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wienbarg_feldzuege_1834
1,290
Poeſie iſt Alles, was aus der innerſten Natur der Menſchheit dringt und es ſcheint faſt, als ob Deutſchland namentlich ſeine groͤßeren Dichter gegenwaͤrtig unter den Proſaiſten zaͤhlt.
Poesie ist alles, was aus der innersten Natur der Menschheit dringt und es scheint fast, als ob Deutschland namentlich seine größeren Dichter gegenwärtig unter den Prosaisten zählt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,291
Wenigſtens wuͤrde der Schluß vom poetiſchen Gehalt unſerer dramatiſchen Dichter, unſerer lyriſchen und epiſchen Dichter auf den poetiſchen Gehalt unſerer ganzen Literatur ſehr klaͤglich ausfallen;
Wenigstens würde der Schluss vom poetischen Gehalt unserer dramatischen Dichter, unserer lyrischen und epischen Dichter auf den poetischen Gehalt unserer ganzen Literatur sehr kläglich ausfallen;
wienbarg_feldzuege_1834
1,292
Platen, Immermann, Raupach u. ſ. w. als Repraͤſentanten deutſcher Poeſie, von dieſer keinen großen Begriff zu erregen im Stande ſein.
Platen, Immermann, Raupach u. s. w. als Repräsentanten deutscher Poesie, von dieser keinen großen Begriff zu erregen imstande sein.
wienbarg_feldzuege_1834
1,293
Viel eher moͤchten wir Heinrich Heine als ſolchen begruͤßen, und auch nicht ſeiner Verſe, verfehlten Dramen und liederlichen Lieder wegen, als um die Proſa, die er in den Reiſebildern zu Tage gelegt hat.
Viel eher möchten wir Heinrich Heine als solchen begrüßen, und auch nicht seiner Verse, verfehlten Dramen und liederlichen Lieder wegen, als um die Prosa, die er in den Reisebildern zutage gelegt hat.
wienbarg_feldzuege_1834
1,294
Was dieſen Dichter-Proſaiſten betrifft, ſo habe ich ſchon meine Abſicht erklaͤrt, ihn als ein Charakterbild der neuen Proſa in aͤſthetiſcher Ruͤckſicht eben ſo aufzufaſſen und darzuſtellen, wie Goethe und Byron als Charakterbilder der neueren Poeſie.
Was diesen Dichter-Prosaisten betrifft, so habe ich schon meine Absicht erklärt, ihn als ein Charakterbild der neuen Prosa in ästhetischer Rücksicht ebenso aufzufassen und darzustellen, wie Goethe und Byron als Charakterbilder der neueren Poesie.
wienbarg_feldzuege_1834
1,295
Man muß Heine in dieſer Geſellſchaft, der Zeit, wie der Anſicht nach, als den entſchiedenſten Charakterſchriftſteller betrachten, indem er ſich, noch ſtaͤrker und ruͤckſichtsloſer als Byron, der gewoͤhnlichen Denk- und Empfindungsmaſſe der fruͤheren Schriftſtellerwelt entgegengeſetzt hat.
Man muss Heine in dieser Gesellschaft, der Zeit, wie der Ansicht nach, als den entschiedensten Charakterschriftsteller betrachten, indem er sich, noch stärker und rücksichtsloser als Byron, der gewöhnlichen Denk- und Empfindungsmasse der früheren Schriftstellerwelt entgegengesetzt hat.
wienbarg_feldzuege_1834
1,296
In offener Fehde mit allen Anſichten der Zeit, die ſich ihm als verjaͤhrte und abgeſtandene darſtellen, hat er alle dieſe Anſichten, und die Traͤger derſelben, ein ungeheurer Haufe, wider ſich und dagegen nur eine Waffe, den Witz, waͤhrend Byron außer ſeinem Talent auch Reichthum und Adel bei ſeinen Anfeindungen ins Feld ſtellen konnte.
In offener Fehde mit allen Ansichten der Zeit, die sich ihm als verjährte und abgestandene darstellen, hat er alle diese Ansichten, und die Träger derselben, ein ungeheurer Haufen, wider sich und dagegen nur eine Waffe, den Witz, während Byron außer seinem Talent auch Reichtum und Adel bei seinen Anfeindungen ins Feld stellen konnte.
wienbarg_feldzuege_1834
1,297
Dennoch weiß er ſich mit dieſer einen Waffe hinlaͤngliches Anſehen zu verſchaffen und wenn man es auch ſelten wagt, oder wuͤrdigt, ihn oͤffentlich hoch anzuſchlagen, ſo laͤßt man ihm doch, ſelbſt feindlich geſinnt, im Stillen die Gerechtigkeit widerfahren, daß ſein Kopf in der deutſchen Literatur uͤber den Koͤpfen ſeiner Nebenbuhler hervorrage.
Dennoch weiß er sich mit dieser einen Waffe hinlängliches Ansehen zu verschaffen und wenn man es auch selten wagt, oder würdigt, ihn öffentlich hoch anzuschlagen, so lässt man ihm doch, selbst feindlich gesinnt, im Stillen die Gerechtigkeit widerfahren, dass sein Kopf in der deutschen Literatur über den Köpfen seiner Nebenbuhler hervorrage.
wienbarg_feldzuege_1834
1,298
Schoͤpfen wir, wie wir es bei Goethe und Byron gethan, aus der Geſchichte ſeines Lebens diejenigen Andeutungen, welche uns die beſondere Art und Richtung ſeines Talents erklaͤren helfen.
Schöpfen wir, wie wir es bei Goethe und Byron getan, aus der Geschichte seines Lebens diejenigen Andeutungen, welche uns die besondere Art und Richtung seines Talents erklären helfen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,299
Er ward in Duͤſſeldorf geboren als Jude, aber von einer chriſtlichen Mutter, war zum Handel beſtimmt und handelte wirklich eine Zeitlang, ſtudirte dann in Goͤttingen, ſchrieb ſeine Reiſebilder, fuͤhrte ein fluͤchtiges Reiſeleben, war in England, Italien und ſeit der franzoͤſiſchen Juli-Revolution in Paris, wo er ſich an die franzoͤſiſchen Revolutionaire, beſonders unter den Schriftſtellern, anſchloß und ſeine franzoͤſiſchen Zuſtaͤnde, wie zuletzt die ſkizzenhafte Ueberſicht uͤber die deutſche Literatur herausgab.
Er wurde in Düsseldorf geboren als Jude, aber von einer christlichen Mutter, war zum Handel bestimmt und handelte wirklich eine Zeitlang, studierte dann in Göttingen, schrieb seine Reisebilder, führte ein flüchtiges Reiseleben, war in England, Italien und seit der französischen Juli-Revolution in Paris, wo er sich an die französischen Revolutionäre, besonders unter den Schriftstellern, anschloss und seine französischen Zustände, wie zuletzt die skizzenhafte Übersicht über die deutsche Literatur herausgab.
wienbarg_feldzuege_1834
1,300
Stellen Sie ſich nun ein poetiſches Genie vor, das dem Byronſchen aͤhnlich, ja demſelben an Penetration des Verſtandes uͤberlegen, verkoͤrpert wird nicht im Palaſte eines Pairs von England, ſondern im beſcheidenen Wohnhauſe eines rheiniſchen Juden, ein Genie, das nicht in die Schule von Eaton, ſondern in die Synagoge von Duͤſſeldorf wandert, das zum Handelsmann erzogen wird und durch Zufall oder innern Drang eine deutſche Univerſitaͤt, die Univerſitaͤt Goͤttingen beſucht und dort, umgeben von Pedanterie und Rohheit, von ſteifem Zeremoniel der Profeſſorengeſellſchaften und der Sittenloſigkeit des Studentenlebens, ſich ſeines Genies inne wird — da haben Sie den Schluͤſſel zum erſten Band der Reiſebilder, den er noch als Student in Goͤttingen niedergeſchrieben hat.
Stellen Sie sich nun ein poetisches Genie vor, das dem Byronschen ähnlich, ja demselben an Penetration des Verstandes überlegen, verkörpert wird nicht im Palaste eines Pairs von England, sondern im bescheidenen Wohnhause eines rheinischen Juden, ein Genie, das nicht in die Schule von Eaton, sondern in die Synagoge von Düsseldorf wandert, das zum Handelsmann erzogen wird und durch Zufall oder inneren Drang eine deutsche Universität, die Universität Göttingen besucht und dort, umgeben von Pedanterie und Rohheit, von steifem Zeremoniell der Professorengesellschaften und der Sittenlosigkeit des Studentenlebens, sich seines Genies innewird — da haben Sie den Schlüssel zum ersten Band der Reisebilder, den er noch als Student in Göttingen niedergeschrieben hat.
wienbarg_feldzuege_1834
1,301
Zu keiner Zeit iſt ein dichteriſches Werk erſchienen, das mehr die friſchen Spuren ſeiner Konzeption verrathen haͤtte, als dieſes.
