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vg-koln-2022-08-17-21-k-79722
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21 K 797/22
2022-08-17T00:00:00
2022-09-13T10:01:18
2022-10-17T11:10:03
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0817.21K797.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p> <p>Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung von Entgelten für lizenzpflichtige Postdienstleistungen nach § 19 PostG im Rahmen des Price-Cap-Verfahrens. Die Klägerin ist der größte Träger der deutschen Rentenversicherung und eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Beigeladene ging am 1. Januar 1995 aus der früheren Behörde Deutsche Bundespost hervor und ist ein börsennotiertes Logistik- und Postunternehmen. Sie hält auf dem deutschen Markt für Briefdienstleistungen einen Umsatzanteil von mehr als 80 % und hat sich gegenüber der Beklagten verpflichtet, die Versorgung mit bestimmten grundlegenden Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet sicherzustellen (Universaldienst).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Entgeltgenehmigung vom 4. Dezember 2015 (BK0-00/000) genehmigte die Beklagte vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2018 in Ziffer 1. u.a. ein Entgelt von 0,70 € für die „Zusätzliche Leistung Werbeantwort Standardbrief“. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde ausgeführt, dass gegen diesen Beschluss innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Köln erhoben werden könne. Die Entscheidung wurde der Beigeladenen und den anderen im Verwaltungsverfahren Beteiligten zugestellt, nicht aber der Klägerin. Die Entgeltgenehmigung wurde am 13. Januar 2016 im Amtsblatt der Beklagten veröffentlicht.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Im Jahr 2017 führte die Klägerin die Sozialwahl 2017 durch. Im Vorfeld der Wahl hatte die Klägerin den Versand der Wahlunterlagen an die Wahlberechtigten im Wege eines offenen Verfahrens ausgeschrieben und der Beigeladenen den Zuschlag - für ein nicht preisreguliertes Produkt - erteilt. Für den Rücklauf der Wahlunterlagen nahm die Klägerin das preisregulierte Produkt „Zusätzliche Leistungen Werbeantwort Standardbrief“ in Anspruch. Insoweit wurden die Wahlunterlagen von den Wahlberechtigten zur Rücksendung an die Klägerin bei der Beigeladenen eingeliefert, das Porto dafür entrichtete die Klägerin („Porto zahlt Empfänger“). Insgesamt stellte die Beigeladene der Klägerin am 1. August und am 14. November 2017 für diese Leistung 6.063.558,90 € in Rechnung, die von der Klägerin bezahlt wurden.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 27. Januar 2022 hat die Klägerin gegen die Entgeltgenehmigung vom 4. Dezember 2015 Klage erhoben. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die Klage zulässig sei. Sie sei nicht verfristet, da die Entgeltgenehmigung der Klägerin nicht zugestellt worden sei. Eine öffentliche Bekanntgabe der Entgeltgenehmigungen nach § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 22 Abs. 4 PostG sei nach der Rechtsprechung der Kammer zum Telekommunikationsrecht unzulässig; diese Rechtsprechung müsse auf das Postrecht übertragen werden, da die Regelungen im Post- und Telekommunikationsrecht vergleichbar seien. Auch eine öffentliche Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG sei nicht erfolgt, da eine Entgeltgenehmigung keine Allgemeinverfügung sei und da es im Übrigen an einem Bekanntgabewillen fehle. Sollte das Gericht dennoch von einer wirksamen Bekanntgabe ausgehen, laufe zu Lasten der Klägerin gleichwohl weder die Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO noch die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO. Denn die auf der Internetseite der Beklagten veröffentlichte Rechtsbehelfsbelehrung sei aus Sicht der Postkunden dahin zu verstehen, dass sie selbst keine Klage erheben könnten, da sie nicht am Verfahren beteiligt und ihnen der Beschluss nicht zugestellt worden sei. Diese Belehrung sei einer Belehrung gleichzustellen, dass kein Rechtsmittel bestehe.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin habe ihr Klagerecht auch nicht verwirkt. Die Verwirkung eines Klagerechts setze voraus, dass der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf habe vertrauen dürfen, dass dieser sein Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend mache (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete hierauf auch tatsächlich vertraut habe (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehe. Das Verhalten des Berechtigten müsse beim Verpflichteten nicht nur die Vorstellung begründet haben, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde; der Verpflichtete müsse sich hierauf auch tatsächlich eingerichtet haben. Es sei daher ein Ursachenzusammenhang zwischen der verzögerten Geltendmachung des Rechts und den Dispositionen des Verpflichteten erforderlich. Durch bloßen Zeitablauf könne hingegen eine Verwirkung nicht eintreten.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für eine Verwirkung lägen nicht vor, wenn der Verpflichtete davon ausgehen müsse, dass der Berechtigte von den ihm zustehenden Ansprüchen nichts wisse. So liege es hier: Weder habe die Klägerin gewusst, dass das erhobene Porto auf einer Genehmigung beruhe, noch habe sie ihr Anfechtungsrecht und die Rechtswidrigkeit der Genehmigung bis zur Aufklärung durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten gekannt; das habe der Beklagte und der Beigeladenen klar sein müssen. Dieser fehlenden Kenntnis stehe auch kein „Kennen-müssen“ der Klägerin gleich. Denn die Mitarbeiter der Klägerin seien nicht verpflichtet gewesen, diesbezüglich Erkundigungen einzuholen. Insbesondere bestehe zwischen den Kunden der Beigeladenen und dieser insoweit kein besonderes Treueverhältnis. Es gehe um ein Massengeschäft und jeder einzelne neue Beförderungsauftrag begründe ein neues Vertragsverhältnis, das mit Zahlung des Portos und Beförderung des Briefs abgeschlossen sei. Erst im Jahr 2015 sei eine Klagebefugnis der Endkunden durch das Bundesverwaltungsgericht anerkannt worden, eine breitere Aufmerksamkeit in Presse und Rundfunk habe das Urteil aber nicht gefunden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin habe für die Beigeladene auch keine Vertrauensgrundlage dadurch geschaffen, dass sie die Porti bezahlt habe. Insbesondere sei unerheblich, dass die Beigeladene ihre Leistungen bereits erbracht habe. Denn die Klägerin sei auf die Leistungen der Beigeladenen angewiesen gewesen; dies gelte auch für die Inanspruchnahme der zusätzlichen Leistung Werbeantwort Standardbrief. Auch liege ein Vertrauenstatbestand bei der Beklagten nicht vor. Die Beklagte habe ein Verfahren zur Rücknahme der Entgeltgenehmigung 2019 eingeleitet und der Presse darüber Auskunft gegeben, dieses Verfahren sei dann aber still und heimlich eingestellt worden. Es wäre vielmehr objektiv geboten gewesen, dass die Überprüfung der Genehmigung 2019 zu einer Neufestsetzung der Porti führe, die einen Ausgleich dafür schaffe, dass die Postkunden in der vorangegangenen Entgeltgenehmigung überhöhte Porti bezahlt hätten. Auch bei der Beigeladenen liege ein Vertrauenstatbestand nicht vor. Denn nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 - habe die Beigeladene nicht darauf vertrauen können, dass es weitere Klagen gegen die Entgeltgenehmigungen nicht geben werde. Schließlich gebe es keinen Ursachenzusammenhang zwischen einer etwa von der Klägerin geschaffenen Vertrauensgrundlage und einer Betätigung des Vertrauens durch die Beigeladene (wie dies etwa im Baurecht regelmäßig der Fall sei). Denn die Beigeladene habe sich infolge des Verhaltens der Klägerin nicht darauf eingerichtet, dass die Klägerin die erteilten Entgeltgenehmigung nicht mehr anfechten werde.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Auch sei das Verhalten der Klägerin nicht illoyal gewesen. Zum einen sei eine Klageerhebung gegen Porti in den Jahren 2016 bis 2019 völlig unüblich gewesen; nur ein Verband habe jeweils Klagen erhoben. Zum anderen sei auch das Zuwarten in den Jahren 2020 und 2021 nachvollziehbar gewesen, da es im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes Bestrebungen gegeben habe, die Entgeltgenehmigungen im Hinblick auf die Monita des Bundesverwaltungsgerichtes neu zu ordnen. Schließlich sei eine Rückabwicklung der gezahlten Porti der Beigeladenen auch zumutbar. Angesichts des Gesamtumsatzes der Beigeladenen für die streitgegenständlichen Leistungen sei das, was die Klägerin zurückverlangen könne, marginal. Eine andere Beurteilung sei auch nicht deshalb geboten, weil weitere Postkunden die Entgeltgenehmigung anfechten und Ansprüche auf Rückerstattung des überzahlten Portos geltend machen könnten. Ein großer Teil der Verbraucher und der kleinen Unternehmen werde keine Klage erheben, weil sich diese Postkunden ihres Klagerechts nicht bewusst seien oder weil sich eine Klage für sie nicht lohne. Die Großkunden der Beigeladenen nähmen überwiegend andere, nicht der Entgeltgenehmigung unterliegende Produkte der Beigeladenen in Anspruch (insbesondere Teilleistungen). Daher werde die Beigeladene die Gewinne, die ihr durch die rechtswidrige Bemessung des Gewinnzuschlags zugeflossen seien, ohnehin zu einem großen Teil behalten können.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Annahme einer Verwirkung (binnen Jahresfrist) auch mit dem unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz unvereinbar wäre, der hier nach Art. 22 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (Postrichtlinie) Geltung beanspruche. Danach sei das Verhalten der Postkunden nicht treuwidrig, wenn sie von der Erhebung einer Klage absähen, solange nicht geklärt sei, dass die genehmigten Entgelte rechtswidrig seien. Die große Mehrheit der Postkunden sei darauf angewiesen, dass die Klärung durch einen Kläger herbeigeführt werde, der über den Willen und die Ressourcen für einen Anfechtungsprozess verfüge und diesen durch die Instanzen führe. Dementsprechend sei im Rahmen des unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes im Kartell- und Verbraucherschutzrecht anerkannt, dass im Rahmen der Prüfung einer Verjährung zu berücksichtigen sei, ob Kenntnis darüber bestehe, dass das beanstandete Verhalten rechtswidrig gewesen sei oder nicht. Diese kartellrechtlichen Grundsätze seien hier zur Anwendung zu bringen, da die Vorschriften nach §§ 20 ff. PostG einem mit dem Kartellrecht vergleichbaren Schutz der Postkunden dienten; die Postkunden seien - mit nur wenigen Ausnahmen - nicht in der Lage, die Rechtswidrigkeit einer Entgeltgenehmigung für die Porti der Beigeladenen selbst zu beurteilen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">den Beschluss der Beklagten vom 4. Dezember 2015 (Az.: BK0-00/000) im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als die Beklagte darin die Entgelte für die zusätzliche Leistung Werbeantwort Standardbrief (national) genehmigt hat.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei unzulässig, da verfristet (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde derjenige, der sichere Kenntnis von der Erteilung einer Genehmigung habe oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erlangen müssen, so behandelt, als wäre ihm die Genehmigung im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bekanntgegeben worden (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris). Hier habe aber die Klägerin spätestens bei der Abwicklung der Sozialwahl bzw. bei der Inanspruchnahme der Beförderungsleistungen von den Entgeltgenehmigungen erfahren. Auch habe eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die regelmäßig Postdienstleistungen ausschreibe, einen direkten Zugang zu Informationen und ein gesteigertes Interesse an den rechtlichen Vorgaben im Postsektor. Zumindest müsse aber insoweit die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO gelten. Schließlich bleibe offen, warum gegen die Entgeltgenehmigung aus dem Jahr 2015 auch nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Mai 2020 nicht Rechtsmittel eingelegt worden seien.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Weiter fehle es an einem Rechtsschutzinteresse der Klägerin, da etwaige Erstattungsansprüche der Klägerin gegenüber der Beigeladenen verjährt seien. Jedenfalls sei das Recht zur Klageerhebung aber verwirkt gewesen. Die Klägerin habe sich mit der Klage gegen die Entgeltgenehmigungen fast sechs Jahre Zeit gelassen. Eine Klageerhebung mit einer derartigen zeitlichen Verzögerung sei als missbräuchliche Rechtsausübung zu sehen, da die Beklagte zu einem so späten Zeitpunkt nicht mehr mit einer Klageerhebung habe rechnen müssen. Somit sei auch das Umstandsmoment erfüllt. Die betroffene Behörde rechne nicht mehr mit einer Klageerhebung gegen die von ihr getroffene Entscheidung, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen ihr gegenüber untätig bleibe, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte. Bei der Bewertung des noch tolerablen Zeitraums dürfe nicht schematisch auf einen bestimmten Zeitablauf abgestellt werden, sondern es sei von den näheren Umständen des Einzelfalls auszugehen. Denn von der Verwirkung des Rechtsschutzinteresses könne auch dann ausgegangen werden, wenn zwar das Umstandsmoment in den Hintergrund trete, aber der Kläger eine derart lange Zeit abgewart habe, dass mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Auch ein Abwarten der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren 6 C 1.19 und der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe lasse nicht auf eine Erweiterung des tolerablen Zeitrahmens schließen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei bereits am 27. Mai 2020 ergangen und sei vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Pressemitteilung vom 28. Mai 2020 kommuniziert worden. Bis zur Klageerhebung habe die Klägerin nochmals rund anderthalb Jahre verstreichen lassen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene beantragt,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei unzulässig, da verfristet. Die Verfristung ergebe sich daraus, dass die Klägerin hier die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO nicht eingehalten habe. Eine Anwendung dieser Jahresfrist scheitere nicht daran, dass keine wirksame Bekanntgabe vorliege. Die Rechtsprechung der Kammer zum Telekommunikationsrecht könne im Hinblick auf § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht auf das Postrecht übertragen werden. Denn die Beigeladene als reguliertes Unternehmen befördere werktäglich im Schnitt fast 50 Mio. Briefsendungen und schließe damit werktäglich also fast 50 Mio. Beförderungsverträge ab. Daher sei der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen, dass mit der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung der erteilten Entgeltgenehmigungen im Amtsblatt (§ 22 Abs. 4 PostG) den Publizitätsvorschriften für den Beginn der Rechtsmittelfristen genüge getan worden sei. Jedenfalls seien die Entgeltgenehmigungen nach dem Postrecht Allgemeinverfügungen nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG, welche öffentlich bekannt gegeben werden dürften. Aber selbst wenn man der Auffassung sei, dass die Veröffentlichungen im Amtsblatt mangels ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung keine Form der öffentlichen Bekanntgabe darstelle, sei die Gesetzeslücke über den Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 Satz 1 1 Alt. VwGO zu schließen. Dies ergebe sich daraus, dass jedem Kunden mit Inanspruchnahme der von der Beigeladenen erbrachten Beförderungsleistung der Regelungsgehalt der aktuell gültigen Entgeltgenehmigung umfassend verdeutlicht werde. Nicht überzeugen könne schließlich die Argumentation der Klägerin, wonach die Jahresfrist deswegen nicht zu laufen begonnen habe, weil die Gegenausnahme in § 58 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. VwGO einschlägig sei. Insbesondere habe hier die Rechtsbehelfsbelehrung nicht den Hinweis enthalten, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Auch habe die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt, da sie über 6 Jahre zugewartet habe, bevor sie Klage erhoben habe. Die Verwirkung stehe damit im Zusammenhang, dass zwischen den Endkunden der Beigeladenen und dieser ein besonderes Treueverhältnis bestehe, weil es in den - massenhaften - Vertragsverhältnissen in aller Regel nicht zu einem direkten Kontakt zwischen der Beigeladenen und ihren Kunden komme. Vielmehr würden die Verträge faktisch abgeschlossen, und zwar durch Einwurf in den Briefkasten der Beigeladenen. Die Beigeladene sei bei diesem Befund darauf angewiesen, dass die Kunden ihre Bedenken gegenüber den genehmigten Entgelten alsbald nach erstmaliger Inanspruchnahme der Beförderungsleistungen gegenüber der Beigeladenen, zumindest gegenüber der Beklagten, äußerten. Im besonderen Fall der Klägerin komme hinzu, dass sie im Rahmen der Sozialwahl 2017 erhebliche Sendungsmengen bei der Beigeladenen eingeliefert habe. Sie habe ein erhebliches Portovolumen generiert und habe sich bewusst für die Beigeladene als Vertragspartnerin und Beförderungsunternehmen entschieden. In diesem Zusammenhang sei sie, schon aufgrund des für sie geltenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit, gehalten gewesen zu prüfen, ob die von der Beigeladenen geforderten Entgelte rechtmäßig seien. Es sei daher nicht nur zu einer intensiveren Vertragsbeziehung gekommen, sondern auch zu einer dem Baunachbarverhältnis vergleichbaren Konstellation.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Auch sei der Klägerin eine frühere Klageerhebung zumutbar gewesen. So sei seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 - die Klagemöglichkeit von Endkunden bekannt gewesen. Auf die Schaffung einer Vertrauensgrundlage durch die Klägerin und deren Inanspruchnahme durch die Beigeladene könne es hier nicht ankommen. Es liegt auf der Hand, dass aufgrund dieser schieren Masse von Vertragsabschlüssen durch die Beigeladene bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorlägen, nicht darauf abgestellt werden könne, wie das Verhalten des einzelnen Postkunden aus Sicht der Beigeladenen zu beurteilen sei. In den allermeisten Fällen, nämlich immer dann, wenn es zum faktischen Vertragsabschluss komme, kenne die Beigeladene die Kunden gar nicht. Sie könne über die Kundenverhältnisse, die durch faktischen Vertragsschluss zustande kommen, auch aus rein tatsächlichen Gründen keine Vertragsdokumentation führen. Vielmehr sei grundsätzlich darauf abzustellen, dass die Porti entrichtet worden seien. Schließlich sei es der Beigeladenen auch nicht zumutbar, der Klägerin das Porto zu erstatten. Immerhin gehe es um ein Portovolumen in Höhe von mehr als 6 Mio. €. Auch favorisiere die Klägerin eine Auslegung des Verwirkungstatbestands, der im Ergebnis einer nahezu unbegrenzten Zahl von Anfechtungen den Weg zu den Verwaltungsgerichten öffne. Damit stünden noch wesentlich höhere Summen in Rede, als sie vorliegend ohnehin schon geltend gemacht worden seien.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ein Konflikt mit dem unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz bestehe nicht, da nicht erkennbar sei, dass eine postrechtliche Entgeltgenehmigung aus unionsrechtlichen Gründen noch nach über sechs Jahren und zu einem Zeitpunkt anfechtbar sein müsse, zu dem bereits die folgende Regulierungsperiode ihrerseits abgelaufen sei. Der Vergleich der Klägerin mit einer Abschöpfung im Kartellrecht gehe fehl, da es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Postrecht eine Abschöpfung wie im Kartellrecht nicht gebe. Die Rechtsprechung Manfredi, auf die sich die Klägerin beziehe, nehme nur kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in den Blick. Dies bedeute einen qualitativen Unterschied zu dem hier in Rede stehenden Anfechtungsrecht nach den nationalen, verwaltungsgerichtlichen Bestimmungen. Denn die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche knüpften an das primärrechtlich verankerte Kartell- bzw. Missbrauchsverbot in Art. 101, 102 AEUV an, das keiner Umsetzung mehr bedürfe. Vorliegend stünden aber keine primärrechtlich eingeräumten Rechtspositionen der Postkunden in Rede. Vielmehr formuliere das einschlägige Sekundärrecht in Art. 22 Abs. 3 Satz 1 der Postrichtlinie nur den Auftrag an die Mitgliedsstaaten, wirksame Verfahren vorzusehen, nach denen jeder Nutzer oder Postdiensteanbieter, der von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffen sei, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen könne. Der Unionsgesetzgeber habe demnach im Postrecht gerade nicht wie im Kartellrecht Rechte der Nutzer und Postdiensteanbieter im Primärrecht geschaffen. Auch sonst scheide eine Übernahme der diesbezüglichen kartellrechtlichen Grundsätze aus, zumal sich diese auf Verjährungsfristen bezögen, während es hier um Klagefristen gehe. Verjährungs- und Klagefristen hätten qualitativ unterschiedliche Zielsetzungen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bundesnetzagentur Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist. Zwar steht der Zulässigkeit der Klage keine fehlende Klagebefugnis (1.), keine Fristversäumung (2.) oder kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis (3.) entgegen. Jedoch hat die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt (4.).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">1. Die Klägerin ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Dritte sind nach § 42 Abs. 2 VwGO berechtigt, die Genehmigung des Entgelts für eine bestimmte Postdienstleistung gerichtlich anzugreifen, wenn sie diese Dienstleistung während der Geltungsdauer der Genehmigung in Anspruch genommen haben. Unter dieser Voraussetzung greift die Entgeltgenehmigung in das einfach-rechtlich gewährleistete Recht auch der Klägerin ein, frei mit jedermann Verträge abschließen zu können (vgl. § 311 BGB). Dieses Recht wird durch die rechtsgestaltende Wirkung der Entgeltgenehmigung nach § 23 Abs. 1 und 2 Satz 1 PostG beeinträchtigt, weil weder das regulierte Unternehmen noch seine Kunden Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen können.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Danach kann die Klägerin den genannten Beschluss für die zusätzliche Leistung „Werbeantwort Standardbrief“ angreifen, da sie diese Leistung in der genannten Entgeltgenehmigungsperiode unstreitig in Anspruch genommen hat.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">2. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Klagefrist versäumt hat. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage zwar innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Der Lauf dieser Frist setzt jedoch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe voraus, die hier nicht vorlag. Unstreitig wurde der Beschluss vom 4. Dezember 2015 der Klägerin gegenüber nicht nach § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 bekannt gegeben. Eine Bekanntgabe erfolgte der Klägerin gegenüber auch nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 22 Abs. 4 PostG. Denn § 22 Abs. 4 PostG stellt keine Rechtsvorschrift dar, mit der ein Verwaltungsakt öffentlich bekannt gegeben werden darf. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 4 PostG. Dort wird von einer Veröffentlichung genehmigter Entgelte gesprochen. Weder ist dort die Rede von einer Bekanntgabe, vor allem aber spricht die Vorschrift von der Veröffentlichung <span style="text-decoration:underline">genehmigter</span> Entgelte; Entgelte werden aber erst <span style="text-decoration:underline">durch</span> Bekanntgabe genehmigt. Dies wird durch systematische Überlegungen bestätigt. Eine Bekanntgaberegelung ist allein in § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 enthalten. Insoweit kann § 22 Abs. 4 PostG auch nicht als spezielle Regelung allein für das Postrecht verstanden werden, da auch § 28 Abs. 4 TKG 1996 - neben den Vorschriften für eine Bekanntgabe - eine Veröffentlichung von Entgelten nach dem TKG im Amtsblatt der Regulierungsbehörde vorsah. Das Gesagte wird endlich durch den Sinn und Zweck des § 22 Abs. 4 PostG bestätigt. Die Vorschrift zielt nicht auf die Kunden der Beigeladenen sondern auf ihre Wettbewerber. Es soll zur Information der Marktteilnehmer und damit zum Schutz des Wettbewerbs erreicht werden, dass die genehmigte Postdienstleistung anhand der bei Antragstellung vorzulegenden Leistungsbeschreibung auch inhaltlich konkretisiert werden kann. Nur so sind betroffene Marktteilnehmer in der Lage zu beurteilen, ob es für die konkrete, vom marktbeherrschenden Unternehmen angebotene Leistung bereits ein genehmigtes Entgelt gibt und wie hoch dieses ist.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu Lübbing, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 22 Rn. 84. Vgl. zu alldem aus dem TKG auch VG Köln, Urteil vom 1. August 2007 - 21 K 4013/06 -, juris Rn. 28 ff.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Auch erfolgte hier eine wirksame Bekanntgabe nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m. der Veröffentlichung im Amtsblatt der Regulierungsbehörde. Nach dieser Vorschrift darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Dabei kann dahinstehen, ob postrechtliche Entgeltgenehmigungen Allgemeinverfügungen darstellen und ob ein Amtsblatt einer Bundesbehörde als „ortsübliches Bekanntmachungsorgan“ im Sinne von § 41 Abs. 4 VwVfG angesehen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Für die Einstufung einer telekommunikationsrechtlichen Entgeltgenehmigung als Allgemeinverfügung: Neumann, jurisPR-BVerwG 6/2014 Anm. 6.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls ist Voraussetzung jeglicher Bekanntgabe - auch der Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG -, dass ein diesbezüglicher Bekanngabewillen - hier also ein Willen zur öffentlichen Bekanntgabe - vorlag.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 53 und Baer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 41 Rn. 22.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Bekanntgabewille bestand hier ersichtlich allerdings nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten, nicht aber gegenüber der Allgemeinheit und der Klägerin. Hinsichtlich der Veröffentlichung im Bundesanzeiger wurde nur verfügt: „Bitte Veröffentlichung des anliegenden Manuskriptes im nächsten Amtsblatt veranlassen“ (vgl. zu alldem Bl. 775 ff., 834 ff BA II im Verfahren VG Köln 21 K 5020/21). Dass damit - in Übereinstimmung mit der vorherigen Bekanntgabe an die im Verwaltungsverfahren Beteiligten - eine weitere Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung erfolgen sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass § 22 Abs. 4 PostG - den die Beklagte offensichtlich angewendet hat - eben keine Bekanntgabevorschrift darstellt und dass die gewählte Rechtsmittelbelehrung - Klagefrist von einem Monat nach <em>Zustellung</em> - ersichtlich nicht auf die Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung zugeschnitten ist.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Schließlich und endlich erfolgte eine Bekanntgabe hier nicht nach § 8 VwZG durch tatsächliche Kenntnisnahme von der Entgeltgenehmigung (wann auch immer diese erfolgt sein mag). Zwar ist § 8 VwZG entsprechend auch auf Bekanntgabemängel anwendbar. Jedoch erfordert eine Heilung nach dieser Vorschrift auch, dass ein Bekanntgabewille vorlag. Daran fehlt es hier jedoch.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Zu den Voraussetzungen des § 8 VwZG vgl. z.B. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 232, 237; Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Auflage 2021, § 8 Rn. 1 f.; L. Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 56. Edition Stand: 1. Oktober 2019, § 8 VwZG Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">3. Der Zulässigkeit der Klage steht kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 (3) und Beschluss vom 26. Februar 2014 - 6 C 3.13 -, BVerwGE 149, 94 Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Hier liegt ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin vor. Ihr Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich daraus, dass sie nach einer Aufhebung der Entgeltgenehmigung die von ihr gezahlten Porti von der Beigeladenen nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zurückverlangen könnte. Eine Verjährung der diesbezüglichen Ansprüche wäre nicht eingetreten, da die Verjährungsfrist nach einer Aufhebung der Entgeltgenehmigung - die eine ex-tunc-Wirkung hätte - gehemmt worden wäre.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Verweis auf das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 67 m.w.N. Siehe zur Verjährungsfrist BGH, Urteil vom 4. März 2021 - III ZR 39/20 -, juris Rn. 39. Zur ex-tunc-Wirkung von Kassationen z.B. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 2 C 4.80 -, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">4. Die Klägerin hat ihr Klagerecht jedoch verwirkt. Es ist unstreitig, dass Klagerechte verwirkt werden können. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch im öffentlichen Recht Anwendung findet.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, juris Rn. 18; BVerwG. Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 18 sowie Beschlüsse vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 9 und vom 8. September 2020 - 1 B 31.20 -, juris Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Eine Verwirkung von Klagerechten setzt voraus, dass das Klagerecht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Klagerhebung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Klagerhebung unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten - oder bei einem Dritten - daraus erwachsenen Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist dann der Fall, wenn seit der Möglichkeit der Klageerhebung längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment). Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (sog. Vertrauensmoment).</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 19 ff. und vom 16. Mai 1991 - 4 C.89 -, juris Rn. 22 ff. sowie Beschluss vom 18. Juli 2019 - 6 B 18.19 -, juris Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Eine „Möglichkeit zur Klageerhebung“ in dem genannten Sinne ist bei einer Anfechtungsklage dann gegeben, wenn der Kläger den in Rede stehenden Verwaltungsakt kannte oder kennen musste. Ein „Kennen-müssen“ liegt vor, wenn sich dem Kläger das Vorliegen eines Verwaltungsaktes aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich über die Existenz und den Inhalt des Verwaltungsaktes - etwa durch einfache Nachfrage - Gewissheit zu verschaffen; dabei <em>können</em> sich Erkundigungsobliegenheiten aus einem Treueverhältnis ergeben. Im Baurecht ist beispielsweise anerkannt, dass sich grundsätzlich ein solches „Kennen-müssen“ aus dem äußerlichen Baubeginn ergibt. Dem entspricht es, wenn im Beamtenrecht auf die Kenntnis von der tatsächlichen Beförderung von Mitbewerbern abgestellt wird.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 9 ff. und Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 24 ff. jeweils m.w.N. Eine Modifikation hinsichtlich einer Berücksichtigung auch des „Kennen-müssens“ folgt nicht aus dem Beschluss des BVerwG vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 -, juris Rn. 12. Soweit dort nur von einem „Kennen“ die Rede ist, geht es um die Frage, ob der Kläger davon wusste, dass ihm zustehende Rechte möglicherweise tangiert wurden.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Dagegen ist hingegen grundsätzlich unerheblich, ob der Betroffene weiß, dass der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist (oder nicht). Denn die Verwirkung knüpft zunächst einmal an die Möglichkeit zur Klageerhebung an, ob eine Klage aber begründet (oder unbegründet) ist, hat mit einer Möglichkeit zur Klageerhebung nichts zu tun. Auch hat die Verwirkung des prozessualen Rechts zur Folge, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung nicht mehr geltend machen kann; daraus folgt zugleich, dass es für die Annahme einer Verwirkung unerheblich ist, ob ein Verwaltungsakt rechtskonform ist oder nicht. Das stimmt damit überein, dass - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - die Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 60 Abs. 1 VwGO keine Widereinsetzung in die Klagefrist (nach anschließender Kenntniserlangung) rechtfertigt.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Zur Unerheblichkeit der Rechtskonformität eines Verwaltungsaktes für eine Verwirkung BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 B 103.17 -, juris Rn. 4 f. und Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 21. Zur Unerheblichkeit der Kenntnis von der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes für eine Wiedereinsetzung BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 1989 - 7 B 40.89 -, juris Rn. 5 vom 18. Juli 1988 - 3 B 33.88 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des sog. „Zeitmoments“ bei der Verwirkung ist zu berücksichtigen, wieviel Zeit sei der Möglichkeit der Klageerhebung vergangen ist. Je mehr Zeit von der Möglichkeit zur Klageerhebung bis zur tatsächlichen Klageerhebung vergangen ist, desto eher wird eine Verwirkung in Betracht kommen. In der Regel wird die Verwirkungsfrist in Anlehnung an die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 1 Alt. VwGO bestimmt.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Zur je länger, je eher Regel vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. September 2020 - 1 B 31.20 -, juris Rn. 10 m.w.N. Zur „regelmäßigen“ Bestimmung der Verwirkungsfrist in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1 Alt. VwGO z.B. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 28 und Beschlüsse vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 8 f., 14 f. und vom 13. März 2020 - 8 B 2.20 -, juris Rn. 17; BFH, Urteil vom 14. Juni 1972 - II 149/65 -, juris Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des „Umstands-„ und des „Vertrauensmoments“ der Verwirkung ist in den Blick zu nehmen, ob neben dem Zeitablauf besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten - oder bei einem Dritten - daraus erwachsenen Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Dies ist der Fall, wenn der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (siehe Oben). Dabei sind die Merkmale - Möglichkeit der Klageerhebung, Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment - nicht in jedem Fall klar voneinander abgrenzbar und stehen in einer Wechselwirkung. Fehlt z.B. das Umstands- oder/und das Vertrauensmoment, tritt zwar eine Verwirkung auch bei sehr langer Dauer der Nichtgeltendmachung eines Rechts jedenfalls regelmäßig nicht ein. Infolge der genannten Wechselwirkung der Merkmale zueinander kann aber auch anderes gelten. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände. Dies kann im Einzelfall bei mehrpoligen Rechtsbeziehungen zu komplexen Abwägungsvorgängen führen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, juris Rn. 19; BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 19 ff. und vom 16. Mai 1991 - 4 C.89 -, juris Rn. 22 ff. sowie Beschluss vom 18. Juli 2019 - 6 B 18.19 -, juris Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Insoweit sind die Interessen der Beteiligten in den Blick zu nehmen. Zu diesen Beteiligten gehört - zunächst einmal - der Kläger. So darf über die Annahme einer Verwirkung - dessen Rechtsschutzanspruch nicht praktisch unmöglich oder unzumutbar gemacht oder übermäßig erschwert werden. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beschränkung aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 15. April 1980 - 2 BvR 970/79 -, juris Rn. 6, vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris Rn. 56 und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 370/84 -, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Andererseits sind auch die Interessen der übrigen Beteiligten - d.h. die Interessen des Beklagten und etwa Beigeladener - in den Blick zu nehmen. Insbesondere - d.h. aber nicht nur! - dann, wenn die genannten Beteiligten aufgrund der Untätigkeit des Klägers den Eindruck gewinnen durften, dass eine Klageerhebung nicht beabsichtigt sei und es dann infolge dieses Eindrucks und infolge des Zeitablaufes zu Rechtsverlusten kommt oder wenn der Beigeladene im Vertrauen auf eine Nichtklageerhebung Dispositionen getroffen hat, sind deren Interessen schutzwürdig. Aber auch andere Interessen von Beteiligten sind zu berücksichtigen, so z.B. die Interessen an der Erhaltung der Stabilität von Ämtern von Beteiligten.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 35 und Beschlüsse vom Beschlüsse vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 15, vom 18. Juli 2019 - 6 B 18.19 -, juris Rn. 16 ff. und vom 13. März 2020 - 8 B 2.20 -, juris Rn. 18.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Gewichtung der Interessen der Beteiligten ist zu berücksichtigen, ob die Beteiligten untereinander in einem besonderen Verhältnis stehen, das es rechtfertigt für alle Beteiligen - also auch für den Kläger - Treuepflichten zu beachten. In der Rechtsprechung ist dies für das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis zugrunde gelegt worden. Denn nach Treu und Glauben wird von den grenznachbarlich Verbundenen eine besondere Rücksichtnahme gegeneinander gefordert.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 24 sowie Beschlüsse vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 -, juris Rn 12 ff. und vom 13. März 2020 - 8 B 2.20 -, Umdruck Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Schließlich sind im Rahmen der Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht nur die Interessen Beteiligter, sondern auch öffentliche Interessen in den Blick zu nehmen. Solche öffentlichen Interessen können Interessen an der Erhaltung des Rechtsfriedens sein, aber auch andere Interessen (wie z.B. die Interessen an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung).</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, juris Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 30 f. sowie Beschluss vom 8. September 2020 - 1 B 31.20 -, juris Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt hat die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt. Spätestens seit Mitte 2017 musste sie ihr Klagerecht kennen (a). Gleichwohl hat sie erst am 27. Januar 2022 - also ca. 4 ½ Jahre später - gegen die Entgeltgenehmigung Klage erhoben (b). Zu diesem Zeitpunkt lagen besondere Umstände vor, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (c).</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">a) Die Klägerin musste ihr Klagerecht seit spätestens Mitte 2017 - d.h. seit Inanspruchnahme der Leistung für die hier angegriffene Entgeltgenehmigung - kennen. Dass die Entgelte für die hier beanspruchte Dienstleistung auf einer Entgeltgenehmigung beruhen, ergibt sich unmittelbar aus den §§ 19 ff. PostG und dass auch Endkunden gegen solche Entgeltgenehmigungen klagen können (so sie die Leistung in Anspruch genommen haben), ist seit 2015 anerkannt.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 11 ff. Über diese Entscheidung wurde auch in den Medien berichtet, vgl. z.B. 134 ff. GA in dem Verfahren VG Köln 21 K 5050/21.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Dass die Klägerin beides nicht gewusst hat, mag sein (wenngleich dies für den ersten Umstand schon sehr unwahrscheinlich ist). Wenn sie jedoch mit der Beigeladenen im Zuge der Sozialwahl 2017 als Körperschaft des öffentlichen Rechts Verträge über die Beförderung von Post im nicht regulierten Bereich in Millionenhöhe abgeschlossen und die regulierte Leistung der Beigeladenen planmäßig ebenfalls in Millionenhöhe in Anspruch genommen hat, so wäre sie gehalten gewesen, Rechtsrat hinsichtlich der Entgeltgenehmigung und deren Anfechtbarkeit einzuholen. Von daher kann an dieser Stelle dahinstehen, ob hier auch ein besonderes Treuverhältnis bestand (was der Fall ist, siehe unten), aufgrund dessen sie zur Einholung von Rechtsrat gehalten gewesen wäre. Richtig ist allerdings, dass die Klägerin Mitte 2017 nicht wissen musste, dass die jetzt angegriffene Entgeltgenehmigung rechtswidrig war. Dies hat sich letztinstanzlich erst 2020 herausgestellt.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 43 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Das ist allerdings unerheblich (siehe oben). Anderes ergibt sich hier nicht aus Art. 22 Abs. 3 Satz 1 der Postrichtlinie in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz. Nach Art. 22 Abs. 3 der Postrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten u.a. sicher, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer, der von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffen ist, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Im Rahmen dieser Vorschrift gilt auch der gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgrundsatz. Dieser Grundsatz gebietet es, dass das nationale Recht die Ausübung der durch Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren darf. Allerdings sind Geltung und Reichweite des Effektivitätsgrundsatzes von der jeweiligen nationalen Verfahrensordnung abhängig.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Zu alldem siehe EuGH, Urteile vom 20. September 2001 - C-453/99 -, juris Rn. 29 ff., vom 13. Juli 2006 - C-295/04 -, juris Rn. 77 ff. und vom 22. April 2021 - C-485/19 -, juris Rn. 51 ff. und 53 zur Bezugnahme auf die jeweilige nationale Verfahrensordnung.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Hier sieht die nationale Verfahrensordnung vor, dass die Entgelte für Porti durch Entgeltgenehmigung, also durch Verwaltungsakt, geregelt werden. Dass Verwaltungsakte bestimmte Sachbereiche regeln - und zwar abschließend - ergibt sich unmittelbar aus § 35 VwVfG; dass sie dies grundsätzlich ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit tun, ergibt sich aus den §§ 43 ff VwVfG. Vor diesem Hintergrund regelt das nationale Recht grundsätzlich bestimmte Fristen für den Angriff auf die Verwaltungsakte (§§ 74, 58 Abs. 2 VwGO) die auch dann gelten, wenn die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte unklar ist. Das ist konsequent: Ist die Rechtswirksamkeit eines Verwaltungsaktes nicht von dessen Rechtmäßigkeit abhängig, muss es für die Frage, ob und wann dieser Verwaltungsakt angegriffen werden kann auf anderes ankommen. Daher kann die Rechtsprechung des EuGH zum Kartell- und Verbraucherschutzrecht nicht auf die hier zu entscheidende Frage übertragen werden. Zwar hat der EuGH es dort bezüglich des Laufs von Verjährungsfristen unter dem Gesichtspunkt der Effektivität z.T. wohl nicht für zulässig angesehen, den Lauf der Verjährungsfrist davon unabhängig zu gestalten, ob der Kläger die Chance hatte, die Kartell- bzw. Verbraucherrechtswidrigkeit eines Verhaltens zu erkennen oder nicht. Anknüpfungspunkt dieser Rechtsprechung waren jedoch bestimmte Handlungen privater Individuen, deren Rechtmäßigkeit in Rede stand.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 20. September 2001 - C-453/99 -, juris Rn. 29 ff., vom 13. Juli 2006 - C-295/04 -, juris Rn. 77 ff. und vom 22. April 2021 - C-485/19 -, juris Rn. 51 ff.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Hier ist jedoch nach nationalem Recht der Anknüpfungspunkt von Klagerechten ein Verwaltungsakt, dessen Wirksamkeit grundsätzlich von seiner Rechtmäßigkeit nicht berührt wird. Von daher ist es zwangsläufig, dass die Eröffnung von Klagerechten gegen einen Verwaltungsakt nicht von dessen Rechtmäßigkeit bzw. deren Kenntnis abhängen kann. Auch bezieht sich die Frage der Verjährung eines Anspruches unmittelbar auf das jeweilige materielle Recht, dementsprechend ist es nachvollziehbar, die Frage des Laufs von Verjährungsfristen auf das jeweilige materielle Recht zu beziehen. Anderes gilt hingegen, soweit es um Zulässigkeitsfragen geht, wie etwa die Wahrung einer Frist oder die Annahme einer Verwirkung. Schließlich haben Klagen im Kartell- bzw. Verbraucherschutzrecht eine spezifische Schutzfunktion. An einer solchen spezifischen Schutzfunktion fehlt es aber für allgemeine verwaltungsrechtliche Klagen und zwar auch dann, wenn man auf Art. 22 Abs. 3 der Postrichtlinie abstellt. Abgesehen von alldem ist nicht ersichtlich, weshalb es unzumutbar sein sollte, binnen 4 ½ Jahren Klage gegen einen Verwaltungsakt zu erheben.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">b) Daher ist vorliegend auch das Zeitmoment für eine Verwirkung gegeben. Hier sind seit dem Zeitpunkt der möglichen Klagerhebung im Jahr 2017 (Inanspruchnahme der Leistungen) bis zur tatsächlichen Klageerhebung ca. 4 ½ Jahre verstrichen. Die Klage liegt damit weit außerhalb der Frist, mit der das sog. Zeitmoment in entsprechende Anwendung von § 58 Abs. 2 VwGO regelmäßig bemessen wird. Vielmehr ist das Verstreichen dieser 4 ½ Jahre eher ein Argument dafür, dass die Klägerin bei Klageerhebung ihr Recht zur Klageerhebung bereits verwirkt hatte. Dies gilt zumal deshalb, als die Klageerhebung zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, in dem die angegriffene Entgeltgenehmigung längst ausgelaufen war.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">c) Zu dem Zeitpunkt der Klageerhebung Anfang 2022 lagen hier besondere Umstände vor, welche die verspätete Klageerhebung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Für die Klägerin ist dabei in den Blick zu nehmen, dass ihr eine vorherige Erhebung der Klage gegen die Entgeltgenehmigung ohne weiteres zumutbar gewesen ist. Die Klägerin ist der größte Träger der Deutschen Rentenversicherung und sie ist mit der Beigeladenen - was die vorliegend angegriffene Entgeltgenehmigung angeht - unter Rahmenbedingungen in Kontakt getreten, welche eine deutlich frühere Klageerhebung nahe gelegen hätten. Es ging um Portoentgelte, die planmäßig in Millionenhöhe anfielen und die im Zusammenhang mit anderen Entgelten standen, die in Millionenhöhe individuell ausgehandelt wurden. Bezüglich der Beigeladenen ist in den Blick zu nehmen, dass diese aus einer Nicht-Klageerhebung durch die Klägerin nach 4 ½ Jahren schließen durfte, dass eine Klage auch nicht mehr erhoben werden würde. Zwar wurden hierauf gestützte Dispositionen der Beigeladenen nicht getroffen. Gleichwohl war die Beigeladene insoweit - d.h. hinsichtlich der Klägerin - schutzwürdig. Dabei kann hier dahinstehen, für welche Zeiträume die Interessen der Beigeladenen als schutzwürdig angesehen werden können (siehe das Urteil vom heutigen Tag im Verfahren VG Köln 21 K 5020/21). Jedenfalls ist offensichtlich, dass die Beigeladene ein schutzwürdiges Interesse daran hat, dass es <em>irgendeine</em> zeitliche Begrenzung der Klagemöglichkeiten gibt. Denn sonst könnten <em>alle</em> Kunden der Post - d.h. ca. 50 Millionen - nach dem Durchlauf eines Musterverfahrens - ohne jegliche zeitliche Begrenzung und ohne prozessuale Risiken - alle Porti rückabwickeln. Dies würde dann auch für die Leistung „Zusätzliche Leistung Werbeantwort Standardbrief“ gelten. Das würde allgemein den Fortbestand der Beigeladenen in Rede stellen bzw. bezüglich der konkreten Leistung „Zusätzliche Leistung Werbeantwort Standardbrief“ die Möglichkeit der Beigeladenen zur Erbringung dieser Leistung. Dabei ist allein ausschlaggebend, dass bereits die Möglichkeit einer zeitlich unbeschränkten Rückforderung von Porti den Bestand der Beigeladenen bzw. die Möglichkeit, die von ihr erbrachten Leistungen weiter zu erbringen, in Frage stellen würde; die Beigeladene könnte sich nicht darauf verlassen, dass bestehende Rechte nicht auch tatsächlich ausgeübt werden. Insoweit steht der generellen Schutzwürdigkeit der Beigeladenen nicht entgegen, dass im Rahmen einer Verwirkung nur individuelle Momente ausschlaggebend sein könnten. Dem steht hier schon entgegen, dass es vorliegend um Massenverkehrsleistungen geht.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. August 2015 - 6 C 8/14 -, juris Rn. 22 und vom 20. Februar 1981 - 7 C 29/78 -, juris Rn. 21.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Der Schutzwürdigkeit der Beigeladenen steht dabei auch nicht entgegen, dass sie verpflichtet gewesen wäre, Rücklagen zu bilden, um erga omnes überhöhte Entgelte zurückzuzahlen. Denn eine solche Rückzahlungsverpflichtung bedürfte jedenfalls einer gesetzlichen Grundlage, für die hier aber nichts ersichtlich ist. Auch eine Verpflichtung zur Bildung von Rücklagen aufgrund des Umstandes, dass es eine Verpflichtung zur Abschöpfung etwa zu Unrecht vereinnahmter überhöhter Entgelte gebe, besteht nicht. Denn eine solche Abschöpfungsverpflichtung gibt es nicht.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Zu Rückzahlungsverpflichtungen im Kommunalabgabenrecht aufgrund gesetzlicher Grundlage VGH B.-W., Urteil vom 11. März  2010 - 2 S 2938/08 – juris Rn. 42 ff.; anders etwa für das nordrhein-westfälische Landesrecht OVG NRW, Urteil vom 30. November  2010 - 9 A 1579/08 -, juris Rn. 11 ff. Zur - fehlenden - Abschöpfungsverpflichtung im Postrecht siehe BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 63 ff.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Es tritt hinzu, dass die Klägerin und die Beigeladene in einem dauerhaften Schuldverhältnis standen, aus dem Treuepflichten folgten, die eine zügige Erhebung von Klagen gegen die Entgeltgenehmigung nahelegten. Die Klägerin hat zum einen mit der Beigeladenen in erheblichem Umfang Verträge über die Beförderung von Post im nicht regulierten Bereich abgeschlossen. Sie hat zum anderen - und zwar planmäßig - die regulierten Leistung der Beigeladenen (deren Genehmigung sie nunmehr angreift) in ganz erheblichem Umfang in Anspruch genommen und auch bezahlt. Für dieses private Beförderungsverhältnis gelten grundsätzlich die Vorschriften über den Werkvertrag nach §§ 631 ff BGB und über den Frachtvertrag nach §§ 407 ff. HGB (vgl. Nr. 2 Abs. 1 und Nr. 1 Abs. 3 der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG BRIEF NATIONAL i.V.m. § 407 Abs. 1 und 2 HGB); damit findet grundsätzlich auch § 242 BGB Anwendung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Beförderungsverhältnis kein einmaliges, sondern ein (häufig) wiederkehrendes Verhältnis war, wodurch in besonderem Umfang die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben geboten ist.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben bei häufig wiederkehrenden Rechtsverhältnissen vgl. Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 242 BGB Rn. 46 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Das gilt selbst dann, wenn man die „Werbeantwort Standardbrief“ als Universaldienstleistung ansehen würde (wofür einiges spricht). Zwar wäre die Beigeladene dann hier zur Beförderung der Briefe der Klägerin nach § 3 PDLV i.V.m. §§ 13, 14, 56 PostG verpflichtet gewesen und der privatrechtliche Briefbeförderungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen wäre öffentlich-rechtlich überlagert gewesen (§ 11 Abs. 2 PostG i.V.m. §§ 2 ff. PUDLV und § 18 PostG i.V.m. §§ 2 ff. PDLV). Allerdings machen gerade die Regelungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung und der Postdienstleistungsverordnung deutlich, dass es bei ihnen um einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen der Klägerin und die Beigeladenen geht. Damit sprächen diese Regelungen nicht gegen, sondern eher für das Bestehen eines Treueverhältnisses.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Zur Beförderungsverpflichtung der Beigeladenen vgl. VG Köln, Beschluss vom 4. Januar 2021 - 21 L 2082/20 -, juris Rn. 29 ff. m.w.N. Zum Ausgleichcharakter von PUDLV und PDLV vgl. §§ 2 ff. und 6 PUDLV sowie §§ 2 und 3 PDLV. Zum Rückschluss von Regelungen mit Ausgleichscharakter auf ein Treueverhältnis vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 -, juris Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Würde man die „Werbeantwort Standardbrief“ als Universaldienstleistung ansehen, würden schließlich auch öffentliche Interessen dafür sprechen, dass die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt hat. Denn ohne eine zeitliche Begrenzung von Klagerechten wäre eine Erbringung der Leistung „Werbeantwort Standardbrief“ nicht möglich. Das würde dann auch öffentliche Interessen - nämlich solche an der Erhaltung des Universaldienstes (§§ 11 ff. PostG) - beeinträchtigen.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Damit ergibt sich bei zusammenfassender Sichtweise, dass die Klägerin hier ihr Klagerecht dadurch verwirkt hat, dass sie erst 4 ½ Jahren nach Inanspruchnahme der regulierten Leistung Klage gegen die Entgeltgenehmigung erhoben hat, obschon ihr dies bereits vorher möglich gewesen wäre und obschon sowohl Interessen der Beigeladenen als auch das Bestehen eines Treueverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladgenen für eine vorherige Klageerhebung gesprochen hätten. Dies wird weiter dadurch gestützt, dass die Inanspruchnahme der Leistung „Zusätzliche Leistung Werbeantwort Standardbrief“ mit einer Individualvereinbarung für den Versand der Wahlunterlagen an die Wahlberechtigten im Zusammenhang stand. Die Beigeladene musste aber nicht damit rechnen, dass nach der vollständigen „Abwicklung“ der Vereinbarung für den Versand der Wahlunterlagen und der damit im Zusammenhang stehenden „Zusätzlichen Leistung Werbeantwort Standardbrief“ noch ca. 4 ½ Jahre später gegen eine Entgeltgenehmigung aus dem Jahr 2015 Klage erhoben wird.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Dabei steht dem Gesagten nicht durchgreifend entgegen, dass die Beklagte im Jahr 2020/2021 zwischenzeitlich erwogen hat, die der hier angegriffenen Entgeltgenehmigung nachfolgende Entgeltgenehmigung zurückzunehmen. Denn von einer Rücknahme der hier angegriffenen Entgeltgenehmigung war nie die Rede. Auch spricht alles dafür, dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt ihr Recht zur Klageerhebung verwirkt hatte. Jedenfalls erfolgte die Klageerhebung hier auch deutlich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte ihre diesbezügliche Prüfung beendet hatte. Schließlich spricht gegen dieses Ergebnis auch nicht die Wertung des § 58 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. VwGO. Nach dieser Vorschrift kann ein Rechtsbehelf ohne Rücksicht auf eine Frist eingelegt werden, wenn eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Zwar wird diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend auf den Fall angewendet, in dem eine Rechtsbehelfsbelehrung im Hinblick auf einen <em>falschen</em> Rechtsbehelf erfolgt ist. Eine dergestalt falsche Rechtsmittelbelehrung war hier der angegriffenen Entgeltgenehmigung jedoch nicht beigefügt worden. Allein der Umstand, dass die Rechtsbehelfsbelehrung der Entgeltgenehmigung bezüglich der Klägerin deshalb falsch war, da sie auf eine Zustellung abstellte (die gegenüber der Klägerin nicht erfolgt ist), ändert nichts daran, dass der richtige Rechtsbehelf („Klage“) in der Rechtsmittelbelehrung angegeben worden war. Einer Ausweitung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 58 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. VwGO auf die Fälle „einfach“ falscher Rechtmittelbelehrungen steht § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO entgegen. Auch konnte die Rechtmittelbelehrung nicht so verstanden werden, dass nur diejenigen, denen die Entscheidung zugestellt wurde, dagegen Klage erheben konnten. Die Bezugnahme auf die „Zustellung“ erfolgte hier nur im Rahmen der Berechnung der Monatsfrist und nicht im Hinblick darauf, dass auch die Klagemöglichkeit von der Zustellung abhänge.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 58 Abs. 2 Satz 1 2 Alt. VwGO vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 2. April 1987 - 5 C 67.84 -, juris Rn. 15 m.w.N. Zur „einfachen“ Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Klägerin hier vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2012 - 14 B 1566/11 -, juris Rn. 2 f.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Die Berufung und die Sprungrevision sind gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 124 a Abs. 1 S. 1 VwGO sowie § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 134 VwGO zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Den Beteiligten steht gegen dieses Urteil die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ‑‑ ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Den Beteiligten steht gegen dieses Urteil wahlweise statt der Berufung auch die Revision an das Bundesverwaltungsgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Kläger und der Beklagte zustimmen.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich einzulegen.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist schriftlich bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, eingelegt wird. Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Zudem ist der Revisionsschrift die Zustimmung des Klägers und des Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision beizufügen.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Im Revisionsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Revision und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Revisionsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">6.063.558,90 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht der Bedeutung der Sache für die Klägerin (§ 52 Abs. 1 GKG). Denn jedenfalls für diesen Betrag hat sie Porti bezahlt, die auf der angegriffenen Entgeltgenehmigung beruhen. Ob und wieviel an Porti sie für die erbrachten Leistungen der Beigeladenen nach der hier begehrten Aufhebung der Entgeltgenehmigung letztlich zu zahlen hätte, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,523
vg-koln-2022-08-17-21-k-361620
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21 K 3616/20
2022-08-17T00:00:00
2022-09-13T10:01:17
2022-10-17T11:10:03
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0817.21K3616.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Ziffer 1 und 3 des Beschlusses der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (BK0-00/000) werden im Verhältnis zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Genehmigung für Standardbriefe (national) aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1/3.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten u.a. um die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung von Entgelten für lizenzpflichtige Postdienstleistungen für Standardbriefe National nach § 19 PostG im Rahmen des Price-Cap-Verfahrens. Die Klägerin ist nach ihren Angaben in ihrem aktuellen Internetauftritt ein Mailingspezialist (<a href="http://www.">www. „Bezugsquelle</a> wurde entfernt“). Die Beigeladene ging am 1. Januar 1995 aus der früheren Behörde Deutsche Bundespost hervor und ist ein börsennotiertes Logistik- und Postunternehmen. Sie hält auf dem deutschen Markt für Briefdienstleistungen einen Umsatzanteil von mehr als 80 % und hat sich gegenüber der Beklagten verpflichtet, die Versorgung mit bestimmten grundlegenden Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet sicherzustellen (Universaldienst).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf Antrag der Beigeladenen wurden mit Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 die zu erwartende Produktivitätsfortschrittsrate (X-Faktor) für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2021 auf insgesamt -5,41% festgelegt. Für die konkrete Genehmigungsfähigkeit genehmigungsbedürftiger Entgelte wurde auf die Price-Cap-Formel verwiesen, in der der X-Faktor eine Rolle spiele. In der Sache wurde ausgeführt, dass bei der Vorgabe der Maßgrößen, insbesondere bei der Festlegung der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittrate, das Verhältnis des Ausgangsniveaus zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung einschließlich der einzubeziehenden neutralen Aufwendungen zu berücksichtigen sei. Zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung bzw. den neutralen Aufwendungen gehöre auch ein angemessener Gewinnzuschlag. Bei der Ermittlung des angemessenen Gewinnzuschlags seien nach § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntGV in der vom 22. März 2019 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PEntgV 2019) insbesondere die Gewinnmargen solcher Unternehmen als Vergleich heranzuziehen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig seien. Daraus ergebe sich eine durchschnittliche Umsatzrendite von 7,61 %.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Gemeinkosten wurde u.a. ausgeführt, dass diese einerseits nach dem Verteilungsprinzip der Verursachung zu verteilen seien. Andereseits komme das Tragfähigkeitsprinzip zur Anwendung. Die Segmente des Nicht-Price-Cap-Bereiches trügen zur Lastendeckung bei. Die profitablen Segmente könnten neben ihren originären Lasten auch Lasten weniger profitabler Nicht-Price-Segmente bzw. Sub-Segmente tragen. Die Tragfähigkeit eines Segments errechne sich aus der Differenz zwischen dem segmentspezifischen Umsatz und den segementspezifischen KeL. Ergebe sich für ein Segment ein positiver Deckungsbeitrag, werde dieser zur Deckung der originären Lasten herangezogen. Ein nach Verrechnung verbleibender positiver Deckungsbeitrag, diene der Abgeltung von Lasten, die in anderen Segmenten durch positive Deckungsbeiträge nicht gedeckt werden könnten. Allein die nach dieser zweiten Verrechung nicht gedeckten Lasten würden dem Price-Cap-Segment zugeordnet. Dadurch komme es zu einer Verteilung nicht gedeckter Lasten auf den Price-Cap-Bereich.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 3. Juni 2019 stellte die Beigeladene dann u.a. einen Entgeltgenehmigungsantrag für das Produkt Standardbrief National für dem Zeitraum ab dem 1. Juli 2019; beantragt wurde ein Entgelt von 0,80 €. Mit einstweiliger Anordnung vom 19. Juni 2019 ordnete die Beklagte u.a. einstweilen die Geltung des von der Beigeladenen vorgelegten Entgeltes bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache an. Die einstweilige Anordnung solle ab dem 1. Juli 2019 und maximal bis zum Auslaufen der Maßgrößenentscheidung am 31. Dezember 2021 gelten.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Entgeltgenehmigungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 - befristet bis zum 31. Dezember 2021 - genehmigte die Beklagte in Ziffer 1. u.a. ein Entgelt der Beigeladenen für das Produkt Standardbrief National in Höhe von 0,80 €. In Ziffer 2 des Entgeltgenehmigungsbeschlusses wurde die einstweilige Anordnung der Entgelte vom 19. Juni 2019 aufgehoben. Zur Begründung von Ziffer 1 wurde u.a. ausgeführt, dass sich diese Entgelte aus dem Maßgrößenbeschluss ableiteten; die im Maßgrößenbeschluss durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung sei nicht zu beanstanden. Zur Aufhebung der einstweiligen Anordnung in Ziffer 2 wurde dargelegt, dass mit der Entscheidung in der Hauptsache die einstweilige Anordnung vom 19. Juni 2019 außer Kraft trete. Die vorläufige Regelung habe einen übergangsweisen Zustand geregelt, der hiermit in eine rechtsverbindliche und endgültige Regelung überführt werde. Der Regelungzweck der einstweiligen Anordnung sei damit entfallen. Die Entscheidung wurde der Beigeladenen und den anderen im Verwaltungsverfahren Beteiligten zugestellt, nicht aber der Klägerin. Die Entscheidung wurde am 22. Januar 2020 im Amtsblatt der Beklagten veröffentlicht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Am 9. Juli 2020 hat die Klägerin gegen die einstweilige Anordnung vom 19. Juni und gegen die Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 Klage erhoben. Die Klage sei zulässig, da sie das Produkt „Standardbrief national“ in Anspruch genommen habe. Das ergebe sich u.a. schon daraus, dass sie diverse Einschreiben mit dem jeweiligen Porto frankiert und diese Einschreiben an die Beigeladene übergeben habe. Bei diesen Einschreiben handele es sich um Produkte, die nicht teilleistungsfähig seien; Konsolidierer konsolidierten keine Einschreiben. Die Einlieferungsbelege für die Einschreiben belegten insoweit nicht nur, dass die Zusatzleistung „Einschreiben“ in Anspruch genommen worden sei, sondern auch, dass die zugrunde liegende Grundleistung - eben der Standardbrief - bezogen worden sei. Sie verwende fast ausschließlich „normale“ Schreiben mit einem Gewicht unter 20 Gramm und im Format Standardbrief als Einschreiben und nur ausnahmsweise größere Dokumentenpakete.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Auch sei die Klage nicht verfristet, da die Entgeltgenehmigungen der Klägerin gegenüber nicht bekannt gegegeben worden seien. Eine individuelle Bekanntgabe gegenüber der Klägerin sei nicht erfolgt und auch eine öffentliche Bekanntgabe liege nicht vor. Eine öffentliche Bekanntgabe setze nach § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG voraus, dass eine Rechtsnorm eine öffentliche Bekanntgabe zulasse. Ein solche Rechtsnorm sei hier nicht vorhanden, insbesondere stelle § 22 Abs. 4 PostG keine solche Rechtsnorm dar. Denn die Vorschrift diene nur dazu, anderen Marktteilnehmern die Möglichkeit zu eröffnen nachzuprüfen, ob die von dem marktbeherrschenden Unternehmen angebotenen Leistungen genehmigt worden seien; sie diene mithin dem Schutz des Wettbewerbs. Eine Aussage über die verfahrensrechtlichen Bekanntgabemöglichkeiten werde hingegen nicht getroffen. Auch von einer Verwirkung könne nicht die Rede sein. Die Beklagte übersehe, dass die Klägerin bereits am 9. Juli 2020 Klage erhoben habe und damit eben nicht „rund 12 Monate“ nach dem Ergehen der Entgeltgenehmigung habe verstreichen lassen. Besondere Umstände, die vor Ablauf der Frist nach § 58 Abs. 2 VwGO zu einer Verwirkung des Klagerechts hätten führen können, seien nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch begründet. Zum einen habe die Beklagte den zu erwartenden Gewinn der Beigeladenen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 aufgrund der Gewinnmargen vergleichbarer europäischer Postunternehmen ermittelt. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -) mit § 20 Abs. 1 PostG in der vom 1. Januar 1998 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PostG 1997) unvereinbar. Dabei spiele es keine Rolle, dass sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV in der der Gültigkeit vom 6. Juni 2015 bis zum 21. März 2019 (PEntgV 2015) beziehe. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei eine Vergleichsmarktbetrachtung per se unstatthaft; es mache keinen Unterschied, anhand welcher Kriterien die europäischen Vergleichsunternehmen ausgewählt würden. Die Verordnungsänderung 2019 führe nicht dazu, dass das „Rad zurück gedreht" werde im Sinne eine Effizienzkostenbetrachung. Stattdessen halte die PEntgV auch in der Version von 2019 an der unzulässigen Anknüpfung an den Gewinnen auf Vergleichsmärkten fest. Zum anderen würden in der angegriffenen Entgeltgenehmigung - über den Verweis auf den Price-Cap-Beschluss - auch Kosten der Beigeladenen nach dem Tragfähigkeitsprinzip berücksichtigt. Auch dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Mai 2020) mit § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 unvereinbar. Die Neufassung des Postgesetzes im Jahre 2021 ändere an dem Gesagten nichts. Die Regelung habe keine Rückwirkung, da das diesbezügliche Gesetz keine Rückwirkung vorsehe. Eine mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung unzureichende Rechtsgrundlage werde nicht dadurch „geheilt“, dass die gesetzliche Ermächtigung nachträglich geschaffen oder mit verfassungskonformem Inhalt erlassen werde.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1. den Beschluss der Beklagten vom 19. Juni 2019 (Az.: BK0-00/000) im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als dieser in Anlage 1 zu diesem Beschluss die Entgelte im Wege einer einstweiligen Anordnung für Standardbriefe für den Zeitraum vom 1. Juli 2019 bis zu einer endgültigen Entscheidung, maximal bis zum 31. Dezember 2021, auf 0,80 € festlegt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2. den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (Az.: BK0-00/000) im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als dieser in Anlage 1 zu diesem Beschluss die Entgelte fur Standardbriefe unter Aufhebung des Beschlusses vom 19. Juni 2019 (Az. BK0-00-000) für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2021 auf 0,80 € festlegt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei unzulässig, da verfristet (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde derjenige, der sichere Kenntnis von der Erteilung einer Genehmigung habe oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erlangen müssen, so behandelt, als wäre ihm die Genehmigung im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bekanntgegeben worden (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -). Hier sei aber davon auszugehen, dass der angegriffene Beschluss der Klägerin zur Kenntnis gebracht worden sei. Die Klägerin gehöre der Branche zu und müsse aufgrund der in der Folge notwendigen Änderungen von Frankiermaschinen unmittelbar nach dem Ergehen der Entgeltgenehmigung - spätestens am 1. Juli 2019 - von der Entgeltgenehmigung erfahren haben. Auch seien am 1. Juli 2019 die Teilleistungsentgelte abgeändert worden, diese stünden im Zusammenhang mit den Entgelten.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Zulässigkeit der Klage stehe auch ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Habe die Klägerin mit der hiesigen Klage Erfolg, führe dies zur Aufhebung der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung, allerdings nur im Verhältnis zwischen der Beigeladenen und der Klägerin. Die Beigeladene könnte dann bis zu einer erneuten Entgeltgenehmigung infolge eines neuen Maßgrößenbeschlusses durch die Beklagte gar kein Entgelt für die Inanspruchnahme der Postdienstleistungen verlangen. Eine Neufestsetzung der Price-Cap-Entgelte für einen Teilbereich des dem Price-Cap-Regime unterliegenden Produktportfolios sei allerdings nicht möglich. Ein derartiges postrechtliches Verfahren, mit welchem lediglich eine Teilmenge der dem Maßgrößenbeschluss unterliegenden Entgelte genehmigt werden könne, bestehe de facto nicht. Die Entgelte für Standardbriefe national unterlägen der von der Beklagten durchgeführten Maßgrößenregulierung nach § 21 Abs.1 Nr. 2 PostG. Dabei komme es nicht zu einer Regulierung und Genehmigung einzelner Entgelte auf Grundlage der auf die einzelne Dienstleistung entfallenden Kosten im Sinne des § 21 Abs.1 Nr. 1 PostG, sondern zur Regulierung eines Korbes von Entgelten. Die Festlegung der Maßgrößen betreffe die Gesamtheit der im Dienstleistungskorb zusammengefassten Dienstleistungen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls sei das Recht zur Klageerhebung verwirkt gewesen. Die Klägerin habe die Erhebung der Klage in unredlicher Art und Weise verzögert. Sie habe sich nach ihrer Kenntnis von der Entgeltgenehmigung nahezu ein Jahr Zeit gelassen, ehe sie gegen die Genehmigung gerichtichen Rechtsschutz gesucht habe. Eine Klageerhebung mit einer derartigen zeitlichen Verzögerung sei als missbräuchliche Rechtsausübung zu sehen, da die Beklagte zu einem so späten Zeitpunkt nicht mehr mit einer Klageerhebung habe rechnen müssen. Somit sei auch das Umstandsmoment erfüllt. Bei der Bewertung des noch tolerablen Zeitraums dürfe nicht schematisch auf einen bestimmten Zeitablauf abgestellt werden, sondern es sei von den näheren Umständen des Einzelfalls auszugehen. Ein Abwarten der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren 6 C 1.19 und der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe lasse nicht auf eine Erweiterung des tolerablen Zeitrahmens schließen, wonach ein Zeitraum von mehr als zwölf Monaten ohne jegliche Reaktion der Klägerin hinnehmbar erscheine. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei bereits am 27. Mai 2020 ergangen und sei vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Pressemitteilung vom 28. Mai 2020 kommuniziert worden. Bis zur Klageerhebung habe die Klägerin nochmals rund zwölf Monate verstreichen lassen. Die Klägerin habe jedenfalls ausreichend Zeit gehabt, eine Klage gegen die Entgeltgenehmigung zu erheben, nachdem sie Kenntnis von deren Existenz und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erlangt habe.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch unbegründet, da sich die Rechtslage geändert habe. Am 18. März 2021 sei eine Änderung des Postgesetzes in Kraft getreten, die zu berücksichtigen sei, da der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung des Postgesetzes keine völlig neue Regelung geschaffen habe, sondern vielmehr Unsicherheiten bezüglich der Auslegung bestehender Regelungen aus dem Weg geräumt habe (vgl. § 20 PostG in der seit dem 18. März 2021 geltenden Fassung <PostG 2021>). In diesem Zuge seien die Regelungen aus dem Verordnungsrecht in Form der Post-Entgeltregulierungsverordnung auf Gesetzesebene gehoben worden. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung im Postgesetz nachträglich klargestellt, dass sich die Entscheidungspraxis der Beschlusskammer zur Gewinnregelung nach den im Verordnungsrecht bereits bestehenden Regelungen zur internationalen Vergleichsmarktbetrachtung richten solle. Zwar ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut des neugefassten Postgesetzes kein eindeutiger Rückschluss auf eine beabsichtigte Rückwirkung der gesetzlichen Regelung für den Zeitraum des bestehenden Price-Cap-Verfahrens. Hier sei aber zunächst zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Beschluss bis zum 31. Dezember 2021 gegolten habe, die normative Grundlage im Postgesetz - innerhalb dieses Zeitraums - aber zum 18. März 2021 geschaffen worden sei. Es stehe somit in Frage, ob eine künstliche Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitraums beabsichtigt gewesen sei oder ob der Gesetzgeber vielmehr die ausdrückliche Aufnahme einer Rückwirkungsklausel für entbehrlich gehalten habe. Für Letzteres spreche, dass eine Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitrahmens unübersichtlich und konstruiert wirke und zudem dem Sinn und Zweck der Regelung entgegenstehe. Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht Bedenken gegenüber der Lastenallokationspraxis der Beklagten geäußert habe, seien diese Bedenken durch die Neufassung des Postgesetzes ausgeräumt worden. Gegen eine Rechtswidrigkeit spreche insgesamt auch, dass die Beschlusskammer im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rücknahme zum Ergebnis gekommen sei, dass es nach einer Rücknahme zu den annähernd selben Ergebnissen kommen werde. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt die Entgeltgenehmigung in gleicher Form ergehen müsse, könne sie nicht zugleich rechtswidrig sein.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene beantragt,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei schon deshalb unzulässig, da der Klägerin die Klagebefugnis fehle. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Leistung „Standardbrief national“ überhaupt in Anspruch genommen habe. Daran ändere die Vorlage von Einlieferungsbelegen für die Zusatzleistung „Einschreiben“ nichts. Denn zum einen gehe es um diese Zusatzleistung nicht. Zum anderen belege die Inanspruchnahme der Zusatzleistung nicht, welches Grundprodukt in Anspruch genommen worden sei. Gegenstand der Zusatzleistung könnten alle Grundprodukte sein (Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibrief).</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Zum einen sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 nur auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 zu beziehen. Denn der Gewinnzuschlag im Postrecht sei anders und ggf. weiter zu bemessen als im Telekommunikationsrecht. Auch habe der Verordnungsgeber in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 zusätzlich zu den Kriterien aus § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 die Einschränkung aufgenommen, dass ein Vergleich mit anderen Unternehmen nur in Betracht komme, wenn sie mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar seien. Diese Einschränkung bewirke, dass nur noch solche Unternehmen in den Vergleich einbezogen werden könnten, die unter ähnlichem Effizienzdruck stünden wie die Beigeladene. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 mit Blick auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 aber festgestellt, es komme für den Gewinnzuschlag auf eine unternehmensspezifische Betrachtung an. Wenn nun § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 für die Vergleichsunternehmen auf die strukturelle Vergleichbarkeit abstelle, führe die Bestimmung die Gewinnbemessung, anders als noch § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015, an eben diese unternehmensspezifischen Verhältnisse heran. Zum anderen habe der Gesetzgeber mit der am 18. März 2021 in Kraft getretenen Postgesetz-Novelle alle wesentlichen Grundsätze für die Entgeltbemessung, den Forderungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 27. Mai 2020 entsprechend, in das formelle Gesetz übernommen. Jedenfalls nach dieser Maßgabe stehe die hier streitgegenständliche Entgeltgenehmigung im Einklang mit Entgeltregulierungsvorschriften. Die Beklagte habe insoweit auch überzeugend ausgeführt, dass der Gesetzgeber eine Aufspaltung in Zeiträume vor und nach dem Erlass des Gesetzes nicht gewollt habe. Diese Gesetzesfassung sei bei der Beurteilung der Rechtslage auch im Gerichtsverfahren zugrunde zu legen, da es für deren Beurteilung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bundesnetzagentur Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist, soweit sie sich gegen die gegen die einstweilige Anordnung vom 19. Juni 2019 wendet, unzulässig (1.). Soweit sich die Klage gegen den Entgeltgenehmigungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 und die dortige Genehmigung für Standardbriefe national wendet, ist die Klage hingegen zulässig und begründet (2.).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die vorläufige Entgeltgenehmigung vom 19. Juni 2019 wendet, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 (3) und Beschluss vom 26. Februar 2014 - 6 C 3.13 -, BVerwGE 149, 94 Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">So liegt es hier. Die vorläufige Entgeltgenehmigung vom 19. Juni 2019 entfaltet keinerlei Rechtswirkungen mehr, da sie vollumfänglich durch die Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 abgelöst worden ist. Das steht damit in Übereinstimmung, dass ein vorläufiger Verwaltungsakt nur eine begrenzte Regelungswirkung entfaltet, die unter dem Vorbehalt der späteren endgültigen Entscheidung steht. Mit der endgültigen Regelung des Verfahrensgegenstandes erlischt grundsätzlich die vorläufige Regelung. Zwar ist damit nicht gesagt, ob diese Wirkung des Erlöschens schon mit dem Ergehen des endgültigen Bescheides oder erst mit dessen Bestandskraft eintritt; dies hängt von dem Regelungsgehalt des konkreten Verwaltungsakts ab.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2009 - 6 C 3.08 -, juris Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Hier ergibt sich aber sowohl aus Ziffer 1 der vorläufigen Entgeltgenehmigung vom 19. Juni 2019 als auch aus Ziffer 2 der endgültigen Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019, dass die vorläufige Entgeltgenehmigung bereits mit Ergehen der endgültigen Entgeltgenehmigung ihre Wirkung verlieren sollte. In Ziffer 1 der vorläufigen Entgeltgenehmigung vom 19. Juni 2019 ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Geltung der genehmigten Entgelte „bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache“ angeordnet werde; eine solche liegt hier nunmehr vor. Auch stellt Ziffer 2 der endgültigen Entgeltgenehmigung unmissverständlich klar, dass mit dem Ergehen der endgültigen Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 die vorläufige Entgeltgenehmigung ihre Wirkung verlieren sollte. In den Gründen der endgültigen Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 wird ausdrücklich ausgeführt, dass die vorläufige Regelung einen übergangsweise geregelten Zustand geregelt habe, der <em>nunmehr</em> (Hervorhebung durch den Verfasser) in eine rechtsverbindliche und endgültige Regelung überführt werde. Der Regelungszweck der einstweiligen Anordnung sei damit entfallen. Das Gesagte gilt auch insoweit, als es um Transportleistungen geht, die zwischen dem 1. Juli und dem 12. Dezember 2019 erbracht worden sind. Rechtsgrund für das Behaltendürfen der diesbezüglichen Entgelte durch die Beigeladene ist nach dem Gesagten nicht mehr die vorläufige Entgeltgenehmigung vom 19. Juni 2019, sondern nunmehr nur noch die endgültige Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019; das folgt aus Anlage 1 zur Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019. Der Entgeltgenehmigung kommt insoweit - wie auch in anderen Teilen des Regulierungsrechts herkömmlich - Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Leistungsbereitstellung zu.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2021 - III ZR 39/20 -, juris Rn. 19 ff. Zum sonstigen Regulierungsrecht z.B. § 41 Abs. 1 Satz 1 TKG.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">2. Soweit sich die Klage gegen den Entgeltgenehmigungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 und die dortige Genehmigung der Entgelte für Standardbriefe (national) wendet, ist die Klage zulässig (a) und begründet (b).</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">a) Die Klage gegen die Entgeltgenehmigung ist zulässig, insbesondere steht der Zulässigkeit keine fehlende Klagebefugnis (aa), keine Fristversäumung (bb) oder kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis (cc) entgegen. Die Klägerin hat ihr Klagerecht auch nicht verwirkt (dd).</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">aa) Die Klägerin ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Dritte sind nach § 42 Abs. 2 VwGO berechtigt, die Genehmigung des Entgelts für eine bestimmte Postdienstleistung gerichtlich anzugreifen, wenn sie diese Dienstleistung während der Geltungsdauer der Genehmigung in Anspruch genommen haben. Unter dieser Voraussetzung greift die Entgeltgenehmigung in die Vertragsfreiheit als Ausprägung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Hierauf können sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen wie die Klägerin berufen. Der Grundrechtsschutz umfasst das Recht, den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen mit der Gegenseite frei von staatlichen Bindungen auszuhandeln. Diese Vertragsfreiheit wird durch die rechtsgestaltende Wirkung der Entgeltgenehmigung nach § 23 Abs. 1 und 2 Satz 1 PostG beeinträchtigt, weil weder das regulierte Unternehmen noch seine Kunden Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen können.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Danach kann die Klägerin die durch den Beschluss vom 12. Dezember 2019 erteilte Entgeltgenehmigung hinsichtlich des Produktes Standardbrief (national) angreifen, da sie glaubhaft gemacht hat, dass sie dieses Produkt in Anspruch genommen hat. Den Anforderungen an die Glaubhaftmachung wurde hier dadurch genügt, dass die Klägerin Belege dafür vorgelegt hat, dass sie Einschreiben bei der Beigeladenen eingeliefert und angegeben hat, dass sich diese Einschreiben auch auf das Briefformat „Standard“ bezogen hätten: Mit der Vorlage der Belege für die Einschreiben wird zum einen belegt, dass gerade zwischen ihr und der Beigeladenen ein Vertrag über die Beförderung der genannten Produkte zustande gekommen ist. Nach Nr. 2 Abs. 1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG BRIEF NATIONAL (AGB Brief National) kommt ein Beförderungsvertrag zwischen der Beigeladenen und dem Absender (grundsätzlich) dadurch zustande, dass dieser die frankierte Sendung in die Obhut der Beigeladenen übergibt. Dabei ergibt sich der Begriff des „Absenders“ aus Nr. 2 Abs. 1 AGB Brief National i.V.m. mit § 1 Abs. 3 AGB Brief National i.V.m. § 407 Abs. 1 und 2 HGB. Danach ist Absender derjenige, der das Porto zahlt und dem sich der Frachtführer - hier die Beigeladene - unmittelbar verpflichtet. Ob der Absender in diesem Sinne gleichzeitig auch selbst Frachtführer ist - da er die Fracht für einen seiner Kunden führt - ist unerheblich. Damit ist der sog. „materielle Absenderbegriff“ für die Frage, wer im vorliegenden Verhältnis der Kunde der Beigeladenen wird, ohne Belang.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum frachtrechtlichen Absenderbegriff Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, § 407 HGB Rn. 7. Zur Bestimmung des Absenderbegriffs (im vorliegenden Zusammenhang) nach dem HGB - und nicht nach einem „materiellen Absenderbegriff“ - vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2012 - VII-Verg 14/12 -, juris Rn. 3 ff. und LG München I, Urteil vom 5. Dezember 1994 - 9 O 15772/94 -, MDR 1995, 1207 (1208).</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Danach war die Klägerin hier „Absenderin“ in dem genannten Sinne, da sie es war, die die Post frankiert und die Sendungen in die Obhut der Beigeladenen übergeben hat. Mit der Vorlage der Einschreibebelege hat die Klägerin zum anderen auch belegt, dass diese Frachtverträge gerade das genannte „Endkundenprodukt“ - und nicht etwa ein konsolidiertes Produkt - betroffen haben. Denn eine Konsolidierung von Einschreiben ist - unstreitig - nicht möglich und es ist auch glaubhaft, dass den Belegen für die Einschreiben auch Sendungen im Format „Standard“ zugrunde gelegen haben. Denn Sendungen im Format „Standard“ machen nach aller Lebenserfahrung den Großteil der Briefsendungen aus. Dass bei der Vielzahl der von der Klägerin versendeten Einschreiben nicht eines gewesen sein soll, das auf dieses absolut gebräuchliche Format aufgesetzt haben soll, ist unplausibel.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">bb) Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Klagefrist versäumt hat. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage zwar innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Der Lauf dieser Frist setzt jedoch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe voraus, die hier nicht vorlag. Unstreitig wurde der Beschluss vom 12. Dezember 2019 der Klägerin gegenüber nicht nach § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 bekannt gegeben. Eine Bekanntgabe erfolgte der Klägerin gegenüber auch nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 22 Abs. 4 PostG. Denn § 22 Abs. 4 PostG stellt keine Rechtsvorschrift dar, mit der ein Verwaltungsakt öffentlich bekannt gegeben werden darf. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 4 PostG. Dort wird von einer Veröffentlichung genehmigter Entgelte gesprochen. Weder ist dort die Rede von einer Bekanntgabe, vor allem aber spricht die Vorschrift von der Veröffentlichung <span style="text-decoration:underline">genehmigter</span> Entgelte; Entgelte werden aber erst <span style="text-decoration:underline">durch</span> Bekanntgabe genehmigt. Dies wird durch systematische Überlegungen bestätigt. Eine Bekanntgaberegelung ist allein in § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 enthalten. Insoweit kann § 22 Abs. 4 PostG auch nicht als spezielle Regelung allein für das Postrecht verstanden werden, da auch § 28 Abs. 4 TKG 1996 - neben den Vorschriften für eine Bekanntgabe - eine Veröffentlichung von Entgelten nach dem TKG im Amtsblatt der Regulierungsbehörde vorsah. Das Gesagte wird endlich durch den Sinn und Zweck des § 22 Abs. 4 PostG bestätigt. Die Vorschrift zielt nicht auf die Kunden der Beigeladenen sondern auf ihre Wettbewerber. Es soll zur Information der Marktteilnehmer und damit zum Schutz des Wettbewerbs erreicht werden, dass die genehmigte Postdienstleistung anhand der bei Antragstellung vorzulegenden Leistungsbeschreibung auch inhaltlich konkretisiert werden kann. Nur so sind betroffene Marktteilnehmer in der Lage zu beurteilen, ob es für die konkrete, vom marktbeherrschenden Unternehmen angebotene Leistung bereits ein genehmigtes Entgelt gibt und wie hoch dieses ist.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu Lübbing, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 22 Rn. 84. Vgl. zu alldem aus dem TKG auch VG Köln, Urteil vom 1. August 2007 - 21 K 4013/06 -, juris Rn. 28 ff.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Auch erfolgte hier eine wirksame Bekanntgabe nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m. der Veröffentlichung im Amtsblatt der Regulierungsbehörde. Nach dieser Vorschrift darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Dabei kann dahinstehen, ob postrechtliche Entgeltgenehmigungen Allgemeinverfügungen darstellen und ob ein Amtsblatt einer Bundesbehörde als „ortsübliches Bekanntmachungsorgan“ im Sinne von § 41 Abs. 4 VwVfG angesehen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Für die Einstufung einer telekommunikationsrechtlichen Entgeltgenehmigung als Allgemeinverfügung: Neumann, jurisPR-BVerwG 6/2014 Anm. 6.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls ist Voraussetzung jeglicher Bekanntgabe - auch der Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG -, dass ein diesbezüglicher Bekanntgabewillen - hier also ein Willen zur öffentlichen Bekanntgabe - vorlag.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 53 und Baer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 41 Rn. 22.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Bekanntgabewille bestand hier ersichtlich allerdings nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten, nicht aber gegenüber der Allgemeinheit und der Klägerin. Hinsichtlich der Veröffentlichung im Bundesanzeiger wurde nur verfügt: „Bitte Veröffentlichung des anliegenden Manuskriptes im nächsten Amtsblatt veranlassen“ (vgl. zu alldem Bl. 1050 ff., 1061 ff. BA III zum Verfahren VG Köln 21 K 273/20). Dass damit - in Übereinstimmung mit der vorherigen Bekanntgabe an die im Verwaltungsverfahren Beteiligten - eine weitere Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung erfolgen sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass § 22 Abs. 4 PostG - den die Beklagte offensichtlich angewendet hat - eben keine Bekanntgabevorschrift darstellt und dass die gewählte Rechtsmittelbelehrung - Klagefrist von einem Monat nach <em>Zustellung</em> - ersichtlich nicht auf die Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung zugeschnitten ist.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Schließlich und endlich erfolgte eine Bekanntgabe hier nicht nach § 8 VwZG durch tatsächliche Kenntnisnahme von der Entgeltgenehmigung (wann auch immer diese erfolgt sein mag). Zwar ist § 8 VwZG entsprechend auch auf Bekanntgabemängel anwendbar. Jedoch erfordert eine Heilung nach dieser Vorschrift auch, dass ein Bekanntgabewille vorlag. Daran fehlt es hier jedoch.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Zu den Voraussetzungen des § 8 VwZG vgl. z.B. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 232, 237; Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Auflage 2021, § 8 Rn. 1 f.; L. Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 56. Edition Stand: 1. Oktober 2019, § 8 VwZG Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">cc) Der Zulässigkeit der Klage steht auch kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen (siehe Oben). Das zugrunde gelegt, liegt hier ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin vor. Dem Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses steht weder entgegen, dass nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte (aaa), noch dass eine neue Entgeltgenehmigung zwangsläufig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung (bbb).</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">aaa) Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin fehlt nicht deshalb, da nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass eine erneute Entgeltgenehmigung für die Klägerin inter partes (in der die Entgelte für sie günstiger ausfallen könnten) nicht erteilt werden könnte. Denn die Entgeltgenehmigung für eine bestimmte Postdienstleistung ist auch dann selbständig anfechtbar, wenn sie auf Maßgrößen beruht, die die Bundesnetzagentur in einem Price-Cap-Verfahren für die durchschnittlichen Änderungsraten der Entgelte mehrerer in einem Korb zusammengefasster Dienstleistungen ermittelt hat.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 17 ff.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Aus der selbstständigen Anfechtbarkeit folgt dann auch, dass insoweit eine neue Entgeltgenehmigung inter-partes erteilt werden kann. Die Beklagte hat für die Klägerin inzident einen neuen Maßgrößenbeschluss im Price-Cap-Verfahren nach Maßgabe der gerichtlichen Vorgaben zu erstellen und diesen dann - ggf. nach Weichenstellungen durch die Beigeladene - auf die von der Klägerin angegriffenen Leistungen umzubrechen. Zum anderen kann die Klägerin - selbst wenn nach einer Kassation tatsächlich keine erneute Entgeltgenehmigung ergehen sollte - dann die von ihr gezahlten Porti nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zurück verlangen. Bereits das begründet ihr Rechtsschutzbedürfnis.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 67 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">bbb) Einem Rechtsschutzbedürfnis steht auch nicht entgegen, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Zum einen entspräche es jedenfalls der Praxis der Beklagten, in Fällen - die dem vorliegenden vergleichbar sind - nach Aufhebung einer Entgeltgenehmigung gerade keine neue Entgeltgenehmigung zu erteilen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. Neumann, jurisPR-BVerwG 23/2015 Anm. 5.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, dass eine neue Entgeltgenehmigung, wenn sie denn erginge, <em>eindeutig</em> den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 erfolgt sind, die nunmehr - da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage jetzt der Zeitpunkt der neuerlichen Behördenentscheidung wäre - grundsätzlich zu berücksichtigen wären. Denn das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 sind erst am 18. März 2021 in Kraft getreten, d.h. für den Genehmigungszeitraum bis zum 17. März 2021 sind die Vorschriften nicht anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber von Verfassung wegen eine Rückwirkung dieser Vorschriften für den gesamten Genehmigungszeitraum hätte anordnen <em>können</em>. Klar ist jedenfalls, dass er dies nicht getan hat; weder im Wortlaut der Norm noch in der Entstehungsgeschichte findet sich irgendein Anhalt dafür, dass eine echte Rückwirkung beabsichtigt gewesen wäre. Die Annahme einer echten Rückwirkung setzt aber immer eine normative Fixierung auf einen Zeitpunkt voraus, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist. Auch wäre ein solcher Anhalt schon deshalb naheliegend gewesen, da eine echte Rückwirkung besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt, so dass es nicht fern liegt, dass diese verfassungsrechtlichen Anforderungen in irgendeiner Weise jedenfalls in der Entstehungsgeschichte der Norm einen Niederschlag finden.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, juris Rn. 85 und vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, juris Rn. 42 f. und Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, juris Rn. 97 und 100 ff.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Allein der Umstand, dass ohne die Annahme einer echten Rückwirkung die hier streitgegenständliche bisherige Regulierungsperiode möglicherweise aufgespalten würde, ist ohne Belang. Denn die Dauer von Regulierungsperioden ist nicht gesetzlich vorgegeben, daher können diese aus rechtlichen Gründen - wie hier geschehen - auch aufgespalten werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die gesamte Regulierungsperiode keine Ist-Kosten, sondern (einheitliche) Plankosten angefallen sind. Denn die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 beziehen sich nicht auf einheitlich zugrunde zu legende Plankosten sondern nur auf kalkulatorische Details. Mithin ist es ohne weiteres möglich, zeitlich unterschiedliche Entgeltgenehmigungen (mit jeweils zugrunde liegenden Maßgrößenbeschlüssen) in die Welt zu setzen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Aber auch davon abgesehen kann nicht festgestellt werden, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die angegriffene Entgeltgenehmigung. Denn im Rahmen einer Neugenehmigung durch die Beklagte müsste überprüft werden, ob die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts anwendbar sind, ob die in der Vergangenheit durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung hinreichend tragfähig ist u.ä. Die Prüfung dieser jedenfalls nicht unkomplexen Gesichtspunkte ist vor dem Hintergrund, dass das Rechtsschutzbedürfnis nur verneint werden kann, wenn eine etwa neue Entgeltgenehmigung <em>eindeutig</em> denselben Inhalt hätte wie die alte, nicht Aufgabe des erkennenden Gerichts in diesem Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">dd) Die Klägerin hat ihr Klagerecht nicht verwirkt. Ein Klagerecht kann dann verwirkt sein, wenn seit der Möglichkeit der Klageerhebung längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment); erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf. Dabei wird das Zeitmoment grundsätzlich in Anlehnung an die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr bemessen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. und vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 23 ff.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Diese „Jahresfrist“ ist hier eingehalten, unabhängig davon ob man für den „Lauf“ der Jahresfrist auf das Datum der Entgeltgenehmigung, auf die Veröffentlichung der Entgeltgenehmigung im Amtsblatt der Regulierungsbehörde oder auf die erstmalige Inanspruchnahme der genehmigten Leistung durch die Klägerin abstellen würde. Denn selbst wenn man den für die Klägerin ungünstigsten Zeitpunkt in den Blick nähme - Datum der Entgeltgenehmigung - ist die Jahresfrist gewahrt. Allerdings können prozessuale Befugnisse auch bereits vor Ablauf einer Jahresfrist verwirkt werden. Für die Annahme einer solchen Verwirkung vor Ablauf der Jahresfrist bedarf es jedoch besonderer Anhaltspunkte, eine schlichte „Nichtklageerhebung“ reicht regelmäßig nicht aus. Die Annahme einer solchen „vorzeitigen“ Verwirkung kommt etwa dann in Betracht, wenn der Berechtigte der Behörde oder einem Dritten gegenüber deutlich gemacht hat, dass er gegen den Verwaltungsakt keine Rechtsmittel einlegen werde.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 28 und vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 28; Beschluss vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 14 f.; BFH, Urteil vom 14. Juni 1972 - II 149/65 -, juris Rn. 15; Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 58 Rn. 78; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, Loseblatt, Stand Juli 2021, § 74 Rn. 47; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 74 Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Hier hat die Klägerin aber nur „schlicht“ keine Klage erhoben, weder der Beklagten noch der Beigeladenen gegenüber hat sie in irgendeiner Art und Weise deutlich gemacht, dass sie keine Klage erheben werde. Auch sonst sind keine „besonderen Anhaltspunkte“ für eine Verwirkung ersichtlich. Sie ergeben sich weder daraus, dass die Klägerin Leistungen der Beigeladenen in Anspruch genommen hat (aaa), dass die Klägerin zur Beigeladenen möglicherweise in einem besonderen Näheverhältnis stand (bbb) oder dass die Klägerin - möglicherweise - die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entgeltgenehmigung kannte oder kennen musste (ccc). Auch eine Berücksichtigung öffentlicher Interessen führt nicht dazu, dass das Zeitmoment der Verwirkung zu verkürzen ist (ddd).</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">aaa) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine Verwirkung kann nicht daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin die genehmigten Entgelte innerhalb der genannten Jahresfrist in Anspruch genommen hat. Denn die Inanspruchnahme der genehmigten Leistung ist Voraussetzung für ihre Klagebefugnis (siehe oben). Die Inanspruchnahme einer genehmigten Leistung kann aber nicht eine Klagebefugnis eröffnen und gleichzeitig eine Verwirkung begründen. Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin die genehmigte Leistung binnen der genannten Frist möglicherweise mehrfach in Anspruch genommen hat. Denn die Beigeladene - und erst Recht die Beklagte - konnte eine mögliche mehrfache Inanspruchnahme der Leistung schon deshalb nicht als Billigung der Entgeltgenehmigung verstehen, da sie von der Inanspruchnahme durch die Klägerin keine Kenntnis hatte (da insoweit eine Massenverkehrsleistung vorliegt). Abgesehen davon handelte es sich bei dieser Leistung um eine Universaldienstleistung, also um eine Leistung, mit der ein Mindestgebot an Postdienstleistungen nach § 4 Abs. 1 PostG erbracht werden soll. Solche Leistungen sind nur Leistungen die allgemein als unabdingbar angesehen werden (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 PostG). Aus der Inanspruchnahme einer unabdingbaren Leistung kann nicht abgeleitet werden, dass man auch mit der Entgelthöhe einverstanden ist.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">bbb) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine Verwirkung kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass sich die Klägerin hier möglicherweise in einem „besonderen Näheverhältnis“ zu der Beigeladenen befunden hat. Allerdings spricht viel für die Annahme eines solchen Näheverhältnisses (vgl. z.B. das Urteil vom heutigen Tag im Verfahren VG Köln 5020/21). Aber selbst die Annahme eines solchen Näheverhältnisses würde keinen „besonderen Anhaltspunkt“ (dahingehend) begründen, welcher eine Verkürzung der Verwirkungsfrist (in Anlehnung an § 58 Abs. 2 VwGO) rechtfertigen würde. Denn selbst im „nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis“ ist anerkannt, dass ungeachtet des Bestehens dieses Verhältnisses das Zeitmoment der Verwirkung grundsätzlich in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO zu bestimmen ist.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 25 und vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, juris Rn. 23 sowie Beschlüsse vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 9 und vom 13. März 2020 - 8 B 2.20 -, juris Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">ccc) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine vorzeitige Verwirkung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin hier - möglichweise - bereits ab Mai 2020 die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entgeltgenehmigung kannte oder hätte kennen müssen. Dabei kann dahinstehen, welche Bedeutung generell der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit einer Genehmigung im Rahmen der Annahme einer Verwirkung zukommt (vgl. dazu VG Köln, Urteil vom heutigen Tag im Verfahren VG Köln 21 K 5020/21). Denn selbst wenn man annähme, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit der hier angegriffenen Entgeltgenehmigung ab einen gewissen Zeitpunkt gekannt hätte oder hätte kennen müssen, so folgt hieraus für die Schutzwürdigkeit der Beklagten oder der Beigeladenen nichts. Denn ab diesem Zeitpunkt hätten dann auch die Beklagte und die Beigeladene Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Entgeltgenehmigung gehabt bzw. hätten hiervon Kenntnis haben müssen. Dann wären sie in ihrem Vertrauen auf den Fortbestand der Entgeltgenehmigung aber nicht schutzwürdig gewesen. Doch selbst wenn man annähme, dass sich auch insoweit schutzwürdiges Vertrauen hätte bilden können, so hätte sich dieses Vertrauen doch allenfalls darauf beziehen können, dass die Entgeltgenehmigung ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit nun nicht mehr angegriffen werden würde, da vernünftigerweise gegen diese keine Klage mehr erhoben werden würde.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 -, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Unterhalb des in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO zu bestimmenden Zeitmoments dürfte aber die Annahme eines solchen Vertrauens kaum zu rechtfertigen sein. Abgesehen davon konnten die Beklagte und die Beigeladene nach den konkreten Umständen des Einzelfalles auch sonst nicht vernünftigerweise davon ausgehen, dass nicht binnen „Jahresfrist“ Klage erhoben werden würde. Maßgeblicher Ansatzpunkt für den Beginn einer Verwirkung könnte hier insoweit nur der 28. Juli 2020 sein, da erst an diesem Datum das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 in seiner endgültigen Fassung veröffentlicht wurde; auf der Basis von Pressemitteilungen sollte vernünftigerweise kein Rechtssuchender handeln müssen. Hier hatte die Klägerin die Klage aber bereits vor der Veröffentlichung der endgültigen Fassung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts - nämlich am 9. Juli 2020 - erhoben.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">ddd) Schließlich können „besondere Anhaltpunkte“ für eine Verwirkung hier nicht daraus abgeleitet werden, dass ein öffentliches Interesse - insbesondere ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens - die Annahme einer Verwirkung geböte. Zwar sind im Rahmen der Annahme einer Verwirkung auch öffentliche Interessen und das Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens in den Blick zu nehmen.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 8. September 2020 - 1 B 31.20 -, juris Rn. 10 und Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 33 zur Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Jedoch bestehen auch dann keine Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen durch die Ablehnung einer Verwirkung binnen „Jahresfrist“, wenn man in den Blick nimmt, dass sich das angegriffene Entgelt auf eine „Massenverkehrsleistung“ bezieht. Zum einen haben Klage von Endkunden der Post allein eine „inter partes“ Wirkung.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist mit „Massenklagen“ aller Postkunden gegen eine Entgeltgenehmigung binnen des Zeitraums von einem Jahr schon deshalb nicht zu rechnen, da die Kunden bezogen auf diesen Zeitraum in der Regel noch erhebliche prozessuale Risiken hinnehmen müssten. „Musterverfahren“ gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung - auf die „normale“ Endkunden aufsetzen können -  werden in der Regel nicht unter einem Jahr nach Erlass der Genehmigung abgeschlossen sein.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">b) Die Klage ist begründet. Der Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 ist, soweit es um die Genehmigung des genannten Entgeltes geht, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der 12. Dezember 2019, also der Zeitpunkt, zu dem die streitgegenständliche Entgeltgenehmigung ergangen ist.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10/11 -, juris Rn. 26 und Beschluss vom 16. Januar 2019 - 6 B 136.18 -, juris Rn. 19 ff.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Dagegen spricht hier nicht, dass die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine Frage des materiellen Rechts ist und dass seit dem 18. März 2021 § 20 des PostG eine neue Fassung erhielt (mit der ersichtlich den Mängeln abgeholfen werden sollte, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 aufgezeigt hatte.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass für den Fall, dass die objektive Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes den Kläger "in seinen Rechten verletzt" hat und der Kläger deshalb die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes verlangen kann, es denkbar ist, dass eine nachfolgende Rechtsänderung, die einen solchen Verwaltungsakt nunmehr zulässt, nicht nur dem objektiven Recht ("für die Zukunft") einen anderen Inhalt gibt, sondern darüber hinaus auch die mit der vorangegangenen Rechtslage zusammenhängenden Aufhebungsansprüche beseitigt. Hat eine Rechtsänderung diesen Willen, dann reagiert darauf das Prozessrecht mit dem - an das Fehlen eines Aufhebungsanspruchs anknüpfenden - Befehl der Klagabweisung. Hier ist indes nicht feststellbar, dass mit der Rechtsänderung der Wille verbunden war, Aufhebungsansprüche zu beseitigen. Weder der Wortlaut, noch die Entstehungsgeschichte noch der Sinn und Zweck von § 20 Abs. 1 und 2 PostG 2021 lassen irgendeinen Rückschluss darauf zu, dass Aufhebungsansprüche beseitigt werden sollten.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur denkbaren Beseitigung von Aufhebungsansprüchen durch Gesetzesänderung BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 -, juris Rn. 16 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Grundlage für den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 war der Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019. Die Rechtmäßigkeit dieses Maßgrößenbeschlusses ist im Rahmen der Überprüfung der jeweiligen Entgeltgenehmigung mit zu überprüfen.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 32 und vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 44.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Der Maßgrößenbeschluss ist rechtswidrig. Zum einen hätte eine Vergleichsmarktbetrachtung nicht durchgeführt werden dürfen (aa). Zum anderen fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage (bb).</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">aa) Eine Vergleichsmarktbetrachtung durfte hier nicht durchgeführt werden. Nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 haben sich die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren. Dies gilt auch für Postdienstleistungen des Universaldienstes.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 24 ff.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Zu den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung gehört auch ein Gewinnzuschlag, der die zu erwartende Kapitalrendite des konkret regulierten Unternehmens abbildet. Es ist die angemessene Verzinsung des Kapitals zu ermitteln, das das konkret regulierte Unternehmen einsetzt, um die Postdienstleistung zu erbringen.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 PostG 1997 findet auch im Maßgrößenverfahren Anwendung. Der Effizienzkostenmaßstab nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 stellt auch dort nicht lediglich eine Orientierungsgröße für die Entgeltfestsetzung dar, sondern bildet die Obergrenze des genehmigungsfähigen Entgelts. Dem ist durch die Auslegung des Begriffs der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittsrate des regulierten Unternehmens nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 PEntgV 2019 und durch die Anwendung dieser Maßgröße bei der Entgeltregulierung Rechnung zu tragen (vgl. § 4 Abs. 3 PEntgV 2019).</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 37, 41.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Damit war die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 unvereinbar. Denn nach dieser Vorschrift wurde bei der Ermittlung des Gewinnzuschlags nicht auf das konkret regulierte Unternehmen abgestellt, sondern auf die Gewinnmargen solcher Unternehmen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar sind und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig sind. Indes bietet das Postgesetz keine Handhabe für eine Entgeltregulierung von Postdienstleistungen aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung. Tritt eine solche Betrachtung an die Stelle der Ermittlung der Effizienzkosten aufgrund der Kostensituation des regulierten Unternehmens, gilt der ermittelte Vergleichspreis als der "Als-Ob-Wettbewerbspreis". Eine unternehmensspezifische Überprüfung dieses Preises findet nicht statt. Entsprechendes gilt, wenn - wie in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 bzw. 2019 vorgesehen - die Höhe des Gewinnzuschlags anhand einer Vergleichsmarktbetrachtung ermittelt werden soll.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Dies ist selbstverständlich auch dann der Fall, wenn die Vergleichsmarktbetrachtung auf Unternehmen bezogen wird, die in struktureller Hinsicht mit dem beantragenden Unternehmen vergleichbar sind (PEntGV 2019). Denn auch in diesem Fall findet eine unternehmensspezifische Überprüfung des Preises nicht statt. Mit der Frage, ob der Gewinnzuschlag im Postrecht anders und ggf. weiter zu bemessen ist als im Telekommunikationsrecht, hat dies nichts zu tun. Es geht - zunächst einmal - allein um die Frage, in welchem Verfahren der Gewinnzuschlag zu ermitteln ist.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur erstgenannten Frage BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10.11 -, juris Rn. 63.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beklagte ihren Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 ausdrücklich auch auf die rechtswidrige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 gestützt hat ist auch der Maßgrößenbeschluss rechtwidrig, was wiederum zur Rechtswidrigkeit der Entgeltgenehmigung führt.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">bb) Auch fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage. Wie gesagt haben sich nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zur orientieren und den Anforderungen nach § 20 Abs. 2 PostG 1997 zu entsprechen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 sind dabei insbesondere die Kosten für die Einhaltung der wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, sowie die Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen und die Kosten aus der Übernahme von Versorgungslasten für die Beschäftigten, die aus der Rechtsnachfolge der Deutschen Bundespost entstanden sind, angemessen zu berücksichtigen. Dabei bezieht sich die Entgeltbestimmung nach dem erweiterten Effizienzkostenmaßstab des § 20 Abs. 1 und 2 PostG 1997 nach § 19 Satz 1 PostG 1997 auf bestimmte Postdienstleistungen. Daraus folgt, dass diejenigen Kosten zugrunde zu legen sind, die das Unternehmen aufwendet, um diese Dienstleistungen zu erbringen. Nach diesem Ansatz sind als Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 nur diejenigen nichteffizienten Kosten berücksichtigungsfähig, die dadurch verursacht werden, dass die Beigeladene die normativen Anforderungen des Universaldienstes erfüllt. Danach bietet die Erweiterung des Effizienzkostenmaßstabs durch § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 keine Handhabe, um Kosten aus anderen Geschäftsbereichen der Beigeladenen, die in keinem Ursachen- oder Zurechnungszusammenhang mit den Dienstleistungen des Price-Cap-Verfahrens stehen, entgelterhöhend in dieses Verfahren einzubeziehen.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 61 f.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Daher ist es der Bundesnetzagentur verwehrt, über das „Tragfähigkeitsprinzip“ ohne gesetzliche Grundlage autonom Kriterien für Abweichungen vom Gebot der verursachungsgerechten Zuordnung zu entwickeln und anzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 3 und 162 Abs. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">100</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> </li> <li><span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">7.500,00 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht - im Grundsatz - dem gesetzlichen Auffangstreitwert für jeden der beiden Streitgegenstände (§ 52 Abs. 2 GKG). Dabei hat das Gericht jedoch den Regelstreitwert bzgl. der einstweiligen Anordnung vom 19. Juni 2019 halbiert, da diese vorläufig erging und nur für einen begrenzten Zeitraum in der Welt war.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,522
vg-koln-2022-08-17-21-k-671220
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21 K 6712/20
2022-08-17T00:00:00
2022-09-13T10:01:17
2022-10-17T11:10:03
