einer Feder darauf und ein Kleid, das alles mitfegte, was am Boden lag, und in der Sennhütte lag da Allerlei, das nicht an ein Kleid gehörte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":756,"orig":"Der Oehi ſchaute ſie an von oben bis unten und ſagte kein Wort.","norm":"Der Öhi schaute sie an von oben bis unten und sagte kein Wort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":757,"orig":"Aber die Baſe Dete hatte im Sinn, ein ſehr freundliches Geſpräch zu führen, denn ſie fing gleich an zu rühmen und ſagte, das Heidi ſehe ſo gut aus, ſie habe es faſt nicht mehr gekannt und man könne ſchon ſehen, daß es ihm nicht ſchlecht gegangen ſei beim Großvater.","norm":"Aber die Base Dete hatte im Sinn, ein sehr freundliches Gespräch zu führen, denn sie fing gleich an zu rühmen und sagte, das Heidi sehe so gut aus, sie habe es fast nicht mehr gekannt und man könne schon sehen, dass es ihm nicht schlecht gegangen sei beim Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":758,"orig":"Sie habe aber gewiß auch immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn ſie habe ja ſchon begreifen können, daß ihm das Kleine im Weg ſein müſſe, aber in jenem Augenblick habe ſie es ja nirgends ſonſt hinthun können; ſeither aber habe ſie Tag und Nacht nachgeſonnen, wo ſie das Kind etwa unterbringen könnte, und deßwegen komme ſie auch heute, denn auf einmal habe ſie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem ſolchen Glück kommen, daß ſie es gar nicht habe glauben wollen.","norm":"Sie habe aber gewiss auch immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn sie habe ja schon begreifen können, dass ihm das Kleine im Weg sein müsse, aber in jenem Augenblick habe sie es ja nirgends sonst hintun können; seither aber habe sie Tag und Nacht nachgesonnen, wo sie das Kind etwa unterbringen könnte, und deswegen komme sie auch heute, denn auf einmal habe sie Etwas vernommen, da könne das Heidi zu einem solchen Glück kommen, dass sie es gar nicht habe glauben wollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":759,"orig":"Dann ſei ſie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen, und nun könne ſie ſagen, es ſei Alles ſo gut wie in Richtigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hunderttauſenden nicht Eines.","norm":"Dann sei sie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen, und nun könne sie sagen, es sei alles so gut wie in Richtigkeit, das Heidi komme zu einem Glück, wie unter Hunderttausenden nicht eines."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":760,"orig":"Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrſchaft, die faſt im ſchönſten Haus in ganz Frankfurt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müſſe immer im Rollſtuhl ſitzen, denn es ſei auf einer Seite lahm und ſonſt nicht geſund, und ſo ſei es faſt immer allein und müſſe auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer, und das ſei ihm ſo langweilig und auch ſonſt hätte es gern eine Geſpielin im Haus, und da haben ſie ſo davon geredet bei ihrer Herrſchaft, und wenn man nur ſo ein Kind finden könnte, wie die Dame beſchrieb, die in dem Haus die Wirthſchaft führte, denn ihre Herrſchaft habe viel Mitgefühl und möchte dem kranken Töchterlein eine gute Geſpielin gönnen.","norm":"Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrschaft, die fast im schönsten Haus in ganz Frankfurt wohnen, die haben ein einziges Töchterlein, das müsse immer im Rollstuhl sitzen, denn es sei auf einer Seite lahm und sonst nicht gesund, und so sei es fast immer allein und müsse auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer, und das sei ihm so langweilig und auch sonst hätte es gern eine Gespielin im Haus, und da haben sie so davon geredet bei ihrer Herrschaft, und wenn man nur so ein Kind finden könnte, wie die Dame beschrieb, die in dem Haus die Wirtschaft führte, denn ihre Herrschaft habe viel Mitgefühl und möchte dem kranken Töchterlein eine gute Gespielin gönnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":761,"orig":"Die Wirthſchaftsdame hatte nun geſagt, ſie wolle ſo ein recht unverdorbenes, ſo ein eigenartiges, das nicht ſei wie alle, die man ſo alle Tage ſehe.","norm":"Die Wirtschaftsdame hatte nun gesagt, sie wolle so ein recht unverdorbenes, so ein eigenartiges, das nicht sei wie alle, die man so alle Tage sehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":762,"orig":"Da habe ſie ſelbſt denn auf der Stelle an das Heidi gedacht und ſei gleich hingelaufen und habe der Dame Alles ſo beſchrieben vom Heidi und ſo von ſeinem Charakter, und die Dame habe ſogleich zugeſagt.","norm":"Da habe sie selbst denn auf der Stelle an das Heidi gedacht und sei gleich hingelaufen und habe der Dame alles so beschrieben vom Heidi und so von seinem Charakter, und die Dame habe sogleich zugesagt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":763,"orig":"Nun könne gar kein Menſch wiſſen, was dem Heidi Alles an Glück und Wohlfahrt bevorſtehe, denn wenn es dann einmal dort ſei und die Leute es gern mögen und es etwa mit dem eignen Töchterchen Etwas geben ſollte, man könne ja nie wiſſen, es ſei doch ſo ſchwächlich, und wenn eben die Leute doch nicht ohne ein Kind bleiben wollten, ſo könnte ja das unerhörteſte Glück —","norm":"Nun könne gar kein Mensch wissen, was dem Heidi alles an Glück und Wohlfahrt bevorstehe, denn wenn es dann einmal dort sei und die Leute es gern mögen und es etwa mit dem eigenen Töchterchen etwas geben sollte, man könne ja nie wissen, es sei doch so schwächlich, und wenn eben die Leute doch nicht ohne ein Kind bleiben wollten, so könnte ja das unerhörteste Glück —"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":764,"orig":"„Biſt du bald fertig?“ unterbrach hier der Oehi, der bis dahin kein Wort dazwiſchengeredet hatte.","norm":"„Bist du bald fertig?“ unterbrach hier der Öhi, der bis dahin kein Wort dazwischengeredet hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":765,"orig":"„Pah“, gab die Dete zurück und warf den Kopf auf, Ihr thut gerade, wie wenn ich Euch das ordinärſte Zeug geſagt hätte und iſt doch durch's ganze Prättigau auf und ab nicht Einer, der nicht Gott im Himmel dankte, wenn ich ihm die Nachricht brächte, die ich Euch gebracht habe.","norm":"„Pah“, gab die Dete zurück und warf den Kopf auf, Ihr tut gerade, wie wenn ich Euch das ordinärste Zeug gesagt hätte und ist doch durchs ganze Prättigau auf und ab nicht Einer, der nicht Gott im Himmel dankte, wenn ich ihm die Nachricht brächte, die ich Euch gebracht habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":766,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":767,"orig":"„Bring' ſie, wem du willſt, ich will Nichts davon“, ſagte der Oehi trocken.","norm":"„Bringe sie, wem du willst, ich will nichts davon“, sagte der Öhi trocken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":768,"orig":"Aber jetzt fuhr die Dete auf wie eine Rakete und rief: „Ja, wenn Ihr es ſo meint, Oehi, ſo will ich Euch denn ſchon auch ſagen, wie ich es meine: das Kind iſt jetzt acht Jahre alt und kann Nichts und weiß Nichts und Ihr wollt es Nichts lernen laſſen;","norm":"Aber jetzt fuhr die Dete auf wie eine Rakete und rief: „Ja, wenn Ihr es so meint, Öhi, so will ich Euch denn schon auch sagen, wie ich es meine: Das Kind ist jetzt acht Jahre alt und kann nichts und weiß nichts und Ihr wollt es Nichts lernen lassen;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":769,"orig":"Ihr wollt es in keine Schule und in keine Kirche ſchicken, das haben ſie mir geſagt unten im Dörfli, und es iſt meiner einzigen Schweſter Kind, ich hab' es zu verantworten, wie's mit ihm geht, und wenn ein Kind ein Glück erlangen kann, wie jetzt das Heidi, ſo kann ihm nur Einer davor ſein, dem es um alle Leute gleich iſt und der Keinem etwas Gutes wünſcht.","norm":"Ihr wollt es in keine Schule und in keine Kirche schicken, das haben sie mir gesagt unten im Dörfli, und es ist meiner einzigen Schwester Kind, ich habe es zu verantworten, wie es mit ihm geht, und wenn ein Kind ein Glück erlangen kann, wie jetzt das Heidi, so kann ihm nur Einer davor sein, dem es um alle Leute gleich ist und der Keinem etwas Gutes wünscht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":770,"orig":"Aber ich gebe nicht nach, das ſag' ich Euch, und die Leute habe ich alle für mich, es iſt kein Einziger unten im Dörfli, der nicht mir hilft und gegen Euch iſt, und wenn Ihr's etwa wollt vor Gericht kommen laſſen, ſo beſinnt Euch wohl, Oehi, es gibt noch Sachen, die Euch dann könnten aufgewärmt werden, die Ihr nicht gern hörtet, denn wenn man's einmal mit dem Gericht zu thun hat, ſo wird noch Manches aufgeſpürt, an das Keiner mehr denkt.","norm":"Aber ich gebe nicht nach, das sage ich Euch, und die Leute habe ich alle für mich, es ist kein Einziger unten im Dörfli, der nicht mir hilft und gegen Euch ist, und wenn Ihr es etwa wollt vor Gericht kommen lassen, so besinnt Euch wohl, Öhi, es gibt noch Sachen, die Euch dann könnten aufgewärmt werden, die Ihr nicht gern hörtet, denn wenn man es einmal mit dem Gericht zu tun hat, so wird noch manches aufgespürt, an das Keiner mehr denkt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":771,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":772,"orig":"„Schweig!“ donnerte der Oehi heraus, und ſeine Augen flammten wie Feuer.","norm":"„Schweige!“ donnerte der Öhi heraus, und seine Augen flammten wie Feuer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":773,"orig":"„Nimm's und verdirb's!","norm":"„Nimm es und verdirb es!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":774,"orig":"Komm' mir nie mehr vor Augen mit ihm, ich will's nie ſehen mit dem Federnhut auf dem Kopf und Worten im Mund, wie dich heut'!“","norm":"Komme mir nie mehr vor Augen mit ihm, ich will es nie sehen mit dem Federhut auf dem Kopf und Worten im Mund, wie dich heute!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":775,"orig":"Der Oehi ging mit großen Schritten zur Thür hinaus.","norm":"Der Öhi ging mit großen Schritten zur Tür hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":776,"orig":"„Du haſt den Großvater bös gemacht“, ſagte Heidi und blitzte mit ſeinen ſchwarzen Augen die Baſe wenig freundlich an.","norm":"„Du hast den Großvater bös gemacht“, sagte Heidi und blitzte mit seinen schwarzen Augen die Base wenig freundlich an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":777,"orig":"„Er wird ſchon wieder gut, komm' jetzt“, drängte die Baſe, „wo ſind deine Kleider?“","norm":"„Er wird schon wieder gut, komme jetzt“, drängte die Base, „wo sind deine Kleider?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":778,"orig":"„Ich komme nicht“, ſagte Heidi.","norm":"„Ich komme nicht“, sagte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":779,"orig":"„Was ſagſt du?“ fuhr die Baſe auf; dann änderte ſie den Ton ein wenig und fuhr halb freundlich, halb ärgerlich weiter: „Komm', komm', du verſtehſt's nicht beſſer, du wirſt es ſo gut haben, wie du gar nicht weißt.","norm":"„Was sagst du?“ fuhr die Base auf; dann änderte sie den Ton ein wenig und fuhr halb freundlich, halb ärgerlich weiter: „Komme, komme, du verstehst es nicht besser, du wirst es so gut haben, wie du gar nicht weißt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":780,"orig":"“ Dann ging ſie an den Schrank, nahm Heidi's Sachen hervor und packte ſie zuſammen: „So, komm' jetzt, nimm dort dein Hütchen, es ſieht nicht ſchön aus, aber es iſt gleich für einmal, ſetz' es auf und mach', daß wir fortkommen.","norm":"“ Dann ging sie an den Schrank, nahm Heidis Sachen hervor und packte sie zusammen: „So, komme jetzt, nimm dort dein Hütchen, es sieht nicht schön aus, aber es ist gleich für einmal, setze es auf und mache, dass wir fortkommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":781,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":782,"orig":"„Ich komme nicht“, wiederholte Heidi.","norm":"„Ich komme nicht“, wiederholte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":783,"orig":"„Sei doch nicht ſo dumm und ſtörrig, wie eine Gaiß, denen haſt du's abgeſehen.","norm":"„Sei doch nicht so dumm und störrig, wie eine Geiß, denen hast du es abgesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":784,"orig":"Begreif' doch nur, jetzt iſt der Großvater bös, du haſt's ja gehört, daß er geſagt hat, wir ſollen ihm nicht mehr vor Augen kommen, er will es nun haben, daß du mit mir gehſt, und jetzt mußt du ihn nicht noch böſer machen.","norm":"Begreife doch nur, jetzt ist der Großvater bös, du hast es ja gehört, dass er gesagt hat, wir sollen ihm nicht mehr vor Augen kommen, er will es nun haben, dass du mit mir gehst, und jetzt musst du ihn nicht noch böser machen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":785,"orig":"Du weißt gar nicht, wie ſchön es iſt in Frankfurt und was du Alles ſehen wirſt, und gefällt es dir dann nicht, ſo kannſt du wieder heimgehen; bis dahin iſt der Großvater dann wieder gut.","norm":"Du weißt gar nicht, wie schön es ist in Frankfurt und was du alles sehen wirst, und gefällt es dir dann nicht, so kannst du wieder heimgehen; bis dahin ist der Großvater dann wieder gut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":786,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":787,"orig":"„Kann ich grad' wieder umkehren und heimkommen heut' Abend?“ fragte Heidi.","norm":"„Kann ich gerade wieder umkehren und heimkommen heute Abend?“ fragte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":788,"orig":"„Ach was, komm' jetzt!","norm":"„Ach was, komme jetzt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":789,"orig":"Ich ſag' dir's ja, du kannſt wieder heim, wann du willſt.","norm":"Ich sage dir es ja, du kannst wieder heim, wann du willst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":790,"orig":"Heut' gehen wir bis nach Mayenfeld hinunter und morgen früh ſitzen wir in der Eiſenbahn, und mit der biſt du nachher im Augenblick wieder daheim, das geht wie geflogen.","norm":"Heute gehen wir bis nach Maienfeld hinunter und morgen früh sitzen wir in der Eisenbahn, und mit der bist du nachher im Augenblick wieder daheim, das geht wie geflogen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":791,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":792,"orig":"Die Baſe Dete hatte das Bündelchen Kleider auf den Arm und Heidi an die Hand genommen, ſo gingen ſie den Berg hinunter.","norm":"Die Base Dete hatte das Bündelchen Kleider auf den Arm und Heidi an die Hand genommen, so gingen sie den Berg hinunter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":793,"orig":"Da es noch nicht Weidezeit war, ging der Peter noch zur Schule in's Dörfli hinunter, oder ſollte doch dahin gehen, er machte aber hie und da einen Tag Ferien, denn er dachte, es nütze Nichts dahin zu gehen, das Leſen brauche man auch nicht, und ein wenig herumfahren und große Ruthen ſuchen, nütze Etwas, denn dieſe könne man brauchen.","norm":"Da es noch nicht Weidezeit war, ging der Peter noch zur Schule ins Dörfli hinunter, oder sollte doch dahin gehen, er machte aber hier und da einen Tag Ferien, denn er dachte, es nütze nichts da hinzugehen, das Lesen brauche man auch nicht, und ein wenig herumfahren und große Ruten suchen, nütze etwas, denn diese könne man brauchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":794,"orig":"So kam er eben in die Nähe ſeiner Hütte von der Seite her mit ſichtlichem Erfolg ſeiner heutigen Beſtrebungen, denn er trug ein ungeheueres Bündel langer, dicker Haſelruthen auf der Achſel.","norm":"So kam er eben in die Nähe seiner Hütte von der Seite her mit sichtlichem Erfolg seiner heutigen Bestrebungen, denn er trug ein ungeheures Bündel langer, dicker Haselruten auf der Achsel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":795,"orig":"Er ſtand ſtill und ſtarrte die zwei Entgegenkommenden an, bis ſie bei ihm ankamen; dann ſagte er: „Wo willſt du hin?“","norm":"Er stand still und starrte die zwei Entgegenkommenden an, bis sie bei ihm ankamen; dann sagte er: „Wo willst du hin?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":796,"orig":"„Ich muß nur geſchwind nach Frankfurt mit der Baſe“, antwortete Heidi, „aber ich will zuerſt noch zur Großmutter hinein, ſie wartet auf mich.","norm":"„Ich muss nur geschwind nach Frankfurt mit der Base“, antwortete Heidi, „aber ich will zuerst noch zur Großmutter hinein, sie wartet auf mich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":797,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":798,"orig":"„Nein, nein, keine Rede, es iſt ſchon viel zu ſpät“, ſagte die Baſe eilig und hielt das fortſtrebende Heidi feſt bei der Hand, „du kannſt dann gehen, wenn du wieder heimkommſt, komm' jetzt!“ Damit zog die Baſe das Heidi feſt weiter und ließ es nicht mehr los, denn ſie fürchtete, es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen wollen.","norm":"„Nein, nein, keine Rede, es ist schon viel zu spät“, sagte die Base eilig und hielt das fortstrebende Heidi fest bei der Hand, „du kannst dann gehen, wenn du wieder heimkommst, komme jetzt!“ Damit zog die Base das Heidi fest weiter und ließ es nicht mehr los, denn sie fürchtete, es könnte drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Großmutter könnte ihm helfen wollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":799,"orig":"Der Peter ſprang in die Hütte hinein und ſchlug mit ſeinem ganzen Bündel Ruthen ſo furchtbar auf den Tiſch los, daß Alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufſprang und laut aufjammerte.","norm":"Der Peter sprang in die Hütte hinein und schlug mit seinem ganzen Bündel Ruten so furchtbar auf den Tisch los, dass alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufsprang und laut aufjammerte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":800,"orig":"Der Peter hatte ſich Luft machen müſſen.","norm":"Der Peter hatte sich Luft machen müssen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":801,"orig":"„Was iſt's denn?","norm":"„Was ist es denn?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":802,"orig":"was iſt's denn?“ rief angſtvoll die Großmutter, und die Mutter, die am Tiſch geſeſſen hatte und faſt aufgeflogen war bei dem Knall, ſagte in angeborner Langmuth: „Was haſt, Peterli, warum thuſt ſo wüſt?“","norm":"was ist es denn?“ rief angstvoll die Großmutter, und die Mutter, die am Tisch gesessen hatte und fast aufgeflogen war bei dem Knall, sagte in angeborener Langmut: „Was hast, Peterli, warum tust so wüst?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":803,"orig":"„Weil ſie das Heidi mitgenommen hat“, erklärte Peter.","norm":"„Weil sie das Heidi mitgenommen hat“, erklärte Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":804,"orig":"„Wer?","norm":"„Wer?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":805,"orig":"Wer?","norm":"Wer?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":806,"orig":"Wohin, Peterli, wohin?“ fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angſt; ſie mußte aber ſchnell errathen haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor Kurzem berichtet, ſie habe die Dete geſehen zum Alm-Oehi hinaufgehen.","norm":"Wohin, Peterli, wohin?“ fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angst; sie musste aber schnell erraten haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor Kurzem berichtet, sie habe die Dete gesehen zum Alm-Öhi hinaufgehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":807,"orig":"Ganz zitternd vor Eile, machte die Großmutter das Fenſter auf und rief flehentlich hinaus: „Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg!","norm":"Ganz zitternd vor Eile, machte die Großmutter das Fenster auf und rief flehentlich hinaus: „Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":808,"orig":"Nimm uns das Heidi nicht!“","norm":"Nimm uns das Heidi nicht!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":809,"orig":"Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was ſie rief, denn ſie faßte das Kind noch feſter und lief, was ſie konnte.","norm":"Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was sie rief, denn sie fasste das Kind noch fester und lief, was sie konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":810,"orig":"Heidi widerſtrebte und ſagte: „Die Großmutter hat gerufen, ich will zu ihr.","norm":"Heidi widerstrebte und sagte: „Die Großmutter hat gerufen, ich will zu ihr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":811,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":812,"orig":"Aber das wollte die Baſe gerade nicht und beſchwichtigte das Kind, es ſolle nur ſchnell kommen jetzt, daß ſie nicht noch zu ſpät kommen, ſondern, daß ſie morgen weiter reiſen können, es könne ja dann ſehen, wie es ihm gefallen werde in Frankfurt, daß es gar nie mehr fort wolle dort, und wenn es doch heim wolle, ſo könne es ja gleich gehen und dann erſt noch der Großmutter Etwas mit heimbringen, was ſie freue.","norm":"Aber das wollte die Base gerade nicht und beschwichtigte das Kind, es solle nur schnell kommen jetzt, dass sie nicht noch zu spät kommen, sondern, dass sie morgen weiter reisen können, es könne ja dann sehen, wie es ihm gefallen werde in Frankfurt, dass es gar nie mehr fort wolle dort, und wenn es doch heim wolle, so könne es ja gleich gehen und dann erst noch der Großmutter etwas mit heimbringen, was sie freue."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":813,"orig":"Das war eine Ausſicht für Heidi, die ihm gefiel.","norm":"Das war eine Aussicht für Heidi, die ihm gefiel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":814,"orig":"Es fing an zu laufen ohne Widerſtreben.","norm":"Es fing an zu laufen ohne Widerstreben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":815,"orig":"„Was kann ich der Großmutter heimbringen?“ fragte es nach einer Weile.","norm":"„Was kann ich der Großmutter heimbringen?“ fragte es nach einer Weile."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":816,"orig":"„Etwas Gutes“, ſagte die Baſe, „ſo ſchöne, weiche Weißbrödchen, da wird ſie Freud' haben daran, ſie kann ja doch das harte, ſchwarze Brod faſt nicht mehr eſſen.","norm":"„Etwas Gutes“, sagte die Base, „so schöne, weiche Weißbrötchen, da wird sie Freude haben daran, sie kann ja doch das harte, schwarze Brot fast nicht mehr essen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":817,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":818,"orig":"„Ja, ſie gibt es immer wieder dem Peter und ſagt:, Es iſt mir zu hart'; das habe ich ſelbſt geſehen“, beſtätigte das Heidi.","norm":"„Ja, sie gibt es immer wieder dem Peter und sagt:, Es ist mir zu hart; das habe ich selbst gesehen“, bestätigte das Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":819,"orig":"„So wollen wir geſchwind gehen, Baſe Dete; dann kommen wir vielleicht heut' noch nach Frankfurt, daß ich bald wieder da bin mit den Brödchen.","norm":"„So wollen wir geschwind gehen, Base Dete; dann kommen wir vielleicht heute noch nach Frankfurt, dass ich bald wieder da bin mit den Brötchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":820,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":821,"orig":"Heidi fing nun ſo zu rennen an, daß die Baſe mit ihrem Bündel auf dem Arm faſt nicht mehr nachkam.","norm":"Heidi fing nun so zu rennen an, dass die Base mit ihrem Bündel auf dem Arm fast nicht mehr nachkam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":822,"orig":"Aber ſie war ſehr froh, daß es ſo raſch ging, denn nun kamen ſie gleich zu den erſten Häuſern vom Dörfli, und da konnte es wieder allerhand Reden und Fragen geben, die das Heidi wieder auf andere Gedanken bringen konnten.","norm":"Aber sie war sehr froh, dass es so rasch ging, denn nun kamen sie gleich zu den ersten Häusern vom Dörfli, und da konnte es wieder allerhand Reden und Fragen geben, die das Heidi wieder auf andere Gedanken bringen konnten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":823,"orig":"So lief ſie ſtracks durch, und das Kind zog dabei noch ſo ſtark an ihrer Hand, daß alle Leute es ſehen konnten, wie ſie um des Kindes willen ſo preſſiren mußte.","norm":"So lief sie stracks durch, und das Kind zog dabei noch so stark an ihrer Hand, dass alle Leute es sehen konnten, wie sie um des Kindes willen so pressieren musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":824,"orig":"So rief ſie auf alle die Fragen und Anrufungen, die ihr aus allen Fenſtern und Thüren entgegentönten, nur immer zurück: „Ihr ſeht's ja, ich kann jetzt nicht ſtill ſtehen, das Kind preſſirt und wir haben noch weit.","norm":"So rief sie auf alle die Fragen und Anrufungen, die ihr aus allen Fenstern und Türen entgegentönten, nur immer zurück: „Ihr seht es ja, ich kann jetzt nicht stillstehen, das Kind pressiert und wir haben noch weit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":825,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":826,"orig":"„Nimmſt's mit?“ „Läuft's dem Alm-Oehi fort?“ „Es iſt nur ein Wunder, daß es noch am Leben iſt!“ „Und dazu noch ſo rothbackig!“ So tönte es von allen Seiten, und die Dete war froh, daß ſie ohne Verzug durchkam und keinen Beſcheid geben mußte und auch Heidi kein Wort ſagte, ſondern nur immer vorwärts ſtrebte in großem Eifer.","norm":"„Nimmst's mit?“ „Läuft es dem Alm-Öhi fort?“ „Es ist nur ein Wunder, dass es noch am Leben ist!“ „Und dazu noch so rotbackig!“ So tönte es von allen Seiten, und die Dete war froh, dass sie ohne Verzug durchkam und keinen Bescheid geben musste und auch Heidi kein Wort sagte, sondern nur immer vorwärtsstrebte in großem Eifer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":827,"orig":"Von dem Tage an machte der Alm-Oehi, wenn er herunterkam und durch's Dörfli ging, ein böſeres Geſicht, als je vorher.","norm":"Von dem Tage an machte der Alm-Öhi, wenn er herunterkam und durchs Dörfli ging, ein böseres Gesicht, als je vorher."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":828,"orig":"Er grüßte keinen Menſchen und ſah mit ſeinem Käſereff auf dem Rücken, mit dem ungeheuern Stock in der Hand und den zuſammengezogenen dicken Brauen ſo drohend aus, daß die Frauen zu den kleinen Kindern ſagten: „Gib Acht!","norm":"Er grüßte keinen Menschen und sah mit seinem Käsereff auf dem Rücken, mit dem ungeheuren Stock in der Hand und den zusammengezogenen dicken Brauen so drohend aus, dass die Frauen zu den kleinen Kindern sagten: „Gib Acht!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":829,"orig":"Geh dem Alm-Oehi aus dem Weg, er könnte dir noch Etwas thun!“","norm":"Gehe dem Alm-Öhi aus dem Weg, er könnte dir noch Etwas tun!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":830,"orig":"Der Alte verkehrte mit keinem Menſchen im Dörfli, er ging nur durch und weit in's Thal hinab, wo er ſeine Käſe verhandelte und ſeine Vorräthe an Brod und Fleiſch einnahm.","norm":"Der Alte verkehrte mit keinem Menschen im Dörfli, er ging nur durch und weit ins Tal hinab, wo er seine Käse verhandelte und seine Vorräte an Brot und Fleisch einnahm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":831,"orig":"Wenn er ſo vorbeigegangen war im Dörfli, dann ſtanden hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zuſammen, und Jeder wußte etwas Beſonderes, was er am Alm-Oehi geſehen hatte, wie er immer wilder ausſehe und daß er jetzt keinem Menſchen mehr auch nur einen Gruß abnehme, und Alle kamen darin überein, daß es ein großes Glück ſei, daß das Kind habe entweichen können, und man habe auch wohl geſehen, wie es fortgedrängt habe, ſo, als fürchte es, der Alte ſei ſchon hinter ihm drein, um es zurückzuholen.","norm":"Wenn er so vorbeigegangen war im Dörfli, dann standen hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zusammen, und jeder wusste etwas Besonderes, was er am Alm-Öhi gesehen hatte, wie er immer wilder aussehe und dass er jetzt keinem Menschen mehr auch nur einen Gruß abnehme, und alle kamen darin überein, dass es ein großes Glück sei, dass das Kind habe entweichen können, und man habe auch wohl gesehen, wie es fortgedrängt habe, so, als fürchte es, der Alte sei schon hinter ihm drein, um es zurückzuholen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":832,"orig":"Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Oehi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr ſpinnen zu laſſen, oder das Geſponnene zu holen, dem erzählte ſie es immer wieder, wie gut und ſorgfältig der Alm-Oehi mit dem Kind geweſen ſei und was er an ihr und der Tochter gethan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häuschen herumgeflickt, das ohne ſeine Hülfe gewiß ſchon zuſammengefallen wäre.","norm":"Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Öhi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr spinnen zu lassen, oder das Gesponnene zu holen, dem erzählte sie es immer wieder, wie gut und sorgfältig der Alm-Öhi mit dem Kind gewesen sei und was er an ihr und der Tochter getan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häuschen herumgeflickt, das ohne seine Hilfe gewiss schon zusammengefallen wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":833,"orig":"So kamen denn auch dieſe Berichte in's Dörfli herunter; aber die Meiſten, die ſie vernahmen, ſagten dann, die Großmutter ſei vielleicht zu alt zum Begreifen, ſie werde es wohl nicht recht verſtanden haben, ſie werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil ſie Nichts mehr ſehe.","norm":"So kamen denn auch diese Berichte ins Dörfli herunter; aber die Meisten, die sie vernahmen, sagten dann, die Großmutter sei vielleicht zu alt zum Begreifen, sie werde es wohl nicht recht verstanden haben, sie werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil sie Nichts mehr sehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":834,"orig":"Der Alm-Oehi zeigte ſich jetzt nie mehr bei den Gaißenpeters; es war gut, daß er die Hütte ſo feſt zuſammengenagelt hatte, denn ſie blieb für lange Zeit ganz unberührt.","norm":"Der Alm-Öhi zeigte sich jetzt nie mehr bei den Geißenpeters; es war gut, dass er die Hütte so fest zusammengenagelt hatte, denn sie blieb für lange Zeit ganz unberührt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":835,"orig":"Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage wieder mit Seufzen, und nicht einer verſtrich, an dem ſie nicht klagend ſagte: „Ach, mit dem Kind iſt alles Gute und alle Freude von uns genommen, und die Tage ſind ſo leer!","norm":"Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage wieder mit Seufzen, und nicht einer verstrich, an dem sie nicht klagend sagte: „Ach, mit dem Kind ist alles Gute und alle Freude von uns genommen, und die Tage sind so leer!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":836,"orig":"Wenn ich nur noch einmal das Heidi hören könnte, eh' ich ſterben muß!“","norm":"Wenn ich nur noch einmal das Heidi hören könnte, ehe ich sterben muss!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":837,"orig":"Im Hauſe des Herrn Seſemann in Frankfurt lag das kranke Töchterlein, Klara, in dem bequemen Rollſtuhl, in welchem es den ganzen Tag ſich aufhielt und von einem Zimmer in's andere geſtoßen wurde.","norm":"Im Hause des Herrn Sesemann in Frankfurt lag das kranke Töchterlein, Klara, in dem bequemen Rollstuhl, in welchem es den ganzen Tag sich aufhielt und von einem Zimmer ins andere gestoßen wurde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":838,"orig":"Jetzt ſaß es im ſogenannten Studierzimmer, das neben der großen Eßſtube lag und wo vielerlei Geräthſchaften herumſtanden und lagen, die das Zimmer wohnlich machten und zeigten, daß man hier gewöhnlich ſich aufhielt.","norm":"Jetzt saß es im sogenannten Studierzimmer, das neben der großen Essstube lag und wo vielerlei Gerätschaften herumstanden und lagen, die das Zimmer wohnlich machten und zeigten, dass man hier gewöhnlich sich aufhielt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":839,"orig":"An dem großen, ſchönen Bücherſchrank mit den Glasthüren konnte man ſehen, woher das Zimmer ſeinen Namen hatte, und daß es wohl der Raum war, wo dem lahmen Töchterchen der tägliche Unterricht ertheilt wurde.","norm":"An dem großen, schönen Bücherschrank mit den Glastüren konnte man sehen, woher das Zimmer seinen Namen hatte, und dass es wohl der Raum war, wo dem lahmen Töchterchen der tägliche Unterricht erteilt wurde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":840,"orig":"Klara hatte ein blaſſes, ſchmales Geſichtchen, aus dem zwei milde, blaue Augen herausſchauten, die in dieſem Augenblick auf die große Wanduhr gerichtet waren, die heute beſonders langſam zu gehen ſchien, denn Klara, die ſonſt kaum ungeduldig wurde, ſagte jetzt mit ziemlicher Ungeduld in der Stimme: „Iſt es denn immer noch nicht Zeit, Fräulein Rottenmeier?“","norm":"Klara hatte ein blasses, schmales Gesichtchen, aus dem zwei milde, blaue Augen herausschauten, die in diesem Augenblick auf die große Wanduhr gerichtet waren, die heute besonders langsam zu gehen schien, denn Klara, die sonst kaum ungeduldig wurde, sagte jetzt mit ziemlicher Ungeduld in der Stimme: „Ist es denn immer noch nicht Zeit, Fräulein Rottenmeier?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":841,"orig":"Die Letztere ſaß ſehr aufrecht an einem kleinen Arbeitstiſch und ſtickte.","norm":"Die Letztere saß sehr aufrecht an einem kleinen Arbeitstisch und stickte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":842,"orig":"Sie hatte eine geheimnißvolle Hülle um ſich, einen großen Kragen oder Halbmantel, welcher der Perſönlichkeit einen feierlichen Anſtrich verlieh, der noch erhöht wurde durch eine Art von hochgebauter Kuppel, die ſie auf dem Kopfe trug.","norm":"Sie hatte eine geheimnisvolle Hülle um sich, einen großen Kragen oder Halbmantel, welcher der Persönlichkeit einen feierlichen Anstrich verlieh, der noch erhöht wurde durch eine Art von hochgebauter Kuppel, die sie auf dem Kopf trug."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":843,"orig":"Fräulein Rottenmeier war ſchon ſeit mehreren Jahren, ſeitdem die Dame des Hauſes geſtorben war, im Hauſe Seſemann, führte die Wirthſchaft und hatte die Oberaufſicht über das ganze Dienſtperſonal.","norm":"Fräulein Rottenmeier war schon seit mehreren Jahren, seitdem die Dame des Hauses gestorben war, im Hause Sesemann, führte die Wirtschaft und hatte die Oberaufsicht über das ganze Dienstpersonal."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":844,"orig":"Herr Seſemann war meiſtens auf Reiſen, überließ daher dem Fräulein Rottenmeier das ganze Haus, nur mit der Bedingung, daß ſein Töchterchen in Allem eine Stimme haben ſolle und Nichts gegen ſeinen Wunſch geſchehen dürfe.","norm":"Herr Sesemann war meistens auf Reisen, überließ daher dem Fräulein Rottenmeier das ganze Haus, nur mit der Bedingung, dass sein Töchterchen in allem eine Stimme haben solle und nichts gegen seinen Wunsch geschehen dürfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":845,"orig":"Während oben Klara zum zweiten Mal mit Zeichen der Ungeduld Fräulein Rottenmeier befragte, ob die Zeit noch nicht da ſei, da die Erwarteten erſcheinen konnten, ſtand unten vor der Hausthüre die Dete mit Heidi an der Hand und fragte den Kutſcher Johann, der eben vom Wagen geſtiegen war, ob ſie wohl Fräulein Rottenmeier ſo ſpät noch ſtören dürfe.","norm":"Während oben Klara zum zweiten Mal mit Zeichen der Ungeduld Fräulein Rottenmeier befragte, ob die Zeit noch nicht da sei, da die Erwarteten erscheinen konnten, stand unten vor der Haustür die Dete mit Heidi an der Hand und fragte den Kutscher Johann, der eben vom Wagen gestiegen war, ob sie wohl Fräulein Rottenmeier so spät noch stören dürfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":846,"orig":"„Das iſt nicht meine Sache“, brummte der Kutſcher; klingeln Sie den Sebaſtian herunter, drinnen im Corridor.","norm":"„Das ist nicht meine Sache“, brummte der Kutscher; klingeln Sie den Sebastian herunter, drinnen im Korridor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":847,"orig":"“ Dete that, wie ihr geheißen war, und der Bediente des Hauſes kam die Treppe herunter mit großen, runden Knöpfen auf ſeinem Aufwärterrock und faſt ebenſo großen, runden Augen im Kopf.","norm":"“ Dete tat, wie ihr geheißen war, und der Bediente des Hauses kam die Treppe herunter mit großen, runden Knöpfen auf seinem Aufwärterrock und fast ebenso großen, runden Augen im Kopfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":848,"orig":"„Ich wollte fragen, ob ich um dieſe Zeit Fräulein Rottenmeier noch ſtören dürfe“, brachte die Dete wieder an.","norm":"„Ich wollte fragen, ob ich um diese Zeit Fräulein Rottenmeier noch stören dürfe“, brachte die Dete wieder an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":849,"orig":"„Das iſt nicht meine Sache“, gab der Bediente zurück; klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der andern Klingel“, und ohne weitere Auskunft verſchwand der Sebaſtian.","norm":"„Das ist nicht meine Sache“, gab der Bediente zurück; klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der anderen Klingel“, und ohne weitere Auskunft verschwand der Sebastian."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":850,"orig":"Dete klingelte wieder.","norm":"Dete klingelte wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":851,"orig":"Jetzt erſchien auf der Treppe die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen auf der Mitte des Kopfes und einer ſpöttiſchen Miene auf dem Geſicht.","norm":"Jetzt erschien auf der Treppe die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen auf der Mitte des Kopfes und einer spöttischen Miene auf dem Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":852,"orig":"„Was iſt?“ fragte ſie auf der Treppe, ohne herunterzukommen.","norm":"„Was ist?“ fragte sie auf der Treppe, ohne herunterzukommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":853,"orig":"Dete wiederholte ihr Geſuch.","norm":"Dete wiederholte ihr Gesuch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":854,"orig":"Jungfer Tinette verſchwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe herunter: „Sie ſind erwartet.","norm":"Jungfer Tinette verschwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe herunter: „Sie sind erwartet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":855,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":856,"orig":"Jetzt ſtieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat, der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein.","norm":"Jetzt stieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat, der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":857,"orig":"Hier blieb Dete höflich an der Thüre ſtehn, Heidi immer feſt an der Hand haltend, denn ſie war gar nicht ſicher, was mit dem Kinde etwa begegnen konnte auf dieſem ihm ſo fremden Boden.","norm":"Hier blieb Dete höflich an der Türe stehen, Heidi immer fest an der Hand haltend, denn sie war gar nicht sicher, was mit dem Kinde etwa begegnen konnte auf diesem ihm so fremden Boden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":858,"orig":"Fräulein Rottenmeier erhob ſich langſam von ihrem Sitz und kam näher, um die angekommene Geſpielin der Tochter des Hauſes zu betrachten.","norm":"Fräulein Rottenmeier erhob sich langsam von ihrem Sitz und kam näher, um die angekommene Gespielin der Tochter des Hauses zu betrachten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":859,"orig":"Der Anblick ſchien ſie nicht zu befriedigen.","norm":"Der Anblick schien sie nicht zu befriedigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":860,"orig":"Heidi hatte ſein einfaches Baumwollröckchen an und ſein altes, zerdrücktes Strohhütchen auf dem Kopf.","norm":"Heidi hatte sein einfaches Baumwollröckchen an und sein altes, zerdrücktes Strohhütchen auf dem Kopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":861,"orig":"Das Kind guckte ſehr harmlos darunter hervor und betrachtete mit unverhehlter Verwunderung den Thurmbau auf dem Kopf der Dame.","norm":"Das Kind guckte sehr harmlos darunter hervor und betrachtete mit unverhehlter Verwunderung den Turmbau auf dem Kopf der Dame."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":862,"orig":"„Wie heißeſt du?“ fragte Fräulein Rottenmeier, nachdem auch ſie einige Minuten lang forſchend das Kind angeſehen hatte, das kein Auge von ihr verwandte.","norm":"„Wie heißest du?“ fragte Fräulein Rottenmeier, nachdem auch sie einige Minuten lang forschend das Kind angesehen hatte, das kein Auge von ihr verwandte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":863,"orig":"„Heidi“, antwortete es deutlich und mit klangvoller Stimme.","norm":"„Heidi“, antwortete es deutlich und mit klangvoller Stimme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":864,"orig":"„Wie?","norm":"„Wie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":865,"orig":"Wie?","norm":"Wie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":866,"orig":"das ſoll doch wohl kein chriſtlicher Name ſein?","norm":"das soll doch wohl kein christlicher Name sein?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":867,"orig":"So biſt du doch nicht getauft worden.","norm":"So bist du doch nicht getauft worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":868,"orig":"Welchen Namen haſt du in der Taufe erhalten?“ fragte Fräulein Rottenmeier weiter.","norm":"Welchen Namen hast du in der Taufe erhalten?“ fragte Fräulein Rottenmeier weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":869,"orig":"„Das weiß ich jetzt nicht mehr“, entgegnete Heidi.","norm":"„Das weiß ich jetzt nicht mehr“, entgegnete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":870,"orig":"„Iſt das eine Antwort!“ bemerkte die Dame mit Kopfſchütteln.","norm":"„Ist das eine Antwort!“ bemerkte die Dame mit Kopfschütteln."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":871,"orig":"„Jungfer Dete, iſt das Kind einfältig oder ſchnippiſch?“","norm":"„Jungfer Dete, ist das Kind einfältig oder schnippisch?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":872,"orig":"„Mit Erlaubniß und wenn es die Dame geſtattet, ſo will ich gern reden für das Kind, denn es iſt ſehr unerfahren“, ſagte die Dete, nachdem ſie dem Heidi heimlich einen kleinen Stoß gegeben hatte für die unpaſſende Antwort.","norm":"„Mit Erlaubnis und wenn es die Dame gestattet, so will ich gern reden für das Kind, denn es ist sehr unerfahren“, sagte die Dete, nachdem sie dem Heidi heimlich einen kleinen Stoß gegeben hatte für die unpassende Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":873,"orig":"„Es iſt aber nicht einfältig und auch nicht ſchnippiſch, davon weiß es gar Nichts; es meint Alles ſo, wie es redet.","norm":"„Es ist aber nicht einfältig und auch nicht schnippisch, davon weiß es gar Nichts; es meint alles so, wie es redet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":874,"orig":"Aber es iſt heut' zum erſten Mal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht; aber es iſt willig und nicht ungelehrig, wenn die Dame wollte gütige Nachſicht haben.","norm":"Aber es ist heute zum ersten Mal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht; aber es ist willig und nicht ungelehrig, wenn die Dame wollte gütige Nachsicht haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":875,"orig":"Es iſt Adelheid getauft worden, wie ſeine Mutter, meine Schweſter ſelig.","norm":"Es ist Adelheid getauft worden, wie seine Mutter, meine Schwester selig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":876,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":877,"orig":"„Nun wohl, dieß iſt doch ein Name, den man ſagen kann“, bemerkte Fräulein Rottenmeier.","norm":"„Nun wohl, dies ist doch ein Name, den man sagen kann“, bemerkte Fräulein Rottenmeier."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":878,"orig":"„Aber, Jungfer Dete, ich muß Ihnen doch ſagen, daß mir das Kind für ſein Alter ſonderbar vorkommt.","norm":"„Aber, Jungfer Dete, ich muss Ihnen doch sagen, dass mir das Kind für sein Alter sonderbar vorkommt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":879,"orig":"Ich hatte Ihnen mitgetheilt, die Geſpielin für Fräulein Klara müßte in ihrem Alter ſein, um denſelben Unterricht mit ihr zu verfolgen und überhaupt ihre Beſchäftigungen zu theilen.","norm":"Ich hatte Ihnen mitgeteilt, die Gespielin für Fräulein Klara müsste in ihrem Alter sein, um denselben Unterricht mit ihr zu verfolgen und überhaupt ihre Beschäftigungen zu teilen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":880,"orig":"Fräulein Klara hat das zwölfte Jahr zurückgelegt; wie alt iſt das Kind?“","norm":"Fräulein Klara hat das zwölfte Jahr zurückgelegt; wie alt ist das Kind?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":881,"orig":"„Mit Erlaubniß der Dame“, fing die Dete wieder beredt an, „es war mir eben ſelber nicht mehr ſo ganz gegenwärtig, wie alt es ſei; es iſt wirklich ein wenig jünger, viel trifft es nicht an, ich kann's ſo ganz genau nicht ſagen, es wird ſo um das zehnte Jahr, oder ſo noch Etwas dazu ſein, nehm' ich an.","norm":"„Mit Erlaubnis der Dame“, fing die Dete wieder beredt an, „es war mir eben selber nicht mehr so ganz gegenwärtig, wie alt es sei; es ist wirklich ein wenig jünger, viel trifft es nicht an, ich kann es so ganz genau nicht sagen, es wird so um das zehnte Jahr, oder so noch etwas dazu sein, nehme ich an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":882,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":883,"orig":"„Jetzt bin ich acht, der Großvater hat's geſagt“, erklärte Heidi.","norm":"„Jetzt bin ich acht, der Großvater hat es gesagt“, erklärte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":884,"orig":"Die Baſe ſtieß es wieder an, aber Heidi hatte keine Ahnung, warum, und wurde keineswegs verlegen.","norm":"Die Base stieß es wieder an, aber Heidi hatte keine Ahnung, warum, und wurde keineswegs verlegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":885,"orig":"„Was, erſt acht Jahr alt?“ rief Fräulein Rottenmeier mit einiger Entrüſtung aus.","norm":"„Was, erst acht Jahr alt?“ rief Fräulein Rottenmeier mit einiger Entrüstung aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":886,"orig":"„Vier Jahre zu wenig!","norm":"„Vier Jahre zu wenig!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":887,"orig":"Was ſoll das geben!","norm":"Was soll das geben!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":888,"orig":"Und was haſt du denn gelernt?","norm":"Und was hast du denn gelernt?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":889,"orig":"was haſt du für Bücher gehabt bei deinem Unterricht?“ Keine“, ſagte Heidi.","norm":"was hast du für Bücher gehabt bei deinem Unterricht?“ Keine“, sagte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":890,"orig":"„Wie?","norm":"„Wie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":891,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":892,"orig":"Wie haſt du denn leſen gelernt?“ fragte die Dame weiter.","norm":"Wie hast du denn lesen gelernt?“ fragte die Dame weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":893,"orig":"„Das hab' ich nicht gelernt und der Peter auch nicht“, berichtete Heidi.","norm":"„Das habe ich nicht gelernt und der Peter auch nicht“, berichtete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":894,"orig":"„Barmherzigkeit!","norm":"„Barmherzigkeit!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":895,"orig":"du kannſt nicht leſen?","norm":"du kannst nicht lesen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":896,"orig":"du kannſt wirklich nicht leſen!“ rief Fräulein Rottenmeier im höchſten Schrecken aus.","norm":"du kannst wirklich nicht lesen!“ rief Fräulein Rottenmeier im höchsten Schrecken aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":897,"orig":"„Iſt es die Möglichkeit, nicht leſen!","norm":"„Ist es die Möglichkeit, nicht lesen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":898,"orig":"Was haſt du denn aber gelernt?“","norm":"Was hast du denn aber gelernt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":899,"orig":"„Nichts“, ſagte Heidi der Wahrheit gemäß.","norm":"„Nichts“, sagte Heidi der Wahrheit gemäß."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":900,"orig":"„Jungfer Dete“, ſagte Fräulein Rottenmeier nach einigen Minuten, in denen ſie nach Faſſung rang; „es iſt Alles nicht nach Abrede, wie konnten Sie mir dieſes Weſen zuführen?“ Aber die Dete ließ ſich nicht ſo bald einſchüchtern; ſie antwortete herzhaft: „Mit Erlaubniß der Dame, das Kind iſt gerade, was ich dachte, daß ſie haben wolle; die Dame hat mir beſchrieben, wie es ſein müſſe, ſo ganz apart und nicht wie die andern, und ſo mußte ich das kleine nehmen, denn die größeren ſind bei uns dann nicht mehr ſo apart, und ich dachte, dieſes paſſe wie gemacht auf die Beſchreibung.","norm":"„Jungfer Dete“, sagte Fräulein Rottenmeier nach einigen Minuten, in denen sie nach Fassung rang; „es ist alles nicht nach Abrede, wie konnten Sie mir dieses Wesen zuführen?“ Aber die Dete ließ sich nicht so bald einschüchtern; sie antwortete herzhaft: „Mit Erlaubnis der Dame, das Kind ist gerade, was ich dachte, dass sie haben wolle; die Dame hat mir beschrieben, wie es sein müsse, so ganz apart und nicht wie die anderen, und so musste ich das kleine nehmen, denn die größeren sind bei uns dann nicht mehr so apart, und ich dachte, dieses passe wie gemacht auf die Beschreibung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":901,"orig":"Jetzt muß ich aber gehen, denn meine Herrſchaft erwartet mich, ich will, wenn's meine Herrſchaft erlaubt, bald wieder kommen und nachſehen, wie es geht mit ihm.","norm":"Jetzt muss ich aber gehen, denn meine Herrschaft erwartet mich, ich will, wenn es meine Herrschaft erlaubt, bald wieder kommen und nachsehen, wie es geht mit ihm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":902,"orig":"“ Mit einem Knix war die Dete zur Thür hinaus und die Treppe hinunter mit ſchnellen Schritten.","norm":"“ Mit einem Knicks war die Dete zur Tür hinaus und die Treppe hinunter mit schnellen Schritten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":903,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſtand einen Augenblick noch da; dann lief ſie der Dete nach, es war ihr wohl in den Sinn gekommen, daß ſie noch eine Menge von Dingen mit der Baſe beſprechen wollte, wenn das Kind wirklich da bleiben ſollte, und da war es doch nun einmal und, wie ſie bemerkte, hatte die Baſe feſt im Sinn, es da zu laſſen.","norm":"Fräulein Rottenmeier stand einen Augenblick noch da; dann lief sie der Dete nach, es war ihr wohl in den Sinn gekommen, dass sie noch eine Menge von Dingen mit der Base besprechen wollte, wenn das Kind wirklich dableiben sollte, und da war es doch nun einmal und, wie sie bemerkte, hatte die Base fest im Sinn, es da zu lassen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":904,"orig":"Heidi ſtand noch auf demſelben Platz an der Thüre, wo es von Anfang an geſtanden hatte.","norm":"Heidi stand noch auf demselben Platz an der Türe, wo es von Anfang an gestanden hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":905,"orig":"Bis dahin hatte Klara von ihrem Seſſel aus ſchweigend Allem zugeſehen.","norm":"Bis dahin hatte Klara von ihrem Sessel aus schweigend allem zugesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":906,"orig":"Jetzt winkte ſie Heidi: „Komm' hieher.","norm":"Jetzt winkte sie Heidi: „Komme hierher."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":907,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":908,"orig":"Heidi trat an den Rollſtuhl heran.","norm":"Heidi trat an den Rollstuhl heran."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":909,"orig":"„Willſt du lieber Heidi heißen, oder Adelheid?“ fragte Klara.","norm":"„Willst du lieber Heidi heißen, oder Adelheid?“ fragte Klara."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":910,"orig":"„Ich heiße nur Heidi und ſonſt Nichts“, war Heidi's Antwort.","norm":"„Ich heiße nur Heidi und sonst nichts“, war Heidis Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":911,"orig":"„So will ich dich immer ſo nennen“, ſagte Klara; der Name gefällt mir für dich, ich habe ihn aber nie gehört, ich habe aber auch nie ein Kind geſehen, das ſo ausſieht wie du.","norm":"„So will ich dich immer so nennen“, sagte Klara; der Name gefällt mir für dich, ich habe ihn aber nie gehört, ich habe aber auch nie ein Kind gesehen, das so aussieht wie du."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":912,"orig":"Haſt du immer nur ſo kurzes, krauſes Haar gehabt?“","norm":"Hast du immer nur so kurzes, krauses Haar gehabt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":913,"orig":"„Ja, ich denk's“, gab Heidi zur Antwort.","norm":"„Ja, ich denke es“, gab Heidi zur Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":914,"orig":"„Biſt du gern nach Frankfurt gekommen?“ fragte Klara weiter.","norm":"„Bist du gern nach Frankfurt gekommen?“ fragte Klara weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":915,"orig":"„Nein, aber morgen geh' ich dann wieder heim und bringe der Großmutter weiße Brödchen“, erklärte Heidi.","norm":"„Nein, aber morgen gehe ich dann wieder heim und bringe der Großmutter weiße Brötchen“, erklärte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":916,"orig":"„Du biſt aber ein curioſes Kind!“ fuhr jetzt Klara auf.","norm":"„Du bist aber ein kurioses Kind!“ fuhr jetzt Klara auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":917,"orig":"„Man hat dich ja expreß nach Frankfurt kommen laſſen, daß du bei mir bleibeſt und die Stunden mit mir nehmeſt, und ſiehſt du, es wird nun ganz luſtig, weil du gar nicht leſen kannſt, nun kommt etwas ganz Neues in den Stunden vor.","norm":"„Man hat dich ja express nach Frankfurt kommen lassen, dass du bei mir bleibest und die Stunden mit mir nehmest, und siehst du, es wird nun ganz lustig, weil du gar nicht lesen kannst, nun kommt etwas ganz Neues in den Stunden vor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":918,"orig":"Sonſt iſt es manchmal ſo ſchrecklich langweilig und der Morgen will gar nicht zu Ende kommen.","norm":"Sonst ist es manchmal so schrecklich langweilig und der Morgen will gar nicht zu Ende kommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":919,"orig":"Denn ſiehſt du, alle Morgen um zehn Uhr kommt der Herr Candidat, und dann fangen die Stunden an und dauern bis um zwei Uhr, das iſt ſo lange.","norm":"Denn siehst du, alle Morgen um zehn Uhr kommt der Herr Kandidat, und dann fangen die Stunden an und dauern bis um zwei Uhr, das ist so lange."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":920,"orig":"Der Herr Candidat nimmt auch manchmal das Buch ganz nah an's Geſicht heran, ſo, als wäre er auf einmal ganz kurzſichtig geworden, aber er gähnt nur furchtbar hinter dem Buch, und Fräulein Rottenmeier nimmt auch von Zeit zu Zeit ihr großes Taſchentuch hervor und hält es vor das ganze Geſicht hin, ſo als ſei ſie ganz ergriffen von Etwas, das wir leſen, aber ich weiß recht gut, daß ſie nur ganz ſchrecklich gähnt dahinter, und dann ſollte ich auch ſo ſtark gähnen, und muß es immer herunterſchlucken, denn wenn ich nur ein einziges Mal herausgähne, ſo holt Fräulein Rottenmeier gleich den Fiſchthran und ſagt, ich ſei wieder ſchwach, und Fiſchthran Nehmen iſt das Allerſchrecklichſte, da will ich noch lieber Gähnen ſchlucken.","norm":"Der Herr Kandidat nimmt auch manchmal das Buch ganz nahe ans Gesicht heran, so, als wäre er auf einmal ganz kurzsichtig geworden, aber er gähnt nur furchtbar hinter dem Buch, und Fräulein Rottenmeier nimmt auch von Zeit zu Zeit ihr großes Taschentuch hervor und hält es vor das ganze Gesicht hin, so als sei sie ganz ergriffen von Etwas, das wir lesen, aber ich weiß recht gut, dass sie nur ganz schrecklich gähnt dahinter, und dann sollte ich auch so stark gähnen, und muss es immer herunterschlucken, denn wenn ich nur ein einziges Mal herausgähne, so holt Fräulein Rottenmeier gleich den Fischtran und sagt, ich sei wieder schwach, und Fischtran Nehmen ist das Allerschrecklichste, da will ich noch lieber Gähnen schlucken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":921,"orig":"Aber nun wird's viel kurzweiliger, da kann ich dann zuhören, wie du leſen lernſt.","norm":"Aber nun wird es viel kurzweiliger, da kann ich dann zuhören, wie du lesen lernst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":922,"orig":"“ Heidi ſchüttelte ganz bedenklich mit dem Kopf, als es vom Leſenlernen hörte.","norm":"“ Heidi schüttelte ganz bedenklich mit dem Kopf, als es vom Lesenlernen hörte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":923,"orig":"„Doch, doch, Heidi, natürlich mußt du leſen lernen, alle Menſchen müſſen, und der Herr Candidat iſt ſehr gut, er wird niemals böſe, und er erklärt dir dann ſchon Alles.","norm":"„Doch, doch, Heidi, natürlich musst du lesen lernen, alle Menschen müssen, und der Herr Kandidat ist sehr gut, er wird niemals böse, und er erklärt dir dann schon alles."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":924,"orig":"Aber ſiehſt du, wenn er etwas erklärt, dann verſtehſt du Nichts davon; dann mußt du nur warten und gar Nichts ſagen, ſonſt erklärt er dir noch viel mehr, und du verſtehſt es noch weniger.","norm":"Aber siehst du, wenn er etwas erklärt, dann verstehst du nichts davon; dann musst du nur warten und gar nichts sagen, sonst erklärt er dir noch viel mehr, und du verstehst es noch weniger."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":925,"orig":"Aber dann nachher, wenn du Etwas gelernt haſt und es weißt, dann verſtehſt du ſchon, was er gemeint hat.","norm":"Aber dann nachher, wenn du etwas gelernt hast und es weißt, dann verstehst du schon, was er gemeint hat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":926,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":927,"orig":"Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder in's Zimmer zurück; ſie hatte die Dete nicht mehr zurückrufen können und war ſichtlich aufgeregt davon, denn ſie hatte dieſer eigentlich gar nicht einläßlich ſagen können, was Alles nicht nach Abrede ſei bei dem Kinde, und da ſie nicht wußte, was nun zu thun ſei, um ihren Schritt rückgängig zu machen, war ſie um ſo aufgeregter, denn ſie ſelbſt hatte die ganze Sache angeſtiftet.","norm":"Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder ins Zimmer zurück; sie hatte die Dete nicht mehr zurückrufen können und war sichtlich aufgeregt davon, denn sie hatte dieser eigentlich gar nicht einlässlich sagen können, was alles nicht nach Abrede sei bei dem Kinde, und da sie nicht wusste, was nun zu tun sei, um ihren Schritt rückgängig zu machen, war sie um so aufgeregter, denn sie selbst hatte die ganze Sache angestiftet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":928,"orig":"Sie lief nun vom Studierzimmer in's Eßzimmer hinüber, und von da wieder zurück, und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebaſtian an, der ſeine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten Tiſch gleiten ließ, um zu ſehen, ob ſein Werk keinen Mangel habe.","norm":"Sie lief nun vom Studierzimmer ins Esszimmer hinüber, und von da wieder zurück, und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebastian an, der seine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten Tisch gleiten ließ, um zu sehen, ob sein Werk keinen Mangel habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":929,"orig":"„Denk' Er morgen Seine großen Gedanken fertig und mach' Er, daß man heut' noch zu Tiſch komme.","norm":"„Denke er morgen Seine großen Gedanken fertig und mache er, dass man heute noch zu Tisch komme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":930,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":931,"orig":"Mit dieſen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Sebaſtian vorbei und rief nach der Tinette, mit ſo wenig einladendem Ton, daß die Jungfer Tinette noch mit viel kleinern Schritten herantrippelte, als ſonſt gewöhnlich, und ſich mit ſo ſpöttiſchem Geſicht hinſtellte, daß ſelbſt Fräulein Rottenmeier nicht wagte, ſie anzufahren; umſomehr ſchlug ihr die Aufregung nach innen.","norm":"Mit diesen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Sebastian vorbei und rief nach der Tinette, mit so wenig einladendem Ton, dass die Jungfer Tinette noch mit viel kleineren Schritten herantrippelte, als sonst gewöhnlich, und sich mit so spöttischem Gesicht hinstellte, dass selbst Fräulein Rottenmeier nicht wagte, sie anzufahren; umso mehr schlug ihr die Aufregung nach innen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":932,"orig":"„Das Zimmer der Angekommenen iſt in Ordnung zu bringen, Tinette“, ſagte die Dame mit ſchwer errungener Ruhe; „es liegt Alles bereit, nehmen Sie noch den Staub von den Möbeln weg.","norm":"„Das Zimmer der Angekommenen ist in Ordnung zu bringen, Tinette“, sagte die Dame mit schwer errungener Ruhe; „es liegt alles bereit, nehmen Sie noch den Staub von den Möbeln weg."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":933,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":934,"orig":"„Es iſt der Mühe werth“, ſpöttelte Tinette und ging.","norm":"„Es ist der Mühe wert“, spöttelte Tinette und ging."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":935,"orig":"Unterdeſſen hatte Sebaſtian die Doppelthüren zum Studierzimmer mit ziemlichem Knall aufgeſchlagen, denn er war ſehr ergrimmt, aber ſich in Antworten Luft machen, durfte er nicht wagen Fräulein Rottenmeier gegenüber; dann trat er ganz geladen in's Studierzimmer, um den Rollſtuhl hinüberzuſtoßen.","norm":"Unterdessen hatte Sebastian die Doppeltüren zum Studierzimmer mit ziemlichem Knall aufgeschlagen, denn er war sehr ergrimmt, aber sich in Antworten Luft machen, durfte er nicht wagen Fräulein Rottenmeier gegenüber; dann trat er ganz geladen ins Studierzimmer, um den Rollstuhl hinüberzustoßen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":936,"orig":"Während er den Griff hinten am Stuhl, der ſich verſchoben hatte, zurechtdrehte, ſtellte ſich Heidi vor ihn hin und ſchaute ihn unverwandt an, was er bemerkte.","norm":"Während er den Griff hinten am Stuhl, der sich verschoben hatte, zurechtdrehte, stellte sich Heidi vor ihn hin und schaute ihn unverwandt an, was er bemerkte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":937,"orig":"Auf einmal fuhr er auf.","norm":"Auf einmal fuhr er auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":938,"orig":"„Na, was iſt denn da Beſonderes dran?“ ſchnurrte er Heidi an in einer Weiſe, wie er es wohl nicht gethan, hätte er Fräulein Rottenmeier geſehen, die eben wieder auf der Schwelle ſtand und gerade hereintrat, als Heidi entgegnete: „Du ſiehſt dem Gaißenpeter gleich.","norm":"„Na, was ist denn da Besonderes dran?“ schnurrte er Heidi an in einer Weise, wie er es wohl nicht getan, hätte er Fräulein Rottenmeier gesehen, die eben wieder auf der Schwelle stand und gerade hereintrat, als Heidi entgegnete: „Du siehst dem Geißenpeter gleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":939,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":940,"orig":"Entſetzt ſchlug die Dame ihre Hände zuſammen.","norm":"Entsetzt schlug die Dame ihre Hände zusammen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":941,"orig":"„Iſt es die Möglichkeit!“ ſtöhnte ſie halblaut.","norm":"„Ist es die Möglichkeit!“ stöhnte sie halblaut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":942,"orig":"„Nun duzt ſie mir den Bedienten!","norm":"„Nun duzt sie mir den Bedienten!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":943,"orig":"dem Weſen fehlen alle Urbegriffe!“","norm":"Dem Wesen fehlen alle Urbegriffe!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":944,"orig":"Der Stuhl kam herangerollt und Klara wurde von Sebaſtian hinausgehoben und auf ihren Seſſel an den Tiſch geſetzt.","norm":"Der Stuhl kam herangerollt und Klara wurde von Sebastian hinausgehoben und auf ihren Sessel an den Tisch gesetzt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":945,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſetzte ſich neben ſie und winkte Heidi, es ſollte den Platz ihr gegenüber einnehmen.","norm":"Fräulein Rottenmeier setzte sich neben sie und winkte Heidi, es sollte den Platz ihr gegenüber einnehmen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":946,"orig":"Sonſt kam Niemand zu Tiſch, und es war viel Platz da; die drei ſaßen auch weit auseinander, ſo daß Sebaſtian mit ſeiner Schüſſel zum Anbieten ſehr guten Raum fand.","norm":"Sonst kam Niemand zu Tisch, und es war viel Platz da; die drei saßen auch weit auseinander, so dass Sebastian mit seiner Schüssel zum Anbieten sehr guten Raum fand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":947,"orig":"Neben Heidi's Teller lag ein ſchönes, weißes Brödchen; das Kind ſchaute mit erfreuten Blicken darauf.","norm":"Neben Heidis Teller lag ein schönes, weißes Brötchen; das Kind schaute mit erfreuten Blicken darauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":948,"orig":"Die Aehnlichkeit, die Heidi entdeckt hatte, mußte ſein ganzes Vertrauen für den Sebaſtian erweckt haben, denn es ſaß mäuſchenſtill und rührte ſich nicht, bis er mit der großen Schüſſel zu ihm herantrat und ihm die gebratenen Fiſchchen hinhielt, dann zeigte es auf das Brödchen und fragte: „Kann ich das haben?“ Sebaſtian nickte und warf dabei einen Seitenblick auf Fräulein Rottenmeier, denn es wunderte ihn, was die Frage für einen Eindruck auf ſie mache.","norm":"Die Ähnlichkeit, die Heidi entdeckt hatte, musste sein ganzes Vertrauen für den Sebastian erweckt haben, denn es saß mäuschenstill und rührte sich nicht, bis er mit der großen Schüssel zu ihm herantrat und ihm die gebratenen Fischchen hinhielt, dann zeigte es auf das Brötchen und fragte: „Kann ich das haben?“ Sebastian nickte und warf dabei einen Seitenblick auf Fräulein Rottenmeier, denn es wunderte ihn, was die Frage für einen Eindruck auf sie mache."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":949,"orig":"Augenblicklich ergriff Heidi ſein Brödchen und ſteckte es in die Taſche.","norm":"Augenblicklich ergriff Heidi sein Brötchen und steckte es in die Tasche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":950,"orig":"Sebaſtian machte eine Grimaſſe, denn das Lachen kam ihn an; er wußte aber wohl, daß ihm das nicht erlaubt war.","norm":"Sebastian machte eine Grimasse, denn das Lachen kam ihn an; er wusste aber wohl, dass ihm das nicht erlaubt war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":951,"orig":"Stumm und unbeweglich blieb er immer noch vor Heidi ſtehen, denn reden durfte er nicht, und weggehen durfte er wieder nicht, bis man ſich bedient hatte.","norm":"Stumm und unbeweglich blieb er immer noch vor Heidi stehen, denn reden durfte er nicht, und weggehen durfte er wieder nicht, bis man sich bedient hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":952,"orig":"Heidi ſchaute ihm eine Zeit lang verwundert zu, dann fragte es: „Soll ich auch von dem eſſen?“ Sebaſtian nickte wieder.","norm":"Heidi schaute ihm eine Zeit lang verwundert zu, dann fragte es: „Soll ich auch von dem essen?“ Sebastian nickte wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":953,"orig":"„So gib mir“, ſagte es und ſchaute ruhig auf ſeinen Teller.","norm":"„So gib mir“, sagte es und schaute ruhig auf seinen Teller."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":954,"orig":"Sebaſtian's Grimaſſe wurde ſehr bedenklich, und die Schüſſel in ſeinen Händen fing an gefährlich zu zittern.","norm":"Sebastians Grimasse wurde sehr bedenklich, und die Schüssel in seinen Händen fing an gefährlich zu zittern."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":955,"orig":"„Er kann die Schüſſel auf den Tiſch ſetzen und nachher wiederkommen“, ſagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit ſtrengem Geſicht.","norm":"„Er kann die Schüssel auf den Tisch setzen und nachher wiederkommen“, sagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":956,"orig":"Sebaſtian verſchwand ſogleich.","norm":"Sebastian verschwand sogleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":957,"orig":"„Dir, Adelheid, muß ich überall die erſten Begriffe beibringen, das ſehe ich“, fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort.","norm":"„Dir, Adelheid, muss ich überall die ersten Begriffe beibringen, das sehe ich“, fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":958,"orig":"„Vor Allem will ich dir zeigen, wie man ſich am Tiſche bedient“, und nun machte die Dame deutlich und eingehend Alles vor, was Heidi zu thun hatte.","norm":"„Vor allem will ich dir zeigen, wie man sich am Tische bedient“, und nun machte die Dame deutlich und eingehend alles vor, was Heidi zu tun hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":959,"orig":"„Dann“, fuhr ſie weiter, „muß ich dir hauptſächlich bemerken, daß du am Tiſch nicht mit Sebaſtian zu ſprechen haſt, auch ſonſt nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine nothwendige Frage an ihn zu richten haſt; dann aber nennſt du ihn nie mehr anders, als Sie oder Er, hörſt du?","norm":"„Dann“, fuhr sie weiter, „muss ich dir hauptsächlich bemerken, dass du am Tisch nicht mit Sebastian zu sprechen hast, auch sonst nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine notwendige Frage an ihn zu richten hast; dann aber nennst du ihn nie mehr anders, als Sie oder er, hörst du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":960,"orig":"daß ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre!","norm":"dass ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":961,"orig":"Auch Tinette nennſt du Sie, Jungfer Tinette.","norm":"Auch Tinette nennst du Sie, Jungfer Tinette."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":962,"orig":"Mich nennſt du ſo, wie du mich von Allen nennen hörſt; wie du Klara nennen ſollſt, wird ſie ſelbſt beſtimmen.","norm":"Mich nennst du so, wie du mich von allen nennen hörst; wie du Klara nennen sollst, wird sie selbst bestimmen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":963,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":964,"orig":"„Natürlich Klara“, ſagte dieſe.","norm":"„Natürlich Klara“, sagte diese."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":965,"orig":"Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufſtehn und Zubettegehn, über Hereintreten und Hinausgehn, über Ordnunghalten, Thürenſchließen, und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr aufgeſtanden, und hatte eine lange Reiſe gemacht.","norm":"Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufstehen und Zubettegehen, über Hereintreten und Hinausgehen, über Ordnunghalten, Türenschließen, und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr aufgestanden, und hatte eine lange Reise gemacht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":966,"orig":"Es lehnte ſich an den Seſſelrücken und ſchlief ein.","norm":"Es lehnte sich an den Sesselrücken und schlief ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":967,"orig":"Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war mit ihrer Unterweiſung, ſagte ſie: „Nun denke dran, Adelheid; haſt du Alles recht begriffen?“ „Heidi ſchläft ſchon lange“, ſagte Klara mit ganz beluſtigtem Geſicht, denn das Abendeſſen war für ſie ſeit langer Zeit nie ſo kurzweilig verfloſſen.","norm":"Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war mit ihrer Unterweisung, sagte sie: „Nun denke daran, Adelheid; Hast du alles recht begriffen?“ „Heidi schläft schon lange“, sagte Klara mit ganz belustigtem Gesicht, denn das Abendessen war für sie seit langer Zeit nie so kurzweilig verflossen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":968,"orig":"„Es iſt doch völlig unerhört, was man mit dieſem Kind erlebt“, rief Fräulein Rottenmeier in großem Aerger und klingelte ſo heftig, daß Tinette und Sebaſtian mit einander hereingeſtürzt kamen; aber trotz allen Lärms erwachte Heidi nicht, und man hatte die größte Mühe, es ſo weit zu erwecken, daß es nach ſeinem Schlafgemach gebracht werden konnte, erſt durch das Studierzimmer, dann durch Klara's Schlafſtube, dann durch die Stube von Fräulein Rottenmeier zu dem Eckzimmer, das nun für Heidi eingerichtet war.","norm":"„Es ist doch völlig unerhört, was man mit diesem Kind erlebt“, rief Fräulein Rottenmeier in großem Ärger und klingelte so heftig, dass Tinette und Sebastian miteinander hereingestürzt kamen; aber trotz allen Lärms erwachte Heidi nicht, und man hatte die größte Mühe, es so weit zu erwecken, dass es nach seinem Schlafgemach gebracht werden konnte, erst durch das Studierzimmer, dann durch Klaras Schlafstube, dann durch die Stube von Fräulein Rottenmeier zu dem Eckzimmer, das nun für Heidi eingerichtet war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":969,"orig":"Als Heidi am erſten Morgen in Frankfurt ſeine Augen aufſchlug, konnte es durchaus nicht begreifen, was es erblicke.","norm":"Als Heidi am ersten Morgen in Frankfurt seine Augen aufschlug, konnte es durchaus nicht begreifen, was es erblicke."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":970,"orig":"Es rieb ganz gewaltig ſeine Augen, guckte dann wieder auf und ſah dasſelbe.","norm":"Es rieb ganz gewaltig seine Augen, guckte dann wieder auf und sah dasselbe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":971,"orig":"Es ſaß auf einem hohen, weißen Bett und vor ſich ſah es einen großen, weiten Raum, und wo die Helle herkam, hingen lange, lange weiße Vorhänge, und dabei ſtanden zwei Seſſel mit großen Blumen darauf, und dann kam ein Sopha an der Wand mit denſelben Blumen und ein runder Tiſch davor und in der Ecke ſtand ein Waſchtiſch mit Sachen darauf, wie Heidi ſie noch gar nie geſehen hatte.","norm":"Es saß auf einem hohen, weißen Bett und vor sich sah es einen großen, weiten Raum, und wo die Helle herkam, hingen lange, lange weiße Vorhänge, und dabei standen zwei Sessel mit großen Blumen darauf, und dann kam ein Sofa an der Wand mit denselben Blumen und ein runder Tisch davor und in der Ecke stand ein Waschtisch mit Sachen darauf, wie Heidi sie noch gar nie gesehen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":972,"orig":"Aber nun kam ihm auf einmal in den Sinn, daß es in Frankfurt ſei, und der ganze geſtrige Tag kam ihm in Erinnerung und zuletzt noch ganz klar die Unterweiſungen der Dame, ſo weit es ſie gehört hatte.","norm":"Aber nun kam ihm auf einmal in den Sinn, dass es in Frankfurt sei, und der ganze gestrige Tag kam ihm in Erinnerung und zuletzt noch ganz klar die Unterweisungen der Dame, so weit es sie gehört hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":973,"orig":"Heidi ſprang nun von ſeinem Bett herunter und machte ſich fertig.","norm":"Heidi sprang nun von seinem Bett herunter und machte sich fertig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":974,"orig":"Dann ging es an ein Fenſter und dann an das andere, es mußte den Himmel ſehen und die Erde draußen, es fühlte ſich wie im Käfig hinter den großen Vorhängen.","norm":"Dann ging es an ein Fenster und dann an das andere, es musste den Himmel sehen und die Erde draußen, es fühlte sich wie im Käfig hinter den großen Vorhängen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":975,"orig":"Es konnte dieſe nicht wegſchieben; ſo kroch es dahinter, um an ein Fenſter zu kommen.","norm":"Es konnte diese nicht wegschieben; so kroch es dahinter, um an ein Fenster zu kommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":976,"orig":"Aber dieſes war ſo hoch, daß Heidi nur gerade mit dem Kopf ſo weit hinaufreichte, daß es durchſehen konnte.","norm":"Aber dieses war so hoch, dass Heidi nur gerade mit dem Kopf so weit hinaufreichte, dass es durchsehen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":977,"orig":"Aber Heidi fand nicht, was es ſuchte.","norm":"Aber Heidi fand nicht, was es suchte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":978,"orig":"Es lief von einem Fenſter zum andern und dann wieder zum erſten zurück; aber immer war dasſelbe vor ſeinen Augen, Mauern und Fenſter und wieder Mauern und dann wieder Fenſter.","norm":"Es lief von einem Fenster zum anderen und dann wieder zum ersten zurück; aber immer war dasselbe vor seinen Augen, Mauern und Fenster und wieder Mauern und dann wieder Fenster."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":979,"orig":"Es wurde Heidi ganz bange.","norm":"Es wurde Heidi ganz bange."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":980,"orig":"Noch war es früh am Morgen, denn Heidi war gewöhnt, früh aufzuſtehen auf der Alm und dann ſogleich hinauszulaufen vor die Thüre und zu ſehen, wie's draußen ſei, ob der Himmel blau und die Sonne ſchon droben ſei, ob die Tannen rauſchen und die kleinen Blumen ſchon die Augen offen haben.","norm":"Noch war es früh am Morgen, denn Heidi war gewöhnt, früh aufzustehen auf der Alm und dann sogleich hinauszulaufen vor die Türe und zu sehen, wie es draußen sei, ob der Himmel blau und die Sonne schon droben sei, ob die Tannen rauschen und die kleinen Blumen schon die Augen offen haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":981,"orig":"Wie das Vögelein, das zum erſten Mal in ſeinem ſchön glänzenden Gefängniß ſitzt, hin- und herſchießt und bei allen Stäben probiert, ob es nicht zwiſchen durchſchlüpfen und in die Freiheit hinausfliegen könnte, ſo lief Heidi immer von dem einen Fenſter zum andern, um zu probiren, ob es nicht aufgemacht werden könnte, denn dann mußte man doch etwas Anderes ſehen, als Mauern und Fenſter, da mußte doch unten der Erdboden, das grüne Gras und der letzte, ſchmelzende Schnee an den Abhängen zum Vorſchein kommen, und Heidi ſehnte ſich, das zu ſehen.","norm":"Wie das Vögelein, das zum ersten Mal in seinem schön glänzenden Gefängnis sitzt, hin- und herschießt und bei allen Stäben probiert, ob es nicht zwischen durchschlüpfen und in die Freiheit hinausfliegen könnte, so lief Heidi immer von dem einen Fenster zum anderen, um zu probieren, ob es nicht aufgemacht werden könnte, denn dann musste man doch etwas Anderes sehen, als Mauern und Fenster, da musste doch unten der Erdboden, das grüne Gras und der letzte, schmelzende Schnee an den Abhängen zum Vorschein kommen, und Heidi sehnte sich, das zu sehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":982,"orig":"Aber die Fenſter blieben feſt verſchloſſen, wie ſehr auch das Kind drehte und zog und von unten ſuchte, die kleinen Finger unter die Rahmen einzutreiben, damit es Kraft hätte, ſie aufzudrücken; es blieb Alles eiſenfeſt aufeinander ſitzen.","norm":"Aber die Fenster blieben fest verschlossen, wie sehr auch das Kind drehte und zog und von unten suchte, die kleinen Finger unter die Rahmen einzutreiben, damit es Kraft hätte, sie aufzudrücken; es blieb alles eisenfest aufeinander sitzen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":983,"orig":"Nach langer Zeit, als Heidi einſah, daß alle Anſtrengungen Nichts halfen, gab es ſeinen Plan auf und überdachte nun, wie es wäre, wenn es vor das Haus hinausginge und hintenherum, bis es auf den Grasboden käme, denn es erinnerte ſich, daß es geſtern Abend vorn am Haus nur über Steine gekommen war.","norm":"Nach langer Zeit, als Heidi einsah, dass alle Anstrengungen nichts halfen, gab es seinen Plan auf und überdachte nun, wie es wäre, wenn es vor das Haus hinausginge und hintenherum, bis es auf den Grasboden käme, denn es erinnerte sich, dass es gestern Abend vorn am Haus nur über Steine gekommen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":984,"orig":"Jetzt klopfte es an ſeiner Thür und unmittelbar darauf ſteckte Tinette den Kopf herein und ſagte kurz: „Frühſtück bereit.","norm":"Jetzt klopfte es an seiner Tür und unmittelbar darauf steckte Tinette den Kopf herein und sagte kurz: „Frühstück bereit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":985,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":986,"orig":"Heidi verſtand keineswegs eine Einladung unter dieſen Worten; auf dem ſpöttiſchen Geſicht der Tinette ſtand viel mehr eine Warnung, ihr nicht zu nah zu kommen, als eine freundliche Einladung geſchrieben, und das las Heidi deutlich von dem Geſicht und richtete ſich danach.","norm":"Heidi verstand keineswegs eine Einladung unter diesen Worten; auf dem spöttischen Gesicht der Tinette stand viel mehr eine Warnung, ihr nicht zu nah zu kommen, als eine freundliche Einladung geschrieben, und das las Heidi deutlich von dem Gesicht und richtete sich danach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":987,"orig":"Es nahm den kleinen Schemel unter dem Tiſch hervor, ſtellte ihn in eine Ecke, ſetzte ſich darauf und wartete ſo ganz ſtill ab, was nun kommen würde.","norm":"Es nahm den kleinen Schemel unter dem Tisch hervor, stellte ihn in eine Ecke, setzte sich darauf und wartete so ganz still ab, was nun kommen würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":988,"orig":"Nach einiger Zeit kam Etwas mit ziemlichem Geräuſch, es war Fräulein Rottenmeier, die ſchon wieder in Aufregung gerathen war und in Heidi's Stube hineinrief: „Was iſt mit dir, Adelheid?","norm":"Nach einiger Zeit kam etwas mit ziemlichem Geräusch, es war Fräulein Rottenmeier, die schon wieder in Aufregung geraten war und in Heidis Stube hineinrief: „Was ist mit dir, Adelheid?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":989,"orig":"Begreifſt du nicht, was ein Frühſtück iſt?","norm":"Begreifst du nicht, was ein Frühstück ist?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":990,"orig":"Komm' herüber!“","norm":"Komme herüber!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":991,"orig":"Das verſtand nun Heidi und folgte ſogleich nach.","norm":"Das verstand nun Heidi und folgte sogleich nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":992,"orig":"Im Eßzimmer ſaß Klara ſchon lang an ihrem Platz und begrüßte Heidi freundlich, machte auch ein viel vergnügteres Geſicht, als ſonſt gewöhlich, denn ſie ſah voraus, daß heute wieder allerlei Neues geſchehen würde.","norm":"Im Esszimmer saß Klara schon lang an ihrem Platz und begrüßte Heidi freundlich, machte auch ein viel vergnügteres Gesicht, als sonst gewöhnlich, denn sie sah voraus, dass heute wieder allerlei Neues geschehen würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":993,"orig":"Das Frühſtück ging nun ohne Störung vor ſich;","norm":"Das Frühstück ging nun ohne Störung vor sich;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":994,"orig":"Heidi aß ganz anſtändig ſein Butterbrod, und wie Alles zu Ende war, wurde Klara wieder in's Studierzimmer hinübergerollt und Heidi wurde von Fräulein Rottenmeier angewieſen, nachzufolgen und bei Klara zu bleiben, bis der Herr Candidat kommen würde, um die Unterrichtsſtunden zu beginnen.","norm":"Heidi aß ganz anständig sein Butterbrot, und wie alles zu Ende war, wurde Klara wieder ins Studierzimmer hinübergerollt und Heidi wurde von Fräulein Rottenmeier angewiesen, nachzufolgen und bei Klara zu bleiben, bis der Herr Kandidat kommen würde, um die Unterrichtsstunden zu beginnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":995,"orig":"AIs die beiden Kinder allein waren, ſagte Heidi ſogleich: „Wie kann man hinausſehen hier und ganz hinunter auf den Boden?“","norm":"Als die beiden Kinder allein waren, sagte Heidi sogleich: „Wie kann man hinaussehen hier und ganz hinunter auf den Boden?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":996,"orig":"„Man macht ein Fenſter auf und guckt hinaus“, antwortete Klara beluſtigt.","norm":"„Man macht ein Fenster auf und guckt hinaus“, antwortete Klara belustigt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":997,"orig":"„Man kann dieſe Fenſter nicht aufmachen“, verſetzte Heidi traurig.","norm":"„Man kann diese Fenster nicht aufmachen“, versetzte Heidi traurig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":998,"orig":"„Doch, doch“, verſicherte Klara, „nur du noch nicht, und ich kann dir auch nicht helfen, aber wenn du einmal den Sebaſtian ſiehſt, ſo macht er dir ſchon eines auf.","norm":"„Doch, doch“, versicherte Klara, „nur du noch nicht, und ich kann dir auch nicht helfen, aber wenn du einmal den Sebastian siehst, so macht er dir schon eines auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":999,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1000,"orig":"Das war eine große Erleichterung für Heidi, zu wiſſen, daß man doch die Fenſter öffnen und hinausſchauen könne, denn noch war es ganz unter dem Druck des Gefangenſeins von ſeinem Zimmer her.","norm":"Das war eine große Erleichterung für Heidi, zu wissen, dass man doch die Fenster öffnen und hinausschauen könne, denn noch war es ganz unter dem Druck des Gefangenseins von seinem Zimmer her."