Zu keiner Zeit ist ein dichterisches Werk erschienen, das mehr die frischen Spuren seiner Konzeption verraten hätte, als dieses.
wienbarg_feldzuege_1834
1,302
Goͤttingen und der Harz ſind einander gegenuͤbergeſtellt als Proſa und Poeſie, allen Aerger und Witz der Jugend ſchuͤttelt er auch uͤber ein ſolches Gefaͤngniß des Geiſtes, eine ſolche verſchrobene, beſtaubte Gelehrtenrepublik mit allem ihren Unſinn, allen ihren Abgeſchmacktheiten und Rohheiten, allen Hofraͤthen, Pedellen, Kommerzen, Kollegien, Grafenbaͤnken, Duellen und Promotionen durcheinander, kurz auf dieſes traurige Bild einer nur zu traurigen norddeutſchen Univerſitaͤtsſtadt, welche wieder ein Bild des noch traurigern literariſch-geſellſchaftlichen und politiſchen Zuſtandes von Deutſchland abgibt, dagegen wirft er alle Liebe und Poeſie ſeines Herzens auf die Thaͤler, Berge und Fluͤſſe des Harzes, die er mit unnachahmlicher Hand perſonifizirt und dem Leſer als fluͤchtig verkoͤrperte Geiſter der ewigen Natur vor Augen fuͤhrt.
Göttingen und der Harz sind einander gegenübergestellt als Prosa und Poesie, allen Ärger und Witz der Jugend schüttelt er auch über ein solches Gefängnis des Geistes, eine solche verschrobene, bestaubte Gelehrtenrepublik mit allem ihren Unsinn, allen ihren Abgeschmacktheiten und Rohheiten, allen Hofräten, Pedellen, Kommerzen, Kollegien, Grafenbänken, Duellen und Promotionen durcheinander, kurz auf dieses traurige Bild einer nur zu traurigen norddeutschen Universitätsstadt, welche wieder ein Bild des noch traurigeren literarisch-gesellschaftlichen und politischen Zustandes von Deutschland abgibt, dagegen wirft er alle Liebe und Poesie seines Herzens auf die Täler, Berge und Flüsse des Harzes, die er mit unnachahmlicher Hand personifiziert und dem Leser als flüchtig verkörperte Geister der ewigen Natur vor Augen führt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,303
Allein dies Herz war nie, oder war nicht mehr rein und unſchuldig, war nie, oder war nicht mehr naiv und unbewußt begeiſtert, und daher, ſo phantaſiereich die Naturſchilderungen ſind, ſtehen ſie doch hinter den Sittenſchilderungen des Goͤttinger Lebens zuruͤck.
Allein dies Herz war nie, oder war nicht mehr rein und unschuldig, war nie, oder war nicht mehr naiv und unbewusst begeistert, und daher, so phantasiereich die Naturschilderungen sind, stehen sie doch hinter den Sittenschilderungen des Göttinger Lebens zurück.
wienbarg_feldzuege_1834
1,304
Zur ſchaͤrfſten, ſchonungsloſeſten Satyre, die mit jedem Wort den rechten faulen Fleck zu treffen weiß, war Heine vom Schickſal gewiſſermaßen deſtinirt, das ihn vom Handelsjuden zum Goͤttinger Studenten und zum deutſchen Schriftſteller beſtimmt hatte.
Zur schärfsten, schonungslosesten Satire, die mit jedem Wort den rechten faulen Fleck zu treffen weiß, war Heine vom Schicksal gewissermaßen destiniert, das ihn vom Handelsjuden zum Göttinger Studenten und zum deutschen Schriftsteller bestimmt hatte.
wienbarg_feldzuege_1834
1,305
Kein Franzoſe und uͤberhaupt kein Auslaͤnder kann die Narrheiten, Schwaͤchen, den Ahnenſtolz, die Pedanterie der Deutſchen nackter in aller ihrer Bloͤße wahrnehmen und beſpoͤtteln, als ein in Deutſchland geborner Jude, der dem Herzen und der Geſchichte des Vaterlandes eben ſo fremd, noch einen Stachel zur Satyre mitnimmt, der dem Auslaͤnder fehlt, ich meine den Stachel der Verachtung, worin ſeine Glaubensgenoſſen in Deutſchland bisher ſtanden, das verwundete Gefuͤhl des durch Jahrhunderte gemißhandelten Volkes, das bis auf die neueſte Zeit zum Schweigen verurtheilt war, indem es zu feige und zu ſchwach, ſich fruͤher zu aͤußern, ehe der Witz in Europa ſich vor Scheiterhaufen und Armenſuͤnderhemden ſicher wußte.
Kein Franzose und überhaupt kein Ausländer kann die Narrheiten, Schwächen, den Ahnenstolz, die Pedanterie der Deutschen nackter in aller ihrer Blöße wahrnehmen und bespötteln, als ein in Deutschland geborener Jude, der dem Herzen und der Geschichte des Vaterlandes ebenso fremd, noch einen Stachel zur Satire mitnimmt, der dem Ausländer fehlt, ich meine den Stachel der Verachtung, worin seine Glaubensgenossen in Deutschland bisher standen, das verwundete Gefühl des durch Jahrhunderte misshandelten Volkes, das bis auf die neueste Zeit zum Schweigen verurteilt war, indem es zu feige und zu schwach, sich früher zu äußeren, ehe der Witz in Europa sich vor Scheiterhaufen und Armensünderhemden sicher wusste.
wienbarg_feldzuege_1834
1,306
Aber Heine beſaß nicht allein dieſen Vortheil des Witzes, daß er als geborner Jude, gleichſam als Auslaͤnder und Feind auftrat und zugleich die deutſchen Narrheiten von Jugend auf an der Quelle ſtudiren konnte, er hatte auch von ſeiner deutſchen Mutter diejenigen Eigenſchaften geerbt, welche den Witz erſt glaͤnzend machen, indem ſie ihm zur Folie dienen, naͤmlich die Gabe der Phantaſie, einen dunkeln Anflug von Gemuͤth, die Ahnung oder das Verſtehen des poetiſch Wirkſamen, die Behandlung des Geheimnißvollen, was im poetiſchen Grunde unſerer Nation ruht und leider nur zu ſehr mit Alltaͤglichem und Gemeinem uͤberſchuͤttet iſt.
Aber Heine besaß nicht allein diesen Vorteil des Witzes, dass er als geborener Jude, gleichsam als Ausländer und Feind auftrat und zugleich die deutschen Narrheiten von Jugend auf an der Quelle studieren konnte, er hatte auch von seiner deutschen Mutter diejenigen Eigenschaften geerbt, welche den Witz erst glänzend machen, indem sie ihm zur Folie dienen, nämlich die Gabe der Phantasie, einen dunklen Anflug von Gemüt, die Ahnung oder das Verstehen des poetisch Wirksamen, die Behandlung des Geheimnisvollen, was im poetischen Grunde unserer Nation ruht und leider nur zu sehr mit Alltäglichem und Gemeinem überschüttet ist.
wienbarg_feldzuege_1834
1,307
Daher zeigte ſich Heine ſchon in ſeinem erſten Werk nicht blos als witzigen Kopf, als Voltaire, Swift, ſondern als Humoriſten, als einen Byron-Voltaire, der, wie er ſich ſelbſt ausdruͤckt, ſein Schlachtopfer erſt mit Blumen kraͤnzt, ehe er ihm den letzten toͤdtlichen Streich verſetzt.
Daher zeigte sich Heine schon in seinem ersten Werk nicht bloß als witzigen Kopf, als Voltaire, Swift, sondern als Humoristen, als einen Byron-Voltaire, der, wie er sich selbst ausdrückt, sein Schlachtopfer erst mit Blumen kränzt, ehe er ihm den letzten tödlichen Streich versetzt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,308
Nachdem er ſich an Goͤttingen die Sporen verdient hatte, eroͤffnete er ſeiner poetiſchen Satyre im zweiten und dritten Theil der Reiſebilder ein weiteres Feld; die neueſte Geſchichte, Napoleon, Frankreich und die Revolution, Deutſchland, Italien lieferten ihm Stoff zu einem poetiſchen Humor, der, mit gutem Bewußtſein, ſeine eigene Perſon in die Mitte der Darſtellung zu bringen wußte, ohne ſich eben dabei den tugendhafteſten Anſtrich zu geben.