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0817.21K6712.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Ziffer 1 und 3 des Beschlusses der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (BK0-00/000) werden im Verhältnis zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Genehmi-gung für Standard- Kompakt-, Groß- und Maxibriefe (jeweils national) aufgeho-ben.</p> <p>Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstre-ckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung von Entgelten für lizenzpflichtige Postdienstleistungen nach § 19 PostG im Rahmen des Price-Cap-Verfahrens. Die Klägerin ist nach ihren Angaben in ihrem aktuellen Internetauftritt eine sogenannten Konsolidiererin (<span style="text-decoration:underline">www.konsolidierung.com</span>). Die Beigeladene ging am 1. Januar 1995 aus der früheren Behörde Deutsche Bundespost hervor und ist ein börsennotiertes Logistik- und Postunternehmen. Sie hält auf dem deutschen Markt für Briefdienstleistungen einen Umsatzanteil von mehr als 80 % und hat sich gegenüber der Beklagten verpflichtet, die Versorgung mit bestimmten grundlegenden Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet sicherzustellen (Universaldienst).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf Antrag der Beigeladenen wurden mit Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 die zu erwartende Produktivitätsfortschrittsrate (X-Faktor) für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2021 auf insgesamt -5,41% festgelegt. Für die konkrete Genehmigungsfähigkeit genehmigungsbedürftiger Entgelte wurde auf die Price-Cap-Formel verwiesen, in der der X-Faktor eine Rolle spiele. In der Sache wurde ausgeführt, dass bei der Vorgabe der Maßgrößen, insbesondere bei der Festlegung der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittrate, das Verhältnis des Ausgangsniveaus zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung einschließlich der einzubeziehenden neutralen Aufwendungen zu berücksichtigen sei. Zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung bzw. den neutralen Aufwendungen gehöre auch ein angemessener Gewinnzuschlag. Bei der Ermittlung des angemessenen Gewinnzuschlags seien nach § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntGV in der vom 22. März 2019 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PEntgV 2019) insbesondere die Gewinnmargen solcher Unternehmen als Vergleich heranzuziehen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig seien. Daraus ergebe sich eine durchschnittliche Umsatzrendite von 7,61 %.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Gemeinkosten wurde u.a. ausgeführt, dass diese einerseits nach dem Verteilungsprinzip der Verursachung zu verteilen seien. Andereseits komme das Tragfähigkeitsprinzip zur Anwendung. Die Segmente des Nicht-Price-Cap-Bereiches trügen zur Lastendeckung bei. Die profitablen Segmente könnten neben ihren originären Lasten auch Lasten weniger profitabler Nicht-Price-Segmente bzw. Sub-Segmente tragen. Die Tragfähigkeit eines Segments errechne sich aus der Differenz zwischen dem segmentspezifischen Umsatz und den segementspezifischen KeL. Ergebe sich für ein Segment ein positiver Deckungsbeitrag, werde dieser zur Deckung der originären Lasten herangezogen. Ein nach Verrechnung verbleibender positiver Deckungsbeitrag, diene der Abgeltung von Lasten, die in anderen Segmenten durch positive Deckungsbeiträge nicht gedeckt werden könnten. Allein die nach dieser zweiten Verrechung nicht gedeckten Lasten würden dem Price-Cap-Segment zugeordnet. Dadurch komme es zu einer Verteilung nicht gedeckter Lasten auf den Price-Cap-Bereich.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 3. Juni 2019 stellte die Beigeladene dann u.a. einen Entgeltgenehmigungsantrag für verschiedene Standardprodukte (National) für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2019. Mit Entgeltgenehmigungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 - befristet bis zum 31. Dezember 2021 - genehmigte die Beklagte in Ziffer 1. u.a. Entgelte wie folgt:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Standardbrief National                                                                       0,80 €</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Kompaktbrief National                                                                       0,95 €</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Großbrief National                                                                                     1,55 €</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Maxibrief National                                                                                     2,70 €</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich diese Entgelte aus dem Maßgrößenbeschluss ableiteten; die im Maßgrößenbeschluss durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung sei nicht zu beanstanden. Die Entscheidung wurde der Beigeladenen und den anderen im Verwaltungsverfahren Beteiligten zugestellt, nicht aber der Klägerin. Die Entscheidung wurde am 22. Januar 2020 im Amtsblatt der Beklagten veröffentlicht.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Am 9. Dezember 2020 hat die Klägerin gegen die Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 Klage erhoben. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Klage zulässig sei. Die Klägerin sei klagebefugt, da sie die Produkte Standardbrief, Kompaktbrief, Großbrief und Maxibrief (jeweils national) unkonsolidiert in Anspruch genommen habe. So habe sie unter anderem die genannten Produkte am 9. März 2021 in Hannover im dortigen Briefzentrum 30 der Beigeladenen zur Beförderung durch diese frankiert mit den genehmigten Porti übergeben; diesbezüglich wurde Zeugenbeweis angeboten und es wurden Kopien der frankierten Umschläge vorgelegt. Diese Sendungen seien nicht als konsolidierunfähige Sendungen in Betracht gekommen, da sie handschriftlich adressiert gewesen seien. Soweit die Beigeladene vermute, dass unter den Schwärzungen der Sendungen maschinenlesbare Anschriften zu finden seien, sei das schon deshalb verfehlt, weil gemäß dem Leitfaden „Automationsfähige Briefsendungen" außer der einmaligen Angabe der Zustellanschrift und gegebenenfalls der einzelligen Absenderangabe oberhalb der Anschrift, keine weiteren zustellfähigen Angaben innerhalb der Lesezone einer Sendung angebracht werden dürften. Ungeachtet dessen seien die Anschriften auf den Sendungen ausnahmslos und vollständig handschriftlich aufgebracht.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch nicht verfristet. Die Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei nicht in Gang gesetzt worden, da die Beklagte der Klägerin den streitgegenständlichen Beschluss nicht bekannt gegeben habe. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 1974 meine, dass die „sichere Kenntnis" des streitgegenständllchen Beschlusses ausreichend gewesen sei, um die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Gang zu setzen, sei das unzutreffend. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts habe nämlich ein gemeinschaftliches Nachbarschaftsverhältnis zugrunde gelegen. Ein solches Verhältnis - auch ein vergleichbares - habe hier aber nicht bestanden.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Es bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin. Dass die Beigeladene infolge einer Aufhebung der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung keine Entgelte für die Inanspruchnahme der betreffenden Postdienstleistungen verlangen könne, mache die Klage für die Klägerin nicht unnütz. Es liege in der Verantwortung der Beklagten, rechtmäßige Zustände herzustellen, wenn die Klage gegen eine Entgeltgenehmigung der Beklagten erfolgreich sei. Dass im Fall der Aufhebung einer Entgeltgenehmigung einstweilen ein genehmigungsloser Zustand entstehe, lasse das Rechtsschutzinteresse an der Beseitigung einer rechtswidrigen Entgeltgenehmigung nicht entfallen. Auch stehe der Klägerin im Fall der Aufhebung der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung ein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Entgelte zu. Im Übrigen habe das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass ungeachtet der Tatsache, dass die Rechtswidrigkeit einer Maßgröße die Rechtswidrigkeit aller auf deren Grundlage genehmigten Entgelte nach sich ziehen könne, es sich bei jeder Genehmigung des Entgelts einer Dienstleistung des Korbes um eine eigenständige Regelung handele.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin habe ihr Klagerecht nicht verwirkt. Soweit die Beklagte meine, dass der von ihr selbst als tolerabel anerkannte Zeitraum von zwölf Monaten im vorliegenden Fall verkürzt werden müsse, weil zwischenzeitlich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergangen und deren Entscheidungsgründe veröffentlicht worden seien, sei das verfehlt. Eine Klageerhebung unmittelbar nach der Bekanntgabe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts sei ihr nicht zumutbar gewesen. Sie habe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erst einmal zur Kenntnis nehmen, auswerten und im Hinblick auf ihre eigene Situation bewerten müssen, bevor sie eine Entscheidung über eine Klageerhebung habe treffen können. Auch habe die Klägerin erwarten dürfen, dass die Beklagte infolge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts von sich aus, also ohne Veranlassung durch Dritte, insgesamt einen rechtmäßigen Zustand herstellen werde. Schließlich hätten sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene gerade nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts damit rechnen müssen, dass weitere Klagen gegen die Entgeltgenehmigung erhoben werden würden. Endlich sei im vorliegenden Fall ein Verhalten der Klägerin nicht ursächlich für irgendwelche - darauf aufbauenden - Entschließungen der Beklagten oder der Beigeladenen gewesen. Insbesondere könne sich die Beigeladene nicht darauf berufen, dass sie die Sendungen der Klägerin nicht befördert hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Klägerin die Entgeltgenehmigung anfechten würde. Denn die Beigeladene sei zur Beförderung verpflichtet gewesen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch begründet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt des Erlasses der Entgeltgenehmigung. Bezogen auf diesen Zeitpunkt gelte, dass die Beklagte den zu erwartenden Gewinn der Beigeladenen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 aufgrund der Gewinnmargen, d.h. der Umsatzrenditen, vergleichbarer europäischer Postunternehmen ermittelt habe. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -) mit § 20 Abs. 1 PostG in der vom 1. Januar 1998 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PostG 1997) unvereinbar. Die Argumentation der Beigeladenen, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Unwirksamkeit der Post-Entgeltregulierungsverordnung in der Gültigkeit vom 6. Juni 2015 bis zum 21. März 2019 (PEntgV 2015) nicht auf die Bestimmung des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 übertragbar seien, sei falsch. Die Beigeladene verkenne, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 herausgestellt habe, dass der Gesetzgeber des ursprünglichen Postgesetzes für die Bemessung des Gewinnzuschlags ausschließlich auf die Kapitalrendite des regulierten Unternehmens abgestellt habe. Dementsprechend sei nicht nur § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015, sondern auch § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 unwirksam, weil in beiden Fassungen die Höhe des Gewinnzuschlags anhand einer Vergleichsmarktbetrachtung unter Berücksichtgung der Umsatzrendite anderer Unternehmen zu ermitteln sei und diese sich grundlegend von der unternehmensspezifischen Überprüfung anhand der Kapitalrendite des regulierten Unternehmens unterscheide. Dass die Regelungen nach § 20 PostG in der seit dem 18. März 2021 geltenden Fassung (PostG 2021) Rückwirkung enfalteten, sei nicht der Fall. Hätte der Gesetzgeber eine Rückwirkung beabsichtigt, hätte er diese ausdrücklich angeordnet. Bei der Annahme der Beklagten, für eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Rückwirkung spreche, dass eine Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitrahmens in einen Zeitraum vor Änderung des Postgesetzes und einen nach dessen Änderung nicht gewollt gewesen sein könne, handele es sich um eine petito principii. Es sei nicht ansatzweise ersichtlich, warum der Gesetzgeber sich an dem von der Beklagen frei festgelegten Entgeltregulierungsrahmen hätte orientieren sollen. Daher sei auch nicht ersichtlich, dass der Erlass einer neuen Entgeltgenehmigung keine wesentlichen Unterschiede zu der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung aufweise. Denn es bleibe bei einer fehlenden Rückwirkung der Neuregelung.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (Az. BK0-00/000) im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als die Beklagte Entgelte für die Beförderung von Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefen (jeweils national) genehmigt hat.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei unzulässig, da verfristet (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde derjenige, der sichere Kenntnis von der Erteilung einer Genehmigung habe oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erlangen müssen, so behandelt, als wäre ihm die Genehmigung im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bekanntgegeben worden (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -). Hier sei aber davon auszugehen, dass der angegriffene Beschluss der Klägerin zur Kenntnis gebracht worden sei. Sie sei branchenzugehörig und der beigeladene Bundesverband Briefdienste e.V., dem die Klägerin angehöre, habe den Beschluss unmittelbar erhalten. Auch seien am 1. Juli 2019 die Teilleistungsentgelte abgeändert worden. Diese stünden aber im Zusammenhang mit den hier angegriffenen Entgelten.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Zulässigkeit der Klage stehe auch ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Habe die Klägerin mit der hiesigen Klage Erfolg, führe dies zur Aufhebung der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung, allerdings nur im Verhältnis zwischen der Beigeladenen und der Klägerin. Die Beigeladene könnte dann bis zu einer erneuten Entgeltgenehmigung infolge eines neuen Maßgrößenbeschlusses durch die Beklagte gar kein Entgelt für die Inanspruchnahme der Postdienstleistungen verlangen. Eine Neufestsetzung der Price-Cap-Entgelte für einen Teilbereich des dem Price-Cap-Regime unterliegenden Produktportfolios sei allerdings nicht möglich. Ein derartiges postrechtliches Verfahren, mit welchem lediglich eine Teilmenge der dem Maßgrößenbeschluss unterliegenden Entgelte genehmigt werden könne, bestehe de facto nicht. Die Entgelte für Standard-, für Kompakt-, für Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) unterlägen der von der Beklagten durchgeführten Maßgrößenregulierung nach § 21 Abs.1 Nr. 2 PostG. Dabei komme es nicht zu einer Regulierung und Genehmigung einzelner Entgelte auf Grundlage der auf die einzelne Dienstleistung entfallenden Kosten im Sinne des § 21 Abs.1 Nr. 1 PostG, sondern zur Regulierung eines Korbes von Entgelten. Die Festlegung der Maßgrößen betreffe die Gesamtheit der im Dienstleistungskorb zusammengefassten Dienstleistungen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls sei das Recht zur Klageerhebung verwirkt gewesen. Die Klägerin habe die Erhebung der Klage in unredlicher Art und Weise verzögert. Sie habe sich nach ihrer Kenntnis von der Entgeltgenehmigung nahezu ein Jahr Zeit gelassen, ehe sie gegen die Genehmigung gerichtichen Rechtsschutz gesucht habe. Eine Klageerhebung mit einer derartigen zeitlichen Verzögerung sei als missbräuchliche Rechtsausübung zu sehen, da die Beklagte zu einem so späten Zeitpunkt nicht mehr mit einer Klageerhebung habe rechnen müssen. Somit sei auch das Umstandsmoment erfüllt. Bei der Bewertung des noch tolerablen Zeitraums dürfe nicht schematisch auf einen bestimmten Zeitablauf abgestellt werden, sondern es sei von den näheren Umständen des Einzelfalls auszugehen. Ein Abwarten der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren 6 C 1.19 und der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe lasse nicht auf eine Erweiterung des tolerablen Zeitrahmens schließen, wonach ein Zeitraum von mehr als zwölf Monaten ohne jegliche Reaktion der Klägerin hinnehmbar erscheine. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei bereits am 27. Mai 2020 ergangen und sei vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Pressemitteilung vom 28. Mai 2020 kommuniziert worden. Die Einlassung der Klägerin, man habe zunächst zuwarten wollen, ob die Beklagte von sich aus die laufende Entgeltgenehmigung aufhebe, belege, dass die Klägerin nicht alles ihr Mögliche getan habe, um einer Verwirkung ihres Klagerechts entgegen zu wirken. Es wäre ihr - denn offensichtlich habe sie die Entscheidung für rechtswidrig gehalten, wenn sie von einem Tätigwerden der Beklagten ausgegangen sei - möglich gewesen, unmittelbar Klage zu erheben.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch unbegründet, da sich die Rechtslage geändert habe. Am 18. März 2021 sei eine Änderung des Postgesetzes in Kraft getreten, die zu berücksichtigen sei, da der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung des Postgesetzes keine völlig neue Regelung geschaffen habe, sondern vielmehr Unsicherheiten bezüglich der Auslegung bestehender Regelungen aus dem Weg geräumt habe. In diesem Zuge seien die Regelungen aus dem Verordnungsrecht in Form der Post-Entgeltregulierungsverordnung auf Gesetzesebene gehoben worden. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung im Postgesetz nachträglich klargestellt, dass sich die Entscheidungspraxis der Beschlusskammer zur Gewinnregelung nach den im Verordnungsrecht bereits bestehenden Regelungen zur internationalen Vergleichsmarktbetrachtung richten solle. Zwar ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut des neugefassten Postgesetzes kein eindeutiger Rückschluss auf eine beabsichtigte Rückwirkung der gesetzlichen Regelung für den Zeitraum des bestehenden Price-Cap-Verfahrens. Hier sei aber zunächst zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Beschluss bis zum 31. Dezember 2021 gegolten habe, die normative Grundlage im Postgesetz - innerhalb dieses Zeitraums - aber zum 18. März 2021 geschaffen worden sei. Es stehe somit in Frage, ob eine künstliche Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitraums beabsichtigt gewesen sei oder ob der Gesetzgeber vielmehr die ausdrückliche Aufnahme einer Rückwirkungsklausel für entbehrlich gehalten habe. Für Letzteres spreche, dass eine Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitrahmens unübersichtlich und konstruiert wirke und zudem dem Sinn und Zweck der Regelung entgegenstehe. Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht Bedenken gegenüber der Lastenallokationspraxis der Beklagten geäußert habe, seien diese Bedenken durch die Neufassung des Postgesetzes ausgeräumt worden. Gegen eine Rechtswidrigkeit spreche insgesamt auch, dass die Beschlusskammer im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rücknahme zum Ergebnis gekommen sei, dass es nach einer Rücknahme zu den annähernd selben Ergebnissen kommen werde. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt die Entgeltgenehmigung in gleicher Form ergehen müsste, könne sie nicht zugleich rechtswidrig sein.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene beantragt,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei schon deshalb unzulässig, da der Klägerin die Klagebefugnis fehle. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die angegriffenen Leistungen überhaupt in Anspruch genommen habe. Schon das Geschäftsmodell der Klägerin spreche dagegen, dass dies der Fall sei. Denn bei der Klägerin handele es sich um eine Konsolidiererin, deren wirtschaftlicher Sinn und Zweck es sei, allein Teilleistungen der Beigeladenen in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin mache mit der vorliegenden Klage außerdem geltend, dass die der Beigeladenen genehmigten Entgelte für die Basisprodukte zu hoch seien. Es leuchte keineswegs ein, warum die Klägerin bei diesem Befund für den Versand ihrer eigenen Briefsendungen - falls er überhaupt stattfinde - ausgerechnet auf die aus ihrer Sicht zu teuren Produkte der Beigeladenen zurückgreife. Vielmehr liege es nahe, dass die Klägerin eigene Briefsendungen mit den Briefen ihrer Kunden konsolidiere und als Teilleistungssendung bei der Beigeladenen einliefere. Die Schwärzungen auf den Briefen, die im Anlagenkonvolut vorlägen, ließen nicht erkennen, dass darunter nicht die maschinenlesbaren Anschriften zu finden seien, weil die handschriftlichen Adressangaben auch eine für die Vorlage bei Gericht vorgenommene, schlichte Wiedergabe der eigentlich maschinenlesbaren Adressen sein könnten. Auch sei auffällig, dass die Briefe nach den Angaben der Klägerin in einem Briefzentrum abgeliefert worden seien.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Zum einen sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 nur auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 zu beziehen. Denn der Gewinnzuschlag im Postrecht sei anders und ggf. weiter zu bemessen als im Telekommunikationsrecht. Auch habe der Verordnungsgeber in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 zusätzlich zu den Kriterien aus § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 die Einschränkung aufgenommen, dass ein Vergleich mit anderen Unternehmen nur in Betracht komme, wenn sie mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar seien. Diese Einschränkung bewirke, dass nur noch solche Unternehmen in den Vergleich einbezogen werden könnten, die unter ähnlichem Effizienzdruck stünden wie die Beigeladene. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 mit Blick auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 aber festgestellt, es komme für den Gewinnzuschlag auf eine unternehmensspezifische Betrachtung an. Wenn nun § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 für die Vergleichsunternehmen auf die strukturelle Vergleichbarkeit abstelle, führe die Bestimmung die Gewinnbemessung, anders als noch § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015, an eben diese unternehmensspezifischen Verhältnisse heran. Zum anderen habe der Gesetzgeber mit der am 18. März 2021 in Kraft getretenen Postgesetz-Novelle alle wesentlichen Grundsätze für die Entgeltbemessung, den Forderungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 27. Mai 2020 entsprechend, in das formelle Gesetz übernommen. Jedenfalls nach dieser Maßgabe stehe die hier streitgegenständliche Entgeltgenehmigung im Einklang mit Entgeltregulierungsvorschriften. Die Beklagte habe insoweit auch überzeugend ausgeführt, dass der Gesetzgeber eine Aufspaltung in Zeiträume vor und nach dem Erlass des Gesetzes nicht gewollt habe. Diese Gesetzesfassung sei bei der Beurteilung der Rechtslage auch im Gerichtsverfahren zugrunde zu legen, da es für deren Beurteilung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme. Die Entgeltgenehmigung stelle einen Dauerverwaltungsakt dar.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bundesnetzagentur im Verfahren VG Köln 21 K 273/20 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Klage gegen die Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 ist zulässig (1.) und begründet (2.).</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">1. Die Klage gegen die Entgeltgenehmigung ist zulässig, insbesondere steht der Zulässigkeit keine fehlende Klagebefugnis (a), keine Fristversäumung (b) oder kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis (c) entgegen. Die Klägerin hat ihr Klagerecht auch nicht verwirkt (d) und eine missbräuchliche Klageerhebung liegt nicht vor (e).</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">a) Die Klägerin ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Dritte sind nach § 42 Abs. 2 VwGO berechtigt, die Genehmigung des Entgelts für eine bestimmte Postdienstleistung gerichtlich anzugreifen, wenn sie diese Dienstleistung während der Geltungsdauer der Genehmigung in Anspruch genommen haben. Unter dieser Voraussetzung greift die Entgeltgenehmigung in die Vertragsfreiheit als Ausprägung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Hierauf können sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen wie die Klägerin berufen. Der Grundrechtsschutz umfasst das Recht, den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen mit der Gegenseite frei von staatlichen Bindungen auszuhandeln. Diese Vertragsfreiheit wird durch die rechtsgestaltende Wirkung der Entgeltgenehmigung nach § 23 Abs. 1 und 2 Satz 1 PostG beeinträchtigt, weil weder das regulierte Unternehmen noch seine Kunden Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen können.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Danach kann die Klägerin die durch den Beschluss vom 12. Dezember 2019 erteilte Entgeltgenehmigung hinsichtlich der Produkte Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibrief (jeweils national) angreifen, da sie glaubhaft gemacht hat, dass sie diese Produkte in Anspruch genommen hat. Dabei sind an eine diesbezügliche Glaubhaftmachung keine überzogenen Anforderungen zu stellen, da nach der Lebenserfahrung die Annahme eher fern liegt, dass auch Konsolidierer <em>vollkommen</em> auf den Versand der gängigen Briefformate der Beigeladenen verzichtet haben. Dies liegt - so der nachvollziehbare Vortrag der Klägerin im Verfahren VG Köln 21 K 3616/20 - daran, dass bisweilen Kunden der Konsolidierer diesen auch Briefe übergeben, die von vornherein nicht konsolidierungsfähig sind, welche aber von den Konsolidierern jedenfalls aus Gründen den Kundenorientierung angenommen werden. Auch ist es (so ebenfalls der nachvollziehbare Vortrag der Klägerin im Verfahren VG Köln 21 K 3616/20) eher nah- als fernliegend, dass die gängigen Briefformate der Beigeladenen jedenfalls auch für den eigenen Briefverkehr von Konsolidierern genutzt werden, da insoweit bedingt durch die Beschriftung bzw. die Einlieferungsorte eine einfachere und schnellere Kommunikation möglich ist.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu alldem auch BVerwG, Urteil vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen an eine Glaubhaftmachung wurde hier genügt, da die Klägerin Briefumschläge vorgelegt hat, mit denen die Inanspruchnahme dieser Produkte belegt wird (Bl. 91 ff. GA) und da sie angegeben hat, dass sie diese Briefe bei der Beigeladenen eingeliefert habe: Mit der Vorlage der Briefumschläge wird zum einen belegt, dass gerade zwischen ihr und der Beigeladenen ein Vertrag über die Beförderung der genannten Produkte zustande gekommen ist. Nach Nr. 2 Abs. 1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG BRIEF NATIONAL (AGB Brief National) kommt ein Beförderungsvertrag zwischen der Beigeladenen und dem Absender (grundsätzlich) dadurch zustande, dass dieser die frankierte Sendung in die Obhut der Beigeladenen übergibt. Dabei ergibt sich der Begriff des „Absenders“ aus Nr. 2 Abs. 1 AGB Brief National i.V.m. mit § 1 Abs. 3 AGB Brief National i.V.m. § 407 Abs. 1 und 2 HGB. Danach ist Absender derjenige, der das Porto zahlt und dem sich der Frachtführer - hier die Beigeladene - unmittelbar verpflichtet. Ob der Absender in diesem Sinne gleichzeitig auch selbst Frachtführer ist - da er die Fracht für einen seiner Kunden führt - ist unerheblich. Damit ist der sog. „materielle Absenderbegriff“ für die Frage, wer im vorliegenden Verhältnis der Kunde der Beigeladenen wird, ohne Belang.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum frachtrechtlichen Absenderbegriff Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, § 407 HGB Rn. 7. Zur Bestimmung des Absenderbegriffs (im vorliegenden Zusammenhang) nach dem HGB - und nicht nach einem „materiellen Absenderbegriff“ - vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2012 - VII-Verg 14/12 -, juris Rn. 3 ff. und LG München I, Urteil vom 5. Dezember 1994 - 9 O 15772/94 -, MDR 1995, 1207 (1208).</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Danach war die Klägerin hier „Absenderin“ in dem genannten Sinne, da sie es war, die die Post frankiert und die Sendung in die Obhut der Beigeladenen übergeben hat. Mit der Vorlage der Briefumschläge hat die Klägerin zum anderen auch belegt, dass dieser Frachtvertrag gerade die genannten „Endkundenprodukte“ - und nicht etwa konsolidierte Produkte - betrifft. Denn die vorgelegten Briefumschläge waren handschriftlich adressiert und damit von vornherein nicht konsolidierungsfähig (vgl. § 3 Abs. 2 der AGB Teilleistungen gewerbsmäßige Konsolidierung der Beigeladenen i.V.m. dem Leitfaden „Automationsfähige Briefsendungen" der Beigeladen). Allein der Umstand, dass die Klägerin die genannten Sendungen nach ihren Angaben in das Briefzentrum 30 der Beigeladenen gebracht hat, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass es sich tatsächlich um konsolidierte Post gehandelt hat. Denn nach dem - ohne weiteren nachvollziehbaren - Vortrag der Klägerin <em>können</em> auch nicht konsolidierte Sendungen in Briefzentren übergeben werden. <em>Dass</em> es zu einer Übergabe auch solcher Sendung <em>auch</em> in Briefzentren kommt, ist - nach dem nachvollziehbaren Vortrag der Klägerin - auch nicht etwa lebensfremd, da die nicht konsolidierten Sendung dort „bei Gelegenheit“ der Übergabe der konsolidierten Sendungen - allerdings zu einen „anderen Korb“ - erfolgt. Dafür, dass die Klägerin im Gerichtsverfahren manipulierte Briefumschläge vorgelegt hätte gibt es keinen Anhalt (zumal vor dem Hintergrund, dass auch Konsolidierer nach der Lebenserfahrung nicht vollkommen auf den Versand der gängigen Briefformate der Beigeladenen verzichten).</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">b) Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Klagefrist versäumt hat. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage zwar innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Der Lauf dieser Frist setzt jedoch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe voraus, die hier nicht vorlag. Unstreitig wurde der Beschluss vom 12. Dezember 2019 der Klägerin gegenüber nicht nach § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 bekannt gegeben. Eine Bekanntgabe erfolgte der Klägerin gegenüber auch nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 22 Abs. 4 PostG. Denn § 22 Abs. 4 PostG stellt keine Rechtsvorschrift dar, mit der ein Verwaltungsakt öffentlich bekannt gegeben werden darf. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 4 PostG. Dort wird von einer Veröffentlichung genehmigter Entgelte gesprochen. Weder ist dort die Rede von einer Bekanntgabe, vor allem aber spricht die Vorschrift von der Veröffentlichung <span style="text-decoration:underline">genehmigter</span> Entgelte; Entgelte werden aber erst <span style="text-decoration:underline">durch</span> Bekanntgabe genehmigt. Dies wird durch systematische Überlegungen bestätigt. Eine Bekanntgaberegelung ist allein in § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 79 Abs. 1 Satz 2 TKG 1996 enthalten. Insoweit kann § 22 Abs. 4 PostG auch nicht als spezielle Regelung allein für das Postrecht verstanden werden, da auch § 28 Abs. 4 TKG 1996 - neben den Vorschriften für eine Bekanntgabe - eine Veröffentlichung von Entgelten nach dem TKG im Amtsblatt der Regulierungsbehörde vorsah. Das Gesagte wird endlich durch den Sinn und Zweck des § 22 Abs. 4 PostG bestätigt. Die Vorschrift zielt nicht auf die Kunden der Beigeladenen sondern auf ihre Wettbewerber. Es soll zur Information der Marktteilnehmer und damit zum Schutz des Wettbewerbs erreicht werden, dass die genehmigte Postdienstleistung anhand der bei Antragstellung vorzulegenden Leistungsbeschreibung auch inhaltlich konkretisiert werden kann. Nur so sind betroffene Marktteilnehmer in der Lage zu beurteilen, ob es für die konkrete, vom marktbeherrschenden Unternehmen angebotene Leistung bereits ein genehmigtes Entgelt gibt und wie hoch dieses ist.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu Lübbing, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 22 Rn. 84. Vgl. zu alldem aus dem TKG auch VG Köln, Urteil vom 1. August 2007 - 21 K 4013/06 -, juris Rn. 28 ff.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Auch erfolgte hier eine wirksame Bekanntgabe nicht nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m. der Veröffentlichung im Amtsblatt der Regulierungsbehörde. Nach dieser Vorschrift darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Dabei kann dahinstehen, ob postrechtliche Entgeltgenehmigungen Allgemeinverfügungen darstellen und ob ein Amtsblatt einer Bundesbehörde als „ortsübliches Bekanntmachungsorgan“ im Sinne von § 41 Abs. 4 VwVfG angesehen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Für die Einstufung einer telekommunikationsrechtlichen Entgeltgenehmigung als Allgemeinverfügung: Neumann, jurisPR-BVerwG 6/2014 Anm. 6.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls ist Voraussetzung jeglicher Bekanntgabe - auch der Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG -, dass ein diesbezüglicher Bekanngabewillen - hier also ein Willen zur öffentlichen Bekanntgabe - vorlag.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 53 und Baer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 41 Rn. 22.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Bekanntgabewille bestand hier ersichtlich allerdings nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten, nicht aber gegenüber der Allgemeinheit und der Klägerin. Hinsichtlich der Veröffentlichung im Bundesanzeiger wurde nur verfügt: „Bitte Veröffentlichung des anliegenden Manuskriptes im nächsten Amtsblatt veranlassen“ (vgl. zu alldem Bl. 1050 ff., 1061 ff. BA III zum Verfahren VG Köln 21 K 273/20). Dass damit - in Übereinstimmung mit der vorherigen Bekanntgabe an die im Verwaltungsverfahren Beteiligten - eine weitere Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung erfolgen sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass § 22 Abs. 4 PostG - den die Beklagte offensichtlich angewendet hat - eben keine Bekanntgabevorschrift darstellt und dass die gewählte Rechtsmittelbelehrung - Klagefrist von einem Monat nach <em>Zustellung</em> - ersichtlich nicht auf die Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung zugeschnitten ist.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Schließlich und endlich erfolgte eine Bekanntgabe hier nicht nach § 8 VwZG durch tatsächliche Kenntnisnahme von der Entgeltgenehmigung (wann auch immer diese erfolgt sein mag). Zwar ist § 8 VwZG entsprechend auch auf Bekanntgabemängel anwendbar. Jedoch erfordert eine Heilung nach dieser Vorschrift auch, dass ein Bekanntgabewille vorlag. Daran fehlt es hier jedoch.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Zu den Voraussetzungen des § 8 VwZG vgl. z.B. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 232, 237; Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Auflage 2021, § 8 Rn. 1 f.; L. Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 56. Edition Stand: 1. Oktober 2019, § 8 VwZG Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">c) Der Zulässigkeit der Klage steht auch kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 (3) und Beschluss vom 26. Februar 2014 - 6 C 3.13 -, BVerwGE 149, 94 Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Hier liegt ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin vor. Dem Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses steht weder entgegen, dass nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte (aa), noch dass eine neue Entgeltgenehmigung zwangsläufig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung (bb).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">aa) Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin fehlt nicht deshalb, da nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass eine erneute Entgeltgenehmigung für die Klägerin inter partes (in der die Entgelte für sie günstiger ausfallen könnten) nicht erteilt werden könnte. Denn die Entgeltgenehmigung für eine bestimmte Postdienstleistung ist auch dann selbständig anfechtbar, wenn sie auf Maßgrößen beruht, die die Bundesnetzagentur in einem Price-Cap-Verfahren für die durchschnittlichen Änderungsraten der Entgelte mehrerer in einem Korb zusammengefasster Dienstleistungen ermittelt hat.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 17 ff.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Aus der selbstständigen Anfechtbarkeit folgt dann auch, dass insoweit eine neue Entgeltgenehmigung inter-partes erteilt werden kann. Die Beklagte hat für die Klägerin inzident einen neuen Maßgrößenbeschluss im Price-Cap-Verfahren nach Maßgabe der gerichtlichen Vorgaben zu erstellen und diesen dann - ggf. nach Weichenstellungen durch die Beigeladene - auf die von der Klägerin angegriffenen Leistungen umzubrechen. Zum anderen kann die Klägerin - selbst wenn nach einer Kassation tatsächlich keine erneute Entgeltgenehmigung ergehen sollte - dann die von ihr gezahlten Porti nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zurück verlangen. Bereits das begründet ihr Rechtsschutzbedürfnis.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 67 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">bb) Einem Rechtsschutzbedürfnis steht auch nicht entgegen, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Zum einen entspräche es jedenfalls der Praxis der Beklagten, in Fällen - die dem vorliegenden vergleichbar sind - nach Aufhebung einer Entgeltgenehmigung gerade keine neue Entgeltgenehmigung zu erteilen.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. Neumann, jurisPR-BVerwG 23/2015 Anm. 5.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, dass eine neue Entgeltgenehmigung, wenn sie denn erginge, <em>eindeutig</em> den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 erfolgt sind, die nunmehr - da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage jetzt der Zeitpunkt der neuerlichen Behördenentscheidung wäre - grundsätzlich zu berücksichtigen wären. Denn das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 sind erst am 18. März 2021 in Kraft getreten, d.h. für den Genehmigungszeitraum bis zum 17. März 2021 sind die Vorschriften nicht anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber von Verfassung wegen eine Rückwirkung dieser Vorschriften für den gesamten Genehmigungszeitraum hätte anordnen <em>können</em>. Klar ist jedenfalls, dass er dies nicht getan hat; weder im Wortlaut der Norm noch in der Entstehungsgeschichte findet sich irgendein Anhalt dafür, dass eine echte Rückwirkung beabsichtigt gewesen wäre. Die Annahme einer echten Rückwirkung setzt aber immer eine normative Fixierung auf einen Zeitpunkt voraus, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist. Auch wäre ein solcher Anhalt schon deshalb naheliegend gewesen, da eine echte Rückwirkung besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt, so dass es nicht fern liegt, dass diese verfassungsrechtlichen Anforderungen in irgendeiner Weise jedenfalls in der Entstehungsgeschichte der Norm einen Niederschlag finden.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, juris Rn. 85 und vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, juris Rn. 42 f. und Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, juris Rn. 97 und 100 ff.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Allein der Umstand, dass ohne die Annahme einer echten Rückwirkung die hier streitgegenständliche bisherige Regulierungsperiode möglicherweise aufgespalten würde, ist ohne Belang. Denn die Dauer von Regulierungsperioden ist nicht gesetzlich vorgegeben, daher können diese aus rechtlichen Gründen - wie hier geschehen - auch aufgespalten werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die gesamte Regulierungsperiode keine Ist-Kosten, sondern (einheitliche) Plankosten angefallen sind. Denn die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 beziehen sich nicht auf einheitlich zugrunde zu legende Plankosten sondern nur auf kalkulatorische Details. Mithin ist es ohne weiteres möglich, zeitlich unterschiedliche Entgeltgenehmigungen (mit jeweils zugrunde liegenden Maßgrößenbeschlüssen) in die Welt zu setzen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Aber auch davon abgesehen kann nicht festgestellt werden, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die angegriffenen Entgeltgenehmigung. Denn im Rahmen einer Neugenehmigung durch die Beklagte müsste überprüft werden, ob die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts anwendbar sind, ob die in der Vergangenheit durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung hinreichend tragfähig ist u.ä. Die Prüfung dieser jedenfalls nicht unkomplexen Gesichtspunkte ist vor dem Hintergrund, dass das Rechtsschutzbedürfnis nur verneint werden kann, wenn eine etwa neue Entgeltgenehmigung <em>eindeutig</em> denselben Inhalt hätte wie die alte, nicht Aufgabe des erkennenden Gerichts in diesem Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">d) Die Klägerin hat ihr Klagerecht nicht verwirkt. Ein Klagerecht kann dann verwirkt sein, wenn seit der Möglichkeit der Klageerhebung längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment); erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf. Dabei wird das Zeitmoment grundsätzlich in Anlehnung an die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr bemessen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. und vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 23 ff.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Diese „Jahresfrist“ ist hier eingehalten, unabhängig davon ob man für den „Lauf“ der Jahresfrist auf das Datum der Entgeltgenehmigung, auf die Veröffentlichung der Entgeltgenehmigung im Amtsblatt der Regulierungsbehörde oder auf die erstmalige Inanspruchnahme der genehmigten Leistung durch die Klägerin abstellen würde. Denn selbst wenn man den für die Klägerin ungünstigsten Zeitpunkt in den Blick nähme - Datum der Entgeltgenehmigung - ist die Jahresfrist gewahrt. Allerdings können prozessuale Befugnisse auch bereits vor Ablauf einer Jahresfrist verwirkt werden. Für die Annahme einer solchen Verwirkung vor Ablauf der Jahresfrist bedarf es jedoch besonderer Anhaltspunkte, eine schlichte „Nichtklageerhebung“ reicht regelmäßig nicht aus. Die Annahme einer solchen „vorzeitigen“ Verwirkung kommt etwa dann in Betracht, wenn der Berechtigte der Behörde oder einem Dritten gegenüber deutlich gemacht hat, dass er gegen den Verwaltungsakt keine Rechtsmittel einlegen werde.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Z.B. BVerwG, Urteile vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 28 und vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 28; Beschluss vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 14 f.; BFH, Urteil vom 14. Juni 1972 - II 149/65 -, juris Rn. 15; Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 58 Rn. 78; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, Loseblatt, Stand Juli 2021, § 74 Rn. 47; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 74 Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Hier hat die Klägerin aber nur „schlicht“ keine Klage erhoben, weder der Beklagten noch der Beigeladenen gegenüber hat sie in irgendeiner Art und Weise deutlich gemacht, dass sie keine Klage erheben werde. Auch sonst sind keine „besonderen Anhaltspunkte“ für eine Verwirkung ersichtlich. Sie ergeben sich weder daraus, dass die Klägerin Leistungen der Beigeladenen in Anspruch genommen hat (aa), dass die Klägerin zur Beigeladenen möglicherweise in einem besonderen Näheverhältnis stand (bb) oder dass die Klägerin - möglicherweise - die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entgeltgenehmigung kannte oder kennen musste (cc). Auch eine Berücksichtigung öffentlicher Interessen führt nicht dazu, dass das Zeitmoment der Verwirkung zu verkürzen ist (dd).</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">aa) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine Verwirkung kann nicht daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin die genehmigten Entgelte innerhalb der genannten Jahresfrist in Anspruch genommen hat. Denn die Inanspruchnahme der genehmigten Leistung ist Voraussetzung für ihre Klagebefugnis (siehe oben). Die Inanspruchnahme einer genehmigten Leistung kann aber nicht eine Klagebefugnis eröffnen und gleichzeitig eine Verwirkung begründen. Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin die genehmigte Leistung binnen der genannten Frist möglicherweise mehrfach in Anspruch genommen hat. Denn die Beigeladene - und erst Recht die Beklagte - konnte eine mögliche mehrfache Inanspruchnahme der Leistung schon deshalb nicht als Billigung der Entgeltgenehmigung verstehen, da sie von der Inanspruchnahme durch die Klägerin keine Kenntnis hatte (da insoweit eine Massenverkehrsleistung vorliegt). Abgesehen davon handelte es sich bei dieser Leistung um eine Universaldienstleistung, also um eine Leistung, mit der ein Mindestgebot an Postdienstleistungen nach § 4 Abs. 1 PostG erbracht werden soll. Solche Leistungen sind nur Leistungen die allgemein als unabdingbar angesehen werden (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 PostG). Aus der Inanspruchnahme einer unabdingbaren Leistung kann nicht abgeleitet werden, dass man auch mit der Entgelthöhe einverstanden ist.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">bb) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine Verwirkung kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass sich die Klägerin hier möglicherweise in einem „besonderen Näheverhältnis“ zu der Beigeladenen befunden hat. Allerdings spricht viel für die Annahme eines solchen Näheverhältnisses (vgl. z.B. das Urteil vom heutigen Tag im Verfahren VG Köln 5020/21). Aber selbst die Annahme eines solchen Näheverhältnisses würde keinen „besonderen Anhaltspunkt“ (dahingehend) begründen, welcher eine Verkürzung der Verwirkungsfrist (in Anlehnung an § 58 Abs. 2 VwGO) rechtfertigen würde. Denn selbst im „nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis“ ist anerkannt, dass ungeachtet des Bestehens dieses Verhältnisses das Zeitmoment der Verwirkung grundsätzlich in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. VwGO zu bestimmen ist.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, juris Rn. 25 und vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, juris Rn. 23 sowie Beschlüsse vom 11. September 2018 - 4 B 34.18 -, juris Rn. 9 und vom 13. März 2020 - 8 B 2.20 -, juris Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">cc) Ein „besonderer Anhaltspunkt“ für eine vorzeitige Verwirkung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin hier - möglichweise - bereits ab Mai 2020 die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entgeltgenehmigung kannte oder hätte kennen müssen. Dabei kann dahinstehen, welche Bedeutung generell der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit einer Genehmigung im Rahmen der Annahme einer Verwirkung zukommt (vgl. dazu VG Köln, Urteil vom heutigen Tag im Verfahren VG Köln 21 K 5020/21). Denn selbst wenn man annähme, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit der hier angegriffenen Entgeltgenehmigung ab einen gewissen Zeitpunkt gekannt hätte oder hätte kennen müssen, so folgt hieraus für die Schutzwürdigkeit der Beklagten oder der Beigeladenen nichts. Denn ab diesem Zeitpunkt hätten dann auch die Beklagte und die Beigeladene Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Entgeltgenehmigung gehabt bzw. hätten hiervon Kenntnis haben müssen. Dann wären sie in ihrem Vertrauen auf den Fortbestand der Entgeltgenehmigung aber nicht schutzwürdig gewesen. Doch selbst wenn man annähme, dass sich auch insoweit schutzwürdiges Vertrauen hätte bilden können, so hätte sich dieses Vertrauen doch allenfalls darauf beziehen können, dass die Entgeltgenehmigung ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit nun nicht mehr angegriffen werden würde, da vernünftigerweise gegen diese keine Klage mehr erhoben werden würde.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 -, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Unterhalb des in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1 Alt. VwGO zu bestimmenden Zeitmoments dürfte aber die Annahme eines solchen Vertrauens kaum zu rechtfertigen sein. Abgesehen davon konnten die Beklagte und die Beigeladene nach den konkreten Umständen des Einzelfalles auch sonst nicht vernünftigerweise davon ausgehen, dass nicht binnen „Jahresfrist“ Klage erhoben werden würde. Maßgeblicher Ansatzpunkt für den Beginn einer Verwirkung könnte hier insoweit nur der 28. Juli 2020 sein, da erst an diesem Datum das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 in seiner endgültigen Fassung veröffentlicht wurde; auf der Basis von Pressemitteilungen kann und darf kein Rechtssuchender handeln. Eine Klageerhebung nicht unmittelbar nach diesem Datum - hier erst 4 ½ Monate später - gab jedoch deswegen für ein endgültiges Unterlassen einer Klageerhebung nichts her, da das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 im Laufe des Jahres 2020 zu einer Vielzahl von Aktivitäten führte:</p> <span class="absatzRechts">72</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">So wurde am 21. August 2020 von der Klägerin im Verfahren VG Köln 21 K 273/20 beantragt, den Entgeltgenehmigungsantrag neu zu bescheiden; diesen Antrag lehnte die Beklagte erst mit Beschluss vom 26. November 2020 ab (BK0-00/000).</p> </li> <li><span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Weiter trat die Beklagte am 13. August 2020 in die Prüfung ein, ob die hier angegriffene Entgeltgenehmigung zurückzunehmen sei; diese Prüfung wurde erst am 24. April 2021 abschlossen (BK0-00/000).</p> </li> <li><span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Gleichzeitig kam es jedenfalls ab Oktober 2020 zu Überlegungen des Gesetzgebers, die geltende Rechtslage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzupassen (vgl. Kleinlein/Schubert, N&R 2021, S. 2 (3) m.w.N. in FN 14 und Bl. 385 und 387 d.A. im Verfahren VG Köln 5020/21). Diese Prüfung wurde erst im Laufe des Jahres 2021 abgeschlossen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">In dieser komplexen Gemengelage war es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin vernünftigerweise mit der Erhebung der Klage - jedenfalls bis zum Ablauf des in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 1 Alt. VwGO zu bemessenden Zeitmoments - mit der Klageerhebung zuwartete.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">dd) Schließlich können „besondere Anhaltpunkte“ für eine Verwirkung hier nicht daraus abgeleitet werden, dass ein öffentliches Interesse - insbesondere ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens - die Annahme einer Verwirkung geböte. Zwar sind im Rahmen der Annahme einer Verwirkung auch öffentliche Interessen und das Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens in den Blick zu nehmen.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 8. September 2020 - 1 B 31.20 -, juris Rn. 10 und Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 -, juris Rn. 33 zur Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Jedoch bestehen auch dann keine Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen durch die Ablehnung einer Verwirkung binnen „Jahresfrist“, wenn man in den Blick nimmt, dass sich das angegriffene Entgelt auf eine „Massenverkehrsleistung“ bezieht. Zum einen haben Klagen von Endkunden der Post allein eine „inter partes“ Wirkung.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist mit „Massenklagen“ aller Postkunden gegen eine Entgeltgenehmigung binnen des Zeitraums von einem Jahr schon deshalb nicht zu rechnen, da die Kunden bezogen auf diesen Zeitraum in der Regel noch erhebliche prozessuale Risiken hinnehmen müssten. „Musterverfahren“ gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung - auf die „normale“ Endkunden aufsetzen können -  werden in der Regel nicht unter einem Jahr nach Erlass der Genehmigung abgeschlossen sein.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">e) Die Klageerhebung ist auch nicht missbräuchlich erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich jeder gegen eine postrechtliche Entgeltgenehmigung klagebefugt, der die genehmigte Leistung in Anspruch genommen hat (siehe oben). Eine andere rechtliche Beurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die genehmigte Leistung <em>nur</em> deshalb in Anspruch genommen wurde, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO „echten“ Endkunden der Beigeladenen vorbehalten ist. Davon ist auszugehen, wenn die konkreten Umstände ohne weiteres erkennen lassen, dass an der erworbenen Rechtsstellung, welche die Klagebefugnis vermitteln soll, kein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse gegeben ist.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Vergl. z.B. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 2012 - 9 A 6.10 -, juris Rn. 13 und vom 27. Oktober 2000 - 4 A 10.99 -, juris Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Hier sind solche Anhaltspunkte indes nicht erkennbar. Zwar stehen die vorgelegten Belege für die Inanspruchnahme der Leistungen in einem zeitlich auffälligen Zusammenhang zur Klagebegründung. Jedoch gibt es zum einen keinen Hinweis darauf, dass die Klägerin die von ihr bezahlten Leistungen nicht auch in Anspruch genommen hätte. Zum anderen hat die Klägerin vorgetragen, dass sie die angegriffenen Produkte nur <em>u.a.</em> zu den genannten Daten in Anspruch genommen habe. Vor dem Hintergrund, dass die Beigeladene für die Inanspruchnahme der genannten Produkte grundsätzlich keine Belege ausstellt und vor dem Hintergrund, dass nach der Lebenserfahrung die Annahme eher fern liegt, dass auch Konsolidierer vollkommen auf den Versand der gängigen Briefformate der Beigeladenen verzichten (siehe oben), wäre auch eine bewusste Inanspruchnahme der genannten Produkte unter dem genannten Datum zu Dokumentationszwecken nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">2. Die Klage ist begründet. Der Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 ist, soweit es um die Genehmigung der genannten Entgelte geht, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der 12. Dezember 2019, also der Zeitpunkt, zu dem die streitgegenständliche Entgeltgenehmigung ergangen ist.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10/11 -, juris Rn. 26 und Beschluss vom 16. Januar 2019 - 6 B 136.18 -, juris Rn. 19 ff.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Dagegen spricht hier nicht, dass die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine Frage des materiellen Rechts ist und dass seit dem 18. März 2021 § 20 des PostG eine neue Fassung erhielt (mit der ersichtlich den Mängeln abgeholfen werden sollte, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 aufgezeigt hatte.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass für den Fall, dass die objektive Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes den Kläger "in seinen Rechten verletzt" hat und der Kläger deshalb die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes verlangen kann, es denkbar ist, dass eine nachfolgende Rechtsänderung, die einen solchen Verwaltungsakt nunmehr zulässt, nicht nur dem objektiven Recht ("für die Zukunft") einen anderen Inhalt gibt, sondern darüber hinaus auch die mit der vorangegangenen Rechtslage zusammenhängenden Aufhebungsansprüche beseitigt. Hat eine Rechtsänderung diesen Willen, dann reagiert darauf das Prozessrecht mit dem - an das Fehlen eines Aufhebungsanspruchs anknüpfenden - Befehl der Klagabweisung. Hier ist indes nicht feststellbar, dass mit der Rechtsänderung der Wille verbunden war, Aufhebungsansprüche zu beseitigen. Weder der Wortlaut, noch die Entstehungsgeschichte noch der Sinn und Zweck von § 20 Abs. 1 und 2 PostG 2021 lassen irgendeinen Rückschluss darauf zu, dass Aufhebungsansprüche beseitigt werden sollten.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur denkbaren Beseitigung von Aufhebungsansprüchen durch Gesetzesänderung BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 -, juris Rn. 16 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Grundlage für den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 war der Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019. Die Rechtmäßigkeit dieses Maßgrößenbeschlusses ist im Rahmen der Überprüfung der jeweiligen Entgeltgenehmigung mit zu überprüfen.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 32 und vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 44.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Der Maßgrößenbeschluss ist rechtswidrig. Zum einen hätte eine Vergleichsmarktbetrachtung nicht durchgeführt werden dürfen (a). Zum anderen fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage (b).</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">a) Eine Vergleichsmarktbetrachtung durfte hier nicht durchgeführt werden. Nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 haben sich die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren. Dies gilt auch für Postdienstleistungen des Universaldienstes.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 24 ff.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Zu den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung gehört auch ein Gewinnzuschlag, der die zu erwartende Kapitalrendite des konkret regulierten Unternehmens abbildet. Es ist die angemessene Verzinsung des Kapitals zu ermitteln, das das konkret regulierte Unternehmen einsetzt, um die Postdienstleistung zu erbringen.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 PostG 1997 findet auch im Maßgrößenverfahren Anwendung. Der Effizienzkostenmaßstab nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 stellt auch dort nicht lediglich eine Orientierungsgröße für die Entgeltfestsetzung dar, sondern bildet die Obergrenze des genehmigungsfähigen Entgelts. Dem ist durch die Auslegung des Begriffs der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittsrate des regulierten Unternehmens nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 PEntgV 2019 und durch die Anwendung dieser Maßgröße bei der Entgeltregulierung Rechnung zu tragen (vgl. § 4 Abs. 3 PEntgV 2019).</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 37, 41.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Damit war die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 unvereinbar. Denn nach dieser Vorschrift wurde bei der Ermittlung des Gewinnzuschlags nicht auf das konkret regulierte Unternehmen abgestellt, sondern auf die Gewinnmargen solcher Unternehmen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar sind und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig sind. Indes bietet das Postgesetz keine Handhabe für eine Entgeltregulierung von Postdienstleistungen aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung. Tritt eine solche Betrachtung an die Stelle der Ermittlung der Effizienzkosten aufgrund der Kostensituation des regulierten Unternehmens, gilt der ermittelte Vergleichspreis als der "Als-Ob-Wettbewerbspreis". Eine unternehmensspezifische Überprüfung dieses Preises findet nicht statt. Entsprechendes gilt, wenn - wie in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 bzw. 2019 vorgesehen - die Höhe des Gewinnzuschlags anhand einer Vergleichsmarktbetrachtung ermittelt werden soll.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Dies ist selbstverständlich auch dann der Fall, wenn die Vergleichsmarktbetrachtung auf Unternehmen bezogen wird, die in struktureller Hinsicht mit dem beantragenden Unternehmen vergleichbar sind (PEntGV 2019). Denn auch in diesem Fall findet eine unternehmensspezifische Überprüfung des Preises nicht statt. Mit der Frage, ob der Gewinnzuschlag im Postrecht anders und ggf. weiter zu bemessen ist als im Telekommunikationsrecht, hat dies nichts zu tun. Es geht - zunächst einmal - allein um die Frage, in welchem Verfahren der Gewinnzuschlag zu ermitteln ist.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur erstgenannten Frage BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10.11 -, juris Rn. 63.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beklagte ihren Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 ausdrücklich auch auf die rechtswidrige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 gestützt hat ist auch der Maßgrößenbeschluss rechtwidrig, was wiederum zur Rechtswidrigkeit der Entgeltgenehmigung führt.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">b) Auch fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage. Wie gesagt haben sich nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zur orientieren und den Anforderungen nach § 20 Abs. 2 PostG 1997 zu entsprechen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 sind dabei insbesondere die Kosten für die Einhaltung der wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, sowie die Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen und die Kosten aus der Übernahme von Versorgungslasten für die Beschäftigten, die aus der Rechtsnachfolge der Deutschen Bundespost entstanden sind, angemessen zu berücksichtigen. Dabei bezieht sich die Entgeltbestimmung nach dem erweiterten Effizienzkostenmaßstab des § 20 Abs. 1 und 2 PostG 1997 nach § 19 Satz 1 PostG 1997 auf bestimmte Postdienstleistungen. Daraus folgt, dass diejenigen Kosten zugrunde zu legen sind, die das Unternehmen aufwendet, um diese Dienstleistungen zu erbringen. Nach diesem Ansatz sind als Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 nur diejenigen nichteffizienten Kosten berücksichtigungsfähig, die dadurch verursacht werden, dass die Beigeladene die normativen Anforderungen des Universaldienstes erfüllt. Danach bietet die Erweiterung des Effizienzkostenmaßstabs durch § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 keine Handhabe, um Kosten aus anderen Geschäftsbereichen der Beigeladenen, die in keinem Ursachen- oder Zurechnungszusammenhang mit den Dienstleistungen des Price-Cap-Verfahrens stehen, entgelterhöhend in dieses Verfahren einzubeziehen.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 61 f.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Daher ist es der Bundesnetzagentur verwehrt, über das „Tragfähigkeitsprinzip“ ohne gesetzliche Grundlage autonom Kriterien für Abweichungen vom Gebot der verursachungsgerechten Zuordnung zu entwickeln und anzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">110</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> </li> <li><span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">5.000,00 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,506
vg-koln-2022-08-17-21-k-27320
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21 K 273/20
2022-08-17T00:00:00
2022-09-10T10:01:24
2022-10-17T11:10:00
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0817.21K273.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Ziffer 1 und 3 des Beschlusses der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (BK0-00/000) werden im Verhältnis zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Genehmigung für Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe (jeweils national) aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu ½, die Beklagte und die Beigeladene tragen diese ebenfalls zu ½. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p> <p>Soweit die Klage abgewiesen worden ist, werden die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten u.a. um die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung von Entgelten für lizenzpflichtige Postdienstleistungen nach § 19 PostG im Rahmen des Price-Cap-Verfahrens. Der Kläger ist ein Verband, der die Interessen der Kurier-, Express- und Paketbranche in Deutschland vertritt. Die Beigeladene ging am 1. Januar 1995 aus der früheren Behörde Deutsche Bundespost hervor und ist ein börsennotiertes Logistik- und Postunternehmen. Sie hält auf dem deutschen Markt für Briefdienstleistungen einen Umsatzanteil von mehr als 80 % und hat sich gegenüber der Beklagten verpflichtet, die Versorgung mit bestimmten grundlegenden Postdienstleistungen im gesamten Bundesgebiet sicherzustellen (Universaldienst).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf Antrag der Beigeladenen wurden mit Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 die zu erwartende Produktivitätsfortschrittsrate (X-Faktor) für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2021 auf insgesamt -5,41% festgelegt. Für die konkrete Genehmigungsfähigkeit genehmigungsbedürftiger Entgelte wurde auf die Price-Cap-Formel verwiesen, in der der X-Faktor eine Rolle spiele. In der Sache wurde ausgeführt, dass bei der Vorgabe der Maßgrößen, insbesondere bei der Festlegung der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittrate, das Verhältnis des Ausgangsniveaus zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung einschließlich der einzubeziehenden neutralen Aufwendungen zu berücksichtigen sei. Zu den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung bzw. den neutralen Aufwendungen gehöre auch ein angemessener Gewinnzuschlag. Bei der Ermittlung des angemessenen Gewinnzuschlags seien nach § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV in der vom 22. März 2019 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PEntgV 2019) insbesondere die Gewinnmargen solcher Unternehmen als Vergleich heranzuziehen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig seien. Daraus ergebe sich eine durchschnittliche Umsatzrendite von 7,61 %.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Gemeinkosten wurde u.a. ausgeführt, dass diese einerseits nach dem Verteilungsprinzip der Verursachung zu verteilen seien. Andereseits komme das Tragfähigkeitsprinzip zur Anwendung. Die Segmente des Nicht-Price-Cap-Bereiches trügen zur Lastendeckung bei. Die profitablen Segmente könnten neben ihren originären Lasten auch Lasten weniger profitabler Nicht-Price-Segmente bzw. Sub-Segmente tragen. Die Tragfähigkeit eines Segments errechne sich aus der Differenz zwischen dem segmentspezifischen Umsatz und den segementspezifischen KeL. Ergebe sich für ein Segment ein positiver Deckungsbeitrag, werde dieser zur Deckung der originären Lasten herangezogen. Ein nach Verrechnung verbleibender positiver Deckungsbeitrag, diene der Abgeltung von Lasten, die in anderen Segmenten durch positive Deckungsbeiträge nicht gedeckt werden könnten. Allein die nach dieser zweiten Verrechung nicht gedeckten Lasten würden dem Price-Cap-Segment zugeordnet. Dadurch komme es zu einer Verteilung nicht gedeckter Lasten auf den Price-Cap-Bereich.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 3. Juni 2019 stellte die Beigeladene dann u.a. einen Entgeltgenehmigungsantrag für verschiedene Standardprodukte (National) für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2019; im Rahmen dieses Verfahrens wurde der Kläger beigeladen. Mit Entgeltgenehmigungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 - befristet bis zum 31. Dezember 2021 - genehmigte die Beklagte in Ziffer 1. u.a. Entgelte wie folgt:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Standardbrief National                                                                       0,80 €</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Kompaktbrief National                                                                       0,95 €</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Großbrief National                                                                                     1,55 €</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Maxibrief National                                                                                     2,70 €</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich diese Entgelte aus dem Maßgrößenbeschluss ableiteten; die im Maßgrößenbeschluss durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung sei nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Am 15. Januar 2020 hat der Kläger gegen die Entgeltgenehmigung Klage erhoben und in der Folge die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt (VG Köln 21 L 2082/20, Beschluss vom 4. Januar 2021, nachgehend OVG NRW Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 13 B 102/21 - ). Am 21. August 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten, unter Aufhebung der Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 den Entgeltgenehmigungsantrag der Beigeladenen neu zu bescheiden. Diesen Aufhebungs- und Neubescheidungsantrag lehnte die Beklagte in der Folge mit Beschluss vom 26. November 2020 (Az.: BK0-00/000) ab. Hiergegen erhob der Kläger am 17. Dezember 2020 Klage. In der Folge trat die Beklagte - im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 - von Amts wegen in die Prüfung ein, ob die Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 zurückzunehmen sei. Mit Verfügung vom 14. April 2021 (Az.: BK0-00/000) wurde dieses Prüfungsverfahren eingestellt. Gegen diese Verfügung hat der Kläger am 27. Mai 2021 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem Antrag zu 1. (Kassation der Entgeltgenehmigung) sei zulässig und begründet. Die Zulässigkeit der Klage ergebe sich daraus, dass der Kläger die genannten Postdienstleistungen in Anspruch genommen habe; er nutze sie für seine alltägliche Arbeit in großem Umfang. Einer Zulässigkeit der Klage stehe auch kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Eine Neugenehmigung einzelner Diensleistungen müsse möglich sein, da es sonst zu einem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG komme. Die Klage sei auch begründet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der Behördenentscheidung, hier der 12. Dezember 2019. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei der Gewinnzuschlag im Maßgrößenbeschluss falsch ermittelt worden. Insbesondere sei § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 nichtig gewesen, da die Vorschrift gegen § 20 Abs. 1 1. Alt. PostG in der vom 1. Januar 1998 bis zum 17. März 2021 geltenden Fassung (PostG 1997) verstoßen habe. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -. Zwar beziehe sich dieses Urteil unmittelbar nur auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV in der Gültigkeit vom 6. Juni 2015 bis zum 21. März 2019 (PEntgV 2015). Jedoch beanspruche es auch für § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 Geltung. Denn in der Neufassung sei eine den Maßstab der Kosten der effizienten Leistungserbringung noch weiter verfehlende Regelung enthalten. Auch seien in der angegriffenen Entgeltgenehmigung - über den Verweis auf den Price-Cap-Beschluss - Kosten der Beigeladenen nach dem Tragfähigkeitsprinzip berücksichtigt, welche den im Korb zugesammengefassten Briefdienstleistungen nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden könnten. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 unvereinbar. Die ab dem 18. März 2021 geltende Neufassung des § 20 PostG (PostG 2021) ändere an dem Gesagten nichts. Die Neufassung sei erst am 18. März 2021 in Kraft getreten und eine Rückwirkungsregelung enthalte das Gesetz nicht. Die Regelung werde daher ihre Wirkung erst in der kommenden Price-Cap-Periode entfalten.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Auch die Klage mit dem Antrag zu 2. (Kassation der Einstellung des Rücknahmeverfahrens) sei zulässig und begründet. Insbesondere sei der Kläger klagebefugt. Er könne geltend machen, durch die - rechtswidrige - Entgeltgenehmigung 2019 in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt zu sein, da die Entgeltgenehmigung aufgrund ihrer privatrechtsgestaltenden Wirkung in die Privatautonomie auch des Klägers eingreife; dies führe zur Klagebefugnis hinsichtlich des Klageantrags zu 1. Könne der Kläger kraft seines grundrechtlichen Abwehrrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG die Aufhebung der Entgeltgenehmigung 2019 verlangen, gelte dies notwendig auch für die Einstellungsverfügung mit der die Aufhebung der rechtswidrigen Entgeltgenehmigung abgelehnt und damit der Eingriff in seine Rechte perpetuiert werde.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Auch die Klage mit dem Antrag zu 3. (Verpflichtung zur Neubescheidung bzw. Verpflichtung der Beklagten dazu, die Beigeladene aufzufordern eine erneuten Entgeltgenehmigungsantrag zu stellen) sei zulässig und begründet. Insbesondere stehe der Zulässigkeit der Klage keine fehlende Klagebefugnis entgegen. Der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Neubescheidung des Entgeltantrags der Beigeladenen aus § 19 und § 23 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 PostG sowie § 3 und § 4 Abs. 1 PDLV. Die PDLV begründe zusammen mit § 23 PostG einen subjektiven Beförderungsanspruch des DPAG-Kunden zu den genehmigten Entgelten. Dies setze notwendig eine Genehmigung und weiter notwendig die Möglichkeit des Kunden, die Erteilung einer Genehmigung durchzusetzen, voraus. Auch wege der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit von Kunden umso schwerer, wenn der Kunde keine Möglichkeit habe, durch Erstreiten einer Entgeltgenehmigung die Wirksamkeit seines privatrechtlichen Beförderungsvertrages herbeizuführen. Dies gelte erst recht, wenn man auf die Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen abstelle. Man dürfe den Normgebern unterstellen, dass das Regime der Universaldienstleistung und der Entgeltregulierung operabel ausgestaltet sein sollten. Verneine man eine drittschützende Dimension der Entgeltgenehmigungspflicht, so wäre das Regime indes nicht operabel. Die Reaktionen der Beklagten und der Beigeladenen auf die BVerwG-Entscheidungen aus 2015 und 2020 illustrierten eindrücklich das Defizit des Entgeltregulierungsregimes. Obwohl das BVerwG in jeder dieser Entscheidungen eine Entgeltgenehmigung der Beklagten aufgehoben habe, hätten weder die Beklagte noch die Beigeladene irgendeine Anstrengung unternommen, um für die Beförderungsdienstleistungen, die die Beigeladene gegenüber dem erfolgreichen Kläger in diesen beiden Verfahren erbracht habe, ein neues Entgelt zu genehmigen. Die in den beiden Price- Cap-Perioden erbrachten Beförderungsdienstleistungen seien schlicht ohne genehmigtes Entgelt geblieben; die Unwirksamkeit der Verträge (§ 23 Abs. 2 Satz 2 PostG) sei hingenommen worden. Operabilität setze aber voraus, dass der Beförderungsberechtigte und Entgeltpflichtige die Voraussetzungen für die Wirksamkeit seiner Beförderungsverträge ggf. erstreiten könne. Operabilität setze zudem voraus, dass dem Kunden bekannt sei, welche Entgelte er für die von ihm nachgefragte Beförderungsleistung zu zahlen habe. Der Umstand, dass die Beigeladene aktuell die Briefe des Klägers rein tatsächlich befördere, beseitige das Operabilitätsdefizit nicht, da dies den bestehenden Konflikt nicht rechtlich löse. Erst recht gelte das Operabilitätsdefizit für den Zeitraum <em>vor</em> der Aufhebung der Entgeltgenehmigung. Dass das Entgeltregulierungsregime, so wie es von der Beklagten praktiziert werde, ineffektiv sei, zeige der Blick auf die während der laufenden Price -Cap-Periode vom Kläger bereits gezahlten Entgelte. Folge man dem Beschluss der Kammer vom 4. Januar 2021 im Eilverfahren (21 L 2082/20), die keinen Anspruch des Klägers auf Neugenehmigung sehe, bleibe die Höhe des rechtmäßigen Entgelts, das der Kläger der Beigeladenen für deren Beförderungsleistungen schulde, unklar. Den vollen Portobetrag könne der Kläger nicht zurückfordern, da er sich den Wert der erlangten Beförderungsdienstleistung anrechnen lassen müsse. In einer zivilgerichtlichen Rückforderungsklage, gestützt auf die Leistungskondiktion des § 812 BGB, müsse der in einem solchen Verfahren darlegungs- und beweispflichtige Kläger ohne Neugenehmigung die Höhe des „richtigen“, saldierten und damit letztlich des rechtmäßigen Entgelts darlegen und nachweisen. Dies könne der Kläger allenfalls ansatzweise durch einen Sachverständigen ermitteln lassen, es bleibe offen, ob den Darlegungs- und Nachweisanforderungen damit genüge getan wäre. Auch werde das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG unterlaufen, wenn der Beförderungsberechtigte und Entgeltschuldner zwar gegen eine rechtswidrige Entgeltgenehmigung vorgehen könne, es ihm aber verwehrt werde, eine rechtmäßige Genehmigung zu erstreiten, die Voraussetzung für die Wirksamkeit seiner Beförderungsverträge sei. Dies illustriere die aktuelle Situation: Die Genehmigung für die Price- Cap-Periode 2019 - 2021 sei nicht vollziehbar; sie werde nach aller Voraussicht auch aufgehoben werden - dennoch erhalte der Kläger keine neue, vollziehbare Genehmigung, als Grundlage für wirksame Beförderungsverträge, für die Zukunft wie für die Vergangenheit. Der Rechtsschutz bleibe „auf halbem Wege“ stehen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem Antrag zu 4. (Fortsetzungsfestellungsantrag) werde für den Fall gestellt, dass das Gericht aufgrund des Ablaufs der Price-Cap-Periode 2019 bis 2021 von einer Erledigung der Verpflichtungsklageanträge unter Ziffer 3 ausgehe. Ein Feststellungsinteresse bestehe, da insoweit eine Wiederholungsgefahr vorliege.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">1. den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 (Az.: BK-00/000) im Verhältnis zwischen den Beteiligten insoweit aufzuheben, als dieser die Entgelte für Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe (jeweils national) für den Genehmigungszeitraum festlegt,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">2. die Verfügung der Beklagten vom 14. April 2021 (Az.. BK0-00/00) insoweit aufzuheben, als sie im Verhältnis zwischen den Beteiligten das Verfahren zur Rücknahme der Entgeltgenehmigung vom 12. Dezember 2019 (Az.: BK0-00/000) für Standard-, Kompakt-, für Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) einstellt,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">3. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26. November 2020 (Az.: BK5-00/000) und ihrer Verfügung vom 14. April 2021 (Az.: BK0-00/000) zu verpflichten,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">3.1 unter Berücksichtigung des Urteils des BVerwG vom 27. Mai 2020 (Az.: BVerwG 6 C 1.19) den der Entgeltgenehmigung zugrunde liegenden Entgeltgenehmigungsantrag der Deutsche Post AG (DPAG) mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. Januar 2019 im Verhältnis zwischen den Beteiligten neu zu bescheiden, soweit er die Genehmigung der Entgelte für Standard-, Kompakt-, Groß-und Maxibriefe (jeweils national) betrifft,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">hilfsweise,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">3.2 die Beigeladene aufzufordern, binnen eines Monats einen Genehmigungsantrag für die Entgelte für Standard-, Kompakt-, für Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 (Az.: BVerwG 6 C 1.19) im Verhältnis zwischen den Beteiligten zu stellen,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">hilfsweise zu Ziffer 3. insgesamt,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">4. festzustellen, dass die Weigerung der Beklagten,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">4.1 unter Berücksichtigung des Urteils des BVerwG vom 27. Mai 2020 (Az.: BVerwG 6 C 1.19) den der Entgeltgenehmigung zugrunde liegenden Entgeltgenehmigungsantrag der Deutsche Post AG (DPAG) mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. Januar 2019 im Verhältnis zwischen den Beteiligten neu zu bescheiden, soweit er die Genehmigung der Entgelte für Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe (jeweils national) betrifft,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">hilfsweise,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">4.2 die Beigeladene aufzufordern, binnen eines Monats einen Genehmigungsantrag für die Entgelte für Standard-, Kompakt-, Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 (Az.: BVerwG 6 C 1.19) im Verhältnis zwischen den Beteiligten zu stellen,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">rechtwidrig war.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der Zulässigkeit der Klage zu 1. stehe ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Habe die Klägerin mit der hiesigen Klage Erfolg, führe dies zur Aufhebung der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung, allerdings nur im Verhältnis zwischen der Beigeladenen und der Klägerin. Die Beigeladene könnte dann bis zu einer erneuten Entgeltgenehmigung infolge eines neuen Maßgrößenbeschlusses durch die Beklagte gar kein Entgelt für die Inanspruchnahme der Postdienstleistungen verlangen. Eine Neufestsetzung der Price-Cap-Entgelte für einen Teilbereich des dem Price-Cap-Regime unterliegenden Produktportfolios sei allerdings nicht möglich. Ein derartiges postrechtliches Verfahren, mit welchem lediglich eine Teilmenge der dem Maßgrößenbeschluss unterliegenden Entgelte genehmigt werden könne, bestehe de facto nicht. Die Entgelte für Standard-, für Kompakt-, für Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) unterlägen der von der Beklagten durchgeführten Maßgrößenregulierung nach § 21 Abs.1 Nr. 2 PostG. Dabei komme es nicht zu einer Regulierung und Genehmigung einzelner Entgelte auf Grundlage der auf die einzelne Dienstleistung entfallenden Kosten im Sinne des § 21 Abs.1 Nr. 1 PostG, sondern zur Regulierung eines Korbes von Entgelten. Die Festlegung der Maßgrößen betreffe die Gesamtheit der im Dienstleistungskorb zusammengefassten Dienstleistungen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei auch unbegründet, da sich die Rechtslage geändert habe. Am 18. März 2021 sei eine Änderung des Postgesetzes in Kraft getreten, die zu berücksichtigen sei, da der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung des Postgesetzes keine völlig neue Regelung geschaffen habe, sondern vielmehr Unsicherheiten bezüglich der Auslegung bestehender Regelungen aus dem Weg geräumt habe. In diesem Zuge seien die Regelungen aus dem Verordnungsrecht in Form der Post-Entgeltregulierungsverordnung auf Gesetzesebene gehoben worden. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung im Postgesetz nachträglich klargestellt, dass sich die Entscheidungspraxis der Beschlusskammer zur Gewinnregelung nach den im Verordnungsrecht bereits bestehenden Regelungen zur internationalen Vergleichsmarktbetrachtung richten solle. Zwar ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut des neugefassten Postgesetzes kein eindeutiger Rückschluss auf eine beabsichtigte Rückwirkung der gesetzlichen Regelung für den Zeitraum des bestehenden Price-Cap-Verfahrens. Hier sei aber zunächst zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Beschluss bis zum 31. Dezember 2021 gegolten habe, die normative Grundlage im Postgesetz - innerhalb dieses Zeitraums - aber zum 18. März 2021 geschaffen worden sei. Es stehe somit in Frage, ob eine künstliche Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitraums beabsichtigt gewesen sei oder ob der Gesetzgeber vielmehr die ausdrückliche Aufnahme einer Rückwirkungsklausel für entbehrlich gehalten habe. Für Letzteres spreche, dass eine Aufspaltung des Entgeltregulierungszeitrahmens unübersichtlich und konstruiert wirke und zudem dem Sinn und Zweck der Regelung entgegenstehe. Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht Bedenken gegenüber der Lastenallokationspraxis der Beklagten geäußert habe, seien diese Bedenken durch die Neufassung des Postgesetzes ausgeräumt worden. Gegen eine Rechtswidrigkeit spreche insgesamt auch, dass die Beschlusskammer im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rücknahme zum Ergebnis gekommen sei, dass es nach einer Rücknahme zu den annähernd selben Ergebnissen kommen werde. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt die Entgeltgenehmigung in gleicher Form ergehen müsste, könne sie nicht zugleich rechtswidrig sein.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem Antrag zu 2. sei unzulässig, da das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehle. Auch der Klageantrag zu 3. sei unzulässig. Hinsichtlich des Klageantrags zu 3.1 (Verpflichtung zur Neubescheidung) stehe dem Kläger kein Recht zu, die Neubescheidung der Price-Cap-Entgeltgenehmigung zu beantragen; ein solches Antragsrecht komme allein der Beigeladenen zu. Diesbezüglich werde auf den Beschluss des OVG NRW vom 1. Dezember 2017 - 13 E 503/17 - und auf die Entscheidung des VG im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug genommen. Auch die Klage mit dem Hilfsantrag zu 3.2 (Verpflichtung der Beklagten dazu, die Beigeladene aufzufordern, einen erneuten Entgeltgenehmigungsantrag zu stellen), sei unzulässig. Es sei auch hinsichtlich dieses Antrags nicht ersichtlich, woraus sich ein Anspruch auf Verpflichtung zur Aufforderung der Beigeladenen, einen Genehmigungsantrag zu stellen, ergeben solle.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Beigeladene beantragt,</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem Antrag zu 1. sei unbegründet. Zum einen sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 nur auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 zu beziehen. Denn der Gewinnzuschlag im Postrecht sei anders und ggf. weiter zu bemessen als im Telekommunikationsrecht. Auch habe der Verordnungsgeber in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 zusätzlich zu den Kriterien aus § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 die Einschränkung aufgenommen, dass ein Vergleich mit anderen Unternehmen nur in Betracht komme, wenn sie mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar seien. Diese Einschränkung bewirke, dass nur noch solche Unternehmen in den Vergleich einbezogen werden könnten, die unter ähnlichem Effizienzdruck stünden wie die Beigeladene. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 mit Blick auf § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 aber festgestellt, es komme für den Gewinnzuschlag auf eine unternehmensspezifische Betrachtung an. Wenn nun § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 für die Vergleichsunternehmen auf die strukturelle Vergleichbarkeit abstelle, führe die Bestimmung die Gewinnbemessung, anders als noch § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015, an eben diese unternehmensspezifischen Verhältnisse heran. Zum anderen sei die jüngste, am 18. März 2021 in Kraft getretene Postgesetz-Novelle in den Blick zu nehmen. Mit ihr seien alle wesentlichen Grundsätze für die Entgeltbemessung, den Forderungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 27. Mai 2020 entsprechend, in das formelle Gesetz übernommen worden. Jedenfalls nach dieser Maßgabe stehe die hier streitgegenständliche Entgeltgenehmigung im Einklang mit den einschlägigen Entgeltregulierungsvorschriften. Denn speziell die Kriterien für die Gewinnbemessung seien nun im formellen Gesetz geregelt. Es sei in diesem Zusammenhang nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die laufende Price-Cap-Periode in zwei Zeiträume habe aufspalten wollen. Die Rückwirkungsdiskussion greife hier nicht zentral Platz. Denn in diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass sowohl die vom Kläger in der Sache angegriffene Maßgrößenvorgabeentscheidung vom 3. Juni 2019 als auch die streitgegenständliche Entgeltgenehmigung Dauerverwaltungsakte darstellten. Für die Beurteilung von deren Rechtmäßigkeit komme es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung an. Auch habe der Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich die Rückwirkung zum 3. Juni 2019, also den Zeitpunkt des Erlasses der hier zugrunde liegenden Maßgrößenvorgabeentscheidung, vorgesehen. Doch habe der Gesetzgeber in dem vollen Bewusstsein, dass am 18. März 2021 die laufende Regulierungsperiode noch nicht abgeschlossen und die Laufzeit der aktuellen Entgeltgenehmigung noch nicht verstrichen sei, die Maßgrößenvorgabeentscheidung und die streitgegenständliche Entgeltgenehmigung bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem Antrag zu 2. sei unzulässig, da es an einer Klagebefugnis fehle. Denn in der Verfügung vom 14. April 2021 gehe es um die Rücknahme der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung <em>erga omnes</em>. Auf eine solche Aufhebung habe der Kläger offensichtlich keinen Anspruch. Auch fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Denn wenn der Kläger, wie er behaupte, einen Anspruch auf Rücknahme der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung habe, hätte er diesen Anspruch im Wege einer Verpflichtung geltend machen müssen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Auch die Klage mit dem Antrag zu 3. sei unzulässig. Diesbezüglich sei der Kläger nicht klagebefugt. Die Vorschrift des § 3 PDLV vermittele ihrem eindeutigen Wortlaut nach für Leistungen des Universaldienstes allein einen Anspruch auf „Erbringung“ der Universaldienstleistungen. Gleichzeitig vermittele diese Bestimmung bereits ihrem Wortlaut nach diesen Anspruch unabhängig vom Abschluss eines Vertrages. Soweit der Kläger Leistungen außerhalb des Universaldienstes in Anspruch nehmen wolle, stehe ihm daher schon der Leistungsanspruch nicht zu. Innerhalb des Universaldienstes könne er den Anspruch durchsetzen, ohne dass eine wirksame Entgeltgenehmigung vorliegen müsse, wie die Kammer im vorläufigen Rechtsschutz entschieden habe. Aus den Entgeltregulierungsvorschriften lasse sich, was die Kammer im genannten Beschluss hergeleitet habe, ein subjektives Recht des einzelnen Postkunden auf Erteilung einer Entgeltgenehmigung nicht begründen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bundesnetzagentur Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1. zulässig und begründet (1.). Hinsichtlich der Anträge zu 2., 3. und 4. ist die Klage unzulässig (2., 3., 4.).</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">1. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1. (Aufhebung der Entgeltgenehmigung für Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe <jeweils national>) zulässig (a) und begründet (b).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">a) Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1. zulässig, insbesondere steht der diesbezüglichen Zulässigkeit der Klage keine fehlende Antragsbefugnis (aa) oder kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis (bb) entgegen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">aa) Der Kläger ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Dritte sind nach § 42 Abs. 2 VwGO berechtigt, die Genehmigung des Entgelts für eine bestimmte Postdienstleistung gerichtlich anzugreifen, wenn sie diese Dienstleistung während der Geltungsdauer der Genehmigung in Anspruch genommen haben. Unter dieser Voraussetzung greift die Entgeltgenehmigung in die Vertragsfreiheit als Ausprägung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Hierauf können sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen wie der Kläger berufen. Der Grundrechtsschutz umfasst das Recht, den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen mit der Gegenseite frei von staatlichen Bindungen auszuhandeln. Diese Vertragsfreiheit wird durch die rechtsgestaltende Wirkung der Entgeltgenehmigung nach § 23 Abs. 1 und 2 Satz 1 PostG beeinträchtigt, weil weder das regulierte Unternehmen noch seine Kunden Einfluss auf die Höhe des Entgelts nehmen können.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Danach kann der Kläger die durch den Beschluss vom 12. Dezember 2019 erteilte Entgeltgenehmigung hinsichtlich der Produkte Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibrief (jeweils national) angreifen, da er glaubhaft gemacht hat, dass er diese Produkte auch von der Beigeladenen bezogen hat (eidesstattliche Versicherung vom 11. Dezember 2020, im Eilverfahren vorgelegt).</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">bb) Der Zulässigkeit der Klage steht auch kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 (3) und Beschluss vom 26. Februar 2014 - 6 C 3.13 -, BVerwGE 149, 94 Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Hier liegt ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers vor. Dem Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses steht weder entgegen, dass nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte (aaa), noch dass eine neue Entgeltgenehmigung zwangsläufig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung (bbb).</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">aaa) Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fehlt nicht deshalb, da nach einer Kassation mit inter-partes-Wirkung eine neue Entgeltgenehmigung nicht erteilt werden könnte. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass eine erneute Entgeltgenehmigung für den Kläger inter partes (in der die Entgelte für sie günstiger ausfallen könnten) nicht erteilt werden könnte. Denn die Entgeltgenehmigung für eine bestimmte Postdienstleistung ist auch dann selbständig anfechtbar, wenn sie auf Maßgrößen beruht, die die Bundesnetzagentur in einem Price-Cap-Verfahren für die durchschnittlichen Änderungsraten der Entgelte mehrerer in einem Korb zusammengefasster Dienstleistungen ermittelt hat.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 17 ff.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Aus der selbstständigen Anfechtbarkeit folgt dann auch, dass insoweit eine neue Entgeltgenehmigung inter-partes erteilt werden kann. Die Beklagte hat für den Kläger inzident einen neuen Maßgrößenbeschluss im Price-Cap-Verfahren nach Maßgabe der gerichtlichen Vorgaben zu erstellen und diesen dann - ggf. nach Weichenstellungen durch die Beigeladene - auf die von dem Kläger angegriffenen Leistungen umzubrechen. Zum anderen kann der Kläger - selbst wenn nach einer Kassation tatsächlich keine erneute Entgeltgenehmigung ergehen sollte - dann die von ihm gezahlten Porti nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zurück verlangen. Bereits das begründet sein Rechtsschutzbedürfnis.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 67 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">bbb) Einem Rechtsschutzbedürfnis steht auch nicht entgegen, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Zum einen entspräche es jedenfalls der Praxis der Beklagten, in Fällen - die dem vorliegenden vergleichbar sind - nach Aufhebung einer Entgeltgenehmigung gerade keine neue Entgeltgenehmigung zu erteilen.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. Neumann, jurisPR-BVerwG 23/2015 Anm. 5.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, dass eine neue Entgeltgenehmigung, wenn sie denn erginge, <em>eindeutig</em> den nämlichen Inhalt haben müsste wie die alte Entgeltgenehmigung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 erfolgt sind, die nunmehr - da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage jetzt der Zeitpunkt der neuerlichen Behördenentscheidung wäre - grundsätzlich zu berücksichtigen wären. Denn das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 sind erst am 18. März 2021 in Kraft getreten, d.h. für den Genehmigungszeitraum bis zum 17. März 2021 sind die Vorschriften nicht anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber von Verfassung wegen eine Rückwirkung dieser Vorschriften für den gesamten Genehmigungszeitraum hätte anordnen <em>können</em>. Klar ist jedenfalls, dass er dies nicht getan hat; weder im Wortlaut der Norm noch in der Entstehungsgeschichte findet sich irgendein Anhalt dafür, dass eine echte Rückwirkung beabsichtigt gewesen wäre. Die Annahme einer echten Rückwirkung setzt aber immer eine normative Fixierung auf einen Zeitpunkt voraus, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist. Auch wäre ein solcher Anhalt schon deshalb naheliegend gewesen, da eine echte Rückwirkung besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt, so dass es nicht fern liegt, dass diese verfassungsrechtlichen Anforderungen in irgendeiner Weise jedenfalls in der Entstehungsgeschichte der Norm einen Niederschlag finden.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, juris Rn. 85 und vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, juris Rn. 42 f. und Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, juris Rn. 97 und 100 ff.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Allein der Umstand, dass ohne die Annahme einer echten Rückwirkung die hier streitgegenständliche bisherige Regulierungsperiode möglicherweise aufgespalten würde, ist ohne Belang. Denn die Dauer von Regulierungsperioden ist nicht gesetzlich vorgegeben, daher können diese aus rechtlichen Gründen - wie hier geschehen - auch aufgespalten werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die gesamte Regulierungsperiode keine Ist-Kosten, sondern (einheitliche) Plankosten angefallen sind. Denn die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 beziehen sich nicht auf einheitlich zugrunde zu legende Plankosten sondern nur auf kalkulatorische Details. Mithin ist es ohne weiteres möglich, zeitlich unterschiedliche Entgeltgenehmigungen (mit jeweils zugrunde liegenden Maßgrößenbeschlüssen) in die Welt zu setzen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Aber auch davon abgesehen kann nicht festgestellt werden, dass eine etwa neue Entgeltgenehmigung eindeutig den nämlichen Inhalt haben müsste wie die angegriffene Entgeltgenehmigung. Denn im Rahmen einer Neugenehmigung durch die Beklagte müsste überprüft werden, ob die Änderungen durch das PostG 2021 bzw. die PEntgV 2021 vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts anwendbar sind, ob die in der Vergangenheit durchgeführte Vergleichsmarktbetrachtung hinreichend tragfähig ist u.ä. Die Prüfung dieser jedenfalls nicht unkomplexen Gesichtspunkte ist vor dem Hintergrund, dass das Rechtsschutzbedürfnis nur verneint werden kann, wenn eine etwa neue Entgeltgenehmigung <em>eindeutig</em> denselben Inhalt hätte wie die alte, nicht Aufgabe des erkennenden Gerichts in diesem Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">b) Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1. (Aufhebung der Entgeltgenehmigung für Standard-, Kompakt-, Groß- und Maxibriefe <jeweils national>) begründet. Der Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 ist, soweit es um die Genehmigung der genannten Entgelte geht, rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der 12. Dezember 2019, also der Zeitpunkt, zu dem die streitgegenständliche Entgeltgenehmigung ergangen ist.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10/11 -, juris Rn. 26 und Beschluss vom 16. Januar 2019 - 6 B 136.18 -, juris Rn. 19 ff.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Dagegen spricht hier nicht, dass die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine Frage des materiellen Rechts ist und dass seit dem 18. März 2021 § 20 des PostG eine neue Fassung erhielt (mit der ersichtlich den Mängeln abgeholfen werden sollte, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 aufgezeigt hatte.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass für den Fall, dass die objektive Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes den Kläger "in seinen Rechten verletzt" hat und der Kläger deshalb die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes verlangen kann, es denkbar ist, dass eine nachfolgende Rechtsänderung, die einen solchen Verwaltungsakt nunmehr zulässt, nicht nur dem objektiven Recht ("für die Zukunft") einen anderen Inhalt gibt, sondern darüber hinaus auch die mit der vorangegangenen Rechtslage zusammenhängenden Aufhebungsansprüche beseitigt. Hat eine Rechtsänderung diesen Willen, dann reagiert darauf das Prozessrecht mit dem - an das Fehlen eines Aufhebungsanspruchs anknüpfenden - Befehl der Klagabweisung. Hier ist indes nicht feststellbar, dass mit der Rechtsänderung der Wille verbunden war, Aufhebungsansprüche zu beseitigen. Weder der Wortlaut, noch die Entstehungsgeschichte noch der Sinn und Zweck von § 20 Abs. 1 und 2 PostG 2021 lassen irgendeinen Rückschluss darauf zu, dass Aufhebungsansprüche beseitigt werden sollten.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur denkbaren Beseitigung von Aufhebungsansprüchen durch Gesetzesänderung BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 -, juris Rn. 16 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Grundlage für den Beschluss der Beklagten vom 12. Dezember 2019 war der Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019. Die Rechtmäßigkeit dieses Maßgrößenbeschlusses ist im Rahmen der Überprüfung der jeweiligen Entgeltgenehmigung mit zu überprüfen.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 -, juris Rn. 32 und vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 44.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Maßgrößenbeschluss ist rechtswidrig. Zum einen hätte eine Vergleichsmarktbetrachtung nicht durchgeführt werden dürfen (aa). Zum anderen fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage (bb).</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">aa) Eine Vergleichsmarktbetrachtung durfte hier nicht durchgeführt werden. Nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 haben sich die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren. Dies gilt auch für Postdienstleistungen des Universaldienstes.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 24 ff.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Zu den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung gehört auch ein Gewinnzuschlag, der die zu erwartende Kapitalrendite des konkret regulierten Unternehmens abbildet. Es ist die angemessene Verzinsung des Kapitals zu ermitteln, das das konkret regulierte Unternehmen einsetzt, um die Postdienstleistung zu erbringen.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 PostG 1997 findet auch im Maßgrößenverfahren Anwendung. Der Effizienzkostenmaßstab nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 stellt auch dort nicht lediglich eine Orientierungsgröße für die Entgeltfestsetzung dar, sondern bildet die Obergrenze des genehmigungsfähigen Entgelts. Dem ist durch die Auslegung des Begriffs der zu erwartenden Produktivitätsfortschrittsrate des regulierten Unternehmens nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 PEntgV 2019 und durch die Anwendung dieser Maßgröße bei der Entgeltregulierung Rechnung zu tragen (vgl. § 4 Abs. 3 PEntgV 2019).</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 37, 41.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Damit war die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 unvereinbar. Denn nach dieser Vorschrift wurde bei der Ermittlung des Gewinnzuschlags nicht auf das konkret regulierte Unternehmen abgestellt, sondern auf die Gewinnmargen solcher Unternehmen, die mit dem beantragenden Unternehmen in struktureller Hinsicht vergleichbar sind und in anderen europäischen Ländern auf den mit dem lizenzierten Bereich vergleichbaren Märkten tätig sind. Indes bietet das Postgesetz keine Handhabe für eine Entgeltregulierung von Postdienstleistungen aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung. Tritt eine solche Betrachtung an die Stelle der Ermittlung der Effizienzkosten aufgrund der Kostensituation des regulierten Unternehmens, gilt der ermittelte Vergleichspreis als der "Als-Ob-Wettbewerbspreis". Eine unternehmensspezifische Überprüfung dieses Preises findet nicht statt. Entsprechendes gilt, wenn - wie in § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2015 bzw. 2019 vorgesehen - die Höhe des Gewinnzuschlags anhand einer Vergleichsmarktbetrachtung ermittelt werden soll.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Dies ist selbstverständlich auch dann der Fall, wenn die Vergleichsmarktbetrachtung auf Unternehmen bezogen wird, die in struktureller Hinsicht mit dem beantragenden Unternehmen vergleichbar sind (PEntGV 2019). Denn auch in diesem Fall findet eine unternehmensspezifische Überprüfung des Preises nicht statt. Mit der Frage, ob der Gewinnzuschlag im Postrecht anders und ggf. weiter zu bemessen ist als im Telekommunikationsrecht, hat dies nichts zu tun. Es geht - zunächst einmal - allein um die Frage, in welchem Verfahren der Gewinnzuschlag zu ermitteln ist.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur erstgenannten Frage BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2013 - 6 C 10.11 -, juris Rn. 63.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beklagte ihren Maßgrößenbeschluss vom 3. Juni 2019 ausdrücklich auch auf die rechtswidrige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 PEntgV 2019 gestützt hat ist auch der Maßgrößenbeschluss rechtwidrig, was wiederum zur Rechtswidrigkeit der Entgeltgenehmigung führt.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">bb) Auch fehlt es für eine Kostenallokation der Gemeinkosten nach dem Tragfähigkeitsprinzip an einer gesetzlichen Grundlage. Wie gesagt haben sich nach § 20 Abs. 1 PostG 1997 die genehmigungsbedürftigen Entgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zur orientieren und den Anforderungen nach § 20 Abs. 2 PostG 1997 zu entsprechen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 sind dabei insbesondere die Kosten für die Einhaltung der wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, sowie die Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen und die Kosten aus der Übernahme von Versorgungslasten für die Beschäftigten, die aus der Rechtsnachfolge der Deutschen Bundespost entstanden sind, angemessen zu berücksichtigen. Dabei bezieht sich die Entgeltbestimmung nach dem erweiterten Effizienzkostenmaßstab des § 20 Abs. 1 und 2 PostG 1997 nach § 19 Satz 1 PostG 1997 auf bestimmte Postdienstleistungen. Daraus folgt, dass diejenigen Kosten zugrunde zu legen sind, die das Unternehmen aufwendet, um diese Dienstleistungen zu erbringen. Nach diesem Ansatz sind als Kosten einer flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 nur diejenigen nichteffizienten Kosten berücksichtigungsfähig, die dadurch verursacht werden, dass die Beigeladene die normativen Anforderungen des Universaldienstes erfüllt. Danach bietet die Erweiterung des Effizienzkostenmaßstabs durch § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG 1997 keine Handhabe, um Kosten aus anderen Geschäftsbereichen der Beigeladenen, die in keinem Ursachen- oder Zurechnungszusammenhang mit den Dienstleistungen des Price-Cap-Verfahrens stehen, entgelterhöhend in dieses Verfahren einzubeziehen.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 61 f.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Daher ist es der Bundesnetzagentur verwehrt, über das „Tragfähigkeitsprinzip“ ohne gesetzliche Grundlage autonom Kriterien für Abweichungen vom Gebot der verursachungsgerechten Zuordnung zu entwickeln und anzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">2. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 2. (Aufhebung der Einstellung des Rücknahmeverfahrens vom 14. April 2021 <Az.: BK0-00/000>) mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Durch eine Aufhebung der Einstellung des Rücknahmeverfahrens gewinnt der Kläger für seine Rechtsstellung zunächst einmal nichts. Allenfalls erhielte er - nach einer Aufhebung der Einstellung des Rücknahmeverfahrens - die Chance, dass das Rücknahmeverfahren fortgesetzt und mit einer Rücknahmeentscheidung bezüglich der Entgeltgenehmigung BK0-00/000 auch zu seinen Gunsten abgeschlossen würde. Nachdem jedoch eine solche Rücknahmeentscheidung inter partes deshalb nicht mehr ergehen kann, da die Entgeltgenehmigung - soweit es um die hier streitgegenständlichen Produkte geht - mit diesem Urteil inter partes bereits aufgehoben worden ist, ist nicht ersichtlich zu welchen Rechtsgewinnen die genannte Chance für den Kläger führen könnte. Ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich des Antrags zu 2. besteht auch nicht etwa deshalb, da die Einstellungsverfügung einem Erfolg der Anträge zu 3. und 4. entgegenstünde. Denn die Einstellung des Verfahrens zu § 48 VwVfG berührt die Streitgegenstände der Anträge zu 3. und 4. wie sie im gerichtlichen Verfahren formuliert worden sind (Neubescheidung eines Antrags bzw. Verpflichtung zur Stellung eines Antrags bzw. Feststellung) nicht.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">3. Die Klage ist auch mit dem Antrag zu 3. sowohl hinsichtlich des Hauptantrages (Verpflichtung zur Neubescheidung) (a) als auch hinsichtlich des Hilfsantrages (Verpflichtung der Beklagten dazu, die Beigeladene aufzufordern, einen erneuten Entgeltgenehmigungsantrag zu stellen) (b) unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">a) Die Klage mit dem Hauptantrag zu 3. (Verpflichtung zur Neubescheidung) ist unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob der diesbezügliche Antrag schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg hat, da der Kläger im Verwaltungsverfahren einen etwas anderen Antrag gestellt hat und da eine Verpflichtung zur Neubescheidung eigentlich nur in Betracht kommt, <em>nachdem</em> die Entgeltgenehmigung aufgehoben wurde - was erst mit Urteil vom heutigen Tag der Fall ist - und <em>nachdem</em> ein Neubescheidungsantrag gestellt worden ist, dem die Beklagte <em>dann</em> nicht gefolgt ist. Dagegen mag immerhin sprechen, dass die Entgeltgenehmigung mit Urteil vom heutigen Tag hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen aufgehoben wurde, dass die Beklagte dem Neubescheidungsantrag des Klägers in der Vergangenheit nicht entsprochen hat (Entscheidung vom 26. November 2020 im Verfahren BK0-00/000) und sie in der Vergangenheit eine Neubescheidung auch nach Aufhebung von postrechtlichen Entgeltgenehmigungen wohl unterlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Vgl. Neumann, jurisPR-BVerwG 23/2015 Anm. 5.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Entgeltgenehmigungsantrages; er ist diesbezüglich nicht klagebefugt, § 42 Abs. 2 VwGO. Ein solcher Anspruch würde voraussetzen, dass Endkunden der Post einen Anspruch auf Durchführung des Genehmigungsverfahrens haben. Dies ist indes nicht der Fall. Eine Klagebefugnis des Klägers folgt weder aus § 3 PDLV i.V.m. §§ 13, 14, 56 PostG (aa), noch aus §§ 19 ff. PostG (bb) oder Art. 2 Abs. 1 GG (cc).</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">So im Ergebnis auch OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 13 A 478/08 -, juris Rn. 109.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">aa) Eine Klagebefugnis des Klägers folgt nicht aus § 3 PDLV i.V.m. §§ 13, 14, 56 PostG. Zwar ist jedenfalls in letztgenannter Vorschrift der Beförderungsanspruch des Endkunden für Universalleistungen normiert.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2012 - I ZR 116/11 -, juris Rn. 17; VG Köln, Beschluss vom 4. Januar 2021 - 21 L 2082/20 -, juris Rn. 29; v. Danwitz, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 56 PostG Rn. 3 f.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Ein Entgeltgenehmigungsanspruch ist jedoch in dieser Vorschrift nicht enthalten. Formuliert ist allein ein Anspruch auf „Erbringung der entsprechenden Leistungen“. Auch geht es vorliegend schon deshalb nicht mehr um einen Entgeltgenehmigungsanspruch im Zusammenhang mit einem Leistungserbringungsanspruch, da die Entgeltgenehmigungsperiode abgelaufen ist. In Rede steht nunmehr allein eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der gezahlten Beförderungsentgelte.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 67 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Dass diese bereicherungsrechtliche Rückabwicklung für den Kläger mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden wäre, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kommt ungeachtet der Frage, ob bei dauerhaftem Fehlen einer Entgeltgenehmigung tatsächlich die <em>gesamten</em> Postfrachtverträge nichtig sind (vergl. § 44 Abs. 3 Satz 1 TKG) eine Anwendung der Saldotheorie schon deshalb nicht in Betracht, da Rechtsgrund für die erbrachten Postdienstleistungen § 3 PDLV i.V.m. §§ 13, 14, 56 PostG ist. Will die Beigeladene eine „Entlohnung“ für die von ihr erbrachten Leistungen erzielen, ist sie auf die Durchsetzung der von ihr beantragten Entgeltgenehmigung verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">So i. E. auch Lübbig, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, 23 Rn. 44. A.A. für das TKG Stamm, in: Scheuerle/Mayen, TKG, 3. Aufl. 2018, § 37 Rn. 23. Zum Bezug der Saldotheorie auf die Fälle, in denen der Vertragswegfall zu <em>gegenseitigen</em> Kondiktionsansprüchen führt z.B. Sprau, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 818 Rn. 46.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">bb) Eine Klagebefugnis des Klägers folgt auch nicht aus den §§ 19 ff. PostG. Dies ergibt sich schon daraus, dass es allein Zweck des PostG ist, durch die Regulierung im Bereich des Postwesens den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten (§ 1 PostG). Damit ist allein das objektive Allgemeininteresse an dem Bestehen von Wettbewerb im Bereich der Post angesprochen. Deshalb kann daraus, dass ein wesentliches Ziel der Regulierung nicht nur in der Förderung des Wettbewerbs, sondern auch in der Wahrung der Kundeninteressen besteht (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 PostG), nicht auf das Bestehen subjektiver Rechte zu Gunsten der Nutzer von Postdienstleistungen geschlossen werden. Die Kunden werden hier nicht als Träger von Individualinteressen angesehen, sondern ihre Interessen werden als Teil des (objektiven) Allgemeininteresses an dem Bestehen von Wettbewerb im Bereich der Post erfasst. Dies entspricht der Rechtslage im Telekommunikationsrecht.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Postrecht OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 13 A 478/08 -, juris Rn. 86 ff.; Lübbig, in: Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 22 PostG Rn. 68. Zum Telekommunikationsrecht BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 -, juris Rn. 28 ff.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Aus den Besonderheiten des Entgeltgenehmigungsverfahrens ergibt sich nichts Abweichendes. Mit der in §§ 19 ff. PostG geregelten Entgeltregulierung verfolgt das Postgesetz keine anderen als die beschriebenen Ziele. Auch hier geht es nicht um einzelne Nutzer und deren subjektive Rechte, sondern um die Förderung der gemeinsamen Nutzerinteressen durch Förderung des Wettbewerbs. Zwar dient die Regulierungsbehörde gerade dann, wenn sie dafür sorgt, dass die von dem marktbeherrschenden Unternehmen erhobenen Entgelte den an einem funktionsfähigen Wettbewerb ausgerichteten Maßstäben des Postgesetzes genügen, den Interessen der Nutzer daran, von der Privatisierung des Postwesens und der Einführung von Wettbewerb auch unter Preisgesichtspunkten zu profitieren. Doch darf das Interesse eines jeden einzelnen Kunden, nur den gesetzlich zulässigen Preis zahlen zu müssen, nicht mit dem kollektiven Interesse aller Kunden an dem Bestehen von (Preis-) Wettbewerb gleichgesetzt werden.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 13 A 478/08 -, juris Rn. 101; BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 -, juris Rn. 30.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Auch der Umstand, dass das zu genehmigende Entgelt ein Endkundenentgelt ist, das keine Aufschläge enthalten darf (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PostG) und dass es am Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zu bemessen ist (§ 20 Abs. 1 PostG) ändert an dem Gesagten nichts. Auch das Aufschlagsverbot bzw. die Orientierung an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung dienen - wie im Telekommunikationsrecht - zunächst einmal der Förderung des Wettbewerbs als Solchem und nicht dem Interesse der einzelnen Kunden. Entsprechendes gilt für das Erschwinglichkeitsgebot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PostG. Damit ist allein die Verpflichtung zur Sicherstellung von Preisen in sozialverträglicher Höhe, nicht aber die Einräumung eines subjektiven Kundenrechts auf ein bestimmtes, den Berechnungsvorgaben des PostG entsprechendes Entgelt, verbunden.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 13 A 478/08 -, juris Rn. 96, 103 ff; BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 -, juris Rn. 45 ff., 55.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Der Umstand, dass Endkunden nicht die Erteilung einer Entgeltgenehmigung an das Unternehmen, dass die jeweiligen Postdienstleistungen erbringt, verlangen können folgt im Übrigen bereits daraus, dass allein das Unternehmen, das die jeweilige Dienstleistung erbringt, einen Entgeltgenehmigungsantrag stellen kann (§ 22 Abs. 1 Satz 1 PostG i.V.m. § 21 Abs. 4 PostG i.V.m. § 2 Abs. 1 PEntGV). Dies entspricht der Rechtslage im Telekommunikations- und im Eisenbahnrecht.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 13 A 478/08 -, juris Rn. 109. Zum Telekommunikations- und im Eisenbahnrecht vgl. VG Köln, Urteil vom 22. August 2018 - 21 K 1013/15 -, juris Rn. 44 ff. m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2017 - 13 E 503/17 -, juris Rn. 11 ff.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen ist es dem Kläger - wie der vorliegende Klageantrag zu 1. zeigt - unbenommen, überhöhte Entgelte mit der Anfechtungsklage anzugreifen (siehe oben). Schließlich und endlich würde sich die Zubilligung eines Rechts an den Kläger dahingehend, dass er die Erteilung einer Entgeltgenehmigung an die Beigeladene erstreiten kann, in Widerspruch dazu setzen, dass diese Entgeltgenehmigung ihn selbst negativ in eigenen Rechten treffen würde, da es ihm mit dieser Genehmigung verwehrt würde, Postbeförderungsverträge mit der Beigeladenen frei von staatlichen Bindungen auszuhandeln.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, juris Rn. 21 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">cc) Eine Klagebefugnis des Klägers folgt auch nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Der Grundrechtsschutz nach dieser Vorschrift umfasst zwar das Recht, den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen mit der Gegenseite frei von staatlichen Bindungen auszuhandeln (siehe oben). Mit der Aufhebung der Entgeltgenehmigung ist aber - so die Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - die Freiheit wiederhergestellt, den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen mit der Gegenseite frei von staatlichen Bindungen zu verhandeln (vgl. aber § 23 PostG). Ein „Mehr“ an Freiheitsschutz gibt Art. 2 Abs. 1 GG nicht her.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">b) Die Klage ist auch mit dem Hilfsantrag zu 3. (Verpflichtung der Beklagten dazu, die Beigeladene aufzufordern einen erneuten Entgeltgenehmigungsantrag zu stellen) unzulässig. Der Zulässigkeit des Verpflichtungsantrags steht bereits entgegen, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren keinen diesbezüglichen Antrag gestellt hat.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu z.B. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 6 C 42.06 -, juris Rn. 22 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls ist auch insoweit keine Klagebefugnis des Klägers ersichtlich (siehe oben). Im Übrigen wäre die diesbezügliche Klage auch unbegründet, da es keine Rechtsgrundlage für die Beklagte gibt, die Beigeladene aufzufordern einen (erneuten) Entgeltgenehmigungsantrag zu stellen. Eine Vorschrift wie § 40 Abs. 2 TKG fehlt im Postrecht. Werden Entgeltgenehmigungsanträge nicht gestellt, obschon eine Genehmigungspflicht besteht, verbleibt es insoweit bei den Rechtsfolgen nach § 23 PostG.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">4. Die Klage ist auch mit den Anträgen zu 4. unzulässig. Hinsichtlich des Hauptantrages zu 4. gilt dies schon deshalb, da die im gerichtlichen Verfahren begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterlassung einer Neubescheidung durch die Beklagte in der laufenden Entgeltgenehmigungsperiode in der Sache keinen Erfolg haben kann. Eine Neubescheidung in der abgelaufenen Entgeltgenehmigungsperiode war schon deshalb nicht veranlasst, da die Entgeltgenehmigung in dieser Periode nicht aufgehoben wurde. Im Übrigen wird zur Unzulässigkeit des Hauptantrages zu 4. - zur Vermeidung von Wiederholungen - auf die Ausführungen zu 3.a) verwiesen. Zu ergänzen bleibt, dass die Endkunden der Beigeladenen auch ohne einen Anspruch auf Bescheidung einer Entgeltgenehmigung während einer laufenden Genehmigungsperiode dadurch hinreichend geschützt sind, dass sie die Beförderungsleistungen der Beigeladenen in Anspruch nehmen können (siehe oben). Zwar haben Endkunden in der laufenden Genehmigungsperiode grundsätzlich auch ein berechtigtes Interesse daran, irgendwann einmal zu erfahren, wieviel sie für die Beförderungsleistungen zu zahlen haben (da sie dies vernünftigerweise in die Entscheidung, ob sie die Leistung in Anspruch nehmen, einpreisen werden).</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2013 - 6 C 13.12 -, juris Rn. 73.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Dieses Interesse wird für den Kläger hier jedoch zum einen von vornherein dadurch beschränkt, dass er es ist, der die Entgeltgenehmigung mit dem Ziel der Kassation angegriffen hat. Daraus folgende Unsicherheiten hat er in Kauf zu nehmen. Zum anderen ist das Interesse der Endkunden der Beigeladenen an einer klaren Preisgestaltung der regulierten Leistung von vornherein dadurch begrenzt, dass eine (nachträgliche) Genehmigung von Entgelten in „unübersehbarer“ Höhe ausscheidet, da Entgelte für Universaldienstleistungen „erschwinglich“ bleiben müssen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 PostG). Schließlich bleibt auch der im Antrag 4 gestellte Hilfsantrag ohne Erfolg; diesbezüglich wird auf die Ausführungen zu 3.b) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klage abgewiesen worden ist, sind die Berufung und die Sprungrevision gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 124 a Abs. 1 S. 1 VwGO sowie § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 134 VwGO zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Soweit der Klage stattgegeben worden ist, steht den Beteiligten gegen dieses Urteil die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">115</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> </li> <li><span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klage abgewiesen worden ist, steht den Beteiligten gegen dieses Urteil die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ‑‑ ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klage abgewiesen worden ist, steht den Beteiligten gegen dieses Urteil wahlweise statt der Berufung auch die Revision an das Bundesverwaltungsgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Kläger und der Beklagte zustimmen.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich einzulegen.</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist schriftlich bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, eingelegt wird. Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Zudem ist der Revisionsschrift die Zustimmung des Klägers und des Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision beizufügen.</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Im Revisionsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Revision und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Die Revisionsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">10.000,00 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht der Bedeutung der Sache für den Kläger (§ 52 Abs. 1 GKG). Dabei hat das Gericht für den Antrag zu 1. und die Anträge zu 2. bis 4. jeweils den Auffangstreitwert von 5.000 € in Ansatz gebracht. Die Anträge zu 2. bis 4. waren mit einem einheitlichen Auffangstreitwert anzusetzen, da sie letztlich nur den Antrag zu 2. ergänzen und wirtschaftlich einheitlich darauf abzielen, die Beklagte selbst zu einer Entscheidung über den im Gerichtsverfahren aufgehobenen Entgeltgenehmigungsantrag zu bringen.</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,480
olgce-2022-08-17-3-ws-20422
{ "id": 603, "name": "Oberlandesgericht Celle", "slug": "olgce", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
3 Ws 204/22
2022-08-17T00:00:00
2022-09-08T10:01:13
2022-10-17T11:09:55