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1001,"orig":"Klara fing nun an, Heidi zu fragen, wie es bei ihm zu Hauſe ſei, und Heidi erzählte mit Freuden von der Alm und den Gaißen und der Weide und Allem, was ihm lieb war.","norm":"Klara fing nun an, Heidi zu fragen, wie es bei ihm zuhause sei, und Heidi erzählte mit Freuden von der Alm und den Geißen und der Weide und allem, was ihm lieb war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1002,"orig":"Unterdeſſen war der Herr Candidat angekommen; aber Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, in's Studierzimmer, denn ſie mußte ſich erſt ausſprechen und geleitete ihn zu dieſem Zweck in's Eßzimmer, wo ſie ſich vor ihn hinſetzte und ihm in großer Aufregung ihre bedrängte Lage ſchilderte und wie ſie in dieſe hineingekommen war.","norm":"Unterdessen war der Herr Kandidat angekommen; aber Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, ins Studierzimmer, denn sie musste sich erst aussprechen und geleitete ihn zu diesem Zweck ins Esszimmer, wo sie sich vor ihn hinsetzte und ihm in großer Aufregung ihre bedrängte Lage schilderte und wie sie in diese hineingekommen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1003,"orig":"Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Seſemann nach Paris geſchrieben, wo er eben verweilte, ſeine Tochter habe längſt gewünſcht, es möchte eine Geſpielin für ſie in's Haus aufgenommen werden, und auch ſie ſelbſt glaube, daß eine ſolche in den Unterrichtsſtunden ein Sporn, in der übrigen Zeit eine anregende Geſellſchaft für Klara ſein würde.","norm":"Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Sesemann nach Paris geschrieben, wo er eben verweilte, seine Tochter habe längst gewünscht, es möchte eine Gespielin für sie ins Haus aufgenommen werden, und auch sie selbst glaube, dass eine solche in den Unterrichtsstunden ein Sporn, in der übrigen Zeit eine anregende Gesellschaft für Klara sein würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1004,"orig":"Eigentlich war die Sache für Fräulein Rottenmeier ſelbſt ſehr wünſchbar, denn ſie wollte gern, daß Jemand da ſei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme, wenn es ihr zu viel war, was öfters geſchah.","norm":"Eigentlich war die Sache für Fräulein Rottenmeier selbst sehr wünschbar, denn sie wollte gern, dass Jemand da sei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme, wenn es ihr zu viel war, was öfters geschah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1005,"orig":"Herr Seſemann hatte geantwortet, er erfülle gern den Wunſch ſeiner Tochter, doch mit der Bedingung, daß eine ſolche Geſpielin in Allem ganz gehalten werde wie jene, er wolle keine Kinderquälerei in ſeinem Hauſe, was freilich eine ſehr unnütze Bemerkung von dem Herrn war, ſetzte Fräulein Rottenmeier hinzu, denn wer wollte Kinder quälen!","norm":"Herr Sesemann hatte geantwortet, er erfülle gern den Wunsch seiner Tochter, doch mit der Bedingung, dass eine solche Gespielin in allem ganz gehalten werde wie jene, er wolle keine Kinderquälerei in seinem Hause, was freilich eine sehr unnütze Bemerkung von dem Herrn war, setzte Fräulein Rottenmeier hinzu, denn wer wollte Kinder quälen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1006,"orig":"Nun aber erzählte ſie weiter, wie ganz erſchrecklich ſie hineingefallen ſei mit dem Kinde, und führte alle Beiſpiele von ſeinem völlig begriffsloſen Daſein an, die es bis jetzt geliefert hatte, daß nicht nur der Unterricht des Herrn Candidaten buchſtäblich beim ABC anfangen müſſe, ſondern daß auch ſie auf jedem Punkte der menſchlichen Erziehung mit dem Uranfang zu beginnen hätte.","norm":"Nun aber erzählte sie weiter, wie ganz erschrecklich sie hineingefallen sei mit dem Kinde, und führte alle Beispiele von seinem völlig begriffslosen Dasein an, die es bis jetzt geliefert hatte, dass nicht nur der Unterricht des Herrn Kandidaten buchstäblich beim ABC anfangen müsse, sondern dass auch sie auf jedem Punkte der menschlichen Erziehung mit dem Uranfang zu beginnen hätte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1007,"orig":"Aus dieſer unheilvollen Lage ſehe ſie nur Ein Rettungsmittel, wenn der Herr Candidat erklären werde, zwei ſo verſchiedene Weſen könnten nicht mit einander unterrichtet werden, ohne großen Schaden des vorgerückteren Theiles; das wäre für Herrn Seſemann ein triftiger Grund, die Sache rückgängig zu machen, und ſo würde er zugeben, daß das Kind gleich wieder dahin zurückgeſchickt würde, woher es gekommen war; ohne ſeine Zuſtimmung aber dürfte ſie das nicht unternehmen, nun der Hausherr wiſſe, daß das Kind angekommen ſei.","norm":"Aus dieser unheilvollen Lage sehe sie nur ein Rettungsmittel, wenn der Herr Kandidat erklären werde, zwei so verschiedene Wesen könnten nicht miteinander unterrichtet werden, ohne großen Schaden des vorgerückteren Teiles; das wäre für Herrn Sesemann ein triftiger Grund, die Sache rückgängig zu machen, und so würde er zugeben, dass das Kind gleich wieder dahin zurückgeschickt würde, woher es gekommen war; ohne seine Zustimmung aber dürfte sie das nicht unternehmen, nun der Hausherr wisse, dass das Kind angekommen sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1008,"orig":"Aber der Herr Candidat war behutſam und niemals einſeitig im Urtheilen.","norm":"Aber der Herr Kandidat war behutsam und niemals einseitig im Urteilen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1009,"orig":"Er tröſtete Fräulein Rottenmeier mit vielen Worten und der Anſicht, wenn die junge Tochter auf der einen Seite ſo ſehr zurück ſei, ſo möchte ſie auf der andern um ſo geförderter ſein, was bei einem geregelten Unterricht bald in's Gleichgewicht kommen werde.","norm":"Er tröstete Fräulein Rottenmeier mit vielen Worten und der Ansicht, wenn die junge Tochter auf der einen Seite so sehr zurück sei, so möchte sie auf der anderen um so geförderter sein, was bei einem geregelten Unterricht bald ins Gleichgewicht kommen werde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1010,"orig":"Als Fräulein Rottenmeier ſah, daß der Herr Candidat ſie nicht unterſtützen, ſondern ſeinen ABC-Unterricht übernehmen wollte, machte ſie ihm die Thüre zum Studierzimmer auf, und nachdem er hineingetreten war, ſchloß ſie ſchnell hinter ihm zu und blieb auf der andern Seite, denn vor dem ABC hatte ſie einen Schrecken.","norm":"Als Fräulein Rottenmeier sah, dass der Herr Kandidat sie nicht unterstützen, sondern seinen Abc-Unterricht übernehmen wollte, machte sie ihm die Türe zum Studierzimmer auf, und nachdem er hineingetreten war, schloss sie schnell hinter ihm zu und blieb auf der anderen Seite, denn vor dem ABC hatte sie einen Schrecken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1011,"orig":"Sie ging jetzt mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder, denn ſie hatte zu überlegen, wie die Dienſtboten Adelheid zu benennen hätten.","norm":"Sie ging jetzt mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder, denn sie hatte zu überlegen, wie die Dienstboten Adelheid zu benennen hätten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1012,"orig":"Herr Seſemann hatte ja geſchrieben, ſie müßte wie ſeine Tochter gehalten werden, und dieſes Wort mußte ſich hauptſächlich auf das Verhältniß zu den Dienſtboten beziehen, dachte Fräulein Rottenmeier.","norm":"Herr Sesemann hatte ja geschrieben, sie müsste wie seine Tochter gehalten werden, und dieses Wort musste sich hauptsächlich auf das Verhältnis zu den Dienstboten beziehen, dachte Fräulein Rottenmeier."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1013,"orig":"Sie konnte aber nicht lange ungeſtört überlegen, denn auf einmal ertönte drinnen im Studierzimmer ein erſchreckliches Gekrache fallender Gegenſtände und dann ein Hülferuf nach Sebaſtian.","norm":"Sie konnte aber nicht lange ungestört überlegen, denn auf einmal ertönte drinnen im Studierzimmer ein erschreckliches Gekrache fallender Gegenstände und dann ein Hilferuf nach Sebastian."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1014,"orig":"Sie ſtürzte hinein.","norm":"Sie stürzte hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1015,"orig":"Da lag auf dem Boden Alles übereinander, die ſämmtlichen Studien-Hülfsmittel, Bücher, Hefte, Tintenfaß und obendarauf der Tiſchteppich, unter dem ein ſchwarzes Tintenbächlein hervorfloß, die ganze Stube entlang.","norm":"Da lag auf dem Boden alles übereinander, die sämtlichen Studien-Hilfsmittel, Bücher, Hefte, Tintenfass und obendrauf der Tischteppich, unter dem ein schwarzes Tintenbächlein hervorfloss, die ganze Stube entlang."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1016,"orig":"Heidi war verſchwunden.","norm":"Heidi war verschwunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1017,"orig":"„Da haben wir's!“ rief Fräulein Rottenmeier händeringend aus.","norm":"„Da haben wir es!“ rief Fräulein Rottenmeier händeringend aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1018,"orig":"„Teppich, Bücher, Arbeitskorb, Alles in der Tinte!","norm":"„Teppich, Bücher, Arbeitskorb, alles in der Tinte!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1019,"orig":"das iſt noch nie geſchehen!","norm":"das ist noch nie geschehen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1020,"orig":"das iſt das Unglücksweſen, da iſt kein Zweifel!“","norm":"das ist das Unglückswesen, da ist kein Zweifel!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1021,"orig":"Der Herr Candidat ſtand ſehr erſchrocken da und ſchaute auf die Verwüſtung, die für einmal nur Eine Seite hatte und eine recht beſtürzende.","norm":"Der Herr Kandidat stand sehr erschrocken da und schaute auf die Verwüstung, die für einmal nur eine Seite hatte und eine recht bestürzende."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1022,"orig":"Klara dagegen verfolgte mit vergnügtem Geſicht die ungewöhnlichen Ereigniſſe und deren Wirkungen und ſagte nun erklärend: „Ja, Heidi hat's gemacht, aber nicht mit Abſicht, es muß gewiß nicht geſtraft werden, es war nur ſo ſchrecklich eilig, fortzukommen und riß den Teppich mit und ſo fiel Alles hintereinander auf den Boden.","norm":"Klara dagegen verfolgte mit vergnügtem Gesicht die ungewöhnlichen Ereignisse und deren Wirkungen und sagte nun erklärend: „Ja, Heidi hat es gemacht, aber nicht mit Absicht, es muss gewiss nicht gestraft werden, es war nur so schrecklich eilig, fortzukommen und riss den Teppich mit und so fiel alles hintereinander auf den Boden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1023,"orig":"Es fuhren viele Wagen nacheinander vorbei, darum iſt es ſo fortgeſchoſſen; es hat vielleicht noch nie eine Kutſche geſehen.","norm":"Es fuhren viele Wagen nacheinander vorbei, darum ist es so fortgeschossen; es hat vielleicht noch nie eine Kutsche gesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1024,"orig":"“ Da, iſt's nicht, wie ich ſagte, Herr Candidat?","norm":"“ Da, ist es nicht, wie ich sagte, Herr Kandidat?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1025,"orig":"Nicht Einen Urbegriff hat das Weſen!","norm":"Nicht Einen Urbegriff hat das Wesen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1026,"orig":"Keine Ahnung davon, was eine Unterrichtsſtunde iſt, daß man dabei zuzuhören und ſtill zu ſitzen hat.","norm":"Keine Ahnung davon, was eine Unterrichtsstunde ist, dass man dabei zuzuhören und stillzusitzen hat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1027,"orig":"Aber wo iſt das Unheil bringende Ding hin?","norm":"Aber wo ist das unheilbringende Ding hin?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1028,"orig":"Wenn es fortgelaufen wäre!","norm":"Wenn es fortgelaufen wäre!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1029,"orig":"Was würde mir Herr Seſemann —“","norm":"Was würde mir Herr Sesemann —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1030,"orig":"Fräulein Rottenmeier lief hinaus und die Treppe hinunter.","norm":"Fräulein Rottenmeier lief hinaus und die Treppe hinunter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1031,"orig":"Hier, unter der geöffneten Hausthüre ſtand Heidi und guckte ganz verblüfft die Straße auf und ab.","norm":"Hier, unter der geöffneten Haustür stand Heidi und guckte ganz verblüfft die Straße auf und ab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1032,"orig":"„Was iſt denn?","norm":"„Was ist denn?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1033,"orig":"Was fällt dir denn ein?","norm":"Was fällt dir denn ein?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1034,"orig":"Wie kannſt du ſo davonlaufen?“ fuhr Fräulein Rottenmeier das Kind an.","norm":"Wie kannst du so davonlaufen?“ fuhr Fräulein Rottenmeier das Kind an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1035,"orig":"„Ich habe die Tannen rauſchen gehört, aber ich weiß nicht, wo ſie ſtehen, und höre ſie nicht mehr“, antwortete Heidi und ſchaute enttäuſcht nach der Seite hin, wo das Rollen der Wagen verhallt hatte, das in Heidi's Ohren dem Toſen des Föhns in den Tannen ähnlich geklungen hatte, ſo daß es in höchſter Freude dem Ton nachgerannt war.","norm":"„Ich habe die Tannen rauschen gehört, aber ich weiß nicht, wo sie stehen, und höre sie nicht mehr“, antwortete Heidi und schaute enttäuscht nach der Seite hin, wo das Rollen der Wagen verhallt hatte, das in Heidis Ohren dem Tosen des Föhns in den Tannen ähnlich geklungen hatte, so dass es in höchster Freude dem Ton nachgerannt war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1036,"orig":"„Tannen!","norm":"„Tannen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1037,"orig":"Sind wir im Wald?","norm":"Sind wir im Wald?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1038,"orig":"Was ſind das für Einfälle!","norm":"Was sind das für Einfälle!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1039,"orig":"Komm' herauf und ſieh', was du angerichtet haſt!“ Damit ſtieg Fräulein Rottenmeier wieder die Treppe hinan;","norm":"Komme herauf und sieh, was du angerichtet hast!“ Damit stieg Fräulein Rottenmeier wieder die Treppe hinan;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1040,"orig":"Heidi folgte ihr und ſtand nun ſehr verwundert vor der großen Verheerung, denn es hatte nicht bemerkt, was es Alles mitriß vor Freude und Eile, die Tannen zu hören.","norm":"Heidi folgte ihr und stand nun sehr verwundert vor der großen Verheerung, denn es hatte nicht bemerkt, was es alles mitriss vor Freude und Eile, die Tannen zu hören."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1041,"orig":"„Das haſt du Ein Mal gethan, ein zweites Mal thuſt du's nicht wieder“, ſagte Fräulein Rottenmeier auf den Boden zeigend; „zum Lernen ſitzt man ſtill auf ſeinem Seſſel und gibt Acht.","norm":"„Das hast du ein Mal getan, ein zweites Mal tust du es nicht wieder“, sagte Fräulein Rottenmeier auf den Boden zeigend; „zum Lernen sitzt man still auf seinem Sessel und gibt Acht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1042,"orig":"Kannſt du das nicht ſelbſt fertig bringen, ſo muß ich dich an deinen Stuhl feſtbinden.","norm":"Kannst du das nicht selbst fertig bringen, so muss ich dich an deinen Stuhl festbinden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1043,"orig":"Kannſt du das verſtehen?“","norm":"Kannst du das verstehen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1044,"orig":"„Ja“, entgegnete Heidi, „aber ich will ſchon feſtſitzen.","norm":"„Ja“, entgegnete Heidi, „aber ich will schon festsitzen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1045,"orig":"“ Denn jetzt hatte es begriffen, daß es eine Regel iſt, in einer Unterrichtsſtunde ſtill zu ſitzen.","norm":"“ Denn jetzt hatte es begriffen, dass es eine Regel ist, in einer Unterrichtsstunde stillzusitzen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1046,"orig":"Jetzt mußten Sebaſtian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wieder herzuſtellen.","norm":"Jetzt mussten Sebastian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wiederherzustellen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1047,"orig":"Der Herr Candidat entfernte ſich, denn der weitere Unterricht mußte nun aufgegeben werden.","norm":"Der Herr Kandidat entfernte sich, denn der weitere Unterricht musste nun aufgegeben werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1048,"orig":"Zum Gähnen war heute gar keine Zeit geweſen.","norm":"Zum Gähnen war heute gar keine Zeit gewesen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1049,"orig":"Am Nachmittag mußte Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann ſeine Beſchäftigung ſelbſt zu wählen; ſo hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt.","norm":"Am Nachmittag musste Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann seine Beschäftigung selbst zu wählen; so hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1050,"orig":"Als nun nach Tiſch Klara ſich in ihrem Seſſel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi ſah, daß nun die Zeit da war, da es ſeine Beſchäftigung ſelbſt wählen konnte.","norm":"Als nun nach Tisch Klara sich in ihrem Sessel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi sah, dass nun die Zeit da war, da es seine Beschäftigung selbst wählen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1051,"orig":"Das war dem Heidi ſehr erwünſcht, denn es hatte ſchon immer im Sinn, Etwas zu unternehmen; es mußte aber Hülfe dazu haben und ſtellte ſich darum vor das Eßzimmer mitten auf den Corridor, damit die Perſönlichkeit, die es zu berathen gedachte, ihm nicht entgehen könne.","norm":"Das war dem Heidi sehr erwünscht, denn es hatte schon immer im Sinn, Etwas zu unternehmen; es musste aber Hilfe dazu haben und stellte sich darum vor das Esszimmer mitten auf den Korridor, damit die Persönlichkeit, die es zu beraten gedachte, ihm nicht entgehen könne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1052,"orig":"Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebaſtian die Treppe herauf mit dem großen Theebrett auf den Armen, denn er brachte das Silberzeug aus der Küche herauf, um es im Schrank des Eßzimmers zu verwahren.","norm":"Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebastian die Treppe herauf mit dem großen Teebrett auf den Armen, denn er brachte das Silberzeug aus der Küche herauf, um es im Schrank des Esszimmers zu verwahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1053,"orig":"Als er auf der letzten Stufe der Treppe angekommen war, trat Heidi vor ihn hin und ſagte mit großer Deutlichkeit: „Sie oder Er!“","norm":"Als er auf der letzten Stufe der Treppe angekommen war, trat Heidi vor ihn hin und sagte mit großer Deutlichkeit: „Sie oder er!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1054,"orig":"Sebaſtian riß die Augen ſo weit auf, als es nur möglich war, und ſagte ziemlich barſch: „Was ſoll das heißen, Mamſell?“","norm":"Sebastian riss die Augen so weit auf, als es nur möglich war, und sagte ziemlich barsch: „Was soll das heißen, Mamsell?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1055,"orig":"„Ich möchte nur gern Etwas fragen, aber es iſt gewiß nichts Böſes wie heute Morgen“, fügte Heidi beſchwichtigend hinzu, denn es merkte, daß Sebaſtian ein wenig erbittert war, und dachte, es komme noch von der Tinte am Boden her.","norm":"„Ich möchte nur gern etwas fragen, aber es ist gewiss nichts Böses wie heute Morgen“, fügte Heidi beschwichtigend hinzu, denn es merkte, dass Sebastian ein wenig erbittert war, und dachte, es komme noch von der Tinte am Boden her."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1056,"orig":"„So, und warum muß es denn heißen Sie oder Er, das möcht' ich zuerſt wiſſen“, gab Sebaſtian im gleichen barſchen Ton zurück.","norm":"„So, und warum muss es denn heißen Sie oder er, das möchte ich zuerst wissen“, gab Sebastian im gleichen barschen Ton zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1057,"orig":"„Ja, ſo muß ich jetzt immer ſagen“, verſicherte Heidi, Fräulein Rottenmeier hat es befohlen.","norm":"„Ja, so muss ich jetzt immer sagen“, versicherte Heidi, Fräulein Rottenmeier hat es befohlen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1058,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1059,"orig":"Jetzt lachte Sebaſtian ſo laut auf, daß Heidi ihn ganz verwundert anſehen mußte, denn es hatte nichts Luſtiges bemerkt; aber Sebaſtian hatte auf einmal begriffen, was Fräulein Rottenmeier befohlen hatte, und ſagte nun ſehr erluſtigt: „Schon recht, ſo fahre die Mamſell nur zu.","norm":"Jetzt lachte Sebastian so laut auf, dass Heidi ihn ganz verwundert ansehen musste, denn es hatte nichts Lustiges bemerkt; aber Sebastian hatte auf einmal begriffen, was Fräulein Rottenmeier befohlen hatte, und sagte nun sehr erlustigt: „Schon recht, so fahre die Mamsell nur zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1060,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1061,"orig":"„Ich heiße gar nicht Mamſell“, ſagte nun Heidi ſeinerſeits ein wenig geärgert, „ich heiße Heidi.","norm":"„Ich heiße gar nicht Mamsell“, sagte nun Heidi seinerseits ein wenig geärgert, „ich heiße Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1062,"orig":"“ Iſt ſchon recht; die gleiche Dame hat aber befohlen, daß ich Mamſell ſage“, erklärte Sebaſtian.","norm":"“ Ist schon recht; die gleiche Dame hat aber befohlen, dass ich Mamsell sage“, erklärte Sebastian."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1063,"orig":"„Hat ſie?","norm":"„Hat sie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1064,"orig":"Ja, dann muß ich ſchon ſo heißen“, ſagte Heidi mit Ergebung, denn es hatte wohl gemerkt, daß Alles ſo geſchehen mußte, wie Fräulein Rottenmeier befahl.","norm":"Ja, dann muss ich schon so heißen“, sagte Heidi mit Ergebung, denn es hatte wohl gemerkt, dass alles so geschehen musste, wie Fräulein Rottenmeier befahl."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1065,"orig":"„Jetzt habe ich ſchon drei Namen“, ſetzte es mit einem Seufzer hinzu.","norm":"„Jetzt habe ich schon drei Namen“, setzte es mit einem Seufzer hinzu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1066,"orig":"„Was wollte die kleine Mamſell denn fragen?“ fragte Sebaſtian jetzt, indem er, in's Eßzimmer eingetreten, ſein Silberzeug im Schrank zurecht legte.","norm":"„Was wollte die kleine Mamsell denn fragen?“ fragte Sebastian jetzt, indem er, ins Esszimmer eingetreten, sein Silberzeug im Schrank zurechtlegte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1067,"orig":"„Wie kann man ein Fenſter aufmachen, Sebaſtian?“","norm":"„Wie kann man ein Fenster aufmachen, Sebastian?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1068,"orig":"„So, gerade ſo“, und er machte den großen Fenſterflügel auf.","norm":"„So, gerade so“, und er machte den großen Fensterflügel auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1069,"orig":"Heidi trat heran, aber es war zu klein, um Etwas ſehen zu können; es langte nur bis zum Geſims hinauf.","norm":"Heidi trat heran, aber es war zu klein, um etwas sehen zu können; es langte nur bis zum Gesims hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1070,"orig":"„Da, ſo kann das Mamſellchen einmal hinausgucken und ſehen, was unten iſt“, ſagte Sebaſtian, indem er einen hohen hölzernen Schemel herbeigeholt hatte und hinſtellte.","norm":"„Da, so kann das Mamsellchen einmal hinausgucken und sehen, was unten ist“, sagte Sebastian, indem er einen hohen hölzernen Schemel herbeigeholt hatte und hinstellte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1071,"orig":"Hoch erfreut ſtieg Heidi hinauf und konnte endlich den erſehnten Blick durch das Fenſter thun.","norm":"Hoch erfreut stieg Heidi hinauf und konnte endlich den ersehnten Blick durch das Fenster tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1072,"orig":"Aber mit dem Ausdruck der größten Enttäuſchung zog es ſogleich den Kopf wieder zurück.","norm":"Aber mit dem Ausdruck der größten Enttäuschung zog es sogleich den Kopf wieder zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1073,"orig":"„Man ſieht nur die ſteinerne Straße hier, ſonſt gar Nichts“, ſagte das Kind bedauerlich; „aber wenn man um das ganze Haus herum geht, was ſieht man dann auf der andern Seite, Sebaſtian?“ Gerade dasſelbe“, gab dieſer zur Antwort.","norm":"„Man sieht nur die steinerne Straße hier, sonst gar nichts“, sagte das Kind bedauerlich; „aber wenn man um das ganze Haus herumgeht, was sieht man dann auf der anderen Seite, Sebastian?“ Gerade dasselbe“, gab dieser zur Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1074,"orig":"„Aber wohin kann man denn gehen, daß man weit, weit hinunter ſehen kann über das ganze Thal hinab?“","norm":"„Aber wohin kann man denn gehen, dass man weit, weit hinuntersehen kann über das ganze Tal hinab?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1075,"orig":"„Da muß man auf einen hohen Thurm hinaufſteigen, einen Kirchthurm, ſo einen, wie der dort iſt mit der goldnen Kugel oben drauf.","norm":"„Da muss man auf einen hohen Turm hinaufsteigen, einen Kirchturm, so einen, wie der dort ist mit der goldenen Kugel obendrauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1076,"orig":"Da guckt man von oben herunter und ſieht weit über Alles weg.","norm":"Da guckt man von oben herunter und sieht weit über alles weg."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1077,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1078,"orig":"Jetzt ſtieg Heidi eilig von ſeinem Schemel herunter, rannte zur Thüre hinaus, die Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus.","norm":"Jetzt stieg Heidi eilig von seinem Schemel herunter, rannte zur Türe hinaus, die Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1079,"orig":"Aber die Sache ging nicht, wie Heidi ſich vorgeſtellt hatte.","norm":"Aber die Sache ging nicht, wie Heidi sich vorgestellt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1080,"orig":"Als es aus dem Fenſter den Thurm geſehen hatte, kam es ihm vor, es könne nur über die Straße gehen, ſo müßte er gleich vor ihm ſtehen.","norm":"Als es aus dem Fenster den Turm gesehen hatte, kam es ihm vor, es könne nur über die Straße gehen, so müsste er gleich vor ihm stehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1081,"orig":"Nun ging Heidi die ganze Straße hinunter, aber es kam nicht an den Thurm, konnte ihn auch nirgends mehr entdecken und kam nun in eine andere Straße hinein und weiter und weiter, aber immer noch ſah es den Thurm nicht.","norm":"Nun ging Heidi die ganze Straße hinunter, aber es kam nicht an den Turm, konnte ihn auch nirgends mehr entdecken und kam nun in eine andere Straße hinein und weiter und weiter, aber immer noch sah es den Turm nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1082,"orig":"Es gingen viele Leute an ihm vorbei, aber die waren Alle ſo eilig, daß Heidi dachte, ſie haben nicht Zeit, ihm Beſcheid zu geben.","norm":"Es gingen viele Leute an ihm vorbei, aber die waren alle so eilig, dass Heidi dachte, sie haben nicht Zeit, ihm Bescheid zu geben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1083,"orig":"Jetzt ſah es an der nächſten Straßenecke einen Jungen ſtehen, der eine kleine Drehorgel auf dem Rücken und ein ganz curioſes Thier auf dem Arme trug.","norm":"Jetzt sah es an der nächsten Straßenecke einen Jungen stehen, der eine kleine Drehorgel auf dem Rücken und ein ganz kurioses Tier auf dem Arme trug."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1084,"orig":"Heidi lief zu ihm hin und fragte: „Wo iſt der Thurm mit der goldnen Kugel zu oberſt?“","norm":"Heidi lief zu ihm hin und fragte: „Wo ist der Turm mit der goldenen Kugel zuoberst?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1085,"orig":"„Weiß nicht“, war die Antwort.","norm":"„Weiß nicht“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1086,"orig":"„Wen kann ich denn fragen, wo er ſei?“ fragte Heidi weiter.","norm":"„Wen kann ich denn fragen, wo er sei?“ fragte Heidi weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1087,"orig":"Weiß nicht.","norm":"Weiß nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1088,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1089,"orig":"„Weißt du keine andere Kirche mit einem hohen Thurm?“","norm":"„Weißt du keine andere Kirche mit einem hohen Turm?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1090,"orig":"„Freilich weiß ich eine.","norm":"„Freilich weiß ich eine."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1091,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1092,"orig":"„So komm' und zeige mir ſie.","norm":"„So komme und zeige mir sie."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1093,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1094,"orig":"„Zeig' du zuerſt, was du mir dafür gibſt.","norm":"„Zeige du zuerst, was du mir dafür gibst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1095,"orig":"“ Der Junge hielt ſeine Hand hin.","norm":"“ Der Junge hielt seine Hand hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1096,"orig":"Heidi ſuchte in ſeiner Taſche herum.","norm":"Heidi suchte in seiner Tasche herum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1097,"orig":"Jetzt zog es ein Bildchen hervor, darauf ein ſchönes Kränzchen von rothen Roſen gemalt war; erſt ſah es noch eine kleine Weile darauf hin, denn es reute Heidi ein wenig.","norm":"Jetzt zog es ein Bildchen hervor, darauf ein schönes Kränzchen von roten Rosen gemalt war; erst sah es noch eine kleine Weile darauf hin, denn es reute Heidi ein wenig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1098,"orig":"Erſt heute Morgen hatte Klara es ihm geſchenkt, aber hinunterſehen in's Thal, über die grünen Abhänge!","norm":"Erst heute Morgen hatte Klara es ihm geschenkt, aber hinuntersehen ins Tal, über die grünen Abhänge!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1099,"orig":"„Da“, ſagte Heidi und hielt das Bildchen hin, „willſt du das?“","norm":"„Da“, sagte Heidi und hielt das Bildchen hin, „willst du das?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1100,"orig":"Der Junge zog die Hand zurück und ſchüttelte den Kopf.","norm":"Der Junge zog die Hand zurück und schüttelte den Kopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1101,"orig":"„Was willſt du denn?“ fragte Heidi und ſteckte vergnügt ſein Bildchen wieder ein.","norm":"„Was willst du denn?“ fragte Heidi und steckte vergnügt sein Bildchen wieder ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1102,"orig":"„Geld.","norm":"„Geld."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1103,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1104,"orig":"„Ich habe keins, aber Klara hat, ſie gibt mir dann ſchon, wie viel willſt du?“","norm":"„Ich habe keins, aber Klara hat, sie gibt mir dann schon, wie viel willst du?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1105,"orig":"„Zwanzig Pfennige.","norm":"„Zwanzig Pfennige."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1106,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1107,"orig":"„So komm jetzt.","norm":"„So komme jetzt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1108,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1109,"orig":"Nun wanderten die Beiden eine lange Straße hin, und auf dem Wege fragte Heidi den Begleiter, was er auf dem Rücken trage und er erklärte ihm, es ſei eine ſchöne Orgel unter dem Tuch, die mache eine prachtvolle Muſik, wenn er daran drehe.","norm":"Nun wanderten die Beiden eine lange Straße hin, und auf dem Wege fragte Heidi den Begleiter, was er auf dem Rücken trage und er erklärte ihm, es sei eine schöne Orgel unter dem Tuch, die mache eine prachtvolle Musik, wenn er daran drehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1110,"orig":"Auf einmal ſtanden ſie vor einer alten Kirche mit hohem Thurm; der Junge ſtand ſtill und ſagte: „Da!“","norm":"Auf einmal standen sie vor einer alten Kirche mit hohem Turm; der Junge stand still und sagte: „Da!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1111,"orig":"„Aber wie komm' ich da hinein?“ fragte Heidi, als es die feſtverſchloſſenen Thüren ſah.","norm":"„Aber wie komme ich da hinein?“ fragte Heidi, als es die festverschlossenen Türen sah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1112,"orig":"„Weiß nicht“, war wieder die Antwort.","norm":"„Weiß nicht“, war wieder die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1113,"orig":"„Glaubſt du, man könne hier klingeln, ſo wie man dem Sebaſtian thut?“","norm":"„Glaubst du, man könne hier klingeln, so wie man dem Sebastian tut?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1114,"orig":"„Weiß nicht.","norm":"„Weiß nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1115,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1116,"orig":"Heidi hatte eine Klingel entdeckt an der Mauer und zog jetzt aus allen Kräften daran.","norm":"Heidi hatte eine Klingel entdeckt an der Mauer und zog jetzt aus allen Kräften daran."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1117,"orig":"„Wenn ich dann hinaufgehe, ſo mußt du warten hier unten, ich weiß jetzt den Weg nicht mehr zurück, du mußt mir ihn dann zeigen.","norm":"„Wenn ich dann hinaufgehe, so musst du warten hier unten, ich weiß jetzt den Weg nicht mehr zurück, du musst mir ihn dann zeigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1118,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1119,"orig":"„Was gibſt du mir dann?“","norm":"„Was gibst du mir dann?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1120,"orig":"„Was muß ich dir dann wieder geben?“","norm":"„Was muss ich dir dann wieder geben?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1121,"orig":"„Wieder zwanzig Pfennige.","norm":"„Wieder zwanzig Pfennige."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1122,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1123,"orig":"Jetzt wurde das alte Schloß inwendig umgedreht und die knarrende Thüre geöffnet; ein alter Mann trat heraus und ſchaute erſt verwundert, dann ziemlich erzürnt auf die Kinder und fuhr ſie an: „Was unterſteht ihr euch, mich da herunterzuklingeln?","norm":"Jetzt wurde das alte Schloss inwendig umgedreht und die knarrende Türe geöffnet; ein alter Mann trat heraus und schaute erst verwundert, dann ziemlich erzürnt auf die Kinder und fuhr sie an: „Was untersteht ihr euch, mich da herunterzuklingeln?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1124,"orig":"Könnt ihr nicht leſen, was über der Klingel ſteht:, Für Solche, die den Thurm beſteigen wollen?‘ “","norm":"Könnt ihr nicht lesen, was über der Klingel steht:, Für Solche, die den Turm besteigen wollen?‘ “"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1125,"orig":"Der Junge wies mit dem Zeigefinger auf Heidi und ſagte kein Wort.","norm":"Der Junge wies mit dem Zeigefinger auf Heidi und sagte kein Wort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1126,"orig":"Heidi antwortete: „Eben auf den Thurm wollte ich.","norm":"Heidi antwortete: „Eben auf den Turm wollte ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1127,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1128,"orig":"„Was haſt du droben zu thun?“ fragte der Thürmer; hat dich Jemand geſchickt?“","norm":"„Was hast du droben zu tun?“ fragte der Türmer; hat dich Jemand geschickt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1129,"orig":"„Nein“, entgegnete Heidi, „ich möchte nur hinaufgehen, daß ich hinunterſehen kann.","norm":"„Nein“, entgegnete Heidi, „ich möchte nur hinaufgehen, dass ich hinuntersehen kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1130,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1131,"orig":"„Macht, daß ihr heimkommt und probirt den Spaß nicht wieder, oder ihr kommt nicht gut weg zum zweiten Mal!“ Damit kehrte ſich der Thürmer um und wollte die Thüre zumachen.","norm":"„Macht, dass ihr heimkommt und probiert den Spaß nicht wieder, oder ihr kommt nicht gut weg zum zweiten Mal!“ Damit kehrte sich der Türmer um und wollte die Türe zumachen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1132,"orig":"Aber Heidi hielt ihn ein wenig am Rockſchooß und ſagte bittend: „Nur ein einziges Mal!“","norm":"Aber Heidi hielt ihn ein wenig am Rockschoß und sagte bittend: „Nur ein einziges Mal!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1133,"orig":"Er ſah ſich um und Heidi's Augen ſchauten ſo flehentlich zu ihm auf, daß es ihn ganz umſtimmte; er nahm das Kind bei der Hand und ſagte freundlich: „Wenn dir ſo viel daran gelegen iſt, ſo komm' mit mir!“","norm":"Er sah sich um und Heidis Augen schauten so flehentlich zu ihm auf, dass es ihn ganz umstimmte; er nahm das Kind bei der Hand und sagte freundlich: „Wenn dir so viel daran gelegen ist, so komme mit mir!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1134,"orig":"Der Junge ſetzte ſich auf die ſteinernen Stufen vor der Thüre nieder und zeigte, daß er nicht mit wollte.","norm":"Der Junge setzte sich auf die steinernen Stufen vor der Türe nieder und zeigte, dass er nicht mit wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1135,"orig":"Heidi ſtieg an der Hand des Thürmers viele, viele Treppen hinauf; dann wurden dieſe immer ſchmaler, und endlich ging es noch ein ganz enges Treppchen hinauf, und nun waren ſie oben.","norm":"Heidi stieg an der Hand des Türmers viele, viele Treppen hinauf; dann wurden diese immer schmaler, und endlich ging es noch ein ganz enges Treppchen hinauf, und nun waren sie oben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1136,"orig":"Der Thürmer hob Heidi vom Boden auf und hielt es an das offene Fenſter.","norm":"Der Türmer hob Heidi vom Boden auf und hielt es an das offene Fenster."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1137,"orig":"„Da, jetzt guck hinunter“, ſagte er.","norm":"„Da, jetzt guck hinunter“, sagte er."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1138,"orig":"Heidi ſah auf ein Meer von Dächern, Thürmen und Schornſteinen nieder; es zog bald ſeinen Kopf zurück und ſagte niedergeſchlagen: „Es iſt gar nicht, wie ich gemeint habe.","norm":"Heidi sah auf ein Meer von Dächern, Türmen und Schornsteinen nieder; es zog bald seinen Kopf zurück und sagte niedergeschlagen: „Es ist gar nicht, wie ich gemeint habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1139,"orig":"“ Siehſt du wohl?","norm":"“ Siehst du wohl?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1140,"orig":"Was verſteht ſo ein Kleines von Ausſicht!","norm":"Was versteht so ein Kleines von Aussicht!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1141,"orig":"So, komm' nun wieder herunter und läute nie mehr an einem Thurm!“","norm":"So, komme nun wieder herunter und läute nie mehr an einem Turm!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1142,"orig":"Der Thürmer ſtellte Heidi wieder auf den Boden und ſtieg ihm voran die ſchmalen Treppchen hinab.","norm":"Der Türmer stellte Heidi wieder auf den Boden und stieg ihm voran die schmalen Treppchen hinab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1143,"orig":"Wo dieſe breiter wurden, kam links die Thüre, die in des Thürmers Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter das ſchräge Dach hin.","norm":"Wo diese breiter wurden, kam links die Türe, die in des Türmers Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter das schräge Dach hin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1144,"orig":"Dort hinten ſtand ein großer Korb und davor ſaß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in dem Korb wohnte ihre Familie und ſie wollte jeden Vorübergehenden davor warnen, ſich in ihre Familienangelegenheiten zu miſchen.","norm":"Dort hinten stand ein großer Korb und davor saß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in dem Korb wohnte ihre Familie und sie wollte jeden Vorübergehenden davor warnen, sich in ihre Familienangelegenheiten zu mischen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1145,"orig":"Heidi ſtand ſtill und ſchaute verwundert hinüber, eine ſo mächtige Katze hatte es noch nie geſehen; in dem alten Thurm wohnten aber ganze Heerden von Mäuſen, ſo holte ſich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein halbes Dutzend Mäuſebraten.","norm":"Heidi stand still und schaute verwundert hinüber, eine so mächtige Katze hatte es noch nie gesehen; in dem alten Turm wohnten aber ganze Herden von Mäusen, so holte sich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein halbes Dutzend Mäusebraten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1146,"orig":"Der Thürmer ſah Heidi's Bewunderung und ſagte: „Komm', ſie thut dir Nichts, wenn ich dabei bin; du kannſt die Jungen anſehen.","norm":"Der Türmer sah Heidis Bewunderung und sagte: „Komme, sie tut dir Nichts, wenn ich dabei bin; du kannst die Jungen ansehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1147,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1148,"orig":"Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes Entzücken aus.","norm":"Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes Entzücken aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1149,"orig":"„O, die netten Thierlein!","norm":"„O, die netten Tierlein!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1150,"orig":"die ſchönen Kätzchen!“ rief es ein Mal um's andere und ſprang hin und her um den Korb herum, um auch recht alle komiſchen Geberden und Sprünge zu ſehen, welche die ſieben oder acht jungen Kätzchen vollführten, die in dem Korb raſtlos übereinanderhin krabbelten, ſprangen, fielen.","norm":"die schönen Kätzchen!“ rief es ein Mal um das andere und sprang hin und her um den Korb herum, um auch recht alle komischen Gebärden und Sprünge zu sehen, welche die sieben oder acht jungen Kätzchen vollführten, die in dem Korb rastlos übereinander hin krabbelten, sprangen, fielen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1151,"orig":"Willſt du eins haben?“ fragte der Thürmer, der Heidi's Freudenſprüngen vergnügt zuſchaute.","norm":"Willst du eins haben?“ fragte der Türmer, der Heidis Freudensprüngen vergnügt zuschaute."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1152,"orig":"„Selbſt für mich?","norm":"„Selbst für mich?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1153,"orig":"für immer?“ fragte Heidi geſpannt und konnte das große Glück faſt nicht glauben.","norm":"für immer?“ fragte Heidi gespannt und konnte das große Glück fast nicht glauben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1154,"orig":"„Ja, gewiß, du kannſt auch noch mehr haben, du kannſt ſie alle zuſammen haben, wenn du Platz haſt“, ſagte der Mann, dem es gerade recht war, ſeine kleinen Katzen los zu werden, ohne daß er ihnen ein Leid anthun mußte.","norm":"„Ja, gewiss, du kannst auch noch mehr haben, du kannst sie alle zusammen haben, wenn du Platz hast“, sagte der Mann, dem es gerade recht war, seine kleinen Katzen loszuwerden, ohne dass er ihnen ein Leid antun musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1155,"orig":"Heidi war im höchſten Glück.","norm":"Heidi war im höchsten Glück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1156,"orig":"In dem großen Hauſe hatten ja die Kätzchen ſo viel Platz, und wie mußte Klara erſtaunt und erfreut ſein, wenn die niedlichen Thierchen ankamen!","norm":"In dem großen Hause hatten ja die Kätzchen so viel Platz, und wie musste Klara erstaunt und erfreut sein, wenn die niedlichen Tierchen ankamen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1157,"orig":"„Aber wie kann ich ſie mitnehmen?“ fragte nun Heidi und wollte ſchnell einige fangen mit ſeinen Händen, aber die dicke Katze ſprang ihm auf den Arm und fauchte es ſo grimmig an, daß es ſehr erſchrocken zurückfuhr.","norm":"„Aber wie kann ich sie mitnehmen?“ fragte nun Heidi und wollte schnell einige fangen mit seinen Händen, aber die dicke Katze sprang ihm auf den Arm und fauchte es so grimmig an, dass es sehr erschrocken zurückfuhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1158,"orig":"„Ich will ſie dir bringen, ſag' nur wohin“, ſagte der Thürmer, der die alte Katze nun ſtreichelte, um ſie wieder gut zu machen, denn ſie war ſeine Freundin und hatte ſchon viele Jahre mit ihm auf dem Thurm gelebt.","norm":"„Ich will sie dir bringen, sage nur wohin“, sagte der Türmer, der die alte Katze nun streichelte, um sie wiedergutzumachen, denn sie war seine Freundin und hatte schon viele Jahre mit ihm auf dem Turm gelebt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1159,"orig":"„Zum Herrn Seſemann in dem großen Haus, wo an der Hausthüre ein goldener Hundskopf iſt mit einem dicken Ring im Maul“, erklärte Heidi.","norm":"„Zum Herrn Sesemann in dem großen Haus, wo an der Haustür ein goldener Hundskopf ist mit einem dicken Ring im Maul“, erklärte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1160,"orig":"Es hätte nicht einmal ſo viel gebraucht für den Thürmer, der ſchon ſeit langen Jahren auf dem Thurm ſaß und jedes Haus weithin kannte, und dazu war der Sebaſtian noch ein alter Bekannter von ihm.","norm":"Es hätte nicht einmal so viel gebraucht für den Türmer, der schon seit langen Jahren auf dem Turm saß und jedes Haus weithin kannte, und dazu war der Sebastian noch ein alter Bekannter von ihm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1161,"orig":"Ich weiß ſchon“, bemerkte er; „aber wem muß ich die Dinger bringen, wem muß ich nachfragen, du gehörſt doch nicht Herrn Seſemann?“","norm":"Ich weiß schon“, bemerkte er; „aber wem muss ich die Dinger bringen, wem muss ich nachfragen, du gehörst doch nicht Herrn Sesemann?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1162,"orig":"„Nein, aber die Klara, ſie hat eine ſo große Freude, wenn die Kätzchen kommen!“","norm":"„Nein, aber die Klara, sie hat eine so große Freude, wenn die Kätzchen kommen!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1163,"orig":"Der Thürmer wollte nun weiter gehen, aber Heidi konnte ſich von dem unterhaltenden Schauſpiel faſt nicht trennen.","norm":"Der Türmer wollte nun weitergehen, aber Heidi konnte sich von dem unterhaltenden Schauspiel fast nicht trennen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1164,"orig":"„Wenn ich nur ſchon eins oder zwei mitnehmen könnte!","norm":"„Wenn ich nur schon eins oder zwei mitnehmen könnte!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1165,"orig":"Eins für mich und eins für Klara, kann ich nicht?“","norm":"Eins für mich und eins für Klara, kann ich nicht?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1166,"orig":"„So wart' ein wenig“, ſagte der Thürmer, trug dann die alte Katze behutſam in ſein Stübchen hinein und ſtellte ſie an das Eßſchüſſelchen hin, ſchloß die Thüre vor ihr zu und kam zurück: „So, nun nimm zwei!“","norm":"„So wart ein wenig“, sagte der Türmer, trug dann die alte Katze behutsam in sein Stübchen hinein und stellte sie an das Essschüsselchen hin, schloss die Türe vor ihr zu und kam zurück: „So, nun nimm zwei!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1167,"orig":"Heidi's Augen leuchteten vor Wonne.","norm":"Heidis Augen leuchteten vor Wonne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1168,"orig":"Er las ein weißes und dann ein gelb- und weißgeſtreiftes aus und ſteckte eins in die rechte und eins in die linke Taſche.","norm":"Er las ein weißes und dann ein gelb- und weiß gestreiftes aus und steckte eins in die rechte und eins in die linke Tasche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1169,"orig":"Nun ging's die Treppe hinunter.","norm":"Nun ging es die Treppe hinunter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1170,"orig":"Der Junge ſaß noch auf den Stufen draußen, und als nun der Thürmer hinter Heidi die Thüre zugeſchloſſen hatte, ſagte das Kind: „Welchen Weg müſſen wir nun zu Herrn Seſemann's Haus?“","norm":"Der Junge saß noch auf den Stufen draußen, und als nun der Türmer hinter Heidi die Türe zugeschlossen hatte, sagte das Kind: „Welchen Weg müssen wir nun zu Herrn Sesemanns Haus?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1171,"orig":"„Weiß nicht“, war die Antwort.","norm":"„Weiß nicht“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1172,"orig":"Heidi fing nun an zu beſchreiben, was es wußte, die Hausthür und die Fenſter und die Treppen, aber der Junge ſchüttelte zu Allem den Kopf, es war ihm Alles unbekannt.","norm":"Heidi fing nun an zu beschreiben, was es wusste, die Haustür und die Fenster und die Treppen, aber der Junge schüttelte zu allem den Kopf, es war ihm alles unbekannt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1173,"orig":"Siehſt du“, fuhr dann Heidi im Beſchreiben fort, aus einem Fenſter ſieht man ein großes, großes, graues Haus und das Dach geht ſo“ — Heidi zeichnete hier mit dem Zeigefinger große Zacken in die Luft hinaus.","norm":"Siehst du“, fuhr dann Heidi im Beschreiben fort, aus einem Fenster sieht man ein großes, großes, graues Haus und das Dach geht so“ — Heidi zeichnete hier mit dem Zeigefinger große Zacken in die Luft hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1174,"orig":"Jetzt ſprang der Junge auf, er mochte ähnliche Merkmale haben, ſeine Wege zu finden.","norm":"Jetzt sprang der Junge auf, er mochte ähnliche Merkmale haben, seine Wege zu finden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1175,"orig":"Er lief nun in Einem Zug drauf los und Heidi hinter ihm drein, und in kurzer Zeit ſtanden ſie richtig vor der Hausthüre mit dem großen Meſſingthierkopf.","norm":"Er lief nun in einem Zug drauflos und Heidi hinter ihm drein, und in kurzer Zeit standen sie richtig vor der Haustür mit dem großen Messing-Tierkopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1176,"orig":"Heidi zog die Glocke.","norm":"Heidi zog die Glocke."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1177,"orig":"Bald erſchien Sebaſtian, und wie er Heidi erblickte, rief er drängend: „Schnell!","norm":"Bald erschien Sebastian, und wie er Heidi erblickte, rief er drängend: „Schnell!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1178,"orig":"Schnell!“","norm":"Schnell!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1179,"orig":"Heidi ſprang eilig herein, und Sebaſtian ſchlug die Thüre zu; den Jungen, der verblüfft draußen ſtand, hatte er gar nicht bemerkt.","norm":"Heidi sprang eilig herein, und Sebastian schlug die Türe zu; den Jungen, der verblüfft draußen stand, hatte er gar nicht bemerkt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1180,"orig":"„Schnell, Mamſellchen“, drängte Sebaſtian weiter, gleich in's Eßzimmer hinein, ſie ſitzen ſchon am Tiſch, Fräulein Rottenmeier ſieht aus wie eine geladene Kanone; was ſtellt aber auch die kleine Mamſell an, ſo fortzulaufen?“","norm":"„Schnell, Mamsellchen“, drängte Sebastian weiter, gleich ins Esszimmer hinein, sie sitzen schon am Tisch, Fräulein Rottenmeier sieht aus wie eine geladene Kanone; was stellt aber auch die kleine Mamsell an, so fortzulaufen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1181,"orig":"Heidi war in's Zimmer getreten.","norm":"Heidi war ins Zimmer getreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1182,"orig":"Fräulein Rottenmeier blickte nicht auf;","norm":"Fräulein Rottenmeier blickte nicht auf;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1183,"orig":"Klara ſagte auch Nichts, es war eine etwas unheimliche Stille.","norm":"Klara sagte auch nichts, es war eine etwas unheimliche Stille."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1184,"orig":"Sebaſtian rückte Heidi den Seſſel zurecht.","norm":"Sebastian rückte Heidi den Sessel zurecht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1185,"orig":"Jetzt, wie es auf ſeinem Stuhl ſaß, begann Fräulein Rottenmeier mit ſtrengem Geſicht und einem ganz feierlich-ernſten Ton: „Adelheid, ich werde nachher mit dir ſprechen, jetzt nur ſo viel: du haſt dich ſehr ungezogen, wirklich ſtrafbar benommen, daß du das Haus verläſſeſt, ohne zu fragen, ohne daß Jemand ein Wort davon wußte und herumſtreichſt bis zum ſpäten Abend, es iſt eine völlig beiſpielloſe Aufführung.","norm":"Jetzt, wie es auf seinem Stuhl saß, begann Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht und einem ganz feierlich-ernsten Ton: „Adelheid, ich werde nachher mit dir sprechen, jetzt nur so viel: Du hast dich sehr ungezogen, wirklich strafbar benommen, dass du das Haus verlässt, ohne zu fragen, ohne dass jemand ein Wort davon wusste und herumstreichst bis zum späten Abend, es ist eine völlig beispiellose Aufführung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1186,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1187,"orig":"„Miau“, tönte es wie als Antwort zurück.","norm":"„Miau“, tönte es wie als Antwort zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1188,"orig":"Aber jetzt ſtieg der Zorn der Dame: „Wie, Adelheid“, rief ſie in immer höheren Tönen, „du unterſtehſt dich noch, nach aller Ungezogenheit einen ſchlechten Spaß zu machen?","norm":"Aber jetzt stieg der Zorn der Dame: „Wie, Adelheid“, rief sie in immer höheren Tönen, „du unterstehst dich noch, nach aller Ungezogenheit einen schlechten Spaß zu machen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1189,"orig":"Hüte dich wohl, ſag' ich dir!“","norm":"Hüte dich wohl, sage ich dir!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1190,"orig":"„Ich mache“, fing Heidi an — „Miau!","norm":"„Ich mache“, fing Heidi an — „Miau!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1191,"orig":"Miau!“","norm":"Miau!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1192,"orig":"Sebaſtian warf faſt ſeine Schüſſel auf den Tiſch und ſtürzte hinaus.","norm":"Sebastian warf fast seine Schüssel auf den Tisch und stürzte hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1193,"orig":"„Es iſt genug“, wollte Fräulein Rottenmeier rufen; aber vor Aufregung tönte ihre Stimme gar nicht mehr.","norm":"„Es ist genug“, wollte Fräulein Rottenmeier rufen; aber vor Aufregung tönte ihre Stimme gar nicht mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1194,"orig":"„Steh' auf und verlaß das Zimmer.","norm":"„Stehe auf und verlass das Zimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1195,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1196,"orig":"Heidi ſtand erſchrocken von ſeinem Seſſel auf und wollte noch einmal erklären: „Ich mache gewiß“ — „Miau!","norm":"Heidi stand erschrocken von seinem Sessel auf und wollte noch einmal erklären: „Ich mache gewiss“ — „Miau!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1197,"orig":"Miau!","norm":"Miau!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1198,"orig":"Miau!“","norm":"Miau!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1199,"orig":"„Aber Heidi“, ſagte jetzt Klara, „wenn du doch ſiehſt, daß du Fräulein Rottenmeier ſo böſe machſt; warum machſt du immer wieder miau?“","norm":"„Aber Heidi“, sagte jetzt Klara, „wenn du doch siehst, dass du Fräulein Rottenmeier so böse machst; warum machst du immer wieder miau?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1200,"orig":"„Ich mache nicht, die Kätzlein machen“, konnte Heidi endlich ungeſtört hervorbringen.","norm":"„Ich mache nicht, die Kätzlein machen“, konnte Heidi endlich ungestört hervorbringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1201,"orig":"„Wie?","norm":"„Wie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1202,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1203,"orig":"Katzen?","norm":"Katzen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1204,"orig":"junge Katzen?“ ſchrie Fräulein Rottenmeier auf.","norm":"junge Katzen?“ schrie Fräulein Rottenmeier auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1205,"orig":"„Sebaſtian!","norm":"„Sebastian!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1206,"orig":"Tinette!","norm":"Tinette!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1207,"orig":"Sucht die greulichen Thiere!","norm":"Sucht die gräulichen Tiere!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1208,"orig":"ſchafft ſie fort!“ damit ſtürzte die Dame in's Studierzimmer hinein und riegelte die Thüren zu, um ſicherer zu ſein, denn junge Katzen waren für Fräulein Rottenmeier das Schrecklichſte in der Schöpfung.","norm":"schafft sie fort!“ Damit stürzte die Dame ins Studierzimmer hinein und riegelte die Türen zu, um sicherer zu sein, denn junge Katzen waren für Fräulein Rottenmeier das Schrecklichste in der Schöpfung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1209,"orig":"Sebaſtian ſtand draußen vor der Thür und mußte erſt fertig lachen, eh' er wieder eintreten konnte.","norm":"Sebastian stand draußen vor der Tür und musste erst fertig lachen, ehe er wieder eintreten konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1210,"orig":"Er hatte, als er Heidi bediente, einen kleinen Katzenkopf aus deſſen Taſche herausgucken geſehen und ſah dem Spektakel entgegen, und wie er nun ausbrach, konnte er ſich nicht mehr halten, kaum noch ſeine Schüſſel auf den Tiſch ſetzen.","norm":"Er hatte, als er Heidi bediente, einen kleinen Katzenkopf aus dessen Tasche herausgucken gesehen und sah dem Spektakel entgegen, und wie er nun ausbrach, konnte er sich nicht mehr halten, kaum noch seine Schüssel auf den Tisch setzen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1211,"orig":"Endlich trat er denn wieder gefaßt in's Zimmer herein, nachdem die Hülferufe der geängſteten Dame ſchon längere Zeit verklungen waren.","norm":"Endlich trat er denn wieder gefasst ins Zimmer herein, nachdem die Hilferufe der geängsteten Dame schon längere Zeit verklungen waren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1212,"orig":"Jetzt ſah es ganz ſtill und friedlich aus drinnen;","norm":"Jetzt sah es ganz still und friedlich aus drinnen;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1213,"orig":"Klara hielt die Kätzchen auf ihrem Schooß, Heidi kniete neben ihr und Beide ſpielten mit großer Wonne mit den zwei winzigen, graziöſen Thierchen.","norm":"Klara hielt die Kätzchen auf ihrem Schoß, Heidi kniete neben ihr und beide spielten mit großer Wonne mit den zwei winzigen, graziösen Tierchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1214,"orig":"„Sebaſtian“, ſagte Klara zu dem Eintretenden, „Sie müſſen uns helfen;","norm":"„Sebastian“, sagte Klara zu dem Eintretenden, „Sie müssen uns helfen;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1215,"orig":"Sie müſſen ein Neſt finden für die Kätzchen, wo Fräulein Rottenmeier ſie nicht ſieht, denn ſie fürchtet ſich vor ihnen und will ſie fort haben; aber wir wollen die niedlichen Thierchen behalten und ſie immer hervorholen, ſobald wir allein ſind.","norm":"Sie müssen ein Nest finden für die Kätzchen, wo Fräulein Rottenmeier sie nicht sieht, denn sie fürchtet sich vor ihnen und will sie fort haben; aber wir wollen die niedlichen Tierchen behalten und sie immer hervorholen, sobald wir allein sind."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1216,"orig":"Wo kann man ſie hinthun?“","norm":"Wo kann man sie hintun?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1217,"orig":"„Das will ich ſchon beſorgen, Fräulein Klara“, entgegnete Sebaſtian bereitwillig; „ich mache ein ſchönes Bettchen in einem Korb und ſtelle den an einen Ort, wo mir die furchtſame Dame nicht dahinterkommt, verlaſſen Sie ſich auf mich.","norm":"„Das will ich schon besorgen, Fräulein Klara“, entgegnete Sebastian bereitwillig; „ich mache ein schönes Bettchen in einem Korb und stelle den an einen Ort, wo mir die furchtsame Dame nicht dahinterkommt, verlassen Sie sich auf mich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1218,"orig":"“ Sebaſtian ging gleich an die Arbeit und kicherte beſtändig vor ſich hin, denn er dachte: „Das wird noch was abſetzen!“ und der Sebaſtian ſah es nicht ungern, wenn Fräulein Rottenmeier ein wenig in Aufregung gerieth.","norm":"“ Sebastian ging gleich an die Arbeit und kicherte beständig vor sich hin, denn er dachte: „Das wird noch was absetzen!“ und der Sebastian sah es nicht ungern, wenn Fräulein Rottenmeier ein wenig in Aufregung geriet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1219,"orig":"Nach längerer Zeit erſt, als der Augenblick des Schlafengehens nahte, machte Fräulein Rottenmeier ein ganz klein wenig die Thüre auf und rief durch das Spältchen heraus: „Sind die abſcheulichen Thiere fortgeſchafft?“","norm":"Nach längerer Zeit erst, als der Augenblick des Schlafengehens nahte, machte Fräulein Rottenmeier ein ganz klein wenig die Türe auf und rief durch das Spältchen heraus: „Sind die abscheulichen Tiere fortgeschafft?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1220,"orig":"„Ja wohl!","norm":"„Ja wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1221,"orig":"Ja wohl!“ gab Sebaſtian zurück, der ſich im Zimmer zu ſchaffen gemacht hatte in Erwartung dieſer Frage.","norm":"Ja wohl!“ gab Sebastian zurück, der sich im Zimmer zu schaffen gemacht hatte in Erwartung dieser Frage."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1222,"orig":"Schnell und leiſe faßte er die beiden Kätzchen auf Klara's Schooß und verſchwand damit.","norm":"Schnell und leise fasste er die beiden Kätzchen auf Klaras Schoß und verschwand damit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1223,"orig":"Die beſondere Strafrede, die Fräulein Rottenmeier Heidi noch zu halten gedachte, verſchob ſie auf den folgenden Tag, denn heute fühlte ſie ſich zu erſchöpft nach all' den vorhergegangenen Gemüthsbewegungen von Aerger, Zorn und Schrecken, die ihr Heidi ganz unwiſſentlich nacheinander verurſacht hatte.","norm":"Die besondere Strafrede, die Fräulein Rottenmeier Heidi noch zu halten gedachte, verschob sie auf den folgenden Tag, denn heute fühlte sie sich zu erschöpft nach alle den vorhergegangenen Gemütsbewegungen von Ärger, Zorn und Schrecken, die ihr Heidi ganz unwissentlich nacheinander verursacht hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1224,"orig":"Sie zog ſich ſchweigend zurück, und Klara und Heidi folgten vergnügt nach, denn ſie wußten ihre Kätzchen in einem guten Bett.","norm":"Sie zog sich schweigend zurück, und Klara und Heidi folgten vergnügt nach, denn sie wussten ihre Kätzchen in einem guten Bett."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1225,"orig":"Als Sebaſtian am folgenden Morgen dem Herrn Candidaten die Hausthüre geöffnet und ihn zum Studierzimmer geführt hatte, zog ſchon wieder Jemand die Hausglocke an, aber mit ſolcher Gewalt, daß Sebaſtian die Treppe völlig hinunterſchoß, denn er dachte: „So ſchellt nur der Herr Seſemann ſelbſt, er muß unerwartet nach Hauſe gekommen ſein.","norm":"Als Sebastian am folgenden Morgen dem Herrn Kandidaten die Haustür geöffnet und ihn zum Studierzimmer geführt hatte, zog schon wieder jemand die Hausglocke an, aber mit solcher Gewalt, dass Sebastian die Treppe völlig hinunterschoss, denn er dachte: „So schellt nur der Herr Sesemann selbst, er muss unerwartet nachhause gekommen sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1226,"orig":"“ Er riß die Thüre auf — ein zerlumpter Junge mit einer Drehorgel auf dem Rücken ſtand vor ihm.","norm":"“ Er riss die Türe auf — ein zerlumpter Junge mit einer Drehorgel auf dem Rücken stand vor ihm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1227,"orig":"„Was ſoll das heißen?“ fuhr ihn Sebaſtian an.","norm":"„Was soll das heißen?“ fuhr ihn Sebastian an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1228,"orig":"„Ich will dich lehren, Glocken herunterzureißen!","norm":"„Ich will dich lehren, Glocken herunterzureißen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1229,"orig":"Was haſt du hier zu thun?“","norm":"Was hast du hier zu tun?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1230,"orig":"„Ich muß zur Klara“, war die Antwort.","norm":"„Ich muss zur Klara“, war die Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1231,"orig":"„Du ungewaſchener Straßenkäfer du; kannſt du nicht ſagen Fräulein Klara, wie unſereins thut?","norm":"„Du ungewaschener Straßenkäfer du; kannst du nicht sagen Fräulein Klara, wie unsereins tut?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1232,"orig":"Was haſt du bei Fräulein Klara zu thun?“ fragte Sebaſtian barſch.","norm":"Was hast du bei Fräulein Klara zu tun?“ fragte Sebastian barsch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1233,"orig":"„Sie iſt mir vierzig Pfennige ſchuldig“, erklärte der Junge.","norm":"„sie ist mir vierzig Pfennige schuldig“, erklärte der Junge."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1234,"orig":"Du biſt, denk' ich, nicht recht im Kopf!","norm":"Du bist, denke ich, nicht recht im Kopf!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1235,"orig":"Wie weißt du überhaupt, daß ein Fräulein Klara hier iſt?“","norm":"Wie weißt du überhaupt, dass ein Fräulein Klara hier ist?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1236,"orig":"„Geſtern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig und dann wieder zurück den Weg gezeigt, macht vierzig.","norm":"„Gestern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig und dann wieder zurück den Weg gezeigt, macht vierzig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1237,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1238,"orig":"„Da ſiehſt du, was für Zeug du zuſammenflunkerſt, Fräulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mach, daß du dahin kommſt, wo du hin gehörſt', bevor ich dir dazu verhelfe!“","norm":"„Da siehst du, was für Zeug du zusammenflunkerst, Fräulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mache, dass du dahin kommst, wo du hingehörst, bevor ich dir dazu verhelfe!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1239,"orig":"Aber der Junge ließ ſich nicht einſchüchtern; er blieb unbeweglich ſtehn und ſagte trocken: „Ich habe ſie doch geſehen auf der Straße, ich kann ſie beſchreiben: ſie hat kurzes, krauſes Haar, das iſt ſchwarz, und die Augen ſind ſchwarz und der Rock iſt braun, und ſie kann nicht reden wie wir.","norm":"Aber der Junge ließ sich nicht einschüchtern; er blieb unbeweglich stehen und sagte trocken: „Ich habe sie doch gesehen auf der Straße, ich kann sie beschreiben: Sie hat kurzes, krauses Haar, das ist schwarz, und die Augen sind schwarz und der Rock ist braun, und sie kann nicht reden wie wir."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1240,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1241,"orig":"„Oho“, dachte jetzt Sebaſtian und kicherte in ſich hinein, das iſt die kleine Mamſell, die hat wieder Etwas angeſtellt.","norm":"„Oho“, dachte jetzt Sebastian und kicherte in sich hinein, das ist die kleine Mamsell, die hat wieder etwas angestellt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1242,"orig":"“ Dann ſagte er, den Jungen hereinziehend: „' s iſt ſchon recht, komm' mir nur nach und warte vor der Thüre, bis ich wieder herauskomme.","norm":"“ Dann sagte er, den Jungen hereinziehend: „' s ist schon recht, komme mir nur nach und warte vor der Türe, bis ich wieder herauskomme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1243,"orig":"Wenn ich dich dann einlaſſe, kannſt du gleich Etwas ſpielen, das Fräulein hört es gern.","norm":"Wenn ich dich dann einlasse, kannst du gleich Etwas spielen, das Fräulein hört es gern."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1244,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1245,"orig":"Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde hereingerufen.","norm":"Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde hereingerufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1246,"orig":"„Es iſt ein Junge da, der durchaus an Fräulein Klara ſelbſt Etwas zu beſtellen hat“, berichtete Sebaſtian.","norm":"„Es ist ein Junge da, der durchaus an Fräulein Klara selbst Etwas zu bestellen hat“, berichtete Sebastian."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1247,"orig":"Klara war ſehr erfreut über das außergewöhnliche Ereigniß.","norm":"Klara war sehr erfreut über das außergewöhnliche Ereignis."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1248,"orig":"Er ſoll nur gleich hereinkommen“, ſagte ſie, „nicht wahr, Herr Candidat?","norm":"Er soll nur gleich hereinkommen“, sagte sie, „nicht wahr, Herr Kandidat?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1249,"orig":"wenn er doch mit mir ſelbſt ſprechen muß.","norm":"wenn er doch mit mir selbst sprechen muss."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1250,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1251,"orig":"Der Junge war ſchon eingetreten, und nach Anweiſung fing er ſofort ſeine Orgel zu drehen an.","norm":"Der Junge war schon eingetreten, und nach Anweisung fing er sofort seine Orgel zu drehen an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1252,"orig":"Fräulein Rottenmeier hatte, um dem ABC auszuweichen, ſich im Eßzimmer Allerlei zu ſchaffen gemacht.","norm":"Fräulein Rottenmeier hatte, um dem ABC auszuweichen, sich im Esszimmer Allerlei zu schaffen gemacht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1253,"orig":"Auf einmal horchte ſie auf.","norm":"Auf einmal horchte sie auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1254,"orig":"— Kamen die Töne von der Straße her?","norm":"— Kamen die Töne von der Straße her?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1255,"orig":"Aber ſo nahe?","norm":"Aber so nahe?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1256,"orig":"Wie konnte vom Studierzimmer her eine Drehorgel ertönen?","norm":"Wie konnte vom Studierzimmer her eine Drehorgel ertönen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1257,"orig":"Und dennoch — wahrhaftig — ſie ſtürzte durch das lange Eßzimmer und riß die Thüre auf.","norm":"Und dennoch — wahrhaftig — sie stürzte durch das lange Esszimmer und riss die Türe auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1258,"orig":"Da — unglaublich — da ſtand mitten im Studierzimmer ein zerlumpter Orgelſpieler und drehte ſein Inſtrument mit größter Emſigkeit.","norm":"Da — unglaublich — da stand mitten im Studierzimmer ein zerlumpter Orgelspieler und drehte sein Instrument mit größter Emsigkeit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1259,"orig":"Der Herr Candidat ſchien immerfort Etwas ſagen zu wollen, aber es wurde Nichts vernommen.","norm":"Der Herr Kandidat schien immerfort etwas sagen zu wollen, aber es wurde nichts vernommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1260,"orig":"Klara und Heidi hörten mit ganz erfreuten Geſichtern der Muſik zu.","norm":"Klara und Heidi hörten mit ganz erfreuten Gesichtern der Musik zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1261,"orig":"„Aufhören!","norm":"„Aufhören!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1262,"orig":"Sofort aufhören!“ rief Fräulein Rottenmeier in's Zimmer hinein.","norm":"Sofort aufhören!“ rief Fräulein Rottenmeier ins Zimmer hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1263,"orig":"Ihre Stimme wurde übertönt von der Muſik.","norm":"Ihre Stimme wurde übertönt von der Musik."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1264,"orig":"Jetzt lief ſie auf den Jungen zu — aber auf einmal hatte ſie Etwas zwiſchen den Füßen, ſie ſah auf den Boden — ein grauſiges, ſchwarzes Thier kroch ihr zwiſchen den Füßen durch, eine Schildkröte.","norm":"Jetzt lief sie auf den Jungen zu — aber auf einmal hatte sie Etwas zwischen den Füßen, sie sah auf den Boden — ein grausiges, schwarzes Tier kroch ihr zwischen den Füßen durch, eine Schildkröte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1265,"orig":"Jetzt that Fräulein Rottenmeier einen Sprung in die Höhe, wie ſie ſeit vielen Jahren keinen gethan hatte, dann ſchrie ſie aus Leibeskräften: „Sebaſtian!","norm":"Jetzt tat Fräulein Rottenmeier einen Sprung in die Höhe, wie sie seit vielen Jahren keinen getan hatte, dann schrie sie aus Leibeskräften: „Sebastian!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1266,"orig":"Sebaſtian!“ Plötzlich hielt der Orgelſpieler inne, denn dießmal hatte die Stimme die Muſik übertönt.","norm":"Sebastian!“ Plötzlich hielt der Orgelspieler inne, denn diesmal hatte die Stimme die Musik übertönt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1267,"orig":"Sebaſtian ſtand draußen vor der halb offenen Thüre und krümmte ſich vor Lachen, denn er hatte zugeſehen, wie der Sprung vor ſich ging.","norm":"Sebastian stand draußen vor der halboffenen Türe und krümmte sich vor Lachen, denn er hatte zugesehen, wie der Sprung vor sich ging."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1268,"orig":"Endlich kam er herein.","norm":"Endlich kam er herein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1269,"orig":"Fräulein Rottenmeier war auf einen Stuhl niedergeſunken.","norm":"Fräulein Rottenmeier war auf einen Stuhl niedergesunken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1270,"orig":"„Fort mit Allem, Menſch und Thier!","norm":"„Fort mit allem, Mensch und Tier!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1271,"orig":"Schaffen Sie ſie weg, Sebaſtian, ſofort!“ rief ſie ihm entgegen.","norm":"Schaffen Sie sie weg, Sebastian, sofort!“ rief sie ihm entgegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1272,"orig":"Sebaſtian gehorchte bereitwillig, zog den Jungen hinaus, der ſchnell ſeine Schildkröte erfaßt hatte, drückte ihm draußen etwas in die Hand und ſagte: „Vierzig für Fräulein Klara, und vierzig für's Spielen, das haſt du gut gemacht“; damit ſchloß er hinter ihm die Hausthüre.","norm":"Sebastian gehorchte bereitwillig, zog den Jungen hinaus, der schnell seine Schildkröte erfasst hatte, drückte ihm draußen etwas in die Hand und sagte: „Vierzig für Fräulein Klara, und vierzig fürs Spielen, das hast du gut gemacht“; damit schloss er hinter ihm die Haustür."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1273,"orig":"Im Studierzimmer war es wieder ruhig geworden; die Studien wurden wieder fortgeſetzt, und Fräulein Rottenmeier hatte ſich nun auch feſtgeſetzt in dem Zimmer, um durch ihre Gegenwart ähnliche Gräuel zu verhüten.","norm":"Im Studierzimmer war es wieder ruhig geworden; die Studien wurden wieder fortgesetzt, und Fräulein Rottenmeier hatte sich nun auch festgesetzt in dem Zimmer, um durch ihre Gegenwart ähnliche Gräuel zu verhüten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1274,"orig":"Den Vorfall wollte ſie nach den Unterrichtsſtunden unterſuchen und den Schuldigen ſo beſtrafen, daß er daran denken würde.","norm":"Den Vorfall wollte sie nach den Unterrichtsstunden untersuchen und den Schuldigen so bestrafen, dass er daran denken würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1275,"orig":"Schon wieder klopfte es an die Thüre, und herein trat abermals Sebaſtian mit der Nachricht, es ſei ein großer Korb gebracht worden, der ſogleich an Fräulein Klara ſelbſt abzugeben ſei.","norm":"Schon wieder klopfte es an die Türe, und hereintrat abermals Sebastian mit der Nachricht, es sei ein großer Korb gebracht worden, der sogleich an Fräulein Klara selbst abzugeben sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1276,"orig":"„An mich?“ fragte Klara erſtaunt und äußerſt neugierig, was das ſein möchte; „zeigen Sie doch gleich einmal her, wie er ausſieht.","norm":"„An mich?“ fragte Klara erstaunt und äußerst neugierig, was das sein möchte; „zeigen Sie doch gleich einmal her, wie er aussieht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1277,"orig":"“ Sebaſtian brachte einen gedeckten Korb herein und entfernte ſich dann eilig wieder.","norm":"“ Sebastian brachte einen gedeckten Korb herein und entfernte sich dann eilig wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1278,"orig":"„Ich denke, erſt wird der Unterricht beendet, dann der Korb ausgepackt“, bemerkte Fräulein Rottenmeier.","norm":"„Ich denke, erst wird der Unterricht beendet, dann der Korb ausgepackt“, bemerkte Fräulein Rottenmeier."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1279,"orig":"Klara konnte ſich nicht vorſtellen, was man ihr gebracht hatte, ſie ſchaute ſehr verlangend nach dem Korb.","norm":"Klara konnte sich nicht vorstellen, was man ihr gebracht hatte, sie schaute sehr verlangend nach dem Korb."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1280,"orig":"„Herr Candidat“, ſagte ſie, ſich ſelbſt in ihrem Decliniren unterbrechend, „könnte ich nicht nur einmal ſchnell hineinſehen, um zu wiſſen, was drin iſt, und dann gleich wieder fortfahren?“","norm":"„Herr Kandidat“, sagte sie, sich selbst in ihrem Deklinieren unterbrechend, „könnte ich nicht nur einmal schnell hineinsehen, um zu wissen, was drin ist, und dann gleich wieder fortfahren?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1281,"orig":"„In einer Hinſicht könnte man dafür, in einer andern dawider ſein“, entgegnete der Herr Candidat; „dafür ſpräche der Grund, daß, wenn nun Ihre ganze Aufmerkſamkeit auf dieſen Gegenſtand gerichtet iſt“ — die Rede konnte nicht beendigt werden.","norm":"„In einer Hinsicht könnte man dafür, in einer anderen dawider sein“, entgegnete der Herr Kandidat; „dafür spräche der Grund, dass, wenn nun Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet ist“ — die Rede konnte nicht beendigt werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1282,"orig":"Der Deckel des Korbes ſaß nur loſe darauf, und nun ſprangen mit einem Mal ein, zwei, drei und wieder zwei und immer noch mehr junge Kätzchen darunter hervor und in's Zimmer hinaus, und mit einer ſo unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren ſie überall herum, daß es war, als wäre das ganze Zimmer voll ſolcher Thierchen.","norm":"Der Deckel des Korbes saß nur lose darauf, und nun sprangen mit einem Mal ein, zwei, drei und wieder zwei und immer noch mehr junge Kätzchen darunter hervor und ins Zimmer hinaus, und mit einer so unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren sie überall herum, dass es war, als wäre das ganze Zimmer voll solcher Tierchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1283,"orig":"Sie ſprangen über die Stiefel des Herrn Candidaten, biſſen an ſeinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fräulein Rottenmeier empor, krabbelten um ihre Füße herum, ſprangen an Klara's Seſſel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es war ein arges Gewirre.","norm":"Sie sprangen über die Stiefel des Herrn Kandidaten, bissen an seinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fräulein Rottenmeier empor, krabbelten um ihre Füße herum, sprangen an Klaras Sessel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es war ein arges Gewirre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1284,"orig":"Klara rief immerfort voller Entzücken: „O die niedlichen Thierchen!","norm":"Klara rief immerfort voller Entzücken: „O die niedlichen Tierchen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1285,"orig":"die luſtigen Sprünge!","norm":"die lustigen Sprünge!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1286,"orig":"ſieh'!","norm":"sieh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1287,"orig":"ſieh'!","norm":"sieh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1288,"orig":"Heidi, hier, dort, ſieh' dieſes!“ Heidi ſchoß ihnen vor Freude in alle Winkel nach.","norm":"Heidi, hier, dort, sieh dieses!“ Heidi schoss ihnen vor Freude in alle Winkel nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1289,"orig":"Der Herr Candat ſtand ſehr verlegen am Tiſch und zog bald den einen, bald den andern Fuß in die Höhe, um ihn dem unheimlichen Gekrabbel zu entziehen.","norm":"Der Herr Kandidat stand sehr verlegen am Tisch und zog bald den einen, bald den anderen Fuß in die Höhe, um ihn dem unheimlichen Gekrabbel zu entziehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1290,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſaß erſt ſprachles vor Entſetzen in ihrem Seſſel, dann fing ſie an aus Leibeskräften zu ſchreien!","norm":"Fräulein Rottenmeier saß erst sprachlos vor Entsetzen in ihrem Sessel, dann fing sie an aus Leibeskräften zu schreien!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1291,"orig":"„Tinette!","norm":"„Tinette!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1292,"orig":"Tinette!","norm":"Tinette!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1293,"orig":"Sebaſtian!","norm":"Sebastian!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1294,"orig":"Sebaſtian!“ denn vom Seſſel aufzuſtehen konnte ſie unmöglich wagen, da könnten ja mit einem Mal alle die kleinen Scheuſale an ihr emporſpringen.","norm":"Sebastian!“ denn vom Sessel aufzustehen konnte sie unmöglich wagen, da könnten ja mit einem Mal alle die kleinen Scheusale an ihr emporspringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1295,"orig":"Endlich kamen Sebaſtian und Tinette auf die wiederholten Hülferufe herbei, und jener packte gleich eins nach dem andern der kleinen Geſchöpfe in den Korb hinein und trug ſie auf den Eſtrich zu dem Katzenlager, das er für die Zweie von geſtern bereitet hatte.","norm":"Endlich kamen Sebastian und Tinette auf die wiederholten Hilferufe herbei, und jener packte gleich eins nach dem anderen der kleinen Geschöpfe in den Korb hinein und trug sie auf den Estrich zu dem Katzenlager, das er für die Zweie von gestern bereitet hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1296,"orig":"Auch am heutigen Tag hatte kein Gähnen während der Unterrichtsſtunden ſtattgefunden.","norm":"Auch am heutigen Tag hatte kein Gähnen während der Unterrichtsstunden stattgefunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1297,"orig":"Am ſpäten Abend, als Fräulein Rottenmeier ſich von den Aufregungen des Morgens wieder hinlänglich erholt hatte, berief ſie Sebaſtian und Tinette in's Studierzimmer herauf, um hier eine gründliche Unterſuchung über die ſtrafwürdigen Vorgänge anzuſtellen.","norm":"Am späten Abend, als Fräulein Rottenmeier sich von den Aufregungen des Morgens wieder hinlänglich erholt hatte, berief sie Sebastian und Tinette ins Studierzimmer herauf, um hier eine gründliche Untersuchung über die strafwürdigen Vorgänge anzustellen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1298,"orig":"Nun kam es denn heraus, daß Heidi auf ſeinem geſtrigen Ausflug die ſämmtlichen Ereigniſſe vorbereitet und herbeigeführt hatte.","norm":"Nun kam es denn heraus, dass Heidi auf seinem gestrigen Ausflug die sämtlichen Ereignisse vorbereitet und herbeigeführt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1299,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſaß weiß vor Entrüſtung da und konnte erſt keine Worte für ihre Empfindungen finden.","norm":"Fräulein Rottenmeier saß weiß vor Entrüstung da und konnte erst keine Worte für ihre Empfindungen finden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1300,"orig":"Sie winkte mit der Hand, daß Sebaſtian und Tinette ſich entfernen ſollten.","norm":"Sie winkte mit der Hand, dass Sebastian und Tinette sich entfernen sollten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1301,"orig":"Jetzt wandte ſie ſich an Heidi, das neben Klara's Seſſel ſtand und nicht recht begriff, was es verbrochen hatte.","norm":"Jetzt wandte sie sich an Heidi, das neben Klaras Sessel stand und nicht recht begriff, was es verbrochen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1302,"orig":"„Adelheid“, begann ſie mit ſtrengem Ton, „ich weiß nur Eine Strafe, die dir empfindlich ſein könnte, denn du biſt eine Barbarin; aber wir wollen ſehen, ob du unten im dunkeln Keller bei Molchen und Ratten nicht zahm wirſt, daß du dir keine ſolchen Dinge mehr einfallen läſſeſt.","norm":"„Adelheid“, begann sie mit strengem Ton, „ich weiß nur eine Strafe, die dir empfindlich sein könnte, denn du bist eine Barbarin; aber wir wollen sehen, ob du unten im Dunkeln Keller bei Molchen und Ratten nicht zahm wirst, dass du dir keine solchen Dinge mehr einfallen lässt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1303,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1304,"orig":"Heidi hörte ſtill und verwundert ſein Urtheil an, denn in einem ſchreckhaften Keller war es noch nie geweſen; der anſtoßende Raum in der Almhütte, den der Großvater Keller nannte, wo immer die fertigen Käſe lagen und die friſche Milch ſtand, war eher ein anmuthiger und einladender Ort, und Ratten und Molche hatte es noch keine geſehen.","norm":"Heidi hörte still und verwundert sein Urteil an, denn in einem schreckhaften Keller war es noch nie gewesen; der anstoßende Raum in der Almhütte, den der Großvater Keller nannte, wo immer die fertigen Käse lagen und die frische Milch stand, war eher ein anmutiger und einladender Ort, und Ratten und Molche hatte es noch keine gesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1305,"orig":"Aber Klara erhob einen lauten Jammer: „Nein, nein, Fräulein Rottenmeier, man muß warten, bis der Papa da iſt; er hat ja geſchrieben, er komme nun bald, und dann will ich ihm Alles erzählen, und er ſagt dann ſchon, was mit Heidi geſchehen ſoll.","norm":"Aber Klara erhob einen lauten Jammer: „Nein, nein, Fräulein Rottenmeier, man muss warten, bis der Papa da ist; er hat ja geschrieben, er komme nun bald, und dann will ich ihm alles erzählen, und er sagt dann schon, was mit Heidi geschehen soll."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1306,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1307,"orig":"Gegen dieſen Oberrichter durfte Fräulein Rottenmeier Nichts einwenden, um ſo weniger, da er wirklich in Bälde zu erwarten war.","norm":"Gegen diesen Oberrichter durfte Fräulein Rottenmeier nichts einwenden, um so weniger, da er wirklich in Bälde zu erwarten war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1308,"orig":"Sie ſtand auf und ſagte etwas grimmig: „Gut, Klara, gut, aber auch ich werde ein Wort mit Herrn Seſemann ſprechen.","norm":"Sie stand auf und sagte etwas grimmig: „Gut, Klara, gut, aber auch ich werde ein Wort mit Herrn Sesemann sprechen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1309,"orig":"“ Damit verließ ſie das Zimmer.","norm":"“ Damit verließ sie das Zimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1310,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1311,"orig":"Es verfloſſen nun ein paar ungeſtörtere Tage, aber Fräulein Rottenmeier kam nicht mehr aus der Aufregung heraus, ſtündlich trat ihr die Täuſchung vor Augen, die ſie in Heidi's Perſönlichkeit erlebt hatte, und es war ihr, als ſei ſeit ſeiner Erſcheinung im Hauſe Seſemann Alles aus den Fugen gekommen und komme nicht wieder hinein.","norm":"Es verflossen nun ein paar ungestörtere Tage, aber Fräulein Rottenmeier kam nicht mehr aus der Aufregung heraus, stündlich trat ihr die Täuschung vor Augen, die sie in Heidis Persönlichkeit erlebt hatte, und es war ihr, als sei seit seiner Erscheinung im Hause Sesemann alles aus den Fugen gekommen und komme nicht wieder hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1312,"orig":"Klara war ſehr vergnügt; ſie langweilte ſich nie mehr, denn in den Unterrichtsſtunden machte Heidi die kurzweiligſten Sachen: die Buchſtaben machte es immer alle durcheinander und konnte ſie nie kennen lernen, und wenn der Herr Candidat mitten im Erklären und Beſchreiben ihrer Formen war, um ſie ihm anſchaulicher zu machen und als Vergleichung etwa von einem Hörnchen oder einem Schnabel ſprach dabei, rief es auf einmal in aller Freude aus: „Es iſt eine Gaiß!