Nachdem er sich an Göttingen die Sporen verdient hatte, eröffnete er seiner poetischen Satire im zweiten und dritten Teil der Reisebilder ein weiteres Feld; die neueste Geschichte, Napoleon, Frankreich und die Revolution, Deutschland, Italien lieferten ihm Stoff zu einem poetischen Humor, der, mit gutem Bewusstsein, seine eigene Person in die Mitte der Darstellung zu bringen wusste, ohne sich eben dabei den tugendhaftesten Anstrich zu geben.
wienbarg_feldzuege_1834
1,309
Endlich ſcheint er fuͤr ſein Leben das rechte Zentrum gefunden zu haben, denn die Hauptſtadt von Frankreich, wo er ſich jetzt aufhaͤlt, entſpricht mit ihren Bewegungen, Umtrieben, glaͤnzenden Geſellſchaften ganz dem Charakters eines Schriftſtellers, der dem witzigſten Franzoſen leicht die Spitze bietet, und außerdem alles das vor ihm voraus hat, was ich vorher unſerer Nation vindizirt habe.
Endlich scheint er für sein Leben das rechte Zentrum gefunden zu haben, denn die Hauptstadt von Frankreich, wo er sich jetzt aufhält, entspricht mit ihren Bewegungen, Umtrieben, glänzenden Gesellschaften ganz dem Charakters eines Schriftstellers, der dem witzigsten Franzosen leicht die Spitze bietet, und außerdem alles das vor ihm voraus hat, was ich vorher unserer Nation vindiziert habe.
wienbarg_feldzuege_1834
1,310
Von den Franzoſen bewundert, hat er in ſeiner letzten Schrift dieſe uͤber neue deutſche Literatur belehren wollen, was er, wenn auch einſeitig und zum Nachtheil Deutſchlands, durch die kuͤhnſten und geiſtreichſten Zuͤge unſerer deutſchen Koryphaͤen ausgefuͤhrt hat.
Von den Franzosen bewundert, hat er in seiner letzten Schrift diese über neue deutsche Literatur belehren wollen, was er, wenn auch einseitig und zum Nachteil Deutschlands, durch die kühnsten und geistreichsten Züge unserer deutschen Koryphäen ausgeführt hat.
wienbarg_feldzuege_1834
1,311
Heine's Einfluß auf die deutſche Jugend iſt unberechenbar, und dennoch wuͤrde er noch groͤßer ſein, wenn Heine von Grund aus Deutſch und vom ganzen Herzen, wie Jean Paul, ein Dichter und Humoriſt waͤre.
Heines Einfluss auf die deutsche Jugend ist unberechenbar, und dennoch würde er noch größer sein, wenn Heine von Grund aus Deutsch und vom ganzen Herzen, wie Jean Paul, ein Dichter und Humorist wäre.
wienbarg_feldzuege_1834
1,312
Allein ſo wie er iſt, muͤßte er vielleicht ſein, um Aufſehen zu erregen und Wirkung zu thun.
Allein so wie er ist, müsste er vielleicht sein, um Aufsehen zu erregen und Wirkung zu tun.
wienbarg_feldzuege_1834
1,313
Inwiefern ſein Talent die Aufmerkſamkeit der deutſchen Proſaiſten verdient, werde ich in der naͤchſten Vorleſung beruͤhren.
Inwiefern sein Talent die Aufmerksamkeit der deutschen Prosaisten verdient, werde ich in der nächsten Vorlesung berühren.
wienbarg_feldzuege_1834
1,314
Heinrich Heine verdient in doppelter Hinſicht die Aufmerkſamkeit der deutſchen Proſaiſten, ſowohl wegen der Tugenden, als der Fehler ſeines Stils, die eben ſo viel Lichter und Schatten ſeines Genius ſind.
Heinrich Heine verdient in doppelter Hinsicht die Aufmerksamkeit der deutschen Prosaisten, sowohl wegen der Tugenden, als der Fehler seines Stils, die ebenso viel Lichter und Schatten seines Genius sind.
wienbarg_feldzuege_1834
1,315
Im Allgemeinen verdient er aber durchaus die Auszeichnung, die wir ihm vor andern großen Proſaiſten zu Theil werden laſſen, als Charakterbild der neuen Proſa zu gelten; weder Goethe, noch Jean Paul, noch irgend ein anderer von den ausgezeichneten Geiſtern der juͤngſt vergangenen aͤſthetiſchen Epoche iſt geeignet, den Geiſt der Zeit und der neueſten Bewegungen aus der Abſpiegelung ihrer Proſawerke erkennen zu laſſen.
Im Allgemeinen verdient er aber durchaus die Auszeichnung, die wir ihm vor anderen großen Prosaisten zuteilwerden lassen, als Charakterbild der neuen Prosa zu gelten; weder Goethe, noch Jean Paul, noch irgendein anderer von den ausgezeichneten Geistern der jüngst vergangenen ästhetischen Epoche ist geeignet, den Geist der Zeit und der neuesten Bewegungen aus der Abspiegelung ihrer Prosawerke erkennen zu lassen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,316
Es liegt eine Kluft zwiſchen uns und jenen Werken, die dem gewoͤhnlichen Auge unſichtbar ſein mag, die aber dem ſchaͤrferen und geuͤbteren Blick in ihrer ganzen Breite und Tiefe nicht entgeht.
Es liegt eine Kluft zwischen uns und jenen Werken, die dem gewöhnlichen Auge unsichtbar sein mag, die aber dem schärferen und geübteren Blick in ihrer ganzen Breite und Tiefe nicht entgeht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,317
Dies auszufuͤhren wird meine heutige Aufgabe ſein.
Dies auszuführen wird meine heutige Aufgabe sein.
wienbarg_feldzuege_1834
1,318
Es iſt ſchwer, mit einigen Worten dieſen Unterſchied anzugeben; derſelbe liegt nicht allein in der Natur der ausgeſprochenen Anſichten, namentlich in der groͤßeren Freiheit der politiſchen, ſondern im verborgenen Raͤderwerk des Geiſtes, im Schwung, in der Konzentration der Gedanken nach einer gewiſſen Richtung, in der Wahl des Ausdrucks, im Bau der Periode, ſelbſt in ſcheinbaren Kleinigkeiten, wie Abſaͤtze, Punkte und Kommata ſind.
Es ist schwer, mit einigen Worten diesen Unterschied anzugeben; derselbe liegt nicht allein in der Natur der ausgesprochenen Ansichten, namentlich in der größeren Freiheit der politischen, sondern im verborgenen Räderwerk des Geistes, im Schwung, in der Konzentration der Gedanken nach einer gewissen Richtung, in der Wahl des Ausdrucks, im Bau der Periode, selbst in scheinbaren Kleinigkeiten, wie Absätze, Punkte und Kommata sind.
wienbarg_feldzuege_1834
1,319
Dennoch bringt es unſere Aufgabe mit ſich, wenigſtens den Verſuch zu machen, uns uͤber das Charakteriſtiſche des Sonſt und Jetzt in der Proſa ſo gut, als es geſchehen kann, aufs Reine zu bringen.
Dennoch bringt es unsere Aufgabe mit sich, wenigstens den Versuch zu machen, uns über das Charakteristische des Sonst und jetzt in der Prosa so gut, als es geschehen kann, aufs Reine zu bringen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,320
Gewiß, meine Herren, Sie werden ſich keinen groͤßeren Unterſchied in der Schreibart denken koͤnnen, als zwiſchen der Goethiſchen und der von Jean Paul, obgleich man doch Beide als Zeitgenoſſen zu betrachten hat; eben ſo auffallend wird Ihnen die Heineſche Schreibart von der des edeln Boͤrne abzuſtechen ſcheinen.
Gewiss, meine Herren, Sie werden sich keinen größeren Unterschied in der Schreibart denken können, als zwischen der Goetheschen und der von Jean Paul, obgleich man doch Beide als Zeitgenossen zu betrachten hat; ebenso auffallend wird Ihnen die Heinesche Schreibart von der des edlen Börne abzustechen scheinen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,321
Dennoch wird ein der Geſchichte kundiger, geiſtreicher Mann, der nach hundert Jahren die fruͤhere und jetzige deutſche Literatur ſeiner Aufmerkſamkeit wuͤrdig haͤlt, ohne Weiteres Goethe mit Jean Paul, Heine mit Boͤrne verbinden und jedem Paar ſeine eigenthuͤmliche Periode anweiſen; ſo ſtark und durchſichtig ſind die Kennzeichen, die jedes Zeitalter ſeinen bedeutenden Organen und Schriftſtellern anhaͤngt.