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Beschluss wird aufgehoben, soweit die Strafvollstreckungskammer die gerichtliche Kontrolle des Behandlungsangebots bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung über den 31. Mai 2017 hinaus vorgenommen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die hierüber hinausgehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Gefangene zu tragen, jedoch werden diese um die Hälfte ermäßigt; in demselben Umfang fallen die notwendigen Auslagen des Gefangenen der Landeskasse zur Last.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Gefangene verbüßt nach Widerruf des zunächst zur Bewährung ausgesetzten Strafrestes gegenwärtig eine lebenslange Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stade vom 17. Februar 1995 (Az.: 10 Ks 115 Js 11037/90) wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes. Daran anschließend ist die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Lübeck vom 6. Mai 2009 (Az.: 3 KLs 1/09) unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Verabredung zu einem schweren Raub angeordneten Sicherungsverwahrung vorgesehen; die mit diesem Urteil ebenfalls verhängte Freiheitsstrafe von 7 Jahren ist seit dem 16. September 2015 vollständig vollstreckt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Zuletzt mit Beschluss vom 1. März 2017 (Bl. 306 Bd. III VH) hatte - nach vorangegangener wiederholter Aufhebung und Zurückverweisung durch das Oberlandesgericht Dresden - das Landgericht Chemnitz festgestellt, dass dem Gefangenen eine den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechende Betreuung angeboten worden ist. Der Beschluss wurde dem Gefangenen, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Justizvollzugsanstalt C. befand, am 28. März 2017 bekannt gegeben. Auf seine Beschwerde erkannte das Oberlandesgericht Dresden mit Beschluss vom 5. Januar 2018 (Bl. 336 Bd. III VH), dass die dem Gefangenen durch die Vollstreckungsbehörde angebotene Betreuung im Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis zum 27. Februar 2015 nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe; den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe die Betreuung indessen im Zeitraum vom 28. Februar 2015 bis zum 31. Mai 2015.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Der dem 31. Mai 2015 nachfolgende Überprüfungszeitraum ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 14. April 2020, mit welchem festgestellt worden war, dass die dem Gefangenen angebotene Betreuung „im zurückliegenden Zeitraum“ den Anforderung § 66c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB entsprochen habe, wurde mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 2021 (Az.: 2 BvR  1546/20) ebenso aufgehoben wie ein die Beschwerde des Gefangenen als unbegründet verwerfender Beschluss des erkennenden Senats vom 30. Juli 2020 (Az.: 3 Ws 149/20). Mit Beschluss vom 7. März 2022 (Bl. 317 Bd. VI VH) hat die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle nunmehr festgestellt, dass die dem Gefangenen von der Vollzugsbehörde im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 28. März 2019 angebotene Betreuung den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Gegen diesen Beschluss wendet der Gefangene sich mit seiner Beschwerde im Wesentlichen mit dem Vorbringen, die angefochtene Entscheidung genüge nicht den hieran zu stellenden Anforderungen an eine ausreichende Begründung. Insbesondere lasse die angefochtene Entscheidung nicht erkennen, dass ihr eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung zugrunde lag. So äußere sich etwa die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt C. vom 6. November 2019 nur zu dem Zeitraum 2017 und sei der Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis 2017 mithin nicht umfasst. Zudem hätten die beteiligten Justizvollzugsanstalten W. und R. keinerlei Stellungnahmen abgegeben und fehle es zu der weiteren Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Celle vom 6. August 2021 an der Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Kammer habe keine eigenen Feststellungen dazu getroffen, aus welchen Gründen die gemachten Angebote gerade hinsichtlich der Person des Gefangenen den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Überdies sei der nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG maßgebliche Überprüfungszeitraum von grundsätzlich 2 Jahren nicht beachtet worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der Zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug wurde beteiligt; er hat beantragt, die Beschwerde des Gefangenen als unbegründet zu verwerfen. Der Senat hat weitere Ermittlungen im Hinblick auf die dem Gefangenen im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2017 in den sozialtherapeutischen Abteilungen der Justizvollzugsanstalten W., C. und R. angebotene Betreuung veranlasst. Zu beidem hatte der Gefangene rechtliches Gehör.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Strafrechtlich ist der … in H. geborene Gefangene bereits seit 1981 in Erscheinung getreten. Nach ersten jugendrichterlichen Ahndungen wegen Diebstahls erfolgte 1987 ebenfalls wegen Diebstahls eine Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, wobei die angeordnete Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wurde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>1. Am 17. Februar 1996 verurteilte das Landgericht Stade den Gefangenen wegen gemeinschaftlichen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Diesem Urteil lag zugrunde, dass der Gefangene im Juni 1990 gemeinsam mit dem Mittäter K. den ihnen aus ihrer gemeinsamen Clique bekannten Geschädigten D. getötet hat. Dieser stellte für den Gefangenen nach den tatrichterlichen Feststellungen eine Gefahr dar, weil er Kenntnisse über von diesem begangene Straftaten aus dem Bereich illegaler Kraftfahrzeuggeschäfte und vermutlich auch im Bereich der Drogenkriminalität hatte. Der Gefangene fürchtete, dass das Tatopfer diese Kenntnis in einem gegen ihn einem Strafverfahren gegen ihn preisgeben würde, was angesichts einer vorausgegangenen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe geeignet schien, die Zukunftspläne des Gefangenen ernsthaft zu gefährden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Nachdem eine Einigung mit dem D. nicht gefunden werden konnte, fasten der Gefangene und der Mittäter K. nach den weiteren Feststellungen während einer gemeinsamen Autofahrt den Entschluss, den D. zu töten und dafür einen geeigneten Ort anzufahren, an dem sie nicht gestört würden. Als der D. während der Fahrt argwöhnisch wurde, hielt ihn K. mit einer im Fahrzeug vorhandenen Armbrust in Schach. Während der Fahrt löste sich ein Schuss aus der Armbrust, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob der Schuss absichtlich abgegeben wurde und ob der Pfeil den D. traf. Jedenfalls aber erkannte D. zu diesem Zeitpunkt die Absicht von K. und dem Gefangenen, wodurch sich die Notwendigkeit ergab, den Tatplan zu ändern und die Tötung bereits während der Fahrt auszuführen. K. versetzte dem D. eine Vielzahl von Stichen mit einem Messer, wobei er mindestens 14 Mal im oberen Brustbereich und mehrfach in den Hals und Nackenbereich traf. Mehrere der Stiche drangen in die Brusthöhle ein, wobei auch Rippen durchtrennt wurden. Einer der Stiche durchsetzte das Herz und mehrere den linken Lungenflügel. Auch wurde auf D. im Verlauf des Kampfes einmal geschossen, wobei der Schuss von dem Gefangenen abgefeuert wurde. In der Folge trat der Tod des D. durch Verbluten aus den zahlreich erlittenen Verletzungen ein. Der Gefangene und sein Mittäter verbrachten die Leiche anschließend in ein Waldstück, wo K. einen Benzinkanister über dem Leichnam entleerte und das Benzin anzündete. Der Gefangene setzte das Fahrzeug, in dem sich Blutspuren befanden, an einem anderen Ort in Brand.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Im Hinblick auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung stellte das Landgericht Lübeck fest, dass der Gefangene einen Hang zu Begehung schwerer Straftaten habe und für die Allgemeinheit gefährlich sei. Dies beruhe auf der bei dem Verurteilten sachverständig festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstörung, die dazu führe, dass dieser immer wieder schwere Straftaten begehe. Der Gefangene verfüge nur über eine geringe Empathiefähigkeit und sei gegenüber den Gefühlen seiner Opfer unbeteiligt, kalt und rücksichtslos. Der Gefangene sei nicht in der Lage, längerfristig partnerschaftliche Beziehungen beizubehalten und aus Erfahrungen, insbesondere Bestrafungen, zu lernen. So habe er sich nach der Haftentlassung, nachdem er etwa 18 Jahre in Haft war, wieder in ein kriminelles Umfeld begeben, sich sehr schnell wieder in Straftaten verstrickt und auch in den letzten Jahren des Vollzugs nicht gezeigt, dass er aus Bestrafungen lerne. Er sei zudem nicht fähig, Schuldbewusstsein zu erleben und habe die ausgeprägte Neigung, Rationalisierungen für das eigene Fehlverhalten anzubieten. Ungünstig sei ferner, dass die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung nach den damals bereits gescheiterten Therapieversuchen gering sei und es an einer ernsthaften Therapiebereitschaft des Gefangenen fehle.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Vollstreckung des Strafrestes wurde durch Beschluss vom 7. Februar 2008 zur Bewährung ausgesetzt und zwischenzeitlich widerrufen. Durch Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 8. Juli 2019 wurde die erneute Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe (sowie der Sicherungsverwahrung) zur Bewährung abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>2. Mit Urteil des Landgerichts Lübeck vom 6. Mai 2009 wurde der Gefangene wegen gefährlicher Körperverletzung, Verabredung zu einem schweren Raub sowie Diebstahls in 2 Fällen, Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Ausweisen in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt; ferner wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Landgericht hat hierzu folgende Taten festgestellt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Im August 2004 entwendete der Gefangene mithilfe eines zuvor beschafften Schlüssels ein Motorrad, welches er anschließend veräußerte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Im Juni 2008 brach der Angeklagte gemeinschaftlich mit einem Mittäter unter Vortäuschen eines Einbruchs einen Geldspielautomaten in dem vom Gefangenen seinerzeit betriebenen Imbiss auf, entnahm diesem 640 € sowie aus dem Imbiss die Tagesausnahmen in Höhe von 150 € und meldete den vermeintlichen Einbruch seiner Versicherung in der Annahme, diese werden den entstandenen Schaden ersetzen. Eine Versicherung gegen Einbruch bestand indessen nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Im Juli 2008 erwarb der Angeklagte eine entwendete Brieftasche mit Papieren einer ihm ähnlich sehenden Person und schloss unter deren Namen einen Mobilfunkvertrag ab, für welchen er ein Telefon im Wert von 349 € erhielt, welches er sodann zum Preis von 250 € veräußerte. Ebenfalls unter Vorlage dieser Papiere erwarb der Gefangene am nächsten Tag unter Abschluss eines Darlehensvertrags ein Notebook im Wert von 1.000 €, welches er sodann zum Preis von 330 € weiterveräußerte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Im September 2008 wurde der Angeklagte gebeten, im Rahmen eines Streits unterstützend tätig zu werden. Zu diesem Zweck nahm er aus seinem Imbiss ein ca. 1 m langes Rundholz mit und versetzte schließlich hiermit dem Geschädigten, der zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Angriff rechnete, einen heftigen Schlag auf den Kopf sowie einen weiteren Schlag auf den Körper, wodurch der Geschädigte potenziell lebensbedrohlich verletzt wurde und zunächst für 3 Tage auf der Intensivstation behandelt werden musste.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Zwischen März 2008 um Mitte Juni 2008 planten der Gefangene sowie ein Mittäter, welchen der Angeklagte im Vollzug kennengelernt hatte, nach dessen Entlassung aus der Strafhaft im November 2008 unter Verwendung von Schusswaffen einen Raubüberfall auf den Besitzer eines Bowling- und Freizeitcenter durchzuführen, um sich hierdurch Tageseinnahmen in Höhe von mehreren tausend Euro zu beschaffen. Der Gefangene kundschaftete die Tatörtlichkeit aus, erwarb Werkzeug zum gewaltsamen Öffnen von Haustüren sowie Sturmhauben. Zur Tatausführung kam es jedoch nicht mehr, weil der Gefangene am 17. September 2008 verhaftet wurde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>III.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Im Februar 2013 wurde im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme zur Behandlungsuntersuchung durch den Sachverständigen Dr. R. die Angezeigtheit einer sozialtherapeutischen Behandlung festgestellt, da ein erheblicher und langfristiger Behandlungsbedarf bestehe und von dem Gefangenen eine erhebliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit ausgehe. Die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung solle dem Ziel dienen, der ungünstigen Prognose, der dissozialen Persönlichkeitsstörung sowie einer fehlenden realistischen Zukunftsperspektive entgegenzuwirken und zudem dem Gefangenen helfen, ein angemessenes soziales Umfeld aufzubauen und den Übergang in Freiheit zu begleiten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Im April 2013 kamen die Sachverständigen Dr. B. und Dr. R. in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Kriterien einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erfüllt seien. Es lägen deutliche Hinweise auf eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur vor, bei der neben der mit Dissozialität einhergehenden kriminellen Verfestigung und der interaktionellen Defizite auch Züge der Grandiosität und des Machiavellismus von Bedeutung seien und das persönlichkeitsimmanente Kriminalitätsrisiko zusätzlich erhöht sei. Demnach sollten sich Therapiemaßnahmen künftig immer stringenter am Verhalten des Gefangenen und dessen Konsequenzen orientieren. Sinnvoll seien gruppentherapeutische, verhaltensorientierte und möglichst lebensnahe Gruppensettings mit hoher sozialer Kontrolle, welche die Möglichkeiten manipulativen Agierens verringerten. Von psychotherapeutisch orientierten Einzelmaßnahmen, die auf Emotionsfokussierung oder auf innerpsychische Konflikte abzielten, wurde ausdrücklich abgeraten, weil diese nicht als hilfreich, sondern gegebenenfalls sogar als kontraindiziert zu betrachten seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Im September 2015 erstellte der Sachverständige Dr. W. im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 119a StVollzG ein kriminalprognostisches Gutachten für die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz. Der Sachverständige diagnostizierte bei dem Gefangenen eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, die bei Berücksichtigung der Risikoskalen und anhand des nachzuzeichnenden Empathiedefizits durchaus psychopathischen Züge aufweise. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass das Setting einer Sozialtherapie und die bisher angeregten sozialtherapeutischen Maßnahmen am besten geeignet seien, dem Gefahrenpotenzial des Gefangenen entgegenzuwirken. Die Behandlung solle jedoch nicht ins Belieben des Gefangenen gestellt werden, vielmehr sei die Veränderung von tradierten Denk- und Verhaltensmustern langwierig und die stabile Dissozialität nur schwer zu beeinflussen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>IV.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Seit seiner Festnahme am 17. September 2008 befindet der Gefangene sich in Haft. Er befand sich vom 17. September 2008 bis zum 15. Februar 2011 in der Justizvollzugsanstalt L., vom 15. Februar 2011 bis zum 11. April 2012 in Justizvollzugsanstalt F., vom 11. April 2012 bis zum 18. Februar 2014 in der Justizvollzugsanstalt C., vom 18. Februar 2014 bis zum 10. März 2014 in der Justizvollzugsanstalt L., vom 10. März 2014 bis zum 27. Februar 2015 in der Justizvollzugsanstalt W. und vom 27. Februar 2015 bis zum 7. November 2016 in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt W. Am 7. November 2016 erfolgte aufgrund eines Ersuchens des sächsischen Staatsministeriums der Justiz die Verlegung des Gefangenen in die Justizvollzugsanstalt C, wobei zur Begründung ausgeführt wurde, die Therapiefähigkeit und -bereitschaft des Gefangenen könne aufgrund der erheblichen Entfernung zu seinen Angehörigen nicht sinnvoll weiter entwickelt werden. Am 29. März 2017 erfolgte die Verlegung des Gefangenen in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt R. Ausweislich der maßgeblichen Vollzugspläne der Justizvollzugsanstalten W, C und R war der Gefangene durchgängig im geschlossenen Vollzug untergebracht, weil eine Eignung für die Verlegung in den offenen Vollzug nicht festgestellt wurde. Während in der Justizvollzugsanstalt W. im Hinblick auf Flucht- und Missbrauchsbefürchtungen keine Vollzugslockerungen gewährt wurden, wurden in der Justizvollzugsanstalt C. sowie in der Justizvollzugsanstalt R. ausweislich der maßgeblichen Vollzugspläne Vollzugslockerungen in Gestalt von Ausführungen gewährt. Sozialtherapeutische Behandlungsmaßnahmen wurden jeweils für angezeigt erachtet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Ausweislich der Vollzugs- und Eingliederungspläne vom 29. Juli 2015 und vom 20. Januar 2016 absolvierte der Gefangene in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt W. in der Zeit vom 27. Februar 2015 bis zum 7. November 2016 zunächst die Zugangsphase von 3 Monaten Dauer und nahm in der Folgezeit an folgenden Behandlungsmaßnahmen teil: anlassbezogene Gespräche mit dem Sozialdienst, regelmäßige, in der Regel 14-tägige psychologische Einzelgespräche, seit dem 19. Juli 2015 Behandlungsgruppe für Gewalttäter (insgesamt 33 Sitzungen), seit dem 17. Februar 2016 Reasoning- & Rehabilitations-Training (insgesamt 28 Sitzungen), Aktivitäten in der Garten- und Sportgruppe, regelmäßige Arbeit in der Küche und in der Tischlerei sowie Schuldnerberatung. Ausweislich des Vollzugs- und Eingliederungsplans vom 29. Juli 2015 wurde festgestellt, dass die Therapiefähigkeit und –bereitschaft des Gefangenen nicht sinnvoll weiterzuentwickeln und die Ziele der Behandlung daher nicht zu erreichen seien; es wurde eine Integration in einer heimatsnahen sozialtherapeutischen Abteilung empfohlen. Mit dem Vollzugs- und Eingliederungsplan vom 20. Januar 2016 wurden zur Förderung der Mitwirkungsbereitschaft des Gefangenen niedrigschwellige Kontakte zum Sozialdienst empfohlen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Dem Vollzugsplan der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt C. vom 28. Februar 2017 zufolge erfolgten dort in der Zeit vom 7. November 2016 bis zum 29. März 2017 weitere Einzel- und Gruppenbehandlungsmaßnahmen und nahm der Gefangene an weiteren psychologischen Einzelgesprächen, einem sozialen Training, an einem Basiskompetenztraining sowie an Wohngruppensitzungen teil. Außerdem erfolgte die Teilnahme an der audiovisuellen Gruppe, an Freizeit- und Projektgruppen sowie an einer Motivations- bzw. Sozialtherapie im Rahmen einer gemeinsamen Bastelgruppe. Die Teilnahme sei ausreichend engagiert und motiviert erfolgt, so dass keine besonderen Maßnahmen zur Förderung der Behandlungsmotivation zu treffen gewesen seien. Hinsichtlich der in der Bewährungszeit begangenen Straftaten habe der Gefangene eine eher geringe emotionale Teilnahme gezeigt und es sei der Eindruck entstanden, dass eine verfestigte, therapeutisch in ihrer Grundstruktur kaum modifizierbare, delinquenznahe Persönlichkeitsstruktur vorliege, wobei insbesondere eine Verhaltensänderung nach Sanktionen und eine Verantwortungsübernahme fehle. Darin habe sich nach Einschätzung des Behandlungsteams eine Haltung gezeigt, die darauf beruhe, die Verantwortung für eigenes Handeln zu relativieren und eigene Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen und letztlich zu glauben, schlauer und geschickter zu agieren als etwa Vollstreckungs- oder Ermittlungsbehörden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Im Rahmen der Vollzugsplankonferenz vom 28. Februar 2017 kamen die Teilnehmer zu dem Ergebnis, dass die Verlegung des Gefangenen in eine weiterführende sozialtherapeutische Abteilung zum Zwecke einer nahtlosen, kontinuierlichen und inhaltlich geeigneten Behandlung der Persönlichkeitsdefizite erforderlich sei. Angestrebt werde eine Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt R., weil dort eine sofortige Weiterbehandlung möglich gewesen sei. Eine Verlegung in die heimatnähere sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt U. sei aus Kapazitätsgründen nicht möglich; eine längere Wartezeit in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt C. sei der Behandlung des Gefangenen nicht dienlich und ein weiterer Verbleib kontraindiziert, da dieser bezüglich der dortigen Behandlungsangebote offensichtlich kognitiv unterfordert sei und eine Stärkung seines Überlegenheitsgefühls erfahre. Bei einer Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt R. würden die bereits begonnenen Behandlungsmaßnahmen weitergeführt und einer kognitiven Unterforderung und der Bildung eines Überlegenheitsgefühls vorgebeugt werden. Zum 29. März 2017 wurde der Gefangene sodann der sozialtherapeutischen Abteilung des Justizvollzugsanstalt R. und dort zunächst der Aufnahmegruppe zugeführt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>V.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Die nach 119a Abs. 5 StVollzG statthafte Beschwerde des Gefangenen ist zulässig erhoben. In der Sache hat sie aus dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>1. Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle war zum Erlass der angefochtenen Entscheidung örtlich zuständig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Die örtliche Zuständigkeit für die gerichtliche Kontrolle des Behandlungsangebots bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung bestimmt sich nach dem Bezirk, in dem die Vollzugsbehörde ihren Sitz hat, in der der Gefangene am Ende des Überprüfungszeitraums untergebracht war (BGH NStZ-RR 2020, 359; OLG Hamm vom 22. November 2018, Az.: 1 Vollz [Ws] 309, 18, juris). Maßgeblich für den Beginn des nachfolgenden Überprüfungszeitraums ist nach § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG die Bekanntgabe der vorhergehenden erstinstanzlichen Entscheidung. Auf dieser Grundlage hat der Senat mit Beschluss vom 15. September 2021 bereits festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten (nicht aufgehobenen) erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Chemnitz vom 1. März 2017 am 28. März 2017 sich der Gefangene in der Justizvollzugsanstalt C. befand, woraus die örtliche Zuständigkeit der dortigen auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg folgt. Dass der Gefangene sich zum Zeitpunkt der anstehenden Entscheidung der Strafvollstreckungskammer bereits in der Justizvollzugsanstalt W. befand, war für die Frage der örtlichen Zuständigkeit hiernach unerheblich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>2. Der angefochtene Beschluss konnte indessen keinen Bestand haben, soweit die Strafvollstreckungskammer ihre Überprüfung auf einen Zeitraum nach dem 31. Mai 2017 erstreckt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Zwar hat die Strafvollstreckungskammer den Beginn des hier maßgeblichen Überprüfungszeitraums zutreffend auf den 1. Juni 2015 festgesetzt, nachdem zuletzt mit Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 5. Januar 2018 der vorangegangene Überprüfungszeitraum mit dem 31. Mai 2015 geendet hatte. Der Senat betrachtet den Beginn des Überprüfungszeitraums am 1. Juni 2015 hiernach als zwingend, da anderenfalls eine nicht hinzunehmende Lücke in der regelmäßig vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs entstehen würde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Soweit die Strafvollstreckungskammer den Überprüfungszeitraum indessen bis zum 28. März 2019 ausgedehnt hat, hält dies rechtlicher Nachprüfung aber nicht stand. Nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG sind Entscheidungen betreffend die strafvollzugsbegleitende gerichtliche Kontrolle bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung von Amts wegen alle zwei Jahre zu treffen. Nach insoweit einhelliger obergerichtlicher - und von der Literatur geteilter und (soweit ersichtlich) auch nicht kritisierter - Rechtsprechung wird hieraus hergeleitet, dass der maßgebliche Überprüfungszeitraum grundsätzlich zwei Jahre umfasst und nicht bis zur abschließenden Entscheidung erster Instanz verlängert wird (OLG Hamm, Beschluss vom 25. August 2015, Az.: 1 Vollz (Ws) 175/15, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Februar 2016, NStZ-RR 2016, 391; OLG Dresden, Beschluss vom 5. Januar 2018 [den Antragsteller betreffend], Az.: 2 Ws 252/17, juris, OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Juli 2019, Az.: 2 Ws 342/19, BeckRS 2019, 24221; auch Senatsbeschluss vom 12. September 2019, Az.: 3 Ws 222/19; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 116a Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler StVollzG § 119a Rn. 6). Zur Begründung wird übereinstimmend ausgeführt, dass nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StVollzG Feststellungen zu einem zurückliegenden Zeitraum getroffen werden sollen, der „zwingend“ zwei Jahre umfasst. Denn anderenfalls wäre, etwa bei einer Verlängerung dieses Zeitraums bis zur formalen Einleitung des Prüfungsverfahrens oder nach zwei Rechtsmittelverfahren bis zur abschließenden Entscheidung erster Instanz, die Strafvollstreckungskammer gehalten, bis zuletzt den aktuellen Sachstand zu ermitteln, wofür indessen kein Bedürfnis bestehe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Hieraus wird gefolgert, dass das feststellende und damit notwendigerweise rückblickende Verfahren nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StVollzG der jeweils „abschichtenden“ Klärung von bestimmten Fragestellungen dient, die im späteren Verfahren nach § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB relevant werden und deshalb ein in der Vergangenheit abgeschlossener Zeitraum beurteilt und keine in die Zukunft gerichtete Prognose getroffen wird, die auch neuere Entwicklungen berücksichtigen müsse. Der maßgebliche Zwei-Jahres-Zeitraum sei hiernach formal zu betrachten. Eine Lücke im Überprüfungszeitraum trete hierdurch nicht ein, weil es im Rahmen des Systems der rückblickenden Gesamtbetrachtung geboten sei, die Zeit seit dem Ablauf des vorangegangenen Überprüfungszeitraums mit in die Bewertung einzubeziehen - was aber nicht zu einer Verlängerung des Überprüfungszeitraum führe. (vgl. OLG Hamm, OLG Nürnberg OLG Dresden, OLG Koblenz a.a.O.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat [in vorliegender Sache] mit Beschluss vom 30. März 2021 das Erfordernis „regelmäßiger“ gerichtlicher Kontrolle nach § 119a StVollzG hervorgehoben. Eine Ausdehnung des gesetzlich vorgesehenen, vorliegend auch nicht nach § 119a Abs. 3 Satz 2 StVollzG verlängerten Überprüfungszeitraums über zwei Jahre hinaus kam auf der Grundlage der benannten Rechtsprechung somit nicht in Betracht. Der hiernach maßgebliche und am 1. Juni 2015 beginnende Überprüfungszeitraum hatte demnach am 31. Mai 2017 zu enden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Zwar mögen im Einzelfall beachtliche Gründe für eine Ausdehnung des Überprüfungszeitraums über zwei Jahre hinaus sprechen. So sieht bereits das Gesetz in § 119a Abs. 3 Satz 2 bei bestimmten Fallkonstellationen (etwa bei Beginn des Vollzugs einer langen zeitigen oder lebenslangen Freiheitsstrafe, vgl. Bachmann in NLLV Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., P Rn. 123; Arloth/Krä, a.a.O.) eine Ausdehnung des Überprüfungszeitraums im Tenor auf bis zu fünf Jahre vor, was vorliegend indessen nicht erfolgt ist. Soweit das Landgericht Chemnitz mit Beschluss vom 11. August 2016 (Bl. 272 Bd. III VH) die der Entscheidung nachfolgende Überprüfungsfrist auf fünf Jahre festgesetzt hatte, ist diese Entscheidung vom Oberlandesgericht Dresden mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 (Bl. 288 VH III) aufgehoben und eine zwei Jahre übersteigende Überprüfungsfrist seither nicht mehr festgesetzt worden. Zwar zeigen Fallgestaltungen wie die vorliegende, dass namentlich infolge Zeitablaufs aufgrund wiederholter Aufhebungen und Zurückverweisungen der maßgeblichen Überprüfungsentscheidungen insgesamt Zeiträume zur Überprüfung anstehen können, die die Dauer von zwei Jahren um ein Mehrfaches übersteigen, und ein Aufspalten des gesamten Überprüfungszeitraums hiernach zu einer als wenig zielführend empfundenen Zersplitterung des Verfahrens nach § 119a Abs. 1 StVollzG führen kann. Indessen haben die benannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte gerade diese Situation im Blick gehabt, zu denen sie ausführen, das Verfahren nach § 119a Abs. 1 StVollzG diene auch bei längerer und bereits vergangener Vollzugsdauer einer „abschichtenden“ Überprüfung des jeweils auf zwei Jahre festzusetzenden Vollzugszeitraums, zu deren Verlängerung kein Anlass besteht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Hinzu kommt, dass es im Falle einer (nach welchen Kriterien auch immer) seitens der Strafvollstreckungskammer rückwirkend angenommenen Verlängerung des Überprüfungszeitraums zu einer offensichtlich nicht gewollten Verlagerung bzw. Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der jeweils berufenen Strafvollstreckungskammer und hiernach des gesetzlichen Richters kommen kann, die letztlich im Belieben der Strafvollstreckungskammer stünde. Denn nach Maßgabe von § 119a Abs. 3 Satz 3, 2. Hs. StVollzG beginnt die Frist für jede weitere Entscheidung mit Bekanntgabe einer erstinstanzlichen Entscheidung nach Abs. 1 der Vorschrift und ist nach § 110 StVollzG diejenige Strafvollstreckungskammer für eine anstehende Entscheidung zuständig, in deren Bezirk die Vollzugsbehörde ihren Sitz hat, in der der Gefangene am Ende des Überprüfungszeitraums untergebracht war (BGH NStZ-RR 2020, 359; OLG Hamm vom 22. November 2018, Az.: 1 Vollz [Ws] 309, 18, juris). Dies kann sich, wie vorliegendes Verfahren namentlich infolge mehrfacher Verlegungen eines Antragstellers zeigt, indessen ändern mit der Folge einer jeweils abweichenden örtlichen Zuständigkeit. Denn das Strafvollzugsgesetz kennt keine dem § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO vergleichbare ausdrückliche Bestimmung, die eine Fortwirkung einer zuerst begründeten Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer vorsieht (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2016, Az.: 2 ARs 5/16, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2018, Az.: III-1 Vollz (Ws) 309/18, juris). In welcher Justizvollzugsanstalt sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der nächsten maßgeblichen Bekanntgabe der in Rechtskraft erwachsenen gerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG befinden wird, ist derzeit aber nicht sicher abzusehen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand dürfte es sich auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen jedenfalls nicht um die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg handeln.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Nach alledem betrachtet der Senat die Regelung in § 119a StVollzG sowohl hinsichtlich des maßgeblichen Überprüfungszeitraums als auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit gerade im Falle längerer Vollzugsdauern, die gerade bei Anordnung einer Sicherungsverwahrung regelmäßig auftreten dürften, zwar für „wenig geglückt“, sieht sich aus den dargelegten Erwägungen an der Annahme eines längeren Überprüfungszeitraums aber gehindert.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Eine Zurückverweisung des Verfahrens im Hinblick auf den dem 31. Mai 2017 nachfolgenden Zeitraum kam nicht in Betracht, weil dieser Zeitraum im Hinblick auf die in § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG gesetzlich bestimmte Frist zum einen schon nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist und weil zum anderen die insoweit maßgebliche örtliche Zuständigkeit der hiernach voraussichtlich berufenen Strafvollstreckungskammer derzeit nicht sicher absehbar ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>3. In der Sache selbst greift das Rechtsmittel des Gefangenen indessen nicht durch. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist im Hinblick auf die dem Gefangenen im maßgeblichen Überprüfungszeitraum (1. Juni 2015 bis 31. Mai 2017) angebotenen Betreuungsmaßnahmen jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>a) Der Beschluss genügt - noch - den an eine Entscheidung betreffend die vollzugsbegleitende gerichtliche Kontrolle nach Maßgabe von § 119a Abs. 1 StVollzG zu stellenden Anforderungen. Nach § 119a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz  2 StVollzG ist in der gerichtlichen Entscheidung der Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammenzustellen, gleichzeitig muss sie aber den Anforderungen genügen, die § 267 StPO an die Begründung strafrechtlicher Urteile stellt. Dazu zählen zunächst Angaben zur Anlasstat sowie zum wesentlichen Vollzugsverlauf, zudem sind die bei der Behandlungsuntersuchung und den nachfolgenden Untersuchungen erhobenen Befunde zusammenfassend zu beschreiben und bedarf es der genauen Aufstellung der dem Verurteilten angebotenen und der tatsächlich durchgeführten Behandlungsmaßnahmen; soweit geplante Maßnahmen nicht durchgeführt wurden, sind die Gründe dafür ebenfalls mitzuteilen (vgl. KG, Beschluss vom 9.2.2016, Az.: 2 Ws 18/16, BeckRS 2016, 5033).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer beschränkt sich in diesem Sinne nicht auf eine formelhafte Wiedergabe des Akteninhalts, sondern enthält notwendige Ausführungen zur Person des Gefangenen sowie seiner strafrechtlichen Vorbelastungen, die für die Beurteilung der Behandlungsindikationen und der Therapieplanung erforderlich sind, einschließlich der Anlassverurteilung und des Vollzugsverlaufs, eine nachvollziehbare Darstellung des Störungsbildes, dem mit den Betreuungsmaßnahmen im Sinne von § 66c Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 StGB begegnet werden soll, Angaben zu den für den Überprüfungszeitraum maßgeblichen Vollzugsplänen der sozialtherapeutischen Abteilungen der Justizvollzugsanstalten W., C. und R., sowie zu den ergriffenen Behandlungsmaßnahmen. (vgl. zu den Anforderungen etwa KG, Beschluss vom 19.08.2015, Az.: 2 Ws 154/15, StraFo 2015,434; OLG Dresden, Beschluss vom 15.01.2016, Az.: 2 Ws 475/15, juris). Die Kammer stützt ihre Entscheidung überdies auf Angaben zu Stellungnahmen der beteiligten Justizvollzugsanstalten und auf die Wiedergabe des Ergebnisses der am 16. Februar 2022 durchgeführten mündlichen Anhörung einschließlich der Angaben des von der Kammer beauftragten psychiatrischen Sachverständigen Dr. R., denen die Kammer ersichtlich gefolgt und die sie ihrer Entscheidung erkennbar zu Grunde gelegt hat. Die Kammer hat sich hierbei auch nicht auf eine bloße Wiedergabe der sachverständigen Angaben beschränkt, sondern hat diese auch im Hinblick auf das Erfordernis weiterer Behandlungsmaßnahmen einer eigenen kritischen Prüfung unterzogen und hierauf ihre Entscheidung gestützt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Hinzu kommt, dass auf eine Prüfung nach § 119a StVollzG zwar nicht verzichtet werden kann, wenn es wegen des generellen Vorrangs des Strafvollzugs vor dem Maßregelvollzug zum Vollzug einer neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe angeordneten Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen nicht kommen kann (BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006, Az.: 2 BvR 578/02,  BVerfGE 117, 71 [93]; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Januar 2016, Az.: 3 Ws 780/15, auch FS 2016, 221; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 119a Rn. 2), dass hieraus aber auch folgt, dass in diesen Fällen die Bedeutung von Entscheidungen nach § 119a Abs. 1 StVollzG herabgesetzt ist (OLG Celle, Beschluss vom 09.09.2015, Az: 1 Ws 353/15, juris), was auch im Hinblick auf die erforderliche Begründungstiefe nicht ohne Bedeutung bleiben kann. Hieran gemessen hält die angefochtene Entscheidung der Überprüfung durch den Senat jedenfalls noch stand.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Soweit der Gefangene sein Rechtsmittel u.a. auf die Rüge fehlender Zuschriften der beteiligten Justizvollzugsanstalten und eine Verletzung rechtlichen Gehörs gestützt hat, hat der Senat ergänzend zu den von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens der Beschwerde sui generis im Hinblick auf Behandlungsuntersuchungen, Vollzugspläne und Abschlussberichte Stellungnahmen der im maßgeblichen Überprüfungszeitraum beteiligten Justizvollzugsanstalten (sozialtherapeutische Abteilungen der Justizvollzugsanstalten W., C. und R.) zu denjenigen Maßnahmen eingeholt, die zum Vermeiden des Vollzugs der gegen den Gefangenen angeordneten Sicherungsverwahrung durchgeführt wurden, namentlich auch zu der Frage, an welchen konkret angebotenen Behandlungsmaßnahmen der Gefangene teilgenommen hat und welche Maßnahmen unternommen wurden, um trotz des bisherigen Vollzugsverlaufs und der erfolgten Verlegungen eine ausreichende Motivation des Gefangenen im Hinblick auf die Teilnahme an einzelnen Maßnahmen sowie an einer sozialtherapeutischen Behandlung insgesamt zu bewirken (vgl. zur Zulässigkeit derart ergänzender Feststellungen im Verfahren nach § 119a StVollzG etwa KG, Beschluss vom 9.2.2016, Az.: 2 Ws 18/16, BeckRS 2016, 5033 [Rn. 16]). Der Gefangene hatte zu diesen ergänzenden Stellungnahmen der beteiligten Vollzugsanstalten ebenso rechtliches Gehör wie zu der Stellungnahme des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug; er hat sich nicht weiter geäußert.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>b) Auf der Grundlage all dessen ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass dem Gefangenen im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 31. Mai 2017 eine auf seine individuelle Behandlungsbedürftigkeit ausgerichtete, geeignete und indizierte Betreuung angeboten wurde, die den gesetzlichen Anforderungen in § 66c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB entspricht. Die Beschwerde des Gefangenen greift insoweit mithin nicht durch.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die hier (unter IV.) bereits dargestellten, dem Gefangenen in diesem Zeitraum angebotenen einzel- und gruppentherapeutischen Maßnahmen nach den Empfehlungen der jeweiligen Sachverständigen, die auch die individuelle Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft des Gefangenen sowie die eingetretenen Fortschritte, Erfolge und Grenzen der Behandlungen berücksichtigt haben. Hierauf wird Bezug genommen. Insoweit hat der Senat darauf abgestellt, dass vor diesem Hintergrund etwa im März 2017 die Verlegung des Gefangenen von der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt C. in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt R., erfolgte und dass bei den Entscheidungen über den weiteren Vollzugs- und Behandlungsverlauf auch die individuellen Wünsche des Gefangenen, etwa eine heimatnahe Verlegung, berücksichtigt worden sind, um dessen erforderliche, indessen nicht hinreichend ausgeprägte Mitwirkungsbereitschaft zu fördern. Der Senat erachtet die Bemühungen, die zum späteren Vermeiden der Sicherungsverwahrung erforderliche Behandlungsbereitschaft des Gefangenen auch durch sachgerechte Verlegungen zu fördern, für die vorliegende vollzugsbegleitende Kontrolle für maßgeblich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Von Bedeutung war weiter der Umstand, dass der Gefangene sich wiederholt nicht auf die ihm angebotenen und auf seine individuelle Behandlungsbedürftigkeit ausgerichteten Behandlungsmaßnahmen eingelassen hat mit der Folge, dass diese dem Gefangenen angeboten Behandlungsmaßnahmen regelmäßig als ein dem § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechendes Angebot anzusehen sind, ohne dass es einer näheren Darlegung der spezifischen Behandlungskonzepte der Vollzugsanstalt und deren sachverständiger Überprüfung im Verfahren nach § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG bedarf (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 1.12.2015, Az.: III-1 Vollz (Ws) 254/15, juris).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Nachdem ausweislich der Zuschrift der Justizvollzugsanstalt W. vom 29. Juni 2022 der Gefangene bezüglich seiner Therapiefähigkeit und –bereitschaft ein ambivalent ausgeprägtes  Verhalten gezeigt hat und wiederholt durch dem therapeutischen Prozess entgegenstehende disziplinarische Verstöße aufgefallen war, erfolgte aufgrund der dem therapeutischen Prozess entgegenstehenden räumlichen Entfernung zum Wohnumfeld des Gefangenen mit Zustimmung des niedersächsischen Justizministeriums eine länderübergreifende Verlegung zunächst in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt C., weil diese auf die Behandlungsschwerpunkte Motivation und Förderung der für eine sozialtherapeutische Maßnahme notwendige Kooperations- und Mitarbeitsbereitschaft ausgerichtet war. Hierbei war beabsichtigt, den Gefangenen nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum in eine andere, wohnortnähere sozialtherapeutische Abteilung des niedersächsischen Justizvollzugs zu verlegen, um hierdurch die erforderliche Behandlungsmotivation des Gefangenen zu fördern. Aus dem Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt C. vom 28. Februar 2017 geht die Einschätzung hervor, dass der Gefangene eine verfestigte, therapeutisch in ihrer Grundstruktur kaum modifizierbare, delinquenznahe Persönlichkeitsstruktur aufweise und sich zukünftige Therapiemaßnahmen hiernach stringent am Verhalten und an dessen Konsequenzen ausrichten sollten, dies namentlich vor dem Hintergrund, dass bei dem Gefangenen wiederholt das Fehlen einer Verhaltensveränderung nach Sanktionen und eine fehlende Verantwortungsübernahme zu beobachten gewesen sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Dem Vollzugsplan zufolge sei hinzugekommen, dass es der Gefangene nicht geschafft habe, sich vollständig auf das Setting der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt C. einzulassen, weshalb schließlich zum Erreichen einer kontinuierlichen und inhaltlich geeigneten Behandlung der Persönlichkeitsdefizite des Gefangenen dessen Verlegung in eine weiterführende sozialtherapeutische Abteilung erfolgen solle, wobei - anders als in der vom Gefangenen wegen noch größerer Ortsnähe zu seinen Angehörigen bevorzugten Justizvollzugsanstalt U. - in der Justizvollzugsanstalt R. eine sofortige Weiterbehandlung möglich gewesen sei. Dem Kriterium der Wohnortnähe sei hierbei nur eine untergeordnete Bedeutung zugekommen, weil der Gefangene bereits in der JVA W. keine eigenen Bemühungen unternommen habe, den Kontakt zu seinen leiblichen Kindern fortzusetzen und auch während seines Aufenthalts in der JVA C. keinen Besuch von seinen Kindern erhalten habe. Diese Einschätzung ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, weil hierdurch eine stringente Behandlung des Gefangenen gewährleistet war.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Wenn ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt R. vom 28. Juli 2022 der Gefangene sich dort der Fortsetzung des bereits eingeleiteten therapeutischen Prozesses mit der Begründung entgegengestellt hat, er habe nicht in die Justizvollzugsanstalt R., sondern lieber (noch) heimatnäher verlegt werden wollen, war dies nach den bereits dargelegten Kriterien (vgl. OLG Hamm a.a.O.) primär seiner Sphäre zuzurechnen. Zu berücksichtigen war hierbei auch, dass aufgrund der Schwierigkeiten des Gefangenen, sich in der Justizvollzugsanstalt R. auf die therapeutischen Behandlungsansätze einzulassen, eine baldige Verlegung des Gefangenen in eine wohnortnähere sozialtherapeutische Abteilung bereits erwogen wurde, was schließlich am 13. November 2017 (und somit außerhalb des hier maßgeblichen Beurteilungszeitraums) erfolgte, um die erforderliche Behandlungsmotivation des Gefangenen weiter zu fördern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>VI.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO, wobei der Senat den Teilerfolg des Rechtsmittels des Gefangenen im Hinblick auf die Dauer des Überprüfungszeitraums angemessen berücksichtigt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>VII.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet, §§119a Abs. 6, 119 Abs. 5 StVollzG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE268042022&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
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3 B 30/22
2022-08-17T00:00:00
2022-09-07T10:01:06
2022-10-17T11:09:48
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.710,00 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt">I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin wendet sich gegen Kostenbescheide für die Prüfung von Anzeigen nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) sowie gegen einen in den Kostenbescheiden enthaltenen Zusatz bezüglich künftiger Anzeigen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Sie betreibt die Vermietung mehrerer Fahrzeuge an selbständige Prostituierte. Für diese Fahrzeuge verfügte bzw. verfügt die Antragstellerin über Erlaubnisse zur Ausübung eines Gewerbes nach § 12 ProstSchG. Für die Aufstellung von sieben unterschiedlichen Fahrzeugen erfolgten bei dem Antragsgegner im Zeitraum 2019 bis 2022 insgesamt zwölf Anzeigen nach § 21 Abs. 1 ProstSchG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>§ 21 ProstSchG lautet auszugsweise:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">(1) Wer ein Prostitutionsfahrzeug an mehr als zwei aufeinanderfolgenden Tagen oder mehrmals in einem Monat im örtlichen Zuständigkeitsbereich einer Behörde zum Betrieb aufstellen will, hat dies der zuständigen Behörde zwei Wochen vor der Aufstellung anzuzeigen. Der Anzeige sind die folgenden Angaben und Nachweise beizufügen:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. der Vor- und Nachname des Fahrzeughalters und der vollständige Name des Betreibers des Prostitutionsfahrzeugs,<br>[…]<br>3.das Kraftfahrzeug- oder Schiffskennzeichen des Prostitutionsfahrzeugs,<br>4.die genaue Angabe des Aufstellungsortes,<br>5.die Dauer der Aufstellung, […]</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">(2) Prostitutionsfahrzeuge dürfen nur in der Weise zum Betrieb aufgestellt werden, dass sie nach dem Betriebsort und nach den Betriebszeiten den Anforderungen genügen</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. zum Schutz der im Prostitutionsfahrzeug tätigen Prostituierten sowie der Kundinnen und Kunden,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">2. zum Schutz der Jugend und3. zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner, der Anlieger oder der Allgemeinheit.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">(3) Die zuständige Behörde prüft nach Erstattung der Anzeige, ob die Aufstellung gegen die Voraussetzungen des § 14 Absatz 2 verstößt. Die zuständige Behörde kann unter den Voraussetzungen des § 17 Absatz 1 Satz 1 jederzeit Anordnungen für die Aufstellung des Prostitutionsfahrzeugs und dessen Betrieb erlassen. […]</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>In § 14 Abs. 2 ProstSchG sind Gründe für die Versagung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG geregelt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner setzte für die Prüfung der Anzeigen mit insgesamt zwölf Kostenbescheiden Gebühren in Höhe von jeweils 70,00 EUR, insgesamt 840,00 EUR, gegenüber der Antragstellerin fest:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><table border="1" class="Rsp"> <tr><th colspan="2" rowspan="1"></th></tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> Fahrzeug</p></td> <td colspan="3" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> Bescheide vom</p></td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 23.6.2022</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 15.6.2022</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 15.6.2022</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 27.6.2022<br>(Standort ... I)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 27.6.2022<br>(... I)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 27.6.2022<br>( ... II)</p></td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 15.6.2022<br>(Aufstellung ab 17.6.2019)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 15.6.2022<br>(Aufstellung ab 12.7.2021)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 27.6.2022</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> ...   </p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 23.6.2022<br>(Standort ... III)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 23.6.2022<br>(Aufstellung ab 17.6.2019)</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"> 23.6.2022<br>(Aufstellung ab 15.9.2021)</p></td> </tr> </table></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf Tarifnummer 70.10 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen (Allgemeine Gebührenordnung – AllGO –) sowie §§ 1, 5 Niedersächsisches Verwaltungskostengesetz (NVwKostG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Ziffer 70 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO lautet auszugsweise;</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">70 Prostituiertenschutzgesetz vom 21. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2372)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">[…]</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">70.10 Untersagung nach § 20 Abs. 4 oder 5</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">nach Zeitaufwand, jedoch mindestens 70 EUR</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">70.11 Prüfung einer Anzeige nach § 21 Abs. 3 Satz 1 oder Anordnung nach § 21 Abs. 3 Satz 2</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">nach Zeitaufwand, jedoch mindestens 70 EUR</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Darüber hinaus enthalten die Kostenbescheide vor der Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Zusatz:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">„Leider wurde mir bis zum heutigen Tag keine Erlaubnis von dem Grundstückseigentümer über diesen Platz eingereicht. Zukünftig können Bescheinigungen für die Aufstellung eines Fahrzeuges nur ausgestellt werden, wenn von dem Grundstückseigentümer eine Erlaubnis zum Nutzen der Standfläche erteilt wurde.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>bzw.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">„Am … haben Sie die erneute Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG für dieses Fahrzeug beantragt. Derzeit befindet sich die Erlaubniserteilung im laufenden Verfahren. Ich gebe zu beachten, dass bei einer erneuten Erlaubniserteilung, eine erneute Aufstellanzeige zu stellen ist. Diese bedarf für die Zukunft einer schriftlichen Erlaubnis des Grundstückseigentümers auf dem das Fahrzeug von Ihnen abgestellt wird. Ohne einer solchen erforderlichen Erlaubnis kann zukünftig keine Bescheinigung zum Aufstellen des Fahrzeuges aufgestellt werden.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>bzw.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">„Am … haben Sie die erneute Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG für dieses Fahrzeug beantragt. Derzeit befindet sich die Erlaubniserteilung im laufenden Verfahren. Ich gebe zu beachten, dass bei einer erneuten Erlaubniserteilung, auch eine erneute Aufstellanzeige für das Fahrzeug auf dem jeweiligen Aufstellplatz zu stellen ist. Darüber hinaus wurde mir bis zu dem heutigen Tag keine Erlaubnis des Grundstückseigentümers des von Ihnen unter der Bezeichnung … genannten Aufstellplatzes eingereicht. Zukünftig kann Ihnen keine Bescheinigung über die Aufstellanzeige ohne erforderliche Erlaubnis des Grundstückseigentümers ausgestellt werden.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin hat am 12. Juli 2022 Anfechtungsklage gegen die Bescheide vom 15. Juni 2022, vom 23. Juni 2022 und vom 27. Juni 2022 erhoben (3 A 189/22) und den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Die Antragstellerin rügt, die in den Kostenbescheiden genannte Tarifnummer sei nicht einschlägig. Zudem widerspreche der abgerechnete Mindestaufwand dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit und dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Bei der Bearbeitung und Prüfung der Anzeigen handele es sich um Routinemaßnahmen; insbesondere bei wiederholten Anzeigen für identische Fahrzeuge sei der Aufwand des Antragsgegners erheblich reduziert und liege bei höchstens 5 bis 10 Minuten. Der Antragsgegner weise den tatsächlichen Zeiteinsatz auch nicht substantiiert und prüffähig nach. Die Anforderung von Erlaubnissen zur Nutzung der jeweiligen Standflächen sei zudem rechtswidrig und daher aufzuheben. Eine Rechtsgrundlage hierfür sei nicht ersichtlich, der Prüfungsumfang der Behörde beschränke sich auf die Anzeige nach § 21 ProstSchG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die aufschiebende Wirkung der Klage (3 A 189/22) gegen die Kostenbescheide des Antragsgegners vom 15. Juni 2022, vom 23. Juni 2022 und vom 27. Juni 2022</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">sowie gegen die Anordnung der Vorlage von Erlaubnissen zur Nutzung der Standflächen zum Aufstellen von Prostitutionsfahrzeugen mit diesen Bescheiden anzuordnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner macht geltend, dass vor der Anrufung des Gerichts kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO gestellt worden sei und der Antrag daher bereits unzulässig sei. Eine Vollstreckung drohe auch nicht. Die Kostenfestsetzung sei im Übrigen auch rechtmäßig, da der Normgeber den Aufwand im Hinblick auf die Komplexität des Prüfungsverfahrens in zulässiger und auch angemessener Weise pauschaliert habe. Hinsichtlich einer möglichen Anordnung der Vorlage von Erlaubnissen ergebe sich die aufschiebende Wirkung bereits aus § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Jedenfalls handele es sich insoweit nur um einen Hinweis, dem keine Regelungswirkung zukomme.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt">II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Der Antrag ist bereits unzulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Gebührenbescheide des Antragsgegners ist nach § 80 Abs. 6 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unzulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, zu denen die Festsetzung und Anforderung einer Gebühr nach dem Niedersächsischen Verwaltungskostengesetz i. V. m. der Allgemeinen Gebührenordnung gehört, nur zulässig, wenn die Behörde zuvor einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat. Nach § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO gilt das nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (Nr. 1) oder eine Vollstreckung droht (Nr. 2). Die in § 80 Abs. 6 VwGO getroffene Regelung begründet eine Zugangsvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht gegeben sein muss und im Verlaufe eines Eilverfahrens nicht nachgeholt werden kann. Einem Antragsteller steht aber die Möglichkeit offen, gegebenenfalls später ein weiteres gerichtliches Verfahren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.7.2009 - 4 ME 163/09 -, juris Rn. 3 ff.; Beschl. v. 30.1.2008 - 1 ME 270/07 -, juris Rn. 4; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 25.6.2004 - 1 M 127/04 -, juris Rn. 15).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Vorstehende – nach Stellung des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht nicht mehr nachholbare – Zugangsvoraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil die Antragstellerin vor der Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO beim Gericht keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin gestellt hat. Mit Schriftsatz vom 10. August 2022 hat der Antragsgegner angegeben, dass ein entsprechender Antrag bei ihm bislang nicht gestellt worden sei. Die Antragstellerin ist dem nicht entgegengetreten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch nicht trotz des Fehlens der Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ausnahmsweise zulässig, weil eine Vollstreckung droht. Eine Vollstreckung droht im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO erst dann, wenn der Beginn konkreter Vollstreckungsmaßnahmen von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt worden ist, konkrete Vorbereitungen der Behörde für eine alsbaldige Vollstreckung getroffen worden sind oder die Vollstreckung bereits begonnen hat (Nds. OVG, Beschl. v. 9.7.2009 - 4 ME 163/09 -, juris Rn. 5 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Antragsgegner hat weder konkrete Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt, noch sind konkrete Vorbereitungen des Antragsgegners für eine alsbaldige Vollstreckung vorgetragen oder ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass der Antrag auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Die Anordnung soll entsprechend § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bei der Anforderung öffentlicher Abgaben erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Für letzteres sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO liegen ebenfalls nicht vor. Dies ist nur dann der Fall, wenn auf Grundlage der im vorläufigen Rechtschutzverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 22.3.2007 - 9 ME 84/07 -, juris Rn. 6), d.h. wenn der Bescheid nach überschlägiger Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Aufwändige Tatsachenfeststellungen und die Klärung schwieriger Rechtsfragen unterbleiben im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das Eilverfahren soll das Hauptsacheverfahren nicht ersetzen. Ist die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides nach überschlägiger Prüfung lediglich offen, weil sie sich ohne Klärung schwieriger Tatsachen- oder Rechtsfragen nicht beantworten lässt, genügt das für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2017 - OVG 9 S 12.17 -, juris Rn. 3; vgl. zur Inzidentkontrolle von Satzungsbestimmungen: Nds. OVG, Beschl. v. 22.3.2007 - 9 ME 84/07 -, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Vorliegend ist ein Erfolg der Klage in der Hauptsache nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Rechtsgrundlage für die Erhebung von Gebühren für die Prüfung einer Anzeige nach § 21 Abs. 3 Satz 1 ProstSchG sind §§ 1, 3, 5, 6 NVwKostG i. V.m. Ziffer 70.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO. Danach wird eine Gebühr nach Zeitaufwand, jedoch mindestens in Höhe von 70,00 EUR erhoben. Dass der Antragsgegner in den streitgegenständlichen Bescheiden jeweils – unzutreffend – die Gebührenziffer 70.10 zitiert hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Gebührenfestsetzung. Die streitgegenständlichen Gebührenfestsetzungen in Höhe von jeweils 70,00 EUR können vorliegend auf die zutreffende Rechtsgrundlage der Ziffer 70.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO gestützt werden. Bei Abgabenbescheiden, die - wie die streitgegenständlichen Gebührenbescheide - eine durch das materielle Recht begründete Abgabenpflicht (vgl. § 6 Abs. 1 NVwKostG) deklaratorisch festsetzen, prüft das Gericht alle rechtlichen Begründungen und Tatsachen, die die angefochtene Festsetzung zu rechtfertigen vermögen. Das schließt – bis zur Grenze der Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides – die Berücksichtigung auch solcher Rechtsgründe und Tatsachen ein, die die Verwaltungsbehörde zur Begründung des Bescheids nicht (ausdrücklich) angeführt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1.1982 - 8 C 12.81 -, juris Rn. 12). Die Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Festsetzungen ist nach Maßgabe dessen vorliegend auszutauschen, die Bescheide können auf Ziffer 70.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO gestützt werden. Sowohl bei der Gebühr nach Ziffer 70.10 als auch bei der Gebühr nach Ziffer 70.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO handelt es ich um eine Zeitgebühr, deren Höhe sich nach der Dauer der Amtshandlung bemisst. In beiden Fällen liegt die untere Grenze der Gebührenfestsetzung bei einer Mindestgebühr in Höhe von 70,00 EUR. Eine Wesensänderung der angefochtenen Bescheide liegt nicht vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Auch die von der Antragstellerin erhobenen Einwände gegen die normative Bestimmung einer Mindestgebühr in Höhe von 70,00 EUR durch Ziffer 70.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO greifen voraussichtlich nicht durch. Mindestgebühren, mit denen ein typischer Aufwand pauschaliert beziffert wird, sind aus Gründen der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich zulässig. Dem Normgeber ist insoweit ein weitreichender Gestaltungsspielraum eröffnet. Die normative Typisierung darf allerdings keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 20.12.2017 - 13 LC 161/15 -, juris Rn. 147). Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber bei der Bemessung der Mindestgebühr und der damit einhergehenden Pauschalierung die Grenzen der zulässigen Pauschalierung überschritten hätte, liegen unter Berücksichtigung der Darlegungen des Antragsgegners zum zeitlichen Umfang der Prüfung und Bearbeitung der Anzeigen nach § 21 Abs. 1 ProstSchG jedoch nicht vor. Es ist voraussichtlich nicht davon auszugehen, dass das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip als Ausdruck der Abgabengerechtigkeit verletzt ist oder ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Zu beachten ist insoweit auch, dass das grundsätzlich zu beachtende Kostendeckungsprinzip keinen festen, den landesrechtlichen Verordnungsgeber bindenden Inhalt hat, sondern der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Normgebers unterliegt. Der Verordnungsgeber in Niedersachsen ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NVwKostG insoweit nur an das sog. generelle Kostendeckungsprinzip gebunden. Das Kostenüberschreitungsverbot des § 3 Abs. 2 Satz 1 NVwKostG bezieht sich nämlich nicht auf die Gebührenbemessung im Einzelfall, sondern auf die Gesamtheit der Gebührenerhebungen im jeweiligen Verwaltungszweig (Nds. OVG, Beschl. v. 17.10.2008 - 4 LA 661/07 -, juris Rn. 6). Die Höhe einer Mindestgebühr darf daher den im Einzelfall entstehenden Verwaltungsaufwand überschreiten (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.4.2009 - 8 LA 34/09 -, juris Rn. 8).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p>Weiterhin musste der Antragsgegner – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – den konkreten zeitlichen Umfang der Prüfung der Anzeigen der Antragstellerin gerade nicht nachweisen. Bei der Zeitgebühr, die sich nach der tatsächlichen Dauer der Amtshandlung oder der Dauer, die für die bewirkte Verwaltungsleistung aufgewendet werden muss, bemisst, wird zwar der tatsächliche Personal- und Sachaufwand abgerechnet; sie steht unter dem Leitgedanken der präzisen Kostendeckung (vgl. Loeser/Barthel, NVwKostG, Stand: Februar 2016, Einführung Anm. 4.2.3.2.1 [n]). Da die Festsetzung vorliegend jedoch jeweils in Höhe der Mindestgebühr erfolgt ist, ist insoweit wie dargelegt eine zulässige Pauschalierung erfolgt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>2. Der Eilantrag ist auch unzulässig, soweit sich die Antragstellerin in der Hauptsache gegen die jeweiligen Zusätze in den Bescheiden zur Vorlage von Erlaubnissen der Grundeigentümer wendet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>Die aufschiebende Wirkung kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nur im Fall einer Anfechtungsklage angeordnet oder wiederhergestellt werden. Bei den genannten Zusätzen handelt es sich jedoch nicht um anfechtbare Verwaltungsakte i. S. d. § 35 Verwaltungsverfahrengesetz (VwVfG). Es ist nicht ersichtlich, dass diesen Zusätzen eine Regelungswirkung zukommt. Nach der Stellung am Ende des Kostenbescheides sowie der Formulierung handelt es sich vielmehr jeweils um einen bloßen Hinweis auf eine beabsichtigte zukünftige Verfahrensweise des Antragsgegners.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p>Selbst wenn es sich um Verwaltungsakte handelte, würde eine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfalten. Einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes fehlt es daher jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis. Dass eine faktische Vollziehung durch den Antragsgegner unter Missachtung der Wirkungen des § 80 Abs. 1 VwGO in der Form vorläge oder unmittelbar drohte, dass er sich auf die seiner Ansicht nach bestehende Wirksamkeit der Regelung beruft und hieraus bereits Rechtsfolgen ableitet, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_51">51</a></dt> <dd><p>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.1.1, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, S. 11).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_52">52</a></dt> <dd><p>Die den Bescheiden beigefügten Hinweise betreffen nicht die Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG, so dass Ziffer 54 des Streitwertkatalogs (vgl. etwa OVG B-Stadt, Beschl. v. 14.7.2022 - 2 B 79/22 -, juris) nicht heranzuziehen ist. Der danach anzusetzende Auffangstreitwert nach § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu 1/2 zu berücksichtigen. Eine Addition für jeden streitgegenständlichen Bescheid nach § 39 Abs. 1 GKG unterbleibt jedoch. Den allgemein gehaltenen Hinweisen auf die Erforderlichkeit einer Genehmigung des jeweiligen Grundstückseigentümers kommt mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf den jeweils von der Anzeige betroffenen Standort keine selbständige Bedeutung für jeden dieser Standorte zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE220032400&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
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{ "id": 286, "name": "Verwaltungsgericht Ansbach", "slug": "vg-ansbach", "city": 115, "state": 4, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
AN 9 S 22.01489
2022-08-17T00:00:00
2022-09-03T10:01:55
2022-10-17T11:09:45
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <div> <p>1. Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.</p> <p>3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p>I.</p> <p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Nachfristsetzung sowie die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 40.000,00 Euro durch die Antragsgegnerin und begehrt die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den entsprechenden Bescheid vom 6. Mai 2022.</p> <p><rd nr="2"/>Streitgegenständlich ist die vonseiten der Antragstellerin auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, (…, … …) ausgeübte Nutzung, welche vonseiten der Antragsgegnerin als Wettbüro, vonseiten der Antragstellerin aktuell nur noch als Wettannahmestelle beurteilt wird.</p> <p><rd nr="3"/>Mit Bescheid vom 29. Juni 2018 (im Folgenden: Grundbescheid) versagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Ladens in ein Wettbüro für das streitgegenständliche Grundstück FlNr. …, Gemarkung … (Ziffer 1 des Grundbescheids). Zugleich untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Nutzung der streitgegenständlichen Räumlichkeiten als Wettbüro und ordnete an, die Nutzung als Wettbüro innerhalb von drei Tagen ab Zustellung des Bescheides einzustellen (Ziffer 2 des Grundbescheides). Die Antragsgegnerin ordnete im Grundbescheid zudem die sofortige Vollziehbarkeit dieser Nutzungsuntersagung an. Für den Fall der Nichteinhaltung der Nutzungsuntersagung wurde der Antragstellerin im Grundbescheid ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 Euro angedroht. Die gegen diesen Grundbescheid gerichtete Anfechtungsklage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Mai 2020 (AN 9 K 18.01338) abgewiesen. Das Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig geworden.</p> <p><rd nr="4"/>Mit weiterem Bescheid vom 8. April 2019 bestimmte die Antragsgegnerin eine Nachfrist von drei Tagen, innerhalb derer die Antragstellerin die Nutzungsuntersagung aus dem Grundbescheid vom 29. Juni 2018 zu erfüllen habe. Zugleich drohte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für den Fall der Nichteinhaltung der Nutzungsuntersagung ein Zwangsgeld in Höhe von 30.000,00 Euro an. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Februar 2021 (AN 9 K 19.00945) abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 zurückgenommen, sodass auch dieses Urteil zwischenzeitlich rechtskräftig geworden ist.</p> <p><rd nr="5"/>Im Rahmen einer Baukontrolle vom 8. Februar 2022 wurde durch die Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin festgestellt, dass - so meint die Antragsgegnerin - das Wettbüro weiterhin in Betrieb sei. Am 21. Februar 2022 wurden Lichtbilder durch die Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin gefertigt, wonach - nach Auffassung der Antragsgegnerin - in den Räumlichkeiten diverse Bildschirme mit der Übertragung von Livewetten erkennbar seien. Ein Auszug aus dem Gewerberegister vom 6. Mai 2022 habe zudem ergeben, dass die Antragstellerin weiterhin unter anderem mit der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Vermittlung von Geschäften aller Art, insbesondere von Sportwetten und Service für Automatenspielgeräte im Gewerberegister eingetragen sei.</p> <p><rd nr="6"/>Daraufhin erließ die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Mai 2022, welcher ausweislich ihrer Ausführungen der Antragstellerin am 13. Mai 2022 zugestellt wurde. Anhaltspunkte für einen abweichenden Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides finden sich nicht in den Behördenakten sowie der Gerichtsakte.</p> <p><rd nr="7"/>Im streitgegenständlichen Bescheid heißt es wie folgt:</p> <p>„Die Bauordnungsbehörde der Stadt … erlässt gegenüber der Fa. … UG (haftungsbeschränkt), vertreten durch die Geschäftsführerin Frau … … folgenden Bescheid:</p> <p>1. Zur Erfüllung der Anordnung Nr. 2 des unanfechtbaren Bescheides vom 29.06.2018, Az. … wird eine Nachfrist von einem Monat ab Zustellung dieses Bescheides bestimmt.</p> <p>2. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist wird ein Zwangsgeld in Höhe von 40.000,00 EUR angedroht. Dieser Betrag wird nach ungenutztem Ablauf der in Nr. 1 gestellten Frist zur Zahlung fällig, ohne dass es eines weiteren Verwaltungsakts bedarf. Zur Zahlung ist die Fa. … UG (haftungsbeschränkt), vertreten durch die Geschäftsführerin Frau … … verpflichtet.</p> <p>3. Die Nummer 1 dieses Bescheides in Verbindung mit der unter Nummer 2 ausgesprochenen Zwangsgeldandrohung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar.“</p> <p><rd nr="8"/>Der Bescheid wird unter anderem damit begründet, dass die Nutzung als Wettbüro laut Anmeldung im Gewerberegister der Stadt … nach wie vor durch die Antragstellerin ausgeführt werde. Bei einer Ortseinsicht am 8. Februar 2022 durch die Bauordnungsbehörde der Antragsgegnerin sei festgestellt worden, dass das Wettbüro weiterhin betrieben werde. Im Eingangsbereich seien Werbeanlagen in Form von Schaufenster- und Türbeklebungen mit der Aufschrift „…“ angebracht gewesen. Das Wettbüro sei mit mehreren Flachbildschirmen, Wettautomaten, einem Kassenbereich sowie Tischen und Stühlen ausgestattet. Auf den Tischen seien Wettscheine ausgelegt gewesen. Da die Bauordnungsbehörde aufgrund gesetzlicher Bestimmungen dazu verpflichtet sei, die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften sowie ergangener Anordnungen zu überwachen, müsse vorliegend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, die Nutzungsuntersagung mit Zwangsmitteln zu vollstrecken. Das angedrohte Zwangsmittel stehe in angemessenem Verhältnis zu seinem Zweck und könne so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt sei. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes sei dem Zweck, die Durchsetzung eines Verwaltungsakts zu erreichen, angemessen, weil die vorausgehenden Zwangsgeldandrohungen erfolglos geblieben seien.</p> <p><rd nr="9"/>Mit Schreiben vom 13. Juni 2022, eingegangen bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und beantragte im Hauptsacheverfahren sinngemäß den Bescheid aufzuheben.</p> <p><rd nr="10"/>Mit Schriftsatz vom 8. August 2022 führte die Antragstellerin zur Begründung ihrer Klage aus, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 6. Mai 2022 rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Einwendungen könnten von der Antragstellerin vorliegend auch gegen den Grundbescheid selbst vorgebracht werden, da die Antragsgegnerin die Nachfrist und Zwangsgeldandrohung mit dem Grundbescheid vom 29. Juni 2018 verknüpft habe. Das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 40.000,00 EUR sei unangemessen hoch und berücksichtige die schwierige wirtschaftliche Lage der Antragstellerin in keiner Weise. Die Höhe des Zwangsgelds berücksichtige nicht die erheblichen Auswirkungen der COVID-Pandemie auf den Betrieb und übersteige die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragstellerin. Bei der Höhe des Zwangsgeldes sei der Antragsgegnerin zudem ein Ermittlungsdefizit unterlaufen, da ihr bereits aus dem Schriftsatz des ehemaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 4. November 2021 zu einem vorangegangenen Zwangsgeld die schwierige wirtschaftliche Lage der Antragstellerin bekannt gewesen hätte sein müssen. Auch bei dem zweiten Zwangsgeld in Höhe von 30.000,00 EUR habe die Antragsgegnerin das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin völlig missachtet und während Gesprächen zu einer etwaigen Stundung des Zwangsgeldes der Antragstellerin einen behördlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. Dies zeige auch für die streitgegenständliche Androhung eines Zwangsgeldes von 40.000,00 EUR, dass der Antragsgegnerin die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht bewusst seien.</p> <p><rd nr="11"/>Zudem sei die Antragsgegnerin im Rahmen der Ermessensausübung von unzutreffenden Umständen ausgegangen, da sie den streitgegenständlichen Bescheid aufgrund einer Ortskontrolle vom 8. Februar 2022 erlassen habe. Die dortigen Feststellungen seien aber überholt, da die Antragstellerin ihren Betrieb mittlerweile von dem untersagten Wettbüro auf eine zulässige Wettannahmestelle umgestellt habe. Die Antragstellerin habe durch die Entfernung sämtlicher Verweilmöglichkeiten (Tische, Stühle, etc.) und Unterhaltungseinrichtungen (Fernsehbildschirme) das vormalige Wettbüro in eine reine Wettannahmestelle umgewandelt. Eine solche Wettannahmestelle sei im Geltungsbereich des einschlägigen Bebauungsplans Nr. … zulässig und finde sich auch bereits in direkter Nachbarschaft der streitgegenständlichen Räumlichkeiten. Die Antragsgegnerin habe die Nutzungsuntersagung aus dem Jahr 2018 auch nicht hinreichend auf ihre Befolgung durch die Antragstellerin überprüft. Alleine die Ortskontrolle vom 8. Februar 2022 genüge nicht für die Feststellung, dass gegen die Nutzungsuntersagung verstoßen worden sei. Dies gelte insbesondere, da die Antragsgegnerin bei der Kontrolle nur das Vorliegen von Sitzgelegenheiten und TV-Bildschirmen festgestellt habe, welche bloße Indizien für ein Wettbüro seien. Das maßgebliche Abgrenzungskriterium, die Vermittlung von Live-Wetten, habe die Antragsgegnerin hingegen nicht festgestellt.</p> <p><rd nr="12"/>Zudem habe das streitgegenständliche Zwangsgeld nicht angedroht werden dürfen, da die vorausgegangenen Androhungen von Zwangsgeldern nicht nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG erfolglos geblieben seien. Vielmehr habe die Antragstellerin gerade den untersagten Betrieb eines Wettbüros eingestellt, sodass nicht von einer Erfolglosigkeit der vorangegangenen Zwangsgeldandrohungen ausgegangen werden könne.</p> <p><rd nr="13"/>Abschließend sei die zur Erfüllung der Verpflichtung gesetzte Nachfrist unangemessen kurz, da der Antragstellerin zumindest genügend Zeit zum Umzug ihres Betriebs hätte eingeräumt werden müsse, was bei einer Frist von nur einem Monat nicht der Fall sei.</p> <p><rd nr="14"/>Eine Klageerwiderung der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren steht noch aus.</p> <p><rd nr="15"/>Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2022 beantragte die Antragstellerin,</p> <p>die aufschiebende Wirkung der am 13.06.2022 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.05.2022 - Az.: … anzuordnen.</p> <p><rd nr="16"/>Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2022 beantragte die Antragsgegnerin sinngemäß, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuweisen.</p> <p><rd nr="17"/>Zur Begründung ihres Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung führt die Antragstellerin aus, dass die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei, da der streitgegenständliche Bescheid aufgrund summarischer Prüfung aller Voraussicht nach rechtswidrig sei und die Antragstellerin damit in ihren Rechten verletze. Im Übrigen wiederholt die Antragstellerin ihren Sachvortrag sowie die rechtlichen Ausführungen aus dem Hauptsacheverfahren.</p> <p><rd nr="18"/>Die Antragsgegnerin begründet ihren Antrag im einstweiligen Rechtsschutz damit, dass im Hinblick auf die Androhung des Zwangsgeldes das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, was sich insbesondere aus der Rechtmäßigkeit der isolierten Zwangsgeldandrohung im streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Mai 2022 ergebe. Einwendungen gegen den unanfechtbaren Grundbescheid seien nach Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die Zwangsgeldandrohung selbst liege aber nicht vor. Die Antragstellerin habe eine, in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt angeordnete, Pflicht nicht rechtzeitig erfüllt. Die sich in den Akten befindlichen Lichtbildaufnahmen zeigten, dass die Antragstellerin Livewetten anbiete. Der Auszug aus dem Gewerberegister bestätige die Nutzung der Räumlichkeiten als Wettbüro. Dies werde auch nachvollziehbar in der Sachverhaltsdarstellung des streitgegenständlichen Bescheids dargelegt.</p> <p><rd nr="19"/>Auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes sei nicht zu beanstanden, da dieses in der Lage sein müsse, den Pflichtigen zur Vornahme der Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bewegen. Die in der Vergangenheit angedrohten Zwangsgelder in Höhe von 20.000,00 und 30.000,00 Euro hätten keine Wirkung gezeigt. Auch habe es die Antragstellerin selbst in der Hand gehabt, der Zahlungsverpflichtung durch die Einstellung der rechtswidrigen Nutzung zu entgehen.</p> <p><rd nr="20"/>Aufgrund richterlichen Hinweises vom 29. Juli 2022 führte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 8. August 2022 ergänzend aus. Die Bauordnungsbehörde der Antragsgegnerin habe am 1. und 4. August 2022 Ortseinsichten durchgeführt. Hierbei sei festgestellt worden, dass in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten zwei Reihen von Bildschirmen angebracht seien, von denen die obere Reihe aktuelle Wettquoten angezeigt habe. Auch Sitzgelegenheiten seien weiterhin vorhanden gewesen, sie wären lediglich an die Wand geschoben und mit einem rotweißen Flatterband umwickelt worden. Dem Schriftsatz vom 8. August 2022 waren Lichtbilder beigelegt, welche auf den 1. August 2022 datieren. Die Lichtbilder auf den Seiten 66 und 67 der Gerichtsakte zeigen zwei Reihen von Bildschirmen, wobei die obere Reihe Wettquoten darstellt, sowie zusammengeschobene Sitzgelegenheiten.</p> <p><rd nr="21"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Behördenakten sowie auf die Gerichtsakten (auch AN 9 K 22.01490) verwiesen.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="22"/>Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p> <p><rd nr="23"/>Antragsgegenstand ist der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2022.</p> <p><rd nr="24"/>Hingegen ist davon auszugehen, dass die „Zwangsgeldfestsetzung als Fälligkeitsmitteilung“ vom 6. Mai 2022, welche der Antragstellerin von der Antragsgegnerin ebenfalls übersandt wurde, nicht Gegenstand von Hauptsache- und Eilverfahren sein soll. Der Antragstellervertreter beantragt in der Hauptsache lediglich die Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2022 und im Eilverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Anfechtungsklage. Auch in seinen Ausführungen stellt der Antragstellervertreter nur auf die vermeintlich rechtswidrige Zwangsgeldandrohung sowie auf die vermeintlich unzulässige Höhe des Zwangsgelds von 40.000,00 Euro ab. Bei der „Zwangsgeldfestsetzung als Fälligkeitsmitteilung“ handelt es sich aber gerade nicht um einen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung mit einer Anfechtungsklage erreicht werden könnte. Es handelt sich vielmehr nur um den deklaratorischen Hinweis auf die kraft Gesetzes eingetretene Fälligkeit des vorangegangenen Zwangsgeldes in Höhe von 30.000,00 Euro.</p> <p><rd nr="25"/>1. Der Antrag ist zulässig, § 80 Abs. 5 VwGO</p> <p><rd nr="26"/>Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und Art. 21a Satz 1 VwZVG haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.</p> <p><rd nr="27"/>Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt, da sie als Adressatin des streitgegenständlichen Bescheides möglicherweise in ihren Rechten verletzt ist.</p> <p><rd nr="28"/>2. Der Antrag ist unbegründet.</p> <p><rd nr="29"/>Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.</p> <p><rd nr="30"/>Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht insbesondere zunächst die Erfolgsaussichten der Hauptsache als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, weil kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Eyermann, VwGO § 80 Rn. 88, 90 ff.; VG München, B.v. 18.03.2021 - M 9 S 21.1324).</p> <p><rd nr="31"/>Gemessen an diesen Maßstäben fällt die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung zulasten der Antragstellerin aus, weil die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 6. Mai 2022 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.</p> <p><rd nr="32"/>Die angefochtene Zwangsgeldandrohung erweist sich nämlich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <p><rd nr="33"/>Verwaltungsakte können vollstreckt werden, wenn die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (letztere betreffen das jeweils gewählte Zwangsmittel) gegeben sind und keine Vollstreckungshindernisse vorliegen (VG München, B.v. 16.12.2021 - M 8 S 21.4615). Die vorliegende Zwangsgeldandrohung stützt sich hierbei rechtmäßigerweise auf Art. 37 Abs. 1, Art. 36, Art. 31 und Art. 19 VwZVG.</p> <p><rd nr="34"/>a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor.</p> <p><rd nr="35"/>(1) Bei der im Grundbescheid vom 29. Juni 2018 unter Ziffer 2 angeordneten Nutzungsuntersagung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, mit welchem die Klägerin zu einem Unterlassen - namentlich dem Unterlassen der rechtswidrigen Nutzung - angehalten werden soll (Art. 18 Abs. 1, Art. 19, Art. 29 Abs. 1 VwZVG).</p> <p><rd nr="36"/>(2) Diese im Grundbescheid angeordnete Nutzungsuntersagung kann nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angegriffen werden, da der Grundbescheid bestandskräftig geworden ist (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG). Über die Bestandskraft des Bescheides sind sich auch die Beteiligten einig.</p> <p><rd nr="37"/>Diesbezüglich kann auch der Vortrag des Antragstellervertreters nicht verfangen, die Antragsgegnerin habe das streitgegenständliche Zwangsgeld mit dem Grundbescheid vom 29. Juni 2018 verknüpft, sodass nunmehr auch der Grundbescheid angegriffen werden könne. Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid lediglich eine Nachfrist für die Erfüllung der damaligen Nutzungsuntersagung gesetzt und für den Fall der Nichteinhaltung der Frist ein Zwangsgeld angedroht. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Fristsetzung ist gerade eine gesetzliche Voraussetzung, welche Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG für die Androhung von Zwangsmitteln normiert. Was die vom Antragstellervertreter angeführte, vermeintliche Verknüpfung der streitgegenständlichen Frist mit dem Grundbescheid an dessen Bestandskraft ändern soll, ist dem Gericht nicht ersichtlich.</p> <p><rd nr="38"/>(3) Ob der Grundbescheid - hier die Nutzungsuntersagung vom 29. Juni 2018 - rechtmäßig ist, spielt im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich keine Rolle. Entscheidend ist allein, dass der der Vollstreckung zugrundeliegende Verwaltungsakt wirksam (Art. 43 BayVwVfG) und vollstreckbar ist (Art. 19 Abs. 1 VwZVG).</p> <p><rd nr="39"/>An der Wirksamkeit des Grundbescheids bestehen vorliegend keine Zweifel. Entgegen der Auffassung des Antragstellervertreters ist der Grundbescheid insbesondere nicht nichtig.</p> <p><rd nr="40"/>Nichtig ist ein Verwaltungsakt nach Art. 44 BayVwVfG unter anderem dann, wenn er unter einem besonders schweren Fehler leidet, welcher offensichtlich ist (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG), oder wenn den Verwaltungsakt aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann (Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG).</p> <p><rd nr="41"/>Das Vorbringen des Antragstellervertreters zum vermeintlichen Unvermögen der Antragstellerin, Stellplätze auf ihrem in einer Fußgängerzone befindlichen Grundstück zu errichten, kann weder eine Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG, noch eine Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG begründen.</p> <p><rd nr="42"/>Es ist dem Gericht bereits nicht ersichtlich, wie eine öffentlich-rechtliche Anforderung, welche wohl auch Grund für die damals von der Antragsgegnerin angenommene materielle Baurechtswidrigkeit des Wettbüros war, zur Nichtigkeit der Nutzungsuntersagung im Grundbescheid führen soll. Die Baugenehmigung wurde im Grundbescheid seinerzeit aufgrund eines Verstoßes des geplanten Wettbüros gegen die einschlägige Sanierungssatzung der Antragsgegnerin versagt. Auch die Nutzungsuntersagung wurde im Grundbescheid auf diese bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit sowie auf die formelle Baurechtswidrigkeit der Nutzung gestützt.</p> <p><rd nr="43"/>Darüber hinaus leidet die Forderung zur Errichtung von Stellplätzen auch nicht an einem besonders schwerwiegenden, offensichtlichen Fehler, wie es Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG für eine Nichtigkeit erfordert. Die gesetzliche Stellplatzpflicht nach Art. 47 BayBO besteht namentlich auch für bauliche und andere Anlagen, die nicht unmittelbar an Verkehrsflächen, die uneingeschränkt befahrbar sind, liegen. Dies sind z. B. Wohnsowie Geschäfts- und Verwaltungsgebäude in Fußgängerzonen, die nur beschränkt, etwa für den Anlieger- und Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten mit Kraftfahrzeugen befahrbar sind (VGH Mannheim, U.v. 27.04.1983 - 3 S 34/83). Das Gesetz stellt in Art. 47 Abs. 1 BayBO für die Stellplatzpflicht nur darauf ab, ob durch Anlagen oder ihre Nutzung ein Zu- und Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, nicht aber darauf, ob dieser wegen der Widmung der öffentlichen Verkehrsfläche zur Fußgängerzone hier auch tatsächlich ausgeübt werden kann (BayVGH, U.v. 06.05.1974 - 322 I 73; Busse/Kraus/Würfel, BayBO Art. 47 Rn. 99 f.).</p> <p><rd nr="44"/>Der Forderung zur Errichtung von Stellplätzen kann vorliegend auch grundsätzlich nachgekommen werden. Die Forderung ist nicht aus tatsächlichen Gründen nicht ausführbar im Sinne des Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG, da Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BayBO die Möglichkeit zur Herstellung der notwendigen Stellplätze in der Nähe des Baugrundstücks sowie die Möglichkeit zur Übernahme der Kosten für die Herstellung notwendiger Stellplätze durch Ablösungsvertrag vorsieht.</p> <p><rd nr="45"/>(4) Auch hat die Antragstellerin diese Pflicht zur Unterlassung der Nutzung der streitgegenständlichen Räumlichkeiten als Wettbüro zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht erfüllt, Art. 19 Abs. 2 VwZVG.</p> <p><rd nr="46"/>Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei allein, der Zeitpunkt der Zwangsgeldandrohung und Nachfristsetzung, d.h. der Erlass des streitgegenständlichen Bescheides am 6. Mai 2022. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Nutzungsuntersagung vonseiten der Antragstellerin nach Überzeugung des Gerichts nicht befolgt.</p> <p><rd nr="47"/>Nicht maßgeblich ist vorliegend hingegen der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung. Dieser wäre nur dann maßgeblich, wenn streitgegenständlich die Nutzungsuntersagung aus dem Grundbescheid wäre, da für Klagen gegen Nutzungsuntersagungen der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung bzw. letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist (OVG Münster, U.v. 19.12.1995 - 11 A 2734/93; Busse/Kraus/Decker, BayBO Art. 76 Rn. 294), was aufgrund der Hauptsacheakzessorietät des Eilverfahrens wohl auch für Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Nutzungsuntersagungen gilt (Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 414, 416 u. 418; Eyermann/Hoppe, VwGO § 80 Rn. 106). Streitgegenständlich ist vorliegend aber gerade nicht die Nutzungsuntersagung im Grundbescheid, sondern die Zwangsgeldandrohung, für welche auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen ist (so zutreffend auch OVG Münster, B.v. 24.01.2020 - 19 B 1361/19; VG München, B. v. 18.03.2021 - M 9 S 21.1324). Dies gilt auch deshalb, weil etwaige Änderungen der Sach- und Rechtslage, welche den zu vollstreckenden Anspruch selbst betreffen, in isolierten Vollstreckungsverfahren, wie dem vorliegenden, nicht mehr gehört werden sollen (vgl. ausführlich hierzu BayVGH, B.v. 19.02.2021 - 1 ZB 20.2691).</p> <p><rd nr="48"/>Zwar trug der Antragstellervertreter im Schriftsatz vom 13. Juni 2022 allgemein vor, dass die Antragstellerin die streitgegenständlichen Räumlichkeiten nicht mehr als Wettbüro nutze. Angaben dazu, seit wann diese Nutzung nicht mehr bestehe, machte der Antragstellervertreter allerdings nicht. Auch aus dem ergänzenden Vortrag des Antragstellervertreters vom 13. Juli 2022 ergibt sich nichts Anderes. Hier wurde zwar vorgetragen, wie die Nutzung als Wettbüro aufgegeben worden sein soll, namentlich durch das Herausnehmen der Bildschirme sowie Sitzgelegenheiten aus den streitgegenständlichen Räumlichkeiten. Aussagen dazu, ab wann diese vermeintliche Änderung der Nutzung erfolgt sei, geschweige denn, dass die Änderung der Nutzung bereits am maßgeblichen 6. Mai 2022 bestanden habe, bleibt der Antragstellervertreter aber schuldig.</p> <p><rd nr="49"/>Es bestehen für das Gericht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt vom 6. Mai 2022 die untersagte Nutzung eines Wettbüros durch die Antragstellerin nicht (mehr) ausgeübt wurde. Das Gegenteil ist nach Überzeugung des Gerichts vielmehr der Fall. Aufgrund der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 8. August 2022 wird der Vortrag der Antragstellerin, sie habe die untersagte Nutzung eines Wettbüros zwischenzeitlich aufgegeben, in Gänze als unglaubhaft bewertet. Die Antragsgegnerin hat aufgrund des gerichtlichen Hinweises vom 29. Juli 2022 am 1. sowie am 4. August 2022 Baukontrollen durchgeführt. Hierbei sei festgestellt worden, dass in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten zwei Reihen von Bildschirmen angebracht worden seien, von denen die obere Reihe aktuelle Wettquoten angezeigt habe. Auch Sitzgelegenheiten seien weiterhin vorhanden gewesen, sie wären lediglich an die Wand geschoben und mit einem rotweißen Flatterband umwickelt gewesen. Nach den zutreffenden Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist das Vorhandensein von Sitzgelegenheiten allerdings zwar ein Indiz, aber keine unabdingbare Voraussetzung für die Bejahung eines Wettbüros. Dass es an Sitzgelegenheiten fehlt, hindert nicht die Annahme eines Wettbüros (BayVGH, B.v. 21.05.2015 - 15 CS 15.9).</p> <p><rd nr="50"/>Das Gericht ist von diesen Ausführungen der Antragsgegnerin überzeugt. Die Ausführungen sind detailreich und durch Lichtbilder belegt. Die Lichtbilder auf den Seiten 66 und 67 der Gerichtsakte datieren auf den 1. August 2022 und zeigen zwei Reihen von Bildschirmen sowie die zusammengeschobenen Sitzgelegenheiten. Daher musste auch der Bitte des Antragstellervertreters um einen gerichtlichen Hinweis sowie um einen Augenschein zum Nachweis dafür, dass die Nutzung als Wettbüro vorliegend eingestellt wurde, nicht nachgegangen werden. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der hohen Missbrauchsgefahr und dem damit einhergehenden geringen Beweiswert, welcher im Rahmen eines solchen Nachweises bestehen würde. Für Lichtbilder der Antragstellerin oder einen gerichtlichen Augenschein könnten Bildschirme und Sitzgelegenheiten namentlich für nur wenige Stunden entfernt und sodann wieder in die streitgegenständlichen Räumlichkeiten zurückgestellt werden.</p> <p><rd nr="51"/>(5) Auch die Voraussetzungen des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG sind - entgegen der Auffassung des Antragstellervertreters - gewahrt.</p> <p><rd nr="52"/>Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG können Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Jedoch ist erst dann, wenn die vorausgegangene Androhung des Zwangsmittels (hier die vormaligen Androhungen der Zwangsgelder im Grundbescheid vom 29. Juni 2018 sowie im Bescheid vom 8. April 2019) erfolglos geblieben ist, die Androhung eines weiteren Zwangsgelds zulässig, Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG.</p> <p><rd nr="53"/>Dies bedeutet aber nicht, dass ein weiteres Zwangsgeld erst dann angedroht werden darf, wenn das vorher festgesetzte Zwangsgeld bezahlt bzw. beigetrieben oder ein Beitreibungsversuch gemacht worden ist. Die Zwangsvollstreckungsbehörde muss vielmehr nur abwarten, dass das angedrohte Zwangsgeld fällig geworden und die frühere Androhung ohne Erfolg geblieben ist (BayVGH, B.v. 29.07.2002 - 20 ZB 02.1265; VG München, B.v. 16.12.2021 - M 8 S 21.4615).</p> <p><rd nr="54"/>Anhaltspunkte dafür, dass die mit den bisherigen Bescheiden angedrohten Zwangsgeldern nicht fällig geworden sind, sind dem Gericht bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich. Insbesondere kann es nicht überzeugen, wenn der Antragstellervertreter meint, die vorangegangenen Zwangsgelder seien erfolgreich gewesen, da die Nutzung des Wettbüros zwischenzeitlich zu einer bloßen Wettannahmestelle umgestellt wurde. Denn das Gegenteil ist nach Überzeugung des Gerichts der Fall; die streitgegenständlichen Räumlichkeiten werden ausweislich der Lichtbilder vom 1. August 2022 weiterhin als Wettbüro genutzt.</p> <p><rd nr="55"/>b) Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen für die erneute Androhung eines Zwangsgeldes liegen vor.</p> <p><rd nr="56"/>Insbesondere sind entgegen der Auffassung des Antragstellervertreters weder die Höhe des Zwangsgeldes noch die der Antragstellerin gesetzte Frist zu beanstanden.</p> <p><rd nr="57"/>(1) Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG beträgt das Zwangsgeld mindestens 15,00 EUR und höchstens 50.000,00 EUR. Reicht das gesetzliche Höchstmaß nicht aus, so kann es überschritten werden (Art. 31 Abs. 2 Satz 3 VwZVG). Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG soll das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen, wobei nach Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen ist.</p> <p><rd nr="58"/>Angesichts des legitimen Ziels der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zur Einhaltung des materiellen Baurechts, insbesondere der Anordnung im Grundbescheid vom 29. Juni 2018 anzuhalten und baurechtswidrige Nutzungen in ihrem Stadtgebiet zu verhindern, ist das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 40.000,00 EUR nicht zu beanstanden. Hierfür spricht, dass bisherige Androhungen von Zwangsgeldern in Höhe von 20.000,00 EUR und 30.000,00 EUR keine Wirkung gezeigt haben, da die Antragstellerin die Nutzung des Wettbüros nach Überzeugung des Gerichts bis heute nicht aufgegeben hat.</p> <p><rd nr="59"/>Auch die Einwände des Antragstellervertreters, die Höhe des Zwangsgelds hätte die COVID-19-Beschränkungen für die Antragstellerin nicht berücksichtigt und würde deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigen, konnten das Gericht nicht vom Gegenteil überzeugen.</p> <p><rd nr="60"/>Um den nötigen Nachdruck zu erzielen, soll das Zwangsgeld so bemessen werden, dass der Pflichtige keinen Vorteil aus der Nichterfüllung der Anordnung ziehen kann. Hierbei steht der Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens ein weiter Entscheidungsspielraum zu, bei dem die Umstände des Einzelfalles und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 16.09.2010 - 1 CS 10.1803; VG München, B.v. 05.05.2014 - M 18 S 14.1867). Unter Berücksichtigung dieses weiten Entscheidungsspielraums erscheint das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 40.000,00 EUR nach summarischer Prüfung nicht als unangemessen. Hierbei ist auch maßgeblich, dass - wie die Antragsgegnerseite zu Recht anführt - die Zwangsgeldandrohung nicht in jedem Fall in eine Zahlungsverpflichtung umschlägt, sondern nur dann, wenn der Pflichtige der jeweiligen Anordnung nicht nachkommt. Ob es tatsächlich zu einer Zahlungspflicht kommt, hängt daher maßgeblich vom selbstbestimmten Verhalten des Pflichtigen ab (so auch VG München, U.v. 11.05.2015 - 8 K 14.50).</p> <p><rd nr="61"/>Auch das vom Antragstellervertreter angeführte Bestehen eines Ermittlungsdefizits hinsichtlich der vom ehemaligen Vertreter der Antragstellerin am 4. November 2021 vorgetragenen fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin wird vor dem Hintergrund der Beugefunktion des Zwangsgeldes sowie der bisherigen erfolglosen Vollstreckungsversuche vom Gericht nicht geteilt. Die Antragstellerin ist auch nicht verpflichtet die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes detailliert zu begründen, geschweige denn in der Begründung auf jeglichen nur denkbaren Umstand einzugehen (BayVGH, U.v. 16.09.2010 - 1 CS 10.1803; VG München, B.v. 05.05.2014 - M 18 S 14.1867).</p> <p><rd nr="62"/>(2) Auch die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 6. Mai 2022 gesetzte Frist von einem Monat ab Zustellung des Bescheides erscheint dem Gericht - insbesondere angesichts des seit dem Erlass des Grundbescheids im Jahr 2018 verstrichenen Zeitraums - nach summarischer Prüfung als angemessen (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG).</p> <p><rd nr="63"/>Insbesondere kann es nicht überzeugen, wenn der Antragstellervertreter meint, die der Antragstellerin gesetzte Frist müsse zumindest für einen Umzug ihres Betriebs genügen, was bei der vorliegenden Frist von einem Monat nicht der Fall sei. Der Antragstellervertreter verweist zu Unrecht auf das Urteil der Kammer vom 20. April 2020 (VG Ansbach, U.v. 20.04.2020 - AN 9 K 19.00476), da die dortigen Ausführungen nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Im dortigen Verfahren war - anders als im vorliegenden - nicht die Nutzungsuntersagung für einen Betrieb, sondern für eine Wohnung streitgegenständlich. Die beiden Fälle sind bereits deshalb nicht vergleichbar, da es sich bei einer Wohnung um den persönlichen Rückzugsort des Pflichtigen (und ggf. seiner Familie) handelt und daher die Nutzungsuntersagung für eine Wohnung den Pflichtigen regelmäßig mit besonderer (nicht nur rein wirtschaftlicher) Härte treffen wird.</p> <p><rd nr="64"/>(3) Die Zwangsgeldandrohung wurde auch entsprechend Art. 36 Abs. 7 Satz 1 und 2 VwZVG zugestellt. Hierfür spricht das Anschriftenfeld im streitgegenständlichen Bescheid, welches mit „Zustellungsurkunde“ überschrieben ist. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Zustellung sind dem Gericht nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich.</p> <p><rd nr="65"/>c) Auch Ermessensfehler sind dem Gericht - nach summarischer Prüfung - bei der Androhung des Zwangsgeldes nicht ersichtlich.</p> <p><rd nr="66"/>Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, § 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG. Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid erkannt, dass es sich bei den Vorschriften der Verwaltungsvollstreckung um Ermessensvorschriften handelt (vgl. nur den Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 VwZVG). Hierfür sprechen die Formulierungen auf Seite 3 des streitgegenständlichen Bescheides „danach ist die Durchsetzung eines Verwaltungsaktes mittels Zwangsgeld möglich…“ sowie „das angedrohte Zwangsmittel steht in angemessenem Verhältnis zu seinem Zweck“.</p> <p><rd nr="67"/>Hierbei kann auch die Argumentation des Antragstellervertreters nicht überzeugen, die Antragsgegnerin habe bei Erlass des Bescheides den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, da der Bescheid nur auf die Ortseinsicht vom 8. Februar 2022 gestützt worden sei und die Räumlichkeiten zwischenzeitlich nicht mehr als Wettbüro genutzt würden. Denn nach Überzeugung des Gerichts nutzte die Antragstellerin die streitgegenständlichen Räumlichkeiten zum maßgeblichen Zeitpunkt am 6. Mai 2022 als Wettbüro. Überzeugende Anhaltspunkte bestehen für die gegenteilige Auffassung nach dem zuvor Gesagten nicht.</p> <p><rd nr="68"/>3. Der Antrag war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.</p> <p><rd nr="69"/>Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer in Anlehnung an Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von einem Streitwert in Höhe von 20.000,00 EUR ausgegangen ist, der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert wurde (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).</p> </div>
346,352
lsgnihb-2022-08-17-l-16-kr-34421
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L 16 KR 344/21
2022-08-17T00:00:00
2022-08-30T10:01:10
2022-10-17T11:09:34
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. Juni 2021 wird zurückgewiesen.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Kosten sind nicht zu erstatten.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Revision wird nicht zugelassen.</strong></p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Tatbestand</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Mammaaugmentationsplastik (MAP).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Bei der 1970 geborenen Klägerin wurde 1996 eine ästhetische Augmentation beidseits mit Kochsalzimplantaten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen. Im Frühjahr 2017 stellte sie sich beim Frauenarzt wegen einer Prothesenleckage links vor. Im Zuge der präoperativen Abklärung zeigte sich ein Insitu-Karzinom. Beide Implantate wurden im Rahmen der Brustkrebstherapie entfernt. Präoperativ hatte die Klägerin eine Lifting-Operation zur Schaffung eines guten kosmetischen Ergebnisses abgelehnt, da sie definitiv die Wiedereinlage von Implantaten zu einem späteren Zeitpunkt wünschte (vorläufiger OP-Bericht vom 3. Mai 2017).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 24. April 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Brustvergrößerung. Die IKK habe ihr im Jahr 1996 eine Kostenübernahme für Brustimplantate wegen psychischer Probleme bewilligt. Sie habe zuvor ein B-Körpchen getragen und fülle nun nicht mal mehr ein A-Körpchen aus. Die operierte rechte Brust sei im Seitenvergleich deutlich kleiner und habe eine sichtbare Auskerbung (Delle). Die Klägerin könne kein Schwimmbad mehr besuchen und traue sich nur noch mit weiter Bekleidung in die Öffentlichkeit. Da die Brüste als „paariges Organ“ gesehen würden und als Einheit betrachtet werden müssten, erstrecke sich der Antrag auf Kostenübernahme auf beide Brüste. Die Klägerin acht Farbfotos von ihrem Oberkörper in unbekleideten Zustand einreichte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 12. Juni 2019 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da keine medizinische Indikation vorliege. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. In seiner Stellungnahme vom 28. August 2019 kam der MDK nach körperlicher Untersuchung zu der Beurteilung, dass eine eingezogene Narbe mit Weichteildefekt rechte Mamma nach Segmentresektion bei DCIS und nachfolgender Radio vorliege. Die rechte Brust sei von Form und Größe zum Körperbild der Klägerin zwar eher klein, aber noch passend. Die rechte Brust sei nach stattgehabter Bestrahlung etwas fester und straffer als die linke. Die linke Brust weise der Einteilung nach Regnault folgend keine echte Mammaptose auf. Ein krankheitswertiger Zustand oder entstellender Charakter aufgrund von Größe und Form der Brüste lasse sich nicht ableiten. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung seien nicht erfüllt. Mit Schreiben vom 30. August 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die medizinischen Voraussetzungen einer MAP mit Silikonimplantaten nach Beurteilung durch den MDK nicht vorlägen. Empfohlen werden könne vom MDK jedoch eine Narben- bzw Weichteilkorrektur. Insoweit könne nach Rücksprache mit einer Klinik ein entsprechender Leistungsantrag gestellt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2019, zugestellt am 21. November, wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die Beurteilung durch den MDK zurück.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hat am 20. Dezember 2019 Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Zur Begründung hat sie auf den Arztbrief des G. Krankenhauses vom 3. März 2019 verwiesen, in dem auch seitens des Krankenhauses die Wiederherstellung beiderseitiger Brüste durch Implantate aus medizinisch psychologischen Gründen als dringend notwendig angesehen worden sei. Die Klägerin sei seit 2017 psychisch massiv angegriffen. Die Dellen im Brustgewebe seien medizinisch äußerst bedenklich und könnten weitere Folgeerkrankungen hervorrufen. Zudem habe keine Heilbehandlung seitens der Beklagten vorgelegen, sondern eine Verschlechterung und Verschlimmerung des Zustands und „körperliche Missbildung“ und Deformierung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Mit Urteil vom 30. Juni 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin leide ausweislich sämtlicher der Kammer vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht an einer behandlungsbedürftigen Krankheit. Es liege kein regelwidriger Körperzustand vor. Aus der stattgehabten Entfernung des Karzinoms mit anschließender Bestrahlung ergebe sich kein Anspruch auf die begehrte Krankenbehandlung. Weder sei es bei der Klägerin zur Entfernung der Brustdrüsen gekommen noch gehe es um die Rekonstruktion des operativen Drüsengewebes; vielmehr gehe es um die Wiederherstellung des früheren Zustandes. Selbst wenn man von einer eingeschränkten oder fehlenden Funktionsfähigkeit der Brustdrüsen ausginge, könnte dies durch Einsetzen eines Implantates nicht behoben werden. Auch das Erscheinungsbild der Klägerin sei nicht behandlungsbedürftige. Die vorliegende anatomische Abweichung wirke nicht entstellend. Für die Frage der Entstellung sei die Erscheinung im bekleideten Zustand maßgeblich. Die Erheblichkeitsschwelle sei keinesfalls überschritten. Die körperliche Auffälligkeit mache sich nicht schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorbeigehen bemerkbar. Die Kammer habe sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen Eindruck verschafft. Die Asymmetrie der Brüste sei im bekleideten Zustand nicht erkennbar.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Krankheitswert könne aus Sicht der Kammer allein die operationsbedingte Weichteildelle haben. Eine Korrektur der Weichteildelle könne aber nicht durch eine MAP erreicht werden. Dazu wäre die von der Beklagten mit Schreiben vom 30. August 2019 in Aussicht gestellte Behandlung durch eine operative Weichteil bzw Narbenkorrektur geeignet, die von der Klägerin jedoch nicht verfolgt werde. Eine mögliche psychische Belastung aufgrund des Erscheinungsbildes rechtfertige keinen operativen Eingriff. Zudem befinde sich die Klägerin nicht in psychiatrischer Behandlung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Gegen das ihr am 14. Juli 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Juli 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Das SG sei ihren tatsächlichen Einschränkungen nicht weiter nachgegangen und habe lediglich darauf hingewiesen, dass sie keine psychologische Behandlung aufgenommen habe. Es sei vollkommen widersinnig, der Klägerin abzuverlangen, sich mit einer Situation, die nicht der normalen Ästhetik des weiblichen Körpers entspreche, zufrieden zu geben und eine Akzeptanz durch eine ggfs jahrelange Therapie zu entwickeln, wenn es durch eine gezielte Operation eine Lösung gebe. Das Vorliegen einer Krankheit sei vom SG nicht hinreichend untersucht worden. Dazu hätte es einer ärztlichen Begutachtung bedurft. Die Funktion der weiblichen Brust sei nicht auf die Stillfunktion beschränkt, vielmehr spiele die Brust im Rahmen der Sexualität eine tragende Rolle im Sinne eines wesentlichen erotischen Reizes für den Sexualpartner. Bei Verkennung einer derartigen Funktion der weiblichen Brust durch das SG und Beurteilung einer Entstellung in bekleidetem Zustand ziehe das SG einen Zirkelschluss. Die Klägerin legt das Attest der internistischen Hausarztpraxis H. vom 1. Juni 2022 vor. Danach haben sich konsekutiv die psychischen Folgen auch aufgrund der postoperativ eingetretenen Asymmetrie wiedereingestellt und sich mittlerweile zu einer mittelgradigen Episode ausgeweitet. Die Klägerin habe eine medikamentöse antidepressive Therapie beginnen müssen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. Juni 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2019 aufzuheben und</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die begehrte Krankenhausbehandlung wegen Brustkorrektur/Brustvergrößerung zu gewähren.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung abzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Sie verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Die Beteiligten sind mit Verfügungen vom 30. März 2022 und 20. Juni 2022 zu einer Entscheidung im Beschlussverfahren angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Senat hält die Voraussetzungen für erfüllt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Die Berufung ist gemäß § 143 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG Hildesheim hält einer Überprüfung durch den Senat in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht stand.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 und 4 SGG zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin ist weder durch die nach Implantatentfernung kleineren Brüste noch durch die als Operationsfolge aufgetretene Brustasymmetrie in einer Körperfunktion beeinträchtigt (<em>dazu 1.) </em>noch wirkt die anatomische Abweichung entstellend (<em>dazu 2.</em>). Auch eine psychische Erkrankung der Klägerin rechtfertigt den operativen Eingriff nicht (<em>dazu 3.).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Gesetzlich Versicherte haben nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie und Krankenhausbehandlung <em>(§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 5 SGB V</em>). Nach § 12 Abs 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Eine Krankheit im Rechtssinne ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei legt die höchstrichterliche Rechtsprechung einen <em>objektiven Krankheitsbegriff</em> zu Grunde. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit oder seelischen Abweichung vom Leitbild des gesunden Menschen zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder, dass er an einer Abweichung vom Regefall leidet, die entstellend wirkt. Die Funktionsstörung muss ein Ausmaß erreichen, dass aus objektiver medizinischer Sicht eine ärztliche Behandlung erfordert (<em>ständige Rechtsprechung des BSG zuletzt, Urteil vom 10. März 2022, B 1 KR 3/21 R mwN).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>1.) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt einer körperlichen oder seelischen Abweichung erst dann Krankheitswert zu, wenn durch sie die Ausübung psychophysischer Funktionen erschwert wird. Die Funktionsstörung muss ein Ausmaß erreichen, das aus objektiver medizinischer Sicht eine ärztliche Behandlung erfordert. Hier fehlt es an der erforderlichen Funktionsbeeinträchtigung. Zudem wäre die begehrte Behandlung in Form der MAP nicht dazu geeignet, etwaige Funktionsmängel der Brust, insbesondere eine mangelnde Stillfähigkeit, zu beheben. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für die Beurteilung einer Funktionsstörung und die medizinische Notwendigkeit einer operativen Behandlung nicht auf die Einordnung der weiblichen Brust als sekundäres Geschlechtsmerkmal abzustellen. Das hat das BSG in seinem jüngsten Urteil nochmals bekräftigt. Denn der operative Brustaufbau betrifft letztlich nur das Aussehen der Brust und eine vermeintlich hieran anknüpfende gesellschaftliche Erwartung. Die rein psychophysische Funktion des Organs wird durch Größe, Asymmetrie bzw narbenbedingte Dellenbildung nicht beeinträchtigt (<em>BSG aaO).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Inwiefern sich aus dem Arztbrief des I. Krankenhauses vom 3. März 2019 die medizinische Notwendigkeit der begehrt MAP-Behandlung ergeben soll, ist nicht nachvollziehbar. Im Arztbrief wird lediglich der Wunsch der Klägerin zur Wiederherstellung größerer Brüste berichtet sowie die Aufklärung und Information über verschiedene Möglichkeiten einer Brustkorrektur einschließlich moderner Implantattechnologie.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Zudem hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 30. August 2019 darauf hingewiesen, dass der MDK eine Narben- bzw Weichteilkorrektur empfehlen könne. Nach Rücksprache mit einer Klinik könne die Klägerin einen entsprechenden Leistungsantrag stellen. Einen derartigen Leistungsantrag hat die Klägerin nie gestellt. Darauf wird bereits im erstinstanzlichen Urteil hingewiesen. Das erscheint vor dem Hintergrund auch plausibel, dass die Klägerin ausweislich des OP-Berichtes vom 3. Mai 2017 bereits präoperativ definitiv die Wiedereinlage von Implantaten zu einem späteren Zeitpunkt wünschte. Aus diesem Grunde lehnte sie damals eine Lifting-Operation zur Schaffung eines guten kosmetischen OP-Ergebnisses ab.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>2.) Die Brustgröße und –asymmetrie bewirkt bei der Klägerin auch keine Entstellung, die den Bedarf nach einer MAP-Versorgung begründen könnte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Das wird im erstinstanzlichen Urteil zutreffend dargelegt, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs 2 SGG Bezug genommen wird. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es ausgehend vom objektiven Krankheitsbegriff für die Bewertung der Entstellung nicht auf eine subjektive oder persönliche Einschätzung der Klägerin als Betroffener ankommt. Der erste Senat des BSG hat den jüngsten Fall der Beeinträchtigung aufgrund einer Brustasymmetrie zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung fortzuentwickeln<em>. </em>Eine Entstellung kann in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein. Da die gesellschaftliche Teilhabe ganz überwiegend im bekleideten Zustand erfolgt, ist die Erheblichkeitsschwelle jedoch bei Auffälligkeiten im Gesichtsbereich deutlich eher überschritten, als an sonstigen, regelmäßig durch Kleidungsstücke verdeckten Bereichen des Körpers. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten deshalb besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken (<em>BSG aaO)</em>. Diese Erheblichkeitsschwelle wird ausweislich der acht vorliegenden Farbfotos, die den Oberkörper der Klägerin in unbekleidetem Zustand zeigen, nicht ansatzweise überschritten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Vor dem Hintergrund der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nachgeschärften Maßstäbe und der acht Im Verwaltungsvorgang enthaltenen Farbfotos ist die Beurteilung im vorliegenden Einzelfall ohne persönliche Inaugenscheinnahme der Klägerin in bekleidetem Zustand als Tatfrage möglich. Daher musste sich der Senat nicht veranlasst sehen, mündlich zu verhandeln und das persönliche Erscheinen der Klägerin anzuordnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>3.) Eine psychische Belastung der Klägerin aufgrund ihres Erscheinungsbildes rechtfertigt ebenfalls keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Auch dieser Umstand wird im angefochtenen Urteil bereits dargelegt. In seinem jüngsten Urteil zum Brustaufbau hat das BSG bekräftigt, dass psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau nicht begründen können. Dabei verneint der erste Senat eine Rechtfertigung für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose. Das gilt jedenfalls so lange, wie medizinische Erkenntnisse zumindest Zweifel an der Erfolgsaussicht von Operationen zur Überwindung einer psychischen Krankheit begründen Der damit aufgestellte Grundsatz wäre nur dann zu überprüfen, wenn sich die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe wesentlich geändert hätte<em> (BSG aaO mwN).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Unter diesen Umständen kann der erkennende Senat zu Gunsten der Klägerin das Vorliegen einer psychischen Belastung unterstellen, obwohl diese nicht nachgewiesen ist. Die Klägerin befindet sich trotz einer hausärztlich bescheinigten mittelgradigen depressiven Episode nicht in fachärztlicher Behandlung. Das im Berufungsverfahren vorgelegte hausärztliche Attest, das vom Wiederaufleben der psychischen Folgen spricht, die sich mittlerweile zu einer mittelgradigen depressiven Episode gesteigert haben sollen, ist sehr allgemein gehalten. So wird weder ein Beschwerdeverlauf dargelegt, noch werden Symptome aufgeschlüsselt oder die medikamentöse Therapie benannt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG) ist nicht ersichtlich.</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE220032061&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
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olgsh-2022-08-17-12-w-1422
{ "id": 1070, "name": "Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht", "slug": "olgsh", "city": null, "state": 17, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
12 W 14/22
2022-08-17T00:00:00
2022-08-27T10:00:40
2022-10-17T11:09:31
Beschluss