“ oder: „Es iſt der Raubvogel!“ Denn die Beſchreibungen weckten in ſeinem Gehirn allerlei Vorſtellungen, nur keine Buchſtaben.","norm":"Klara war sehr vergnügt; sie langweilte sich nie mehr, denn in den Unterrichtsstunden machte Heidi die kurzweiligsten Sachen: Die Buchstaben machte es immer alle durcheinander und konnte sie nie kennen lernen, und wenn der Herr Kandidat mitten im Erklären und Beschreiben ihrer Formen war, um sie ihm anschaulicher zu machen und als Vergleichung etwa von einem Hörnchen oder einem Schnabel sprach dabei, rief es auf einmal in aller Freude aus: „Es ist eine Geiß!“ oder: „Es ist der Raubvogel!“ Denn die Beschreibungen weckten in seinem Gehirn allerlei Vorstellungen, nur keine Buchstaben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1313,"orig":"In den ſpätern Nachmittagsſtunden ſaß Heidi wieder bei Klara und erzählte ihr immer wieder von der Alm und dem Leben dort, ſo viel und ſo lange, bis das Verlangen darnach in ihm ſo brennend wurde, daß es immer zum Schluß verſicherte: „Nun muß ich gewiß wieder heim!","norm":"In den späteren Nachmittagsstunden saß Heidi wieder bei Klara und erzählte ihr immer wieder von der Alm und dem Leben dort, so viel und so lange, bis das Verlangen danach in ihm so brennend wurde, dass es immer zum Schluss versicherte: „Nun muss ich gewiss wieder heim!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1314,"orig":"Morgen muß ich gewiß gehen!“ Aber Klara beſchwichtigte immer wieder dieſe Anfälle und bewies Heidi, daß es doch ſicher da bleiben müſſe, bis der Papa komme; dann werde man ſchon ſehen, wie es weiter gehe.","norm":"Morgen muss ich gewiss gehen!“ Aber Klara beschwichtigte immer wieder diese Anfälle und bewies Heidi, dass es doch sicher dableiben müsse, bis der Papa komme; dann werde man schon sehen, wie es weiter gehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1315,"orig":"Wenn Heidi alsdann immer wieder nachgab und gleich wieder zufrieden war, ſo half ihm eine fröhliche Ausſicht dazu, die es im Stillen hatte, daß mit jedem Tage, den es noch da blieb, ſein Häuflein Brödchen für die Großmutter wieder um zwei größer würde, denn Mittags und Abends lag immer ein ſchönes Weißbrödchen bei ſeinem Teller; das ſteckte es gleich ein, denn es hätte das Brödchen nicht eſſen können beim Gedanken, daß die Großmutter nie eines habe und das harte, ſchwarze Brod faſt nicht mehr eſſen konnte.","norm":"Wenn Heidi alsdann immer wieder nachgab und gleich wieder zufrieden war, so half ihm eine fröhliche Aussicht dazu, die es im Stillen hatte, dass mit jedem Tage, den es noch da blieb, sein Häuflein Brötchen für die Großmutter wieder um zwei größer würde, denn Mittags und Abends lag immer ein schönes Weißbrötchen bei seinem Teller; das steckte es gleich ein, denn es hätte das Brötchen nicht essen können beim Gedanken, dass die Großmutter nie eines habe und das harte, schwarze Brot fast nicht mehr essen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1316,"orig":"Nach Tiſch ſaß Heidi jeden Tag ein paar Stunden lang ganz allein in ſeinem Zimmer und regte ſich nicht, denn daß es in Frankfurt verboten war, nur ſo hinauszulaufen, wie es auf der Alm gethan, das hatte es nun begriffen und that es nie mehr.","norm":"Nach Tisch saß Heidi jeden Tag ein paar Stunden lang ganz allein in seinem Zimmer und regte sich nicht, denn dass es in Frankfurt verboten war, nur so hinauszulaufen, wie es auf der Alm getan, das hatte es nun begriffen und tat es nie mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1317,"orig":"Mit Sebaſtian drüben im Eßzimmer ein Geſpräch führen, durfte es auch nicht, das hatte Fräulein Rottenmeier auch verboten und mit Tinette eine Unterhaltung zu probiren, daran kam ihm kein Sinn, es ging ihr immer ſcheu aus dem Wege, denn ſie redete nur in höhniſchem Ton mit ihm und ſpöttelte es fortwährend an und Heidi verſtand ihre Art ganz gut, und daß ſie es nur immer ausſpottete.","norm":"Mit Sebastian drüben im Esszimmer ein Gespräch führen, durfte es auch nicht, das hatte Fräulein Rottenmeier auch verboten und mit Tinette eine Unterhaltung zu probieren, daran kam ihm kein Sinn, es ging ihr immer scheu aus dem Wege, denn sie redete nur in höhnischem Ton mit ihm und spöttelte es fortwährend an und Heidi verstand ihre Art ganz gut, und dass sie es nur immer ausspottete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1318,"orig":"So ſaß Heidi täglich da und hatte alle Zeit ſich auszudenken, wie nun die Alm wieder grün war und wie die gelben Blümchen im Sonnenſchein glitzerten und wie Alles leuchtete ringsum in der Sonne, der Schnee und die Berge und das ganze, weite Thal, und Heidi konnte es manchmal faſt nicht mehr aushalten vor Verlangen, wieder dort zu ſein.","norm":"So saß Heidi täglich da und hatte alle Zeit sich auszudenken, wie nun die Alm wieder grün war und wie die gelben Blümchen im Sonnenschein glitzerten und wie alles leuchtete ringsum in der Sonne, der Schnee und die Berge und das ganze, weite Tal, und Heidi konnte es manchmal fast nicht mehr aushalten vor Verlangen, wieder dort zu sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1319,"orig":"Die Baſe hatte ja auch geſagt, es könne wieder heimgehen, wann es wolle.","norm":"Die Base hatte ja auch gesagt, es könne wieder heimgehen, wann es wolle."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1320,"orig":"So kam es, daß Heidi eines Tages es nicht mehr aushielt; es packte in aller Eile ſeine Brödchen in das große rothe Halstuch zuſammen, ſetzte ſein Strohhütchen auf und zog aus.","norm":"So kam es, dass Heidi eines Tages es nicht mehr aushielt; es packte in aller Eile seine Brötchen in das große rote Halstuch zusammen, setzte sein Strohhütchen auf und zog aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1321,"orig":"Aber ſchon unter der Hausthüre traf es auf ein großes Reiſehinderniß, auf Fräulein Rottenmeier ſelbſt, die eben von einem Ausgang zurückkehrte.","norm":"Aber schon unter der Haustür traf es auf ein großes Reisehindernis, auf Fräulein Rottenmeier selbst, die eben von einem Ausgang zurückkehrte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1322,"orig":"Sie ſtand ſtill und ſchaute in ſtarrem Erſtaunen Heidi von oben bis unten an, und ihr Blick blieb vorzüglich auf dem gefüllten rothen Halstuch haften.","norm":"Sie stand still und schaute in starrem Erstaunen Heidi von oben bis unten an, und ihr Blick blieb vorzüglich auf dem gefüllten roten Halstuch haften."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1323,"orig":"Jetzt brach ſie los.","norm":"Jetzt brach sie los."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1324,"orig":"„Was iſt das für ein Aufzug?","norm":"„Was ist das für ein Aufzug?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1325,"orig":"Was heißt das überhaupt?","norm":"Was heißt das überhaupt?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1326,"orig":"Habe ich dir nicht ſtreng verboten, je wieder herumzuſtreichen?","norm":"Habe ich dir nicht streng verboten, je wieder herumzustreichen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1327,"orig":"Nun probirſt du's doch wieder und dazu noch völlig ausſehend wie eine Landſtreicherin.","norm":"Nun probierst du es doch wieder und dazu noch völlig aussehend wie eine Landstreicherin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1328,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1329,"orig":"„Ich wollte nicht herumſtreichen, ich wollte nur heimgehen“, entgegnete Heidi ein wenig erſchrocken.","norm":"„Ich wollte nicht herumstreichen, ich wollte nur heimgehen“, entgegnete Heidi ein wenig erschrocken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1330,"orig":"„Wie?","norm":"„Wie?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1331,"orig":"Was?","norm":"Was?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1332,"orig":"Heimgehen?","norm":"Heimgehen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1333,"orig":"Heimgehen wollteſt du?“ Fräulein Rottenmeier ſchlug die Hände zuſammen vor Aufregung.","norm":"Heimgehen wolltest du?“ Fräulein Rottenmeier schlug die Hände zusammen vor Aufregung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1334,"orig":"„Fortlaufen!","norm":"„Fortlaufen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1335,"orig":"Wenn das Herr Seſemann wüßte!","norm":"Wenn das Herr Sesemann wüsste!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1336,"orig":"Fortlaufen aus ſeinem Hauſe!","norm":"Fortlaufen aus seinem Hause!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1337,"orig":"Mach' nicht, daß er das je erfährt!","norm":"Mache nicht, dass er das je erfährt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1338,"orig":"Und was iſt dir denn nicht recht in ſeinem Hauſe?","norm":"Und was ist dir denn nicht recht in seinem Hause?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1339,"orig":"Wirſt du nicht viel beſſer behandelt, als du verdienſt?","norm":"Wirst du nicht viel besser behandelt, als du verdienst?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1340,"orig":"Fehlt es dir an irgend Etwas?","norm":"Fehlt es dir an irgendetwas?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1341,"orig":"Haſt du je in deinem ganzen Leben eine Wohnung, oder einen Tiſch, oder eine Bedienung gehabt, wie du hier haſt?","norm":"Hast du je in deinem ganzen Leben eine Wohnung, oder einen Tisch, oder eine Bedienung gehabt, wie du hier hast?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1342,"orig":"ſag'!“","norm":"sage!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1343,"orig":"„Nein“, entgegnete Heidi.","norm":"„Nein“, entgegnete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1344,"orig":"„Das weiß ich wohl!“ fuhr die Dame eifrig fort, Nichts fehlt dir, gar Nichts, du biſt ein ganz unglaublich undankbares Ding, und vor lauter Wohlſein weißt du nicht, was du noch Alles anſtellen willſt!“","norm":"„Das weiß ich wohl!“ fuhr die Dame eifrig fort, nichts fehlt dir, gar nichts, du bist ein ganz unglaublich undankbares Ding, und vor lauter Wohlsein weißt du nicht, was du noch alles anstellen willst!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1345,"orig":"Aber jetzt kam dem Heidi Alles oben auf, was in ihm war, und brach hervor: „Ich will ja nur heim, und wenn ich ſo lang nicht komme, ſo muß das Schneehöppli immer klagen und die Großmutter erwartet mich, und der Diſtelfink bekommt die Ruthe, wenn der Gaißenpeter keinen Käſe bekommt, und hier kann man gar nie ſehen, wie die Sonne gute Nacht ſagt zu den Bergen, und wenn der Raubvogel in Frankfurt oben über fliegen würde, ſo würde er noch viel lauter krächzen, daß ſo viele Menſchen bei einander ſitzen und einander bös machen und nicht auf den Felſen gehen, wo es Einem wohl iſt.","norm":"Aber jetzt kam dem Heidi alles oben auf, was in ihm war, und brach hervor: „Ich will ja nur heim, und wenn ich so lang nicht komme, so muss das Schneehöppli immer klagen und die Großmutter erwartet mich, und der Distelfink bekommt die Rute, wenn der Geißenpeter keinen Käse bekommt, und hier kann man gar nie sehen, wie die Sonne gute Nacht sagt zu den Bergen, und wenn der Raubvogel in Frankfurt obenüber fliegen würde, so würde er noch viel lauter krächzen, dass so viele Menschen bei einander sitzen und einander bös machen und nicht auf den Felsen gehen, wo es Einem wohl ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1346,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1347,"orig":"„Barmherzigkeit, das Kind iſt übergeſchnappt!“ rief Fräulein Rottenmeier aus und ſtürzte mit Schrecken die Treppe hinauf, wo ſie ſehr unſanft gegen den Sebaſtian rannte, der eben hinunter wollte.","norm":"„Barmherzigkeit, das Kind ist übergeschnappt!“ rief Fräulein Rottenmeier aus und stürzte mit Schrecken die Treppe hinauf, wo sie sehr unsanft gegen den Sebastian rannte, der eben hinunter wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1348,"orig":"„Holen Sie auf der Stelle das unglückliche Weſen herauf“, rief ſie ihm zu, indem ſie ſich den Kopf rieb, denn ſie war hart angeſtoßen.","norm":"„Holen Sie auf der Stelle das unglückliche Wesen herauf“, rief sie ihm zu, indem sie sich den Kopf rieb, denn sie war hart angestoßen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1349,"orig":"„Ja, ja, ſchon recht, danke ſchön“, gab Sebaſtian zurück und rieb ſich den ſeinen, denn er war noch harter angefahren.","norm":"„Ja, ja, schon recht, danke schön“, gab Sebastian zurück und rieb sich den seinen, denn er war noch härter angefahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1350,"orig":"Heidi ſtand mit flammenden Augen noch auf derſelben Stelle feſt und zitterte vor innerer Erregung am ganzen Körper.","norm":"Heidi stand mit flammenden Augen noch auf derselben Stelle fest und zitterte vor innerer Erregung am ganzen Körper."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1351,"orig":"Na, ſchon wieder was angeſtellt?“ fragte Sebaſtian luſtig; als er aber Heidi, das ſich nicht rührte, recht anſah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und ſagte tröſtend: „Bah!","norm":"Na, schon wieder was angestellt?“ fragte Sebastian lustig; als er aber Heidi, das sich nicht rührte, recht ansah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und sagte tröstend: „Bah!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1352,"orig":"bah!","norm":"bah!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1353,"orig":"das muß ſich das Mamſellchen nicht ſo zu Herzen nehmen, nur luſtig, das iſt die Hauptſache!","norm":"das muss sich das Mamsellchen nicht so zu Herzen nehmen, nur lustig, das ist die Hauptsache!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1354,"orig":"Sie hat mir eben jetzt auch faſt ein Loch in den Kopf gerannt, aber nur nicht einſchüchtern laſſen!","norm":"Sie hat mir eben jetzt auch fast ein Loch in den Kopf gerannt, aber nur nicht einschüchtern lassen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1355,"orig":"Na?","norm":"Na?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1356,"orig":"immer noch auf demſelben Fleck?","norm":"immer noch auf demselben Fleck?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1357,"orig":"Wir müſſen hinauf, ſie hat's befohlen.","norm":"Wir müssen hinauf, sie hat es befohlen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1358,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1359,"orig":"Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langſam und leiſe und gar nicht wie ſonſt ſeine Art war.","norm":"Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langsam und leise und gar nicht wie sonst seine Art war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1360,"orig":"Das that dem Sebaſtian leid zu ſehen; er ging hinter dem Heidi her und ſprach ermuthigende Worte zu ihm: „Nur nicht abgeben!","norm":"Das tat dem Sebastian leid zu sehen; er ging hinter dem Heidi her und sprach ermutigende Worte zu ihm: „Nur nicht abgeben!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1361,"orig":"Nur nicht traurig werden!","norm":"Nur nicht traurig werden!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1362,"orig":"Nur immer tapfer drauf zu!","norm":"Nur immer tapfer darauf zu!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1363,"orig":"Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamſellchen, hat noch gar nie geweint, ſeit es bei uns iſt, ſonſt weinen ſie ja zwölf Mal im Tag in dem Alter, das kennt man.","norm":"Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamsellchen, hat noch gar nie geweint, seit es bei uns ist, sonst weinen sie ja zwölfmal im Tag in dem Alter, das kennt man."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1364,"orig":"Die Kätzchen ſind auch luſtig droben, die ſpringen auf dem ganzen Eſtrich herum und thun wie närriſch.","norm":"Die Kätzchen sind auch lustig droben, die springen auf dem ganzen Estrich herum und tun wie närrisch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1365,"orig":"Nachher gehen wir' mal zuſammen hinauf und ſchauen ihnen zu, wenn die Dame drinnen wieder weg iſt, ja?“","norm":"Nachher gehen wir' mal zusammen hinauf und schauen ihnen zu, wenn die Dame drinnen wieder weg ist, ja?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1366,"orig":"Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber ſo freudlos, daß es dem Sebaſtian recht zu Herzen ging und er ganz theilnehmend dem Heidi nachſchaute, wie es nach ſeinem Zimmer hinſchlich.","norm":"Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber so freudlos, dass es dem Sebastian recht zu Herzen ging und er ganz teilnehmend dem Heidi nachschaute, wie es nach seinem Zimmer hinschlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1367,"orig":"Am Abendeſſen heute ſagte Fräulein Rottenmeier kein Wort, aber fortwährend warf ſie ſonderbar wachſame Blicke zu Heidi hinüber, ſo als erwartete ſie, es könnte plötzlich etwas Unerhörtes unternehmen; aber Heidi ſaß mäuſchenſtill am Tiſch und rührte ſich nicht, es aß nicht und trank nicht; nur ſein Brödchen hatte es ſchnell in die Taſche geſteckt.","norm":"Am Abendessen heute sagte Fräulein Rottenmeier kein Wort, aber fortwährend warf sie sonderbar wachsame Blicke zu Heidi hinüber, so als erwartete sie, es könnte plötzlich etwas Unerhörtes unternehmen; aber Heidi saß mäuschenstill am Tisch und rührte sich nicht, es aß nicht und trank nicht; nur sein Brötchen hatte es schnell in die Tasche gesteckt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1368,"orig":"Am folgenden Morgen, als der Herr Candidat die Treppe heraufkam, winkte ihm Fräulein Rottenmeier geheimnißvoll in's Eßzimmer herein, und hier theilte ſie ihm in großer Aufregung ihre Beſorgniß mit, die Luftveränderung, die neue Lebensart und die ungewohnten Eindrücke hätten das Kind um den Verſtand gebracht, und ſie erzählte ihm von Heidi's Fluchtverſuch und wiederholte ihm von ſeinen ſonderbaren Reden, was ſie noch wußte.","norm":"Am folgenden Morgen, als der Herr Kandidat die Treppe heraufkam, winkte ihm Fräulein Rottenmeier geheimnisvoll ins Esszimmer herein, und hier teilte sie ihm in großer Aufregung ihre Besorgnis mit, die Luftveränderung, die neue Lebensart und die ungewohnten Eindrücke hätten das Kind um den Verstand gebracht, und sie erzählte ihm von Heidis Fluchtversuch und wiederholte ihm von seinen sonderbaren Reden, was sie noch wusste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1369,"orig":"Aber der Herr Candidat beſänftigte und beruhigte Fräulein Rottenmeier, indem er ſie verſicherte, daß er die Wahrnehmung gemacht habe, die Adelheid ſei zwar einerſeits allerdings eher excentriſch, aber anderſeits doch wieder bei richtigem Verſtand, ſo daß ſich nach und nach bei einer allſeitig erwogenen Behandlung das nöthige Gleichgewicht einſtellen könne, was er im Auge habe; er finde den Umſtand wichtiger, daß er durchaus nicht über das ABC hinauskomme mit ihr, indem ſie die Buchſtaben nicht zu faſſen im Stande ſei.","norm":"Aber der Herr Kandidat besänftigte und beruhigte Fräulein Rottenmeier, indem er sie versicherte, dass er die Wahrnehmung gemacht habe, die Adelheid sei zwar einerseits allerdings eher exzentrisch, aber anderseits doch wieder bei richtigem Verstand, so dass sich nach und nach bei einer allseitig erwogenen Behandlung das nötige Gleichgewicht einstellen könne, was er im Auge habe; er finde den Umstand wichtiger, dass er durchaus nicht über das ABC hinauskomme mit ihr, indem sie die Buchstaben nicht zu fassen imstande sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1370,"orig":"Fräulein Rottenmeier fühlte ſich beruhigter und entließ den Herrn Candidaten zu ſeiner Arbeit.","norm":"Fräulein Rottenmeier fühlte sich beruhigter und entließ den Herrn Kandidaten zu seiner Arbeit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1371,"orig":"Am ſpätern Nachmittag ſtieg ihr die Erinnerung an Heidi's Aufzug bei ſeiner vorgehabten Abreiſe auf, und ſie beſchloß, die Gewandung des Kindes durch verſchiedene Kleidungsſtücke der Klara in den nöthigen Stand zu ſetzen, bevor Herr Seſemann erſcheinen würde.","norm":"Am späteren Nachmittag stieg ihr die Erinnerung an Heidis Aufzug bei seiner vorgehabten Abreise auf, und sie beschloss, die Gewandung des Kindes durch verschiedene Kleidungsstücke der Klara in den nötigen Stand zu setzen, bevor Herr Sesemann erscheinen würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1372,"orig":"Sie theilte ihre Gedanken darüber an Klara mit, und da dieſe mit Allem einverſtanden war und dem Heidi eine Menge Kleider und Tücher und Hüte ſchenken wollte, verfügte ſich die Dame in Heidi's Zimmer, um ſeinen Kleiderſchrank zu beſehen und zu unterſuchen, was da von dem Vorhandenen bleiben und was entfernt werden ſolle.","norm":"Sie teilte ihre Gedanken darüber an Klara mit, und da diese mit allem einverstanden war und dem Heidi eine Menge Kleider und Tücher und Hüte schenken wollte, verfügte sich die Dame in Heidis Zimmer, um seinen Kleiderschrank zu besehen und zu untersuchen, was da von dem Vorhandenen bleiben und was entfernt werden solle."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1373,"orig":"Aber in wenig Minuten kam ſie wieder zurück mit Geberden des Abſcheus: „Was muß ich entdecken, Adelheid“, rief ſie aus, „es iſt nie da geweſen!","norm":"Aber in wenig Minuten kam sie wieder zurück mit Gebärden des Abscheus: „Was muss ich entdecken, Adelheid“, rief sie aus, „es ist nie dagewesen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1374,"orig":"In deinem Kleiderſchrank, einem Schrank für Kleider, Adelheid, im Fuß dieſes Schrankes, was finde ich?","norm":"In deinem Kleiderschrank, einem Schrank für Kleider, Adelheid, im Fuß dieses Schrankes, was finde ich?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1375,"orig":"Einen Haufen kleiner Brode!","norm":"Einen Haufen kleiner Brote!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1376,"orig":"Brod, ſage ich, Klara, im Kleiderſchrank!","norm":"Brot, sage ich, Klara, im Kleiderschrank!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1377,"orig":"Und einen ſolchen Haufen aufſpeichern!","norm":"Und einen solchen Haufen aufspeichern!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1378,"orig":"Tinette“, rief ſie jetzt in's Eßzimmer hinaus, „ſchaffen Sie mir das alte Brod fort aus dem Schrank der Adelheid und den zerdrückten Strohhut auf dem Tiſch.","norm":"Tinette“, rief sie jetzt ins Esszimmer hinaus, „schaffen Sie mir das alte Brot fort aus dem Schrank der Adelheid und den zerdrückten Strohhut auf dem Tisch."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1379,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1380,"orig":"„Nein!","norm":"„Nein!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1381,"orig":"Nein!“ ſchrie Heidi auf, „ich muß den Hut haben und die Brödchen ſind für die Großmutter“, und Heidi wollte der Tinette nachſtürzen, aber es wurde von Fräulein Rottenmeier feſtgehalten.","norm":"Nein!“ schrie Heidi auf, „ich muss den Hut haben und die Brötchen sind für die Großmutter“, und Heidi wollte der Tinette nachstürzen, aber es wurde von Fräulein Rottenmeier festgehalten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1382,"orig":"„Du bleibſt hier und der Kram wird hingebracht, wo er hin gehört“, ſagte ſie beſtimmt und hielt das Kind zurück.","norm":"„Du bleibst hier und der Kram wird hingebracht, wo er hingehört“, sagte sie bestimmt und hielt das Kind zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1383,"orig":"Aber nun warf ſich Heidi an Klara's Seſſel nieder und fing ganz verzweiflungsvoll zu weinen an, immer lauter und ſchmerzlicher und ſchluchzte ein Mal um's andere in ſeinem Jammer auf: „Nun hat die Großmutter keine Brödchen mehr!","norm":"Aber nun warf sich Heidi an Klaras Sessel nieder und fing ganz verzweiflungsvoll zu weinen an, immer lauter und schmerzlicher und schluchzte ein Mal um das andere in seinem Jammer auf: „Nun hat die Großmutter keine Brötchen mehr!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1384,"orig":"Sie waren für die Großmutter, nun ſind ſie alle fort und die Großmutter bekommt keine!“ und Heidi weinte auf, als wollte ihm das Herz zerſpringen.","norm":"Sie waren für die Großmutter, nun sind sie alle fort und die Großmutter bekommt keine!“ und Heidi weinte auf, als wollte ihm das Herz zerspringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1385,"orig":"Fräulein Rottenmeier lief hinaus.","norm":"Fräulein Rottenmeier lief hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1386,"orig":"Klara wurde es angſt und bange bei dem Jammer: „Heidi, Heidi, weine nur nicht ſo“, ſagte ſie bittend, „hör' mich nur!","norm":"Klara wurde es angst und bange bei dem Jammer: „Heidi, Heidi, weine nur nicht so“, sagte sie bittend, „höre mich nur!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1387,"orig":"Jammere nur nicht ſo, ſieh', ich verſpreche dir, ich gebe dir gerade ſo viele Brödchen für die Großmutter, oder noch mehr, wenn du einmal heimgehſt, und dann ſind dieſe friſch und weich, und die deinen wären ja ganz hart geworden und waren es ſchon.","norm":"Jammere nur nicht so, sieh, ich verspreche dir, ich gebe dir gerade so viele Brötchen für die Großmutter, oder noch mehr, wenn du einmal heimgehst, und dann sind diese frisch und weich, und die deinen wären ja ganz hart geworden und waren es schon."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1388,"orig":"Komm', Heidi, weine nur nicht mehr ſo.","norm":"Komme, Heidi, weine nur nicht mehr so."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1389,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1390,"orig":"Heidi konnte noch lange nicht aus ſeinem Schluchzen herauskommen; aber es verſtand Klara's Troſt und hielt ſich daran, ſonſt hätte es gar nicht mehr zu weinen aufhören können.","norm":"Heidi konnte noch lange nicht aus seinem Schluchzen herauskommen; aber es verstand Klaras Trost und hielt sich daran, sonst hätte es gar nicht mehr zu weinen aufhören können."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1391,"orig":"Es mußte auch noch mehrere Male ſeiner Hoffnung gewiß werden und Klara, durch die letzten Anfälle von Schluchzen unterbrochen, fragen: „Gibſt du mir o viele, viele, wie ich hatte, für die Großmutter?“","norm":"Es musste auch noch mehrere Male seiner Hoffnung gewiss werden und Klara, durch die letzten Anfälle von Schluchzen unterbrochen, fragen: „Gibst du mir o viele, viele, wie ich hatte, für die Großmutter?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1392,"orig":"Und Klara verſicherte immer wieder: „Gewiß, ganz gewiß, noch mehr, ſei nur wieder froh!“","norm":"Und Klara versicherte immer wieder: „Gewiss, ganz gewiss, noch mehr, sei nur wieder froh!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1393,"orig":"Noch zum Abendtiſch kam Heidi mit den rothverweinten Augen, und als es ſein Brödchen erblickte, mußte es gleich noch einmal aufſchluchzen.","norm":"Noch zum Abendtisch kam Heidi mit den rot-verweinten Augen, und als es sein Brötchen erblickte, musste es gleich noch einmal aufschluchzen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1394,"orig":"Aber es bezwang ſich jetzt mit Gewalt, denn es verſtand, daß es ſich am Tiſch ruhig verhalten mußte.","norm":"Aber es bezwang sich jetzt mit Gewalt, denn es verstand, dass es sich am Tisch ruhig verhalten musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1395,"orig":"Sebaſtian machte heute jedes Mal die merkwürdigſten Geberden, wenn er in Heidi's Nähe kam; er deutete bald auf ſeinen, bald auf Heidi's Kopf, dann nickte er wieder und kniff die Augen zu, ſo als wollte er ſagen: „Nur getroſt!","norm":"Sebastian machte heute jedes Mal die merkwürdigsten Gebärden, wenn er in Heidis Nähe kam; er deutete bald auf seinen, bald auf Heidis Kopf, dann nickte er wieder und kniff die Augen zu, so als wollte er sagen: „Nur getrost!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1396,"orig":"Ich hab's ſchon gemerkt und beſorgt.","norm":"Ich habe es schon gemerkt und besorgt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1397,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1398,"orig":"Als Heidi ſpäter in ſein Zimmer kam und in ſein Bett ſteigen wollte, lag ſein zerdrücktes Strohhütchen unter der Decke verſteckt.","norm":"Als Heidi später in sein Zimmer kam und in sein Bett steigen wollte, lag sein zerdrücktes Strohhütchen unter der Decke versteckt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1399,"orig":"Mit Entzücken zog es den alten Hut hervor, zerdrückte ihn vor lauter Freude noch ein wenig mehr und verſteckte ihn dann, in ein Taſchentüchlein eingewickelt, in die allerhinterſte Ecke ſeines Schranks.","norm":"Mit Entzücken zog es den alten Hut hervor, zerdrückte ihn vor lauter Freude noch ein wenig mehr und versteckte ihn dann, in ein Taschentüchlein eingewickelt, in die allerhinterste Ecke seines Schrankes."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1400,"orig":"Das Hütchen hatte der Sebaſtian unter die Decke geſteckt; er war zu gleicher Zeit mit Tinette im Eßzimmer geweſen, als dieſe gerufen wurde, und hatte Heidi's Jammerruf vernommen.","norm":"Das Hütchen hatte der Sebastian unter die Decke gesteckt; er war zu gleicher Zeit mit Tinette im Esszimmer gewesen, als diese gerufen wurde, und hatte Heidis Jammerruf vernommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1401,"orig":"Dann war er Tinette nachgegangen, und als ſie aus Heidi's Zimmer heraustrat mit ihrer Brodlaſt und dem Hütchen oben drauf, hatte er ſchnell dieſes weggenommen und ihr zugerufen: „Das will ich ſchon fort thun.","norm":"Dann war er Tinette nachgegangen, und als sie aus Heidis Zimmer heraustrat mit ihrer Brotlast und dem Hütchen oben darauf, hatte er schnell dieses weggenommen und ihr zugerufen: „Das will ich schon forttun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1402,"orig":"“ Darauf hatte er es in aller Freude für Heidi gerettet, was er ihm beim Abendeſſen zur Erheiterung andeuten wollte.","norm":"“ Darauf hatte er es in aller Freude für Heidi gerettet, was er ihm beim Abendessen zur Erheiterung andeuten wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1403,"orig":"Einige Tage nach dieſen Ereigniſſen war im Hauſe Seſemann große Lebendigkeit und ein eifriges Treppaufund Treppab-Rennen, denn eben war der Hausherr von ſeiner Reiſe zurückgekehrt, und aus dem bepackten Wagen wurde von Sebaſtian und Tinette eine Laſt nach der andern hinaufgetragen, denn Herr Seſemann brachte immer eine Menge ſchöner Sachen mit nach Haus.","norm":"Einige Tage nach diesen Ereignissen war im Hause Sesemann große Lebendigkeit und ein eifriges Treppauf- und Treppab-Rennen, denn eben war der Hausherr von seiner Reise zurückgekehrt, und aus dem bepackten Wagen wurde von Sebastian und Tinette eine Last nach der anderen hinaufgetragen, denn Herr Sesemann brachte immer eine Menge schöner Sachen mit nach Haus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1404,"orig":"Er ſelbſt war vor Allem in das Zimmer ſeiner Tochter eingetreten, um ſie zu begrüßen.","norm":"Er selbst war vor allem in das Zimmer seiner Tochter eingetreten, um sie zu begrüßen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1405,"orig":"Heidi ſaß bei ihr, denn es war die Zeit des ſpätern Nachmittags, da die Beiden immer zuſammen waren.","norm":"Heidi saß bei ihr, denn es war die Zeit des späteren Nachmittags, da die Beiden immer zusammen waren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1406,"orig":"Klara begrüßte ihren Vater mit großer Zärtlichkeit, denn ſie liebte ihn ſehr, und der gute Papa grüßte ſein Klärchen nicht weniger liebevoll.","norm":"Klara begrüßte ihren Vater mit großer Zärtlichkeit, denn sie liebte ihn sehr, und der gute Papa grüßte sein Klärchen nicht weniger liebevoll."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1407,"orig":"Dann ſtreckte er ſeine Hand dem Heidi entgegen, das ſich leiſe in eine Ecke zurückgezogen hatte, und ſagte freundlich: „Und das iſt unſere kleine Schweizerin; komm' her, gib mir' mal eine Hand!","norm":"Dann streckte er seine Hand dem Heidi entgegen, das sich leise in eine Ecke zurückgezogen hatte, und sagte freundlich: „Und das ist unsere kleine Schweizerin; komme her, gib mir' mal eine Hand!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1408,"orig":"So iſt's recht!","norm":"So ist es recht!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1409,"orig":"Nun ſag' mir mal, ſeid ihr auch gute Freunde zuſammen, Klara und du?","norm":"Nun sage mir mal, seid ihr auch gute Freunde zusammen, Klara und du?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1410,"orig":"Nicht zanken und böſe werden und dann weinen und dann verſöhnen und dann wieder von vorn anfangen, nun?“","norm":"Nicht zanken und böse werden und dann weinen und dann versöhnen und dann wieder von vorn anfangen, nun?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1411,"orig":"„Nein, Klara iſt immer gut mit mir“, entgegnete Heidi.","norm":"„Nein, Klara ist immer gut mit mir“, entgegnete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1412,"orig":"„Und Heidi hat auch noch gar nie verſucht, zu zanken, Papa“, warf Klara ſchnell ein.","norm":"„Und Heidi hat auch noch gar nie versucht, zu zanken, Papa“, warf Klara schnell ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1413,"orig":"„So iſt's gut, das hör' ich gern“, ſagte der Papa, indem er aufſtand.","norm":"„So ist es gut, das höre ich gern“, sagte der Papa, indem er aufstand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1414,"orig":"„Nun mußt du aber erlauben, Klärchen, daß ich Etwas genieße, heute habe ich noch Nichts bekommen, nachher komm' ich wieder zu dir und du ſollſt ſehen, was ich mitgebracht habe!“","norm":"„Nun musst du aber erlauben, Klärchen, dass ich etwas genieße, heute habe ich noch Nichts bekommen, nachher komme ich wieder zu dir und du sollst sehen, was ich mitgebracht habe!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1415,"orig":"Herr Seſemann trat in's Eßzimmer ein, wo Fräulein Rottenmeier den Tiſch überſchaute, der für ſein Mittagsmahl gerüſtet war.","norm":"Herr Sesemann trat ins Esszimmer ein, wo Fräulein Rottenmeier den Tisch überschaute, der für sein Mittagsmahl gerüstet war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1416,"orig":"Nachdem Herr Seſemann ſich niedergelaſſen und die Dame ihm gegenüber Platz genommen hatte und ausſah wie ein lebendiges Mißgeſchick, wandte ſich der Hausherr zu ihr: „Aber Fräulein Rottenmeier, was muß ich denken?","norm":"Nachdem Herr Sesemann sich niedergelassen und die Dame ihm gegenüber Platz genommen hatte und aussah wie ein lebendiges Missgeschick, wandte sich der Hausherr zu ihr: „Aber Fräulein Rottenmeier, was muss ich denken?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1417,"orig":"Sie haben zu meinem Empfang ein wahrhaft erſchreckendes Geſicht aufgeſetzt.","norm":"Sie haben zu meinem Empfang ein wahrhaft erschreckendes Gesicht aufgesetzt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1418,"orig":"Wo fehlt es denn?","norm":"Wo fehlt es denn?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1419,"orig":"Klärchen iſt ja ganz munter.","norm":"Klärchen ist ja ganz munter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1420,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1421,"orig":"„Herr Seſemann“, begann die Dame mit gewichtigem Ernſt, „Klara iſt mitbetroffen, wir ſind fürchterlich getäuſcht worden.","norm":"„Herr Sesemann“, begann die Dame mit gewichtigem Ernst, „Klara ist mit betroffen, wir sind fürchterlich getäuscht worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1422,"orig":"“ Wie ſo?“ fragte Herr Seſemann und trank in aller Ruhe einen Schluck Wein.","norm":"“ Wie so?“ fragte Herr Sesemann und trank in aller Ruhe einen Schluck Wein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1423,"orig":"„Wir hatten ja beſchloſſen, wie Sie wiſſen, Herr Seſemann, eine Geſpielin für Klara in's Haus zu nehmen, und da ich ja weiß, wie ſehr Sie darauf halten, daß nur Gutes und Edles Ihre Tochter umgebe, hatte ich meinen Sinn auf ein junges Schweizermädchen gerichtet, indem ich hoffte, eines jener Weſen bei uns eintreten zu ſehen, von denen ich ſchon ſo oft geleſen, welche, der reinen Bergluft entſproſſen, ſozuſagen ohne die Erde zu berühren, durch das Leben gehen.","norm":"„Wir hatten ja beschlossen, wie Sie wissen, Herr Sesemann, eine Gespielin für Klara ins Haus zu nehmen, und da ich ja weiß, wie sehr Sie darauf halten, dass nur Gutes und Edles Ihre Tochter umgebe, hatte ich meinen Sinn auf ein junges Schweizermädchen gerichtet, indem ich hoffte, eines jener Wesen bei uns eintreten zu sehen, von denen ich schon so oft gelesen, welche, der reinen Bergluft entsprossen, sozusagen ohne die Erde zu berühren, durch das Leben gehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1424,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1425,"orig":"„Ich glaube zwar“, bemerkte hier Herr Seſemann, daß auch die Schweizerkinder den Erdboden berühren, wenn ſie vorwärts kommen wollen, ſonſt wären ihnen wohl Flügel gewachſen ſtatt der Füße.","norm":"„Ich glaube zwar“, bemerkte hier Herr Sesemann, dass auch die Schweizerkinder den Erdboden berühren, wenn sie vorwärtskommen wollen, sonst wären ihnen wohl Flügel gewachsen statt der Füße."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1426,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1427,"orig":"„Ach, Herr Seſemann, Sie verſtehen mich wohl“, fuhr das Fräulein fort, „ich meinte eine jener ſo bekannten, in den hohen, reinen Bergregionen lebenden Geſtalten, die nur wie ein idealer Hauch an uns vorüberziehn.","norm":"„Ach, Herr Sesemann, Sie verstehen mich wohl“, fuhr das Fräulein fort, „ich meinte eine jener so bekannten, in den hohen, reinen Bergregionen lebenden Gestalten, die nur wie ein idealer Hauch an uns vorüberziehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1428,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1429,"orig":"„Was ſollte aber meine Klara mit einem idealen Hauch anfangen, Fräulein Rottenmeier?“","norm":"„Was sollte aber meine Klara mit einem idealen Hauch anfangen, Fräulein Rottenmeier?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1430,"orig":"„Nein, Herr Seſemann, ich ſcherze nicht, die Sache iſt mir ernſter, als Sie denken, ich bin ſchrecklich, wirklich ganz erſchrecklich getäuſcht worden.","norm":"„Nein, Herr Sesemann, ich scherze nicht, die Sache ist mir ernster, als Sie denken, ich bin schrecklich, wirklich ganz erschrecklich getäuscht worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1431,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1432,"orig":"„Aber worin liegt denn das Schreckliche?","norm":"„Aber worin liegt denn das Schreckliche?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1433,"orig":"So gar erſchrecklich ſieht mir das Kind nicht aus“, bemerkte ruhig","norm":"So gar erschrecklich sieht mir das Kind nicht aus“, bemerkte ruhig"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1434,"orig":"Herr Seſemann.","norm":"Herr Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1435,"orig":"„Sie ſollten nur Eines wiſſen, Herr Seſemann, nur","norm":"„Sie sollten nur eines wissen, Herr Sesemann, nur"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1436,"orig":"das Eine, mit was für Menſchen und Thieren dieſes Weſen","norm":"das eine, mit was für Menschen und Tieren dieses Wesen"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1437,"orig":"Ihr Haus in Ihrer Abweſenheit bevölkert hat; davon könnte","norm":"Ihr Haus in Ihrer Abwesenheit bevölkert hat; davon könnte"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1438,"orig":"der Herr Candidat erzählen.","norm":"der Herr Kandidat erzählen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1439,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1440,"orig":"„Mit Thieren?","norm":"„Mit Tieren?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1441,"orig":"Wie muß ich das verſtehen, Fräulein","norm":"Wie muss ich das verstehen, Fräulein"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1442,"orig":"Rottenmeier?“","norm":"Rottenmeier?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1443,"orig":"„Es iſt eben nicht zu verſtehen; die ganze Aufführung","norm":"„Es ist eben nicht zu verstehen; die ganze Aufführung"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1444,"orig":"dieſes Weſens wäre nicht zu verſtehen, wenn nicht aus dem","norm":"dieses Wesens wäre nicht zu verstehen, wenn nicht aus dem"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1445,"orig":"Einen Punkte, daß es Anfälle von völliger Verſtandesgeſtörtheit hat.","norm":"Einen Punkte, dass es Anfälle von völliger Verstandesgestörtheit hat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1446,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1447,"orig":"Bis hierher hatte Herr Seſemann die Sache nicht für","norm":"Bis hierher hatte Herr Sesemann die Sache nicht für"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1448,"orig":"wichtig gehalten; aber Geſtörtheit des Verſtandes?","norm":"wichtig gehalten; aber Gestörtheit des Verstandes?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1449,"orig":"eine ſolche","norm":"eine solche"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1450,"orig":"konnte ja für ſeine Tochter die bedenklichſten Folgen haben.","norm":"konnte ja für seine Tochter die bedenklichsten Folgen haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1451,"orig":"Herr Seſemann ſchaute Fräulein Rottenmeier ſehr genau","norm":"Herr Sesemann schaute Fräulein Rottenmeier sehr genau"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1452,"orig":"an, ſo als wollte er ſich erſt verſichern, ob nicht etwa bei ihr eine derartige Störung zu bemerken ſei.","norm":"an, so als wollte er sich erst versichern, ob nicht etwa bei ihr eine derartige Störung zu bemerken sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1453,"orig":"In dieſem Augenblick wurde die Thüre aufgethan und der Herr Candidat angemeldet.","norm":"In diesem Augenblick wurde die Türe aufgetan und der Herr Kandidat angemeldet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1454,"orig":"„Ach da kommt unſer Herr Candidat, der wird uns Aufſchluß geben“, rief ihm Herr Seſemann entgegen.","norm":"„Ach da kommt unser Herr Kandidat, der wird uns Aufschluss geben“, rief ihm Herr Sesemann entgegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1455,"orig":"„Kommen Sie, kommen Sie, ſetzen Sie ſich zu mir!“ Herr Seſemann ſtreckte dem Eintretenden die Hand entgegen.","norm":"„Kommen Sie, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!“ Herr Sesemann streckte dem Eintretenden die Hand entgegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1456,"orig":"„Der Herr Candidat trinkt eine Taſſe ſchwarzen Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier!","norm":"„Der Herr Kandidat trinkt eine Tasse schwarzen Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1457,"orig":"Setzen Sie ſich, ſetzen Sie ſich, keine Complimente!","norm":"Setzen Sie sich, setzen Sie sich, keine Komplimente!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1458,"orig":"Und nun ſagen Sie mir, Herr Candidat, was iſt mit dem Kinde, das als Geſpielin meiner Tochter in's Haus gekommen iſt und das Sie unterrichten.","norm":"Und nun sagen Sie mir, Herr Kandidat, was ist mit dem Kinde, das als Gespielin meiner Tochter ins Haus gekommen ist und das Sie unterrichten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1459,"orig":"Was hat es für eine Bewandtniß mit den Thieren, die es in's Haus gebracht und wie ſteht es mit ſeinem Verſtand?“","norm":"Was hat es für eine Bewandtnis mit den Tieren, die es ins Haus gebracht und wie steht es mit seinem Verstand?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1460,"orig":"Der Herr Candidat mußte erſt ſeine Freude über Herrn Seſemann's glückliche Rückkehr ausſprechen und ihn willkommen heißen, weßwegen er ja gekommen war; aber Herr Seſemann drängte ihn, daß er ihm Aufſchluß gebe über die fraglichen Punkte.","norm":"Der Herr Kandidat musste erst seine Freude über Herrn Sesemanns glückliche Rückkehr aussprechen und ihn willkommen heißen, weswegen er ja gekommen war; aber Herr Sesemann drängte ihn, dass er ihm Aufschluss gebe über die fraglichen Punkte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1461,"orig":"So begann denn der Herr Candidat: „Wenn ich mich über das Weſen dieſes jungen Mädchens ausſprechen ſoll, Herr Seſemann, ſo möchte ich vor Allem darauf aufmerkſam machen, daß, wenn auch auf der einen Seite ſich ein Mangel der Entwicklung, welcher durch eine mehr oder weniger vernachläſſigte Erziehung, oder beſſer geſagt, etwas verſpäteten Unterricht verurſacht und durch die mehr oder weniger, jedoch durchaus nicht in jeder Beziehung; zu verurtheilende, im Gegentheil ihre guten Seiten unſtreitig darthuende Abgeſchiedenheit eines längeren Alpenaufenthalts, welcher, wenn er nicht eine gewiſſe Dauer überſchreitet, ja ohne Zweifel ſeine gute Seite —“","norm":"So begann denn der Herr Kandidat: „Wenn ich mich über das Wesen dieses jungen Mädchens aussprechen soll, Herr Sesemann, so möchte ich vor allem darauf aufmerksam machen, dass, wenn auch auf der einen Seite sich ein Mangel der Entwicklung, welcher durch eine mehr oder weniger vernachlässigte Erziehung, oder besser gesagt, etwas verspäteten Unterricht verursacht und durch die mehr oder weniger, jedoch durchaus nicht in jeder Beziehung; zu verurteilende, im Gegenteil ihre guten Seiten unstreitig dartuende Abgeschiedenheit eines längeren Alpenaufenthalts, welcher, wenn er nicht eine gewisse Dauer überschreitet, ja ohne Zweifel seine gute Seite —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1462,"orig":"„Mein lieber Herr Candidat“, unterbrach hier Herr Seſemann, „Sie geben ſich wirklich zu viel Mühe; ſagen Sie mir, hat auch Ihnen das Kind einen Schrecken beigebracht durch eingeſchleppte Thiere, und was halten Sie überhaupt von dieſem Umgang für mein Töchterchen?“","norm":"„Mein lieber Herr Kandidat“, unterbrach hier Herr Sesemann, „Sie geben sich wirklich zu viel Mühe; sagen Sie mir, hat auch Ihnen das Kind einen Schrecken beigebracht durch eingeschleppte Tiere, und was halten Sie überhaupt von diesem Umgang für mein Töchterchen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1463,"orig":"„Ich möchte dem jungen Mädchen in keiner Art zu nahe treten“, begann der Herr Candidat wieder, „denn wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von geſellſchaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder weniger uncultivirten Leben, in welchem das junge Mädchen bis zu dem Augenblick ſeiner Verſetzung nach Frankfurt ſich bewegte, welche Verſetzung allerdings in die Entwicklung dieſes, ich möchte ſagen noch völlig, wenigſtens theilweiſe unentwickelten, aber anderſeits mit nicht zu verachtenden Anlagen begabten und wenn allſeitig umſichtig geleitet —“","norm":"„Ich möchte dem jungen Mädchen in keiner Art zu nahe treten“, begann der Herr Kandidat wieder, „denn wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von gesellschaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder weniger unkultivierten Leben, in welchem das junge Mädchen bis zu dem Augenblick seiner Versetzung nach Frankfurt sich bewegte, welche Versetzung allerdings in die Entwicklung dieses, ich möchte sagen noch völlig, wenigstens teilweise unentwickelten, aber anderseits mit nicht zu verachtenden Anlagen begabten und wenn allseitig umsichtig geleitet —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1464,"orig":"„Entſchuldigen Sie, Herr Candidat, bitte, laſſen Sie ſich nicht ſtören, ich werde — ich muß ſchnell einmal nach meiner Tochter ſehen.","norm":"„Entschuldigen Sie, Herr Kandidat, bitte, lassen Sie sich nicht stören, ich werde — ich muss schnell einmal nach meiner Tochter sehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1465,"orig":"“ Damit lief Herr Seſemann zur Thür hinaus und kam nicht wieder.","norm":"“ Damit lief Herr Sesemann zur Tür hinaus und kam nicht wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1466,"orig":"Drüben im Studierzimmer ſetzte er ſich zu ſeinem Töchterchen hin;","norm":"Drüben im Studierzimmer setzte er sich zu seinem Töchterchen hin;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1467,"orig":"Heidi war aufgeſtanden.","norm":"Heidi war aufgestanden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1468,"orig":"Herr Seſemann wandte ſich nach dem Kinde um: „Hör' ' mal, Kleine, hol' mir doch ſchnell — wart' einmal — hol' mir mal —“ (Herr Seſemann wußte nicht recht, was er bedurfte, Heidi ſollte aber ein wenig ausgeſchickt werden) — „hol' mir doch' mal ein Glas Waſſer.","norm":"Herr Sesemann wandte sich nach dem Kinde um: „Höre' mal, Kleine, hole mir doch schnell — wart einmal — hole mir mal —“ (Herr Sesemann wusste nicht recht, was er bedurfte, Heidi sollte aber ein wenig ausgeschickt werden) — „hole mir doch' mal ein Glas Wasser."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1469,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1470,"orig":"„Friſches?“ fragte Heidi.","norm":"„Frisches?“ fragte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1471,"orig":"„Ja wohl!","norm":"„Ja wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1472,"orig":"Ja wohl!","norm":"Ja wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1473,"orig":"Recht friſches!“ gab Herr Seſemann zurück.","norm":"Recht frisches!“ gab Herr Sesemann zurück."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1474,"orig":"Heidi verſchwand.","norm":"Heidi verschwand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1475,"orig":"„Nun, mein liebes Klärchen“, ſagte der Papa, indem er ganz nah an ſein Töchterchen heranrückte und deſſen Hand in die ſeinige legte, „ſag' du mir klar und faßlich: was für Thiere hat dieſe deine Geſpielin in's Haus gebracht und warum muß Fräulein Rottenmeier denken, ſie ſei zeitweiſe nicht ganz recht im Kopf, kannſt du mir das ſagen?“","norm":"„Nun, mein liebes Klärchen“, sagte der Papa, indem er ganz nah an sein Töchterchen heranrückte und dessen Hand in die seinige legte, „sage du mir klar und fasslich: Was für Tiere hat diese deine Gespielin ins Haus gebracht und warum muss Fräulein Rottenmeier denken, sie sei zeitweise nicht ganz recht im Kopf, kannst du mir das sagen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1476,"orig":"Das konnte Klara, denn die erſchrockene Dame hatte auch ihr von Heidi's ſie verwirrenden Reden geſprochen, die aber für Klara alle einen Sinn hatten.","norm":"Das konnte Klara, denn die erschrockene Dame hatte auch ihr von Heidis sie verwirrenden Reden gesprochen, die aber für Klara alle einen Sinn hatten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1477,"orig":"Sie erzählte erſt dem Vater die Geſchichten von der Schildkröte und den jungen Katzen und erklärte ihm dann Heidi's Reden, welche die Dame ſo erſchreckt hatten.","norm":"Sie erzählte erst dem Vater die Geschichten von der Schildkröte und den jungen Katzen und erklärte ihm dann Heidis Reden, welche die Dame so erschreckt hatten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1478,"orig":"Jetzt lachte Herr Seſemann herzlich: „So willſt du nicht, daß ich das Kind nach Haus ſchicke, Klärchen, du biſt ſeiner nicht müde?“ fragte der Vater.","norm":"Jetzt lachte Herr Sesemann herzlich: „So willst du nicht, dass ich das Kind nach Haus schicke, Klärchen, du bist seiner nicht müde?“ fragte der Vater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1479,"orig":"„Nein, nein, Papa, thu' nur das nicht!“ rief Klara abwehrend aus.","norm":"„Nein, nein, Papa, tue nur das nicht!“ rief Klara abwehrend aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1480,"orig":"„Seit Heidi da iſt, begegnet immer Etwas, jeden Tag und es iſt ſo kurzweilig, ganz anders als vorher, da begegnete nie Etwas, und Heidi erzählt mir auch ſo viel.","norm":"„Seit Heidi da ist, begegnet immer etwas, jeden Tag und es ist so kurzweilig, ganz anders als vorher, da begegnete nie etwas, und Heidi erzählt mir auch so viel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1481,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1482,"orig":"„Schon gut, ſchon gut, Klärchen, da kommt ja auch deine Freundin ſchon wieder.","norm":"„Schon gut, schon gut, Klärchen, da kommt ja auch deine Freundin schon wieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1483,"orig":"Na, ſchönes, friſches Waſſer geholt?“ fragte Herr Seſemann, da ihm Heidi nun ein Glas Waſſer hinſtreckte.","norm":"Na, schönes, frisches Wasser geholt?“ fragte Herr Sesemann, da ihm Heidi nun ein Glas Wasser hinstreckte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1484,"orig":"„Ja, friſch vom Brunnen“, antwortete Heidi.","norm":"„Ja, frisch vom Brunnen“, antwortete Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1485,"orig":"„Du biſt doch nicht ſelbſt zum Brunnen gelaufen, Heidi?“ ſagte Klara.","norm":"„Du bist doch nicht selbst zum Brunnen gelaufen, Heidi?“ sagte Klara."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1486,"orig":"Doch gewiß, es iſt ganz friſch, aber ich mußte weit gehen, denn am erſten Brunnen waren ſo viele Leute.","norm":"Doch gewiss, es ist ganz frisch, aber ich musste weit gehen, denn am ersten Brunnen waren so viele Leute."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1487,"orig":"Da ging ich die Straße ganz hinab, aber beim zweiten waren wieder ſo viel Leute; da ging ich in die andere Straße hinein und dort nahm ich Waſſer und der Herr mit den weißen Haaren läßt Herrn Seſemann freundlich grüßen.","norm":"Da ging ich die Straße ganz hinab, aber beim zweiten waren wieder so viel Leute; da ging ich in die andere Straße hinein und dort nahm ich Wasser und der Herr mit den weißen Haaren lässt Herrn Sesemann freundlich grüßen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1488,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1489,"orig":"„Na, die Expedition iſt gut“, lachte Herr Seſemann, ”und wer iſt denn der Herr?“","norm":"„Na, die Expedition ist gut“, lachte Herr Sesemann, ”und wer ist denn der Herr?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1490,"orig":"„Er kam beim Brunnen vorbei und dann ſtand er ſtill und ſagte:, Weil du doch ein Glas haſt, ſo gib mir auch einmal zu trinken; wem bringſt du dein Glas Waſſer?‘ Und ich ſagte:, Herrn Seſemann.","norm":"„Er kam beim Brunnen vorbei und dann stand er still und sagte:, Weil du doch ein Glas hast, so gib mir auch einmal zu trinken; wem bringst du dein Glas Wasser?‘ Und ich sagte:, Herrn Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1491,"orig":"‘ Da lachte er ſehr ſtark, und dann ſagte er den Gruß und auch noch, Herr Seſemann ſolle ſich's ſchmecken laſſen.","norm":"‘ Da lachte er sehr stark, und dann sagte er den Gruß und auch noch, Herr Sesemann solle sich es schmecken lassen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1492,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1493,"orig":"„So, und wer läßt mir denn wohl den guten Wunſch ſagen?","norm":"„So, und wer lässt mir denn wohl den guten Wunsch sagen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1494,"orig":"Wie ſah der Herr denn weiter aus?“ fragte Herr Seſemann.","norm":"Wie sah der Herr denn weiter aus?“ fragte Herr Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1495,"orig":"„Er lacht freundlich und hat eine dicke goldene Kette und ein goldenes Ding hängt daran mit einem großen, rothen Stein und auf ſeinem Stock iſt ein Roßkopf.","norm":"„Er lacht freundlich und hat eine dicke goldene Kette und ein goldenes Ding hängt daran mit einem großen, roten Stein und auf seinem Stock ist ein Rosskopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1496,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1497,"orig":"„Das iſt der Herr Doktor“, „Das iſt mein alter Doktor“, ſagten Klara und ihr Vater wie aus Einem Munde und Herr Seſemann lachte noch ein wenig in ſich hinein im Gedanken an ſeinen Freund und deſſen Betrachtungen über dieſe neue Weiſe, ſeinen Waſſerbedarf ſich zuführen zu laſſen.","norm":"„Das ist der Herr Doktor“, „Das ist mein alter Doktor“, sagten Klara und ihr Vater wie aus einem Munde und Herr Sesemann lachte noch ein wenig in sich hinein im Gedanken an seinen Freund und dessen Betrachtungen über diese neue Weise, seinen Wasserbedarf sich zuführen zu lassen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1498,"orig":"Noch an demſelben Abend erklärte Herr Seſemann, als er allein mit Fräulein Rottenmeier im Eßzimmer ſaß, um allerlei häusliche Angelegenheiten mit ihr zu beſprechen, die Geſpielin ſeiner Tochter werde im Hauſe bleiben; er finde, das Kind ſei in einem normalen Zuſtand und ſeine Geſellſchaft ſei ſeiner Tochter ſehr lieb und angenehmer, als jede andere.","norm":"Noch an demselben Abend erklärte Herr Sesemann, als er allein mit Fräulein Rottenmeier im Esszimmer saß, um allerlei häusliche Angelegenheiten mit ihr zu besprechen, die Gespielin seiner Tochter werde im Hause bleiben; er finde, das Kind sei in einem normalen Zustand und seine Gesellschaft sei seiner Tochter sehr lieb und angenehmer, als jede andere."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1499,"orig":"„Ich wünſche daher“, ſetzte Herr Seſemann ſehr beſtimmt hinzu, „daß dieſes Kind jederzeit durchaus freundlich behandelt und ſeine Eigenthümlichkeiten nicht als Vergehen betrachtet werden.","norm":"„Ich wünsche daher“, setzte Herr Sesemann sehr bestimmt hinzu, „dass dieses Kind jederzeit durchaus freundlich behandelt und seine Eigentümlichkeiten nicht als Vergehen betrachtet werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1500,"orig":"Sollten Sie übrigens mit dem Kinde nicht allein fertig werden, Fräulein Rottenmeier, ſo iſt ja eine gute Hülfe für Sie in Ausſicht, da in nächſter Zeit meine Mutter zu ihrem längern Aufenthalt in mein Haus kommt, und meine Mutter wird mit jedem Menſchen fertig, wie er ſich auch anſtelle, das wiſſen Sie ja wohl, Fräulein Rottenmeier?“","norm":"Sollten Sie übrigens mit dem Kinde nicht allein fertig werden, Fräulein Rottenmeier, so ist ja eine gute Hilfe für Sie in Aussicht, da in nächster Zeit meine Mutter zu ihrem längeren Aufenthalt in mein Haus kommt, und meine Mutter wird mit jedem Menschen fertig, wie er sich auch anstelle, das wissen Sie ja wohl, Fräulein Rottenmeier?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1501,"orig":"„Ja wohl, das weiß ich, Herr Seſemann“, entgegnete die Dame, aber nicht mit dem Ausdruck der Erleichterung im Hinblick auf die angezeigte Hülfe.","norm":"„Ja wohl, das weiß ich, Herr Sesemann“, entgegnete die Dame, aber nicht mit dem Ausdruck der Erleichterung im Hinblick auf die angezeigte Hilfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1502,"orig":"Herr Seſemann hatte dieß Mal nur eine kurze Zeit Ruhe zu Hauſe; ſchon nach vierzehn Tagen riefen ihn ſeine Geſchäfte wieder nach Paris, und er tröſtete ſein Töchterchen, das mit der nahen Abreiſe nicht einverſtanden war, mit der Ausſicht auf die baldige Ankunft der Großmama, die ſchon nach einigen Tagen erwartet werden konnte.","norm":"Herr Sesemann hatte diesmal nur eine kurze Zeit Ruhe zu Hause; schon nach vierzehn Tagen riefen ihn seine Geschäfte wieder nach Paris, und er tröstete sein Töchterchen, das mit der nahen Abreise nicht einverstanden war, mit der Aussicht auf die baldige Ankunft der Großmama, die schon nach einigen Tagen erwartet werden konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1503,"orig":"Kaum war auch Herr Seſemann abgereiſt, als ſchon der Brief anlangte, der die Abreiſe der Frau Seſemann aus Holſtein, wo ſie auf einem alten Gute wohnte, anzeigte und die beſtimmte Zeit ihrer Ankunft auf den folgenden Tag meldete, damit der Wagen nach dem Bahnhof geſchickt würde, um ſie abzuholen.","norm":"Kaum war auch Herr Sesemann abgereist, als schon der Brief anlangte, der die Abreise der Frau Sesemann aus Holstein, wo sie auf einem alten Gute wohnte, anzeigte und die bestimmte Zeit ihrer Ankunft auf den folgenden Tag meldete, damit der Wagen nach dem Bahnhof geschickt würde, um sie abzuholen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1504,"orig":"Klara war voller Freude über die Nachricht und erzählte noch an demſelben Abend dem Heidi ſo viel und ſo lange von der Großmama, daß Heidi auch anfing, von der „Großmama“ zu reden, worauf Fräulein Rottenmeier Heidi mit Mißbilligung anblickte, was aber das Kind auf nichts Beſonderes bezog, denn es fühlte ſich unter fortdauernder Mißbilligung der Dame.","norm":"Klara war voller Freude über die Nachricht und erzählte noch an demselben Abend dem Heidi so viel und so lange von der Großmama, dass Heidi auch anfing, von der „Großmama“ zu reden, worauf Fräulein Rottenmeier Heidi mit Missbilligung anblickte, was aber das Kind auf nichts Besonderes bezog, denn es fühlte sich unter fortdauernder Missbilligung der Dame."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1505,"orig":"Als es ſich dann ſpäter entfernte, um in ſein Schlafzimmer zu gehen, berief Fräulein Rottenmeier es erſt in das ihrige herein und erklärte ihm hier, es habe niemals den Namen „Großmama“ anzuwenden, ſondern wenn Frau Seſemann nun da ſei, habe es ſie ſtets „gnädige Frau“ anzureden.","norm":"Als es sich dann später entfernte, um in sein Schlafzimmer zu gehen, berief Fräulein Rottenmeier es erst in das ihrige herein und erklärte ihm hier, es habe niemals den Namen „Großmama“ anzuwenden, sondern wenn Frau Sesemann nun da sei, habe es sie stets „gnädige Frau“ anzureden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1506,"orig":"„Verſtehſt du das?“ fragte die Dame, als Heidi ſie etwas zweifelhaft anſah; ſie gab ihm aber einen ſo abſchließenden Blick zurück, daß Heidi ſich keine Erklärung mehr erbat, obſchon es den Titel nicht verſtanden hatte.","norm":"„Verstehst du das?“ fragte die Dame, als Heidi sie etwas zweifelhaft ansah; sie gab ihm aber einen so abschließenden Blick zurück, dass Heidi sich keine Erklärung mehr erbat, obschon es den Titel nicht verstanden hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1507,"orig":"Am folgenden Abend waren große Erwartungen und lebhafte Vorbereitungen im Hauſe Seſemann ſichtbar, man konnte deutlich bemerken, daß die erwartete Dame ein bedeutendes Wort im Hauſe mitzuſprechen hatte und daß Jedermann großen Reſpekt vor ihr empfand.","norm":"Am folgenden Abend waren große Erwartungen und lebhafte Vorbereitungen im Hause Sesemann sichtbar, man konnte deutlich bemerken, dass die erwartete Dame ein bedeutendes Wort im Hause mitzusprechen hatte und dass jedermann großen Respekt vor ihr empfand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1508,"orig":"Tinette hatte ein ganz neues, weißes Deckelchen auf den Kopf geſetzt, und Sebaſtian raffte eine Menge von Schemeln zuſammen und ſtellte ſie an alle paſſenden Stellen hin, damit die Dame gleich einen Schemel unter den Füßen finde, wohin ſie ſich auch ſetzen möge.","norm":"Tinette hatte ein ganz neues, weißes Deckelchen auf den Kopf gesetzt, und Sebastian raffte eine Menge von Schemeln zusammen und stellte sie an alle passenden Stellen hin, damit die Dame gleich einen Schemel unter den Füßen finde, wohin sie sich auch setzen möge."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1509,"orig":"Fräulein Rottenmeier ging zur Muſterung der Dinge ſehr aufrecht durch die Zimmer, ſowie um anzudeuten, daß, wenn auch eine zweite Herrſchermacht herannahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöſchen ſei.","norm":"Fräulein Rottenmeier ging zur Musterung der Dinge sehr aufrecht durch die Zimmer, sowie um anzudeuten, dass, wenn auch eine zweite Herrschermacht herannahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöschen sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1510,"orig":"Jetzt rollte der Wagen vor das Haus und Sebaſtian und Tinette ſtürzten die Treppe hinunter; langſam und würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach, denn ſie wußte, daß auch ſie zum Empfang der Frau Seſemann zu erſcheinen hatte.","norm":"Jetzt rollte der Wagen vor das Haus und Sebastian und Tinette stürzten die Treppe hinunter; langsam und würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach, denn sie wusste, dass auch sie zum Empfang der Frau Sesemann zu erscheinen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1511,"orig":"Heidi war beordert worden, ſich in ſein Zimmer zurückzuziehen und da zu warten, bis es gerufen würde, denn die Großmama würde zuerſt bei Klara eintreten und dieſe wohl allein ſehen wollen.","norm":"Heidi war beordert worden, sich in sein Zimmer zurückzuziehen und da zu warten, bis es gerufen würde, denn die Großmama würde zuerst bei Klara eintreten und diese wohl allein sehen wollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1512,"orig":"Heidi ſetzte ſich in einen Winkel und repetirte ſeine Anrede.","norm":"Heidi setzte sich in einen Winkel und repetierte seine Anrede."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1513,"orig":"Es währte gar nicht lange, ſo ſteckte die Tinette den Kopf ein klein wenig unter Heidi's Zimmerthür und ſagte kurz angebunden wie immer: „Hinübergehen in's Studierzimmer!“","norm":"Es währte gar nicht lange, so steckte die Tinette den Kopf ein klein wenig unter Heidis Zimmertür und sagte kurz angebunden wie immer: „Hinübergehen ins Studierzimmer!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1514,"orig":"Heidi hatte Fräulein Rottenmeier nicht fragen dürfen, wie es mit der Anrede ſei, aber es dachte, die Dame habe ſich nur verſprochen, denn es hatte bis jetzt immer erſt den Titel nennen gehört und nachher den Namen, ſo hatte es ſich nun die Sache zurechtgelegt.","norm":"Heidi hatte Fräulein Rottenmeier nicht fragen dürfen, wie es mit der Anrede sei, aber es dachte, die Dame habe sich nur versprochen, denn es hatte bis jetzt immer erst den Titel nennen gehört und nachher den Namen, so hatte es sich nun die Sache zurechtgelegt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1515,"orig":"Wie es die Thüre zum Studierzimmer aufmachte, rief ihm die Großmama mit freundlicher Stimme entgegen: „Ach, da kommt ja das Kind!","norm":"Wie es die Türe zum Studierzimmer aufmachte, rief ihm die Großmama mit freundlicher Stimme entgegen: „Ach, da kommt ja das Kind!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1516,"orig":"Komm' ' mal her zu mir und laß dich recht anſehen.","norm":"Komme' mal her zu mir und lass dich recht ansehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1517,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1518,"orig":"Heidi trat heran, und mit ſeiner klaren Stimme ſagte es ſehr deutlich: „Guten Tag, Frau Gnädige.","norm":"Heidi trat heran, und mit seiner klaren Stimme sagte es sehr deutlich: „Guten Tag, Frau Gnädige."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1519,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1520,"orig":"„Warum nicht gar!“ lachte die Großmama.","norm":"„Warum nicht gar!“ lachte die Großmama."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1521,"orig":"„Sagt man ſo bei euch?","norm":"„Sagt man so bei euch?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1522,"orig":"Haſt du das daheim auf der Alp gehört?“","norm":"Hast du das daheim auf der Alp gehört?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1523,"orig":"„Nein, bei uns heißt Niemand ſo“, erklärte Heidi ernſthaft.","norm":"„Nein, bei uns heißt niemand so“, erklärte Heidi ernsthaft."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1524,"orig":"„So, bei uns auch nicht“, lachte die Großmama wieder und klopfte Heidi freundlich auf die Wange.","norm":"„So, bei uns auch nicht“, lachte die Großmama wieder und klopfte Heidi freundlich auf die Wange."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1525,"orig":"„Das iſt Nichts!","norm":"„Das ist nichts!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1526,"orig":"In der Kinderſtube bin ich die Großmama; ſo ſollſt du mich nennen, das kannſt du wohl behalten, wie?“","norm":"In der Kinderstube bin ich die Großmama; so sollst du mich nennen, das kannst du wohl behalten, wie?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1527,"orig":"„Ja, das kann ich gut“, verſicherte Heidi, „vorher hab' ich ſchon immer ſo geſagt.","norm":"„Ja, das kann ich gut“, versicherte Heidi, „vorher habe ich schon immer so gesagt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1528,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1529,"orig":"„So, ſo, verſtehe ſchon!“ ſagte die Großmama und nickte ganz luſtig mit dem Kopfe.","norm":"„So, so, verstehe schon!“ sagte die Großmama und nickte ganz lustig mit dem Kopfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1530,"orig":"Dann ſchaute ſie Heidi genau an und nickte von Zeit zu Zeit wieder mit dem Kopf und Heidi guckte ihr auch ganz herzhaft in die Augen, denn da kam etwas ſo Herzliches heraus, daß es dem Heidi ganz wohl machte, und die ganze Großmama gefiel dem Heidi ſo, daß es ſie unverwandt anſchauen mußte.","norm":"Dann schaute sie Heidi genau an und nickte von Zeit zu Zeit wieder mit dem Kopf und Heidi guckte ihr auch ganz herzhaft in die Augen, denn da kam etwas so Herzliches heraus, dass es dem Heidi ganz wohl machte, und die ganze Großmama gefiel dem Heidi so, dass es sie unverwandt anschauen musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1531,"orig":"Sie hatte ſo ſchöne weiße Haare und um den Kopf ging eine ſchöne Spitzenkrauſe, und zwei breite Bänder flatterten von der Haube weg und bewegten ſich immer irgendwie, ſo als ob ſtets ein leichter Wind um die Großmama wehe, was das Heidi ganz beſonders anmuthete.","norm":"Sie hatte so schöne weiße Haare und um den Kopf ging eine schöne Spitzenkrause, und zwei breite Bänder flatterten von der Haube weg und bewegten sich immer irgendwie, so als ob stets ein leichter Wind um die Großmama wehe, was das Heidi ganz besonders anmutete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1532,"orig":"„Und wie heißt du, Kind?“ fragte jetzt die Großmama.","norm":"„Und wie heißt du, Kind?“ fragte jetzt die Großmama."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1533,"orig":"„Ich heiße nur Heidi; aber weil ich ſoll Adelheid heißen, ſo will ich ſchon Acht geben —“ Heidi ſtockte, denn es fühlte ſich ein wenig ſchuldig, da es noch immer keine Antwort gab, wenn Fräulein Rottenmeier unverſehens rief: „Adelheid!“ indem es ihm noch immer nicht recht gegenwärtig war, daß dieß ſein Name ſei, und Fräulein Rottenmeier war eben in's Zimmer getreten.","norm":"„Ich heiße nur Heidi; aber weil ich soll Adelheid heißen, so will ich schon Acht geben —“ Heidi stockte, denn es fühlte sich ein wenig schuldig, da es noch immer keine Antwort gab, wenn Fräulein Rottenmeier unversehens rief: „Adelheid!“ indem es ihm noch immer nicht recht gegenwärtig war, dass dies sein Name sei, und Fräulein Rottenmeier war eben ins Zimmer getreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1534,"orig":"Frau Seſemann wird unſtreitig billigen“, fiel hier die eben Eingetretene ein, „daß ich einen Namen wählen mußte, den man doch ausſprechen kann, ohne ſich ſelbſt geniren zu müſſen, ſchon um der Dienſtboten willen.","norm":"Frau Sesemann wird unstreitig billigen“, fiel hier die eben Eingetretene ein, „dass ich einen Namen wählen musste, den man doch aussprechen kann, ohne sich selbst genieren zu müssen, schon um der Dienstboten willen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1535,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1536,"orig":"„Wertheſte Rottenmeier“, entgegnete Frau Seſemann, wenn ein Menſch einmal Heidi heißt und an den Namen gewöhnt iſt, ſo nenn' ich ihn ſo, und dabei bleibt's!“","norm":"„Werteste Rottenmeier“, entgegnete Frau Sesemann, wenn ein Mensch einmal Heidi heißt und an den Namen gewöhnt ist, so nenne ich ihn so, und dabei bleibt es!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1537,"orig":"Es war Fräulein Rottenmeier ſehr genierlich, daß die alte Dame ſie beſtändig nur bei ihrem Namen nannte, ohne weitere Titulatur; aber da war Nichts zu machen; die Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege, und dieſe ging ſie, da half kein Mittel dagegen.","norm":"Es war Fräulein Rottenmeier sehr genierlich, dass die alte Dame sie beständig nur bei ihrem Namen nannte, ohne weitere Titulatur; aber da war Nichts zu machen; die Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege, und diese ging sie, da half kein Mittel dagegen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1538,"orig":"Auch ihre fünf Sinne hatte die Großmama noch ganz ſcharf und geſund und ſie bemerkte, was im Hauſe vorging, ſobald ſie es betreten hatte.","norm":"Auch ihre fünf Sinne hatte die Großmama noch ganz scharf und gesund und sie bemerkte, was im Hause vorging, sobald sie es betreten hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1539,"orig":"Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara ſich zur gewohnten Zeit nach Tiſch niederlegte, ſetzte die Großmama ſich neben ſie auf einen Lehnſtuhl und ſchloß ihre Augen für einige Minuten, dann ſtand ſie ſchon wieder auf, denn ſie war gleich wieder munter und trat in's Eßzimmer hinaus; da war Niemand.","norm":"Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara sich zur gewohnten Zeit nach Tisch niederlegte, setzte die Großmama sich neben sie auf einen Lehnstuhl und schloss ihre Augen für einige Minuten, dann stand sie schon wieder auf, denn sie war gleich wieder munter und trat ins Esszimmer hinaus; da war niemand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1540,"orig":"„Die ſchläft“, ſagte ſie vor ſich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rottenmeier und klopfte kräftig an die Thüre.","norm":"„Die schläft“, sagte sie vor sich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rottenmeier und klopfte kräftig an die Türe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1541,"orig":"Nach einiger Zeit erſchien dieſe und fuhr erſchrocken ein wenig zurück bei dem unerwarteten Beſuch.","norm":"Nach einiger Zeit erschien diese und fuhr erschrocken ein wenig zurück bei dem unerwarteten Besuche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1542,"orig":"„Wo hält ſich das Kind auf um dieſe Zeit, und was thut es?","norm":"„Wo hält sich das Kind auf um diese Zeit, und was tut es?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1543,"orig":"das wollte ich wiſſen“, ſagte Frau Seſemann.","norm":"das wollte ich wissen“, sagte Frau Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1544,"orig":"„In ſeinem Zimmer ſitzt es, wo es ſich nützlich beſchäftigen könnte, wenn es den leiſeſten Thätigkeitstrieb hätte; aber Frau Seſemann ſollte nur wiſſen, was für verkehrtes Zeug ſich dieſes Weſen oft ausdenkt und wirklich ausführt, Dinge, die ich in gebildeter Geſellſchaft kaum erzählen könnte.","norm":"„In seinem Zimmer sitzt es, wo es sich nützlich beschäftigen könnte, wenn es den leisesten Tätigkeitstrieb hätte; aber Frau Sesemann sollte nur wissen, was für verkehrtes Zeug sich dieses Wesen oft ausdenkt und wirklich ausführt, Dinge, die ich in gebildeter Gesellschaft kaum erzählen könnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1545,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1546,"orig":"„Das würde ich gerade auch thun, wenn ich ſo da drinnen ſäße, wie dieſes Kind, das kann ich Ihnen ſagen, und Sie könnten zuſehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter Geſellſchaft erzählen wollten!","norm":"„Das würde ich gerade auch tun, wenn ich so da drinnen säße, wie dieses Kind, das kann ich Ihnen sagen, und Sie könnten zusehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter Gesellschaft erzählen wollten!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1547,"orig":"Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube, daß ich ihm einige hübſche Bücher gebe, die ich mitgebracht habe.","norm":"Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir es in meine Stube, dass ich ihm einige hübsche Bücher gebe, die ich mitgebracht habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1548,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1549,"orig":"„Das iſt ja gerade das Unglück, das iſt es ja eben“, rief Fräulein Rottenmeier aus und ſchlug die Hände zuſammen.","norm":"„Das ist ja gerade das Unglück, das ist es ja eben“, rief Fräulein Rottenmeier aus und schlug die Hände zusammen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1550,"orig":"„Was ſollte das Kind mit Büchern thun?","norm":"„Was sollte das Kind mit Büchern tun?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1551,"orig":"In all dieſer Zeit hat es noch nicht einmal das ABC erlernt, es iſt völlig unmöglich, dieſem Weſen auch nur Einen Begriff beizubringen; davon kann der Herr Candidat reden!","norm":"In all dieser Zeit hat es noch nicht einmal das ABC erlernt, es ist völlig unmöglich, diesem Wesen auch nur Einen Begriff beizubringen; davon kann der Herr Kandidat reden!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1552,"orig":"Wenn dieſer treffliche Menſch nicht die Geduld eines himmliſchen Engels beſäße, er hätte dieſen Unterricht längſt aufgegeben.","norm":"Wenn dieser treffliche Mensch nicht die Geduld eines himmlischen Engels besäße, er hätte diesen Unterricht längst aufgegeben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1553,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1554,"orig":"„So, das iſt merkwürdig, das Kind ſieht nicht aus wie Eines, das das ABC nicht erlernen kann“, ſagte Frau Seſemann.","norm":"„So, das ist merkwürdig, das Kind sieht nicht aus wie Eines, das das ABC nicht erlernen kann“, sagte Frau Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1555,"orig":"„Jetzt holen Sie mir's herüber, es kann für einmal die Bilder in den Büchern anſehen.","norm":"„Jetzt holen Sie mir es herüber, es kann für einmal die Bilder in den Büchern ansehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1556,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1557,"orig":"Fräulein Rottenmeier wollte noch Einiges bemerken, aber Frau Seſemann hatte ſich ſchon umgewandt und ging raſch ihrem Zimmer zu.","norm":"Fräulein Rottenmeier wollte noch einiges bemerken, aber Frau Sesemann hatte sich schon umgewandt und ging rasch ihrem Zimmer zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1558,"orig":"Sie mußte ſich ſehr verwundern über die Nachricht von Heidi's Beſchränktheit und gedachte, die Sache zu unterſuchen, jedoch nicht mit dem Herrn Candidaten, den ſie zwar um ſeines guten Charakters willen ſehr ſchätzte; ſie grüßte ihn auch immer, wenn ſie mit ihm zuſammentraf, überaus freundlich, lief dann aber ſehr ſchnell auf eine andere Seite, um nicht in ein Geſpräch mit ihm verwickelt zu werden, denn ſeine Ausdrucksweiſe war ihr ein wenig beſchwerlich.","norm":"Sie musste sich sehr verwundern über die Nachricht von Heidis Beschränktheit und gedachte, die Sache zu untersuchen, jedoch nicht mit dem Herrn Kandidaten, den sie zwar um seines guten Charakters Willen sehr schätzte; sie grüßte ihn auch immer, wenn sie mit ihm zusammentraf, überaus freundlich, lief dann aber sehr schnell auf eine andere Seite, um nicht in ein Gespräch mit ihm verwickelt zu werden, denn seine Ausdrucksweise war ihr ein wenig beschwerlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1559,"orig":"Heidi erſchien im Zimmer der Großmama und macht die Augen weit auf, als es die prächtigen bunten Bilder in den großen Büchern ſah, welche die Großmama mite gebracht hatte.","norm":"Heidi erschien im Zimmer der Großmama und macht die Augen weit auf, als es die prächtigen bunten Bilder in den großen Büchern sah, welche die Großmama mitgebracht hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1560,"orig":"Auf einmal ſchrie Heidi laut auf, als die Großmama wieder ein Blatt umgewandt hatte; mit glühendem Blick ſchaute es auf die Figuren, dann ſtürzten ihm plötzlich die hellen Thränen aus den Augenund es fing gewaltig zu ſchluchzen an.","norm":"Auf einmal schrie Heidi laut auf, als die Großmama wieder ein Blatt umgewandt hatte; mit glühendem Blick schaute es auf die Figuren, dann stürzten ihm plötzlich die hellen Tränen aus den Augen und es fing gewaltig zu schluchzen an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1561,"orig":"Die Großmama ſchaute auf das Bild.","norm":"Die Großmama schaute auf das Bild."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1562,"orig":"Es war eine ſchöne, grüne Weide, wo allerlei Thierlein herumweideten und an den grünen Gebüſchen nagten.","norm":"Es war eine schöne, grüne Weide, wo allerlei Tierlein herumweideten und an den grünen Gebüschen nagten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1563,"orig":"In der Mitte ſtand der Hirt, auf einen langen Stab geſtützt, der ſchaute den fröhlichen Thierchen zu.","norm":"In der Mitte stand der Hirt, auf einen langen Stab gestützt, der schaute den fröhlichen Tierchen zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1564,"orig":"Alles war wie in Goldſchimmer gemalt, denn hinten am Horizont war eben die Sonne im Untergehen.","norm":"Alles war wie in Goldschimmer gemalt, denn hinten am Horizont war eben die Sonne im Untergehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1565,"orig":"Die Großmama nahm Heidi bei der Hand.","norm":"Die Großmama nahm Heidi bei der Hand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1566,"orig":"„Komm', komm', Kind“, ſagte ſie in freundlichſter Weiſe, „nicht weinen, nicht weinen.","norm":"„Komme, komme, Kind“, sagte sie in freundlichster Weise, „nicht weinen, nicht weinen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1567,"orig":"“ Das hat dich wohl an Etwas erinnert; aber ſieh', da iſt auch eine ſchöne Geſchichte dazu, die erzähl' ich heut' Abend.","norm":"“ Das hat dich wohl an Etwas erinnert; aber sieh, da ist auch eine schöne Geschichte dazu, die erzähle ich heute Abend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1568,"orig":"Und da ſind noch ſo viele ſchöne Geſchichten in dem Buch, die kann man alle leſen und wiedererzählen.","norm":"Und da sind noch so viele schöne Geschichten in dem Buch, die kann man alle lesen und wiedererzählen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1569,"orig":"Komm', nun müſſen wir Etwas beſprechen zuſammen, trockne ſchön deine Thränen, ſo, und nun ſtell' dich hier vor mich hin, daß ich dich recht anſehen kann; ſo iſt's recht, nun ſind wir wieder fröhlich.","norm":"Komme, nun müssen wir etwas besprechen zusammen, trockne schön deine Tränen, so, und nun stelle dich hier vor mich hin, dass ich dich recht ansehen kann; so ist es recht, nun sind wir wieder fröhlich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1570,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1571,"orig":"Aber noch verging einige Zeit, bevor Heidi zu ſchluchzen aufhören konnte.","norm":"Aber noch verging einige Zeit, bevor Heidi zu schluchzen aufhören konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1572,"orig":"Die Großmama ließ ihm auch eine gute Weile zur Erholung, nur ſagte ſie von Zeit zu Zeit ermunternd: „So, nun iſt's gut, nun ſind wir wieder froh zuſammen.","norm":"Die Großmama ließ ihm auch eine gute Weile zur Erholung, nur sagte sie von Zeit zu Zeit ermunternd: „So, nun ist es gut, nun sind wir wieder froh zusammen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1573,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1574,"orig":"Als ſie endlich das Kind beruhigt ſah, ſagte ſie: „Nun mußt du mir' was erzählen, Kind!","norm":"Als sie endlich das Kind beruhigt sah, sagte sie: „Nun musst du mir' was erzählen, Kind!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1575,"orig":"Wie geht es denn beim Herrn Candidaten in den Unterrichtsſtunden, lernſt du auch gut und kannſt du' was?","norm":"Wie geht es denn beim Herrn Kandidaten in den Unterrichtsstunden, lernst du auch gut und kannst du' was?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1576,"orig":"„O nein“, antwortete Heidi ſeufzend, „aber ich wußte ſchon, daß man es nicht lernen kann.","norm":"„O nein“, antwortete Heidi seufzend, „aber ich wusste schon, dass man es nicht lernen kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1577,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1578,"orig":"„Was kann man denn nicht lernen, Heidi, was meinſt du?“","norm":"„Was kann man denn nicht lernen, Heidi, was meinst du?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1579,"orig":"„Leſen kann man nicht lernen, es iſt zu ſchwer.","norm":"„Lesen kann man nicht lernen, es ist zu schwer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1580,"orig":"“ Das wäre!","norm":"“ Das wäre!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1581,"orig":"Und woher weißt du denn dieſe Neuigkeit?“","norm":"Und woher weißt du denn diese Neuigkeit?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1582,"orig":"„Der Peter hat es mir geſagt und er weiß es ſchon, er muß immer wieder probiren, aber er kann es nie lernen, es iſt zu ſchwer.","norm":"„Der Peter hat es mir gesagt und er weiß es schon, er muss immer wieder probieren, aber er kann es nie lernen, es ist zu schwer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1583,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1584,"orig":"„So, das iſt mir ein eigner Peter, der!","norm":"„So, das ist mir ein eigener Peter, der!