Dennoch wird ein der Geschichte kundiger, geistreicher Mann, der nach hundert Jahren die frühere und jetzige deutsche Literatur seiner Aufmerksamkeit würdig hält, ohne Weiteres Goethe mit Jean Paul, Heine mit Börne verbinden und jedem Paar seine eigentümliche Periode anweisen; so stark und durchsichtig sind die Kennzeichen, die jedes Zeitalter seinen bedeutenden Organen und Schriftstellern anhängt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,322
Charakteriſiren wir vorlaͤufig die vier genannten Schriftſteller und ihre Schreibart durch einige der hervorſtechendſten Zuͤge, welche Jedermann bei ihrer Leſung in die Augen ſpringen.
Charakterisieren wir vorläufig die vier genannten Schriftsteller und ihre Schreibart durch einige der hervorstechendsten Züge, welche jedermann bei ihrer Lesung in die Augen springen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,323
Goethe ſchreibt in ſeinen beſten Werken, wie ein Kuͤnſtler des Alterthums meißelt, jeder Meißelſchlag von den tauſenden, die leicht und zierlich vor unſern Augen angebracht werden, bringt eine neue Schoͤnheit ans Licht, zeigt uns eine neue Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herkules, bis die ganze kunſtreich verkoͤrperte Idee Fleiſch und Blut zu gewinnen ſcheint und mit der zarteſten Haut umgeben vor uns ſteht.
Goethe schreibt in seinen besten Werken, wie ein Künstler des Altertums meißelt, jeder Meißelschlag von den Tausenden, die leicht und zierlich vor unseren Augen angebracht werden, bringt eine neue Schönheit ans Licht, zeigt uns eine neue Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herkules, bis die ganze kunstreich verkörperte Idee Fleisch und Blut zu gewinnen scheint und mit der zartesten Haut umgeben vor uns steht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,324
Waͤhrend nun Goethe bei allen ſeinen Produktionen die Idee der Kunſt vor Augen ſchwebte und er kein Wort, keinen Gedanken niederſchrieb, um außer der Reihe der uͤbrigen damit zu glaͤnzen, ſondern jeden Ausdruck dem hoͤhern Ganzen unterordnete, hatte Jean Paul, ſein Zeitgenoſſe, gar keine Ahnung von Kunſt und kuͤnſtleriſcher Darſtellung, das Herz voll unausſprechlicher tiefer Gefuͤhle, den Kopf ſchwanger von Witz und Phantaſie, goß er eine Fluth von Gedanken und Gefuͤhlen aufs Papier hin, ſo wie er jedesmal im Moment angeregt und aufgelegt war, ohne ſich eben, zum Behuf einer konzipirten Kunſtidee, viel um die Stelle zu bekuͤmmern, wo er ſein Genie leuchten ließ.
Während nun Goethe bei allen seinen Produktionen die Idee der Kunst vor Augen schwebte und er kein Wort, keinen Gedanken niederschrieb, um außer der Reihe der übrigen damit zu glänzen, sondern jeden Ausdruck dem höheren Ganzen unterordnete, hatte Jean Paul, sein Zeitgenosse, gar keine Ahnung von Kunst und künstlerischer Darstellung, das Herz voll unaussprechlicher tiefer Gefühle, den Kopf schwanger von Witz und Phantasie, goss er eine Flut von Gedanken und Gefühlen aufs Papier hin, sowie er jedes Mal im Moment angeregt und aufgelegt war, ohne sich eben, zum Behuf einer konzipierten Kunstidee, viel um die Stelle zu bekümmern, wo er sein Genie leuchten ließ.
wienbarg_feldzuege_1834
1,325
Meiſtens gibt er zu viel und erdruͤckt, im Laufe eines Satzes faͤllt ihm Hunderterlei ein, was als Parentheſe oder zwiſchen Kommaten eingeſchloſſen wird und ſo gleichen ſeine Perioden dem Zickzack der Blitze und ſind nicht ſelten, wie dieſe, taube Schlaͤge, die wohl erſchuͤttern, aber nur momentan und keine Nachwirkung zuruͤcklaſſen.
Meistens gibt er zu viel und erdrückt, im Laufe eines Satzes fällt ihm Hunderterlei ein, was als Parenthese oder zwischen Kommaten eingeschlossen wird und so gleichen seine Perioden dem Zickzack der Blitze und sind nicht selten, wie diese, taube Schläge, die wohl erschüttern, aber nur momentan und keine Nachwirkung zurücklassen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,326
Boͤrne, an Gemuͤth ihm aͤhnlich, iſt ihm hierin ganz entgegengeſetzt, jeder Satz ein abgeſchloſſener Gedanke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung, Schritt vor Schritt ein Stuͤck Weges zuruͤckgelegt, Stoß um Stoß irgend eine traͤge Maſſe von Vorurtheilen und Dummheiten verdraͤngt.
Börne, an Gemüt ihm ähnlich, ist ihm hierin ganz entgegengesetzt, jeder Satz ein abgeschlossener Gedanke, Schlag um Schlag eine neue Behauptung, Schritt vor Schritt ein Stück Weges zurückgelegt, Stoß um Stoß irgendeine träge Masse von Vorurteilen und Dummheiten verdrängt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,327
Abſicht und Kunſt, wie bei Goethe, ſind ſelten an ſeiner Darſtellung zu merken, er draͤngt und faͤhrt nur ſo darein und kuͤmmert ſich nicht um das, was die Leute dazu ſagen.
Absicht und Kunst, wie bei Goethe, sind selten an seiner Darstellung zu merken, er drängt und fährt nur so darein und kümmert sich nicht um das, was die Leute dazu sagen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,328
Man ſollte meinen, daß Heine dies auch nur ſo thut, allein man wuͤrde ſich irren.
Man sollte meinen, dass Heine dies auch nur so tut, allein man würde sich irren.
wienbarg_feldzuege_1834
1,329
Vergleichen Sie den Heineſchen Stil mit dem Boͤrneſchen, ſo werden Sie die Abſichtlichkeit der Heineſchen Darſtellung als etwas ihr Eigenthuͤmliches nicht verkennen.
Vergleichen Sie den Heineschen Stil mit dem Börneschen, so werden Sie die Absichtlichkeit der Heineschen Darstellung als etwas ihr Eigentümliches nicht verkennen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,330
Heine bedenkt ſich, wo Boͤrne unbedenklich hinſchreibt und wo Jean Paul zwei Gedanken fuͤr einen in einander miſcht.
Heine bedenkt sich, wo Börne unbedenklich hinschreibt und wo Jean Paul zwei Gedanken für einen ineinander mischt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,331
Nicht, daß er um das, was er ſagen will, verlegen waͤre, nicht, daß ihm irgend eine Anſpielung, eine Vergleichung, eine geiſtreiche Wendung nicht zu Gebot ſtaͤnde, er bedenkt ſich, um den Ausdruck zu treffen, der das, was er ſagen will, unvergeßlich macht, das Wort zu finden, das ſeinen Gedanken auf das Eigenthuͤmlichſte und Schlagendſte wiedergibt.
Nicht, dass er um das, was er sagen will, verlegen wäre, nicht, dass ihm irgendeine Anspielung, eine Vergleichung, eine geistreiche Wendung nicht zu Gebot stände, er bedenkt sich, um den Ausdruck zu treffen, der das, was er sagen will, unvergesslich macht, das Wort zu finden, das seinen Gedanken auf das Eigentümlichste und Schlagendste wiedergibt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,332
Haͤlt man nun dieſe Zuͤge der bewaͤhrteſten Schriftſteller mit einander zuſammen, ſo moͤchte man eher Boͤrne mit Jean Paul, Heine mit Goethe in Vergleichung ſetzen, wenn man bei Beurtheilung eines Stiliſtikers von der Idee der Kunſt als tertium comparationis ausgeht.