ECLI:DE:OLGSH:2022:0817.12W14.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. Der Streitwert wird von Amts wegen neu festsetzt auf 71.783,33 € (Räumung: 34.272,00 €, Zahlung: 33.159,15 € + 1.740,87 € + 2.611,31 €).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">2. Auf Antrag nach § 33 RVG wird hiervon abweichend der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) auf 36.012,87 € (34.272,00 € + 1.740,87 €) und im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 3) auf 36.883,31 € (34.272,00 € + 2.611,31 €) festgesetzt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">3. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Mit Beschluss vom 06.05.2022 hat das Landgericht eine Streitwertfestsetzung im streitgegenständlichen Verfahren vorgenommen, auf die Bezug genommen wird. Hiergegen wendet sich der Prozessbevollmächtigte namens der Beklagten zu 2) und 3) mit seiner Beschwerde vom 18.05.2022, Bl. 431 ff. d. A. Er meint, im Verhältnis zu den Beklagten zu 2) und 3) sei der Streitwert zu niedrig festgesetzt worden, da der Streitwert für den Räumungsantrag hier jeweils mit 28.800,00 € zu bemessen sei. Maßgeblich für die Bemessung des Wertes der Räumungsklage des Hauptvermieters gegen den Untermieter sei das Durchsetzungsinteresse des Hauptvermieters, das sich nach dem Hauptmietzins für ein Jahr bemesse. Bezüglich der weiteren Ausführungen wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In seinem Beschluss vom 04.07.2022 führt es aus, aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 41 Abs. 2 S. 2 GKG sei dieser auch auf Ansprüche nach § 985 BGB anzuwenden. Weil die Mietsache nur teilweise untervermietet sei, hafte der Untermieter nur im Verhältnis der von ihm genutzten Fläche zur Gesamtfläche des Mietobjekts. Bezüglich der weiteren Ausführungen des Landgerichts wird auf den entsprechenden Beschluss Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Die Beschwerde nach § 33 RVG ist unzulässig, da die Beklagten zu 2) und zu 3), in deren Namen die Beschwerde ausdrücklich eingelegt wurde, durch die Entscheidung des Landgerichts nicht beschwert sind. Gegen eine zu niedrige Festsetzung des Streitwerts kann insofern von den Beklagten keine Beschwerde mit dem Ziel der Herabsetzung eingelegt werden. (Gerold/Schmidt-Meyer, RVG-Kommentar, 25. Auflage, § 33, Rn. 14, § 32, Rn. 126).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung war jedoch von Amts wegen nach § 63 Abs. 3 GKG zu ändern. Das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht ist insofern zur Änderung verpflichtet, wenn es die Unrichtigkeit der vorherigen Wertfestsetzung erkennt (Vgl. BeckOK Kostenrecht-Jäckel, 38. Auflage, § 63, Rn. 29), was hier der Fall ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der Streitwert für das Verfahren insgesamt beläuft sich auf 71.783,33 € (Räumung: 34.272,00 €, Zahlung: 33.159,15 € + 1.740,87 € + 2.611,31 €). Maßgeblich ist für den Wert des Räumungsanspruchs nach § 41 Abs. 2 S. 1 GKG das für die Dauer eines Jahres zu zahlenden Entgelt des Hauptmietverhältnisses. Dieses berechnet sich nach der vertraglich vereinbarten Nettokaltmiete zuzüglich Umsatzsteuer. Laufende Neben- und Betriebskosten sind nur hinzuzurechnen, wenn sie als Pauschale vereinbart sind. (Vgl. Schneider/Volpert/Fölsch-Kurpat, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, § 41 GKG, Rn. 6) Die Nettokaltmiete beträgt hier laut Mietvertrag, anders als im Urteil auf S. 3 angegeben, 2.400,00 € monatlich. Da über die Nebenkosten abzurechnen war, ist nur die Mehrwertsteuer hinzuzurechnen, so dass sich ein monatliches Entgelt von 2.856,00 € errechnet, für ein Jahr 34.272,00 €.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Dieser Betrag reduziert sich nicht, weil sich aus § 41 Abs. 1 S. 1 GKG kein geringerer Streitwert ergibt. Dies könnte der Fall sein, wenn das auf die streitige Zeit entfallende Entgelt geringer wäre als das Entgelt für ein Jahr. (Vgl. hierzu Schneider/Volpert/Fölsch-Kurpat, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, § 41 GKG, Rn. 8 ff.) Eine Herabsetzung kommt aber nur in Betracht, wenn zwischen den Parteien Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Nutzungsverhältnisses oder dessen Dauer besteht. Ist dies nicht der Fall, so bleibt es bei dem jährlichen Entgelt. (BeckOK Kostenrecht-Schindler, 38. Auflage, § 41, Rn. 32) Der Beklagte zu 1) und die Klägerin waren sich hier einig über die wirksame Kündigung und den Räumungszeitpunkt. Der Beklagte zu 1) hat seine Verpflichtung zur Räumung grundsätzlich anerkannt und lediglich Fristverlängerungen der Räumungsfrist vereinbart.<br>Dem Wert der Räumung sind die einzelnen gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachten Zahlungsansprüche hinzuzurechnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Da zusätzlich eine Festsetzung nach § 33 RVG beantragt war, war der Wert gesondert im Verhältnis zwischen der Klägerin und jeweils den Beklagten zu 2) und zu 3) festzusetzen. Die Vorschrift ist gegenüber § 32 RVG subsidiär und nur anwendbar, wenn ein Sonderfall vorliegt, etwa die unterschiedliche Beteiligung von verschiedenen Personen am Verfahren. (Vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2011, 5 U 137/10, BeckRS 2012, 5924) Maßgeblich ist auch hier für den Räumungsantrag der o.g. Wert, nicht der Untermietzins. (BeckOK Kostenrecht-Schindler, 38. Auflage, § 41, Rn. 34; KG, Beschluss vom 26.11.2012, 8 W 77/12, BeckRS 2013, 01488; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.06.2004, 10 W 61/04, NZM 2005, 240).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Da die Klage gegen die Beklagten hier auch auf Eigentum gestützt wurde (Schriftsatz vom 11.06.2020, S. 5, Bl. 27 d. A.) ist allein das für die Dauer eines Jahres zu zahlende Entgelt maßgeblich, selbst dann, wenn die streitige Zeit weniger als ein Jahr betragen würde. (Vgl. Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Auflage, 3. Rn. 98; Toussaint-Elzer, Kostenrecht, 52. Auflage, § 41, Rn. 38; OLG Celle, Beschluss vom 12.10.2012, 2 W 269/12, BeckRS 2012, 22325; KG Beschluss vom 18.02.2013, 8 W 10/13, NZM 2013, 466).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Wert ist auch nicht herabzusetzen wegen einer nur anteiligen Nutzung durch die Beklagten zu 2) und zu 3). Zwar kann eine solche Herabsetzung bei nur anteiliger Nutzung des Untermieters in Betracht kommen (Vgl. Schneider/Volpert/Fölsch-Kurpat, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, § 41, Rn. 35; Schneider, Streitwert einer Räumungs- und Herausgabeklage gegen den Untermieter, NJW-Spezial 2012, 411; KG Beschluss vom 26.11.2012, 8 W 77/12, BeckRS 2013, 01488) Jedoch steht dem hier entgegen, dass die Mieten für die Teilflächen mit 1.700,00 € Nettokaltmiete und 2.100,00 € Nettokaltmiete ausweislich der Anlagen B2 und B3 in der Summe noch über der vereinbarten Nettokaltmiete für die Gesamtfläche liegen. Vor diesem Hintergrund ist eine Herabsetzung des Streitwerts nicht geboten, zumal die Gesamtfläche nur bei Räumung auch der Untermieter neu vermietet werden kann und sich damit das Räumungsinteresse des Klägers nicht auf die einzelnen untervermieteten Flächen beschränkt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Dem Wert des Räumungsantrags ist jeweils der Wert des gegen die Beklagten zu 2) und zu 3) gerichteten Zahlungsantrags hinzuzurechnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Gebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, da die Streitwertfestsetzung des Landgerichts unrichtig war und deshalb im Ergebnis im Sinne der eingelegten, wenn auch unzulässigen Beschwerde, zu ändern war. Außergerichtliche Kosten sind jedoch nicht zu erstatten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,309
olgk-2022-08-17-22-u-3022
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22 U 30/22
2022-08-17T00:00:00
2022-08-26T10:01:13
2022-10-17T11:09:28
Urteil
ECLI:DE:OLGK:2022:0817.22U30.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 12. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Aachen vom 17.02.2022 (12 O 328/21) dahin abgeändert, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 4.080,81 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2022 zu zahlen.</p> <p>Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen</p> <p>Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 46 % und die Beklagte zu 54 %.</p> <p>Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p> <p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">(abgekürzt gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2, § 544 Abs. 2 Nr. 1  ZPO)</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach gegen die Beklagte jedenfalls nach § 826 i.V.m. § 852 Satz 1 BGB zu.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. Zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB gilt:</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">a) Durch das Inverkehrbringen des mit dem Motor EA189 versehenen Fahrzeugs, bei dem die sog. Umschaltlogik aktiviert war, schädigte die Beklagte den Kläger in sittenwidriger Weise. Wegen der Begründung im Einzelnen nimmt der Senat Bezug auf die umfangreichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dessen Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, juris), die vorliegend gleichermaßen Geltung beanspruchen, insbesondere auch im Hinblick auf die der Entscheidung zugrunde zu legenden tatschlichen Umstände und die subjektiven Vorstellungen bei den im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">b) Aufgrund seiner sittenwidrigen Schädigung konnte der Kläger beanspruchen, von der Beklagten so gestellt zu werden, als hätte er den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen. Ebenso konnte er sich allerdings auch - wovon er hier Gebrauch gemacht hat - dafür entscheiden, den Kaufgegenstand zu behalten und als sogenannten kleinen Schadensersatz den Betrag zu verlangen, um den er diesen gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung zu teuer erworben hatte (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2021 - ZR 40/20, juris Rn. 15).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">2. Der Anspruch nach § 826 BGB ist allerdings - jedenfalls soweit sich der Kläger zur Begründung seiner Klage auf das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung in Form der sogenannten Umschaltlogik bzw. Prüfstandserkennung stützt - aufgrund des von der Beklagten erhobenen Verjährungseinwands nicht mehr durchsetzbar. Spätestens mit Erhalt des seitens der Beklagten verschickten Informationsschreibens war der Kläger im Jahr 2016 sowohl in allgemeiner Kenntnis über den sogenannten Dieselskandal als auch im Bilde über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs. Ihm war daher bereits im Jahr 2016 eine Klageerhebung zumutbar (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21 - juris Rn. 33 ff.; vom 10.02.2022 - VII ZR 365/21 – juris Rn. 17 ff.). Der Lauf der dreijährigen Regelverjährungsfrist (§ 195 BGB) begann mithin gemäß § 199 Abs. 1 BGB am 31.12.2016 und endete bereits vor Klageerhebung mit Ablauf des 31.12.2019.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Ob in Bezug auf die Problematik des sogenannten Thermofensters eine andere verjährungsrechtliche Bewertung angezeigt ist, bedarf keiner Entscheidung. Der sich vorliegend aus § 852 BGB ergebende Restschadensersatzanspruch ist in gleicher Weise zu berechnen, wie der aus § 826 BGB folgende Schadensersatzanspruch (s.u.), so dass sich an der Höhe des klägerischen Anspruchs keine Änderungen ergeben.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">3. Auch die weiteren Voraussetzungen des Restschadensersatzanspruchs liegen vor, da die Beklagte auf Kosten des Klägers einen ihr durch ihr sittenwidriges Verhalten zugeflossenen Vermögensvorteil im Sinne von § 852 BGB erlangt hat.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">a) Die Beklagte hat - durch einen Vermögensabfluss auf Seiten des Klägers - einen Vermögensvorteil im Sinne von § 852 Satz 1 BGB erlangt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Als erlangtes Etwas im Sinne des § 852 Satz 1 BGB ist jeder dem Ersatzpflichtigen zugeflossene Gegenstand anzusehen (Foerster, VuR 2021, 180, 181; BeckOGK BGB/Eichelberger § 852 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 13.10.2015 - II ZR 281/14, NJW 2016, 1083 Rn. 30 und 33; Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 29), so etwa auch das Entgelt aus einem Kaufvertrag anzusehen. Die Beklagte hat aufgrund des vom Kläger ungewollt abgeschlossenen Vertrags einen Vermögensvorteil in Form eines Anspruchs gegen ihren Vertragshändler erlangt, der das Fahrzeug an den Kläger verkauft hat. Dieser Vermögensvorteil hat sich gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB nach Erfüllung dieser Forderung durch den Händler an dem erlangten Entgelt fortgesetzt (vgl. BGH, Urteile vom 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, juris Rn. 13, 16; vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, juris Rn. 82 mwN).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">b) Die Bereicherung der Beklagten geschah auch auf Kosten des Klägers.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">aa) Das Merkmal "auf Kosten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB knüpft an die durch die unerlaubte Handlung bewirkte Vermögensverschiebung an. Es setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung auf Seiten des Verletzten zu einem Vermögensnachteil und auf Seiten des Ersatzpflichtigen zu einem Vermögensvorteil geführt hat. Da es sich bei dem Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB um eine Fortsetzung des Schadensersatzanspruchs in anderem rechtlichen Kleid handelt, ist für die Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtung maßgebend. (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, juris Rn. 68 mwN).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">bb) Der danach erforderliche Vermögensnachteil des Klägers liegt in der Zahlung des (vollen) Kaufpreises an den Verkäufer des Fahrzeugs.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung wie im Streitfall liegt selbst bei - hier nicht gegebener (s.u.) - objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung ein subjektbezogener Vermögensschaden vor, wenn der Betroffene durch das sittenwidrige Verhalten unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zum Abschluss eines Kaufvertrags über ein für seine Zwecke nicht voll brauchbares Fahrzeug gebracht wird, das er in Kenntnis dieser Umstände zu den konkreten Konditionen nicht gekauft hätte, und der Kaufvertrag deshalb seinen konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit wirtschaftlich nachteilig ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 46 f. und 53; Urteil vom 20.07.2021 - VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594 Rn. 16). Sein dadurch eingetretener Vermögensschaden setzt sich in dem Verlust des Kaufpreises fort, den er in Erfüllung der ungewollten Kaufvertragsverpflichtung zahlt (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021 - VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922 Rn. 17; Urteil vom 19.10.2021 - VI ZR 148/20, VersR 2022, 186 Rn. 25). Dieser Schaden entfällt nicht, wenn sich der (objektive) Wert oder Zustand des Fahrzeugs in der Folge aufgrund neuer Umstände wie der Durchführung des Software-Updates verändert (BGH, Urteil vom 18.05.2021 - VI ZR 452/19, NJW-RR 2021, 1111 Rn. 13; Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 495/20, WM 2021, 2107 Rn. 10; Urteil vom 14.12.2021 - VI ZR 676/20, WM 2022, 343 Rn. 25; Urteil vom 16.12.2021 - VII ZR 389/21, ZIP 2022, 220 Rn. 15).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der subjektbezogene Vermögensschaden ist vielmehr unabhängig davon gegeben, ob der Käufer einen Anspruch nach § 826 BGB durchsetzen kann oder nach Verjährung dieses Anspruchs sein Begehren auf § 852 Satz 1 BGB stützt. Die Bestimmung des § 852 Satz 1 BGB lässt den verjährten Schadensersatzanspruch als solchen unberührt und begrenzt lediglich den Umfang des danach zu ersetzenden Schadens nach Maßgabe der §§ 818 ff. BGB auf die durch die unerlaubte Handlung eingetretene Bereicherung des Ersatzpflichtigen (vgl. Ebert, NJW 2003, 3035, 3037; BeckOK BGB/Spindler § 852 Rn. 3; BeckOGK BGB/Eichelberger § 852 Rn. 25; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 852 Rn. 6; zu § 852 Abs. 3 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76, BGHZ 71, 86, 99). Sie hat daher dieselben Voraussetzungen wie der verjährte Schadensersatzanspruch. Soweit der Kläger aufgrund des ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrags nach § 826 BGB geschädigt ist, geht ein daraus resultierender Vermögensvorteil der ihn schädigenden Beklagten daher auch nach § 852 Satz 1 BGB auf seine Kosten (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, juris Rn. 71).</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">cc) Der im Rahmen von § 852 Satz 1 BGB erforderliche Zusammenhang zwischen dem Vermögensnachteil des Klägers und dem Vermögensvorteil der Beklagten ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger selbst unmittelbar nur mit seinem Verkäufer in einer vertraglichen Beziehung stand.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">(1) Liegt dem Schaden des Käufers der Kauf eines Neufahrzeugs zugrunde, schließt der Umstand, dass der Vermögensvorteil der Beklagten nicht unmittelbar auf dem schadensbegründenden Vertrag zwischen der Klägerin und dem Händler beruht, sondern durch den Vertrag der Beklagten mit dem Händler vermittelt wird, den zwischen Vermögensabfluss auf Seiten des Geschädigten und Vermögensvorteil auf Seiten des Fahrzeugherstellers erforderlichen Zusammenhang nicht zwingend aus. Denn im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB kommt es nicht darauf an, auf welchem Weg die erforderliche Vermögensverschiebung stattgefunden hat; insbesondere muss sie sich nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Verletzten vollzogen haben. Allerdings setzt der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB in diesem Fall voraus, dass der Bestellung des Fahrzeugs von dem Händler bei dem Fahrzeughersteller - hier der Beklagten - der Kaufvertrag zwischen Händler und Geschädigtem zugrunde gelegen hat. Hat der Händler das Fahrzeug demgegenüber unabhängig von einer Bestellung seines Käufers vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 825 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang (BGH, Urteil vom 21.03.2022 - VIa ZR 275/21, juris Rn. 27 f.). Diese Differenzierung kann lediglich in den Fällen des Gebrauchtwagenkaufs dahinstehen, da in dieser Konstellation grundsätzlich kein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB gegen den Fahrzeughersteller besteht, wenn der Käufer das Fahrzeug von einem Dritten erworben hat (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, juris Rn. 14 mwN).</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">(2) Nach diesen Maßstäben ist der erforderliche Zusammenhang zwischen Vermögenschaden auf Seiten des Klägers und dem in Gestalt des für das Fahrzeug erlangten Kaufpreises bestehenden Vermögensvorteil auf Seiten der Beklagten zu bejahen. Insbesondere handelte es sich bei dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs um einen Neuwagenkauf. Auch wenn der Kläger diesen seinerzeit von dem als Verkäufer auftretenden VW-Vertragshändler mit einem Kilometerstand von 8 km erworben hatte, besteht bei einer Gesamtschau aller weiteren Umstände des Einzelfalls hieran kein Zweifel. So wird das Fahrzeug auch in der Rechnung vom 06.11.2012 das Fahrzeug von dem Verkäufer selbst als „Neuwagen“ bezeichnet. Zudem folgt aus der Auftragsbestätigung vom 06.10.2011, dass das Fahrzeug erst auf den mit dem Kläger abgeschlossenen Kaufvertrag von dem Verkäufer bei der Beklagten bestellt worden war (vgl. zu diesem Aspekt auch BGH, Urteil vom 21.03.2022 - VIa ZR 275/21 Rn. 28). Hierfür sprechen nicht nur die aus der Auftragsbestätigung ersichtlichen Sonderausstattungen, sondern insbesondere auch der Umstand, dass der Verkäufer des Klägers diesem im Oktober 2011 nur einen unverbindlichen Liefertermin für das 2. Quartal 2012 zusagen konnte.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">dd) Schließlich steht dem im Rahmen von § 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang auch nicht entgegen, dass der Geschädigte - wie hier der Kläger - vorliegend nur den sogenannten kleinen Schadensersatz geltend macht (so auch OLG München, Urteil vom 19.05.2022 - 24 U 4614/21, juris Rn. 16). Dieser Anspruch richtet sich auf den Betrag, um den der Kläger den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat (vgl. BGH vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20, juris Rn. 15; OLG München aaO, Rn. 17). War ein derartiges Missverhältnis aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens des Fahrzeugherstellers bei Vertragsschluss aber gegeben, entspricht der geltend gemachte Minderwert des Fahrzeugs dem Anteil des (objektiv) überhöhten Kaufpreises und damit zugleich der Bereicherung des Fahrzeugherstellers.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">4. Zur Höhe des klägerischen Anspruchs gilt:</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">a) Da es sich bei dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz 1 BGB um die (lediglich der Höhe nach auf das Erlangte gedeckelte) Fortsetzung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB handelt, steht dem Geschädigten auch in diesem Rahmen die Wahl des kleinen statt des großen Schadensersatzes frei. Dabei ist der kleine Schadensersatzanspruch im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB genauso zu berechnen wie es vor Eintritt der Verjährung im Rahmen des § 826 BGB der Fall war (OLG München, Urteil vom 19. Mai 2022 - 24 U 4614/21, juris Rn. 16). Ausgangspunkt für die Höhe des kleinen Schadensersatzanspruchs ist der Betrag, um den der Kläger „den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat“ (vgl. BGH vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20, juris Rn. 15; OLG München aaO, Rn. 17).</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Allerdings hat die Beklagte den vom Kläger erlangten Kaufpreis nur insoweit herauszugeben, als dieser sich darauf nicht durch die Vollziehung des Kaufvertrages erlangte Vorteile anrechnen lassen muss. Dem Kläger kann als Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB nicht mehr zugesprochen werden, als er vor der Verjährung seines Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB verlangen konnte. Wegen der Rechtsnatur des § 852 Satz 1 BGB als im Umfang beschränkter Schadensersatzanspruch wird die herauszugebende Bereicherung des Ersatzpflichtigen durch den Schaden des Verletzten begrenzt. Auf den von der Beklagten erlangten Kaufpreis sind daher insbesondere die vom Kläger gezogenen Nutzungen anzurechnen. Dies gilt wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots auch für diejenigen Nutzungen, die der Kläger nach Eintritt der Verjährung gezogen hat. Die Vorteilsanrechnung basiert darauf, dass der Kläger mit der fortgesetzten Nutzung des Fahrzeugs einen geldwerten Vorteil erzielt hat. Die Verjährung seines Schadensersatzanspruchs ändert hieran nichts. (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, juris Rn. 83 f, mwN). Zudem ist der in dem Restwert des Fahrzeugs liegende Vorteil bei der Schadensbestimmung zu berücksichtigen, da auch dieser Vorteil bei Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes im Vermögen des Klägers verbleibt (vgl. OLG München, Urteil vom 19. Mai 2022 - 24 U 4614/21, juris Rn. 18, 21).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">b) Nach diesen Maßstäben hat der Senat zunächst den Minderwert des Fahrzeugs - wie in der Berufungsverhandlung erörtert - gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO geschätzt und mit 15 % des Bruttokaufpreises bemessen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">aa) Für die Berechnung des sogenannten kleinen Schadensersatzes ist zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Dies schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung zwar nicht aus. So ist etwa auch eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch ein Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Beklagten, die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen soll, zu berücksichtigen; dabei sind allerdings etwaige mit dem Software-Update verbundene Nachteile in die Bewertung des Vorteils gleichermaßen einzubeziehen und in den so zu bemessenden Schaden „einzupreisen“ (BGH, Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 136/20, juris Rn. 17). Da diese Umstände in dem Restwert des Fahrzeugs zum Ausdruck kommen, hat der Senat sie bei dessen Bestimmung berücksichtigt.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">bb) Nach diesen Maßstäben hat der Senat bei der wirtschaftlichen Bewertung des Fahrzeugs und seines damaligen Wertes die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Unsicherheit in den Blick genommen, dass das Fahrzeug aufgrund der verbauten Prüfstandserkennung dem Risiko einer (späteren) Betriebsuntersagung bzw. -stilllegung ausgesetzt war. Den hierin begründeten Minderwert des Fahrzeugs schätzt der Senat auf 15 % des Bruttokaufpreises. Ausgehend von einem Kaufpreis in Höhe von 30.010 € beträgt er damit 4.501,50 €.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">c) Spiegelbildlich zu diesem Minderwert betrug der tatsächliche Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages damit 25.508,50 €. Nur soweit der Wert der seit diesem Zeitpunkt von dem Kläger gezogenen Nutzungen und der tatsächliche Restwert des Wagens diesen Betrag übersteigen, muss sich der Kläger die Differenz im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, da er andernfalls - könnte er den gesamten Minderwert verlangen - vermögensmäßig besser stünde, als wenn er den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte (vgl. OLG München, Urteil vom 19. Mai 2022 - 24 U 4614/21, juris Rn. 22). Dies führt vorliegend zu einem Anspruch des Klägers in Höhe von noch 4.080,81 €. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">aa) Den im Rahmen des Vorteilsausgleichs (gegebenenfalls) zu berücksichtigenden tatsächlichen Restwert des streitgegenständlichen Autos schätzt der Senat gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 10.000 €. Grundlage dafür ist - wie in der Berufungsverhandlung erörtert - im Ausgangspunkt eine Recherche auf der Internetseite der „A“ (<span style="text-decoration:underline">Internetadresse 1</span>; vgl. hierzu auch OLG München, Urteil vom 19.05.2022 - 24 U 4614/21, juris Rn. 20) am 27.07.2022. Die dortige Wertermittlung berücksichtigt insbesondere die Postleitzahl des Eigentümers (also die Region, in der das Fahrzeug verkauft werden würde), die Erstzulassung und Laufleistung des Fahrzeugs sowie den Fahrzeugtyp Volkswagen Tiguan Track & Field 4Motion 2,0 l TDI sowie die Motorleistung. Die Recherche des Senats hat eine Wertindikation von 8.100 € ergeben. Diesen Wert hat der Senat indes nur als Ausgangspunkt seiner Schätzung genommen, da Fahrzeuge der streitgegenständlichen Art auf anderen Verkaufsportalen mit teilweise deutlich höheren Preisen angeboten werden, wobei hierbei wiederum relativierend zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den dort angezeigten Verkaufswerten nur um die Angebote der Verkäuferseite und nicht um die letztlich erzielten Verkaufspreise handelt. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint die Annahme eines Restwertes für das klägerische Fahrzeug in Höhe von 10.000 € angemessen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">bb) Bei der Beurteilung, ob von dem Anspruch des Klägers im Hinblick auf die Grundsätze des Vorteilsausgleichs Abzüge vorzunehmen sind, war des Weiteren der Vorteil in den Blick zu nehmen, den dieser durch die Nutzung des Fahrzeugs erzielt hat. Diesen hat der Senat ebenfalls gemäß § 287 ZPO geschätzt, wobei er entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung, von der abzuweichen der vorliegende Sachverhalt keinen Anlass bietet, für das streitgegenständliche Dieselfahrzeug eine zu erwartende Gesamtfahrleistung in Höhe von 250.000 km zugrunde gelegt hat. Unter Berücksichtigung des Kaufpreises von 30.010 € sowie einer Fahrtleistung durch den Kläger in Höhe von 132.699 km (133.707 km Fahrleistung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzüglich des Kilometerstandes von acht km bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger) ergibt dies nach der Formel Kaufpreis / zu erwartende Gesamtfahrleistung * Fahrleistung des Klägers eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 15.929,19 €.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">cc) Damit summieren sich die im Vermögen des Klägers vorhanden Vorteile auf insgesamt 25.929,19 € (10.000 € [Restwert] + 15.929,19 € [Nutzungsvorteile]). Erhielte er nunmehr den Minderwert in voller Höhe von 4.501,50 €, hätte er in Folge des Kaufvertragsschlusses insgesamt 30.430,69 € erhalten, indes nur 30.010 € gezahlt. In Höhe der Überkompensation von 420,69 € ist sein Anspruch daher zu kürzen; dies ergibt den zuerkannten Betrag in Höhe von 4.080,81 €.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">d) Dass durch die Beklagte im Sinne von § 852 Satz 1 BGB Erlangte entsprach auch wertmäßig mindestens diesem Betrag. Zwar ist bei der Bestimmung des Erlangten zu berücksichtigen, dass die Beklagte das Fahrzeug nicht zu dem von dem Kläger gezahlten Kaufpreis, sondern unter Berücksichtigung der Händlermarge an den in der Leistungskette zwischengeschalteten Autohändler veräußert hatte (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, juris Rn. 16). Der Senat kann offenlassen, wie hoch diese Marge vorliegend konkret ausgefallen ist. Jedenfalls ist bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen, dass die Beklagte das Fahrzeug zu einem Preis von lediglich 4.080,81 € (oder darunter) an ihren Vertragshändler geliefert hatte.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Aufwendungen der Beklagten wie die Kosten für die Herstellung des Fahrzeugs, die Entfernung der Steuerungssoftware oder die diesbezügliche Information der Öffentlichkeit haben im Übrigen gemäß § 852 Satz 1, § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB bei der Bestimmung des Erlangten außer Betracht zu bleiben (vgl. BGH, BGH, Urteile vom 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, juris Rn. 17; vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, juris Rn. 92 ff.).</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">5. Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 analog BGB; der auf die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes gerichtete Klageantrag wurde der Beklagten am 10.01.2022 zugestellt. Bei der Zinsentscheidung hat der Senat unberücksichtigt gelassen, dass die zwischenzeitliche Fahrleistung des Klägers bei Klageerhebung und damit zugleich die im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung geringer gewesen sein dürften. Aus dem Umstand, dass das Fahrzeug seit Übergabe an den Kläger innerhalb von rund zehn Jahren 132.399 km zurückgelegt hat, ergibt sich allerdings eine (nicht unerhebliche) durchschnittliche jährliche Fahrtleistung des Klägers von rund 13.270 km. Angesichts dessen geht der Senat gemäß § 287 ZPO davon aus, dass der geringeren Fahrleistung zugleich eine entsprechende Erhöhung des Fahrzeugwertes entsprochen hat, so dass sich hinsichtlich des Vorteilsausgleichs bezogen auf den Zeitpunkt der Zustellung des Klageantrags kein anderes Ergebnis ergibt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2  ZPO. Grundlage der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit sind § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">III.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">IV.</p> <span class="absatzRechts">41</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.502,50 € festgesetzt. Der zwischenzeitlich zurückgenommene Antrag auf Erstattung vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten ist ohne eigenständigen Wert, § 43 Abs. 1 GKG.</p> </td> <td></td> <td></td> </tr> <tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table>
346,306
olgmuen-2022-08-17-7-u-412519
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7 U 4125/19
2022-08-17T00:00:00
2022-08-25T10:01:29
2022-10-17T11:09:27
Endurteil
<h2>Tenor</h2> <div> <p>1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 05.07.2019, Az. 3 O 12134/17, wird zurückgewiesen.</p> <p>2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.</p> <p>3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.</p> <p>Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p> <p>4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p>A.</p> <p><rd nr="1"/>Die Parteien streiten um eine Grundbuchberichtigung.</p> <p><rd nr="2"/>Die Klägerin, eine philippinische Staatsangehörige, und M. B., ein deutscher Staatsangehöriger (im Folgenden MB genannt), lebten seit 2004 auf einer von MB gekauften Farm in Südafrika. Am 06.02.2006 schlossen sie in O., Südafrika die Ehe (vgl. die Eheurkunde laut Anl. K 1). Ein Ehevertrag wurde nicht abgeschlossen, eine Rechtswahl nicht getroffen.</p> <p><rd nr="3"/>In das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch von I.-V. des Amtsgerichts München, Band …, Blatt Nr. … war MB als Eigentümer u.a. eines 98/10.000 Miteigentumsanteils an dem Grundstück …/20 I.straße …, Gebäude und Freifläche verbunden mit Sondereigentum an Wohnung und Keller Nr. … eingetragen (vgl. Grundbuchauszug laut Anl. K 49).</p> <p><rd nr="4"/>Mit Urkunde des Notars J. O. (URNr. …/2013) vom 27.11.2013 (Anl. K 9) überließ MB, dabei unter Verwendung einer von MB H. B., dem Ehemann der Beklagten und Sohn des MB aus früherer Ehe (im Folgenden als HB bezeichnet), erteilten notariellen Generalvollmacht vom 12.06.1996 (URNr. …/1996 des Notars M. S.) vertreten durch HB, dem HB neben 26 weiteren Wohnungen die o.g. streitgegenständliche Wohnung. Gleichzeitig behielt sich MB ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an den 27 übertragenen Wohnungen vor und erklärten die Vertragsparteien die Auflassung hinsichtlich der 27 Wohnungen. Die Klägerin hat der Überlassung der Wohnung an HB nicht zugestimmt.</p> <p><rd nr="5"/>Am 04.12.2013 wurde HB als Eigentümer der streitgegenständlichen Wohnung in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragen. Gleichzeitig erfolgte die Eintragung des Nießbrauchs zu Gunsten des MB (vgl. Grundbuchauszug laut Anl. K 49).</p> <p><rd nr="6"/>Am 15.01.2014 ging beim High Court of South Africa (Eastern Circuit Local Division, G.) der Scheidungsantrag der Klägerin ein, der MB am 24.01.2014 zugestellt wurde. Das Scheidungsverfahren vor dem High Court of South Africa ist noch nicht abgeschlossen.</p> <p><rd nr="7"/>Mit Urkunde des Notars J. O. (URNr. …/2014) vom 30.06.2014 (Anl. K 10) bot HB der Beklagten an, einen Vertrag mit ihm zur unentgeltlichen Übertragung der streitgegenständlichen Wohnung sowie 24 weiterer Wohnungen in M. auf die Beklagte abzuschließen. Das Angebot des HB war bis 31.12.2016 befristet. Darüber hinaus erteilte HB der Beklagten für den Fall der Annahme des Angebots unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB Vollmacht, für ihn und in seinem Namen zugleich mit der Annahmeerklärung die Auflassungserklärungen beider Parteien für sämtliche überlassenen Objekte beurkunden zu lassen. Schließlich beantragte und bewilligte HB hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnungen und aller weiteren zur Übertragung an die Beklagte angebotenen Wohnungen die Eintragung jeweils einer Auflassungsvormerkung in die jeweiligen Wohnungs- und Teileigentums-Grundbücher zu Gunsten der Beklagten „zur Sicherung deren Anspruchs auf Übertragung des Eigentums an den genannten Objekten“.</p> <p><rd nr="8"/>Am 04.07.2014 wurde hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks eine Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Beklagten „gemäß Bewilligung vom 30.06.2014 URNr. … Notar J. O.“ in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragen (vgl. Grundbuchauszug laut Anl. K 49).</p> <p><rd nr="9"/>Von den neben der streitgegenständlichen Wohnung der Beklagten von HB mit Urkunde vom 30.06.2014 laut Anl. K 10 zur unentgeltlichen Übertragung angebotenen weiteren 24 Wohnungen in M. wurden von HB im Zeitraum vom 12.09.2014 bis 10.06.2016 drei Wohnungen an Dritte aufgelassen (vgl. die Grundbuchauszüge laut Anl. K 11).</p> <p><rd nr="10"/>Am 06.05.2016 wurde der am 04.12.2013 zu Gunsten des MB in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragene Nießbrauch an der streitgegenständlichen Wohnung gelöscht (vgl. Grundbuchauszug laut Anl. K 49).</p> <p><rd nr="11"/>Am 07.06.2016 schlossen HB und die Kreissparkasse S. zwei Darlehensverträge über 1.000.000 € (Nr. …958, Anl. BK 27) und 500.000 € (…941, Anl. BK 28), wobei als Verwendungszweck der Darlehenssummen jeweils „Darlehensablösung HypoVereinsbank M. (I.straße …)“ angegeben war.</p> <p><rd nr="12"/>Mit einstweiliger Verfügung vom 29.09.2016, Az. 534 F 9427/16, (Anl. K 12) ordnete das Amtsgericht - Familiengericht München die Eintragung eines Widerspruchs zugunsten der Klägerin und MB gegen die Eintragung des HB als Eigentümer der streitgegenständlichen Wohnung sowie weiterer 25 Wohnungen an. Der Widerspruch wurde am 07.10.2016 in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragen.</p> <p><rd nr="13"/>Die Klägerin behauptete, HB sei zu Unrecht als Alleineigentümer der streitgegenständlichen Wohnung in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragen gewesen. HB habe die Wohnung mangels Zustimmung der Klägerin hierzu nicht wirksam von MB übertragen bekommen, da nach dem anwendbaren südafrikanischem Güterrecht durch die Eheschließung an der Wohnung Gesamthandseigentum der Klägerin und des MB begründet worden sei. HB habe dies auch gewusst. Im Übrigen habe HB den MB bei der Übertragung der Wohnung auch nicht wirksam vertreten, da die Generalvollmacht vom 12.06.1996 hierfür nicht ausgereicht habe. Die Überlassung der Wohnung habe nur dazu gedient, die nach südafrikanischem Recht bestehenden güterrechtlichen Ansprüche der Klägerin zu vereiteln.</p> <p><rd nr="14"/>Ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung durch die Beklagte scheitere schon daran, dass kein sicherungsfähiger Anspruch bestehe, da das bislang von der Beklagten nicht angenommene Schenkungsangebot des HB vom 30.06.2014 nur zu einem künftigen Anspruch führe und für diesen ein hinreichend sicherer Rechtsboden nicht bestehe. Darüber hinaus sei das Schenkungsangebot des HB an die Beklagte vom 30.06.2014 sittenwidrig und daher nichtig.</p> <p><rd nr="15"/>Die Klägerin sei nach dem anzuwendenden südafrikanischen Sachrecht hinsichtlich des geltend gemachten Grundbuchberichtigungsanspruchs auch aktivlegitimiert.</p> <p><rd nr="16"/>Die Klägerin beantragte,</p> <p>die Beklagte wird verurteilt, der Berichtigung des Wohnungsgrundbuchs von I.-V. des Amtsgerichts München, Band …, Blatt …, Bestandsverzeichnis lfd. Nr. …, 98/10.000 Miteigentumsanteil am Grundstück …/20 I.straße …, Gebäude- und Freifläche verbunden mit Sondereigentum an Wohnung und Keller Nr. …, der Gestalt zuzustimmen, dass die in Abteilung 2 lfd. Nr. 2 zugunsten der Beklagten eingetragene Auflassungsvormerkung gelöscht wird.</p> <p><rd nr="17"/>Die Beklagte beantragte,</p> <p>Klageabweisung.</p> <p><rd nr="18"/>Sie erwiderte, dass deutsches und nicht südafrikanisches Güterrecht zur Anwendung käme, da MB und die Klägerin den erklärten Willen gehabt hätten, nach deutschem Recht zu heiraten. Aus diesem Grund würden die Klägerin und MB im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff. BGB) leben und wäre MB auch nach der Eheschließung mit der Klägerin Alleineigentümer der Wohnung geblieben. Die Übertragung der streitgegenständlichen Wohnung sowie der weiteren Wohnungen auf HB sei auch nicht schenkweise, sondern im Rahmen einer erforderlichen Umschuldung erfolgt. Ohne diese Umschuldung hätte MB seine Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern nicht weiter bedienen können, sodass es zur Zwangsversteigerung gekommen wäre. Im Zuge der Umschuldung habe HB MB von Verbindlichkeiten in Höhe von 2.035.195,94 € befreit. Nachdem Verhandlungen mit der HVB, der bisherigen Hauptgläubigerin des MB, zugunsten derer die Wohnung(en) mit Grundschulden belastet war(en), um die Jahreswende 2015/2016 gescheitert seien, habe HB mit den beiden bei der Kreissparkasse S. aufgenommenen Darlehen die HVB-Darlehen abgelöst.</p> <p><rd nr="19"/>Selbst wenn man - wie die Klägerin - von der Anwendbarkeit südafrikanischen Güterrechts ausgehe, so sähe dieses keine dinglichen Verfügungsbeschränkungen vor und gelte im Übrigen die Zustimmung des anderen Ehegatten zu Veräußerungen im normalen Geschäftsverkehr als erteilt. Um eine solche Veräußerung im normalen Geschäftsverkehr gehe es streitgegenständliche, da die Übertragung der Wohnung im Rahmen der Umschuldung erfolgt sei.</p> <p><rd nr="20"/>Ein Verstoß gegen etwaige Verfügungsbeschränkungen des südafrikanischen Rechts führe auch nicht zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, sondern begründe allenfalls Schadensersatzansprüche des anderen Ehegatten, die erst im Rahmen der Vermögensaufteilung im Scheidungsverfahren zu berücksichtigen seien.</p> <p><rd nr="21"/>Die Übertragung der Wohnung sei auch nicht sittenwidrig gewesen.</p> <p><rd nr="22"/>Im Übrigen habe HB die Wohnung gutgläubig erworben, da ihm die angeblichen Verfügungsbeschränkungen des südafrikanischen Güterrechts nicht bekannt gewesen seien.</p> <p><rd nr="23"/>Auch die Beklagte selbst sei bei Erwerb der Vormerkung am 30.06.2014 gutgläubig gewesen. Sie habe nicht gewusst, dass auf die Ehe der Klägerin und des MB südafrikanisches Güterrecht zur Anwendung komme. Sie habe mit den „Weibergeschichten“ des MB nichts zu tun haben wollen. HB habe diese Angelegenheiten so weit wie möglich von ihr fernhalten wollen. Sie habe nur mitbekommen, dass HB andauernd Geld für MB habe auftreiben müssen.</p> <p><rd nr="24"/>Im Oktober 2016 und damit vor Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist zur Annahme seines an die Beklagte gerichteten Schenkungsangebots laut Anl. K 10 habe HB die Annahmefrist bis 31.12.2026 verlängert.</p> <p><rd nr="25"/>Mit Endurteil vom 05.07.2019, Az. 3 O 12134/17, wies das Landgericht München I die Klage ab. Das Landgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass der Klägerin der von ihr geltend gemachte Grundbuchberichtigungsanspruch nicht zustehe, da die im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung mit der wirklichen Rechtslage übereinstimme.</p> <p><rd nr="26"/>Die Voraussetzungen der §§ 883 und 885 BGB für das Entstehen einer Vormerkung seien erfüllt. Das Schenkungsangebot des HB an die Beklagte vom 30.06.2014 (Anl. K 10) habe einen Anspruch der Beklagten auf Abschluss eines Vertrages zur Übertragung der streitgegenständlichen Wohnung begründet. Die Klägerin, die diesbezüglich die Beweislast treffe, habe die Behauptung der Beklagten, die Frist zur Annahme des Schenkungsangebots des HB sei verlängert worden und deshalb noch nicht abgelaufen, nicht widerlegt. Insoweit habe die Klägerin nämlich keinen Beweis angeboten. Nur die nicht beweisbelastete Beklagte habe Beweis angetreten (LGU S. 11 letzter Absatz und S. 12 erster Absatz).</p> <p><rd nr="27"/>Das Gericht sei nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2019 davon überzeugt, dass das Schenkungsangebot vom 30.06.2014 kein Scheingeschäft gewesen sei. Die vom Landgericht angehörte Beklagte habe glaubhaft bekundet, dass das Schenkungsangebot ernst gemeint gewesen sei. Das Landgericht hielt die Beklagte auch unter Berücksichtigung von deren Eigeninteresse am Ausgang des Prozesses für glaubwürdig (LGU S. 12 zweiter Absatz). Auch die Tatsache, dass die Beklagte nicht gegen die nach Abgabe des Schenkungsversprechens erfolgten Zwischenverfügungen bezüglich dreier anderer Wohnungen vorgegangen sei, spreche nicht für ein Scheingeschäft, da die Beklagte ja bereits durch die Vormerkung ein Anwartschaftsrecht erworben habe und daher hinreichend gesichert gewesen sei. Eines weiteren Vorgehens habe es daher nicht bedurft (LGU S. 12 dritter Absatz).</p> <p><rd nr="28"/>Die Vormerkung sei entsprechend § 885 Abs. 1 S. 1 BGB aufgrund der Bewilligung des HB in dem notariellen Schenkungsangebot vom 30.06.2014 (Anl. K 10) erfolgt.</p> <p><rd nr="29"/>Weder die Auflassung durch MB an HB noch das Schenkungsangebot des HB an die Beklagte würden gegen die guten Sitten verstoßen. Insoweit habe die Klägerin schon nicht hinreichend vorgetragen, dass sich die Rechtsstellung der Klägerin durch das Schenkungsangebot des HB an die Beklagte tatsächlich verschlechtert habe. Die Beklagte habe durch das Privatgutachten von H. G. laut Anl. B 34 vorgetragen, dass die Veräußerung der Einheiten von MB an HB im November 2013 für die Klägerin keinen Nachteil bedeutet habe, da die Umschuldung zu einer Steigerung der Mieteinnahmen geführt habe und bestehende Verbindlichkeiten hätten zurückgezahlt werden können (LGU S. 13 erster Absatz).</p> <p><rd nr="30"/>Eine Schädigungsabsicht von HB oder der Beklagten habe die Klägerin weder schlüssig dargetan noch unter Beweis gestellt (LGU S. 13 zweiter Absatz).</p> <p><rd nr="31"/>Auf die Gutgläubigkeit der Beklagten komme es nicht an, da die Beklagte von HB als Berechtigtem erworben habe, weil dieser seinerseits das Eigentum an der streitgegenständlichen Wohnung gutgläubig von MB erworben habe (LGU S. 13 dritter Absatz). Zwar hätte die Grundstückübertragung durch MB auf HB nach südafrikanischem Recht der Zustimmung der Klägerin bedurft. Jedoch habe HB gutgläubig das Eigentum an dem Grundstück erworben. §§ 1365 und 1369 hinderten die Anwendung von § 892 BGB nicht. Die von MB auf HB übertragenen Wohnungen stellten nicht das gesamte Vermögen des MB und der Klägerin dar. Wohnungen seien auch kein Hausrat.</p> <p><rd nr="32"/>Eine Bösgläubigkeit des HB habe die Klägerin zur Überzeugung des Landgerichts nicht nachweisen können. Dass HB am 27.11.2013 bzw. 04.12.2013 wusste, dass die Klägerin und MB im Güterstand der community of property verheiratet waren und die Klägerin daher Miteigentümerin der M. Wohnungen war und MB deshalb die Zustimmung der Klägerin benötigt hätte, hätte die Klägerin nur durch die Aussage von MB und HB nachweisen können. Insoweit sei aber Beweis nur unter Verwahrung gegen die Beweislast angeboten worden (LGU S. 15). Die sonst von der Klägerin angebotenen Beweismittel seien ungeeignet.</p> <p><rd nr="33"/>Die schnelle zeitliche Abfolge der Übertragungen könne eine Bösgläubigkeit nicht begründen. Auch die nahe Verwandtschaft von MB und HB sei dafür kein hinreichendes Indiz. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass HB die Wohnungen unentgeltlich erworben habe und er dadurch Vorteile erlangt habe. Die Beklagte habe insoweit vorgetragen, dass der übertragene Grundbesitz mit einem Nießbrauch zugunsten von MB im Wert von 1.453.655 € belastet sei. Darüber hinaus bestünden an den Immobilien in M. dingliche Sicherheiten in Höhe von 536.850 €. Der Ertragswert der Immobilien belaufe sich lediglich auf 3.845.000 €, sodass es kein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Immobilien und der Gegenleistung gebe. Schließlich habe die Beklagte substanziiert dargelegt, dass sich MB im November/Dezember 2013 in einem Liquiditätsengpass befunden habe und deshalb die monatlichen Darlehnsverbindlichkeiten in Höhe von 15.000 € nicht mehr habe bedienen könne, weshalb MB die Immobilien zum Zwecke der Umschuldung auf HB übertragen habe. Dies alles sei von der Klägerin nicht substanziiert bestritten worden. Zu guter Letzt habe die Klägerin auch nicht substanziiert bestritten, dass HB bis Ende 2016 Aufwendungen in Höhe von insgesamt 4.473.687,02 € zugunsten von MB getätigt habe.</p> <p><rd nr="34"/>Die Auflassung vom 27.11.2013 sei wirksam, insbesondere sei die von HB dabei verwendete Generalvollmacht gültig gewesen.</p> <p><rd nr="35"/>Die Auflassung sei auch nicht sittenwidrig. Es sei schon fraglich, ob in Anbetracht der vorgenommenen Umschuldung die Klägerin hierdurch überhaupt geschädigt worden sei. Die Klägerin sei jedenfalls insoweit ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen.</p> <p><rd nr="36"/>Nach alledem habe die Klägerin ihr Miteigentum an dem Grundstück durch den gutgläubigen Eigentumserwerb des HB verloren, sodass sie nicht mehr Gläubigerin i.S.d. § 894 BGB sei. Durch die Vormerkung zu Gunsten der Beklagten sei daher kein Recht der Klägerin beeinträchtigt.</p> <p><rd nr="37"/>Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.</p> <p><rd nr="38"/>Mit Ihrer Berufung verfolgt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter.</p> <p><rd nr="39"/>Sie rügt u.a., dass sich das Landgericht nicht mit der Gültigkeit der von HB bei der Übertragung der Wohnung(en) von MB an ihn verwendeten Generalvollmacht und der Unwirksamkeit der Auflassung an HB auseinandersetze sowie die Darlegungs- und Beweislast verkenne. Bei der Annahme eines gutgläubigen Erwerbs der Wohnung(en) durch HB habe das Landgericht übersehen, dass bei der vorliegend anzunehmenden Vorwegnahme der Erbfolge § 892 BGB schon nicht zur Anwendung komme. Im Übrigen verhindere auch die wirtschaftliche Identität von MB und HB eine Berufung auf § 892 BGB. Das Landgericht habe es auch unterlassen, die von Klägerseite für die Bösgläubigkeit des HB angebotenen Beweise zu erheben. So hätte der Notar O. vernommen werden müssen. Die von der Klägerin vorgetragenen Indiztatsachen, die für eine Bösgläubigkeit des HB sprächen, habe das Landgericht ignoriert. Insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Bekundung der Scheidungsabsicht durch die Klägerin im Herbst 2013 sowie der schriftlichen Information des MB über die südafrikanische Güterrechtslage durch den südafrikanischen Rechtsanwalt R. (Anl. K 8) einerseits und der Übertragung der Wohnung(en) Ende November/Anfang Dezember 2013 andererseits, sei außer Acht geblieben, ebenso die familiäre Nähe von MB und HB. Bei der Beurteilung habe das Landgericht darüber hinaus fälschlich nicht auf den Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs des Eigentums durch HB, sondern teilweise auf Vorgänge abgestellt, die sich erst Jahre später zugetragen hätten. Das Landgericht habe auch keinen Hinweis darauf erteilt, dass der Aspekt der (Un) Entgeltlichkeit der Übertragung der Wohnung(en) von MB auf HB von Bedeutung sei. Hätte das Landgericht einen solchen Hinweis erteilt, hätte die Klägerin weiter zur Unschlüssigkeit des Vortrags der Beklagten zur behaupteten Umschuldung vorgetragen.</p> <p><rd nr="40"/>Hinsichtlich eines gutgläubigen Erwerbs der Vormerkung habe das Landgericht übersehen, dass ein zu sichernder Anspruch der Beklagten nicht bestehe, da aufgrund des Schenkungsversprechens des HB vom 30.06.2014 nur ein künftiger Anspruch begründet worden sei, dem es aber an einem hinreichend sicheren Rechtsboden fehle. Ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung sei daher ausgeschlossen. Außerdem bestehe der Schutzzweck der Vormerkungsvorschriften nicht darin, Immobilien bei einem zwischengeschalteten „Strohmann“, nämlich der Beklagten, zu parken, um sie sodann an gutgläubige Dritte zu veräußern.</p> <p><rd nr="41"/>Schließlich habe das Landgericht auch verkannt, dass sich die Vermögenslage der Klägerin und des MB durch die Übertragung der Wohnung(en) auf HB verschlechtert habe. Das vom Landgericht für die Beurteilung der Vermögenslage der Ehegatten herangezogene Privatgutachten H. G. (Anl. B 34) stamme aus dem Jahr 2019, relevanter Zeitpunkt sei aber der Zeitpunkt der Übertragung der Wohnung(en) Ende 2013.</p> <p><rd nr="42"/>Die Beklagte beantragt daher:</p> <p>Unter Abänderung des Endurteils des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 05.07.2019, Az. 3 O 12134/17 wird die Beklagte verurteilt, der Berichtigung des Wohnungsgrundbuchs von I.-V. des Amtsgerichts München, Band …, Blatt …, Bestandsverzeichnis lfd. Nr. 1, 98/10.000 Miteigentumsanteil am Grundstück …/20 I.straße …, Gebäude- und Freifläche verbunden mit Sondereigentum an Wohnung und Keller Nr. …, der Gestalt zuzustimmen, dass die in Abteilung 2 lfd. Nr. 2 zugunsten der Beklagten eingetragene Auflassungsvormerkung gelöscht wird.</p> <p><rd nr="43"/>Hilfsweise beantragt die Klägerin:</p> <p>Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Endurteil des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 05.07.2019, Az. 3 O 12134/17 samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht München I zurückverwiesen.</p> <p><rd nr="44"/>Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.</p> <p><rd nr="45"/>Die Beklagte verteidigt das Urteil.</p> <p><rd nr="46"/>Sie trägt dazu vor, dass die Idee des Übertragungsangebots an die Beklagte laut Anl. K 10 erst nach der Übertragung der Wohnungen durch MB an HB entstanden sei. MB sei nicht mehr kreditwürdig gewesen und die HVB als Darlehensgeberin sei nicht mehr bereit gewesen, weitere Wohnungen, die als Sicherheit dienten, freizugeben, damit MB den Verkaufserlös „verplempern“ könne. Die HVB sei auch nicht mit einer Reduzierung der Tilgungssätze einverstanden gewesen. Die Verträge mit der HVB hätten nur bei einem Eigentümerwechsel beendet werden können, was aber allein das Problem des hohen Schuldendienstes nicht hätte lösen können. Nur eine Umschuldung und Ablösung der HVB-Darlehen durch einen neuen Eigentümer hätte die Möglichkeit eröffnet, niedrigere Zinsen und Tilgungen zu vereinbaren, die zu einem höheren Cash-Flow führen würden. Dieser höhere Cahs-Flow sollte MB und der Klägerin im Wege des Nießbrauchs zugutekommen. HB sei ein kreditwürdiger Darlehensnehmer gewesen, der im Herbst 2013 zuverlässig, vertrauenswürdig, gesund und liquide gewesen sei.</p> <p><rd nr="47"/>Nach dem Erwerb der Wohnungen in M. von MB habe HB befürchten müssen, an P.krebs erkrankt zu sein. Die Werte des Tumormarkers PSA seien bereits seit Mitte 2013 deutlich über der Norm gelegen und seien seitdem bedrohlich angestiegen. Da zu diesem Zeitpunkt die Umschuldung durch den Abschluss neuer Darlehensverträge noch nicht abgeschlossen gewesen sei, habe dies das Projekt in Frage gestellt. Bis zu einer Umschuldung hätten die Mittel zum Ausgleich der Cashunterdeckung des MB in Höhe von 12.700 € monatlich durch HB aufgebracht werden müssen. Aufgrund des Krebsverdachts habe HB befürchten müssen, nicht mehr kreditwürdig zu sein oder schlimmstenfalls vor der Umschuldung zu versterben. In diesem Fall hätten die Beklagte und die minderjährigen Kinder des HB eine Erbengemeinschaft gebildet. Die Beklagte hätte dann allein die Darlehen nicht erhalten, da sie nicht Alleineigentümerin der Wohnungen geworden wäre. Die Beklagte hätte durch das Schenkungsangebot in die Lage versetzt werden sollen, im Falle der krankheitsbedingten Verweigerung der Darlehensgewährung an HB durch die Banken oder im Falle eines absehbaren Versterbens von HB sofort Alleineigentümerin der Wohnungen zu werden und als in eigener Person kreditwürdige nunmehrige Alleineigentümerin die Finanzierung mit der Bank zu realisieren (vgl. Berufungserwiderungsschriftsatz vom 12.11.2019, S. 8 - 10, Bl. 434 - 436 d.A.).</p> <p><rd nr="48"/>Die Verlängerung der Annahmefrist für das Schenkungsangebot im Oktober 2016 mit notarieller Urkunde des Notars J. O. vom 18.10.2016 (URNr. …/2016, Anl. B 38, geheftet als Bl. zu 427 d.A.) sei damit zu erklären, dass die Erkrankung des HB zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht überwunden gewesen sei. Vielmehr seien die PSA-Werte weiter dramatisch angestiegen. HB habe bis dahin bereits Biopsien und eine MRT-Untersuchung hinter sich gehabt (Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.11.2020, S. 2, Bl. 521 d.A.). Im Jahr 2018 sei der PSA-Wert weiter angestiegen. Im Jahr 2019 habe sich HB einer schweren Krebsoperation unterziehen müssen, bei der eine radikale P.tektomie durchgeführt worden sei. Dass kurz vor der Verlängerung der Annahmefrist für das Schenkungsangebot die beiden Darlehensverträge mit der KSK S. abgeschlossen worden seien, habe an den Befürchtungen, dass HB als Darlehensnehmer wegfallen oder durch das Fortschreiten der Krankheit seine Kreditwürdigkeit verlieren könne, nichts geändert.</p> <p><rd nr="49"/>Der Senat hat am 29.07.2020 und am 06.07.2022 mündlich verhandelt. Er hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung des Zeugen N. sowie durch die Vernehmung der Beklagten als Partei. Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.07.2020 und 06.07.2022, die vom Senat erteilten Hinweise, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.</p> <p>B.</p> <p><rd nr="50"/>Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, da das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.</p> <p>I.</p> <p><rd nr="51"/>Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin prozessführungsbefugt.</p> <p><rd nr="52"/>Zwar ist die Prozessführungsbefugnis Prozessvoraussetzung, sodass grundsätzlich die lex fori und damit deutsches Zivilprozessrecht zur Anwendung kommt. Dies gilt jedoch nur, soweit dieses nicht auf ausländisches Recht verweist. Ein solche Verweisung ist immer dann anzunehmen, wenn sich die Prozessführungsbefugnis auf eine Vorschrift des materiellen Rechts gründet. Dies ist hier der Fall, da die Klägerin ihre Prozessführungsbefugnis auf das Güterrecht stützt. Dann bestimmt sich die Prozessführungsbefugnis nach der Rechtsnorm, die nach deutschem bzw. in Deutschland geltendem internationalen Privatrecht maßgeblich ist (vgl. Geimer in ders., Internationales Zivilprozessrecht, 8. Auflage, Köln 2020, Parteien und ihre Vertreter, Rdnr. 2234 und 2235 und dem in Rdnr. 2238 aufgeführten Beispiel, dass ein Ehegatte die Rechte des anderen Ehegatten kraft Güterrechts geltend macht). Im streitgegenständlichen Fall ist dies das südafrikanische Güterrecht.</p> <p><rd nr="53"/>Grundsätzlich bemisst sich die Frage, welches Recht auf den ehelichen Güterstand anwendbar ist, nach dem 3. Kapitel der EuGüVO. Für Ehegatten, die - wie die Klägerin und MB - die Ehe vor dem 29.01.2019 eingingen, gilt nach Art. 69 Abs. 3 EuGüVO weiterhin Art. 15 EGBGB (vgl. Thorn in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 1 zu Art. 69 EuGüVO). Mangels Rechtswahl der Ehegatten (Art. 15 Abs. 2 EGBGB) unterliegen demnach die güterrechtliche Wirkungen der Ehe dem bei der Eheschließung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebenden Recht. Da die Klägerin und MB zum Zeitpunkt der Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit hatten (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), kommt es insoweit darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Land beide Ehegatten bei der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Der gewöhnliche Aufenthalt bezeichnet dabei den Ort eines nicht nur vorübergehenden Verweilens, an dem der Schwerpunkt der Bindungen einer Person insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht und damit ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Entscheidend sind in erster Linie die objektiven Merkmale der Dauer und Beständigkeit des Aufenthalts. Der Wille, den Aufenthaltsort zum Daseinsmittelpunkt zu machen, ist nicht erforderlich. Der gewöhnliche Aufenthalt ist ein faktischer Wohnsitz. Er erfordert eine gewisse Eingliederung in die soziale Umwelt, die durch die tatsächliche Dauer des Aufenthalts indiziert wird. Bei mehr als sechs Monaten ist grundsätzlich von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen (vgl. Thorn in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 10 zu Art. 5 EGBGB).</p> <p><rd nr="54"/>Nach diesen Grundsätzen lag der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung 2006 in Südafrika. Denn bereits im Jahr 2003 hatte MB einen dauerhaften Anlegeplatz für seine Yacht in K., Südafrika gekauft und die Klägerin und MB lebten sodann seit 2004 auf einer von MB angeschafften Farm in Südafrika. Auf die Behauptung der Beklagten, die Ehegatten hätten in Südafrika nur vorübergehend Station machen und nach Brasilien weitersegeln wollen und die Ehe hätte nach der Vorstellung der Ehegatten deutschem Recht unterfallen sollen, und damit auf die Willensrichtung des MB und der Klägerin kommt es wegen der objektiven Natur des gewöhnlichen Aufenthalts nicht an. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob die Ehegatten von der Anwendbarkeit deutschen Rechts auf ihre Ehe ausgingen. Dies ist ein unbeachtlicher Rechtsirrtum.</p> <p><rd nr="55"/>Da das nach alledem anwendbare südafrikanische Güterrecht nach der Rechtsauskunft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht vom 04.12.2020 laut Anl. BK 32 eine Berechtigung der Klägerin vorsieht, auch ohne Zustimmung des MB gegen Dritte zu klagen, ist die Klägerin prozessführungsbefugt.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="56"/>Die Klage ist jedoch unbegründet, da der von der Klägerin geltend gemachte, auf die Zustimmung der Beklagten zur Löschung der zu deren Gunsten in das Grundbuch eingetragenen Vormerkung gerichtete Grundbuchberichtigungsanspruch nach § 894 BGB nicht besteht. Denn die im Grundbuch zu Gunsten der Beklagten eingetragene Vormerkung entspricht der wirklichen Rechtslage.</p> <p><rd nr="57"/>Es kann insoweit dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich dieses Grundbuchberichtigungsanspruchs - wie sie behauptet - aktivlegitimiert ist, weil sie nach klägerischem Vortrag durch die Eheschließung mit MB im Jahr 2006 aufgrund des nach südafrikanischem Güterrecht in Ermangelung einer Rechtswahl der Ehegatten anwendbaren gesetzlichen Güterstands der community of property zusammen mit MB Gesamthandseigentümerin der bis zur Eheschließung im Alleineigentum des MB stehenden streitgegenständlichen Wohnung geworden sei und dies auch immer noch sei, da HB mangels ihrer nach südafrikanischem Güterrecht erforderlichen Zustimmung zur Überlassung der Wohnung durch MB an HB im November 2013 nicht Eigentümer der Wohnung geworden sei, sodass die Klägerin in ihrer Stellung als Gesamthandseigentümerin durch die Eintragung der Vormerkung zugunsten der Beklagten beeinträchtigt sei. Denn selbst wenn die Klägerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundbuchberichtigungsanspruchs aktivlegitimiert wäre, so bestünde dieser Anspruch dennoch nicht, da die zu Gunsten der Beklagten eingetragene Vormerkung mit der wirklichen Rechtslage übereinstimmt. Die Beklagte hat die Vormerkung nämlich gutgläubig erworben und die Vormerkung ist in der Folge auch nicht untergegangen.</p> <p><rd nr="58"/>1. Gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB kommt auf die Frage des gutgläubigen Erwerbs der Vormerkung und die Frage des Weiterbestehens der Vormerkung deutsches Sachrecht zur Anwendung, da die Vormerkung i.S.d. § 883 BGB ein „Recht an einer Sache“ iSd. § 43 Abs. 1 EGBGB ist und deshalb der lex rei sitae des betroffenen Grundstücks folgt, das in Deutschland liegt (vgl. Prütting in BeckOGK BGB, Stand 01.02.2020, Rdnr. 85 zu Art. 43 EGBGB). Die Möglichkeit und die Voraussetzungen des Erwerbs eines Rechts an einer Sache vom Nichtberechtigten sind ein Teilschritt der Übertragung eines dinglichen Rechts, fallen daher in den Anwendungsbereich des Art. 43 Abs. 1 EGBGB und bemessen sich deshalb nach deutschem Recht (vgl. Thorn in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 3 zu Art. 43 EGBGB m.w.N. aus der Rechtsprechung).</p> <p><rd nr="59"/>2. Aus dem notariellen Schenkungsangebot des HB vom 30.06.2014 (Anl. K 10) ergibt sich mangels Annahme dieses Angebots durch die Beklagte noch kein Auflassungsanspruch der Beklagten, sondern lediglich ein künftiger Auflassungsanspruch der Beklagten. Solche künftige Ansprüche sind nach § 883 Abs. 1 S. 2 BGB vormerkungsfähig, wenn bereits der Rechtsboden für ihre Entstehung durch ein rechtsverbindliches Angebot soweit vorbereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Berechtigten abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 31.10.1980 - V UR 95/79, Rdnr. 11 m.w.N.). Als feste Rechtsgrundlage genügt damit jedenfalls die vom Schuldner nicht mehr einseitig zu beseitigende Bindung, die eingetreten ist, wenn er seine zur Anspruchsentstehung notwendige Willenserklärung nicht mehr widerrufen kann (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2006 - IX ZR 11/05, Rdnr. 13 m.w.N.). Dies ist nach dem Schenkungsangebot des HB vom 30.06.2014 der Fall, da ein Widerruf des Schenkungsangebots durch ihn nicht mehr möglich ist.</p> <p><rd nr="60"/>Entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 26.07.2022, S. 9, Bl. 643 d.A.) handelt es sich bei dem aus dem Schenkungsangebot des HB vom 30.06.2014 resultierenden künftigen Auflassungsanspruch der Beklagten auch nicht um ein Schenkungsversprechen von Todes wegen i.S.d. § 2301 BGB, da das Schenkungsversprechen nicht daran anknüpft, dass die Beklagte als Beschenkte HB als Schenker überlebt. Vielmehr kann die Beklagte das Schenkungs- und Auflassungsangebot des HB jederzeit annehmen. Da der durch die Vormerkung gesicherte zukünftige Anspruch somit kein erbrechtlicher ist, ist er auch vormerkungsfähig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16.05.2002 - 2Z BR 181/01, Rdnrn 20 f.).</p> <p><rd nr="61"/>Da der gutgläubige Ersterwerb einer Vormerkung nach §§ 893 Fall 2 BGB (dazu BGH, Urteil vom 10.12.1971 - V ZR 90/69, Rdnr. 11) entsprechend 892 BGB möglich ist (vgl. Herrler in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 13 zu § 885 BGB), konnte die Beklagte grundsätzlich auf die Eintragung des HB als Alleineigentümer der streitgegenständlichen Wohnung im Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch vertrauen.</p> <p><rd nr="62"/>3. Ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung wäre nach §§ 893 Fall 2, 892 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen, wenn zum Erwerbszeitpunkt zu Gunsten der Klägerin ein Widerspruch hinsichtlich der Eigentümerstellung des HB in das Grundbuch eingetragen gewesen wäre. Ein solcher Widerspruch wurde jedoch erst aufgrund der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts - Familiengericht München vom 29.09.2016, Az. 534 F 9427/16, (Anl. K 12), am 07.10.2016 eingetragen. Dieser Zeitpunkt liegt lange nach dem im Rahmen des 892 Abs. 1 S. 2 1. Alt. BGB allein relevanten Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs der Vormerkung durch die Beklagte (zum Abstellen auf diesen Zeitpunkt und zur Unanwendbarkeit des § 892 Abs. 2 BGB im Fall des § 892 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB vgl. OLG Köln, Beschluss vom 22.05.2013 - I-2 Wx 94 - 97/13, Rdnr. 21 und Herrler in Grüneberg, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 23 zu § 892 BGB). Denn der Erwerb der Vormerkung durch die Beklagte war aufgrund der zuvor erfolgten Einigung von HB und der Beklagten bereits mit der Eintragung der Vormerkung am 04.07.2014 vollendet.</p> <p><rd nr="63"/>Aus diesem Grund kommt es für die Frage, ob der am 07.10.2016 eingetragene Widerspruch gegen die Eigentümerstellung des HB den Vormerkungserwerb durch die Beklagten noch hindern konnte, auch nicht darauf an, dass die Verlängerung des Schenkungsangebots an die Beklagte durch HB am 18.10.2016 und damit nach Eintragung des Widerspruchs am 07.10.2016 erfolgte. Denn mit der Verlängerung des Schenkungsangebots war kein Neuerwerb der Vormerkung verbunden (zur Verlängerung siehe unten unter 8).</p> <p><rd nr="64"/>4. Ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung durch die Beklagte war aber auch nicht nach §§ 893 Fall 2, 892 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB ausgeschlossen. Denn nach Durchführung der Beweisaufnahme konnte die Klägerin nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen, dass die Beklagte zu dem im Rahmen des § 892 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB nach § 892 Abs. 2 1. Alt. BGB allein ausschlaggebenden Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eintragung der Vormerkung (hierzu vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2000 - V ZR 349/99, Rdnr. 12) positive Kenntnis von der (unterstellt) tatsächlich nicht gegebenen Eigentümerstellung des HB und damit von der (unterstellten) Unrichtigkeit des Grundbuchs hatte. Zwar ist der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eintragung der Vormerkung von den Parteien nicht vorgetragen, er liegt jedoch notwendigerweise zwischen der Errichtung der Urkunde des Notars O. vom 30.06.2014 laut Anl. K 10 und der Eintragung der Vormerkung in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch am 04.07.2014. Da nicht ersichtlich ist, dass sich innerhalb dieser wenigen Tage etwas am Kenntnisstand der Beklagten hinsichtlich der Eigentümerstellung des HB geändert hätte, kann der taggenaue Zeitpunkt der Antragstellung dahinstehen.</p> <p><rd nr="65"/>Gemäß § 892 Abs. 2 1. Alt BGB kommt es dagegen für die Frage einer positiven Kenntnis der Beklagten von der (unterstellten) Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht auf die Situation bei Verlängerung des Schenkungsangebots durch am HB am 18.10.2016 an.</p> <p><rd nr="66"/>a. Die Beweislast für eine positive Kenntnis der Beklagten von der (unterstellt) fehlenden Eigentümerstellung des HB trägt nicht die Erwerberin, sondern die Klägerin, die sich auf die Unwirksamkeit des Erwerbs beruft. Denn nach dem Wortlaut des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB (“es sei denn, dass (…) die Unrichtigkeit dem Erwerber bekannt ist“) ist der gute Glaube an die Richtigkeit des Grundbuchs keine Tatbestandsvoraussetzung des Erwerbs, sondern die Bösgläubigkeit vielmehr ein Ausschlussgrund (vgl. Hertel in BeckOGK, Stand 15.04.2021, Rdnr. 90 zu § 892 BGB).</p> <p><rd nr="67"/>b. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine nicht beweisbelastete Partei jedoch grundsätzlich ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht kennt, während sie der anderen Partei bekannt und ihr nähere Angaben zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 18.05.2005 - VIII ZR 368/03, Rdnr. 22 m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen des § 892 (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2014 - V ZR 45/13, Rdnr 22). Der BGH hat insoweit angenommen, dass, wenn die beweisbelastete Partei Tatsachen vorgetragen hat, die einen Verdacht der Bösgläubigkeit des Erwerbers begründen, der Erwerber sodann die für seine Gutgläubigkeit sprechenden Tatsachen darzulegen hat, die die beweisbelastete Partei anschließend widerlegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2014 - V ZR 45/13, Rdnr 23).</p> <p><rd nr="68"/>Nachdem die Klägerin, die außerhalb der Vorgänge um das Schenkungsangebot und die Vormerkung stand und deshalb die maßgebenden Tatsachen nicht kennt, in erster Instanz vorgetragen hatte, dass weder ein Grund für die Abgabe des Schenkungsangebots laut Anl. K 10 durch HB, für die Verlängerung dieses Angebots am 18.10.2016 noch für die Nichtannahme dieses Angebots durch die Beklagte ersichtlich sei und diese deshalb nicht nachvollziehbare Vorgehensweise des HB und der Beklagten auch aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Einreichung des Scheidungsantrags durch die Klägerin auf ein kollusives Zusammenwirken der Ehegatten hindeute in der Absicht, die nach südafrikanischem Güterrecht gegebenen Ansprüche der Klägerin hinsichtlich der streitgegenständlichen, aber auch der anderen zur Übertragung angebotenen Wohnungen zu vereiteln, hat die Beklagte, die in erster Instanz lediglich pauschal ihre Bösgläubigkeit bestritten hatte, erstmals in der Berufungserwiderung Gründe für das Schenkungsangebot des HB an sie und dessen immer noch nicht erfolgte Annahme durch sie dargetan. Im Wesentlichen sollte mit dem Schenkungsangebot bei einer etwaigen Tumorerkrankung des HB und einer dadurch beeinträchtigten Kreditwürdigkeit des HB die Finanzierung der von MB dem HB überlassenen, mit Grundschulden belasteten Wohnungen in M. dadurch sichergestellt werden, dass in diesem Fall (und nur in diesem) die Beklagte schnell Alleineigentümerin der Wohnungen werden könne und die Finanzierung unabhängig von HB selbst abwickeln könne (zum Vorbringen der Beklagten im einzelnen vgl. oben den Tatbestand zum streitigen Beklagtenvorbringen in zweiter Instanz).</p> <p><rd nr="69"/>Wie der Senat in seinem Hinweis an die Parteien vom 06.08.2020 zum Ausdruck gebracht hat, genügt dieser Vortrag der Beklagten zur Erfüllung der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast.</p> <p><rd nr="70"/>c. Nach alledem war es nunmehr an der beweisbelasteten Klägerin, die positive Kenntnis der Beklagten davon, dass HB nicht Eigentümer der streitgegenständlichen Wohnung geworden war, und damit die Bösgläubigkeit der Beklagten nachzuweisen (eine von der Klägerin angenommene sekundäre Beweislast gibt es nicht).</p> <p><rd nr="71"/>aa. Unter Anwendung der vom BGH für die Annahme einer positiven Kenntnis i.S.d. § 892 Abs. 1 S. 1 2. Var. BGB entwickelten Grundsätze läge positive Kenntnis der Beklagten von der (unterstellt) fehlenden Eigentümerstellung des HB bereits dann vor, wenn sich der Verdacht eines aufgrund der güterrechtlichen Regelungen nach südafrikanischem Recht unwirksamen Erwerbs der streitgegenständlichen Wohnung durch HB von MB für die Beklage aufdrängte, sie jedoch die Möglichkeiten, sich Klarheit zu verschaffen, bewusst nicht wahrgenommen hätte, um zu vermeiden, dass aus einem begründeten Verdacht Gewissheit wird (BGH, Urteil vom 24.10.2014 - V ZR 45/13, Rdnr 33). Die Beklagte müsste also vor der Nichtberechtigung des HB bewusst die Augen verschlossen haben (BGH, Urteil vom 24.10.2014 - V ZR 45/13, Rdnr 35). Eine lediglich grob fahrlässige Unkenntnis, ein Zweifeln oder Möglichhalten genügt dagegen nicht (vgl. Herrler in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 24 zu § 892 BGB). Bei zweifelhafter Rechtslage ergibt sich eine Kenntnis der Unrichtigkeit einer Eintragung im Grundbuch nicht schon aus der Kenntnis der sie begründenden Tatsachen (RG, Urteil vom 20.11.1937 - V 307/36, RGZ 156, 122, 128).</p> <p><rd nr="72"/>bb. Den ihr obliegenden Nachweis einer solchen positiven Kenntnis hat die Klägerin durch die durchgeführte Beweisaufnahme jedoch nicht zur Überzeugung des Senats führen können, wobei der Senat sich zur Bildung einer Überzeugung mit einer Gewissheit begnügt, die Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2013 - VI ZR 44/12, Rdnr. 8).</p> <p><rd nr="73"/>(1) Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Parteieinvernahme durch den Senat glaubhaft bekundet, dass sie weder in die Finanzierung des Lebens des MB, ihres Schwiegervaters, noch in die Finanzierung der von MB auf HB übertragenen Wohnungen eingebunden gewesen sei. Was MB und die Klägerin machten, ginge sie nichts an und interessiere sie nicht. Das Schenkungsangebot des HB an sie kenne sie, ihr sei auch klar gewesen, dass sie dieses Angebot annehmen könne. Mit der Bedeutung der Vormerkung habe sie sich nicht befasst, sie wisse auch nicht, was eine Vormerkung sei. Hintergrund des Schenkungsversprechens ihres Mannes sei nicht das Scheidungsverfahren des MB und der Klägerin gewesen, das insoweit nicht von Interesse gewesen sei, sondern ausschließlich die steigenden PSA-Werte des HB, aufgrund derer HB und sie damit gerechnet hätten, dass HB irgendwann an Krebs erkranken würde. HB habe ihr daraufhin vorgeschlagen, Regelungen für den Fall zu treffen, dass er sterben würde. Mit den Regelungen habe sie sich aber nicht auseinandergesetzt; sie habe sich damit auch nicht befassen wollen. Sie vertraue insoweit auf ihren Mann, mit dem sie seit 35 Jahren in einer Beziehung lebe und von dem auch die Idee für die Schenkung gekommen sei (vgl. S. 5 und 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 632 und 633 d. A.).</p> <p><rd nr="74"/>Für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten spricht zunächst die Aussage des Zeugen N., der HB seit 2012 als Urologe behandelt und der glaubhaft bekundete, dass die PSA-Werte des HB bereits seit 2012 auffällig gewesen seien, dass sie aber im Jahr 2014 stetig und schnell gestiegen seien und deshalb im August 2014 eine Biopsie vorgenommen worden sei (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 629 d.A.). Der von der Beklagten in ihrer Aussage angegebene Anlass für das am 30.06.2014 erklärte Schenkungsangebot, nämlich das Wissen sowohl des HB als auch der Beklagten um die ernsthafte Möglichkeit einer P.krebserkrankung bei HB in der ersten Jahreshälfte 2014 und damit vor Abgabe des Schenkungsversprechens steht damit zur Überzeugung des Senats fest. Ohne Bedeutung ist dabei, dass - was zwischen den Parteien unstreitig ist - eine Tumorerkrankung des HB positiv erst mehrere Jahre später (2018/2019) festgestellt wurde und in früheren Jahren durchgeführte Biopsien einen negativen Befund erbrachten. Denn nach Aussage des Zeugen N. kann auch nach einer negativen Biopsie das Vorhandensein eines Tumors nicht ausgeschlossen werden, da Biopsien immer nur punktuell träfen. Da der Zeuge N. gleichzeitig bekundete, dass „es ein reelles Risiko (gebe), an einem P.karzinom zu sterben“ (vgl. S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 630 d.A.), erscheint auch glaubhaft, dass die Beklagte und HB durch das Schenkungsangebot Vorsorge für den Fall eines Versterbens des HB im Zuge einer P.erkrankung treffen wollten, obwohl eine solche zu diesem Zeitpunkt (30.06.2014) unstreitig noch nicht diagnostiziert war. Dabei kommt es nämlich allein darauf an, ob die Ehegatten subjektiv davon ausgingen, dass eine solche Gefahr möglicherweise bestehe. Ob und inwiefern HB und der Zeuge N. im Rahmen der Behandlung über die Gefahr eines tödlichen Ausgangs der Erkrankung sprachen und ob damit objektiv im konkreten Fall für HB (zeitnah) Todesgefahr bestand, ist für die Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten hinsichtlich des Beweggrundes für das Schenkungsangebot dagegen unerheblich. Denn es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht fernliegend, dass Vorsorgemaßnahmen (und darum hat es sich nach Aussage der Beklagten im Falle des Schenkungsangebots gehandelt: „Ich habe es so verstanden, dass Hintergrund für die Schenkung war, dass im Falle des Sterbens meines Mannes, ich nicht nur Schulden haben sollte“, vgl. S. 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 633 d.A.) selbst dann getroffen werden, wenn die Beteiligten nur subjektiv von einer Gefahr ausgehen, diese Gefahr jedoch objektiv gar nicht oder nur in einem geringen Umfang besteht. Dass es (unterstellt) auch andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten gegeben haben mag, um das nach dem Vortrag der Beklagten mit dem Schenkungsangebot verfolgte Ziel der Sicherung der Finanzierung der Umschuldung zu erreichen (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.09.2020, S. 10, Bl. 499 d.A.), und dass nach der Aussage der Beklagten HB und die Beklagte ein gemeinschaftliches Testament errichteten, mit dem die Ehegatten sich ohnehin gegenseitig als Erben einsetzten (vgl. S. 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 633 d.A.), spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten, da die tatsächlich gewählte Lösung des Schenkungsangebots jedenfalls auch dazu führt, dass die Beklagte einfach, schnell, unabhängig vom Willen Dritter und ohne weiteres nachweisbar zu jedem ihr beliebenden Zeitpunkt (gegebenenfalls auch noch vor dem Tod des HB) Alleineigentümerin der Wohnung(en) werden kann, während bei testamentarischer Erbfolge stets die Möglichkeit einer Anfechtung des Testaments durch übergangene Erbaspiranten und damit der Unsicherheit hinsichtlich des Eigentumserwerbs besteht. Glaubhaft ist ferner die Aussage der Beklagten auch insoweit, als sie erklärte, sie habe sich mit den „vertraglichen Regelungen“ nicht befasst und auch nicht befassen wollen, da es dabei um die Finanzierung gegangen sei und sie insoweit ihrem Mann vertraut habe, der Bankkaufmann sei und sich darum gekümmert habe. Denn es ist allgemein bekannt, dass es - auch wenn es dem aktuell propagierten Rollenverständnis nicht mehr entsprechen mag - immer noch Ehen gibt, in denen nach der von den Ehegatten konsensual vorgenommenen Aufgabenverteilung, deren Festlegung allein Sache der Ehegatten ist, der Ehemann die wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten regelt, zumal wenn der Mann Bankkaufmann ist und deshalb über die entsprechende Sachkenntnis verfügt. Die von der Beklagten geschilderte Aufgabenverteilung ist deshalb auch nicht fernliegend. Aufgrund der 35-jährigen Dauer der Beziehung der Beklagten zu HB ist auch nicht fernliegend, dass die Beklagten ihrem Mann „blind“ vertraute.</p> <p><rd nr="75"/>Aufgrund dieses Vertrauens der Beklagten in HB und dem von der Beklagten bekundeten Zweck des Schenkungsangebots vom 30.06.2014, nämlich die Sicherstellung der Finanzierung der Umschuldung, spricht auch die Übertragung von drei der der Beklagten von HB schenkweise angebotenen Wohnungen an Dritte nach dem 30.06.2014 nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten. Denn nach der Absprache zwischen HB und der Beklagten ging es gerade nicht darum, der Beklagten die Möglichkeit zur Vermögensmehrung zu verschaffen, die durch eine Übertragung von drei Wohnungen geschmälert worden wäre. Vielmehr sei es nur um eine Vorsorgemaßnahme für den Fall des Versterbens des HB gegangen. Dieser Zweck hätte auch noch nach Überlassung der drei Wohnungen an Dritte erreicht werden können.</p> <p><rd nr="76"/>Wegen der glaubhaft vorgetragenen Nichtbefassung der Beklagten mit der „Finanzierung“ der Umschuldung spricht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage auch nicht, dass - jedenfalls nach dem Vortrag der Klägerin - die angebliche krankheitsbedingte potentielle Gefährdung der Kreditwürdigkeit des HB unter Berücksichtigung seines behaupteten erheblichen eigenen Immobilienbesitzes nicht nachvollziehbar sei (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.09.2020, S. 4, Bl. 493 d.A.), die Umschuldung letztendlich gar nicht erforderlich gewesen sei, da die Mieterträge aus der streitgegenständlichen Wohnung und den anderen Wohnungen zur Tragung der Darlehensraten ausgereicht hätten (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.09.2020, S. 14, Bl. 503 d.A.) und die beiden Brüder des HB durch die Umschuldung zu Lasten von MB und der Klägerin entlastet würden (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.09.2020, S. 9 und 10, Bl. 498 und 499 d.A.).</p> <p><rd nr="77"/>(2) (a) Die Beklagte machte auf den Senat bei ihrer Vernehmung trotz ihres wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Prozesses und obwohl Gründe für das Schenkungsangebot des HB und dessen bislang noch nicht erfolgte Annahme durch die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen wurden, einen glaubwürdigen ehrlichen Eindruck. Die Beklagte war - wie sich aus mehrmaligem vernehmlichen Schlucken und ihrer Stimmlage schließen ließ - zu Beginn ihrer Vernehmung, als es um den Gesundheitszustand ihres Mannes im Jahr 2014 ging, den Tränen nahe und deutlich berührt (was sich auch daran ablesen ließ, dass sie sich in der von ihr in den Zeugenstand mitgenommenen Wasserflasche „festhielt“). Der Senat hatte dabei nach seiner Erfahrung aus einer Vielzahl von durchgeführten Zeugen- und Parteivernehmungen nicht den Eindruck, dass diese Berührung nur gespielt war.</p> <p><rd nr="78"/>(b) Gegen die Glaubwürdigkeit der Beklagten spricht auch nicht, dass HB den Zeugen S. nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entband. Zwar ist es im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, wenn eine nicht beweisbelastete Partei es ablehnt, einen Zeugen von dessen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden (vgl. BGH, Beschluss vom 26.09.1996 - III ZR 56/96, Rdnr. 6). Jedoch bestand die Verschwiegenheitspflicht des Zeugen S. gegenüber HB als Darlehensnehmer der Kreissparkasse S. und nicht gegenüber der Beklagten, die nicht Partei der hier interessierenden Darlehensverträge laut Anl. BK 28 ist, sodass die Beklagte gar nicht über eine Verschwiegenheitsentbindung des Zeugen S. zu entscheiden hatte. Die Verweigerung der Schweigepflichtentbindung durch HB kann ihr auch nicht zugerechnet werden, sodass daraus auch keine Rückschlüsse auf ihre Glaubwürdigkeit gezogen werden können.</p> <p><rd nr="79"/>(c) Ebenso wenig spricht gegen die Glaubwürdigkeit der Beklagten, dass HB das Zeugnis verweigert hat. Denn auch hierüber hatte die Beklagte nicht zu entscheiden.</p> <p><rd nr="80"/>(3) Der Senat verkennt bei der Bewertung sowohl der Glaubhaftigkeit der Aussage der Beklagten als auch ihrer Glaubwürdigkeit nicht, dass es gewichtige Indizien gibt, die darauf hindeuten, dass HB bei der Übertragung der streitgegenständlichen Wohnung von MB auf ihn Ende November/Anfang Dezember 2013 zumindest befürchtete, dass MB entgegen der Eintragung im Grundbuch nicht Alleineigentümer der Wohnung war, sondern dass tatsächlich MB und die Klägerin aufgrund südafrikanischen Güterrechts Gesamthandseigentümer der Wohnung waren und dass dies der Grund für die Übertragung war. Dafür spricht insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Übertragung der Wohnung(en) Ende November/Anfang Dezember 2013 auf HB und der Einreichung des Scheidungsantrags der Klägerin im Januar 2014. Selbst wenn aber HB bei Übertragung der Wohnung(en) auf ihn durch MB im Jahr 2013 aufgrund seiner (des HB) unterstellten positiven Kenntnis von dem nach südafrikanischem Güterrecht tatsächlich bestehenden Gesamthandseigentum von MB und der Klägerin an der Wohnung gewusst haben sollte, dass die Eintragung des MB in das Grundbuch als Alleineigentümer der Wohnung(en) tatsächlich unrichtig war (was der Senat ausdrücklich offenlässt), und er deshalb folglich auch bei Abgabe des Schenkungsversprechens gegenüber der Beklagten und der Bewilligung der Vormerkung am 30.06.2014 bösgläubig gewesen wäre, so würde all dies nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht zur Bejahung auch einer positiven Kenntnis der Beklagten von der tatsächlich nicht bestehenden Alleineigentümerstellung des HB an der Wohnung führen. Denn dazu hätte die Beklagte entweder positive Kenntnis davon haben müssen, dass HB tatsächlich nicht Eigentümer der Wohnung(en) war, was, wenn HB ihr dies nicht so eröffnet haben sollte (dafür, dass HB ihr dies eröffnet hat, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben), Kenntnis nicht nur der tatsächlichen Umstände des Scheidungsverfahrens in Südafrika, sondern auch der Anwendbarkeit südafrikanischen Rechts und der sich daraus ergebenden Rechtslage voraussetzt. Abgesehen davon, dass nicht einmal der Senat aufgrund der von der Klägerseite in Bezug genommenen südafrikanischen Rechtstexte aus eigener Sachkunde mit Sicherheit beurteilen kann, ob nach südafrikanischem Recht durch die Eheschließung der Klägerin mit MB Gesamthandseigentum der Ehegatten an der Wohnung begründet wurde und welche Folgen dies für die Wirksamkeit von Verfügungsgeschäften eines der Ehegatten hat, ist nicht ersichtlich, wie die Beklagte als juristische Laiin diese Sicherheit hätte erlangen sollen, um zu der erforderlichen positiven Kenntnis vom Bestehen von Gesamthandseigentum zu gelangen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich die Beklagte nachvollziehbar (s.o.) mit den Verhältnissen von MB nicht befasst und hat ihr HB nur gesagt, dass er die Wohnung(en) von einem Vater übernommen habe, weil dieser nicht liquide sei und wegen seines Alters keinen Kredit mehr bekomme, und dass er MB habe helfen wollen (vgl. S. 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022, Bl. 633 d.A.). Daraus lässt sich eine positive Kenntnis der Beklagten hinsichtlich der Unrichtigkeit der Eintragung des HB in das Grundbuch als Alleineigentümer nicht herleiten, zumal die mit der Überlassung der Wohnungen durch MB an HB verbundene Eintragung eines Nießbrauchs an den Wohnungen zu Gunsten des MB mit der von HB bekundeten Absicht, durch die Umschuldung MB finanziell helfen zu wollen, konform geht und deshalb diese Absicht des HB aus Sicht der Beklagten plausibel erschien. Die Tatsache, dass es sich bei der Beklagten um die Ehefrau des HB handelt, genügt - auch bei einer Zusammenschau mit den anderen Umständen des vorliegenden Falles - entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.09.2020, S. 12, Bl. 501 d.A.) für eine Überzeugungsbildung des Senats hinsichtlich positiver Kenntnis der Beklagten nicht.</p> <p><rd nr="81"/>cc. Die Beklagte hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht vor der fehlenden Alleineigentümerstellung des HB die Augen verschlossen, was - wie oben unter aa ausgeführt - einer positiven Kenntnis von der Nichtberechtigung des HB gleichzustellen wäre. Denn in Anbetracht ihrer glaubhaften Nichtbefassung mit den Angelegenheiten ihres Schwiegervaters und der Abwicklung der Finanzierung allein durch ihren Mann (HB) sowie der unklaren und komplexen südafrikanischen Rechtslage ist nicht ersichtlich, warum sich ihr hätte aufdrängen müssen, dass HB die Wohnung(en) nicht berechtigt von MB erlangt haben sollte. Entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 26.07.2022, S. 4, Bl. 638 d.A. und S. 12, Bl. 646 d.A.) bestand deshalb auch keine Obliegenheit, sich über den Hintergrund des Schenkungsversprechens näher zu informieren.</p> <p><rd nr="82"/>dd. Dem Antrag der Klägerin, nach § 428 2. Alt. ZPO eine Anordnung nach § 142 ZPO zu erlassen, dass HB die in seinem Besitz befindlichen Krankenversicherungsunterlagen für den Zeitraum von November 2013 bis Juni 2014 vorlegt, war ebenso wenig nachzukommen wie ihrem Hilfsantrag auf Anordnung der Vorlage der im Besitz der von der Klägerin nicht bezeichneten Krankenversicherung des HB befindlichen Krankenversicherungsunterlagen durch die Krankenversicherung (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 11.11.2020, S. 1 und 2, Bl. 514 und 515 d.A.).</p> <p><rd nr="83"/>(1) Die von der Klägerin insoweit unter Beweis gestellte Behauptung, „H. B. sei nicht unmittelbar nach dem Erwerb des Immobilienbesitzes und noch vor der Abgabe des Schenkungsversprechens an die Beklagte - als im Zeitraum November 2013 - Juni 2014 an Krebs erkrankt“, ist nämlich unstreitig. Denn auch nach dem Vortrag der Beklagten (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.01.2021, S. 8 letzter Absatz, Bl. 548 d.A.) gab es vor dem 30.06.2014 keine diagnostizierte Krebserkrankung des HB. Streitig ist zwischen den Parteien nur, ob es im Zeitraum von November 2013 bis Juni 2014 bereits einen Verdacht auf P.krebs bei HB gab. Darauf bezieht sich der Beweisantrag der Klägerin, der nur von einer Erkrankung, nicht aber von einem Krankheitsverdacht spricht, jedoch nicht.</p> <p><rd nr="84"/>(2) Sowohl der Haupt- als auch der Hilfsbeweisantrag wären im Übrigen aber auch zurückzuweisen gewesen, da sie nicht den gemäß § 430 ZPO zu erfüllenden Erfordernissen des § 424 Nrn 1, 3 und 5 ZPO entsprechen. Zunächst hat die Klägerin schon nicht dargelegt, woraus sich die Vorlagepflicht des HB und hilfsweise seiner nicht näher bezeichneten Krankenversicherung ergibt (§ 424 Nr. 5 ZPO). Ein materiellrechtlicher Herausgabeanspruch der Klägerin besteht nämlich weder gegen HB noch gegen dessen Krankenversicherung. Da HB und dessen Krankenversicherung auch zu keinem Zeitpunkt am streitgegenständlichen Prozess beteiligt waren, kommt auch eine Vorlagepflicht wegen Bezugnahme nach §§ 429 S. 1, 423 BGB nicht in Betracht. Im Übrigen würde es sich auch um einen Ausforschungsbeweis handeln, da die Klägerin weder die Urkunden selbst (§ 424 Nr. 1 ZPO) noch deren Inhalt (§ 424 Nr. 3 ZPO) hinreichend genau bezeichnet hat. Dies wäre allerdings schon deshalb erforderlich, da die Urkundenvorlage zum Zwecke des Nachweises des Nichtbestehens einer Tumorerkrankung des HB im Zeitraum von November 2013 bis Juni 2014 erfolgen soll, die der Krankenversicherung aufgrund von Behandlungen vorliegenden Unterlagen im Regelfall jedoch nur aus Abrechnungsunterlagen und nicht aus Befunden bestehen.</p> <p><rd nr="85"/>(3) Eine Anordnung der Urkundenvorlage kam auch nicht nach § 142 ZPO in Betracht. Der Senat übt sein ihm nach dieser Vorschrift eingeräumten Ermessen nämlich dahingehend aus, dass eine Vorlage nicht anzuordnen war. Denn ein Erkenntnisgewinn war aus der Vorlage der nicht näher bezeichneten „Krankenversicherungsunterlagen“ nicht zu erwarten, da der HB im Zeitraum von November 2013 bis Juni 2014, auf den sich der Beweisantrag der Klägerin bezieht, behandelnde Urologe N. vom Senat als Zeuge zum Gesundheitszustand des HB vernommen wurde und den Gesundheitszustand des HB sowie die vorgenommenen Untersuchungen und Untersuchungsergebnisse eingehend dargestellt hat. Darüber hinaus hat HB das Zeugnis verweigert.</p> <p><rd nr="86"/>Nach alledem sieht der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine positive Kenntnis der Beklagten von der Unrichtigkeit des Grundbuchs als nicht erwiesen an, sondern geht vielmehr von einer Gutgläubigkeit der Beklagten aus.</p> <p><rd nr="87"/>5. Die Anwendung der §§ 893, 892 BGB war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Erwerb der Vormerkung kein Verkehrsgeschäft gewesen wäre (zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des „Verkehrsgeschäfts“ im Rahmen des § 892 BGB vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2007 - V ZR 5 /07, Rdnrn 22 ff.).</p> <p><rd nr="88"/>a. Die wohl herrschende Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung verneint das Vorliegen eines „Verkehrsgeschäfts“ und damit die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs nach §§ 893, 892 BGB, wenn es sich bei dem auf den Rechtserwerb gerichteten Rechtsgeschäft um die Vorwegnahme der Erbfolge handelt (vgl. RG, Urteil vom 23.04.1932 - V 325/31, RGZ 136, 148, 150, BayObLG, Beschluss vom 17.04.1986 - 2 Z 79/85, Rdnr. 21, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.08.1999 - 3 W 125/99, Rdnr. 7, Kohler in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, München 2020, Rdnr. 31 zu § 892 BGB; ausdrücklich offengelassen aber in BGH, Urteil vom 02.10.1981 - V ZR 126/80, Rdnr. 10). Danach sei für die rechtsvernichtende Wirkung des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs kein Raum in Fällen, in denen die Eigentumsübertragung sowohl nach ihrer tatsächlichen Gestaltung wie auch nach dem Willen der Vertragsbeteiligten die Bedeutung einer Vorwegnahme der Erbfolge habe. Dafür müsse aber das fragliche Rechtsgeschäft seiner Gesamtgestaltung nach so deutlich die Züge einer Vorwegnahme der Erbfolge in sich tragen, dass zweifelsfrei eine Anwendung des § 892 BGB seinem Zweck nach nicht begründet sei (RG, aaO). Das Angebot des HB auf unentgeltliche Übertragung der streitgegenständlichen sowie der weiteren Wohnungen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Denn in der Urkunde vom 30.06.2014 laut Anl. K 10 ist ausdrücklich nur die Rede davon, dass das Übertragungsangebot „unentgeltlich“ und damit schenkweise erfolge. Von einer Vorwegnahme der Erbfolge ist in der Urkunde dagegen ebenso wenig die Rede wie von den beiden gemeinsamen Kindern der Klägerin und des HB als weichenden Erben. Darüber hinaus bekundete die glaubwürdige Beklagte in ihrer Parteivernehmung durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022 glaubhaft, dass es bei der Schenkung ausschließlich um die Sicherung der Finanzierung für den Fall der schwerwiegenden Erkrankung bzw. des Versterbens des HB ging (vgl. S. 5 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2022; Bl. 632 d.A.; zur Einschätzung der Beklagten als glaubwürdig und ihrer Aussage als glaubhaft vgl. die Ausführungen oben unter 4 c) und damit nicht um eine Vorwegnahme der Erbfolge. Schließlich spricht gegen eine Vorwegnahme der Erbfolge, die ihrem Wesen nach auf die endgültige Übertragung des Vermögens oder Teile davon vom künftigen Erblasser auf die als Erbin in Aussicht genommene Person abzielt, auch, dass nach Abgabe des Schenkungsangebots am 30.06.2014 noch drei der der Beklagten von HB zur unentgeltlichen Übertragung angebotenen Wohnungen an Dritte aufgelassen wurden. Da es daher keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit dem Schenkungsangebot die Erbfolge vorweggenommen werden sollte, ist von dem beurkundeten Rechtsgeschäft und damit einem Schenkungsangebot auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.1981 - V ZR 126/80, Rdnr. 11), sodass sich die Beklagte auf einen Gutglaubenserwerb nach §§ 893 Fall 2, 892 BGB berufen kann.</p> <p><rd nr="89"/>b. Die Anwendung der §§ 893, 892 BGB ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Verkehrsgeschäft aufgrund „wirtschaftlicher Identität“ von HB und der Beklagten zu verneinen wäre. Die Tatsache, dass die Beklagte die Ehefrau des HB ist, lässt auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des vorliegenden Falles nicht den Schluss zu, dass sie eine Strohfrau oder „Treuhänderin“ des HB ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2007 - V ZR 5/07, Rdnr. 35). Die von der Klägerin behauptete „Treuhandstellung“ der Beklagten hat sich durch die Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Senats belegen lassen.</p> <p><rd nr="90"/>6. Ob das südafrikanische Güterrecht in Nr. 15 (1) (a) und (b) des Matrimonial Property Act 88 of 1984 eine ehegüterrechtliche absolute Verfügungsbeschränkung konstituiert und ob die tatsächlichen Voraussetzungen für deren Eingreifen im streitgegenständlichen Fall vorliegen, kann dahinstehen. Zwar sind ehegüterrechtliche absolute Verfügungsbeschränkungen im Grundbuch nicht eintragungsfähig, sodass es insoweit keinen guten Glauben an die Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuchs geben kann und deshalb § 892 Abs. 1 S. 1 BGB vor solchen Verfügungsbeschränkungen auch nicht schützt. Jedoch gilt dies nur für den Ersterwerber, d.h. HB. Gutgläubiger Zweiterwerb wie hier durch die Beklagte von HB ist dagegen möglich (vgl. Herrler in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 18 zu § 892 BGB, vgl. auch BGH, Urteil vom 14.06.1972 - VIII ZR 163/70, Rdnr. 27 zu Art. I Abs. 2 MRG Nr. 53, OLG Köln, Beschluss vom 17.10.1968 - 10 W 56/68, OLGZ 1969, 171, 173 zu § 1365 BGB, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.06.1986 - 3 W 74/86 unter II 1 zu § 1365 BGB, Picker in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, Stand 31.12.2021, Rdnr. 265 aE zu § 892 BGB für das Verfügungsverbot nach § 1365 BGB). Ein Grund, der ehegüterrechtlichen Vorschrift der Nr. 15 (1) (a) und (b) des Matrimonial Property Act 88 of 1984 eine höhere Schutzwirkung als der des § 1365 BGB zuzubilligen und deshalb neben dem gutgläubigen Ersterwerb auch den gutgläubigen Zweiterwerb auszuschließen, ist nicht erkennbar, zumal das südafrikanische Güterrecht selbst in Nr. 15 (9) des Matrimonial Property Act 88 of 1984 sogar einen gutgläubigen Ersterwerb zulässt.</p> <p><rd nr="91"/>Da somit ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung durch die Beklagte als Zweiterwerberin nach §§ 893 Fall 2, 892 Abs. 1 S. 1 BGB möglich war, kommt es auf die Gutglaubensregelungen der Art. 12 S. 1 EGBGB und 16 Abs. 2 EGBGB nicht mehr an.</p> <p><rd nr="92"/>7. Es kann dahinstehen, ob - wie eine in Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht, auf die sich die Klägerin beruft (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 26.07.2022, S. 14, Bl. 648 d.A.), meint - einem Erwerber trotz seiner Gutgläubigkeit gemäß § 826 BGB verwehrt sein kann, sich auf die Wirkung des § 892 Abs. 1 S. 1 BGB zu berufen, wenn er in Kenntnis einer möglichen Unrichtigkeit des Grundbuches und im Bewusstsein einer möglichen Schädigung des wahren Berechtigten in einer gegen die guten Sitten verstoßender Weise einen nach § 892 BGB wirksamen Erwerb herbeigeführt hat (zum Streitstand vgl. Picker in Staudinger, BGB, Neubearbeitung, Stand 31.12.2019, Rdnr. 163 zu § 892 BGB). Denn Hinweise darauf, dass die Beklagte den Inhalt des Grundbuchs, d.h. die Alleineigentümerstellung des HB, für möglicherweise unrichtig hielt und bei Erwerb der Vormerkung die Klägerin in sittenwidriger Weise schädigen wollte, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Die Beklagte hat nämlich glaubhaft (vgl. zur Beweiswürdigung oben 4 c) bekundet, dass sie mit der Finanzierung der Wohnung(en) nichts zu tun hatte und mit den Angelegenheiten des MB nicht befasst war.</p> <p><rd nr="93"/>8. Die Vormerkung ist nach ihrem gutgläubigen Erwerb durch die Beklagte auch nicht untergegangen.</p> <p><rd nr="94"/>a. Den von der Klägerin behaupteten (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 26.07.2022, S. 5, Bl. 639 d.A.) konkludenten Erlass des künftigen Schenkungsanspruchs der Beklagten gegen HB durch die Beklagte infolge ihrer Einwilligung zur Überlassung mehrerer der ihr von HB schenkweise angebotenen Wohnungen an Dritte im Zeitraum vom 12.09.2014 bis 10.06.2016 (vgl. die Grundbuchauszüge laut Anl. K 11) mit der Folge, dass die Vormerkung infolge ihrer strengen Akzessorietät erloschen wäre, sieht der Senat nicht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind nämlich an die Feststellung des für eine solche Vereinbarung erforderlichen Erlass- bzw. Verzichtswillens strenge Anforderungen zu stellen. Da bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden muss und die der Erklärung zugrunde liegenden Umstände besondere Bedeutung haben, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung des Willens einer Partei, auf einen Anspruch zu verzichten (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2016 - V ZR 168/15, Rdnr. 35 und die weiteren Nachweise bei Grüneberg in ders., BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 6 zu § 397 BGB). Solche konkreten Anhaltspunkte liegen streitgegenständlich jedoch nicht vor. Aus der Einwilligung in die Überlassung dreier der ihr von HB angebotenen Wohnungen an Dritte kann nämlich nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass die Beklagten ihren künftigen Anspruch auf Auflassung auch der mehr als zwanzig anderen Wohnungen endgültig nicht mehr geltend machen will.</p> <p><rd nr="95"/>b. Die Vormerkung ist in der Folge auch nicht deshalb untergegangen, weil das Schenkungsangebot ursprünglich bis 31.12.2016 befristet war.</p> <p><rd nr="96"/>aa. Der Senat ist dabei infolge der Vorlage einer Kopie der notariellen Urkunde des Notars J. O. vom 18.10.2016 (URNr. …/2016, Anl. B 38, geheftet als Bl. zu 427 d.A.) davon überzeugt, dass HB sein an die Beklagte gerichtetes ursprünglich bis zum Ablauf des 31.12.2016 befristetes Schenkungsangebot laut Anl. K 10 bis 31.12.2026 verlängert hat.</p> <p><rd nr="97"/>bb. Die Vormerkung ist auch nicht deshalb untergegangen, weil die Verlängerung der Annahmefrist bis 31.12.2026 nicht in das Wohnungs- und Teileigentums-Grundbuch eingetragen wurde. Die Frage, ob die Verlängerung der Annahmefrist für ein befristetes Vertragsangebot ohne erneute Eintragung den Vormerkungsschutz nach Ablauf der ursprünglichen Frist entfallen lässt, ist umstritten und wird zumindest in der Kommentarliteratur zumeist pauschal verneint oder bejaht (bejahend bspw. Herrler in Grüneberg, BGB, 81. Auflage, München 2022, Rdnr. 20 zu § 885 BGB, verneinend dagegen bspw. Assmann in BeckOGK BGB, Stand 01.08.2020, Rdnr. 85.2 zu § 883 BGB, Kohler in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, München 2020, Rdnr. 36 zu § 885 BGB und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.06.2013 - I-3 Wx 82/13). Nach Auffassung des Senats kommt eine solche pauschalisierende Lösung jedoch nicht in Betracht.</p> <p><rd nr="98"/>Zwar geht es bei der streitgegenständlichen Konstellation der Verlängerung einer Annahmefrist für ein Vertragsangebot vor deren Ablauf nicht um die Wiederverwendung einer eingetragenen Vormerkung nach deren Erlöschen infolge Aufhebung des ursprünglichen Vertrags und Abschluss eines anderweitigen (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.06.2013 - I-3 Wx 82/13, Rdnr. 21), jedoch sind aufgrund der strikten Akzessorietät der Vormerkung die vom BGH zur Frage der Wiederverwendung einer Vormerkung entwickelten Grundsätze zur erforderlichen Kongruenz von Eintragung, Bewilligung und Anspruch zugrunde zu legen.</p> <p><rd nr="99"/>Welcher Anspruch durch die Vormerkung gesichert wird, ist demnach durch Auslegung des Eintragungsvermerks und der darin gemäß § 44 Abs. 2 S. 1 GBO in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung zu ermitteln (vgl. Beschluss des BGH vom 03.05.2012 - V ZB 258/11, Rdnr. 21 f.). Diese Auslegung ergibt im streitgegenständlichen Fall, dass sich die Vormerkungseintragung nicht auf den Schuldgrund des durch die Vormerkung gesicherten Auflassungsanspruchs der Beklagten erstreckt. Denn in der in Abschnitt D der Urkunde des Notars J. O. vom 30.06.2014 laut Anl. K 10 von HB erklärten Bewilligung ist nur der abzusichernde Auflassungsanspruch der Beklagten (“zur Sicherung deren Anspruchs auf Übertragung des Eigentums an den genannten Objekten“) bezeichnet, nicht aber das in Abschnitt A der Urkunde laut Anl. K 10 abgegebene befristete Schenkungsangebot des HB als Schuldgrund des Anspruchs. Der Schuldgrund (das befristete Schenkungsangebot) ist damit nicht nach § 885 Abs. 2 BGB Inhalt der Eintragung des Anspruchs geworden.</p> <p><rd nr="100"/>Daran ändert auch nichts, dass das befristete Schenkungsangebot des HB in derselben notariellen Urkunde enthalten war wie die von ihm erklärte Bewilligung der Vormerkungseintragung. Denn in der Eintragung ist in Übereinstimmung mit § 44 Abs. 2 S. 2 GBO, der von der „Eintragungsbewilligung“ spricht, nur auf die Bewilligung selbst, nicht aber auch auf die weiteren in der Urkunde gleichzeitig beurkundeten Willenserklärungen des HB Bezug genommen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16.05.2002 - 2Z BR 181/01, Rdnr. 13). Dementsprechend stellte auch der BGH in seinem Beschluss vom 03.05.2012 - V ZB 258/11 bei der Auslegung der Bewilligungserklärung nur auf § 5 des dort streitgegenständlichen Auseinandersetzungsvertrages, in dem die Bewilligung erklärt wurde, ab und nicht auch auf die weiteren Bestimmungen des Auseinandersetzungsvertrages, in denen der Schuldgrund lag (vgl. BGH, aaO, Rdnrn 2 und 23).</p> <p><rd nr="101"/>Da nach alledem der Schuldgrund und damit die Befristung des Angebots nicht Inhalt der Eintragung geworden ist, sicherte die Vormerkung einen Auflassungsanspruch der Beklagten ohne Rücksicht auf dessen Befristung und konnte deshalb die Befristung ohne die Notwendigkeit einer erneuten Eintragung der Vormerkung bis zum 31.12.2026 verlängert werden.</p> <p><rd nr="102"/>Nach alledem hat die Beklagte die Auflassungsvormerkung gutgläubig erworben und ist diese Vormerkung auch in der Folge nicht untergegangen, sodass der Inhalt des Grundbuchs 7 U 4125/19 - Seite 26 - hinsichtlich der Vormerkung der tatsächlichen Rechtslage entspricht und deshalb ein Grundbuchberichtigungsanspruch der Klägerin nicht besteht.</p> <p>C.</p> <p><rd nr="103"/>I. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Klägerin zur Gänze unterlag.</p> <p><rd nr="104"/>II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p> <p><rd nr="105"/>III. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt. Der Senat weicht von keiner Entscheidung des BGH oder eines anderen Oberlandesgerichts ab. Insbesondere liegt keine Abweichung von der Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom 13.11.1975 - 14 U 71/75) vor, da dieser Entscheidung ein andersartiger Sachverhalt zu Grunde lag. Denn dort war nach den Feststellungen des Gerichts - anders als streitgegenständlich - „Inhalt der Auflassungsvormerkung durch die Bezugnahme auf die Bewilligung vom 21.07.1965 nur ein (…) befristetes Vertragsangebot“. Das Urteil des OLG Frankfurt vom 02.03.1993 - 22 U 145/91 widerspricht der Entscheidung des Senats ebenfalls nicht, da dort die Auflassungsvormerkung selbst befristet war. Das OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.06.2013 - I-3 Wx 82/13, gelangt - wenn auch mit anderer Begründung - zum gleichen Ergebnis wie der Senat.</p> </div>
346,282
ovgnrw-2022-08-17-10-a-283921
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
10 A 2839/21
2022-08-17T00:00:00
2022-08-24T10:01:03
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0817.10A2839.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen und damit zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen. Daran fehlt es hier.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung einer Werbeanlage an einer Spielhalle abgewiesen, weil dem Vorhaben § 16 Abs. 8 AG GlüStV NRW in der Fassung vom 23. Juni 2021 entgegenstehe. Danach sei als Bezeichnung des Unternehmens im Sinne des § 16 Abs. 1 AG GlüStV NRW nur der Schriftzug "Spielhalle" zulässig. Die Klägerin habe aber eine Werbeanlage zur Genehmigung gestellt, die in ihrem Kern aus zwei länglichen Bannern über dem Eingang zu der Spielhalle bestehe, auf denen die Schriftzüge "Spielhalle" und "Entertainment World" aufgebracht seien, die durch mehrere stilisierte Darstellungen einer Weltkugel ergänzt würden. Die damit angepriesene "Unterhaltung" sei für Passanten attraktiv, sodass die Werbeanlage für sie einen zusätzlichen Anreiz zum Spiel schaffe. Der Schriftzug "Entertainment World" wirke überdies verharmlosend und gebe keine ausreichend verlässliche Auskunft über die Art der Unterhaltung, die in der Spielhalle tatsächlich angeboten werde.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin zeigt mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht auf, dass die Anbringung der Werbeanlage entgegen der rechtlichen Bewertung durch das Verwaltungsgericht mit § 16 Abs. 8 AG GlüStV NRW vereinbar sein könnte. Ihre Auffassung, dass der Schriftzug "Spielhalle" als Teil der durch die Werbeanlage vermittelten Botschaft jedermann deutlich mache, dass das Unternehmen, für das sie werbe, eine Spielhalle sei, und dass er jedwede andere Interpretation ausschließe, verkürzt die Wahrnehmung der Werbebotschaft, wie sie sich einem beliebigen Dritten bei einer Betrachtung der Werbeanlage darstellt. Bereits die stilisierte Weltkugel zwischen den Wortbestandteilen "Spiel" und "Halle" verhindert, dass das Wort "Spielhalle" auf den ersten Blick in seiner eigentlichen Bedeutung erkannt wird. Der Schriftzug "Entertainment World" – beide Worte sind ebenfalls durch eine stilisierte Weltkugel voneinander getrennt – verheißt darüber hinaus eine "Welt der Unterhaltung", also etwas, was über das Angebot im Bereich des gewerblichen Spiels, das der Glücksspielstaatsvertrag und die Spielverordnung im Unternehmen "Spielhalle" zulassen, hinausgeht. Welche "weitergehende Differenzierung" sich hinter dem Schriftzug "Entertainment World" verbergen soll, erläutert die Klägerin, die im Namen der Berufsfreiheit für sich die Möglichkeit reklamiert, potenzielle Kunden auf ein unterschiedliches gewerbliches Angebot hinweisen zu dürfen, nicht. Dass das von ihr in diesem Zusammenhang bemühte Argument, eine Bewerbung von Spielhallen mit unterschiedlichen Bezeichnungen sei als "Unterscheidungskriterium" aus Wettbewerbsgründen geboten, keinen sachlichen Inhalt hat, räumt sie selbst ein, indem sie in der Begründung ihres Zulassungsantrags ausführt, die Verwendung von Begriffen wie Spiel und Unterhaltung bei der Bewerbung von Spielhallen deute auf keine wirkliche Differenzierung des jeweiligen Angebots von Spielmöglichkeiten hin. Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Verwaltungsgericht angenommenen    – möglicherweise irreleitenden – Wirkungen des Schriftzugs "Entertainment World", der Neugier wecke und einen zusätzlichen Anreiz schaffe, die Spielhalle zu betreten, um dort zu spielen, auszuschließen sein könnten, zeigt die Klägerin mit dieser Argumentation allerdings nicht auf. Ob die Werbeanlage wegen ihrer Größe oder ihrer farblichen Gestaltung einen zusätzlichen Anreiz zum Spiel bieten könnte oder nicht, ist hier ohne Belang, denn das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Urteil ausschließlich darauf gestützt, dass der Schriftzug "Entertainment World" als Werbung für eine Spielhalle an der Stätte der Leistung unzulässig sei.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Danach zeigt die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht auf. Sie formuliert weder ausdrücklich noch sinngemäß eine von ihr für klärungsbedürftig gehaltene, für die Entscheidung des Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage. Ihre Behauptung, die Sache habe "wegen der Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages und des korrespondierenden Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen rechtsgrundsätzliche Bedeutung", lässt nicht ansatzweise erkennen, welche grundsätzlich bedeutsame Rechts- oder Tatsachenfrage sich in einem möglichen Berufungsverfahren stellen würde, in dem es lediglich darum ginge, in einem konkreten Einzelfall festzustellen, ob der Anbringung einer Werbeanlage an einer Spielhalle wegen deren spezieller Gestaltung öffentlich rechtliche Vorschriften entgegenstehen oder nicht.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
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vg-dusseldorf-2022-08-17-18-l-141922
{ "id": 842, "name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf", "slug": "vg-dusseldorf", "city": 413, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
18 L 1419/22
2022-08-17T00:00:00
2022-08-24T10:01:02
2022-10-17T11:09:23
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0817.18L1419.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird einschließlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ungeachtet der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung  wie aus den nachfolgenden Ausführungen ersichtlich  nicht die nach den §§ 166 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten bietet.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der nach der mit Verfügung des Antragsgegners vom 6. Juli 2022 angeordneten sofortigen Vollziehung des Beschlusses vom 7. September 2021 nunmehr gestellte sinngemäße Antrag,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 18 K 4219/22 gegen den Beschluss des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2021, das O.           -Kolleg P.          sukzessive zum 1. August 2023 aufzulösen, wiederherzustellen,</strong></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dabei geht das Gericht von der Zulässigkeit des Antrags aus. Insoweit erweist sich das Begehren der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO zunächst als statthaft, weil in der Hauptsache die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft ist. Bei dem Beschluss des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein Westfalen (im Folgenden: Ministerium) vom 7. September 2021, dessen sofortige Vollziehung mit Verfügung vom 6. Juli 2022 angeordnet worden ist, handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG NRW. Denn die Auflösung einer Schule stellt eine auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete hoheitliche Maßnahme einer Behörde dar.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979 - 1 BvR 699/77 -, juris, Rn. 59; BVerwG, Urteil vom 31. Ja-nuar 1964 - VII C 65.62 -, juris, Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 1989 - 8 B 1238/89 -, NVwZ-RR 1990, 1 f.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 259 m.w.N., s.a. Beschlüsse des erkennenden Gerichts vom 31. Mai 2022 - 18 L 538/22 - (gegenüber der Antragstellerin) sowie - 18 L 539/22 - und - 18 L 540/22 - m.w.N. (alle n.v.),</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ferner ist die Antragstellerin entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch antragsbefugt. Insoweit betrifft die sukzessive Auflösung einer Schule subjektive Rechte sowohl jener Schüler, welche die aufzulösende Schule gegenwärtig besuchen als auch jener Schüler, welche sie – wie die Antragstellerin – in naher Zukunft, etwa im bevorstehenden Schuljahr, besuchen wollen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Mai 2013 - 19 B 1191/12 -, juris, Rn. 2 f. m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Mai 2008 - 4 L 1143/07 -, juris, Rn. 24 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist mit Blick auf das Rechtsschutzbedürfnis davon auszugehen, dass der Antragstellerin das vorliegende Verfahren im Erfolgsfall einen rechtlichen oder faktischen Vorteil verschaffen kann, obwohl ihrer Aufnahme an dem O.           -Kolleg P.          (im Folgenden: Kolleg) derzeit die vollziehbare Ablehnungsentscheidung des Kollegs vom 1. Februar 2022 entgegensteht. Denn diese Ablehnungsentscheidung ist maßgeblich darauf gestützt, dass das Kolleg aufgelöst wird und daher bereits jetzt eine Aufnahme nicht mehr möglich ist, bzw. stünde es der Antragstellerin wohl frei, sich nach einer erfolgreichen Aussetzung der Vollziehung des Auflösungsbeschlusses erneut bei dem Kolleg anzumelden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Näherer Vertiefung bedarf diese Frage indes nicht. Denn der Antrag der Antragstellerin ist jedenfalls unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, wenn die Behörde – wie hier mit separater Anordnung vom 6. Juli 2022 – die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das diesbezügliche private Interesse der Antragstellerseite an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, ist von einem überwiegenden privaten Interesse auszugehen; erweist sich demgegenüber der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, ist in der Regel von einem überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen. Sind die Erfolgsaussichten bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen zu beurteilen, findet eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht kein Anlass, der Klage 18 K 4219/22 aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen. Zunächst ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 6. Juli 2022 den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend unter Bezugnahme auf den Einzelfall genügend begründet worden.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der danach anzustellenden Abwägungsentscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Nach der im vorliegenden Verfahren durchzuführenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Beschluss des Ministeriums vom 7. September 2021, das Kolleg sukzessive zum 1. August 2023 aufzulösen, voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden. Selbst wenn sich die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens als offen erwiesen, bliebe dem Antrag der Erfolg versagt. Denn die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung im Übrigen fiele zulasten der Antragstellerin aus.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Auflösung des streitgegenständlichen Kollegs ist § 78 Abs. 7 SchulG NRW. Danach kann das Land zur Ergänzung des Schulwesens Schulen mit einem besonderen Bildungsangebot oder einem überregionalen Einzugsbereich sowie Versuchsschulen errichten und fortführen. Aus dieser Norm folgt mangels anderweitiger ausdrücklicher Regelungen im Schulgesetz NRW auch die Befugnis, solche Schulen wieder aufzulösen. Dagegen sind die Regelungen des § 81 Abs. 2 und 3 SchulG NRW über die Errichtung, die Änderung und die Auflösung einer Schule nicht in direkter Anwendung heranzuziehen. Denn sie sind ausdrücklich lediglich für solche Schulen anwendbar, für die das Land nicht Schulträger ist.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die danach auf § 78 Abs. 7 SchulG NRW gestützte Auflösungsentscheidung des Ministeriums vom 7. September 2021 ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Ob § 81 Abs. 2 und 3 SchulG NRW für die Auflösung einer in Landesträgerschaft stehenden Schule betreffend die dort enthaltenen Vorgaben für das Verfahren analoge Anwendung findet, kann offenbleiben. Soweit dort bestimmt ist, dass die Schließungsentscheidung schriftlich festzulegen und zu begründen ist, ist diesen Anforderungen Genüge getan. Dagegen ist die weitere Vorgabe einer Genehmigung durch die obere Schulaufsichtsbehörde auf eine Schule in Landesträgerschaft nicht übertragbar, sodass eine diesbezügliche entsprechende Anwendung nicht in Betracht kommt. Eine solche Genehmigung durch die gegenüber dem Ministerium nachrangige obere Schulaufsichtsbehörde scheidet schon aus hierarchischen Gründen aus.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Soweit das allgemeine Anhörungserfordernis betroffen ist, war eine Anhörung der Antragstellerin gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW entbehrlich, weil es sich bei der streitgegenständlichen Auflösungsentscheidung um eine Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG NRW handelt. Auch die am 6. Juli 2022 nachträglich angeordnete sofortige Vollziehung hat ein Anhörungserfordernis nicht ausgelöst. Denn nach ganz überwiegender Ansicht handelt es sich bei dieser nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen unselbständigen Annex zu dem zugrundeliegenden Verwaltungsakt,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">vgl. Ramsauer, in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 28 Rn. 7 sowie Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 80, jeweils m.w.N.,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">hier dem Auflösungsbeschluss des Ministeriums vom 7. September 2021.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ist die angefochtene Auflösungsentscheidung vom 7. September 2021 danach formell nicht zu beanstanden, erweist sie sich nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung auch in materieller Hinsicht als voraussichtlich rechtmäßig. Das für das Land Nordrhein-Westfalen agierende Ministerium handelte als Schulträger bei der Auflösung des Kollegs innerhalb seiner Befugnisse und Rechtsfehler der Auflösungsentscheidung sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die angefochtene Auflösung des Kollegs stellt eine Planungsentscheidung dar. Als solche unterliegt sie rechtlichen Bindungen, die sich aus den Anforderungen des allgemeinen planerischen Abwägungsgebotes ergeben. Dabei setzt eine ordnungsgemäße Abwägung voraus, dass alle Belange eingestellt wurden, die nach Lage der Dinge eingestellt werden mussten, dass das Gewicht der betroffenen öffentlichen und privaten Belange erkannt worden ist und dass vor allem der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zur objektiven Bedeutung der Belange im Verhältnis steht.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">VG Minden, Urteil vom 27. April 2012 - 8 K 1318/11 -, juris, Rn. 22 ff. unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 1992 - 6 B 32.91 -, Rn. 3 und OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2009 -19 B 1129/08 -, juris, Rn. 22 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Mai 2008 - 4 L 1143/07 -, juris, Rn. 33 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ob neben diesen allgemeinen Anforderungen für die hier im Raum stehende Auflösung einer in Landesträgerschaft befindlichen Schule weitere, sich aus dem Schulgesetz NRW ergebende Vorgaben bestehen, kann offenbleiben. Denn auch in diesem Fall ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung weder ersichtlich, dass das Ministerium eine fehlerhafte Abwägungsentscheidung vorgenommen hat, noch dass es das ihm bei der Entscheidung nach § 78 Abs. 7 SchulG NRW zukommende Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt hat.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Soweit eine analoge Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 SchulG NRW zu erwägen ist, war das Ministerium nicht gehalten, seine Entscheidung über die Auflösung der Schule an der Schulentwicklungsplanung auszurichten. Eine entsprechende Heranziehung dieser, in § 81 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW enthaltenen Vorgabe scheidet für Schulen, die sich in Landesträgerschaft befinden, aus. Das ergibt sich zum einen aus § 80 SchulG NRW, nach dessen Wortlaut (lediglich) Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände verpflichtet sind, eine Schulentwicklungsplanung zu betreiben, und zum anderen aus dem in § 78 Abs. 7 SchulG NRW genannten Zweck (Ergänzung des Schulwesens).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Im Weiteren bedarf keiner Vertiefung, ob im Falle einer in Landesträgerschaft befindlichen Schule § 82 SchulG NRW (direkt oder analog) Anwendung findet und bei der Entscheidung über deren Auflösung die Maßgaben des § 82 Abs. 9 SchulG NRW zu berücksichtigen sind. Denn auch wenn die genannte Regelung nicht zwingend zu berücksichtigen sein sollte, stellt es sich jedenfalls als vom durch § 78 Abs. 7 SchulG NRW eingeräumten Ermessen gedeckt dar, die Auflösungsentscheidung an den in § 82 Abs. 9 SchulG NRW genannten Mindestteilnehmerzahlen zu orientieren.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt sind Rechtsfehler der Entscheidung des Ministeriums, das Kolleg zum 1. August 2023 sukzessive aufzulösen, nicht erkennbar. Vielmehr halten die Überlegungen, die das Ministerium in der angefochtenen Entscheidung niedergelegt und in dem vorangegangenen Eilverfahren gleichen Rubrums 18 L 538/22, im hiesigen gerichtlichen Verfahren sowie im zugehörigen Klageverfahren 18 K 4219/22 ergänzt hat, einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich stand.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Insoweit hat das Ministerium bei seiner Entscheidung, ob das Kolleg fortgeführt oder geschlossen wird, maßgeblich darauf abgestellt, dass die in § 82 Abs. 9 Satz 2 SchulG NRW festgesetzte Mindestgröße für ein Weiterbildungskolleg von 240 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterschritten worden ist. Nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners sind die Schülerzahlen des Kollegs seit dem Schuljahr 2013/2014 rückläufig und ist die Mindestgröße von 240 Teilnehmern seit dem Schuljahr 2017/2018 dauerhaft unterschritten. Zum Wintersemester 2022/2023 befinden sich noch 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im 5. und 6. Fachsemester im Bildungsgang des Kollegs. In diesem Zusammenhang hat der Landesrechnungshof im Rahmen der Prüfung des Schulbetriebs die Unterschreitung der schulgesetzlichen Mindestgröße bereits im Jahr 2019 festgestellt. Deshalb hält dieser eine Schließung des Kollegs für geboten, zumal der Bildungsgang auch in den benachbarten Weiterbildungskollegs angeboten werde.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Zudem hat das Ministerium – in rechtlich ebenfalls nicht zu beanstandender Weise – in seine Überlegungen eingestellt, dass das Kolleg nur einen Bildungsgang anbietet, Weiterbildungskollegs nach § 23 Absatz 1 Satz 2 SchulG NRW jedoch mindestens zwei Bildungsgänge umfassen müssen. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, die Weiterführung des Kollegs widerspreche geltendem Recht und sei auch aus schulfachlicher und fachdidaktischer Sicht nicht geboten. Auch die weiteren Erwägungen, wegen des starken Rückgangs der Studierendenzahlen sei auf der Grundlage der notwendigen Lehrerversorgung ein geordneter Schulbetrieb mit entsprechender Schulqualität nicht aufrecht zu erhalten und bestehe mittelfristig ein Sanierungsbedarf des 1953 errichteten, nicht unter Denkmalschutz stehenden Schulgebäudes, erweisen sich als ermessensfehlerfrei und insbesondere nicht willkürlich.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen hat das Ministerium das für eine Auflösung des Kollegs sprechende öffentliche Interesse und die gegenläufigen Interessen (u.a. der gegenwärtig an dem Kolleg Studierenden und derjenigen, die zukünftig an dem Kolleg studieren wollen) abgewogen und sich in voraussichtlich nicht zu beanstandender Weise für eine Auflösung des Kollegs zum 1. August 2023 entschieden. Dabei hat es den Interessen der bereits an dem Kolleg Studierenden durch eine nur sukzessive Auflösung des Kollegs Rechnung getragen. Mit dieser Form der Auflösung wird den bereits auf dem Kolleg Studierenden genügend Zeit verschafft, sich um andere Weiterbildungsmöglichkeiten zu bemühen. Bei einem fortgeschrittenen Studium ist bis zur Auflösung sogar ein Abschluss auf dem Kolleg möglich.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang hat das Ministerium – entgegen dem Vortrag der Antragstellerin – in seiner Entscheidung insbesondere auch den in § 82 Abs. 9 Satz 3 SchulG NRW niedergelegten Gesichtspunkt berücksichtigt, dass ein Weiterbildungskolleg, auch wenn es die Mindestgröße unterschreitet, fortgeführt werden kann, wenn den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Weg zu einer anderen Bildungseinrichtung, die einen entsprechenden Abschluss vermittelt, nicht zugemutet werden kann. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass den am Kolleg Studierenden, sofern sie ihren Bildungsgang am Kolleg nicht mehr beenden könnten, die Fortsetzung ihres Bildungsgangs an einem anderen Weiterbildungskolleg in zumutbarer Entfernung möglich ist. Denn diese haben die Möglichkeit, ihr Studium am O1.        -H.    -Weiterbildungskolleg in F.     fortzusetzen, welches sich 14 km vom Kolleg entfernt befindet. Zudem besteht nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners die Möglichkeit, das Weiterbildungskolleg in H1.            oder das S.     -Kolleg in E.         , sowie – wenn eine Beschulung am Abend in Frage komme – das Weiterbildungskolleg der Stadt E1.       zu besuchen. Das gleiche gilt für diejenigen, die – wie die Antragstellerin –, noch nicht Studierende des Kollegs sind, sondern ihren Bildungsgang bei dem Kolleg erst zukünftig aufnehmen wollen. Dabei ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass in die von dem Antragsgegner vorgenommene Abwägungsentscheidung nur alternative Weiterbildungsmöglichkeiten an staatlich geführten Kollegs einbezogen werden dürfen und nicht auch Kollegs anderer Schulträger, an denen der auf dem aufgelösten Kolleg angebotene Bildungsgang ebenfalls angeboten wird.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Bedenken im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Auflösungsentscheidung ergeben sich – entgegen dem diesbezüglichen Einwand der Antragstellerin – auch nicht mit Blick auf § 47 SchulG NRW, der regelt, in welchen Fällen ein Schulverhältnis endet. Das gilt schon deshalb, weil die Antragstellerin ein Schulverhältnis zum Kolleg bisher noch nicht begründet hat. Weder hat sie das Kolleg bisher besucht noch ist sie an dem Kolleg als Studierende aufgenommen worden. Im Gegenteil hat das Kolleg die Aufnahme der Antragstellerin mit Bescheid vom 1. Februar 2022 abgelehnt.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch die Ausführungen in dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 31. Mai 2022 - 18 L 583/22 - (n.v.) in dem vorangegangenen Eilverfahren.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen gehen die verfassungsmäßigen Rechte von Schülern nicht so weit, den Bestand eines konkreten Standortes oder einer Schule zu sichern. Sie schließen insbesondere nicht das Recht ein, dass die besuchte Schule für die Dauer der Schulzeit erhalten bleibt und Eingangsklassen bildet.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">VG Minden, Urteil vom 27. April 2012 - 8 K 1318/11 -, juris, Rn. 25 f. unter Verweis auf OVG NRW, Urteil vom 9. November 1984 - 5 A 2167/82 - (n.v.).</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Erweist sich die Entscheidung des Ministeriums vom 7. September 2021, das Kolleg sukzessive zum 1. August 2023 aufzulösen, voraussichtlich als rechtmäßig, sind Interessen der Antragstellerin, die dennoch die Annahme eines Überwiegen des Suspensivinteresses rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich. Aus diesem Grund fiele im Falle (unterstellter) offener Erfolgsaussichten auch eine Interessenabwägung im Übrigen zulasten der Antragstellerin aus. Insoweit ist insbesondere nicht erkennbar, aus welchen Gründen der Besuch eines anderen Kollegs für die Antragstellerin faktisch nicht möglich sein soll. Die Antragstellerin, die nicht am Ort des Kollegs wohnhaft ist, müsste für den Weg zum Kolleg ebenso Kosten aufbringen wie für den Weg zu anderen Weiterbildungseinrichtungen. Das O1.        -H.    -Weiterbildungskolleg in F.     etwa ist ausweislich der Angaben in google maps vom Wohnort der Antragstellerin mit 14 km Fahrtstrecke mit dem Auto nur unwesentlich weiter entfernt als das streitgegenständliche Kolleg, zu dem die Antragstellerin mit dem Auto von ihrem Wohnort eine Fahrtstrecke von 12,3 km zurücklegen müsste. Die Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel wäre zum O1.        -H.    -Weiterbildungskolleg sogar kürzer. Soweit die Antragstellerin ferner vorträgt, sie habe sich mit Blick auf den Beginn der Beschulung am Kolleg um eine Erwerbsminderungsrente für genau diesen Zeitpunkt bemüht, da sie Berufsausbildungsförderung nicht erhalten könne, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Denn insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin eine zeitlich befristete Rente nicht auch bei dem Besuch eines anderen Weiterbildungskollegs gezahlt würde.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt die Ziffern 38.1 sowie 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">(2)       Prozesskostenhilfe bewilligende Beschlüsse sind für die Beteiligten unanfechtbar. Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sind für die Beteiligten unanfechtbar, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint. Im Übrigen kann gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. Insoweit ist die Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts oder eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt im Beschwerdeverfahren nicht erforderlich. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">(3)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,250