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1585,"orig":"Aber ſieh', Heidi, man muß nicht Alles nur ſo hinnehmen, was Einem ein Peter ſagt, man muß ſelbſt probiren.","norm":"Aber sieh, Heidi, man muss nicht alles nur so hinnehmen, was Einem ein Peter sagt, man muss selbst probieren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1586,"orig":"Gewiß haſt du nie recht mit all' deinen Gedanken dem Herrn Candidaten zugehört und ſeine Buchſtaben angeſehen.","norm":"Gewiss hast du nie recht mit alle deinen Gedanken dem Herrn Kandidaten zugehört und seine Buchstaben angesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1587,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1588,"orig":"„Es nützt Nichts“, verſicherte Heidi mit dem Ton der vollen Ergebung in das Unabänderliche.","norm":"„Es nützt nichts“, versicherte Heidi mit dem Ton der vollen Ergebung in das Unabänderliche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1589,"orig":"„Heidi“, ſagte nun die Großmama, „jetzt will ich dir Etwas ſagen: du haſt noch nicht leſen gelernt, weil du deinem Peter geglaubt haſt; nun aber ſollſt du mir glauben, und ich ſage dir feſt und ſicher, daß du in kurzer Zeit leſen lernen kannſt, wie eine große Menge von Kindern, die geartet ſind wie du und nicht wie der Peter.","norm":"„Heidi“, sagte nun die Großmama, „jetzt will ich dir Etwas sagen: Du hast noch nicht lesen gelernt, weil du deinem Peter geglaubt hast; nun aber sollst du mir glauben, und ich sage dir fest und sicher, dass du in kurzer Zeit lesen lernen kannst, wie eine große Menge von Kindern, die geartet sind wie du und nicht wie der Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1590,"orig":"Und nun mußt du wiſſen, was nachher kommt, wenn du dann leſen kannſt — du haſt den Hirten geſehn auf der ſchönen grünen Weide —, ſobald du nun leſen kannſt, bekommſt du das Buch, da kannſt du ſeine ganze Geſchichte vernehmen, ganz ſo, als ob ſie dir Jemand erzählte, Alles, was er macht mit ſeinen Schafen und Ziegen und was ihm für merkwürdige Dinge begegnen.","norm":"Und nun musst du wissen, was nachher kommt, wenn du dann lesen kannst — du hast den Hirten gesehen auf der schönen grünen Weide —, sobald du nun lesen kannst, bekommst du das Buch, da kannst du seine ganze Geschichte vernehmen, ganz so, als ob sie dir Jemand erzählte, alles, was er macht mit seinen Schafen und Ziegen und was ihm für merkwürdige Dinge begegnen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1591,"orig":"Das möchteſt du ſchon wiſſen, Heidi, nicht?“ Heidi hatte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört, und mit leuchtenden Augen ſagte es jetzt, tief Athem holend: „O, wenn ich nur ſchon leſen könnte!“","norm":"Das möchtest du schon wissen, Heidi, nicht?“ Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, und mit leuchtenden Augen sagte es jetzt, tief Atem holend: „O, wenn ich nur schon lesen könnte!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1592,"orig":"„Jetzt wird's kommen und gar nicht lang wird's währen, das kann ich ſchon ſehn, Heidi, und nun müſſen wir' mal nach der Klara ſehn, komm', die ſchönen Bücher nehmen wir mit.","norm":"„Jetzt wird es kommen und gar nicht lang wird es währen, das kann ich schon sehen, Heidi, und nun müssen wir' mal nach der Klara sehen, komme, die schönen Bücher nehmen wir mit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1593,"orig":"“ Damit nahm die Großmama Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studierzimmer.","norm":"“ Damit nahm die Großmama Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studierzimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1594,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1595,"orig":"Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und Fräulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgeſcholten und ihm geſagt hatte, wie ſchlecht und undankbar es ſich erweiſe durch ſein Fortlaufenwollen und wie gut es ſei, daß Herr Seſemann Nichts davon wiſſe, war mit dem Kinde eine Veränderung vorgegangen.","norm":"Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und Fräulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgescholten und ihm gesagt hatte, wie schlecht und undankbar es sich erweise durch sein Fortlaufenwollen und wie gut es sei, dass Herr Sesemann nichts davon wisse, war mit dem Kinde eine Veränderung vorgegangen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1596,"orig":"Es hatte begriffen, daß es nicht heimgehen könne, wenn es wolle, wie ihm die Baſe geſagt hatte, ſondern daß es in Frankfurt zu bleiben habe, lange, lange, vielleicht für immer.","norm":"Es hatte begriffen, dass es nicht heimgehen könne, wenn es wolle, wie ihm die Base gesagt hatte, sondern dass es in Frankfurt zu bleiben habe, lange, lange, vielleicht für immer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1597,"orig":"Es hatte auch verſtanden, daß Herr Seſemann es ſehr undankbar von ihm finden würde, wenn es heimgehen wollte, und es dachte ſich aus, daß die Großmama und Klara auch ſo denken würden.","norm":"Es hatte auch verstanden, dass Herr Sesemann es sehr undankbar von ihm finden würde, wenn es heimgehen wollte, und es dachte sich aus, dass die Großmama und Klara auch so denken würden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1598,"orig":"So durfte es keinem Menſchen ſagen, daß es heimgehen möchte, denn daß die Großmama, die ſo freundlich mit ihm war, auch böſe würde, wie Fräulein Rottenmeier geworden war, das wollte Heidi nicht verurſachen.","norm":"So durfte es keinem Menschen sagen, dass es heimgehen möchte, denn dass die Großmama, die so freundlich mit ihm war, auch böse würde, wie Fräulein Rottenmeier geworden war, das wollte Heidi nicht verursachen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1599,"orig":"Aber in ſeinem Herzen wurde die Laſt, die darinnen lag, immer ſchwerer; es konnte nicht mehr eſſen und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher.","norm":"Aber in seinem Herzen wurde die Last, die darinnen lag, immer schwerer; es konnte nicht mehr essen und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1600,"orig":"Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einſchlafen, denn ſobald es allein war und Alles ſtill ringsumher, kam ihm Alles ſo lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnenſchein darauf und die Blumen, und ſchlief es endlich doch ein, ſo ſah es im Traum die rothen Felſenſpitzen am Falkniß und das feurige Schneefeld am Cäſaplana, und erwachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude hinausſpringen aus der Hütte — da war es auf einmal in ſeinem großen Bett in Frankfurt, ſo weit, weit weg, und konnte nicht mehr heim.","norm":"Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einschlafen, denn sobald es allein war und alles still ringsumher, kam ihm alles so lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnenschein darauf und die Blumen, und schlief es endlich doch ein, so sah es im Traum die roten Felsenspitzen am Falknis und das feurige Schneefeld am Schesaplana, und erwachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude hinausspringen aus der Hütte — da war es auf einmal in seinem großen Bett in Frankfurt, so weit, weit weg, und konnte nicht mehr heim."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1601,"orig":"Dann drückte Heidi oft ſeinen Kopf in das Kiſſen und weinte lang, ganz leiſe, daß Niemand es höre.","norm":"Dann drückte Heidi oft seinen Kopf in das Kissen und weinte lang, ganz leise, dass Niemand es höre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1602,"orig":"Heidi's freudloſer Zuſtand entging der Großmama nicht.","norm":"Heidis freudloser Zustand entging der Großmama nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1603,"orig":"Sie ließ einige Tag evorübergehen und ſah zu, ob die Sache ſich ändere und das Kind ſein niedergeſchlagenes Weſen verlieren würde.","norm":"Sie ließ einige Tage vorübergehen und sah zu, ob die Sache sich ändere und das Kind sein niedergeschlagenes Wesen verlieren würde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1604,"orig":"Als es aber gleich blieb und die Großmama manchmal am frühen Morgen ſchon ſehen konnte, daß Heidi geweint hatte, da nahm ſie eines Tages das Kind wieder in ihre Stube, ſtellte es vor ſich hin und ſagte mit großer Freundlichkeit: „Jetzt ſag' mir, was dir fehlt, Heidi, haſt du einen Kummer?“","norm":"Als es aber gleich blieb und die Großmama manchmal am frühen Morgen schon sehen konnte, dass Heidi geweint hatte, da nahm sie eines Tages das Kind wieder in ihre Stube, stellte es vor sich hin und sagte mit großer Freundlichkeit: „Jetzt sage mir, was dir fehlt, Heidi, hast du einen Kummer?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1605,"orig":"Aber gerade dieſer freundlichen Großmama wollte Heidi nicht ſich ſo undankbar zeigen, daß ſie vielleicht nachher gar nicht mehr ſo freundlich wäre; ſo ſagte Heidi traurig: „Man kann es nicht ſagen.","norm":"Aber gerade dieser freundlichen Großmama wollte Heidi nicht sich so undankbar zeigen, dass sie vielleicht nachher gar nicht mehr so freundlich wäre; so sagte Heidi traurig: „Man kann es nicht sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1606,"orig":"“ Nicht?","norm":"“ Nicht?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1607,"orig":"Kann man es etwa der Klara ſagen?“ fragte die Großmama.","norm":"Kann man es etwa der Klara sagen?“ fragte die Großmama."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1608,"orig":"„O nein, keinem Menſchen“, verſicherte Heidi und ſah dabei ſo unglücklich aus, daß es die Großmama erbarmte.","norm":"„O nein, keinem Menschen“, versicherte Heidi und sah dabei so unglücklich aus, dass es die Großmama erbarmte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1609,"orig":"„Komm', Kind“, ſagte ſie, „ich will dir' was ſagen:","norm":"„Komme, Kind“, sagte sie, „ich will dir' was sagen:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1610,"orig":"Wenn man einen Kummer hat, den man keinem Menſchen ſagen kann, ſo klagt man ihn dem lieben Gott im Himmel und bittet ihn, daß er helfe, denn er kann allem Leid abhelfen, das uns drückt.","norm":"Wenn man einen Kummer hat, den man keinem Menschen sagen kann, so klagt man ihn dem lieben Gott im Himmel und bittet ihn, dass er helfe, denn er kann allem Leid abhelfen, das uns drückt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1611,"orig":"Das verſtehſt du, nicht wahr?","norm":"Das verstehst du, nicht wahr?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1612,"orig":"Du beteſt doch jeden Abend zum lieben Gott im Himmel und dankſt ihm für alles Gute und bitteſt ihn, daß er dich vor allem Böſen behüte?“","norm":"Du betest doch jeden Abend zum lieben Gott im Himmel und dankst ihm für alles Gute und bittest ihn, dass er dich vor allem Bösen behüte?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1613,"orig":"„O nein, das thu' ich nie“, antwortete das Kind.","norm":"„O nein, das tue ich nie“, antwortete das Kind."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1614,"orig":"„Haſt du denn gar nie gebetet, Heidi, weißt du nicht, was das iſt?“","norm":"„Hast du denn gar nie gebetet, Heidi, weißt du nicht, was das ist?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1615,"orig":"„Nur mit der erſten Großmutter habe ich gebetet, aber es iſt ſchon lang, und jetzt habe ich es vergeſſen.","norm":"„Nur mit der ersten Großmutter habe ich gebetet, aber es ist schon lang, und jetzt habe ich es vergessen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1616,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1617,"orig":"„Siehſt du, Heidi, darum mußt du ſo traurig ſein, weil du jetzt gar Niemanden kennſt, der dir helfen kann.","norm":"„Siehst du, Heidi, darum musst du so traurig sein, weil du jetzt gar Niemanden kennst, der dir helfen kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1618,"orig":"Denk' einmal nach, wie wohl das thun muß, wenn Einen im Herzen Etwas immerfort drückt und quält und man kann ſo jeden Augenblick zum lieben Gott hingehen und ihm Alles ſagen und ihn bitten, daß er helfe, wo uns ſonſt gar Niemand helfen kann!","norm":"Denke einmal nach, wie wohl das tun muss, wenn Einen im Herzen etwas immerfort drückt und quält und man kann so jeden Augenblick zum lieben Gott hingehen und ihm alles sagen und ihn bitten, dass er helfe, wo uns sonst gar Niemand helfen kann!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1619,"orig":"Und er kann überall helfen und uns geben, was uns wieder froh macht.","norm":"Und er kann überall helfen und uns geben, was uns wieder froh macht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1620,"orig":"“ Durch Heidi's Augen fuhr ein Freudenſtrahl: „Darf man ihm Alles, Alles ſagen?“","norm":"“ Durch Heidis Augen fuhr ein Freudenstrahl: „Darf man ihm alles, alles sagen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1621,"orig":"„Alles, Heidi, Alles.","norm":"„Alles, Heidi, alles."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1622,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1623,"orig":"Das Kind zog ſeine Hand aus den Händen der Großmama und ſagte eilig: „Kann ich gehn?“","norm":"Das Kind zog seine Hand aus den Händen der Großmama und sagte eilig: „Kann ich gehen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1624,"orig":"„Gewiß!","norm":"„Gewiss!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1625,"orig":"Gewiß!“ gab dieſe zur Antwort, und Heidi lief davon und hinüber in ſein Zimmer, und hier ſetzte es ſich auf ſeinen Schemel nieder und faltete ſeine Hände und ſagte dem lieben Gott Alles, was in ſeinem Herzen war und es ſo traurig machte, und bat ihn dringend und herzlich, daß er ihm helfe und es wieder heimkommen laſſe zum Großvater.","norm":"Gewiss!“ gab diese zur Antwort, und Heidi lief davon und hinüber in sein Zimmer, und hier setzte es sich auf seinen Schemel nieder und faltete seine Hände und sagte dem lieben Gott alles, was in seinem Herzen war und es so traurig machte, und bat ihn dringend und herzlich, dass er ihm helfe und es wieder heimkommen lasse zum Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1626,"orig":"Es mochte etwas mehr als eine Woche verfloſſen ſein ſeit dieſem Tage, als der Herr Candidat begehrte, der Frau Seſemann ſeine Aufwartung zu machen, indem er eine Beſprechung über einen merkwürdigen Gegenſtand mit der Dame abzuhalten gedachte.","norm":"Es mochte etwas mehr als eine Woche verflossen sein seit diesem Tage, als der Herr Kandidat begehrte, der Frau Sesemann seine Aufwartung zu machen, indem er eine Besprechung über einen merkwürdigen Gegenstand mit der Dame abzuhalten gedachte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1627,"orig":"Er wurde auf ihre Stube berufen, und hier, wie er eintrat, ſtreckte ihm Frau Seſemann ſogleich freundlich die Hand entgegen: „Mein lieber Herr Candidat, ſeien Sie mir willkommen!","norm":"Er wurde auf ihre Stube berufen, und hier, wie er eintrat, streckte ihm Frau Sesemann sogleich freundlich die Hand entgegen: „Mein lieber Herr Kandidat, seien Sie mir willkommen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1628,"orig":"ſetzen Sie ſich her zu mir, hier“ — ſie rückte ihm den Stuhl zurecht —; „ſo, nun ſagen Sie mir, was bringt Sie zu mir, doch nichts Schlimmes?","norm":"setzen Sie sich her zu mir, hier“ — sie rückte ihm den Stuhl zurecht —; „so, nun sagen Sie mir, was bringt Sie zu mir, doch nichts Schlimmes?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1629,"orig":"Keine Klagen?“","norm":"Keine Klagen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1630,"orig":"„Im Gegentheil, gnädige Frau“, begann der Herr Candidat, „es iſt Etwas vorgefallen, das ich nicht mehr erwarten konnte und Keiner, der einen Blick in alles Vorhergegangene hätte werfen können, denn nach allen Vorausſetzungen mußte angenommen werden, daß es eine völlige Unmöglichkeit ſein müſſe, was dennoch jetzt wirklich geſchehen iſt und in der wunderbarſten Weiſe ſtattgefunden hat, gleichſam im Gegenſatz zu allem folgerichtig zu Erwartenden —“","norm":"„Im Gegenteil, gnädige Frau“, begann der Herr Kandidat, „es ist etwas vorgefallen, das ich nicht mehr erwarten konnte und keiner, der einen Blick in alles Vorhergegangene hätte werfen können, denn nach allen Voraussetzungen musste angenommen werden, dass es eine völlige Unmöglichkeit sein müsse, was dennoch jetzt wirklich geschehen ist und in der wunderbarsten Weise stattgefunden hat, gleichsam im Gegensatz zu allem folgerichtig zu Erwartenden —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1631,"orig":"„Sollte das Kind Heidi etwa leſen gelernt haben, Herr Candidat?“ ſetzte hier Frau Seſemann ein.","norm":"„Sollte das Kind Heidi etwa lesen gelernt haben, Herr Kandidat?“ setzte hier Frau Sesemann ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1632,"orig":"In ſprachloſem Erſtaunen ſchaute der überraſchte Herr die Dame an.","norm":"In sprachlosem Erstaunen schaute der überraschte Herr die Dame an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1633,"orig":"„Es iſt ja wirklich völlig wunderbar“, ſagte er endlich, nicht nur, daß das junge Mädchen nach all' meinen gründlichen Erklärungen und ungewöhnlichen Bemühungen das ABC nicht erlernt hat, ſondern auch und beſonders, daß es jetzt in kürzeſter Zeit, nachdem ich mich entſchloſſen hatte, das Unerreichbare aus den Augen zu laſſen und ohne alle weitergreifenden Erläuterungen nur noch ſozuſagen die nackten Buchſtaben vor die Augen des jungen Mädchens zu bringen, ſozuſagen über Nacht das Leſen erfaßt hat, und dazu ſogleich mit einer Correktheit der Worte liest, wie mir bei Anfängern noch ſelten vorgekommen iſt.","norm":"„Es ist ja wirklich völlig wunderbar“, sagte er endlich, nicht nur, dass das junge Mädchen nach alle meinen gründlichen Erklärungen und ungewöhnlichen Bemühungen das ABC nicht erlernt hat, sondern auch und besonders, dass es jetzt in kürzester Zeit, nachdem ich mich entschlossen hatte, das Unerreichbare aus den Augen zu lassen und ohne alle weitergreifenden Erläuterungen nur noch sozusagen die nackten Buchstaben vor die Augen des jungen Mädchens zu bringen, sozusagen über Nacht das Lesen erfasst hat, und dazu sogleich mit einer Korrektheit der Worte liest, wie mir bei Anfängern noch selten vorgekommen ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1634,"orig":"Faſt ebenſo wunderbar aber iſt mir die Wahrnehmung, daß die gnädige Frau gerade dieſe fernliegende Thatſache als Möglichkeit vermuthete.","norm":"Fast ebenso wunderbar aber ist mir die Wahrnehmung, dass die gnädige Frau gerade diese fernliegende Tatsache als Möglichkeit vermutete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1635,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1636,"orig":"„Es geſchehen viele wunderbare Dinge im Menſchenleben“, beſtätigte Frau Seſemann und lächelte vergnüglich; „es können auch einmal zwei Dinge glücklich zuſammentreffen, wie ein neuer Lerneifer und eine neue Lehrmethode, und beide können Nichts ſchaden, Herr Candidat.","norm":"„Es geschehen viele wunderbare Dinge im Menschenleben“, bestätigte Frau Sesemann und lächelte vergnüglich; „es können auch einmal zwei Dinge glücklich zusammentreffen, wie ein neuer Lerneifer und eine neue Lehrmethode, und beide können nichts schaden, Herr Kandidat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1637,"orig":"Jetzt wollen wir uns freuen, daß das Kind ſo weit iſt, und auf guten Fortgang hoffen.","norm":"Jetzt wollen wir uns freuen, dass das Kind so weit ist, und auf guten Fortgang hoffen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1638,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1639,"orig":"Damit begleitete ſie den Herrn Candidaten zur Thür hinaus und ging raſch nach dem Studierzimmer, um ſich ſelbſt der erfreulichen Nachricht zu verſichern.","norm":"Damit begleitete sie den Herrn Kandidaten zur Tür hinaus und ging rasch nach dem Studierzimmer, um sich selbst der erfreulichen Nachricht zu versichern."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1640,"orig":"Richtig ſaß hier Heidi neben Klara und las dieſer eine Geſchichte vor, ſichtlich ſelbſt mit dem größten Erſtaunen und mit einem wachſenden Eifer in die neue Welt eindringend, die ihm aufgegangen war, nun ihm mit einem Mal aus den ſchwarzen Buchſtaben Menſchen und Dinge entgegentraten und Leben gewannen und zu herzbewegenden Geſchichten wurden.","norm":"Richtig saß hier Heidi neben Klara und las dieser eine Geschichte vor, sichtlich selbst mit dem größten Erstaunen und mit einem wachsenden Eifer in die neue Welt eindringend, die ihm aufgegangen war, nun ihm mit einem Mal aus den schwarzen Buchstaben Menschen und Dinge entgegentraten und Leben gewannen und zu herzbewegenden Geschichten wurden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1641,"orig":"Noch an demſelben Abend, als man ſich zu Tiſche ſetzte, fand Heidi auf ſeinem Teller das große Buch liegen mit den ſchönen Bildern, und als es fragend nach der Großmama blickte, ſagte dieſe freundlich nickend: „Ja, ja, nun gehört es dir.","norm":"Noch an demselben Abend, als man sich zu Tische setzte, fand Heidi auf seinem Teller das große Buch liegen mit den schönen Bildern, und als es fragend nach der Großmama blickte, sagte diese freundlich nickend: „Ja, ja, nun gehört es dir."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1642,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1643,"orig":"„Für immer?","norm":"„Für immer?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1644,"orig":"Auch wenn ich heimgehe?“ fragte Heidi, ganz roth vor Freude.","norm":"Auch wenn ich heimgehe?“ fragte Heidi, ganz rot vor Freude."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1645,"orig":"„Gewiß, für immer!“ verſicherte die Großmama, „morgen fangen wir an zu leſen.","norm":"„Gewiss, für immer!“ versicherte die Großmama, „morgen fangen wir an zu lesen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1646,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1647,"orig":"„Aber du gehſt nicht heim, noch viele Jahre nicht, Heidi“, warf Klara hier ein; „wenn nun die Großmama wieder fortgeht, dann mußt du erſt recht bei mir bleiben.","norm":"„Aber du gehst nicht heim, noch viele Jahre nicht, Heidi“, warf Klara hier ein; „wenn nun die Großmama wieder fortgeht, dann musst du erst recht bei mir bleiben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1648,"orig":"“ Noch vor dem Schlafengehen mußte Heidi in ſeinem Zimmer ſein ſchönes Buch anſehen, und von dem Tage an war es ſein Liebſtes, über ſeinem Buch zu ſitzen und immer wieder die Geſchichten zu leſen, zu denen die ſchönen, bunten Bilder gehörten.","norm":"“ Noch vor dem Schlafengehen musste Heidi in seinem Zimmer sein schönes Buch ansehen, und von dem Tage an war es sein Liebstes, über seinem Buch zu sitzen und immer wieder die Geschichten zu lesen, zu denen die schönen, bunten Bilder gehörten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1649,"orig":"Sagte am Abend die Großmama: „Nun lieſt uns Heidi vor“, ſo war das Kind ſehr beglückt, denn das Leſen ging ihm nun ganz leicht, und wenn es die Geſchichten laut vorlas, ſo kamen ſie ihm noch viel ſchöner und verſtändlicher vor, und die Großmama erklärte dann noch ſo Vieles und erzählte immer noch mehr hinzu.","norm":"Sagte am Abend die Großmama: „Nun liest uns Heidi vor“, so war das Kind sehr beglückt, denn das Lesen ging ihm nun ganz leicht, und wenn es die Geschichten laut vorlas, so kamen sie ihm noch viel schöner und verständlicher vor, und die Großmama erklärte dann noch so vieles und erzählte immer noch mehr hinzu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1650,"orig":"Am liebſten beſchaute Heidi immer wieder ſeine grüne Weide und den Hirten mitten unter der Heerde, wie er ſo vergnüglich, auf ſeinen langen Stab gelehnt, daſtand, denn da war er noch bei der ſchönen Heerde des Vaters und ging nur den luſtigen Schäfchen und Ziegen nach, weil es ihn freute.","norm":"Am liebsten beschaute Heidi immer wieder seine grüne Weide und den Hirten mitten unter der Herde, wie er so vergnüglich, auf seinen langen Stab gelehnt, dastand, denn da war er noch bei der schönen Herde des Vaters und ging nur den lustigen Schäfchen und Ziegen nach, weil es ihn freute."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1651,"orig":"Aber dann kam das Bild, wo er, vom Vaterhaus weggelaufen, nun in der Fremde war und die Schweinchen hüten mußte und ganz mager geworden war bei den Träbern, die er allein noch zu eſſen bekam.","norm":"Aber dann kam das Bild, wo er, vom Vaterhaus weggelaufen, nun in der Fremde war und die Schweinchen hüten musste und ganz mager geworden war bei den Trebern, die er allein noch zu essen bekam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1652,"orig":"Und auf dem Bilde ſchien auch die Sonne nicht mehr ſo golden, da war das Land grau und neblig.","norm":"Und auf dem Bilde schien auch die Sonne nicht mehr so golden, da war das Land grau und neblig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1653,"orig":"Aber dann kam noch ein Bild zu der Geſchichte: da kam der alte Vater mit ausgebreiteten Armen aus dem Hauſe heraus und lief dem heimkehrenden, reuigen Sohn entgegen, um ihn zu empfangen, der ganz furchtſam und abgemagert in einem zerriſſenen Wams daherkam.","norm":"Aber dann kam noch ein Bild zu der Geschichte: da kam der alte Vater mit ausgebreiteten Armen aus dem Hause heraus und lief dem heimkehrenden, reuigen Sohn entgegen, um ihn zu empfangen, der ganz furchtsam und abgemagert in einem zerrissenen Wams daherkam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1654,"orig":"Das war Heidi's Lieblingsgeſchichte, die es immer wieder las, laut und leiſe und es konnte nie genug der Erklärungen bekommen, welche die Großmama den Kindern dazu machte.","norm":"Das war Heidis Lieblingsgeschichte, die es immer wieder las, laut und leise und es konnte nie genug der Erklärungen bekommen, welche die Großmama den Kindern dazu machte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1655,"orig":"Da waren aber noch ſo viele ſchöne Geſchichten in dem Buch, und bei dem Leſen derſelben und dem Bilderbeſehen gingen die Tage ſehr ſchnell dahin, und ſchon nahte die Zeit heran, welche die Großmama zu ihrer Abreiſe beſtimmt hatte.","norm":"Da waren aber noch so viele schöne Geschichten in dem Buch, und bei dem Lesen derselben und dem Bilderbesehen gingen die Tage sehr schnell dahin, und schon nahte die Zeit heran, welche die Großmama zu ihrer Abreise bestimmt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1656,"orig":"Die Großmama hatte während der ganzen Zeit ihres Aufenthalts jeden Nachmittag, wenn Klara ſich hinlegte und Fräulein Rottenmeier wahrſcheinlich der Ruhe bedürftig, geheimnißvoll verſchwand, ſich einen Augenblick neben Klara hingeſetzt; aber ſchon nach fünf Minuten war ſie wieder auf den Füßen und hatte dann immer Heidi auf ihre Stube berufen, ſich mit ihm beſprochen und es auf allerlei Weiſe beſchäftigt und unterhalten.","norm":"Die Großmama hatte während der ganzen Zeit ihres Aufenthalts jeden Nachmittag, wenn Klara sich hinlegte und Fräulein Rottenmeier wahrscheinlich der Ruhe bedürftig, geheimnisvoll verschwand, sich einen Augenblick neben Klara hingesetzt; aber schon nach fünf Minuten war sie wieder auf den Füßen und hatte dann immer Heidi auf ihre Stube berufen, sich mit ihm besprochen und es auf allerlei Weise beschäftigt und unterhalten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1657,"orig":"Die Großmama hatte hübſche kleine Puppen und zeigte dem Heidi, wie man ihnen Kleider und Schürzchen macht, und ganz unvermerkt hatte Heidi das Nähen erlernt und machte den kleinen Frauenzimmern die ſchönſten Röcke und Mäntelchen, denn die Großmama hatte immer Zeugſtücke von den prächtigſten Farben.","norm":"Die Großmama hatte hübsche kleine Puppen und zeigte dem Heidi, wie man ihnen Kleider und Schürzchen macht, und ganz unvermerkt hatte Heidi das Nähen erlernt und machte den kleinen Frauenzimmern die schönsten Röcke und Mäntelchen, denn die Großmama hatte immer Zeugstücke von den prächtigsten Farben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1658,"orig":"Nun Heidi leſen konnte, durfte es auch immer wieder der Großmama ſeine Geſchichten vorleſen, das machte ihm die größte Freude, denn je mehr es ſeine Geſchichten las, deſto lieber wurden ſie ihm, denn Heidi lebte Alles ganz mit durch, was die Leute alle zu erleben hatten, und ſo hatte es zu ihnen allen ein ſehr nahes Verhältniß und freute ſich immer wieder, bei ihnen zu ſein.","norm":"Nun Heidi lesen konnte, durfte es auch immer wieder der Großmama seine Geschichten vorlesen, das machte ihm die größte Freude, denn je mehr es seine Geschichten las, desto lieber wurden sie ihm, denn Heidi lebte alles ganz mit durch, was die Leute alle zu erleben hatten, und so hatte es zu ihnen allen ein sehr nahes Verhältnis und freute sich immer wieder, bei ihnen zu sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1659,"orig":"Aber ſo recht froh ſah Heidi nie aus und ſeine luſtigen Augen waren nie mehr zu ſehen.","norm":"Aber so recht froh sah Heidi nie aus und seine lustigen Augen waren nie mehr zu sehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1660,"orig":"Es war die letzte Woche, welche die Großmama in Frankfurt zubringen wollte.","norm":"Es war die letzte Woche, welche die Großmama in Frankfurt zubringen wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1661,"orig":"Sie hatte eben nach Heidi gerufen, daß es auf ihre Stube komme; es war die Zeit, da Klara ſchlief.","norm":"Sie hatte eben nach Heidi gerufen, dass es auf ihre Stube komme; es war die Zeit, da Klara schlief."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1662,"orig":"Als Heidi eintrat mit ſeinem großen Buch unter dem Arm, winkte ihm die Großmama, daß es ganz nahe zu ihr herankomme, legte das Buch weg und ſagte: „Nun komm', Kind, und ſag' mir, warum biſt du nicht fröhlich?","norm":"Als Heidi eintrat mit seinem großen Buch unter dem Arm, winkte ihm die Großmama, dass es ganz nahe zu ihr herankomme, legte das Buch weg und sagte: „Nun komme, Kind, und sage mir, warum bist du nicht fröhlich?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1663,"orig":"Haſt du immer noch denſelben Kummer im Herzen?“","norm":"Hast du immer noch denselben Kummer im Herzen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1664,"orig":"„Ja“, nickte Heidi.","norm":"„Ja“, nickte Heidi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1665,"orig":"„Haſt du ihn dem lieben Gott geklagt?“","norm":"„Hast du ihn dem lieben Gott geklagt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1666,"orig":"„Ja.","norm":"„Ja."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1667,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1668,"orig":"„Und beteſt du nun alle Tage, daß Alles gut werde und er dich froh mache?“","norm":"„Und betest du nun alle Tage, dass alles gut werde und er dich froh mache?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1669,"orig":"„O nein, ich bete jetzt gar nie mehr.","norm":"„O nein, ich bete jetzt gar nie mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1670,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1671,"orig":"„Was ſagſt du mir, Heidi?","norm":"„Was sagst du mir, Heidi?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1672,"orig":"Was muß ich hören!","norm":"Was muss ich hören!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1673,"orig":"Warum beteſt du denn nicht mehr?“","norm":"Warum betest du denn nicht mehr?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1674,"orig":"„Es nützt Nichts, der liebe Gott hat nicht zugehört, und ich glaube es auch wohl“, fuhr Heidi in einiger Aufregung weiter, „wenn nun am Abend ſo viele, viele Leute in Frankfurt alle miteinander beten, ſo kann der liebe Gott ja nicht auf alle Acht geben, und mich hat er gewiß gar nie gehört.","norm":"„Es nützt nichts, der liebe Gott hat nicht zugehört, und ich glaube es auch wohl“, fuhr Heidi in einiger Aufregung weiter, „wenn nun am Abend so viele, viele Leute in Frankfurt alle miteinander beten, so kann der liebe Gott ja nicht auf alle achtgeben, und mich hat er gewiss gar nie gehört."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1675,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1676,"orig":"„So, wie weißt du denn das ſo ſicher, Heidi?“ Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche lang und der liebe Gott hat es nie gethan.","norm":"„So, wie weißt du denn das so sicher, Heidi?“ Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche lang und der liebe Gott hat es nie getan."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1677,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1678,"orig":"„Ja, ſo geht's nicht zu, Heidi!","norm":"„Ja, so geht es nicht zu, Heidi!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1679,"orig":"das mußt du nicht meinen!","norm":"das musst du nicht meinen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1680,"orig":"Siehſt du, der liebe Gott iſt für uns Alle ein guter Vater, der immer weiß, was gut für uns iſt, wenn wir es gar nicht wiſſen.","norm":"Siehst du, der liebe Gott ist für uns alle ein guter Vater, der immer weiß, was gut für uns ist, wenn wir es gar nicht wissen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1681,"orig":"Wenn wir nun aber Etwas von ihm haben wollen, das nicht gut für uns iſt, ſo gibt er uns das nicht, ſondern etwas viel Beſſeres, wenn wir fortfahren, ſo recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren.","norm":"Wenn wir nun aber Etwas von ihm haben wollen, das nicht gut für uns ist, so gibt er uns das nicht, sondern etwas viel Besseres, wenn wir fortfahren, so recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1682,"orig":"Siehſt du, was du nun von ihm erbitten wollteſt, das war in dieſem Augenblick nicht gut für dich; der liebe Gott hat dich ſchon gehört, er kann alle Menſchen auf einmal anhören und überſehn, ſiehſt du, dafür iſt er der liebe Gott und nicht ein Menſch, wie du und ich.","norm":"Siehst du, was du nun von ihm erbitten wolltest, das war in diesem Augenblick nicht gut für dich; der liebe Gott hat dich schon gehört, er kann alle Menschen auf einmal anhören und übersehen, siehst du, dafür ist er der liebe Gott und nicht ein Mensch, wie du und ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1683,"orig":"Und weil er nun wohl wußte, was für dich gut iſt, dachte er bei ſich:, Ja, das Heidi ſoll ſchon einmal haben, wofür es bittet, aber erſt dann, wenn es ihm gut iſt, und ſo wie es darüber recht froh werden kann.","norm":"Und weil er nun wohl wusste, was für dich gut ist, dachte er bei sich:, Ja, das Heidi soll schon einmal haben, wofür es bittet, aber erst dann, wenn es ihm gut ist, und so wie es darüber recht froh werden kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1684,"orig":"Denn wenn ich jetzt thue, was es will, und es merkt nachher, daß es doch beſſer geweſen wäre, ich hätte ihm ſeinen Willen nicht gethan, dann weint es nachher und ſagt:","norm":"Denn wenn ich jetzt tue, was es will, und es merkt nachher, dass es doch besser gewesen wäre, ich hätte ihm seinen Willen nicht getan, dann weint es nachher und sagt:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1685,"orig":"Hätte mir doch der liebe Gott nur nicht gegeben, wofür ich bat, es iſt gar nicht ſo gut, wie ich gemeint habe.","norm":"Hätte mir doch der liebe Gott nur nicht gegeben, wofür ich bat, es ist gar nicht so gut, wie ich gemeint habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1686,"orig":"‘ Und während nun der liebe Gott auf dich niederſah, ob du ihm auch recht vertraueſt und täglich zu ihm kommeſt und beteſt und immer zu ihm aufſeheſt, wenn dir Etwas fehlt, da biſt du weggelaufen ohne alles Vertrauen, haſt nie mehr gebetet und haſt den lieben Gott ganz vergeſſen.","norm":"‘ Und während nun der liebe Gott auf dich niedersah, ob du ihm auch recht vertrauest und täglich zu ihm kommest und betest und immer zu ihm aufsehest, wenn dir Etwas fehlt, da bist du weggelaufen ohne alles Vertrauen, hast nie mehr gebetet und hast den lieben Gott ganz vergessen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1687,"orig":"Aber ſiehſt du, wenn Einer es ſo macht und der liebe Gott hört ſeine Stimme gar nie mehr unter den Betenden, ſo vergißt er ihn auch und läßt ihn gehn, wohin er will.","norm":"Aber siehst du, wenn Einer es so macht und der liebe Gott hört seine Stimme gar nie mehr unter den Betenden, so vergisst er ihn auch und lässt ihn gehen, wohin er will."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1688,"orig":"Wenn es ihm aber dabei ſchlecht geht und er jammert: ‚Mir hilft aber auch gar Niemand!‘ dann hat Keiner Mitleiden mit ihm, ſondern Jeder ſagt zu ihm:, Du biſt ja ſelbſt vom lieben Gott weggelaufen, der dir helfen konnte!‘ Willſt du's ſo haben, Heidi, oder willſt du gleich wieder zum lieben Gott gehn und ihn um Verzeihung bitten, daß du ſo von ihm weggelaufen biſt, und dann alle Tage zu ihm beten und ihm vertrauen, daß er Alles gut für dich machen werde, ſo daß du auch wieder ein frohes Herz bekommen kannſt?“","norm":"Wenn es ihm aber dabei schlecht geht und er jammert: ‚Mir hilft aber auch gar niemand!‘ dann hat keiner Mitleiden mit ihm, sondern Jeder sagt zu ihm:, Du bist ja selbst vom lieben Gott weggelaufen, der dir helfen konnte!‘ Willst du es so haben, Heidi, oder willst du gleich wieder zum lieben Gott gehen und ihn um Verzeihung bitten, dass du so von ihm weggelaufen bist, und dann alle Tage zu ihm beten und ihm vertrauen, dass er alles gut für dich machen werde, so dass du auch wieder ein frohes Herz bekommen kannst?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1689,"orig":"Heidi hatte ſehr aufmerkſam zugehört; jedes Wort der Großmama fiel in ſein Herz, denn zu ihr hatte das Kind ein unbedingtes Vertrauen.","norm":"Heidi hatte sehr aufmerksam zugehört; jedes Wort der Großmama fiel in sein Herz, denn zu ihr hatte das Kind ein unbedingtes Vertrauen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1690,"orig":"„Ich will jetzt gleich auf der Stelle gehen und den lieben Gott um Verzeihung bitten, und ich will ihn nie mehr vergeſſen“, ſagte Heidi reumüthig.","norm":"„Ich will jetzt gleich auf der Stelle gehen und den lieben Gott um Verzeihung bitten, und ich will ihn nie mehr vergessen“, sagte Heidi reumütig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1691,"orig":"„So iſt's recht, Kind, er wird dir auch helfen zur rechten Zeit, ſei nur getroſt!“ ermunterte die Großmama, und Heidi lief ſofort in ſein Zimmer hinüber und betete ernſtlich und reuig zum lieben Gott und bat ihn, daß er es doch nicht vergeſſen und auch wieder zu ihm niederſchauen möge.","norm":"„So ist es recht, Kind, er wird dir auch helfen zur rechten Zeit, sei nur getrost!“ ermunterte die Großmama, und Heidi lief sofort in sein Zimmer hinüber und betete ernstlich und reuig zum lieben Gott und bat ihn, dass er es doch nicht vergessen und auch wieder zu ihm niederschauen möge."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1692,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1693,"orig":"Der Tag der Abreiſe war gekommen, es war für Klara und Heidi ein trauriger Tag; aber die Großmama wußte es ſo einzurichten, daß ſie gar nicht zum Bewußtſein kamen, daß es eigentlich ein trauriger Tag ſei, ſondern es war eher wie ein Feſttag, bis die gute Großmama im Wagen davonfuhr.","norm":"Der Tag der Abreise war gekommen, es war für Klara und Heidi ein trauriger Tag; aber die Großmama wusste es so einzurichten, dass sie gar nicht zum Bewusstsein kamen, dass es eigentlich ein trauriger Tag sei, sondern es war eher wie ein Festtag, bis die gute Großmama im Wagen davonfuhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1694,"orig":"Da trat eine Leere und Stille im Hauſe ein, als wäre Alles vorüber, und ſo lange noch der Tag währte, ſaßen Klara und Heidi wie verloren da und wußten gar nicht, wie es nun weiter kommen ſollte.","norm":"Da trat eine Leere und Stille im Hause ein, als wäre alles vorüber, und so lange noch der Tag währte, saßen Klara und Heidi wie verloren da und wussten gar nicht, wie es nun weiter kommen sollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1695,"orig":"Am folgenden Tag, als die Unterrichtsſtunden vorbei und die Zeit da war, da die Kinder gewöhnlich zuſammenſaßen, trat Heidi mit ſeinem Buch unter dem Arm herein und ſagte: „Ich will dir nun immer, immer vorleſen, willſt du, Klara?“","norm":"Am folgenden Tag, als die Unterrichtsstunden vorbei und die Zeit da war, da die Kinder gewöhnlich zusammensaßen, trat Heidi mit seinem Buch unter dem Arm herein und sagte: „Ich will dir nun immer, immer vorlesen, willst du, Klara?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1696,"orig":"Der Klara war der Vorſchlag recht für einmal, und Heidi machte ſich mit Eifer an ſeine Thätigkeit.","norm":"Der Klara war der Vorschlag recht für einmal, und Heidi machte sich mit Eifer an seine Tätigkeit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1697,"orig":"Aber es ging nicht lange, ſo hörte ſchon wieder Alles auf, denn kaum hatte Heidi eine Geſchichte zu leſen begonnen, die von einer ſterbenden Großmutter handelte, als es auf einmal laut aufſchrie: „O nun iſt die Großmutter todt!“ und in ein jammervolles Weinen ausbrach, denn Alles, was es las, war dem Heidi volle Gegenwart und es glaubte nicht anders, als nun ſei die Großmutter auf der Alm geſtorben und es klagte in immer lauterem Weinen: „Nun iſt die Großmutter todt und ich kann nie mehr zu ihr gehen und ſie hat nicht ein einziges Brödchen mehr bekommen!“","norm":"Aber es ging nicht lange, so hörte schon wieder alles auf, denn kaum hatte Heidi eine Geschichte zu lesen begonnen, die von einer sterbenden Großmutter handelte, als es auf einmal laut aufschrie: „O nun ist die Großmutter tot!“ und in ein jammervolles Weinen ausbrach, denn alles, was es las, war dem Heidi volle Gegenwart und es glaubte nicht anders, als nun sei die Großmutter auf der Alm gestorben und es klagte in immer lauterem Weinen: „Nun ist die Großmutter tot und ich kann nie mehr zu ihr gehen und sie hat nicht ein einziges Brötchen mehr bekommen!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1698,"orig":"Klara ſuchte immerfort dem Heidi zu erklären, daß es ja nicht die Großmutter auf der Alm ſei, ſondern eine ganz andere, von der dieſe Geſchichte handle; aber auch, als ſie endlich dazu gekommen war, dem aufgeregten Heidi dieſe Verwechslung klar zu machen, konnte es ſich doch nicht beruhigen und weinte immer noch untröſtlich weiter, denn der Gedanke war ihm nun im Herzen erwacht, die Großmutter könne ja ſterben, während es ſo weit weg ſei, und der Großvater auch noch, und wenn es dann nach langer Zeit wieder heimkomme, ſo ſei Alles ſtill und todt auf der Alm und es ſtehe ganz allein da und könne niemals mehr die ſehen, die ihm lieb waren.","norm":"Klara suchte immerfort dem Heidi zu erklären, dass es ja nicht die Großmutter auf der Alm sei, sondern eine ganz andere, von der diese Geschichte handle; aber auch, als sie endlich dazugekommen war, dem aufgeregten Heidi diese Verwechslung klarzumachen, konnte es sich doch nicht beruhigen und weinte immer noch untröstlich weiter, denn der Gedanke war ihm nun im Herzen erwacht, die Großmutter könne ja sterben, während es so weit weg sei, und der Großvater auch noch, und wenn es dann nach langer Zeit wieder heimkomme, so sei alles still und tot auf der Alm und es stehe ganz allein da und könne niemals mehr die sehen, die ihm lieb waren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1699,"orig":"Währenddeſſen war Fräulein Rottenmeier in's Zimmer getreten und hatte noch Klara's Bemühungen, Heidi über ſeinen Irrthum aufzuklären, mitangehört.","norm":"Währenddessen war Fräulein Rottenmeier ins Zimmer getreten und hatte noch Klaras Bemühungen, Heidi über seinen Irrtum aufzuklären, mitangehört."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1700,"orig":"Als das Kind aber immer noch nicht aufhören konnte zu ſchluchzen, trat ſie mit ſichtlichen Zeichen der Ungeduld zu den Kindern heran und ſagte mit beſtimmtem Ton: „Adelheid, nun iſt des grundloſen Geſchrei's genug!","norm":"Als das Kind aber immer noch nicht aufhören konnte zu schluchzen, trat sie mit sichtlichen Zeichen der Ungeduld zu den Kindern heran und sagte mit bestimmtem Ton: „Adelheid, nun ist des grundlosen Geschreis genug!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1701,"orig":"Ich will dir Eines ſagen:","norm":"Ich will dir Eines sagen:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1702,"orig":"Wenn du noch ein einziges Mal beim Leſen deiner Geſchichten ſolchen Ausbrüchen den Lauf läſſeſt, ſo nehme ich das Buch aus deinen Händen und für immer!“","norm":"Wenn du noch ein einziges Mal beim Lesen deiner Geschichten solchen Ausbrüchen den Lauf lässt, so nehme ich das Buch aus deinen Händen und für immer!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1703,"orig":"Das machte Eindruck.","norm":"Das machte Eindruck."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1704,"orig":"Heidi wurde ganz weiß vor Schrecken, das Buch war ſein höchſter Schatz.","norm":"Heidi wurde ganz weiß vor Schrecken, das Buch war sein höchster Schatz."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1705,"orig":"Es trocknete in größter Eile ſeine Thränen und ſchluckte und würgte ſein Schluchzen mit Gewalt hinunter, ſo daß kein Tönchen mehr laut wurde.","norm":"Es trocknete in größter Eile seine Tränen und schluckte und würgte sein Schluchzen mit Gewalt hinunter, so dass kein Tönchen mehr laut wurde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1706,"orig":"Das Mittel hatte geholfen, Heidi weinte nie mehr, was es auch leſen mochte; aber manchmal hatte es ſolche Anſtrengungen zu machen, um ſich zu überwinden und nicht aufzuſchreien, daß Klara öfter ganz erſtaunt ſagte: „Heidi, du machſt ſo ſchreckliche Grimaſſen, wie ich noch nie geſehen habe.","norm":"Das Mittel hatte geholfen, Heidi weinte nie mehr, was es auch lesen mochte; aber manchmal hatte es solche Anstrengungen zu machen, um sich zu überwinden und nicht aufzuschreien, dass Klara öfter ganz erstaunt sagte: „Heidi, du machst so schreckliche Grimassen, wie ich noch nie gesehen habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1707,"orig":"“ Aber die Grimaſſen machten keinen Lärm und fielen der Dame Rottenmeier nicht auf, und wenn Heidi ſeinen Anfall von verzweiflungsvoller Traurigkeit niedergerungen hatte, kam Alles wieder in's Geleiſe für einige Zeit und war tonlos vorübergegangen.","norm":"“ Aber die Grimassen machten keinen Lärm und fielen der Dame Rottenmeier nicht auf, und wenn Heidi seinen Anfall von verzweiflungsvoller Traurigkeit niedergerungen hatte, kam alles wieder ins Geleise für einige Zeit und war tonlos vorübergegangen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1708,"orig":"Aber ſeinen Appetit verlor Heidi ſo ſehr und ſah ſo mager und bleich aus, daß der Sebaſtian faſt nicht ertragen konnte, das ſo mit anzuſehen und Zeuge ſein zu müſſen, wie Heidi bei Tiſch die ſchönſten Gerichte an ſich vorübergehen ließ und Nichts eſſen wollte.","norm":"Aber seinen Appetit verlor Heidi so sehr und sah so mager und bleich aus, dass der Sebastian fast nicht ertragen konnte, das so mit anzusehen und Zeuge sein zu müssen, wie Heidi bei Tisch die schönsten Gerichte an sich vorübergehen ließ und nichts essen wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1709,"orig":"Er flüſterte ihm auch öfter ermunternd zu, wenn er ihm eine Schüſſel hinhielt: „Nehmen von dem, Mamſellchen,' s iſt vortrefflich.","norm":"Er flüsterte ihm auch öfter ermunternd zu, wenn er ihm eine Schüssel hinhielt: „Nehmen von dem, Mamsellchen,' s ist vortrefflich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1710,"orig":"Nicht ſo!","norm":"Nicht so!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1711,"orig":"Einen rechten Löffel voll, noch einen!“ und dergleichen väterlicher Räthe wehr; aber es half Nichts;","norm":"Einen rechten Löffel voll, noch einen!“ und dergleichen väterlicher Räte wehr; aber es half nichts;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1712,"orig":"Heidi aß faſt gar nicht mehr, und wenn es ſich am Abend auf ſein Kiſſen legte, ſo hatte es augenblicklich Alles vor Augen, was daheim war, und nur ganz leiſe weinte es dann vor Sehnſucht in ſein Kiſſen hinein, ſo daß es gar Niemand hören konnte.","norm":"Heidi aß fast gar nicht mehr, und wenn es sich am Abend auf sein Kissen legte, so hatte es augenblicklich alles vor Augen, was daheim war, und nur ganz leise weinte es dann vor Sehnsucht in sein Kissen hinein, so dass es gar Niemand hören konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1713,"orig":"So ging eine lange Zeit dahin.","norm":"So ging eine lange Zeit dahin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1714,"orig":"Heidi wußte gar nie, ob es Sommer oder Winter ſei, denn die Mauern und Fenſter, die es aus allen Fenſtern des Hauſes Seſemann erblickte, ſahen immer gleich aus, und hinaus kam es nur, wenn es Klara beſonders gut ging und eine Ausfahrt im Wagen mit ihr gemacht werden konnte, die aber immer ſehr kurz war, denn Klara konnte nicht vertragen, lang zu fahren.","norm":"Heidi wusste gar nie, ob es Sommer oder Winter sei, denn die Mauern und Fenster, die es aus allen Fenstern des Hauses Sesemann erblickte, sahen immer gleich aus, und hinauskam es nur, wenn es Klara besonders gut ging und eine Ausfahrt im Wagen mit ihr gemacht werden konnte, die aber immer sehr kurz war, denn Klara konnte nicht vertragen, lang zu fahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1715,"orig":"So kam man kaum aus den Mauern und Steinſtraßen heraus, ſondern kehrte gewöhnlich vorher wieder um und fuhr immerfort durch große, ſchöne Straßen, wo Häuſer und Menſchen in Fülle zu ſehen waren, aber nicht Gras und Blumen, keine Tannen und keine Berge, und Heidi's Verlangen nach dem Anblick der ſchönen, gewohnten Dinge ſteigerte ſich mit jedem Tage mehr, ſo daß es jetzt nur den Namen eines dieſer Erinnerung-weckenden Worte zu leſen brauchte, ſo war ſchon ein Ausbruch des Schmerzes nahe, und Heidi hatte mit aller Gewalt dagegen zu ringen.","norm":"So kam man kaum aus den Mauern und Steinstraßen heraus, sondern kehrte gewöhnlich vorher wieder um und fuhr immerfort durch große, schöne Straßen, wo Häuser und Menschen in Fülle zu sehen waren, aber nicht Gras und Blumen, keine Tannen und keine Berge, und Heidis Verlangen nach dem Anblick der schönen, gewohnten Dinge steigerte sich mit jedem Tage mehr, so dass es jetzt nur den Namen eines dieser Erinnerung Worte zu lesen brauchte, so war schon ein Ausbruch des Schmerzes nahe, und Heidi hatte mit aller Gewalt dagegen zu ringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1716,"orig":"So waren Herbſt und Winter vergangen, und ſchon blendete die Sonne wieder ſo ſtark auf die weißen Mauern am Hauſe gegenüber, daß Heidi ahnte, nun ſei die Zeit nahe, da der Peter wieder zur Alm führe mit den Gaißen, da die goldenen Cyſtusröschen glitzerten droben im Sonnenſchein","norm":"So waren Herbst und Winter vergangen, und schon blendete die Sonne wieder so stark auf die weißen Mauern am Hause gegenüber, dass Heidi ahnte, nun sei die Zeit nahe, da der Peter wieder zur Alm führe mit den Geißen, da die goldenen Zistroschen glitzerten droben im Sonnenschein"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1717,"orig":"und allabendlich ringsum alle Berge im Feuer ſtänden.","norm":"und allabendlich ringsum alle Berge im Feuer ständen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1718,"orig":"Heidi ſetzte ſich in ſeinem einſamen Zimmer in einen Winkel und hielt ſich mit beiden Händen die Augen zu, daß es den Sonnenſchein drüben an der Mauer nicht ſehe; und ſo ſaß es regungslos, ſein brennendes Heimweh lautlos niederkämpfend, bis Klara wieder nach ihm rief.","norm":"Heidi setzte sich in seinem einsamen Zimmer in einen Winkel und hielt sich mit beiden Händen die Augen zu, dass es den Sonnenschein drüben an der Mauer nicht sehe; und so saß es regungslos, sein brennendes Heimweh lautlos niederkämpfend, bis Klara wieder nach ihm rief."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1719,"orig":"Seit einigen Tagen wanderte Fräulein Rottenmeier meiſtens ſchweigend und in ſich gekehrt im Haus herum.","norm":"Seit einigen Tagen wanderte Fräulein Rottenmeier meistens schweigend und in sich gekehrt im Haus herum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1720,"orig":"Wenn ſie um die Zeit der Dämmerung von einem Zimmer in's andere, oder über den langen Corridor ging, ſchaute ſie öfters um ſich, gegen die Ecken hin und auch ſchnell einmal hinter ſich, ſo als denke ſie, es könnte Jemand leiſe hinter ihr herkommen und ſie unverſehens am Rock zupfen.","norm":"Wenn sie um die Zeit der Dämmerung von einem Zimmer ins andere, oder über den langen Korridor ging, schaute sie öfters um sich, gegen die Ecken hin und auch schnell einmal hinter sich, so als denke sie, es könnte jemand leise hinter ihr herkommen und sie unversehens am Rock zupfen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1721,"orig":"So allein ging ſie aber nur noch in den bewohnten Räumen herum.","norm":"So allein ging sie aber nur noch in den bewohnten Räumen herum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1722,"orig":"Hatte ſie auf dem obern Boden, wo die feierlich aufgerüſteten Gaſtzimmer lagen, oder gar in den untern Räumen Etwas zu beſorgen, wo der große geheimnißvolle Saal war, in dem jeder Tritt einen weithin ſchallenden Wiederhall gab und die alten Rathsherren mit den großen, weißen Kragen ſo ernſthaft und unverwandt auf Einen niederſchauten, da rief ſie nun regelmäßig die Tinette herbei und ſagte ihr, ſie habe mitzukommen, im Fall Etwas von dort herauf- oder von oben herunterzutragen wäre.","norm":"Hatte sie auf dem oberen Boden, wo die feierlich aufgerüsteten Gastzimmer lagen, oder gar in den unteren Räumen Etwas zu besorgen, wo der große geheimnisvolle Saal war, in dem jeder Tritt einen weithin schallenden Widerhall gab und die alten Ratsherren mit den großen, weißen Kragen so ernsthaft und unverwandt auf Einen niederschauten, da rief sie nun regelmäßig die Tinette herbei und sagte ihr, sie habe mitzukommen, im Fall etwas von dort herauf- oder von oben herunterzutragen wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1723,"orig":"Tinette ihrerſeits machte es pünktlich ebenſo; hatte ſie oben oder unten irgend ein Geſchäft abzuthun, ſo rief ſie den Sebaſtian herbei und ſagte ihm, er habe ſie zu begleiten, es möchte Etwas herbeizubringen ſein, das ſie nicht allein tragen könnte.","norm":"Tinette ihrerseits machte es pünktlich ebenso; hatte sie oben oder unten irgendein Geschäft abzutun, so rief sie den Sebastian herbei und sagte ihm, er habe sie zu begleiten, es möchte Etwas herbeizubringen sein, das sie nicht allein tragen könnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1724,"orig":"Wunderbarerweiſe that auch Sebaſtian akurat dasſelbe; wurde er in die abgelegenen Räume geſchickt, ſo holte er den Johann herauf und wies ihn an, ihn zu begleiten, im Fall er nicht herbeiſchaffen könnte, was erforderlich ſei.","norm":"Wunderbarerweise tat auch Sebastian akkurat dasselbe; wurde er in die abgelegenen Räume geschickt, so holte er den Johann herauf und wies ihn an, ihn zu begleiten, im Fall er nicht herbeischaffen könnte, was erforderlich sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1725,"orig":"Und Jedes folgte immer ganz willig dem Ruf, obſchon eigentlich nie Etwas herbeizutragen war, ſo daß Jedes gut hätte allein gehen können, aber es war ſo, als denke der Herbeigerufene immer bei ſich, er könne den Andern auch bald für denſelben Dienſt nöthig haben.","norm":"Und jedes folgte immer ganz willig dem Ruf, obschon eigentlich nie Etwas herbeizutragen war, so dass Jedes gut hätte allein gehen können, aber es war so, als denke der Herbeigerufene immer bei sich, er könne den Anderen auch bald für denselben Dienst nötig haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1726,"orig":"Während ſich Solches oben zutrug, ſtand unten die langjährige Köchin tiefſinnig bei ihren Töpfen und ſchüttelte den Kopf und ſeufzte: „Daß ich das noch erleben mußte!“","norm":"Während sich Solches oben zutrug, stand unten die langjährige Köchin tiefsinnig bei ihren Töpfen und schüttelte den Kopf und seufzte: „Dass ich das noch erleben musste!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1727,"orig":"Es ging im Hauſe Seſemann ſeit einiger Zeit etwas ganz Seltſames und Unheimliches vor.","norm":"Es ging im Hause Sesemann seit einiger Zeit etwas ganz Seltsames und Unheimliches vor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1728,"orig":"Jeden Morgen, wenn die Dienerſchaft herunter kam, ſtand die Hausthüre weit offen; aber weit und breit war Niemand zu ſehen, der mit dieſer Erſcheinung im Zuſammenhang ſtehen konnte.","norm":"Jeden Morgen, wenn die Dienerschaft herunterkam, stand die Haustür weit offen; aber weit und breit war Niemand zu sehen, der mit dieser Erscheinung im Zusammenhang stehen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1729,"orig":"In den erſten Tagen, da dies geſchehen war, wurden gleich mit Schrecken alle Zimmer und Räume des Hauſes durchſucht, um zu ſehen, was Alles geſtohlen ſei, denn man dachte, ein Dieb habe ſich im Hauſe verſtecken können und ſei in der Nacht mit dem Geſtohlenen entflohen; aber da war gar Nichts fortgekommen, es fehlte im ganzen Hauſe nicht ein einziges Ding.","norm":"In den ersten Tagen, da dies geschehen war, wurden gleich mit Schrecken alle Zimmer und Räume des Hauses durchsucht, um zu sehen, was alles gestohlen sei, denn man dachte, ein Dieb habe sich im Hause verstecken können und sei in der Nacht mit dem Gestohlenen entflohen; aber da war gar nichts fortgekommen, es fehlte im ganzen Hause nicht ein einziges Ding."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1730,"orig":"Abends wurde nicht nur die Thüre doppelt zugeriegelt, ſondern es wurde noch der hölzerne Balken vorgeſchoben, — es half Nichts: am Morgen ſtand die Thüre weit offen; und ſo früh nun auch die ganze Dienerſchaft in ihrer Aufregung am Morgen herunterkommen mochte: die Thür ſtand offen, wenn auch ringsum Alles noch im tiefen Schlaf lag und Fenſter und Thüren an allen andern Häuſern noch feſt verrammelt waren.","norm":"Abends wurde nicht nur die Türe doppelt zugeriegelt, sondern es wurde noch der hölzerne Balken vorgeschoben, — es half nichts: am Morgen stand die Türe weit offen; und so früh nun auch die ganze Dienerschaft in ihrer Aufregung am Morgen herunterkommen mochte: Die Tür stand offen, wenn auch ringsum alles noch im tiefen Schlaf lag und Fenster und Türen an allen anderen Häusern noch fest verrammelt waren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1731,"orig":"Endlich faßten ſich der Johann und der Sebaſtian ein Herz und machten ſich auf die dringenden Zureden der Dame Rottenmeier bereit, die Nacht unten in dem Zimmer, das an den großen Saal ſtieß, zuzubringen und zu erwarten, was geſchehe.","norm":"Endlich fassten sich der Johann und der Sebastian ein Herz und machten sich auf die dringenden Zureden der Dame Rottenmeier bereit, die Nacht unten in dem Zimmer, das an den großen Saal stieß, zuzubringen und zu erwarten, was geschehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1732,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſuchte mehrere Waffen des Herrn Seſemann hervor und übergab dem Sebaſtian eine große Liqueurflaſche, damit Stärkung vorausgehen und gute Wehr nachfolgen könne, wo ſie nöthig ſei.","norm":"Fräulein Rottenmeier suchte mehrere Waffen des Herrn Sesemann hervor und übergab dem Sebastian eine große Likörflasche, damit Stärkung vorausgehen und gute Wehr nachfolgen könne, wo sie nötig sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1733,"orig":"Die Beiden ſetzten ſich an dem feſtgeſetzten Abend hin und fingen gleich an, ſich Stärkung zuzutrinken, was ſie erſt ſehr geſprächig und dann ziemlich ſchläfrig machte, worauf ſie Beide ſich an die Seſſelrücken lehnten und verſtummten.","norm":"Die Beiden setzten sich an dem festgesetzten Abend hin und fingen gleich an, sich Stärkung zuzutrinken, was sie erst sehr gesprächig und dann ziemlich schläfrig machte, worauf sie Beide sich an die Sesselrücken lehnten und verstummten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1734,"orig":"Als die alte Thurmuhr drüben zwölfe ſchlug, ermannte ſich Sebaſtian und rief ſeinen Kameraden an; der war aber nicht leicht zu erwecken: ſo oft ihn Sebaſtian anrief, legte er ſeinen Kopf von einer Seite der Seſſellehne auf die andere und ſchlief weiter.","norm":"Als die alte Turmuhr drüben zwölf schlug, ermannte sich Sebastian und rief seinen Kameraden an; der war aber nicht leicht zu erwecken: so oft ihn Sebastian anrief, legte er seinen Kopf von einer Seite der Sessellehne auf die andere und schlief weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1735,"orig":"Sebaſtian lauſchte nunmehr geſpannt, er war nun wieder ganz munter geworden.","norm":"Sebastian lauschte nunmehr gespannt, er war nun wieder ganz munter geworden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1736,"orig":"Es war Alles mäuſchenſtill, auch von der Straße war kein Laut mehr zu hören.","norm":"Es war alles mäuschenstill, auch von der Straße war kein Laut mehr zu hören."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1737,"orig":"Sebaſtian entſchlief nicht wieder, denn jetzt wurde es ihm ſehr unheimlich in der großen Stille und er rief den Johann nur noch mit gedämpfter Stimme an und rüttelte ihn von Zeit zu Zeit ein wenig.","norm":"Sebastian entschlief nicht wieder, denn jetzt wurde es ihm sehr unheimlich in der großen Stille und er rief den Johann nur noch mit gedämpfter Stimme an und rüttelte ihn von Zeit zu Zeit ein wenig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1738,"orig":"Endlich, als es drüben ſchon ein Uhr geſchlagen hatte, war der Johann wach geworden und wieder zum klaren Bewußtſein gekommen, warum er auf dem Stuhl ſitze und nicht in ſeinem Bett liege.","norm":"Endlich, als es droben schon ein Uhr geschlagen hatte, war der Johann wach geworden und wieder zum klaren Bewusstsein gekommen, warum er auf dem Stuhl sitze und nicht in seinem Bett liege."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1739,"orig":"Jetzt fuhr er auf einmal ſehr tapfer empor und rief: „Nu, Sebaſtian, wir müſſen doch einmal hinaus und ſehen, wie's ſteht; du wirſt dich ja nicht fürchten, nur mir nach!“","norm":"Jetzt fuhr er auf einmal sehr tapfer empor und rief: „Nu, Sebastian, wir müssen doch einmal hinaus und sehen, wie es steht; du wirst dich ja nicht fürchten, nur mir nach!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1740,"orig":"Johann machte die leicht angelehnte Zimmerthür weit auf und trat hinaus.","norm":"Johann machte die leicht angelehnte Zimmertür weit auf und trat hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1741,"orig":"Im gleichen Augenblick blies von der offenen Hausthüre ein ſcharfer Luftzug her und löſchte das Licht aus, das der Johann in der Hand hielt.","norm":"Im gleichen Augenblick blies von der offenen Haustür ein scharfer Luftzug her und löschte das Licht aus, das der Johann in der Hand hielt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1742,"orig":"Dieſer ſtürzte zurück, warf den hinter ihm ſtehenden Sebaſtian beinah' rücklings in's Zimmer hinein, riß ihn dann mit, ſchlug die Thüre zu und drehte in fieberhafter Eile den Schlüſſel um, ſo lang er nur umging.","norm":"Dieser stürzte zurück, warf den hinter ihm stehenden Sebastian beinahe rücklings ins Zimmer hinein, riss ihn dann mit, schlug die Türe zu und drehte in fieberhafter Eile den Schlüssel um, solang er nur umging."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1743,"orig":"Dann riß er ſeine Streichhölzer hervor und zündete ſein Licht wieder an.","norm":"Dann riss er seine Streichhölzer hervor und zündete sein Licht wieder an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1744,"orig":"Sebaſtian wußte gar nicht recht, was vorgefallen war, denn hinter dem breiten Johann ſtehend, hatte er den Luftzug nicht ſo deutlich empfunden.","norm":"Sebastian wusste gar nicht recht, was vorgefallen war, denn hinter dem breiten Johann stehend, hatte er den Luftzug nicht so deutlich empfunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1745,"orig":"Wie er aber Jenen nun bei Licht beſah, that er einen Schreckensruf, denn der Johann war kreideweiß und zitterte wie ein Espenlaub.","norm":"Wie er aber Jenen nun bei Licht besah, tat er einen Schreckensruf, denn der Johann war kreideweiß und zitterte wie ein Espenlaub."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1746,"orig":"„Was iſt's denn?","norm":"„Was ist es denn?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1747,"orig":"Was war denn draußen?“ fragte der Sebaſtian theilnehmend.","norm":"Was war denn draußen?“ fragte der Sebastian teilnehmend."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1748,"orig":"„Sperrangelweit offen die Thür“, keuchte Johann, und auf der Treppe eine weiße Geſtalt, ſiehſt du, Sebaſtian, nur ſo die Treppe hinauf — huſch und verſchwunden.","norm":"„Sperrangelweit offen die Tür“, keuchte Johann, und auf der Treppe eine weiße Gestalt, siehst du, Sebastian, nur so die Treppe hinauf — husch und verschwunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1749,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1750,"orig":"Dem Sebaſtian gruſelte es den ganzen Rücken hinauf.","norm":"Dem Sebastian gruselte es den ganzen Rücken hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1751,"orig":"Jetzt ſetzten ſich die Beiden ganz nah' zuſammen und regten ſich nicht mehr, bis daß der helle Morgen da war und es auf der Straße anfing, lebendig zu werden.","norm":"Jetzt setzten sich die Beiden ganz nah zusammen und regten sich nicht mehr, bis dass der helle Morgen da war und es auf der Straße anfing, lebendig zu werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1752,"orig":"Dann traten ſie zuſammen hinaus, machten die weit offen ſtehende Hausthüre zu und ſtiegen dann hinauf, um Fräulein Rottenmeier Bericht zu erſtatten über das Erlebte.","norm":"Dann traten sie zusammen hinaus, machten die weit offenstehende Haustür zu und stiegen dann hinauf, um Fräulein Rottenmeier Bericht zu erstatten über das Erlebte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1753,"orig":"Die Dame war auch ſchon zu ſprechen, denn die Erwartung der zu vernehmenden Dinge hatte ſie nicht mehr ſchlafen laſſen.","norm":"Die Dame war auch schon zu sprechen, denn die Erwartung der zu vernehmenden Dinge hatte sie nicht mehr schlafen lassen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1754,"orig":"Sobald ſie nun vernommen hatte, was vorgefallen war, ſetzte ſie ſich hin und ſchrieb einen Brief an Herrn Seſemann, wie er noch keinen erhalten hatte: er möge ſich nur ſogleich, ohne Verzug, aufmachen und nach Hauſe zurückkehren, denn da geſchähen unerhörte Dinge.","norm":"Sobald sie nun vernommen hatte, was vorgefallen war, setzte sie sich hin und schrieb einen Brief an Herrn Sesemann, wie er noch keinen erhalten hatte: Er möge sich nur sogleich, ohne Verzug, aufmachen und nachhause zurückkehren, denn da geschähen unerhörte Dinge."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1755,"orig":"Dann wurde ihm das Vorgefallene mitgetheilt, ſo wie auch die Nachricht, daß fortgeſetzt die Thüre jeden Morgen offen ſtehe; daß alſo Keiner im Hauſe ſeines Lebens mehr ſicher ſei bei dergeſtalt allnächtlich offen ſtehender Hauspforte und daß man überhaupt nicht abſehen könne, was für dunkle Folgen dieſer unheimliche Vorgang noch nach ſich ziehen könne.","norm":"Dann wurde ihm das Vorgefallene mitgeteilt, sowie auch die Nachricht, dass fortgesetzt die Türe jeden Morgen offen stehe; dass also keiner im Hause seines Lebens mehr sicher sei bei dergestalt allnächtlich offenstehender Hauspforte und dass man überhaupt nicht absehen könne, was für dunkle Folgen dieser unheimliche Vorgang noch nach sich ziehen könne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1756,"orig":"Herr Seſemann antwortete umgehend, es ſei ihm unmöglich, ſo plötzlich Alles liegen zu laſſen und nach Hauſe zu kommen.","norm":"Herr Sesemann antwortete umgehend, es sei ihm unmöglich, so plötzlich alles liegenzulassen und nachhause zu kommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1757,"orig":"Die Geſpenſtergeſchichte ſei ihm ſehr befremdend, er hoffe auch, ſie ſei vorübergehend; ſollte es indeſſen keine Ruhe geben, ſo möge Fräulein Rottenmeier an Frau Seſemann ſchreiben und ſie fragen, ob ſie nicht nach Frankfurt zu Hülfe kommen wollte, gewiß würde ſeine Mutter in kürzeſter Zeit mit den Geſpenſtern fertig, und dieſe trauten ſich nachher ſicher ſo bald nicht wieder, ſein Haus zu beunruhigen.","norm":"Die Gespenstergeschichte sei ihm sehr befremdend, er hoffe auch, sie sei vorübergehend; sollte es indessen keine Ruhe geben, so möge Fräulein Rottenmeier an Frau Sesemann schreiben und sie fragen, ob sie nicht nach Frankfurt zuhilfe kommen wollte, gewiss würde seine Mutter in kürzester Zeit mit den Gespenstern fertig, und diese trauten sich nachher sicher so bald nicht wieder, sein Haus zu beunruhigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1758,"orig":"Fräulein Rottenmeier war nicht zufrieden mit dem Ton dieſes Briefes; die Sache war ihr zu wenig ernſt aufgefaßt.","norm":"Fräulein Rottenmeier war nicht zufrieden mit dem Ton dieses Briefes; die Sache war ihr zu wenig ernst aufgefasst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1759,"orig":"Sie ſchrieb unverzüglich an Frau Seſemann, aber von dieſer Seite her tönte es nicht eben befriedigender und die Antwort enthielt einige ganz anzügliche Bemerkungen.","norm":"Sie schrieb unverzüglich an Frau Sesemann, aber von dieser Seite her tönte es nicht eben befriedigender und die Antwort enthielt einige ganz anzügliche Bemerkungen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1760,"orig":"Frau Seſemann ſchrieb, ſie gedenke nicht extra von Holſtein nach Frankfurt hinunterzureiſen, weil die Rottenmeier Geſpenſter ſehe.","norm":"Frau Sesemann schrieb, sie gedenke nicht extra von Holstein nach Frankfurt hinunterzureisen, weil die Rottenmeier Gespenster sehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1761,"orig":"Uebrigens ſei niemals ein Geſpenſt geſehen worden im Hauſe Seſemann, und wenn jetzt eines darin herumfahre, ſo könne es nur ein lebendiges ſein, mit dem die Rottenmeier ſich ſollte verſtändigen können; wo nicht, ſo ſolle ſie die Nachtwächter zu Hülfe rufen.","norm":"Übrigens sei niemals ein Gespenst gesehen worden im Hause Sesemann, und wenn jetzt eines darin herumfahre, so könne es nur ein lebendiges sein, mit dem die Rottenmeier sich sollte verständigen können; wo nicht, so solle sie die Nachtwächter zuhilfe rufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1762,"orig":"Aber Fräulein Rottenmeier war entſchloſſen, ihre Tage nicht mehr in Schrecken zuzubringen, und ſie wußte ſich zu helfen.","norm":"Aber Fräulein Rottenmeier war entschlossen, ihre Tage nicht mehr in Schrecken zuzubringen, und sie wusste sich zu helfen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1763,"orig":"Bis dahin hatte ſie den beiden Kindern Nichts von der Geiſtererſcheinung geſagt, denn ſie befürchtete, die Kinder würden vor Furcht Tag und Nacht keinen Augenblick mehr allein bleiben wollen, und das konnte ſehr unbequeme Folgen für ſie haben.","norm":"Bis dahin hatte sie den beiden Kindern nichts von der Geistererscheinung gesagt, denn sie befürchtete, die Kinder würden vor Furcht Tag und Nacht keinen Augenblick mehr allein bleiben wollen, und das konnte sehr unbequeme Folgen für sie haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1764,"orig":"Jetzt ging ſie ſtracks in's Studierzimmer hinüber, wo die Beiden zuſammenſaßen, und erzählte mit gedämpfter Stimme von den nächtlichen Erſcheinungen eines Unbekannten.","norm":"Jetzt ging sie stracks ins Studierzimmer hinüber, wo die Beiden zusammensaßen, und erzählte mit gedämpfter Stimme von den nächtlichen Erscheinungen eines Unbekannten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1765,"orig":"Sofort ſchrie Klara auf, ſie bleibe keinen Augenblick mehr allein, der Papa müſſe nach Hauſe kommen und Fräulein Rottenmeier müſſe zum Schlafen in ihr Zimmer hinüberziehen, und Heidi dürfe auch nicht mehr allein ſein, ſonſt könne das Geſpenſt einmal zu ihm kommen und ihm Etwas thun, ſie wollten Alle in einem Zimmer ſchlafen und die ganze Nacht das Licht brennen laſſen, und Tinette müſſe nebenan ſchlafen und der Sebaſtian und der Johann müſſen auch herunterkommen und auf dem Corridor ſchlafen, daß ſie gleich ſchreien und das Geſpenſt erſchrecken können, wenn es etwa die Treppe heraufkommen wollte.","norm":"Sofort schrie Klara auf, sie bleibe keinen Augenblick mehr allein, der Papa müsse nachhause kommen und Fräulein Rottenmeier müsse zum Schlafen in ihr Zimmer hinüberziehen, und Heidi dürfe auch nicht mehr allein sein, sonst könne das Gespenst einmal zu ihm kommen und ihm Etwas tun, sie wollten alle in einem Zimmer schlafen und die ganze Nacht das Licht brennen lassen, und Tinette müsse nebenan schlafen und der Sebastian und der Johann müssen auch herunterkommen und auf dem Korridor schlafen, dass sie gleich schreien und das Gespenst erschrecken können, wenn es etwa die Treppe heraufkommen wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1766,"orig":"Klara war ſehr aufgeregt und Fräulein Rottenmeier hatte nun die größte Mühe, ſie etwas zu beſchwichtigen.","norm":"Klara war sehr aufgeregt und Fräulein Rottenmeier hatte nun die größte Mühe, sie etwas zu beschwichtigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1767,"orig":"Sie verſprach ihr, ſogleich an den Papa zu ſchreiben und auch ihr Bett in Klara's Zimmer ſtellen und ſie nie mehr allein laſſen zu wollen.","norm":"Sie versprach ihr, sogleich an den Papa zu schreiben und auch ihr Bett in Klaras Zimmer stellen und sie nie mehr allein lassen zu wollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1768,"orig":"Alle konnten ſie nicht in demſelben Raume ſchlafen, aber wenn Adelheid ſich auch fürchten ſollte, ſo müßte Tinette ihr Nachtlager bei ihr aufſchlagen.","norm":"Alle konnten sie nicht in demselben Raume schlafen, aber wenn Adelheid sich auch fürchten sollte, so müsste Tinette ihr Nachtlager bei ihr aufschlagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1769,"orig":"Aber Heidi fürchtete ſich mehr vor der Tinette, als vor Geſpenſtern, von denen das Kind noch gar nie Etwas gehört hatte, und es erklärte gleich, es fürchte das Geſpenſt nicht und wolle ſchon allein in ſeinem Zimmer bleiben.","norm":"Aber Heidi fürchtete sich mehr vor der Tinette, als vor Gespenstern, von denen das Kind noch gar nie etwas gehört hatte, und es erklärte gleich, es fürchte das Gespenst nicht und wolle schon allein in seinem Zimmer bleiben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1770,"orig":"Hierauf eilte Fräulein Rottenmeier an ihren Schreibtiſch und ſchrieb an Herrn Seſemann, die unheimlichen Vorgänge im Hauſe, die allnächtlich ſich wiederholten, hätten die zarte Conſtitution ſeiner Tochter dergeſtalt erſchüttert, daß die ſchlimmſten Folgen zu beſorgen ſeien, man habe Beiſpiele von plötzlich eintretenden epileptiſchen Zufällen, oder Beitstanz in ſolchen Verhältniſſen, und ſeine Tochter ſei Allem ausgeſetzt, wenn dieſer Zuſtand des Schreckens im Hauſe nicht gehoben werde.","norm":"Hierauf eilte Fräulein Rottenmeier an ihren Schreibtisch und schrieb an Herrn Sesemann, die unheimlichen Vorgänge im Hause, die allnächtlich sich wiederholten, hätten die zarte Konstitution seiner Tochter dergestalt erschüttert, dass die schlimmsten Folgen zu besorgen seien, man habe Beispiele von plötzlich eintretenden epileptischen Zufällen, oder Veitstanz in solchen Verhältnissen, und seine Tochter sei allem ausgesetzt, wenn dieser Zustand des Schreckens im Hause nicht gehoben werde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1771,"orig":"Das half.","norm":"Das half."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1772,"orig":"Zwei Tage darauf ſtand Herr Seſemann an ſeiner Thür und ſchellte dergeſtalt an ſeiner Hausglocke, daß Alles zuſammenlief und Einer den Andern anſtarrte, denn man glaubte nicht anders, als nun laſſe der Geiſt frecher Weiſe noch vor Nacht ſeine boſhaften Stücke aus.","norm":"Zwei Tage darauf stand Herr Sesemann an seiner Tür und schellte dergestalt an seiner Hausglocke, dass alles zusammenlief und Einer den Anderen anstarrte, denn man glaubte nicht anders, als nun lasse der Geist frecherweise noch vor Nacht seine boshaften Stücke aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1773,"orig":"Sebaſtian guckte ganz behutſam durch einen halbgeöffneten Laden von oben herunter, in dem Augenblick ſchellte es noch einmal ſo nachdrücklich, daß Jeder unwillkürlich eine Menſchenhand hinter dem tüchtigen Ruck vermuthete.","norm":"Sebastian guckte ganz behutsam durch einen halbgeöffneten Laden von oben herunter, in dem Augenblick schellte es noch einmal so nachdrücklich, dass Jeder unwillkürlich eine Menschenhand hinter dem tüchtigen Ruck vermutete."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1774,"orig":"Sebaſtian hatte die Hand erkannt, ſtürzte durch's Zimmer, kopfüber die Treppe hinunter, kam aber unten wieder auf die Füße und riß die Hausthür auf.","norm":"Sebastian hatte die Hand erkannt, stürzte durchs Zimmer, kopfüber die Treppe hinunter, kam aber unten wieder auf die Füße und riss die Haustür auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1775,"orig":"Herr Seſemann grüßte kurz und ſtieg ohne Weiteres nach dem Zimmer ſeiner Tochter hinauf.","norm":"Herr Sesemann grüßte kurz und stieg ohne Weiteres nach dem Zimmer seiner Tochter hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1776,"orig":"Klara empfing den Papa mit einem lauten Freudenruf und als er ſie ſo munter und völlig unverändert ſah, glättete ſich ſeine Stirn, die er vorher ſehr zuſammengezogen hatte, und immer mehr, als er nun von ihr ſelbſt hörte, ſie ſei ſo wohl wie immer und ſie ſei ſo froh, daß er gekommen ſei, daß es ihr jetzt ganz recht ſei, daß ein Geiſt im Haus herumfahre, weil er doch daran ſchuld ſei, daß der Papa heimkommen mußte.","norm":"Klara empfing den Papa mit einem lauten Freudenruf und als er sie so munter und völlig unverändert sah, glättete sich seine Stirn, die er vorher sehr zusammengezogen hatte, und immer mehr, als er nun von ihr selbst hörte, sie sei so wohl wie immer und sie sei so froh, dass er gekommen sei, dass es ihr jetzt ganz recht sei, dass ein Geist im Haus herumfahre, weil er doch daran schuld sei, dass der Papa heimkommen musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1777,"orig":"„Und wie führt ſich das Geſpenſt weiter auf, Fräulein Rottenmeier?“ fragte nun Herr Seſemann mit einem luſtigen Ausdruck in den Mundwinkeln.","norm":"„Und wie führt sich das Gespenst weiter auf, Fräulein Rottenmeier?“ fragte nun Herr Sesemann mit einem lustigen Ausdruck in den Mundwinkeln."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1778,"orig":"„Nein, Herr Seſemann“, entgegnete die Dame ernſt, es iſt kein Scherz; ich zweifle nicht daran, daß morgen Herr Seſemann nicht mehr lachen wird, denn was in dem Hauſe vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in vergangener Zeit muß vorgegangen und verheimlicht worden ſein.","norm":"„Nein, Herr Sesemann“, entgegnete die Dame ernst, es ist kein Scherz; Ich zweifle nicht daran, dass morgen Herr Sesemann nicht mehr lachen wird, denn was in dem Hause vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in vergangener Zeit muss vorgegangen und verheimlicht worden sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1779,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1780,"orig":"„So, davon weiß ich nichts“, bemerkte Herr Seſemann, „muß aber bitten, meine völlig ehrenvollen Ahnen nicht verdächtigen zu wollen.","norm":"„So, davon weiß ich nichts“, bemerkte Herr Sesemann, „muss aber bitten, meine völlig ehrenvollen Ahnen nicht verdächtigen zu wollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1781,"orig":"Und nun rufen Sie mir den Sebaſtian in's Eßzimmer, ich will allein mit ihm reden.","norm":"Und nun rufen Sie mir den Sebastian ins Esszimmer, ich will allein mit ihm reden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1782,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1783,"orig":"Herr Seſemann ging hinüber und Sebaſtian erſchien.","norm":"Herr Sesemann ging hinüber und Sebastian erschien."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1784,"orig":"Es war Herrn Seſemann nicht entgangen, daß Sebaſtian und Fräulein Rottenmeier ſich nicht eben mit Zuneigung betrachteten; ſo hatte er ſeine Gedanken.","norm":"Es war Herrn Sesemann nicht entgangen, dass Sebastian und Fräulein Rottenmeier sich nicht eben mit Zuneigung betrachteten; so hatte er seine Gedanken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1785,"orig":"„Komm' Er her, Burſche“, winkte er dem Eintretenden entgegen, „und ſag' Er mir nun ganz ehrlich: hat Er nicht etwa ſelbſt ein wenig Geſpenſt geſpielt, ſo um Fräulein Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, nu?“ Nein, meiner Treu, das muß der gnädige Herr nicht glauben, es iſt mir ſelbſt nicht ganz gemüthlich bei der Sache“, entgegnete Sebaſtian mit unverkennbarer Ehrlichkeit.","norm":"„Komme er her, Bursche“, winkte er dem Eintretenden entgegen, „und sage er mir nun ganz ehrlich: hat er nicht etwa selbst ein wenig Gespenst gespielt, so um Fräulein Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, nu?“ Nein, meiner Treu, das muss der gnädige Herr nicht glauben, es ist mir selbst nicht ganz gemütlich bei der Sache“, entgegnete Sebastian mit unverkennbarer Ehrlichkeit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1786,"orig":"„Nnn, wenn es ſo ſteht, ſo will ich morgen Ihm und dem tapfern Johann zeigen, wie Geſpenſter beim Licht ausſehen.","norm":"„Nun, wenn es so steht, so will ich morgen ihm und dem tapferen Johann zeigen, wie Gespenster beim Licht aussehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1787,"orig":"Schäm' Er ſich, Sebaſtian, ein junger, kräftiger Burſch, wie Er iſt, vor Geſpenſtern davonzulaufen!","norm":"Schäme er sich, Sebastian, ein junger, kräftiger Bursch, wie Er ist, vor Gespenstern davonzulaufen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1788,"orig":"Nun geh' Er unverzüglich zu meinem alten Freund, Doktor Claſſen: meine Empfehlung und er möchte unfehlbar heut' Abend neun Uhr bei mir erſcheinen, ich ſei extra von Paris hergereiſt, um ihn zu conſultiren.","norm":"Nun gehe er unverzüglich zu meinem alten Freund, Doktor Classen: Meine Empfehlung und er möchte unfehlbar heute Abend neun Uhr bei mir erscheinen, ich sei extra von Paris hergereist, um ihn zu konsultieren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1789,"orig":"Er müſſe die Nacht bei mir wachen, ſo ſchlimm ſei's; er ſolle ſich richten!","norm":"Er müsse die Nacht bei mir wachen, so schlimm sei es; er solle sich richten!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1790,"orig":"Verſtanden, Sebaſtian?“","norm":"Verstanden, Sebastian?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1791,"orig":"„Ja wohl, ja wohl!","norm":"„Ja wohl, ja wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1792,"orig":"der gnädige Herr kann ſicher ſein, daß ich's gut mache.","norm":"der gnädige Herr kann sicher sein, dass ich es gut mache."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1793,"orig":"“ Damit entfernte ſich Sebaſtian, und Herr Seſemann kehrte zu ſeinem Töchterchen zurück, um ihr alle Furcht vor einer Erſcheinung zu benehmen, die er noch heute in's nöthige Licht ſtellen wollte.","norm":"“ Damit entfernte sich Sebastian, und Herr Sesemann kehrte zu seinem Töchterchen zurück, um ihr alle Furcht vor einer Erscheinung zu benehmen, die er noch heute ins nötige Licht stellen wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1794,"orig":"Punkt neun Uhr, als die Kinder zur Ruhe gegangen und auch Fräulein Rottenmeier ſich zurückgezogen hatte, erſchien der Doktor, der unter ſeinen grauen Haaren noch ein recht friſches Geſicht und zwei lebhaft und freundlich blickende Augen zeigte.","norm":"Punkt neun Uhr, als die Kinder zur Ruhe gegangen und auch Fräulein Rottenmeier sich zurückgezogen hatte, erschien der Doktor, der unter seinen grauen Haaren noch ein recht frisches Gesicht und zwei lebhaft und freundlich blickende Augen zeigte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1795,"orig":"Er ſah etwas ängſtlich aus, brach aber gleich nach ſeiner Begrüßung in ein helles Lachen aus und ſagte, ſeinem Freunde auf die Schulter klopfend: „Nu, nu, für Einen, bei dem man wachen ſoll, ſiehſt du noch leidlich aus, Alter.","norm":"Er sah etwas ängstlich aus, brach aber gleich nach seiner Begrüßung in ein helles Lachen aus und sagte, seinem Freunde auf die Schulter klopfend: „Nu, nu, für Einen, bei dem man wachen soll, siehst du noch leidlich aus, Alter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1796,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1797,"orig":"„Nur Geduld, Alter“, gab Herr Seſemann zurück; derjenige, für den du wachen mußt, wird ſchon ſchlimmer ausſehen, wenn wir ihn erſt abgefangen haben.","norm":"„Nur Geduld, Alter“, gab Herr Sesemann zurück; derjenige, für den du wachen musst, wird schon schlimmer aussehen, wenn wir ihn erst abgefangen haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1798,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1799,"orig":"„Alſo doch ein Kranker im Haus und dazu einer, der eingefangen werden muß?