Hält man nun diese Züge der bewährtesten Schriftsteller miteinander zusammen, so möchte man eher Börne mit Jean Paul, Heine mit Goethe in Vergleichung setzen, wenn man bei Beurteilung eines Stilistikers von der Idee der Kunst als tertium comparationis ausgeht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,333
Heine und Goethe, Boͤrne und Jean Paul ſind ſich in der That auch in Anlagen und geiſtigem Vermoͤgen verwandt, was auch von ihnen ſelbſt, ich meine von den Juͤngeren, Heine und Boͤrne, richtig gefuͤhlt und ausgeſprochen iſt; von Letzterem in der herrlichen Rede auf Jean Pauls Tod, das ſchoͤnſte Denkmal, das den Manen des großen Dichters errichtet worden und das zugleich, ſowohl durch die Begeiſterung der Sprache, als durch dieſe ſelbſt dem Redner einige unverwelkliche Blaͤtter aus Jean Pauls eigenem Ehrenkranz zuſichert.
Heine und Goethe, Börne und Jean Paul sind sich in der Tat auch in Anlagen und geistigem Vermögen verwandt, was auch von ihnen selbst, ich meine von den Jüngeren, Heine und Börne, richtig gefühlt und ausgesprochen ist; von Letzterem in der herrlichen Rede auf Jean Pauls Tod, das schönste Denkmal, das den Manen des großen Dichters errichtet worden und das zugleich, sowohl durch die Begeisterung der Sprache, als durch diese selbst dem Redner einige unverwelkbare Blätter aus Jean Pauls eigenem Ehrenkranz zusichert.
wienbarg_feldzuege_1834
1,334
Von Erſterem hier und da in ſeinen Schriften und namentlich an zwei Stellen, denſelben, die ich ihrer naiven Offenheit und Wahrheit wegen anzufuͤhren mich veranlaßt fuͤhle.
Von Ersterem hier und da in seinen Schriften und namentlich an zwei Stellen, denselben, die ich ihrer naiven Offenheit und Wahrheit wegen anzuführen mich veranlasst fühle.
wienbarg_feldzuege_1834
1,335
In einer Kritik des beruͤhmten Menzelſchen Werkes uͤber die neuere deutſche Literatur, befindlich in den Cottaiſchen Annalen, deren Herausgeber Heine eine Zeitlang war, wirft er Menzel die unanſtaͤndige Geringſchaͤtzung vor, mit welcher dieſer uͤber den Koͤnig der Schriftſteller, Goethe, aburtheilt und ihm nur, ſtatt des Genies, laͤcherlicherweiſe ein Talent zur Schriftſtellerei einraͤumt, bei welcher Gelegenheit Heine ſo witzig als beilaͤufig ausruft:
In einer Kritik des berühmten Menzelschen Werkes über die neuere deutsche Literatur, befindlich in den Cottaschen Annalen, deren Herausgeber Heine eine Zeitlang war, wirft er Menzel die unanständige Geringschätzung vor, mit welcher dieser über den König der Schriftsteller, Goethe, aburteilt und ihm nur, statt des Genies, lächerlicherweise ein Talent zur Schriftstellerei einräumt, bei welcher Gelegenheit Heine so witzig als beiläufig ausruft:
wienbarg_feldzuege_1834
1,336
Menzel muß wenigſtens eingeſtehen, daß Goethe mitunter das Talent hat, ein Genie zu ſein.
Menzel muss wenigstens eingestehen, dass Goethe mitunter das Talent hat, ein Genie zu sein.
wienbarg_feldzuege_1834
1,337
Allein bei der Rechtfertigung Goethe's unterlaͤßt er ſelbſt nicht, dieſem einen Vorwurf daruͤber zu machen, daß er in ſeinen alten Tagen ganz und gar die Titanenflegeljahre ſeiner Jugend, den rauhen Goͤtz, den ſchwuͤlen Werther, die ſtachlichten Xenien vergeſſe, die jungen Schriftſteller von Talent nicht anerkennen wolle, und dagegen die liebe geiſtige Mittelmaͤßigkeit ſeiner Nachbeter und Schuͤler mit vornehmer Protektion beehre.
Allein bei der Rechtfertigung Goethes unterlässt er selbst nicht, diesem einen Vorwurf darüber zu machen, dass er in seinen alten Tagen ganz und gar die Titanenflegeljahre seiner Jugend, den rauen Götz, den schwülen Werther, die stachligen Xenien vergesse, die jungen Schriftsteller von Talent nicht anerkennen wolle, und dagegen die liebe geistige Mittelmäßigkeit seiner Nachbeter und Schüler mit vornehmer Protektion beehre.
wienbarg_feldzuege_1834
1,338
Der Goethe kaͤme ihm vor, wie ein Raͤuberhauptmann, der ſich vom Handwerk zuruͤckgezogen und den Abend ſeines Lebens in einem kleinen Landſtaͤdtchen unter Philiſtern zubringe und vor dem zufaͤlligen Anblick eines alten kalabreſiſchen Waldgefaͤhrten unangenehm zuruͤckſchaudre — man ſieht, daß Heine ſich dieſe Rolle zutheilt.
Der Goethe käme ihm vor, wie ein Räuberhauptmann, der sich vom Handwerk zurückgezogen und den Abend seines Lebens in einem kleinen Landstädtchen unter Philistern zubringe und vor dem zufälligen Anblick eines alten kalabresischen Waldgefährten unangenehm zurückschaudere — man sieht, dass Heine sich diese Rolle zuteilt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,339
Der andern Stelle begegnet man in dem neueſten Heineſchen Werk, Geſchichte der deutſchen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehrfurcht vor Goethe's Genie ausſpricht und das etwas arrogante Eingeſtaͤndniß macht, nun, da Goethe todt ſei, duͤrfe er wohl bekennen, daß Alles, was er fruͤher gegen ihn hatte und aͤußerte, nur Folge ſeiner Eiferſucht geweſen.
Der anderen Stelle begegnet man in dem neuesten Heineschen Werk, Geschichte der deutschen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehrfurcht vor Goethes Genie ausspricht und das etwas arrogante Eingeständnis macht, nun, da Goethe tot sei, dürfe er wohl bekennen, dass alles, was er früher gegen ihn hatte und äußerte, nur Folge seiner Eifersucht gewesen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,340
Welches Merkmal iſt es alſo, das die Aeſthetik der neueſten Literatur, die Proſa eines Heine, Boͤrne, Menzel, Laube von fruͤherer Proſa unterſcheidet?
Welches Merkmal ist es also, das die Ästhetik der neuesten Literatur, die Prosa eines Heine, Börne, Menzel, Laube von früherer Prosa unterscheidet?
wienbarg_feldzuege_1834
1,341
Ich moͤchte ein Wort dafuͤr geben und ſagen, dies Merkmal iſt die Behaglichkeit, die ſichtbar aus der Goetheſchen und Jean Paulſchen Proſa ſpricht uud die der neueſten fehlt.
Ich möchte ein Wort dafür geben und sagen, dies Merkmal ist die Behaglichkeit, die sichtbar aus der Goetheschen und Jean Paulschen Prosa spricht und die der neuesten fehlt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,342
Jene fruͤheren Großen unſerer Literatur lebten in einer von der Welt abgeſchiedenen Sphaͤre, weich und warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt, und ſterblichen Goͤttern aͤhnlich auf die Leiden und Freuden der wirklichen Welt hinabſchauend und ſich vom Opferduft der Gefuͤhle und Wuͤnſche des Publikums ernaͤhrend.
Jene früheren Großen unserer Literatur lebten in einer von der Welt abgeschiedenen Sphäre, weich und warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt, und sterblichen Göttern ähnlich auf die Leiden und Freuden der wirklichen Welt hinabschauend und sich vom Opferduft der Gefühle und Wünsche des Publikums ernährend.
wienbarg_feldzuege_1834
1,343
Die neuern Schriftſteller ſind von dieſer ſichern Hoͤhe herabgeſtiegen, ſie machen einen Theil des Publikums aus, ſie ſtoßen ſich mit der Menge herum, ſie ereifern ſich, freuen ſich, lieben und zuͤrnen, wie jeder Andere, ſie ſchwimmen mitten im Strom der Welt und wenn ſie ſich durch etwas von den Uebrigen unterſcheiden, ſo iſt es, daß ſie die Vorſchwimmer ſind, und ſei es nur trocken und elegant auf dem Ruͤcken eines Delphins, wie Heine, oder naß und beſpritzt, wie Boͤrne, den Geſtaden der Zukunft entgegeneilen, welche die Zeit fuͤr „ihre hesperiſchen Gaͤrten gluͤcklicher Inſeln“ anſieht.