ovgnrw-2022-08-17-19-a-98122a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
19 A 981/22.A
2022-08-17T00:00:00
2022-08-20T10:01:07
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0817.19A981.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird verworfen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat über den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 8. März 2022 zu entscheiden, nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers den zunächst zugleich mit dem Berufungszulassungsantrag gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 10. Mai 2022 zurückgenommen hat. Nach Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung lebt der innerhalb der Frist von § 78 Abs. 7 AsylG i. V. m. § 84 Abs. 2 VwGO erhobene Zulassungsantrag wieder auf.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. Clausing, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 84 Rn. 34a, 42, Stand Juli 2021.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Berufungszulassungsantrag ist unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 AsylG genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Darlegen in diesem Sinn bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zu den Darlegungsanforderungen nach der inhaltsgleichen Regelung des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2020 - 19 A 4548/18 ‑, juris, Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier. Der Berufungszulassungsantrag erfüllt weder die Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG an die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG noch des Zulassungsgrunds eines Verfahrensfehlers nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO. Der Kläger benennt weder eine klärungsbedürftige und für das angestrebte Berufungsverfahren entscheidungserhebliche Grundsatzfrage, noch enthält er eine auf mögliche Grundsatzfragen bezogene substantiierte Begründung. Er wendet sich insoweit nur gegen die „zu kurze Frist von zwei Wochen für die Beantragung und Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung“, ohne sich mit der zugrundeliegenden Regelung des § 78 Abs. 7 AsylG und der hierzu vertretenen Auslegungsansätze auseinanderzusetzen. Auch zeigt der Kläger nicht auf, inwiefern das Verwaltungsgericht einen Verfahrensfehler begangen haben soll.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.</p>
346,249
ovgnrw-2022-08-17-19-a-90722a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
19 A 907/22.A
2022-08-17T00:00:00
2022-08-20T10:01:05
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0817.19A907.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 AsylG genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Darlegen in diesem Sinn bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Zu den Darlegungsanforderungen nach der inhaltsgleichen Regelung des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Juli 2020 - 19 A 4548/18 ‑, juris, Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier sowohl hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO als auch hinsichtlich der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung ist zunächst nicht wegen des behaupteten Verfahrensfehlers nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Vorschriften ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. Dass die Voraussetzungen eines solchen Verfahrensmangels hinsichtlich der im Sitzungsprotokoll als öffentlich bezeichneten mündlichen Verhandlung vom 8. März 2022 vorliegen, legt der Zulassungsantrag nicht hinreichend substantiiert dar. Die Klägerin rügt ohne Erfolg, sie habe einer Zustellung des Urteils anstelle einer Verkündung nicht zugestimmt. Die bloße Zustellung des Urteils ohne spätere Veröffentlichung auf der Internetseite des Verwaltungsgerichts sei mit Art. 47 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Konvention zum Schutze von Menschenrechten und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) unvereinbar, die eine öffentliche Verkündung von Urteilen vorschrieben.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">§ 138 Nr. 5 VwGO beschränkt die Fiktion, dass das Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend angesehen wird, auf den Fall, dass das Urteil „auf eine mündliche Verhandlung“ ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. Die unterbliebene Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung wird hingegen nicht erfasst. Diese im Wortlaut des § 138 Nr. 5 VwGO angelegte Einschränkung der Rügebefugnis rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass sich eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bei der Urteilsverkündung nicht auf die Entscheidungsfindung auswirken kann.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2016 ‑ 4 B 45.15 ‑, juris, Rn. 21 f.; OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2019 ‑ 13 A 4475/18.A ‑, juris, Rn. 18 ff.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Aus Art. 47 Satz 2 GR-Charta bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK folgt nichts anderes. Vielmehr genügt die Zustellung des Urteils nach Maßgabe des § 116 Abs. 2 VwGO den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 ‑ 9 B 13.14 ‑, juris, Rn. 3 m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon hat die Klägerin ausweislich des Protokolls über die öffentliche Sitzung des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2022 dem Beschluss des Gerichts, die Entscheidung den Beteiligten zuzustellen, nicht widersprochen. Dies führt jedenfalls zu einem Verlust der Rügebefugnis im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK, falls dieser überhaupt einschlägig sein sollte</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014, a. a. O., Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist auch nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen bedarf es neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- oder Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 28. März 2022 ‑ 1 B 9.22 ‑, juris, Rn. 21 ff. (zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Juni 2022 ‑ 19 A 657/22.A ‑, juris, Rn. 3, vom 18. Mai 2022 ‑ 19 A 532/22.A ‑, juris, Rn. 6, und vom 9. Februar 2022 ‑ 19 A 544/21.A ‑, juris, Rn. 24, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam die Fragen,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">ob das Prozessgrundrecht des fairen öffentlichen Verfahrens nach Art. 47 Satz 2 GR-Charta in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 EUV entsprechend dem EGMR-Urteil Biryukov ./. Russland Nr. 14810/02 vom 17. Januar 2008 und der Konventionserläuterung unter Berücksichtigung der Art. 52 Abs. 3 Satz 1 und Art. 52 Abs. 7 GR-Charta auch die Pflicht der Richter*in umfasst, ihr Urteil öffentlich zu verkünden?</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Falls ja, wird dieser Pflicht genügt, wenn ein Urteil den Beteiligten nur zugestellt wird und eine Verpflichtung des Gerichts, die Entscheidung im Internet zu veröffentlichen, fehlt?</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie sind bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (siehe oben), ohne dass der Zulassungsantrag erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf aufzeigen würde. Im Übrigen zeigt der Zulassungsantrag nicht auf, inwieweit sich diese Fragen in dem angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich stellen würden.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,235
vg-koln-2022-08-17-8-l-68622a
{ "id": 844, "name": "Verwaltungsgericht Köln", "slug": "vg-koln", "city": 446, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
8 L 686/22.A
2022-08-17T00:00:00
2022-08-19T10:01:32
2022-10-17T11:09:18
Beschluss
ECLI:DE:VGK:2022:0817.8L686.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Antragstellers,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung seiner Klage – 8 K 2434/22.A – gegen die mit dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 12. April 2022 ergangene Abschiebungsanordnung nach Italien anzuordnen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen Bescheid, der sofort vollziehbar ist, anordnen, wenn bei der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids überwiegt. Das öffentliche Interesse überwiegt in der Regel dann, wenn sich die Klage wegen der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids als aussichtslos erweist und die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Abschiebungsanordnung nach Italien im Bescheid des Bundesamts vom 12. April 2022 erweist sich bei der hier gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a Abs. 1 AsylG. Soll danach der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Dublin III-VO –, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist Italien nach den Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers nach Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 und Art. 13 der Dublin III-VO zuständig und gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a der Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller aufzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Hiernach ist der in Deutschland gestellte Asylantrag des Antragstellers unzulässig, weil er nach den Feststellungen des Bundesamts und seinem eigenen Vortrag illegal aus einem Drittstaat kommend die Grenze Italiens überschritten hat, ohne dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus dem in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamts befindlichen Screenshot des sog. Eurodac-Treffers, ausweislich dessen der Antragsteller bereits im Dezember 2021 in Italien registriert worden ist. Der Antragsteller hat einen entsprechenden Eurodac-Treffer der Kategorie 2 (IT2KR02BUV). Ergänzend hierzu hat der Antragsteller zudem vorgetragen, nach seiner illegalen Einreise nach Italien lediglich aus Gründen der Quarantäne in einer staatlichen Einrichtung untergebracht worden zu sein. Dort habe er keinen Asylantrag gestellt. Auch nach dem Ende der Quarantäne habe er keinen Asylantrag gestellt, sondern Italien in Richtung Deutschland verlassen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Das Bundesamt hat sodann das Aufnahmegesuch an Italien gemäß Art. 21 Dublin III-VO auch innerhalb der nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgebenden Frist von zwei Monaten nach Vorliegen des Eurodac-Treffers gestellt. Auch dies ergibt sich hinreichend deutlich aus dem in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Nachweisen zur elektronischen Übermittlung des - elektronisch signierten - Übernahmegesuchs vom 10. Februar 2022.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Es besteht auch keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO auszuüben. Nach dieser Bestimmung wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich bringen. Zudem muss auch eine alternative Überstellung in einen weiteren Mitgliedstaat anhand nachrangiger Zuständigkeitskriterien ausscheiden.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH),</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u. a. –, juris, Leitsätze 2 und 3,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">kommt dem Unionsrecht dabei keine unwiderlegliche Vermutung zu, der gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat werde die Unionsgrundrechte beachten. Vielmehr obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Überführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Es kommt nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob der Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 –, juris, Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Systemische Mängel in diesem Sinne liegen (nur dann) vor, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im eigentlich zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 81 ff., und – C-297/17 –, juris, Rn. 84 ff.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen, hinsichtlich derer die Feststellung, sie seien vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig und befänden sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Vereinbarkeit der Behandlung solcher Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere aus Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK, unterliegt.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 –, juris, Rn. 93; BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2022 – 1 B 90.21 –, juris, Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Maßstäben kann das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Antragsteller bei einer Abschiebung nach Italien wegen systemischer Mängel bzw. Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dabei verkennt das Gericht nicht, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: OVG NRW) ein Antragsteller, der vor seiner Antragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Italien gestellt hat, im Falle einer im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgenden Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 vorliegen, er also in einem ihm zugeteilten Empfangszentrum nicht erscheint oder dieses ohne vorherige Mitteilung verlässt oder nicht zur Anhörung erscheint.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1689/20.A –, juris, Rn. 60 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">An dieser Rechtsprechung hat das OVG NRW auch zuletzt noch festgehalten.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A –, Rn. 64.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Anders stellt sich hingegen die Situation von Antragstellern dar, die – wie im vorliegenden Fall – in Italien noch keinen Asylantrag gestellt haben und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllen. Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh besteht für diese Personengruppen nicht. Es ist davon auszugehen, dass ein Antragsteller, der in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllt, im Zuge der Rücküberstellung bei der Grenzpolizei einen förmlichen Asylantrag stellen kann, der in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft wird. Nach der Antragstellung wird er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entweder in einer Erstaufnahmeeinrichtung (CAS = centri di accoglienza straordinaria) oder – im Rahmen der zur Verfügung stehenden Plätze – in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI = Sistema di accoglienza e di integratione) untergebracht werden.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A –, Rn. 65 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung ist regelmäßig für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens gewährleistet und stellt jedenfalls eine Minimalversorgung sicher, die eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. Auch der Zugang zum italienischen Gesundheitssystem ist jedenfalls für Asylsuchende, deren Asylantrag formell registriert ist („verbalizzazione“) und die mit der Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung über einen Wohnsitz verfügen, gewährleistet.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A –, Rn. 80 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dem Antragsteller droht auch nicht auf absehbare Zeit nach einer – nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 88; hierzu BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2019 – 2 BvR 721/19 –, juris, Rn. 20 ff.,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">mit zu berücksichtigenden – Zuerkennung des internationalen Schutzstatus eine unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen eintretende Situation extremer materieller Not, in der er seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht wird befriedigen können.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Eine solche systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh besteht für Personen in der Situation des Antragstellers, die – wie hier zu unterstellen – möglicherweise erst nach einer Rücküberstellung in Italien als international schutzberechtigt anerkannt werden, nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Personen nach einer möglichen Zuerkennung des internationalen Schutzstatus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedenfalls für sechs Monate einen Platz in einer staatlichen Zweitaufnahmeeinrichtung erhalten und damit nicht allein auf sich gestellt sind.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A –, Rn. 97 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung für jedenfalls sechs Monate gibt gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen die Möglichkeit, Integrationsleistungen in Anspruch zu nehmen und sich auf dem italienischen Arbeits- und Wohnungsmarkt zurechtzufinden. Diese Übergangszeit unterscheidet die Situation eines „Dublin-Rückkehrers“, der in Italien vor seiner Weiterreise nach Deutschland noch keinen Asylantrag gestellt hatte und in Italien zunächst in einer Erst- sowie nach unterstellter Schutzgewährung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung untergebracht wird, von der Situation zurückgeführter Asylantragsteller oder international Schutzberechtigter, die ihr Recht auf Unterbringung im Erst- oder Zweitaufnahmesystem zwischenzeitlich verloren haben und deshalb bereits unmittelbar nach ihrer Rückführung auf sich allein gestellt sind.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Schließlich bestehen im Falle des Antragstellers auch keine besonderen Anforderungen an die Abschiebung, wie etwa das Erfordernis der Einholung von Garantien des italienischen Staates. Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist ein unverheirateter, junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Damit gehört er nicht zu einer im besonderen Maße schutzbedürftigen Gruppe von Asylsuchenden, bei der entsprechend der EGMR-Rechtsprechung im Fall U.        ,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 –, juris,</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">besondere Anforderungen an die Abschiebung zu stellen wären.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Sonstige Gründe, die eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers und für die Durchführung des Asylverfahrens begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin insbesondere nicht die Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO beanspruchen. Hiernach kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Dass die Antragsgegnerin nach dieser Maßgabe die Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts unter Verweis darauf abgelehnt hat, dass einschlägige außergewöhnliche humanitäre Gründe im Falle des Antragstellers nicht gegeben seien, insbesondere eine Überstellung des Antragstellers keine Verletzung der Familieneinheit in Anlehnung an Art. 8 EMRK hinsichtlich einer wohl in Deutschland lebenden Tante darstellt, ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird durch den Antragsteller auch nicht in Zweifel gezogen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Es liegen auch keine Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezüglich des Zielstaates der Abschiebung vor. Der Antragsteller hat insofern nichts Durchgreifendes geltend gemacht und es ist auch sonst nichts ersichtlich, was seiner Abschiebung nach Italien entgegenstehen könnte.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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2022-08-17T00:00:00
2022-08-19T10:01:24
2022-10-17T11:09:17
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div><dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.</p></dd> </dl></div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>A.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag am 9. Oktober 2022.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Beschwerdeführerin hat rechtzeitig bei der Landeswahlleiterin ihre Teilnahme an der Landtagswahl angezeigt. Mit Schreiben vom 6. Juli 2022 hat die Landeswahlleiterin die Wahlanzeige bestätigt und darauf hingewiesen, dass der Niedersächsische Landeswahlausschuss am 22. Juli 2022 verbindlich festzustellen hat, ob die Beschwerdeführerin für die Wahl als Partei anerkannt wird. Die Beschwerdeführerin wurde zu der Sitzung des Landeswahlausschusses am 22. Juli 2022 eingeladen. Es erschien aber kein Vertreter. Der Landeswahlausschuss lehnte die Anerkennung der Beschwerdeführerin als Partei ab, begründete die Entscheidung in der Sitzung und belehrte über den Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit E-Mail vom 10. August 2022 hat die Beschwerdeführerin durch zwei Parteivertreter, bei denen es sich um die satzungsmäßigen und gesetzlichen Vertreter handele, erstmals Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, die Landeswahlleiterin habe mit ihrem Schreiben vom 6. Juli 2022 verbindlich bestätigt, dass die Voraussetzungen für die Wahlanzeigen gemäß § 16 Abs. 1 NLWG rechtmäßig gegeben seien. Dadurch habe bereits eine inhaltliche Prüfung stattgefunden, dass bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Landtagswahl gegeben seien. Die Sitzung des Niedersächsischen Landeswahlausschusse am 22. Juli 2022 habe lediglich deklaratorische Bedeutung. An dieser Sitzung hätten die gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin nicht teilnehmen können, weil sie sich wegen einer Coronaerkrankung in Quarantäne befunden hätten. Von der Entscheidung des Landeswahlausschusses hätten sie erst Ende Juli erfahren. Im Übrigen sei die Parteieigenschaft der Beschwerdeführerin unproblematisch gegeben, wie sich aus der indirekten Teilnahme an der Niedersächsischen Kommunalwahl 2021 aufgrund des Wahlergebnisses ergebe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die unterschriebene Originalbeschwerdeschrift ist am 12. August 2022 beim Staatsgerichtshof eingegangen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>III.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der Niedersächsische Landeswahlausschuss, vertreten durch die Landeswahlleiterin, hat Gelegenheit zu Äußerung erhalten. Er hat vorgetragen, dass die Beschwerde bereits wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig, aber auch unbegründet sei. Die Beschwerdeführerin biete nach dem Gesamtbild ihrer tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Art und Umfang ihrer Organisation und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit, keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzungen. Außerdem hat er mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin bislang weder einen Kreis- noch einen Landeswahlvorschlag eingereicht habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>B.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht fristgerecht eingereicht worden (1.), die Beschwerde ist nicht ausreichend begründet (2.), und ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (3.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p><strong>1</strong>. Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist nach § 36a Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - vom 1. Juli 1996 (Nds. GVBl. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 424), binnen vier Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Nichtanerkennung als wahlvorschlagsberechtigte Partei in der Sitzung des Niedersächsischen Landeswahlausschusses zu erheben. Es kommt dabei nicht auf den Eingang der Niederschrift über die Sitzung des Landeswahlausschusses nach § 28 Abs. 5Niedersächsische Landeswahlordnung - NLWO - vom 1. November 1997 (Nds. GVBl., S. 437), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 30. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 429), sondern auf die Bekanntgabe der Entscheidung in der Sitzung des Landeswahlausschusses an, wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 36a Abs. 2 NStGHG ergibt (vgl. zum insoweit gleichlautenden § 96a BVerfGG: Hummel in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2021, § 96a, Rn. 17; Grünewald in: BeckOK, BVerfGG, § 96a, Rn. 12 - jeweils unter Hinweis auf § 33 Abs. 4 BWO). Die Vier-Tage-Frist zur Erhebung der Nichtanerkennungsbeschwerde begann deshalb mit der mündlichen Bekanntgabe der Entscheidung des Landeswahlausschusses am Freitag, dem 22. Juli 2022, und endete nach Ablauf von vier Tagen am Dienstag, dem 26. Juli 2022, um 24.00 Uhr (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 7/17 -, juris, Rn. 6). Selbst wenn man auf den Eingang der Beschwerde in Gestalt der E-Mail am 10. August 2022 abstellen würde, ging sie deutlich nach dem 26. Juli 2022 ein und ist verfristet. Gleiches gilt erst recht für die am 12. August 2022 eingegangene Originalbeschwerdeschrift.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Daran ändert auch der Vortrag der Beschwerdeführerin nichts, ihre beiden satzungsmäßigen und gesetzlichen Vertreter hätten wegen der coronabedingten Quarantäne (entschuldigt) nicht an der Sitzung des Landeswahlausschusses am 22. Juli 2022 teilnehmen können. Es ist nämlich unerheblich, ob die abgelehnten Parteien oder politischen Vereinigungen der Einladung der Landeswahlleiterin zur Sitzung des Landeswahlausschusses gefolgt sind, sie die Ladung möglicherweise gar nicht erhalten und verspätet oder gar nicht von der Entscheidung, deren Begründung und der Möglichkeit des Rechtsbehelfs Kenntnis erlangt haben. Die Unkenntnis geht zu Lasten der Beschwerdeführer (vgl. Grünewald in: BeckOK, BVerfGG, § 96a, Rn. 12). Es handelt sich um eine objektive und absolute Ausschlussfrist. Diese ist erforderlich, um den Ablauf der Wahl sicherzustellen und einen Rechtsbehelf vor der Wahl überhaupt zu ermöglichen (vgl. zum insoweit gleichlautenden § 60a Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -: VerfG Bbg, Beschl. v. 21.6.2019 - 42/19 -, juris Rn. 6; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 8). Die Einladung an die Vereinigungen zu der entscheidenden Sitzung des Landeswahlausschusses ist öffentlich. § 28 Abs. 2 Satz 1 NLWO sieht im Übrigen keine Begrenzung der Teilnahme ausschließlich auf die satzungsmäßigen und/oder gesetzlichen Vertreter der Vereinigung vor; diese ist mangels Vornahme rechtserheblicher Handlungen auch nicht erforderlich, so dass an der Sitzung am 22. Juli 2022 jedes Mitglied der Beschwerdeführerin oder eine von ihr besonders bevollmächtigte Person hätte teilnehmen können. So hätte die Beschwerdeführerin rechtzeitig von der Entscheidung des Landeswahlausschusses erfahren können.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p><strong>2.</strong> Die Beschwerde genügt auch hinsichtlich ihrer Begründung jedenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 36a Abs. 2, § 12 NStGHG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) - in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 8.1993 (BGBl. I S. 1473), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20. November 11.2019 (BGBl. I S. 1724). Nach den vorgenannten Vorschriften sind Beschwerden innerhalb von vier Tagen zu begründen und die erforderlichen Beweismittel anzugeben. Denn nur so wird der Staatsgerichtshof in die Lage versetzt, sich im Rahmen der engen, gesetzlich vorgegebenen Zeitvorgaben (§§ 14 ff. NLWG) inhaltlich mit der Beschwerde befassen zu können. Soweit die ablehnende Entscheidung des Landeswahlausschusses darauf gestützt wird, dass die Vereinigung nicht die Kriterien der Parteieigenschaft erfülle, obliegt es den Beschwerdeführern, sich mit den Kriterien des § 2 Gesetz über die politischen Parteien – Parteiengesetz (PartG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) auseinanderzusetzen und entsprechende Unterlagen vorzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.7.2021 - 2 BvC 4/21 -, juris, Rn. 12). Dazu gehören zumindest die Parteisatzung und das Programm (vgl.Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 8) und bei einer geringen Mitgliederzahl Ausführungen und Nachweise für ein tatsächliches Hervortreten in der Öffentlichkeit (vgl.BVerfG, Beschl. v. 22.7.2021 - 2 BvC 6/21 -, juris, Rn. 10). Bis auf die Behauptung, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des Parteiengesetzes unproblematisch erfülle und an ihrer Ernsthaftigkeit der politischen und gesellschaftlichen Ziele keine Zweifel bestünden, enthält die E-Mail vom 10. August 2022 weder eine weitere Begründung noch Beweismittel. Auch der nachgereichte Schriftsatz vom 12. August 2022 enthält - unabhängig von der Verfristung - keine weiteren Angaben. Soweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, in dem Schreiben der Landeswahlleiterin vom 6. Juli 2022 liege bereits ihre Anerkennung als Partei zur Landtagswahl am 9. Oktober 2022, missversteht sie sowohl das Schreiben als auch die gesetzliche Regelung in § 16 Abs. 2 Niedersächsisches Landeswahlgesetz - NLWG - in der Fassung vom 30. Mai 2002 (Nds. GVBl. S. 153), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 429). Die Landeswahlleiterin hat in dem Schreiben eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass lediglich die nach § 16 Abs. 1 NLWG notwendige Wahlanzeige rechtzeitig eingegangen sei. Darüber hinaus gab sie ausdrücklich den Hinweis, dass noch die Anerkennung als Partei durch den Landeswahlausschuss erfolgen müsse. Die Sitzung finde am 22. Juli 2022 statt. Der Hinweis gibt die Rechtslage in § 16 Abs. 2 NLWG wieder. Danach ist (allein) der Landeswahlausschuss befugt, verbindlich festzustellen, welche Vereinigungen für die Wahl als Partei anzuerkennen sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p><strong>3.</strong> Schließlich fehlt für die Nichtanerkennungsbeschwerde auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine Sachentscheidung. Auch im Nichtanerkennungsbeschwerde-verfahren müssen Beschwerdeführer ein solches Rechtsschutzinteresse haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.7.2013 - 2 BvC 2/13 -, BVerfGE 134, 121 (123), juris Rn. 6; Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 1/17 -, juris Rn. 8; VerfGH RP, Beschl. v. 28.1.2021 - VGH W 4/21 -, juris Rn. 7; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 13). Daran fehlt es u.a. dann, wenn die Beschwerdeführer aus anderen Gründen als wegen ihrer Nichtzulassung als wahlvorschlagsberechtigte Partei an einer Wahlteilnahme gehindert sind. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Beschwerdeführer nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Frist Kreis- und/oder Landeswahlvorschläge einreichen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 1/17 -, juris Rn. 8; Hummel in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2021, § 96a, Rn. 15; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 13). Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 2 NLWG läuft die Frist zur Einreichung von Kreis- bzw. Landeswahlvorschlägen am 69. Tag vor der Wahl - 18.00 Uhr - ab. Das war für die Landtagswahl am 9. Oktober 2022 der 1. August 2022. Nach Mitteilung der Landeswahlleiterin hat die Beschwerdeführerin bis zu diesem Termin weder einen Kreis- noch einen Landeswahlvorschlag eingereicht. Wahlvorschläge, die erst nach Ablauf der Einreichungsfrist eingereicht werden, sind nicht zuzulassen (§ 21 NLWG). Für die Beschwerdeführerin lässt sich deshalb in keinem Fall mehr die Teilnahme an der Landtagswahl 2022 erreichen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Die Anträge werden nach § 36a Abs. 5, § 12 NStGHG i.V.m. § 24 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Staatsgerichtshofs ohne Beteiligung der Richterin van Hove und ihrer Vertreterin, die beide verhindert sind, verworfen. Der Staatsgerichtshof ist gemäß § 9 Abs. 2 NStGHG auch ohne sie beschlussfähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>C.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei, Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KVRE007772215&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,233
stghni-2022-08-17-222
{ "id": 599, "name": "Niedersächsischer Staatsgerichtshof", "slug": "stghni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": "Verfassungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
2/22
2022-08-17T00:00:00
2022-08-19T10:01:24
2022-10-17T11:09:17
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div><dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.</p></dd> </dl></div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong> A.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Beschwerdeführer wendet sich an den Niedersächsischen Staatsgerichtshof mit dem Begehren festzustellen, dass angesichts der COVID-19-Pandemie eine Reduzierung der nach § 14 Abs. 3 NLWG erforderlichen 100 Unterschriftsleistungen notwendig sei (1.) und das strenge Festhalten an § 14 Abs. 3 NLWG eine Einschränkung seiner verfassungsgeschützten Grundrechte auf Chancengleichheit darstelle (2.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Mit E-Mail vom 10. August 2022 hat er sich erstmals an den Niedersächsischen Staatsgerichtshof gewandt. Er trägt vor, er habe sowohl bei der Landeswahlleiterin als auch bei der Kreiswahlleitung eine Reduzierung der Unterstützungsunterschriften auf 50% beantragt, was abgelehnt worden sei. Dies halte er für unangemessen, weil viele Unterstützer angesichts der Ansteckungsgefahr mit COVID-19 vor einer persönlichen Unterschriftsleistung zurückschreckten. Außerdem sehe er sein Recht auf Chancengleichheit verletzt, weil durch die hohe Zahl von Unterstützungsunterschriften seine Teilnahme an der Landtagswahl 2022 praktisch unmöglich sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Die Originalbeschwerdeschrift ging am 12. August 2022 beim Staatsgerichtshof ein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der Niedersächsische Landeswahlausschuss, vertreten durch die Landeswahlleiterin, hat Gelegenheit zu Äußerung erhalten. Er hält die Feststellungsanträge sowohl für unzulässig als auch für unbegründet und begründet seine Auffassung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>B.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die beiden vom Beschwerdeführer erhobenen Feststellungsanträge sind unzulässig, so dass seine Beschwerde zu verwerfen ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p><strong>1</strong>. Nach § 51 Satz 2 Niedersächsisches Landeswahlgesetz - NLWG - in der Fassung vom 30. Mai 2002 (Nds. GVBl. S. 153), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 429), können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den im Niedersächsischen Landeswahlgesetz und in der Niedersächsischen Landeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren und im Verfahren nach § 36a des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - vom 1. Juli 1996 (Nds. GVBl. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 424), angefochten werden. Der einzige zulässige Rechtsbehelf, der im Vorfeld der Wahl vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof erhoben werden kann, ist nach § 8 Nr. 11, § 36a NStGHG gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses nach § 16 Abs. 2 Satz 1 NLWG eröffnet. Der in diesem Sinn auszulegende Feststellungsantrag zu 1. ist unzulässig, weil nach § 36a Abs. 1 Satz 1 NStGHG allein Vereinigungen, aber nicht natürliche Personen, beschwerdeberechtigt sind. Andere Rechtsbehelfe, mit denen der Beschwerdeführer sein Begehren, sich gegen die Anzahl der Unterstützungsunterschriften zu wehren, verfolgen könnte, sind vor der Wahl gesetzlich nicht vorgesehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p><strong>2.</strong> Bei dem Feststellungsantrag zu 2. handelt es sich inhaltlich um eine Individualverfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer sein Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb geltend machen will. Der Antrag ist unzulässig, weil weder die Niedersächsische Verfassung noch das Niedersächsische Staatsgerichtshofgesetz eine Individualverfassungsbeschwerde für Niedersachsen vorsehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die Anträge werden nach § 36a Abs. 5, § 12 NStGHG i.V.m. § 24 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) - in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724), ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Staatsgerichtshofs ohne Beteiligung der Richterin van Hove und ihrer Vertreterin, die beide verhindert sind, verworfen. Der Staatsgerichtshof ist gemäß § 9 Abs. 2 NStGHG auch ohne sie beschlussfähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>C.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei, Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KVRE007762215&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,855
olgkarl-2022-08-16-5-ufh-322
{ "id": 146, "name": "Oberlandesgericht Karlsruhe", "slug": "olgkarl", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
5 UFH 3/22
2022-08-16T00:00:00
2022-10-07T10:01:56
2022-10-17T11:10:53
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><blockquote><p>I. Im Wege der einstweiligen Anordnung werden ergänzend zu Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenburg vom 18.05.2022 (1 F 334/21) vorläufig folgende weitere Maßnahmen getroffen:</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>1. Die elterliche Sorge für das Kind T. J., geboren 2014, wird hinsichtlich der schulischen Angelegenheiten und hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts an Schultagen für die Dauer der Unterrichtszeiten vorläufig den Eltern entzogen.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>2. Insoweit wird Ergänzungspflegschaft angeordnet.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>3. Zum Ergänzungspfleger wird bestimmt: Jugendamt, Landratsamt Ortenaukreis, Badstr. 20, 77652 Offenburg.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>4. Die Eltern werden verpflichtet, das Kind jeweils an den Schultagen an den Ergänzungspfleger auf Verlangen herauszugeben.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>5. Zur Vollstreckung der jeweiligen Herausgabe des Kindes darf unmittelbarer Zwang ausgeübt werden. Der Gerichtsvollzieher ist befugt, um Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>6. Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt zur gewaltsamen Öffnung der Wohnung der Eltern sowie zur Durchsuchung der Wohnung zum Zwecke des Auffindens des Kindes.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>7. Für jeden Fall der zu vertretenden Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Anordnung der Herausgabe des Kindes kann das Gericht gegenüber den Eltern ein Ordnungsgeld in Höhe von jeweils bis zu 25.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu sechs Monaten anordnen. Verspricht die Anordnung von Ordnungsgeld keinen Erfolg, kann das Gericht sofort Ordnungshaft anordnen.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>II.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Gerichtskosten im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung tragen die Eltern je zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>III.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Wert des Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auf 2.000 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Beim Senat ist ein Hauptsacheverfahren anhängig, in dem sich die Eltern mit ihrer Beschwerde gegen die Erteilung einer Weisung zum Schulbesuch im Rahmen des § 1666 BGB wenden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die verheirateten Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt für ihren Sohn T., geb. 2014 (7 Jahre).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Außerdem leben im Haushalt noch die 3 Geschwister:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>- N., geb. 2017 (5 Jahre),<br/>- A., geb. 2019 (2 Jahre) und<br/>- J., geb. 2021 (1 Jahr).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Mutter betreut die vier Kinder, der Vater war als Altenpflegehelfer berufstätig, ist mittlerweile arbeitslos.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Das Kind T. wurde mit 6 Jahren und 10 Monaten im September 2021 als Erstklässler in die S.schule eingeschult, ist aber bisher zu keinem einzigen Schultag erschienen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Den fehlenden Schulbesuch erklärten die Eltern</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>- mit der Testpflicht (insb.: die Tests würden Krebs verursachen),<br/>- mit der Maskenpflicht (angebliche Erstickungsanfälle; Attest eines rechtskräftig wegen falscher Atteste verurteilten Zahnarztes) sowie<br/>- mit der Gefahr einer Zwangsimpfung durch die Schule (Stichwort: Impfbus; die Eltern verlangten insoweit eine eidesstattliche Versicherung des Schulleiters).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Kinder sind nicht gegen Masern geimpft, weshalb das nächstjüngere Kind N. auch keinen Kindergarten besucht. T. geht nach Mitteilung der Eltern regelmäßig zu den R. (einem Jugendverband einer Freikirche pfingstkirchlicher Prägung).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Wegen des fehlenden Schulbesuches wandte sich die Schule an das Jugendamt, das mit Schreiben vom 22.12.2021 ein Verfahren nach § 1666 BGB anregte (1 F 334/21). Die vom Familiengericht bestellte Verfahrensbeiständin durfte im Beisein der Eltern ein einziges Gespräch mit dem Kind führen. Ein Vermittlungsversuch zwischen Eltern und Schule scheiterte. Nach der schriftlichen Stellungnahme des Verfahrensbeistands wurde von den Eltern weiterer Kontakt zum Kind verweigert. Die Eltern stellten gegen die Verfahrensbeiständin einen Befangenheitsantrag, in dem sie die Vorgehensweise der Verfahrensbeiständin, das Kind zum Schulbesuch und zu einem Spaziergang mit ihr alleine zu bewegen, rügten. Dieser Antrag wurde abgelehnt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Datum vom 12.03.2022 ging ein „Zeugenbericht“ von Angehörigen der Initiative „Ortenauer Eltern und Menschen mit Herz“ (Vereinigung von Gegnern der Corona-Maßnahmen in Kooperation mit „aufrecht:freidenken“) ein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Das Kind wurde für die Kindesanhörung vom 15.03.2022 krank gemeldet (Attest Dr. W.), für den Folgetermin vom 06.04.2022 erneut (Attest Dr. V.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Im einem parallelen einstweiligen Anordnungsverfahren (1 F 74/22) erteilte das Familiengericht den Eltern das vorläufige Gebot, für eine regelmäßige Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Der Beschluss mit Datum vom 07.04.2022, ausgefertigt am nächsten Tag, konnte trotz Monierung vom 09.05.2022 zunächst nicht an den Rechtsanwalt der Eltern zugestellt werden. Die Zustellung erfolgte daraufhin mit Zustellungsurkunde am 15.06.2022, d.h. nach dem Beschluss im Hauptsacheverfahren (1 F 334/21). Die Beschwerde der Eltern vom 21.06.2022 gegen die einstweilige Anordnung wurde vom Senat mit Beschluss vom 08.08.2022 als unzulässig verworfen (5 UF 127/22).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Am 21.04.2022 wurden die erwachsenen Beteiligten im Hauptsacheverfahren vom Familiengericht angehört. Die Eltern erklärten, sie würden das Kind nach den Osterferien in die Schule schicken (also ab 25.04.2022), da die Corona-Maßnahmen aufgehoben seien. Sie würden aber überlegen, das Kind zukünftig in der Grundschule in Nesselried anzumelden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Auch im Folgenden besuchte das Kind bis zu den Sommerferien keine Schule.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Die Eltern erklärten, sie würden keine Kindesanhörung im Beisein des Verfahrensbeistands akzeptieren. Daraufhin hob das Familiengericht den Termin zur Kindesanhörung im Hauptsacheverfahren auf.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Mit Beschluss vom 18.05.2022 erteilte das Familiengericht den Eltern das Gebot, für eine regelmäßige Einhaltung der Schulpflicht des Kindes zu sorgen. Der Beschluss wurde den Eltern am 20.05.2022 zugestellt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Gegen den Beschluss haben die Eltern Beschwerde eingelegt (5 UF 120/22). Darin wird auf die gesundheitsschädigende Maskenpflicht von Kindern verwiesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Verfahrensbeistand und Jugendamt treten der Beschwerde entgegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Im Anhörungstermin vom 10.08.2022, zu dem die Eltern über ihren Rechtsanwalt durch Zustellung am 30.07.2022 geladen wurden, erschienen sie nicht, auch wurde das Kind nicht zur Anhörung gebracht. Im Anschluss erklärten sie, die Ladung wegen Umzugs und Erkrankung des Verfahrensbevollmächtigten nicht erhalten zu haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Im Termin wurde erörtert, den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung Teile der elterlichen Sorge zu entziehen, um den Schulbesuch zu sichern. Jugendamt und Verfahrensbeiständin treten dem bei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Inzwischen ist die Familie nach A. verzogen. Den fehlenden Schulbesuch erklären sie nunmehr damit, dass T. sich durch das „Freilernen im Homeschooling“ „toll“ entfalten könne; das Kind wolle dies so weiterführen. Sein Bildungsstand könne jederzeit überprüft werden; er sei in den erstinstanzlichen Verfahren jedoch nicht abgefragt worden. Sowohl der Schulleiter der S.schule als auch das Jugendamt als auch die Verfahrensbeiständin seien so kompromisslos vorgegangen, dass die Eltern das Vertrauen in diese Personen verloren hätten. Sie seien weiterhin an einer Lösung interessiert mit einfühlsamen Beteiligten, damit T. langsam den Weg zur Schule finde. Die Eltern beabsichtigten, ihn an der Gemeinschaftsschule am neuen Ort in A. anzumelden, was ferienbedingt zur Zeit nicht möglich sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die angekündigte ausführliche Begründung des Verfahrensbevollmächtigten ist nicht eingegangen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Zu den Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.</td></tr></table> <table><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die einstweilige Anordnung ist von Amts wegen zu erlassen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>1. Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme getroffen werden, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ein derartiges Regelungsbedürfnis ist anzunehmen, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen zu wahren, bzw. wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht ohne Eintritt erheblicher Nachteile möglich wäre (vgl. Keidel/Giers, FamFG, 20. Auflage 2020, § 49 Rn. 13). Bei einstweiligen Regelungen im Beschwerdeverfahren sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels summarisch und vorläufig zu betrachten und mit den drohenden Nachteilen für alle Beteiligten gegeneinander abzuwägen (vgl. Keidel/Sternal, a.a.O., § 64 Rn. 59).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>2. In der Sache hat gemäß § 1666 Abs. 1 BGB das Familiengericht die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Das Kindeswohl ist gefährdet, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes zu erwarten ist, wobei an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseinritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt (BGH FamRZ 2019, 598, juris Rn. 18). Die - auch teilweise - Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann daher nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren - einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen - Sicherheit eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein (BGH FamRZ 2019, 598, juris Rn. 33). Da in das nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern gewährleistete Recht auf Erziehung nur unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden darf (BVerfG FamRZ 2021, 104, juris Rn. 30 m.w.N.), dürfen den Eltern nicht mehr Rechte entzogen werden, als es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Die getroffenen Maßnahmen müssen zur Beseitigung der dem Kind drohenden Gefahren geeignet sein und müssen zu Art und Umfang der Gefahren in einem angemessenen Verhältnis stehen. Das gilt insbesondere für eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen, da diese den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht darstellt. So dürfen etwa die Folgen einer Fremdunterbringung des Kindes nicht gravierender sein als die eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie (BVerfG FamRZ 2015, 208, juris Rn. 15 f.; OLG Dresden FamRZ 2015, 676, juris Rn. 3). Auch gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), für eine dem Kindeswohl bestmögliche Förderung zu sorgen (BVerfG FamRZ 2012, 1127, juris Rn. 15; BVerfG FamRZ 2010, 713, juris Rn. 33 f.). Die Eingriffsbefugnisse des § 1666 BGB bezwecken auch nicht, dem Kind eine optimale oder auch nur durchschnittliche Erziehung und Entwicklung zu ermöglichen, sondern lediglich, nicht mehr vertretbare Gefahren und Schäden von ihm abzuwenden. Begrenzte persönliche und wirtschaftliche Möglichkeiten und Verhältnisse muss das Kind in gewissem Umfang als Schicksal und Lebensrisiko tragen (BVerfG FamRZ 2015, 112, juris Rn. 38; Staudinger/Coester, BGB, Neubearbeitung 2020, § 1666 Rn. 84 m.w.N.), denn vorrangig kommt den Eltern die Aufgabe und das Recht zu, Gefahren für die Entwicklung der Kinder abzuwehren. Eltern und Kinder haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, mit und in der eigenen Familie zu leben und aufzuwachsen. Erst dann, wenn für das Kind bestehende Gefahren die oben genannte Schwelle überschreiten, dürfen zum Schutz des Kindes im Rahmen von §§ 1666, 1666a BGB gerichtliche Maßnahmen getroffen werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Staat nach Möglichkeit versuchen muss, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (BVerfG FamRZ 2010, 713, juris Rn. 35 m.w.N.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Konkret für den Fall der Schulverweigerung gilt, dass das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern durch die allgemeine Schulpflicht beschränkt ist. Zu dieser Beschränkung ist der Gesetzgeber befugt. Diese dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (BVerfG vom 31.05.2006 – 2 BvR 1693/04, juris Rn. 15 f.)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Zur Sicherung der Schulpflicht kommt daher grundsätzlich der teilweise Entzug des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft in Betracht. Diese Maßnahmen sind im Grundsatz geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die schulverweigernden Eltern entgegenzuwirken. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung von Schulangelegenheiten schafft in Verbindung mit der Anordnung der Pflegschaft die Voraussetzungen dafür, dass ein Kind durch geeignete Maßnahmen eines Pflegers zum Besuch einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule in Deutschland angehalten wird und Schaden vom Kind, wie er von einem ausschließlichen Hausunterricht zu besorgen ist, abgewendet wird. Dabei kann ein solcher Pfleger ermächtigt werden, die Herausgabe des Kindes notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchung der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei zu erzwingen. Dies gilt, wenn mildere Mittel, das Kind vor dem Missbrauch der elterlichen Sorge wirksam zu schützen und den staatlichen Erziehungsauftrag im wohlverstandenen Kindesinteresse durchzusetzen, nicht mehr zur Verfügung stehen. Der teilweise Sorgerechtsentzug und die Anordnung der Pflegschaft stehen zu dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse auch nicht außer Verhältnis; sie sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes geboten (BGH vom 17.10.2007 – XII ZB 42/07, juris Rn. 15; OLG Celle vom 02.06.2021 – 21 UF 205/20, juris Rn. 22 m.w.N.; OLG Nürnberg vom 15.09.2015 - 9 UF 542/15, juris Rn. 13; OLG Köln vom 02.12.2014 - 4 UF 97/13, juris Rn. 4; OLG Frankfurt a.M. vom 15.08.2014 - 6 UF 30/14, juris Rn. 14).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten wird, dass bei hinreichender Wissensvermittlung und hinreichender Sorge für die körperliche, kognitive, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklung des Kindes im Einzelfall durch Einholen eines Sachverständigengutachtens oder durch einen positiven Eindruck von dem Kind bei der gerichtlichen Anhörung eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB ausgeschlossen werden könne (in diese Richtung OLG Bamberg vom 22.11.2021 – 2 UF 220/20, juris Rn. 30; OLG Hamm vom 11.10.2019 - 3 UF 116/19, juris Rn. 7; OLG Düsseldorf vom 25.07.2018 – 2 UF 18/17, juris Rn. 7), überzeugt dies nicht. Denn nach den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Grundlagen kann der Gesetzgeber insoweit in das Elternrecht eingreifen. Die allgemeine Schulpflicht dient nicht nur der Vermittlung von Wissen und sozialen Fertigkeiten, die möglicherweise auch im familiären Rahmen erlernt werden können. Vielmehr dient die Schulpflicht auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinter stehenden Gemeinwohlinteressen. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern (BVerfG vom 31.05.2006 – 2 BvR 1693/04, juris Rn. 17 ff.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>3. Nach diesen Grundsätzen, auf der dargestellten tatsächlichen Grundlage und unter Ausschöpfung der im summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten ist unter Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände erforderlich, vorläufige Maßnahmen zu treffen, um zumindest zu Beginn des zweiten Schuljahres dem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>a. Nach den oben dargelegten Grundlagen bestehen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls. Die Eltern haben über ein vollständiges Schuljahr hinweg nicht für einen Schulbesuch des Kindes gesorgt, obwohl die von ihnen selbst formulierten Hinderungsgründe spätestens seit den Osterferien im April 2022 weggefallen sind. Damit gefährden sie die oben dargestellte Entwicklung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit und die gleichberechtigte Teilhabe des Kindes an der Gesellschaft. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Eltern auch weiterhin nicht für den Schulbesuch des Kindes sorgen. Dies gilt umso mehr, als sich die Eltern mittlerweile auf keinerlei inhaltliche Gründe mehr für den fehlenden Schulbesuch berufen. Die Eltern berufen sich in ihrer Stellungnahme vom 15.08.2022 darauf, sie hätten gemerkt, wie toll sich das Kind durch das Freilernen im Homeschooling entfalten könne; diese Erklärung hat keine inhaltliche Substanz. Damit setzen die Eltern ihre Einschätzung einfach an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung über die Bedeutung der Schulpflicht. Nach den oben dargestellten rechtlichen Grundsätzen ist der Gesetzgeber berechtigt, insoweit die elterliche Einschätzung aus übergeordneten Gesichtspunkten des Kindeswohls einzuschränken. Soweit die Eltern darauf hinweisen, es entspreche T.s Willen, im Homeschooling beschult zu werden, spielt dies für die Entscheidung keine Rolle. Denn eine so weitreichende und weichenstellende Entscheidung wie die Frage der Beschulung kann nicht dem Willen eines 7jährigen Kindes anvertraut werden, das die damit zusammenhängenden Implikationen nicht annähernd überschauen kann. Dass die Eltern diese Frage der Entscheidung des Kindes überlassen wollen, spricht umgekehrt gegen ihre Eignung, in dieser Frage die elterliche Sorge verantwortungsbewusst ausüben zu können. In ihrem Schreiben vom 15.08.2022 haben die Eltern noch einmal Unterlagen zu den Coronamaßnahmen des Jahres 2021 vorgelegt; dies ändert ebenfalls nichts, da die Corona-Pandemie schon längst nicht mehr der Grund für T.s fehlenden Schulbesuch ist. Weitere Gesichtspunkte, weshalb T. nicht die Schule besuchen kann und mit denen eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden könnte, tragen die Eltern nicht vor. In ihrem Schreiben vom 19.08.2022 schildern die Eltern zunächst die chronologischen Abläufe und erklären, dass sie sich gewünscht hätten, dass Schule, Jugendamt und Verfahrenbeiständin kompromissbereiter mit ihnen umgehen. Angesichts der Bedeutung der Schulpflicht einerseits und der mit dem fehlenden Schulbesuch einhergehenden Gefährdung des Kindeswohls verkennen die Eltern hierbei jedoch ihren und den Spielraum der Beteiligten. Sämtliche Beteiligte haben versucht, mit den Eltern das Ziel zu erreichen, das schlicht zu erreichen ist: dass das Kind die Schule besucht. Bei einem solchen Vorgang müssen Eltern mit dem Kommunikationsstil der anderen Beteiligten umgehen, sofern diese nicht ihre Befugnisse überschreiten, was aus dem eigenen Vortrag der Eltern bei keinem der benannten Beteiligten der Fall gewesen ist. Alle Beteiligte haben eingefordert, was ihre Aufgabe ist. Dies gilt namentlich auch für die Verfahrensbeiständin, die den gesetzlichen Auftrag hat, grundsätzlich mit dem Kind alleine zu sprechen, d.h. ohne die Eltern. Es liegt im Kinderschutzverfahren grundsätzlich nicht in der Entscheidungsmacht der Eltern, dies abzulehnen, sondern das Kind in geeigneter erzieherischer Weise darauf vorzubereiten. Mit der Erklärung im Schreiben vom 19.08.2022, das Kind nunmehr in der Gemeinschaftsschule in Achern anmelden zu wollen, setzen die Eltern sich schließlich in Widerspruch zu ihrem Schreiben vom 15.08.2022, in dem sie noch angekündigt haben, T. auch zukünftig im Homeschooling unterrichten zu wollen. Wenn zutrifft, dass die Eltern das Kind in Achern einschulen wollen, werden die Eltern und der bestellte vorläufige Ergänzungspfleger einvernehmlich auf das gleiche Ziel hinarbeiten. Die o.g. widersprüchlichen Angaben der Eltern und die nicht eingehaltene Zusage der Eltern zum Schulbesuch nach den Osterferien lassen dies jedoch so unsicher erscheinen, dass von der Bestellung des vorläufigen Ergänzungspflegers nicht abgesehen werden kann.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Fragen der gesundheitsgefährdenden Schimmelbildung in der bisherigen Wohnung der Eltern spielen für die vorliegende Entscheidung keine Rolle. Auch geht der Senat davon aus, dass die Eltern das Kind unabhängig vom Schulbesuch grundsätzlich gut betreuen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Im vorliegenden Fall sind im Übrigen ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern auch ohne Schulbesuch für eine umfassende Bildung des Kindes sowohl hinsichtlich kognitiver wie sozialer Kompetenzen sorgen wollten und könnten, nicht ersichtlich. Die Angabe der Eltern gegenüber dem Verfahrensbeistand, sie würden im Kontakt mit einer Lehrerin der Schwarzwaldschule stehen, konnte von dort nicht bestätigt werden. Die Eltern räumen selbst ein, die Unterlagen der Grundschule nicht zurückgeleitet zu haben; dies nur aus Beweisgründen unterlassen zu haben, ist nicht plausibel, denn hierfür hätten einfach Kopien gefertigt werden können. Das gleiche gilt für die Angabe, der Lernstand des Kindes sei erhoben worden; es ist unklar, wer diese Erhebung durchgeführt hat und welcher Maßstab dabei zugrunde gelegt wurde. Ob tatsächlich die Mutter über ein Schuljahr hinweg mit dem Kind den Lernstoff bearbeitet hat, konnte nicht geklärt werden. Soweit die Eltern behauptet haben, das Kind sei von Montag bis Freitag jeden Schultag im Umfang von zwei Unterrichtsstunden von einer Online-Lehrerin beschult worden, konnte dies ebenfalls nicht geklärt werden. Es bleibt auch offen, welche fachliche Qualifikation diese Person hat und welche Inhalte sie vermittelt. Auch in ihren Stellungnahmen vom 15.08.2022 und vom 19.08.2022 tragen die Eltern insoweit keine konkreten Einzelheiten vor, obwohl diese Fragen ausweislich des direkt den Eltern am 12.08.2022 zugestellten Protokolls im Termin vom 10.08.2022 ausdrücklich erörtert wurden und ihre Relevanz den Eltern daher bekannt sein konnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>b. Die angeordneten Maßnahmen sind geeignet und erforderlich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Das mildere Mittel einer Weisung an die Eltern ist bereits seit Anfang Mai 2022 wirksam ausgesprochen, ohne dass dies zu einer Änderung der Haltung der Eltern geführt hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Mildere andere Mittel, um den Schulbesuch des Kindes zu sichern, sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind helfende und unterstützende Angebote an die Eltern an deren Abwehrhaltung gescheitert.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Schulrechtliche Maßnahmen stehen neben den familiengerichtlichen Maßnahmen. Allein deren bestehende Möglichkeit beseitigt nicht die Kindeswohlgefährdung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Nach den oben dargestellten rechtlichen Grundsätzen sind auch die zur Sicherung der Durchsetzung und Vollstreckung erforderlichen Begleitmaßnahmen von der rechtlichen Grundlage der §§ 1666, 1666a BGB in diesen Fällen gedeckt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Maßnahmen sind auch verhältnismäßig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Dies gilt nach dem oben dargestellten rechtlichen Maßstab zunächst für die teilweise Entziehung des Sorgerechts, aber auch für die Begleitmaßnahmen. Zwar kann die gewaltsame Herausnahme des Kindes für den Schulbesuch zu einer erheblichen Traumatisierung des möglicherweise ohnehin bereits geschädigten Kindes führen. Diese Folge ist allerdings im Hinblick auf die oben dargelegte Kindeswohlgefährdung verhältnismäßig. Ohnehin geht der Senat davon aus, dass sich eine tägliche gewaltsame Herausnahme nicht über mehrere Wochen des Schulbesuches erstrecken wird, da entweder die Eltern nunmehr den Schulbesuch des Kindes akzeptieren und umsetzen werden, oder aber eine vollständige Herausnahme des Kindes aus der Betreuung durch die Eltern zu erwägen sein wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>c. Es besteht ein dringendes Bedürfnis für die getroffenen Maßnahmen, da das neue Schuljahr in wenigen Wochen beginnt und eine Einschulung des Kindes zumindest in diesem Schuljahr noch fristgerecht und mit den neuen Mitschülern gemeinsam erfolgen sollte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>4. Ein dringendes Bedürfnis für weitere Maßnahmen, insbesondere einem vollständigen Entzug der elterlichen Sorge und Herausnahme des Kindes aus der Betreuung durch die Eltern, besteht derzeit nicht. Die vorliegende vorläufige Entscheidung beruht auf der Erwartung, dass mit den angeordneten Maßnahmen nunmehr ein Schulbesuch möglich sein wird.</td></tr></table> <table><tr><td>III.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Von einer vorherigen persönlichen Anhörung der Beteiligten sieht der Senat wegen Dringlichkeit ab. Zu dem im Hauptsacheverfahren angesetzten Termin sind die Eltern trotz ordnungsgemäßer Ladung über den von ihnen bestellten Rechtsanwalt nicht gekommen und haben auch nicht das Kind zur Anhörung gebracht. Der neue Termin im Hauptsacheverfahren findet erst nach dem Schulbeginn statt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG; sie entspricht der Billigkeit. Die Festsetzung des Verfahrenswerts ergibt sich aus §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Soweit die Eltern eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen die Verfahrensbeiständin ansprechen, geht der Senat davon aus, dass sie diese Beschwerde wie angekündigt ggfs. direkt bei dem Familiengericht anbringen werden, wobei das Familiengericht hierzu ausgeführt hat, dass ein Befangenheitsantrag gegen einen Verfahrensbeistand rechtlich nicht möglich ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Soweit die Eltern sich gegen das im Hauptsacheverfahren erkannte Ordnungsgeld wegen Nichterscheinens im dortigen Termin wenden, wird der Senat hierüber im Hauptsacheverfahren entscheiden.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,723
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{ "id": 764, "name": "Arbeitsgericht Essen", "slug": "arbg-essen", "city": 417, "state": 12, "jurisdiction": "Arbeitsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
2 Ca 650/22
2022-08-16T00:00:00
2022-09-27T10:01:38
2022-10-17T11:10:34
Urteil
ECLI:DE:ARBGE:2022:0816.2CA650.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>1.</strong> Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.04.2022 weder fristlos noch ordentlich zum 31.12.2022 aufgelöst wird.</p> <p><strong>2.</strong> Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2022 zu bezahlen.</p> <p><strong>3.</strong> Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.</p> <p><strong>4.</strong> Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu bezahlen.</p> <p><strong>5.</strong> Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2022 zu bezahlen.</p> <p><strong>6.</strong> Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.</p> <p><strong>7.</strong> Streitwert: 41.394,36 €, zugleich Gerichtsgebührenstreitwert gemäß § 63 Abs. 2 GKG.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie Annahmeverzugsansprüche.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 00.00.0000 als Lehrkraft für das L. in Essen in Vollzeit eingestellt, seit dem 00.00.0000 beamtenähnlich als Planstellenkraft. Das monatliche Bruttoeinkommen des Klägers belief sich zuletzt auf 5.913,48 Euro brutto. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Mitarbeiter Vollzeit. Bei der Beklagten besteht eine Mitarbeitervertretung (MAV).</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Zum Ende des Jahres 2020 meldete sich der Schüler U. bei der Schulleitung des L.s Essen und schilderte, dass der Kläger ihn mehrfach über den WhatsApp Messanger Dienst kontaktiert habe und jeweils Treffen im privaten Bereich und außerhalb der Schule vorgeschlagen habe, wodurch er sich unwohl gefühlt habe. Im Rahmen der dazu durchgeführten Anhörung des Klägers räumte dieser ein, dass sein Verhalten unangemessen gewesen sei.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Im Nachgang zu dem vorstehend beschriebenen Vorfall erteilte die Schulleitung dem Kläger die Dienstanweisung vom 09.12.2020. Auf den Inhalt der Dienstanweisung (Bl. 51 d.A.) wird Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Zu dieser Zeit kommunizierte der Kläger auch in vergleichbarer Weise mit dem Schüler A.. Dieser besuchte den Leistungskurs des Klägers. Auf den Inhalt der WhatsApp-Korrespondenz (Bl. 52 ff. d.A.) wird vollumfängliche Bezug genommen. Der Kläger teilte der Beklagten nicht mit, dass er mit einem weiteren Schüler per WhatsApp kommunizierte. Im Oktober 2020 fand auch ein Treffen mit dem Schüler A. bei dem Kläger zu Hause statt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nachdem sich der Schüler A. am 25.03.2022 der Interventionsbeauftragten der Schule - Frau H. - anvertraute, wurde das in der Schule und beim Schulträger implementierte Verfahren zur Intervention bzw. Risikoeinschätzung in Gang gesetzt. Am 31.03.2022 wurde der Kläger zu den Vorgängen angehört. Am 05.04.2022 (Bl. 130 ff und Bl. 198 ff. d.A.) wurde die in der Schule gebildete MAV zur geplanten außerordentlichen und zu einer hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers durch schriftliche Anträge angehört. Am 06.04.2022 (Bl. 99 d.A.) teilte die MAV durch Ihre Vorsitzende dem Dienstgeber per E-Mail mit, dass die MAV beiden Anträgen zustimme. Mit Schreiben vom 17.06.2022 (Bl. 123 ff. d.A.) erfolgte eine ergänzende Anhörung der MAV. Die MAV äußerte mit E-Mail vom 17.06.2022 (Bl. 127 d.A.), dass die weiter vorgetragenen Kündigungsgründe im Prozess nachgeschoben werden dürften.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 06.04.2022, dem Kläger persönlich übergeben am 09.04.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2022.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit seiner Klage vom 11.04.2022, bei Gericht eingegangen an demselben Tag und der Beklagten am 20.04.2022 zugestellt, wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Mit seiner Klageerweiterung vom 09.08.2022 begehrt er darüber hinaus Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis August 2022.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei unwirksam. Er habe keine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, sondern nur versucht, seine Schüler, insbesondere den Schüler A., zu fördern und zu unterstützen. Über WhatsApp würden zudem große Teile des Lehrerkollegiums mit den Schülern kommunizieren. Für dieses Verhalten wäre eine Abmahnung erforderlich und ausreichend gewesen. Er sei auch nicht davon ausgegangen, dass sei Verhalten zu einer Kündigung führen würde, zumal die Beklagte im Oktober 2020 lediglich eine Dienstanweisung und nicht einmal eine Abmahnung ausgesprochen habe. Erst durch den Ausspruch der Kündigung sei ihm bewusst geworden, wie schwerwiegend die Vorwürfe der Beklagten seien, so dass er sein Verhalten künftig selbstverständlich ändern werde.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Mitarbeitervertretung sei auch nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ein Nachschieben von Kündigungsgründen sei vorliegend nicht zulässig. Die Behauptungen der Beklagten diesbezüglich bestreitet der Kläger. Der Vortrag sei auch gänzlich unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig. Insbesondere habe er zu keinem Zeitpunkt irgendeinem Schüler die Füße massiert.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt:</p> <span class="absatzRechts">14</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.04.2022 weder fristlos noch ordentlich zum 31.12.2022 aufgelöst wird.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">16</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2022 zu bezahlen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">18</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">20</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu bezahlen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">22</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2022 zu bezahlen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Sie ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, indem er trotz der ausdrücklichen Dienstanweisung weiter mit dem Schüler A. über WhatsApp kommuniziert habe und ihn auch erneut in seine Wohnung eingeladen habe. Hierdurch habe er gegen das professionelle Nähe-Distanz-Verhältnis zu den ihm anvertrauten Schüler verstoßen. Dem Kläger sei auch bewusst gewesen, dass er sich pflichtwidrig verhalte, da er das Hinzukommen eines weiteren Schülers abgelehnt habe, da er Sorge gehabt habe, dass die Treffen dadurch bekannt werden würden. Eine Abmahnung sei aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen. Außerdem habe der Kläger durch das Nichteinhalten der Dienstanweisung gezeigt, dass auch bei einer Abmahnung keine Verhaltensänderung zu erwarten sei. Die Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus. Die Mitarbeitervertretung sei zudem ordnungsgemäß beteiligt worden und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei ebenfalls gewahrt worden.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Nach dem Ausspruch der Kündigung seien der Beklagten zudem weitere Umstände bekannt geworden, die zulässiger Weise als Kündigungsgründe nachgeschoben werden dürften. Den ehemaligen Schüler C., der die Oberstufe des L.s in den Jahre 2011-2013 besucht habe und auch Schüler des Klägers im Leistungskurs im Fach „Sozialwissenschaft" gewesen sei, habe der Kläger in dieser Zeit über soziale Medien eingeladen, zu ihm nach Hause zu kommen. Dort habe der Kläger Herrn C. Einsicht in Klausuren gewährt. Anlässlich dieser Treffen habe der Kläger zudem mehrfach das Thema sexuelle Erfahrungen angesprochen und später auch auf den entsprechenden Social-Media-Kanälen nachgefragt. Am 14.06.2022 sei diesbezüglich ein Gedächtnisprotokoll erstellt worden (Bl. 132 f. d.A.).</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Weiter habe sich der ehemalige Schüler H. gemeldet, der in seiner Oberstufenzeit ebenfalls den Leistungskurs „Sozialwissenschaft" bei dem Kläger besucht habe. Auch in diesem Fall habe der Kläger den nicht volljährigen Schüler zu sich nach Hause eingeladen. Dort sei es zu körperlichen Berührungen in Form des Massierens der Füße gekommen. Hinzu käme in diesem Fall, dass der Kläger privat in den Sommerferien 2016 und 2017 mit dem Schüler H. in dessen Ferienhäusern in Spanien und Frankreich Urlaub gemacht und mit den von ihm unterrichteten Schülern diese Ferienhäuer renoviert habe.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2022 ist unwirksam. Daher hat die Beklagte dem Kläger Annahmeverzugslohn für den Zeitraum von Mai 2022 bis August 2022. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2022 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">1.               Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, da kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">a)              Der Kläger hat die 3-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG gewahrt, da die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung der Beklagten zugestellt wurde.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">b)              Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">c)              Nach diesen Kriterien liegt kein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vor, da als milderes Mittel zunächst eine Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Zwar hat der Kläger in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er entgegen der Dienstanweisung vom 09.12.2020 über WhatsApp mit dem Schüler A. kommuniziert und ihn in seine Wohnung eingeladen hat, aber diese Pflichtverletzung ist nicht derart schwerwiegend, dass auf den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung verzichtet werden könnte.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der von der Beklagten vorgelegte Chatverlauf zwischen dem Kläger und dem Schüler A. zeigt aus Sicht der Kammer, dass der Kläger auf die Dienstanweisung der Beklagten zunächst reagiert und sein Verhalten geändert hat. In dem Zeitraum ab Dezember 2020 bis September 2021 gab es nahezu keine Korrespondenz mehr und die wenigen Kontaktaufnahmen erfolgten durch den Schüler und nicht durch den Kläger. Der Kläger antwortete auch jeweils nur kurz und sachlich und vermied erkennbar eine weitergehende Unterhaltung.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Diese Umstände machen deutlich, dass es dem Kläger offensichtlich nicht gleichgültig war, dass die Beklagte sein Verhalten missbilligte. Zwar hat der Kläger in der Folge wieder vermehrt mit dem Schüler kommuniziert und diesen auch in seine Wohnung eingeladen, aber es kann nicht unterstellt werden, dass der Kläger sich ebenso verhalten hätte, wenn die Beklagte im Dezember 2020 nicht nur mit einer Dienstanweisung sondern mit einer Abmahnung, insbesondere einer Kündigungsandrohung reagiert hätte.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">d)              Die von der Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen sind auch nicht derart schwerwiegend, dass dem Kläger auch ohne den Ausspruch einer Abmahnung bewusst gewesen sein musste, dass er eine Kündigung für sein Verhalten erhalten würde. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger keine moralisch verwerflichen, insbesondere sexuellen Absichten, verfolgte, sondern dass er lediglich versucht hat, Schüler zu fördern und zu unterstützen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Für die Kammer steht zwar fest, dass der Kläger dabei nicht richtig gehandelt hat und dass er solche Bemühungen auf den rein schulischen Raum hätte beschränken müssen, aber diese Pflichtverletzung ist nicht derart schwerwiegend, dass der Kläger gewusst haben muss, dass er hierfür eine Kündigung erhalten würde.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Es ist auch davon auszugehen, dass es entgegen der Behauptung der Beklagten nicht zu einer Fußmassage bei einem der Schüler gekommen ist. Der Kläger hat dieses ausdrücklich in Abrede gestellt und in der Kammerverhandlung erläutert, dass er lediglich einmal beim Zeugen A. auf dessen Frage hin einen medizinischen Rat erteilt hat und bei einem anderen Schüler einmal eine medizinische Erstversorgung geleistet hat.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beklagte anderes behauptet, fehlt es an hinreichend substantiiertem Sachvortrag und in der Folge an einem ordnungsgemäßen Beweisantritt, der sich auf einen hinreichend konkretisierten Tatsachenvortrag bezieht.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">e)              Ob die nachgeschobenen Kündigungsgründe zulässiger Weise nachgeschoben worden sind oder nicht, kann zudem dahingestellt bleiben, da es insoweit ebenfalls an hinreichend substantiiertem Tatsachenvortrag fehlt. Es bleibt vollkommen unklar, wann und in welchem Zusammenhang die behaupteten, vom Kläger bestrittenen, Sachverhalte stattgefunden haben sollen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">2.              Die hilfsweise ordentliche Kündigung ist ebenfalls unwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG ist.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">a)              Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nach den §§ 1, 23 KSchG anwendbar.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">b)              Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung verstößt ebenso wie die außerordentliche Kündigung gegen den ultima-ratio Grundatz, da vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung ausreichend gewesen wäre, um künftige, vergleichbare Pflichtverletzungen der Klägerin ausschließen zu können. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1 wird verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der unwirksamen außerordentlichen Kündigung stehen dem Kläger die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum von Mai 2022 bis August 2022 zu. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288 BGB.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert hat das Gericht gemäß der §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 63 Abs. 2 GKG im Urteil festgesetzt.</p> <h1><strong><span style="text-decoration:underline">RECHTSMITTELBELEHRUNG</span></strong></h1> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei <strong>Berufung</strong> eingelegt werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Berufung muss <strong>innerhalb einer Notfrist* von einem Monat</strong> schriftlich oder in elektronischer Form beim</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Landesarbeitsgericht Düsseldorf</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Ludwig-Erhard-Allee 21</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">40227 Düsseldorf</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Fax: 0211 7770-2199</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">eingegangen sein.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 64 Abs.  7 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Berufung ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs.  4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift <strong>muss</strong> von einem <strong>Bevollmächtigten</strong> unterzeichnet sein. Als <strong>Bevollmächtigte</strong> sind nur zugelassen:</p> <span class="absatzRechts">66</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsanwälte,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks"><strong>* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.</strong></p>
346,625
vg-gelsenkirchen-2022-08-16-6-k-479120
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6 K 4791/20
2022-08-16T00:00:00
2022-09-20T10:01:54
2022-10-17T11:10:19
Urteil
ECLI:DE:VGGE:2022:0816.6K4791.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt die Klägerin.</p> <p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke Im T.  …/… (H.         H1.            , G.  …, G1.  …, …, …, …, …, …, …) in E.        . Die insgesamt mehrere Hektar großen Grundstücke, an die sich im T1.     die Autobahn A 2 und im P.     der E.        -F.   -Kanal anschließen, sind mit mehreren größeren Hallen und Silos sowie einem Bürogebäude bebaut. Darüber hinaus verfügen sie über große befestigte Freiflächen, die unter anderem zum Abstellen und Rangieren von Sattelzügen genutzt werden. Für diese sind eine zentrale Einfahrt zwischen den beiden Gebäudekomplexen und eine zentrale Ausfahrt im nordöstlichen Bereich – jeweils mit Fahrzeugwaage – vorhanden. Die Grundstücke werden seit Jahrzehnten von der mit der Klägerin verbundenen G2.  . H2.   GmbH & Co KG genutzt, die hier eine Produktionsstätte von und einen Großhandel mit Baustoffen betreibt und über ca. vierzig eigene Sattelzüge verfügt. Etwa 30% des Transportvolumens werden zudem durch fremde Lkw abgewickelt. Auch der nordöstlich der genannten Grundstücke befindliche „Hafen H1.            “ wird von der G2.  . H2.   GmbH und Co KG als Pächterin genutzt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene ist Eigentümer der Grundstücke Im T.  …(H. H1.  , G.  …, G1. …, …). Auf diesen – durch eine Vereinigungsbaulast verbundenen – Grundstücken steht eine Halle auf, die teilweise als Fitnessstudio, teilweise als Lager eines Versandhandels für Fitnessgeräte (I.    T2.      G3.       GmbH) genutzt wird. Während sich auf der Westseite der Halle die Stellplätze und der Eingang zum Fitnessstudio befinden, verfügt die östliche Außenwand des Gebäudes über ein Tor, das der Anlieferung des mit Hochregalen ausgestatteten Lagerbereichs dient. Davor befindet sich eine rund 500 qm große befestigte Fläche.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die genannten Grundstücke der Beteiligten sind über die in diesem Bereich etwa <ins>dreieinhalb</ins> bis fünf Meter breite Straße „Im T.       “ an die nordwestlich verlaufende Straße „L.           “ angebunden. Die Straße „Im T.       “ setzt sich südöstlich der Grundstücke der Klägerin fort, hat hier allerdings einen noch geringeren Querschnitt und Ausbauzustand.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ein Bebauungsplan existiert für den fraglichen Bereich nicht; der Flächennutzungsplan stellt „gewerbliche Baufläche“ dar.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Weitere Einzelheiten sind dem nachfolgenden Kartenausschnitt zu entnehmen:</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">In der Oroiginalentschediung  befindet sich hier eine Skizze.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die auf dem Grundstück des Beigeladenen aufstehende Halle wurde auf der Grundlage einer Baugenehmigung vom 11. August 1994 („Errichtung einer Badmintonhalle mit Sauna, Cafeteria und Nebenräumen“) errichtet. Mit Bescheid vom 14. Okober 2006 wurden der Umbau der Halle zu einem „Sport- und Gesundheitszentrum“ und die teilweise Nutzungsänderung der Badmintonfläche in „Umkleide- und Fitnessbereich“ genehmigt. Eine weitere Änderungsgenehmigung vom 7. September 2012 betraf Änderungen der einzelnen Sportflächen; die Nutzung des Obergeschosses wurde offenbar vorläufig aufgegeben.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Im November 2015 stellte der Beigeladene bei der Beklagten einen Bauantrag für die Nutzungsänderung von Teilen des Erdgeschosses der Halle zur Lagerfläche und für die Aktivierung der Obergeschossfläche der Halle. Zur Erläuterung führte er aus, Teile des Erdgeschosses sollten künftig als Lager genutzt werden; der entsprechende Teil des Sportstudios ziehe in das Obergeschoss. In dem Lager sollten Messebaumaterialien und Schuhe untergebracht werden. Die Ein-/Auslagerung der Schuhe erfolge ca. zweimal am Tag; diejenige der Messebaumaterialien ca. viermal im Jahr. <ins>(</ins> Angaben zur Art der Fahrzeuge wurden nicht gemacht). Unter dem 14. März 2017 wurde die Baugenehmigung (61/5-2-042803) antragsgemäß erteilt. Für den 10. Dezember 2019 zeigte der Beigeladene die abschließende Fertigstellung des Bauvorhabes an.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Am 19. Dezember 2019 sprach ein von der Klägerin beauftragter Rechtsanwalt bei der Bauaufsichtsbehörde vor und erklärte, auf dem östlichen Ende des Grundstücks des Beigeladenen verkehrten vermehrt Sattelschlepper, die teilweise auf dem Betriebsgrundstück der H2.   wendeten oder hielten. Unter dem 21. Januar 2020 wandte der betreffende Rechtsanwalt sich noch einmal schriftlich an die Behörde, konkretisierte seinen Vortrag betreffend die Verkehrsprobleme und forderte ein behördliches Einschreiten, namentlich die Untersagung der Anfahrt des Nachbargrundstücks mit Schwerlastverkehr. Mit E-Mail vom 27. Januar 2020 ergänzte der Geschäftsführer der H2.   GmbH & Co KG diesen Vortrag und erklärte, die Zustände seien unhaltbar; sie beeinträchtigten den Betrieb der H2.   und gefährdeten die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer. Da die Fläche östlich der Halle des Beigeladenen begrenzt sei, benötigten die Fahrer oftmals mehrere Minuten, um ihre Sattelschlepper auf das Grundstück zu fahren; währenddessen sei die Straße „Im T.       “ blockiert. Die Fahrzeuge hielten teilweise auf dem Betriebsgrundstück der H2.   , insbesondere wenn die Anlieferungsfläche des Beigeladenen noch durch andere LKW belegt sei. Der Beigeladene erklärte in einer E-Mail an die Behörde vom 30. Januar 2020, er sei mit dem Nachbarn und mehreren Ämtern im Gespräch, um eine Lösung, etwa durch Erweiterung der Zufahrt, zu finden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Februar 2020 teilte der Architekt des Beigeladenen der Beklagten mit, es gebe „zum Nutzungsänderungsantrag […] einen neuen Mieter“, es handele sich nun um das Lager eines Handels mit Fitnessgeräten. In einer zugleich vorgelegten neuen Betriebsbeschreibung wurde die Betriebszeit mit „werktags 6 bis 19 Uhr“ und der Lieferverkehr pro Tag mit „1 x 40 to LKW, 4 x 20 to LKW, 5 x 3,5 to LKW“ angegeben. Die Beklagte legte diese Mitteilung als Antrag auf Nachtragsgenehmigung aus und forderte in der Folgezeit mehrfach Unterlagen nach. Unter dem 5. Mai 2020 forderte sie den Beigeladenen im Rahmen einer „Mängelmitteilung“ unter anderem auf, einen qualifizierten Lageplan mit Darstellung der geplanten Grundstückszufahrt und der für die Anlieferung mit 20- und 40-Tonnern erforderlichen Schleppkurven vorzulegen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene bemühte sich parallel um die Zustimmung der Behörden, namentlich der unteren Wasserbehörde, zur Verbreiterung der Einfahrt auf die in Rede stehende Anlieferungsfläche. Die untere Wasserbehörde erteilte im Oktober 2020 eine Plangenehmigung für die Verrohrung des im Bereich der geplanten Zufahrtsverbreiterung verlaufenden „T3.------grabens “ (gegen Freilegung dieses Gewässers an anderer Stelle). Schließlich legte der Beigeladene der Bauaufsichtsbehörde einen Lageplan vor, in dem die um sieben auf 21,3 m verbreiterte Einfahrt dargestellt ist.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Unter dem 12. Januar 2021 erteilte die Beklagte eine „Nachtragsgenehmigung“ für das geänderte Vorhaben des Beigeladenen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Bereits am 15. Dezember 2020 hat die Klägerin Klage gegen die Baugenehmigung vom 14. März 2017 erhoben, die sie am 28. Januar 2021 auf die vorgenannte Nachtragsgenehmigung erstreckt hat.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Am 30. April 2021 hat die Klägerin unter Hinweis auf aus ihrer Sicht unzumutbare Zustände im Zusammenhang mit dem Anlieferungsverkehr einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (6 L 619/21). In diesem Verfahren hat der Berichterstatter am 13. September 2021 einen Ortstermin durchgeführt und angeregt, die Anlieferung im östlichen Bereich der Halle des Beigeladenen im Rahmen einer Nachtrags- bzw. Änderungsgenehmigung durch konkretisierende Nebenbestimmungen klarer zu regeln und zu untersuchen, ob ein Anfahren der fraglichen Anlieferungsfläche mit Gliederzügen überhaupt möglich ist. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist später zurückgenommen worden.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Am 1. Oktober 2021 hat der Beigeladene einen entsprechenden Antrag auf Erteilung einer Nachtragsgenehmigung gestellt. Diese ist unter dem 25. Januar 2022 von der Beklagten erteilt worden. Mit der Nachtragsgenehmigung ist eine durch den Beigeladenen erstellte „Erläuterung zur Steuerung der verkehrlichen Anlieferung und Abholung von Waren und Gütern“ zum zwingenden Bestandteil der Baugenehmigung gemacht worden. Dieses Konzept sieht vor, dass vier konkrete Flächen als Abstellflächen zum Entladen der verschiedenen Fahrzeuge auf dem Grundstück markiert und für die Anlieferung vorgegeben werden. In einer Neufassung der Betriebsbeschreibung ist die Betriebszeit nun mit „werktags 6 bis 22 Uhr“ angegeben und der Lieferverkehr ist wie folgt konkretisiert: „pro Tag ca.: 2 x 18,74m LKW / 4 x 16,5m LKW / 3 x 8,90<ins>m</ins> LKW / 1 x 7,50m LKW“. Schleppkurven, die den Fahrweg zu den beiden größeren Abstellflächen darstellen, sind durch Grünstempelung zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht worden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Klägerin in der Folgezeit Kritik an der erteilten Nachtragsbaugenehmigung geübt hatte, hat die Beklagte unter dem 7. Juni 2022 eine weitere Nachtragsgenehmigung erteilt. Deren Gegenstand ist eine erneute Neufassung der Betriebsbeschreibung, in welcher das „ca.“ vor der Angabe der verschiedenen Lieferfahrzeuge entfernt worden ist. Zudem sind einige Schleppkurvenpläne nochmals geringfügig korrigiert worden.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hält an ihrer Klage auch in Ansehung der erteilten Nachtragsgenehmigungen fest und trägt vor:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Bei der Genehmigung vom 12. Januar 2021 handele es sich nicht um eine „Nachtragsgenehmigung“, sondern um eine selbständige Baugenehmigung, die ein „aliud“ zum Gegenstand habe. Der von der neuen Genehmigung erfasste Fahrzeugverkehr habe völlig andere Dimensionen als der ursprünglich angegebene. Schon deshalb werfe die Änderung die Frage der Genehmigungsfähigkeit neu auf. Zudem seien auch umfangreiche Änderungen im Gebäudeinneren vorgenommen worden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die dem Beigeladenen genehmigte Nutzung sei rücksichtslos und damit rechtswidrig. Die Erschließungssituation verschlechtere sich in für sie unzumutbarer Weise.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ihr Betriebsgelände könne nur über die schmale, einspurige Straße Im T.       angefahren werden. Sie sei auf die uneingeschränkte Nutzbarkeit dieser Straße angewiesen, da sie die Baumaterialien überwiegend „just in time“ auf den Baustellen anliefern müsse und Verzögerungen zu Vertragsstrafen führten.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Seit Dezember 2019 komme es regelmäßig zu Problemen im Zusammenhang mit der Nutzung der Straße Im T.       . Große Lkw (Sattelschlepper und Gliederzüge) könnten die Anlieferungsfläche des Beigeladenen nicht anfahren, ohne die öffentliche Straße zu blockieren und ihr Grundstück in Anspruch zu nehmen. Denn die zum Rangieren vorhandene Fläche sei vor allem bei größeren Sattel- und Gliederzügen zu klein, zumal es keine Wendemöglichkeit gebe. Wenn diese Fahrzeuge mit der Rückseite an das im vorderen Drittel der Halle befindliche Tor heranführen, stünden sie mit dem Führerhaus auf der öffentlichen Straße. Die Anlieferungsfläche sei in der Vergangenheit außerdem zeitweise mit Containern vollgestellt gewesen. Werde ein Lkw entladen, müsse ein zweiter auf der Straße warten und versperre diese, da es keine Wartemöglichkeit gebe. Gegenüber der Einfahrt zum Betriebsgrundstück der H2.   sei die öffentliche Verkehrsfläche überdies ein wenig aufgeweitet; diese Aufweitung benötigten<del>benötigten</del> ihre Fahrzeuge, um zwischen ihrer Einfahrt und der Zufahrt am Hafen zu pendeln. Auch diese Aufweitung werde durch anliefernde Lkw blockiert. Zudem gehe von den Blockaden eine erhebliche Gefahr für unbeteiligte Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und andere Anlieger aus.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Es sei ihr nicht zuzumuten, ihr eigenes wohldurchdachtes Verkehrskonzept mit einer einzigen, überwachten Zufahrt wegen des verkehrsordnungswidrigen Verhaltens des Nachbarbetriebes zu verändern. Ebenso wenig sei ihr zuzumuten, mittels täglich neuer zivilrechtlicher Verfahren gegen fremde, häufig ausländische Fahrer ihre Rechte durchzusetzen. Vielmehr habe der Beigeladene den Betrieb durch ein realistisches Anlieferungskonzept so zu organisieren, dass ihr Grundstück und die Befahrbarkeit der öffentlichen Erschließungsstraße nicht belastet würden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die im Januar und Juni 2022 erteilten Nachtragsgenehmigungen <del>änderten</del> ändertenan den Problemen nichts. Denn die dargestellten Schleppkurven seien fahrerisch unrealistisch. Der Stellplatz P3 könne zudem nicht unabhängig von den Schleppkurven der Lkw benutzt werden. Ob er in der zweiten Nachtragsgenehmigung überhaupt noch vorgesehen sei, sei unklar; insoweit seien die beiden Nachtragsgenehmigungen widersprüchlich. Ferner könnten die Fahrzeuge in den vorgesehenen Abstellpositionen gar nicht entladen werden, wenn eine Entladung fahrzeug- oder ladegutbedingt nur zur Seite möglich sei. Außerdem ändert<del>änderten</del> <ins>en</ins> die vorgesehenen Abstellpositionen nichts daran, dass wartende Lkw die öffentliche Verkehrsfläche blockieren würden, wenn die Anlieferungsfläche besetzt sei. Die vorgesehene Warteposition auf der öffentlichen Verkehrsfläche im Bereich der Einfahrt sei nicht akzeptabel. Auch sei in dem vorliegenden Konzept nicht festgelegt, wann und für wie lange welche Fahrzeuge die Fläche anfahren. Es sei nicht einmal klar, ob es sich bei den in der Betriebsbeschreibung angegebenen Fahrzeugzahlen um Maximal- oder Durchschnittsangaben handele. Die Anzahl der das Grundstück anfahrenden kleineren Fahrzeuge sei ohnehin nicht limitiert, was ebenfalls problematisch sei. Es sei auch nicht vorgegeben, dass die Stellplätze nicht als Lagerfläche benutzt werden dürften. Angezeigt sei, dass eine einzige ausreichend dimensionierte Abstellfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen festgelegt und durch entsprechende Organisationsmaßnahmen Sorge dafür getragen werde, dass weitere Lkw nicht in die Straße Im T.       einfahren, solange die Entladefläche blockiert sei.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat zahlreiche Fotos sowie die Stellungnahme eines Ingenieurbüros vorgelegt, um die Probleme im Zusammenhang mit der Anlieferung zu belegen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 12. Januar 2021 in der Fassung der Nachtragsgenehmigungen vom 25. Januar 2022 und 7. Juni 2022 aufzuheben.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Sie meint, die Klage sei unbegründet. Das Erfordernis einer gesicherten Erschließung sei nicht nachbarschützend. Zudem bestünden aus Sicht der Straßenverwaltung keine Bedenken gegen das Vorhaben. Die Schleppkurven seien aus Sicht ihres Tiefbauamtes ausreichend. Dass die vier Stellplätze unabhängig voneinander angefahren werden können, sei nicht erforderlich, da es um die Belieferung eines einzigen Betriebes gehe, die entsprechend abgestimmt werden könne. Die Straßenverkehrsordnung enthalte kein Verbot des Rangierens auf öffentlichen Verkehrsflächen. Rangiervorgänge <del>gehörten</del> <ins>würden</ins> vielmehr zum üblichen und erwartbaren Verkehrsgeschehen<ins>gehören</ins> . Jeder habe sich im Straßenverkehr so zu verhalten, dass andere nicht geschädigt, gefährdet oder belästigt würden. Dass der öffentliche Verkehr nicht immer ganz reibungslos und störungsfrei laufe, sei heutzutage nicht ungewöhnlich und hinzunehmen. Auch mit dem durch die Nachtragsgenehmigungen zugelassenen Verkehr sei das Bauvorhaben durch die Straße Im T.       ausreichend erschlossen. Eine das Rücksichtnahmegebot verletzende Überlastung der Straße sei nicht gegeben. Dass die Straße bislang praktisch exklusiv durch die Klägerin genutzt worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis, denn darauf bestehe kein Anspruch. Die Klägerin verfüge im Übrigen über drei voneinander unabhängige Zufahrten auf ihr Grundstück.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene stellt keinen Antrag.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Er trägt vor, die Situation habe sich durch die von ihm vorgenommene Verbreiterung der Zufahrt deutlich verbessert. Die Verteilung der Fahrzeugankünfte werde systematisch durch seine Mieterin gesteuert. Wegen der Unberechenbarkeit der Verkehrsverhältnisse und der Abfertigung in den Häfen gebe es aber keine Garantie für eine bestimmte Ankunftszeit. Dass zwei große Fahrzeuge gleichzeitig die Halle anführen, sei selten. Es sei im Übrigen normal, dass es ab und zu zu wechselseitigen Engpässen im öffentlichen Verkehrsraum kommen könne. Auch von Fahrzeugen, die das Betriebsgelände der H2.   anführen, gingen manchmal Störungen des Verkehrs auf der öffentlichen Straße und ihres Betriebsgrundstücks aus, z.B. weil die Lastzüge vor dem geschlossenen Tor warteten oder Fahrer die Straße Im T.       trotz absoluten Halteverbots zum Übernachten nutzten.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Auch der Beigeladene hat Fotos vorgelegt, um die zuletzt genannten Umstände zu belegen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden und des Eilverfahrens (6 L 619/21) sowie auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist mit dem gestellten Antrag zulässig.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dass die Klägerin sich isoliert gegen die als „Nachtragsgenehmigung“ bezeichnete Baugenehmigung vom 12. Januar 2021 (in der Fassung der beiden inzwischen erteilten Nachträge) wendet, begegnet keinen Bedenken, weil es sich bei dieser Genehmigung nicht um eine Nachtragsgenehmigung im Sinne einer unselbständigen Ergänzung der Ausgangsbaugenehmigung aus dem Jahre 2017, sondern um eine selbständige Baugenehmigung handelt, die ein anderes als das ursprünglich genehmigte Vorhaben („aliud“) zum Gegenstand hat.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Mit einer Nachtragsgenehmigung werden (nur) kleinere, modifizierende Änderungen eines bereits genehmigten Vorhabens zugelassen, die das Gesamtvorhaben in seinen Grundzügen nicht wesentlich berühren und in seinem Wesen nicht verändern. Demgegenüber liegt ein „aliud“ vor, wenn sich das neue Vorhaben in Bezug auf baurechtlich relevante Kriterien von dem ursprünglich genehmigten unterscheidet. Ein solcher relevanter Unterschied zwischen dem genehmigten und dem abgewandelten Bauvorhaben ist immer schon dann anzunehmen, wenn sich für das abgewandelte Vorhaben die Frage der Genehmigungsfähigkeit wegen geänderter tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen insgesamt neu stellt, also eine erneute Überprüfung der materiellen Zulassungskriterien erforderlich ist.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Mai 2004 - 10 A 1476/04 -, juris (Rn. 7), und vom 13. Dezember 2012 - 2 B 1250/12 -, juris (Rn. 15); Hüwelmeier, in: BeckOK BauordnungsR NRW, 11. Edition 2022, § 74 Rn. 95 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vorliegend war mit der Ausgangsbaugenehmigung vom 14. März 2017 ein Vorhaben genehmigt worden, bei dem die Nutzung der Halle des Beigeladenen als Fitnessstudio weiterhin im Vordergrund stand und lediglich die Nutzung eines Teils des Erdgeschosses als Lagerfläche (für Messebaumaterialien und Schuhe) hinzukam. Insoweit war nur ein überschaubarer Lieferverkehr zu erwarten. Art und Umfang des Fahrzeugverkehrs waren zwar nicht konkret festgeschrieben. Da die „Messebaumaterialien“ lediglich viermal im Jahr an- oder abtransportiert werden sollten, Schuhe ein begrenztes Ladevolumen haben und sich bei einer Betriebszeit von 8 bis 17 Uhr und einer Besetzung mit einem einzigen Beschäftigten faktische Grenzen ergeben, konnte aber kein übermäßiger Lagergutumschlag mit entsprechendem Lastwagenverkehr erwartet werden. Dem gegenüber ist die Lagerfläche in den Bauvorlagen zur Genehmigung vom 12. Januar 2021 nochmals vergrößert worden und es findet ein Versandhandel (mit Fitnessgeräten) statt, der erheblichen Lieferverkehr – auch mit teilweise großen Lkw – mit sich bringt. Die Betriebsbeschreibung zur Baugenehmigung vom 12. Januar 2021 nennt eine Betriebszeit von 6 bis 19 Uhr und eine Zahl von vier Beschäftigten (im Nachtrag von Juni 2022 erweitert auf 6 bis 22 Uhr und zehn Beschäftigte). Dies geht über eine kleine, modifizierende Änderung hinaus und wirft die Frage nach der Zulässigkeit der Nutzung – auch im Verhältnis zu dem Nachbarbetrieb – neu auf.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die hinsichtlich der Baugenehmigung vom 12. Januar 2021 in Lauf gesetzte Klagefrist hat die Klägerin gewahrt, indem sie den Bescheid fristgerecht in das vorliegende Klageverfahren einbezogen hat.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist indes unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Januar 2021 in der Fassung der Nachträge vom 25. Januar und vom 7. Juni 2022 sowie der Modifikationen in der mündlichen Verhandlung ist hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Ob das Vorhaben objektiv, d. h. hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, ist dagegen im Nachbarverfahren unerheblich.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vorliegend stellen sich ausschließlich Fragen, die mit dem durch das Bauvorhaben hervorgerufenen Kraftfahrzeugverkehr zusammenhängen. Sonstige im Nachbarstreit relevante Punkte, welche die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung in Frage stellen könnten, sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Ob die in § 34 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) enthaltene Voraussetzung einer gesicherten bauplanungsrechtlichen Erschließung und die in § 4 Abs. 1 Bauordnung (BauO) NRW 2018 enthaltene Voraussetzung einer gesicherten bauordnungsrechtlichen Erschließung erfüllt sind, braucht nicht im Einzelnen geprüft zu werden, weil beide Normen insoweit nicht nachbarschützend sind.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2010 - 4 B 19.10 -, juris (Rn. 3); OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Februar 2005 - 10 B 1876/04 -, juris (Rn. 11), und vom 12. Januar 2015   - 2 B 1386/14 -, juris (Rn. 17).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Sowohl die bauplanungsrechtliche als auch die bauordnungsrechtliche Erschließung dürften im Übrigen nach Lage der Dinge gegeben sein.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die auf der Grundlage von § 34 BauGB erteilte Baugenehmigung ist auch nicht mit Blick auf das Gebot hinreichender Bestimmtheit und das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in nachbarrechtsrelevanter Weise rechtswidrig.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Das Bestimmtheitsgebot des <a href="https://www.juris.de/r3/document/jlr-VwVfGNW1999V8P37/format/xsl/part/S?oi=bwz6BxshxW&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">§ 37 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) NRW</a> in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung verlangt, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lässt, dass nur eine solche Nutzung erlaubt ist, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen kann. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszuschließen und wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat. Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2013 - 2 A 3009/11 -, juris (Rn. 41); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 28. August 2012 - 6 K 3756/09 -, juris (Rn. 48 ff.), und Beschluss vom 15. September 2014 - 9 L 1232/14 -, juris (Rn. 64 ff.).</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Baugenehmigung darf also nicht Merkmale des Vorhabens unreglementiert lassen, deren Regelung es nach Lage der Dinge zwingend bedarf, um den genehmigten Betrieb nachbarrechtskonform auszugestalten.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Materiell-rechtlich ist vorliegend das in der Tatbestandsvoraussetzung des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme zu berücksichtigen. Das Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabs der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 ff., vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 ff., und vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 -, BVerwGE 145, 145 ff.; Uechtritz, Das baurechtliche Rücksichtnahmegebot: Konkretisierung durch Fallgruppenbildung, DVBl. 2016, 90 ff., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann auch dann zu bejahen sein, wenn sich die Erschließungssituation eines Nachbargrundstücks durch die vorhabenbedingte Überlastung einer (auch) das Nachbargrundstück erschließenden öffentlichen Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert und die entstehende Gesamtbelastung infolgedessen bei Abwägung aller Belange unzumutbar ist.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. April 2010 - 7 A 2362/07 -, juris (Rn. 96), vom 15. Mai 2013 - 2 A 3009/11 -, juris (Rn. 47), und vom 14. Juni 2019 - 7 A 2387/17 -, juris (Rn. 79); VG Köln, Urteil vom 22. November 2013 - 11 K 6258/12 -, juris (Rn. 54); VG Münster, Urteil vom 3. Februar 2022 - 2 K 3210/19 -, juris (Rn. 67); eingehend auch Stürmer/Wolff, Drittschützende Wirkung des Rücksichtnahmegebots bei unzumutbarer Verschlechterung der Erschließung, BauR 2021, 1551 ff., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Zu berücksichtigen ist allerdings, dass ein Bauvorhaben, das den sonstigen Vorgaben des Bauplanungs- und des Bauordnungsrechts genügt, nur ausnahmsweise gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt. Ist ein mit Fahrzeugverkehr verbundener Gewerbebetrieb seiner Art nach auf einem Baugrundstück planungsrechtlich zulässig, so sind auch die mit dem Betrieb verbundenen Belästigungen der Umgebung grundsätzlich hinzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Im Einzelfall kann es aber erforderlich sein, den durch ein Bauvorhaben auf der öffentlichen Straße hervorgerufenen Verkehr zu und von dem Vorhabengrundstück hinreichend effektiv zu steuern, um für die Anlieger unzumutbare Verkehrs- und Erschließungsverhältnisse durch überbordende Beanspruchung des öffentlichen Straßenraums zu vermeiden.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2013 - 2 A 3009/11 -, juris (Rn. 43).</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Bei der Bewertung der Zumutbarkeit einer entsprechenden Verschlechterung der Erschließungssituation ist zu bedenken, dass das Grundstückseigentum zwar ein Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung des Grundstücks, nicht aber ein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums und auch kein Recht darauf verschafft, dass die bisherige Verkehrssituation unverändert bleibt, sich also insbesondere nicht verschlechtert.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. März 2014 - 2 M 164/13 -, juris (Rn. 48); VG München, Urteil vom 26. Februar 2018 - M 8 K 16.2434 -, juris (Rn. 136).</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Ferner ist im Blick zu behalten, dass ein rechtswidriges Verhalten Dritter – also bei einem Gewerbebetrieb etwa ein straßenverkehrsrechtlich unzulässiges Verhalten der Fahrer von Liefer- oder Kundenfahrzeugen – nicht ohne weiteres dem Bauherrn oder Betreiber zuzurechnen ist und einem solchen Verhalten grundsätzlich mit den Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen ist.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. März 2018 - 7 A 320/17 -, juris (Rn. 8); BayVGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 - 9 CS 17.2482 -, juris (Rn. 21).</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Das Verhalten Dritter ist dem Bauvorhaben jedoch dann zuzurechnen und bei der Prüfung zu berücksichtigen, wenn mit dem Auftreten derartiger Störungen bei objektivierter und typisierter Betrachtungsweise von vornherein konkret zu rechnen ist.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Köln, Beschluss vom 1. Februar 2012 - 2 L 1915/11 -, juris (Rn. 22); in anderem Kontext auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 11. August 2020 - 6 K 3783/18 -, juris (Rn. 53), m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Möglichkeit, den An- und Abfahrtverkehr gegebenenfalls nach Aufnahme der Nutzung durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zu regeln, ist bei der Prüfung eines Bauantrags außer Betracht zu lassen. Denn die Baugenehmigung bescheinigt, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt und zur Betriebsaufnahme freigegeben ist. Anders als ein Bebauungsplan kann sie nicht mit dem Mittel der Konfliktverlagerung auf spätere Zulassungsebenen arbeiten. Sie muss die durch sie hervorgerufenen Konflikte abschließend bewältigen und darf nicht in nachbarrechtsrelevanten Problemlagen darauf setzen, diese würden eventuell durch spätere Verwaltungsentscheidungen gelöst.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2013 - 2 A 3009/11 -, juris (Rn. 55).</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Bedarf es nach alledem im Einzelfall organisatorischer Vorkehrungen zur Vermeidung von unzumutbaren Verkehrs- und Erschließungsverhältnissen, sind diese in der Baugenehmigung konkret festzuschreiben.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Juni 2019 - 7 A 2387/17 -, juris (Rn. 79).</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Kammer das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen (nach den vorgenommenen Ergänzungen und Modifikationen der Baugenehmigung) nicht für in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt oder rücksichtslos.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Nicht zu verkennen ist, dass der genehmigte Betrieb für die Klägerin mit Belästigungen verbunden sein kann. Denn auch wenn der Lieferverkehr der Mieterin des Beigeladenen in der durch das nun vorliegende Konzept festgeschriebenen Weise abgewickelt wird, ist er mit nicht unerheblichem Lkw-Verkehr auf der nur mäßig dimensionierten und ausgebauten Straße „Im T.       “ verbunden. Dass es hier zu gelegentlichen Begegnungen der Fahrzeuge beider Betriebe auch auf demjenigen Abschnitt der Straße kommt, welcher keinen Begegnungsverkehr erlaubt, ist zu erwarten. Ebenfalls zu erwarten ist, dass Sattelschlepper und Gliederzüge, welche die nunmehr vorgesehenen Be- und Entladepositionen auf der recht engen Anlieferungsfläche anfahren, die Straße durch Rangiervorgänge kurzzeitig blockieren.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Nach Auffassung der Kammer gehen die absehbaren Belästigungen bei genehmigungsgemäßer Nutzung aber nicht über das Maß hinaus, das der Klägerin als Grundstücksnachbarin in einer gewerblich geprägten Umgebung zuzumuten ist. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Betriebsgrundstück der G2.  . H2.   hinsichtlich seiner Erschließung in gewissem Umfang situationsvorbelastet ist. Denn die für die Zufahrt zu dem Baustoffhandel der G2.  . H2.   entscheidende Straße „Im T.       “, welche das Betriebsgrundstück mit der nächsten größeren Straße verbindet, ist – wie bereits angemerkt – seit jeher nur mäßig dimensioniert und ausgebaut. Insbesondere in dem zwischen den Hallen gelegenen Teilstück ist die Straße teilweise nicht mehr als dreieinhalb bis vier Meter breit und lässt Begegnungsverkehr mit größeren Fahrzeugen demgemäß nicht zu. Die Klägerin hat ihren Betrieb dennoch auf diese öffentliche Straße hin organisiert. Aufgrund der beiden Fahrzeugwaagen können Sattelschlepper nur an den beiden vorgesehenen Stellen auf das Betriebsgrundstück und von diesem herunterfahren. Sie können also nicht an anderer Stelle – z.B. weiter westlich im Bereich des Mitarbeiterparkplatzes – auf- bzw. abfahren. Bei einem Teil der Auslieferungen fahren die frisch beladenen Lastzüge von der Lkw-Ausfahrt auf die öffentliche Straße, um dann unmittelbar wieder auf das Betriebsgrundstück einzubiegen und dort bis zur Auslieferung der Ware abgestellt zu werden; dieses „Karussell“ findet gerade im Bereich vor der Be- und Entladefläche der Mieterin des Beigeladenen statt. Dass aufgrund der vorstehend geschilderten Abläufe und der Termingebundenheit des Geschäfts der Klägerin jede Blockade der Straße „Im T.       “ misslich ist, ist nachvollziehbar. Es führt allerdings nicht dazu, dass andere Verkehrsteilnehmer die öffentliche Straße nicht mehr in gewöhnlichem Umfang nutzen dürfen; die Klägerin hat insoweit – trotz ihrer langjährigen Tätigkeit an diesem Standort – kein Recht auf eine vorrangige Nutzung der öffentlichen Straße.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Da der Betrieb seiner Mieterin mit nicht unerheblichem Lkw-Verkehr verbunden ist und die für die Be- und Entladevorgänge vorhandene Fläche auf dem Grundstück des Beigeladenen begrenzt ist, war es allerdings geboten, durch entsprechende Regelungen in der Baugenehmigung sicherzustellen, dass die Straße „Im T.       “ nicht regelmäßig selbst als Teil der Be- und Entladefläche missbraucht wird, beispielsweise indem Fahrzeuge bei Belegung der Fläche östlich der Halle auf der Straße be- bzw. entladen werden oder indem Sattelschlepper so abgestellt werden, dass das Heck im Bereich des Hallentores, die Zugmaschine aber auf der Straße steht. Denn der Beigeladene hat selbstverständlich kein Recht, die Enge auf dem östlich der Halle gelegenen Teil des Grundstücks dadurch zu kompensieren, dass er die öffentliche Straße zu einem Teil der Betriebsfläche macht und damit ihre Nutzung durch andere Anlieger beschränkt; auch er und seine Mieterin dürfen die öffentliche Straße nur in gewöhnlichem Umfang benutzen.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Derartige Regelungen sind infolge der beiden Nachtragsgenehmigungen vom 25. Januar 2022 und vom 7. Juni 2022 sowie der (dem Beigeladenen gegenüber bestandskräftigen) Modifikationen in der mündlichen Verhandlung nun in der Baugenehmigung enthalten:</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Dies gilt zunächst für die Zahl der im Zusammenhang mit dem Betrieb der Mieterin des Beigeladenen zugelassenen Fahrzeuge. Der Beigeladene hat in der nunmehr vorliegenden und allein maßgeblichen Fassung der Betriebsbeschreibung zehn Lkw der Größe nach aufgeführt, die täglich auf der fraglichen Fläche östlich der Halle be- oder entladen werden. Durch die Entfernung des Zusatzes „ca.“ und die Klarstellung in der mündlichen Verhandlung steht nun unzweifelhaft fest, dass es sich hier um eine Festschreibung der maximal zulässigen Zahl an Fahrzeugen handelt. Insbesondere wird dem durch das Anlieferungskonzept des Beigeladenen hervorgerufenen Eindruck entgegengewirkt, dass neben den zehn Lkw unter Umständen noch eine größere Zahl von „Sprintern“, Pritschenwagen, Pkw mit Anhänger etc. zu erwarten ist. Die Beklagte hat durch ihre entsprechende Erklärung in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass derartige kleinere Fahrzeuge nur anstelle der größeren Lkw, nicht aber zusätzlich zu diesen verwendet werden dürfen, um Waren der Mieterin an- oder auszuliefern. Bei Einhaltung dieser Maximalbegrenzung auf täglich zehn Fahrzeuge innerhalb einer Betriebszeit von 16 Stunden ist zu erwarten, dass die Zahl der das Grundstück gleichzeitg anfahrenden Lieferfahrzeuge in aller Regel klein sein wird, auch wenn sich die zeitliche Abfolge der Ankunft der einzelnen Fahrzeuge häufig nicht exakt steuern lässt, wie der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert hat.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Die Baugenehmigung schreibt in ihrer jetzigen Fassung ferner eindeutig vor, dass die Be- und Entladevorgänge auf dem Grundstück des Beigeladenen und nicht auf der öffentlichen Straße stattzufinden haben. Um dies sicherzustellen, müssen insbesondere für die langen Lkw entsprechende Flächen auf dem Grundstück markiert werden mit dem Ziel, den ständig wechselnden Fahrern Orientierung bei der Anfahrt des Grundstücks zu bieten. Selbst wenn im Einzelfall mehrere (große) Fahrzeuge zugleich das Lager der Mieterin des Beigeladenen anfahren, müssen sie bei ihrer Be- bzw. Entladung vollständig auf dem Grundstück, dürfen also nicht teilweise auf der Straße stehen. Diese klare Vorgabe schafft zugleich einen erheblichen Anreiz für die Mieterin des Beigeladenen, in ihrem betrieblichen Alltag darauf hinzuwirken, dass die Lieferfahrzeuge die fragliche Fläche auch tatsächlich anfahren können, dass diese also insbesondere nicht regelmäßig mit Gegenständen vollgestellt ist, wenn die Ankunft eines (größeren) Fahrzeugs bevorsteht. Die von der Klägerin für geboten gehaltene strikte Vorgabe, den Bereich der Be- und Entladepositionen sowie der Schleppkurven zu jeder Zeit vollständig frei zu halten, hielte die Kammer demgegenüber für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Betriebsabläufe der Mieterin des Beigeladenen. Denn diese hat ein nachvollziehbares Interesse daran, bei der bevorstehenden Ankunft eines Abholers gegebenenfalls die kommissionierte Ware bereits auf der Außenfläche bereitzustellen. Ähnliches gilt für die bevorstehende Ankunft eines Entsorgungsfahrzeugs. Dass die für die Be- und Entladung der Lieferfahrzeuge erforderlichen Flächen nicht durch die Privatfahrzeuge der Mitarbeiter blockiert werden, ist durch die in der mündlichen Verhandlung hinzugefügte Nebenbestimmung sichergestellt, der zufolge die Mitarbeiter westlich der Halle zu parken haben.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin gegenüber unzumutbar wäre es ohne Zweifel, wenn die mit der Baugenehmigung für den Betrieb zugelassenen Sattelschlepper und Gliederzüge die Be- und Entladefläche der Mieterin des Beigeladenen nur unter Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin anfahren könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Während die zunächst vorgelegten und zum Gegenstand der Nachtragsgenehmigung vom 25. Januar 2022 gemachten Schleppkurven erkennbar mangelhaft waren, belegen die nunmehr vorgelegten und mit der Nachtragsgegnehmigung vom 7. Juni 2022 „grüngestempelten“ Schleppkurven, dass auch die Sattelschlepper und Gliederzüge das Baugrundstück und die (teilweise neuen) Be- und Entladepositionen ohne Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin anfahren können. Die Klägerin ist den neuen, durch ein fachlich einschlägiges Ingenieurbüro erstellten und vom Tiefbauamt der Beklagten geprüften Schleppkurvenplänen auch nicht mehr substantiiert entgegen getreten. Dass der mit den Schleppkurven beschriebene Fahrweg durchaus anspruchsvoll ist und es gelegentlich zu Korrekturen beim Rangieren kommen wird, ist nicht in Abrede zu stellen. Dass die öffentliche Straße aus diesem Grunde zeitlich in einem Maße in Anspruch genommen wird, das zu einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots führt, vermag die Kammer aber nicht festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Zur Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung führt auch nicht der Einwand der Klägerin, bei gleichzeitiger Ankunft zweier Sattel- oder Gliederzüge könne ein Be- und Entladen aus Platzgründen nicht stattfinden. Die Kammer geht davon aus, dass es möglich ist, zumindest das eine Fahrzeug durch entsprechendes Vorziehen auf der Anlieferungsfläche zu be- bzw. entladen, während das andere Fahrzeug in der vorgesehenen Abstellposition wartet. Durch die klare Vorgabe, dass kein Teil des Fahrzeugs beim Be- oder Entladen auf der öffentlichen Straße stehen darf, ist jedenfalls den Rechten der Klägerin in hinreichender Weise Rechnung getragen. Aus ähnlichen Gründen hält die Kammer es auch für unschädlich, dass nach dem Konzept in Verbindung mit den Erläuterungen des Beigeladenen nicht ausgeschlossen ist, dass auch bei einer Belegung der vorgesehenen Be- und Entladepositionen P1 bis P3 kleinere Fahrzeuge zusätzlich auf dem vorderen Teil der Fläche abgestellt werden, obwohl der kleinere Stellplatz im südwestlichen Bereich der Fläche auf den jetzt maßgeblichen Schleppkurven nicht mehr dargestellt ist. Rechte der Klägerin werden insoweit nicht verletzt, wenn das Be- und Entladen – wie ausdrücklich vorgeschrieben – auf dem Grundstück stattfindet. Im Übrigen dürften bei einer Beschränkung auf zehn Fahzeuge am Tag eher selten mehr als drei Fahrzeuge gleichzeitig den Betrieb der Mieterin des Beigeladenen anfahren.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Das im Anlieferungskonzept vorgesehene, zwischen den Beteiligten umstrittene Halten eines Fahrzeugs auf der neu asphaltierten Fläche vor der Einfahrt des Grundstücks des Beigeladenen ist lediglich für den Fall vorgesehen, dass ein dritter Sattel- oder Gliederzug eintrifft und auch hier nur insoweit, als es dem Fahrer erlaubt sein soll, das Fahrzeug abzustellen, um sich nach dem weiteren Vorgehen zu erkundigen. Bei einer zugelassenen Zahl von vier derartigen Lastwagen pro Tag dürfte diese Situation allerdings selten eintreten. Außerdem bleiben die auf der öffentlichen Straße geltenden Vorgaben der Straßenverkehrsordnung (StVO) von der Baugenehmigung selbstverständlich unberührt. Sollte ein drittes großes Fahrzeug an der in Rede stehenden Stelle halten und zugleich ein Fahrzeug der G2.  . H2.   von P.     kommend die Einfahrt zum Baustoffhandel anfahren, so dürfte der Fahrer des haltenden Fahrzeugs schon gemäß § 1 StVO gehalten sein, dem Fahrzeug der G2.  . H2.   ein Ausholen zu ermöglichen, indem er sein Fahrzeug entsprechend versetzt. Angesichts des Umstands, dass diese Konstellation nur sehr selten einzutreten verspricht, vermag dieses Problem nicht zur Rücksichtslosigkeit der Baugenehmigung zu führen.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Bei alldem ist im Übrigen zu bedenken, dass der Beigeladene und seine Mieterin einen Anspruch auf Gleichbehandlung durch die Bauaufsichtsbehörde haben. Bei nicht wenigen Gewerbebetrieben – vermutlich auch bei der G2.  . H2.   – sind die Fahrwege der Kunden-, Liefer- und Betriebsfahrzeuge gar nicht oder jedenfalls nicht metergenau in der Baugenehmigung festgeschrieben. Bei der Mieterin des Beigeladenen besteht zwar – wie oben aufgezeigt – wegen der Beschränktheit des Platzangebots auf der Fläche östlich der Halle grundsätzlich das Bedürfnis nach einer Regelung des Fahrzeugverkehrs. Ihr selbst für seltene Ausnahmefälle minutiöse Vorgaben in der Baugenehmigung zu machen, erscheint aber überzogen.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">3.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO seinerseits keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711 Zivilprozessordnung.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">1.              ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">2.              die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">3.              die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">4.              das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">5.              ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.</p>