“","norm":"„Also doch ein Kranker im Haus und dazu einer, der eingefangen werden muss?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1800,"orig":"„Weit ſchlimmer, Doktor, weit ſchlimmer.","norm":"„Weit schlimmer, Doktor, weit schlimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1801,"orig":"Ein Geſpenſt im Hauſe, bei mir ſpukt's!“","norm":"Ein Gespenst im Hause, bei mir spukt es!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1802,"orig":"Der Doktor lachte laut auf.","norm":"Der Doktor lachte laut auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1803,"orig":"„Schöne Theilnahme, das, Doktor!“ fuhr Herr Seſemann fort; „ſchade, daß meine Freundin Rottenmeier ſie nicht genießen kann.","norm":"„Schöne Teilnahme, das, Doktor!“ fuhr Herr Sesemann fort; „schade, dass meine Freundin Rottenmeier sie nicht genießen kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1804,"orig":"Sie iſt feſt überzeugt, daß ein alter Seſemann hier herumrumort und Schauerthaten abbüßt.","norm":"Sie ist fest überzeugt, dass ein alter Sesemann hier herumrumort und Schauertaten abbüßt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1805,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1806,"orig":"„Wie hat ſie ihn aber nur kennen gelernt?“ fragte der Doktor immer noch ſehr erheitert.","norm":"„Wie hat sie ihn aber nur kennen gelernt?“ fragte der Doktor immernoch sehr erheitert."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1807,"orig":"Herr Seſemann erzählte nun ſeinem Freunde den ganzen Vorgang und wie noch jetzt allnächtlich die Hausthür geöffnet werde, nach der Angabe der ſämmtlichen Hausbewohner, und fügte hinzu, um für alle Fälle vorbereitet zu ſein, habe er zwei gutgeladene Revolver in das Wachtlokal legen laſſen; denn entweder die Sache ſei ein ſehr unerwünſchter Scherz, den ſich vielleicht irgend ein Bekannter der Dienerſchaft mache, um die Leute des Hauſes in Abweſenheit des Hausherrn zu erſchrecken — dann könnte ein kleiner Schrecken, wie ein guter Schuß in's Leere, ihm nicht unheilſam ſein —; oder auch es handle ſich um Diebe, die auf dieſe Weiſe erſt den Gedanken an Geſpenſter aufkommen laſſen wollten, um nachher um ſo ſicherer zu ſein, daß Niemand ſich herauswagte, — in dieſem Falle könnte eine gute Waffe auch nicht ſchaden.","norm":"Herr Sesemann erzählte nun seinem Freunde den ganzen Vorgang und wie noch jetzt allnächtlich die Haustür geöffnet werde, nach der Angabe der sämtlichen Hausbewohner, und fügte hinzu, um für alle Fälle vorbereitet zu sein, habe er zwei gutgeladene Revolver in das Wachtlokal legen lassen; denn entweder die Sache sei ein sehr unerwünschter Scherz, den sich vielleicht irgendein Bekannter der Dienerschaft mache, um die Leute des Hauses in Abwesenheit des Hausherrn zu erschrecken — dann könnte ein kleiner Schrecken, wie ein guter Schuss ins Leere, ihm nicht unheilsam sein —; oder auch es handle sich um Diebe, die auf diese Weise erst den Gedanken an Gespenster aufkommen lassen wollten, um nachher um so sicherer zu sein, dass Niemand sich herauswagte, — in diesem Falle könnte eine gute Waffe auch nicht schaden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1808,"orig":"Während dieſer Erklärungen waren die Herren die Treppe hinuntergeſtiegen und traten in dasſelbe Zimmer ein, wo Johann und Sebaſtian auch gewacht hatten.","norm":"Während dieser Erklärungen waren die Herren die Treppe hinuntergestiegen und traten in dasselbe Zimmer ein, wo Johann und Sebastian auch gewacht hatten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1809,"orig":"Auf dem Tiſche ſtanden einige Flaſchen ſchönen Weines, denn eine kleine Stärkung von Zeit zu Zeit konnte nicht unerwünſcht ſein, wenn die Nacht da zugebracht werden mußte.","norm":"Auf dem Tische standen einige Flaschen schönen Weines, denn eine kleine Stärkung von Zeit zu Zeit konnte nicht unerwünscht sein, wenn die Nacht da zugebracht werden musste."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1810,"orig":"Daneben lagen die beiden Revolver, und zwei, ein helles Licht verbreitende Armleuchter ſtanden mitten auf dem Tiſch, denn ſo im Halbdunkel wollte Herr Seſemann das Geſpenſt denn doch nicht erwarten.","norm":"Daneben lagen die beiden Revolver, und zwei, ein helles Licht verbreitende Armleuchter standen mitten auf dem Tisch, denn so im Halbdunkel wollte Herr Sesemann das Gespenst denn doch nicht erwarten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1811,"orig":"Nun wurde die Thür an's Schloß gelehnt, denn zu viel Licht durfte nicht in den Corridor hinausfließen, es konnte das Geſpenſt verſcheuchen.","norm":"Nun wurde die Tür ans Schloss gelehnt, denn zu viel Licht durfte nicht in den Korridor hinausfließen, es konnte das Gespenst verscheuchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1812,"orig":"Jetzt ſetzten ſich die Herren gemüthlich in ihre Lehnſtühle und fingen an, ſich Allerlei zu erzählen, nahmen auch hie und da dazwiſchen einen guten Schluck, und ſo ſchlug es zwölf Uhr, eh' ſie ſich's verſahen.","norm":"Jetzt setzten sich die Herren gemütlich in ihre Lehnstühle und fingen an, sich Allerlei zu erzählen, nahmen auch hier und da dazwischen einen guten Schluck, und so schlug es zwölf Uhr, ehe sie sich es versahen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1813,"orig":"„Das Geſpenſt hat uns gewittert und kommt wohl heut' gar nicht“, ſagte der Doktor jetzt.","norm":"„Das Gespenst hat uns gewittert und kommt wohl heute gar nicht“, sagte der Doktor jetzt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1814,"orig":"„Nur Geduld, es ſoll erſt um ein Uhr kommen“, entgegnete der Freund.","norm":"„Nur Geduld, es soll erst um ein Uhr kommen“, entgegnete der Freund."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1815,"orig":"Das Geſpräch wurde wieder aufgenommen.","norm":"Das Gespräch wurde wieder aufgenommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1816,"orig":"Es ſchlug ein Uhr.","norm":"Es schlug ein Uhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1817,"orig":"Ringſum war es völlig ſtill, auch auf den Straßen war aller Lärm verklungen.","norm":"Ringsum war es völlig still, auch auf den Straßen war aller Lärm verklungen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1818,"orig":"Auf einmal hob der Doktor den Finger empor.","norm":"Auf einmal hob der Doktor den Finger empor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1819,"orig":"„Bſt, Seſemann, hörſt du Nichts?“","norm":"„Bst, Sesemann, hörst du nichts?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1820,"orig":"Sie lauſchten Beide.","norm":"Sie lauschten beide."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1821,"orig":"Leiſe, aber ganz deutlich hörten ſie, wie der Balken zurückgeſchoben, dann der Schlüſſel zwei Mal im Schloß umgedreht, jetzt die Thür geöffnet wurde.","norm":"Leise, aber ganz deutlich hörten sie, wie der Balken zurückgeschoben, dann der Schlüssel zweimal im Schloss umgedreht, jetzt die Tür geöffnet wurde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1822,"orig":"Herr Seſemann fuhr mit der Hand nach ſeinem Revolver.","norm":"Herr Sesemann fuhr mit der Hand nach seinem Revolver."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1823,"orig":"„Du fürchteſt dich doch nicht?“ ſagte der Doktor und ſtand auf.","norm":"„Du fürchtest dich doch nicht?“ sagte der Doktor und stand auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1824,"orig":"„Behutſam iſt beſſer“, flüſterte Herr Seſemann, erfaßte mit der Linken den Armleuchter mit drei Kerzen, mit der Rechten den Revolver und folgte dem Doktor, der, gleichermaßen mit Leuchter und Schießgewehr bewaffnet, voranging.","norm":"„Behutsam ist besser“, flüsterte Herr Sesemann, erfasste mit der Linken den Armleuchter mit drei Kerzen, mit der Rechten den Revolver und folgte dem Doktor, der, gleichermaßen mit Leuchter und Schießgewehr bewaffnet, voranging."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1825,"orig":"Sie traten auf den Corridor hinaus.","norm":"Sie traten auf den Korridor hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1826,"orig":"Durch die weitgeöffnete Thür floß ein bleicher Mondſchein herein und beleuchtete eine weiße Geſtalt, die regungslos auf der Schwelle ſtand.","norm":"Durch die weitgeöffnete Tür floss ein bleicher Mondschein herein und beleuchtete eine weiße Gestalt, die regungslos auf der Schwelle stand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1827,"orig":"„Wer da?“ donnerte jetzt der Doktor heraus, daß es durch den ganzen Corridor hallte und beide Herren traten nun mit Lichtern und Waffen auf die Geſtalt heran.","norm":"„Wer da?“ donnerte jetzt der Doktor heraus, dass es durch den ganzen Korridor hallte und beide Herren traten nun mit Lichtern und Waffen auf die Gestalt heran."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1828,"orig":"Sie kehrte ſich um und that einen leiſen Schrei.","norm":"Sie kehrte sich um und tat einen leisen Schrei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1829,"orig":"Mit bloßen Füßen im weißen Nachtkleidchen ſtand Heidi da, ſchaute mit verwirrten Blicken in die hellen Flammen und auf die Waffen und zitterte und bebte wie ein Blättlein im Winde von oben bis unten.","norm":"Mit bloßen Füßen im weißen Nachtkleidchen stand Heidi da, schaute mit verwirrten Blicken in die hellen Flammen und auf die Waffen und zitterte und bebte wie ein Blättlein im Winde von oben bis unten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1830,"orig":"Die Herren ſchauten einander in großem Erſtaunen an.","norm":"Die Herren schauten einander in großem Erstaunen an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1831,"orig":"„Ich glaube wahrhaftig, Seſemann, es iſt deine kleine Waſſerträgerin“, ſagte der Doktor.","norm":"„Ich glaube wahrhaftig, Sesemann, es ist deine kleine Wasserträgerin“, sagte der Doktor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1832,"orig":"„Kind, was ſoll das heißen?“ fragte nun Herr Seſemann.","norm":"„Kind, was soll das heißen?“ fragte nun Herr Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1833,"orig":"„Was wollteſt du thun?","norm":"„Was wolltest du tun?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1834,"orig":"Warum biſt du hier heruntergekommen?“","norm":"Warum bist du hier heruntergekommen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1835,"orig":"Schneeweiß vor Schrecken ſtand Heidi vor ihm und ſagte faſt tonlos: „Ich weiß nicht.","norm":"Schneeweiß vor Schrecken stand Heidi vor ihm und sagte fast tonlos: „Ich weiß nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1836,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1837,"orig":"Jetzt trat der Doktor vor: „Seſemann, der Fall gehört in mein Gebiet, geh', ſetz' dich für einmal in deinen Lehnſtuhl drinnen, ich will vor Allem das Kind hinbringen, wo es hin gehört.","norm":"Jetzt trat der Doktor vor: „Sesemann, der Fall gehört in mein Gebiet, gehe, setze dich für einmal in deinen Lehnstuhl drinnen, ich will vor allem das Kind hinbringen, wo es hingehört."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1838,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1839,"orig":"Damit legte er ſeinen Revolver auf den Boden, nahm das zitternde Kind ganz väterlich bei der Hand und ging mit ihm der Treppe zu.","norm":"Damit legte er seinen Revolver auf den Boden, nahm das zitternde Kind ganz väterlich bei der Hand und ging mit ihm der Treppe zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1840,"orig":"„Nicht fürchten, nicht fürchten“, ſagte er freundlich im Hinaufſteigen, „nur ganz ruhig ſein, da iſt gar nichts Schlimmes dabei, nur getroſt ſein.","norm":"„Nicht fürchten, nicht fürchten“, sagte er freundlich im Hinaufsteigen, „nur ganz ruhig sein, da ist gar nichts Schlimmes dabei, nur getrost sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1841,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1842,"orig":"In Heidi's Zimmer eingetreten, ſtellte der Doktor ſeinen Leuchter auf den Tiſch, nahm Heidi auf den Arm, legte es in ſein Bett hinein und deckte es ſorgfältig zu.","norm":"In Heidis Zimmer eingetreten, stellte der Doktor seinen Leuchter auf den Tisch, nahm Heidi auf den Arm, legte es in sein Bett hinein und deckte es sorgfältig zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1843,"orig":"Dann ſetzte er ſich auf den Seſſel am Bett und wartete, bis Heidi ein wenig beruhigt war und nicht mehr an allen Gliedern bebte.","norm":"Dann setzte er sich auf den Sessel am Bett und wartete, bis Heidi ein wenig beruhigt war und nicht mehr an allen Gliedern bebte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1844,"orig":"Dann nahm er das Kind bei der Hand und ſagte begütigend: „So, nun iſt Alles in Ordnung, nun ſag' mir auch noch, wo wollteſt du denn hin?“","norm":"Dann nahm er das Kind bei der Hand und sagte begütigend: „So, nun ist alles in Ordnung, nun sage mir auch noch, wo wolltest du denn hin?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1845,"orig":"„Ich wollte gewiß nirgends hin“, verſicherte Heidi, „ich bin auch gar nicht ſelbſt hinuntergegangen, ich war nur auf einmal da.","norm":"„Ich wollte gewiss nirgends hin“, versicherte Heidi, „ich bin auch gar nicht selbst hinuntergegangen, ich war nur auf einmal da."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1846,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1847,"orig":"„So, ſo, und haſt du etwa geträumt in der Nacht, weißt du, ſo, daß du deutlich Etwas ſahſt und hörteſt?“","norm":"„So, so, und hast du etwa geträumt in der Nacht, weißt du, so, dass du deutlich Etwas sahst und hörtest?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1848,"orig":"„Ja, jede Nacht träumt es mir und immer gleich.","norm":"„Ja, jede Nacht träumt es mir und immer gleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1849,"orig":"Dann mein' ich, ich ſei beim Großvater und draußen hör' ich's in den Tannen ſauſen und denke, jetzt glitzern ſo ſchön die Sterne am Himmel und ich laufe geſchwind und mache die Thür auf an der Hütte und da iſt's ſo ſchön!","norm":"Dann meine ich, ich sei beim Großvater und draußen höre ich es in den Tannen sausen und denke, jetzt glitzern so schön die Sterne am Himmel und ich laufe geschwind und mache die Tür auf an der Hütte und da ist es so schön!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1850,"orig":"Aber wenn ich erwache, bin ich immer noch in Frankfurt.","norm":"Aber wenn ich erwache, bin ich immer noch in Frankfurt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1851,"orig":"“ Heidi fing ſchon an zu kämpfen und zu ſchlucken an dem Gewicht, das den Hals hinaufſtieg.","norm":"“ Heidi fing schon an zu kämpfen und zu schlucken an dem Gewicht, das den Hals hinaufstieg."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1852,"orig":"„Hm, und thut dir denn auch Nichts weh, nirgends?","norm":"„Hm, und tut dir denn auch Nichts weh, nirgends?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1853,"orig":"Nicht im Kopf oder im Rücken?“","norm":"Nicht im Kopf oder im Rücken?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1854,"orig":"„O nein, nur hier drückt es ſo wie ein großer Stein immerfort.","norm":"„O nein, nur hier drückt es so wie ein großer Stein immerfort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1855,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1856,"orig":"„So, etwa ſo, wie wenn man Etwas gegeſſen hat und wollte es nachher lieber wieder zurückgeben?“","norm":"„So, etwa so, wie wenn man Etwas gegessen hat und wollte es nachher lieber wieder zurückgeben?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1857,"orig":"„Nein, ſo nicht, aber ſo ſchwer, wie wenn man ſtark weinen ſollte.","norm":"„Nein, so nicht, aber so schwer, wie wenn man stark weinen sollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1858,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1859,"orig":"„So, ſo, und weinſt du denn ſo recht heraus?“","norm":"„So, so, und weinst du denn so recht heraus?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1860,"orig":"„O nein, das darf man nicht, Fräulein Rottenmeier hat es verboten.","norm":"„O nein, das darf man nicht, Fräulein Rottenmeier hat es verboten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1861,"orig":"“ Dann ſchluckſt du's herunter zum Andern, nicht wahr, ſo?","norm":"“ Dann schluckst du es herunter zum Anderen, nicht wahr, so?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1862,"orig":"Richtig!","norm":"Richtig!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1863,"orig":"Na, du biſt doch recht gern in Frankfurt, nicht?“","norm":"Na, du bist doch recht gern in Frankfurt, nicht?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1864,"orig":"„O ja“, war die leiſe Antwort; ſie klang aber ſo, als bedeute ſie eher das Gegentheil.","norm":"„O ja“, war die leise Antwort; sie klang aber so, als bedeute sie eher das Gegenteil."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1865,"orig":"„Hm, und wo haſt du mit deinem Großvater gelebt?“","norm":"„Hm, und wo hast du mit deinem Großvater gelebt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1866,"orig":"„Immer auf der Alm.“","norm":"„Immer auf der Alm.“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1867,"orig":"„So, da iſt's doch nicht ſo beſonders kurzweilig, eher ein wenig langweilig, nicht?“","norm":"„So, da ist es doch nicht so besonders kurzweilig, eher ein wenig langweilig, nicht?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1868,"orig":"„O nein, da iſt's ſo ſchön!","norm":"„O nein, da ist es so schön!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1869,"orig":"ſo ſchön!“ Heidi konnte nicht weiter; die Erinnerung, die eben durchgemachte Aufregung, das lang verhaltene Weinen überwältigten die Kräfte des Kindes; gewaltſam ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen und es brach in ein lautes, heftiges Schluchzen aus.","norm":"so schön!“ Heidi konnte nicht weiter; die Erinnerung, die eben durchgemachte Aufregung, das langverhaltene Weinen überwältigten die Kräfte des Kindes; gewaltsam stürzten ihm die Tränen aus den Augen und es brach in ein lautes, heftiges Schluchzen aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1870,"orig":"Der Doktor ſtand auf; er legte freundlich Heidi's Kopf auf das Kiſſen nieder und ſagte: „So, noch ein klein wenig weinen, das kann Nichts ſchaden, und dann ſchlafen, ganz fröhlich einſchlafen, morgen wird Alles gut.","norm":"Der Doktor stand auf; er legte freundlich Heidis Kopf auf das Kissen nieder und sagte: „So, noch ein klein wenig weinen, das kann nichts schaden, und dann schlafen, ganz fröhlich einschlafen, morgen wird alles gut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1871,"orig":"“ Dann verließ er das Zimmer.","norm":"“ Dann verließ er das Zimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1872,"orig":"Wieder unten in die Wachtſtube eingetreten, ließ er ſich dem harrenden Freunde gegenüber in den Lehnſtuhl nieder und erklärte dem mit geſpannter Erwartung Lauſchenden: „Seſemann, dein kleiner Schützling iſt erſtens mondſüchtig, völlig unbewußt hat er dir allnächtlich als Geſpenſt die Hausthür aufgemacht und deiner ganzen Mannſchaft die Fieber des Schreckens in's Gebein gejagt.","norm":"Wieder unten in die Wachtstube eingetreten, ließ er sich dem harrenden Freunde gegenüber in den Lehnstuhl nieder und erklärte dem mit gespannter Erwartung lauschenden: „Sesemann, dein kleiner Schützling ist erstens mondsüchtig, völlig unbewusst hat er dir allnächtlich als Gespenst die Haustür aufgemacht und deiner ganzen Mannschaft die Fieber des Schreckens ins Gebein gejagt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1873,"orig":"Zweitens wird das Kind vom Heimweh verzehrt, ſo daß es ſchon jetzt faſt zum Geripplein abgemagert iſt und es noch völlig werden würde; alſo ſchnelle Hülfe.","norm":"Zweitens wird das Kind vom Heimweh verzehrt, so dass es schon jetzt fast zum Geripplein abgemagert ist und es noch völlig werden würde; also schnelle Hilfe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1874,"orig":"Für das erſte Uebel und die in hohem Grade ſtattfindende Nervenaufregung gibt es nur Ein Heilmittel, nämlich, daß du ſofort das Kind in die heimatliche Bergluft zurückverſetzeſt; für das zweite gibt's ebenfalls nur Eine Medizin, nämlich ganz dieſelbe, demnach reiſt das Kind morgen ab, das iſt mein Rezept.","norm":"Für das erste Übel und die in hohem Grade stattfindende Nervenaufregung gibt es nur ein Heilmittel, nämlich, dass du sofort das Kind in die heimatliche Bergluft zurückversetzest; für das zweite gibt es ebenfalls nur eine Medizin, nämlich ganz dieselbe, demnach reist das Kind morgen ab, das ist mein Rezept."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1875,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1876,"orig":"Herr Seſemann war aufgeſtanden.","norm":"Herr Sesemann war aufgestanden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1877,"orig":"In größter Aufregung lief er das Zimmer auf und ab; jetzt brach er aus: „Mondſüchtig!","norm":"In größter Aufregung lief er das Zimmer auf und ab; jetzt brach er aus: „Mondsüchtig!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1878,"orig":"Krank!","norm":"Krank!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1879,"orig":"Heimweh!","norm":"Heimweh!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1880,"orig":"Abgemagert in meinem Hauſe!","norm":"Abgemagert in meinem Hause!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1881,"orig":"das Alles in meinem Hauſe!","norm":"das alles in meinem Hause!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1882,"orig":"und Niemand ſieht zu und weiß Etwas davon!","norm":"und niemand sieht zu und weiß etwas davon!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1883,"orig":"Und du, Doktor, du meinſt, das Kind, das friſch und geſund in mein Haus gekommen iſt, ſchicke ich elend und abgemagert ſeinem Großvater zurück?","norm":"Und du, Doktor, du meinst, das Kind, das frisch und gesund in mein Haus gekommen ist, schicke ich elend und abgemagert seinem Großvater zurück?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1884,"orig":"Nein, Doktor, das kannſt du nicht verlangen, das thu' ich nicht, das werde ich nie thun.","norm":"Nein, Doktor, das kannst du nicht verlangen, das tue ich nicht, das werde ich nie tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1885,"orig":"Jetzt nimm das Kind in die Hand, mach' Kuren mit ihm, mach' was du willſt, aber mach' es mir heil und geſund, dann will ich es heimſchicken, wenn es will, aber erſt hilf du!“","norm":"Jetzt nimm das Kind in die Hand, mache Kuren mit ihm, mache was du willst, aber mache es mir heil und gesund, dann will ich es heimschicken, wenn es will, aber erst hilf du!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1886,"orig":"„Seſemann“, entgegnete der Doktor ernſthaft, „bedenke, was du thuſt!","norm":"„Sesemann“, entgegnete der Doktor ernsthaft, „bedenke, was du tust!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1887,"orig":"Dieſer Zuſtand iſt keine Krankheit, die man mit Pulvern und Pillen heilt.","norm":"Dieser Zustand ist keine Krankheit, die man mit Pulvern und Pillen heilt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1888,"orig":"Das Kind hat keine zähe Natur, indeſſen, wenn du es jetzt gleich wieder in die kräftige Bergluft hinaufſchickſt, an die es gewöhnt iſt, ſo kann es wieder völlig geſunden; wenn nicht — du willſt nicht, daß das Kind dem Großvater unheilbar, oder gar nicht mehr zurückkomme?“","norm":"Das Kind hat keine zähe Natur, indessen, wenn du es jetzt gleich wieder in die kräftige Bergluft hinaufschickst, an die es gewöhnt ist, so kann es wieder völlig gesunden; wenn nicht — du willst nicht, dass das Kind dem Großvater unheilbar, oder gar nicht mehr zurückkomme?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1889,"orig":"Herr Seſemann war erſchrocken ſtehen geblieben: „Ja, wenn du ſo redeſt, Doktor, dann iſt nur Ein Weg, dann muß ſofort gehandelt werden.","norm":"Herr Sesemann war erschrocken stehen geblieben: „Ja, wenn du so redest, Doktor, dann ist nur ein Weg, dann muss sofort gehandelt werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1890,"orig":"“ Mit dieſen Worten nahm Herr Seſemann den Arm ſeines Freundes und wanderte mit ihm hin und her, um die Sache noch weiter zu beſprechen.","norm":"“ Mit diesen Worten nahm Herr Sesemann den Arm seines Freundes und wanderte mit ihm hin und her, um die Sache noch weiter zu besprechen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1891,"orig":"Dann brach der Doktor auf, um nach Haus zu gehen, denn es war unterdeſſen viel Zeit vergangen, und durch die Hausthür, die diesmal vom Herrn des Hauſes aufgeſchloſſen wurde, drang ſchon der helle Morgenſchimmer herein.","norm":"Dann brach der Doktor auf, um nach Haus zu gehen, denn es war unterdessen viel Zeit vergangen, und durch die Haustür, die diesmal vom Herrn des Hauses aufgeschlossen wurde, drang schon der helle Morgenschimmer herein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1892,"orig":"Herr Seſemann ſtieg in großer Erregtheit die Treppe hinauf und wanderte mit feſtem Schritt zum Schlafgemach der Dame Rottenmeier.","norm":"Herr Sesemann stieg in großer Erregtheit die Treppe hinauf und wanderte mit festem Schritt zum Schlafgemach der Dame Rottenmeier."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1893,"orig":"Hier klopfte er ſo ungewöhnlich kräftig an die Thür, daß die Bewohnerin mit einem Schreckensruf aus dem Schlaf auffuhr.","norm":"Hier klopfte er so ungewöhnlich kräftig an die Tür, dass die Bewohnerin mit einem Schreckensruf aus dem Schlaf auffuhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1894,"orig":"Sie hörte die Stimme des Hausherrn draußen.","norm":"Sie hörte die Stimme des Hausherrn draußen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1895,"orig":"„Bitte ſich zu beeilen und im Eßzimmer zu erſcheinen, es muß ſofort eine Abreiſe vorbereitet werden.","norm":"„Bitte sich zu beeilen und im Esszimmer zu erscheinen, es muss sofort eine Abreise vorbereitet werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1896,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1897,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſchaute auf ihre Uhr, es war halb fünf des Morgens; zu ſolcher Stunde war ſie in ihrem Leben noch nie aufgeſtanden.","norm":"Fräulein Rottenmeier schaute auf ihre Uhr, es war halb fünf des Morgens; zu solcher Stunde war sie in ihrem Leben noch nie aufgestanden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1898,"orig":"Was konnte nur vorgefallen ſein?","norm":"Was konnte nur vorgefallen sein?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1899,"orig":"Vor Neugierde und angſtvoller Erwartung nahm ſie Alles verkehrt in die Hand und kam durchaus nicht vorwärts, denn was ſie einmal auf den Leib gebracht hatte, ſuchte ſie nachher raſtlos im Zimmer herum.","norm":"Vor Neugierde und angstvoller Erwartung nahm sie alles verkehrt in die Hand und kam durchaus nicht vorwärts, denn was sie einmal auf den Leib gebracht hatte, suchte sie nachher rastlos im Zimmer herum."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1900,"orig":"Unterdeſſen ging Herr Seſemann den Corridor entlang und zog mit aller Kraft an jedem Glockenzug, der je für die verſchiedenen Glieder der Dienerſchaft angebracht war, ſo daß in jedem der betreffenden Zimmer eine Schreckensgeſtalt aus dem Bett ſprang und verkehrt in die Kleider fuhr, denn Einer wie der Andere dachte ſogleich, das Geſpenſt habe irgendwie den Hausherrn gepackt und dieß ſei ſein Hülferuf.","norm":"Unterdessen ging Herr Sesemann den Korridor entlang und zog mit aller Kraft an jedem Glockenzug, der je für die verschiedenen Glieder der Dienerschaft angebracht war, so dass in jedem der betreffenden Zimmer eine Schreckensgestalt aus dem Bett sprang und verkehrt in die Kleider fuhr, denn Einer wie der Andere dachte sogleich, das Gespenst habe irgendwie den Hausherrn gepackt und dies sei sein Hilferuf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1901,"orig":"So kamen ſie nach und nach, Einer ſchauerlicher ausſehend, als der Andere, herunter und ſtellten ſich mit Erſtaunen vor den Hausherrn hin, denn dieſer ging friſch und munter im Eßzimmer auf und ab und ſah keineswegs aus, als habe ihn ein Geſpenſt erſchreckt.","norm":"So kamen sie nach und nach, Einer schauerlicher aussehend, als der Andere, herunter und stellten sich mit Erstaunen vor den Hausherrn hin, denn dieser ging frisch und munter im Esszimmer auf und ab und sah keineswegs aus, als habe ihn ein Gespenst erschreckt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1902,"orig":"Johann wurde ſofort hingeſchickt, Pferde und Wagen in Ordnung zu bringen und ſie nachher vorzuführen.","norm":"Johann wurde sofort hingeschickt, Pferde und Wagen in Ordnung zu bringen und sie nachher vorzuführen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1903,"orig":"Tinette erhielt den Auftrag, ſogleich Heidi aufzuwecken und es in den Stand zu ſtellen, eine Reiſe anzutreten.","norm":"Tinette erhielt den Auftrag, sogleich Heidi aufzuwecken und es in den Stand zu stellen, eine Reise anzutreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1904,"orig":"Sebaſtian erhielt den Auftrag, nach dem Hauſe zu eilen, wo Heidi's Baſe im Dienſt ſtand, und dieſe herbeizuholen.","norm":"Sebastian erhielt den Auftrag, nach dem Hause zu eilen, wo Heidis Base im Dienst stand, und diese herbeizuholen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1905,"orig":"Fräulein Rottenmeier war unterdeſſen zurechtgekommen mit ihrem Anzug und Alles ſaß, wie es mußte, nur die Haube ſaß verkehrt auf dem Kopf, ſo daß es von Weitem ausſah, als ſitze ihr das Geſicht auf dem Rücken.","norm":"Fräulein Rottenmeier war unterdessen zurechtgekommen mit ihrem Anzug und alles saß, wie es musste, nur die Haube saß verkehrt auf dem Kopf, so dass es von Weitem aussah, als sitze ihr das Gesicht auf dem Rücken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1906,"orig":"Herr Seſemann ſchrieb den räthſelhaften Anblick dem frühen Schlafbrechen zu und ging unverweilt an die Geſchäftsverhandlungen.","norm":"Herr Sesemann schrieb den rätselhaften Anblick dem frühen Schlafbrechen zu und ging unverweilt an die Geschäftsverhandlungen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1907,"orig":"Er erklärte der Dame, ſie habe ohne Zögern einen Koffer zur Stelle zu ſchaffen, die ſämmtliche Habe des Schweizerkindes hineinzupacken — ſo nannte Herr Seſemann gewöhnlich das Heidi, deſſen Name ihm etwas ungewohnt war —, dazu noch einen guten Theil von Klara's Zeug, damit das Kind was Rechtes mitbringe; es müſſe aber alles ſchnell und ohne langes Beſinnen vor ſich gehen.","norm":"Er erklärte der Dame, sie habe ohne Zögern einen Koffer zur Stelle zu schaffen, die sämtliche Habe des Schweizerkindes hineinzupacken — so nannte Herr Sesemann gewöhnlich das Heidi, dessen Name ihm etwas ungewohnt war —, dazu noch einen guten Teil von Klaras Zeug, damit das Kind was Rechtes mitbringe; es müsse aber alles schnell und ohne langes Besinnen vor sich gehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1908,"orig":"Fräulein Rottenmeier blieb vor Ueberraſchung wie in den Boden eingewurzelt ſtehen und ſtarrte Herrn Seſemann an.","norm":"Fräulein Rottenmeier blieb vor Überraschung wie in den Boden eingewurzelt stehen und starrte Herrn Sesemann an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1909,"orig":"Sie hatte erwartet, er wolle ihr im Vertrauen die Mittheilung einer ſchauerlichen Geiſtergeſchichte machen, die er in der Nacht erlebt und die ſie eben jetzt bei dem hellen Morgenlicht nicht ungern gehört hätte; ſtatt deſſen dieſe völlig proſaiſchen und dazu noch ſehr unbequemen Aufträge.","norm":"Sie hatte erwartet, er wolle ihr im Vertrauen die Mitteilung einer schauerlichen Geistergeschichte machen, die er in der Nacht erlebt und die sie eben jetzt bei dem hellen Morgenlicht nicht ungern gehört hätte; stattdessen diese völlig prosaischen und dazu noch sehr unbequemen Aufträge."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1910,"orig":"So ſchnell konnte ſie das Unerwartete nicht bewältigen.","norm":"So schnell konnte sie das Unerwartete nicht bewältigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1911,"orig":"Sprachlos ſtand ſie immer noch da und erwartete ein Weiteres.","norm":"Sprachlos stand sie immer noch da und erwartete ein Weiteres."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1912,"orig":"Aber Herr Seſemann hatte keine Erklärungen im Sinn; er ließ die Dame ſtehen, wo ſie ſtand, und ging nach dem Zimmer ſeiner Tochter.","norm":"Aber Herr Sesemann hatte keine Erklärungen im Sinn; er ließ die Dame stehen, wo sie stand, und ging nach dem Zimmer seiner Tochter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1913,"orig":"Wie er vermuthet hatte, war dieſe durch die ungewöhnliche Bewegung im Hauſe wach geworden und lauſchte nach allen Seiten hin, was wohl vorgehe.","norm":"Wie er vermutet hatte, war diese durch die ungewöhnliche Bewegung im Hause wach geworden und lauschte nach allen Seiten hin, was wohl vorgehe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1914,"orig":"Der Vater ſetzte ſich nun an ihr Bett und erzählte ihr den ganzen Verlauf der Geiſtererſcheinung und daß Heidi nach des Doktors Ausſpruch ſehr angegriffen ſei und wohl nach und nach ſeine nächtlichen Wanderungen ausdehnen, vielleicht gar das Dach beſteigen würde, was dann mit den höchſten Gefahren verbunden wäre.","norm":"Der Vater setzte sich nun an ihr Bett und erzählte ihr den ganzen Verlauf der Geistererscheinung und dass Heidi nach des Doktors Ausspruch sehr angegriffen sei und wohl nach und nach seine nächtlichen Wanderungen ausdehnen, vielleicht gar das Dach besteigen würde, was dann mit den höchsten Gefahren verbunden wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1915,"orig":"Er habe alſo beſchloſſen, das Kind ſofort heimzuſchicken, denn ſolche Verantwortung könne er nicht auf ſich nehmen, und Klara müſſe ſich darein finden, ſie ſehe ja ein, daß es nicht anders ſein könne.","norm":"Er habe also beschlossen, das Kind sofort heimzuschicken, denn solche Verantwortung könne er nicht auf sich nehmen, und Klara müsse sich dareinfinden, sie sehe ja ein, dass es nicht anders sein könne."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1916,"orig":"Klara war ſehr ſchmerzlich überraſcht von der Mittheilung und wollte erſt allerlei Auswege finden, aber es half Nichts, der Vater blieb feſt bei ſeinem Entſchluß, verſprach aber, im nächſten Jahre mit Klara nach der Schweiz zu reiſen, wenn ſie nun recht vernünftig ſei und keinen Jammer erhebe.","norm":"Klara war sehr schmerzlich überrascht von der Mitteilung und wollte erst allerlei Auswege finden, aber es half nichts, der Vater blieb fest bei seinem Entschluss, versprach aber, im nächsten Jahre mit Klara nach der Schweiz zu reisen, wenn sie nun recht vernünftig sei und keinen Jammer erhebe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1917,"orig":"So ergab ſich Klara in das Unvermeidliche, begehrte aber zum Erſatz, daß der Koffer für Heidi in ihr Zimmer gebracht und da verpackt werde, damit ſie hineinſtecken könne, was ihr Freude mache, was der Papa ſehr gern bewilligte, ja er ermunterte Klara noch, dem Kinde eine ſchöne Ausſteuer zurechtzumachen.","norm":"So ergab sich Klara in das Unvermeidliche, begehrte aber zum Ersatz, dass der Koffer für Heidi in ihr Zimmer gebracht und da verpackt werde, damit sie hineinstecken könne, was ihr Freude mache, was der Papa sehr gern bewilligte, ja er ermunterte Klara noch, dem Kinde eine schöne Aussteuer zurechtzumachen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1918,"orig":"Unterdeſſen war die Baſe Dete angelangt und ſtand in großer Erwartung im Vorzimmer, denn daß ſie um dieſe ungewöhnliche Zeit einberufen worden war, mußte etwas Außerordentliches bedeuten.","norm":"Unterdessen war die Base Dete angelangt und stand in großer Erwartung im Vorzimmer, denn dass sie um diese ungewöhnliche Zeit einberufen worden war, musste etwas Außerordentliches bedeuten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1919,"orig":"Herr Seſemann trat zu ihr heraus und erklärte ihr, wie es mit Heidi ſtehe, und daß er wünſche, ſie möchte das Kind ſofort, gleich heute noch, nach Hauſe bringen.","norm":"Herr Sesemann trat zu ihr heraus und erklärte ihr, wie es mit Heidi stehe, und dass er wünsche, sie möchte das Kind sofort, gleich heute noch, nachhause bringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1920,"orig":"Die Baſe ſah ſehr enttäuſcht aus, dieſe Nachricht hatte ſie nicht erwartet.","norm":"Die Base sah sehr enttäuscht aus, diese Nachricht hatte sie nicht erwartet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1921,"orig":"Sie erinnerte ſich auch noch recht wohl der Worte, die ihr der Oehi mit auf den Weg gegeben hatte, daß ſie ihm nie mehr vor die Augen kommen ſolle, und ſo das Kind dem Alten einmal bringen und dann nehmen und dann wiederbringen, das ſchien ihr nicht ganz gerathen zu ſein.","norm":"Sie erinnerte sich auch noch recht wohl der Worte, die ihr der Öhi mit auf den Weg gegeben hatte, dass sie ihm nie mehr vor die Augen kommen solle, und so das Kind dem Alten einmal bringen und dann nehmen und dann wiederbringen, das schien ihr nicht ganz geraten zu sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1922,"orig":"Sie beſann ſich alſo nicht lange, ſondern ſagte mit großer Beredtſamkeit, heute wäre es ihr leider völlig unmöglich, die Reiſe anzutreten, und morgen könnte ſie noch weniger daran denken, und die Tage darauf wäre es am allerunmöglichſten, um der darauffallenden Geſchäfte willen, und nachher könnte ſie dann gar nicht mehr.","norm":"Sie besann sich also nicht lange, sondern sagte mit großer Beredsamkeit, heute wäre es ihr leider völlig unmöglich, die Reise anzutreten, und morgen könnte sie noch weniger daran denken, und die Tage darauf wäre es am allerunmöglichsten, um der darauffallenden Geschäfte Willen, und nachher könnte sie dann gar nicht mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1923,"orig":"Herr Seſemann verſtand die Sprache und entließ die Baſe ohne Weiteres.","norm":"Herr Sesemann verstand die Sprache und entließ die Base ohne Weiteres."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1924,"orig":"Nun ließ er den Sebaſtian vortreten und erklärte ihm, er habe ſich unverzüglich zur Reiſe zu rüſten; heute habe er mit dem Kinde bis nach Baſel zu fahren, morgen bringe er es heim.","norm":"Nun ließ er den Sebastian vortreten und erklärte ihm, er habe sich unverzüglich zur Reise zu rüsten; heute habe er mit dem Kinde bis nach Basel zu fahren, morgen bringe er es heim."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1925,"orig":"Dann könne er ſogleich wieder umkehren, zu berichten habe er Nichts, ein Brief an den Großvater werde dieſem Alles erklären.","norm":"Dann könne er sogleich wieder umkehren, zu berichten habe er nichts, ein Brief an den Großvater werde diesem alles erklären."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1926,"orig":"„Nun aber noch eine Hauptſache, Sebaſtian“, ſchloß Herr Seſemann, „und daß Er mir das pünktlich beſorgt!","norm":"„Nun aber noch eine Hauptsache, Sebastian“, schloss Herr Sesemann, „und dass Er mir das pünktlich besorgt!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1927,"orig":"Den Gaſthof in Baſel, den ich Ihm hier auf meine Karte geſchrieben, kenne ich.","norm":"Den Gasthof in Basel, den ich ihm hier auf meine Karte geschrieben, kenne ich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1928,"orig":"Er weiſt meine Karte vor, dann wird Ihm ein gutes Zimmer angewieſen werden für das Kind; für ſich ſelbſt wird Er ſchon ſorgen.","norm":"Er weist meine Karte vor, dann wird ihm ein gutes Zimmer angewiesen werden für das Kind; für sich selbst wird er schon Sorgen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1929,"orig":"Dann geht Er erſt in des Kindes Zimmer hinein und verrammelt alle Fenſter ſo vollſtändig, daß nur große Gewalt ſie aufzubringen vermöchte.","norm":"Dann geht er erst in des Kindes Zimmer hinein und verrammelt alle Fenster so vollständig, dass nur große Gewalt sie aufzubringen vermöchte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1930,"orig":"Iſt das Kind zu Bett, ſo geht Er und ſchließt von außen die Thür ab, denn das Kind wandert herum in der Nacht und könnte Gefahr laufen in dem fremden Haus, wenn es etwa hinausginge und die Hausthür aufmachen wollte, verſteht Er das?“","norm":"Ist das Kind zu Bett, so geht er und schließt von außen die Tür ab, denn das Kind wandert herum in der Nacht und könnte Gefahr laufen in dem fremden Haus, wenn es etwa hinausginge und die Haustür aufmachen wollte, versteht er das?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1931,"orig":"„Ah!","norm":"„Ah!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1932,"orig":"ah!","norm":"ah!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1933,"orig":"ah!","norm":"ah!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1934,"orig":"das war's?","norm":"das war es?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1935,"orig":"ſo war's?“ ſtieß Sebaſtian jetzt in größter Verwunderung aus, denn es war ihm eben ein großes Licht aufgegangen über die Geiſtererſcheinung.","norm":"so war es?“ stieß Sebastian jetzt in größter Verwunderung aus, denn es war ihm eben ein großes Licht aufgegangen über die Geistererscheinung."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1936,"orig":"„Ja, ſo war's!","norm":"„Ja, so war es!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1937,"orig":"das war's!","norm":"das war es!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1938,"orig":"und Er iſt ein Haſenfuß, und dem Johann kann Er ſagen, er ſei desgleichen und Alle miteinander eine lächerliche Mannſchaft.","norm":"und er ist ein Hasenfuß, und dem Johann kann er sagen, er sei desgleichen und alle miteinander eine lächerliche Mannschaft."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1939,"orig":"“ Damit ging Herr Seſemann nach ſeiner Stube, ſetzte ſich hin und ſchrieb einen Brief an den Alm-Oehi.","norm":"“ Damit ging Herr Sesemann nach seiner Stube, setzte sich hin und schrieb einen Brief an den Alm-Öhi."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1940,"orig":"Sebaſtian war verdutzt mitten im Zimmer ſtehen geblieben und wiederholte jetzt zu öftern Malen in ſeinem Innern: „Hätt' ich mich doch von dem Feigling von einem Johann nicht in die Wachtſtube hineinreißen laſſen, ſondern wäre dem weißen Figürchen nachgegangen, was ich doch jetzt unzweifelhaft thun würde!“ denn jetzt beleuchtete die helle Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller Klarheit.","norm":"Sebastian war verdutzt mitten im Zimmer stehen geblieben und wiederholte jetzt zu Öfteren Malen in seinem Inneren: „Hätte ich mich doch von dem Feigling von einem Johann nicht in die Wachtstube hineinreißen lassen, sondern wäre dem weißen Figürchen nachgegangen, was ich doch jetzt unzweifelhaft tun würde!“ denn jetzt beleuchtete die helle Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller Klarheit."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1941,"orig":"Unterdeſſen ſtand Heidi völlig ahnungslos in ſeinem Sonntagsröckchen und wartete ab, was geſchehen ſollte, denn die Tinette hatte es nur aus dem Schlaf gerüttelt, die Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen befördert, ohne ein Wort zu ſagen.","norm":"Unterdessen stand Heidi völlig ahnungslos in seinem Sonntagsröckchen und wartete ab, was geschehen sollte, denn die Tinette hatte es nur aus dem Schlaf gerüttelt, die Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen befördert, ohne ein Wort zu sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1942,"orig":"Sie ſprach niemals mit dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering.","norm":"Sie sprach niemals mit dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1943,"orig":"Herr Seſemann trat mit ſeinem Brief in's Eßzimmer ein, wo das Frühſtück bereit ſtand, und rief: „Wo iſt das Kind?“","norm":"Herr Sesemann trat mit seinem Brief ins Esszimmer ein, wo das Frühstück bereitstand, und rief: „Wo ist das Kind?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1944,"orig":"Heidi wurde gerufen.","norm":"Heidi wurde gerufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1945,"orig":"Als es zu Herrn Seſemann herantrat, um ihm guten Morgen zu ſagen, ſchaute er ihm fragend in's Geſicht: „Nun, was ſagſt du denn dazu, Kleine?“","norm":"Als es zu Herrn Sesemann herantrat, um ihm guten Morgen zu sagen, schaute er ihm fragend ins Gesicht: „Nun, was sagst du denn dazu, Kleine?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1946,"orig":"Heidi blickte verwundert zu ihm auf.","norm":"Heidi blickte verwundert zu ihm auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1947,"orig":"„Du weißt am Ende noch gar nichts“, lachte Herr Seſemann.","norm":"„Du weißt am Ende noch gar nichts“, lachte Herr Sesemann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1948,"orig":"„Nun, heut' gehſt du heim, jetzt gleich.","norm":"„Nun, heute gehst du heim, jetzt gleich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1949,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1950,"orig":"„Heim?“ wiederholte Heidi tonlos, und wurde ſchneeweiß und eine kleine Weile konnte es gar keinen Athem mehr holen, ſo ſtark wurde ſein Herz von dem Eindruck gepackt.","norm":"„Heim?“ wiederholte Heidi tonlos, und wurde schneeweiß und eine kleine Weile konnte es gar keinen Atem mehr holen, so stark wurde sein Herz von dem Eindruck gepackt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1951,"orig":"„Nun, willſt du etwa Nichts wiſſen davon?“ fragte Herr Seſemann lächelnd.","norm":"„Nun, willst du etwa Nichts wissen davon?“ fragte Herr Sesemann lächelnd."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1952,"orig":"„O ja, ich will ſchon“, kam jetzt heraus, und nun war Heidi dunkelroth geworden.","norm":"„O ja, ich will schon“, kam jetzt heraus, und nun war Heidi dunkelrot geworden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1953,"orig":"„Gut, gut“, ſagte Herr Seſemann ermunternd, indem er ſich ſetzte und Heidi winkte, dasſelbe zu thun.","norm":"„Gut, gut“, sagte Herr Sesemann ermunternd, indem er sich setzte und Heidi winkte, dasselbe zu tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1954,"orig":"„Und nun tüchtig frühſtücken und hernach in den Wagen und","norm":"„Und nun tüchtig frühstücken und hernach in den Wagen und"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1955,"orig":"fort.","norm":"fort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1956,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1957,"orig":"Aber Heidi konnte keinen Biſſen herunterbringen, wie es ſich auch zwingen wollte aus Gehorſam; es war in einem Zuſtand von Aufregung, daß es gar nicht wußte, ob es wache oder träume, und ob es vielleicht wieder auf einmal erwachen und im Nachthemdchen an der Hausthür ſtehen werde.","norm":"Aber Heidi konnte keinen Bissen herunterbringen, wie es sich auch zwingen wollte aus Gehorsam; es war in einem Zustand von Aufregung, dass es gar nicht wusste, ob es wache oder träume, und ob es vielleicht wieder auf einmal erwachen und im Nachthemdchen an der Haustür stehen werde."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1958,"orig":"„Sebaſtian ſoll reichlich Proviant mitnehmen“, rief Herr Seſemann Fräulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; „das Kind kann nicht eſſen, begreiflicher Weiſe.","norm":"„Sebastian soll reichlich Proviant mitnehmen“, rief Herr Sesemann Fräulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; „das Kind kann nicht essen, begreiflicherweise."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1959,"orig":"Geh' hinüber zu Klara, bis der Wagen vorfährt“, ſetzte er freundlich, zu Heidi gewandt, hinzu.","norm":"Gehe hinüber zu Klara, bis der Wagen vorfährt“, setzte er freundlich, zu Heidi gewandt, hinzu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1960,"orig":"Das war Heidi's Wunſch; es ſprang hinüber.","norm":"Das war Heidis Wunsch; es sprang hinüber."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1961,"orig":"Mitten in Klaras Zimmer war ein ungeheurer Koffer zu ſehen, noch ſtand deſſen Deckel weit offen.","norm":"Mitten in Klaras Zimmer war ein ungeheurer Koffer zu sehen, noch stand dessen Deckel weit offen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1962,"orig":"„Komm', Heidi, komm'“, rief ihm Klara entgegen, ſieh', was ich dir habe einpacken laſſen, komm', freut's dich?“","norm":"„Komme, Heidi, komme“, rief ihm Klara entgegen, sieh, was ich dir habe einpacken lassen, komme, freut es dich?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1963,"orig":"Und ſie nannte ihm eine ganze Menge von Dingen, Kleider und Schürzen, Tücher und Nähgeräth, „und ſieh' hier, Heidi“, und Klara hob triumphirend einen Korb in die Höhe.","norm":"Und sie nannte ihm eine ganze Menge von Dingen, Kleider und Schürzen, Tücher und Nähgerät, „und sieh hier, Heidi“, und Klara hob triumphierend einen Korb in die Höhe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1964,"orig":"Heidi guckte hinein und ſprang hoch auf vor Freude, denn drinnen lagen wohl zwölf ſchöne, weiße, runde Brödchen, alle für die Großmutter.","norm":"Heidi guckte hinein und sprang hoch auf vor Freude, denn drinnen lagen wohl zwölf schöne, weiße, runde Brötchen, alle für die Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1965,"orig":"Die Kinder vergaßen in ihrem Jubel ganz, daß nun der Augenblick komme, da ſie ſich trennen mußten, und als mit einem Mal der Ruf erſchallte: „Der Wagen iſt bereit!“ — da war keine Zeit mehr zum Traurigwerden.","norm":"Die Kinder vergaßen in ihrem Jubel ganz, dass nun der Augenblick komme, da sie sich trennen mussten, und als mit einem Mal der Ruf erschallte: „Der Wagen ist bereit!“ — da war keine Zeit mehr zum Traurigwerden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1966,"orig":"Heidi lief in ſein Zimmer, da mußte noch ſein ſchönes Buch von der Großmama liegen, Niemand konnte es eingepackt haben, denn es lag unter dem Kopfkiſſen, weil Heidi Tag und Nacht ſich nicht davon trennen konnte.","norm":"Heidi lief in sein Zimmer, da musste noch ein schönes Buch von der Großmama liegen, niemand konnte es eingepackt haben, denn es lag unter dem Kopfkissen, weil Heidi Tag und Nacht sich nicht davon trennen konnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1967,"orig":"Das wurde in den Korb auf die Brödchen gelegt.","norm":"Das wurde in den Korb auf die Brötchen gelegt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1968,"orig":"Dann machte es ſeinen Schrank auf; noch ſuchte es nach einem Gute, das man vielleicht auch nicht eingepackt hatte.","norm":"Dann machte es seinen Schrank auf; noch suchte es nach einem Gute, das man vielleicht auch nicht eingepackt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1969,"orig":"Richtig — auch das alte rothe Tuch lag noch da, Fräulein Rottenmeier hatte es zu gering erachtet, um noch eingepackt zu werden.","norm":"Richtig — auch das alte rote Tuch lag noch da, Fräulein Rottenmeier hatte es zu gering erachtet, um noch eingepackt zu werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1970,"orig":"Heidi wickelte es um einen andern Gegenſtand und legte es zu oberſt auf den Korb, ſo daß das rothe Packet ſehr ſichtbar zur Erſcheinung kam.","norm":"Heidi wickelte es um einen anderen Gegenstand und legte es zuoberst auf den Korb, so dass das rote Paket sehr sichtbar zur Erscheinung kam."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1971,"orig":"Dann ſetzte es ſein ſchönes Hütchen auf und verließ ſein Zimmer.","norm":"Dann setzte es sein schönes Hütchen auf und verließ sein Zimmer."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1972,"orig":"Die beiden Kinder mußten ſich ſchnell Lebewohl ſagen, denn Herr Seſemann ſtand ſchon da, um Heidi nach dem Wagen zu bringen.","norm":"Die beiden Kinder mussten sich schnell Lebewohl sagen, denn Herr Sesemann stand schon da, um Heidi nach dem Wagen zu bringen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1973,"orig":"Fräulein Rottenmeier ſtand oben an der Treppe, um hier Heidi zu verabſchieden.","norm":"Fräulein Rottenmeier stand oben an der Treppe, um hier Heidi zu verabschieden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1974,"orig":"Als ſie das ſeltſame rothe Bündelchen erblickte, nahm ſie es ſchnell aus dem Korb heraus und warf es auf den Boden.","norm":"Als sie das seltsame rote Bündelchen erblickte, nahm sie es schnell aus dem Korb heraus und warf es auf den Boden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1975,"orig":"„Nein, Adelheid“, ſagte ſie tadelnd, „ſo kannſt du nicht reiſen von dieſem Hauſe aus, ſolches Zeug brauchſt du überhaupt nicht mitzuſchleppen.","norm":"„Nein, Adelheid“, sagte sie tadelnd, „so kannst du nicht reisen von diesem Hause aus, solches Zeug brauchst du überhaupt nicht mitzuschleppen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1976,"orig":"Nun lebe wohl.","norm":"Nun lebe wohl."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1977,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1978,"orig":"Auf dieſes Verbot hin durfte Heidi ſein Bündelchen nicht wieder aufnehmen, aber es ſchaute mit einem flehentlichen Blick zu dem Hausherrn auf, ſo, als wollte man ihm ſeinen größten Schatz nehmen.","norm":"Auf dieses Verbot hin durfte Heidi sein Bündelchen nicht wieder aufnehmen, aber es schaute mit einem flehentlichen Blick zu dem Hausherrn auf, so, als wollte man ihm seinen größten Schatz nehmen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1979,"orig":"„Nein, nein“, ſagte Herr Seſemann in ſehr beſtimmtem Ton, „das Kind ſoll mit heimtragen, was ihm Freude macht, und ſollte es auch junge Katzen oder Schildkröten mit fortſchleppen, ſo wollen wir uns darüber nicht aufregen, Fräulein Rottenmeier.","norm":"„Nein, nein“, sagte Herr Sesemann in sehr bestimmtem Ton, „das Kind soll mit heimtragen, was ihm Freude macht, und sollte es auch junge Katzen oder Schildkröten mit fortschleppen, so wollen wir uns darüber nicht aufregen, Fräulein Rottenmeier."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1980,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1981,"orig":"Heidi hob eilig ſein Bündelchen wieder vom Boden auf, und Dank und Freude leuchteten ihm aus den Augen.","norm":"Heidi hob eilig sein Bündelchen wieder vom Boden auf, und Dank und Freude leuchteten ihm aus den Augen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1982,"orig":"Unten am Wagen reichte Herr Seſemann dem Kinde die Hand und ſagte ihm mit freundlichen Worten, ſie wurden ſeiner gedenken, er und ſeine Tochter Klara; er wünſchte ihm alles Gute auf den Weg, und Heidi dankte recht ſchön für alle Gutthaten, die ihm zu Theil geworden waren, und zum Schluß ſagte es: „Und den Herrn Doktor laſſe ich tauſendmal grüßen und ihm auch vielmals danken.","norm":"Unten am Wagen reichte Herr Sesemann dem Kinde die Hand und sagte ihm mit freundlichen Worten, sie würden seiner gedenken, er und seine Tochter Klara; er wünschte ihm alles Gute auf den Weg, und Heidi dankte recht schön für alle Guttaten, die ihm zuteilgeworden waren, und zum Schluss sagte es: „Und den Herrn Doktor lasse ich tausendmal grüßen und ihm auch vielmals danken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1983,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1984,"orig":"Denn es hatte ſich wohl gemerkt, wie er geſtern Abend geſagt hatte: „Und morgen wird Alles gut.","norm":"Denn es hatte sich wohl gemerkt, wie er gestern Abend gesagt hatte: „Und morgen wird alles gut."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1985,"orig":"“ Nun war es ſo gekommen, und Heidi dachte, er habe dazu geholfen.","norm":"“ Nun war es so gekommen, und Heidi dachte, er habe dazu geholfen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1986,"orig":"Jetzt wurde das Kind in den Wagen gehoben und der Korb und die Provianttaſche und der Sebaſtian kamen nach.","norm":"Jetzt wurde das Kind in den Wagen gehoben und der Korb und die Provianttasche und der Sebastian kamen nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1987,"orig":"Herr Seſemann rief noch einmal freundlich: „Glückliche Reiſe!“ und der Wagen rollte davon.","norm":"Herr Sesemann rief noch einmal freundlich: „Glückliche Reise!“ und der Wagen rollte davon."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1988,"orig":"Bald nachher ſaß Heidi in der Eiſenbahn und hielt unbeweglich ſeinen Korb auf dem Schooße feſt, denn es wollte ihn nicht einen Augenblick aus den Händen laſſen, ſeine koſtbaren Brödchen für die Großmutter waren ja darin, die mußte es ſorglich hüten und von Zeit zu Zeit einmal wieder anſehen und ſich freuen darüber.","norm":"Bald nachher saß Heidi in der Eisenbahn und hielt unbeweglich seinen Korb auf dem Schoß fest, denn es wollte ihn nicht einen Augenblick aus den Händen lassen, seine kostbaren Brötchen für die Großmutter waren ja darin, die musste es sorglich hüten und von Zeit zu Zeit einmal wieder ansehen und sich freuen darüber."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1989,"orig":"Heidi ſaß mäuschenſtille während mehrerer Stunden, denn erſt jetzt kam es recht zum Bewußtſein, daß es auf dem Wege ſei heim zum Großvater, auf die Alm, zur Großmutter, zum Gaißen-Peter, und nun kam ihm Alles vor Augen, Eins nach dem Andern, was es wiederſehen werde, und wie Alles ausſehen werde daheim, und dabei ſtiegen ihm wieder neue Gedanken auf, und auf einmal ſagte es ängſtlich: „Sebaſtian, iſt auch ſicher die Großmutter auf der Alm nicht geſtorben?“","norm":"Heidi saß mäuschenstille während mehrerer Stunden, denn erst jetzt kam es recht zum Bewusstsein, dass es auf dem Wege sei heim zum Großvater, auf die Alm, zur Großmutter, zum Geißenpeter, und nun kam ihm alles vor Augen, Eins nach dem Anderen, was es wiedersehen werde, und wie alles aussehen werde daheim, und dabei stiegen ihm wieder neue Gedanken auf, und auf einmal sagte es ängstlich: „Sebastian, ist auch sicher die Großmutter auf der Alm nicht gestorben?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1990,"orig":"„Nein, nein“, beruhigte dieſer, „wollen's nicht hoffen, wird ſchon noch am Leben ſein.","norm":"„Nein, nein“, beruhigte dieser, „wollen es nicht hoffen, wird schon noch am Leben sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1991,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1992,"orig":"Dann fiel Heidi wieder in ſein Sinnen zurück, nur hie und da guckte es einmal in ſeinen Korb hinein, denn alle die Brödchen der Großmutter auf den Tiſch zu legen, war ſein Hauptgedanke.","norm":"Dann fiel Heidi wieder in sein Sinnen zurück, nur hier und da guckte es einmal in seinen Korb hinein, denn alle die Brötchen der Großmutter auf den Tisch zu legen, war sein Hauptgedanke."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1993,"orig":"Nach längerer Zeit ſagte es wieder: „Sebaſtian, wenn man nur auch ganz ſicher wiſſen könnte, daß die Großmutter noch am Leben iſt.","norm":"Nach längerer Zeit sagte es wieder: „Sebastian, wenn man nur auch ganz sicher wissen könnte, dass die Großmutter noch am Leben ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1994,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1995,"orig":"„Ja wohl!","norm":"„Ja wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1996,"orig":"Ja wohl!“ entgegnete der Begleiter halb ſchlafend; „wird ſchon noch leben, wüßte auch gar nicht, warum nicht.","norm":"Ja wohl!“ entgegnete der Begleiter halb schlafend; „wird schon noch leben, wüsste auch gar nicht, warum nicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1997,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1998,"orig":"Nach einiger Zeit drückte der Schlaf auch Heidi's Augen zu, und nach der vergangenen unruhigen Nacht und dem frühen Aufſtehen war es ſo ſchlafbedürftig, daß es erſt wieder erwachte, als Sebaſtian es tüchtig am Arm ſchüttelte und ihm zurief: „Erwachen!","norm":"Nach einiger Zeit drückte der Schlaf auch Heidis Augen zu, und nach der vergangenen unruhigen Nacht und dem frühen Aufstehen war es so schlafbedürftig, dass es erst wieder erwachte, als Sebastian es tüchtig am Arm schüttelte und ihm zurief: „Erwachen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":1999,"orig":"Erwachen!","norm":"Erwachen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2000,"orig":"Gleich ausſteigen, in Baſel angekommen!“","norm":"Gleich aussteigen, in Basel angekommen!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2001,"orig":"Am folgenden Morgen ging's weiter, viele Stunden lang.","norm":"Am folgenden Morgen ging es weiter, viele Stunden lang."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2002,"orig":"Heidi ſaß wieder mit ſeinem Korb auf dem Schooß, den es um keinen Preis dem Sebaſtian übergeben wollte; aber heute ſagte es gar Nichts mehr, denn nun wurde mit jeder Stunde die Erwartung geſpannter.","norm":"Heidi saß wieder mit seinem Korb auf dem Schoß, den es um keinen Preis dem Sebastian übergeben wollte; aber heute sagte es gar Nichts mehr, denn nun wurde mit jeder Stunde die Erwartung gespannter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2003,"orig":"Dann auf einmal, als Heidi gar nicht daran dachte, ertönte laut der Ruf: „Mayenfeld!“ Es ſprang von ſeinem Sitz auf, und dasſelbe that Sebaſtian, der auch überraſcht worden war.","norm":"Dann auf einmal, als Heidi gar nicht daran dachte, ertönte laut der Ruf: „Maienfeld!“ Es sprang von seinem Sitz auf, und dasselbe tat Sebastian, der auch überrascht worden war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2004,"orig":"Jetzt ſtanden ſie draußen, der Koffer mit ihnen, und der Bahnzug pfiff weiter in's Thal hinein.","norm":"Jetzt standen sie draußen, der Koffer mit ihnen, und der Bahnzug pfiff weiter ins Tal hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2005,"orig":"Sebaſtian ſah ihm wehmüthig nach, denn er wäre viel lieber ſo ſicher und ohne Mühe weitergereiſt, als daß er nun eine Fußpartie unternehmen ſollte, die dazu noch mit einer Bergbeſteigung enden mußte, die ſehr beſchwerlich und dazu gefahrvoll ſein konnte in dieſem Lande, wo doch Alles noch halb wild war, wie Sebaſtian annahm.","norm":"Sebastian sah ihm wehmütig nach, denn er wäre viel lieber so sicher und ohne Mühe weitergereist, als dass er nun eine Fußpartie unternehmen sollte, die dazu noch mit einer Bergbesteigung enden musste, die sehr beschwerlich und dazu gefahrvoll sein konnte in diesem Lande, wo doch alles noch halb wild war, wie Sebastian annahm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2006,"orig":"Er ſchaute daher ſehr vorſichtig um ſich, wen er etwa berathen könnte über den ſicherſten Weg nach dem „Dörfli“.","norm":"Er schaute daher sehr vorsichtig um sich, wen er etwa beraten könnte über den sichersten Weg nach dem „Dörfli“."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2007,"orig":"Unweit des kleinen Stationsgebäudes ſtand ein kleiner Leiterwagen mit einem magern Rößlein davor; auf dieſen wurden von einem breitſchultrigen Manne ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn hergebracht worden waren.","norm":"Unweit des kleinen Stationsgebäudes stand ein kleiner Leiterwagen mit einem mageren Rösslein davor; auf diesen wurden von einem breitschultrigen Manne ein paar große Säcke aufgeladen, die mit der Bahn hergebracht worden waren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2008,"orig":"Sebaſtian trat zu ihm heran und brachte ſeine Frage nach dem ſicherſten Weg zum Dörfli vor.","norm":"Sebastian trat zu ihm heran und brachte seine Frage nach dem sichersten Weg zum Dörfli vor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2009,"orig":"„Hier ſind alle Wege ſicher“, war die kurze Antwort.","norm":"„Hier sind alle Wege sicher“, war die kurze Antwort."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2010,"orig":"Jetzt fragte Sebaſtian nach dem beſten Wege, auf dem man gehen könne, ohne in die Abgründe zu ſtürzen, und auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli befördern könnte.","norm":"Jetzt fragte Sebastian nach dem besten Wege, auf dem man gehen könne, ohne in die Abgründe zu stürzen, und auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden Dörfli befördern könnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2011,"orig":"Der Mann ſchaute nach dem Koffer hin und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er, wenn das Ding nicht zu ſchwer ſei, ſo wolle er es auf ſeinen Wagen nehmen, da er ſelbſt nach dem Dörfli fahre, und ſo gab noch ein Wort das andere, und endlich kamen die Beiden überein, der Mann ſolle Kind und Koffer mit auf ſeinen Wagen nehmen, und nachher vom Dörfli aus könne das Kind am Abend mit irgend Jemand auf die Alm geſchickt werden.","norm":"Der Mann schaute nach dem Koffer hin und maß ihn ein wenig mit den Augen; dann erklärte er, wenn das Ding nicht zu schwer sei, so wolle er es auf seinen Wagen nehmen, da er selbst nach dem Dörfli fahre, und so gab noch ein Wort das andere, und endlich kamen die Beiden überein, der Mann solle Kind und Koffer mit auf seinen Wagen nehmen, und nachher vom Dörfli aus könne das Kind am Abend mit irgendjemand auf die Alm geschickt werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2012,"orig":"„Ich kann allein gehen, ich weiß ſchon den Weg vom Dörfli auf die Alm“, ſagte hier Heidi, das mit Aufmerkſamkeit der Verhandlung zugehört hatte.","norm":"„Ich kann allein gehen, ich weiß schon den Weg vom Dörfli auf die Alm“, sagte hier Heidi, das mit Aufmerksamkeit der Verhandlung zugehört hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2013,"orig":"Dem Sebaſtian fiel eine ſchwere Laſt vom Herzen, als er ſich ſo auf einmal ſeiner Ausſicht auf das Bergklettern entledigt ſah.","norm":"Dem Sebastian fiel eine schwere Last vom Herzen, als er sich so auf einmal seiner Aussicht auf das Bergklettern entledigt sah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2014,"orig":"Er winkte nun Heidi geheimnißvoll auf die Seite und überreichte ihm hier eine ſchwere Rolle und einen Brief an den Großvater, und erklärte ihm, die Rolle ſei ein Geſchenk von Herrn Seſemann, die müſſe aber zu unterſt in den Korb geſteckt werden, noch unter die Brödchen, und darauf müſſe genau Acht gegeben werden, daß ſie nicht verloren gehe, denn darüber würde Herr Seſemann ganz fürchterlich böſe und ſein Leben lang nie mehr gut werden, das ſollte das Mamſellchen nur ja bedenken.","norm":"Er winkte nun Heidi geheimnisvoll auf die Seite und überreichte ihm hier eine schwere Rolle und einen Brief an den Großvater, und erklärte ihm, die Rolle sei ein Geschenk von Herrn Sesemann, die müsse aber zuunterst in den Korb gesteckt werden, noch unter die Brötchen, und darauf müsse genau achtgegeben werden, dass sie nicht verloren gehe, denn darüber würde Herr Sesemann ganz fürchterlich böse und sein Leben lang nie mehr gut werden, das sollte das Mamsellchen nur ja bedenken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2015,"orig":"„Ich verliere ſie ſchon nicht“, ſagte Heidi zuverſichtlich und ſteckte die Rolle ſammt dem Brief zu allerunterſt in den Korb hinein.","norm":"„Ich verliere sie schon nicht“, sagte Heidi zuversichtlich und steckte die Rolle samt dem Brief zuallerunterst in den Korb hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2016,"orig":"Nun wurde der Koffer aufgeladen, und nachher hob Sebaſtian Heidi ſammt ſeinem Korb auf den hohen Sitz empor, reichte ihm ſeine Hand hinauf zum Abſchied und ermahnte es noch einmal mit allerlei Zeichen, auf den Inhalt des Korbes ein Auge zu haben; denn der Führer war noch in der Nähe, und Sebaſtian war vorſichtig, beſonders jetzt, da er wußte, er hätte eigentlich ſelbſt das Kind an Ort und Stelle bringen ſollen.","norm":"Nun wurde der Koffer aufgeladen, und nachher hob Sebastian Heidi samt seinem Korb auf den hohen Sitz empor, reichte ihm seine Hand hinauf zum Abschied und ermahnte es noch einmal mit allerlei Zeichen, auf den Inhalt des Korbes ein Auge zu haben; denn der Führer war noch in der Nähe, und Sebastian war vorsichtig, besonders jetzt, da er wusste, er hätte eigentlich selbst das Kind an Ort und Stelle bringen sollen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2017,"orig":"Der Führer ſchwang ſich jetzt neben Heidi auf den Sitz hinauf, und der Wagen rollte den Bergen zu, während Sebaſtian, froh über ſeine Befreiung von der gefürchteten Bergreiſe, ſich am Stationshäuschen niederſetzte, um den zurückkehrenden Bahnzug abzuwarten.","norm":"Der Führer schwang sich jetzt neben Heidi auf den Sitz hinauf, und der Wagen rollte den Bergen zu, während Sebastian, froh über seine Befreiung von der gefürchteten Bergreise, sich am Stationshäuschen niedersetzte, um den zurückkehrenden Bahnzug abzuwarten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2018,"orig":"Der Mann auf dem Wagen war der Bäcker vom Dörfli, der ſeine Mehlſäcke nach Hauſe fuhr.","norm":"Der Mann auf dem Wagen war der Bäcker vom Dörfli, der seine Mehlsäcke nachhause fuhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2019,"orig":"Er hatte Heidi nie geſehen, aber wie Jedermann im Dörfli, wußte er von dem Kinde, das man dem Alm-Oehi gebracht hatte; auch hatte er Heidi's Eltern gekannt und ſich gleich vorgeſtellt, er werde es mit dem viel beſprochenen Kinde hier zu thun haben.","norm":"Er hatte Heidi nie gesehen, aber wie jedermann im Dörfli, wusste er von dem Kinde, das man dem Alm-Öhi gebracht hatte; auch hatte er Heidis Eltern gekannt und sich gleich vorgestellt, er werde es mit dem vielbesprochenen Kinde hier zu tun haben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2020,"orig":"Es wunderte ihn nun ein wenig, warum das Kind ſchon wieder heimkomme, und während der Fahrt fing er nun mit Heidi ein Geſpräch an: „Du wirſt das Kind ſein, das oben beim Alm-Oehi war, beim Großvater?“","norm":"Es wunderte ihn nun ein wenig, warum das Kind schon wieder heimkomme, und während der Fahrt fing er nun mit Heidi ein Gespräch an: „Du wirst das Kind sein, das oben beim Alm-Öhi war, beim Großvater?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2021,"orig":"„Ja.","norm":"„Ja."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2022,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2023,"orig":"„So iſt es dir ſchlecht gegangen, daß du ſchon wieder von ſo weit her heimkommſt?“","norm":"„So ist es dir schlecht gegangen, dass du schon wieder von so weit her heimkommst?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2024,"orig":"„Nein, das iſt es mir nicht, kein Menſch kann es ſo gut haben, wie man es in Frankfurt hat.","norm":"„Nein, das ist es mir nicht, kein Mensch kann es so gut haben, wie man es in Frankfurt hat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2025,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2026,"orig":"„Warum läufſt du denn heim?“","norm":"„Warum läufst du denn heim?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2027,"orig":"„Nur weil es mir der Herr Seſemann erlaubt hat, ſonſt wär' ich nicht heimgelaufen.","norm":"„Nur weil es mir der Herr Sesemann erlaubt hat, sonst wäre ich nicht heimgelaufen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2028,"orig":"“ Pah, warum biſt du denn aber nicht lieber dort geblieben, wenn man dir's ſchon erlaubt hat, heimzugehen?“","norm":"“ Pah, warum bist du denn aber nicht lieber dort geblieben, wenn man dir es schon erlaubt hat, heimzugehen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2029,"orig":"„Weil ich tauſendmal lieber heim will zum Großvater auf die Alm, als ſonſt Alles auf der Welt.","norm":"„Weil ich tausendmal lieber heim will zum Großvater auf die Alm, als sonst alles auf der Welt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2030,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2031,"orig":"„Denkſt vielleicht anders, wenn du hinaufkommſt“, brummte der Bäcker; „nimmt mich aber doch wunder“, ſagte er dann zu ſich ſelbſt, „es kann wiſſen, wie's iſt.","norm":"„Denkst vielleicht anders, wenn du hinaufkommst“, brummte der Bäcker; „nimmt mich aber doch wunder“, sagte er dann zu sich selbst, „es kann wissen, wie es ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2032,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2033,"orig":"Nun fing er an zu pfeifen und ſagte Nichts mehr, und Heidi ſchaute um ſich und fing an innerlich zu zittern vor Erregung, denn es erkannte die Bäume am Wege, und drüben ſtanden die hohen Zacken des Falkniß-Berges und ſchauten zu ihm herüber, ſo als grüßten ſie es wie gute, alte Freunde und Heidi grüßte wieder und mit jedem Schritt vorwärts wurde Heidi's Erwartung geſpannter und es meinte, es müſſe vom Wagen herunterſpringen und aus allen Kräften laufen, bis es ganz oben wäre.","norm":"Nun fing er an zu pfeifen und sagte nichts mehr, und Heidi schaute um sich und fing an innerlich zu zittern vor Erregung, denn es erkannte die Bäume am Wege, und drüben standen die hohen Zacken des Falknis-Berges und schauten zu ihm herüber, so als grüßten sie es wie gute, alte Freunde und Heidi grüßte wieder und mit jedem Schritt vorwärts wurde Heidis Erwartung gespannter und es meinte, es müsse vom Wagen herunterspringen und aus allen Kräften laufen, bis es ganz oben wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2034,"orig":"Aber es blieb doch ſtill ſitzen und rührte ſich nicht, aber Alles zitterte an ihm.","norm":"Aber es blieb doch still sitzen und rührte sich nicht, aber alles zitterte an ihm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2035,"orig":"Jetzt fuhren ſie im Dörfli ein, eben ſchlug die Glocke fünf Uhr.","norm":"Jetzt fuhren sie im Dörfli ein, eben schlug die Glocke fünf Uhr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2036,"orig":"Augenblicklich ſammelte ſich eine Geſellſchaft von Kindern und Frauen um den Wagen herum, und ein paar Nachbarn traten auch noch herzu, denn der Koffer und das Kind auf des Bäckers Wagen hatten die Aufmerkſamkeit aller Umwohnenden auf ſich gezogen, und Jeder wollte wiſſen, woher und wohin und wem Beide zugehören.","norm":"Augenblicklich sammelte sich eine Gesellschaft von Kindern und Frauen um den Wagen herum, und ein paar Nachbarn traten auch noch herzu, denn der Koffer und das Kind auf des Bäckers Wagen hatten die Aufmerksamkeit aller Umwohnenden auf sich gezogen, und jeder wollte wissen, woher und wohin und wem Beide zugehörten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2037,"orig":"Als der Bäcker Heidi heruntergehoben hatte, ſagte es eilig: „Danke, der Großvater holt dann ſchon den Koffer“, und wollte davonrennen.","norm":"Als der Bäcker Heidi heruntergehoben hatte, sagte es eilig: „Danke, der Großvater holt dann schon den Koffer“, und wollte davonrennen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2038,"orig":"Aber von allen Seiten wurde es feſtgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle auf einmal, jede etwas Eigenes.","norm":"Aber von allen Seiten wurde es festgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle auf einmal, jede etwas Eigenes."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2039,"orig":"Heidi drängte ſich mit einer ſolchen Angſt auf dem Geſichte durch die Leute, daß man ihm unwillkührlich Platz machte und es laufen ließ, und Einer ſagte zum Andern: „Du ſiehſt ja, wie es ſich fürchtet, es hat auch alle Urſache.","norm":"Heidi drängte sich mit einer solchen Angst auf dem Gesichte durch die Leute, dass man ihm unwillkürlich Platz machte und es laufen ließ, und Einer sagte zum Anderen: „Du siehst ja, wie es sich fürchtet, es hat auch alle Ursache."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2040,"orig":"“ Und dann fingen ſie noch an, ſich zu erzählen, wie der Alm-Oehi ſeit einem Jahr noch viel ärger geworden ſei, als vorher, und mit keinem Menſchen mehr ein Wort rede, und ein Geſicht mache, als wollte er am liebſten Jeden umbringen, der ihm in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen Welt noch wüßte wohin, ſo liefe es nicht in das alte Drachenneſt hinauf.","norm":"“ Und dann fingen sie noch an, sich zu erzählen, wie der Alm-Öhi seit einem Jahr noch viel ärger geworden sei, als vorher, und mit keinem Menschen mehr ein Wort rede, und ein Gesicht mache, als wollte er am liebsten Jeden umbringen, der ihm in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen Welt noch wüsste wohin, so liefe es nicht in das alte Drachennest hinauf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2041,"orig":"Aber hier fiel der Bäcker in das Geſpräch ein und ſagte, er werde wohl mehr wiſſen, als ſie Alle, und erzählte dann ſehr geheimnißvoll, wie ein Herr das Kind bis nach Mayenfeld gebracht und es ganz freundlich entlaſſen habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und überhaupt könne er ſicher ſagen, daß es dem Kind wohl genug geweſen ſei, wo es war, und es ſelbſt begehrt habe, zum Großvater zurückzugehen.","norm":"Aber hier fiel der Bäcker in das Gespräch ein und sagte, er werde wohl mehr wissen, als sie alle, und erzählte dann sehr geheimnisvoll, wie ein Herr das Kind bis nach Maienfeld gebracht und es ganz freundlich entlassen habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und überhaupt könne er sicher sagen, dass es dem Kind wohl genug gewesen sei, wo es war, und es selbst begehrt habe, zum Großvater zurückzugehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2042,"orig":"Dieſe Nachricht brachte eine große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen Dörfli ſo verbreitet, daß noch am gleichen Abend kein Haus daſelbſt war, in dem man nicht davon redete, daß das Heidi aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.","norm":"Diese Nachricht brachte eine große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen Dörfli so verbreitet, dass noch am gleichen Abend kein Haus daselbst war, in dem man nicht davon redete, dass das Heidi aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2043,"orig":"Heidi lief vom Dörfli bergan, ſo ſchnell es nur konnte; von Zeit zu Zeit mußte es aber plötzlich ſtille ſtehen, denn es hatte ganz den Athem verloren; ſein Korb am Arm war doch ziemlich ſchwer, und dazu ging es nun immer ſteiler, je höher hinauf es ging.","norm":"Heidi lief vom Dörfli bergan, so schnell es nur konnte; von Zeit zu Zeit musste es aber plötzlich stillestehen, denn es hatte ganz den Atem verloren; sein Korb am Arm war doch ziemlich schwer, und dazu ging es nun immer steiler, je höher hinauf es ging."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2044,"orig":"Heidi hatte nur noch Einen Gedanken: „Wird auch die Großmutter noch auf ihrem Plätzchen ſitzen am Spinnrad in der Ecke, iſt ſie auch nicht geſtorben unterdeſſen?“ Jetzt erblickte Heidi die Hütte oben in der Vertiefung an der Alm, ſein Herz fing an zu klopfen, Heidi rannte noch mehr, immer mehr und immer lauter ſchlug ihm das Herz.","norm":"Heidi hatte nur noch Einen Gedanken: „Wird auch die Großmutter noch auf ihrem Plätzchen sitzen am Spinnrad in der Ecke, ist sie auch nicht gestorben unterdessen?“ Jetzt erblickte Heidi die Hütte oben in der Vertiefung an der Alm, sein Herz fing an zu klopfen, Heidi rannte noch mehr, immer mehr und immer lauter schlug ihm das Herz."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2045,"orig":"— Jetzt war es oben — vor Zittern konnte es faſt die Thür nicht aufmachen — doch jetzt — es ſprang hinein bis mitten in die kleine Stube und ſtand da, völlig außer Athem, und brachte keinen Ton hervor.","norm":"— Jetzt war es oben — vor Zittern konnte es fast die Tür nicht aufmachen — doch jetzt — es sprang hinein bis mitten in die kleine Stube und stand da, völlig außer Atem, und brachte keinen Ton hervor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2046,"orig":"„Ach du mein Gott“, tönte es aus der Ecke hervor, ſo ſprang unſer Heidi herein, ach, wenn ich es noch Ein Mal im Leben bei mir haben könnte!","norm":"„Ach du mein Gott“, tönte es aus der Ecke hervor, so sprang unser Heidi herein, ach, wenn ich es noch ein Mal im Leben bei mir haben könnte!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2047,"orig":"Wer iſt hereingekommen?“","norm":"Wer ist hereingekommen?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2048,"orig":"„Da bin ich ja, Großmutter, da bin ich ja“, rief Heidi jetzt und ſtürzte nach der Ecke und gleich auf ſeine Kniee zu der Großmutter heran, faßte ihren Arm und ihre Hände, und legte ſich an ſie und konnte vor Freude gar Nichts mehr ſagen.","norm":"„Da bin ich ja, Großmutter, da bin ich ja“, rief Heidi jetzt und stürzte nach der Ecke und gleich auf seine Knie zu der Großmutter heran, fasste ihren Arm und ihre Hände, und legte sich an sie und konnte vor Freude gar nichts mehr sagen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2049,"orig":"Erſt war die Großmutter ſo überraſcht, daß auch ſie kein Wort hervorbringen konnte; dann fuhr ſie mit der Hand ſtreichelnd über Heidi's Kraushaare hin, und nun ſagte ſie ein Mal über das andere: „Ja, ja, das ſind ſeine Haare und es iſt ja ſeine Stimme, ach du lieber Gott, daß du mich das noch erleben läſſeſt“ Und aus den blinden Augen fielen ein paar große Freudenthränen auf Heidi's Hand nieder.","norm":"Erst war die Großmutter so überrascht, dass auch sie kein Wort hervorbringen konnte; dann fuhr sie mit der Hand streichelnd über Heidis Kraushaare hin, und nun sagte sie ein Mal über das andere: „Ja, ja, das sind seine Haare und es ist ja seine Stimme, ach du lieber Gott, dass du mich das noch erleben lässt“ Und aus den blinden Augen fielen ein paar große Freudentränen auf Heidis Hand nieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2050,"orig":"„Biſt du's auch, Heidi, biſt du auch ſicher wieder da?“","norm":"„Bist du es auch, Heidi, bist du auch sicher wieder da?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2051,"orig":"„Ja, ja, ſicher, Großmutter“, rief Heidi nun mit aller Zuverſicht, „weine nur nicht, ich bin ganz gewiß wieder da und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und du mußt auch manchen Tag kein hartes Brod mehr eſſen, ſiehſt du, Großmutter, ſiehſt du?“","norm":"„Ja, ja, sicher, Großmutter“, rief Heidi nun mit aller Zuversicht, „weine nur nicht, ich bin ganz gewiss wieder da und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und du musst auch manchen Tag kein hartes Brot mehr essen, siehst du, Großmutter, siehst du?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2052,"orig":"Und Heidi packte nun aus ſeinem Korb ein Brödchen nach dem andern aus, bis es alle zwölfe auf dem Schooß der Großmutter aufgehäuft hatte.","norm":"Und Heidi packte nun aus seinem Korb ein Brötchen nach dem anderen aus, bis es alle zwölf auf dem Schoß der Großmutter aufgehäuft hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2053,"orig":"„Ach Kind!","norm":"„Ach Kind!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2054,"orig":"Ach Kind!","norm":"Ach Kind!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2055,"orig":"was bringſt du denn für einen Segen mit!“ rief die Großmutter aus, als es nicht enden wollte mit den Brödchen und immer noch eines folgte.","norm":"was bringst du denn für einen Segen mit!“ rief die Großmutter aus, als es nicht enden wollte mit den Brötchen und immer noch eines folgte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2056,"orig":"„Aber der größte Segen biſt du mir doch ſelber, Kind!“ Dann griff ſie wieder in Heidi's krauſe Haare und ſtrich über ſeine heißen Wangen, und ſagte wieder: „Sag' noch ein Wort, Kind, ſag' noch Etwas, daß ich dich hören kann.","norm":"„Aber der größte Segen bist du mir doch selber, Kind!“ Dann griff sie wieder in Heidis krause Haare und strich über seine heißen Wangen, und sagte wieder: „Sage noch ein Wort, Kind, sage noch etwas, dass ich dich hören kann."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2057,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2058,"orig":"Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angſt es habe ausſtehen müſſen, ſie ſei vielleicht geſtorben unterdeſſen und habe nun gar nie die weißen Brödchen bekommen, und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen.","norm":"Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angst es habe ausstehen müssen, sie sei vielleicht gestorben unterdessen und habe nun gar nie die weißen Brötchen bekommen, und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2059,"orig":"Jetzt trat Peter's Mutter herein und blieb einen Augenblick unbeweglich ſtehen vor Erſtaunen.","norm":"Jetzt trat Peters Mutter herein und blieb einen Augenblick unbeweglich stehen vor Erstaunen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2060,"orig":"Dann rief ſie: „Sicher, es iſt das Heidi, wie kann auch das ſein!“","norm":"Dann rief sie: „Sicher, es ist das Heidi, wie kann auch das sein!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2061,"orig":"Heidi ſtand auf und gab ihr die Hand und die Brigitte konnte ſich gar nicht genug verwundern darüber, wie Heidi ausſehe, und ging um das Kind herum und ſagte: „Großmutter, wenn du doch nur ſehen könnteſt, was für ein ſchönes Röcklein das Heidi hat, und wie es ausſieht, man kennt es faſt nicht mehr.","norm":"Heidi stand auf und gab ihr die Hand und die Brigitte konnte sich gar nicht genug verwundern darüber, wie Heidi aussehe, und ging um das Kind herum und sagte: „Großmutter, wenn du doch nur sehen könntest, was für ein schönes Röcklein das Heidi hat, und wie es aussieht, man kennt es fast nicht mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2062,"orig":"Und das Federnhütlein auf dem Tiſch gehört dir auch noch?","norm":"Und das Federnhütlein auf dem Tisch gehört dir auch noch?