Die neueren Schriftsteller sind von dieser sicheren Höhe herabgestiegen, sie machen einen Teil des Publikums aus, sie stoßen sich mit der Menge herum, sie ereifern sich, freuen sich, lieben und zürnen, wie jeder Andere, sie schwimmen mitten im Strom der Welt und wenn sie sich durch etwas von den Übrigen unterscheiden, so ist es, dass sie die Vorschwimmer sind, und sei es nur trocken und elegant auf dem Rücken eines Delphins, wie Heine, oder nass und bespritzt, wie Börne, den Gestaden der Zukunft entgegeneilen, welche die Zeit für „ihre hesperischen Gärten glücklicher Inseln“ ansieht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,344
Behaglichkeit iſt in ſolcher Lage und bei ſolchem Streben nicht wohl denkbar, die Schriftſtellerei iſt kein Spiel ſchoͤner Geiſter, kein unſchuldiges Ergoͤtzen, keine leichte Beſchaͤftigung der Phantaſie mehr, ſondern der Geiſt der Zeit, der unſichtbar uͤber allen Koͤpfen waltet, ergreift des Schriftſtellers Hand und ſchreibt im Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geſchichte, die Dichter und aͤſthetiſchen Proſaiſten ſtehen nicht mehr, wie vormals, allein im Dienſt der Muſen, ſondern auch im Dienſt des Vaterlandes und allen maͤchtigen Zeitbeſtrebungen ſind ſie Verbuͤndete.
Behaglichkeit ist in solcher Lage und bei solchem Streben nicht wohl denkbar, die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet, ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt im Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geschichte, die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehen nicht mehr, wie vormals, allein im Dienst der Musen, sondern auch im Dienst des Vaterlandes und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Verbündete.
wienbarg_feldzuege_1834
1,345
Ja, ſie finden ſich nicht ſelten im Streit mit jenem ſchoͤnen Dienſt, dem ihre Vorgaͤnger huldigten, ſie koͤnnen die Natur nicht uͤber die Kunſt vergeſſen machen, ſie koͤnnen nicht immer ſo zart und aͤtheriſch dahinſchweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat ſich ihnen zu gewaltig aufgedrungen, und mit dieſer, das iſt ihre Schickſalsaufgabe, mit dieſer muß ihre Kraft ſo lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Ideellen feindlich Entgegengeſetzte iſt.
Ja, sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst, dem ihre Vorgänger huldigten, sie können die Natur nicht über die Kunst vergessen machen, sie können nicht immer so zart und ätherisch dahinschweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat sich ihnen zu gewaltig aufgedrungen, und mit dieser, das ist ihre Schicksalsaufgabe, mit dieser muss ihre Kraft so lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Ideellen feindlich Entgegengesetzte ist.
wienbarg_feldzuege_1834
1,346
Daher begreifen ſie auch, woher dieſe Quelle der Behaglichkeit, welche uͤber Goethe's Kunſtproſa, uͤber Jean Pauls Humor ſo ruhig und lieblich hinfließt, und der ſelbſt dieſem, ſo unkuͤnſtleriſch er auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung der Ruhe und Befriedigung mittheilt, welche mit dem Anſchauen klaſſiſcher Werke verknuͤpft iſt, als den Heineſchen Kunſtprodukten.
Daher begreifen sie auch, woher diese Quelle der Behaglichkeit, welche über Goethes Kunstprosa, über Jean Pauls Humor so ruhig und lieblich hinfließt, und der selbst diesem, so unkünstlerisch er auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung der Ruhe und Befriedigung mitteilt, welche mit dem Anschauen klassischer Werke verknüpft ist, als den Heineschen Kunstprodukten.
wienbarg_feldzuege_1834
1,347
Ich wuͤrde in Verlegenheit gerathen, ſollte ich im einzelſten Einzelnen an einem Satz, einer Periode das Geſagte nachweiſen, nichtsdeſtoweniger iſt eben dieſer verſchiedene Charakter im Ganzen, Großen, allen proſaiſchen Werken dieſer und jener Zeit aufgedruͤckt.
Ich würde in Verlegenheit geraten, sollte ich im einzelsten einzelnen an einem Satz, einer Periode das Gesagte nachweisen, nichtsdestoweniger ist eben dieser verschiedene Charakter im Ganzen, Großen, allen prosaischen Werken dieser und jener Zeit aufgedrückt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,348
Die neue Proſa iſt von der einen Seite vulgairer geworden, ſie verraͤth ihren Urſprung aus, ihre Gemeinſchaft mit dem Leben, von der andern Seite aber kuͤhner, ſchaͤrfer, neuer an Wendungen, ſie verraͤth ihren kriegeriſchen Charakter, ihren Kampf mit der Wirklichkeit, beſonders auch ihren Umgang mit der franzoͤſiſchen Schweſter, welcher ſie außerordentlich viel zu verdanken hat.
Die neue Prosa ist von der einen Seite vulgärer geworden, sie verrät ihren Ursprung aus, ihre Gemeinschaft mit dem Leben, von der anderen Seite aber kühner, schärfer, neuer an Wendungen, sie verrät ihren kriegerischen Charakter, ihren Kampf mit der Wirklichkeit, besonders auch ihren Umgang mit der französischen Schwester, welcher sie außerordentlich viel zu verdanken hat.
wienbarg_feldzuege_1834
1,349
Der deutſche Proſaiſt iſt ſeit der franzoͤſiſchen Revolution und eben durch franzoͤſiſche Schriften, Herr und Meiſter geworden uͤber das ungeheure Material der Sprache, das den fruͤhern Schriftſtellern in ellenlangen Perioden nachſchleppte, von Goethe aber freilich ſchon zu Kunſtarbeiten gluͤcklich verzimmert worden war.
Der deutsche Prosaist ist seit der Französischen Revolution und eben durch französische Schriften, Herr und Meister geworden über das ungeheure Material der Sprache, das den früheren Schriftstellern in ellenlangen Perioden nachschleppte, von Goethe aber freilich schon zu Kunstarbeiten glücklich verzimmert worden war.
wienbarg_feldzuege_1834
1,350
Die groͤßte Meiſterſchaft hat ſich Heine darin erworben, der den fluͤchtigen Ruhm, Liederdichter zu ſein, ſehr bald mit dem groͤßeren vertauſcht hat, auf dem koloſſalen, alle Toͤne der Welt umfaſſenden Inſtrument zu ſpielen, das unſere deutſche Proſa darbietet.
Die größte Meisterschaft hat sich Heine darin erworben, der den flüchtigen Ruhm, Liederdichter zu sein, sehr bald mit dem größeren vertauscht hat, auf dem kolossalen, alle Töne der Welt umfassenden Instrument zu spielen, das unsere deutsche Prosa darbietet.
wienbarg_feldzuege_1834
1,351
Die Witzader iſt bekanntlich die Hauptader der Heineſchen Proſa, ja der ganzen Heineſchen Perſon, der immer etwas auf den Lippen ſchwebt, was einem Witz aͤhnlich ſieht.
Die Witzader ist bekanntlich die Hauptader der Heineschen Prosa, ja der ganzen Heineschen Person, der immer etwas auf den Lippen schwebt, was einem Witz ähnlich sieht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,352
Der Witz iſt das, was Heine's Schriften ſo verbreitet und wirkſam macht, was aber auch zugleich die ſteifen Herren, die ariſtokratiſchen Herren, die pfaͤffiſchen Herren wider ſie aufbringt.
Der Witz ist das, was Heines Schriften so verbreitet und wirksam macht, was aber auch zugleich die steifen Herren, die aristokratischen Herren, die pfäffischen Herren wider sie aufbringt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,353
Es iſt uͤberhaupt in Deutſchland noch nicht lange her, daß es den Schriftſtellern ungeſtraft hinging, witzig zu ſein; die meiſten Schriftſteller gehoͤrten zur Klaſſe der Gelehrten und unter dieſer ſaftloſen und hochmuͤthigen Klaſſe hatte ſich eine ſolche Verachtung der urſpruͤnglichen und angebornen geiſtigen Gaben und namentlich des Witzes eingeniſtet, daß es um den Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich geſchehen war, wenn ihm das Malheur paſſirte, in ſeinen Schriften und Vortraͤgen eine geiſtreiche, bluͤhende und witzige Sprache zu fuͤhren.