346,576
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{ "id": 792, "name": "Finanzgericht Münster", "slug": "fg-munster", "city": 471, "state": 12, "jurisdiction": "Finanzgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
6 K 2688/19 E
2022-08-16T00:00:00
2022-09-15T10:01:24
2022-10-17T11:10:11
Urteil
ECLI:DE:FGMS:2022:0816.6K2688.19E.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2015 und 2016 vom 24.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 werden dahingehend geändert, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers für das Jahr 2015 um einen Betrag i. H. v. X € und für das Jahr 2016 um einen Betrag i. H. v. X € gemindert werden.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.</p> <p>Die Revision wird zugelassen.</p><br style="clear:both"> <h1>Tatbestand</h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Streitig ist, ob der im Betriebsvermögen bilanzierte PKW Ford Ranger in den Jahren 2015 und 2016 auch privat genutzt wurde und dementsprechend ein privater Nutzungsanteil im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen ist.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Kläger wurden in den Streitjahren gemäß §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger haben drei gemeinsame Kinder, von denen zwei in den Streitjahren noch dem Haushalt der Kläger zugehörig waren. Die am 00.00.1992 geborene Tochter E 3 studierte bis April 2016 in A und begann im August 2016 eine Ausbildung in der Tierklinik R (Entfernung zum Wohnhaus: ca. 29 km). Der am 00.00.1996 geborene Sohn E 4 absolvierte bis Juni 2016 eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner (Firma V, Entfernung zum Wohnhaus: 1,2 km). Die Kläger wohnen auf eigenem Grundstück A-Straße 1 in B mit einer Größe von ca. X qm. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Gartenbaubetrieb (Firmensitz/Betriebsstäte: A-Straße 1 in B), Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (Tätigkeitsstätte: U, Entfernung zum Wohnhaus: 1,5 km, direkt neben dem Ausbildungsbetrieb des Sohnes) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin arbeitete als Aushilfe auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers. Für den Gartenbaubetrieb ermittelte der Kläger den Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG. Im Betrieb beschäftigte der Kläger 21 Arbeitnehmer bzw. Aushilfen. Ein Vorarbeiter im Betrieb des Klägers hatte einen eigenen Dienstwagen. Im Betriebsvermögen befanden sich darüber hinaus in den Streitjahren u. a. folgende PKW:</p> <span class="absatzRechts">3</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>PKW</strong></p> </td> <td><p><strong>Kennzeichen</strong></p> </td> <td><p><strong>Nutzungszeitraum</strong></p> </td> <td><p><strong>Anschaffungskosten</strong></p> </td> </tr> <tr><td><p>PKW BMW X 3</p> </td> <td><p>Nr. 2</p> </td> <td><p>10.04.2014 – 19.02.2018</p> </td> <td><p>X €</p> </td> </tr> <tr><td><p>PKW Ford Ranger</p> </td> <td><p>Nr. 1</p> </td> <td><p>ab dem 23.02.2015</p> </td> <td><p>X €</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger versteuerte die Privatnutzung des betrieblichen PKW PKW BMW X 3 mit der sog. 1%-Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Für den betrieblichen PKW FORD RANGER führte der Kläger kein Fahrtenbuch und nahm keine Versteuerung eines Privatanteils vor.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">In den Streitjahren befanden sich folgende Fahrzeuge im Privatvermögen der Kläger:</p> <span class="absatzRechts">6</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>PKW</strong></p> </td> <td><p><strong>Kennzeichen</strong></p> </td> <td><p><strong>Nutzungsdauer</strong></p> </td> <td><p><strong>Erstzulassung</strong></p> </td> </tr> <tr><td><p>VW Golf Cabrio</p> </td> <td><p>Nr. 3</p> </td> <td><p>27.01.2015 – 21.02.2018</p> </td> <td><p>00.00.2005</p> </td> </tr> <tr><td><p>VW Polo</p> </td> <td><p>Nr. 4</p> </td> <td><p>bis zum 07.05.2015</p> </td> <td><p>00.00.1998</p> </td> </tr> <tr><td><p>Ford Fiesta</p> </td> <td><p>Nr. 4</p> </td> <td><p>seit 04.02.2015</p> </td> <td><p>00.00.2003</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an 195 Tagen mit einer einfachen Entfernung von 10 km, die mit dem PKW zurückgelegt worden seien. Für das Jahr 2016 erklärte der Kläger keine Werbungskosten zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. In beiden Streitjahren wurde der Werbungskostenpauschbetrag i. H. v. jeweils 1.000,00 € bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer in Abzug gebracht. Die Einkommensteuererklärungen wurden endgültig antragsgemäß veranlagt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte führte für die Zeiträume Januar 2015 bis März 2018 eine Lohnsteueraußenprüfung durch, die mit Bericht vom 25.05.2018 endete. Darin traf die Prüferin die Feststellung, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine private Mitbenutzung des PKW Ford Ranger spreche und mangels Fahrtenbuchs die Privatnutzung mit der 1%-Regelung anzusetzen sei. Als maßgeblichen Bruttolistenpreis schätzte die Prüferin einen Betrag i. H. v. 50.000,00 €.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte änderte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) die Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2015 und 2016 mit Bescheiden vom 29.08.2018 und erhöhte den Gewinn aus Gewerbebetrieb des Jahres 2015 um 5.000,00 € (geschätzter Bruttolistenpreis 50.000,00 € x 1 % x 10 Monate) und den Gewinn des Jahres 2016 um 6.000,00 € (geschätzter Bruttolistenpreis 50.000,00 € x 1 % x 12 Monate).</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In dem gegen die vorgenannten Änderungsbescheide geführten Einspruchsverfahren minderte der Beklagte nach erfolgtem Nachweis des unstreitigen Bruttolistenpreises für den . H. v. X € den Gewinn aus Gewerbebetrieb (2015: ./. X € und 2016: ./. X €) mit Änderungsbescheiden vom 24.10.2018, und wies den Einspruch im Übrigen mit Entscheidung vom 29.07.2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Privatnutzung des PKW Ford Ranger nicht ausgeschlossen sei. Das Fahrzeug könne seiner Bauart nach grundsätzlich privat genutzt werden. Die im Privatvermögen befindlichen PKW (Ford Fiesta und VW Golf Cabrio) seien in ihrem Gebrauchswert und Status nicht mit dem PKW Ford Ranger vergleichbar. Zudem hätte nicht allen Familienmitgliedern mit Führerschein jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden. Soweit seitens der Kläger vorgetragen worden sei, dass die Tochter während ihres Studiums in A gelebt habe und nur an den Wochenenden mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Hause gekommen sei, sei zu beachten, dass das Studium im April 2016 beendet worden sei, die Tochter sich in der Zeit von April 2016 bis August 2016 komplett im Haushalt der Kläger aufgehalten habe und ab August 2016 die Fahrten zur Ausbildungsstätte in R nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt habe. Aber auch während des Studiums habe nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur Verfügung gestanden, da sich die Tochter an den Wochenenden und in vorlesungsfreien Zeiten bei den Klägern aufgehalten habe. Im Übrigen widerspreche es der Lebenserfahrung, dass ein Familienmitglied auf eine (kurze) private Fahrt verzichte, wenn ein weiteres Fahrzeug (PKW Ford Ranger) zur Verfügung stehe. Ferner widerspreche es der Lebenserfahrung, dass sowohl der Kläger als auch der Sohn die Fahrten zur Arbeitsstätte bei Regen, Schnee oder Eis ausschließlich mit dem Fahrrad zurückgelegt hätten, wenn ein Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben am 02.09.2019 Klage gegen die vorgenannte Entscheidung erhoben. Hinsichtlich der seitens des Beklagten umgesetzten umsatzsteuerlichen Behandlung des streitigen Sachverhaltes wird das noch anhängige Klageverfahren des Klägers unter dem Aktenzeichen 5 K 2679/19 U geführt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kläger führen zur Begründung ihrer Klage an, dass aufgrund des gestiegenen Auftragsumfangs Investitionen in Maschinen und Fahrzeuge notwendig geworden seien. So seien der PKW Ford Ranger, ein Radlader und eine mobile Raupenarbeitsbühne angeschafft worden. Teilweise würden weitere Maschinen von anderen Unternehmen angemietet. Der PKW Ford Ranger fungiere insoweit als Zugmaschine und müsse den Mitarbeiten arbeitstäglich permanent zur Verfügung stehen. Die Laufleistung des PKW Ford Ranger habe am 20.06.2018 in knapp dreieinhalb Jahren 31.000 km betragen, was einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung von 8.900 km entspreche. Für eine private Mitbenutzung bliebe so kein Raum. Der allgemeinen Lebenserfahrung sei hier schon widersprochen worden, da der PKW Ford Ranger den Mitarbeitern an den Werktagen zur Verfügung stehen müsse. Ferner sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Anscheinsbeweis der Privatnutzung widerlegt werden könne, wenn für private Fahrten andere Fahrzeuge zur Verfügung stünden, die mit dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar seien. Der betriebliche PKW BMW X 3 mit einem Bruttolistenpreis von X € sei das entsprechend wertigere Fahrzeug und habe dem Kläger permanent zur Verfügung gestanden. Dass der PKW Ford Ranger aufgrund seines Verschmutzungszustandes an den Wochenenden für Familienfahrten genutzt werde, sei lebensfremd. Der Kläger habe seine arbeitstäglichen Fahrten zur 2 km entfernten Arbeitsstätte mit dem Fahrrad bewältigt. Das gelte auch für den Sohn, dessen Ausbildungsstätte 1 km vom Wohnhaus entfernt sei. Bei extremen Wetterverhältnissen habe der PKW BMW X 3 zur Verfügung gestanden oder die Klägerin hätte den Kläger zur Arbeit gebracht. Da der Kläger hauptberuflich angestellt gewesen sei, mache auch dieser Umstand deutlich, dass insgesamt wenig Zeit vorhanden gewesen sei, um überhaupt Privatfahrten durchzuführen. Soweit der Beklagte anführe, dass teilweise lediglich ein PKW im Privatvermögen zur Verfügung gestanden habe, sei dem entgegen zu halten, dass der im Februar 2015 angeschaffte Ford Fiesta den VW Polo ersetzt habe, so dass neben dem PKW BMW X 3 immer zwei PKW für Privatfahrten der Familie zur Verfügung gestanden hätten. Den Nutzungsumfang des PKW BMW X 3 schätzte der Kläger auf Nachfrage auf ca. 60 % privat und 40 % betrieblich, möglicherweise auch im Verhältnis von50 % zu 50 %.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2015 und 2016 vom 24.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Jahr 2015 um einen Betrag i. H. v. X € und für das Jahr 2016 um einen Betrag i. H. v. X € gemindert werden,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">hilfsweise,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">die Revision zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass nach einer Anfrage im zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes die Angaben abweichend von denen der Kläger seien: so habe es sich bei dem Fahrzeug mit den Kennzeichen Nr. 4 um einen VW Polo gehandelt (nicht um einen Ford Fiesta). Ferner sei dieses Fahrzeug am 07.05.2015 durch den Kläger abgemeldet worden. Die Abmeldung des VW Polo falle zeitlich mit der Anschaffung des PKW Ford Ranger zusammen, was ein starkes Indiz dafür darstelle, dass auch der PKW Ford Ranger tatsächlich für private Fahrten genutzt worden sei. Soweit die Kläger auf die gerichtliche Anfrage hin Bilder vom PKW Ford Ranger eingereicht hätten, sei dadurch bewiesen, dass es sich bei dem PKW Ford Ranger um ein Fahrzeug handele, dass mangels Umbauten typischerweise für den privaten Gebrauch geeignet sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 25.03.2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat in der Sitzung vom 16.08.2022 über die Klage mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.</p> <h1>Entscheidungsgründe</h1> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">A. Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Der Beklagte hat zu Unrecht in den Streitjahren eine private Nutzung des PKW Ford Ranger mit der 1%-Regelung bewertet und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb entsprechend erhöht.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">I. Der Senat konnte aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung gewinnen, dass der PKW Ford Ranger in den Streitjahren tatsächlich auch privat genutzt wurde.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">1. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs (Kfz), das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG kann die Privatnutzung abweichend von Satz 2 mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">2. Die Bewertungsregel des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für den Ansatz der Privatnutzung eines Kfz kommt nach der Rechtsprechung nicht zum Tragen, wenn eine private Nutzung nicht stattgefunden hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 und BFH-Urteil vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974). Das Finanzgericht muss sich deshalb grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anwenden will (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365).</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">a. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365; BFH-Beschluss vom 14.05.1999 - VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330). Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 34/07, BFHE 224, 108, BStBl II 2009, 381). Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, ist aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteile vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365; vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">b. Der Beweis des ersten Anscheins kann nach der Rechtsprechung durch den sogenannten Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung des betrieblichen Kfz nicht stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573). Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365; BFH-Urteil vom 07.11.2006 - VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573).</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">c. Der Anscheinsbeweis wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn lediglich behauptet wird, für privat veranlasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573). Auch ein eingeschränktes privates Nutzungsverbot vermag den Anscheinsbeweis regelmäßig nicht zu entkräften.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">d. Durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung sind der Anscheinsbeweis, der für eine private Nutzung spricht, und die Umstände, die zu einer Erschütterung dieses Anscheinsbeweises führen können, präzisiert worden. Hiernach spricht die allgemeine Lebenserfahrung auch dann für eine private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs, wenn dem Steuerpflichtigen zwar für private Fahrten ein Fahrzeug zur Verfügung steht, aber dieses Fahrzeug dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert nicht vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.02.2020 – 9 K 104/19, EFG 2020, 930, FG Hamburg, Urteil vom 11.12.2019 – 2 K 10/19, juris). Denn bei einer Vergleichbarkeit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für private Fahrten das betriebliche Fahrzeug zu nutzen (vgl. BFH-Urteile vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974; vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365). Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises kommt jedoch insoweit nur dann in Betracht, wenn das private in Status und Gebrauchswert vergleichbare Fahrzeug dem Steuerpflichtigen ständig und uneingeschränkt zur Verfügung steht (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 20.03.2019 – 9 K 125/18, DStRE 2019, 1191; FG Münster, Urteile vom 11.05.2017 - 13 K 1940/15 E, G, EFG 2017, 1083 und 21.06.2017 - 7 K 3919/14 E, juris, alle rechtskräftig).</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">e. Über die Frage, ob der für eine Privatnutzung sprechende Beweis des ersten Anscheins erschüttert ist, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365).</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">3. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ist der für eine Privatnutzung des PKW Ford Ranger sprechende Beweis des ersten Anscheins in den Streitjahren unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung im Streitfall erschüttert worden. Es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine private Nutzung des PKW Ford Ranger tatsächlich stattgefunden hat und daher die private Nutzung des Kfz gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG anzusetzen wäre.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">a. Bei dem PKW Ford Ranger handelt es sich um ein Fahrzeug, das typischerweise auch zum privaten Gebrauch geeignet ist. Dies ist zu Recht zwischen den Beteiligten nicht streitig.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">b. Der Kläger hat den Anscheinsbeweis der privaten Nutzung jedoch ausreichend entkräftet. Nach der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass im vorliegenden konkreten Einzelfall die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">aa. Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises ergibt sich zwar nicht aufgrund des Vorhandenseins des PKW BMW X 3 als in Status und Gebrauchswert vergleichbarem PKW.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">(1) Die Kläger verkennen insoweit im Rahmen ihrer Argumentation, dass die Rechtsprechung für die Frage der Erschütterung des Anscheinsbeweises durch ein in Status und Gebrauchswert vergleichbares Kfz darauf abstellt, dass das vergleichbare Fahrzeug ständig und uneingeschränkt für private Fahrten zur Verfügung stehen muss. Der PKW BMW X 3 ist jedoch kein Fahrzeug des Privatvermögens, sondern ein betriebliches Fahrzeug, dass nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung stehen kann, da es auch für den Betrieb des Klägers eingesetzt wird.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">(2) Allein die Tatsache, dass die private Nutzungsmöglichkeit des PKW BMW X 3 steuerrechtlich mit der 1%-Regel bewertet wird, führt insoweit nicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">bb. Der Anscheinsbeweis ist jedoch nach Überzeugung des Senates deswegen erschüttert, weil der Kläger insbesondere mit seiner glaubhaften und überzeugenden persönlichen Einlassung in der mündlichen Verhandlung einen Sachverhalt dargelegt hat, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens eröffnet.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">(1) Der Betrieb des Klägers und das Wohnhaus der Familie befinden sich unter der Adresse A-Straße 1 in B. Für den PKW Ford Ranger ergab sich daher zwar eine direkte und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit des Klägers und seiner Familie. Der Kläger hat jedoch für den Senat nachvollziehbar vorgetragen, dass seine Familie den PKW Ford Ranger bereits aufgrund dessen Größe nicht genutzt habe.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">(2) Ferner hat der Kläger angeführt, dass der PKW Ford Ranger arbeitstäglich im Einsatz als Zugmaschine und als Fahrzeug für die Mitarbeiter zur Verfügung zu stehen hatte. Zwar hat nach den Angaben des Klägers auch der PKW BMW X 3 eine Anhängerkupplung. Aber bereits aufgrund der erforderlichen Zugkraft für den Einsatz der übrigen für den Betrieb des Klägers erforderlichen Geräte (z.B. Raupenarbeitsbühne o.ä.) wäre die Zugkraft des PKW BMW X 3 für den Einsatz nicht ausreichend gewesen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">(3) Darüber hinaus hat der Senat bei seiner Überzeugungsbildung berücksichtigt, dass der Kläger seine gewerbliche Tätigkeit nur neben seiner in Vollzeit ausgeübten nichtselbständigen Arbeit durchgeführt hat. Insoweit ist dieser Sachverhalt besonders gelagert, da der Kläger den PKW Ford Ranger nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst genutzt hat, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner nichtselbständigen Tätigkeit nachgegangen ist. Die Möglichkeit einer im Laufe eines Arbeitstages – wenn auch nur geringfügigen – zwischen mehreren betrieblichen Tätigkeiten vorgenommenen privaten Nutzung war somit im konkreten Einzelfall erheblich eingeschränkt.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">(4) Der Senat hat darüber hinaus bei seiner Entscheidungsfindung die besondere Tatsache einbezogen, dass sowohl für den Kläger als auch für die Klägerin in den Streitjahren kein PKW für die Bewältigung des Weges zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte erforderlich war. Der Kläger hat insoweit in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass im Jahr 2015 die Angaben von 10 Entfernungskilometern zur ersten Tätigkeitsstätte und die Zurücklegung dieses Weges per PKW fälschlicherweise Eingang in die Steuererklärung gefunden haben. In den Streitjahren war die arbeitstäglich aufgesuchte Arbeitsstätte des Klägers lediglich 1,5 km auf derselben Straße vom Wohnhaus des Klägers entfernt und – wie vom Kläger vorgetragen – unproblematisch per Fahrrad zu erreichen. Da die Klägerin auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers auf dem Grundstück der Kläger arbeitete, war auch für sie kein PKW zur Zurücklegung des Arbeitsweges erforderlich. Soweit der Kläger vorgetragen hat, bei extremen Wetterverhältnissen seinen Arbeitsweg mit dem PKW BMW X 3 zurückgelegt zu haben bzw., dass ihn die Klägerin zur Arbeitsstelle gebracht habe, ist dieser Geschehensablauf nachvollziehbar und schlüssig dargelegt und aufgrund der konkreten Umstände der Kläger möglich.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">(5) Darüber hinaus hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung schlüssig vorgetragen, dass für bestimmte Gelegenheiten (bspw. Entsorgung von Grünschnitt und Transporte sperriger Gegenstände) statt des Einsatzes des PKW Ford Ranger im konkreten Fall andere Lösungen gefunden wurden (Entsorgung Grünschnitt über einen auf dem Grundstück der Kläger stehenden Container, Nutzung PKW BMW X 3 für Transporte bzw. geliehenen Bulli für den Umzug der Tochter).</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">(6) Des Weiteren hat der Kläger glaubhaft versichert, dass die Werbefolie nicht jederzeitig – für mögliche Privatnutzungen – entfernt werden könnte, ohne die Folie zu zerstören. Ferner hat der Kläger auch eine Erklärung für die im Verhältnis zurückhaltende Werbebeschriftung schlüssig vorgetragen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(7) Im Übrigen hat der Kläger vorgetragen, dass der PKW BMW X 3 im wesentlichen Umfang für Privatfahrten genutzt wurde. So konnte der Kläger zwar nicht genau die Nutzungsanteile beziffern. Er hat aber mit der Angabe 60 % Privatnutzung oder jeweils hälftige Privat- bzw. betriebliche Nutzung klar zum Ausdruck gebracht, dass der PKW BMW X 3 zum mindestens hälftigen wenn nicht überwiegenden Teil privat genutzt wurde und somit den Klägern für privat zu erledigenden Fahrten in den Streitjahren in großem Umfang zur Verfügung gestanden hat. Ferner hat der Kläger schlüssig erklärt, dass – obwohl es sich bei den VW Golf Cabrio, VW Polo bzw. Ford Fiesta wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt um die hauptsächlich den Kindern E 4 und E 3 überlassenen PKWs handelt – ihm diese Fahrzeuge bei Bedarf zur Verfügung standen, da er für sämtliche Kosten aufkomme und die Abrede in der Familie bestehe, dass er die PKWs nutzen könne.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">c. Schließlich hat der Beklagte keine Umstände vorgetragen, die eine tatsächliche private Nutzung des PKW Ford Ranger durch die Kläger oder deren Kinder als Vollbeweis belegen. Der Vortrag des Beklagten zielt auf die Feststellung, dass der Anscheinsbeweis nicht erschüttert sei.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">II. Die Neuberechnung der Einkommensteuer für die Jahre 2015 und 2016 nach Durchführung der streitgegenständlichen Änderungen wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">D. Der Senat hat die Revision zugelassen, da die konkrete Entscheidung zwar auf den Umständen des Einzelfalles beruht, mit der Revisionszulassung jedoch die Möglichkeit eröffnet werden soll, ggfs. höchstrichterlich zur Ausschärfung bestimmter Kriterien zur Erschütterung des Beweises des ersten Anscheins der privaten PKW-Nutzung eines im Betriebsvermögen befindlichen PKW jenseits der in der Rechtsprechung bereits bekannten Fallgruppen beizutragen.</p>
346,518
vg-hannover-2022-08-16-5-b-212922
{ "id": 615, "name": "Verwaltungsgericht Hannover", "slug": "vg-hannover", "city": 325, "state": 11, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
5 B 2129/22
2022-08-16T00:00:00
2022-09-13T10:01:04
2022-10-17T11:10:02
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz zur vorläufigen Sicherung seines Aufenthalts im Bundesgebiet für die Dauer des Hauptsacheverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller ist am E. 1991 in Um Ruaba, Sudan, geboren. Er reiste 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag (Az. F.). Im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt gab er an, dass er in der Nähe von Al-Ubayyid, gelebt habe und berichtete von weitverzweigten familiären Bindungen im Sudan und seiner Tätigkeit als Automechaniker. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag ab. Das Verwaltungsgericht Osnabrück (Az. G.) wies die dagegen gerichtete Klage mit Urteil vom 4. Februar 2020 ab.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Den persönlich gestellten Asylfolgeantrag (Az. H.) vom 10. November 2021 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12. November 2021 als unzulässig ab und lehnte auch den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 11. Dezember 2017 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor, da keine Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hinsichtlich seines Antrags auf internationalen Schutz bestehe. Der Antragsteller hatte sich bei der Antragstellung auf die Gründe aus dem Jahre 2017 bezogen und ergänzt, durch das Regierungsgeschehen im Sudan sei sein Leben bedroht. Die Antragsgegnerin begründete die Ablehnung von Abschiebungsverboten damit, dass auch insoweit die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht bestehen würden. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft dargestellt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK beachtlich wahrscheinlich sei. Er sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit weitreichender Erfahrung als Automechaniker.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 1. Februar 2022 stellte der Antragsteller einen als „Asylfolgeantrag“ überschrieben Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten. Er trug im Wesentlichen vor, dass durch den Militärcoup eine verschärfte Situation eingetreten sei, die sich auf die humanitäre Lage auswirke. Des Weiteren verwies er auf aktuelle Rechtsprechung aus dem Jahr 2020 zur Feststellung von Abschiebungsverboten. Die Antragsgegnerin wertete diesen Antrag als „isolierten Wiederaufgreifensantrag“ zum Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (siehe Verwaltungsvorgang, Az. I.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 21. März 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 11. Dezember 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien nicht gegeben, da die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Der Vortrag des Antragstellers sei bereits Gegenstand aller vorangegangenen Verfahren gewesen und dort ausführlich gewürdigt worden. Daher werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 12. November 2021 verwiesen. Da nun erneut lediglich ein pauschaler Vortrag erfolgt sei, sei keine Sachlagenänderung ersichtlich, so dass keine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliege. Daher müsse nunmehr in Bezug auf die im vorangegangenen Verfahren getroffene Entscheidung ein Bescheid gleichen Inhalts ergehen. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 6. April 2022 Klage erhoben mit dem Antrag, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich des Sudans festzustellen. Über die Klage ist bisher nicht entschieden worden (J.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 20. Mai 2022 hat der Antragsteller zudem einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gestellt. Zur Begründung führt er aus:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Aufgrund der prekären Verhältnisse, insbesondere seit der erneuten Übernahme durch das Militär im Oktober 2021, sei davon auszugehen, dass ihm im Sudan Verelendung drohe. Er habe im Sudan, insbesondere in Khartoum kein tragfähiges Netzwerk. Seine Familie lebe im ländlichen Bereich. Sie lebe mittlerweile in prekären Verhältnissen und sei auf Unterstützung angewiesen. Die Antragsgegnerin sei nicht auf die aktuelle Situation eingegangen, sondern verweise auf den Bericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2020. Die Situation im Sudan gerate etwas aus dem Blickfeld. Im Sudan sei es in diesem Jahr jedoch erneut zu besonders gewaltvollen Auseinandersetzungen in der Region Darfur gekommen. Auch die Nahrungsmittelknappheit sei gestiegen. Der Krieg in der Ukraine wirke sich auf den Sudan aus. Ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei gerechtfertigt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Eine Abschiebung drohe, wie sich aus dem Schreiben der Ausländerbehörde vom 11. April 2022 ergebe. In diesem wurde der Antragsteller zur Ausreise bis zum 20. Mai 2022 aufgefordert und ansonsten die unangekündigte Abschiebung in Aussicht gestellt. Der Antragsteller solle sich auch um einen sudanesischen Pass kümmern. Zudem werde ein Verfahren zur Ausstellung von Passersatzpapieren eingeleitet. Der Antragsteller hat gegenüber der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 20. Mai 2022 angekündigt, sich zunächst um Identitätspapiere aus dem Sudan und anschließend um einen Reisepass zu bemühen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">die Antragsgegnerin zu verpflichten, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises K. sowie der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen mitzuteilen, dass der Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Asylfolgeantrag nicht aufgrund der im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge enthaltenden Abschiebungsandrohung in die Republik Sudan abgeschoben werden darf;</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid. Der zuständigen Ausländerbehörde sei mitgeteilt worden, dass der Eilantrag bis zu einer Entscheidung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung entfalte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Der Antrag, über den der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Zielt das Hauptsacheverfahren auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach bestandskräftiger Abschiebungsandrohung, ist nach ganz herrschender Ansicht in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung des geltend gemachten Wiederaufgreifensanspruchs statthaft (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 1.7.2021 – 2 BvR 627/21 –, juris Rn. 23 m. w. N.). Der Asylantragsteller kann in den Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, (ggf. hilfsweise) mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – BVerwG 1 C 4.16 –, juris Rn. 20 a. E.). Einstweiliger Rechtsschutz ist dann mittels eines Antrags nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu suchen, mit dem eine vorläufige Verhinderung der angeordneten Abschiebung erreicht werden soll, indem der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (Nds. OVG, Beschluss vom 20.6.2017 – 13 PA 104/17 –, juris Rn. 17). Die zuständige Ausländerbehörde hat ggf. weiteren Behörden, wie z.B. der Landesaufnahmebehörde, von den Entwicklungen zu berichten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Statthaft ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtschutz nach § 123 VwGO außerdem, wenn der Antragsteller einen isolierten Folgeschutzantrag beim Bundesamt gestellt hat und dieses Begehren vor dem Verwaltungsgericht weiterverfolgt. Ein isolierter Folgeschutzantrag – mit dem ausschließlich die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt wird – ist kein weiterer Asylantrag i. S. v. § 71 Abs. 1 AsylG und löst nicht die weitere Voraussetzung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG aus, wonach die Abschiebung erst nach Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden darf (Dickten in: Beck/OK, Ausländerrecht, Stand 1.4.2022, § 71 AsylG, Rn. 40-42). Für den Fall eines Folgeantrags – mit dem auch die Zuerkennung internationalen Schutzes begehrt wird – wird der Aufenthalt hingegen bereits durch die Voraussetzung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG bis zum Abschluss des Folgeverfahrens gesichert. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einem Folgeantrag und einem isolierten Folgeschutzgesuch ist der Antrag, den der Antragsteller bei dem C. gestellt hat. Der Antragsteller hat einen Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt, der mit „Asylfolgeantrag“ überschrieben war, in dem aber nur die Feststellung von Abschiebungsverboten begründet wurde. Diesen Antrag hat das Bundesamt nunmehr – anders als das gleichlautende Schreiben im Verfahren 5 B 1532/22 (siehe VG Hannover, Beschluss vom 13.7.2022 – 5 B 1532/22 –, juris) – als isolierten Folgeschutzantrag eingeordnet. Ob diese Einordnung richtig ist, kann hier dahinstehen. Die Antragsgegnerin hat den Antrag des Antragstellers bereits mit Bescheid vom 21. März 2022 abgelehnt und die Ausländerbehörde darüber in Kenntnis gesetzt. Auch bei einer Einordnung des Antrags als Folgeantrag wäre die Voraussetzung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erfüllt und der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz nach § 123 VwGO statthaft.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz nach § 123 VwGO ist allerdings unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag – auch schon vor Klageerhebung – eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung und dem Schreiben der Ausländerbehörde vom 11. April 2022, in dem der Antragsteller zur Ausreise aufgefordert wurde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Bescheid der Antragsgegnerin ist voraussichtlich rechtmäßig, denn dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Während ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG für den Fall eines Folgeantrags unabhängig von den formalen Voraussetzungen des § 51 VwVfG festzustellen wäre (vgl. VG Hannover, Urteil vom 15.3.2022 – 5 A 2750/21 –, jruis Rn. 20 m. w. N.), findet § 51 VwVfG bei isolierten Folgeschutzanträgen unmittelbar Anwendung, da es sich dabei nicht um Asylanträge handelt und § 31 Abs. 3 AsylG keine Anwendung findet (vgl. Dickten in: Beck/OK, Ausländerrecht, Stand 1.4.2022, § 71 AsylG, Rn. 40). Die politischen Umwälzungen und die akuten Versorgungsschwierigkeiten im Sudan könnten eine Änderung der Sachlage i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellen. Allerdings spricht auch dann keine ausreichend beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse im Sudan und der individuellen Umstände einer unmenschlichen Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in der Person des Antragstellers nicht erfüllt sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen ein gewisses „Mindestmaß an Schwere" erreichen. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.8.2018 – BVerwG 1 B 42.18 –, juris Rn. 11). Es bedarf insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – BVerwG 1 B 25.18 –, juris). Zu den Umständen und Faktoren gehören etwa das Alter, das Geschlecht, der Gesundheitszustand, die Volkszugehörigkeit, die Ausbildung, das Vermögen und die familiären oder freundschaftlichen Verbindungen des Betroffenen (siehe Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2022 – 4 LA 250/20 –, juris unter Verweis auf OVG Saarland, Beschluss vom 15.7.2021 – 2 A 96/21 –, juris).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung voraus. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss demnach eine ausreichend reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (EGMR, Urteil vom 28.6.2011 – Az. 8319/07 und 11449/07 –, Sufi u. Elmi v. the United Kingdom, NVwZ 2012, 681 ff.; Urteil vom 27.5.2008 – Az. 26565/05 –, N. v. the United Kingdom, NVwZ, 2008, 1334 ff. und Urteil vom 6.2.2011 – Az. 44599/98 –, NVwZ, 2002, 453 ff..; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 –, juris Rn. 27; OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 – 13 A 3930/18.A –, juris Rn. 43; Nds. OVG, Urteil vom 29.1.2019 – 9 LB 93/18 –, juris Rn. 52). Der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr entspricht dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – BVerwG 1 B 2.19 –, juris Rn. 6, und Urteil vom 27.4.2010 – BVerwG 10 C 5.09 –, juris Rn. 22). Es ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – BVerwG 1 B 2.19 –, juris Rn. 6, und Urteil vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –, juris Rn. 32). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent. Ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre, kann daher nicht verlangt werden (BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – BVerwG 1 B 2.19 –, juris Rn. 6 mit Verweis auf EGMR, Urteil vom 9.1.2018 – 36417/16 –, X v. Sweden, Rn. 50; Nds. OVG, Urteil vom 29.1.2019 – 9 LB 93/18 –, juris Rn. 52).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliegt, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – BVerwG 10 C 15.12. –, juris Rn. 26 m. w. N.; Nds. OVG, Urteil vom 29.1.2019 – 9 LB 93/18 –, juris Rn. 53 und Beschluss vom 11.3.2021 – 9 LB 129/19 –, juris Rn. 139). Stellen die dortigen Verhältnisse einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar, ist zu prüfen, ob auch in anderen Landesteilen derartige Umstände vorliegen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 –, juris Rn. 28 m. w. N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Gemessen an diesen hohen Maßstäben droht dem Antragsteller nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung seiner in Art. 3 EMRK niedergelegten Menschenrechte. Zwar drohen einem erwachsenen, alleinstehenden, leistungsfähigen sudanesischen Mann ohne individuell begünstigende Faktoren bei einer Rückkehr in den Sudan unter Berücksichtigung der aktuellen Umstände eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Dies gilt jedoch im Regelfall nicht für sudanesische Männer mit besonderen individuellen Fähigkeiten und daraus resultierenden besseren Voraussetzungen für den sudanesischen Arbeitsmarkt oder mit einem schutz- und unterstützungsfähigen sowie -willigen sozialen Netzwerk. Der Antragsteller kann auf ein solches soziales Netzwerk zurückgreifen und hat verbesserte Chancen auf dem sudanesischen Arbeitsmarkt, sodass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>1. Die Lage im Sudan stellt sich nach den Erkenntnissen des Gerichts zum Zeitpunkt der Entscheidung folgendermaßen dar:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Die sudanesische Versorgung ist von einem großen Ungleichgewicht zwischen Import und Export geprägt, das auf dem geringen Niveau industrieller Prozesse im Lande beruht und u.a. den Bedarf an Grundnahrungsmitteln über den Import sichert. Auch globale Krisen haben daher eine große Wirkung auf die Versorgungslage. Spätestens seit der Abspaltung des Südsudan im Jahr 2011 befindet sich die sudanesische Ökonomie in einer Krisensituation, da die Einnahmen aus Ölabbau und -export weitgehend wegfielen (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 4 f.). Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2020 ist die Versorgungslage des Landes besorgniserregend. Hauptursachen sind die hohe Armut, Vertreibungen aufgrund andauernder Spannungen in Darfur und der Grenzregion zum Südsudan (Süd-/Westkordufan, Blue Nil), chronische Ernährungsunsicherheit aufgrund klimatischer und sozioökonomischer Faktoren sowie die seit Beginn 2018 anhaltende Wirtschaftskrise (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan, Juni 2020, S. 8). Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung belasteten die prekären Arbeitsverhältnisse und die Gesundheitseinrichtungen insbesondere im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 und wirken sich bis heute auf die einkommensschwachen Haushalte aus, die in dieser Zeit Kredite aufnehmen oder Vermögenswerte veräußern mussten, und führen weiter zu Bildungsrückständen der jüngeren Generationen (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 17-24). Im Sommer 2020 kam die größte und verlustreichste Überschwemmung seit über dreißig Jahren hinzu, die die Situation noch einmal verschärfte (vgl. Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 25-32). Schätzungen gehen von Schäden in Höhe von 4,4 Milliarden Dollar aus. Insbesondere der Gebäudebestand und die Land- und Viehwirtschaft sowie kleinere und mittelständische Unternehmen und die Wasserversorgung sowie Hygiene-, Sanitär- und Gesundheitseinrichtungen waren betroffen (RPDNRA team, Sudan rapid post disaster needs and recovery assessment, 31.5.2021). In diesem Zeitraum benötigten 10 Mio. Menschen im Sudan Unterstützung (OCHA, Lagebericht vom 10.9.2020, Aktualisierung vom 24.9.2020). Am 11. September 2020 erklärte die Übergangsregierung aufgrund eines plötzlichen Anstiegs des Umrechnungskurses des Dollars zum sudanesischen Pfund den ökonomischen Notstand (http://country.eiu.com/article.aspx?articleid=450141028). Die direkten Folgen der Flut sind mittlerweile weitgehend überwunden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2022 – 4 LA 250/20 –, juris; siehe zur Flut noch VG Hannover, Urteil vom 30.9.2020 – 5 A 2738/17 –, juris).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Die sozioökonomischen Zustände verschlechtern sich trotz der Bemühungen sudanesischer Einrichtungen und internationaler Organisationen weiter (siehe UNITAMS, Situation in the Sudan […], Report of the Secretary-General, S/2021/470, 17.5.2021, S. 7: „[S]ocioeconomic conditions continued to deteriorate“) und führen zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen mit Versorgungsengpässen, einer Verdopplung der Preise für Sorghum, Hirse und andere wichtige Waren sowie Inflationsraten von 413 % im Juni 2021 (siehe UNITAMS, Situation in the Sudan […], Report of the Secretary-General, S/2021/766, 1.9.2021, S. 5: „severe economic hardship“). Die jährliche Inflationsrate erreichte im Juli 2021 einen Rekordwert von 423 %, der Umrechnungskurs zum Euro stieg sprunghaft auf ca. 500 sudanesische Pfund an und der Verbraucherpreisindex stieg im März 2021 auf 13.127,74 (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 7-12). Die Armut ist in ländlichen Gebieten zwar grundsätzlich höher, in urbanen Gebieten steigt aber die Arbeitslosigkeit – insbesondere der jungen Bevölkerung – stark. Selbst relativ geringe Einkommen aus dem Ausland können in dieser Situation überlebensnotwendig werden (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 12-14). Die ökonomische und politische Krise führte zum Militärputsch am 25. Oktober 2021 unter den Generälen Abd Al-Fattah Al-Burhan und Muhammad Hamdan. Der Sudan befindet sich in einer schweren politischen Krise. Landesweite Proteste gegen den Putsch werden gewaltsam niedergeschlagen, der Notstand wurde ausgerufen, mindestens 95 Menschen kamen seither ums Leben und über 2000 sollen verletzt worden sein (siehe nur AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, Mai 2022, S. 4, 6). Derzeit wird vermehrt von Vorfällen in medizinischen Einrichtungen berichtet (Insecurity Insight, 2022, http://insecurityinsight.org/wp-content/uploads/2022/01/01-December-2021-10-January-2022-Violence-Against-or-Obstruction-of-Health-Care-in-Sudan.pdf; sowie die jeweils aktuellen Meldungen unter https://www.dabangasudan.org/en/all-news). Der Militärputsch wiederum verhindert die angedachte Konsolidierung der Wirtschaft durch die Übergangsregierung, die 2019 das Regime unter Omar Al-Bashir zu Fall brachte, sowie Finanzhilfen internationaler Organisationen (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 5, 6). Als Folge des Militärputsches haben viele westliche Staaten (darunter Deutschland) und internationale Organisationen ihre Zusammenarbeit mit dem Sudan eingeschränkt, sodass wichtige Vorhaben im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, wirtschaftlichen Unterstützung und Stabilisierung pausiert wurden (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, Mai 2022, S. 4, 7). Die Inflation ist zwar ein wenig zurückgegangen und betrug zwischendurch noch 260 % (https://tradingeconomics.com/sudan/inflation-cpi). Dafür ist jedoch der Wert des sudanesischen Pfundes weiter gesunken (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-faces-economic-decline-as-pound-dips-further) und der Verbraucherpreisindex hat sich nach Angaben der Sudanesischen Zentralbank bereits im September 2021 auf 31.423,30 vervielfacht (https://cbos.gov.sd/sites/default/files/Economic%20and%20statistic%20review%20q3%202021%D9%85.pdf, S. 50). Dies zeigt sich auch an den aktuellen Preisen für Sorghum, Weizenmehl und Hirse, die im ganzen Sudan und auch in Omdurman atypisch hoch und noch einmal gestiegen sind (FEWS, Sudan Price Bulletin, 15.2.2022, https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-price-bulletin-february-2022; FEWS, Atypically high staple food prices continue through the harvest season, Januar 2022, https://fews.net/east-africa/sudan/key-message-update/january-2022; sowie FPMA, Monthly report on food price trends, 10.3.2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/FPMA%20Bulletin%20%232%2C%2010​%20%202022.pdf). Die Kosten für Mehl sind alleine zwischen Juli 2021 und Februar 2022 um 112 % gestiegen (https://www.ifpri.org/blog/russia-ukraine-conflict-likely-compound-sudans-existing-food-security-problems). Im Januar 2022 wurden die Stromtarife um bis zu 600 % erhöht. Am 5. Februar 2022 kam es zu einem massiven Anstieg der Kraftstoffpreise (siehe UNITAMS, Situation in the Sudan […], Report of the Secretary-General, S/2022/172, 2.3.2022, S. 5).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine verschärft die ohnehin wachsende Ernährungsunsicherheit im Sudan (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, Mai 2022, S. 4, 21). Der Krieg führt nach Prognosen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) zu Millionen weiteren Unterernährten weltweit (FAO, Information Note, 2022, https://www.fao.org/3/cb9013en/cb9013en.pdf, S. 25). Etwa 1,4 Milliarden Menschen seien von einer Nahrungsmittelknappheit betroffen (https://www.dw.com/de/tschad-ruft-ern%C3%A4hrungsnotstand-aus/a-62021957). Angesichts der weltweiten Krisen könnten Millionen Familien, die bislang ihren Kopf noch über Wasser halten, erdrückt werden (https://www.wfp.org/news/fao-and-wfp-warn-looming-widespread-food-crisis-hunger-threatens-stability-dozens-countries). Der Sudan bleibt ein Land mit besonders hohen Bedenken („very high concern“). Die Welthungerhilfe schreibt in ihrem aktuellen Bericht: „The economic crisis, the impact of the below-average 2021 harvest and the war in Ukraine raising already high food prices, are likely to result in a further deterioration of the food security situation. According to the Humanitarian Needs Overview 2022, 10.9 million people are expected to require food and livelihood assistance in 2022 – up from 8.2 million in 2021.“ (WFP, Hunger Hotspots – FAO-WFP early warnings on acute food insecurity, S. 36). Es gibt starke Versorgungsengpässe bzw. Preissteigerungen im Sudan, insbesondere hinsichtlich Getreide, Sonnenblumenöl sowie Erdöl und –gas (siehe FAO, Information Note, 2022, https://www.fao.org/3/cb9013en/cb9013en.pdf; sowie Spiegel Online, 16.3.2022; https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ukrainekrieg-kaum-mehr-getreideexporte-aus-russland-und-ukraine-a-8206fc83-3d30-4147-9932-6030da293aa3). Der Sudan steht in engem Kontakt zu Russland, enthielt sich bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung am 2. März 2022 zum Ukrainekrieg und ist in besonderem Maße von Importen aus Russland und der Ukraine abhängig (FAO, Information Note, 2022, https://www.fao.org/3/cb9013en/cb9013en.pdf, S. 10; siehe auch https://www.n-tv.de/politik/In-Afrika-hat-Putin-noch-Fans-article23181553.html). Das Horn von Afrika - vor allem Äthiopien, Kenia, Sudan und Somalia ist zudem erneut von einer schweren Trockenheit betroffen – nach einigen Berichten ist dies die schlimmste Trockenheit seit 40 Jahren (https://www.dw.com/de/tschad-ruft-ern%C3%A4hrungsnotstand-aus/a-62021957; vgl auch https://www.thenewhumanitarian.org/News/2022/31/05/A-country-by-country-guide-worsening-drought-in-the-Horn-of-Africa). Die humanitäre Krise hat sich vor dem nationalen und internationalen Hintergrund damit in den letzten Monaten weiter verschärft. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes im aktuellen Lagebericht rechnen die Vereinten Nationen ab dem dritten Quartal 2022 mit über 18 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen, das entspricht in etwa der Hälfte der Bevölkerung. Dies entspricht einer Verdopplung der Zahl an Hilfebedürftigen im Vergleich zum Vorjahr. Diese Prognose wurde jedoch vor Kriegsausbruch in der Ukraine erstellt, sodass von einer noch höheren Zahl ausgegangen werden muss. Die anhaltenden gewaltsamen Konflikte in Darfur und anderen Konfliktregionen tragen ebenfalls zur Destabilisierung und Vertreibung hunderttausender Personen bei, wodurch die humanitären Bedarfe weiter steigen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, Mai 2022, S. 4, 7, 21).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Nach Angaben des Sachverständigen gibt es kein gesetzlich verbindlich beziffertes Existenzminimum, sondern mit einer (aus Daten von 2014/2015) statistisch ermittelten Armutsgrenze und dem Mindestlohn für öffentlich Bedienstete nur Anhaltpunkte, aus denen sich ein Existenzminimum von ca. 300.000 SDG/600 EUR pro Jahr mitteln lässt. Angesichts des Preisniveaus wird dieser Betrag allerdings schon durch die Aufwendungen für Nahrungsmittel erreicht oder überschritten und genügt nicht, um weitergehende Bedarfe für Unterkunft, Hygiene und Mobilität zu decken. Ohne ein stützendes soziales Netzwerk, das diese Bedarfe deckt, ist daher von einem mindestens zwei- bis dreifachen Betrag als tatsächlichem Existenzminimum auszugehen. Auf dem Arbeitsmarkt besteht zwar eine signifikante Wahrscheinlichkeit, dass eine Beschäftigung gefunden wird, deren Dauer und ausreichende Bezahlung ist jedoch nicht abgesichert. Rückkehrer konkurrieren außerdem immer mit anderen jungen Männern, die bereits seit ihrer Kindheit in den prekären Bereichen gearbeitet haben. Das staatliche Sozialsystem ist unterfinanziert, knüpft an formale Kriterien an und ist unzuverlässig bzw. fehlerhaft. Zudem ist eine Vermögensakkumulation nahezu ausgeschlossen, sodass es zu komplexen Verschuldungsstrukturen kommt. Außergewöhnliche Kosten – wie z.B. eine Hochzeit oder die Notwendigkeit einer medizinischen Versorgung – sind existenzgefährdend. Einen Ausweg bietet häufig nur der Anschluss an religiöse Orden mit unzumutbaren Abhängigkeitsverhältnissen oder der Eintritt in eine paramilitärische Milizengruppe mit der Aussicht, unzumutbare kriminelle Handlungen begehen zu müssen (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 14 f., 36-49, 57 f.; vgl. BVerwG, Urteil vom 1.2.2007 – BVerwG 1 C 24.06 –, juris Rn. 11).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Gemessen an diesen tatsächlichen Umständen und angesichts der weiteren Verschlechterungen der Situation in der jüngeren Vergangenheit ist das Gericht der Auffassung, dass derzeit im Sudan so außergewöhnlich schlechte humanitäre Bedingungen vorliegen, dass ausnahmsweise auch ein erwachsener, alleinstehender, leistungsfähiger sudanesischer Mann ohne besondere individuell begünstigende Faktoren seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene nicht wird befriedigen können und daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. für Kläger ohne soziales Netzwerk auch VG Göttingen, Urteil vom 10.8.2021 – 3 A 486/17 –, juris; VG Stade, Urteil vom 25.5.2021 – 4 A 2640/17 –, juris; und wohl auch VG Lüneburg, Urteil vom 22.2.2021 – 6 A 7/20 –, juris und Urteil vom 10.6.2021 – 6 A 350/19 –, juris; a. A. aber wohl VG Braunschweig, Urteil vom 25.2.2021 – 3 A 261/20 – juris). Diese Einschätzung beruht – unter Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände – insbesondere auf der Tatsachendarstellung des Sachverständigen, aus der sich für diese Sachverhaltskonstellation eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK ergibt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>2. Demgegenüber können individuelle Faktoren wie besondere individuelle Fähigkeiten mit daraus resultierenden besseren Voraussetzungen für den sudanesischen Arbeitsmarkt oder ein schutz- und unterstützungsfähiges sowie -williges soziales Netzwerk nach Überzeugung des Gerichts im Regelfall eine Verletzung von Art. 3 EMRK verhindern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Ein erwachsener, alleinstehender, leistungsfähiger sudanesischer Mann mit besonderen individuellen Fähigkeiten kann bessere Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt mitbringen und damit gegebenenfalls das individuelle Existenzminimum aus eigener Kraft sichern. Ein höherer Bildungsstandard ist dabei nicht generell ein begünstigender Faktor, da auch die Männer mit höherer Bildung für gewöhnlich auf Erwerbsmöglichkeiten für Ungelernte angewiesen sind. Vielmehr zählen zu den stärkenden Faktoren eine handwerkliche Spezialisierung, Spezialberufe allgemeinen Interesses, technologische Erfahrungen, internationale Erfahrungen und Beziehungen, politische Beziehungen und ein Startkapital (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 52-56, 59; vgl. auch VG Cottbus, Urteil vom 1.7.2021 – VG 5 K 1431/20.A –, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom 15.6.2021 – 7 K 5760/17.WI.A –, juris, allerdings unter Verweis auf die gute Ausbildung der Kläger).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Einem erwachsenen, alleinstehenden, leistungsfähigen sudanesischen Mann mit einem schutz- und unterstützungsfähigen sowie -willigen sozialen Netzwerk wird im Regelfall keine Verletzung von Art. 3 EMRK drohen (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 1.7.2021 – VG 5 K 1431/20.A –, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom 15.6.2021 – 7 K 5760/17.WI.A –, juris; VG Leipzig, Urteil vom 27. und 28.4.2021 – 7 K 153/18.A). Familiäre und andere soziale Netzwerke sind der hauptsächliche Grund, warum ein Überleben in Khartoum/Omdurman überhaupt möglich ist. Eine sozial isolierte Person ist in der sudanesischen Gesellschaft eine Ausnahme, auf den weder das gesellschaftliche noch das staatliche Sozialsystem oder die zivile Infrastruktur im Allgemeinen ausgerichtet ist. In den meisten Fällen wird ein männliches Kind in ein weit gespanntes soziales Netz geboren, dass nicht nur Verwandte ersten und zweiten Grades umfasst, sondern auch entfernte Verwandte bis zur Großelterngeneration. Daneben kommen soziale Gruppen zustande, die auf ethnischen Bezugspunkten, gemeinsamer geografischer Herkunft, der religiösen Zugehörigkeit und anderen kooperativen Beziehungen (z.B. Freundschaft) beruhen. Für gewöhnlich ist eine dauerhafte Fremdversorgung nicht akzeptabel, sodass in diese Netzwerke eingebundene Personen mittelfristig einen anderen Kontext mit eigenen Verdienstchancen im In- oder Ausland zu suchen hätten (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 50-52, 59; siehe auch zur Bedeutung von sozialen Netzwerken in Afghanistan VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 – juris, insbesondere Rn. 52; VG Hannover, Urteil vom 9.7.2020 – 19 A 11909/17 –, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom 11.10.2018 – 7 K 1757/16.WI.A –, juris und das dazu in Auftrag gegebene Gutachten: Stahlmann, Gutachten zur Lage in Afghanistan vom 28.3.2018, abrufbar z.B. unter https://fluechtlingsrat-rlp.de/wp-content/uploads/2018/06/Gutachten-Afghanistan_Stahlmann_28.03.2018.pdf; insbesondere S. 204). Zu einer Existenzabsicherung führen diese sozialen Netzwerke im Sudan jedoch nur unter vier Voraussetzungen: 1. Das soziale Umfeld muss selbst wirtschaftlich stabil sein, ob über interne akkumulative Verteilungsstrukturen (Solidarität) oder über die Existenz finanzstarker Mitglieder, die ihre Ressourcen zur Verfügung stellen (Patronage). 2. Das aufgenommene Mitglied muss als Zugewinn betrachtet werden, entweder allein aus der Zugehörigkeit heraus („einer von uns“) oder mit konkreten Ressourcen („der bringt uns“). 3. Das soziale Netzwerk muss eigene Erwerbschancen eröffnen, zum Beispiel über privilegierten Zugang zu Teilen des Arbeitsmarkts (Vermittlung oder Nepotismus) oder durch Beteiligung an im Netzwerk vorhandenen wirtschaftlichen Tätigkeiten (Betriebe, Handel etc.). 4. Das aufgenommene Mitglied darf keine Ausschlussgründe mitbringen, z.B. Blutschuld, unehrenhaftes oder kriminelles Verhalten, unerwünschte politische Zugehörigkeit, als Aberration wahrgenommene sexuelle Orientierung usw. (Ille, Gutachten zu den allgemeinen Lebensbedingungen im Sudan, 31.10.2021, S. 51, 59).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>3. Gemessen an diesen Maßstäben droht dem Antragsteller nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Art. 3 EMRK. Nach dem gesamten Vorbringen des Antragstellers in den Verwaltungs- und den gerichtlichen Verfahren ist das Gericht der Überzeugung, dass der Antragsteller im Sudan in der Region Nordkordofan in ein schutz- und unterstützungsfähiges sowie -williges soziales Netzwerk eingebunden ist, dass ihn in der Vergangenheit unterstützt hat und bei einer Rückkehr wieder unterstützen würde. Insoweit hat der Antragsteller insbesondere in der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt berichtet, dass seine Eltern noch im Heimatdorf lebten. Er habe auch noch Kontakt zu seinem Vater, mit dem er als Automechaniker in einer kleinen Werkstatt gearbeitet habe. Der Vater lebe nun von der Landwirtschaft. Der Onkel habe in einem anderen Ort eine Werkstatt eröffnet. Im Sudan lebten außerdem noch zwei Schwester und die Großfamilie. Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nunmehr anführt, die Familie lebe mittlerweile in prekären Verhältnissen und sei auf Unterstützung angewiesen, hat er diese Veränderung der familiären Situation nicht weiter glaubhaft gemacht. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass der Antragsteller von seinen individuellen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt profitieren würde und sich dadurch im Sudan erneut eine Lebensgrundlage schaffen könnte. Gesundheitliche Probleme, die ihn an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hindern könnten, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE220032684&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,449
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{ "id": 842, "name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf", "slug": "vg-dusseldorf", "city": 413, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
20 K 393/22
2022-08-16T00:00:00
2022-09-07T10:01:21
2022-10-17T11:09:50
Urteil
ECLI:DE:VGD:2022:0816.20K393.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 18. Dezember 2021 wird aufgehoben.</strong></p> <p><strong>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.</strong></p> <p><strong>Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger betreibt ein Schnellrestaurant.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mitte März 2020 gerieten insbesondere kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie („harter Lockdown“) in wirtschaftliche Notlage. So musste auch der Kläger sein Restaurant zeitweilig schließen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Als Reaktion hierauf schuf der Bund das Programm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“, um betroffenen Unternehmen und Selbstständigen kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte hierzu unter anderem Eckpunkte vom 23. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/03/2020-03-23-pm-Soforthilfefond-download.pdf?__blob=publicationFile&v=3,</span></p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">und Kurzfakten vom 30. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/J-L/kurzfakten-corona-soforthilfen.pdf?__blob=publicationFile&v=12.</span></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beschloss, das Programm des Bundes in vollem Umfang an die vorgesehenen Zielgruppen weiterzuleiten und erweiterte das Bundesprogramm um die Empfängergruppen mit bis zu 50 Beschäftigten. Beide Maßnahmen wurden in der „NRW-Soforthilfe 2020“ gebündelt. Die federführende Verantwortung lag hierbei bei dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf dessen Internetpräsenz waren sog. FAQ in verschiedenen Fassungen unter dem Link <span style="text-decoration:underline">https://wirtschaft.nrw.de/nrw-soforthilfe-2020</span> abrufbar. Bezüglich des genauen Inhalts wird auf die vom Beklagten im Verfahren 20 K 7488/20 übersandten Anlagen B5 bis B19 verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger stellte seinen Antrag am 30. März 2020 und verwendete hierfür das online vom Beklagten bereitgestellte Formular „Antrag auf Gewährung einer Soforthilfe für von der Corona-Krise 03/2020 besonders geschädigte Unternehmen und Angehörige Freier Berufe einschließlich Soloselbstständige aus dem Soforthilfeprogramm des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Bundesprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmer und Soloselbstständige“ („NRW-Soforthilfe 2020“)“.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Antragsformular hieß es unter Ziffer 5.:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">„Die Soforthilfe wird als Billigkeitsleistung auf der Grundlage der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“) zur Überwindung der existenzbedrohenden Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses gewährt.“</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.1 versicherte der Kläger: „Falls nicht anders angegeben, sind die Kriterien auf den Zeitpunkt der Antragstellung zu beziehen. Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">-               mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen, Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.2 versicherte der Kläger:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">„Ich versichere, dass die in Nr. 1.1. benannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen und ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat.“</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.11 versicherte der Kläger:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">„Mir ist bekannt, dass ich den Zuschuss als Billigkeitsleistung erhalte und im Falle einer Überkompensation (Entschädigungs-, Versicherungsleistungen, andere Fördermaßnahmen) die erhaltene Soforthilfe zurückzahlen muss.“</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 30. März 2020 bewilligte die Bezirksregierung Düsseldorf dem Kläger auf seinen Antrag eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro. Der Betrag wurde kurze Zeit später in voller Höhe ausgezahlt. In dem Bescheid, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>1. Bewilligung</strong></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Auf Ihren o. g. Antrag bewillige ich gemäß § 53 LHO i. V. m. dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRWSoforthilfe 2020“ eine Soforthilfe i. H. v. 9.000,00 € (in Worten: neuntausend Euro) als einmalige Pauschale.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Diese wird überwiesen auf die von Ihnen angegebene Bankverbindung (XX). Bei der Soforthilfe handelt es sich um eine Kleinbeihilfe gemäß der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020").</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>2. Zweckbindung</strong></p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><strong>II. Nebenbestimmungen</strong></p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt:</p> <span class="absatzRechts">30</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">1. Dem Bescheid liegt eine Anzahl von 00 Beschäftigten (Vollzeitäquivalenten) zugrunde.</p> </li> <li><span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">2. Grundlage und Bestandteil des Bescheides ist Ihr Antrag vom 30.3.2020.</p> </li> <li><span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">3. Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel auf das Konto der Landeskasse XX unter Angabe des auf Seite 1 dieses Bescheides genannten Aktenzeichens zurückzuzahlen.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der zurück erstattete Betrag ist nicht steuerpflichtig.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Am 31. Mai 2020 wurden die „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ als Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (Az. VB 5 - 2020) – im Folgenden: Richtlinie – erlassen und traten laut Ziffer 9. mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandte der Beklagte an sämtliche Antragsteller Emails, in denen er auf die Notwendigkeit zur Durchführung eines Rückmeldeverfahrens, den hierfür bereitgestellten Vordruck sowie die hierbei nach seiner Auffassung geltenden Regelungen und Fristen hinwies.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Am 21. Oktober 2021 füllte der Kläger das vom Beklagten online bereitgestellte “Rückmelde-Formular ermittelter Liquiditätsengpass NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Der Kläger wählte hierin als Förderzeitraum die Zeit vom 1. März 2020 bis 31. Mai 2020. Nach Eingabe seiner vom Formular abgefragten Einnahmen und Ausgaben in diesem Berechnungszeitraum ergab sich, dass der Kläger im Monat März einen Liquiditätsengpass in Höhe von 00 Euro, im Monat April einen Liquiditätsengpass in Höhe von 00 Euro sowie im Monat Mai einen Einnahmenüberschuss in Höhe von 00 Euro (Zeile 24) und damit insgesamt einen Liquiditätsengpass von 0 Euro im Förderzeitraum (Zeile 25) hatte; zu seinen Gunsten wurde lediglich ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von 2.000,00 Euro angesetzt sei. Hieraus ergab sich ein Rückzahlungsbetrag in Höhe von 7.000,00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Unter dem 18. Dezember 2021 erließ die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber dem Kläger einen Schlussbescheid mit folgendem Tenor:</p> <span class="absatzRechts">39</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">1. Es wird ein Liquiditätsengpass in Höhe von 2.000 Euro festgestellt.</p> </li> <li><span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">2. Die Höhe der Soforthilfe wird auf 2.000 Euro festgesetzt.</p> </li> <li><span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">3. Der überzahlte Betrag in Höhe von 7.000 Euro ist bis zum 31. Oktober 2022 auf das Konto der Landeshauptkasse (Bezirksregierung Düsseldorf) IBAN XX unter Angabe des oben genannten Aktenzeichens zurückzuerstatten.</p> </li> <li><span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">4. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führte die Bezirksregierung aus, der Kläger habe am 21. Oktober 2022 einen tatsächlichen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.000,00 Euro gemeldet. Die Feststellung des Liquiditätsengpasses und die Festsetzung der Soforthilfe beruhten auf § 53 Landeshaushaltsordnung NRW (LHO) i.V.m. der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Sars-CoV-2 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020"), der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen über die „Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige" vom 1. April 2020 einschließlich der dazu erlassenen Vollzugshinweise sowie den „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ („NRW-Soforthilfe 2020“) vom 31. Mai 2020. Nach Ziffern 3.1, 3.2, 5.2 und 5.3 der Richtlinie sei die NRW-Soforthilfe 2020 antragsberechtigten Leistungsempfängern, die die Antragsvoraussetzungen erfüllt hätten, zunächst in voller Höhe gewährt worden. Die endgültige Festsetzung habe nach Meldung der Berechnung der Höhe des Liquiditätsengpasses zu erfolgen. Ergebe sich dabei, dass der vorläufig vollständig gezahlte Soforthilfebetrag nicht oder nur teilweise vom Liquiditätsengpass abgedeckt sei, werde die Soforthilfe nur in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt; anderenfalls sei die vorläufige Zahlung endgültig. Die Rückforderung des überzahlten Differenzbetrages beruhe auf § 49a Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) i.V.m. Ziffer 5.3 der Richtlinie und der Ziffer II. 3. des Bewilligungsbescheides. § 49a Abs. 1 VwVfG NRW werde entsprechend angewendet, wenn ein Verwaltungsakt, der eine Leistung zunächst nur vorläufig bewilligt habe, rückwirkend durch einen anderen Verwaltungsakt teilweise ersetzt werde, der die Leistung endgültig in geringerer Höhe festsetze.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 14. Januar 2022 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führt er aus, er habe zwar im Erfassungszeitraum per Saldo keinen Liquiditätsengpass im Sinne von Ziffer 5.3 der Richtlinie gehabt, weil er die Umsatzausfälle während des Lockdowns mit Umsätzen nach dem Lockdown habe ausgleichen können. Bei dem Schlussbescheid handele es sich jedoch um den teilweisen Widerruf des ursprünglichen Bewilligungsbescheids vom 30. März 2020, in dem die Soforthilfe auf 9.000,00 Euro festgesetzt worden sei. An der Qualifikation als Widerruf ändere sich insbesondere auch nichts dadurch, dass der angefochtene Bescheid als „Schlussbescheid“ bezeichnet werde. Dies suggeriere zwar, dass die Bewilligung der Soforthilfe zunächst nur vorläufig erfolgt sei und von vornherein klar gewesen sei, dass über die letztliche Berechtigung zur Soforthilfe erst später abschließend, eben in einem Schlussbescheid habe befunden werden sollen. Ein solcher genereller Vorläufigkeitscharakter ergebe sich aus dem Bewilligungsbescheid aber nicht. Wörter wie „vorläufig“, „Obergrenze“ oder „Höchstbetrag“ oder auch nur gleichbedeutende Wörter oder Formulierungen suche man im Text des Bewilligungsbescheides vergeblich. Ebenso wenig lasse sich der Ziffer II.3 des Bewilligungsbescheids ein genereller Vorläufigkeitsvorbehalt entnehmen. Im Gegenteil habe er davon ausgehen dürfen, dass er die Soforthilfe bei Einhaltung dieser Nebenbestimmungen sicher habe behalten dürfen. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 VwVfG NRW seien in Bezug auf den Bewilligungsbescheid nicht gegeben. Insbesondere sei der Widerruf nicht im Bewilligungsbescheid vorbehalten worden. Dort habe es in Ziffer II.3. gerade nur geheißen, dass er die Soforthilfe zurückzahlen müsse, wenn sich am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums herausstelle, dass die Soforthilfe höher sei als sein Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten und er die Mittel nicht vollständig zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz bzw. seines Liquiditätsengpasses benötigt habe. Die Soforthilfe von 9.000,00 Euro sei jedoch nicht höher als sein während des Lockdowns erlittener Umsatzausfall abzüglich eingesparter Kosten gewesen. Seine Umsätze von März bis Mai 2019 hätten 00 Euro betragen, die Umsätze von März bis Mai 2020 00 Euro, woraus sich ein Umsatzrückgang von 00 Euro ergebe. Dieser Umsatzausfall sei auch nicht durch ersparte Aufwendungen kompensiert worden. Ersparte Aufwendungen hätten das Betriebsergebnis erhöht, der sich aus Umsatz minus Kosten ergebe. Das Betriebsergebnis von März bis Mai 2019 habe 00 Euro betragen, das Betriebsergebnis von März bis Mai 2020 00 Euro, woraus sich ein Rückgang des Betriebsergebnisses von 00 Euro ergebe. Da die Voraussetzung des Umsatzausfalls in Ziffer II.3. des Bewilligungsbescheids durch ein „und“ mit der weiteren Voraussetzung für eine Rückforderung, dass er die Mittel nicht vollständig zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz bzw. seines Liquiditätsengpasses benötigt habe, verbunden gewesen sei, komme es nach dem Bewilligungsbescheid allein auf die Frage, ob und inwieweit er einen Liquiditätsengpass erlitten habe, schon gar nicht an. Hinzu komme, dass das Erfordernis, dass die Soforthilfe nicht höher sein dürfe als der Liquiditätsengpass in einem dreimonatigen Erfassungszeitraum, erst nach Beantragung der Soforthilfe und deren Bewilligung in Form der Richtlinie erstmals aufgestellt worden sei.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong>den Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 18. Dezember 2021 aufzuheben.</strong></p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt er vor, der vom Kläger im Rahmen der Rückmeldung angegebene tatsächliche Liquiditätsengpass betrage 2.000,00 Euro. Demensprechend sei ein Liquiditätsengpass in dieser Höhe festgestellt, die Soforthilfe in dieser Höhe festgesetzt und der überschießende Betrag in Höhe von 7.000,00 Euro zurückgefordert worden.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Für die im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Rechtsfragen sei von entscheidender Bedeutung, dass die NRW-Soforthilfe 2020 nicht nur eines von mehreren staatlichen Hilfsangeboten zur Abmilderung der beträchtlichen negativen ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie, sondern vielmehr die allererste, unbürokratische und unverzügliche Liquiditätshilfe – eben eine Soforthilfe – gewesen sei. Über die Internetpräsenz des ehemaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW habe sich jeder Betroffene im Vorfeld der Antragstellung umfassend über den Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 und die Antragsberechtigung informieren können. Hierdurch habe jedem Antragsteller unmissverständlich klar werden müssen, dass die NRW-Soforthilfe 2020 der Sicherstellung der Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben gedient habe und jeder Hilfeempfänger nach Ende des Bewilligungszeitraums verpflichtet gewesen sei, seinen tatsächlichen Liquiditätsengpass zu berechnen und zu viel erhaltene Mittel zurückzuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Bei der ursprünglichen Bewilligung habe es sich um die nur vorläufige positive Bescheidung des Antrages zur NRW-Soforthilfe 2020 gehandelt, die erst durch die Festsetzung der tatsächlichen Höhe der Antragsberechtigung aufgrund des später ermittelten Liquiditätsengpasses endgültig verbindlich beschieden worden sei. Begründung und Berechtigung für die vorläufige Bescheidung sei die Ungewissheit über die zu treffende endgültige Entscheidung, namentlich die konkrete Höhe der zu gewährenden Soforthilfe anhand des nachträglich zu ermittelnden, konkreten Liquiditätsengpasses im maßgeblichen Bewilligungszeitraum gewesen. Hiernach sei der Bewilligungsbescheid zwingend auf eine Ergänzung durch einen weiteren Verwaltungsakt angelegt gewesen, durch den die Zuwendung erst abschließend habe geregelt werden sollen. Dieser sei in Form des Schlussbescheids ergangen. Die Vorläufigkeit und Notwendigkeit eines Schlussbescheides hätten sich ohne weiteres aus den Ziffern 5.2 und 5.3 der Richtlinie sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides ergeben. Eindeutig ablesbar seien sie aber auch aus den Kurzfakten zum Bundesprogramm. Hintergrund sei, dass Nordrhein-Westfalen sich bei der Umsetzung des Bundesprogramms im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern dafür entschieden habe, zunächst den Förderhöchstbetrag als Pauschale auszuzahlen, um Verzögerungen bei der Auszahlung zu vermeiden. Dies habe ein Rückmeldeverfahren unabdingbar gemacht, in welchem der individuelle Liquiditätsengpass ermittelt und die tatsächliche Förderhöhe habe festgestellt werden müssen. Dabei komme es an dieser Stelle überhaupt noch nicht darauf an, ob sich die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe aus einem tatsächlich vorhandenen Liquiditätsengpass oder aus einem tatsächlich vorhandenen Umsatzausfall berechne. Denn jedenfalls habe jedem Empfänger durch die Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides offensichtlich klar sein müssen, dass aus den tatsächlichen Entwicklungen eine jedenfalls teilweise Rückzahlungspflicht entstehen könne, man die erhaltene Soforthilfe also nicht unbedingt, jedenfalls nicht unbedingt in voller Höhe werde behalten können. Mit dem Bewilligungsbescheid sei lediglich über die grundsätzliche Antragsberechtigung entschieden worden, jedoch noch nicht abschließend über die Höhe der Soforthilfe. Da der Bewilligungsbescheid eine vorläufige Regelung treffe und sich somit eine endgültige Regelung vorbehalten habe, habe die Bewilligungsbehörde diesen durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen können, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für den Schlussbescheid sei dementsprechend § 53 LHO i.V.m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ (Corona Soforthilfeprogramm des Bundes), der dazu ergangenen Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem beklagten Land über die Corona Soforthilfen und die erst nach Erlass der Bewilligungsbescheide am 31. Mai 2020 mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft getretene Richtlinie. Die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe und damit korrespondierend die Höhe einer Rückzahlungspflicht bestimme sich in Konkretisierung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides nach den Vorgaben der Richtlinie. Dem stehe insbesondere nicht der Erlass der Richtlinie am 31. Mai 2020 mit Wirkung zum 27. März 2020 entgegen. Denn die Richtlinie sei als ministerieller Runderlass eine bloße interne Verwaltungsvorschrift, die allein dazu gedient habe, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung zu gewährleisten. Als eben solche Verwaltungsvorschrift habe die Richtlinie für ihre Wirksamkeit grundsätzlich nicht einmal veröffentlicht werden müssen. Zudem habe sie der Ermessenslenkung bei Erlass der Schlussbescheide gedient, welche durchweg erst nach dem 31. Mai 2020 erlassen worden seien.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei formell rechtmäßig, insbesondere liege keine Verletzung der Anhörungspflicht gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor, da gem. § 28 Abs. 2 Nr. 4 Varianten 2 und 3 VwVfG NRW von einer Anhörung habe abgesehen werden dürfen. Die abschließend festzusetzende Soforthilfe habe sich rechnerisch aus den von den Antragstellern im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zu tätigenden Angaben ergeben. Solche Fälle seien zu Hunderten aufgetreten und die Entscheidungsfindung bei den Schlussbescheiden sei partiell automatisiert, d.h. softwaregesteuert, erfolgt. Die Antragsteller hätten entsprechend Ziffer 5.3 der Richtlinie die Rückmeldung digital vorlegen müssen. Sofern der vom Antragsteller hierbei angegebene Liquiditätsengpass niedriger als die erfolgte Auszahlung gewesen sei, sei durch das System automatisch ein entsprechender Schlussbescheid generiert worden. Ungeachtet dessen wäre selbst eine Verletzung der Anhörungspflicht im vorliegenden Fall nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, da dies die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Ihm habe in den Fällen, in denen der Liquiditätsengpass letztlich niedriger gewesen sei als die vorläufig gewährte Billigkeitsleistung, aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes keine Entscheidungsfreiheit zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Soforthilfe hätten nur in der im Schlussbescheid angegebenen Höhe vorgelegen. Nach Ziffer 5.3 der Richtlinie werde die NRW-Soforthilfe maximal in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt. Der Liquiditätsengpass ergebe sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im dreimonatigen Erfassungszeitraum. Der Erfassungszeitraum beginne grundsätzlich mit dem Tag der Antragstellung und entspreche dem Bewilligungszeitraum. Die Ermittlung und Prüfung des bei einem Antragsteller entstandenen Liquiditätsengpasses erfolge am Ende des Erfassungs- bzw. Bewilligungszeitraums. Die NRW-Soforthilfe 2020 diene nach Ziffer 1.1 der Richtlinie der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz von Unternehmen und damit ausschließlich zur Deckung der laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen des Unternehmens. Hierauf weise auch Ziffer 2. des Bewilligungsbescheides noch einmal hin. Dies ergebe auch eine Gesamtschau der beschlossenen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen –  Kurzarbeitergeld und Erleichterung der Prüfungsvoraussetzung für die Gewährung von ALG II. In Abgrenzung zur NRW-Soforthilfe 2020 solle etwa das Gehalt von Mitarbeitern durch das Kurzarbeitergeld gewährt und für den persönlichen Lebensunterhalt ALG II beantragt werden. Private finanzielle Schwierigkeiten würden demnach allein aufgefangen durch Sozialleistungen nach dem SGB. Dieser Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 ergebe sich bereits aus der Formulierung im Antragsformular unter Ziffer 6.1, vierter Spiegelstrich: „Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder (...) - die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z. B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“ Dieser Sinn und Zweck der Soforthilfe ergebe sich auch eindeutig aus den FAQ sowie den Eckpunkten und Kurzfakten zum Bundesprogramm. Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 sei also entgegen der Ansicht des Klägers weder, sämtliche Umsatz- und Einnahmeverluste der Unternehmen auszugleichen, noch die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Unternehmen zu verhindern und erst recht nicht, private Existenzen zu sichern.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Ermessen habe der Bezirksregierung Düsseldorf beim Erlass des Schlussbescheides aufgrund der Bindungswirkung der Richtlinie nicht zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Der Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides stehe schließlich kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegen. Es liege vielmehr gerade im Wesen der Vorläufigkeit, dass ein Vertrauen auf die Endgültigkeit der Regelung nicht entstehen könne. Gegen einen bestehenden Vertrauensschutz des Klägers spreche zudem, dass ihm in Ansehung der Ziffer 5.3 der Richtlinie der Soforthilfe NRW sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides habe bewusst sein müssen, dass er die NRW-Soforthilfe nur insofern werde behalten dürfen, als dass seine tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb die tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im Bewilligungszeitraum überstiegen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Das Verfahren 20 K 7488/20 ist beigezogen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">A. Die bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 18. Dezember 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">I. Der Schlussbescheid vom 18. Dezember 2021 ist rechtswidrig.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">1. Die in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides ausgesprochene Rückforderung eines Betrages von 7.000,00 Euro kann nicht auf § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gestützt werden. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">a. Eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 30. März 2020 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG NRW ist ersichtlich nicht gegeben. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Bewilligungsbescheid jedoch auch nicht durch den Erlass des angefochtenen Schlussbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise widerrufen. Die – hier allein in Betracht kommenden – Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG NRW sind nicht erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">aa. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Erlass des Schlussbescheides nicht damit begründet, der Kläger habe die erhaltene Leistung (teilweise) nicht für den in dem Bewilligungsbescheid bestimmten Zweck verwendet (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Schlussbescheid verhält sich vielmehr zu der Frage, in welcher Höhe bei dem Kläger ein Liquiditätsengpass auf der Grundlage seiner Angaben festzustellen sei. Über die Interpretation des Begriffs des Liquiditätsengpasses streiten die Beteiligten. Der Vorwurf einer nicht zweckgerechten Verwendung der erhaltenen Zuwendung ist den Regelungen des Schlussbescheides allerdings nicht zu entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">bb. Mit dem Bewilligungsbescheid ist auch keine Auflage im Sinne von § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG NRW verbunden, die der Begünstigte nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Eine Auflage ist eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW). Zwar zielt die Nebenbestimmung II.3. auf eine Handlungsverpflichtung des Zuwendungsempfängers ab. Mit ihr wird dem Adressaten des Bescheides – hier dem Kläger – eine Prüfungspflicht auferlegt: Sollte er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, „dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen“. Der Schlussbescheid enthält aber nicht den Vorwurf, der Kläger sei dieser aus dem Bewilligungsbescheid resultierenden Pflicht nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen. Vielmehr geht die Behörde davon aus, dass der Kläger Angaben zur Höhe des Liquiditätsengpasses gemacht hat, auf Grund derer sie sich zur Teilrückforderung des gewährten Betrages berechtigt sieht. Da die Voraussetzungen für einen Widerruf mithin insoweit nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob es sich bei der in Ziffer II.3. getroffenen Regelung um eine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW in Abgrenzung zu einer Bedingung oder einer Inhaltsbestimmung handelt.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">b. Schließlich folgt eine Erstattungspflicht des Klägers auch nicht daraus, dass der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist (§ 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW). Eine solche Bedingung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW, nach der der Wegfall einer Vergünstigung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt, enthält der Bewilligungsbescheid nicht.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Unter den Begriff des Ereignisses fallen von der Außenwelt wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse, nicht hingegen nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörende Vorstellungen. Als Ereignis kommt lediglich ein rein tatsächlicher Vorgang in Betracht, der sinnlich wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich ist, ohne dass es für seine Bejahung noch einer rechtlichen Wertung bedürfte. Darauf, ob die rechtliche Wertung einfach oder schwierig ist, kommt es nicht an. Da das künftige ungewisse Ereignis kraft Gesetzes ohne weiteren Zwischenschritt einen Rechtsverlust oder einen Rechtsgewinn herbeiführt, muss sein Eintritt auch aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Beteiligten – für den Adressaten des Bescheids, für die Behörde und ggf. für Dritte – gleichermaßen ohne Weiteres erfassbar sein,</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17, juris; BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 ‒ 10 C 15.14 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2018 ‒ 4 A 1781/15 ‒, juris.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Bei der Nebenbestimmung II.3. handelt es sich nicht um eine Bedingung in diesem Sinne. In ihr wird kein zur automatischen Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides führendes Ereignis benannt. Die vom Zuwendungsempfänger am Ende des Bewilligungszeitraumes zu treffende Beurteilung, ob die Finanzhilfe höher ist als der Umsatzausfall, lässt sich nur durch eine Berechnung anhand betriebswirtschaftlicher Auswertungen durchführen; sie mag aus Sicht der Bewilligungsbehörde korrekt oder aber fehlerhaft durchgeführt worden sein. Jedenfalls bedarf es einer Bewertung, die einen Automatismus zwischen dem Eintritt eines künftigen Ereignisses und der Unwirksamkeit des Zuwendungsbescheides im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW ausschließt.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">2. Als Ermächtigungsgrundlage für das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung Düsseldorf kommt § 49a Abs. 1 VwVfG NRW in entsprechender Anwendung in Betracht. Die Vorschrift ist analog anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsleistung zunächst nur vorläufig bewilligt hat, rückwirkend durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt wird, der die Leistung endgültig in geringerer Höhe festsetzt. Der Empfänger muss eine hiernach zu viel erhaltene Leistung erstatten,</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; VGH Kassel, Urteil vom 13. Mai 2014 – 9 A 2289/12 –, BeckRS 2014, 53405; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 49 Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW analog liegen indes nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Selbst unterstellt, die Bezirksregierung Düsseldorf hätte die zu erstattende Forderung endgültig in Form eines Schlussbescheides festsetzen können, da sie mit Bescheid vom 30. März 2020 die Zuwendung lediglich vorläufig bewilligt hätte, hätte sie bei Erlass des Schlussbescheides dennoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Soforthilfe nur noch 2.000,00 Euro beträgt. Denn die Festsetzungen in Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sind rechtswidrig. Daraus folgt auch die Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderung in Ziffer 3.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">a. Zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf kann unterstellt werden, dass das Subventionsverhältnis in der Weise geregelt war, dass zunächst vorläufig durch Bescheid vom 30. März 2020 eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro bewilligt und ausgezahlt wurde, deren endgültige genaue Höhe von der ungewissen Entwicklung des Unternehmens des Antragstellers während des dreimonatigen Bewilligungszeitraums abhing. Der Bewilligungsbescheid wäre in diesem Fall darauf angelegt gewesen, die Höhe der Zuwendung nicht definitiv zu regeln, sondern diese zunächst vorläufig zu gewähren und abschließend erst später festzusetzen. Dies wäre durch Erlass des sog. Schlussbescheides geschehen. Damit hätte sich die Bezirksregierung Düsseldorf der Handlungsform des sog. vorläufigen Verwaltungsaktes bedient, die für den Sachbereich des Subventionsrechts durch die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung anerkannt ist,</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Eine Billigkeitsleistung kann unter dem Vorbehalt einer späteren definitiven Entscheidung bewilligt werden, wenn und soweit eine bestehende Ungewissheit hierfür einen sachlichen Grund gibt. Der Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung bewirkt, dass die Behörde die einstweilige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein,</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die vorläufige Regelung verliert mit dem Erlass der endgültigen Festsetzung ihre Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG NRW),</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Das Bestehen einer Ungewissheit rechtfertigt die Existenz des vorläufigen Verwaltungsaktes sowie den damit einhergehenden Widerspruch zwischen der dem Verwaltungsakt immanenten Bestandskraft und dem mit der Vorläufigkeit verbundenen flexiblen Element. In einer solchen Konstellation stellt der vorläufige Verwaltungsakt einen angemessenen Ausgleich zwischen den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Verwaltungsverfahren und dem Gebot der Effektivität des Verwaltungshandelns dar, indem trotz verbleibender Unsicherheiten bereits zu einem frühen Zeitpunkt zugunsten des Bürgers entschieden werden kann,</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">vgl. Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 27 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Vorläufigkeit muss sich dabei nicht auf den gesamten Bescheid beziehen, sondern kann und muss gegebenenfalls auf einzelne Aspekte beschränkt werden. Auch wenn die Behörde einen unter Vorbehalt gestellten Verwaltungsakt später durch einen abschließenden Bescheid ersetzt, so kommt doch eine inhaltlich abweichende Regelung im Schlussbescheid – außer in den Fällen der §§ 48, 49 VwVfG NRW – nur in Betracht, wenn sie aus den Gründen ergeht, wegen derer die frühere Regelung unter Vorbehalt gestellt wurde. Welche Elemente eines Zuwendungsbescheides vorläufig sind und welche Inhalte bereits eine gesicherte Rechtsposition vermitteln, ist durch – am Empfängerhorizont orientierte – Auslegung zu ermitteln. Jenen – nicht mit Vorbehalt versehenen – Teil des Zuwendungsbescheides kann die Behörde nur unter Beachtung der §§ 48, 49 VwVfG NRW aufheben,</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2017 – 4 A 2078/15 –, juris; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 35 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Neben einer die Vorläufigkeit der Regelung rechtfertigenden Unsicherheit ist Voraussetzung für einen Vorbehalt, dass die Vorläufigkeit und ihr Umfang im Verwaltungsakt selbst zum Ausdruck kommen,</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 248; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann hinsichtlich der Festsetzung der genauen Höhe der Soforthilfe zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf unterstellt werden. Diesbezüglich kann angenommen werden, es habe bei Erlass des Bewilligungsbescheides eine Ungewissheit, die den Erlass einer lediglich vorläufigen Regelung rechtfertigte, bestanden. Demgegenüber wurden zu anderen Fragen ersichtlich bereits abschließende Regelungen getroffen.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 kann bei verständiger Würdigung so ausgelegt werden, dass er dem Kläger hinsichtlich der Zuwendung dem Grunde nach eine gesicherte Rechtsposition vermitteln wollte. Dies folgt aus den Formulierungen in Ziffern 2. und 3. des Bescheides ebenso wie aus den Umständen des Antragsverfahrens. Grundsätzlich berechtigt, eine Zuwendung zu erhalten, waren jene Antragsteller, deren wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Pandemie bereits wesentlich beeinträchtigt war. Unter Ziffer 6.1 des Antragsformulars mussten die Antragsteller versichern, dass ihre „wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt“ war, da entweder</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Die grundsätzliche Antragsberechtigung setzte damit – für jeden Antragsteller erkennbar –diesen zum Zeitpunkt der Bewilligung bereits sicher feststellbaren Umstand voraus. Hieran knüpfen die Regelungen in Ziffern 2. und 3. des Bewilligungsbescheides an, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf darauf abgestellt hat, dass die Soforthilfe der Milderung bzw. Kompensation der „unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe“ (Ziffer 3.), „der finanziellen Notlagen“ bzw. „der Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind“ (Ziffer 2.), dient. Da diese Voraussetzungen im Falle des Klägers im Grundsatz erfüllt waren, erhielt er durch den Bescheid vom 30. März 2020 die Soforthilfe dem Grunde nach vorbehaltlos.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Weitere Gesichtspunkte unterlagen ebenfalls keinem Vorbehalt, wie etwa die Anzahl der im Unternehmen Beschäftigten (Nebenbestimmung II.1.) oder gewisse in den Nebenbestimmungen II.4. bis 8. geregelte Modalitäten.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber kann der Bescheid hinsichtlich der Höhe der Soforthilfe und damit des Behaltendürfens des Gesamtbetrages so verstanden werden, dass er unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung stand. Dieser Vorbehalt betrifft die Regelung unter Ziffer 1., mit der die Bewilligung eines Betrages von 9.000,00 Euro ausgesprochen wurde. Dass sich weder in Ziffer 1. noch an anderer Stelle des Bescheides die Worte „Vorbehalt“, „vorläufig“ oder dergleichen finden, steht der Annahme einer vorläufigen Regelung nicht zwingend entgegen. Denn die Formulierung der in Ziffer 1. getroffenen Regelung, die Umstände des Antragsverfahrens sowie der Zusammenhang mit dem Inhalt der Nebenbestimmung II.3. ermöglichen auch ohne explizite Wortwahl eine Deutung, wonach der Zuwendungsbetrag unter dem Vorbehalt einer späteren Entscheidung gewährt wurde. Die Nebenbestimmung II.3. enthielt folgende Regelung: „Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen.“ Damit wurde die endgültige Höhe der unter Ziffer 1. bewilligten Soforthilfe von einer zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses unbekannten Größe, die erst am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststand, abhängig gemacht. Die Vorläufigkeit der Regelung bezüglich der Höhe der Soforthilfe kam auch in Ziffer 1. ansatzweise zum Ausdruck. Dort hieß es, dass eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro als „einmalige Pauschale“ gewährt werde. Im Gesamtkontext konnte diese Formulierung zumindest auch so verstanden werden, dass zunächst ein Betrag in toto gezahlt wurde, dessen endgültige, genaue Höhe zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden musste. Denn in Ziffer 1. wurde klargestellt, dass die Bewilligung aufgrund des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erfolge. In den vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hierzu online veröffentlichten Kurzfakten vom 30. März 2020 ging aus der Antwort zu der Frage, „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine „Überkompensation“ vorlag?“, hervor, dass es bei der Antragstellung auf einen „voraussichtlichen Liquiditätsengpass“ ankam, welcher später mit den tatsächlichen Zahlen des Unternehmens abzugleichen sei. Zudem enthielt auch die Nebenbestimmung in Ziffer II.3. des Bewilligungsbescheides den Hinweis auf das am Ende des Bewilligungszeitraums durchzuführende Rückmeldeverfahren, welches eine Rückzahlungspflicht zur Folge haben könne.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf selbst von einer vorläufigen Bewilligung der Finanzhilfe ausging, hat schließlich in der Begründung des Rückforderungsverlangens in Ziffer II.3. der Gründe des Schlussbescheides ihren Ausdruck gefunden. Dort hat sich die Behörde auf eine entsprechende Anwendung von § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur vorläufigen Bewilligung einer Leistung berufen sowie darauf hingewiesen, dass die Leistung wegen des zunächst noch unbekannten Liquiditätsengpasses zunächst nur vorläufig bewilligt worden sei und der Schlussbescheid den vorläufigen Bescheid „hinsichtlich der Höhe des Soforthilfe-Betrages“ ersetze.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Kann somit einerseits bezüglich der Höhe der Zuwendung unterstellt werden, diese sei unter Vorbehalt gestellt worden, so hat die Bezirksregierung Düsseldorf aber andererseits mit der Ausgestaltung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides zu erkennen gegeben, welche Parameter sie einer späteren Berechnung des Förderbetrages zugrunde legen wollte. Diese Vorgaben „Finanzhilfe höher […] als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten“, „Mittel nicht vollständig zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“ schränken, ebenso wie die in Ziffer 2. bezeichnete Zweckbindung, ihrerseits die Vorläufigkeit des Bescheides wieder ein, indem die endgültige Regelung sich an diesen zu orientieren hat. Unabhängig davon, wie diese zu verstehen sind, hat die Behörde mit ihnen bereits Berechnungsgrößen für die endgültige Höhe der Soforthilfe bzw. für das Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung aufgestellt. An diesen selbst geschaffenen Vorgaben muss sie – und damit das beklagte Land – sich festhalten lassen; etwaige Fehler gehen zu ihren Lasten, weil die Behörde es zu jenem Zeitpunkt in der Hand gehabt hat, eine andere Regelung zu treffen, wie dies offenbar in anderen Bundesländern geschehen ist. Nach welchen Parametern man die endgültige Berechnung des Förderbetrages später durchführen wollte, hing auch nicht von einem zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides noch unbekannten und daher eine vorläufige Regelung rechtfertigendem Umstand ab, sondern war allein Gegenstand einer politischen Entscheidung, die zu diesem Zeitpunkt schon getroffen werden konnte und mit der Formulierung des Bewilligungsbescheides auch bereits getroffen wurde.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">b. Die Entscheidung der Bezirksregierung Düsseldorf, im Schlussbescheid einen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.000,00 Euro festzustellen (Ziffer 1.), die Soforthilfe in dieser Höhe festzusetzen (Ziffer 2.) und ihre Bewertung, dass „die Voraussetzungen für die […] Höhe […] der Billigkeitsleitung nicht mehr vorliegen oder eine Überkompensation eingetreten“ und diese Überkompensation von 7.000,00 Euro zurückzuzahlen ist (so ausdrücklich die Gründe des angegriffenen Schlussbescheides, S. 3 Ziffer II.3.), erweist sich selbst bei der vorgenannten Annahme der teilweisen Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides als rechtsfehlerhaft. Denn sie beruht auf einem Verständnis von den Begriffen des Liquiditätsengpasses bzw. der Überkompensation, die im insoweit maßgeblichen und endgültige Vorgaben treffenden Bewilligungsbescheid keine Grundlage finden. Aus diesem Grunde konnte der Schlussbescheid den Bewilligungsbescheid insoweit nicht rechtmäßigerweise ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">aa. Die bereits endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages sind für die Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides maßgeblich.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Die Zuwendung wurde dem Kläger nicht auf Grund eines Gesetzes oder anderer Rechtsnormen gewährt, aus denen sich eine unmittelbare Bindung für den Beklagten und unmittelbare Rechtsansprüche für den Kläger ergäben. Vielmehr wurde der Bewilligungsbescheid nach Maßgabe des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erlassen (vgl. insoweit auch den Kopf sowohl des Bewilligungs- als auch des Schlussbescheides). Bei diesen – wie auch bei der später erlassenen Richtlinie vom 31. Mai 2020 – handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, die grundsätzlich nur dazu bestimmt sind, für die Verteilung von Billigkeitsleistungen Maßstäbe zu setzen und das Ermessen der für die Verteilung der jeweiligen Leistungen bestimmten Stellen zu lenken. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung begründen Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetzes- und Rechtsvorschriften bereits durch ihr Vorhandensein subjektive Rechte. Sie unterliegen daher auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen,</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19/94 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2014 – 8 LA 144/13 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Allerdings vermögen Verwaltungsvorschriften über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG) sowie dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 1 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis zum Bürger zu eröffnen. Jeder Anspruchsteller hat dann einen Anspruch darauf, entsprechend den aufgestellten Richtlinien behandelt zu werden. Entscheidend ist, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) gebunden sind,</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Wenn sich die Behörde an ihre Verwaltungsvorschriften hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht sie hingegen generell von den Verwaltungsvorschriften ab, so verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung; ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt,</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18/11 –, juris; vgl. zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung aus dem Zuwendungsrecht auf Billigkeitsleistungen: VG Würzburg, Urteil vom 3. August 2020 – W 8 K 20.743 –, juris; VG München, Beschluss vom 25. Juni 2020 – M 31 K 20.2261 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Nach ihrer Entscheidung, mithin nach Erlass des Zuwendungsbescheides, kann die Bewilligungsbehörde die darin verwandten Begrifflichkeiten nicht mehr frei auslegen. Der Bescheid hat insoweit Fakten geschaffen, über die sie sich nicht mehr nach Ermessen hinwegsetzen kann. Der Zuwendungsempfänger muss sich auf die im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können,</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2018 – 4 A 182/16 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. Juni 2016 – 4 A 1983/13 –, juris; vorgehend erkennende Kammer, Urteil vom 17. Juli 2013 – 20 K 7520/12 – juris.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Die im Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis ist demnach maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des ihn (teilweise) ersetzenden Schlussbescheides vom 18. Dezember 2021. Das bedeutet zugleich, dass nach seinem Erlass in Kraft getretene Regelwerke oder spätere Informationen, die von jenen bis zum Erlasszeitpunkt abweichen, nicht zu berücksichtigen sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Bescheid die oben beschriebenen vorläufigen Elemente enthält. Die Vorläufigkeit bezieht sich, wie dargelegt, auf die Höhe der Zuwendung, die im jeweiligen Einzelfall erst zu einem späteren Zeitpunkt endgültig berechnet werden sollte. Welche Maßgaben für diese Berechnung gelten sollten, war jedoch Bestandteil der Verwaltungspraxis im Antragsverfahren und bei Erlass der Bewilligungsbescheide und fand Eingang in die in sämtlichen Bescheiden verwendeten Formulierungen in Ziffern 2. und 3. sowie II.3. Deren Verständnis – ausgerichtet am objektiven Empfängerhorizont – ist mithin ausschlaggebend für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Schlussbescheides. Nur hinsichtlich der aufgrund dieser Berechnungsmodalitäten zu ermittelnden Höhe – nicht bezüglich der Parameter selbst – stand der Ausgangsbescheid unter dem Vorbehalt der Ersetzung durch den Schlussbescheid. Den nicht unter Vorbehalt gestellten Teil des Bewilligungsbescheides kann die Behörde nur unter den Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG NRW aufheben, weil er mit seiner Bekanntgabe Bindungswirkung entfaltet hat.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Das vom Beklagten herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 1997,</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">– 3 C 6/95 –, juris,</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">rechtfertigt keine abweichende Sichtweise. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich von dem hier streitgegenständlichen insbesondere dadurch, dass der Zuwendungsbescheid erst nach Inkrafttreten der geänderten Richtlinie erlassen wurde. Die Frage, ob der dortige Kläger, der jahrelang Zuschüsse nach Maßgabe der vorherigen Richtlinie erhalten hatte, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen konnte, stellt sich hier nicht. Denn der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 wurde auf der Grundlage einer bestimmten Verwaltungspraxis erlassen, die die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber allen Leistungsempfängern gleichermaßen ausgeübt hatte. Von dieser Verwaltungspraxis hätte eine Richtlinie nur bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des vertrauensbildenden Bewilligungsbescheides abweichen können und damit ihrerseits eine (neue oder veränderte) Verwaltungshandhabung begründen können.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">bb. Legt man die danach maßgeblichen endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages nach dem objektiven Empfängerhorizont aus, sind die Festsetzungen zum Liquiditätsengpass und zur Höhe der Soforthilfe in den Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sowie die Begründung hierzu gemessen an diesen Vorgaben materiell rechtswidrig. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Liquiditätsengpass von 2.000,00 Euro vorliegt und die Soforthilfe nur noch 2.000,00 Euro beträgt.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">(1) Im Hinblick auf die materielle Rechtswidrigkeit dieser Regelungen kann die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides, insbesondere die Erforderlichkeit einer Anhörung gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, dahinstehen.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">(2) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides richtete die Bezirksregierung Düsseldorf – wie dargelegt – ihre Verwaltungspraxis an dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Die Richtlinien des Landes NRW „zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind (NRW-Soforthilfe 2020)“ vom 31. Mai 2020 waren noch nicht in der Welt. Gleiches gilt für die vom Beklagten unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandten Emails an sämtliche Antragsteller. Im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Zuwendungsbescheides stellte das beklagte Land (und ebenso der Bund) den Antragstellern – auch dem Kläger – eine Vielzahl von online abrufbaren Hinweisen, insbesondere die sog. FAQ, bereit. Diese spiegeln die Verwaltungspraxis des Beklagten bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf als Bewilligungsbehörde des Landes wider. Diese Verwaltungspraxis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Versicherte ein Anspruchsteller, dass seine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt war, erhielt er eine (vorläufige) Pauschale in einer Höhe, die von der Anzahl der bei ihm Beschäftigten abhing; hatte er – wie der Kläger – bis einschließlich fünf Beschäftigte, erhielt er 9.000,00 Euro. Wie das Land die „wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Tätigkeit“ definierte, ließ sich an den oben wiedergegebenen Voraussetzungen im Antragsformular (dortige Ziffer 6.1) ablesen. Antragsteller, die – wie der Kläger – erklärten, diese Voraussetzungen zu erfüllen, erhielten (bei Vorliegen der weiteren Erfordernisse) einen Zuwendungsbescheid. In diesem wurde ebenfalls auf das Bestehen einer finanziellen Notlage, die Überbrückung von Liquiditätsengpässen bzw. die Kompensation der wirtschaftlichen Engpässe abgestellt, ohne diese genau zu umschreiben. Namentlich in Ziffer 2. wurde die Zweckbindung der Soforthilfe so beschrieben, dass sie „zur Milderung der finanziellen Notlage“ „als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung“ erfolge und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“ diene. Der Nebenbestimmung II.3. konnten die Anspruchsteller einen Anhaltspunkt dafür entnehmen, nach welchen Maßgaben die mit dieser Zweckbindung erhaltene Soforthilfe zurückzuzahlen sei. Diese stellte zwei kumulative („und“) Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums auf:</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">-       Die Finanzhilfe war höher als der Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">-       Die Mittel wurden nicht (vollständig) zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich des Liquiditätsengpasses benötigt.