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2063,"orig":"Setz' es doch einmal auf, ſo kann ich ſehen, wie du drin ausſiehſt.","norm":"Setze es doch einmal auf, so kann ich sehen, wie du drin aussiehst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2064,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2065,"orig":"„Nein, ich will nicht“, erklärte Heidi, „du kannſt es haben, ich brauche es nicht mehr, ich habe ſchon noch mein eigenes.","norm":"„Nein, ich will nicht“, erklärte Heidi, „du kannst es haben, ich brauche es nicht mehr, ich habe schon noch mein eigenes."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2066,"orig":"“ Damit machte Heidi ſein rothes Bündelchen auf und nahm ſein altes Hütchen daraus hervor, das auf der Reiſe zu den Knicken, die es ſchon vorher gehabt, noch einige bekommen hatte.","norm":"“ Damit machte Heidi sein rotes Bündelchen auf und nahm sein altes Hütchen daraus hervor, das auf der Reise zu den Knicken, die es schon vorher gehabt, noch einige bekommen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2067,"orig":"Aber das kümmerte das Heidi wenig; dagegen hatte es nicht vergeſſen, wie der Großvater beim Abſchied nachgerufen hatte, in einem Federnhut wolle er es niemals ſehen, darum hatte Heidi ſein Hütchen ſo ſorgfältig aufgehoben, denn es dachte ja immer an's Heimgehen zum Großvater.","norm":"Aber das kümmerte das Heidi wenig; dagegen hatte es nicht vergessen, wie der Großvater beim Abschied nachgerufen hatte, in einem Federnhut wolle er es niemals sehen, darum hatte Heidi sein Hütchen so sorgfältig aufgehoben, denn es dachte ja immer ans Heimgehen zum Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2068,"orig":"Aber die Brigitte ſagte, ſo einfältig müſſe es nicht ſein, es ſei ja ein prächtiges Hütchen, das nehme ſie nicht, man könnte es ja etwa dem Töchterlein vom Lehrer im Dörfli verkaufen und noch viel Geld bekommen, wenn es das Hütlein nicht tragen wolle.","norm":"Aber die Brigitte sagte, so einfältig müsse es nicht sein, es sei ja ein prächtiges Hütchen, das nehme sie nicht, man könnte es ja etwa dem Töchterlein vom Lehrer im Dörfli verkaufen und noch viel Geld bekommen, wenn es das Hütlein nicht tragen wolle."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2069,"orig":"Aber Heidi blieb bei ſeinem Vorhaben und legte das Hütchen leiſe hinter die Großmutter in den Winkel, wo es ganz verborgen war.","norm":"Aber Heidi blieb bei seinem Vorhaben und legte das Hütchen leise hinter die Großmutter in den Winkel, wo es ganz verborgen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2070,"orig":"Dann zog Heidi auf einmal ſein ſchönes Röcklein aus, und über das Unterröckchen, in dem es nun mit bloßen Armen daſtand, band es das rothe Halstuch, und nun faßte es die Hand der Großmutter und ſagte: „Jetzt muß ich heim zum Großvater, aber morgen komm' ich wieder zu dir; gute Nacht, Großmutter.","norm":"Dann zog Heidi auf einmal sein schönes Röcklein aus, und über das Unterröckchen, in dem es nun mit bloßen Armen dastand, band es das rote Halstuch, und nun fasste es die Hand der Großmutter und sagte: „Jetzt muss ich heim zum Großvater, aber morgen komme ich wieder zu dir; gute Nacht, Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2071,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2072,"orig":"„Ja, komm' auch wieder, Heidi, komm' auch morgen wieder“, bat die Großmutter, und drückte ſeine Hand zwiſchen den ihrigen und konnte das Kind faſt nicht loslaſſen.","norm":"„Ja, komme auch wieder, Heidi, komme auch morgen wieder“, bat die Großmutter, und drückte seine Hand zwischen den ihrigen und konnte das Kind fast nicht loslassen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2073,"orig":"„Warum haſt du denn dein ſchönes Röcklein ausgezogen?“ fragte die Brigitte.","norm":"„Warum hast du denn dein schönes Röcklein ausgezogen?“ fragte die Brigitte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2074,"orig":"„Weil ich lieber ſo zum Großvater will, ſonſt kennt er mich vielleicht nicht mehr, du haſt mich ja auch faſt nicht gekannt darin.","norm":"„Weil ich lieber so zum Großvater will, sonst kennt er mich vielleicht nicht mehr, du hast mich ja auch fast nicht gekannt darin."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2075,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2076,"orig":"Die Brigitte ging noch mit Heidi vor die Thür hinaus, und hier ſagte ſie ein wenig geheimnißvoll zu ihm: „Den Rock hätteſt du ſchon anbehalten können, er hätte dich doch gekannt; aber ſonſt mußt du dich in Acht nehmen, der Peterli ſagt, der Alm-Oehi ſei jetzt immer bös und rede kein Wort mehr.","norm":"Die Brigitte ging noch mit Heidi vor die Tür hinaus, und hier sagte sie ein wenig geheimnisvoll zu ihm: „Den Rock hättest du schon anbehalten können, er hätte dich doch gekannt; aber sonst musst du dich inacht nehmen, der Peterli sagt, der Alm-Öhi sei jetzt immer bös und rede kein Wort mehr."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2077,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2078,"orig":"Heidi ſagte gute Nacht und ſtieg die Alm hinan mit ſeinem Korb am Arm.","norm":"Heidi sagte gute Nacht und stieg die Alm hinan mit seinem Korb am Arm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2079,"orig":"Die Abendſonne leuchtete ringsum auf die grüne Alm, und jetzt war auch drüben das große Schneefeld am Cäſaplana ſichtbar geworden und ſtrahlte herüber.","norm":"Die Abendsonne leuchtete ringsum auf die grüne Alm, und jetzt war auch drüben das große Schneefeld am Schesaplana sichtbar geworden und strahlte herüber."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2080,"orig":"Heidi mußte alle paar Schritte wieder ſtille ſtehen und ſich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im Rücken beim Hinaufſteigen.","norm":"Heidi musste alle paar Schritte wieder stillestehen und sich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im Rücken beim Hinaufsteigen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2081,"orig":"Jetzt fiel ein rother Schimmer vor ſeinen Füßen auf das Gras, es kehrte ſich um, da — ſo hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie ſo im Traum geſehen — die Felshörner am Falkniß flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld glühte und roſenrothe Wolken zogen darüber hin; das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felſen flimmerte und leuchtete es nieder und unten ſchwamm weithin das ganze Thal in Duft und Gold.","norm":"Jetzt fiel ein roter Schimmer vor seinen Füßen auf das Gras, es kehrte sich um, da — so hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie so im Traum gesehen — die Felshörner am Falknis flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld glühte und rosenrote Wolken zogen darüber hin; das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felsen flimmerte und leuchtete es nieder und unten schwamm weithin das ganze Tal in Duft und Gold."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2082,"orig":"Heidi ſtand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Thränen die Wangen herunter, und es mußte die Hände falten und in den Himmel hinaufſchauen und ganz laut dem lieben Gott danken, daß er es wieder heimgebracht hatte, und daß Alles, Alles noch ſo ſchön ſei und noch viel ſchöner, als es gewußt hatte, und daß Alles wieder ihm gehöre, und Heidi war ſo glücklich und ſo reich in all' der großen Herrlichkeit, daß es gar nicht Worte fand, dem lieben Gott genug zu danken.","norm":"Heidi stand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Tränen die Wangen herunter, und es musste die Hände falten und in den Himmel hinaufschauen und ganz laut dem lieben Gott danken, dass er es wieder heimgebracht hatte, und dass alles, alles noch so schön sei und noch viel schöner, als es gewusst hatte, und dass alles wieder ihm gehöre, und Heidi war so glücklich und so reich in alle der großen Herrlichkeit, dass es gar nicht Worte fand, dem lieben Gott genug zu danken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2083,"orig":"Erſt als das Licht ringsum verglühte, konnte Heidi wieder von der Stelle weg; nun rannte es aber ſo den Berg hinan, daß es gar nicht lange dauerte, ſo erblickte es oben die Tannenwipfel über dem Dache und jetzt das Dach und die ganze Hütte, und auf der Bank an der Hütte ſaß der Großvater und rauchte ſein Pfeifchen, und über die Hütte her wogten die alten Tannenwipfel und rauſchten im Abendwind.","norm":"Erst als das Licht ringsum verglühte, konnte Heidi wieder von der Stelle weg; nun rannte es aber so den Berg hinan, dass es gar nicht lange dauerte, so erblickte es oben die Tannenwipfel über dem Dache und jetzt das Dach und die ganze Hütte, und auf der Bank an der Hütte saß der Großvater und rauchte sein Pfeifchen, und über die Hütte her wogten die alten Tannenwipfel und rauschten im Abendwind."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2084,"orig":"Jetzt rannte das Heidi noch mehr, und bevor der Alm-Oehi nur recht ſehen konnte, was da herankam, ſtürzte das Kind ſchon auf ihn hin, warf ſeinen Korb auf den Boden und umklammerte den Alten, und vor Aufregung des Wiederſehens konnte es Nichts ſagen, als nur immer ausrufen: „Großvater!","norm":"Jetzt rannte das Heidi noch mehr, und bevor der Alm-Öhi nur recht sehen konnte, was da herankam, stürzte das Kind schon auf ihn hin, warf seinen Korb auf den Boden und umklammerte den Alten, und vor Aufregung des Wiedersehens konnte es Nichts sagen, als nur immer ausrufen: „Großvater!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2085,"orig":"Großvater!","norm":"Großvater!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2086,"orig":"Großvater!“","norm":"Großvater!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2087,"orig":"Der Großvater ſagte auch Nichts.","norm":"Der Großvater sagte auch nichts."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2088,"orig":"Seit vielen Jahren waren ihm zum erſten Mal wieder die Augen naß geworden, und er mußte mit der Hand darüber fahren.","norm":"Seit vielen Jahren waren ihm zum ersten Mal wieder die Augen nass geworden, und er musste mit der Hand darüberfahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2089,"orig":"Dann löſte er Heidi's Arme von ſeinem Hals, ſetzte das Kind auf ſeine Kniee und betrachtete es einen Augenblick: „So biſt du wieder heimgekommen, Heidi“, ſagte er dann; „wie iſt das?","norm":"Dann löste er Heidis Arme von seinem Hals, setzte das Kind auf seine Knie und betrachtete es einen Augenblick: „So bist du wieder heimgekommen, Heidi“, sagte er dann; „wie ist das?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2090,"orig":"Beſonders hoffärtig ſiehſt du nicht aus, haben ſie dich fortgeſchickt?“","norm":"Besonders hoffärtig siehst du nicht aus, haben sie dich fortgeschickt?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2091,"orig":"„O nein, Großvater“, fing Heidi nun mit Eifer an, das mußt du nicht glauben, ſie waren ja Alle ſo gut, die Klara und die Großmama und der Herr Seſemann; aber ſiehſt du, Großvater, ich konnte es faſt gar nicht mehr aushalten, bis ich wieder bei dir daheim ſein könnte, und ich habe manchmal gemeint, ich müſſe ganz erſticken, ſo hat es mich gewürgt; aber ich habe gewiß Nichts geſagt, weil es undankbar war.","norm":"„O nein, Großvater“, fing Heidi nun mit Eifer an, das musst du nicht glauben, sie waren ja alle so gut, die Klara und die Großmama und der Herr Sesemann; aber siehst du, Großvater, ich konnte es fast gar nicht mehr aushalten, bis ich wieder bei dir daheim sein könnte, und ich habe manchmal gemeint, ich müsse ganz ersticken, so hat es mich gewürgt; aber ich habe gewiss nichts gesagt, weil es undankbar war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2092,"orig":"Aber dann auf einmal an einem Morgen rief mich der Herr Seſemann ganz früh — aber ich glaube, der Herr Doktor war ſchuld daran — aber es ſteht vielleicht Alles in dem Brief“ — damit ſprang Heidi auf den Boden und holte ſeinen Brief und ſeine Rolle aus dem Korb herbei und legte Beide in die Hand des Großvaters.","norm":"Aber dann auf einmal an einem Morgen rief mich der Herr Sesemann ganz früh — aber ich glaube, der Herr Doktor war schuld daran — aber es steht vielleicht alles in dem Brief“ — damit sprang Heidi auf den Boden und holte seinen Brief und seine Rolle aus dem Korb herbei und legte beide in die Hand des Großvaters."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2093,"orig":"„Das gehört dir“, ſagte dieſer und legte die Rolle neben ſich auf die Bank.","norm":"„Das gehört dir“, sagte dieser und legte die Rolle neben sich auf die Bank."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2094,"orig":"Dann nahm er den Brief und las ihn durch; ohne ein Wort zu ſagen, ſteckte er dann das Blatt in die Taſche.","norm":"Dann nahm er den Brief und las ihn durch; ohne ein Wort zu sagen, steckte er dann das Blatt in die Tasche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2095,"orig":"„Meinſt, du könneſt auch noch Milch trinken mit mir, Heidi?“ fragte er nun, indem er das Kind bei der Hand nahm, um in die Hütte einzutreten.","norm":"„Meinst, du könntest auch noch Milch trinken mit mir, Heidi?“ fragte er nun, indem er das Kind bei der Hand nahm, um in die Hütte einzutreten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2096,"orig":"„Aber nimm dort dein Geld mit dir, da kannſt du ein ganzes Bett daraus kaufen und Kleider für ein paar Jahre.","norm":"„Aber nimm dort dein Geld mit dir, da kannst du ein ganzes Bett daraus kaufen und Kleider für ein paar Jahre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2097,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2098,"orig":"„Ich brauch' es gewiß nicht, Großvater“, verſicherte Heidi; „ein Bett hab' ich ſchon, und Kleider hat mir Klara ſo viele eingepackt, daß ich gewiß nie mehr andere brauche.","norm":"„Ich brauche es gewiss nicht, Großvater“, versicherte Heidi; „ein Bett habe ich schon, und Kleider hat mir Klara so viele eingepackt, dass ich gewiss nie mehr andere brauche."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2099,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2100,"orig":"„Nimm's, nimm's, und leg's in den Schrank, du wirſt's ſchon einmal brauchen können.","norm":"„Nimm es, nimm es, und lege es in den Schrank, du wirst es schon einmal brauchen können."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2101,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2102,"orig":"Heidi gehorchte und hüpfte nun dem Großvater nach in die Hütte hinein, wo es vor Freude über das Wiederſehen in alle Winkel ſprang und die Leiter hinauf — aber da ſtand es plötzlich ſtill und rief in Betroffenheit von oben herunter: „O Großvater, ich habe kein Bett mehr!“","norm":"Heidi gehorchte und hüpfte nun dem Großvater nach in die Hütte hinein, wo es vor Freude über das Wiedersehen in alle Winkel sprang und die Leiter hinauf — aber da stand es plötzlich still und rief in Betroffenheit von oben herunter: „O Großvater, ich habe kein Bett mehr!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2103,"orig":"„Kommt ſchon wieder“, tönte es von unten herauf, wußte ja nicht, daß du wieder heimkommſt, jetzt komm' zur Milch!“ Heidi kam herunter und ſetzte ſich auf ſeinen hohen Stuhl am alten Platze und nun erfaßte es ſein Schüſſelchen und trank mit einer Begierde, als wäre etwas ſo Köſtliches noch nie in ſein Bereich gekommen, und als es mit einem tiefen Athemzug das Schüſſelchen hinſtellte, ſagte es: „So gut wie unſere Milch iſt doch gar Nichts auf der Welt, Großvater.","norm":"„Kommt schon wieder“, tönte es von unten herauf, wusste ja nicht, dass du wieder heimkommst, jetzt komme zur Milch!“ Heidi kam herunter und setzte sich auf seinen hohen Stuhl am alten Platze und nun erfasste es sein Schüsselchen und trank mit einer Begierde, als wäre etwas so Köstliches noch nie in sein Bereich gekommen, und als es mit einem tiefen Atemzug das Schüsselchen hinstellte, sagte es: „So gut wie unsere Milch ist doch gar nichts auf der Welt, Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2104,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2105,"orig":"Jetzt ertönte draußen ein ſchriller Pfiff; wie der Blitz ſchoß Heidi zur Thür hinaus.","norm":"Jetzt ertönte draußen ein schriller Pfiff; wie der Blitz schoss Heidi zur Tür hinaus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2106,"orig":"Da kam die ganze Schaar der Gaißen hüpfend, ſpringend, Sätze machend von der Höhe herunter, mitten drin der Peter.","norm":"Da kam die ganze Schar der Geißen hüpfend, springend, Sätze machend von der Höhe herunter, mitten drin der Peter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2107,"orig":"Als er Heidi's anſichtig wurde, blieb er auf der Stelle völlig wie angewurzelt ſtehen und ſtarrte es ſprachlos an.","norm":"Als er Heidis ansichtig wurde, blieb er auf der Stelle völlig wie angewurzelt stehen und starrte es sprachlos an."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2108,"orig":"Heidi rief: „Guten Abend, Peter!“ und ſtürzte mitten in die Gaißen hinein: „Schwänli!","norm":"Heidi rief: „Guten Abend, Peter!“ und stürzte mitten in die Geißen hinein: „Schwänli!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2109,"orig":"Bärli!","norm":"Bärli!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2110,"orig":"kennt ihr mich noch?“ und die Gaißlein mußten ſeine Stimme gleich erkannt haben, denn ſie rieben ihre Köpfe an Heidi und fingen leidenſchaftlich zu meckern an vor Freude, und Heidi rief alle nach einander beim Namen und alle rannten wie wild durcheinander und drängten ſich zu ihm heran; der ungeduldige Diſtelfink ſprang hoch auf und über zwei Gaißen weg, um gleich in die Nähe zu kommen, und ſogar das ſchüchterne Schneehöppli drängte mit einem ziemlich eigenſinnigen Bohren den großen Türk auf die Seite, der nun ganz verwundert über die Frechheit daſtand und ſeinen Bart in die Luft hob, um zu zeigen, daß er es ſei.","norm":"kennt ihr mich noch?“ und die Geißlein mussten seine Stimme gleich erkannt haben, denn sie rieben ihre Köpfe an Heidi und fingen leidenschaftlich zu meckern an vor Freude, und Heidi rief alle nacheinander beim Namen und alle rannten wie wild durcheinander und drängten sich zu ihm heran; der ungeduldige Distelfink sprang hoch auf und über zwei Geißen weg, um gleich in die Nähe zu kommen, und sogar das schüchterne Schneehöppli drängte mit einem ziemlich eigensinnigen Bohren den großen Türk auf die Seite, der nun ganz verwundert über die Frechheit dastand und seinen Bart in die Luft hob, um zu zeigen, dass er es sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2111,"orig":"Heidi war außer ſich vor Freude, alle die alten Gefährten wieder zu haben, es umarmte das kleine, zärtliche Schneehöppli wieder und wieder und ſtreichelte den ſtürmiſchen Diſtelfink und wurde vor großer Liebe und Zutraulichkeit der Gaißen hin- und hergedrängt und geſchoben, bis es nun ganz in Peter's Nähe kam, der noch immer auf demſelben Platze ſtand.","norm":"Heidi war außer sich vor Freude, alle die alten Gefährten wiederzuhaben, es umarmte das kleine, zärtliche Schneehöppli wieder und wieder und streichelte den stürmischen Distelfink und wurde vor großer Liebe und Zutraulichkeit der Geißen hin- und hergedrängt und geschoben, bis es nun ganz in Peters Nähe kam, der noch immer auf demselben Platze stand."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2112,"orig":"„Komm' herunter, Peter, und ſag' mir einmal guten Abend!“ rief ihm Heidi jetzt zu.","norm":"„Komme herunter, Peter, und sage mir einmal guten Abend!“ rief ihm Heidi jetzt zu."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2113,"orig":"„Biſt denn wieder da?“ brachte er nun endlich in ſeinem Erſtaunen heraus, und nun kam er herzu und nahm Heidi's Hand, die dieſes ihm ſchon lange hingehalten hatte, und nun fragte er, ſo wie er immer gethan hatte bei der Heimkehr am Abend: „Kommſt morgen wieder mit?“","norm":"„Bist denn wieder da?“ brachte er nun endlich in seinem Erstaunen heraus, und nun kam er herzu und nahm Heidis Hand, die dieses ihm schon lange hingehalten hatte, und nun fragte er, so wie er immer getan hatte bei der Heimkehr am Abend: „Kommst morgen wieder mit?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2114,"orig":"„Nein, morgen nicht, aber übermorgen vielleicht, denn morgen muß ich zur Großmutter.","norm":"„Nein, morgen nicht, aber übermorgen vielleicht, denn morgen muss ich zur Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2115,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2116,"orig":"„Es iſt recht, daß du wieder da biſt“, ſagte der Peter, und verzog ſein Geſicht auf alle Seiten vor ungeheuerem Vergnügen, dann ſchickte er ſich zur Heimfahrt an; aber heute wurde es ihm ſo ſchwer wie noch nie mit ſeinen Gaißen, denn als er ſie endlich mit Locken und Drohen ſo weit gebracht hatte, daß ſie ſich um ihn ſammelten, und Heidi, den einen Arm um Schwänli's, und den andern um Bärli's Kopf gelegt, davonſpazierte, da kehrten mit einem Mal alle wieder um und liefen den dreien nach.","norm":"„Es ist recht, dass du wieder da bist“, sagte der Peter, und verzog sein Gesicht auf alle Seiten vor ungeheurem Vergnügen, dann schickte er sich zur Heimfahrt an; aber heute wurde es ihm so schwer wie noch nie mit seinen Geißen, denn als er sie endlich mit Locken und Drohen so weit gebracht hatte, dass sie sich um ihn sammelten, und Heidi, den einen Arm um Schwänlis, und den anderen um Bärlis Kopf gelegt, davonspazierte, da kehrten mit einem Mal alle wieder um und liefen den drei nach."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2117,"orig":"Heidi mußte mit ſeinen zwei Gaißen in den Stall eintreten und die Thüre zumachen, ſonſt wäre der Peter niemals mit ſeiner Heerde fortgekommen.","norm":"Heidi musste mit seinen zwei Geißen in den Stall eintreten und die Türe zumachen, sonst wäre der Peter niemals mit seiner Herde fortgekommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2118,"orig":"Als das Kind dann in die Hütte zurückkam, da ſah es ſein Bett ſchon wieder aufgerichtet, prächtig hoch und duftend, denn das Heu war noch nicht lange hereingeholt, und drüber hatte der Großvater ganz ſorgfältig die ſauberen Leintücher gebreitet.","norm":"Als das Kind dann in die Hütte zurückkam, da sah es sein Bett schon wieder aufgerichtet, prächtig hoch und duftend, denn das Heu war noch nicht lange hereingeholt, und darüber hatte der Großvater ganz sorgfältig die sauberen Leintücher gebreitet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2119,"orig":"Heidi legte ſich mit großer Luſt hinein und ſchlief ſo herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht geſchlafen hatte.","norm":"Heidi legte sich mit großer Lust hinein und schlief so herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht geschlafen hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2120,"orig":"Während der Nacht verließ der Großvater wohl zehn Mal ſein Lager und ſtieg die Leiter hinauf und lauſchte ſorgſam, ob Heidi auch ſchlafe und nicht unruhig werde, und ſuchte am Loch nach, wo ſonſt der Mond hereinkam auf Heidi's Lager, ob auch das Heu noch feſt drinnen ſitze, das er hineingeſtopft hatte, denn von nun an durfte der Mondſchein nicht mehr hereinkommen.","norm":"Während der Nacht verließ der Großvater wohl zehnmal sein Lager und stieg die Leiter hinauf und lauschte sorgsam, ob Heidi auch schlafe und nicht unruhig werde, und suchte am Loch nach, wo sonst der Mond hereinkam auf Heidis Lager, ob auch das Heu noch fest drinnen sitze, das er hineingestopft hatte, denn von nun an durfte der Mondschein nicht mehr hereinkommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2121,"orig":"Aber Heidi ſchlief in Einem Zuge fort und wanderte keinen Schritt herum, denn ſein großes, brennendes Verlangen war geſtillt worden: es hatte alle Berge und Felſen wieder im Abendglühen geſehen, es hatte die Tannen rauſchen gehört, es war wieder daheim auf der Alm.","norm":"Aber Heidi schlief in einem Zuge fort und wanderte keinen Schritt herum, denn sein großes, brennendes Verlangen war gestillt worden: Es hatte alle Berge und Felsen wieder im Abendglühen gesehen, es hatte die Tannen rauschen gehört, es war wieder daheim auf der Alm."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2122,"orig":"Heidi ſtand unter den wogenden Tannen und wartete auf den Großvater, der mitgehen und den Koffer vom Dörfli heraufholen wollte, während es bei der Großmutter wäre.","norm":"Heidi stand unter den wogenden Tannen und wartete auf den Großvater, der mitgehen und den Koffer vom Dörfli heraufholen wollte, während es bei der Großmutter wäre."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2123,"orig":"Das Kind konnte es faſt nicht erwarten, die Großmutter wiederzuſehen und zu hören, wie ihr die Brödchen geſchmeckt hatten, und doch wurde ihm wieder die Zeit nicht lange, denn es konnte ja nicht genug die heimathlichen Töne von dem Tannenrauſchen über ihm und das Duften und Leuchten der grünen Weiden und der goldenen Blumen darauf eintrinken.","norm":"Das Kind konnte es fast nicht erwarten, die Großmutter wiederzusehen und zu hören, wie ihr die Brötchen geschmeckt hatten, und doch wurde ihm wieder die Zeit nicht lange, denn es konnte ja nicht genug die heimatlichen Töne von dem Tannenrauschen über ihm und das Duften und Leuchten der grünen Weiden und der goldenen Blumen darauf eintrinken."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2124,"orig":"Jetzt trat der Großvater aus der Hütte, ſchaute noch einmal rings um ſich und ſagte dann mit zufriedenem Ton: „So, nun können wir gehen.","norm":"Jetzt trat der Großvater aus der Hütte, schaute noch einmal rings um sich und sagte dann mit zufriedenem Ton: „So, nun können wir gehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2125,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2126,"orig":"Denn es war Sonnabend heut', und an dem Tage machte der Alm-Oehi Alles ſauber und in Ordnung in der Hütte, im Stall und ringsherum, das war ſeine Gewohnheit, und heut' hatte er den Morgen dazu genommen, um gleich Nachmittags mit Heidi ausziehen zu können, und ſo ſah nun Alles ringsherum gut und zu ſeiner Zufriedenheit aus.","norm":"Denn es war Sonnabend heute, und an dem Tage machte der Alm-Öhi alles sauber und in Ordnung in der Hütte, im Stall und ringsherum, das war seine Gewohnheit, und heute hatte er den Morgen dazu genommen, um gleich Nachmittags mit Heidi ausziehen zu können, und so sah nun alles ringsherum gut und zu seiner Zufriedenheit aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2127,"orig":"Bei der Gaißenpeter-Hütte trennten ſie ſich, und Heidi ſprang herein.","norm":"Bei der Geißenpeter-Hütte trennten sie sich, und Heidi sprang herein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2128,"orig":"Schon hatte die Großmutter ſeinen Schritt gehört und rief ihm liebevoll entgegen: „Kommſt du, Kind?","norm":"Schon hatte die Großmutter seinen Schritt gehört und rief ihm liebevoll entgegen: „Kommst du, Kind?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2129,"orig":"Kommſt du wieder?“","norm":"Kommst du wieder?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2130,"orig":"Dann erfaßte ſie Heidi's Hand und hielt ſie ganz feſt, denn immer noch fürchtete ſie, das Kind könnte ihr wieder entriſſen werden.","norm":"Dann erfasste sie Heidis Hand und hielt sie ganz fest, denn immer noch fürchtete sie, das Kind könnte ihr wieder entrissen werden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2131,"orig":"Und nun mußte die Großmutter erzählen, wie die Brödchen geſchmeckt hätten, und ſie ſagte, ſie habe ſich ſo daran erlabt, daß ſie meine, ſie ſei heute viel kräftiger, als lange nicht mehr, und Peter's Mutter fügte hinzu, die Großmutter habe vor lauter Sorge, ſie werde zu bald fertig damit, nur ein einziges Brödchen eſſen wollen, geſtern und heut' zuſammen, und ſie käme gewiß noch ziemlich zu Kräften, wenn ſie ſo acht Tage lang hintereinander jeden Tag eines eſſen wollte.","norm":"Und nun musste die Großmutter erzählen, wie die Brötchen geschmeckt hätten, und sie sagte, sie habe sich so daran erlabt, dass sie meine, sie sei heute viel kräftiger, als lange nicht mehr, und Peters Mutter fügte hinzu, die Großmutter habe vor lauter Sorge, sie werde zu bald fertig damit, nur ein einziges Brötchen essen wollen, gestern und heute zusammen, und sie käme gewiss noch ziemlich zu Kräften, wenn sie so acht Tage lang hintereinander jeden Tag eines essen wollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2132,"orig":"Heidi hörte der Brigitte mit Aufmerkſamkeit zu und blieb jetzt noch eine Zeit lang nachdenklich.","norm":"Heidi hörte der Brigitte mit Aufmerksamkeit zu und blieb jetzt noch eine Zeit lang nachdenklich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2133,"orig":"Nun hatte es ſeinen Weg gefunden.","norm":"Nun hatte es seinen Weg gefunden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2134,"orig":"„Ich weiß ſchon, was ich mache, Großmutter“, ſagte es in freudigem Eifer, „ich ſchreibe der Klara einen Brief und dann ſchickt ſie mir gewiß noch einmal ſo viele Brödchen, wie da ſind, oder zweimal, denn ich hatte ſchon einen großen Haufen ganz gleiche im Kaſten, und als man mir ſie weggenommen hatte, ſagte Klara, ſie gebe mir gerade ſo viele wieder, und das thut ſie ſchon.","norm":"„Ich weiß schon, was ich mache, Großmutter“, sagte es in freudigem Eifer, „ich schreibe der Klara einen Brief und dann schickt sie mir gewiss noch einmal so viele Brötchen, wie da sind, oder zweimal, denn ich hatte schon einen großen Haufen ganz gleiche im Kasten, und als man mir sie weggenommen hatte, sagte Klara, sie gebe mir gerade so viele wieder, und das tut sie schon."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2135,"orig":"“ Ach Gott“, ſagte die Brigitte, „das iſt eine gute Meinung; aber denk', ſie werden auch hart.","norm":"“ Ach Gott“, sagte die Brigitte, „das ist eine gute Meinung; aber denke, sie werden auch hart."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2136,"orig":"Wenn man nur hie und da einen übrigen Batzen hätte, der Bäcker unten im Dörfli macht auch ſolche, aber ich vermag kaum das ſchwarze Brod zu bezahlen.","norm":"Wenn man nur hier und da einen übrigen Batzen hätte, der Bäcker unten im Dörfli macht auch solche, aber ich vermag kaum das schwarze Brot zu bezahlen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2137,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2138,"orig":"Jetzt ſchoß ein heller Freudenſtrahl über Heidi's Geſicht: „O ich habe furchtbar viel Geld, Großmutter“, rief es jubelnd aus und hüpfte vor Freuden in die Höhe, „jetzt weiß ich, was ich damit mache!","norm":"Jetzt schoss ein heller Freudenstrahl über Heidis Gesicht: „O ich habe furchtbar viel Geld, Großmutter“, rief es jubelnd aus und hüpfte vor Freuden in die Höhe, „jetzt weiß ich, was ich damit mache!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2139,"orig":"Alle, alle Tage mußt du ein neues Brödchen haben und am Sonntage zwei, und der Peter kann ſie heraufbringen vom Dörfli.","norm":"Alle, alle Tage musst du ein neues Brötchen haben und am Sonntage zwei, und der Peter kann sie heraufbringen vom Dörfli."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2140,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2141,"orig":"„Nein, nein, Kind!“ wehrte die Großmutter; „das kann nicht ſein, das Geld haſt du nicht dazu bekommen, du mußt es dem Großvater geben, er ſagt dir dann ſchon, was du damit machen mußt.","norm":"„Nein, nein, Kind!“ wehrte die Großmutter; „das kann nicht sein, das Geld hast du nicht dazubekommen, du musst es dem Großvater geben, er sagt dir dann schon, was du damit machen musst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2142,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2143,"orig":"Aber Heidi ließ ſich nicht ſtören in ſeiner Freude, es jauchzte und hüpfte in der Stube herum und rief ein Mal über's andere: „Jetzt kann die Großmutter jeden Tag ein Brödchen eſſen und wird wieder ganz kräftig und — o Großmutter“, rief es mit neuem Jubel, „wenn du dann ſo geſund wirſt, ſo wird es dir gewiß auch wieder hell, es iſt vielleicht nur, weil du ſo ſchwach biſt.","norm":"Aber Heidi ließ sich nicht stören in seiner Freude, es jauchzte und hüpfte in der Stube herum und rief ein Mal übers andere: „Jetzt kann die Großmutter jeden Tag ein Brötchen essen und wird wieder ganz kräftig und — o Großmutter“, rief es mit neuem Jubel, „wenn du dann so gesund wirst, so wird es dir gewiss auch wieder hell, es ist vielleicht nur, weil du so schwach bist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2144,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2145,"orig":"Die Großmutter ſchwieg ſtill, ſie wollte des Kindes Freude nicht trüben.","norm":"Die Großmutter schwieg still, sie wollte des Kindes Freude nicht trüben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2146,"orig":"Bei ſeinem Herumhüpfen fiel dem Heidi auf einmal das alte Liederbuch der Großmutter in die Augen, und es kam ihm ein neuer freudiger Gedanke: „Großmutter, jetzt kann ich auch ganz gut leſen, ſoll ich dir einmal ein Lied leſen aus deinem alten Buch?“","norm":"Bei seinem Herumhüpfen fiel dem Heidi auf einmal das alte Liederbuch der Großmutter in die Augen, und es kam ihm ein neuer freudiger Gedanke: „Großmutter, jetzt kann ich auch ganz gut lesen, soll ich dir einmal ein Lied lesen aus deinem alten Buch?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2147,"orig":"„O ja“, bat die Großmutter freudig überraſcht, „kannſt du das auch wirklich, Kind, kannſt du das?“","norm":"„O ja“, bat die Großmutter freudig überrascht, „kannst du das auch wirklich, Kind, kannst du das?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2148,"orig":"Heidi war auf einen Stuhl geklettert und hatte das Buch mit einer dicken Staubwolke heruntergezogen, denn es hatte lange unberührt gelegen da droben; nun wiſchte es Heidi ſauber ab, ſetzte ſich damit auf ſeinen Schemel zur Großmutter hin und fragte, was es nun leſen ſollte.","norm":"Heidi war auf einen Stuhl geklettert und hatte das Buch mit einer dicken Staubwolke heruntergezogen, denn es hatte lange unberührt gelegen da droben; nun wischte es Heidi sauber ab, setzte sich damit auf seinen Schemel zur Großmutter hin und fragte, was es nun lesen sollte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2149,"orig":"„Was du willſt, Kind, was du willſt“, und mit geſpannter Erwartung ſaß die Großmutter da und hatte ihr Spinnrad ein wenig von ſich geſchoben.","norm":"„Was du willst, Kind, was du willst“, und mit gespannter Erwartung saß die Großmutter da und hatte ihr Spinnrad ein wenig von sich geschoben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2150,"orig":"Heidi blätterte und las leiſe hie und da eine Linie: „Jetzt kommt Etwas von der Sonne, das will ich dir leſen, Großmutter.","norm":"Heidi blätterte und las leise hier und da eine Linie: „Jetzt kommt etwas von der Sonne, das will ich dir lesen, Großmutter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2151,"orig":"“ Und Heidi begann und wurde ſelbſt immer eifriger und immer wärmer, während es las:","norm":"“ Und Heidi begann und wurde selbst immer eifriger und immer wärmer, während es las:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2152,"orig":"Die güldne Sonne Voll Freud' und Wonne Bringt unſern Gränzen Mit ihrem Glänzen Ein herzerquickendes, liebliches Licht.","norm":"Die güldene Sonne voll Freude und Wonne bringt unseren Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2153,"orig":"Mein Haupt und Glieder Die lagen darnieder;","norm":"Mein Haupt und Glieder die lagen danieder;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2154,"orig":"Aber nun ſteh' ich, Bin munter und fröhlich, Schaue den Himmel mit meinem Geſicht.","norm":"Aber nun stehe ich, bin munter und fröhlich, Schaue den Himmel mit meinem Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2155,"orig":"Mein Auge ſchauet, Was Gott gebauet Zu ſeinen Ehren, Und uns zu lehren, Wie ſein Vermögen ſei mächtig und groß.","norm":"Mein Auge schauet, was Gott gebaut zu seinen Ehren, und uns zu lehren, wie sein Vermögen sei mächtig und groß."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2156,"orig":"Und wo die Frommen Dann ſollen hinkommen, Wenn ſie mit Frieden Von hinnen geſchieden Aus dieſer Erde vergänglichem Schooß.","norm":"Und wo die Frommen dann sollen hinkommen, wenn sie mit Frieden von hinnen geschieden aus dieser Erde vergänglichem Schoß."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2157,"orig":"Alles vergehet, Gott aber ſtehet Ohn' alles Wanken, Seine Gedanken, Sein Wort und Wille hat ewigen Grund.","norm":"Alles vergehet, Gott aber steht ohne alles Wanken, Seine Gedanken, Sein Wort und Wille hat ewigen Grund."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2158,"orig":"Sein Heil und Gnaden, Die nehmen nicht Schaden, Heilen im Herzen Die tödtlichen Schmerzen, Halten uns zeitlich und ewig geſund.","norm":"Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, Heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, Halten uns zeitlich und ewig gesund."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2159,"orig":"Kreuz und Elende — Das nimmt ein Ende, Nach Meeresbrauſen Und Windesſauſen Leuchtet der Sonne erwünſchtes Geſicht.","norm":"Kreuz und Elende — das nimmt ein Ende, nach Meeresbrausen und Windessausen Leuchtet der Sonne erwünschtes Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2160,"orig":"Freude die Fülle Und ſelige Stille Darf ich erwarten Im himmliſchen Garten, Dahin ſind meine Gedanken gericht't .“","norm":"Freude die Fülle und selige Stille darf ich erwarten im himmlischen Garten, dahin sind meine Gedanken gerichtet .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2161,"orig":"Die Großmutter ſaß ſtill da mit gefalteten Händen und ein Ausdruck unbeſchreiblicher Freude, ſo wie ihn Heidi nie an ihr geſehen hatte, lag auf ihrem Geſicht, obſchon ihr die Thränen die Wangen herabliefen.","norm":"Die Großmutter saß still da mit gefalteten Händen und ein Ausdruck unbeschreiblicher Freude, so wie ihn Heidi nie an ihr gesehen hatte, lag auf ihrem Gesicht, obschon ihr die Tränen die Wangen herabliefen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2162,"orig":"Als Heidi ſchwieg, bat ſie mit Verlangen: „O, noch einmal, Heidi, laß es mich noch einmal hören:","norm":"Als Heidi schwieg, bat sie mit Verlangen: „O, noch einmal, Heidi, lass es mich noch einmal hören:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2163,"orig":"Kreuz und Elende Das nimmt ein Ende —“","norm":"Kreuz und Elende das nimmt ein Ende —“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2164,"orig":"Und das Kind fing noch einmal an und las in eigener Freude und Verlangen:","norm":"Und das Kind fing noch einmal an und las in eigener Freude und Verlangen:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2165,"orig":"Kreuz und Elende — Das nimmt ein Ende;","norm":"Kreuz und Elende — das nimmt ein Ende;"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2166,"orig":"Nach Meeresbrauſen Und Windesſauſen Leuchtet der Sonne erwünſchtes Geſicht.","norm":"Nach Meeresbrausen und Windessausen Leuchtet der Sonne erwünschtes Gesicht."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2167,"orig":"Freude die Fülle Und ſelige Stille Darf ich erwarten Im himmliſchen Garten, Dahin ſind meine Gedanken gericht't .“","norm":"Freude die Fülle und selige Stille darf ich erwarten im himmlischen Garten, dahin sind meine Gedanken gerichtet .“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2168,"orig":"„O Heidi, das macht hell!","norm":"„O Heidi, das macht hell!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2169,"orig":"das macht ſo hell im Herzen!","norm":"das macht so hell im Herzen!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2170,"orig":"O wie haſt du mir wohl gemacht, Heidi!“","norm":"O wie hast du mir wohl gemacht, Heidi!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2171,"orig":"Ein Mal um's andere ſagte die Großmutter die Worte der Freude, und Heidi ſtrahlte vor Glück und mußte ſie nur immer anſehen, denn ſo hatte es die Großmutter nie geſehen.","norm":"Ein Mal um das andere sagte die Großmutter die Worte der Freude, und Heidi strahlte vor Glück und musste sie nur immer ansehen, denn so hatte es die Großmutter nie gesehen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2172,"orig":"Sie hatte gar nicht mehr das alte, trübſelige Geſicht, ſondern ſchaute ſo freudig und dankend auf, als ſähe ſie ſchon mit neuen, hellen Augen in den ſchönen himmliſchen Garten hinein.","norm":"Sie hatte gar nicht mehr das alte, trübselige Gesicht, sondern schaute so freudig und dankend auf, als sähe sie schon mit neuen, hellen Augen in den schönen himmlischen Garten hinein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2173,"orig":"Jetzt klopfte es am Fenſter, und Heidi ſah den Großvater draußen, der ihm winkte, mit heimzukommen.","norm":"Jetzt klopfte es am Fenster, und Heidi sah den Großvater draußen, der ihm winkte, mit heimzukommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2174,"orig":"Es folgte ſchnell, aber nicht ohne die Großmutter zu verſichern, morgen komme es wieder, und auch wenn es mit Peter auf die Weide gehe, ſo komme es doch im halben Tag zurück, denn daß es der Großmutter wieder hell machen konnte und ſie wieder fröhlich wurde, das war nun für Heidi das allergrößte Glück, das es kannte, noch viel größer, als auf der ſonnigen Weide und bei den Blumen und Gaißen zu ſein.","norm":"Es folgte schnell, aber nicht ohne die Großmutter zu versichern, morgen komme es wieder, und auch wenn es mit Peter auf die Weide gehe, so komme es doch im halben Tag zurück, denn dass es der Großmutter wieder hell machen konnte und sie wieder fröhlich wurde, das war nun für Heidi das allergrößte Glück, das es kannte, noch viel größer, als auf der sonnigen Weide und bei den Blumen und Geißen zu sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2175,"orig":"Die Brigitte lief dem Heidi unter die Thür nach mit Rock und Hut, daß es ſeine Habe mitnehme.","norm":"Die Brigitte lief dem Heidi unter die Tür nach mit Rock und Hut, dass es seine Habe mitnehme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2176,"orig":"Den Rock nahm es auf den Arm, denn der Großvater kenne es jetzt ſchon, dachte es bei ſich, aber den Hut wies es hartnäckig zurück, die Brigitte ſolle ihn nur behalten, es ſetze ihn nie, nie mehr auf den Kopf.","norm":"Den Rock nahm es auf den Arm, denn der Großvater kenne es jetzt schon, dachte es bei sich, aber den Hut wies es hartnäckig zurück, die Brigitte solle ihn nur behalten, es setze ihn nie, nie mehr auf den Kopf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2177,"orig":"Heidi war ſo erfüllt von ſeinen Erlebniſſen, daß es gleich dem Großvater Alles erzählen mußte, was ihm das Herz erfreute, daß man die weißen Brödchen auch unten im Dörfli für die Großmutter holen könne, wenn man nur Geld habe, und daß es der Großmutter auf einmal ſo hell und wohl geworden war, und wie Heidi das Alles zu Ende geſchildert hatte, kehrte es wieder zum Erſten zurück und ſagte ganz zuverſichtlich: „Gelt, Großvater, wenn die Großmutter ſchon nicht will, ſo gibſt du mir doch alles Geld in der Rolle, daß ich dem Peter jeden Tag ein Stück geben kann zu einem Brödchen und am Sonntag zwei?“","norm":"Heidi war so erfüllt von seinen Erlebnissen, dass es gleich dem Großvater alles erzählen musste, was ihm das Herz erfreute, dass man die weißen Brötchen auch unten im Dörfli für die Großmutter holen könne, wenn man nur Geld habe, und dass es der Großmutter auf einmal so hell und wohl geworden war, und wie Heidi das alles zu Ende geschildert hatte, kehrte es wieder zum Ersten zurück und sagte ganz zuversichtlich: „Geld, Großvater, wenn die Großmutter schon nicht will, so gibst du mir doch alles Geld in der Rolle, dass ich dem Peter jeden Tag ein Stück geben kann zu einem Brötchen und am Sonntag zwei?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2178,"orig":"„Aber das Bett, Heidi“, ſagte der Großvater, „ein rechtes Bett für dich wäre gut, und nachher bleibt ſchon noch für manches Brödchen.","norm":"„Aber das Bett, Heidi“, sagte der Großvater, „ein rechtes Bett für dich wäre gut, und nachher bleibt schon noch für manches Brötchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2179,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2180,"orig":"Aber Heidi ließ dem Großvater keine Ruhe und bewies ihm, daß es auf ſeinem Heubett viel beſſer ſchlafe, als es jemals in ſeinem Kiſſenbett in Frankfurt geſchlafen habe, und bat ſo eindringlich und unabläſſig, daß der Großvater zuletzt ſagte: „Das Geld iſt dein, mach' was dich freut, du kannſt der Großmutter manches Jahr lang Brod holen dafür.","norm":"Aber Heidi ließ dem Großvater keine Ruhe und bewies ihm, dass es auf seinem Heubett viel besser schlafe, als es jemals in seinem Kissenbett in Frankfurt geschlafen habe, und bat so eindringlich und unablässig, dass der Großvater zuletzt sagte: „Das Geld ist dein, mache was dich freut, du kannst der Großmutter manches Jahr lang Brot holen dafür."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2181,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2182,"orig":"Heidi jauchzte auf: „O juhe!","norm":"Heidi jauchzte auf: „O juhe!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2183,"orig":"Nun muß die Großmutter gar nie mehr hartes, ſchwarzes Brod eſſen, und o Großvater!","norm":"Nun muss die Großmutter gar nie mehr hartes, schwarzes Brot essen, und o Großvater!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2184,"orig":"nun iſt doch Alles ſo ſchön, wie noch gar nie ſeit wir leben!“ und Heidi hüpfte hoch auf an der Hand des Großvaters und jauchzte in die Luft hinauf, wie die fröhlichen Vögel des Himmels.","norm":"nun ist doch alles so schön, wie noch gar nie seit wir leben!“ und Heidi hüpfte hoch auf an der Hand des Großvaters und jauchzte in die Luft hinauf, wie die fröhlichen Vögel des Himmels."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2185,"orig":"Aber auf einmal wurde es ganz ernſthaft und ſagte: „O wenn nun der liebe Gott gleich auf der Stelle gethan hätte, was ich ſo ſtark erbetete, dann wäre doch Alles nicht ſo geworden, ich wäre nur gleich wieder heimgekommen und hätte der Großmutter nur wenige Brödchen gebracht, und hätte ihr nicht leſen können, was ihr wohl macht; aber der liebe Gott hatte ſchon Alles ausgedacht, ſo viel ſchöner, als ich es wußte; die Großmama hat es mir geſagt und nun iſt Alles ſo gekommen.","norm":"Aber auf einmal wurde es ganz ernsthaft und sagte: „O wenn nun der liebe Gott gleich auf der Stelle getan hätte, was ich so stark erbetete, dann wäre doch alles nicht so geworden, ich wäre nur gleich wieder heimgekommen und hätte der Großmutter nur wenige Brötchen gebracht, und hätte ihr nicht lesen können, was ihr wohl macht; aber der liebe Gott hatte schon alles ausgedacht, so viel schöner, als ich es wusste; die Großmama hat es mir gesagt und nun ist alles so gekommen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2186,"orig":"O wie bin ich froh, daß der liebe Gott nicht nachgab, wie ich ſo bat und jammerte!","norm":"O wie bin ich froh, dass der liebe Gott nicht nachgab, wie ich so bat und jammerte!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2187,"orig":"Aber jetzt will ich immer ſo beten, wie die Großmama ſagte, und dem lieben Gott immer danken, und wenn er Etwas nicht thut, das ich erbeten will, dann will ich gleich denken: es geht gewiß wieder wie in Frankfurt, der liebe Gott denkt gewiß etwas viel Beſſeres aus.","norm":"Aber jetzt will ich immer so beten, wie die Großmama sagte, und dem lieben Gott immer danken, und wenn er etwas nicht tut, das ich erbeten will, dann will ich gleich denken: Es geht gewiss wieder wie in Frankfurt, der liebe Gott denkt gewiss etwas viel Besseres aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2188,"orig":"Aber wir wollen auch alle Tage beten, gelt Großvater, und wir wollen es nie mehr vergeſſen, damit der liebe Gott uns auch nicht vergißt.","norm":"Aber wir wollen auch alle Tage beten, gelt Großvater, und wir wollen es nie mehr vergessen, damit der liebe Gott uns auch nicht vergisst."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2189,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2190,"orig":"„Und wenn's Einer doch thäte“, murmelte der Großvater.","norm":"„Und wenn es Einer doch täte“, murmelte der Großvater."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2191,"orig":"„O dem geht's nicht gut, denn der liebe Gott vergißt ihn dann auch und läßt ihn ganz laufen, und wenn es ihm einmal ſchlecht geht, und er jammert, ſo hat kein Menſch Mitleid mit ihm, ſondern alle ſagen nur, er iſt ja zuerſt vom lieben Gott weggelaufen, nun läßt ihn der liebe Gott auch gehen, der ihm helfen könnte.","norm":"„O dem geht es nicht gut, denn der liebe Gott vergisst ihn dann auch und lässt ihn ganz laufen, und wenn es ihm einmal schlecht geht, und er jammert, so hat kein Mensch Mitleid mit ihm, sondern alle sagen nur, er ist ja zuerst vom lieben Gott weggelaufen, nun lässt ihn der liebe Gott auch gehen, der ihm helfen könnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2192,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2193,"orig":"„Das iſt wahr, Heidi, woher weißt du das?“ Von der Großmama, ſie hat mir Alles erklärt.","norm":"„Das ist wahr, Heidi, woher weißt du das?“ Von der Großmama, sie hat mir alles erklärt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2194,"orig":"“ Der Großvater ging eine Weile ſchweigend weiter.","norm":"“ Der Großvater ging eine Weile schweigend weiter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2195,"orig":"Dann ſagte er, ſeine Gedanken verfolgend, vor ſich hin: „Und wenn's einmal ſo iſt, dann iſt's ſo; zurück kann Keiner, und wen der Herrgott vergeſſen hat, den hat er vergeſſen.","norm":"Dann sagte er, seine Gedanken verfolgend, vor sich hin: „Und wenn es einmal so ist, dann ist es so; zurück kann keiner, und wen der Herrgott vergessen hat, den hat er vergessen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2196,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2197,"orig":"„O nein, Großvater, zurück kann Einer, das weiß ich auch von der Großmama, und dann geht es ſo wie in der ſchönen Geſchichte in meinem Buch, aber die weißt du nicht; jetzt ſind wir aber gleich daheim, und dann wirſt du ſchon erfahren, wie ſchön die Geſchichte iſt.","norm":"„O nein, Großvater, zurückkann Einer, das weiß ich auch von der Großmama, und dann geht es so wie in der schönen Geschichte in meinem Buch, aber die weißt du nicht; jetzt sind wir aber gleich daheim, und dann wirst du schon erfahren, wie schön die Geschichte ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2198,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2199,"orig":"Heidi ſtrebte in ſeinem Eifer raſcher und raſcher die letzte Steigung hinan — und kaum waren ſie oben angelangt, als es des Großvaters Hand losließ und in die Hütte hineinrannte.","norm":"Heidi strebte in seinem Eifer rascher und rascher die letzte Steigung hinan — und kaum waren sie oben angelangt, als es des Großvaters Hand losließ und in die Hütte hineinrannte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2200,"orig":"Der Großvater nahm den Korb von ſeinem Rücken, in den er die Hälfte der Sachen aus dem Koffer hineingeſtoßen hatte, denn den ganzen Koffer heraufzubringen wäre ihm zu ſchwer geweſen.","norm":"Der Großvater nahm den Korb von seinem Rücken, in den er die Hälfte der Sachen aus dem Koffer hineingestoßen hatte, denn den ganzen Koffer heraufzubringen wäre ihm zu schwer gewesen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2201,"orig":"Dann ſetzte er ſich nachdenklich auf die Bank nieder.","norm":"Dann setzte er sich nachdenklich auf die Bank nieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2202,"orig":"Heidi kam wieder herbeigerannt, ſein großes Buch unter dem Arm: „O das iſt recht, Großvater, daß du ſchon daſitzeſt“, und mit einem Satz war Heidi an ſeiner Seite und hatte ſchon ſeine Geſchichte aufgeſchlagen, denn die hatte es ſchon ſo oft und immer wieder geleſen, daß das Buch von ſelbſt aufging an dieſer Stelle.","norm":"Heidi kam wieder herbeigerannt, sein großes Buch unter dem Arm: „O das ist recht, Großvater, dass du schon dasitzest“, und mit einem Satz war Heidi an seiner Seite und hatte schon seine Geschichte aufgeschlagen, denn die hatte es schon so oft und immer wieder gelesen, dass das Buch von selbst aufging an dieser Stelle."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2203,"orig":"Jetzt las Heidi mit großer Theilnahme von dem Sohne, der es gut hatte daheim, wo draußen auf des Vaters Feldern die ſchönen Kühe und Schäflein weideten und er in einem ſchönen Mäntelchen, auf ſeinen Hirtenſtab geſtützt, bei ihnen auf der Weide ſtehen und dem Sonnenuntergang zuſehen konnte, wie es Alles auf dem Bilde zu ſehen war.","norm":"Jetzt las Heidi mit großer Teilnahme von dem Sohne, der es gut hatte daheim, wo draußen auf des Vaters Feldern die schönen Kühe und Schäflein weideten und er in einem schönen Mäntelchen, auf seinen Hirtenstab gestützt, bei ihnen auf der Weide stehen und dem Sonnenuntergang zusehen konnte, wie es alles auf dem Bilde zu sehen war."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2204,"orig":"Aber auf einmal wollte er ſein Hab und Gut für ſich haben und ſein eigener Meiſter ſein und forderte es dem Vater ab und lief fort damit und verpraßte Alles.","norm":"Aber auf einmal wollte er sein Hab und Gut für sich haben und sein eigener Meister sein und forderte es dem Vater ab und lief fort damit und verprasste alles."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2205,"orig":"Und als er gar Nichts mehr hatte, mußte er hingehen und Knecht ſein bei einem Bauer, der hatte aber nicht ſo ſchöne Thiere, wie auf ſeines Vaters Feldern waren, ſondern nur Schweinlein, dieſe mußte er hüten und er hatte nur noch Fetzen auf ſich und bekam nur von den Träbern, welche die Schweinchen aßen, ein klein wenig.","norm":"Und als er gar Nichts mehr hatte, musste er hingehen und Knecht sein bei einem Bauer, der hatte aber nicht so schöne Tiere, wie auf seines Vaters Feldern waren, sondern nur Schweinlein, diese musste er hüten und er hatte nur noch Fetzen auf sich und bekam nur von den Trebern, welche die Schweinchen aßen, ein klein wenig."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2206,"orig":"Da dachte er daran, wie er es daheim beim Vater gehabt und wie gut der Vater mit ihm geweſen war und wie undankbar er gegen den Vater gehandelt hatte, und er mußte weinen vor Reue und Heimweh.","norm":"Da dachte er daran, wie er es daheim beim Vater gehabt und wie gut der Vater mit ihm gewesen war und wie undankbar er gegen den Vater gehandelt hatte, und er musste weinen vor Reue und Heimweh."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2207,"orig":"Und er dachte: „Ich will zu meinem Vater gehen und ihn um Verzeihung bitten und ihm ſagen, ich bin nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen, aber laß mich nur dein Taglöhner bei dir ſein.","norm":"Und er dachte: „Ich will zu meinem Vater gehen und ihn um Verzeihung bitten und ihm sagen, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen, aber lass mich nur dein Tagelöhner bei dir sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2208,"orig":"“ Und wie er von ferne gegen das Haus ſeines Vaters kam, da ſah ihn der Vater und kam herausgelaufen — „was meinſt du jetzt, Großvater?“ unterbrach ſich Heidi in ſeinem Vorleſen; „jetzt meinſt du, der Vater ſei noch böſe und ſage zu ihm:, Ich habe dir's ja geſagt!?‘ Jetzt hör' nur, was kommt:, Und ſein Vater ſah ihn und es jammerte ihn und lief und fiel ihn um den Hals und küßte ihn und der Sohn ſprach zu ihm:","norm":"“ Und wie er von ferne gegen das Haus seines Vaters kam, da sah ihn der Vater und kam herausgelaufen — „was meinst du jetzt, Großvater?“ unterbrach sich Heidi in seinem Vorlesen; „jetzt meinst du, der Vater sei noch böse und sage zu ihm:, Ich habe dir es ja gesagt!?‘ Jetzt höre nur, was kommt:, Und sein Vater sah ihn und es jammerte ihn und lief und fiel ihn um den Hals und küsste ihn und der Sohn sprach zu ihm:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2209,"orig":"Vater, ich habe geſündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr werth dein Sohn zu heißen.","norm":"Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr wert dein Sohn zu heißen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2210,"orig":"Aber der Vater ſprach zu ſeinen Knechten: Bringet das beſte Kleid her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an ſeine Hand und Schuhe an die Füße, und bringt das gemäſtete Kalb her und ſchlachtet es und laßt uns eſſen und fröhlich ſein, denn dieſer mein Sohn war todt und iſt wieder lebendig geworden und er war verloren und iſt wieder gefunden worden.","norm":"Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt das beste Kleid her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an die Füße, und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es und lasst uns essen und fröhlich sein, denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden und er war verloren und ist wiedergefunden worden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2211,"orig":"Und ſie fingen an fröhlich zu ſein.","norm":"Und sie fingen an fröhlich zu sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2212,"orig":"‘","norm":"‘"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2213,"orig":"„Iſt denn das nicht eine ſchöne Geſchichte, Großvater?“ fragte Heidi, als dieſer immer noch ſchweigend da ſaß und es doch erwartet hatte, er werde ſich freuen und verwundern.","norm":"„Ist denn das nicht eine schöne Geschichte, Großvater?“ fragte Heidi, als dieser immer noch schweigend dasaß und es doch erwartet hatte, er werde sich freuen und verwundern."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2214,"orig":"„Doch, Heidi, die Geſchichte iſt ſchön“, ſagte der Großvater, aber ſein Geſicht war ſo ernſthaft, daß Heidi ganz ſtille wurde und ſeine Bilder anſah.","norm":"„Doch, Heidi, die Geschichte ist schön“, sagte der Großvater, aber sein Gesicht war so ernsthaft, dass Heidi ganz stille wurde und seine Bilder ansah."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2215,"orig":"Leiſe ſchob es noch einmal ſein Buch vor den Großvater hin und ſagte: „Sieh', wie es ihm wohl iſt“, und zeigte mit ſeinem Finger auf das Bild des Heimgekehrten, wie er im friſchen Kleid neben dem Vater ſteht und wieder zu ihm gehört als ſein Sohn.","norm":"Leise schob es noch einmal sein Buch vor den Großvater hin und sagte: „Sieh, wie es ihm wohl ist“, und zeigte mit seinem Finger auf das Bild des Heimgekehrten, wie er im frischen Kleid neben dem Vater steht und wieder zu ihm gehört als sein Sohn."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2216,"orig":"Ein paar Stunden ſpäter, als Heidi längſt im tiefen Schlafe lag, ſtieg der Großvater die kleine Leiter hinauf; er ſtellte ſein Lämpchen neben Heidi's Lager hin, ſo daß das Licht auf das ſchlafende Kind fiel.","norm":"Ein paar Stunden später, als Heidi längst im tiefen Schlafe lag, stieg der Großvater die kleine Leiter hinauf; er stellte sein Lämpchen neben Heidis Lager hin, so dass das Licht auf das schlafende Kind fiel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2217,"orig":"Es lag da mit gefalteten Händen, denn zu beten hatte Heidi nicht vergeſſen.","norm":"Es lag da mit gefalteten Händen, denn zu beten hatte Heidi nicht vergessen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2218,"orig":"Auf ſeinem roſigen Geſichtchen lag ein Ausdruck des Friedens und ſeligen Vertrauens, der zu dem Großvater reden mußte, denn lange, lange ſtand er da und rührte ſich nicht und wandte kein Auge von dem ſchlafenden Kinde ab.","norm":"Auf seinem rosigen Gesichtchen lag ein Ausdruck des Friedens und seligen Vertrauens, der zu dem Großvater reden musste, denn lange, lange stand er da und rührte sich nicht und wandte kein Auge von dem schlafenden Kinde ab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2219,"orig":"Jetzt faltete auch er die Hände, und halblaut ſagte er mit geſenktem Haupte: „Vater, ich habe geſündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen!“ Und ein paar große Thränen rollten dem Alten die Wangen herab.","norm":"Jetzt faltete auch er die Hände, und halblaut sagte er mit gesenktem Haupte: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen!“ Und ein paar große Tränen rollten dem Alten die Wangen herab."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2220,"orig":"Wenige Stunden nachher in der erſten Frühe des Tages ſtand der Alm-Oehi vor ſeiner Hütte und ſchaute mit hellen Augen um ſich.","norm":"Wenige Stunden nachher in der ersten Frühe des Tages stand der Alm-Öhi vor seiner Hütte und schaute mit hellen Augen um sich."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2221,"orig":"Der Sonntagmorgen flimmerte und leuchtete über Berg und Thal.","norm":"Der Sonntagmorgen flimmerte und leuchtete über Berg und Tal."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2222,"orig":"Einzelne Frühglocken tönten aus den Thälern herauf, und oben in den Tannen ſangen die Vögel fröhlich ihre Morgenlieder.","norm":"Einzelne Frühglocken tönten aus den Tälern herauf, und oben in den Tannen sangen die Vögel fröhlich ihre Morgenlieder."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2223,"orig":"Jetzt trat der Großvater in die Hütte zurück: „Komm', Heidi!“ rief er auf den Boden hinauf, „die Sonne iſt da!","norm":"Jetzt trat der Großvater in die Hütte zurück: „Komme, Heidi!“ rief er auf den Boden hinauf, „Die Sonne ist da!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2224,"orig":"Zieh' ein gutes Röcklein an, wir wollen in die Kirche mit einander!“","norm":"Zieh ein gutes Röcklein an, wir wollen in die Kirche miteinander!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2225,"orig":"Heidi machte nicht lange, das war ein ganz neuer Ruf vom Großvater, dem mußte es ſchnell folgen.","norm":"Heidi machte nicht lange, das war ein ganz neuer Ruf vom Großvater, dem musste es schnell folgen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2226,"orig":"In kurzer Zeit kam es heruntergeſprungen in ſeinem ſchmucken Frankfurter Röckchen.","norm":"In kurzer Zeit kam es heruntergesprungen in seinem schmucken Frankfurter Röckchen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2227,"orig":"Aber voller Erſtaunen blieb Heidi vor ſeinem Großvater ſtehen und ſchaute ihn an: „O Großvater, ſo hab' ich dich nie geſehen“, brach es endlich aus, „und den Rock mit den ſilbernen Knöpfen haſt du noch gar nicht getragen, o du biſt ſo ſchön in deinem ſchönen Sonntagsrock.","norm":"Aber voller Erstaunen blieb Heidi vor seinem Großvater stehen und schaute ihn an: „O Großvater, so habe ich dich nie gesehen“, brach es endlich aus, „und den Rock mit den silbernen Knöpfen hast du noch gar nicht getragen, o du bist so schön in deinem schönen Sonntagsrock."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2228,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2229,"orig":"Der Alte blickte vergnüglich lächelnd auf das Kind und ſagte: „Und du in dem deinen; jetzt komm' .“ Er nahm Heidi's Hand in die ſeine, und ſo wanderten ſie mit einander den Berg hinunter.","norm":"Der Alte blickte vergnüglich lächelnd auf das Kind und sagte: „Und du in dem deinen; jetzt komme .“ Er nahm Heidis Hand in die seine, und so wanderten sie miteinander den Berg hinunter."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2230,"orig":"Von allen Seiten tönten jetzt die hellen Glocken ihnen entgegen, immer voller und reicher, je weiter ſie kamen, und Heidi lauſchte mit Entzücken und ſagte: „Hörſt du's, Großvater?","norm":"Von allen Seiten tönten jetzt die hellen Glocken ihnen entgegen, immer voller und reicher, je weiter sie kamen, und Heidi lauschte mit Entzücken und sagte: „Hörst du es, Großvater?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2231,"orig":"Es iſt wie ein großes, großes Feſt.","norm":"Es ist wie ein großes, großes Fest."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2232,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2233,"orig":"Unten im Dörfli waren ſchon alle Leute in der Kirche und fingen eben zu ſingen an, als der Großvater mit Heidi eintrat und ganz hinten auf der letzten Bank ſich niederſetzte.","norm":"Unten im Dörfli waren schon alle Leute in der Kirche und fingen eben zu singen an, als der Großvater mit Heidi eintrat und ganz hinten auf der letzten Bank sich niedersetzte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2234,"orig":"Aber mitten im Singen ſtieß der zunächſt Sitzende ſeinen Nachbar mit dem Ellbogen an und ſagte: „Haſt du das geſehen?","norm":"Aber mitten im Singen stieß der zunächst Sitzende seinen Nachbar mit dem Ellbogen an und sagte: „Hast du das gesehen?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2235,"orig":"der Alm-Oehi iſt in der Kirche!“","norm":"der Alm-Öhi ist in der Kirche!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2236,"orig":"Und der Angeſtoßene ſtieß den Zweiten an und ſo fort, und in kürzeſter Zeit flüſterte es an allen Ecken: „Der AlmOehi!","norm":"Und der Angestoßene stieß den Zweiten an und so fort, und in kürzester Zeit flüsterte es an allen Ecken: „Der Alm-Öhi!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2237,"orig":"Der Alm-Oehi!“ und die Frauen mußten faſt alle einen Augenblick den Kopf umdrehen, und die meiſten fielen ein wenig aus der Melodie, ſo daß der Vorſänger die größte Mühe hatte, den Geſang ſchön aufrecht zu erhalten.","norm":"Der Alm-Öhi!“ und die Frauen mussten fast alle einen Augenblick den Kopf umdrehen, und die meisten fielen ein wenig aus der Melodie, so dass der Vorsänger die größte Mühe hatte, den Gesang schön aufrechtzuerhalten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2238,"orig":"Aber als dann der Herr Pfarrer anfing zu predigen, ging die Zerſtreutheit ganz vorüber, denn es war ein ſo warmes Loben und Danken in ſeinen Worten, daß alle Zuhörer davon ergriffen wurden und es war, als ſei ihnen Allen eine große Freude widerfahren.","norm":"Aber als dann der Herr Pfarrer anfing zu predigen, ging die Zerstreutheit ganz vorüber, denn es war ein so warmes Loben und Danken in seinen Worten, dass alle Zuhörer davon ergriffen wurden und es war, als sei ihnen allen eine große Freude widerfahren."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2239,"orig":"Als der Gottesdienſt zu Ende war, trat der Alm-Oehi mit dem Kinde an der Hand heraus und ſchritt dem Pfarrhaus zu, und Alle, die mit ihm heraustraten und die ſchon draußen ſtanden, ſchauten ihm nach, und die Meiſten gingen hinter ihm her, um zu ſehen, ob er wirklich in's Pfarrhaus eintrete, was er that.","norm":"Als der Gottesdienst zu Ende war, trat der Alm-Öhi mit dem Kinde an der Hand heraus und schritt dem Pfarrhaus zu, und alle, die mit ihm heraustraten und die schon draußen standen, schauten ihm nach, und die Meisten gingen hinter ihm her, um zu sehen, ob er wirklich ins Pfarrhaus eintrete, was er tat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2240,"orig":"Dann ſammelten ſie ſich in Gruppen zuſammen und beſprachen in großer Aufregung das Unerhörte, daß der AlmOehi in der Kirche erſchienen war, und Alle ſchauten mit Spannung nach der Pfarrhausthür, wie der Oehi wohl wieder herauskommen werde, ob in Zorn und Hader, oder im Frieden mit dem Herrn Pfarrer, denn man wußte ja gar nicht, was den Alten heruntergebracht hatte und wie es eigentlich gemeint ſei.","norm":"Dann sammelten sie sich in Gruppen zusammen und besprachen in großer Aufregung das Unerhörte, dass der Alm-Öhi in der Kirche erschienen war, und alle schauten mit Spannung nach der Pfarrhaustür, wie der Öhi wohl wieder herauskommen werde, ob in Zorn und Hader, oder im Frieden mit dem Herrn Pfarrer, denn man wusste ja gar nicht, was den Alten heruntergebracht hatte und wie es eigentlich gemeint sei."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2241,"orig":"Aber doch war ſchon bei Vielen eine neue Stimmung eingetreten, und Einer ſagte zum Andern: „Es wird wohl mit dem Alm-Oehi nicht ſo bös ſein, wie man thut; man kann ja nur ſehen, wie ſorglich er das Kleine an der Hand hält?“ Und der Andere ſagte: „Das hab' ich ja immer geſagt, und zum Pfarrer hinein gienge er auch nicht, wenn er ſo bodenſchlecht wäre, ſonſt müßte er ſich ja fürchten, man übertreibt auch viel.","norm":"Aber doch war schon bei vielen eine neue Stimmung eingetreten, und Einer sagte zum Anderen: „Es wird wohl mit dem Alm-Öhi nicht so bös sein, wie man tut; man kann ja nur sehen, wie sorglich er das Kleine an der Hand hält?“ Und der Andere sagte: „Das habe ich ja immer gesagt, und zum Pfarrer hineinginge er auch nicht, wenn er so bodenschlecht wäre, sonst müsste er sich ja fürchten, man übertreibt auch viel."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2242,"orig":"“ Und der Bäcker ſagte: „Hab' ich das nicht zu allererſt geſagt?","norm":"“ Und der Bäcker sagte: „Habe ich das nicht zuallererst gesagt?"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2243,"orig":"Seit wann läuft denn ein kleines Kind, das zu eſſen und zu trinken hat, was es will, und ſonſt alles Gute, aus alle dem weg und heim zu einem Großvater, wenn der bös und wild iſt und es ſich zu fürchten hat vor ihm?“ Und es kam eine ganz liebevolle Stimmung gegen den Alm-Oehi auf und nahm überhand, denn jetzt nahten ſich auch die Frauen herzu, und dieſe hatten ſo Manches von der GaißenPeterin und der Großmutter gehört, das den Alm-Oehi ganz anders darſtellte, als die allgemeine Meinung war und das ihnen jetzt auf einmal glaublich ſchien, daß es mehr und mehr ſo wurde, als warten ſie Alle da, um einen alten Freund zu bewillkommnen, der ihnen lange gemangelt hatte.","norm":"Seit wann läuft denn ein kleines Kind, das zu essen und zu trinken hat, was es will, und sonst alles Gute, aus alle dem weg und heim zu einem Großvater, wenn der bös und wild ist und es sich zu fürchten hat vor ihm?“ Und es kam eine ganz liebevolle Stimmung gegen den Alm-Öhi auf und nahm überhand, denn jetzt nahten sich auch die Frauen herzu, und diese hatten so Manches von der Geißenpeterin und der Großmutter gehört, das den Alm-Öhi ganz anders darstellte, als die allgemeine Meinung war und das ihnen jetzt auf einmal glaublich schien, dass es mehr und mehr so wurde, als warteten sie alle da, um einen alten Freund zu bewillkommnen, der ihnen lange gemangelt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2244,"orig":"Der Alm-Oehi war unterdeſſen an die Thür der Studierſtube getreten und hatte angeklopft.","norm":"Der Alm-Öhi war unterdessen an die Tür der Studierstube getreten und hatte angeklopft."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2245,"orig":"Der Herr Pfarrer machte auf und trat dem Eintretenden entgegen, nicht überraſcht, wie er wohl hätte ſein können, ſondern ſo, als habe er ihn erwartet; die ungewohnte Erſcheinung in der Kirche mußte ihm nicht entgangen ſein.","norm":"Der Herr Pfarrer machte auf und trat dem Eintretenden entgegen, nicht überrascht, wie er wohl hätte sein können, sondern so, als habe er ihn erwartet; die ungewohnte Erscheinung in der Kirche musste ihm nicht entgangen sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2246,"orig":"Er ergriff die Hand des Alten und ſchüttelte ſie wiederholt mit der größten Herzlichkeit, und der Alm-Oehi ſtand ſchweigend da und konnte erſt kein Wort herausbringen, denn auf ſolchen herzlichen Empfang war er nicht vorbereitet.","norm":"Er ergriff die Hand des Alten und schüttelte sie wiederholt mit der größten Herzlichkeit, und der Alm-Öhi stand schweigend da und konnte erst kein Wort herausbringen, denn auf solchen herzlichen Empfang war er nicht vorbereitet."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2247,"orig":"Jetzt faßte er ſich und ſagte: „Ich komme, um den Herrn Pfarrer zu bitten, daß er mir die Worte vergeſſen möchte, die ich zu ihm auf der Alm geredet habe, und daß er mir nicht nachtragen wolle, wenn ich widerſpenſtig war gegen ſeinen wohlmeinenden Rath.","norm":"Jetzt fasste er sich und sagte: „Ich komme, um den Herrn Pfarrer zu bitten, dass er mir die Worte vergessen möchte, die ich zu ihm auf der Alm geredet habe, und dass er mir nicht nachtragen wolle, wenn ich widerspenstig war gegen seinen wohlmeinenden Rat."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2248,"orig":"Der Herr Pfarrer hat ja in Allem Recht gehabt und ich war im Unrecht, aber ich will jetzt ſeinem Rathe folgen und auf den Winter wieder ein Quartier im Dörfli beziehen, denn die harte Jahreszeit iſt Nichts für das Kind dort oben, es iſt zu zart, und wenn dann auch die Leute hier unten mich von der Seite anſehen, ſo wie Einen, dem nicht zu trauen iſt, ſo habe ich es nicht beſſer verdient, und der Herr Pfarrer wird es ja nicht thun.","norm":"Der Herr Pfarrer hat ja in allem Recht gehabt und ich war im Unrecht, aber ich will jetzt seinem Rate folgen und auf den Winter wieder ein Quartier im Dörfli beziehen, denn die harte Jahreszeit ist nichts für das Kind dort oben, es ist zu zart, und wenn dann auch die Leute hier unten mich von der Seite ansehen, so wie Einen, dem nicht zu trauen ist, so habe ich es nicht besser verdient, und der Herr Pfarrer wird es ja nicht tun."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2249,"orig":"“ Die freundlichen Augen des Pfarrers glänzten vor Freude.","norm":"“ Die freundlichen Augen des Pfarrers glänzten vor Freude."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2250,"orig":"Er nahm noch einmal des Alten Hand und drückte ſie in der ſeinen und ſagte mit Rührung: „Nachbar, Ihr ſeid in der rechten Kirche geweſen, noch eh' Ihr in die meinige herunterkamt; deß freu' ich mich, und daß Ihr wieder zu uns kommen und mit uns leben wollt, ſoll Euch nicht gereuen, bei mir ſollt Ihr als ein lieber Freund und Nachbar allezeit willkommen ſein, und ich gedenke manches Winterabendſtündchen fröhlich mit Euch zu verbringen, denn Eure Geſellſchaft iſt mir lieb und werth und für das Kleine wollen wir auch gute Freunde finden.","norm":"Er nahm noch einmal des Alten Hand und drückte sie in der seinen und sagte mit Rührung: „Nachbar, Ihr seid in der rechten Kirche gewesen, noch ehe Ihr in die meinige herunterkamt; dessen freue ich mich, und dass Ihr wieder zu uns kommen und mit uns leben wollt, soll Euch nicht gereuen, bei mir sollt Ihr als ein lieber Freund und Nachbar allezeit willkommen sein, und ich gedenke manches Winterabendstündchen fröhlich mit Euch zu verbringen, denn Eure Gesellschaft ist mir lieb und wert und für das Kleine wollen wir auch gute Freunde finden."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2251,"orig":"“ Und der Herr Pfarrer legte ſehr freundlich ſeine Hand auf Heidi's Krauskopf und nahm es bei der Hand und führte es hinaus, indem er den Großvater fort begleitete, und erſt draußen vor der Hausthür nahm er Abſchied, und nun konnten alle die herumſtehenden Leute ſehen, wie der Herr Pfarrer dem Alm-Oehi die Hand immer noch einmal ſchüttelte, gerade als wäre das ſein beſter Freund, von dem er ſich faſt nicht trennen könnte.","norm":"“ Und der Herr Pfarrer legte sehr freundlich seine Hand auf Heidis Krauskopf und nahm es bei der Hand und führte es hinaus, indem er den Großvater fortbegleitete, und erst draußen vor der Haustür nahm er Abschied, und nun konnten alle die herumstehenden Leute sehen, wie der Herr Pfarrer dem Alm-Öhi die Hand immer noch einmal schüttelte, gerade als wäre das sein bester Freund, von dem er sich fast nicht trennen könnte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2252,"orig":"Kaum hatte dann auch die Thüre ſich hinter dem Herrn Pfarrer geſchloſſen, ſo drängte die ganze Verſammlung dem Alm-Oehi entgegen, und Jeder wollte der Erſte ſein, und ſo viele Hände wurden miteinander dem Herankommenden entgegengeſtreckt, daß er gar nicht wußte, welche zuerſt ergreifen, und Einer rief ihm zu: „Das freut mich!","norm":"Kaum hatte dann auch die Türe sich hinter dem Herrn Pfarrer geschlossen, so drängte die ganze Versammlung dem Alm-Öhi entgegen, und jeder wollte der Erste sein, und so viele Hände wurden miteinander dem Herankommenden entgegengestreckt, dass er gar nicht wusste, welche zuerst ergreifen, und Einer rief ihm zu: „Das freut mich!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2253,"orig":"das freut mich, Oehi, daß Ihr auch wieder einmal zu uns kommt!“ und ein Anderer: „Ich hätte auch ſchon lang gern wieder einmal ein Wort mit Euch geredet, Oehi!“ Und ſo tönte und drängte es von allen Seiten, und wie nun der Oehi auf alle die freundlichen Begrüßungen erwiderte, er gedenke, ſein altes Quartier im Dörfli wieder zu beziehen und den Winter mit den alten Bekannten zu verleben, da gab es erſt einen rechten Lärm, und es war gerade ſo, wie wenn der Alm-Oehi die beliebteſte Perſönlichkeit im ganzen Dörfli wäre, die Jeder mit Nachtheil entbehrt hatte.","norm":"das freut mich, Öhi, dass Ihr auch wieder einmal zu uns kommt!“ und ein Anderer: „Ich hätte auch schon lang gern wieder einmal ein Wort mit Euch geredet, Öhi!“ Und so tönte und drängte es von allen Seiten, und wie nun der Öhi auf alle die freundlichen Begrüßungen erwiderte, er gedenke, sein altes Quartier im Dörfli wieder zu beziehen und den Winter mit den alten Bekannten zu verleben, da gab es erst einen rechten Lärm, und es war gerade so, wie wenn der Alm-Öhi die beliebteste Persönlichkeit im ganzen Dörfli wäre, die Jeder mit Nachteil entbehrt hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2254,"orig":"Noch weit an die Alm hinauf wurden Großvater und Kind von den Meiſten begleitet, und beim Abſchied wollte Jeder die Verſicherung haben, daß der AlmOehi bald einmal bei ihm vorſpreche, wenn er wieder herunterkomme; und wie nun die Leute den Berg hinab zurückkehrten, blieb der Alte ſtehn und ſchaute ihnen lange nach, und auf ſeinem Geſichte lag ein ſo warmes Licht, als ſchiene bei ihm die Sonne von innen heraus.","norm":"Noch weit an die Alm hinauf wurden Großvater und Kind von den Meisten begleitet, und beim Abschied wollte jeder die Versicherung haben, dass der Alm-Öhi bald einmal bei ihm vorspreche, wenn er wieder herunterkomme; und wie nun die Leute den Berg hinab zurückkehrten, blieb der Alte stehen und schaute ihnen lange nach, und auf seinem Gesichte lag ein so warmes Licht, als schiene bei ihm die Sonne von innen heraus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2255,"orig":"Heidi ſchaute unverwandt zu ihm auf und ſagte ganz erfreut: „Großvater, heut' wirſt du immer ſchöner, ſo warſt du noch gar nie.","norm":"Heidi schaute unverwandt zu ihm auf und sagte ganz erfreut: „Großvater, heute wirst du immer schöner, so warst du noch gar nie."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2256,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2257,"orig":"„Meinſt du“, lächelte der „Ja, und ſiehſt du, Heidi, mir geht's auch heut' über Verſtehen und Verdienen gut, und mit Gott und Menſchen im Frieden ſtehn, das macht Einem ſo wohl!","norm":"„Meinst du“, lächelte der „Ja, und siehst du, Heidi, mir geht es auch heute über Verstehen und Verdienen gut, und mit Gott und Menschen im Frieden stehen, das macht einem so wohl!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2258,"orig":"Der liebe Gott hat's gut mit mir gemeint, daß er dich auf die Alm ſchickte.","norm":"Der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint, dass er dich auf die Alm schickte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2259,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2260,"orig":"Bei der Gaißenpeter-Hütte angekommen, machte der Großvater gleich die Thür auf und trat ein.","norm":"Bei der Geißenpeter-Hütte angekommen, machte der Großvater gleich die Tür auf und trat ein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2261,"orig":"„Grüß' Gott, Großmutter“, rief er hinein, „ich denke, wir müſſen einmal wieder an's Flicken gehn, bevor der Herbſtwind kommt.","norm":"„Grüße Gott, Großmutter“, rief er hinein, „ich denke, wir müssen einmal wieder ans Flicken gehen, bevor der Herbstwind kommt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2262,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2263,"orig":"„Du mein Gott, das iſt der Oehi!“ rief die Großmutter voll freudiger Ueberraſchung aus; „daß ich das noch erlebe!","norm":"„Du mein Gott, das ist der Öhi!“ rief die Großmutter voll freudiger Überraschung aus; „dass ich das noch erlebe!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2264,"orig":"daß ich Euch noch einmal danken kann für Alles, das Ihr für uns gethan habt, Oehi!","norm":"dass ich Euch noch einmal danken kann für alles, das Ihr für uns getan habt, Öhi!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2265,"orig":"Vergelt's Gott!","norm":"Vergelte es Gott!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2266,"orig":"Vergelt's Gott!“","norm":"Vergelte es Gott!“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2267,"orig":"Und mit zitternder Freude ſtreckte die alte Großmutter ihre Hand aus, und als der Angeredete ſie herzlich ſchüttelte, fuhr ſie fort, indem ſie die ſeinige feſthielt: „Und eine Bitte hab' ich auch noch auf dem Herzen, Oehi:","norm":"Und mit zitternder Freude streckte die alte Großmutter ihre Hand aus, und als der Angeredete sie herzlich schüttelte, fuhr sie fort, indem sie die seinige festhielt: „Und eine Bitte habe ich auch noch auf dem Herzen, Öhi:"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2268,"orig":"Wenn ich Euch je Etwas zu Leid gethan habe, ſo ſtraft mich nicht damit, daß Ihr noch einmal das Heidi fortlaßt, bevor ich unten bei der Kirche liege.","norm":"Wenn ich Euch je Etwas zuleid getan habe, so straft mich nicht damit, dass Ihr noch einmal das Heidi fortlasst, bevor ich unten bei der Kirche liege."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2269,"orig":"O Ihr wißt nicht, was mir das Kind iſt!“ und ſie hielt es feſt an ſich, denn Heidi hatte ſich ſchon an ſie geſchmiegt.","norm":"O Ihr wisst nicht, was mir das Kind ist!“ und sie hielt es fest an sich, denn Heidi hatte sich schon an sie geschmiegt."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2270,"orig":"„Keine Sorge, Großmutter“, beruhigte der Oehi, damit will ich weder Euch noch mich ſtrafen, jetzt bleiben wir Alle bei einander und will's Gott noch lange ſo.","norm":"„Keine Sorge, Großmutter“, beruhigte der Öhi, damit will ich weder Euch noch mich strafen, jetzt bleiben wir alle beieinander und will es Gott noch lange so."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2271,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2272,"orig":"Jetzt zog die Brigitte den Oehi ein wenig geheimnißvoll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das ſchöne Federhütchen, und erzählte ihm, wie es ſich damit verhalte, und daß ſie ja natürlich ſo Etwas einem Kinde nicht abnehme.","norm":"Jetzt zog die Brigitte den Öhi ein wenig geheimnisvoll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das schöne Federnhütchen, und erzählte ihm, wie es sich damit verhalte, und dass sie ja natürlich so Etwas einem Kinde nicht abnehme."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2273,"orig":"Aber der Großvater ſah ganz wohlgefällig auf ſein Heidi hin und ſagte: „Der Hut iſt ſein, und wenn es ihn nicht mehr auf den Kopf thun will, ſo hat es recht, und hat es ihn dir gegeben, ſo nimm ihn nur.","norm":"Aber der Großvater sah ganz wohlgefällig auf sein Heidi hin und sagte: „Der Hut ist sein, und wenn es ihn nicht mehr auf den Kopf tun will, so hat es recht, und hat es ihn dir gegeben, so nimm ihn nur."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2274,"orig":"“","norm":"“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2275,"orig":"Die Brigitte war höchlich erfreut über das unerwartete Urtheil.","norm":"Die Brigitte war höchlich erfreut über das unerwartete Urteil."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2276,"orig":"„Er iſt gewiß mehr als zehn Franken werth, ſeht nur!“ und in ihrer Freude ſtreckte ſie das Hütchen hoch auf.","norm":"„Er ist gewiss mehr als zehn Franken wert, seht nur!“ und in ihrer Freude streckte sie das Hütchen hoch auf."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2277,"orig":"„Was aber auch dieſes Heidi für einen Segen von Frankfurt mit heimgebracht hat!","norm":"„Was aber auch dieses Heidi für einen Segen von Frankfurt mit heimgebracht hat!"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2278,"orig":"Ich habe ſchon manchmal denken müſſen, ob ich nicht den Peterli auch ein wenig nach Frankfurt ſchicken ſolle; was meint Ihr, Oehi?“","norm":"Ich habe schon manchmal denken müssen, ob ich nicht den Peterli auch ein wenig nach Frankfurt schicken solle; was meint Ihr, Öhi?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2279,"orig":"Dem Oehi ſchoß es ganz luſtig aus den Augen.","norm":"Dem Öhi schoss es ganz lustig aus den Augen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2280,"orig":"Er meinte, es könnte dem Peterli Nichts ſchaden; aber er würde doch eine gute Gelegenheit dazu abwarten.","norm":"Er meinte, es könnte dem Peterli nichts schaden; aber er würde doch eine gute Gelegenheit dazu abwarten."