Es ist überhaupt in Deutschland noch nicht lange her, dass es den Schriftstellern ungestraft hinging, witzig zu sein; die meisten Schriftsteller gehörten zur Klasse der Gelehrten und unter dieser saftlosen und hochmütigen Klasse hatte sich eine solche Verachtung der ursprünglichen und angeborenen geistigen Gaben und namentlich des Witzes eingenistet, dass es um den Ruf eines jungen Mannes unwiederbringlich geschehen war, wenn ihm das Malheur passierte, in seinen Schriften und Vorträgen eine geistreiche, blühende und witzige Sprache zu führen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,354
Die deutſchen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als waͤren ſie Ausſaͤtzige, und wirklich nannte der Schweizer Bodmer den Witz eine Kraͤtze des Geiſtes, die nicht eher Ruhe laͤßt, als bis ſie ſich durchjuckt.
Die deutschen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als wären sie aussätzige, und wirklich nannte der Schweizer Bodmer den Witz eine Krätze des Geistes, die nicht eher Ruhe lässt, als bis sie sich durchjuckt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,355
Allmaͤhlig aber ſind den Deutſchen die Augen, wie uͤber viele Dinge, ſo auch uͤber den Witz aufgegangen.
Allmählich aber sind den Deutschen die Augen, wie über viele Dinge, so auch über den Witz aufgegangen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,356
Die Nothwendigkeit deutſcher witziger Kultur vertheidigt Jean Paul mit folgenden Worten: es gibt nicht blos Entſchuldigungen der Kultur des Witzes, ſondern ſogar Aufforderungen dazu, welche ſich auf die deutſche Natur gruͤnden.
Die Notwendigkeit deutscher witziger Kultur verteidigt Jean Paul mit folgenden Worten: Es gibt nicht bloß Entschuldigungen der Kultur des Witzes, sondern sogar Aufforderungen dazu, welche sich auf die deutsche Natur gründen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,357
Alle Nationen bemerken an der deutſchen, daß unſere Ideen wand-, band-, niet- und nagelfeſt ſind und daß mehr der deutſche Kopf und die deutſchen Laͤnder zum Mobiliarvermoͤgen gehoͤren, als der Inhalt von beiden (naͤmlich die Gedanken und die Menſchen).
Alle Nationen bemerken an der deutschen, dass unsere Ideen wand-, band-, nicht- und nagelfest sind und dass mehr der deutsche Kopf und die deutschen Länder zum Mobiliarvermögen gehören, als der Inhalt von beiden (nämlich die Gedanken und die Menschen).
wienbarg_feldzuege_1834
1,358
Wie Wedekind den Waſſerſcheuen beide Aermel aneinander naͤht und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nerus vorliege und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege.
Wie Wedekind den Wasserscheuen beide Ärmel aneinandernäht und beide Strümpfe, um ihnen das Bewegen einigermaßen unmöglich zu machen, so werden von Jugend auf unseren inneren Menschen alle Glieder zusammengenäht, damit ruhiger Nexus vorliege und der Mann sich mehr im Ganzen bewege.
wienbarg_feldzuege_1834
1,359
Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewinnen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen rochiren koͤnnten.
Aber Himmel, welche Spiele könnten wir gewinnen, wenn wir mit unseren einsamen Ideen rochieren könnten.
wienbarg_feldzuege_1834
1,360
Zu neuen Zeiten gehoͤren durchaus freie; zu dieſen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorhergibt.
Zu neuen Zeiten gehören durchaus freie; zu diesen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorhergibt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,361
Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheidekunſt Feuer und Waſſer iſt.
Er ist für den Geist, was für die Scheidekunst Feuer und Wasser ist.
wienbarg_feldzuege_1834
1,362
Chemica non agunt nisi soluta, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbundene Koͤrper ſchaffen neue.
Chemica non agunt nisi soluta, das ist, nur die Flüssigkeit gibt die Freiheit zu neuer Gestaltung, oder, nur entbundene Körper schaffen neue.
wienbarg_feldzuege_1834
1,363
Beſinnt ſich ein Autor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts auf Herbſt- ‚Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Beſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand eingekerkert verliert und vertieft.
Besinnt sich ein Autor zum Beispiel bei Sommerflecken des Gesichts auf Herbst-, Lenz-, Winterflecken desselben, so offenbart er dadurch wenigstens ein freies Beschauen, welches sich nicht in den Gegenstand eingekerkert verliert und vertieft.
wienbarg_feldzuege_1834
1,364
Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm.
Uns fehlt zwar Geschmack für den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm.
wienbarg_feldzuege_1834
1,365
Wir haben Phantaſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht dieſer ſich zu jenem aufrichten.
Wir haben Phantasie; und die Phantasie kann sich leicht zum Witz einbücken, wie ein Riese zum Zwerg, aber nicht dieser sich zu jenem aufrichten.
wienbarg_feldzuege_1834
1,366
In Frankreich iſt die Nation witzig, bei uns die Elite.
In Frankreich ist die Nation witzig, bei uns die Elite.
wienbarg_feldzuege_1834
1,367
Da dem Deutſchen, faͤhrt Jean Paul ſatyriſch-witzig fort, folglich zum Witz nichts fehlt, als Freiheit, ſo geb' er ſich doch dieſe.
Da dem Deutschen, fährt Jean Paul satirisch-witzig fort, folglich zum Witz nichts fehlt, als Freiheit, so gebe er sich doch diese.
wienbarg_feldzuege_1834
1,368
Etwas glaubte er freilich fuͤr dieſe zu thun, daß er neuerer Zeit ein und das andere rheiniſche Laͤnderſtuͤck in Freiheit ſetzte, naͤmlich in franzoͤſiſche und wie ſonſt den Adel, ſo jetzt (dieſer Aufſatz iſt unter Napoleons Herrſchaft geſchrieben) die beſten Laͤnder, zur Bildung ſo zu ſagen auf Reiſen ſchickte zu einem Volk, das gewiß noch mehr frei iſt, als groß.
Etwas glaubte er freilich für diese zu tun, dass er neuerer Zeit ein und das andere rheinische Länderstück in Freiheit setzte, nämlich in französische und wie sonst den Adel, so jetzt (dieser Aufsatz ist unter Napoleons Herrschaft geschrieben) die besten Länder, zur Bildung sozusagen auf Reisen schickte zu einem Volk, das gewiss noch mehr frei ist, als groß.
wienbarg_feldzuege_1834
1,369
Hier iſt nur ein alter, aber unſchuldiger Weltzirkel, der uͤberall wieder vorkommt.
Hier ist nur ein alter, aber unschuldiger Weltzirkel, der überall wieder vorkommt.
wienbarg_feldzuege_1834
1,370
Die Menſchheit kann nie zur Freiheit gelangen ohne geiſtige hohe Ausbildung:
Die Menschheit kann nie zur Freiheit gelangen ohne geistige hohe Ausbildung:
wienbarg_feldzuege_1834
1,371
Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit.
Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit.
wienbarg_feldzuege_1834
1,372
Die Schuljugend uͤbe man im Witz; das ſpaͤtere Alter laſſe ſich zu dem Witz freilaſſen.
Die Schuljugend übe man im Witz; das spätere Alter lasse sich zu dem Witz freilassen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,373
So weit Jean Paul.
Soweit Jean Paul.
wienbarg_feldzuege_1834
1,374
Er ſelbſt hat zur geiſtigen Emanzipation der Deutſchen durch Humor und Witz, mehr als irgend ein anderer Schriftſteller ſeiner Zeit, beigetragen.
Er selbst hat zur geistigen Emanzipation der Deutschen durch Humor und Witz, mehr als irgendein anderer Schriftsteller seiner Zeit, beigetragen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,375
Ihm ſtand mehr Witz zu Gebot, als allen deutſchen Schriftſtellern zuſammengenommen, eine einzige Seite ſeiner Schriften wird ſelbſt durch den witzigſten Franzoſen und Englaͤnder kaum durch vier andere Seiten auſgewogen.
Ihm stand mehr Witz zu Gebot, als allen deutschen Schriftstellern zusammengenommen, eine einzige Seite seiner Schriften wird selbst durch den witzigsten Franzosen und Engländer kaum durch vier andere Seiten aufgewogen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,376
Dennoch mangelte ſeinem Witz der Charakter der Einheit, welchen die Kunſt und eine beſtimmte Gemuͤths- und Lebensrichtung den Strahlen des Witzes verleiht.
Dennoch mangelte seinem Witz der Charakter der Einheit, welchen die Kunst und eine bestimmte Gemütsund- und Lebensrichtung den Strahlen des Witzes verleiht.
wienbarg_feldzuege_1834
1,377
Der Witz an ſich iſt ein geiſtiges Queckſilber, das in tauſend Kuͤgelchen uͤber die Papierflaͤche rollt, ein ſcherzender Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, ein ungewiſſer Strahl, der ſich in Luft und Waſſer bricht und das reinſte Kryſtall, wie die truͤbſte Glasſcheibe durchflittert und vergoldet.