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Düsseldorf hat ihre Vergabepraxis auch auf das Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ gestützt. Potentiellen Anspruchsberechtigten standen hierzu sog. Kurzfakten zur Verfügung, in denen es u.a. heißt (Stand 30. März 2020): S. 1 Ziffer 2: „Die Soforthilfe dient der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Unternehmen und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen.“ Ziffer 7: „Eine Kumulierung mit anderen Hilfen […] ist grundsätzlich möglich. Eine Überkompensation ist aber zurückzuzahlen.“ S. 2: „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine Überkompensation vorliegt? […] Der Antragsteller legt bei der Angabe, in welcher Höhe er die Billigkeitsleitung beantragt, seinen voraussichtlichen Liquiditätsengpass zugrunde. Dieser wird auf der Basis seines voraussichtlichen Umsatzes sowie des betrieblichen Sach- und Finanzaufwands für die drei auf die Antragstellung folgenden Monate ermittelt. Sofern die Soforthilfe wie beantragt bewilligt wird und später festgestellt wird, dass der Sach- und Finanzaufwand des Unternehmens oder die tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war, ist das Unternehmen zu einer Rückzahlung des überzahlten Betrags verpflichtet. Auch durch die Kombination von mehreren Hilfsprogrammen kann es zu einer Überkompensation kommen.“</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">An mehreren Stellen werden die Formulierungen „wirtschaftliche Existenz“ sowie „Liquiditätsengpass“ gebraucht (auch auf S. 1 Ziffer 3 und S. 2), ohne dass diese definiert würden. Bei der Beantwortung der Frage, wie geprüft werde, ob eine „Überkompensation“ vorliege, wird explizit eine Umsatzeinbuße zur Voraussetzung für eine Rückerstattungsspflicht gemacht.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land hat dieses Bundesprogramm erweitert und das Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ ins Leben gerufen. Hierzu stellte es Antragstellern auf der Internetpräsenz des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW Hinweise und FAQ zur Verfügung.</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 1 vom 25. März 2020 hieß es für die Anspruchsvoraussetzungen zu der Frage, „Was wird gefördert?“: „Die Unternehmen sollen bei der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und Überbrückung von akuten Finanzierungsengpässen, u.a. für laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten u.ä. sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen durch einen Zuschuss unterstützt werden. […] Voraussetzung: erhebliche Finanzierungsengpässe und wirtschaftliche Schwierigkeiten in Folge von Corona. Dies wird angenommen wenn,</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt [….] oder</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">-               der Betrieb auf behördliche Anordnung wegen der Corona-Krise geschlossen wurde oder</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 2 vom 26. März 2020 wurden die Voraussetzungen um eine vierte Möglichkeit zum Auftragseinbruch ergänzt und wie folgt umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen sind […] oder</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt. [….] oder</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">-               der Umsatz durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (= Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020) wurden die Voraussetzungen dann im Wesentlichen unverändert final umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist […] oder</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (für einen noch im März oder April gestellten Antrag werden die Umsätze im März 2020 gegenüber dem Monat März 2019 zugrunde gelegt). Kann der Vorjahresmonat nicht herangezogen werden (z.B. bei Gründungen), gilt der Vormonat. oder</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">-               die Möglichkeiten den Umsatz zu erzielen durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Diese Spiegelstrich-Voraussetzungen mündeten fast wortgleich in das Antragsformular, das die Antragsteller – so auch der Kläger – online einreichen mussten. Von einem Liquiditätsengpass ist an keiner Stelle die Rede, geschweige denn, dass er definiert würde. Vielmehr wird durchgängig der Begriff „Finanzierungsengpass“ verwendet. Dieser war – gemessen an den zum Antragszeitpunkt feststehenden Zahlen eines Antragstellers – Bedingung für das Entstehen eines Anspruchs. Zwar entspricht der vierte Spiegelstrich der Anspruchsvoraussetzungen „die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen“ im Wesentlichen der späteren Definition des Liquiditätsengpasses in Ziffer 5.3 Abs. 2 der Richtlinie. In den FAQ war dieser Spiegelstrich jedoch lediglich als eine von vier alternativen Möglichkeiten („oder“) vorgesehen, um die Anspruchsberechtigung zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Zu den Fragen „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?“ und „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?“ und „Wie ist eine Überkompensation definiert?“ wurden folgende Antworten gegeben:</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">-       „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller versichert im Formular, dass er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und wahrheitsgetreu gemacht hat. Falsche Angaben, die zu einer unberechtigten Inanspruchnahme der Leistung führen, sind Subventionsbetrug. Die Leistung muss dann nicht nur zurückgeführt werden, es kann dann zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen. […] Der Zuschuss wird als sogenannte Billigkeitsleistung ausgezahlt. Auch im Falle einer Überkompensation (z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen) muss die erhaltene Soforthilfe zurückgezahlt werden. Stellt sich am Ende der Bezugszeit von drei Monaten heraus, dass der Antragsteller mehr erhalten hat, als sein Schaden war, ist er gehalten, das überschüssige Geld zurückzuzahlen. Hierauf wird noch einmal separat im Bescheid hingewiesen.“</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">-       „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Ja. Die Zuschüsse sind nach Mitarbeiterzahl gestaffelt. Innerhalb der entsprechenden Staffelung erhalten Sie den vollen Betrag. Bis zu 5 Mitarbeiter 9.000 Euro, bei bis zu 10 Mitarbeitern 15.000 Euro und bei bis zu 50 Mitarbeitern 25.000 Euro. Bei Überkompensation sind die Beträge zurückzuzahlen (s.o.). Entsprechende Hinweise und die Kontonummer für die Rückzahlung zuviel erhaltener Soforthilfen enthält der Bewilligungsbescheid.“</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">-       „Wie ist eine Überkompensation definiert?“</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">In der Fassung 2 (vom 26. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als erforderlich wären, um den Finanzierungsengpass zu beseitigen.“</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Ab der Fassung 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als sein tatsächlich eingetretener Schaden – also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) ist. Eine Überkompensation ist nach der dreimonatigen Förderphase zurückzuerstatten.“</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">In Abgrenzung zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen, die einen Finanzierungsengpass erforderten, wurde für die Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraums auf eine „Überkompensation“ – gemessen an den dann erst feststehenden Zahlen aus dem Bewilligungszeitraum – abgestellt. Als Beispiele für eine solche nannten die FAQ „z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen“. Nach der ab Fassung 3 der FAQ (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020; FAQ 4 datiert vom 28. März 2020) unverändert geltenden Definition in den FAQ tritt eine Überkompensation ein, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhalten hat, als sein tatsächlich eingetretener Schaden, also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung), ist. Auch hier wird maßgeblich auf einen Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten abgestellt. Der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ fällt in diesem Zusammenhang in den FAQ nicht.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Schließlich enthält der Bewilligungsbescheid – wie erwähnt – in Ziffer 2. (Zweckbindung) die Formulierungen „zur Milderung der finanziellen Notlage“ und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“. Aus der Nebenbestimmung II.3. ergaben sich zwei kumulative Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums, nämlich dass die „Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“. Der Ausdruck „Überkompensation“ findet sich im Bescheid nicht; welche Bedeutung dem Begriff „Liquiditätsengpass“ zukommen soll, wird nicht umschrieben. Die Nebenbestimmung II.3. gab den maßgeblichen Anhaltspunkt dafür, wie die Zuwendungsempfänger später ihre Rückmeldung durchführen sollten; aus ihr ergab sich auch der Umfang der Vorläufigkeit des Verwaltungsaktes; hier wurden die Berechnungsmodalitäten für die spätere Feststellung einer – an dieser Stelle nicht so genannten – Überkompensation festgelegt. Wenn sie auch mehr als missverständlich formuliert ist, so konnten die Bescheidadressaten – auch der Kläger – ihr immerhin entnehmen, dass eine Rückzahlungspflicht bereits dann ausgeschlossen sein sollte, wenn der Umsatzausfall die Finanzhilfe überstieg. Insoweit korrelierte die Bestimmung mit den FAQ. Wie die zweite Voraussetzung zu verstehen ist, die die Bezeichnungen „wirtschaftliche Existenz“ und „Liquiditätsengpass“ aufnimmt, wird weder aus sich heraus noch im Kontext mit dem übrigen Inhalt des Bescheides deutlich. Vielmehr lag für einen durchschnittlichen Antragsteller nach der Lektüre der FAQ und der ersten Voraussetzung der Nebenbestimmung II.3. nahe, dass eine Verpflichtung zur Rückzahlung der zunächst erhaltenen Soforthilfe dann in Betracht kam, wenn er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellte, dass seine tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war als zunächst angenommen. Mit anderen Worten, dass Maßstab für eine Erstattungspflicht eine „Überkompensation“ war, die im Wesentlichen von Umsatzeinbußen und ersparten Aufwendungen abhing.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Festzuhalten ist mithin, dass die Verwaltungspraxis des beklagten Landes bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf bis zum Erlass der jeweiligen Bewilligungsbescheide durch eine Vielzahl von Informationen gekennzeichnet war, die aus sich heraus entweder nicht ohne Weiteres verständlich waren oder jedenfalls keinen eindeutigen – schon gar nicht begrifflich erläuterten – Hinweis auf die Voraussetzungen für eine spätere Rückzahlungspflicht gaben. Nachvollziehbar für die Anspruchsteller war immerhin, dass sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen von jenen des späteren Rückmeldeverfahrens unterschieden. Unter welchen Bedingungen es zu einer Rückerstattung kommen würde, blieb aber weitgehend unklar. Das gilt namentlich für den den Schlusspunkt des Zuwendungsverfahrens setzenden Bewilligungsbescheid. Hier (in der Nebenbestimmung II.3.) wie auch in den den Antragstellern zuvor zur Verfügung gestellten Informationen wird eher der Eindruck erweckt, es komme darauf an, wie sich der Umfang der Umsatzeinbußen im dreimonatigen Bewilligungszeitraum gestalten werde. Werde die Soforthilfe höher sein als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), so dürften die zu viel erhaltenen Mittel nicht behalten werden. Dies wird zum Teil auch als „Überkompensation“ bezeichnet. Soweit der Begriff „Liquiditätsengpass“ überhaupt gebraucht wird – im Antragsformular findet er sich nicht –, wird nicht deutlich, was unter ihm zu verstehen ist. Dass ihm ein Verständnis im Sinne der Anforderungen der späteren Richtlinie beizulegen wäre, ist weder den FAQ noch dem Bewilligungsbescheid aus der Sicht eines durchschnittlichen Adressaten zu entnehmen. Soweit in der Nebenbestimmung II.3. auf einen Liquiditätsengpass abgestellt wird, handelt es sich lediglich um eine zweite Voraussetzung für eine Rückerstattungspflicht. Mit anderen Worten: Die Rückzahlungspflicht wird hiernach nicht ausgelöst, wenn bereits die erste Bedingung nicht erfüllt ist, wenn also die Finanzhilfe nicht höher ist als der Umsatzausfall. Liegt die erste Voraussetzung vor, ist die zweite zu prüfen. Jedoch bleibt auch hier völlig unklar, was unter Liquiditätsengpass zu verstehen und wie dieser zu berechnen ist. Solche Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde,</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1983 – 7 C 70/80 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. März 2020 – 17 K 4793/21 –, juris; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwvfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 80 m.w.N.; von Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand: 1. Januar 2022, § 35 Rn. 46 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Im Kontext mit den Gegebenheiten des Verwaltungsverfahrens durfte der Kläger davon ausgehen, die Soforthilfe nur dann (teilweise) erstatten zu müssen, wenn er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraumes feststellte, dass die Zuwendung höher war als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), wenn also eine Überkompensation in diesem Sinne vorlag. Da seine Umsatzeinbuße unstreitig die Höhe der Soforthilfe von 9.000,00 Euro überstieg, durfte er annehmen, die Mittel behalten zu dürfen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre nach dem oben Gesagten allerdings im Dunkeln geblieben, wann die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Nebenbestimmung II.3. vorgelegen hätten. Denn – wie bereits ausgeführt – wurde im Bewilligungsverfahren der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ nicht definiert. Lediglich der ähnliche Begriff des „Finanzierungsengpasses“ wurde im Bewilligungsverfahren definiert, allerdings nur im Rahmen der vier alternativ erfüllbaren Anspruchsvoraussetzungen und gemessen an den bei Antragstellung feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller. Eine Übertragung dieser Definition auf eine Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraumes gemessen an den dann feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller aus diesem Bewilligungszeitraum macht keinen Sinn bzw. ist zumindest nicht aus sich heraus verständlich. Eine solche missverständliche Fassung der Nebenbestimmung II.3. geht – wie ebenfalls bereits ausgeführt – nicht zu Lasten des Klägers.</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf dem Schlussbescheid vom 18. Dezember 2021 nicht die beschriebenen – wenngleich missverständlichen – Parameter für die Berechnung einer etwaigen Rückzahlungspflicht zugrunde gelegt hat, führt dazu, dass der Schlussbescheid (insoweit) den Bewilligungsbescheid nicht ersetzen kann. Werden die Regelungen des Schlussbescheides mit jenen des Bewilligungsbescheides abgeglichen, ist ersichtlich, dass diesen ein anderes Verständnis der Rückzahlungsbedingungen immanent ist, als es sich aus dem auf der Basis der Förderpraxis ergangenen Bewilligungsbescheid ergibt. Im Schlussbescheid ist nur noch von einem „Liquiditätsengpass“ die Rede (insbesondere in der Überschrift, im Eingangssatz, in Ziffer 1. sowie mehrfach in der Begründung); die Formulierungen „finanzielle Notlage“, „wirtschaftliche Engpässe“ o.ä. wurden nicht aufgenommen. In den Gründen unter II.3. findet sich der Ausdruck der „Überkompensation“, die 7.000,00 Euro betrage. Das Verständnis des Begriffs des Liquiditätsengpasses im Schlussbescheid beruht auf der Definition der zu diesem Zeitpunkt bereits erlassenen Richtlinie des Landes. Erstmals wird dort präzise umschrieben, dass der Liquiditätsengpass sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlichen laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben (ohne Personalaufwand) unter Berücksichtigung eingesparter Kosten im Erfassungszeitraum ergibt (Ziffer 5.3. Abs. 2). Dieses Verständnis ließ sich den Umständen des Antragsverfahrens nicht entnehmen, auch nicht dem Bewilligungsbescheid selbst. Nach den vorstehenden Ausführungen ist nicht maßgeblich, wie die den Antragstellern zum Zeitpunkt des Erlasses der Bewilligungsbescheide noch nicht bekannten Bestimmungen der Richtlinie lauteten. Diese Vorschriften wären im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang allenfalls dann relevant, wenn ihr Wortlaut mit dem Verwaltungshandeln und den Begrifflichkeiten des Erstbescheides übereinstimmte. Da er indes von der Verwaltungspraxis abweicht, kommt es auf die Praxis, nicht auf die Ausgestaltung der Verwaltungsvorschrift an. Dies gilt auch deshalb, weil die Bewilligungsbehörde gegenüber den Zuwendungsempfängern im Ausgangsbescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass die Modalitäten der Rückzahlung von einer noch zu erlassenen Richtlinie abhängen sollten.</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Beruhten die im angegriffenen Schlussbescheid getroffenen Festsetzungen zum Liquiditätsengpass, zur Höhe der Soforthilfe und zur Höhe der Rückzahlungspflicht somit auf einer Berechnungsmethode, die nicht mit der – zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt des Bewilligungsbescheides bestehenden – Verwaltungspraxis korrelierte, führt dies – unabhängig von der tatsächlichen Umsatzentwicklung des Klägers im Bewilligungszeitraum – zur Rechtswidrigkeit des Schlussbescheides.</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">II. Aus der Rechtswidrigkeit der für den Kläger nachteiligen Bestimmungen des Schlussbescheides folgt die Rechtsverletzung des Klägers, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung.</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">C. Die Berufung ist von Amts wegen gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, liegen die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).</p> <span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">163</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss:</strong></p> <span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Streitwert wird auf 7.000,00 Euro festgesetzt.</strong></p> <span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 GKG erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p> <span class="absatzRechts">175</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table>
346,428
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20 K 217/21
2022-08-16T00:00:00
2022-09-06T10:01:13
2022-10-17T11:09:46
Urteil
ECLI:DE:VGD:2022:0816.20K217.21.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 11. Dezember 2020 wird aufgehoben.</strong></p> <p><strong>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.</strong></p> <p><strong>Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin betreibt als Soloselbstständige ein Kosmetikstudio.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mitte März 2020 gerieten insbesondere kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie („harter Lockdown“) in wirtschaftliche Notlage. So musste der Betrieb der Klägerin vom 22. März 2020 bis zum 7. Mai 2020 vollständig schließen und konnte er ab dem 8. Mai 2020 nur unter Auflagen wieder geöffnet werden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Als Reaktion hierauf schuf der Bund das Programm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“, um betroffenen Unternehmen und Selbstständigen kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte hierzu unter anderem Eckpunkte vom 23. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/03/2020-03-23-pm-Soforthilfefond-download.pdf?__blob=publicationFile&v=3,</span></p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">und Kurzfakten vom 30. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/J-L/kurzfakten-corona-soforthilfen.pdf?__blob=publicationFile&v=12.</span></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beschloss, das Programm des Bundes in vollem Umfang an die vorgesehenen Zielgruppen weiterzuleiten und erweiterte das Bundesprogramm um die Empfängergruppen mit bis zu 50 Beschäftigten. Beide Maßnahmen wurden in der „NRW-Soforthilfe 2020“ gebündelt. Die federführende Verantwortung lag hierbei bei dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf dessen Internetpräsenz waren sog. FAQ in verschiedenen Fassungen unter dem Link <span style="text-decoration:underline">https://wirtschaft.nrw.de/nrw-soforthilfe-2020</span> abrufbar. Bezüglich des genauen Inhalts wird auf die vom Beklagten im Verfahren 20 K 7488/20 übersandten Anlagen B5 bis B19 verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin stellte ihren Antrag am 1. April 2020 und verwendete hierfür das online vom Beklagten bereitgestellte Formular „Antrag auf Gewährung einer Soforthilfe für von der Corona-Krise 03/2020 besonders geschädigte Unternehmen und Angehörige Freier Berufe einschließlich Soloselbstständige aus dem Soforthilfeprogramm des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Bundesprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmer und Soloselbstständige“ („NRW-Soforthilfe 2020“)“.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Antragsformular hieß es unter Ziffer 5.:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">„Die Soforthilfe wird als Billigkeitsleistung auf der Grundlage der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“) zur Überwindung der existenzbedrohenden Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses gewährt.“</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.1 versicherte die Klägerin: „Falls nicht anders angegeben, sind die Kriterien auf den Zeitpunkt der Antragstellung zu beziehen. Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">-               mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen, Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.2 versicherte die Klägerin:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">„Ich versichere, dass die in Nr. 1.1. benannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen und ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat.“</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.11 versicherte die Klägerin:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">„Mir ist bekannt, dass ich den Zuschuss als Billigkeitsleistung erhalte und im Falle einer Überkompensation (Entschädigungs-, Versicherungsleistungen, andere Fördermaßnahmen) die erhaltene Soforthilfe zurückzahlen muss.“</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 1. April 2020 bewilligte die Bezirksregierung Düsseldorf der Klägerin auf ihren Antrag eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro. Der Betrag wurde kurze Zeit später in voller Höhe ausgezahlt. In dem Bescheid, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"> <img height="29" width="475" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_0.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="23" width="50" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_1.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="576" width="643" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_2.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"> <img height="26" width="265" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_3.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="20" width="31" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_4.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="444" width="644" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_5.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Am 31. Mai 2020 wurden die „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ als Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (Az. VB 5 - 2020) – im Folgenden: Richtlinie – erlassen und traten laut Ziffer 9. mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandte der Beklagte an sämtliche Antragsteller Emails, in denen er auf die Notwendigkeit zur Durchführung eines Rückmeldeverfahrens, den hierfür bereitgestellten Vordruck sowie die hierbei nach seiner Auffassung geltenden Regelungen und Fristen hinwies.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Bereits am 11. Dezember 2020 füllte die Klägerin das vom Beklagten online bereitgestellte “Rückmelde-Formular ermittelter Liquiditätsengpass NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Die Klägerin musste hierin als Förderzeitraum die Zeit vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 auswählen. Nach Eingabe ihrer vom Formular abgefragten Einnahmen und Ausgaben in diesem Berechnungszeitraum ergab sich, dass die Klägerin im Monat April einen Liquiditätsengpass in Höhe von 00 Euro, im Monat Mai einen Liquiditätsengpass in Höhe von 00 Euro und im Monat Juni einen Einnahmenüberschuss in Höhe von 00 Euro (Zeile 24) und damit insgesamt einen Liquiditätsengpass von 98,00 Euro im Förderzeitraum (Zeile 25) hatte; zu ihren Gunsten wurde ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von 2.000,00 Euro angesetzt. Hieraus ergab sich ein Rückzahlungsbetrag in Höhe von 6.902,00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Unter dem 11. Dezember 2020 erließ die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber der Klägerin einen Schlussbescheid mit folgendem Tenor:</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"> <img height="27" width="232" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_6.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="24" width="275" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_7.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="186" width="643" src="20_K_217_21_Urteil_20220816_8.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führte die Bezirksregierung aus, die Klägerin habe am 11. Dezember 2020 einen tatsächlichen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.098,00 Euro gemeldet. Die Feststellung des Liquiditätsengpasses und die Festsetzung der Soforthilfe beruhten auf § 53 Landeshaushaltsordnung NRW (LHO) i.V.m. der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Sars-CoV-2 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020"), der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen über die „Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige" vom 1. April 2020 einschließlich der dazu erlassenen Vollzugshinweise sowie den „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ („NRW-Soforthilfe 2020“) vom 31. Mai 2020. Nach Ziffern 3.1, 3.2, 5.2 und 5.3 der Richtlinie sei die NRW-Soforthilfe 2020 antragsberechtigten Leistungsempfängern, die die Antragsvoraussetzungen erfüllt hätten, zunächst in voller Höhe gewährt worden. Die endgültige Festsetzung habe nach Meldung der Berechnung der Höhe des Liquiditätsengpasses zu erfolgen. Ergebe sich dabei, dass der vorläufig vollständig gezahlte Soforthilfebetrag nicht oder nur teilweise vom Liquiditätsengpass abgedeckt sei, werde die Soforthilfe nur in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt; anderenfalls sei die vorläufige Zahlung endgültig. Die Rückforderung des überzahlten Differenzbetrages beruhe auf § 49a Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) i.V.m. Ziffer 5.3 der Richtlinie und der Ziffer II. 3. des Bewilligungsbescheides. § 49a Abs. 1 VwVfG NRW werde entsprechend angewendet, wenn ein Verwaltungsakt, der eine Leistung zunächst nur vorläufig bewilligt habe, rückwirkend durch einen anderen Verwaltungsakt teilweise ersetzt werde, der die Leistung endgültig in geringerer Höhe festsetze.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat am 14. Januar 2021 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führt sie aus, aufgrund der Untersagung ihres Betriebes seien ihr vor allem in den Monaten März bis Mai 2020 Umsatzeinbußen entstanden. Aufgrund ihrer Antragstellung am 1. April 2020 sei bei der Rückmeldung aber nur der Zeitraum von April bis Juni 2020 berücksichtigt worden. Wäre in dem Rückmeldeformular der Zeitraum März bis Mai 2020 abgefragt worden, wäre ihr Liquiditätsengpass um 00 Euro höher ausgefallen. Sie selbst habe auch versucht, noch im März 2020 die Soforthilfe zu beantragen, aber sie habe das Antragformular – wohl wegen einer Überlastung des Servers des Ministeriums – nicht absenden können. Sie habe sich deshalb nach Rücksprache mit ihrem Steuerberater dazu entschieden, den Antrag erst am 1. April 2020 zu stellen, zumal von Seiten des Landes nur eine Antragsfist bis zum 31. Mai 2020 genannt worden sei und der damalige Wirtschaftsminister in einer Pressemitteilung des Ministeriums appelliert habe, den Antrag, wenn nicht unmittelbar benötigt, erst in ein paar Wochen zu stellen. Durch diese Vorgehensweise habe der Beklagte seine bei der Gewährung von Billigkeitsleistungen zu beachtende Gleichbehandlungspflicht verletzt. Der Beklagte habe nachträglich eine Ausschlussfrist bestimmt und Antragsteller, die ihren Antrag vor dem 1. April 2022 gestellt hätten, anders als diejenigen behandelt, die ihren Antrag danach gestellt hätten, obwohl er vorher den Eindruck vermittelt habe, es bestehe keine Eile bei der Antragstellung. Zumindest hätte der Beklagte im Rahmen seiner umfassend zur Verfügung gestellten Informationen aufgrund seiner aus dem Rechtsstaatsprinzip entspringenden Pflicht zur Transparenz über die konkreten Auswirkungen des Datums der Antragstellung informieren müssen. Zudem sei bei Antragstellung nicht prognostizierbar gewesen, welcher Erfassungszeitraum der günstigste sein würde. Deswegen dürfe der Zeitpunkt der Antragstellung auch nicht maßgeblich sein. Ihre Umsatzentwicklung in den Jahren 2019 und 2020 ergebe sich aus den von ihr übersandten betriebswirtschaftlichen Auswertungen. Diese zeigten, dass auch ihr Umsatzausfall im Bewilligungszeitraum von April bis Juni 2020 jedenfalls die ihr gewährte Soforthilfe überstiegen habe.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>den Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 11. Dezember 2020 aufzuheben.</strong></p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt er vor, der von der Klägerin im Rahmen der Rückmeldung angegebene tatsächliche Liquiditätsengpass betrage 2.098,00 Euro. Demensprechend sei ein Liquiditätsengpass in dieser Höhe festgestellt, die Soforthilfe in dieser Höhe festgesetzt und der überschießende Betrag in Höhe von 6.902,00 Euro zurückgefordert worden.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Für die im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Rechtsfragen sei von entscheidender Bedeutung, dass die NRW-Soforthilfe 2020 nicht nur eines von mehreren staatlichen Hilfsangeboten zur Abmilderung der beträchtlichen negativen ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie, sondern vielmehr die allererste, unbürokratische und unverzügliche Liquiditätshilfe – eben eine Soforthilfe – gewesen sei. Über die Internetpräsenz des ehemaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW habe sich jeder Betroffene im Vorfeld der Antragstellung umfassend über den Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 und die Antragsberechtigung informieren können. Hierdurch habe jedem Antragsteller unmissverständlich klar werden müssen, dass die NRW-Soforthilfe 2020 der Sicherstellung der Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben gedient habe und jeder Hilfeempfänger nach Ende des Bewilligungszeitraums verpflichtet gewesen sei, seinen tatsächlichen Liquiditätsengpass zu berechnen und zu viel erhaltene Mittel zurückzuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Bei der ursprünglichen Bewilligung habe es sich um die nur vorläufige positive Bescheidung des Antrages zur NRW-Soforthilfe 2020 gehandelt, die erst durch die Festsetzung der tatsächlichen Höhe der Antragsberechtigung aufgrund des später ermittelten Liquiditätsengpasses endgültig verbindlich beschieden worden sei. Begründung und Berechtigung für die vorläufige Bescheidung sei die Ungewissheit über die zu treffende endgültige Entscheidung, namentlich die konkrete Höhe der zu gewährenden Soforthilfe anhand des nachträglich zu ermittelnden, konkreten Liquiditätsengpasses im maßgeblichen Bewilligungszeitraum gewesen. Hiernach sei der Bewilligungsbescheid zwingend auf eine Ergänzung durch einen weiteren Verwaltungsakt angelegt gewesen, durch den die Zuwendung erst abschließend habe geregelt werden sollen. Dieser sei in Form des Schlussbescheids ergangen. Die Vorläufigkeit und Notwendigkeit eines Schlussbescheides hätten sich ohne weiteres aus den Ziffern 5.2 und 5.3 der Richtlinie sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides ergeben. Eindeutig ablesbar seien sie aber auch aus den Kurzfakten zum Bundesprogramm. Hintergrund sei, dass Nordrhein-Westfalen sich bei der Umsetzung des Bundesprogramms im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern dafür entschieden habe, zunächst den Förderhöchstbetrag als Pauschale auszuzahlen, um Verzögerungen bei der Auszahlung zu vermeiden. Dies habe ein Rückmeldeverfahren unabdingbar gemacht, in welchem der individuelle Liquiditätsengpass ermittelt und die tatsächliche Förderhöhe habe festgestellt werden müssen. Dabei komme es an dieser Stelle überhaupt noch nicht darauf an, ob sich die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe aus einem tatsächlich vorhandenen Liquiditätsengpass oder aus einem tatsächlich vorhandenen Umsatzausfall berechne. Denn jedenfalls habe jedem Empfänger durch die Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides offensichtlich klar sein müssen, dass aus den tatsächlichen Entwicklungen eine jedenfalls teilweise Rückzahlungspflicht entstehen könne, man die erhaltene Soforthilfe also nicht unbedingt, jedenfalls nicht unbedingt in voller Höhe werde behalten können. Mit dem Bewilligungsbescheid sei lediglich über die grundsätzliche Antragsberechtigung entschieden worden, jedoch noch nicht abschließend über die Höhe der Soforthilfe. Da der Bewilligungsbescheid eine vorläufige Regelung treffe und sich somit eine endgültige Regelung vorbehalten habe, habe die Bewilligungsbehörde diesen durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen können, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für den Schlussbescheid sei dementsprechend § 53 LHO i.V.m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ (Corona Soforthilfeprogramm des Bundes), der dazu ergangenen Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem beklagten Land über die Corona Soforthilfen und die erst nach Erlass der Bewilligungsbescheide am 31. Mai 2020 mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft getretene Richtlinie. Die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe und damit korrespondierend die Höhe einer Rückzahlungspflicht bestimme sich in Konkretisierung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides nach den Vorgaben der Richtlinie. Dem stehe insbesondere nicht der Erlass der Richtlinie am 31. Mai 2020 mit Wirkung zum 27. März 2020 entgegen. Denn die Richtlinie sei als ministerieller Runderlass eine bloße interne Verwaltungsvorschrift, die allein dazu gedient habe, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung zu gewährleisten. Als eben solche Verwaltungsvorschrift habe die Richtlinie für ihre Wirksamkeit grundsätzlich nicht einmal veröffentlicht werden müssen. Zudem habe sie der Ermessenslenkung bei Erlass der Schlussbescheide gedient, welche durchweg erst nach dem 31. Mai 2020 erlassen worden seien.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei formell rechtmäßig, insbesondere liege keine Verletzung der Anhörungspflicht gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor, da gem. § 28 Abs. 2 Nr. 4 Varianten 2 und 3 VwVfG NRW von einer Anhörung habe abgesehen werden dürfen. Die abschließend festzusetzende Soforthilfe habe sich rechnerisch aus den von den Antragstellern im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zu tätigenden Angaben ergeben. Solche Fälle seien zu Hunderten aufgetreten und die Entscheidungsfindung bei den Schlussbescheiden sei partiell automatisiert, d.h. softwaregesteuert, erfolgt. Die Antragsteller hätten entsprechend Ziffer 5.3 der Richtlinie die Rückmeldung digital vorlegen müssen. Sofern der vom Antragsteller hierbei angegebene Liquiditätsengpass niedriger als die erfolgte Auszahlung gewesen sei, sei durch das System automatisch ein entsprechender Schlussbescheid generiert worden. Ungeachtet dessen wäre selbst eine Verletzung der Anhörungspflicht im vorliegenden Fall nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, da dies die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Ihm habe in den Fällen, in denen der Liquiditätsengpass letztlich niedriger gewesen sei als die vorläufig gewährte Billigkeitsleistung, aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes keine Entscheidungsfreiheit zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Soforthilfe hätten nur in der im Schlussbescheid angegebenen Höhe vorgelegen. Nach Ziffer 5.3 der Richtlinie werde die NRW-Soforthilfe maximal in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt. Der Liquiditätsengpass ergebe sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im dreimonatigen Erfassungszeitraum. Der Erfassungszeitraum beginne grundsätzlich mit dem Tag der Antragstellung und entspreche dem Bewilligungszeitraum. Wahlweise könne der Beginn des dreimonatigen Erfassungszeitraums auf den ersten Tag des Monats der Antragstellung vorgezogen oder auf den ersten Tag des Folgemonats verschoben werden. Durch ihr Antragsdatum am 1. April 2020 habe die Klägerin also einen Bewilligungszeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 oder vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Juli 2020 wählen können, nicht aber einen Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. Mai 2020, der den betriebswirtschaftlich für die Klägerin vergleichsweise schlechten Monat März 2020 mitberücksichtige. Der Klägerin habe es freigestanden, bereits im März 2020 ihren Antrag zu stellen. Technische Schwierigkeiten, weshalb sie dies nicht getan habe, seien nicht nachvollziehbar vorgetragen worden. Es entspreche nicht der Lebenswirklichkeit, dass eine von der Klägerin behauptete Überlastung der Server des Ministeriums über Tage hinweg angedauert habe. Dies werde auch dadurch widerlegt, dass es anderen Antragstellern durchaus gelungen sei, im März einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ungeachtet dessen sei die in Ziffer 5.3 der Richtlinie getroffene Regelung nicht zu beanstanden. Das beklagte Land sei bei der Ausgestaltung der Richtlinie frei darin gewesen, Regelungen zu treffen, wonach die Bestimmung des Erfassungszeitraums vom Datum der Antragstellung abhängig gewesen sei. Diese Regelung sei weder unsachgemäß noch willkürlich. Nichts anderes ergebe sich aus den Pressemitteilungen des Ministeriums. Denn hierin sei lediglich zutreffend darauf hingewiesen worden, dass eine Antragstellung bis zum 31. Mai 2020 erfolgen könne. Wenn die Klägerin verlange, das beklagten Land habe früher darüber informieren müssen, welche konkreten Auswirkungen der Zeitpunkt der Antragstellung habe, liege hierin eine betriebswirtschaftliche Beratung, die im Rahmen eines freiwilligen Zuwendungsprogrammes nicht erwartet werden könne. Es liege in der Natur der Sache, dass diese Bestimmungen bei über 400.000 Anträgen auf NRW-Soforthilfe 2020 nicht in jedem Fall zu einem aus Sicht des Antragstellers optimalen Ergebnis führten.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die NRW-Soforthilfe 2020 diene nach Ziffer 1.1 der Richtlinie der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz von Unternehmen und damit ausschließlich zur Deckung der laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen des Unternehmens. Hierauf weise auch Ziffer 2. des Bewilligungsbescheides noch einmal hin. Dies ergebe auch eine Gesamtschau der beschlossenen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen –  Kurzarbeitergeld und Erleichterung der Prüfungsvoraussetzung für die Gewährung von ALG II. In Abgrenzung zur NRW-Soforthilfe 2020 solle etwa das Gehalt von Mitarbeitern durch das Kurzarbeitergeld gewährt und für den persönlichen Lebensunterhalt ALG II beantragt werden. Private finanzielle Schwierigkeiten würden demnach allein aufgefangen durch Sozialleistungen nach dem SGB. Dieser Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 ergebe sich bereits aus der Formulierung im Antragsformular unter Ziffer 6.1, vierter Spiegelstrich: „Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder (...) - die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z. B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“ Dieser Sinn und Zweck der Soforthilfe ergebe sich auch eindeutig aus den FAQ sowie den Eckpunkten und Kurzfakten zum Bundesprogramm. Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 sei also entgegen der Ansicht der Klägerin weder, sämtliche Umsatz- und Einnahmeverluste der Unternehmen auszugleichen, noch die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Unternehmen zu verhindern und erst recht nicht, private Existenzen zu sichern.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Ermessen habe der Bezirksregierung Düsseldorf beim Erlass des Schlussbescheides aufgrund der Bindungswirkung der Richtlinie nicht zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides stehe schließlich kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegen. Es liege vielmehr gerade im Wesen der Vorläufigkeit, dass ein Vertrauen auf die Endgültigkeit der Regelung nicht entstehen könne. Gegen einen bestehenden Vertrauensschutz der Klägerin spreche zudem, dass ihr in Ansehung der Ziffer 5.3 der Richtlinie der Soforthilfe NRW sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides habe bewusst sein müssen, dass sie die NRW-Soforthilfe nur insofern werde behalten dürfen, als dass ihre tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb die tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im Bewilligungszeitraum überstiegen.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Das Verfahren 20 K 7488/20 ist beigezogen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">A. Die bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 11. Dezember 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">I. Der Schlussbescheid vom 11. Dezember 2020 ist rechtswidrig.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">1. Die in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides ausgesprochene Rückforderung eines Betrages von 6.902,00 Euro kann nicht auf § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gestützt werden. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">a. Eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 1. April 2020 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG NRW ist ersichtlich nicht gegeben. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Bewilligungsbescheid jedoch auch nicht durch den Erlass des angefochtenen Schlussbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise widerrufen. Die – hier allein in Betracht kommenden – Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG NRW sind nicht erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">aa. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Erlass des Schlussbescheides nicht damit begründet, die Klägerin habe die erhaltene Leistung (teilweise) nicht für den in dem Bewilligungsbescheid bestimmten Zweck verwendet (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Schlussbescheid verhält sich vielmehr zu der Frage, in welcher Höhe bei der Klägerin ein Liquiditätsengpass auf der Grundlage seiner Angaben festzustellen sei. Über die Interpretation des Begriffs des Liquiditätsengpasses streiten die Beteiligten. Der Vorwurf einer nicht zweckgerechten Verwendung der erhaltenen Zuwendung ist den Regelungen des Schlussbescheides allerdings nicht zu entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">bb. Mit dem Bewilligungsbescheid ist auch keine Auflage im Sinne von § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG NRW verbunden, die der Begünstigte nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Eine Auflage ist eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW). Zwar zielt die Nebenbestimmung II.3. auf eine Handlungsverpflichtung des Zuwendungsempfängers ab. Mit ihr wird dem Adressaten des Bescheides – hier der Klägerin – eine Prüfungspflicht auferlegt: Sollte sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, „dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen“. Der Schlussbescheid enthält aber nicht den Vorwurf, die Klägerin sei dieser aus dem Bewilligungsbescheid resultierenden Pflicht nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen. Vielmehr geht die Behörde davon aus, dass die Klägerin Angaben zur Höhe des Liquiditätsengpasses gemacht hat, auf Grund derer sie sich zur Teilrückforderung des gewährten Betrages berechtigt sieht. Da die Voraussetzungen für einen Widerruf mithin insoweit nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob es sich bei der in Ziffer II.3. getroffenen Regelung um eine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW in Abgrenzung zu einer Bedingung oder einer Inhaltsbestimmung handelt.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">b. Schließlich folgt eine Erstattungspflicht der Klägerin auch nicht daraus, dass der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist (§ 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW). Eine solche Bedingung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW, nach der der Wegfall einer Vergünstigung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt, enthält der Bewilligungsbescheid nicht.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Unter den Begriff des Ereignisses fallen von der Außenwelt wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse, nicht hingegen nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörende Vorstellungen. Als Ereignis kommt lediglich ein rein tatsächlicher Vorgang in Betracht, der sinnlich wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich ist, ohne dass es für seine Bejahung noch einer rechtlichen Wertung bedürfte. Darauf, ob die rechtliche Wertung einfach oder schwierig ist, kommt es nicht an. Da das künftige ungewisse Ereignis kraft Gesetzes ohne weiteren Zwischenschritt einen Rechtsverlust oder einen Rechtsgewinn herbeiführt, muss sein Eintritt auch aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Beteiligten – für den Adressaten des Bescheids, für die Behörde und ggf. für Dritte – gleichermaßen ohne Weiteres erfassbar sein,</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17, juris; BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 ‒ 10 C 15.14 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2018 ‒ 4 A 1781/15 ‒, juris.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Bei der Nebenbestimmung II.3. handelt es sich nicht um eine Bedingung in diesem Sinne. In ihr wird kein zur automatischen Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides führendes Ereignis benannt. Die vom Zuwendungsempfänger am Ende des Bewilligungszeitraumes zu treffende Beurteilung, ob die Finanzhilfe höher ist als der Umsatzausfall, lässt sich nur durch eine Berechnung anhand betriebswirtschaftlicher Auswertungen durchführen; sie mag aus Sicht der Bewilligungsbehörde korrekt oder aber fehlerhaft durchgeführt worden sein. Jedenfalls bedarf es einer Bewertung, die einen Automatismus zwischen dem Eintritt eines künftigen Ereignisses und der Unwirksamkeit des Zuwendungsbescheides im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW ausschließt.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">2. Als Ermächtigungsgrundlage für das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung Düsseldorf kommt § 49a Abs. 1 VwVfG NRW in entsprechender Anwendung in Betracht. Die Vorschrift ist analog anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsleistung zunächst nur vorläufig bewilligt hat, rückwirkend durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt wird, der die Leistung endgültig in geringerer Höhe festsetzt. Der Empfänger muss eine hiernach zu viel erhaltene Leistung erstatten,</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; VGH Kassel, Urteil vom 13. Mai 2014 – 9 A 2289/12 –, BeckRS 2014, 53405; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 49 Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW analog liegen indes nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Selbst unterstellt, die Bezirksregierung Düsseldorf hätte die zu erstattende Forderung endgültig in Form eines Schlussbescheides festsetzen können, da sie mit Bescheid vom 1. April 2020 die Zuwendung lediglich vorläufig bewilligt hätte, hätte sie bei Erlass des Schlussbescheides dennoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Soforthilfe nur noch 2.098,00 Euro beträgt. Denn die Festsetzungen in Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sind rechtswidrig. Daraus folgt auch die Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderung in Ziffer 3.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">a. Zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf kann unterstellt werden, dass das Subventionsverhältnis in der Weise geregelt war, dass zunächst vorläufig durch Bescheid vom 1. April 2020 eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro bewilligt und ausgezahlt wurde, deren endgültige genaue Höhe von der ungewissen Entwicklung des Unternehmens des Antragstellers während des dreimonatigen Bewilligungszeitraums abhing. Der Bewilligungsbescheid wäre in diesem Fall darauf angelegt gewesen, die Höhe der Zuwendung nicht definitiv zu regeln, sondern diese zunächst vorläufig zu gewähren und abschließend erst später festzusetzen. Dies wäre durch Erlass des sog. Schlussbescheides geschehen. Damit hätte sich die Bezirksregierung Düsseldorf der Handlungsform des sog. vorläufigen Verwaltungsaktes bedient, die für den Sachbereich des Subventionsrechts durch die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung anerkannt ist,</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Eine Billigkeitsleistung kann unter dem Vorbehalt einer späteren definitiven Entscheidung bewilligt werden, wenn und soweit eine bestehende Ungewissheit hierfür einen sachlichen Grund gibt. Der Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung bewirkt, dass die Behörde die einstweilige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein,</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die vorläufige Regelung verliert mit dem Erlass der endgültigen Festsetzung ihre Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG NRW),</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Das Bestehen einer Ungewissheit rechtfertigt die Existenz des vorläufigen Verwaltungsaktes sowie den damit einhergehenden Widerspruch zwischen der dem Verwaltungsakt immanenten Bestandskraft und dem mit der Vorläufigkeit verbundenen flexiblen Element. In einer solchen Konstellation stellt der vorläufige Verwaltungsakt einen angemessenen Ausgleich zwischen den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Verwaltungsverfahren und dem Gebot der Effektivität des Verwaltungshandelns dar, indem trotz verbleibender Unsicherheiten bereits zu einem frühen Zeitpunkt zugunsten des Bürgers entschieden werden kann,</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">vgl. Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 27 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Vorläufigkeit muss sich dabei nicht auf den gesamten Bescheid beziehen, sondern kann und muss gegebenenfalls auf einzelne Aspekte beschränkt werden. Auch wenn die Behörde einen unter Vorbehalt gestellten Verwaltungsakt später durch einen abschließenden Bescheid ersetzt, so kommt doch eine inhaltlich abweichende Regelung im Schlussbescheid – außer in den Fällen der §§ 48, 49 VwVfG NRW – nur in Betracht, wenn sie aus den Gründen ergeht, wegen derer die frühere Regelung unter Vorbehalt gestellt wurde. Welche Elemente eines Zuwendungsbescheides vorläufig sind und welche Inhalte bereits eine gesicherte Rechtsposition vermitteln, ist durch – am Empfängerhorizont orientierte – Auslegung zu ermitteln. Jenen – nicht mit Vorbehalt versehenen – Teil des Zuwendungsbescheides kann die Behörde nur unter Beachtung der §§ 48, 49 VwVfG NRW aufheben,</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2017 – 4 A 2078/15 –, juris; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 35 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Neben einer die Vorläufigkeit der Regelung rechtfertigenden Unsicherheit ist Voraussetzung für einen Vorbehalt, dass die Vorläufigkeit und ihr Umfang im Verwaltungsakt selbst zum Ausdruck kommen,</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 248; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann hinsichtlich der Festsetzung der genauen Höhe der Soforthilfe zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf unterstellt werden. Diesbezüglich kann angenommen werden, es habe bei Erlass des Bewilligungsbescheides eine Ungewissheit, die den Erlass einer lediglich vorläufigen Regelung rechtfertigte, bestanden. Demgegenüber wurden zu anderen Fragen ersichtlich bereits abschließende Regelungen getroffen.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 kann bei verständiger Würdigung so ausgelegt werden, dass er der Klägerin hinsichtlich der Zuwendung dem Grunde nach eine gesicherte Rechtsposition vermitteln wollte. Dies folgt aus den Formulierungen in Ziffern 2. und 3. des Bescheides ebenso wie aus den Umständen des Antragsverfahrens. Grundsätzlich berechtigt, eine Zuwendung zu erhalten, waren jene Antragsteller, deren wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Pandemie bereits wesentlich beeinträchtigt war. Unter Ziffer 6.1 des Antragsformulars mussten die Antragsteller versichern, dass ihre „wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt“ war, da entweder</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Die grundsätzliche Antragsberechtigung setzte damit – für jeden Antragsteller erkennbar –diesen zum Zeitpunkt der Bewilligung bereits sicher feststellbaren Umstand voraus. Hieran knüpfen die Regelungen in Ziffern 2. und 3. des Bewilligungsbescheides an, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf darauf abgestellt hat, dass die Soforthilfe der Milderung bzw. Kompensation der „unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe“ (Ziffer 3.), „der finanziellen Notlagen“ bzw. „der Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind“ (Ziffer 2.), dient. Da diese Voraussetzungen im Falle der Klägerin im Grundsatz erfüllt waren, erhielt sie durch den Bescheid vom 1. April 2020 die Soforthilfe dem Grunde nach vorbehaltlos.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Weitere Gesichtspunkte unterlagen ebenfalls keinem Vorbehalt, wie etwa die Anzahl der im Unternehmen Beschäftigten (Nebenbestimmung II.1.) oder gewisse in den Nebenbestimmungen II.4. bis 8. geregelte Modalitäten.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber kann der Bescheid hinsichtlich der Höhe der Soforthilfe und damit des Behaltendürfens des Gesamtbetrages so verstanden werden, dass er unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung stand. Dieser Vorbehalt betrifft die Regelung unter Ziffer 1., mit der die Bewilligung eines Betrages von 9.000,00 Euro ausgesprochen wurde. Dass sich weder in Ziffer 1. noch an anderer Stelle des Bescheides die Worte „Vorbehalt“, „vorläufig“ oder dergleichen finden, steht der Annahme einer vorläufigen Regelung nicht zwingend entgegen. Denn die Formulierung der in Ziffer 1. getroffenen Regelung, die Umstände des Antragsverfahrens sowie der Zusammenhang mit dem Inhalt der Nebenbestimmung II.3. ermöglichen auch ohne explizite Wortwahl eine Deutung, wonach der Zuwendungsbetrag unter dem Vorbehalt einer späteren Entscheidung gewährt wurde. Die Nebenbestimmung II.3. enthielt folgende Regelung: „Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen.“ Damit wurde die endgültige Höhe der unter Ziffer 1. bewilligten Soforthilfe von einer zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses unbekannten Größe, die erst am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststand, abhängig gemacht. Die Vorläufigkeit der Regelung bezüglich der Höhe der Soforthilfe kam auch in Ziffer 1. ansatzweise zum Ausdruck. Dort hieß es, dass eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro als „einmalige Pauschale“ gewährt werde. Im Gesamtkontext konnte diese Formulierung zumindest auch so verstanden werden, dass zunächst ein Betrag in toto gezahlt wurde, dessen endgültige, genaue Höhe zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden musste. Denn in Ziffer 1. wurde klargestellt, dass die Bewilligung aufgrund des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erfolge. In den vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hierzu online veröffentlichten Kurzfakten vom 30. März 2020 ging aus der Antwort zu der Frage, „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine „Überkompensation“ vorlag?“, hervor, dass es bei der Antragstellung auf einen „voraussichtlichen Liquiditätsengpass“ ankam, welcher später mit den tatsächlichen Zahlen des Unternehmens abzugleichen sei. Zudem enthielt auch die Nebenbestimmung in Ziffer II.3. des Bewilligungsbescheides den Hinweis auf das am Ende des Bewilligungszeitraums durchzuführende Rückmeldeverfahren, welches eine Rückzahlungspflicht zur Folge haben könne.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf selbst von einer vorläufigen Bewilligung der Finanzhilfe ausging, hat schließlich in der Begründung des Rückforderungsverlangens in Ziffer II.3. der Gründe des Schlussbescheides ihren Ausdruck gefunden. Dort hat sich die Behörde auf eine entsprechende Anwendung von § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur vorläufigen Bewilligung einer Leistung berufen sowie darauf hingewiesen, dass die Leistung wegen des zunächst noch unbekannten Liquiditätsengpasses zunächst nur vorläufig bewilligt worden sei und der Schlussbescheid den vorläufigen Bescheid „hinsichtlich der Höhe des Soforthilfe-Betrages“ ersetze.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Kann somit einerseits bezüglich der Höhe der Zuwendung unterstellt werden, diese sei unter Vorbehalt gestellt worden, so hat die Bezirksregierung Düsseldorf aber andererseits mit der Ausgestaltung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides zu erkennen gegeben, welche Parameter sie einer späteren Berechnung des Förderbetrages zugrunde legen wollte. Diese Vorgaben „Finanzhilfe höher […] als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten“, „Mittel nicht vollständig zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“ schränken, ebenso wie die in Ziffer 2. bezeichnete Zweckbindung, ihrerseits die Vorläufigkeit des Bescheides wieder ein, indem die endgültige Regelung sich an diesen zu orientieren hat. Unabhängig davon, wie diese zu verstehen sind, hat die Behörde mit ihnen bereits Berechnungsgrößen für die endgültige Höhe der Soforthilfe bzw. für das Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung aufgestellt. An diesen selbst geschaffenen Vorgaben muss sie – und damit das beklagte Land – sich festhalten lassen; etwaige Fehler gehen zu ihren Lasten, weil die Behörde es zu jenem Zeitpunkt in der Hand gehabt hat, eine andere Regelung zu treffen, wie dies offenbar in anderen Bundesländern geschehen ist. Nach welchen Parametern man die endgültige Berechnung des Förderbetrages später durchführen wollte, hing auch nicht von einem zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides noch unbekannten und daher eine vorläufige Regelung rechtfertigendem Umstand ab, sondern war allein Gegenstand einer politischen Entscheidung, die zu diesem Zeitpunkt schon getroffen werden konnte und mit der Formulierung des Bewilligungsbescheides auch bereits getroffen wurde.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">b. Die Entscheidung der Bezirksregierung Düsseldorf, im Schlussbescheid einen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.098,00 Euro festzustellen (Ziffer 1.), die Soforthilfe in dieser Höhe festzusetzen (Ziffer 2.) und ihre Bewertung, dass „die Voraussetzungen für die […] Höhe […] der Billigkeitsleitung nicht mehr vorliegen oder eine Überkompensation eingetreten“ und diese Überkompensation von 6.902,00 Euro zurückzuzahlen ist (so ausdrücklich die Gründe des angegriffenen Schlussbescheides, S. 3 Ziffer II.3.), erweist sich selbst bei der vorgenannten Annahme der teilweisen Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides als rechtsfehlerhaft. Denn sie beruht auf einem Verständnis von den Begriffen des Liquiditätsengpasses bzw. der Überkompensation, die im insoweit maßgeblichen und endgültige Vorgaben treffenden Bewilligungsbescheid keine Grundlage finden. Aus diesem Grunde konnte der Schlussbescheid den Bewilligungsbescheid insoweit nicht rechtmäßigerweise ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">aa. Die bereits endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages sind für die Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides maßgeblich.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Die Zuwendung wurde der Klägerin nicht auf Grund eines Gesetzes oder anderer Rechtsnormen gewährt, aus denen sich eine unmittelbare Bindung für den Beklagten und unmittelbare Rechtsansprüche für die Klägerin ergäben. Vielmehr wurde der Bewilligungsbescheid nach Maßgabe des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erlassen (vgl. insoweit auch den Kopf sowohl des Bewilligungs- als auch des Schlussbescheides). Bei diesen – wie auch bei der später erlassenen Richtlinie vom 31. Mai 2020 – handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, die grundsätzlich nur dazu bestimmt sind, für die Verteilung von Billigkeitsleistungen Maßstäbe zu setzen und das Ermessen der für die Verteilung der jeweiligen Leistungen bestimmten Stellen zu lenken. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung begründen Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetzes- und Rechtsvorschriften bereits durch ihr Vorhandensein subjektive Rechte. Sie unterliegen daher auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen,</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19/94 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2014 – 8 LA 144/13 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Allerdings vermögen Verwaltungsvorschriften über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG) sowie dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 1 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis zum Bürger zu eröffnen. Jeder Anspruchsteller hat dann einen Anspruch darauf, entsprechend den aufgestellten Richtlinien behandelt zu werden. Entscheidend ist, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) gebunden sind,</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Wenn sich die Behörde an ihre Verwaltungsvorschriften hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht sie hingegen generell von den Verwaltungsvorschriften ab, so verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung; ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt,</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18/11 –, juris; vgl. zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung aus dem Zuwendungsrecht auf Billigkeitsleistungen: VG Würzburg, Urteil vom 3. August 2020 – W 8 K 20.743 –, juris; VG München, Beschluss vom 25. Juni 2020 – M 31 K 20.2261 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Nach ihrer Entscheidung, mithin nach Erlass des Zuwendungsbescheides, kann die Bewilligungsbehörde die darin verwandten Begrifflichkeiten nicht mehr frei auslegen. Der Bescheid hat insoweit Fakten geschaffen, über die sie sich nicht mehr nach Ermessen hinwegsetzen kann. Der Zuwendungsempfänger muss sich auf die im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können,</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2018 – 4 A 182/16 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. Juni 2016 – 4 A 1983/13 –, juris; vorgehend erkennende Kammer, Urteil vom 17. Juli 2013 – 20 K 7520/12 – juris.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die im Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis ist demnach maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des ihn (teilweise) ersetzenden Schlussbescheides vom 11. Dezember 2020. Das bedeutet zugleich, dass nach seinem Erlass in Kraft getretene Regelwerke oder spätere Informationen, die von jenen bis zum Erlasszeitpunkt abweichen, nicht zu berücksichtigen sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Bescheid die oben beschriebenen vorläufigen Elemente enthält. Die Vorläufigkeit bezieht sich, wie dargelegt, auf die Höhe der Zuwendung, die im jeweiligen Einzelfall erst zu einem späteren Zeitpunkt endgültig berechnet werden sollte. Welche Maßgaben für diese Berechnung gelten sollten, war jedoch Bestandteil der Verwaltungspraxis im Antragsverfahren und bei Erlass der Bewilligungsbescheide und fand Eingang in die in sämtlichen Bescheiden verwendeten Formulierungen in Ziffern 2. und 3. sowie II.3. Deren Verständnis – ausgerichtet am objektiven Empfängerhorizont – ist mithin ausschlaggebend für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Schlussbescheides. Nur hinsichtlich der aufgrund dieser Berechnungsmodalitäten zu ermittelnden Höhe – nicht bezüglich der Parameter selbst – stand der Ausgangsbescheid unter dem Vorbehalt der Ersetzung durch den Schlussbescheid. Den nicht unter Vorbehalt gestellten Teil des Bewilligungsbescheides kann die Behörde nur unter den Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG NRW aufheben, weil er mit seiner Bekanntgabe Bindungswirkung entfaltet hat.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Das vom Beklagten herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 1997,</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">– 3 C 6/95 –, juris,</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">rechtfertigt keine abweichende Sichtweise. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich von dem hier streitgegenständlichen insbesondere dadurch, dass der Zuwendungsbescheid erst nach Inkrafttreten der geänderten Richtlinie erlassen wurde. Die Frage, ob der dortige Kläger, der jahrelang Zuschüsse nach Maßgabe der vorherigen Richtlinie erhalten hatte, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen konnte, stellt sich hier nicht. Denn der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 wurde auf der Grundlage einer bestimmten Verwaltungspraxis erlassen, die die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber allen Leistungsempfängern gleichermaßen ausgeübt hatte. Von dieser Verwaltungspraxis hätte eine Richtlinie nur bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des vertrauensbildenden Bewilligungsbescheides abweichen können und damit ihrerseits eine (neue oder veränderte) Verwaltungshandhabung begründen können.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">bb. Legt man die danach maßgeblichen endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages nach dem objektiven Empfängerhorizont aus, sind die Festsetzungen zum Liquiditätsengpass und zur Höhe der Soforthilfe in den Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sowie die Begründung hierzu gemessen an diesen Vorgaben materiell rechtswidrig. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Liquiditätsengpass von 2.098,00 Euro vorliegt und die Soforthilfe nur noch 2.098,00 Euro beträgt.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">(1) Im Hinblick auf die materielle Rechtswidrigkeit dieser Regelungen kann die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides, insbesondere die Erforderlichkeit einer Anhörung gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, dahinstehen.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">(2) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides richtete die Bezirksregierung Düsseldorf – wie dargelegt – ihre Verwaltungspraxis an dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Die Richtlinien des Landes NRW „zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind (NRW-Soforthilfe 2020)“ vom 31. Mai 2020 waren noch nicht in der Welt. Gleiches gilt für die vom Beklagten unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandten Emails an sämtliche Antragsteller. Im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Zuwendungsbescheides stellte das beklagte Land (und ebenso der Bund) den Antragstellern – auch der Klägerin – eine Vielzahl von online abrufbaren Hinweisen, insbesondere die sog. FAQ, bereit. Diese spiegeln die Verwaltungspraxis des Beklagten bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf als Bewilligungsbehörde des Landes wider. Diese Verwaltungspraxis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Versicherte ein Anspruchsteller, dass seine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt war, erhielt er eine (vorläufige) Pauschale in einer Höhe, die von der Anzahl der bei ihm Beschäftigten abhing; hatte er – wie die Klägerin – bis einschließlich fünf Beschäftigte, erhielt er 9.000,00 Euro. Wie das Land die „wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Tätigkeit“ definierte, ließ sich an den oben wiedergegebenen Voraussetzungen im Antragsformular (dortige Ziffer 6.1) ablesen. Antragsteller, die – wie die Klägerin – erklärten, diese Voraussetzungen zu erfüllen, erhielten (bei Vorliegen der weiteren Erfordernisse) einen Zuwendungsbescheid. In diesem wurde ebenfalls auf das Bestehen einer finanziellen Notlage, die Überbrückung von Liquiditätsengpässen bzw. die Kompensation der wirtschaftlichen Engpässe abgestellt, ohne diese genau zu umschreiben. Namentlich in Ziffer 2. wurde die Zweckbindung der Soforthilfe so beschrieben, dass sie „zur Milderung der finanziellen Notlage“ „als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung“ erfolge und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“ diene. Der Nebenbestimmung II.3. konnten die Anspruchsteller einen Anhaltspunkt dafür entnehmen, nach welchen Maßgaben die mit dieser Zweckbindung erhaltene Soforthilfe zurückzuzahlen sei. Diese stellte zwei kumulative („und“) Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums auf:</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">-       Die Finanzhilfe war höher als der Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">-       Die Mittel wurden nicht (vollständig) zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich des Liquiditätsengpasses benötigt.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Düsseldorf hat ihre Vergabepraxis auch auf das Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ gestützt. Potentiellen Anspruchsberechtigten standen hierzu sog. Kurzfakten zur Verfügung, in denen es u.a. heißt (Stand 30. März 2020): S. 1 Ziffer 2: „Die Soforthilfe dient der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Unternehmen und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen.“ Ziffer 7: „Eine Kumulierung mit anderen Hilfen […] ist grundsätzlich möglich. Eine Überkompensation ist aber zurückzuzahlen.“ S. 2: „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine Überkompensation vorliegt? […] Der Antragsteller legt bei der Angabe, in welcher Höhe er die Billigkeitsleitung beantragt, seinen voraussichtlichen Liquiditätsengpass zugrunde. Dieser wird auf der Basis seines voraussichtlichen Umsatzes sowie des betrieblichen Sach- und Finanzaufwands für die drei auf die Antragstellung folgenden Monate ermittelt. Sofern die Soforthilfe wie beantragt bewilligt wird und später festgestellt wird, dass der Sach- und Finanzaufwand des Unternehmens oder die tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war, ist das Unternehmen zu einer Rückzahlung des überzahlten Betrags verpflichtet. Auch durch die Kombination von mehreren Hilfsprogrammen kann es zu einer Überkompensation kommen.“</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">An mehreren Stellen werden die Formulierungen „wirtschaftliche Existenz“ sowie „Liquiditätsengpass“ gebraucht (auch auf S. 1 Ziffer 3 und S. 2), ohne dass diese definiert würden. Bei der Beantwortung der Frage, wie geprüft werde, ob eine „Überkompensation“ vorliege, wird explizit eine Umsatzeinbuße zur Voraussetzung für eine Rückerstattungsspflicht gemacht.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land hat dieses Bundesprogramm erweitert und das Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ ins Leben gerufen. Hierzu stellte es Antragstellern auf der Internetpräsenz des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW Hinweise und FAQ zur Verfügung.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 1 vom 25. März 2020 hieß es für die Anspruchsvoraussetzungen zu der Frage, „Was wird gefördert?“: „Die Unternehmen sollen bei der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und Überbrückung von akuten Finanzierungsengpässen, u.a. für laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten u.ä. sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen durch einen Zuschuss unterstützt werden. […] Voraussetzung: erhebliche Finanzierungsengpässe und wirtschaftliche Schwierigkeiten in Folge von Corona. Dies wird angenommen wenn,</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt [….] oder</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">-               der Betrieb auf behördliche Anordnung wegen der Corona-Krise geschlossen wurde oder</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 2 vom 26. März 2020 wurden die Voraussetzungen um eine vierte Möglichkeit zum Auftragseinbruch ergänzt und wie folgt umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen sind […] oder</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt. [….] oder</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">-               der Umsatz durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (= Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020) wurden die Voraussetzungen dann im Wesentlichen unverändert final umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist […] oder</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (für einen noch im März oder April gestellten Antrag werden die Umsätze im März 2020 gegenüber dem Monat März 2019 zugrunde gelegt). Kann der Vorjahresmonat nicht herangezogen werden (z.B. bei Gründungen), gilt der Vormonat. oder</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">-               die Möglichkeiten den Umsatz zu erzielen durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Diese Spiegelstrich-Voraussetzungen mündeten fast wortgleich in das Antragsformular, das die Antragsteller – so auch die Klägerin – online einreichen mussten. Von einem Liquiditätsengpass ist an keiner Stelle die Rede, geschweige denn, dass er definiert würde. Vielmehr wird durchgängig der Begriff „Finanzierungsengpass“ verwendet. Dieser war – gemessen an den zum Antragszeitpunkt feststehenden Zahlen eines Antragstellers – Bedingung für das Entstehen eines Anspruchs. Zwar entspricht der vierte Spiegelstrich der Anspruchsvoraussetzungen „die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen“ im Wesentlichen der späteren Definition des Liquiditätsengpasses in Ziffer 5.3 Abs. 2 der Richtlinie. In den FAQ war dieser Spiegelstrich jedoch lediglich als eine von vier alternativen Möglichkeiten („oder“) vorgesehen, um die Anspruchsberechtigung zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Zu den Fragen „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?“ und „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?“ und „Wie ist eine Überkompensation definiert?“ wurden folgende Antworten gegeben:</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">-       „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller versichert im Formular, dass er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und wahrheitsgetreu gemacht hat. Falsche Angaben, die zu einer unberechtigten Inanspruchnahme der Leistung führen, sind Subventionsbetrug. Die Leistung muss dann nicht nur zurückgeführt werden, es kann dann zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen. […] Der Zuschuss wird als sogenannte Billigkeitsleistung ausgezahlt. Auch im Falle einer Überkompensation (z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen) muss die erhaltene Soforthilfe zurückgezahlt werden. Stellt sich am Ende der Bezugszeit von drei Monaten heraus, dass der Antragsteller mehr erhalten hat, als sein Schaden war, ist er gehalten, das überschüssige Geld zurückzuzahlen. Hierauf wird noch einmal separat im Bescheid hingewiesen.“</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">-       „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Ja. Die Zuschüsse sind nach Mitarbeiterzahl gestaffelt. Innerhalb der entsprechenden Staffelung erhalten Sie den vollen Betrag. Bis zu 5 Mitarbeiter 9.000 Euro, bei bis zu 10 Mitarbeitern 15.000 Euro und bei bis zu 50 Mitarbeitern 25.000 Euro. Bei Überkompensation sind die Beträge zurückzuzahlen (s.o.). Entsprechende Hinweise und die Kontonummer für die Rückzahlung zuviel erhaltener Soforthilfen enthält der Bewilligungsbescheid.“</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">-       „Wie ist eine Überkompensation definiert?“</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">In der Fassung 2 (vom 26. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als erforderlich wären, um den Finanzierungsengpass zu beseitigen.“</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Ab der Fassung 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als sein tatsächlich eingetretener Schaden – also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) ist. Eine Überkompensation ist nach der dreimonatigen Förderphase zurückzuerstatten.“</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">In Abgrenzung zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen, die einen Finanzierungsengpass erforderten, wurde für die Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraums auf eine „Überkompensation“ – gemessen an den dann erst feststehenden Zahlen aus dem Bewilligungszeitraum – abgestellt. Als Beispiele für eine solche nannten die FAQ „z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen“. Nach der ab Fassung 3 der FAQ (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020; FAQ 4 datiert vom 28. März 2020) unverändert geltenden Definition in den FAQ tritt eine Überkompensation ein, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhalten hat, als sein tatsächlich eingetretener Schaden, also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung), ist. Auch hier wird maßgeblich auf einen Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten abgestellt. Der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ fällt in diesem Zusammenhang in den FAQ nicht.</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Schließlich enthält der Bewilligungsbescheid – wie erwähnt – in Ziffer 2. (Zweckbindung) die Formulierungen „zur Milderung der finanziellen Notlage“ und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“. Aus der Nebenbestimmung II.3. ergaben sich zwei kumulative Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums, nämlich dass die „Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“. Der Ausdruck „Überkompensation“ findet sich im Bescheid nicht; welche Bedeutung dem Begriff „Liquiditätsengpass“ zukommen soll, wird nicht umschrieben. Die Nebenbestimmung II.3. gab den maßgeblichen Anhaltspunkt dafür, wie die Zuwendungsempfänger später ihre Rückmeldung durchführen sollten; aus ihr ergab sich auch der Umfang der Vorläufigkeit des Verwaltungsaktes; hier wurden die Berechnungsmodalitäten für die spätere Feststellung einer – an dieser Stelle nicht so genannten – Überkompensation festgelegt. Wenn sie auch mehr als missverständlich formuliert ist, so konnten die Bescheidadressaten – auch die Klägerin – ihr immerhin entnehmen, dass eine Rückzahlungspflicht bereits dann ausgeschlossen sein sollte, wenn der Umsatzausfall die Finanzhilfe überstieg. Insoweit korrelierte die Bestimmung mit den FAQ. Wie die zweite Voraussetzung zu verstehen ist, die die Bezeichnungen „wirtschaftliche Existenz“ und „Liquiditätsengpass“ aufnimmt, wird weder aus sich heraus noch im Kontext mit dem übrigen Inhalt des Bescheides deutlich. Vielmehr lag für einen durchschnittlichen Antragsteller nach der Lektüre der FAQ und der ersten Voraussetzung der Nebenbestimmung II.3. nahe, dass eine Verpflichtung zur Rückzahlung der zunächst erhaltenen Soforthilfe dann in Betracht kam, wenn er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellte, dass seine tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war als zunächst angenommen. Mit anderen Worten, dass Maßstab für eine Erstattungspflicht eine „Überkompensation“ war, die im Wesentlichen von Umsatzeinbußen und ersparten Aufwendungen abhing.</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Festzuhalten ist mithin, dass die Verwaltungspraxis des beklagten Landes bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf bis zum Erlass der jeweiligen Bewilligungsbescheide durch eine Vielzahl von Informationen gekennzeichnet war, die aus sich heraus entweder nicht ohne Weiteres verständlich waren oder jedenfalls keinen eindeutigen – schon gar nicht begrifflich erläuterten – Hinweis auf die Voraussetzungen für eine spätere Rückzahlungspflicht gaben. Nachvollziehbar für die Anspruchsteller war immerhin, dass sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen von jenen des späteren Rückmeldeverfahrens unterschieden. Unter welchen Bedingungen es zu einer Rückerstattung kommen würde, blieb aber weitgehend unklar. Das gilt namentlich für den den Schlusspunkt des Zuwendungsverfahrens setzenden Bewilligungsbescheid. Hier (in der Nebenbestimmung II.3.) wie auch in den den Antragstellern zuvor zur Verfügung gestellten Informationen wird eher der Eindruck erweckt, es komme darauf an, wie sich der Umfang der Umsatzeinbußen im dreimonatigen Bewilligungszeitraum gestalten werde. Werde die Soforthilfe höher sein als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), so dürften die zu viel erhaltenen Mittel nicht behalten werden. Dies wird zum Teil auch als „Überkompensation“ bezeichnet. Soweit der Begriff „Liquiditätsengpass“ überhaupt gebraucht wird – im Antragsformular findet er sich nicht –, wird nicht deutlich, was unter ihm zu verstehen ist. Dass ihm ein Verständnis im Sinne der Anforderungen der späteren Richtlinie beizulegen wäre, ist weder den FAQ noch dem Bewilligungsbescheid aus der Sicht eines durchschnittlichen Adressaten zu entnehmen. Soweit in der Nebenbestimmung II.3. auf einen Liquiditätsengpass abgestellt wird, handelt es sich lediglich um eine zweite Voraussetzung für eine Rückerstattungspflicht. Mit anderen Worten: Die Rückzahlungspflicht wird hiernach nicht ausgelöst, wenn bereits die erste Bedingung nicht erfüllt ist, wenn also die Finanzhilfe nicht höher ist als der Umsatzausfall. Liegt die erste Voraussetzung vor, ist die zweite zu prüfen. Jedoch bleibt auch hier völlig unklar, was unter Liquiditätsengpass zu verstehen und wie dieser zu berechnen ist. Solche Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde,</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1983 – 7 C 70/80 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. März 2020 – 17 K 4793/21 –, juris; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwvfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 80 m.w.N.; von Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand: 1. Januar 2022, § 35 Rn. 46 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Im Kontext mit den Gegebenheiten des Verwaltungsverfahrens durfte die Klägerin davon ausgehen, die Soforthilfe nur dann (teilweise) erstatten zu müssen, wenn sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraumes feststellte, dass die Zuwendung höher war als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), wenn also eine Überkompensation in diesem Sinne vorlag. Da ihre Umsatzeinbuße unstreitig die Höhe der Soforthilfe von 9.000,00 Euro überstieg, durfte sie annehmen, die Mittel behalten zu dürfen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre nach dem oben Gesagten allerdings im Dunkeln geblieben, wann die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Nebenbestimmung II.3. vorgelegen hätten. Denn – wie bereits ausgeführt – wurde im Bewilligungsverfahren der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ nicht definiert. Lediglich der ähnliche Begriff des „Finanzierungsengpasses“ wurde im Bewilligungsverfahren definiert, allerdings nur im Rahmen der vier alternativ erfüllbaren Anspruchsvoraussetzungen und gemessen an den bei Antragstellung feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller. Eine Übertragung dieser Definition auf eine Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraumes gemessen an den dann feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller aus diesem Bewilligungszeitraum macht keinen Sinn bzw. ist zumindest nicht aus sich heraus verständlich. Eine solche missverständliche Fassung der Nebenbestimmung II.3. geht – wie ebenfalls bereits ausgeführt – nicht zu Lasten der Klägerin.</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf dem Schlussbescheid vom 6. Dezember 2020 nicht die beschriebenen – wenngleich missverständlichen – Parameter für die Berechnung einer etwaigen Rückzahlungspflicht zugrunde gelegt hat, führt dazu, dass der Schlussbescheid (insoweit) den Bewilligungsbescheid nicht ersetzen kann. Werden die Regelungen des Schlussbescheides mit jenen des Bewilligungsbescheides abgeglichen, ist ersichtlich, dass diesen ein anderes Verständnis der Rückzahlungsbedingungen immanent ist, als es sich aus dem auf der Basis der Förderpraxis ergangenen Bewilligungsbescheid ergibt. Im Schlussbescheid ist nur noch von einem „Liquiditätsengpass“ die Rede (insbesondere in der Überschrift, im Eingangssatz, in Ziffer 1. sowie mehrfach in der Begründung); die Formulierungen „finanzielle Notlage“, „wirtschaftliche Engpässe“ o.ä. wurden nicht aufgenommen. In den Gründen unter II.3. findet sich der Ausdruck der „Überkompensation“, die 6.902,00 Euro betrage. Das Verständnis des Begriffs des Liquiditätsengpasses im Schlussbescheid beruht auf der Definition der zu diesem Zeitpunkt bereits erlassenen Richtlinie des Landes. Erstmals wird dort präzise umschrieben, dass der Liquiditätsengpass sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlichen laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben (ohne Personalaufwand) unter Berücksichtigung eingesparter Kosten im Erfassungszeitraum ergibt (Ziffer 5.3. Abs. 2). Dieses Verständnis ließ sich den Umständen des Antragsverfahrens nicht entnehmen, auch nicht dem Bewilligungsbescheid selbst. Nach den vorstehenden Ausführungen ist nicht maßgeblich, wie die den Antragstellern zum Zeitpunkt des Erlasses der Bewilligungsbescheide noch nicht bekannten Bestimmungen der Richtlinie lauteten. Diese Vorschriften wären im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang allenfalls dann relevant, wenn ihr Wortlaut mit dem Verwaltungshandeln und den Begrifflichkeiten des Erstbescheides übereinstimmte. Da er indes von der Verwaltungspraxis abweicht, kommt es auf die Praxis, nicht auf die Ausgestaltung der Verwaltungsvorschrift an. Dies gilt auch deshalb, weil die Bewilligungsbehörde gegenüber den Zuwendungsempfängern im Ausgangsbescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass die Modalitäten der Rückzahlung von einer noch zu erlassenen Richtlinie abhängen sollten.</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Beruhten die im angegriffenen Schlussbescheid getroffenen Festsetzungen zum Liquiditätsengpass, zur Höhe der Soforthilfe und zur Höhe der Rückzahlungspflicht somit auf einer Berechnungsmethode, die nicht mit der – zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt des Bewilligungsbescheides bestehenden – Verwaltungspraxis korrelierte, führt dies – unabhängig von der tatsächlichen Umsatzentwicklung der Klägerin im Bewilligungszeitraum – zur Rechtswidrigkeit des Schlussbescheides.</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">II. Aus der Rechtswidrigkeit der für die Klägerin nachteiligen Bestimmungen des Schlussbescheides folgt die Rechtsverletzung der Klägerin, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung.</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">C. Die Berufung ist von Amts wegen gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, liegen die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">150</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss:</strong></p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Streitwert wird auf 6.902,00 Euro festgesetzt.</strong></p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 GKG erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p> <span class="absatzRechts">162</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table>
346,427
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20 K 7488/20
2022-08-16T00:00:00
2022-09-06T10:01:12
2022-10-17T11:09:46
Urteil
ECLI:DE:VGD:2022:0816.20K7488.20.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 6. Dezember 2020 wird aufgehoben.</strong></p> <p><strong>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.</strong></p> <p><strong>Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist Steuerberater und erwirtschaftet den deutlich überwiegenden Teil seiner Umsätze durch Vorträge in der Aus- und Fortbildung von Steuerberatern.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mitte März 2020 gerieten insbesondere kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie („harter Lockdown“) in wirtschaftliche Notlagen. Als Reaktion hierauf schuf der Bund das Programm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“, um betroffenen Unternehmen und Selbstständigen kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte hierzu unter anderem Eckpunkte vom 23. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/03/2020-03-23-pm-Soforthilfefond-download.pdf?__blob=publicationFile&v=3</span>,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">und Kurzfakten vom 30. März 2020,</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/J-L/kurzfakten-corona-soforthilfen.pdf?__blob=publicationFile&v=12.</span></p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beschloss, das Programm des Bundes in vollem Umfang an die vorgesehenen Zielgruppen weiterzuleiten und erweiterte das Bundesprogramm um die Empfängergruppen mit bis zu 50 Beschäftigten. Beide Maßnahmen wurden in der „NRW-Soforthilfe 2020“ gebündelt. Die federführende Verantwortung lag bei dem damaligen Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf dessen Internetpräsenz waren sog. FAQ in verschiedenen Fassungen unter dem Link <span style="text-decoration:underline">https://wirtschaft.nrw.de/nrw-soforthilfe-2020</span> abrufbar. Bezüglich des genauen Inhalts wird auf die vom Beklagten übersandten Anlagen B5 bis B19 sowie die vom Kläger übersandten Anlagen vom 16. Juli 2021, 19. September 2021 und 18. Februar 2022 verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Bereits mit Email vom 26. März 2020 hatte sich der Kläger bei dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen nach dem Volltext der gesetzlichen Regelung zur Soforthilfe erkundigt. Mit Email des Ministeriums vom 27. März 2020 war er auf den Link <span style="text-decoration:underline">https://wirtschaft.nrw.de/nrw-soforthilfe-2020</span> verwiesen worden, wo alle Informationen rund um das Soforthilfeprogramm zu finden seien.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger stellte seinen Antrag am 1. April 2020 und verwendete hierfür das online vom Beklagten bereitgestellte Formular „Antrag auf Gewährung einer Soforthilfe für von der Corona-Krise 03/2020 besonders geschädigte Unternehmen und Angehörige Freier Berufe einschließlich Soloselbstständige aus dem Soforthilfeprogramm des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Bundesprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmer und Soloselbstständige“ („NRW-Soforthilfe 2020“)“.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Antragsformular hieß es unter Ziffer 5.:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">„Die Soforthilfe wird als Billigkeitsleistung auf der Grundlage der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“) zur Überwindung der existenzbedrohenden Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses gewährt.“</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.1 versicherte der Kläger: „Falls nicht anders angegeben, sind die Kriterien auf den Zeitpunkt der Antragstellung zu beziehen. Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">-               mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen, Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.2 versicherte der Kläger:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">„Ich versichere, dass die in Nr. 1.1. benannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen und ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat.“</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Unter Ziffer 6.11 versicherte der Kläger:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">„Mir ist bekannt, dass ich den Zuschuss als Billigkeitsleistung erhalte und im Falle einer Überkompensation (Entschädigungs-, Versicherungsleistungen, andere Fördermaßnahmen) die erhaltene Soforthilfe zurückzahlen muss.“</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 1. April 2020 bewilligte die Bezirksregierung Düsseldorf dem Kläger auf seinen Antrag eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro. Der Betrag wurde kurze Zeit später in voller Höhe ausgezahlt. In dem Bescheid, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"> <img height="23" width="330" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_0.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="21" width="51" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_1.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="321" width="577" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_2.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><img height="190" width="570" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_3.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"> <img height="25" width="244" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_4.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="21" width="28" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_5.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="368" width="582" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_6.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Am 31. Mai 2020 wurden die „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ als Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (Az. VB 5 - 2020) – im Folgenden: Richtlinie – erlassen und traten laut Ziffer 9. mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandte der Beklagte an sämtliche Antragsteller Emails, in denen er auf die Notwendigkeit zur Durchführung eines Rückmeldeverfahrens, den hierfür bereitgestellten Vordruck sowie die hierbei nach seiner Auffassung geltenden Regelungen und Fristen hinwies.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Bereits am 6. Dezember 2020 füllte der Kläger das vom Beklagten online bereitgestellte „Rückmelde-Formular ermittelter Liquiditätsengpass NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Der Kläger wählte hierin als Förderzeitraum die Zeit vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020. Nach Eingabe seiner vom Formular abgefragten Einnahmen und Ausgaben in diesem Berechnungszeitraum ergab sich, dass der Kläger im Monat April einen Einnahmenüberschuss in Höhe von 00 Euro, im Monat Mai von 00 Euro und im Monat Juni 00 Euro (Zeile 24) hatte. Ausgewiesen wurde ein Liquiditätsengpass von 0 Euro im Förderzeitraum (Zeile 25); zu seinen Gunsten wurde lediglich ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von 2.000,00 Euro angesetzt. Hieraus ergab sich ein Rückzahlungsbetrag in Höhe von 7.000,00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Unter dem 6. Dezember 2020 erließ die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber dem Kläger einen Schlussbescheid mit folgendem Tenor:</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><img height="25" width="199" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_7.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /> <img height="24" width="228" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_8.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /> <img height="158" width="543" src="20_K_7488_20_Urteil_20220816_9.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führte die Bezirksregierung aus, der Kläger habe am 6. Dezember 2020 einen tatsächlichen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.000,00 Euro gemeldet. Die Feststellung des Liquiditätsengpasses und die Festsetzung der Soforthilfe beruhten auf § 53 Landeshaushaltsordnung NRW (LHO) i.V.m. der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Sars-CoV-2 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020"), der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen über die „Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige" vom 1. April 2020 einschließlich der dazu erlassenen Vollzugshinweise sowie den „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ („NRW-Soforthilfe 2020“) vom 31. Mai 2020. Nach Ziffern 3.1, 3.2, 5.2 und 5.3 der Richtlinie sei die NRW-Soforthilfe 2020 antragsberechtigten Leistungsempfängern, die die Antragsvoraussetzungen erfüllt hätten, zunächst in voller Höhe gewährt worden. Die endgültige Festsetzung habe nach Meldung der Berechnung der Höhe des Liquiditätsengpasses zu erfolgen. Ergebe sich dabei, dass der vorläufig vollständig gezahlte Soforthilfebetrag nicht oder nur teilweise vom Liquiditätsengpass abgedeckt sei, werde die Soforthilfe nur in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt; anderenfalls sei die vorläufige Zahlung endgültig. Die Rückforderung des überzahlten Differenzbetrages beruhe auf § 49a Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) i.V.m. Ziffer 5.3 der Richtlinie und der Bestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides. § 49a Abs. 1 VwVfG NRW sei entsprechend anzuwenden, weil der Bewilligungsbescheid die Soforthilfe wegen des noch unbekannten Liquiditätsengpasses zunächst vorläufig gewährt habe und durch den Schlussbescheid hinsichtlich der Höhe der Zuwendung ersetzt worden sei.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 14. Dezember 2020 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führt er aus, der Zuschuss sei auf der Basis von FAQ, die im Internet veröffentlicht gewesen seien und einen Finanzierungsengpass erforderten, gewährt worden. Der Finanzierungsengpass sei dort so definiert worden, dass es vier Arten von Finanzierungsengpässen gegeben habe. Hiervon habe er drei erfüllt:</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">-       Wegfall von mehr als der Hälfte des Auftragsbestandes: Er sei Steuerberater, erwirtschafte aber den überwiegenden Teil seiner Umsätze durch Aus- und Fortbildung von Steuerberatern. Präsenzvorträge seien im fraglichen Zeitraum nicht möglich gewesen und hätten nur in geringem Umfang ersatzweise online durchgeführt werden können. Zwar habe er die weggefallenen Aufträge durch neue ersetzt, der ursprüngliche Auftragsbestand sei aber coronabedingt entfallen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">-       Halbierung der Umsätze des Antragsmonats im Vergleich zum Vorjahresmonat: Im April 2019 habe er Umsätze von 00 Euro erzielt, im April 2020 hingegen 00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">-       Massive Einschränkung der Umsatzerzielungsmöglichkeit durch behördliche Auflagen: Seine Haupteinnahmequelle seien Seminare, Präsenzseminare seien aber untersagt worden und hätten erst nach gewisser Vorbereitungszeit zum Teil durch Online-Seminare ersetzt werden können.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der Bewilligungsbescheid habe sodann die Nebenbestimmung II.3. enthalten, wonach der Betrag zurückzuzahlen sei, sollte am Ende des dreimonatigen Bezugszeitraumes feststehen, dass die Billigkeitsleistung höher sei als sein Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderungen) und er die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz bzw. zum Ausgleich seines Liquiditätsengpasses benötigt habe. Hiernach sei insbesondere ein Vergleich der Soforthilfe mit dem Umsatzausfall vorgesehen gewesen. Beide Voraussetzungen (Umsatzausfall und Benötigung der Mittel) erfülle er:</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">-       Umsatzausfall: Aus einem Vergleich der Umsätze in den Monaten April bis Juni in den Jahren 2019 und 2020 ergebe sich, dass sein Umsatzausfall insgesamt 00 Euro, also mehr als 9.000,00 Euro betragen habe. Hiervon abzuziehende ersparte Aufwendungen habe er im Ergebnis nicht gehabt.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">-       Benötigung der Mittel: Er habe in dem Betrachtungszeitraum Betriebsausgaben von deutlich über 9.000,00 Euro getragen und den gesamten Zuschuss für Betriebsausgaben verwendet.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die in den Bewilligungsbescheid aufgenommene Nebenbestimmung II.3. entspreche – anders als vom Beklagten vorgetragen – auch in etwa der in den Kurzfakten zum Bundesprogramm genannten Berechnungsmethode, zumal diese wenig konkreten Kurzfakten durch die FAQ des Beklagten erläutert worden seien.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Zu betonen sei hierbei, dass die Regelung zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz bzw. zum Ausgleich seines Liquiditätsengpasses auch nicht eindeutig formuliert sei, worauf es aber letztendlich nicht ankomme. Ferner habe der Bewilligungsbescheid unter Ziffer 2. geregelt, dass die Soforthilfe insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen diene. Eine Begrenzung, dass damit ausschließlich Liquiditätsengpässe überbrückt werden dürften, habe der Bescheid nicht enthalten. Ferner werde unter Ziffer 2. ausgeführt, dass die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des Selbstständigen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfolgen dürfe. Der hier verwendete Begriff der „finanziellen Notlage“ entspreche dem Begriff des „Finanzierungsengpasses“ aus den FAQ.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Mit dem Schlussbescheid ändere der Beklagte das „und“ in Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides nun in ein „oder“. Eine Rückzahlungspflicht für den in Ziffer 5.3 der Richtlinie geregelten Fall hätten weder die FAQ noch der Bewilligungsbescheid vorgesehen und die Richtlinie habe am Tag des Erlasses des Bewilligungsbescheides noch nicht existiert. Die rückwirkende Verkündung der Richtlinie am 31. Mai 2020 mit Wirkung ab dem 27. März 2020 ändere daran nichts. Er habe auf den Inhalt des Bewilligungsbescheides vertrauen dürfen und bei Erhalt des Bewilligungsbescheides nicht mit einer Rückzahlungspflicht wegen des erst zwei Monate später geschaffenen Phänomens des „Liquiditätsengpasses", der in der Differenz zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bestehe (also einem Verlust entspreche), rechnen müssen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Zur Frage des Vertrauensschutzes sei zusätzlich auszuführen, dass er nach seiner Email vom 26. März 2020 von dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen für alle Informationen zum Soforthilfeprogramm auf den Link <span style="text-decoration:underline">https://wirtschaft.nrw.de/nrw-soforthilfe-2020</span> verwiesen worden sei. Eine Rückzahlungspflicht sei dort nur vorgesehen gewesen im Falle einer Überkompensation und entsprechend der Formulierung im Bewilligungsbescheid. Die dortige Definition der Überkompensation habe keinen Hinweis darauf enthalten, dass die Differenz aus Einnahmen und Ausgaben für die Höhe des Zuschusses oder für die Höhe einer Rückzahlungspflicht relevant sein könne. Zudem sei zum Zeitpunkt seiner Antragstellung in den FAQ noch die Information abrufbar gewesen: „Wofür darf der Zuschuss genutzt werden? Der Zuschuss kann genutzt werden, um finanzielle Engpässe, wie z. B. Bankkredite, Leasingraten, Mieten usw., zu bedienen. Der nach Prüfung des Antrags elektronisch übermittelte Bewilligungsbescheid, kann auch bei der Bank vorgezeigt werden. Er gilt als Nachweis, dass das Land den Zuschuss auszahlen wird. Soloselbständige im Haupterwerb beziehen ihren Lebensunterhalt aus ihrer selbstständigen Tätigkeit und müssen daher auch ihr eigenes Gehalt erwirtschaften, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbstständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.“ Die nun in der Richtlinie vorgesehene Begrenzung des fiktiven Gehalts auf 2.000,00 Euro für einen Zeitraum von drei Monaten sei bei seiner Antragstellung nicht absehbar gewesen und bei einem in Vollzeit tätigen Akademiker unangemessen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Der Bewilligungsbescheid sei auch kein vorläufiger Verwaltungsakt, da dieser als solcher nicht bezeichnet worden sei. Selbst wenn man von einem vorläufigen Verwaltungsakt ausgehe, wäre diese Vorläufigkeit auf den im Bewilligungsbescheid genannten Fall begrenzt. Der Vorbehalt dürfe sich nur auf die Aspekte beziehen, wegen derer die Regelung unter Vorbehalt gestellt worden sei.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong>den Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 6. Dezember 2020 aufzuheben.</strong></p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt er vor, der vom Kläger im Rahmen der Rückmeldung angegebene tatsächliche Liquiditätsengpass betrage 2.000,00 Euro. Demensprechend sei ein Liquiditätsengpass in dieser Höhe festgestellt, die Soforthilfe in dieser Höhe festgesetzt und der überschießende Betrag in Höhe von 7.000,00 Euro zurückgefordert worden.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Für die im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Rechtsfragen sei von entscheidender Bedeutung, dass die NRW-Soforthilfe 2020 nicht nur eines von mehreren staatlichen Hilfsangeboten zur Abmilderung der beträchtlichen negativen ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie, sondern vielmehr die allererste, unbürokratische und unverzügliche Liquiditätshilfe – eben eine Soforthilfe – gewesen sei. Über die Internetpräsenz des ehemaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW habe sich jeder Betroffene im Vorfeld der Antragstellung umfassend über den Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 und die Antragsberechtigung informieren können. Hierdurch habe jedem Antragsteller unmissverständlich klar werden müssen, dass die NRW-Soforthilfe 2020 der Sicherstellung der Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben gedient habe und jeder Hilfeempfänger nach Ende des Bewilligungszeitraums verpflichtet gewesen sei, seinen tatsächlichen Liquiditätsengpass zu berechnen und zu viel erhaltene Mittel zurückzuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Bei der ursprünglichen Bewilligung habe es sich um die nur vorläufige positive Bescheidung des Antrages zur NRW-Soforthilfe 2020 gehandelt, die erst durch die Festsetzung der tatsächlichen Höhe der Antragsberechtigung aufgrund des später ermittelten Liquiditätsengpasses endgültig verbindlich beschieden worden sei. Begründung und Berechtigung für die vorläufige Bescheidung sei die Ungewissheit über die zu treffende endgültige Entscheidung, namentlich die konkrete Höhe der zu gewährenden Soforthilfe anhand des nachträglich zu ermittelnden, konkreten Liquiditätsengpasses im maßgeblichen Bewilligungszeitraum gewesen. Hiernach sei der Bewilligungsbescheid zwingend auf eine Ergänzung durch einen weiteren Verwaltungsakt angelegt gewesen, durch den die Zuwendung erst abschließend habe geregelt werden sollen. Dieser sei in Form des Schlussbescheids ergangen. Die Vorläufigkeit und Notwendigkeit eines Schlussbescheides hätten sich ohne weiteres aus den Ziffern 5.2 und 5.3 der Richtlinie sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides ergeben. Eindeutig ablesbar seien sie aber auch aus den Kurzfakten zum Bundesprogramm. Hintergrund sei, dass Nordrhein-Westfalen sich bei der Umsetzung des Bundesprogramms im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern dafür entschieden habe, zunächst den Förderhöchstbetrag als Pauschale auszuzahlen, um Verzögerungen bei der Auszahlung zu vermeiden. Dies habe ein Rückmeldeverfahren unabdingbar gemacht, in welchem der individuelle Liquiditätsengpass ermittelt und die tatsächliche Förderhöhe habe festgestellt werden müssen. Dabei komme es an dieser Stelle überhaupt noch nicht darauf an, ob sich die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe aus einem tatsächlich vorhandenen Liquiditätsengpass oder aus einem tatsächlich vorhandenen Umsatzausfall berechne. Denn jedenfalls habe jedem Empfänger durch die Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides offensichtlich klar sein müssen, dass aus den tatsächlichen Entwicklungen eine jedenfalls teilweise Rückzahlungspflicht entstehen könne, man die erhaltene Soforthilfe also nicht unbedingt, jedenfalls nicht unbedingt in voller Höhe werde behalten können. Mit dem Bewilligungsbescheid sei lediglich über die grundsätzliche Antragsberechtigung entschieden worden, jedoch noch nicht abschließend über die Höhe der Soforthilfe. Da der Bewilligungsbescheid eine vorläufige Regelung treffe und sich somit eine endgültige Regelung vorbehalten habe, habe die Bewilligungsbehörde diesen durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen können, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für den Schlussbescheid sei dementsprechend § 53 LHO i.V.m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ (Corona Soforthilfeprogramm des Bundes), der dazu ergangenen Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem beklagten Land über die Corona Soforthilfen und die erst nach Erlass der Bewilligungsbescheide am 31. Mai 2020 mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft getretene Richtlinie. Die Höhe der tatsächlich zustehenden Soforthilfe und damit korrespondierend die Höhe einer Rückzahlungspflicht bestimme sich in Konkretisierung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides nach den Vorgaben der Richtlinie. Dem stehe insbesondere nicht der Erlass der Richtlinie am 31. Mai 2020 mit Wirkung zum 27. März 2020 entgegen. Denn die Richtlinie sei als ministerieller Runderlass eine bloße interne Verwaltungsvorschrift, die allein dazu gedient habe, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung zu gewährleisten. Als eben solche Verwaltungsvorschrift habe die Richtlinie für ihre Wirksamkeit grundsätzlich nicht einmal veröffentlicht werden müssen. Zudem habe sie der Ermessenslenkung bei Erlass der Schlussbescheide gedient, welche durchweg erst nach dem 31. Mai 2020 erlassen worden seien.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei formell rechtmäßig, insbesondere liege keine Verletzung der Anhörungspflicht gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor, da gem. § 28 Abs. 2 Nr. 4 Varianten 2 und 3 VwVfG NRW von einer Anhörung habe abgesehen werden dürfen. Die abschließend festzusetzende Soforthilfe habe sich rechnerisch aus den von den Antragstellern im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zu tätigenden Angaben ergeben. Solche Fälle seien zu Hunderten aufgetreten und die Entscheidungsfindung bei den Schlussbescheiden sei partiell automatisiert, d.h. softwaregesteuert, erfolgt. Die Antragsteller hätten entsprechend Ziffer 5.3 der Richtlinie die Rückmeldung digital vorlegen müssen. Sofern der vom Antragsteller hierbei angegebene Liquiditätsengpass niedriger als die erfolgte Auszahlung gewesen sei, sei durch das System automatisch ein entsprechender Schlussbescheid generiert worden. Ungeachtet dessen wäre selbst eine Verletzung der Anhörungspflicht im vorliegenden Fall nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, da dies die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Ihm habe in den Fällen, in denen der Liquiditätsengpass letztlich niedriger gewesen sei als die vorläufig gewährte Billigkeitsleistung, aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes keine Entscheidungsfreiheit zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Soforthilfe hätten nur in der im Schlussbescheid angegebenen Höhe vorgelegen. Nach Ziffer 5.3 der Richtlinie werde die NRW-Soforthilfe maximal in Höhe des Liquiditätsengpasses gewährt. Der Liquiditätsengpass ergebe sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im dreimonatigen Erfassungszeitraum. Der Erfassungszeitraum beginne grundsätzlich mit dem Tag der Antragstellung und entspreche dem Bewilligungszeitraum. Die Ermittlung und Prüfung des bei einem Antragsteller entstandenen Liquiditätsengpasses erfolge am Ende des Erfassungs- bzw. Bewilligungszeitraums. Die NRW-Soforthilfe 2020 diene nach Ziffer 1.1 der Richtlinie der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz von Unternehmen und damit ausschließlich zur Deckung der laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen des Unternehmens. Hierauf weise auch Ziffer 2. des Bewilligungsbescheides noch einmal hin. Dies ergebe auch eine Gesamtschau der beschlossenen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen –  Kurzarbeitergeld und Erleichterung der Prüfungsvoraussetzung für die Gewährung von ALG II. In Abgrenzung zur NRW-Soforthilfe 2020 solle etwa das Gehalt von Mitarbeitern durch das Kurzarbeitergeld gewährt und für den persönlichen Lebensunterhalt ALG II beantragt werden. Private finanzielle Schwierigkeiten würden demnach allein aufgefangen durch Sozialleistungen nach dem SGB. Dieser Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 ergebe sich bereits aus der Formulierung im Antragsformular unter Ziffer 6.1, vierter Spiegelstrich: „Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder (...) - die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z. B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“ Dieser Sinn und Zweck der Soforthilfe ergebe sich auch eindeutig aus den FAQ sowie den Eckpunkten und Kurzfakten zum Bundesprogramm. Sinn und Zweck der NRW-Soforthilfe 2020 sei also entgegen der Ansicht des Klägers weder, sämtliche Umsatz- und Einnahmeverluste der Unternehmen auszugleichen, noch die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Unternehmen zu verhindern und erst recht nicht, private Existenzen zu sichern.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Ermessen habe der Bezirksregierung Düsseldorf beim Erlass des Schlussbescheides aufgrund der Bindungswirkung der Richtlinie nicht zugestanden.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Der Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides stehe schließlich kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegen. Es liege vielmehr gerade im Wesen der Vorläufigkeit, dass ein Vertrauen auf die Endgültigkeit der Regelung nicht entstehen könne. Gegen einen bestehenden Vertrauensschutz des Klägers spreche zudem, dass ihm in Ansehung der Ziffer 5.3 der Richtlinie der Soforthilfe NRW sowie der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides habe bewusst sein müssen, dass er die NRW-Soforthilfe nur insofern werde behalten dürfen, als dass seine tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb die tatsächlich laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben im Bewilligungszeitraum überstiegen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">A. Die bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Halbs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Der Schlussbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 6. Dezember 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">I. Der Schlussbescheid vom 6. Dezember 2020 ist rechtswidrig.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">1. Die in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides ausgesprochene Rückforderung eines Betrages von 7.000,00 Euro kann nicht auf § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW gestützt werden. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">a. Eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 1. April 2020 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG NRW ist ersichtlich nicht gegeben. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Bewilligungsbescheid jedoch auch nicht durch den Erlass des angefochtenen Schlussbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise widerrufen. Die – hier allein in Betracht kommenden – Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG NRW sind nicht erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">aa. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den Erlass des Schlussbescheides nicht damit begründet, der Kläger habe die erhaltene Leistung (teilweise) nicht für den in dem Bewilligungsbescheid bestimmten Zweck verwendet (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Schlussbescheid verhält sich vielmehr zu der Frage, in welcher Höhe bei dem Kläger ein Liquiditätsengpass auf der Grundlage seiner Angaben festzustellen sei. Über die Interpretation des Begriffs des Liquiditätsengpasses streiten die Beteiligten. Der Vorwurf einer nicht zweckgerechten Verwendung der erhaltenen Zuwendung ist den Regelungen des Schlussbescheides allerdings nicht zu entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">bb. Mit dem Bewilligungsbescheid ist auch keine Auflage im Sinne von § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG NRW verbunden, die der Begünstigte nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Eine Auflage ist eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW). Zwar zielt die Nebenbestimmung II.3. auf eine Handlungsverpflichtung des Zuwendungsempfängers ab. Mit ihr wird dem Adressaten des Bescheides – hier dem Kläger – eine Prüfungspflicht auferlegt: Sollte er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, „dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen“. Der Schlussbescheid enthält aber nicht den Vorwurf, der Kläger sei dieser aus dem Bewilligungsbescheid resultierenden Pflicht nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen. Vielmehr geht die Behörde davon aus, dass der Kläger Angaben zur Höhe des Liquiditätsengpasses gemacht hat, auf Grund derer sie sich zur Teilrückforderung des gewährten Betrages berechtigt sieht. Da die Voraussetzungen für einen Widerruf mithin insoweit nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob es sich bei der in Ziffer II.3. getroffenen Regelung um eine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW in Abgrenzung zu einer Bedingung oder einer Inhaltsbestimmung handelt.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">b. Schließlich folgt eine Erstattungspflicht des Klägers auch nicht daraus, dass der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist (§ 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW). Eine solche Bedingung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW, nach der der Wegfall einer Vergünstigung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt, enthält der Bewilligungsbescheid nicht.