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2281,"orig":"Jetzt fuhr der Beſprochene eben zur Thür herein, nachdem er zuerſt mit dem Kopf ſo feſt dagegen gerannt war, daß Alles erklirrte davon; er mußte preſſirt ſein.","norm":"Jetzt fuhr der Besprochene eben zur Tür herein, nachdem er zuerst mit dem Kopf so fest dagegen gerannt war, dass alles erklirrte davon; er musste pressiert sein."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2282,"orig":"Athemlos und keuchend ſtand er nun mitten in der Stube ſtill und ſtreckte einen Brief aus.","norm":"Atemlos und keuchend stand er nun mitten in der Stube still und streckte einen Brief aus."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2283,"orig":"Das war auch ein Ereigniß, das noch nie vorgekommen war, ein Brief mit einer Aufſchrift an das Heidi, den man ihm auf der Poſt im Dörfli übergeben hatte.","norm":"Das war auch ein Ereignis, das noch nie vorgekommen war, ein Brief mit einer Aufschrift an das Heidi, den man ihm auf der Post im Dörfli übergeben hatte."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2284,"orig":"Jetzt ſetzten ſich Alle voller Erwartung um den Tiſch herum und Heidi machte ſeinen Brief auf und las ihn laut und ohne Anſtoß vor.","norm":"Jetzt setzten sich alle voller Erwartung um den Tisch herum und Heidi machte seinen Brief auf und las ihn laut und ohne Anstoß vor."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2285,"orig":"Der Brief war von der Klara Seſemann geſchrieben.","norm":"Der Brief war von der Klara Sesemann geschrieben."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2286,"orig":"Sie erzählte Heidi, daß es ſeit ſeiner Abreiſe ſo langweilig geworden ſei in ihrem Hauſe, daß ſie es nicht lang hintereinander ſo aushalten könne und ſo lange den Vater gebeten habe, bis er die Reiſe in's Bad Ragatz ſchon auf den kommenden Herbſt feſtgeſtellt habe, und die Großmama wollte auch mitkommen, denn ſie wollte auch das Heidi und den Großvater beſuchen auf der Alm. Und weiter ließ die Großmama noch dem Heidi ſagen, es habe recht gethan, daß es der alten Großmutter die Brödchen habe mitbringen wollen, und damit ſie dieſe nicht trocken eſſen müſſe, komme gleich der Kaffee noch dazu, er ſei ſchon auf der Reiſe und wenn ſie ſelbſt nach der Alm komme, ſo müſſe das Heidi ſie auch zur Großmutter führen.","norm":"Sie erzählte Heidi, dass es seit seiner Abreise so langweilig geworden sei in ihrem Hause, dass sie es nicht lang hintereinander so aushalten könne und so lange den Vater gebeten habe, bis er die Reise ins Bad Ragaz schon auf den kommenden Herbst festgestellt habe, und die Großmama wollte auch mitkommen, denn sie wollte auch das Heidi und den Großvater besuchen auf der Alm. Und weiter ließ die Großmama noch dem Heidi sagen, es habe recht getan, dass es der alten Großmutter die Brötchen habe mitbringen wollen, und damit sie diese nicht trocken essen müsse, komme gleich der Kaffee noch dazu, er sei schon auf der Reise und wenn sie selbst nach der Alm komme, so müsse das Heidi sie auch zur Großmutter führen."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2287,"orig":"Da gab es nun eine ſolche Freude und Verwunderung über dieſe Nachrichten, und ſo viel zu reden und zu fragen, da die große Erwartung Alle gleich betraf, daß ſelbſt der Großvater nicht bemerkte, wie ſpät es ſchon war, und ſo vergnügt und fröhlich waren ſie Alle in der Ausſicht auf die kommenden Tage und faſt noch mehr in der Freude über das Zuſammenſein an dem heutigen, daß die Großmutter zuletzt ſagte: „Das Schönſte iſt doch, wenn ſo ein alter Freund kommt und uns wieder die Hand gibt, ſo wie vor langer Zeit; das gibt ſo ein tröſtliches Gefühl in's Herz, daß wir einmal Alles wiederfinden, was uns lieb iſt.","norm":"Da gab es nun eine solche Freude und Verwunderung über diese Nachrichten, und so viel zu reden und zu fragen, da die große Erwartung alle gleich betraf, dass selbst der Großvater nicht bemerkte, wie spät es schon war, und so vergnügt und fröhlich waren sie alle in der Aussicht auf die kommenden Tage und fast noch mehr in der Freude über das Zusammensein an dem heutigen, dass die Großmutter zuletzt sagte: „Das Schönste ist doch, wenn so ein alter Freund kommt und uns wieder die Hand gibt, so wie vor langer Zeit; das gibt so ein tröstliches Gefühl ins Herz, dass wir einmal alles wiederfinden, was uns lieb ist."} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2288,"orig":"Ihr kommt doch bald wieder, Oehi, und das Kind morgen ſchon?“","norm":"Ihr kommt doch bald wieder, Öhi, und das Kind morgen schon?“"} {"basename":"spyri_heidi_1880","par_idx":2289,"orig":"Das wurde der Großmutter in die Hand hinein verſprochen; nun aber war es Zeit zum Aufbruch, und der Großvater wanderte mit Heidi die Alm hinan, und wie am Morgen die hellen Glocken von Nah und Fern ſie heruntergerufen hatten, ſo begleitete nun aus dem Thale herauf das friedliche Geläut der Abendglocken ſie bis hinauf zur ſonnigen Almhütte, die ganz ſonntäglich im Abendſchimmer ihnen entgegenglänzte.","norm":"Das wurde der Großmutter in die Hand hinein versprochen; nun aber war es Zeit zum Aufbruch, und der Großvater wanderte mit Heidi die Alm hinan, und wie am Morgen die hellen Glocken von nah und fern sie heruntergerufen hatten, so begleitete nun aus dem Tale herauf das friedliche Geläut der Abendglocken sie bis hinauf zur sonnigen Almhütte, die ganz sonntäglich im Abendschimmer ihnen entgegenglänzte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":0,"orig":"An einem Spätherbſtnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann langſam die Straße hinab.","norm":"An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter wohlgekleideter Mann langsam die Straße hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":1,"orig":"Er ſchien von einem Spaziergange nach Hauſe zurückzukehren; denn ſeine Schnallenſchuhe, die einer vorübergegangenen Mode angehörten, waren beſtäubt.","norm":"Er schien von einem Spaziergange nach Hause zurückzukehren; denn seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen Mode angehörten, waren bestäubt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":2,"orig":"Den langen Rohrſtock mit goldenem Knopf trug er unter dem Arm; mit ſeinen dunkeln Augen, in welche ſich die ganze verlorene Jugend gerettet zu haben ſchien, und welche eigenthümlich von den ſchneeweißen Haaren abſtachen, ſah er ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendſonnendufte vor ihm lag.","norm":"Den langen Rohrstock mit goldenem Knopf trug er unter dem Arm; mit seinen dunkeln Augen, in welche sich die ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien, und welche eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, sah er ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm lag."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":3,"orig":"— Er ſchien faſt ein Fremder; denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur wenige, obgleich Mancher unwillkürlich in dieſe ernſten Augen zu ſehen gezwungen wurde.","norm":"— Er schien fast ein Fremder; denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur wenige, obgleich Mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu sehen gezwungen wurde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":4,"orig":"Endlich ſtand er vor einem hohen Giebelhauſe ſtill, ſah noch einmal in die Stadt hinaus, und trat dann in die Hausdiele.","norm":"Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause still, sah noch einmal in die Stadt hinaus, und trat dann in die Hausdiele."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":5,"orig":"Bei dem Schall der Thürglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenſter, welches nach der Diele hinausging, der grüne Vorhang weggeſchoben und das Geſicht einer alten Frau dahinter ſichtbar.","norm":"Bei dem Schall der Türglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenster, welches nach der Diele hinausging, der grüne Vorhang weggeschoben und das Gesicht einer alten Frau dahinter sichtbar."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":6,"orig":"Der Mann winkte ihr mit ſeinem Rohrſtock.","norm":"Der Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":7,"orig":"Noch kein Licht!","norm":"Noch kein Licht!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":8,"orig":"ſagte er in einem etwas ſüdlichen Accent; und die Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen.","norm":"sagte er in einem etwas südlichen Akzent; und die Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":9,"orig":"Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Peſel, wo große Eichſchränke mit Porzellanvaſen an den Wänden ſtanden; durch die gegenüberſtehende Thür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den obern Zimmern des Hinterhauſes führte.","norm":"Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, durch einen Pesel, wo große Eichschränke mit Porzellanvasen an den Wänden standen; durch die gegenüberstehende Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den oberen Zimmern des Hinterhauses führte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":10,"orig":"Er ſtieg ſie langſam hinauf, ſchloß oben eine Thür auf, und trat dann in ein mäßig großes Zimmer.","norm":"Er stieg sie langsam hinauf, schloss oben eine Tür auf, und trat dann in ein mäßig großes Zimmer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":11,"orig":"Hier war es heimlich und ſtill; die eine Wand war faſt mit Repoſitorien und Bücherſchränken bedeckt; an der andern hingen Bilder von Menſchen und Gegenden; vor einem Tiſch mit grüner Decke, auf dem einzelne aufgeſchlagene Bücher umherlagen, ſtand ein ſchwerfälliger Lehnſtuhl mit rothem Sammetkiſſen.","norm":"Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt; an der anderen hingen Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner Decke, auf dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein schwerfälliger Lehnstuhl mit rotem Samtkissen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":12,"orig":"— Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke geſtellt hatte, ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl und ſchien mit gefalteten Händen von ſeinem Spaziergange auszuruhen.","norm":"— Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange auszuruhen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":13,"orig":"— Wie er ſo ſaß, wurde es allmählig dunkler; endlich fiel ein Mondſtrahl durch die Fenſterſcheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif langſam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich.","norm":"— Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streife langsam weiterrückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":14,"orig":"Nun trat er über ein kleines Bild in ſchlichtem ſchwarzem Rahmen.","norm":"Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem schwarzem Rahmen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":15,"orig":"Eliſabeth!","norm":"Elisabeth!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":16,"orig":"ſagte der Alte leiſe; und wie er das Wort geſprochen, war die Zeit verwandelt; er war in ſeiner Jugend.","norm":"sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt; er war in seiner Jugend."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":17,"orig":"Bald trat die anmuthige Geſtalt eines kleinen Mädchens zu ihm.","norm":"Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":18,"orig":"Sie hieß Eliſabeth und mochte fünf Jahre zählen; er ſelbſt war doppelt ſo alt.","norm":"Sie hieß Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen; er selbst war doppelt so alt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":19,"orig":"Um den Hals trug ſie ein rothſeidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübſch zu den braunen Augen.","norm":"Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu den braunen Augen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":20,"orig":"Reinhardt!","norm":"Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":21,"orig":"rief ſie, wir haben frei, frei!","norm":"rief sie, wir haben frei, frei!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":22,"orig":"den ganzen Tag keine Schule, und morgen auch nicht.","norm":"Den ganzen Tag keine Schule, und morgen auch nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":23,"orig":"Reinhardt ſtellte die Rechentafel, die er ſchon unterm Arm hatte, flink hinter die Hausthür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten, und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wieſe.","norm":"Reinhardt stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink hinter die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten, und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":24,"orig":"Die unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zu Statten.","norm":"Die unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":25,"orig":"Reinhardt hatte hier mit Eliſabeths Hülfe ein Haus aus Raſenſtücken aufgeführt; darin wollten ſie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte noch die Bank.","norm":"Reinhardt hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus Rasenstücken aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte noch die Bank."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":26,"orig":"Nun ging er gleich an die Arbeit;","norm":"Nun ging er gleich an die Arbeit;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":27,"orig":"Nägel, Hammer und die nöthigen Bretter lagen ſchon bereit.","norm":"Nägel, Hammer und die nötigen Bretter lagen schon bereit."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":28,"orig":"Während deſſen ging Eliſabeth an dem Wall entlang und ſammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; davon wollte ſie ſich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhardt endlich trotz manches krumm geſchlagenen Nagels ſeine Bank dennoch zu Stande gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging ſie ſchon weit davon am andern Ende der Wieſe.","norm":"Währenddessen ging Elisabeth an dem Wall entlang und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhardt endlich trotz manches krummgeschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon weit davon am anderen Ende der Wiese."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":29,"orig":"Eliſabeth!","norm":"Elisabeth!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":30,"orig":"rief er, Eliſabeth!","norm":"rief er, Elisabeth!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":31,"orig":"und da kam ſie, und ihre Locken flogen.","norm":"und da kam sie, und ihre Locken flogen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":32,"orig":"Komm, ſagte er, nun iſt unſer Haus fertig.","norm":"Komme, sagte er, nun ist unser Haus fertig."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":33,"orig":"Du biſt ja ganz heiß geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank ſetzen.","norm":"Du bist ja ganz heiß geworden; komme herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":34,"orig":"Ich erzähl' dir etwas.","norm":"Ich erzähle dir etwas."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":35,"orig":"Dann gingen ſie beide hinein, und ſetzten ſich auf die neue Bank.","norm":"Dann gingen sie beide hinein, und setzten sich auf die neue Bank."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":36,"orig":"Eliſabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog ſie auf lange Bindfäden;","norm":"Elisabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange Bindfäden;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":37,"orig":"Reinhardt fing an zu erzählen:","norm":"Reinhardt fing an zu erzählen:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":38,"orig":"Es waren einmal drei","norm":"Es waren einmal drei"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":39,"orig":"Spinnfrauen — —","norm":"Spinnfrauen — —"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":40,"orig":"Ach, ſagte Eliſabeth, das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht immer daſſelbe erzählen.","norm":"Ach, sagte Elisabeth, das weiß ich ja auswendig; du musst auch nicht immer dasselbe erzählen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":41,"orig":"Da mußte Reinhardt die Geſchichte von den drei Spinnfrauen ſtecken laſſen, und ſtatt deſſen erzählte er die Geſchichte von dem armen Mann, der in die Löwengrube geworfen war.","norm":"Da musste Reinhardt die Geschichte von den drei Spinnfrauen steckenlassen, und stattdessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann, der in die Löwengrube geworfen war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":42,"orig":"Nun war es Nacht; ſagte er, weißt du?","norm":"Nun war es Nacht; sagte er, weißt du?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":43,"orig":"ganz finſtere, und die Löwen ſchliefen.","norm":"ganz finstere, und die Löwen schliefen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":44,"orig":"Mitunter aber gähnten ſie im Schlaf und reckten die rothen Zungen aus; dann ſchauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme.","norm":"Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, dass der Morgen komme."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":45,"orig":"Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufſah, ſtand ein Engel vor ihm.","norm":"Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufsah, stand ein Engel vor ihm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":46,"orig":"Der winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felſen hinein.","norm":"Der winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felsen hinein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":47,"orig":"Eliſabeth hatte aufmerkſam zugehört.","norm":"Elisabeth hatte aufmerksam zugehört."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":48,"orig":"Ein Engel?","norm":"Ein Engel?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":49,"orig":"ſagte ſie:","norm":"sagte sie:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":50,"orig":"Hatte er denn Flügel?","norm":"Hatte er denn Flügel?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":51,"orig":"Es iſt nur ſo eine Geſchichte; antwortete Reinhardt; es giebt ja gar keine Engel.","norm":"Es ist nur so eine Geschichte; antwortete Reinhardt; es gibt ja gar keine Engel."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":52,"orig":"O pfui, Reinhardt!","norm":"O pfui, Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":53,"orig":"ſagte ſie und ſah ihm ſtarr ins Geſicht.","norm":"sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":54,"orig":"Als er ſie aber finſter anblickte, fragte ſie ihn zweifelnd:","norm":"Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":55,"orig":"Warum ſagen ſie es denn immer?","norm":"Warum sagen sie es denn immer?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":56,"orig":"Mutter und Tante und auch in der Schule?","norm":"Mutter und Tante und auch in der Schule?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":57,"orig":"Das weiß ich nicht; antwortete er.","norm":"Das weiß ich nicht; antwortete er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":58,"orig":"Aber du, ſagte Eliſabeth, giebt es denn auch keine Löwen?","norm":"Aber du, sagte Elisabeth, gibt es denn auch keine Löwen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":59,"orig":"Löwen?","norm":"Löwen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":60,"orig":"Ob es Löwen giebt!","norm":"Ob es Löwen gibt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":61,"orig":"In Indien; da ſpannen die Götzenprieſter ſie vor den Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüſte.","norm":"In Indien; da spannen die Götzenpriester sie vor den Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":62,"orig":"Wenn ich groß bin, will ich einmal ſelber hin.","norm":"Wenn ich groß bin, will ich einmal selber hin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":63,"orig":"Da iſt es viel tauſendmal ſchöner als hier bei uns; da giebt es gar keinen Winter.","norm":"Da ist es vieltausendmal schöner als hier bei uns; da gibt es gar keinen Winter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":64,"orig":"Du mußt auch mit mir.","norm":"Du musst auch mit mir."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":65,"orig":"Willſt du?","norm":"Willst du?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":66,"orig":"Ja, ſagte Eliſabeth; aber Mutter muß dann auch mit, und deine Mutter auch.","norm":"Ja, sagte Elisabeth; aber Mutter muss dann auch mit, und deine Mutter auch."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":67,"orig":"Nein, ſagte Reinhardt; die ſind dann zu alt, die können nicht mit.","norm":"Nein, sagte Reinhardt; die sind dann zu alt, die können nicht mit."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":68,"orig":"Ich darf aber nicht allein.","norm":"Ich darf aber nicht allein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":69,"orig":"Du ſollſt ſchon dürfen; du wirſt dann wirklich meine Frau, und dann haben die Andern dir nichts zu befehlen.","norm":"Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann haben die Anderen dir nichts zu befehlen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":70,"orig":"Aber meine Mutter wird weinen.","norm":"Aber meine Mutter wird weinen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":71,"orig":"Wir kommen ja wieder, ſagte Reinhardt heftig; ſag es nur gerade heraus, willſt du mit mir reiſen?","norm":"Wir kommen ja wieder, sagte Reinhardt heftig; sage es nur geradeheraus, willst du mit mir reisen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":72,"orig":"Sonſt geh ich allein; und dann komme ich nimmer wieder.","norm":"Sonst gehe ich allein; und dann komme ich nimmer wieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":73,"orig":"Der Kleinen kam das Weinen nahe.","norm":"Der Kleinen kam das Weinen nahe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":74,"orig":"Mach nur nicht ſo böſe Augen, ſagte ſie; ich will ja mit nach Indien.","norm":"Mache nur nicht so böse Augen, sagte sie; ich will ja mit nach Indien."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":75,"orig":"Reinhardt faßte ſie mit ausgelaſſener Freude bei beiden Händen, und zog ſie hinaus auf die Wieſe.","norm":"Reinhardt fasste sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen, und zog sie hinaus auf die Wiese."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":76,"orig":"Nach Indien, nach Indien!","norm":"Nach Indien, nach Indien!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":77,"orig":"ſang er und ſchwenkte ſich mit ihr im Kreiſe, daß ihr das rothe Tüchelchen vom Halſe flog.","norm":"sang er und schwenkte sich mit ihr im Kreise, dass ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":78,"orig":"Dann aber ließ er ſie plötzlich los und ſagte ernſt:","norm":"Dann aber ließ er sie plötzlich los und sagte ernst:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":79,"orig":"Es wird doch nichts daraus werden; du haſt keine Courage.","norm":"Es wird doch nichts daraus werden; du hast keine Courage."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":80,"orig":"— — Eliſabeth!","norm":"— — Elisabeth!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":81,"orig":"Reinhardt!","norm":"Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":82,"orig":"rief es jetzt von der","norm":"rief es jetzt von der"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":83,"orig":"Gartenpforte.","norm":"Gartenpforte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":84,"orig":"Hier!","norm":"Hier!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":85,"orig":"Hier!","norm":"Hier!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":86,"orig":"antworteten die Kinder, und ſprangen Hand in Hand nach Hauſe.","norm":"antworteten die Kinder, und sprangen Hand in Hand nach Hause."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":87,"orig":"So lebten die Kinder zuſammen; ſie war ihm oft zu ſtill, er war ihr oft zu heftig, aber ſie ließen deshalb nicht von einander; faſt alle Freiſtunden theilten ſie, Winters in den beſchränkten Zimmern ihrer Mütter;","norm":"So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft zu heftig, aber sie ließen deshalb nicht voneinander; fast alle Freistunden teilten sie, Winters in den beschränkten Zimmern ihrer Mütter;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":88,"orig":"Sommers in Buſch und Feld.","norm":"Sommers in Busch und Feld."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":89,"orig":"— Als Eliſabeth einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schullehrer geſcholten wurde, ſtieß er ſeine Tafel zornig auf den Tiſch, um den Eifer des Mannes auf ſich zu lenken.","norm":"— Als Elisabeth einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schullehrer gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den Eifer des Mannes auf sich zu lenken."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":90,"orig":"Es wurde nicht bemerkt.","norm":"Es wurde nicht bemerkt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":91,"orig":"Aber Reinhardt verlor alle Aufmerkſamkeit an den geographiſchen Vorträgen; ſtatt deſſen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er ſich ſelbſt mit einem jungen Adler, den Schulmeiſter mit einer grauen Krähe, Eliſabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte, an der grauen Krähe Rache zu nehmen, ſobald ihm die Flügel gewachſen ſein würden.","norm":"Aber Reinhardt verlor alle Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; stattdessen verfasste er ein langes Gedicht; darin verglich er sich selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte, an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein würden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":92,"orig":"Dem jungen Dichter ſtanden die Thränen in den Augen; er kam ſich ſehr erhaben vor.","norm":"Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr erhaben vor."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":93,"orig":"Als er nach Hauſe gekommen war, wußte er ſich einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verſchaffen; auf die erſten Seiten ſchrieb er mit ſorgſamer Hand ſein erſtes Gedicht.","norm":"Als er nach Hause gekommen war, wusste er sich einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":94,"orig":"— Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier ſchloß er manche neue Kameradſchaft mit Knaben ſeines Alters; aber ſein Verkehr mit Eliſabeth wurde dadurch nicht geſtört.","norm":"— Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloss er manche neue Kameradschaft mit Knaben seines Alters; aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde dadurch nicht gestört."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":95,"orig":"Von den Märchen, welche er ihr ſonſt erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am beſten gefallen hatten, aufzuſchreiben; dabei wandelte ihn oft die Luſt an, etwas von ſeinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen.","norm":"Von den Märchen, welche er ihr sonst erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am besten gefallen hatten, aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wusste nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":96,"orig":"So ſchrieb er ſie genau auf, wie er ſie ſelber gehört hatte.","norm":"So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":97,"orig":"Dann gab er die Blätter an Eliſabeth, die ſie in einem Schubfach ihrer Schatulle ſorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmuthige Befriedigung, wenn er ſie mitunter Abends dieſe Geſchichten in ſeiner Gegenwart aus den von ihm geſchriebenen Heften ihrer Mutter vorleſen hörte.","norm":"Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige Befriedigung, wenn er sie mitunter Abends diese Geschichten in seiner Gegenwart aus den von ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":98,"orig":"Sieben Jahre waren vorüber.","norm":"Sieben Jahre waren vorüber."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":99,"orig":"Reinhardt ſollte zu ſeiner weiteren Ausbildung die Stadt verlaſſen.","norm":"Reinhardt sollte zu seiner weiteren Ausbildung die Stadt verlassen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":100,"orig":"Eliſabeth konnte ſich nicht in den Gedanken finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben werde.","norm":"Elisabeth konnte sich nicht in den Gedanken finden, dass es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben werde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":101,"orig":"Es freute ſie, als er ihr eines Tages ſagte, er werde, wie ſonſt, Märchen für ſie aufſchreiben; er wolle ſie ihr mit den Briefen an ſeine Mutter ſchicken; ſie müſſe ihm dann wieder ſchreiben, wie ſie ihr gefallen hätten.","norm":"Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte, er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit den Briefen an seine Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr gefallen hätten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":102,"orig":"Die Abreiſe rückte heran; vorher aber kam noch mancher Reim in den Pergamentband.","norm":"Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher Reim in den Pergamentband."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":103,"orig":"Das allein war für Eliſabeth ein Geheimniß, obgleich ſie die Veranlaſſung zu dem ganzen Buche und zu den meiſten Liedern war, welche nach und nach faſt die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten.","norm":"Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, obgleich sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten Liedern war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":104,"orig":"Es war im Juni;","norm":"Es war im Juni;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":105,"orig":"Reinhardt ſollte am anderen Tage reiſen.","norm":"Reinhardt sollte am anderen Tage reisen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":106,"orig":"Nun wollte man noch einmal einen feſtlichen Tag zuſammen begehen.","norm":"Nun wollte man noch einmal einen festlichen Tag zusammen begehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":107,"orig":"Dazu wurde eine Landpartie nach einer der nahbelegenen Holzungen in größerer Geſellſchaft veranſtaltet.","norm":"Dazu wurde eine Landpartie nach einer der nahegelegenen Holzungen in größerer Gesellschaft veranstaltet."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":108,"orig":"Der ſtundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe herunter und marſchirte weiter.","norm":"Der stundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe herunter und marschierte weiter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":109,"orig":"Ein Tannengehölz mußte zuerſt durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit ſeinen Nadeln beſtreut.","norm":"Ein Tannengehölz musste zuerst durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit feinen Nadeln bestreut."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":110,"orig":"Nach halbſtündigem Wandern kam man aus dem Tannendunkel in eine friſche Buchenwaldung; hier war alles licht und grün, mitunter brach ein Sonnenſtrahl durch die blätterreichen Zweige; ein Eichkätzchen ſprang über ihren Köpfen von Aſt zu Aſt.","norm":"Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und grün, mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":111,"orig":"— Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem durchſichtigen Laubgewölbe zuſammenwuchſen, machte die Geſellſchaft Halt.","norm":"— Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft Halt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":112,"orig":"Eliſabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf ſich zum Proviantmeiſter auf.","norm":"Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf sich zum Proviantmeister auf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":113,"orig":"Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!","norm":"Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":114,"orig":"rief er, und merket genau, was ich euch zu ſagen habe.","norm":"rief er, und merket genau, was ich euch zu sagen habe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":115,"orig":"Zum Frühſtück erhält jetzt ein Jeder von euch zwei trockene Wecken; die Butter iſt zu Hauſe geblieben, die Zukoſt muß ſich ein Jeder ſelber ſuchen.","norm":"Zum Frühstück erhält jetzt ein Jeder von euch zwei trockene Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben, die Zukost muss sich ein Jeder selber suchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":116,"orig":"Es ſtehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der ſie zu finden weiß.","norm":"Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der sie zu finden weiß."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":117,"orig":"Wer ungeſchickt iſt, muß ſein Brod trocken eſſen; ſo geht es überall im Leben.","norm":"Wer ungeschickt ist, muss sein Brot trocken essen; so geht es überall im Leben."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":118,"orig":"Habt ihr meine Rede begriffen?","norm":"Habt ihr meine Rede begriffen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":119,"orig":"Ja wohl!","norm":"Jawohl!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":120,"orig":"riefen die Jungen.","norm":"riefen die Jungen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":121,"orig":"Ja ſeht, ſagte der Alte, ſie iſt aber noch nicht zu Ende.","norm":"Ja seht, sagte der Alte, sie ist aber noch nicht zu Ende."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":122,"orig":"Wir Alten haben uns im Leben ſchon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das heißt, hier unter dieſen breiten Bäumen, und ſchälen die Kartoffeln, und machen Feuer und rüſten die Tafel, und wenn die Uhr zwölf iſt, ſollen auch die Eier gekocht werden.","norm":"Wir Alten haben uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die Kartoffeln, und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr zwölf ist, sollen auch die Eier gekocht werden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":123,"orig":"Dafür ſeid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte ſchuldig, damit wir auch einen Nachtiſch ſerviren können.","norm":"Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir auch einen Nachtisch servieren können."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":124,"orig":"Und nun geht nach Oſt und Weſt und ſeid ehrlich!","norm":"Und nun geht nach Ost und West und seid ehrlich!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":125,"orig":"Die Jungen machten allerlei ſchelmiſche Geſichter.","norm":"Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":126,"orig":"Halt!","norm":"Halt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":127,"orig":"rief der alte Herr noch einmal.","norm":"rief der alte Herr noch einmal."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":128,"orig":"Das brauche ich euch wohl nicht zu ſagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das ſchreibt euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts.","norm":"Das brauche ich euch wohl nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das schreibt euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":129,"orig":"Und nun habt ihr für dieſen Tag gute Lehren genug; wenn ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, ſo werdet ihr für heute ſchon durchs Leben kommen.","norm":"Und nun habt ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, so werdet ihr für heute schon durchs Leben kommen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":130,"orig":"Die Jungen waren derſelben Meinung, und begannen ſich paarweiſe auf die Fahrt zu machen.","norm":"Die Jungen waren derselben Meinung, und begannen sich paarweise auf die Fahrt zu machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":131,"orig":"Komm, Eliſabeth, ſagte Reinhardt, ich weiß einen Erdbeerenſchlag; du ſollſt kein trocknes Brod eſſen.","norm":"Komme, Elisabeth, sagte Reinhardt, ich weiß einen Erdbeerenschlag; du sollst kein trockenes Brot essen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":132,"orig":"Eliſabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhuts zuſammen, und hing ihn über den Arm.","norm":"Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhutes zusammen, und hing ihn über den Arm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":133,"orig":"So komm, ſagte ſie, der Korb iſt fertig.","norm":"So komme, sagte sie, der Korb ist fertig."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":134,"orig":"Dann gingen ſie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte undurchdringliche Baumſchatten, wo Alles ſtill war, nur unſichtbar über ihnen in den Lüften das Geſchrei der Falken; dann wieder durch dichtes Geſtrüpp, ſo dicht, daß Reinhardt vorangehen mußte, um einen Pfad zu machen, hier einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke bei Seite zu biegen.","norm":"Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte undurchdringliche Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den Lüften das Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so dicht, dass Reinhardt vorangehen musste, um einen Pfad zu machen, hier einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke beiseite zu biegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":135,"orig":"Bald aber hörte er hinter ſich Eliſabeth ſeinen Namen rufen.","norm":"Bald aber hörte er hinter sich Elisabeth seinen Namen rufen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":136,"orig":"Er wandte ſich um.","norm":"Er wandte sich um."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":137,"orig":"Reinhardt!","norm":"Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":138,"orig":"rief ſie, warte doch, Reinhardt!","norm":"rief sie, Warte doch, Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":139,"orig":"— Er konnte ſie nicht gewahr werden; endlich ſah, er ſie in einiger Entfernung mit den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen ſchwamm nur kaum über den Spitzen der Farrenkräuter.","norm":"— Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah, er sie in einiger Entfernung mit den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur kaum über den Spitzen der Farnkräuter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":140,"orig":"Nun ging er noch einmal zurück, und führte ſie durch das Wirrniß der Kräuter und Stauden auf einen freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwiſchen den einſamen Waldblumen flatterten.","norm":"Nun ging er noch einmal zurück, und führte sie durch das Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwischen den einsamen Waldblumen flatterten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":141,"orig":"Reinhardt ſtrich ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten Geſichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufſetzen, und ſie wollte es nicht leiden; aber dann bat er ſie, und dann ließ ſie es doch geſchehen.","norm":"Reinhardt strich ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen, und sie wollte es nicht leiden; aber dann bat er sie, und dann ließ sie es doch geschehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":142,"orig":"Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?","norm":"Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":143,"orig":"fragte ſie endlich, indem ſie ſtehen blieb und einen tiefen Athemzug that.","norm":"fragte sie endlich, indem sie stehenblieb und einen tiefen Atemzug tat."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":144,"orig":"Hier haben ſie geſtanden, ſagte er; aber die Kröten ſind uns zuvorgekommen, oder die Marder, oder vielleicht die Elfen.","norm":"Hier haben sie gestanden, sagte er; aber die Kröten sind uns zuvorgekommen, oder die Marder, oder vielleicht die Elfen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":145,"orig":"Ja, ſagte Eliſabeth, die Blätter ſtehen noch da; aber ſprich hier nicht von Elfen.","norm":"Ja, sagte Elisabeth, die Blätter stehen noch da; aber sprich hier nicht von Elfen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":146,"orig":"Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen weiter ſuchen.","norm":"Komme nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen weitersuchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":147,"orig":"Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenſeits wieder der Wald.","norm":"Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":148,"orig":"Reinhardt hob Eliſabeth auf ſeine Arme und trug ſie hinüber.","norm":"Reinhardt hob Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":149,"orig":"Nach einer Weile traten ſie aus dem ſchattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus.","norm":"Nach einer Weile traten sie aus dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":150,"orig":"Hier müſſen Erdbeeren ſein, ſagte das Mädchen, es duftet ſo ſüß.","norm":"Hier müssen Erdbeeren sein, sagte das Mädchen, es duftet so süß."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":151,"orig":"Sie gingen ſuchend durch den ſonnigen Raum; aber ſie fanden keine.","norm":"Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":152,"orig":"Nein, ſagte Reinhardt, es iſt nur der Duft des Haidekrauts.","norm":"Nein, sagte Reinhardt, es ist nur der Duft des Heidekrautes."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":153,"orig":"Himbeerbüſche und Hülſendorn ſtanden überall durch einander, ein ſtarker Geruch von Haidekräutern, welche abwechſelnd mit kurzem Graſe die freien Stellen des Bodens bedeckten, erfüllte die Luft.","norm":"Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander, ein starker Geruch von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die freien Stellen des Bodens bedeckten, erfüllte die Luft."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":154,"orig":"Hier iſt es einſam, ſagte Eliſabeth; wo mögen die Andern ſein?","norm":"Hier ist es einsam, sagte Elisabeth; wo mögen die Anderen sein?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":155,"orig":"An den Rückweg hatte Reinhardt nicht gedacht.","norm":"An den Rückweg hatte Reinhardt nicht gedacht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":156,"orig":"Warte nur; woher kommt der Wind?","norm":"Warte nur; woher kommt der Wind?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":157,"orig":"ſagte er, und hob ſeine Hand in die Höhe.","norm":"sagte er, und hob seine Hand in die Höhe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":158,"orig":"Aber es kam kein Wind.","norm":"Aber es kam kein Wind."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":159,"orig":"Still, ſagte Eliſabeth, mich dünkt, ich hörte ſie ſprechen.","norm":"Still, sagte Elisabeth, mich dünkt, ich hörte sie sprechen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":160,"orig":"Rufe einmal dahinunter.","norm":"Rufe einmal dahinunter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":161,"orig":"Reinhardt rief durch die hohle Hand:","norm":"Reinhardt rief durch die hohle Hand:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":162,"orig":"Kommt hierher!","norm":"Kommt hierher!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":163,"orig":"— Hierher!","norm":"— Hierher!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":164,"orig":"rief es zurück.","norm":"rief es zurück."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":165,"orig":"Sie antworten!","norm":"Sie antworten!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":166,"orig":"ſagte Eliſabeth und klatſchte in die Hände.","norm":"sagte Elisabeth und klatschte in die Hände."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":167,"orig":"Nein, es war nichts, es war nur der Wiederhall.","norm":"Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":168,"orig":"Eliſabeth faßte Reinhardts Hand.","norm":"Elisabeth fasste Reinhardts Hand."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":169,"orig":"Mir graut!","norm":"Mir graut!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":170,"orig":"ſagte ſie.","norm":"sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":171,"orig":"Nein, ſagte Reinhardt, das muß es nicht.","norm":"Nein, sagte Reinhardt, das muss es nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":172,"orig":"Hier iſt es prächtig.","norm":"Hier ist es prächtig."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":173,"orig":"Setz dich dort in den Schatten zwiſchen die Kräuter.","norm":"Setze dich dort in den Schatten zwischen die Kräuter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":174,"orig":"Laß uns eine Weile ausruhen; wir finden die Andern ſchon.","norm":"Lass uns eine Weile ausruhen; wir finden die Anderen schon."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":175,"orig":"Eliſabeth ſetzte ſich unter eine überhängende Buche und lauſchte aufmerkſam nach allen Seiten;","norm":"Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte aufmerksam nach allen Seiten;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":176,"orig":"Reinhardt ſaß einige Schritte davon auf einem Baumſtumpf und ſah ſchweigend nach ihr hinüber.","norm":"Reinhardt saß einige Schritte davon auf einem Baumstumpf und sah schweigend nach ihr hinüber."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":177,"orig":"Die Sonne ſtand gerade über ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, ſtahlblaue Fliegen ſtanden flügelſchwingend in der Luft; rings um ſie her ein feines Schwirren und Summen, und manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreiſchen der andern Waldvögel.","norm":"Die Sonne stand gerade über ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, stahlblaue Fliegen standen flügelschwingend in der Luft; rings um sie her ein feines Schwirren und Summen, und manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen der anderen Waldvögel."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":178,"orig":"Horch, ſagte Eliſabeth, es läutet.","norm":"Horch, sagte Elisabeth, es läutet."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":179,"orig":"Wo?","norm":"Wo?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":180,"orig":"fragte Reinhardt.","norm":"fragte Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":181,"orig":"Hinter uns.","norm":"Hinter uns."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":182,"orig":"Hörſt du?","norm":"Hörst du?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":183,"orig":"Es iſt Mittag.","norm":"Es ist Mittag."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":184,"orig":"Dann liegt hinter uns die Stadt; und wenn wir in dieſer Richtung gerade durchgehen, ſo müſſen wir die Andern treffen.","norm":"Dann liegt hinter uns die Stadt; und wenn wir in dieser Richtung gerade durchgehen, so müssen wir die Anderen treffen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":185,"orig":"So traten ſie ihren Rückweg an; das Erdbeerenſuchen hatten ſie aufgegeben, denn Eliſabeth war müde geworden.","norm":"So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten sie aufgegeben, denn Elisabeth war müde geworden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":186,"orig":"Endlich klang zwiſchen den Bäumen hindurch das Lachen der Geſellſchaft; dann ſahen ſie auch ein weißes Tuch am Boden ſchimmern, das war die Tafel, und darauf ſtanden Erdbeeren in Hülle und Fülle.","norm":"Endlich klang zwischen den Bäumen hindurch das Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch ein weißes Tuch am Boden schimmern, das war die Tafel, und darauf standen Erdbeeren in Hülle und Fülle."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":187,"orig":"Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopfloch und den Jungen die Fortſetzung ſeiner moraliſchen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchirte.","norm":"Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopfloch und den Jungen die Fortsetzung seiner moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchierte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":188,"orig":"Da ſind die Nachzügler!","norm":"Da sind die Nachzügler!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":189,"orig":"riefen die Jungen, als ſie Reinhardt und Eliſabeth durch die Bäume kommen ſahen.","norm":"riefen die Jungen, als sie Reinhardt und Elisabeth durch die Bäume kommen sahen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":190,"orig":"Hierher!","norm":"Hierher!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":191,"orig":"rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt!","norm":"rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":192,"orig":"Nun zeigt her, was ihr gefunden habt.","norm":"Nun zeigt her, was ihr gefunden habt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":193,"orig":"Hunger und Durſt!","norm":"Hunger und Durst!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":194,"orig":"ſagte Reinhardt.","norm":"sagte Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":195,"orig":"Wenn das Alles iſt, erwiderte der Alte, und hob ihnen die volle Schüſſel entgegen, ſo müßt ihr es auch behalten.","norm":"Wenn das alles ist, erwiderte der Alte, und hob ihnen die volle Schüssel entgegen, so müsst ihr es auch behalten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":196,"orig":"Ihr kennt die Abrede; hier werden keine Müßiggänger gefüttert.","norm":"Ihr kennt die Abrede; hier werden keine Müßiggänger gefüttert."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":197,"orig":"Endlich ließ er ſich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu ſchlug die Droſſel aus den Wachholderbüſchen.","norm":"Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":198,"orig":"So ging der Tag hin.","norm":"So ging der Tag hin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":199,"orig":"— Reinhardt hatte aber doch etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, ſo war es doch auch im Walde gewachſen.","norm":"— Reinhardt hatte aber doch etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":200,"orig":"AIs er nach Hauſe gekommen war, ſchrieb er in ſeinen alten Pergamentband:","norm":"Als er nach Hause gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":201,"orig":"Hier an der Bergeshalde Verſtummet ganz der Wind;","norm":"Hier an der Bergeshalde Verstummet ganz der Wind;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":202,"orig":"Die Zweige hängen nieder, Darunter ſitzt das Kind.","norm":"Die Zweige hängen nieder, darunter sitzt das Kind."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":203,"orig":"Sie ſitzt im Thymiane, Sie ſitzt in lauter Duft;","norm":"Sie sitzt im Thymiane, Sie sitzt in lauter Duft;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":204,"orig":"Die blauen Fliegen ſummen Und blitzen durch die Luft.","norm":"Die blauen Fliegen summen und blitzen durch die Luft."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":205,"orig":"Es ſteht der Wald ſo ſchweigend, Sie ſchaut ſo klug darein;","norm":"Es steht der Wald so schweigend, Sie schaut so klug darein;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":206,"orig":"Um ihre braunen Locken Hinfließt der Sonnenſchein.","norm":"Um ihre braunen Locken Hinfließt der Sonnenschein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":207,"orig":"Der Kuckuck lacht von ferne, Es geht mir durch den Sinn:","norm":"Der Kuckuck lacht von ferne, es geht mir durch den Sinn:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":208,"orig":"Sie hat die goldnen Augen Der Waldeskönigin.","norm":"Sie hat die goldenen Augen der Waldeskönigin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":209,"orig":"So war ſie nicht allein ſein Schützling; ſie war ihm auch der Ausdruck für alles Liebliche und Wunderbare ſeines aufgehenden Lebens.","norm":"So war sie nicht allein sein Schützling; sie war ihm auch der Ausdruck für alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":210,"orig":"Weihnachtabend kam heran.","norm":"Weihnachtabend kam heran."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":211,"orig":"— Es war noch Nachmittags, als Reinhardt mit andern Studenten im Rathskeller am alten Eichentiſch zuſammen ſaß.","norm":"— Es war noch Nachmittags, als Reinhardt mit anderen Studenten im Ratskeller am alten Eichentisch zusammensaß."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":212,"orig":"Die Lampen an den Wänden waren angezündet, denn hier unten dämmerte es ſchon; aber die Gäſte waren ſparſam verſammelt, die Kellner lehnten müßig an den Mauerpfeilern.","norm":"Die Lampen an den Wänden waren angezündet, denn hier unten dämmerte es schon; aber die Gäste waren sparsam versammelt, die Kellner lehnten müßig an den Mauerpfeilern."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":213,"orig":"In einem Winkel des Gewölbes ſaßen ein Geigenſpieler und ein Zittermädchen mit feinen zigeunerhaften Zügen; ſie hatten ihre Inſtrumente auf dem Schooß liegen und ſchienen theilnahmlos vor ſich hin zu ſehen.","norm":"In einem Winkel des Gewölbes saßen ein Geigenspieler und ein Zithermädchen mit feinen zigeunerhaften Zügen; sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoß liegen und schienen teilnahmslos vor sich hinzusehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":214,"orig":"Am Studententiſche knallte ein Champagnerpfropfen.","norm":"Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":215,"orig":"Trinke, mein böhmiſch Liebchen!","norm":"Trinke, mein böhmisch Liebchen!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":216,"orig":"rief ein junger Mann von junkerhaftem Aeußern, indem er ein volles Glas zu dem Mädchen hinüberreichte.","norm":"rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußeren, indem er ein volles Glas zu dem Mädchen hinüberreichte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":217,"orig":"Ich mag nicht, ſagte ſie, ohne ihre Stellung zu verändern.","norm":"Ich mag nicht, sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":218,"orig":"So ſinge!","norm":"So singe!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":219,"orig":"rief der Junker, und warf ihr eine Silbermünze in den Schooß.","norm":"rief der Junker, und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":220,"orig":"Das Mädchen ſtrich ſich langſam mit den Fingern durch ihr ſchwarzes Haar, während der Geigenſpieler ihr ins Ohr flüſterte; aber ſie warf den Kopf zurück, und ſtützte das Kinn auf ihre Zitter.","norm":"Das Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes Haar, während der Geigenspieler ihr ins Ohr flüsterte; aber sie warf den Kopf zurück, und stützte das Kinn auf ihre Zither."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":221,"orig":"Für den ſpiel' ich nicht, ſagte ſie.","norm":"Für den spiele ich nicht, sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":222,"orig":"Reinhardt ſprang mit dem Glaſe in der Hand auf, und ſtellte ſich vor ſie.","norm":"Reinhardt sprang mit dem Glase in der Hand auf, und stellte sich vor sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":223,"orig":"Was willſt du?","norm":"Was willst du?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":224,"orig":"fragte ſie trotzig.","norm":"fragte sie trotzig."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":225,"orig":"Deine Augen ſehn.","norm":"Deine Augen sehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":226,"orig":"Was gehn dich meine Augen an?","norm":"Was gehen dich meine Augen an?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":227,"orig":"Reinhardt ſah funkelnd auf ſie nieder.","norm":"Reinhardt sah funkelnd auf sie nieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":228,"orig":"Ich weiß wohl, ſie ſind falſch!","norm":"Ich weiß wohl, sie sind falsch!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":229,"orig":"— Sie legte ihre Wange in die flache Hand, und ſah ihn lauernd an.","norm":"— Sie legte ihre Wange in die flache Hand, und sah ihn lauernd an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":230,"orig":"Reinhardt hob ſein Glas an den Mund.","norm":"Reinhardt hob sein Glas an den Mund."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":231,"orig":"Auf deine ſchönen, ſündhaften Augen!","norm":"Auf deine schönen, sündhaften Augen!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":232,"orig":"ſagte er, und trank.","norm":"sagte er, und trank."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":233,"orig":"Sie lachte, und warf den Kopf herum.","norm":"Sie lachte, und warf den Kopf herum."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":234,"orig":"Gieb!","norm":"Gib!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":235,"orig":"ſagte ſie; und indem ſie ihre ſchwarzen Augen in die ſeinen heftete, trank ſie langſam den Reſt.","norm":"sagte sie; und indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen heftete, trank sie langsam den Rest."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":236,"orig":"Dann griff ſie einen Dreiklang und ſang mit tiefer leidenſchaftlicher Stimme:","norm":"Dann griff sie einen Dreiklang und sang mit tiefer leidenschaftlicher Stimme:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":237,"orig":"Heute, nur heute Bin ich ſo ſchön;","norm":"Heute, nur heute bin ich so schön;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":238,"orig":"Morgen, ach morgen Muß Alles vergehn!","norm":"Morgen, ach morgen muss alles vergehen!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":239,"orig":"Nur dieſe Stunde Biſt du noch mein;","norm":"Nur diese Stunde bist du noch mein;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":240,"orig":"Sterben, ach ſterben Soll ich allein.","norm":"Sterben, ach sterben Soll ich allein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":241,"orig":"Während der Geigenſpieler in raſchem Tempo das Nachſpiel einſetzte, geſellte ſich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe.","norm":"Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte, gesellte sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":242,"orig":"Ich wollte dich abholen, Reinhardt; ſagte er.","norm":"Ich wollte dich abholen, Reinhardt; sagte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":243,"orig":"Du warſt ſchon fort; aber das Chriſtkind war bei dir eingekehrt.","norm":"Du warst schon fort; aber das Christkind war bei dir eingekehrt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":244,"orig":"Das Chriſtkind?","norm":"Das Christkind?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":245,"orig":"ſagte Reinhardt, das kommt nicht mehr zu mir.","norm":"sagte Reinhardt, das kommt nicht mehr zu mir."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":246,"orig":"Ei was!","norm":"Ei was!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":247,"orig":"Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen.","norm":"Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":248,"orig":"Reinhardt ſetzte das Glas aus der Hand und griff nach ſeiner Mütze.","norm":"Reinhardt setzte das Glas aus der Hand und griff nach seiner Mütze."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":249,"orig":"Was willſt du?","norm":"Was willst du?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":250,"orig":"fragte das Mädchen.","norm":"fragte das Mädchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":251,"orig":"Ich komme ſchon wieder.","norm":"Ich komme schon wieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":252,"orig":"Sie runzelte die Stirn.","norm":"Sie runzelte die Stirn."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":253,"orig":"Bleib!","norm":"Bleib!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":254,"orig":"rief ſie leiſe, und ſah ihn vertraulich an.","norm":"rief sie leise, und sah ihn vertraulich an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":255,"orig":"Reinhardt zögerte.","norm":"Reinhardt zögerte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":256,"orig":"Ich kann nicht, ſagte er.","norm":"Ich kann nicht, sagte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":257,"orig":"Sie ſtieß ihn lachend mit der Fußſpitze.","norm":"Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":258,"orig":"Geh!","norm":"Gehe!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":259,"orig":"ſagte ſie.","norm":"sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":260,"orig":"Du taugſt nichts; ihr taugt alle mit einander nichts.","norm":"Du taugst nichts; ihr taugt alle miteinander nichts."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":261,"orig":"Und während ſie ſich abwandte, ſtieg Reinhardt langſam die Kellertreppe hinauf.","norm":"Und während sie sich abwandte, stieg Reinhardt langsam die Kellertreppe hinauf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":262,"orig":"Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die friſche Winterluft an ſeiner heißen Stirn.","norm":"Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische Winterluft an seiner heißen Stirn."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":263,"orig":"Hie und da fiel der helle Schein eines brennenden Tannenbaums aus den Fenſtern, dann und wann hörte man von drinnen das Geräuſch von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und dazwiſchen jubelnde Kinderſtimmen.","norm":"Hie und da fiel der helle Schein eines brennenden Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man von drinnen das Geräusch von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und dazwischen jubelnde Kinderstimmen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":264,"orig":"Schaaren von Bettelkindern gingen von Haus zu Haus, oder ſtiegen auf die Treppengeländer und ſuchten durch die Fenſter einen Blick in die verſagte Herrlichkeit zu gewinnen.","norm":"Scharen von Bettelkindern gingen von Haus zu Haus, oder stiegen auf die Treppengeländer und suchten durch die Fenster einen Blick in die versagte Herrlichkeit zu gewinnen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":265,"orig":"Mitunter wurde auch eine Thür plötzlich aufgeriſſen und ſcheltende Stimmen trieben einen ganzen Schwarm ſolcher kleinen Gäſte aus dem hellen Hauſe auf die dunkle Gaſſe hinaus; anderswo wurde auf dem Hauſflur ein altes Weihnachtslied geſungen; es waren klare Mädchenſtimmen darunter.","norm":"Mitunter wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen und scheltende Stimmen trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus dem hellen Hause auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":266,"orig":"Reinhardt hörte ſie nicht, er ging raſch an Allem vorüber, aus einer Straße in die andere.","norm":"Reinhardt hörte sie nicht, er ging rasch an allem vorüber, aus einer Straße in die andere."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":267,"orig":"Als er an ſeine Wohnung gekommen, war es faſt völlig dunkel geworden: er ſtolperte die Treppe hinauf und trat in ſeine Stube.","norm":"Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast völlig dunkel geworden: Er stolperte die Treppe hinauf und trat in seine Stube."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":268,"orig":"Ein ſüßer Duft ſchlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsſtube.","norm":"Ein süßer Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":269,"orig":"Mit zitternder Hand zündete er ſein Licht an; da lag ein mächtiges Packet auf dem Tiſch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Feſtkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchſtaben ſeines Namens in Zucker ausgeſtreut; das konnte Niemand anders als Eliſabeth gethan haben.","norm":"Mit zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein mächtiges Paket auf dem Tisch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines Namens in Zucker ausgestreut; das konnte niemand anders als Elisabeth getan haben."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":270,"orig":"Dann kam ein Päckchen mit feiner geſtickter Wäſche zum Vorſchein, Tücher und Manſchetten, zuletzt Briefe von der Mutter und von Eliſabeth.","norm":"Dann kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und von Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":271,"orig":"Reinhardt öffnete zuerſt den letzteren;","norm":"Reinhardt öffnete zuerst den letzteren;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":272,"orig":"Eliſabeth ſchrieb:","norm":"Elisabeth schrieb:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":273,"orig":"Die ſchönen Zuckerbuchſtaben können dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; dieſelbe Perſon hat die Manſchetten für dich geſtickt.","norm":"Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich gestickt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":274,"orig":"Bei uns wird es nun Weihnachtabend ſehr ſtill werden; meine Mutter ſtellt immer ſchon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es iſt gar ſo einſam dieſen Winter, wo du nicht hier biſt.","norm":"Bei uns wird es nun Weihnachtabend sehr still werden; meine Mutter stellt immer schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es ist gar so einsam diesen Winter, wo du nicht hier bist."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":275,"orig":"Nun iſt auch vorigen Sonntag der Hänfling geſtorben, den du mir geſchenkt hatteſt; ich habe ſehr geweint, aber ich hab' ihn doch immer gut gewartet.","norm":"Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den du mir geschenkt hattest; ich habe sehr geweint, aber ich habe ihn doch immer gut gewartet."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":276,"orig":"Der ſang ſonſt immer Nachmittags, wenn die Sonne auf ſein Bauer ſchien; du weißt, die Mutter hing oft ein Tuch über, um ihn zu geſchweigen, wenn er ſo recht aus Kräften ſang.","norm":"Der sang sonst immer Nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer schien; du weißt, die Mutter hing oft ein Tuch über, um ihn zu geschweigen, wenn er so recht aus Kräften sang."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":277,"orig":"Da iſt es nun noch ſtiller in der Kammer, nur daß dein alter Freund Erich uns jetzt mitunter beſucht.","norm":"Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur dass Dein alter Freund Erich uns jetzt mitunter besucht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":278,"orig":"Du ſagteſt einmal, er ſähe ſeinem braunen Ueberrock ähnlich.","norm":"Du sagtest einmal, er sähe seinem braunen Überrock ähnlich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":279,"orig":"Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur Thür hereinkommt, und es iſt gar zu komiſch; ſag es aber nicht zur Mutter, ſie wird dann leicht verdrießlich.","norm":"Daran muss ich nun immer denken, wenn er zur Tür hereinkommt, und es ist gar zu komisch; sage es aber nicht zur Mutter, sie wird dann leicht verdrießlich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":280,"orig":"— Rath', was ich deiner Mutter zu Weihnachten ſchenke!","norm":"— Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":281,"orig":"Du räthſt es nicht?","norm":"Du rätst es nicht?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":282,"orig":"Mich ſelber!","norm":"Mich selber!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":283,"orig":"Der Erich zeichnet mich in ſchwarzer Kreide; ich habe ihm ſchon drei Mal ſitzen müſſen, jedes Mal eine ganze Stunde.","norm":"Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm schon dreimal sitzen müssen, jedes Mal eine ganze Stunde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":284,"orig":"Es war mir recht zuwider, daß der fremde Menſch mein Geſicht ſo auswendig lernte.","norm":"Es war mir recht zuwider, dass der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig lernte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":285,"orig":"Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; ſie ſagte, es würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen.","norm":"Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; sie sagte, es würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":286,"orig":"Aber du hältſt nicht Wort, Reinhardt.","norm":"Aber du hältst nicht Wort, Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":287,"orig":"Du haſt keine Märchen geſchickt.","norm":"Du hast keine Märchen geschickt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":288,"orig":"Ich habe dich oft bei deiner Mutter verklagt; ſie ſagt dann immer, du habeſt jetzt mehr zu thun, als ſolche Kindereien.","norm":"Ich habe Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, du habest jetzt mehr zu tun, als solche Kindereien."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":289,"orig":"Ich glaub' es aber nicht; es iſt wohl anders.","norm":"Ich glaube es aber nicht; es ist wohl anders."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":290,"orig":"Nun las Reinhardt auch den Brief ſeiner Mutter, und als er beide Briefe geleſen und langſam wieder zuſammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn unerbittliches Heimweh.","norm":"Nun las Reinhardt auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn unerbittliches Heimweh."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":291,"orig":"Er ging eine Zeit lang in ſeinem Zimmer auf und nieder: er ſprach leiſe und dann halbverſtändlich zu ſich ſelbſt:","norm":"Er ging eine Zeitlang in seinem Zimmer auf und nieder: Er sprach leise und dann halbverständlich zu sich selbst:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":292,"orig":"Er wäre faſt verirret Und wußte nicht hinaus;","norm":"Er wäre fast verirret und wusste nicht hinaus;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":293,"orig":"Da ſtand das Kind am Wege Und winkte ihm nach Haus!","norm":"Da stand das Kind am Wege und winkte ihm nach Haus!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":294,"orig":"Dann trat er an ſein Pult, nahm einiges Geld heraus, und ging wieder auf die Straße hinab.","norm":"Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus, und ging wieder auf die Straße hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":295,"orig":"— Hier war es mittlerweile ſtiller geworden; die Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört.","norm":"— Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":296,"orig":"Der Wind fegte durch die einſamen Straßen;","norm":"Der Wind fegte durch die einsamen Straßen;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":297,"orig":"Alte und Junge ſaßen in ihren Häuſern familienweiſe zuſammen; der zweite Abſchnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen.","norm":"Alte und Junge saßen in ihren Häusern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":298,"orig":"—","norm":"—"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":299,"orig":"Als Reinhardt in die Nähe des Rathskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf Geigenſtrich und den Geſang des Zittermädchens; nun klingelte unten die Kellerthür, und eine dunkle Geſtalt ſchwankte die breite, matt erleuchtete Treppe herauf.","norm":"Als Reinhardt in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte unten die Kellertür, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt erleuchtete Treppe herauf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":300,"orig":"Reinhardt trat in den Häuſerſchatten, und ging dann raſch vorüber.","norm":"Reinhardt trat in den Häuserschatten, und ging dann rasch vorüber."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":301,"orig":"Nach einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers; und nachdem er hier ein kleines Kreuz von rothen Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demſelben Wege, den er gekommen war, wieder zurück.","norm":"Nach einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers; und nachdem er hier ein kleines Kreuz von roten Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zurück."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":302,"orig":"Nicht weit von ſeiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche Lumpen gehülltes Mädchen an einer hohen Hausthür ſtehen, in vergeblicher Bemühung ſie zu öffnen.","norm":"Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche Lumpen gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher Bemühung sie zu öffnen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":303,"orig":"Soll ich dir helfen?","norm":"Soll ich dir helfen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":304,"orig":"ſagte er.","norm":"sagte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":305,"orig":"Das Kind erwiderte nichts, ließ aber die ſchwere Thürklinke fahren.","norm":"Das Kind erwiderte nichts, ließ aber die schwere Türklinke fahren."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":306,"orig":"Reinhardt hatte ſchon die Thür geöffnet.","norm":"Reinhardt hatte schon die Tür geöffnet."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":307,"orig":"Nein, ſagte er, ſie könnten dich hinausjagen; komm mit mir!","norm":"Nein, sagte er, sie könnten dich hinausjagen; komme mit mir!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":308,"orig":"Ich will dir Weihnachtskuchen geben.","norm":"Ich will dir Weihnachtskuchen geben."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":309,"orig":"Dann machte er die Thüre wieder zu und faßte das kleine Mädchen an der Hand, das ſtillſchweigend mit ihm in ſeine Wohnung ging.","norm":"Dann machte er die Türe wieder zu und fasste das kleine Mädchen an der Hand, das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":310,"orig":"Er hatte das Licht beim Weggehen brennen laſſen.","norm":"Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":311,"orig":"Hier haſt du Kuchen; ſagte er, und gab ihr die Hälfte ſeines ganzen Schatzes in ihre Schürze, nur keine mit den Zuckerbuchſtaben.","norm":"Hier hast du Kuchen; sagte er, und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze, nur keine mit den Zuckerbuchstaben."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":312,"orig":"Nun geh nach Haus und gieb deiner Mutter auch davon.","norm":"Nun gehe nach Haus und gib deiner Mutter auch davon."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":313,"orig":"Das Kind ſah mit einem ſcheuen Blick zu ihm hinauf; es ſchien ſolcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu können.","norm":"Das Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; es schien solcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu können."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":314,"orig":"Reinhardt machte die Thür auf und leuchtete ihr, und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihren Kuchen die Treppe hinab und zum Hauſe hinaus.","norm":"Reinhardt machte die Tür auf und leuchtete ihr, und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihren Kuchen die Treppe hinab und zum Hause hinaus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":315,"orig":"Reinhardt ſchürte das Feuer in ſeinem Ofen an und ſtellte das beſtaubte Dintenfaß auf ſeinen Tiſch; dann ſetzte er ſich hin und ſchrieb, und ſchrieb die ganze Nacht Briefe an ſeine Mutter, an Eliſabeth.","norm":"Reinhardt schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte Tintenfass auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb, und schrieb die ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":316,"orig":"Der Reſt der Weihnachtskuchen lag unberührt neben ihm; aber die Manſchetten von Eliſabeth hatte er angeknüpft, was ſich gar wunderlich zu ſeinem weißen Flaußrock ausnahm.","norm":"Der Rest der Weihnachtskuchen lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von Elisabeth hatte er angeknüpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen Flausrock ausnahm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":317,"orig":"So ſaß er noch, als die Winterſonne auf die gefrorenen Fenſterſcheiben fiel und ihm gegenüber im Spiegel ein blaſſes, ernſtes Antlitz zeigte.","norm":"So saß er noch, als die Wintersonne auf die gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm gegenüber im Spiegel ein blasses, ernstes Antlitz zeigte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":318,"orig":"Als es Oſtern geworden war, reiſte Reinhardt in die Heimath.","norm":"Als es Ostern geworden war, reiste Reinhardt in die Heimat."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":319,"orig":"Am Morgen nach ſeiner Ankunft ging er zu Eliſabeth.","norm":"Am Morgen nach seiner Ankunft ging er zu Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":320,"orig":"Wie groß du geworden biſt, ſagte er, als das ſchöne ſchmächtige Mädchen ihm lächelnd entgegenkam.","norm":"Wie groß du geworden bist, sagte er, als das schöne schmächtige Mädchen ihm lächelnd entgegenkam."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":321,"orig":"Sie erröthete, aber ſie erwiderte nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die ſeine genommen, ſuchte ſie ihm ſanft zu entziehen.","norm":"Sie errötete, aber sie erwiderte nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die seine genommen, suchte sie ihm sanft zu entziehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":322,"orig":"Er ſah ſie zweifelnd an, das hatte ſie früher nicht gethan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwiſchen ſie.","norm":"Er sah sie zweifelnd an, das hatte sie früher nicht getan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwischen sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":323,"orig":"— Das blieb auch, als er ſchon länger da geweſen, und als er Tag für Tag immer wiedergekommen war.","norm":"— Das blieb auch, als er schon länger da gewesen, und als er Tag für Tag immer wiedergekommen war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":324,"orig":"Wenn ſie allein zuſammen ſaßen, entſtanden Pauſen, die ihm peinlich waren und denen er dann ängſtlich zuvorzukommen ſuchte.","norm":"Wenn sie allein zusammensaßen, entstanden Pausen, die ihm peinlich waren und denen er dann ängstlich zuvorzukommen suchte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":325,"orig":"Um während der Ferienzeit eine beſtimmte Unterhaltung zu haben, fing er an Eliſabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er ſich in den erſten Monaten ſeines Univerſitätslebens angelegentlich beſchäftigt hatte.","norm":"Um während der Ferienzeit eine bestimmte Unterhaltung zu haben, fing er an Elisabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines Universitätslebens angelegentlich beschäftigt hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":326,"orig":"Eliſabeth, die ihm in Allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft war, ging bereitwillig darauf ein.","norm":"Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft war, ging bereitwillig darauf ein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":327,"orig":"Nun wurden mehrere Male in der Woche Excurſionen ins Feld oder in die Haiden gemacht, und hatten ſie dann Mittags die grüne Botaniſirkapſel voll Kraut und Blumen nach Hauſe gebracht, ſo kam Reinhardt einige Stunden ſpäter wieder, um mit Eliſabeth den gemeinſchaftlichen Fund zu ordnen und zu theilen.","norm":"Nun wurden mehrere Male in der Woche Exkursionen ins Feld oder in die Heiden gemacht, und hatten sie dann Mittags die grüne Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause gebracht, so kam Reinhardt einige Stunden später wieder, um mit Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu ordnen und zu teilen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":328,"orig":"In ſolcher Abſicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Eliſabeth am Fenſter ſtand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er ſonſt nicht dort geſehen, mit friſchem Hühnerſchwarm beſteckte.","norm":"In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth am Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst nicht dort gesehen, mit frischem Hühnerschwarm besteckte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":329,"orig":"Im Bauer ſaß ein Kanarienvogel, der mit den Flügeln ſchlug und kreiſchend nach Eliſabeths Fingern pickte.","norm":"Im Bauer saß ein Kanarienvogel, der mit den Flügeln schlug und kreischend nach Elisabeths Fingern pickte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":330,"orig":"Sonſt hatte Reinhardts Vogel an dieſer Stelle gehangen.","norm":"Sonst hatte Reinhardts Vogel an dieser Stelle gehangen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":331,"orig":"Hat mein armer Hänfling ſich nach ſeinem Tode in einen Goldfinken verwandelt?","norm":"Hat mein armer Hänfling sich nach seinem Tode in einen Goldfinken verwandelt?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":332,"orig":"fragte er heiter.","norm":"fragte er heiter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":333,"orig":"Das pflegen die Hänflinge nicht; ſagte die Mutter, welche ſpinnend im Lehnſtuhl ſaß.","norm":"Das pflegen die Hänflinge nicht; sagte die Mutter, welche spinnend im Lehnstuhl saß."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":334,"orig":"Ihr Freund Erich hat ihn heut Mittag für Eliſabeth von ſeinem Hofe hereingeſchickt.","norm":"Ihr Freund Erich hat ihn heute Mittag für Elisabeth von seinem Hofe hereingeschickt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":335,"orig":"Von welchem Hofe?","norm":"Von welchem Hofe?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":336,"orig":"Das wiſſen Sie nicht?","norm":"Das wissen Sie nicht?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":337,"orig":"Was denn?","norm":"Was denn?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":338,"orig":"Daß Erich ſeit einem Monat den zweiten Hof ſeines Vaters am Immenſee angetreten hat?","norm":"Dass Erich seit einem Monat den zweiten Hof seines Vaters am Immensee angetreten hat?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":339,"orig":"Aber Sie haben mir kein Wort davon geſagt.","norm":"Aber Sie haben mir kein Wort davon gesagt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":340,"orig":"Ei, ſagte die Mutter, Sie haben ſich auch noch mit keinem Worte nach Ihrem Freunde erkundigt.","norm":"Ei, sagte die Mutter, Sie haben sich auch noch mit keinem Worte nach Ihrem Freunde erkundigt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":341,"orig":"Er iſt ein gar lieber, verſtändiger junger Mann.","norm":"Er ist ein gar lieber, verständiger junger Mann."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":342,"orig":"Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu beſorgen;","norm":"Die Mutter ging hinaus, um den Kaffee zu besorgen;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":343,"orig":"Eliſabeth hatte Reinhardt den Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen Laube beſchäftigt.","norm":"Elisabeth hatte Reinhardt den Rücken zugewandt und war noch mit dem Bau ihrer kleinen Laube beschäftigt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":344,"orig":"Bitte, nur ein kleines Weilchen; ſagte ſie, gleich bin ich fertig.","norm":"Bitte, nur ein kleines Weilchen; sagte sie, gleich bin ich fertig."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":345,"orig":"— Da Reinhardt wider ſeine Gewohnheit nicht antwortete, ſo wandte ſie ſich um.","norm":"— Da Reinhardt wider seine Gewohnheit nicht antwortete, so wandte sie sich um."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":346,"orig":"In ſeinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den ſie nie darin gewahrt hatte.","norm":"In seinen Augen lag ein plötzlicher Ausdruck von Kummer, den sie nie darin gewahrt hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":347,"orig":"Was fehlt dir, Reinhardt?","norm":"Was fehlt dir, Reinhardt?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":348,"orig":"fragte ſie, indem ſie nahe zu ihm trat.","norm":"fragte sie, indem sie nahe zu ihm trat."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":349,"orig":"Mir?","norm":"Mir?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":350,"orig":"ſagte er gedankenlos und ließ ſeine Augen träumeriſch in den ihren ruhen.","norm":"sagte er gedankenlos und ließ seine Augen träumerisch in den ihren ruhen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":351,"orig":"Du ſiehſt ſo traurig aus.","norm":"Du siehst so traurig aus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":352,"orig":"Eliſabeth, ſagte er, ich kann den gelben Vogel nicht leiden.","norm":"Elisabeth, sagte er, ich kann den gelben Vogel nicht leiden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":353,"orig":"Sie ſah ihn ſtaunend an; ſie verſtand ihn nicht.","norm":"Sie sah ihn staunend an; sie verstand ihn nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":354,"orig":"Du biſt ſo ſonderbar; ſagte ſie.","norm":"Du bist so sonderbar; sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":355,"orig":"Er nahm ihre beiden Hände, die ſie ruhig in den ſeinen ließ.","norm":"Er nahm ihre beiden Hände, die sie ruhig in den seinen ließ."