Der Witz an sich ist ein geistiges Quecksilber, das in tausend Kügelchen über die Papierfläche rollt, ein scherzender Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, ein ungewisser Strahl, der sich in Luft und Wasser bricht und das reinste Kristall, wie die trübste Glasscheibe durchflittert und vergoldet.
wienbarg_feldzuege_1834
1,378
Der Witz an ſich iſt der Diener aller Herren, der Dummen ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht der Servilen; denn er kehrt ſich nicht an Herz und Geſinnung, ſondern nur an den Verſtand und ein elender Saphir, ein Menſch, den man durch Furcht dahin bringen kann, die Peitſche zu kuͤſſen, die ihn gezuͤchtigt hat, kann einen Waſhington, einen Lafayette an Witz beſiegen und uͤberfluͤgeln.
Der Witz an sich ist der Diener aller Herren, der Dummen ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht der Servilen; denn er kehrt sich nicht an Herz und Gesinnung, sondern nur an den Verstand und ein elender Saphir, ein Mensch, den man durch Furcht dahin bringen kann, die Peitsche zu küssen, die ihn gezüchtigt hat, kann einen Washington, einen Lafayette an Witz besiegen und überflügeln.
wienbarg_feldzuege_1834
1,379
Nur wenn der Witz ſich mit edlerem Vermoͤgen paart, wenn er phantaſiereichen und gemuͤthvollen Menſchen zu Gebot ſteht, wenn er einem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit einander zu verknuͤpfen, kann er dem ernſteren Deutſchen gefallen: um uns am Witze nicht zu aͤrgern, muß uns der Charakter des Witzigen nicht aͤrgerlich ſein, um uns am Spiel des Witzes zu ergoͤtzen, muͤſſen wir ihn uͤber der Tiefe des Ernſtes ſchweben ſehen.
Nur wenn der Witz sich mit edlerem Vermögen paart, wenn er phantasiereichen und gemütvollen Menschen zu Gebot steht, wenn er einem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verknüpfen, kann er dem ernsteren Deutschen gefallen: um uns am Witze nicht zu ärgern, muss uns der Charakter des Witzigen nicht ärgerlich sein, um uns am Spiel des Witzes zu ergötzen, müssen wir ihn über der Tiefe des Ernstes schweben sehen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,380
Das iſt auch die Natur des deutſchen Witzes, der an Zweideutigkeiten und Wortſpielen wenig Geſchmack findet; und daß ſeine Natur ſo iſt, verdankt er eben ſeiner Verbindung mit der Phantaſie, welche ihn auf ihre Schwingen nimmt und ihn vor der Gefahr ſchuͤtzt, ins Kleinliche oder Gemeine auszuarten.
Das ist auch die Natur des deutschen Witzes, der an Zweideutigkeiten und Wortspielen wenig Geschmack findet; und dass seine Natur so ist, verdankt er eben seiner Verbindung mit der Phantasie, welche ihn auf ihre Schwingen nimmt und ihn vor der Gefahr schützt, ins Kleinliche oder Gemeine auszuarten.
wienbarg_feldzuege_1834
1,381
Allein auf der andern Seite hat dieſe Verbindung des Witzes mit der Phantaſie auch ihre Nachtheile; wie aus dem Beiſpiel Jean Pauls erhellt; deſſen Witz, bei einem geringeren Grad von Phantaſie, ſchlagender geweſen waͤre, als bei dieſer Ueberfuͤlle.
Allein auf der anderen Seite hat diese Verbindung des Witzes mit der Phantasie auch ihre Nachteile; wie aus dem Beispiel Jean Pauls erhellt; dessen Witz, bei einem geringeren Grad von Phantasie, schlagender gewesen wäre, als bei dieser Überfülle.
wienbarg_feldzuege_1834
1,382
Das iſt der Abweg des deutſchen Witzes, er wird zu phantaſtiſch, er entfernt ſich zu weit von der naͤchſten graden Gedankenlinie und verliert uͤber dem Haſchen das endliche Ziel aus den Augen.
Das ist der Abweg des deutschen Witzes, er wird zu phantastisch, er entfernt sich zu weit von der nächsten geraden Gedankenlinie und verliert über dem Haschen das endliche Ziel aus den Augen.
wienbarg_feldzuege_1834
1,383
Sie ſehen wohl, wo die Quelle dieſer wildgewordenen Witze, dieſer ins Blaue ſtreifenden Phantaſie zu ſuchen iſt.
Sie sehen wohl, wo die Quelle dieser wildgewordenen Witze, dieser ins Blaue streifenden Phantasie zu suchen ist.
wienbarg_feldzuege_1834
1,384
Denken Sie an Jean Paul.
Denken Sie an Jean Paul.
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1,385
War eine Lebenseinheit in ſeinem Charakter, ſchwebte ihm ein beſtimmtes Ziel vor Augen?
War eine Lebenseinheit in seinem Charakter, schwebte ihm ein bestimmtes Ziel vor Augen?
wienbarg_feldzuege_1834
1,386
Nein.
Nein.
wienbarg_feldzuege_1834
1,387
Er ſtrebte allem Hoͤchſten nach, aber nach Art der damaligen Poeten, mehr im Traum, als im Wachen, er war ein edler, freier Mann, er kannte die Gebrechen der Zeit, er fuͤhlte die Schmach des Vaterlandes, er zuͤrnte uͤber Ariſtokratismus und Moͤncherei, allein ſein Ringen nach einer beſſern Zeit zerfloß immer in Sentimentalitaͤt, und wenn er einmal eine ſtarke Lanze einlegte und gegen einen beſtimmten Feind zu Felde zog, ſo war ihm dieſer eher das Nachdruckergeſindel, und ſonſtige deutſche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Landesuͤbel, die der Patriot aufs Korn nehmen ſoll.
Er strebte allem Höchsten nach, aber nach Art der damaligen Poeten, mehr im Traum, als im Wachen, er war ein edler, freier Mann, er kannte die Gebrechen der Zeit, er fühlte die Schmach des Vaterlandes, er zürnte über Aristokratismus und Möncherei, allein sein Ringen nach einer besseren Zeit zerfloss immer in Sentimentalität, und wenn er einmal eine starke Lanze einlegte und gegen einen bestimmten Feind zu Felde zog, so war ihm dieser eher das Nachdruckergesindel, und sonstige deutsche Schofel und Schofeleien, als die großen Landesfeinde und Landesübel, die der Patriot aufs Korn nehmen soll.
wienbarg_feldzuege_1834
1,388
Das lag in ſeiner Zeit; in der unſrigen hat ſich der Witz einen Kampfplatz aufgeſucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verroſtete Helme und Kaputzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen ſchon Splitter und Stuͤcke genug auf dem Boden, welche ſeine Schaͤrfe und Kraft beurkunden.
Das lag in seiner Zeit; in der unsrigen hat sich der Witz einen Kampfplatz aufgesucht, wo er mit der Freiheit vereint gegen verrostete Helme und Kapuzen zu Felde zieht und gottlob, es liegen schon Splitter und Stücke genug auf dem Boden, welche seine Schärfe und Kraft beurkunden.
wienbarg_feldzuege_1834
1,389
Man laͤßt den Witz nicht mehr auf ſeine eigne Hand und nach den Grillen der Phantaſie hinlaufen, er iſt nicht mehr ein ungeſatteltes fluͤchtiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausſchlaͤgt und blos mit Luſt und Bewunderung uͤber ſeine Kuͤhnheit erfuͤllt, es ſitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf deſſen Wink und Fuͤhrung es die verhaßten Barrieren uͤberſpringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Unverſchaͤmtheit vor dem Genuß der Welt aufgeſchlagen hat.
Man lässt den Witz nicht mehr auf seine eigene Hand und nach den Grillen der Phantasie hinlaufen, er ist nicht mehr ein ungesatteltes flüchtiges Pferd, das ohne Bahn und Steg rechts und links ausschlägt und bloß mit Lust und Bewunderung über seine Kühnheit erfüllt, es sitzt ihm ein Reiter auf dem Nacken, auf dessen Wink und Führung es die verhassten Barrieren überspringt und niederreitet, welche die Dummheit und die Unverschämtheit vor dem Genuss der Welt aufgeschlagen hat.