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":356,"orig":"Bald trat die Mutter wieder herein.","norm":"Bald trat die Mutter wieder herein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":357,"orig":"Nach dem Kaffee ſetzte dieſe ſich an ihr Spinnrad; Reinhardt und Eliſabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre Pflanzen zu ordnen.","norm":"Nach dem Kaffee setzte diese sich an ihr Spinnrad; Reinhardt und Elisabeth gingen ins Nebenzimmer, um ihre Pflanzen zu ordnen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":358,"orig":"Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüthen ſorgfältig ausgebreitet und von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwiſchen die Blätter eines großen Folianten gelegt.","norm":"Nun wurden Staubfäden gezählt, Blätter und Blüten sorgfältig ausgebreitet und von jeder Art zwei Exemplare zum Trocknen zwischen die Blätter eines großen Folianten gelegt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":359,"orig":"Es war ſonnige Nachmittagsſtille; nur neben an ſchnurrte der Mutter Spinnrad und von Zeit zu Zeit wurde Reinhardts gedämpfte Stimme gehört, wenn er die Ordnungen und Klaſſen der Pflanzen nannte oder Eliſabeths ungeſchickte Ausſprache der lateiniſchen Namen corrigirte.","norm":"Es war sonnige Nachmittagsstille; nur nebenan schnurrte der Mutter Spinnrad und von Zeit zu Zeit wurde Reinhardts gedämpfte Stimme gehört, wenn er die Ordnungen und Klassen der Pflanzen nannte oder Elisabeths ungeschickte Aussprache der lateinischen Namen korrigierte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":360,"orig":"Mir fehlt noch von neulich die Maiblume; ſagte ſie jetzt, als der ganze Fund beſtimmt und geordnet war.","norm":"Mir fehlt noch von neulich die Maiblume; sagte sie jetzt, als der ganze Fund bestimmt und geordnet war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":361,"orig":"Reinhardt zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Taſche.","norm":"Reinhardt zog einen kleinen weißen Pergamentband aus der Tasche."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":362,"orig":"Hier iſt ein Maiblumenſtengel für dich; ſagte er, indem er die halbgetrocknete Pflanze herausnahm.","norm":"Hier ist ein Maiblumenstengel für dich; sagte er, indem er die halbgetrocknete Pflanze herausnahm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":363,"orig":"Als Eliſabeth die beſchriebenen Blätter ſah, fragte ſie:","norm":"Als Elisabeth die beschriebenen Blätter sah, fragte sie:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":364,"orig":"Haſt du wieder Märchen gedichtet?","norm":"Hast du wieder Märchen gedichtet?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":365,"orig":"Es ſind keine Märchen, antwortete er, und reichte ihr das Buch.","norm":"Es sind keine Märchen, antwortete er, und reichte ihr das Buch."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":366,"orig":"Es waren lauter Verſe, die meiſten füllten höchſtens eine Seite.","norm":"Es waren lauter Verse, die meisten füllten höchstens eine Seite."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":367,"orig":"Eliſabeth wandte ein Blatt nach dem andern um; ſie ſchien nur die Ueberſchriften zu leſen.","norm":"Elisabeth wandte ein Blatt nach dem anderen um; sie schien nur die Überschriften zu lesen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":368,"orig":"„Als ſie vom Schulmeiſter geſcholten war.","norm":"„Als sie vom Schulmeister gescholten war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":369,"orig":"Als ſie ſich im Walde verirrt hatten.","norm":"Als sie sich im Walde verirrt hatten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":370,"orig":"Mit den Oſtermärchen.","norm":"Mit den Ostermärchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":371,"orig":"Als ſie mir zum erſten Mal geſchrieben hatte“; in der Weiſe lauteten faſt alle.","norm":"Als sie mir zum ersten Mal geschrieben hatte“; in der Weise lauteten fast alle."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":372,"orig":"Reinhardt blickte forſchend zu ihr hin, und indem ſie immer weiter blätterte, ſah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Roth hervorbrach und es allmählig ganz überzog.","norm":"Reinhardt blickte forschend zu ihr hin, und indem sie immer weiter blätterte, sah er, wie zuletzt auf ihrem klaren Antlitz ein zartes Rot hervorbrach und es allmählich ganz überzog."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":373,"orig":"Er wollte ihre Augen ſehen; aber Eliſabeth ſah nicht auf, und legte das Buch am Ende ſchweigend vor ihm hin.","norm":"Er wollte ihre Augen sehen; aber Elisabeth sah nicht auf, und legte das Buch am Ende schweigend vor ihm hin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":374,"orig":"Gieb es mir nicht ſo zurück!","norm":"Gib es mir nicht so zurück!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":375,"orig":"ſagte er.","norm":"sagte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":376,"orig":"Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapſel.","norm":"Sie nahm ein braunes Reis aus der Blechkapsel."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":377,"orig":"Ich will dein Lieblingskraut hineinlegen; ſagte ſie, und gab ihm das Buch in ſeine Hände.","norm":"Ich will dein Lieblingskraut hineinlegen; sagte sie, und gab ihm das Buch in seine Hände."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":378,"orig":"— —","norm":"— —"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":379,"orig":"Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreiſe.","norm":"Endlich kam der letzte Tag der Ferienzeit und der Morgen der Abreise."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":380,"orig":"Auf ihre Bitte erhielt Eliſabeth von der Mutter die Erlaubniß, ihren Freund an den Poſtwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer Wohnung ſeine Station hatte.","norm":"Auf ihre Bitte erhielt Elisabeth von der Mutter die Erlaubnis, ihren Freund an den Postwagen zu begleiten, der einige Straßen von ihrer Wohnung seine Station hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":381,"orig":"Als ſie vor die Hausthür traten, gab Reinhardt ihr den Arm; ſo ging er ſchweigend neben dem ſchlanken Mädchen her.","norm":"Als sie vor die Haustür traten, gab Reinhardt ihr den Arm; so ging er schweigend neben dem schlanken Mädchen her."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":382,"orig":"Je näher ſie ihrem Ziele kamen, deſto mehr war es ihm, er habe ihr, ehe er auf ſo lange Abſchied nehme, etwas Nothwendiges mitzutheilen, etwas, wovon aller Werth und alle Lieblichkeit ſeines künftigen Lebens abhänge, und doch konnte er ſich des erlöſenden Wortes nicht bewußt werden.","norm":"Je näher sie ihrem Ziele kamen, desto mehr war es ihm, er habe ihr, ehe er auf so lange Abschied nehme, etwas Notwendiges mitzuteilen, etwas, wovon aller Wert und alle Lieblichkeit seines künftigen Lebens abhänge, und doch konnte er sich des erlösenden Wortes nicht bewusst werden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":383,"orig":"Das ängſtigte ihn; er ging immer langſamer.","norm":"Das ängstigte ihn; er ging immer langsamer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":384,"orig":"Du kommſt zu ſpät; ſagte ſie, es hat ſchon zehn geſchlagen auf St. Marien.","norm":"Du kommst zu spät; sagte sie, es hat schon zehn geschlagen auf St. Marie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":385,"orig":"Er ging aber darum nicht ſchneller.","norm":"Er ging aber darum nicht schneller."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":386,"orig":"Endlich ſagte er ſtammelnd:","norm":"Endlich sagte er stammelnd:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":387,"orig":"Eliſabeth, du wirſt mich nun in zwei","norm":"Elisabeth, du wirst mich nun in zwei"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":388,"orig":"Jahren gar nicht ſehen — — wirſt du mich wohl noch","norm":"Jahren gar nicht sehen — — wirst du mich wohl noch"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":389,"orig":"eben ſo lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?","norm":"ebenso lieb haben wie jetzt, wenn ich wieder da bin?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":390,"orig":"Sie nickte, und ſah ihm freundlich ins Geſicht.","norm":"Sie nickte, und sah ihm freundlich ins Gesicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":391,"orig":"— Ich habe dich auch vertheidigt; ſagte ſie nach einer Pauſe.","norm":"— Ich habe dich auch verteidigt; sagte sie nach einer Pause."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":392,"orig":"Mich?","norm":"Mich?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":393,"orig":"Gegen wen hatteſt du das nöthig?","norm":"Gegen wen hattest du das nötig?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":394,"orig":"Gegen meine Mutter.","norm":"Gegen meine Mutter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":395,"orig":"Wir ſprachen geſtern Abend, als du weggegangen warſt, noch lange über dich.","norm":"Wir sprachen gestern Abend, als du weggegangen warst, noch lange über dich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":396,"orig":"Sie meinte, du ſeiſt nicht mehr ſo gut, wie du geweſen.","norm":"Sie meinte, du seist nicht mehr so gut, wie du gewesen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":397,"orig":"Reinhardt ſchwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die ſeine, und indem er ihr ernſt in ihre Kinderaugen blickte, ſagte er:","norm":"Reinhardt schwieg einen Augenblick; dann aber nahm er ihre Hand in die seine, und indem er ihr ernst in ihre Kinderaugen blickte, sagte er:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":398,"orig":"Ich bin noch eben ſo gut, wie ich geweſen bin; glaube du das nur feſt!","norm":"Ich bin noch ebenso gut, wie ich gewesen bin; glaube du das nur fest!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":399,"orig":"Glaubſt du es, Eliſabeth?","norm":"Glaubst du es, Elisabeth?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":400,"orig":"Ja, ſagte ſie.","norm":"Ja, sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":401,"orig":"Er ließ ihre Hand los und ging raſch mit ihr durch die Ietzte Straße.","norm":"Er ließ ihre Hand los und ging rasch mit ihr durch die letzte Straße."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":402,"orig":"Je näher ihm der Abſchied kam, deſto freudiger ward ſein Geſicht; er ging ihr faſt zu ſchnell.","norm":"Je näher ihm der Abschied kam, desto freudiger wurde sein Gesicht; er ging ihr fast zu schnell."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":403,"orig":"Was haſt du, Reinhardt?","norm":"Was hast du, Reinhardt?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":404,"orig":"fragte ſie.","norm":"fragte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":405,"orig":"Ich habe ein Geheimniß, ein ſchönes!","norm":"Ich habe ein Geheimnis, ein schönes!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":406,"orig":"ſagte er, und ſah ſie mit leuchtenden Augen an.","norm":"sagte er, und sah sie mit leuchtenden Augen an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":407,"orig":"Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann ſollſt du es erfahren.","norm":"Wenn ich nach zwei Jahren wieder da bin, dann sollst du es erfahren."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":408,"orig":"Mittlerweile hatten ſie den Poſtwagen erreicht; es war noch eben Zeit genug.","norm":"Mittlerweile hatten sie den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit genug."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":409,"orig":"Noch einmal nahm Reinhardt ihre Hand.","norm":"Noch einmal nahm Reinhardt ihre Hand."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":410,"orig":"Leb' wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":411,"orig":"ſagte er, leb' wohl, Eliſabeth.","norm":"sagte er, lebe wohl, Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":412,"orig":"Vergiß es nicht.","norm":"Vergiss es nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":413,"orig":"Sie ſchüttelte mit dem Kopf.","norm":"Sie schüttelte mit dem Kopf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":414,"orig":"Leb' wohl!","norm":"Lebe wohl!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":415,"orig":"ſagte ſie.","norm":"sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":416,"orig":"Reinhardt ſtieg hinein, und die Pferde zogen an.","norm":"Reinhardt stieg hinein, und die Pferde zogen an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":417,"orig":"Als der Wagen um die Straßenecke rollte, ſah er noch einmal ihre liebe Geſtalt, wie ſie langſam den Weg zurückging.","norm":"Als der Wagen um die Straßenecke rollte, sah er noch einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg zurückging."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":418,"orig":"Faſt zwei Jahre nachher ſaß Reinhardt vor ſeiner Lampe zwiſchen Büchern und Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er gemeinſchaftliche Studien übte.","norm":"Fast zwei Jahre nachher saß Reinhardt vor seiner Lampe zwischen Büchern und Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er gemeinschaftliche Studien übte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":419,"orig":"Man kam die Treppe herauf.","norm":"Man kam die Treppe herauf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":420,"orig":"Herein!","norm":"Herein!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":421,"orig":"— Es war die Wirthin.","norm":"— Es war die Wirtin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":422,"orig":"Ein Brief für Sie, Herr","norm":"Ein Brief für Sie, Herr"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":423,"orig":"Werner!","norm":"Werner!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":424,"orig":"Dann entfernte ſie ſich wieder.","norm":"Dann entfernte sie sich wieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":425,"orig":"Reinhardt hatte ſeit ſeinem Beſuche in der Heimath nicht an Eliſabeth geſchrieben und von ihr keinen","norm":"Reinhardt hatte seit seinem Besuche in der Heimat nicht an Elisabeth geschrieben und von ihr keinen"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":426,"orig":"Brief mehr erhalten.","norm":"Brief mehr erhalten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":427,"orig":"Auch dieſer war nicht von ihr; es war die Hand ſeiner Mutter.","norm":"Auch dieser war nicht von ihr; es war die Hand seiner Mutter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":428,"orig":"Reinhardt brach und las, und bald las er Folgendes:","norm":"Reinhardt brach und las, und bald las er Folgendes:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":429,"orig":"In deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch faſt jedes Jahr ſein eigenes Geſicht; denn die Jugend läßt ſich nicht ärmer machen.","norm":"In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein eigenes Gesicht; denn die Jugend lässt sich nicht ärmer machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":430,"orig":"Hier iſt auch Manches anders geworden, was dir wohl erſtan weh thun wird, wenn ich dich ſonſt recht verſtanden habe.","norm":"Hier ist auch manches anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn ich Dich sonst recht verstanden habe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":431,"orig":"Erich hat ſich geſtern endlich das Jawort von Eliſabeth geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr zweimal vergebens angefragt hatte.","norm":"Erich hat sich gestern endlich das Jawort von Elisabeth geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr zweimal vergebens angefragt hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":432,"orig":"Sie hat ſich immer nicht dazu entſchließen können; nun hat ſie es endlich doch gethan; ſie iſt auch noch gar ſo jung.","norm":"Sie hat sich immer nicht dazu entschließen können; nun hat sie es endlich doch getan; sie ist auch noch gar so jung."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":433,"orig":"Die Hochzeit ſoll bald ſein, und die Mutter wird dann mit ihnen fortgehen.","norm":"Die Hochzeit soll bald sein, und die Mutter wird dann mit ihnen fortgehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":434,"orig":"Wiederum waren Jahre vorüber.","norm":"Wiederum waren Jahre vorüber."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":435,"orig":"— Auf einem abwärts führenden ſchattigen Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann mit kräftigem, gebräuntem Antlitz.","norm":"— Auf einem abwärts führenden schattigen Waldwege wanderte an einem warmen Frühlingsnachmittage ein junger Mann mit kräftigem, gebräuntem Antlitz."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":436,"orig":"Mit ſeinen ernſten grauen Augen ſah er geſpannt in die Ferne, als erwarte er endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch immer nicht eintreten wollte.","norm":"Mit seinen ernsten grauen Augen sah er gespannt in die Ferne, als erwarte er endlich eine Veränderung des einförmigen Weges, die jedoch immer nicht eintreten wollte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":437,"orig":"Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langſam von unten herauf.","norm":"Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam von unten herauf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":438,"orig":"Holla!","norm":"Holla!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":439,"orig":"guter Freund, rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu, geht's hier recht nach Immenſee?","norm":"guter Freund, rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu, geht es hier recht nach Immensee?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":440,"orig":"Immer gerad' aus; antwortete der Mann, und rückte an ſeinem Rundhute.","norm":"Immer geradeaus; antwortete der Mann, und rückte an seinem Rundhute."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":441,"orig":"Hat's denn noch weit bis dahin?","norm":"Hat es denn noch weit bis dahin?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":442,"orig":"Der Herr iſt dicht davor.","norm":"Der Herr ist dicht davor."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":443,"orig":"Keine halbe Pfeif' Toback, ſo haben's den See; das Herrenhaus liegt hart daran.","norm":"Keine halbe Pfeife Tabak, so haben es den See; das Herrenhaus liegt hart daran."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":444,"orig":"Der Bauer fuhr vorüber; der Andere ging eiliger unter den Bäumen entlang.","norm":"Der Bauer fuhr vorüber; der Andere ging eiliger unter den Bäumen entlang."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":445,"orig":"Nach einer Viertelſtunde hörte ihm zur Linken plötzlich der Schatten auf; der Weg führte an einem Abhang, aus dem die Gipfel hundertjähriger Eichen nur kaum hervorragten.","norm":"Nach einer Viertelstunde hörte ihm zur Linken plötzlich der Schatten auf; der Weg führte an einem Abhang, aus dem die Gipfel hundertjähriger Eichen nur kaum hervorragten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":446,"orig":"Ueber ſie hinweg öffnete ſich eine weite, ſonnige Landſchaft.","norm":"Über sie hinweg öffnete sich eine weite, sonnige Landschaft."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":447,"orig":"Tief unten lag der See, ruhig, dunkelblau, faſt ringsum von grünen, ſonnbeſchienenen Wäldern umgeben, nur an einer Stelle traten ſie auseinander und gewährten eine tiefe Fernſicht, bis auch dieſe durch blaue Berge geſchloſſen wurde.","norm":"Tief unten lag der See, ruhig, dunkelblau, fast ringsum von grünen, sonnbeschienenen Wäldern umgeben, nur an einer Stelle traten sie auseinander und gewährten eine tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge geschlossen wurde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":448,"orig":"Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es wie Schnee darüber her; das waren blühende Obſtbäume, und daraus hervor auf dem hohen Ufer erhob ſich das Herrenhaus, weiß mit rothen Ziegeln.","norm":"Quer gegenüber, mitten in dem grünen Laub der Wälder, lag es wie Schnee darüber her; das waren blühende Obstbäume, und daraus hervor auf dem hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, weiß mit roten Ziegeln."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":449,"orig":"Ein Storch flog vom Schornſtein auf und kreiſte langſam über dem Waſſer.","norm":"Ein Storch flog vom Schornstein auf und kreiste langsam über dem Wasser."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":450,"orig":"— Immenſee!","norm":"— Immensee!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":451,"orig":"rief der Wanderer.","norm":"rief der Wanderer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":452,"orig":"Es war faſt, als hätte er jetzt das Ziel ſeiner Reiſe erreicht; denn er ſtand unbeweglich, und ſah über die Gipfel der Bäume zu ſeinen Füßen hinüber ans andre Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauſes leiſe ſchaukelnd auf dem Waſſer ſchwamm.","norm":"Es war fast, als hätte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht; denn er stand unbeweglich, und sah über die Gipfel der Bäume zu seinen Füßen hinüber ans andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise schaukelnd auf dem Wasser schwamm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":453,"orig":"Dann ſetzte er plötzlich ſeinen Weg fort.","norm":"Dann setzte er plötzlich seinen Weg fort."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":454,"orig":"Es ging jetzt faſt ſteil den Berg hinab, ſo daß die untenſtehenden Bäume wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Ausſicht auf den See verdeckten, der nur zuweilen zwiſchen den Lücken der Zweige hindurchblitzte.","norm":"Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so dass die untenstehenden Bäume wieder Schatten gewährten, zugleich aber die Aussicht auf den See verdeckten, der nur zuweilen zwischen den Lücken der Zweige hindurchblitzte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":455,"orig":"Bald ging es wieder ſanft empor, und nun verſchwand rechts und links die Holzung; ſtatt deſſen ſtreckten ſich dichtbelaubte Weinhügel am Wege entlang; zu beiden Seiten deſſelben ſtanden blühende Obſtbäume voll ſummender, wühlender Bienen.","norm":"Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand rechts und links die Holzung; stattdessen streckten sich dichtbelaubte Weinhügel am Wege entlang; zu beiden Seiten desselben standen blühende Obstbäume voll summender, wühlender Bienen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":456,"orig":"Ein ſtattlicher Mann in braunem Ueberrock kam dem Wanderer entgegen.","norm":"Ein stattlicher Mann in braunem Überrock kam dem Wanderer entgegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":457,"orig":"Als er ihn faſt erreicht hatte, ſchwenkte er ſeine Mütze und rief mit heller Stimme:","norm":"Als er ihn fast erreicht hatte, schwenkte er seine Mütze und rief mit heller Stimme:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":458,"orig":"Willkommen, willkommen, Bruder Reinhardt!","norm":"Willkommen, willkommen, Bruder Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":459,"orig":"Willkommen auf Gut Immenſee!","norm":"Willkommen auf Gut Immensee!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":460,"orig":"Gott grüß dich, Erich, und Dank für dein Willkommen!","norm":"Gott grüße dich, Erich, und Dank für dein Willkommen!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":461,"orig":"rief ihm der Andre entgegen.","norm":"rief ihm der Andere entgegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":462,"orig":"Dann waren ſie zu einander gekommen und reichten ſich die Hände.","norm":"Dann waren sie zueinander gekommen und reichten sich die Hände."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":463,"orig":"Biſt du es denn aber auch?","norm":"Bist du es denn aber auch?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":464,"orig":"ſagte Erich, als er ſo nahe in das ernſte Geſicht ſeines alten Schulkameraden ſah.","norm":"sagte Erich, als er so nahe in das ernste Gesicht seines alten Schulkameraden sah."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":465,"orig":"Freilich bin ich's, Erich, und du biſt es auch; nur ſiehſt du noch faſt heiterer aus, als du ſchon ſonſt immer gethan haſt.","norm":"Freilich bin ich es, Erich, und du bist es auch; nur siehst du noch fast heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":466,"orig":"Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei dieſen Worten noch um Vieles heiterer.","norm":"Ein frohes Lächeln machte Erichs einfache Züge bei diesen Worten noch um Vieles heiterer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":467,"orig":"Ja, Bruder Reinhardt, ſagte er, dieſem noch einmal ſeine Hand reichend, ich habe aber auch ſeitdem das große Loos gezogen; du weißt es ja.","norm":"Ja, Bruder Reinhardt, sagte er, diesem noch einmal seine Hand reichend, ich habe aber auch seitdem das große Los gezogen; du weißt es ja."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":468,"orig":"Dann rieb er ſich die Hände und rief vergnügt:","norm":"Dann rieb er sich die Hände und rief vergnügt:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":469,"orig":"Das wird eine Ueberraſchung!","norm":"Das wird eine Überraschung!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":470,"orig":"Den erwartet ſie nicht, in alle Ewigkeiten nicht!","norm":"Den erwartet sie nicht, in alle Ewigkeiten nicht!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":471,"orig":"Eine Ueberraſchung?","norm":"Eine Überraschung?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":472,"orig":"fragte Reinhardt.","norm":"fragte Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":473,"orig":"Für wen denn?","norm":"Für wen denn?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":474,"orig":"Für Eliſabeth.","norm":"Für Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":475,"orig":"Eliſabeth!","norm":"Elisabeth!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":476,"orig":"Du haſt ihr nicht von meinem Beſuch geſagt?","norm":"Du hast ihr nicht von meinem Besuche gesagt?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":477,"orig":"Kein Wort, Bruder Reinhardt; ſie denkt nicht an dich, die Mutter auch nicht.","norm":"Kein Wort, Bruder Reinhardt; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":478,"orig":"Ich hab' dich ganz im Geheim verſchrieben, damit die Freude deſto größer ſei.","norm":"Ich habe dich ganz im Geheim verschrieben, damit die Freude desto größer sei."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":479,"orig":"Du weißt, ich hatte immer ſo meine ſtillen Plänchen.","norm":"Du weißt, ich hatte immer so meine stillen Plänchen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":480,"orig":"Reinhardt wurde nachdenklich; der Athem ſchien ihm ſchwer zu werden, je näher ſie dem Hofe kamen.","norm":"Reinhardt wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer zu werden, je näher sie dem Hofe kamen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":481,"orig":"An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und machten einem weitläuftigen Küchengarten Platz, der ſich bis faſt an das Ufer des Sees hinabzog.","norm":"An der linken Seite des Weges hörten nun auch die Weingärten auf und machten einem weitläufigen Küchengarten Platz, der sich bis fast an das Ufer des Sees hinabzog."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":482,"orig":"Der Storch hatte ſich mittlerweile niedergelaſſen, und ſpazierte gravitätiſch zwiſchen den Gemüſebeeten umher.","norm":"Der Storch hatte sich mittlerweile niedergelassen, und spazierte gravitätisch zwischen den Gemüsebeeten umher."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":483,"orig":"Holla!","norm":"Holla!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":484,"orig":"rief Erich in die Hände klatſchend, ſtiehlt mir der hochbeinichte Aegypter ſchon wieder meine kurzen Erbſenſtangen!","norm":"rief Erich in die Hände klatschend, stiehlt mir der hochbeinige Ägypter schon wieder meine kurzen Erbsenstangen!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":485,"orig":"Der Vogel erhob ſich langſam, und flog auf das Dach eines neuen Gebäudes, das am Ende des Küchengartens lag und deſſen Mauern mit aufgebundenen Pfirſich- und Aprikoſenbäumen überzweigt waren.","norm":"Der Vogel erhob sich langsam, und flog auf das Dach eines neuen Gebäudes, das am Ende des Küchengartens lag und dessen Mauern mit aufgebundenen Pfirsich- und Aprikosenbäumen überzweigt waren."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":486,"orig":"Das iſt die Spritfabrik, ſagte Erich; ich habe ſie erſt vor zwei Jahren angelegt.","norm":"Das ist die Spritfabrik, sagte Erich; ich habe sie erst vor zwei Jahren angelegt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":487,"orig":"Die Wirthſchaftsgebäude hat mein Vater ſelig neu aufſetzen laſſen; das Wohnhaus iſt ſchon von meinem Großvater gebaut worden.","norm":"Die Wirtschaftsgebäude hat mein Vater selig neu aufsetzen lassen; das Wohnhaus ist schon von meinem Großvater gebaut worden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":488,"orig":"So kommt man immer ein Bischen weiter.","norm":"So kommt man immer ein bisschen weiter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":489,"orig":"Sie waren bei dieſen Worten aus einen geräumigen Platz gekommen, der an den Seiten durch die ländlichen Wirtſchaftsgebäude, im Hintergrunde durch das Herrenhaus begränzt wurde, an deſſen beide Flügel ſich eine hohe Gartenmauer anſchloß; hinter dieſer ſah man die Züge dunkler Taxuswände, und hin und wieder ließen Syringenbäume ihre blühenden Zweige in den Hofraum hinunterhängen, Männer mit ſonnen- und arbeitsheißen Geſichtern gingen über den Platz und grüßten die Freunde, während Erich dem einen und dem andern einen Auftrag oder eine Frage über ihr Tagewerk entgegenrief.","norm":"Sie waren bei diesen Worten aus einen geräumigen Platz gekommen, der an den Seiten durch die ländlichen Wirtschaftsgebäude, im Hintergrunde durch das Herrenhaus begrenzt wurde, an dessen beide Flügel sich eine hohe Gartenmauer anschloss; hinter dieser sah man die Züge dunkler Taxuswände, und hin und wieder ließen Syringenbäume ihre blühenden Zweige in den Hofraum hinunterhängen, Männer mit sonnen- und arbeitsheißen Gesichtern gingen über den Platz und grüßten die Freunde, während Erich dem einen und dem anderen einen Auftrag oder eine Frage über ihr Tagewerk entgegenrief."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":490,"orig":"— Dann hatten ſie das Haus erreicht.","norm":"— Dann hatten sie das Haus erreicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":491,"orig":"Eine hohe, kühle Hausflur nahm ſie auf, an deren Ende ſie links in einen etwas dunkleren Seitengang einbogen.","norm":"Eine hohe, kühle Hausflur nahm sie auf, an dessen Ende sie links in einen etwas dunkleren Seitengang einbogen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":492,"orig":"Hier öffnete Erich eine Thür, und ſie traten in einen geräumigen Gartenſaal, der durch das Laubgedränge, welches die gegenüber liegenden Fenſter bedeckte, zu beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; zwiſchen dieſen aber ließen zwei hohe, weit geöffnete Flügelthüren den vollen Glanz der Frühlingsſonne hereinfallen, und gewährten die Ausſicht in einen Garten mit gezirkelten Blumenbeeten und hohen ſteilen Laubwänden, getheilt durch einen geraden breiten Gang, durch welchen man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden Wälder hinausſah.","norm":"Hier öffnete Erich eine Tür, und sie traten in einen geräumigen Gartensaal, der durch das Laubgedränge, welches die gegenüberliegenden Fenster bedeckte, zu beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; zwischen diesen aber ließen zwei hohe, weit geöffnete Flügeltüren den vollen Glanz der Frühlingssonne hereinfallen, und gewährten die Aussicht in einen Garten mit gezirkelten Blumenbeeten und hohen steilen Laubwänden, geteilt durch einen geraden breiten Gang, durch welchen man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden Wälder hinaussah."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":493,"orig":"Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen Strom von Duft entgegen.","norm":"Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen Strom von Duft entgegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":494,"orig":"Auf einer Terraſſe vor der Gartenthür ſaß eine weiße, mädchenhafte Frauengeſtalt.","norm":"Auf einer Terrasse vor der Gartentür saß eine weiße, mädchenhafte Frauengestalt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":495,"orig":"Sie ſtand auf und ging den Eintretenden entgegen; aber auf halbem Wege blieb ſie wie eingewurzelt ſtehen, und ſtarrte den Fremden unbeweglich an.","norm":"Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; aber auf halbem Wege blieb sie wie eingewurzelt stehen, und starrte den Fremden unbeweglich an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":496,"orig":"Er ſtreckte ihr lächelnd die Hand entgegen.","norm":"Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":497,"orig":"Reinhardt!","norm":"Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":498,"orig":"rief ſie, Reinhardt!","norm":"rief sie, Reinhardt!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":499,"orig":"Mein Gott, du biſt es!","norm":"Mein Gott, du bist es!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":500,"orig":"— Wir haben uns lange nicht geſehen.","norm":"— Wir haben uns lange nicht gesehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":501,"orig":"Lange nicht, ſagte er, und konnte nichts weiter ſagen; denn als er ihre Stimme hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am Herzen, und wie er zu ihr aufblickte, ſtand ſie vor ihm, dieſelbe leichte zärtliche Geſtalt, der er vor Jahren in ſeiner Vaterſtadt Lebewohl geſagt hatte.","norm":"Lange nicht, sagte er, und konnte nichts weiter sagen; denn als er ihre Stimme hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am Herzen, und wie er zu ihr aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe leichte zärtliche Gestalt, der er vor Jahren in seiner Vaterstadt Lebewohl gesagt hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":502,"orig":"Erich war mit freudeſtrahlendem Antlitz an der Thür zurückgeblieben.","norm":"Erich war mit freudestrahlendem Antlitz an der Tür zurückgeblieben."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":503,"orig":"Nun Eliſabeth?","norm":"Nun Elisabeth?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":504,"orig":"ſagte er, Gelt!","norm":"sagte er, Geld!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":505,"orig":"den hätteſt du nicht erwartet, den in alle Ewigkeit nicht!","norm":"den hättest du nicht erwartet, den in alle Ewigkeit nicht!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":506,"orig":"Eliſabeth ſah ihn mit ſchweſterlichen Augen an.","norm":"Elisabeth sah ihn mit schwesterlichen Augen an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":507,"orig":"Du biſt ſo gut, Erich!","norm":"Du bist so gut, Erich!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":508,"orig":"ſagte ſie.","norm":"sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":509,"orig":"Er nahm ihre ſchmale Hand liebkoſend in die ſeinen.","norm":"Er nahm ihre schmale Hand liebkosend in die seinen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":510,"orig":"Und nun wir ihn haben, ſagte er, nun laſſen wir ihn ſobald nicht wieder los.","norm":"Und nun wir ihn haben, sagte er, nun lassen wir ihn so bald nicht wieder los."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":511,"orig":"Er iſt ſo lange draußen geweſen; wir wollen ihn wieder heimiſch machen.","norm":"Er ist so lange draußen gewesen; wir wollen ihn wieder heimisch machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":512,"orig":"Schau nur, wie fremd und vornehm er ausſehen worden iſt.","norm":"Schau nur, wie fremd und vornehm er aussehen worden ist."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":513,"orig":"Ein ſcheuer Blick Eliſabeths ſtreifte Reinhardts Antlitz.","norm":"Ein scheuer Blick Elisabeths streifte Reinhardts Antlitz."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":514,"orig":"Es iſt nur die Zeit, die wir nicht beiſammen waren; ſagte er.","norm":"Es ist nur die Zeit, die wir nicht beisammen waren; sagte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":515,"orig":"In dieſem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüſſelkörbchen am Arm, zur Thüre herein.","norm":"In diesem Augenblick kam die Mutter, mit einem Schlüsselkörbchen am Arm, zur Türe herein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":516,"orig":"Herr Werner!","norm":"Herr Werner!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":517,"orig":"ſagte ſie, als ſie Reinhardt erblickte; ei, ein eben ſo lieber, als unerwarteter Gaſt.","norm":"sagte sie, als sie Reinhardt erblickte; ei, ein ebenso lieber, als unerwarteter Gast."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":518,"orig":"— Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen Tritt.","norm":"— Und nun ging die Unterhaltung in Fragen und Antworten ihren ebenen Tritt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":519,"orig":"Die Frauen ſetzten ſich zu ihrer Arbeit, und während Reinhardt die für ihn bereiteten Erfriſchungen genoß, hatte Erich ſeinen ſoliden Meerſchaumkopf angebrannt, und ſaß dampfend und discourirend an ſeiner Seite.","norm":"Die Frauen setzten sich zu ihrer Arbeit, und während Reinhardt die für ihn bereiteten Erfrischungen genoss, hatte Erich seinen soliden Meerschaumkopf angebrannt, und saß dampfend und diskurrierend an seiner Seite."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":520,"orig":"Am andern Tage mußte Reinhardt mit ihm hinaus; auf die Aecker, in die Weinberge, in den Hopfengarten, in die Spritfabrik.","norm":"Am anderen Tage musste Reinhardt mit ihm hinaus; auf die Äcker, in die Weinberge, in den Hopfengarten, in die Spritfabrik."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":521,"orig":"Es war Alles wohl beſtellt; die Leute, welche auf dem Felde und bei den Keſſeln arbeiteten, hatten alle ein geſundes und zufriedenes Ausſehen.","norm":"Es war alles wohl bestellt; die Leute, welche auf dem Felde und bei den Kesseln arbeiteten, hatten alle ein gesundes und zufriedenes Aussehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":522,"orig":"Zu Mittag kam die Familie im Gartenſaal zuſammen, und der Tag wurde dann, je nach der Muße der Wirthe, mehr oder minder gemeinſchaftlich verlebt.","norm":"Zu Mittag kam die Familie im Gartensaal zusammen, und der Tag wurde dann, je nach der Muße der Wirte, mehr oder minder gemeinschaftlich verlebt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":523,"orig":"Nur die Stunden vor dem Abendeſſen, wie die erſten des Vormittags, blieb Reinhardt arbeitend auf ſeinem Zimmer.","norm":"Nur die Stunden vor dem Abendessen, wie die ersten des Vormittags, blieb Reinhardt arbeitend auf seinem Zimmer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":524,"orig":"Er hatte ſeit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke lebenden Reime und Lieder geſammelt, und ging nun daran ſeinen Schatz zu ordnen und wo möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu vermehren.","norm":"Er hatte seit Jahren, wo er deren habhaft werden konnte, die im Volke lebenden Reime und Lieder gesammelt, und ging nun daran seinen Schatz zu ordnen und wo möglich mit neuen Aufzeichnungen aus der Umgegend zu vermehren."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":525,"orig":"— Eliſabeth war zu allen Zeiten ſanft und freundlich;","norm":"— Elisabeth war zu allen Zeiten sanft und freundlich;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":526,"orig":"Erichs immer gleichbleibende Aufmerkſamkeit nahm ſie mit einer faſt demüthigen Dankbarkeit auf, und Reinhardt dachte mitunter, das heitere Kind von ehedem habe wohl eine weniger ſtille Frau verſprochen.","norm":"Erichs immer gleichbleibende Aufmerksamkeit nahm sie mit einer fast demütigen Dankbarkeit auf, und Reinhardt dachte mitunter, das heitere Kind von ehedem habe wohl eine weniger stille Frau versprochen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":527,"orig":"Seit dem zweiten Tage ſeines Hierſeins pflegte er Abends einen Spaziergang an dem Ufer des Sees zu machen.","norm":"Seit dem zweiten Tage seines Hierseins pflegte er Abends einen Spaziergang an dem Ufer des Sees zu machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":528,"orig":"Der Weg führte hart unter dem Garten vorbei.","norm":"Der Weg führte hart unter dem Garten vorbei."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":529,"orig":"Am Ende deſſelben, auf einer vorſpringenden Baſtei, ſtand eine Bank unter hohen Birken; die Mutter hatte ſie die Abendbank getauft, weil der Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs halber um dieſe Zeit am meiſten benutzt wurde.","norm":"Am Ende desselben, auf einer vorspringenden Bastei, stand eine Bank unter hohen Birken; die Mutter hatte sie die Abendbank getauft, weil der Platz gegen Abend lag und des Sonnenuntergangs halber um diese Zeit am meisten benutzt wurde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":530,"orig":"— Von einem Spaziergange auf dieſem Wege kehrte Reinhardt eines Abends zurück, als er vom Regen überraſcht wurde.","norm":"— Von einem Spaziergange auf diesem Wege kehrte Reinhardt eines Abends zurück, als er vom Regen überrascht wurde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":531,"orig":"Er ſuchte Schutz unter einer am Waſſer ſtehenden Linde; aber die ſchweren Tropfen ſchlugen bald durch die Blätter.","norm":"Er suchte Schutz unter einer am Wasser stehenden Linde; aber die schweren Tropfen schlugen bald durch die Blätter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":532,"orig":"Durchnäßt, wie er war, ergab er ſich darein und ſetzte langſam ſeinen Rückweg fort.","norm":"Durchnässt, wie er war, ergab er sich darein und setzte langsam seinen Rückweg fort."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":533,"orig":"Es war faſt dunkel; der Regen fiel immer dichter.","norm":"Es war fast dunkel; der Regen fiel immer dichter."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":534,"orig":"Als er ſich der Abendbank näherte, glaubte er zwiſchen den ſchimmernden Birkenſtämmen eine weiße Frauengeſtalt zu unterſcheiden.","norm":"Als er sich der Abendbank näherte, glaubte er zwischen den schimmernden Birkenstämmen eine weiße Frauengestalt zu unterscheiden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":535,"orig":"Sie ſtand unbeweglich und, wie er beim Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn ſie jemanden erwarte.","norm":"Sie stand unbeweglich und, wie er beim Näherkommen zu erkennen meinte, zu ihm hingewandt, als wenn sie jemanden erwarte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":536,"orig":"Er glaubte, es ſei Eliſabeth.","norm":"Er glaubte, es sei Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":537,"orig":"Als er aber raſcher zuſchritt, um ſie zu erreichen und dann mit ihr zuſammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren, wandte ſie ſich langſam ab und verſchwand in die dunkeln Seitengänge.","norm":"Als er aber rascher zuschritt, um sie zu erreichen und dann mit ihr zusammen durch den Garten ins Haus zurückzukehren, wandte sie sich langsam ab und verschwand in die dunkeln Seitengänge."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":538,"orig":"Er konnte das nicht reimen; er war aber faſt zornig auf Eliſabeth, und dennoch zweifelte er, ob ſie es geweſen ſei; aber er ſcheute ſich ſie danach zu fragen; ja, er ging bei ſeiner Rückkehr nicht in den Gartenſaal, nur um Eliſabeth nicht etwa durch die Gartenthür hereintreten zu ſehen.","norm":"Er konnte das nicht reimen; er war aber fast zornig auf Elisabeth, und dennoch zweifelte er, ob sie es gewesen sei; aber er scheute sich sie danach zu fragen; ja, er ging bei seiner Rückkehr nicht in den Gartensaal, nur um Elisabeth nicht etwa durch die Gartentür hereintreten zu sehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":539,"orig":"Einige Tage nachher, es ging ſchon gegen Abend, ſaß die Familie, wie gewöhnlich um dieſe Zeit, im Gartenſaal zuſammen.","norm":"Einige Tage nachher, es ging schon gegen Abend, saß die Familie, wie gewöhnlich um diese Zeit, im Gartensaal zusammen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":540,"orig":"Die Thüren ſtanden offen; die Sonne war ſchon hinter den Wäldern jenſeit des Sees.","norm":"Die Türen standen offen; die Sonne war schon hinter den Wäldern jenseits des Sees."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":541,"orig":"Reinhardt wurde um die Mittheilung einiger Volkslieder gebeten, welche er am Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geſchickt bekommen hatte.","norm":"Reinhardt wurde um die Mitteilung einiger Volkslieder gebeten, welche er am Nachmittage von einem auf dem Lande wohnenden Freunde geschickt bekommen hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":542,"orig":"Er ging auf ſein Zimmer, und kam gleich darauf mit einer Papierrolle zurück, welche aus einzelnen ſauber geſchriebenen Blättern zu beſtehen ſchien.","norm":"Er ging auf sein Zimmer, und kam gleich darauf mit einer Papierrolle zurück, welche aus einzelnen sauber geschriebenen Blättern zu bestehen schien."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":543,"orig":"Man ſetzte ſich an den Tiſch, Eliſabeth an Reinhardts Seite.","norm":"Man setzte sich an den Tisch, Elisabeth an Reinhardts Seite."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":544,"orig":"Wir leſen auf gut Glück; ſagte er, ich habe ſie ſelber noch nicht durchgeſehen.","norm":"Wir lesen auf gut Glück; sagte er, ich habe sie selber noch nicht durchgesehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":545,"orig":"Eliſabeth rollte das Manuſcript auf.","norm":"Elisabeth rollte das Manuskript auf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":546,"orig":"Hier ſind Noten; ſagte ſie, das mußt du ſingen, Reinhardt.","norm":"Hier sind Noten; sagte sie, das musst du singen, Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":547,"orig":"Und dieſer las nun zuerſt einige Tyroler Schnaderhüpferl, indem er beim Leſen je zuweilen die luſtige Melodie mit halber Stimme anklingen ließ.","norm":"Und dieser las nun zuerst einige Tiroler Schnaderhüpferl, indem er beim Lesen jezuweilen die lustige Melodie mit halber Stimme anklingen ließ."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":548,"orig":"Eine allgemeine Heiterkeit bemächtigte ſich der kleinen Geſellſchaft.","norm":"Eine allgemeine Heiterkeit bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":549,"orig":"Wer hat doch aber die ſchönen Lieder gemacht?","norm":"Wer hat doch aber die schönen Lieder gemacht?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":550,"orig":"fragte Eliſabeth.","norm":"fragte Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":551,"orig":"Ei, ſagte Erich, das hört man den Dingern ſchon an;","norm":"Ei, sagte Erich, das hört man den Dingern schon an;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":552,"orig":"Schneidergeſellen und Friſeure, und derlei luftiges Geſindel.","norm":"Schneidergesellen und Friseure, und derlei luftiges Gesindel."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":553,"orig":"Reinhardt ſagte:","norm":"Reinhardt sagte:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":554,"orig":"Sie werden gar nicht gemacht; ſie wachſen, ſie fallen aus der Luft, ſie fliegen über Land wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an tauſend Stellen zugleich geſungen.","norm":"Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen, sie fallen aus der Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an tausend Stellen zugleich gesungen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":555,"orig":"Unſer eigenſtes Thun und Leiden finden wir in dieſen Liedern; es iſt, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.","norm":"Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":556,"orig":"Er nahm ein anderes Blatt:","norm":"Er nahm ein anderes Blatt:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":557,"orig":"Ich ſtand auf hohen Bergen.","norm":"Ich stand auf hohen Bergen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":558,"orig":"...","norm":"..."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":559,"orig":"Das kenne ich!","norm":"Das kenne ich!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":560,"orig":"rief Eliſabeth.","norm":"rief Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":561,"orig":"Stimme nur an, Reinhardt; ich will dir helfen.","norm":"Stimme nur an, Reinhardt; ich will dir helfen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":562,"orig":"Und nun ſangen ſie jene Melodie, die ſo räthſelhaft iſt, daß man nicht glauben kann, ſie ſei von Menſchen erdacht worden; Eliſabeth mit ihrer etwas verdeckten Altſtimme dem Tenor ſecondirend.","norm":"Und nun sangen sie jene Melodie, die so rätselhaft ist, dass man nicht glauben kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer etwas verdeckten Altstimme dem Tenor sekundierend."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":563,"orig":"Die Mutter ſaß inzwiſchen emſig an ihrer Näherei, Erich hatte die Hände in einander gelegt und hörte andächtig zu.","norm":"Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei, Erich hatte die Hände ineinandergelegt und hörte andächtig zu."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":564,"orig":"Als das Lied zu Ende war, legte Reinhardt das Blatt ſchweigend bei Seite.","norm":"Als das Lied zu Ende war, legte Reinhardt das Blatt schweigend beiseite."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":565,"orig":"— Vom Ufer des Sees herauf kam durch die Abendſtille das Geläute der Heerdenglocken; ſie horchten unwillkürlich; da hörten ſie eine klare Knabenſtimme ſingen:","norm":"— Vom Ufer des Sees herauf kam durch die Abendstille das Geläute der Herdenglocken; sie horchten unwillkürlich; da hörten sie eine klare Knabenstimme singen:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":566,"orig":"Ich ſtand auf hohen Bergen, Und ſah ins tiefe Thal.","norm":"Ich stand auf hohen Bergen, und sah ins tiefe Tal."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":567,"orig":"...","norm":"..."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":568,"orig":"Reinhardt lächelte:","norm":"Reinhardt lächelte:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":569,"orig":"Hört ihr es wohl?","norm":"Hört ihr es wohl?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":570,"orig":"So geht's von Mund zu Mund.","norm":"So geht es von Mund zu Mund."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":571,"orig":"Es wird oft in dieſer Gegend geſungen; ſagte Eliſabeth.","norm":"Es wird oft in dieser Gegend gesungen; sagte Elisabeth."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":572,"orig":"Ja, ſagte Erich, es iſt der Hirtenkaspar; er treibt die Starken heim.","norm":"Ja, sagte Erich, es ist der Hirtenkaspar; er treibt die Starken heim."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":573,"orig":"Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute oben hinter den Wirthſchaftsgebäuden verſchwunden war.","norm":"Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute oben hinter den Wirtschaftsgebäuden verschwunden war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":574,"orig":"Das ſind Urtöne; ſagte Reinhardt, ſie ſchlafen in Waldesgründen;","norm":"Das sind Urtöne; sagte Reinhardt, sie schlafen in Waldesgründen;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":575,"orig":"Gott weiß, wer ſie gefunden hat.","norm":"Gott weiß, wer sie gefunden hat."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":576,"orig":"Er zog ein neues Blatt heraus.","norm":"Er zog ein neues Blatt heraus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":577,"orig":"Es war ſchon dunkler geworden; ein rother Abendſchein lag wie Schaum auf den Wäldern jenſeit des Sees.","norm":"Es war schon dunkler geworden; ein roter Abendschein lag wie Schaum auf den Wäldern jenseits des Sees."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":578,"orig":"Reinhardt rollte das Blatt auf, Eliſabeth legte an der einen Seite ihre Hand darauf, und ſah mit hinein.","norm":"Reinhardt rollte das Blatt auf, Elisabeth legte an der einen Seite ihre Hand darauf, und sah mit hinein."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":579,"orig":"Dann las Reinhardt:","norm":"Dann las Reinhardt:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":580,"orig":"Meine Mutter hat's gewollt, Den Andern ich nehmen ſollt';","norm":"Meine Mutter hat es gewollt, den anderen ich nehmen sollte;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":581,"orig":"Was ich zuvor beſeſſen, Mein Herz ſollt' es vergeſſen;","norm":"Was ich zuvor besessen, Mein Herz sollte es vergessen;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":582,"orig":"Das hat es nicht gewollt.","norm":"Das hat es nicht gewollt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":583,"orig":"Meine Mutter klag' ich an, Sie hat nicht wohlgethan;","norm":"Meine Mutter klage ich an, sie hat nicht wohlgetan;"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":584,"orig":"Was ſonſt in Ehren ſtünde, Nun iſt es worden Sünde.","norm":"Was sonst in Ehren stünde, nun ist es worden Sünde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":585,"orig":"Was fang' ich an!","norm":"Was fange ich an!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":586,"orig":"Für all mein Stolz und Freud’ Gewonnen hab' ich Leid.","norm":"Für all mein Stolz und Freude gewonnen habe ich Leid."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":587,"orig":"Ach, wär' das nicht geſchehen, Ach, könnt' ich betteln gehen Ueber die braune Haid!","norm":"Ach, wäre das nicht geschehen, ach, könnte ich betteln gehen über die braune Heide!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":588,"orig":"Während des Leſens hatte Reinhardt ein unmerliches Zittern des Papiers empfunden; als er zu Ende war, ſchob Eliſabeth leiſe ihren Stuhl zurück, und ging ſchweigend in den Garten hinab.","norm":"Während des Lesens hatte Reinhardt ein unmerkliches Zittern des Papiers empfunden; als er zu Ende war, schob Elisabeth leise ihren Stuhl zurück, und ging schweigend in den Garten hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":589,"orig":"Ein Blick der Mutter folgte ihr.","norm":"Ein Blick der Mutter folgte ihr."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":590,"orig":"Erich wollte nachgehen; doch die Mutter ſagte:","norm":"Erich wollte nachgehen; doch die Mutter sagte:"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":591,"orig":"Eliſabeth hat draußen zu thun.","norm":"Elisabeth hat draußen zu tun."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":592,"orig":"So unterblieb es.","norm":"So unterblieb es."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":593,"orig":"Draußen aber legte ſich der Abend mehr und mehr über Garten und See, die Nachtſchmetterlinge ſchoſſen ſurrend an den offenen Thüren vorüber, durch welche der Duft der Blumen und Geſträuche immer ſtärker hereindrang; vom Waſſer herauf kam das Geſchrei der Fröſche, unter den Fenſtern ſchlug eine Nachtigall, tiefer im Garten eine andere; der Mond ſah über die Bäume.","norm":"Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See, die Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber, durch welche der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker hereindrang; vom Wasser herauf kam das Geschrei der Frösche, unter den Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer im Garten eine andere; der Mond sah über die Bäume."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":594,"orig":"Reinhardt blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Eliſabeths feine Geſtalt zwiſchen den Laubgängen verſchwunden war; dann rollte er ſein Manuſcript zuſammen, grüßte die Anweſenden, und ging durchs Haus an das Waſſer hinab.","norm":"Reinhardt blickte noch eine Weile auf die Stelle, wo Elisabeths feine Gestalt zwischen den Laubgängen verschwunden war; dann rollte er sein Manuskript zusammen, grüßte die Anwesenden, und ging durchs Haus an das Wasser hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":595,"orig":"Die Wälder ſtanden ſchweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See hinaus, während die Mitte deſſelben in ſchwüler Mondesdämmerung lag.","norm":"Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See hinaus, während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":596,"orig":"Mitunter ſchauerte ein leiſes Säuſeln durch die Bäume; aber es war kein Wind, es war nur das Athmen der Sommernacht.","norm":"Mitunter schauerte ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein Wind, es war nur das Atmen der Sommernacht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":597,"orig":"Reinhardt ging immer am Ufer entlang.","norm":"Reinhardt ging immer am Ufer entlang."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":598,"orig":"Einen Steinwurf vom Lande konnte er eine weiße Waſſerlilie erkennen.","norm":"Einen Steinwurf vom Lande konnte er eine weiße Wasserlilie erkennen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":599,"orig":"Auf einmal wandelte ihn die Luſt an, ſie in der Nähe zu ſehen; er warf ſeine Kleider ab, und ſtieg ins Waſſer.","norm":"Auf einmal wandelte ihn die Lust an, sie in der Nähe zu sehen; er warf seine Kleider ab, und stieg ins Wasser."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":600,"orig":"Es war flach, ſcharfe Pflanzen und Steine ſchnitten ihn an den Füßen, und er kam immer nicht in die zum Schwimmen nöthige Tiefe.","norm":"Es war flach, scharfe Pflanzen und Steine schnitten ihn an den Füßen, und er kam immer nicht in die zum Schwimmen nötige Tiefe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":601,"orig":"Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Waſſer quirlten über ihm zuſammen, und es dauerte eine Zeit lang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam.","norm":"Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Wasser quirlten über ihm zusammen, und es dauerte eine Zeitlang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":602,"orig":"Nun regte er Hand und Fuß und ſchwamm im Kreiſe umher, bis er ſich bewußt geworden, von wo er hineingegangen war.","norm":"Nun regte er Hand und Fuß und schwamm im Kreise umher, bis er sich bewusst geworden, von wo er hineingegangen war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":603,"orig":"Bald ſah er auch die Lilie wieder; ſie lag einſam zwiſchen den großen blanken Blättern.","norm":"Bald sah er auch die Lilie wieder; sie lag einsam zwischen den großen blanken Blättern."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":604,"orig":"— Er ſchwamm langſam hinaus, und hob mitunter die Arme aus dem Waſſer, daß die herabrieſelnden Tropfen im Mondlicht blitzten; aber es war, als ob die Entfernung zwiſchen ihm und der Blume dieſelbe bliebe; nur das Ufer lag, wenn er ſich umblickte, in immer ungewiſſerem Dufte hinter ihm.","norm":"— Er schwamm langsam hinaus, und hob mitunter die Arme aus dem Wasser, dass die herabrieselnden Tropfen im Mondlicht blitzten; aber es war, als ob die Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe bliebe; nur das Ufer lag, wenn er sich umblickte, in immer ungewisserem Dufte hinter ihm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":605,"orig":"Er gab indeß ſein Unternehmen nicht auf, ſondern ſchwamm rüſtig in derſelben Richtung fort.","norm":"Er gab indes sein Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig in derselben Richtung fort."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":606,"orig":"Endlich war er der Blume ſo nahe gekommen, daß er die ſilbernen Blätter deutlich im Mondlicht unterſcheiden konnte; zugleich aber fühlte er ſich in einem Netze verſtrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde herauf und rankten ſich an ſeine nackten Glieder.","norm":"Endlich war er der Blume so nahe gekommen, dass er die silbernen Blätter deutlich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber fühlte er sich in einem Netze verstrickt, die glatten Stängel langten vom Grunde herauf und rankten sich an seine nackten Glieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":607,"orig":"Das unbekannte Waſſer lag ſo ſchwarz um ihn her, hinter ſich hörte er das Springen eines Fiſches; es wurde ihm plötzlich ſo unheimlich in dem fremden Elemente, daß er mit Gewalt das Geſtrick der Pflanzen zerriß, und in athemloſer Haſt dem Lande zuſchwamm.","norm":"Das unbekannte Wasser lag so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er das Springen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheimlich in dem fremden Elemente, dass er mit Gewalt das Gestricke der Pflanzen zerriss, und in atemloser Hast dem Lande zuschwamm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":608,"orig":"Als er von hier auf den See zurückblickte, lag die Lilie wie zuvor fern und einſam über der dunkeln Tiefe.","norm":"Als er von hier auf den See zurückblickte, lag die Lilie wie zuvor fern und einsam über der dunkeln Tiefe."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":609,"orig":"— Er kleidete ſich an, und ging langſam nach Hauſe zurück.","norm":"— Er kleidete sich an, und ging langsam nach Hause zurück."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":610,"orig":"Als er aus dem Garten in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den Vorbereitungen einer kleinen Geſchäftsreiſe, welche am andern Tage vor ſich gehen ſollte.","norm":"Als er aus dem Garten in den Saal trat, fand er Erich und die Mutter in den Vorbereitungen einer kleinen Geschäftsreise, welche am anderen Tage vor sich gehen sollte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":611,"orig":"Wo ſind denn Sie ſo ſpät in der Nacht geweſen?","norm":"Wo sind denn Sie so spät in der Nacht gewesen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":612,"orig":"rief ihm die Mutter entgegen.","norm":"rief ihm die Mutter entgegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":613,"orig":"Ich?","norm":"Ich?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":614,"orig":"erwiederte er, ich wollte die Waſſerlilie beſuchen; es iſt aber nichts daraus geworden.","norm":"erwiderte er, ich wollte die Wasserlilie besuchen; es ist aber nichts daraus geworden."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":615,"orig":"Das verſteht wieder einmal kein Menſch!","norm":"Das versteht wieder einmal kein Mensch!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":616,"orig":"ſagte Erich.","norm":"sagte Erich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":617,"orig":"Was Tauſend hatteſt du denn mit der Waſſerlilie zu thun?","norm":"Was Tausend hattest du denn mit der Wasserlilie zu tun?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":618,"orig":"Ich habe ſie früher einmal gekannt, ſagte Reinhardt; es iſt aber ſchon lange her.","norm":"Ich habe sie früher einmal gekannt, sagte Reinhardt; es ist aber schon lange her."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":619,"orig":"Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhardt und Eliſabeth jenſeit des Sees bald durch die Hölzung, bald auf dem hohen vorſpringenden Uferrande.","norm":"Am folgenden Nachmittag wanderten Reinhardt und Elisabeth jenseits des Sees bald durch die Holzung, bald auf dem hohen vorspringenden Uferrande."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":620,"orig":"Eliſabeth hatte von Erich den Auftrag erhalten, während ſeiner und der Mutter Abweſenheit Reinhardt mit den ſchönſten Ausſichten der nächſten Umgegend, namentlich von der andern Uferſeite auf den Hof ſelber, bekannt zu machen.","norm":"Elisabeth hatte von Erich den Auftrag erhalten, während seiner und der Mutter Abwesenheit Reinhardt mit den schönsten Aussichten der nächsten Umgegend, namentlich von der anderen Uferseite auf den Hof selber, bekannt zu machen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":621,"orig":"Nun gingen ſie von einem Punkt zum andern.","norm":"Nun gingen sie von einem Punkt zum anderen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":622,"orig":"Endlich wurde Eliſabeth müde, und ſetzte ſich in den Schatten überhängender Zweige, Reinhardt ſtand ihr gegenüber an einen Baumſtamm gelehnt; da hörte er tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm plötzlich, dies Alles ſei ſchon einmal eben ſo geweſen.","norm":"Endlich wurde Elisabeth müde, und setzte sich in den Schatten überhängender Zweige, Reinhardt stand ihr gegenüber an einen Baumstamm gelehnt; da hörte er tiefer im Walde den Kuckuck rufen, und es kam ihm plötzlich, dies alles sei schon einmal ebenso gewesen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":623,"orig":"Er ſah ſie ſeltſam lächelnd an.","norm":"Er sah sie seltsam lächelnd an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":624,"orig":"Wollen wir Erdbeeren ſuchen?","norm":"Wollen wir Erdbeeren suchen?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":625,"orig":"fragte er.","norm":"fragte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":626,"orig":"Es iſt keine Erdbeerenzeit, ſagte ſie.","norm":"Es ist keine Erdbeerenzeit, sagte sie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":627,"orig":"Sie wird aber bald kommen.","norm":"Sie wird aber bald kommen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":628,"orig":"Eliſabeth ſchüttelte ſchweigend den Kopf; dann ſtand ſie auf, und beide ſetzten ihre Wanderung fort; und wie ſie ſo an ſeiner Seite ging, wandte ſein Blick ſich immer wieder nach ihr hin; denn ſie ging ſchön, als wenn ſie von ihren Kleidern getragen würde.","norm":"Elisabeth schüttelte schweigend den Kopf; dann stand sie auf, und beide setzten ihre Wanderung fort; und wie sie so an seiner Seite ging, wandte sein Blick sich immer wieder nach ihr hin; denn sie ging schön, als wenn sie von ihren Kleidern getragen würde."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":629,"orig":"Er blieb oft unwillkürlich einen Schritt zurück, um ſie ganz und voll ins Auge faſſen zu können.","norm":"Er blieb oft unwillkürlich einen Schritt zurück, um sie ganz und voll ins Auge fassen zu können."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":630,"orig":"So kamen ſie an einen freien, haidebewachſenen Platz mit einer weit ins Land reichenden Ausſicht.","norm":"So kamen sie an einen freien, heidebewachsenen Platz mit einer weit ins Land reichenden Aussicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":631,"orig":"Reinhardt bückte ſich und pflückte etwas von den am Boden wachſenden Kräutern.","norm":"Reinhardt bückte sich und pflückte etwas von den am Boden wachsenden Kräutern."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":632,"orig":"Als er wieder aufſah, trug ſein Geſicht den Ausdruck leidenſchaftlichen Schmerzes.","norm":"Als er wieder aufsah, trug sein Gesicht den Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":633,"orig":"Kennſt du dieſe Blume?","norm":"Kennst du diese Blume?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":634,"orig":"fragte er.","norm":"fragte er."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":635,"orig":"Sie ſah ihn fragend an.","norm":"Sie sah ihn fragend an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":636,"orig":"Es iſt eine Erica.","norm":"Es ist eine Erika."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":637,"orig":"Ich habe ſie oft im Walde gepflückt.","norm":"Ich habe sie oft im Walde gepflückt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":638,"orig":"Ich habe zu Hauſe ein altes Buch, ſagte er; ich pflegte ſonſt allerlei Lieder und Reime hineinzuſchreiben; es iſt aber lange nicht mehr geſchehen.","norm":"Ich habe zu Hause ein altes Buch, sagte er; ich pflegte sonst allerlei Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht mehr geschehen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":639,"orig":"Zwiſchen den Blättern liegt auch eine Erica; aber es iſt nur eine verwelkte.","norm":"Zwischen den Blättern liegt auch eine Erika; aber es ist nur eine verwelkte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":640,"orig":"Weißt du, wer ſie mir gegeben hat?","norm":"Weißt du, wer sie mir gegeben hat?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":641,"orig":"Sie nickte ſtumm; aber ſie ſchlug die Augen nieder und ſah nur auf das Kraut, das er in der Hand hielt.","norm":"Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das Kraut, das er in der Hand hielt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":642,"orig":"So ſtanden ſie lange.","norm":"So standen sie lange."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":643,"orig":"Als ſie die Augen gegen ihn aufſchlug, ſah er, daß ſie voll Thränen waren.","norm":"Als sie die Augen gegen ihn aufschlug, sah er, dass sie voll Tränen waren."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":644,"orig":"Eliſabeth, ſagte er, — hinter jenen blauen Bergen liegt unſere Jugend.","norm":"Elisabeth, sagte er, — hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":645,"orig":"Wo iſt ſie geblieben?","norm":"Wo ist sie geblieben?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":646,"orig":"Sie ſprachen nichts mehr; ſie gingen ſtumm neben einander zum See hinab.","norm":"Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm nebeneinander zum See hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":647,"orig":"Die Luft war ſchwül, im Weſten ſtieg ſchwarzes Gewölk auf.","norm":"Die Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":648,"orig":"Es wird Gewitter, ſagte Eliſabeth, indem ſie ihren Schritt beeilte.","norm":"Es wird Gewitter, sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":649,"orig":"Reinhardt nickte ſchweigend und beide gingen raſch am Ufer entlang, bis ſie ihren Kahn erreicht hatten.","norm":"Reinhardt nickte schweigend und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis sie ihren Kahn erreicht hatten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":650,"orig":"Während der Ueberfahrt ließ Eliſabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes ruhen.","norm":"Während der Überfahrt ließ Elisabeth ihre Hand auf dem Rande des Kahnes ruhen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":651,"orig":"Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; ſie aber ſah an ihm vorbei in die Ferne.","norm":"Er blickte beim Rudern zu ihr hinüber; sie aber sah an ihm vorbei in die Ferne."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":652,"orig":"So glitt ſein Blick herunter und blieb auf ihrer Hand; und dieſe blaſſe Hand verrieth ihm, was ihr Antlitz ihm verſchwiegen hatte.","norm":"So glitt sein Blick herunter und blieb auf ihrer Hand; und diese blasse Hand verriet ihm, was ihr Antlitz ihm verschwiegen hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":653,"orig":"Er ſah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der ſich ſo gern ſchöner Frauenhände bemächtigt, die Nachts auf krankem Herzen liegen.","norm":"Er sah auf ihr jenen feinen Zug geheimen Schmerzes, der sich so gern schöner Frauenhände bemächtigt, die Nachts auf krankem Herzen liegen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":654,"orig":"— Als Eliſabeth ſein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ ſie ſie langſam über Bord ins Waſſer gleiten.","norm":"— Als Elisabeth sein Auge auf ihrer Hand ruhen fühlte, ließ sie sie langsam über Bord ins Wasser gleiten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":655,"orig":"Auf dem Hofe angekommen trafen ſie einen Scheerenſchleiferkarren vor dem Herrenhauſe; ein Mann mit ſchwarzen, niederhängenden Locken trat emſig das Rad und ſummte eine Zigeunermelodie zwiſchen den Zähnen, während ein eingeſchirrter Hund ſchnaufend daneben lag.","norm":"Auf dem Hofe angekommen trafen sie einen Scherenschleiferkarren vor dem Herrenhause; ein Mann mit schwarzen, niederhängenden Locken trat emsig das Rad und summte eine Zigeunermelodie zwischen den Zähnen, während ein eingeschirrter Hund schnaufend daneben lag."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":656,"orig":"Auf dem Hausflur ſtand in Lumpen gehüllt ein Mädchen mit verſtörten ſchönen Zügen und ſtreckte bettelnd die Hand gegen Eliſabeth aus.","norm":"Auf dem Hausflur stand in Lumpen gehüllt ein Mädchen mit verstörten schönen Zügen und streckte bettelnd die Hand gegen Elisabeth aus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":657,"orig":"Reinhardt griff in ſeine Taſche; aber Eliſabeth kam ihm zuvor und ſchüttete haſtig den ganzen Inhalt ihrer Börſe in die offene Hand der Bettlerin.","norm":"Reinhardt griff in seine Tasche; aber Elisabeth kam ihm zuvor und schüttete hastig den ganzen Inhalt ihrer Börse in die offene Hand der Bettlerin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":658,"orig":"Dann wandte ſie ſich eilig ab, und Reinhardt hörte, wie ſie ſchluchzend die Treppe hinaufging.","norm":"Dann wandte sie sich eilig ab, und Reinhardt hörte, wie sie schluchzend die Treppe hinaufging."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":659,"orig":"Er wollte ſie aufhalten, aber er beſann ſich und blieb an der Treppe zurück.","norm":"Er wollte sie aufhalten, aber er besann sich und blieb an der Treppe zurück."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":660,"orig":"Das Mädchen ſtand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das empfangene Almoſen in der Hand.","norm":"Das Mädchen stand noch immer auf dem Flur, unbeweglich, das empfangene Almosen in der Hand."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":661,"orig":"Was willſt du noch?","norm":"Was willst du noch?"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":662,"orig":"fragte Reinhardt.","norm":"fragte Reinhardt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":663,"orig":"Sie fuhr zuſammen.","norm":"Sie fuhr zusammen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":664,"orig":"Ich will nichts mehr, ſagte ſie; dann den Kopf nach ihm zurückwendend, ihn anſtarrend mit den verirrten Augen, ging ſie langſam gegen die Thür.","norm":"Ich will nichts mehr, sagte sie; dann den Kopf nach ihm zurückwendend, ihn anstarrend mit den verirrten Augen, ging sie langsam gegen die Tür."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":665,"orig":"Er rief einen Namen aus, aber ſie hörte es nicht mehr; mit geſenktem Haupte, mit über der Bruſt gekreuzten Armen ſchritt ſie über den Hof hinab.","norm":"Er rief einen Namen aus, aber sie hörte es nicht mehr; mit gesenktem Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen schritt sie über den Hof hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":666,"orig":"Sterben, ach ſterben Soll ich allein!","norm":"Sterben, ach sterben Soll ich allein!"} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":667,"orig":"Ein altes Lied brauſte ihm ins Ohr, der Athem ſtand ihm ſtill; eine kurze Weile, dann wandte er ſich ab und ging auf ſein Zimmer.","norm":"Ein altes Lied brauste ihm ins Ohr, der Atem stand ihm still; eine kurze Weile, dann wandte er sich ab und ging auf sein Zimmer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":668,"orig":"Er ſetzte ſich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken.","norm":"Er setzte sich hin, um zu arbeiten, aber er hatte keine Gedanken."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":669,"orig":"Nachdem er es eine Stunde lang vergebens verſucht hatte, ging er ins Familienzimmer hinab.","norm":"Nachdem er es eine Stunde lang vergebens versucht hatte, ging er ins Familienzimmer hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":670,"orig":"Es war Niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf Eliſabeths Nähtiſch lag ein rothes Band, das ſie am Nachmittag um den Hals getragen hatte.","norm":"Es war niemand da, nur kühle grüne Dämmerung; auf Elisabeths Nähtisch lag ein rotes Band, das sie am Nachmittag um den Hals getragen hatte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":671,"orig":"Er nahm es in die Hand, aber es that ihm weh, und er legte es wieder hin.","norm":"Er nahm es in die Hand, aber es tat ihm weh, und er legte es wieder hin."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":672,"orig":"Er hatte keine Ruh, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er ruderte hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit Eliſabeth zuſammen gegangen war.","norm":"Er hatte keine Ruhe, er ging an den See hinab und band den Kahn los; er ruderte hinüber und ging noch einmal alle Wege, die er kurz vorher mit Elisabeth zusammen gegangen war."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":673,"orig":"Als er wieder nach Hauſe kam, war es dunkel; auf dem Hofe begegnete ihm der Kutſcher, der die Wagenpferde ins Gras bringen wollte; die Reiſenden waren eben zurückgekehrt.","norm":"Als er wieder nach Hause kam, war es dunkel; auf dem Hofe begegnete ihm der Kutscher, der die Wagenpferde ins Gras bringen wollte; die Reisenden waren eben zurückgekehrt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":674,"orig":"Bei ſeinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartenſaal auf- und abſchreiten.","norm":"Bei seinem Eintritt in den Hausflur hörte er Erich im Gartensaal auf- und abschreiten."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":675,"orig":"Er ging nicht zu ihm hinein; er ſtand einen Augenblick ſtill, und ſtieg dann leiſe die Treppe hinauf nach ſeinem Zimmer.","norm":"Er ging nicht zu ihm hinein; er stand einen Augenblick still, und stieg dann leise die Treppe hinauf nach seinem Zimmer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":676,"orig":"Hier ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl ans Fenſter; er that vor ſich ſelbſt, als wolle er die Nachtigall hören, die unten in den Taxuswänden ſchlug; aber er hörte nur den Schlag ſeines eigenen Herzens.","norm":"Hier setzte er sich in den Lehnstuhl ans Fenster; er tat vor sich selbst, als wolle er die Nachtigall hören, die unten in den Taxuswänden schlug; aber er hörte nur den Schlag seines eigenen Herzens."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":677,"orig":"Unter ihm im Hauſe ging Alles zur Ruh, die Nacht verrann, er fühlte es nicht.","norm":"Unter ihm im Hause ging alles zur Ruhe, die Nacht verrann, er fühlte es nicht."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":678,"orig":"— So ſaß er ſtundenlang.","norm":"— So saß er stundenlang."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":679,"orig":"Endlich ſtand er auf und legte ſich ins offene Fenſter.","norm":"Endlich stand er auf und legte sich ins offene Fenster."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":680,"orig":"Der Nachtthau rieſelte zwiſchen den Blättern, die Nachtigall hatte aufgehört zu ſchlagen Allmählig wurde auch das tiefe Blau des Nachthimmels von Oſten her durch einen blaßgelben Schimmer verdrängt; ein friſcher Wind erhob ſich und ſtreifte Reinhards heiße Stirn: die erſte Lerche ſtieg jauchzend in die Luft.","norm":"Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall hatte aufgehört zu schlagen Allmählich wurde auch das tiefe Blau des Nachthimmels von Osten her durch einen blassgelben Schimmer verdrängt; ein frischer Wind erhob sich und streifte Reinhards heiße Stirn: Die erste Lerche stieg jauchzend in die Luft."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":681,"orig":"— Reinhardt kehrte ſich plötzlich um und trat an den Tiſch; er tappte nach einem Bleiſtift, und als er dieſen gefunden, ſetzte er ſich und ſchrieb damit einige Zeilen auf einen weißen Bogen Papier.","norm":"— Reinhardt kehrte sich plötzlich um und trat an den Tisch; er tappte nach einem Bleistift, und als er diesen gefunden, setzte er sich und schrieb damit einige Zeilen auf einen weißen Bogen Papier."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":682,"orig":"Nachdem er hiemit fertig war, nahm er Hut und Stock und das Papier zurücklaſſend, öffnete er behutſam die Thür und ſtieg in den Flur hinab.","norm":"Nachdem er hiermit fertig war, nahm er Hut und Stock und das Papier zurücklassend, öffnete er behutsam die Tür und stieg in den Flur hinab."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":683,"orig":"— Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze dehnte ſich auf der Strohmatte und ſträubte den Rücken gegen ſeine Hand, die er gedankenlos entgegenhielt.","norm":"— Die Morgendämmerung ruhte noch in allen Winkeln; die große Hauskatze dehnte sich auf der Strohmatte und sträubte den Rücken gegen seine Hand, die er gedankenlos entgegenhielt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":684,"orig":"Draußen im Garten aber prieſterten ſchon die Sperlinge von den Zweigen und ſagten es allen, daß die Nacht vorbei ſei.","norm":"Draußen im Garten aber priesterten schon die Sperlinge von den Zweigen und sagten es allen, dass die Nacht vorbei sei."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":685,"orig":"Da hörte er oben im Hauſe eine Thür gehen; es kam die Treppe herunter, und als er aufſah, ſtand Eliſabeth vor ihm.","norm":"Da hörte er oben im Hause eine Tür gehen; es kam die Treppe herunter, und als er aufsah, stand Elisabeth vor ihm."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":686,"orig":"Sie legte die Hand auf ſeinen Arm, ſie bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte.","norm":"Sie legte die Hand auf seinen Arm, sie bewegte die Lippen, aber er hörte keine Worte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":687,"orig":"Du kommſt nicht wieder, ſagte ſie endlich.","norm":"Du kommst nicht wieder, sagte sie endlich."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":688,"orig":"Ich weiß es, lüge nicht; du kommſt nie wieder.","norm":"Ich weiß es, lüge nicht; du kommst nie wieder."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":689,"orig":"Nie, ſagte er, Sie ließ ihre Hand ſinken und ſagte nichts mehr.","norm":"Nie, sagte er, Sie ließ ihre Hand sinken und sagte nichts mehr."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":690,"orig":"Er ging über den Flur der Thüre zu; dann wandte er ſich noch einmal.","norm":"Er ging über den Flur der Türe zu; dann wandte er sich noch einmal."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":691,"orig":"Sie ſtand bewegungslos an derſelben Stelle und ſah ihn mit todten Augen an.","norm":"Sie stand bewegungslos an derselben Stelle und sah ihn mit toten Augen an."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":692,"orig":"Er that einen Schritt vorwärts und ſtreckte die Arme nach ihr aus.","norm":"Er tat einen Schritt vorwärts und streckte die Arme nach ihr aus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":693,"orig":"Dann kehrte er ſich gewaltſam ab, und ging zur Thür hinaus.","norm":"Dann kehrte er sich gewaltsam ab, und ging zur Tür hinaus."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":694,"orig":"— Draußen lag die Welt im friſchen Morgenlichte, die Thauperlen, die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den erſten Sonnenſtrahlen.","norm":"— Draußen lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Tauperlen, die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den ersten Sonnenstrahlen."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":695,"orig":"Er ſah nicht rückwärts, er wanderte raſch hinaus; und mehr und mehr verſank hinter ihm das ſtille Gehöft, und vor ihm auf ſtieg' die große weite Welt.","norm":"Er sah nicht rückwärts, er wanderte rasch hinaus; und mehr und mehr versank hinter ihm das stille Gehöft, und vor ihm aufstieg die große weite Welt."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":696,"orig":"Der Mond ſchien nicht mehr in die Fenſterſcheiben, es war dunkel geworden: der Alte aber ſaß noch immer mit gefalteten Händen in ſeinem Lehnſtuhl und blickte vor ſich hin in den Raum des Zimmers.","norm":"Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben, es war dunkel geworden: Der Alte aber saß noch immer mit gefalteten Händen in seinem Lehnstuhl und blickte vor sich hin in den Raum des Zimmers."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":697,"orig":"Allmählig verzog ſich vor ſeinen Augen die ſchwarze Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunklen See; ein ſchwarzes Gewäſſer legte ſich hinter das andere, immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, ſo fern, daß die Augen des Alten ſie kaum erreichten, ſchwamm einſam zwiſchen breiten Blättern eine weiße Waſſerlilie.","norm":"Allmählich verzog sich vor seinen Augen die schwarze Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunkeln See; ein schwarzes Gewässer legte sich hinter das andere, immer tiefer und ferner, und auf dem letzten, sofern, dass die Augen des Alten sie kaum erreichten, schwamm einsam zwischen breiten Blättern eine weiße Wasserlilie."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":698,"orig":"Die Stubenthür ging auf und ein heller Lichtſchimmer fiel ins Zimmer.","norm":"Die Stubentür ging auf und ein heller Lichtschimmer fiel ins Zimmer."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":699,"orig":"Es iſt gut, daß Sie kommen, Brigitte, ſagte der Alte.","norm":"Es ist gut, dass Sie kommen, Brigitte, sagte der Alte."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":700,"orig":"Stellen Sie das Licht nur auf den Tiſch.","norm":"Stellen Sie das Licht nur auf den Tisch."} {"basename":"storm_immensee_1852","par_idx":701,"orig":"Dann rückte er auch den Stuhl zum Tiſche, nahm eins der aufgeſchlagenen Bücher, und vertiefte ſich in Studien, an denen er einſt die Kraft ſeiner Jugend geübt hatte.","norm":"Dann rückte er auch den Stuhl zum Tische, nahm eins der aufgeschlagenen Bücher, und vertiefte sich in Studien, an denen er einst die Kraft seiner Jugend geübt hatte."}