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Unter den Begriff des Ereignisses fallen von der Außenwelt wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse, nicht hingegen nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörende Vorstellungen. Als Ereignis kommt lediglich ein rein tatsächlicher Vorgang in Betracht, der sinnlich wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich ist, ohne dass es für seine Bejahung noch einer rechtlichen Wertung bedürfte. Darauf, ob die rechtliche Wertung einfach oder schwierig ist, kommt es nicht an. Da das künftige ungewisse Ereignis kraft Gesetzes ohne weiteren Zwischenschritt einen Rechtsverlust oder einen Rechtsgewinn herbeiführt, muss sein Eintritt auch aus Gründen der Rechtssicherheit für alle Beteiligten – für den Adressaten des Bescheids, für die Behörde und ggf. für Dritte – gleichermaßen ohne Weiteres erfassbar sein,</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17, juris; BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 ‒ 10 C 15.14 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2018 ‒ 4 A 1781/15 ‒, juris.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Bei der Nebenbestimmung II.3. handelt es sich nicht um eine Bedingung in diesem Sinne. In ihr wird kein zur automatischen Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides führendes Ereignis benannt. Die vom Zuwendungsempfänger am Ende des Bewilligungszeitraumes zu treffende Beurteilung, ob die Finanzhilfe höher ist als der Umsatzausfall, lässt sich nur durch eine Berechnung anhand betriebswirtschaftlicher Auswertungen durchführen; sie mag aus Sicht der Bewilligungsbehörde korrekt oder aber fehlerhaft durchgeführt worden sein. Jedenfalls bedarf es einer Bewertung, die einen Automatismus zwischen dem Eintritt eines künftigen Ereignisses und der Unwirksamkeit des Zuwendungsbescheides im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW ausschließt.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">2. Als Ermächtigungsgrundlage für das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung Düsseldorf kommt § 49a Abs. 1 VwVfG NRW in entsprechender Anwendung in Betracht. Die Vorschrift ist analog anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsleistung zunächst nur vorläufig bewilligt hat, rückwirkend durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt wird, der die Leistung endgültig in geringerer Höhe festsetzt. Der Empfänger muss eine hiernach zu viel erhaltene Leistung erstatten,</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; VGH Kassel, Urteil vom 13. Mai 2014 – 9 A 2289/12 –, BeckRS 2014, 53405; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 49 Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW analog liegen indes nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Selbst unterstellt, die Bezirksregierung Düsseldorf hätte die zu erstattende Forderung endgültig in Form eines Schlussbescheides festsetzen können, da sie mit Bescheid vom 1. April 2020 die Zuwendung lediglich vorläufig bewilligt hätte, hätte sie bei Erlass des Schlussbescheides dennoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Soforthilfe nur noch 2.000,00 Euro beträgt. Denn die Festsetzungen in Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sind rechtswidrig. Daraus folgt auch die Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderung in Ziffer 3.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">a. Zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf kann unterstellt werden, dass das Subventionsverhältnis in der Weise geregelt war, dass zunächst vorläufig durch Bescheid vom 1. April 2020 eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro bewilligt und ausgezahlt wurde, deren endgültige genaue Höhe von der ungewissen Entwicklung des Unternehmens des Antragstellers während des dreimonatigen Bewilligungszeitraums abhing. Der Bewilligungsbescheid wäre in diesem Fall darauf angelegt gewesen, die Höhe der Zuwendung nicht definitiv zu regeln, sondern diese zunächst vorläufig zu gewähren und abschließend erst später festzusetzen. Dies wäre durch Erlass des sog. Schlussbescheides geschehen. Damit hätte sich die Bezirksregierung Düsseldorf der Handlungsform des sog. vorläufigen Verwaltungsaktes bedient, die für den Sachbereich des Subventionsrechts durch die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung anerkannt ist,</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Eine Billigkeitsleistung kann unter dem Vorbehalt einer späteren definitiven Entscheidung bewilligt werden, wenn und soweit eine bestehende Ungewissheit hierfür einen sachlichen Grund gibt. Der Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung bewirkt, dass die Behörde die einstweilige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG NRW gebunden zu sein,</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris m.w.N; BVerwG, Urteil vom 14. April 1983 – 3 C 8/82 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Die vorläufige Regelung verliert mit dem Erlass der endgültigen Festsetzung ihre Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG NRW),</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Das Bestehen einer Ungewissheit rechtfertigt die Existenz des vorläufigen Verwaltungsaktes sowie den damit einhergehenden Widerspruch zwischen der dem Verwaltungsakt immanenten Bestandskraft und dem mit der Vorläufigkeit verbundenen flexiblen Element. In einer solchen Konstellation stellt der vorläufige Verwaltungsakt einen angemessenen Ausgleich zwischen den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Verwaltungsverfahren und dem Gebot der Effektivität des Verwaltungshandelns dar, indem trotz verbleibender Unsicherheiten bereits zu einem frühen Zeitpunkt zugunsten des Bürgers entschieden werden kann,</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">vgl. Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 27 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Vorläufigkeit muss sich dabei nicht auf den gesamten Bescheid beziehen, sondern kann und muss gegebenenfalls auf einzelne Aspekte beschränkt werden. Auch wenn die Behörde einen unter Vorbehalt gestellten Verwaltungsakt später durch einen abschließenden Bescheid ersetzt, so kommt doch eine inhaltlich abweichende Regelung im Schlussbescheid – außer in den Fällen der §§ 48, 49 VwVfG NRW – nur in Betracht, wenn sie aus den Gründen ergeht, wegen derer die frühere Regelung unter Vorbehalt gestellt wurde. Welche Elemente eines Zuwendungsbescheides vorläufig sind und welche Inhalte bereits eine gesicherte Rechtsposition vermitteln, ist durch – am Empfängerhorizont orientierte – Auslegung zu ermitteln. Jenen – nicht mit Vorbehalt versehenen – Teil des Zuwendungsbescheides kann die Behörde nur unter Beachtung der §§ 48, 49 VwVfG NRW aufheben,</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7/09 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2017 – 4 A 2078/15 –, juris; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 Rn. 35 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Neben einer die Vorläufigkeit der Regelung rechtfertigenden Unsicherheit ist Voraussetzung für einen Vorbehalt, dass die Vorläufigkeit und ihr Umfang im Verwaltungsakt selbst zum Ausdruck kommen,</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 248; OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2020 – 4 A 436/17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 28. September 1990 – 15 A 708/88 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann hinsichtlich der Festsetzung der genauen Höhe der Soforthilfe zu Gunsten der Bezirksregierung Düsseldorf unterstellt werden. Diesbezüglich kann angenommen werden, es habe bei Erlass des Bewilligungsbescheides eine Ungewissheit, die den Erlass einer lediglich vorläufigen Regelung rechtfertigte, bestanden. Demgegenüber wurden zu anderen Fragen ersichtlich bereits abschließende Regelungen getroffen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 kann bei verständiger Würdigung so ausgelegt werden, dass er dem Kläger hinsichtlich der Zuwendung dem Grunde nach eine gesicherte Rechtsposition vermitteln wollte. Dies folgt aus den Formulierungen in Ziffern 2. und 3. des Bescheides ebenso wie aus den Umständen des Antragsverfahrens. Grundsätzlich berechtigt, eine Zuwendung zu erhalten, waren jene Antragsteller, deren wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Pandemie bereits wesentlich beeinträchtigt war. Unter Ziffer 6.1 des Antragsformulars mussten die Antragsteller versichern, dass ihre „wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt“ war, da entweder</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist oder</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">-               die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten).“</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Die grundsätzliche Antragsberechtigung setzte damit – für jeden Antragsteller erkennbar –diesen zum Zeitpunkt der Bewilligung bereits sicher feststellbaren Umstand voraus. Hieran knüpfen die Regelungen in Ziffern 2. und 3. des Bewilligungsbescheides an, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf darauf abgestellt hat, dass die Soforthilfe der Milderung bzw. Kompensation der „unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe“ (Ziffer 3.), „der finanziellen Notlagen“ bzw. „der Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind“ (Ziffer 2.), dient. Da diese Voraussetzungen im Falle des Klägers im Grundsatz erfüllt waren, erhielt er durch den Bescheid vom 1. April 2020 die Soforthilfe dem Grunde nach vorbehaltlos.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Weitere Gesichtspunkte unterlagen ebenfalls keinem Vorbehalt, wie etwa die Anzahl der im Unternehmen Beschäftigten (Nebenbestimmung II.1.) oder gewisse in den Nebenbestimmungen II.4. bis 8. geregelte Modalitäten.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber kann der Bescheid hinsichtlich der Höhe der Soforthilfe und damit des Behaltendürfens des Gesamtbetrages so verstanden werden, dass er unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung stand. Dieser Vorbehalt betrifft die Regelung unter Ziffer 1., mit der die Bewilligung eines Betrages von 9.000,00 Euro ausgesprochen wurde. Dass sich weder in Ziffer 1. noch an anderer Stelle des Bescheides die Worte „Vorbehalt“, „vorläufig“ oder dergleichen finden, steht der Annahme einer vorläufigen Regelung nicht zwingend entgegen. Denn die Formulierung der in Ziffer 1. getroffenen Regelung, die Umstände des Antragsverfahrens sowie der Zusammenhang mit dem Inhalt der Nebenbestimmung II.3. ermöglichen auch ohne explizite Wortwahl eine Deutung, wonach der Zuwendungsbetrag unter dem Vorbehalt einer späteren Entscheidung gewährt wurde. Die Nebenbestimmung II.3. enthielt folgende Regelung: „Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel […] zurückzuzahlen.“ Damit wurde die endgültige Höhe der unter Ziffer 1. bewilligten Soforthilfe von einer zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses unbekannten Größe, die erst am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststand, abhängig gemacht. Die Vorläufigkeit der Regelung bezüglich der Höhe der Soforthilfe kam auch in Ziffer 1. ansatzweise zum Ausdruck. Dort hieß es, dass eine Soforthilfe in Höhe von 9.000,00 Euro als „einmalige Pauschale“ gewährt werde. Im Gesamtkontext konnte diese Formulierung zumindest auch so verstanden werden, dass zunächst ein Betrag in toto gezahlt wurde, dessen endgültige, genaue Höhe zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden musste. Denn in Ziffer 1. wurde klargestellt, dass die Bewilligung aufgrund des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erfolge. In den vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hierzu online veröffentlichten Kurzfakten vom 30. März 2020 ging aus der Antwort zu der Frage, „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine „Überkompensation“ vorlag?“, hervor, dass es bei der Antragstellung auf einen „voraussichtlichen Liquiditätsengpass“ ankam, welcher später mit den tatsächlichen Zahlen des Unternehmens abzugleichen sei. Zudem enthielt auch die Nebenbestimmung in Ziffer II.3. des Bewilligungsbescheides den Hinweis auf das am Ende des Bewilligungszeitraums durchzuführende Rückmeldeverfahren, welches eine Rückzahlungspflicht zur Folge haben könne.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf selbst von einer vorläufigen Bewilligung der Finanzhilfe ausging, hat schließlich in der Begründung des Rückforderungsverlangens in Ziffer II.3. der Gründe des Schlussbescheides ihren Ausdruck gefunden. Dort hat sich die Behörde auf eine entsprechende Anwendung von § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur vorläufigen Bewilligung einer Leistung berufen sowie darauf hingewiesen, dass die Leistung wegen des zunächst noch unbekannten Liquiditätsengpasses zunächst nur vorläufig bewilligt worden sei und der Schlussbescheid den vorläufigen Bescheid „hinsichtlich der Höhe des Soforthilfe-Betrages“ ersetze.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Kann somit einerseits bezüglich der Höhe der Zuwendung unterstellt werden, diese sei unter Vorbehalt gestellt worden, so hat die Bezirksregierung Düsseldorf aber andererseits mit der Ausgestaltung der Nebenbestimmung II.3. des Bewilligungsbescheides zu erkennen gegeben, welche Parameter sie einer späteren Berechnung des Förderbetrages zugrunde legen wollte. Diese Vorgaben „Finanzhilfe höher […] als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten“, „Mittel nicht vollständig zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“ schränken, ebenso wie die in Ziffer 2. bezeichnete Zweckbindung, ihrerseits die Vorläufigkeit des Bescheides wieder ein, indem die endgültige Regelung sich an diesen zu orientieren hat. Unabhängig davon, wie diese zu verstehen sind, hat die Behörde mit ihnen bereits Berechnungsgrößen für die endgültige Höhe der Soforthilfe bzw. für das Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung aufgestellt. An diesen selbst geschaffenen Vorgaben muss sie – und damit das beklagte Land – sich festhalten lassen; etwaige Fehler gehen zu ihren Lasten, weil die Behörde es zu jenem Zeitpunkt in der Hand gehabt hat, eine andere Regelung zu treffen, wie dies offenbar in anderen Bundesländern geschehen ist. Nach welchen Parametern man die endgültige Berechnung des Förderbetrages später durchführen wollte, hing auch nicht von einem zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides noch unbekannten und daher eine vorläufige Regelung rechtfertigendem Umstand ab, sondern war allein Gegenstand einer politischen Entscheidung, die zu diesem Zeitpunkt schon getroffen werden konnte und mit der Formulierung des Bewilligungsbescheides auch bereits getroffen wurde.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">b. Die Entscheidung der Bezirksregierung Düsseldorf, im Schlussbescheid einen Liquiditätsengpass in Höhe von 2.000,00 Euro festzustellen (Ziffer 1.), die Soforthilfe in dieser Höhe festzusetzen (Ziffer 2.) und ihre Bewertung, dass „die Voraussetzungen für die […] Höhe […] der Billigkeitsleitung nicht mehr vorliegen oder eine Überkompensation eingetreten“ und diese Überkompensation von 7.000,00 Euro zurückzuzahlen ist (so ausdrücklich die Gründe des angegriffenen Schlussbescheides, S. 3 Ziffer II.3.), erweist sich selbst bei der vorgenannten Annahme der teilweisen Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides als rechtsfehlerhaft. Denn sie beruht auf einem Verständnis von den Begriffen des Liquiditätsengpasses bzw. der Überkompensation, die im insoweit maßgeblichen und endgültige Vorgaben treffenden Bewilligungsbescheid keine Grundlage finden. Aus diesem Grunde konnte der Schlussbescheid den Bewilligungsbescheid insoweit nicht rechtmäßigerweise ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">aa. Die bereits endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages sind für die Rechtmäßigkeit des Schlussbescheides maßgeblich.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Zuwendung wurde dem Kläger nicht auf Grund eines Gesetzes oder anderer Rechtsnormen gewährt, aus denen sich eine unmittelbare Bindung für den Beklagten und unmittelbare Rechtsansprüche für den Kläger ergäben. Vielmehr wurde der Bewilligungsbescheid nach Maßgabe des Programms zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ erlassen (vgl. insoweit auch den Kopf sowohl des Bewilligungs- als auch des Schlussbescheides). Bei diesen – wie auch bei der später erlassenen Richtlinie vom 31. Mai 2020 – handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, die grundsätzlich nur dazu bestimmt sind, für die Verteilung von Billigkeitsleistungen Maßstäbe zu setzen und das Ermessen der für die Verteilung der jeweiligen Leistungen bestimmten Stellen zu lenken. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung begründen Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetzes- und Rechtsvorschriften bereits durch ihr Vorhandensein subjektive Rechte. Sie unterliegen daher auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen,</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19/94 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2014 – 8 LA 144/13 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Allerdings vermögen Verwaltungsvorschriften über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG) sowie dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 1 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis zum Bürger zu eröffnen. Jeder Anspruchsteller hat dann einen Anspruch darauf, entsprechend den aufgestellten Richtlinien behandelt zu werden. Entscheidend ist, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) gebunden sind,</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6/95 –, juris; BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2016 – 15 A 1822/15 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Wenn sich die Behörde an ihre Verwaltungsvorschriften hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht sie hingegen generell von den Verwaltungsvorschriften ab, so verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung; ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt,</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18/11 –, juris; vgl. zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung aus dem Zuwendungsrecht auf Billigkeitsleistungen: VG Würzburg, Urteil vom 3. August 2020 – W 8 K 20.743 –, juris; VG München, Beschluss vom 25. Juni 2020 – M 31 K 20.2261 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Nach ihrer Entscheidung, mithin nach Erlass des Zuwendungsbescheides, kann die Bewilligungsbehörde die darin verwandten Begrifflichkeiten nicht mehr frei auslegen. Der Bescheid hat insoweit Fakten geschaffen, über die sie sich nicht mehr nach Ermessen hinwegsetzen kann. Der Zuwendungsempfänger muss sich auf die im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können,</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2018 – 4 A 182/16 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. Juni 2016 – 4 A 1983/13 –, juris; vorgehend erkennende Kammer, Urteil vom 17. Juli 2013 – 20 K 7520/12 – juris.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Die im Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis ist demnach maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des ihn (teilweise) ersetzenden Schlussbescheides vom 6. Dezember 2020. Das bedeutet zugleich, dass nach seinem Erlass in Kraft getretene Regelwerke oder spätere Informationen, die von jenen bis zum Erlasszeitpunkt abweichen, nicht zu berücksichtigen sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Bescheid die oben beschriebenen vorläufigen Elemente enthält. Die Vorläufigkeit bezieht sich, wie dargelegt, auf die Höhe der Zuwendung, die im jeweiligen Einzelfall erst zu einem späteren Zeitpunkt endgültig berechnet werden sollte. Welche Maßgaben für diese Berechnung gelten sollten, war jedoch Bestandteil der Verwaltungspraxis im Antragsverfahren und bei Erlass der Bewilligungsbescheide und fand Eingang in die in sämtlichen Bescheiden verwendeten Formulierungen in Ziffern 2. und 3. sowie II.3. Deren Verständnis – ausgerichtet am objektiven Empfängerhorizont – ist mithin ausschlaggebend für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Schlussbescheides. Nur hinsichtlich der aufgrund dieser Berechnungsmodalitäten zu ermittelnden Höhe – nicht bezüglich der Parameter selbst – stand der Ausgangsbescheid unter dem Vorbehalt der Ersetzung durch den Schlussbescheid. Den nicht unter Vorbehalt gestellten Teil des Bewilligungsbescheides kann die Behörde nur unter den Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG NRW aufheben, weil er mit seiner Bekanntgabe Bindungswirkung entfaltet hat.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Das vom Beklagten herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 1997,</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">– 3 C 6/95 –, juris,</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">rechtfertigt keine abweichende Sichtweise. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich von dem hier streitgegenständlichen insbesondere dadurch, dass der Zuwendungsbescheid erst nach Inkrafttreten der geänderten Richtlinie erlassen wurde. Die Frage, ob der dortige Kläger, der jahrelang Zuschüsse nach Maßgabe der vorherigen Richtlinie erhalten hatte, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen konnte, stellt sich hier nicht. Denn der Bewilligungsbescheid vom 1. April 2020 wurde auf der Grundlage einer bestimmten Verwaltungspraxis erlassen, die die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber allen Leistungsempfängern gleichermaßen ausgeübt hatte. Von dieser Verwaltungspraxis hätte eine Richtlinie nur bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des vertrauensbildenden Bewilligungsbescheides abweichen können und damit ihrerseits eine (neue oder veränderte) Verwaltungshandhabung begründen können.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">bb. Legt man die danach maßgeblichen endgültigen Vorgaben im Bewilligungsbescheid zu den Parametern der späteren Berechnung des Förderbetrages nach dem objektiven Empfängerhorizont aus, sind die Festsetzungen zum Liquiditätsengpass und zur Höhe der Soforthilfe in den Ziffern 1. und 2. des Schlussbescheides sowie die Begründung hierzu gemessen an diesen Vorgaben materiell rechtswidrig. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Liquiditätsengpass von 2.000,00 Euro vorliegt und die Soforthilfe nur noch 2.000,00 Euro beträgt.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">(1) Im Hinblick auf die materielle Rechtswidrigkeit dieser Regelungen kann die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides, insbesondere die Erforderlichkeit einer Anhörung gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, dahinstehen.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">(2) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides richtete die Bezirksregierung Düsseldorf – wie dargelegt – ihre Verwaltungspraxis an dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige" und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Die Richtlinien des Landes NRW „zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind (NRW-Soforthilfe 2020)“ vom 31. Mai 2020 waren noch nicht in der Welt. Gleiches gilt für die vom Beklagten unter dem 3. Juli 2020, 5. Oktober 2020, 2. Dezember 2020 sowie 14. Juni 2021 versandten Emails an sämtliche Antragsteller. Im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Zuwendungsbescheides stellte das beklagte Land (und ebenso der Bund) den Antragstellern – auch dem Kläger – eine Vielzahl von online abrufbaren Hinweisen, insbesondere die sog. FAQ, bereit. Diese spiegeln die Verwaltungspraxis des Beklagten bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf als Bewilligungsbehörde des Landes wider. Diese Verwaltungspraxis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Versicherte ein Anspruchsteller, dass seine wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Krise wesentlich beeinträchtigt war, erhielt er eine (vorläufige) Pauschale in einer Höhe, die von der Anzahl der bei ihm Beschäftigten abhing; hatte er – wie der Kläger – 00 Beschäftigte, erhielt er 9.000,00 Euro. Wie das Land die „wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Tätigkeit“ definierte, ließ sich an den oben wiedergegebenen Voraussetzungen im Antragsformular (dortige Ziffer 6.1) ablesen. Antragsteller, die – wie der Kläger – erklärten, diese Voraussetzungen zu erfüllen, erhielten (bei Vorliegen der weiteren Erfordernisse) einen Zuwendungsbescheid. In diesem wurde ebenfalls auf das Bestehen einer finanziellen Notlage, die Überbrückung von Liquiditätsengpässen bzw. die Kompensation der wirtschaftlichen Engpässe abgestellt, ohne diese genau zu umschreiben. Namentlich in Ziffer 2. wurde die Zweckbindung der Soforthilfe so beschrieben, dass sie „zur Milderung der finanziellen Notlage“ „als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung“ erfolge und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“ diene. Der Nebenbestimmung II.3. konnten die Anspruchsteller einen Anhaltspunkt dafür entnehmen, nach welchen Maßgaben die mit dieser Zweckbindung erhaltene Soforthilfe zurückzuzahlen sei. Diese stellte zwei kumulative („und“) Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums auf:</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">-       Die Finanzhilfe war höher als der Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">-       Die Mittel wurden nicht (vollständig) zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich des Liquiditätsengpasses benötigt.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Düsseldorf hat ihre Vergabepraxis auch auf das Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ gestützt. Potentiellen Anspruchsberechtigten standen hierzu sog. Kurzfakten zur Verfügung, in denen es u.a. heißt (Stand 30. März 2020): S. 1 Ziffer 2: „Die Soforthilfe dient der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Unternehmen und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen.“ Ziffer 7: „Eine Kumulierung mit anderen Hilfen […] ist grundsätzlich möglich. Eine Überkompensation ist aber zurückzuzahlen.“ S. 2: „Wie wird hinterher geprüft, ob nicht eine Überkompensation vorliegt? […] Der Antragsteller legt bei der Angabe, in welcher Höhe er die Billigkeitsleitung beantragt, seinen voraussichtlichen Liquiditätsengpass zugrunde. Dieser wird auf der Basis seines voraussichtlichen Umsatzes sowie des betrieblichen Sach- und Finanzaufwands für die drei auf die Antragstellung folgenden Monate ermittelt. Sofern die Soforthilfe wie beantragt bewilligt wird und später festgestellt wird, dass der Sach- und Finanzaufwand des Unternehmens oder die tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war, ist das Unternehmen zu einer Rückzahlung des überzahlten Betrags verpflichtet. Auch durch die Kombination von mehreren Hilfsprogrammen kann es zu einer Überkompensation kommen.“</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">An mehreren Stellen werden die Formulierungen „wirtschaftliche Existenz“ sowie „Liquiditätsengpass“ gebraucht (auch auf S. 1 Ziffer 3 und S. 2), ohne dass diese definiert würden. Bei der Beantwortung der Frage, wie geprüft werde, ob eine „Überkompensation“ vorliege, wird explizit eine Umsatzeinbuße zur Voraussetzung für eine Rückerstattungsspflicht gemacht.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land hat dieses Bundesprogramm erweitert und das Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ ins Leben gerufen. Hierzu stellte es Antragstellern auf der Internetpräsenz des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW Hinweise und FAQ zur Verfügung.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 1 vom 25. März 2020 hieß es für die Anspruchsvoraussetzungen zu der Frage, „Was wird gefördert?“: „Die Unternehmen sollen bei der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und Überbrückung von akuten Finanzierungsengpässen, u.a. für laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten u.ä. sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen durch einen Zuschuss unterstützt werden. […] Voraussetzung: erhebliche Finanzierungsengpässe und wirtschaftliche Schwierigkeiten in Folge von Corona. Dies wird angenommen wenn,</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt [….] oder</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">-               der Betrieb auf behördliche Anordnung wegen der Corona-Krise geschlossen wurde oder</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 2 vom 26. März 2020 wurden die Voraussetzungen um eine vierte Möglichkeit zum Auftragseinbruch ergänzt und wie folgt umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen sind […] oder</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">-               sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt. [….] oder</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">-               der Umsatz durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (= Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">In den FAQ 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020) wurden die Voraussetzungen dann im Wesentlichen unverändert final umformuliert:</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">-               „mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen ist […] oder</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">-               die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (für einen noch im März oder April gestellten Antrag werden die Umsätze im März 2020 gegenüber dem Monat März 2019 zugrunde gelegt). Kann der Vorjahresmonat nicht herangezogen werden (z.B. bei Gründungen), gilt der Vormonat. oder</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">-               die Möglichkeiten den Umsatz zu erzielen durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde oder</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">-               die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass).“</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Diese Spiegelstrich-Voraussetzungen mündeten fast wortgleich in das Antragsformular, das die Antragsteller – so auch der Kläger – online einreichen mussten. Von einem Liquiditätsengpass ist an keiner Stelle die Rede, geschweige denn, dass er definiert würde. Vielmehr wird durchgängig der Begriff „Finanzierungsengpass“ verwendet. Dieser war – gemessen an den zum Antragszeitpunkt feststehenden Zahlen eines Antragstellers – Bedingung für das Entstehen eines Anspruchs. Zwar entspricht der vierte Spiegelstrich der Anspruchsvoraussetzungen „die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebskosten, Leasingraten) zu zahlen“ im Wesentlichen der späteren Definition des Liquiditätsengpasses in Ziffer 5.3 Abs. 2 der Richtlinie. In den FAQ war dieser Spiegelstrich jedoch lediglich als eine von vier alternativen Möglichkeiten („oder“) vorgesehen, um die Anspruchsberechtigung zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Zu den Fragen „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?“ und „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?“ und „Wie ist eine Überkompensation definiert?“ wurden folgende Antworten gegeben:</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">-       „Wird geprüft, ob dem Antragsteller die Hilfe auch wirklich zugestanden hat und wenn nein, muss die Hilfe ggfls. zurückgezahlt werden?</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller versichert im Formular, dass er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und wahrheitsgetreu gemacht hat. Falsche Angaben, die zu einer unberechtigten Inanspruchnahme der Leistung führen, sind Subventionsbetrug. Die Leistung muss dann nicht nur zurückgeführt werden, es kann dann zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen. […] Der Zuschuss wird als sogenannte Billigkeitsleistung ausgezahlt. Auch im Falle einer Überkompensation (z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen) muss die erhaltene Soforthilfe zurückgezahlt werden. Stellt sich am Ende der Bezugszeit von drei Monaten heraus, dass der Antragsteller mehr erhalten hat, als sein Schaden war, ist er gehalten, das überschüssige Geld zurückzuzahlen. Hierauf wird noch einmal separat im Bescheid hingewiesen.“</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">-       „Wird immer der Maximalbetrag ausgezahlt?</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Ja. Die Zuschüsse sind nach Mitarbeiterzahl gestaffelt. Innerhalb der entsprechenden Staffelung erhalten Sie den vollen Betrag. Bis zu 5 Mitarbeiter 9.000 Euro, bei bis zu 10 Mitarbeitern 15.000 Euro und bei bis zu 50 Mitarbeitern 25.000 Euro. Bei Überkompensation sind die Beträge zurückzuzahlen (s.o.). Entsprechende Hinweise und die Kontonummer für die Rückzahlung zuviel erhaltener Soforthilfen enthält der Bewilligungsbescheid.“</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">-       „Wie ist eine Überkompensation definiert?“</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">In der Fassung 2 (vom 26. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als erforderlich wären, um den Finanzierungsengpass zu beseitigen.“</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">Ab der Fassung 3 (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020): „Eine Überkompensation entsteht dann, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhält, als sein tatsächlich eingetretener Schaden – also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) ist. Eine Überkompensation ist nach der dreimonatigen Förderphase zurückzuerstatten.“</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">In Abgrenzung zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen, die einen Finanzierungsengpass erforderten, wurde für die Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraums auf eine „Überkompensation“ – gemessen an den dann erst feststehenden Zahlen aus dem Bewilligungszeitraum – abgestellt. Als Beispiele für eine solche nannten die FAQ „z.B. durch Versicherungsleistung oder andere Fördermaßnahmen“. Nach der ab Fassung 3 der FAQ (Datum nach Anlage B2 unbekannt; Datum der Speicherung: 25. März 2020; FAQ 4 datiert vom 28. März 2020) unverändert geltenden Definition in den FAQ tritt eine Überkompensation ein, wenn der Antragsteller mehr Zuwendungen erhalten hat, als sein tatsächlich eingetretener Schaden, also insbesondere der durch die Corona-Krise eingetretene Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung), ist. Auch hier wird maßgeblich auf einen Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten abgestellt. Der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ fällt in diesem Zusammenhang in den FAQ nicht.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Schließlich enthält der Bewilligungsbescheid – wie erwähnt – in Ziffer 2. (Zweckbindung) die Formulierungen „zur Milderung der finanziellen Notlage“ und „insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen“. Aus der Nebenbestimmung II.3. ergaben sich zwei kumulative Voraussetzungen für eine Rückzahlungspflicht am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums, nämlich dass die „Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen“. Der Ausdruck „Überkompensation“ findet sich im Bescheid nicht; welche Bedeutung dem Begriff „Liquiditätsengpass“ zukommen soll, wird nicht umschrieben. Die Nebenbestimmung II.3. gab den maßgeblichen Anhaltspunkt dafür, wie die Zuwendungsempfänger später ihre Rückmeldung durchführen sollten; aus ihr ergab sich auch der Umfang der Vorläufigkeit des Verwaltungsaktes; hier wurden die Berechnungsmodalitäten für die spätere Feststellung einer – an dieser Stelle nicht so genannten – Überkompensation festgelegt. Wenn sie auch mehr als missverständlich formuliert ist, so konnten die Bescheidadressaten – auch der Kläger – ihr immerhin entnehmen, dass eine Rückzahlungspflicht bereits dann ausgeschlossen sein sollte, wenn der Umsatzausfall die Finanzhilfe überstieg. Insoweit korrelierte die Bestimmung mit den FAQ. Wie die zweite Voraussetzung zu verstehen ist, die die Bezeichnungen „wirtschaftliche Existenz“ und „Liquiditätsengpass“ aufnimmt, wird weder aus sich heraus noch im Kontext mit dem übrigen Inhalt des Bescheides deutlich. Vielmehr lag für einen durchschnittlichen Antragsteller nach der Lektüre der FAQ und der ersten Voraussetzung der Nebenbestimmung II.3. nahe, dass eine Verpflichtung zur Rückzahlung der zunächst erhaltenen Soforthilfe dann in Betracht kam, wenn er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellte, dass seine tatsächliche Umsatzeinbuße doch geringer war als zunächst angenommen. Mit anderen Worten, dass Maßstab für eine Erstattungspflicht eine „Überkompensation“ war, die im Wesentlichen von Umsatzeinbußen und ersparten Aufwendungen abhing.</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Festzuhalten ist mithin, dass die Verwaltungspraxis des beklagten Landes bzw. der Bezirksregierung Düsseldorf bis zum Erlass der jeweiligen Bewilligungsbescheide durch eine Vielzahl von Informationen gekennzeichnet war, die aus sich heraus entweder nicht ohne Weiteres verständlich waren oder jedenfalls keinen eindeutigen – schon gar nicht begrifflich erläuterten – Hinweis auf die Voraussetzungen für eine spätere Rückzahlungspflicht gaben. Nachvollziehbar für die Anspruchsteller war immerhin, dass sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen von jenen des späteren Rückmeldeverfahrens unterschieden. Unter welchen Bedingungen es zu einer Rückerstattung kommen würde, blieb aber weitgehend unklar. Das gilt namentlich für den den Schlusspunkt des Zuwendungsverfahrens setzenden Bewilligungsbescheid. Hier (in der Nebenbestimmung II.3.) wie auch in den den Antragstellern zuvor zur Verfügung gestellten Informationen wird eher der Eindruck erweckt, es komme darauf an, wie sich der Umfang der Umsatzeinbußen im dreimonatigen Bewilligungszeitraum gestalten werde. Werde die Soforthilfe höher sein als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), so dürften die zu viel erhaltenen Mittel nicht behalten werden. Dies wird zum Teil auch als „Überkompensation“ bezeichnet. Soweit der Begriff „Liquiditätsengpass“ überhaupt gebraucht wird – im Antragsformular findet er sich nicht –, wird nicht deutlich, was unter ihm zu verstehen ist. Dass ihm ein Verständnis im Sinne der Anforderungen der späteren Richtlinie beizulegen wäre, ist weder den FAQ noch dem Bewilligungsbescheid aus der Sicht eines durchschnittlichen Adressaten zu entnehmen. Soweit in der Nebenbestimmung II.3. auf einen Liquiditätsengpass abgestellt wird, handelt es sich lediglich um eine zweite Voraussetzung für eine Rückerstattungspflicht. Mit anderen Worten: Die Rückzahlungspflicht wird hiernach nicht ausgelöst, wenn bereits die erste Bedingung nicht erfüllt ist, wenn also die Finanzhilfe nicht höher ist als der Umsatzausfall. Liegt die erste Voraussetzung vor, ist die zweite zu prüfen. Jedoch bleibt auch hier völlig unklar, was unter Liquiditätsengpass zu verstehen und wie dieser zu berechnen ist. Solche Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde,</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1983 – 7 C 70/80 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. März 2020 – 17 K 4793/21 –, juris; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwvfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 80 m.w.N.; von Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand: 1. Januar 2022, § 35 Rn. 46 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Im Kontext mit den Gegebenheiten des Verwaltungsverfahrens durfte der Kläger davon ausgehen, die Soforthilfe nur dann (teilweise) erstatten zu müssen, wenn er am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraumes feststellte, dass die Zuwendung höher war als der Umsatzausfall (abzüglich eingesparter Kosten), wenn also eine Überkompensation in diesem Sinne vorlag. Da seine Umsatzeinbuße unstreitig die Höhe der Soforthilfe von 9.000,00 Euro überstieg, durfte er annehmen, die Mittel behalten zu dürfen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre nach dem oben Gesagten allerdings im Dunkeln geblieben, wann die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Nebenbestimmung II.3. vorgelegen hätten. Denn – wie bereits ausgeführt – wurde im Bewilligungsverfahren der Begriff des „Liquiditätsengpasses“ nicht definiert. Lediglich der ähnliche Begriff des „Finanzierungsengpasses“ wurde im Bewilligungsverfahren definiert, allerdings nur im Rahmen der vier alternativ erfüllbaren Anspruchsvoraussetzungen und gemessen an den bei Antragstellung feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller. Eine Übertragung dieser Definition auf eine Rückzahlungspflicht am Ende des Bewilligungszeitraumes gemessen an den dann feststehenden wirtschaftlichen Zahlen der Antragsteller aus diesem Bewilligungszeitraum macht keinen Sinn bzw. ist zumindest nicht aus sich heraus verständlich. Eine solche missverständliche Fassung der Nebenbestimmung II.3. geht – wie ebenfalls bereits ausgeführt – nicht zu Lasten des Klägers.</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Dass die Bezirksregierung Düsseldorf dem Schlussbescheid vom 6. Dezember 2020 nicht die beschriebenen – wenngleich missverständlichen – Parameter für die Berechnung einer etwaigen Rückzahlungspflicht zugrunde gelegt hat, führt dazu, dass der Schlussbescheid (insoweit) den Bewilligungsbescheid nicht ersetzen kann. Werden die Regelungen des Schlussbescheides mit jenen des Bewilligungsbescheides abgeglichen, ist ersichtlich, dass diesen ein anderes Verständnis der Rückzahlungsbedingungen immanent ist, als es sich aus dem auf der Basis der Förderpraxis ergangenen Bewilligungsbescheid ergibt. Im Schlussbescheid ist nur noch von einem „Liquiditätsengpass“ die Rede (insbesondere in der Überschrift, im Eingangssatz, in Ziffer 1. sowie mehrfach in der Begründung); die Formulierungen „finanzielle Notlage“, „wirtschaftliche Engpässe“ o.ä. wurden nicht aufgenommen. In den Gründen unter II.3. findet sich der Ausdruck der „Überkompensation“, die 7.000,00 Euro betrage. Das Verständnis des Begriffs des Liquiditätsengpasses im Schlussbescheid beruht auf der Definition der zu diesem Zeitpunkt bereits erlassenen Richtlinie des Landes. Erstmals wird dort präzise umschrieben, dass der Liquiditätsengpass sich aus der Differenz zwischen den tatsächlichen fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb und den tatsächlichen laufenden, erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben (ohne Personalaufwand) unter Berücksichtigung eingesparter Kosten im Erfassungszeitraum ergibt (Ziffer 5.3. Abs. 2). Dieses Verständnis ließ sich den Umständen des Antragsverfahrens nicht entnehmen, auch nicht dem Bewilligungsbescheid selbst. Nach den vorstehenden Ausführungen ist nicht maßgeblich, wie die den Antragstellern zum Zeitpunkt des Erlasses der Bewilligungsbescheide noch nicht bekannten Bestimmungen der Richtlinie lauteten. Diese Vorschriften wären im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang allenfalls dann relevant, wenn ihr Wortlaut mit dem Verwaltungshandeln und den Begrifflichkeiten des Erstbescheides übereinstimmte. Da er indes von der Verwaltungspraxis abweicht, kommt es auf die Praxis, nicht auf die Ausgestaltung der Verwaltungsvorschrift an. Dies gilt auch deshalb, weil die Bewilligungsbehörde gegenüber den Zuwendungsempfängern im Ausgangsbescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass die Modalitäten der Rückzahlung von einer noch zu erlassenen Richtlinie abhängen sollten.</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Beruhten die im angegriffenen Schlussbescheid getroffenen Festsetzungen zum Liquiditätsengpass, zur Höhe der Soforthilfe und zur Höhe der Rückzahlungspflicht somit auf einer Berechnungsmethode, die nicht mit der – zum maßgeblichen Erlasszeitpunkt des Bewilligungsbescheides bestehenden – Verwaltungspraxis korrelierte, führt dies – unabhängig von der tatsächlichen Umsatzentwicklung des Klägers im Bewilligungszeitraum – zur Rechtswidrigkeit des Schlussbescheides.</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">II. Aus der Rechtswidrigkeit der für den Kläger nachteiligen Bestimmungen des Schlussbescheides folgt die Rechtsverletzung des Klägers, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung.</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">C. Die Berufung ist von Amts wegen gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, liegen die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">161</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss:</strong></p> <span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Streitwert wird auf 7.000,00 Euro festgesetzt.</strong></p> <span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 GKG erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p> <span class="absatzRechts">173</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table>
346,416
ovgnrw-2022-08-16-15-e-53422
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
15 E 534/22
2022-08-16T00:00:00
2022-09-03T10:01:32
2022-10-17T11:09:44
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0816.15E534.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Etwaige Kosten des Antragsgegners werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers, mit welcher er sich gegen die auf § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 3 GVG gestützte Feststellung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf hinsichtlich der dortigen örtlichen Zuständigkeit im Rahmen des von ihm betriebenen isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens wendet, ist unzulässig, da sie nicht statthaft ist.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Bereits das Verwaltungsgericht hat in seinem angegriffenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die Entscheidung nach § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar ist. Dem tritt der Senat bei. Zwar hat der Senat bereits in der Vergangenheit aus Anlass einer früheren Prozesskostenhilfebeschwerde des Antragstellers entschieden, dass er entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 83 Rn. 3; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 42. EL Februar 2022, § 83 Rn. 27; Bay. VGH, Beschluss vom 1. September 2000- 12 ZB 00.1763 -, juris Rn. 5; im Zusammenhang mit einer Rechtswegverweisung OVG NRW, Beschluss vom 20. August 2020 - 4 D 137/20, 4 B 1169/20 -, juris Rn. 2 ff.,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">der Auffassung folgt, wonach die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsbestimmungsregelungen des § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a GVG im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren ausscheidet.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2019 - 15 E 374/19 -, nicht veröffentlicht; ebenso etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. November 2004 - 12 S 2360/04 -, juris Rn. 3; VG des Saarlandes, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 10 K 1140/07 -, juris Rn. 2; Peters, in: BeckOK VwGO, Stand: 1. April 2022, § 83 Rn. 11; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 83 Rn. 4; Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 83 VwGO Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Unabhängig hiervon handelt es sich vorliegend aber formell wie auch inhaltlich um eine Entscheidung zur örtlichen Zuständigkeit auf der Grundlage des § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 3 GVG, für die der Rechtsmittelausschluss des § 83 Satz 2 VwGO greift. Denn die Vorschrift will Entscheidungen zur sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, die auf § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 oder 3 GVG gestützt werden, generell der Überprüfung durch eine weitere Instanz entziehen. Dies trifft auch auf entsprechende Entscheidungen, die im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren ergehen, zu.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Eintritt der Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG trotz unterschiedlicher Auffassungen dazu, ob das (gesamte) Regelungsregime des § 17a GVG im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren überhaupt anwendbar ist, auch jüngst BVerwG, Beschluss vom 21. März 2022 - 9 AV 1/22-, juris Rn. 9 ff.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
346,380
olgnuer-2022-08-16-3-u-2922
{ "id": 278, "name": "Oberlandesgericht Nürnberg", "slug": "olgnuer", "city": null, "state": 4, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
3 U 29/22
2022-08-16T00:00:00
2022-08-31T10:01:46
2022-10-17T11:09:38
Endurteil
<h2>Tenor</h2> <div> <p>1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 06.12.2021, Az. 41 HK O 542/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.</p> <p>3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.</p> <p>Beschluss</p> <p>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.000,00 € festgesetzt.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p>A.</p> <p><rd nr="1"/>Bei der Klägerin - einer Verbraucherzentrale - handelt es sich um einen rechtsfähigen Verein, welcher in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG aufgenommen ist.</p> <p><rd nr="2"/>Die Beklagte ist ein Discounter und betreibt insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel bundesweit Filialen. In ihrem schriftlichen Prospekt für die Woche vom 08.03.2021 bis zum 13.03.2021 bewarb sie verschiedene Produkte, wobei diese teilweise mit Aktionspreisen ausgezeichnet waren. Auf der ersten Seite des Prospekts befand sich in der Fußzeile der Hinweis: „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein.“ Darunter war nach „*Erhältlich bei N. City (nicht in allen Sorten)“ der Zusatz aufgedruckt: „Weitere Informationen unter n.-online.de / 0800 200 00 15 (gebührenfrei).“ Am linken oder rechten Seitenrand enthielt der Prospekt auf Seiten 4 bis 7 den Hinweis „Angebot gilt nur in ausgewählten Filialen mit Backofen“ sowie auf Seiten 2 und 10 den Hinweis „Fleischartikel nur erhältlich in Filialen mit Fleisch und Wurst in Selbstbedienung“. Auf allen ungeraden Seiten des Prospekts war unten folgender Disclaimer abgedruckt: „*Erhältlich bei N. City (nicht in allen Sorten). Die abgebildeten Artikel können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein.“</p> <p><rd nr="3"/>Auf Seite 3 bewarb die Beklagte unter anderem das Produkt „A. Mineralwasser“ zum Preis von 4,44 € für zwei Kästen Wasser.</p> <p><rd nr="4"/>Das Landgericht Amberg verbot der Beklagten mit Endurteil vom 04.12.2021, gegenüber Verbrauchern in Werbeprospekten für den Kauf von Lebensmitteln unter Nennung konkreter Kaufpreise zu werben, wenn einzelne beworbene Waren nicht in allen Filialen erhältlich sein sollen und wenn die Beklagte den Verbraucher nicht am Blickfang der beworbenen Waren teilnehmend darüber informiert, wo der Verbraucher Informationen dazu einholen könne, in welchen Filialen die beworbenen Waren (nicht) verfügbar seien, wenn dies geschieht wie auf Seiten 1 und 3 in dem folgenden Werbeprospekt: [es folgte die Einblendung von Seiten 1 und 3 des streitgegenständlichen Werbeprospekts] Außerdem verurteilte es die Beklagte, an die Klägerin 243,51 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2021 zu zahlen.</p> <p><rd nr="5"/>Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die Beklagte in dem gegenständlichen Werbe-Prospekt den Verbrauchern die wesentliche Information vorenthalte, in welchen konkreten Märkten diese die angebotenen, verbilligten Lebensmittel erwerben können. Dabei könne es dahinstehen, ob in dem Markt in S. das „A. Mineralwasser“ verfügbar war. Denn unlauter sei vorliegend bereits die Werbung für sich: Die Beklagte gebe in der Fußnote auf Seite 1 zu verstehen, dass die angebotenen Waren nur in bestimmten Märkten erworben werden könnten. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass diese Angabe in dem Prospekt falsch sei, so dass das Gericht von der Richtigkeit der Angabe in dem Prospekt ausgehe. Nicht angegeben werde jedoch, wo genau die Waren erworben werden könnten.</p> <p><rd nr="6"/>Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte in ihrer Berufung. Sie beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Amberg vom 06.12.2021 die Klage abzuweisen. In dem streitgegenständlichen Werbeprospekt sei eine Angabe der konkreten Märkte, bei welchen die angebotenen Waren erhältlich beziehungsweise nicht erhältlich sind, nicht erforderlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne es auch nicht dahinstehen, ob in einem Markt in S. das streitgegenständliche Mineralwasser verfügbar war. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der bestrittene Sachvortrag des Klägers, wonach das Mineralwasser in der streitgegenständlichen Filiale der Beklagten angeblich von Anfang an nicht geliefert worden sein soll, unsubstantiiert sei.</p> <p><rd nr="7"/>Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie stellt klar, dass der Streitgegenstand der begehrten Unterlassung nicht eine fehlende Warenbevorratung - erst recht nicht von Mineralwasser - betreffe. Für die Begründetheit des Unterlassungsanspruchs komme es daher nicht darauf an, ob in der Filiale der Beklagten in S. das beworbene „A. Mineralwasser“ ausreichend vorhanden war oder nicht, weshalb es auch einer entsprechenden Beweisaufnahme nicht bedürfe. Vielmehr beanstande die Klägerin den intransparenten Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikeln sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein.“ Sie beanstande, dass die Beklagte im Prospekt einen bereits für sich genommen versteckten (zu kleinen) und darüber hinaus auch inhaltlich intransparenten Vorbehalt zur fehlenden Verfügbarkeit der beworbenen Waren verwende, ohne den Verbraucher darüber zu informieren, in welchen Filialen der Beklagten die beworbenen Artikel (nicht) verfügbar sind bzw. ohne dem Verbraucher zumindest Informationen dazu zu geben, wie dieser sich in zumutbarer Weise über die Warenverfügbarkeit informieren kann.</p> <p><rd nr="8"/>In der Terminsladung erteilte der Senat rechtliche Hinweise, auf die Bezug genommen wird.</p> <p><rd nr="9"/>Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin vom 14.07.2022 und der Beklagten vom 10.08.2022 lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor.</p> <p>B.</p> <p><rd nr="10"/>Die Berufung der Beklagten ist begründet.</p> <p><rd nr="11"/>Zwar ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten die Klage zulässig. Dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird im Unterlassungstenor durch die Beschränkung des gerichtlichen Verbots auf das streitgegenständliche Werbeprospekt als konkrete Verletzungsform (Anlage K 2) hinreichend entsprochen (vgl. BGH, GRUR 2021, 1400 Rn. 19 ff. - Influencer I). In einem solchen Fall wie dem hier vorliegenden, in dem die Klagepartei auf eine konkrete Verletzungshandlung abstellt, ist es auch nicht Sache der Unterlassungsklägerin, die Beklagte darauf hinzuweisen, was dieser erlaubt ist. Vielmehr obliegt es der Beklagten selbst, Wege zu finden, die aus dem Verbot herausführen (vgl. OLG Nürnberg, GRUR-RS 2020, 18222 Rn. 29 - Doppelbestellung über Button).</p> <p><rd nr="12"/>Die Klage ist jedoch unbegründet, da die streitgegenständliche Werbung der Beklagten nach Maßgabe des zugrunde zu legenden Sachverhalts nicht unlauter ist.</p> <p>I.</p> <p><rd nr="13"/>Der geltend gemachte Verletzungsunterlassungsanspruch kann nicht mit einem Verstoß gegen Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG - wonach Warenangebote zu einem bestimmten Preis unzulässige geschäftliche Handlungen darstellen, wenn der Unternehmer nicht darüber aufklärt, dass er hinreichende Gründe für die Annahme hat, er werde nicht in der Lage sein, diese oder gleichartige Waren für einen angemessenen Zeitraum in angemessener Menge zum genannten Preis bereitzustellen oder bereitstellen zu lassen - begründet werden.</p> <p><rd nr="14"/>1. Der auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch ist nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zur Zeit der Berufungsentscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist (vgl. BGH, GRUR 2022, 729 Rn. 10 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II). Nach der beanstandeten Verhaltensweise der Beklagten im März 2021 ist das im Streitfall maßgebliche Recht mit Wirkung vom 28.05.2022 novelliert worden. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus jedoch nicht.</p> <p><rd nr="15"/>2. Nach Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG ist die unzureichende Aufklärung über eine unzulängliche Bevorratung zu beanstanden (BGH, GRUR 2016, 395 Rn. 20 - Smartphone-Werbung). Es muss dabei für einen durchschnittlichen Unternehmer in dieser Branche vorhersehbar sein, dass er die nach Menge und Zeitraum zu erwartende Nachfrage nach den konkret angebotenen Waren oder Dienstleistungen zum genannten Preis wahrscheinlich nicht (vollständig) erfüllen kann (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, Anhang zu § 3 Rn. 5.18). Die danach verbotene Irreführung kann nicht nur durch hinreichende Aufklärung über tatsächliche Verhältnisse über den unzulänglichen Warenvorrat, sondern auch durch Einwirkung auf die relevanten Tatsachen selbst - nämlich die Sicherstellung einer hinreichenden Lagerhaltung - vermieden werden (BGH, a.a.O. Rn. 43 - Smartphone-Werbung).</p> <p><rd nr="16"/>Der Anspruchsteller muss die Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, aus denen sich die durchschnittliche Verbrauchererwartung hinsichtlich Zeitraum und Menge der zur Verfügung stehenden Waren oder Dienstleistungen ergibt. Ferner muss er darlegen und ggf. beweisen, dass die tatsächliche Vorratsmenge nicht ausreichend war, um die voraussichtliche Nachfrage zu befriedigen (Alexander, in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 5 UWG Rn. 32; Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, Anhang zu § 3 Abs. 3 Rn. 5.30). Nach Anhang § 3 Abs. 3 UWG Nr. 5 S. 2 a.F. obliegt es nur dann dem Unternehmer, die Angemessenheit der Bevorratung nachzuweisen, wenn diese kürzer als zwei Tage ist. Dieser Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht einschlägig.</p> <p><rd nr="17"/>3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte ein in dem Katalog aufgeführtes konkretes Produkt in einer Filiale - wie beispielsweise das Produkt „A. Mineralwasser“ in der Filiale der Beklagten in S. - im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich nicht hinreichend vorrätig gehalten hat.</p> <p><rd nr="18"/>Zum einen reicht - insbesondere unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Beklagten zur Belieferung der Filiale der Beklagten in S. in der KW 10/21 mit Kästen des Produkts „A. Mineralwasser“ und des Verkaufs dieser Mineralwasserkisten sowie der Vorlage von Kassenbons dieser Filiale (Anlage B 1) - der klägerische Vortrag zu einer Mitteilung einer Mitarbeiterin an einen Kunden, dass das beworbene Mineralwasser nicht in die Filiale geliefert worden sei, nicht aus, um von einer nicht angemessenen Bevorratung des Produktes „A. Mineralwasser“ in dieser Filiale ausgehen zu können, weshalb es auf die Einvernahme des angebotenen Zeugen nicht ankommt.</p> <p><rd nr="19"/>Zum anderen beschränkte die Klägerin den Streitgegenstand, indem sie auf den Hinweis des Senats, dass der entsprechende Sachvortrag für eine nicht ausreichende Bevorratung des Produkts „A. Mineralwasser“ nicht hinreichend substantiiert sei, ausführte, dass der Streitgegenstand der begehrten Unterlassung nicht eine fehlende Warenbevorratung - erst recht nicht von Mineralwasser - betreffe. Für die Begründetheit des Unterlassungsanspruchs komme es daher nicht darauf an, ob in der Filiale der Beklagten in S. das beworbene „A. Mineralwasser“ ausreichend vorhanden war oder nicht, weshalb es auch einer entsprechenden Beweisaufnahme nicht bedürfe.</p> <p><rd nr="20"/>Da die Klägerin somit eine nicht angemessene Bevorratung in einem konkreten Fall nicht hinreichend substantiiert dargetan und zudem ihre Ansprüche ausdrücklich nicht mit einem konkreten Lockangebot eines tatsächlich in einer Filiale nicht vorrätigen Produkts begründet und weder im Klageantrag noch in der Klagebegründung auf den Umstand der nicht angemessenen Bevorratung einer bestimmten Ware stützt, muss der Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legen, dass es keinen konkreten Fall gab, in welchem die Beklagte die in dem Katalog beworbenen Produkte im streitgegenständlichen Zeitraum in einer Filiale tatsächlich in nicht angemessener Menge vorrätig hielt.</p> <p><rd nr="21"/>Soweit die Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.07.2022 pauschal ausführt, dass der Senat über die Frage der Verfügbarkeit des betreffenden Mineralwassers in der Filiale in S. Beweis erheben müsse, ist dieses Vorbringen nach § 525 S. 1, § 296a ZPO präkludiert. Ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht nicht. Der Senat hatte ausdrücklich in der Terminsladung darauf hingewiesen, dass der klägerische Vortrag nicht ausreiche, um davon ausgehen zu können, dass die Beklagte die in dem streitgegenständlichen Katalog aufgeführten Produkte in einer Filiale - wie beispielsweise das Produkt „A. Mineralwasser“ in der Filiale der Beklagten in S. - tatsächlich nicht hinreichend vorrätig gehalten hat. Dieser Einschätzung widersprach die Klägerin nicht. Im Gegenteil führte sie aus, dass es auf die Einvernahme des Zeugen nicht ankomme, da sich der geltend gemachte Streitgegenstand nicht auf eine fehlende Warenbevorratung eines konkreten Produktes erstrecke. Daher führt der nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte pauschale Hinweis auf die angebliche Notwendigkeit der Beweisaufnahme nicht zu der Notwendigkeit einer Wiedereröffnung der Verhandlung.</p> <p><rd nr="22"/>4. Die Klägerin bleibt auch darlegungs- und beweisfällig dafür, dass die Beklagte allgemein irgendwelche in dem Katalog beworbenen Produkte nicht angemessen bevorratet habe. Sie stützt die Annahme der nicht hinreichenden Bevorratung ausschließlich auf den im Prospekt enthaltenen Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“. Die angesprochenen Verkehrskreise entnehmen - wie der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen kann - diesem Disclaimer jedoch nicht die Aussage, dass die Beklagte für sich in Anspruch nimmt, irgendwelche Artikel im Prospekt nicht angemessen vorrätig zu halten. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte prozessual auch nicht dazu verpflichtet vorzutragen, dass sämtliche beworbenen Artikel während des gesamten Aktionszeitraums laufend verfügbar gewesen seien.</p> <p><rd nr="23"/>a) Bei der Prüfung, wie eine Werbeangabe zu verstehen ist, kommt es nicht auf den objektiven Wortsinn an. Entscheidend ist die Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.57).</p> <p><rd nr="24"/>Die streitgegenständliche Werbung richtet sich an den Durchschnittsverbraucher. Dessen Auffassung, wie die Angaben in dem Werbeprospekt zu verstehen sind, kann der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen. Seine Mitglieder gehören selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, da sie selbst gelegentlich in Lebensmitteldiscountern einkaufen und entsprechende Werbeanzeigen lesen. Sie werden daher durch die fragliche Werbung unmittelbar angesprochen.</p> <p><rd nr="25"/>Einen Vortrag der Beklagten dazu, wie die streitgegenständliche Werbeaussage zu verstehen sei, ist nicht erforderlich. Zum einen ist - da bei der Feststellung der maßgeblichen Verkehrsauffassung auf den Empfängerhorizont abzustellen ist - unbeachtlich, wie der Werbende selbst seine Aussage über die Ware oder gewerbliche Leistung verstanden haben will (vgl. Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.57). Zum anderen handelt es sich bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung nicht um eine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinn, sondern um die Anwendung eines spezifischen Erfahrungswissens (BGH, GRUR 2021, 746 Rn. 43 - Dr. Z).</p> <p><rd nr="26"/>b) Die angesprochenen Verkehrskreise entnehmen der Aussage „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ kein Eingeständnis der Beklagten für eine von vornherein nicht angemessene Bevorratung irgendwelcher beworbener Waren, sondern zum einen die Wiederholung der bereits an anderer Stelle erfolgten Hinweise, dass bestimmte Artikel nur in speziellen Filialen - beispielsweise mit Backofen, mit Fleisch und Wurst in Selbstbedienung oder bei N. City - erhältlich sind, und zum anderen eine allgemeine Absicherung der Beklagten davor, dass bestimmte Produkte trotz eigentlich angemessener Bevorratung aufgrund bestimmter Sonderumstände nicht überall und nicht über den gesamten Zeitraum erhältlich sein können.</p> <p><rd nr="27"/>aa) Im Rahmen der Beurteilung des Verkehrsverständnisses hat der Senat allgemein, berücksichtigt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Flyer um einen Werbeprospekt handelt und bei diesem nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass die Beklagte als die darin Werbende die beworbenen Produkte mit der wenig werbewirksamen Tatsache „anpreist“, dass diese von vornherein teilweise nicht angemessen vorrätig gehalten würden. Bei einem anderen Verständnis würde die Werbepublikation nicht nur Kaufargumente beinhalten, sondern im Gegenteil auch eine in Kauf genommene Verbraucherenttäuschung dahingehend propagieren, dass es sich bei den Angeboten teilweise um bloße Lockangebote handelt, die tatsächlich nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Davon kann jedoch in einem Werbeprospekt ohne nähere Anhaltspunkte nicht ausgegangen werden.</p> <p><rd nr="28"/>Darüber hinaus ergibt es keinen Sinn, dass ein Unternehmer in einer Werbepublikation einen Hinweis aufnimmt, der einen Verstoß gegen die Regelerwartung der hinreichenden Warenbevorratung darstellt. Damit würde er - ohne Not und ohne ersichtliche Vorteile - einen Verstoß gegen ein „Per-Se-Verbot“ aus der „Schwarze Liste“ einräumen.</p> <p><rd nr="29"/>Vor diesem Hintergrund kann der Senat der Beklagten ohne entsprechende Anhaltspunkte nicht unterstellen, dass sie sich mit dem streitgegenständlichen Disclaimer für Verstöße gegen Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG „freizeichnen“ und sehenden Auges Lockangebote mit nicht ausreichend vorhandenen Waren machen wollte. Derartige Anhaltspunkte wären beispielsweise tatsächlich auftretende Fälle von nicht hinreichender Bevorratung von beworbenen Produkten, wovon vorliegend jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht ausgegangen werden kann.</p> <p><rd nr="30"/>bb) Vielmehr wollte sich die Beklagte ersichtlich mit dem Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel […] können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ nur für die Eventualität absichern, dass bestimmte beworbene Produkte - trotz eigentlich angemessener Bevorratung - in bestimmten Filialen aufgrund von Sonderumständen, auf welche die Beklagte keinen Einfluss hat, nicht vorhanden oder schnell ausverkauft sein können, weil beispielsweise der Ansturm unerwartet groß war, es unverschuldete Lieferschwierigkeiten in Bezug auf eine bestimmte Filiale gab oder es sich um leicht verderbliche und nicht hinreichend gekühlte Lebensmittel handelte. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Verwendung der Worte „begrenztes Angebot“, da es in der Natur der Sache liegt, dass ein angebotenes Produkt nur in begrenztem Umfang vorhanden ist. Dem Hinweis kann jedoch kein Indiz dafür entnommen werden, dass die Umfangsbegrenzung durch die Beklagte in einer Größenordnung erfolgt, in welcher der Zeitraum und die Menge als von vornherein unangemessen anzusehen sind.</p> <p><rd nr="31"/>cc) Der Disclaimer „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich […]“ hat über die sonstigen in dem Werbeprospekt enthaltenen konkreten Aussagen zur Nichtverfügbarkeit bestimmter Waren in einzelnen Filialen keine eigenständige Bedeutung.</p> <p><rd nr="32"/>Der streitgegenständliche Werbeflyer enthielt am linken oder rechten Seitenrand auf den Seiten 4 bis 7 mit Angeboten aus der „Backstube“ den Hinweis „Angebot gilt nur in ausgewählten Filialen mit Backofen“ sowie auf den Seiten 2 und 10 den auf Metzgerprodukte bezogenen Hinweis „Fleischartikel nur erhältlich in Filialen mit Fleisch und Wurst in Selbstbedienung“. Schließlich war auf allen ungeraden Seiten des Prospekts am unteren Rand folgender auf bestimmte mit Sternchen versehene Produkte bezogener Hinweis abgedruckt: „*Erhältlich bei N. City (nicht in allen Sorten) […].“ Vor dem Hintergrund dieser konkreten Einschränkungen des Warenangebots in bestimmten Filialen entnimmt der Verkehr in der Gesamtschau dem allgemeinen Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich“ keine zusätzliche Bedeutung und geht nicht davon aus, dass damit eine darüber hinausgehende und bereits im Zeitpunkt der Bewerbung feststehende Teilbeschränkung der Möglichkeit des Erwerbs der beworbenen Produkte in bestimmten Filialen gemeint ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass sich - wie sich aus Seite 2 des Werbeprospekts mit der Überschrift „Knüller aus der Region“ ergibt - die Sortimente der Filialen der Beklagten regional unterscheiden.</p> <p><rd nr="33"/>Für dieses Verkehrsverständnis spricht auch, dass der Handzettel auf allen ungeraden Seiten am unteren Rand den Hinweis „Die abgebildeten Artikel können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ ohne den Zusatz, dass die Artikel nicht in allen Filialen erhältlich seien, enthielt. Nur auf Seite 1 des Prospekts war der Disclaimer mit diesem Appendix abgedruckt. Auch aufgrund dessen meint der angesprochene Verbraucher, dass der Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich […]“ nur die allgemeine Wiederholung der anderen Verfügbarkeitsaussagen darstellt.</p> <p><rd nr="34"/>c) Da es vor diesem Hintergrund bereits an der Darlegung einer nicht angemessenen Bevorratung durch die darlegungsbelastete Klägerin fehlt, bestand für die Beklagte keine Veranlassung, im Rahmen der sekundären Darlegungslast vorzutragen, dass sämtliche beworbenen Artikel während des gesamten Aktionszeitraums laufend verfügbar gewesen seien, zumal die Beklagte derzeit ca. 4.270 Verkaufsstellen im gesamten Bundesgebiet betreibt und ihr daher ein Vortrag, dass jeder der in der streitgegenständlichen Werbung abgebildeten Artikel in jeder Filiale erhältlich war, weder möglich noch zumutbar ist. Denn der Grad der Substantiierungslast des Gegners ist nach der Rechtsprechung aufgrund eines Wechselspiels von Vortrag und Gegenvortrag zu bestimmen, wobei die beweisbelastete Partei zunächst „vorlegen“ muss (Stadler, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 138 Rn. 10a). Und im vorliegenden Fall ist eine derartige Darlegung durch die Klägerin nicht erfolgt. Daher war es prozessual ausreichend, dass die Beklagte substantiiert lediglich das angeblich nicht hinreichende Vorrätighalten von Mineralwasser in der Filiale Stuttgart-Stammheim bestritt, da insoweit die Klägerin ihrer Darlegungslast nachgekommen war.</p> <p><rd nr="35"/>Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt auch von den Umständen, die der Entscheidung des Senats „Günstigere Preise“ (OLG Nürnberg, WRP 2019, 128) zugrunde lagen. In dem damaligen Urteil ging es um eine widersprüchliche und damit zweideutige Auslobung, da die dortige Beklagte einerseits ausführte: „Diese Angebote gelten in allen N.-Filialen in Z.“, während sie andererseits angab: „Die abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich“. Nur vor diesem Hintergrund hatte der Senat in der Entscheidung darauf abgestellt, dass die Beklagte vorgetragen habe, dass sämtliche beworbenen Artikel während des gesamten Aktionszeitraums in einem begrenzten Gebiet laufend verfügbar gewesen seien, und der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht das Gegenteil unter Beweis gestellt habe. Diese Rechtsprechung kann jedoch auf den vorliegenden Fall - bei der eine derartige Blickfangwerbung über die Verfügbarkeit sämtlicher Produkte in allen Filialen im Stadtgebiet (und damit in einer überschaubaren Anzahl von Filialen) nicht streitgegenständlich ist - nicht übertragen werden.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="36"/>Ein auf eine unangemessene Bevorratung gestützter Unterlassungsanspruch besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr, d.h. der erstmalig ernstlich drohenden Gefahr von rechtswidrigen „Lockangeboten“ i.S.v. Nr. 5 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG.</p> <p><rd nr="37"/>1. Die Annahme einer Erstbegehungsgefahr setzt ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Anspruchsgegner sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Dabei muss sich die Erstbegehungsgefahr auf eine konkrete Verletzungshandlung beziehen. Die die Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände müssen die drohende Verletzungshandlung so konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt beim Anspruchsteller (BGH, GRUR 2021, 607 Rn. 50 - Neuausgabe).</p> <p><rd nr="38"/>2. Im vorliegenden Fall hat die Klagepartei keine hinreichend konkreten und greifbaren Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die Beklagte in naher Zukunft über eine unzulängliche Bevorratung unzureichend aufklären wird. Im Gegenteil hat die Klägerin mehrfach betont, dass sie die begehrte Unterlassung nicht auf eine fehlende Bevorratung konkreter Produkte stützt. Derartige ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte können auch nicht dem streitgegenständlichen Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ entnommen werden, da dieser Hinweis - wie bereits ausgeführt - nur die Wiederholung der bereits an anderer Stelle erfolgten Hinweise, dass bestimmte Artikel nur in speziellen Filialen erhältlich sind, sowie eine Absicherung dafür, dass bestimmte beworbene Produkte trotz eigentlich angemessener Bevorratung in bestimmten Filialen aufgrund von Sonderumständen nicht vorhanden oder schnell ausverkauft sein können, darstellen soll.</p> <p><rd nr="39"/>Es fehlt auch an den Voraussetzungen einer Berühmung, da die Beklagte nicht behauptet, zur nicht angemessenen Bevorratung aufgrund dieses Hinweises berechtigt zu sein und sie jederzeit und gegenüber jedermann vornehmen zu dürfen (vgl. BGH, GRUR 2001, 1174 (1175) - Berühmungsaufgabe). Eine derartige Berühmung kann insbesondere nicht in dem Prozessverhalten der Beklagten und der Tatsache, dass der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung auf die Frage des Senats, wie die Beklagte den streitgegenständlichen Disclaimer gemeint habe, keine Angaben machen konnte, gesehen werden.</p> <p>III.</p> <p><rd nr="40"/>Der in der streitgegenständlichen Werbeanzeige enthaltene Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ ist schließlich auch nicht losgelöst von einer unangemessenen Bevorratung von Produkten nach § 5a Abs. 2 UWG a.F. unlauter.</p> <p><rd nr="41"/>1. Die Klagepartei beanstandet diesen Hinweis unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen moniert sie, dass die Beklagte den Verbraucher nicht am Blickfang der beworbenen Waren teilnehmend darüber informiere, wo der Verbraucher Informationen dazu einholen könne, in welchen Filialen die beworbenen Waren (nicht) verfügbar seien. Zum anderen sei der Hinweis an sich intransparent und damit unlauter.</p> <p><rd nr="42"/>Dass die Klagepartei im Klageantrag nur den ersten Aspekt ausdrücklich aufgenommen hat, steht einer Prüfung auch des zweiten Umstands unter Berücksichtigung des lauterkeitsrechtlichen Streitgegenstands (vgl. BGH, GRUR 2020, 1226 Rn. 24 - LTE-Geschwindigkeit) nicht entgegen. Denn die Klage richtet sich gegen die konkrete Verletzungsform, und in der Klagebegründung führte die Klägerin ausdrücklich aus, dass sie sich auch gegen die Intransparenz des Hinweises an sich wende.</p> <p><rd nr="43"/>2. In rechtlicher Hinsicht ist von folgenden Grundsätzen auszugehen.</p> <p><rd nr="44"/>Nach § 5a Abs. 2 UWG a.F. handelt unlauter, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält, die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Als Vorenthalten gilt auch die Bereitstellung wesentlicher Informationen in unklarer, unverständlicher oder zweideutiger Weise.</p> <p><rd nr="45"/>Eine Information ist nur dann wesentlich i.S.d. § 5a Abs. 2 UWG a.F., wenn ihre Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und ihr für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zudem ein erhebliches Gewicht zukommt. Die Frage, ob eine Information für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von besonderem Gewicht ist, ist nach dem Erwartungs- und Verständnishorizont des Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen (BGH, GRUR 2017, 1265 Rn. 19 Preisportal). Die Wesentlichkeit einer Information ergibt sich insbesondere anhand des Angebots, der Beschaffenheit und der Merkmale eines Produkts (BGH, GRUR 2014, 584 Rn. 11 - Typenbezeichnung). Bei der Frage, ob eine Information wesentlich ist, ist auch danach zu fragen, ob sich die Information auf einen gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Umstand bezieht; Informationen sind umso eher als wesentlich anzusehen, je ungewöhnlicher die Umstände sind, auf die sie sich beziehen (Alexander, in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, § 5a UWG Rn. 228; Dreyer, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 90).</p> <p><rd nr="46"/>Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 TMG müssen die Bedingungen für die Inanspruchnahme von Angeboten zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke leicht zugänglich sein sowie klar und unzweideutig angegeben werden. Bei geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern im nicht-elektronischen Geschäftsverkehr sind diese Wertungen über § 5a Abs. 2 und 3 UWG a.F. einzubeziehen (Alexander, in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, § 5a UWG Rn. 544). Denn ein unterschiedliches Schutzniveau für elektronischen und nichtelektronischen Geschäftsverkehr ist nicht zu rechtfertigen (BGH, GRUR 2018, 199 Rn. 30 - 19% MwSt. GESCHENKT). Die geschäftliche Transparenz gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 TMG gebietet, Informationen zur verfügbaren Angebotsmenge bereitzustellen, wenn beispielsweise Zugabeartikel oder Werbegeschenke nur in bestimmter Anzahl verfügbar sind und damit naturgemäß das zeitliche Auslaufen der Werbeaktion nicht genau vorhergesagt werden kann (Alexander, a.a.O., § 5a UWG Rn. 579). In diesem Fall ist der auf die Zugabe bezogene Hinweis „solange der Vorrat reicht” notwendig, aber auch ausreichend. Weitere Angaben darüber, in welchem Umfang die als Zugabe zu gewährende Ware vorhanden ist, sind im Interesse der Transparenz nicht geboten. Durch den auf die Zugabe bezogenen Hinweis „solange der Vorrat reicht” erfährt der Verbraucher, dass die Zugabe nicht unbegrenzt und auch nicht im selben Umfang wie die beworbene Hauptware verfügbar ist. Er weiß in diesem Fall, dass keine Gewähr besteht, beim Erwerb der Hauptware auch in den Genuss der Zugabe zu kommen, und erkennt, dass sich seine Chancen durch einen raschen Kaufentschluss erhöhen. Weitere Informationen, etwa über die Anzahl der vom Unternehmen am Erscheinungstag der Werbung vor Geschäftsöffnung bereitgehaltenen Zugaben, könnten dem Verbraucher ohnehin keinen Aufschluss darüber geben, ob er zu einem bestimmten Zeitpunkt, zu dem er das fragliche Geschäftslokal aufsuchen möchte, noch in den Genuss der Zugabe kommen kann (BGH, GRUR 2010, 247 Rn. 15 - Solange der Vorrat reicht). Diese Rechtsprechung ist nicht auf Zugaben beschränkt.</p> <p><rd nr="47"/>3. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs stellt der Umstand, dass die Beklagte es unterlassen hat, den Verbraucher am Blickfang der beworbenen Waren teilnehmend darüber zu informieren, wo der Verbraucher Informationen dazu einholen könne, in welchen Filialen die beworbenen Waren (nicht) verfügbar seien, keinen Verstoß gegen § 5a Abs. 2 UWG a.F. dar.</p> <p><rd nr="48"/>a) Zum einen rechnet der durchschnittliche Leser bei einer Werbung eines Discounters mit Sonderangeboten - wie der streitgegenständlichen - damit, dass die beworbenen Produkte nicht uneingeschränkt verfügbar sind. Die Tatsache der beschränkten Verfügbarkeit ist daher kein ungewöhnlicher Umstand.</p> <p><rd nr="49"/>Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass ein Discounter wie die Beklagte mit über 4.000 Verkaufsstellen im gesamten Bundesgebiet eine Vielzahl von Artikeln im Niedrigstpreissegment mit hoher Warenrotation im Angebot hat. Der angesprochene Verbraucher erwartet daher - wie die Mitglieder des Senats aus eigener Sachkunde feststellen können - nicht, dass er an einer zentralen Stelle vor Einkaufsbeginn Informationen dazu einholen kann, in welchen Filialen die beworbenen Waren (nicht) verfügbar sind, zumal sich diese Information zum Zeitpunkt des späteren Einkaufs bereits als veraltet herausstellen kann. Vielmehr kann der Verbraucher eine informierte Entscheidung bereits dadurch treffen, dass ihm in der Werbung mitgeteilt wird, dass die im Handzettel abgebildeten Artikel nicht in allen Filialen erhältlich sind und es passieren kann, dass die Waren wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein können. Durch diesen Hinweis erfährt der Verbraucher, dass bestimmte klar definierbare Waren nur in N.-Filialen mit Backofen, mit Fleisch und Wurst in Selbstbedienung oder - soweit mit Sternchen gekennzeichnet - bei N. City erhältlich sind. Darüber hinaus wird er über die begrenzte Verfügbarkeit informiert; er weiß damit, dass keine Gewähr dafür besteht, dass beim Betreten des Supermarktes das Sonderangebot noch verfügbar ist, und erkennt, dass sich seine Chancen durch einen raschen Kaufentschluss erhöhen. Weitere Informationen können dem Verbraucher ohnehin keinen Aufschluss darüber geben, ob er zu einem bestimmten Zeitpunkt, zu dem er das fragliche Geschäftslokal aufsuchen möchte, noch in den Genuss des Sonderangebots kommen kann.</p> <p><rd nr="50"/>Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auf Seite 1 des Prospekts der Zusatz aufgedruckt ist: „Weitere Informationen unter n.-online.de / 0800 200 00 15 (gebührenfrei)“. Es ist trotz ausdrücklichen Hinweises durch den Senat von der Klägerin nicht dargetan, dass der Verbraucher bei diesen angegebenen Möglichkeiten der Informationseinholung nicht auch darüber aufgeklärt werden kann, in welchen Filialen die beworbenen Waren (nicht) verfügbar sind. Dies gilt insbesondere für die Waren, deren Verfügbarkeit von einer bestimmten Ausstattung der Filialen (mit Backofen, mit Fleischtheke etc.) abhängig ist. Zwar ist diese Information nur auf Seite 1 des Prospekts und nicht „am Blickfang der beworbenen Waren teilnehmend“ abgedruckt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jedoch nur in dem hier nicht gegebenen Fall, in dem der Blickfang für sich genommen eine fehlerhafte Vorstellung vermittelt, der dadurch veranlasste Irrtum durch einen Hinweis ausgeschlossen werden, der selbst am Blickfang teilhat (BGH, GRUR 2015, 698 Rn. 16 - Schlafzimmer komplett).</p> <p><rd nr="51"/>b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Fressnapf“, wonach wesentliche Information dann vorenthalten werden, wenn der Werbende in dem Werbeprospekt nicht angibt, welche der von ihm in dem Prospekts genannten selbständigen Märkte an der beworbenen Verkaufsaktion teilnehmen (BGH, GRUR 2016, 403 Rn. 29 - Fressnapf). Denn bei dieser Information handelt es sich um eine von Gesetzes wegen wesentliche Information (vgl. § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F.). Eine solche steht vorliegend jedoch nicht im Raum, da - anders als bei Fressnapf - die einzelnen Filialen von N. nicht von selbständigen Unternehmern eigenverantwortlich geführt werden. Darüber hinaus nahmen im vorliegenden Fall alle Filialen im Verbreitungsgebiet des Prospekts an der Werbeaktion teil.</p> <p><rd nr="52"/>4. Der in dem Werbeprospekt auf Seite 1 enthaltene Hinweis „Die im Handzettel abgebildeten Artikel sind nicht in allen Filialen erhältlich und können wegen des begrenzten Angebots schon am ersten Tag ausverkauft sein“ ist auch nicht aufgrund sonstiger Umstände unter Transparenzgesichtspunkten nach § 5a Abs. 2 UWG a.F. als unlauter anzusehen.</p> <p><rd nr="53"/>Die wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit dieses Hinweises ergibt sich entgegen der Rechtsauffassung der Klagepartei nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Smartphone-Werbung“ (GRUR 2016, 395). Zwar hat der Bundesgerichtshof in diesem Urteil ausgeführt, dass der - mit dem streitgegenständlichen Disclaimer vergleichbare - Hinweis „Dieser Artikel kann auf Grund begrenzter Vorratsmenge bereits im Laufe des ersten Angebotstages ausverkauft sein“ nicht ausreiche, um das durch die Werbung angesprochene Publikum über eine mangelnde Verfügbarkeit der Smartphones aufzuklären (BGH, a.a.O. Rn. 21 - Smartphone-Werbung). In diesem Fall lag jedoch - anders als im Streitfall - tatsächlich eine unzureichende Bevorratung vor. Vorliegend ist dagegen - ohne bewiesenen Verstoß gegen eine hinreichende Warenbevorratung - die (abstrakte) Verwendung dieses Hinweises streitgegenständlich. Aussagen zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines derartigen Disclaimers - auch wenn nicht feststeht, dass die tatsächliche Vorratsmenge nicht ausreichend war, um die voraussichtliche Nachfrage zu befriedigen - lassen sich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht entnehmen.</p> <p><rd nr="54"/>Nach Maßgabe der obigen Ausführungen und dem zu Grunde zu legenden Verbraucherleitbild hat die Beklagte in diesem Hinweis im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher keine wesentliche Information vorenthalten, die er je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Es werden dadurch auch keine wesentlichen Informationen in unklarer, unverständlicher oder zweideutiger Weise bereitgestellt (vgl. § 5a Abs. 2 S. 2 Nr. 2 UWG). Insbesondere ist der streitgegenständliche Hinweis im Zusammenspiel mit den sonstigen im Prospekt enthaltenen Informationen nicht unklar formuliert. Vielmehr ist der Disclaimer in der Zusammenschau mit den an anderer Stelle erfolgten Hinweisen geeignet, den Verbraucher hinreichend deutlich darüber zu informieren, dass bestimmte Artikel nur in speziellen Filialen mit bestimmter Ausstattung erhältlich sind, und dass es passieren kann, dass bestimmte Produkte trotz eigentlich angemessener Bevorratung aufgrund bestimmter Sonderumstände nicht überall und nicht über den gesamten Zeitraum erhältlich sein können (vgl. zur hier nicht gegebenen Blickfangwerbung auch Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.92; BGH, GRUR 2003, 163 juris-Rn. 23 - Computerwerbung II).</p> <p>C.</p> <p><rd nr="55"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.</p> <p><rd nr="56"/>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.</p> <p><rd nr="57"/>Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des § 543 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch gebietet die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, insbesondere um eine Frage, wie die angesprochenen Verkehrskreise die streitgegenständlichen Werbeaussagen verstehen. Die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Divergierende Gerichtsentscheidungen anderer Gerichte liegen nicht vor.</p> <p><rd nr="58"/>Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt in Anwendung von §§ 3 ZPO, 47, 48, 51 Abs. 2 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Parteien nicht gewendet haben.</p> </div>
346,372
ovgnrw-2022-08-16-18-a-77022
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
18 A 770/22
2022-08-16T00:00:00
2022-08-31T10:01:20
2022-10-17T11:09:37
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0816.18A770.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 8. März 2022 geändert.</p> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p> <p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 8 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 24. Juni 1976 in Serbien geborene Kläger serbischer Staatsangehörigkeit reiste erstmals im Jahr 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und führte erfolglos ein Asyl(erst)verfahren durch. Das ungefähr im selben Zeitraum von seiner Ehefrau B.  E.  (geb. C.) angestrengte 3. Asylfolgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg. Zugleich lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) auch die Asyl(erst)anträge der drei gemeinsamen Kinder als (offensichtlich) unbegründet ab. Im April 2014 reiste der Kläger mit seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern (wohl) freiwillig aus.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Am 22. Juni 2018 bezog der Kläger ausweislich der entsprechenden Bescheinigung über die Anmeldung eine Wohnung unter der Anschrift F. 20, X. Am 2. Juli 2018 gab er gegenüber einer Notarin in M. die Erklärung ab, Vater des noch ungeborenen Kindes der italienischen Staatsangehörigen Frau S.  Q. zu sein. Frau Q. stimmte der Vaterschaftsanerkennung zu. Die Erklärungen wurden notariell beurkundet. Am gleichen Tag erklärten der Kläger und Frau Q1. gegenüber derselben Notarin, die elterliche Sorge für das ungeborene Kind gemeinsam übernehmen zu wollen. Am 11. Oktober 2018 wurde das Kind F. Q. in X. geboren. Dieses besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und zudem nach Ansicht der Beklagten die italienische Staatsangehörigkeit.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt reiste der Kläger erneut aus dem Bundesgebiet aus und am 5. Januar 2019 wieder ein.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Am 10. Januar 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten unter Verweis auf sein Kind F. Q. einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Er teilte ferner mit, er wohne unter der Anschrift seiner Freundin S. Q. (F. 20, X.). Als Anlage zu einem Schreiben vom 26. Februar 2019 übersandte der Kläger der Beklagten die Vaterschaftsanerkennung und die Sorgeerklärung jeweils vom 2. Juli 2018.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Frau Q. ist Mutter von vier weiteren Kindern: T. Q., geboren am 22. August 2011, B.-D. Q., geboren am 12. Mai 2013, C. -E. Q., geboren am 11. August 2014 und Z.-T. Q., geboren am 20. Mai 2016. Vater von T. und B.-D. ist T1. B2., Vater von C.-E. ist M. B3. und Vater von Z.-T. ist T3. C2. Dieser ist ein Schwager des Klägers. Die Schwester von T1. B2. ist mit einem weiteren Bruder der Ehefrau des Klägers verheiratet.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 10. Mai 2019 wurde der Kläger der Beklagten zugewiesen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte erteilte dem Kläger am 27. Juni 2019 befristet bis zum 5. Februar 2020 die beantragte Aufenthaltserlaubnis.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Seit dem 1. November 2019 wurden für das Kind F. Q. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gezahlt.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Ab dem 15. November 2019 lebte der Kläger unter der Adresse C. Straße 113, X.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Am 6. Februar 2020 um 8:45 Uhr stellte der Kläger persönlich bei der Beklagten einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Dem Antrag wurde am selben Tag entsprochen. Die Aufenthaltserlaubnis wurde bis zum 5. Februar 2021 verlängert.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Im Laufe desselben Tages (18:17 Uhr) teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers und seiner Ehefrau B. E. mit, letztere sei mit den gemeinsamen Kindern bereits am 27. November 2019 in das „Schengengebiet“ eingereist. Alle fünf Personen wohnten unter derselben Anschrift (C. Str. 113, X.). Zusätzlich wurden für die Ehefrau und die drei gemeinsamen Kinder Aufenthaltserlaubnisse (§§ 25 Abs. 5, 30, 32 AufenthG) beantragt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Am 8. Mai 2020 begann der Kläger eine Tätigkeit als Raumpfleger mit einer täglichen Arbeitszeit von 2 ¼ h.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Arnsberg wies die Ehefrau des Klägers und die gemeinsamen drei Kinder mit Bescheid vom 23. September 2020 ebenfalls der Beklagten zu.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Am 18. Dezember 2020 wurden der Kläger und Frau Q. von der Beklagten zur Vaterschaft befragt.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Am 15. Januar 2021 bezogen der Kläger, seine Ehefrau B. E. und die gemeinsamen drei Kinder eine Wohnung unter der Anschrift H. 34, X.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte stellte dem Kläger am 9. Februar 2021 eine bis zum 8. August 2021 befristete Fiktionsbescheinigung aus.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheiden vom 18. Februar 2021 lehnte die Beklagte die Anträge der Ehefrau des Klägers und der gemeinsamen drei Kinder auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab, drohte ihnen die Abschiebung nach Serbien an, ordnete für den Fall der Abschiebung jeweils ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an und befristete dieses auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Abschiebung. Das dagegen angestrengte Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 1. April 2021 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis an und erläuterte, wieso sie davon ausgehe, er, der Kläger, übe die Personensorge für das Kind F. Q. nicht aus. Sie wies u. a. darauf hin, weder das Facebookprofil noch das Instagramprofil des Klägers enthielten Fotos von F. Q.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 26. Mai 2021, zugestellt am 28. Mai 2021, lehnte die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (Ziffer 1.), die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG (Ziffer 2.), die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß Art. 20 AEUV (Ziffer 3.), die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (Ziffer 4.) sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (Ziffer 5.) ab und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Serbien an (Ziffer 6.). Ferner ordnete die Beklagte für den Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 7.) und befristete dieses auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Abschiebung (Ziffer 8.). Begründet wurde Ziffer 1. der Ordnungsverfügung im Wesentlichen damit, der Kläger übe die Personensorge für das Kind F. Q. nicht aus. Auffällig sei in diesem Zusammenhang, dass die Familie des Klägers und die Familie von Frau Q. seit Jahren befreundet seien. Ferner ließen die Profile des Klägers in den sozialen Medien keinen Schluss darauf zu, dass er sich um F. Q. kümmere. Zusätzlich liege der Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG vor.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte erteilte dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2021 bis zum 28. Februar 2022 Duldungen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 11. Juni 2021 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (7 L 1299/21) gestellt.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Am 12. Januar 2022 hat das Verwaltungsgericht einen gemeinsamen Erörterungstermin für das Klageverfahren und das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchgeführt. Im Rahmen des Termins sind der Kläger und Frau Q. (als Zeugin) zur Frage des Umgangs des Klägers mit dem Kind F. Q. befragt worden. Zum Beleg einer Vater-Kind-Beziehung hat der Kläger im Termin eine Vielzahl von Fotos zur Gerichtsakte gereicht.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 11. Februar 2022 hat die Beklagte das mit Ordnungsverfügung vom 26. Mai 2021 angeordnete und auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (dort Ziffern 7. und 8.) aufgehoben und für den Fall der Abschiebung des Klägers ein neues Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das auf ein Jahr und sechs Monate befristet worden ist.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen, es bestehe nach wie vor eine Lebens- und Beistandsgemeinschaft zu seinem deutschen Kind F. Q. Dies bestätige Frau Q. in einer schriftlichen Erklärung vom 6. Juli 2021. Entgegen dem Vortrag der Beklagten sei sein Vorbringen glaubhaft. Die Ausführungen der Beklagten trügen die ablehnende Entscheidung nicht. Er und die Kindesmutter hätten dargelegt, dass intensiver Kontakt zum Kind F. Q. bestehe. Er stehe der Kindesmutter jederzeit mit Rat und Tat zur Seite, wenn dies nötig sei. Die vorgelegten Fotos bezögen sich nicht nur auf ein Jahr, sondern umfassten auch die Zeiten vor der Anhörung durch die Beklagte.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 26. Mai 2021 in der Fassung der Änderungsverfügung vom 11. Februar 2022 zu verpflichten, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat sie im Wesentlichen auf die Ordnungsverfügung vom 26. Mai 2021 verwiesen und ergänzend vorgetragen, die Ausführungen des Klägers und der Frau Q. seien unglaubhaft. Die schriftliche Erklärung von Frau Q. weiche vom bisherigen Vorbringen ab und widerspreche diesem. Vor dem Hintergrund des durchgeführten Erörterungstermins hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, es werde nicht bestritten, dass der Kläger und das Kind F. Q. sich kennten und eine Bindung zwischen den beiden bestehe. Man gehe jedoch davon aus, die Familien E./Q./C2./B2. bildeten eine Großfamilie, bei der es ganz normal sei, dass sich die Familienmitglieder häufiger sähen. In den Erklärungen des Klägers fänden sich weiterhin Widersprüche, die auf die fehlende Ausübung der Personensorge hindeuteten.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit - nach entsprechenden Verzichtserklärungen ohne mündliche Verhandlung ergangenem - Urteil vom 8. März 2022, der Beklagten zugestellt am 9. März 2022, hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 26. Mai 2021 in der Fassung der Änderungsverfügung vom 11. Februar 2022 verpflichtet, dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu verlängern. Es hat festgestellt, zwischen dem Kläger und F. Q. bestehe eine vom Schutz des Art. 6 GG erfasste familiäre Lebensgemeinschaft. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Verwaltungsgericht im Verfahren 7 L 1299/21 die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage 7 K 4050/21 angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil verwiesen. Hiergegen hat die Beklagte am 23. März 2022 Beschwerde eingelegt.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Am 6. April 2022 hat die Beklagte die Zulassung der Berufung beantragt, die am 6. Mai 2022 begründet worden ist.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 25. Mai 2022, der Beklagten zugestellt am 7. Juni 2022, hat der Senat die Berufung wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen. Ebenfalls mit Beschluss vom 25. Mai 2022 hat der Senat im Verfahren 18 B 424/22 die von der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren 7 L 1299/21 erhobene Beschwerde zurückgewiesen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2022, bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangen am selben Tage, hat die Beklagte die Berufung begründet und im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger übe die Personensorge bezüglich seines Kindes F. Q. nicht aus. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet diene daher nicht der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft. Der Kläger sei entgegen seiner Aussage nicht der leibliche Vater des Kindes F. Der leibliche Vater sei vielmehr Herr T1. B2. Die Einlassungen des Klägers seien unglaubhaft. Insbesondere die vom Kläger vorgetragene Geschichte, er habe mit der Kindsmutter und ihren anderen vier Kindern einen Urlaub verbracht sowie gemeinsam mit der Kindsmutter 2017/2018 Sylvester gefeiert, könne nicht zur Annahme der leiblichen Vaterschaft führen. Das Vorbringen sei nicht plausibel. Der Kläger bringe sich bei der Erziehung und Betreuung des Kindes F. Q. nicht ein. Die Angaben des Klägers und der Kindsmutter hierzu seien teils vage und teils widersprüchlich.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 8. März 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 8, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) (I.). Die Abschiebungsandrohung (II.) sowie das erlassene und auf ein Jahr und sechs Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (III.) sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(I.) Bei Verpflichtungsklagen auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels müssen die Anspruchsvoraussetzungen sowohl zum Zeitpunkt des Ablaufs der Geltungsdauer des (jeweils) zu verlängernden Aufenthaltstitels als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Juli 2021 - 18 A 1444/21 -, vom 29. März 2021- 18 B 155/21 -, vom 7. April 2020- 18 B 178/20 -, vom 28. Juni 2016- 18 B 558/16 -, juris, Rn. 3 ff., vom 29. April 2016 - 18 A 471/16 -, und vom 9. Dezember 2013- 18 B 267/13 -, juris, Rn. 5 ff.; siehe ferner BVerwG, Urteile vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 -, juris, Rn. 20, vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 -, juris Rn. 11, vom 17. Dezember 2015- 1 C 31.14 -, juris, Rn. 9, sowie vom 10. Dezember 2013 - 1 C 1.13 -, juris, Rn. 14, 15 und 20.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Denn eine Verlängerung im Sinne des § 8 Abs. 1 AufenthG ist auf die weitere lückenlose Legalisierung des Aufenthalts ohne Wechsel des Aufenthaltszwecks gerichtet.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Rechtsnatur der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 1 C 5.10 -, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Bedeutung des Umstands der Lückenlosigkeit wird von der Gegenansicht, die allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Tatsachengerichts abstellt,</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2018 - 11 S 240/17 -, juris, Rn. 43; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Mai 2018 - OVG 11 B 18.16 -, juris, Rn. 20 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 31 AufenthG Rn. 95,</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">übersehen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. März 2021- 18 B 155/21 -.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verlängerung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach §§ 8 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Die Beklagte hat den Antrag zu Recht abgelehnt (Ziffer 1. des angegriffenen Bescheides).</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen waren weder zum Zeitpunkt des Ablaufs der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis am 5. Februar 2021 gegeben noch ist dies im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats der Fall.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist zwar serbischer Staatsangehöriger und rechtlicher Vater des am 11. Oktober 2018 in X. geborenen minderjährigen ledigen Kindes F. Q. Die (mehrfach wiederholte) Behauptung der Beklagten, der Kläger sei nicht der biologische Vater des Kindes F. Q., ist rechtlich unerheblich. Der Kläger hat die Vaterschaft mit Zustimmung der Kindsmutter formwirksam anerkannt (§§ 1594, 1595, 1597 Abs. 1 BGB) und ist damit gemäß § 1592 Nr. 2 BGB Vater des Kindes F. Q. Insbesondere die - hier erfolgte - Anerkennung vor der Geburt ist ‑ entgegen der von der Beklagten geäußerten Vorbehalte - nach § 1594 Abs. 4 BGB zulässig. Vor diesem Hintergrund bedarf es der von der Beklagten angeregten Einholung eines DNA-Gutachtens nicht.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">F. Q. besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in X. und damit im Bundesgebiet. Der Kläger hat ferner neben der Kindsmutter das Sorgerecht für F. Q., da beide entsprechende Sorgeerklärungen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) wirksam (§§ 1626b - 1626e BGB) abgegeben haben.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Neben der bloßen Inhaberschaft des Sorgerechts verlangt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG seitens des ausländischen Elternteils jedoch zusätzlich eine aktive Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung durch einen entsprechenden tatsächlichen Erziehungs- und Betreuungsbeitrag für das Kind. Daran fehlt es hier.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Der Rechtsrahmen für die aus dem Sorgerecht entspringenden Rechte und Pflichten der Eltern - und Kinder - ergibt sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Danach ist Ausfluss der elterlichen Sorge allgemein die Pflicht und das Recht der Eltern, für das minderjährige Kind zu sorgen, § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die elterliche Sorge umfasst dabei die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge), § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die elterliche Sorge umfasst auch die Vertretung des Kindes, wobei die Eltern das Kind gemeinschaftlich vertreten, § 1629 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 BGB.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, § 1631 Abs. 1 BGB. Sie umfasst überdies das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält und das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen, § 1632 Abs. 1 und 2 BGB.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Korrespondierend mit dem Vorstehenden hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, wobei wiederum jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt ist, § 1684 Abs. 1 BGB.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Für den - vorliegend gegebenen - Fall der Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben trifft § 1687 BGB u. a. in dessen Absatz 1 Sonderregeln. Danach ist dann, wenn die Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt leben, bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich (Satz 1). Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens (Satz 2). Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (Satz 3). Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung (Satz 4).</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Für den Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG folgt daraus, dass der sorgeberechtigte Elternteil von seinem nach den vorstehenden Ausführungen konturierten Sorgerecht in einer Weise Gebrauch machen muss, die sich in seinem Verhalten gegenüber dem Kind manifestiert und seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlich macht. Er muss auch nach außen hin erkennbar in ausreichendem Maße einen für eine familiäre Lebensgemeinschaft typischen Kernbestand an Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernehmen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2018 - 11 S 240/17 -, juris, Rn. 69.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Es kommt mithin darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 30. Juli 2021 - 19 ZB 21.738 -, juris, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Wenn - wie hier - keine häusliche Gemeinschaft besteht, können entsprechende Anhaltspunkte für die erforderliche Erziehungsgemeinschaft zwischen einem Vater und seinem Kind etwa in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und der Erziehung des Kindes oder in sonstigen vergleichbaren Beistandsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen, wobei sich die Anforderungen an die Intensität der Kontakte nach den Besonderheiten des Einzelfalls beurteilen.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - 18 B 1592/05 -, juris, Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Daher verbietet sich bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehung eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 30. Juli 2021 - 19 ZB 21.738 -, juris, Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 12. Dezember 2005- 18 B 1592/05 -, juris, Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben übt der Kläger sein Sorgerecht nicht aus. Das gesamte diesbezügliche Vorbringen des Klägers und Frau Q. ist unglaubhaft und verfahrenstaktischer Natur.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Bereits die Schilderungen des Klägers und Frau Q. zu den Umständen des gemeinsamen Kennenlernens sind von auffälligen Ungereimtheiten und Plausibilitätsdefiziten geprägt. So bleibt schon im Dunkeln, wieso der Kläger, der allein wegen eines beabsichtigten Autokaufs eines Freundes diesen in die Bundesrepublik Deutschland begleitet haben will, auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mitteilen konnte, wie der Freund mit Nachnamen hieß. Auf die erste ausdrückliche Frage erwiderte der Kläger ausweichend, sein Freund sei an Corona gestorben. Auf die zweite Frage hin nannte der Kläger lediglich den Vornamen („B.“) des Freundes und erklärte, weiteres wisse er nicht. Widersprüchlich ist der Vortrag des Klägers zum Ort der „Roma-Party“, wo er Frau Q. kennen gelernt haben will. Gegenüber der Beklagten ließ sich der Kläger dahingehend ein, die Party habe in Düsseldorf stattgefunden, wohingegen er im Erörterungstermin beim Verwaltungsgericht erklärte, die Party sei in Dortmund gewesen. Nicht (ansatzweise) nachvollziehbar ist, warum Frau Q. im Anschluss gemeinsam mit ihren vier in den Jahren 2011, 2013, 2014 und 2016 geborenen Kindern im Sommer des Jahres 2017 nach Serbien gereist sein soll, obwohl sie den Kläger vorher erst ein einziges Mal auf der „Roma-Party“ gesehen hatte und sie beide danach lediglich telefonischen Kontakt hatten. Ein derartiger Geschehensablauf erscheint vielmehr lebensfremd. Selbst wenn Frau Q. jedoch mit ihren vier Kindern nach Serbien gereist wäre, so wäre zumindest zu erwarten gewesen, dass sie sich mit dem Kläger über die Anreise unterhalten hätte. Der Kläger war jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht in der Lage, hierzu irgendeine aussagekräftige Auskunft zu erteilen. So beantwortete er die Frage, wie die Anreise erfolgt sei, mit der Feststellung, er habe kein Auto. Auf Nachfragen erklärte er, Frau Q. sei „wahrscheinlich“ mit dem Bus gekommen, abgeholt habe er sie jedoch nicht. In diesen Zusammenhang fügt sich nahtlos ein, dass die Angaben des Klägers und Frau Q. zu Anzahl, Dauer und Finanzierung der gemeinsamen Aufenthalte in Serbien in bemerkenswerter Weise voneinander abweichen. Der Kläger gab im Verwaltungsverfahren an, Frau Q. habe ihn im Juli 2017 zunächst gemeinsam mit ihren vier Kindern für zwei Wochen besucht und sei dann eine Woche später für eine Woche - dann jedoch ohne ihre Kinder - zu ihm gekommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ließ sich der Kläger dahingehend ein, Frau Q. sei einmal mit ihren Kindern da gewesen und einmal alleine. Die Aufenthalte hätten jeweils eine Woche gedauert. Frau Q. hingegen erklärte im Verwaltungsverfahren, sie sei im Juni 2017 mit ihren Kindern für einen Monat in Serbien gewesen. Im erstinstanzlichen Erörterungstermin gab sie wiederum an, sie sei mit allen Kindern für zwei bis drei Wochen in Serbien zu Besuch gewesen. Mit Blick auf die Finanzierung der Reise(n) nach Serbien erklärte Frau Q., die seit Jahren und auch im Jahr 2017 von Sozialleistungen lebt(e), im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht, sie habe in einem Hotel gewohnt, das Geld „hierfür“ habe sie gespart bzw. sich geliehen. Im Gegensatz dazu behauptete der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, soweit Aufwendungen in Serbien zu tätigen gewesen seien - insbesondere Hotelkosten -, sei er dafür aufgekommen. Es passt dabei ins Bild, dass der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt hatte, das Hotel, in dem Frau Q. und ihre Kinder übernachtet hätten, habe „A.“ geheißen, während er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zunächst behauptete, das Hotel habe keinen Namen, nur um auf entsprechenden Vorhalt der Beklagtenvertreterinnen sodann zu erklären, es könne sein, dass er im Termin vor dem Verwaltungsgericht „‘A.‘ oder so ähnlich“ gesagt habe. Nicht nachvollziehbar bleibt im Übrigen, warum der Kläger während des gesamten Verfahrens immer den Eindruck erweckt hat, nur Frau Q. (und ihre Kinder) hätten in dem benannten Hotel übernachtet, während er erstmals in der Befragung durch den Senat behauptete, sie hätten alle zusammen in dem Hotel gewohnt. Es erschließt sich auch nicht ohne weiteres, warum der Kläger ebenfalls in dem Hotel hätte übernachten sollen, obwohl er in der Nähe eine eigene Unterkunft hatte. Erläuterungen des Klägers hierzu fehlen bezeichnenderweise.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Ferner ist der Vortrag des Klägers und Frau Q. zu weiteren Treffen bis zur Übersiedlung des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2018 unglaubhaft, da widersprüchlich. Der Kläger selbst erklärte im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten, er habe Frau Q. von Sylvester 2018 bis ca. 14. Januar 2018 besucht. Dies bestätigte er während des verwaltungsgerichtlichen Erörterungstermins. Dort sagte hingegen Frau Q. aus, sie sei nur dieses eine Mal in Serbien gewesen, er sei jedoch öfter zu ihr gekommen, es sei auf jeden Fall öfter gewesen, wie oft genau, wisse sie nicht mehr. Nachdem sie ihm von der Schwangerschaft berichtet habe, sei er dann in Deutschland geblieben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gab der Kläger entgegen seines bisherigen Vortrags auf ausdrückliche Nachfrage an, in der Zeit vom Kennenlernen auf der „Roma-Party“ bis zum Notartermin in M. nicht in der Bundesrepublik Deutschland gewesen zu sein, nur um kurz darauf zu behaupten, vor der Schwangerschaft von Frau Q. mit ihr in Deutschland Sylvester gefeiert zu haben.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Hinzu kommt, dass die Aussagen des Klägers und Frau Q. zum (behaupteten) gemeinsamen Zusammenleben in X. unglaubhaft sind. Obwohl der Kläger im Zeitraum von 2018 bis 2019 mehr als ein Jahr lang in derselben Wohnung gemeldet war wie Frau Q. und dort gewohnt haben will, war er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (auch nach längerem Überlegen) nicht in der Lage, anzugeben, wie viele Zimmer die gemeinsame Wohnung hatte. Er antwortete stattdessen mit „Vier oder Fünf“. Wenn der Kläger tatsächlich gemeinsam mit Frau Q. in der Wohnung gewohnt hätte, wäre auch nach ca. drei Jahren zu erwarten gewesen, dass er die genaue Anzahl der Zimmer benennen kann. In diesen Zusammenhang fügt sich nahtlos ein, dass der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Verwaltungsgericht weder (auf Anhieb) die korrekte Anzahl der in der Wohnung von Frau Q. lebenden Kinder angeben, noch die Namen aller vier Geschwister von F. benennen konnte. Den weiteren Fragen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betreffend das Zusammenleben mit Frau Q. ist der Kläger teils ausgewichen, teils hat er sie in nicht mehr nachvollziehbarer Weise beantwortet. So hat er auf die Frage, wie die anderen Kinder von Frau Q. ihn genannt hätten, erklärt, er habe nicht so gut deutsch gesprochen, die Kinder hätten geschwiegen. Auf die Frage, wie das Verhältnis zu den Kindern gewesen sei, antwortete er schlicht mit „normal“. Die Nachfrage, was das genau heiße, wurde mit „Wir haben zusammengelebt. Ich mag Kinder.“ beantwortet. Auch war der Kläger nicht in der Lage, Fragen nach Ritualen bezüglich Geburtstagsfeiern adäquat zu beantworten. Hierauf führte er aus, er habe sich geschämt und sei weggegangen, Frau Q. habe etwas vorbereitet. Konkrete Angaben, wie er und Frau Q. die Sommerferien mit den Kindern verbracht hätten, konnte der Kläger nicht machen. Im Übrigen erschließt sich nicht, warum der Kläger während der Zeit, als er mit Frau Q. zusammen gelebt haben soll, nie einen der anderen Kindsväter gesehen haben will. Es handelt sich immerhin um drei Väter, die nach Aussage von Frau Q. ihre Kinder regelmäßig sehen. Die entsprechende Frage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ob Frau Q. ihn weggeschickt habe, wenn die anderen Väter gekommen seien, beantwortete der Kläger bemerkenswert ausweichend („Weiß ich nicht.“). Ferner treten bei der Schilderung des Alltagslebens auch auffällige Widersprüche zu Tage. Frau Q. hat gegenüber der Beklagten u. a. erklärt, der Kläger frühstücke „viel Brot und Eier“, während der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf ausdrückliches Befragen des Senats mitteilte, er trinke morgens nur Kaffee. Wer über eine derart lange Zeit zusammenlebt, kann bei lebensnaher Betrachtung angeben, ob und was der Partner frühstückt. Im Übrigen sind die Aussagen des Klägers, wie es zur Trennung gekommen sei, von bemerkenswerter Detailarmut geprägt. Er führte lediglich aus, nach der Geburt von F. hätten sie Streit gehabt, weil er rauche. Es sei dann so gewesen, dass er sich im Wohnzimmer aufgehalten habe, Frau Q. sei in der Küche gewesen, und umgekehrt. Sie hätten ein gemeinsames Schlafzimmer gehabt, er habe dennoch manchmal im Wohnzimmer geschlafen.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Ungereimtheiten im Vorbringen setzen sich bei der Darstellung, wie es zur Versöhnung zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau gekommen sein soll, fort. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teilte der Kläger mit, seine Ehefrau habe die drei gemeinsamen Kinder zu ihm gebracht. Als er eines Tages zurück nach Hause gekommen sei, hätten seine Kinder auf der Straße bzw. vor der Tür gestanden. Er habe sie gefragt, was los sei. Daraufhin hätten diese ihm mitgeteilt, ihre Mutter hätte sie hier „abgeliefert“. Er selbst habe von dem Plan seiner Ehefrau nichts gewusst. Ungeachtet des Umstands, dass diese Schilderungen gänzlich lebensfremd sind, erschließt sich auch nicht, woher die Ehefrau des Klägers gewusst haben soll, wo dieser wohnt. Der Kläger gab auf Befragen des Senats an, er habe in der Zeit, als er mit Frau Q. eine Beziehung geführt habe, nur zu seinen Kindern, nicht aber zu seiner Ehefrau (telefonisch) Kontakt gehabt. Seine Kinder hätten nicht gewusst, wo er gewohnt habe. Die Erklärung des Klägers, er wisse nicht, woher seine Frau dann gewusst habe, wo er wohne, vielleicht von einer Freundin, ist spekulativ; insbesondere bleibt vollkommen unklar, welche Freundin der Ehefrau des Klägers aufgrund welcher Umstände seine Anschrift hätte kennen sollen. Die Fragen, warum er mit seiner Frau und den gemeinsamen drei Kindern wieder zusammengezogen sei und seit wann sie wieder zusammen wohnten, hat der Kläger lediglich ausweichend bzw. unsubstantiiert beantwortet.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Überdies sind die Aussagen des Klägers und Frau Q. hinsichtlich seiner Unterstützungsleistungen bei der Erziehung und Pflege von F. - insbesondere auch seit der Trennung - unglaubhaft. Zum einen sind die Einlassungen von auffälliger Detailarmut geprägt. Das gilt zunächst mit Blick auf den Kläger. Während des Erörterungstermins beim Verwaltungsgericht erschöpfte sich dessen Vortrag im Wesentlichen in nachfolgenden Schilderungen: Er sehe seinen Sohn wöchentlich, er zeige ihm sein Zimmer und seine Spielsachen, manchmal gingen sie gemeinsam zum Pennymarkt oder zum Spielplatz, manchmal nehme er ihn mit zu sich nach Hause, dort kochten sie etwas. Zum ersten Geburtstag habe er seinem Sohn eine Torte „Babyboss“ vorbeigebracht, zum zweiten Geburtstag habe er ihm ein grünes Motorrad gekauft und zum dritten Geburtstag habe er ihm eine „Autobahn“ geschenkt. In diesen Zusammenhang fügt sich nahtlos ein, dass der Kläger auf entsprechende Frage der Beklagtenvertreterin nicht in der Lage war, konkret zu beschreiben, welche Spielgeräte sich auf dem Spielplätz befänden, den er mit seinem Sohn (angeblich) regelmäßig besuche. Er konnte lediglich angeben, dort befänden sich Schaukeln. Darüber hinaus erklärte er, sich „jetzt“ nicht so sicher zu sein. Er sei nicht so häufig dort gewesen. Ein ähnliches Bild ergab sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Auch dort vermochte der Kläger im Wesentlichen nur Allgemeinplätze von sich zu geben: Er sehe seinen Sohn eigentlich jedes Wochenende. Er gehe mit ihm spazieren, in den Park oder zu sich nach Hause. Ansonsten helfe er Frau Q. immer, wenn ihr gemeinsames Kind etwas brauche. Als sie die neue Wohnung bekommen habe, habe er ihr bei allem geholfen ‑ beispielsweise habe er Anstreicher- und Laminatarbeiten verrichtet - und er werde ihr auch weiterhin helfen. Vergleichbares zeigte sich bei Frau Q. Ihre (schriftlichen) Einlassungen gehen nicht über substanzlose Bekundungen hinaus: „Wenn etwas ist und sie keine Zeit hat, dann kümmert er sich, ist immer da ruft an und fragt ob er helfen kann, was abnehmen kann. Er kommt, wenn es passt.“; „[Er] sieht sein Sohn sehr regelmäßig, er besucht uns oft und ist für den Kleinen auch sonst immer da wen Arzt besuche oder sonstiges ansteht. Er hilft mir auch wo er kann mit ihm wen er da ist. Und geht liebevoll mit ihm um.“; „Er kommt uns besuchen. […] Er bleibt meist ungefähr drei bis vier Stunden mit dem Kind zusammen. Teilweise nimmt er das Kind zum Spazierengehen mit […]. Wenn ich mal seine Hilfe brauche, weil ich das Kind nicht alleine lassen kann für irgendwelche Einkäufe, kümmert er sich auch noch nebenbei um das Kind.“. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vermochte es Frau Q. im Wesentlichen nicht, ihr Vorbringen zu substantiieren. Sie beschränkte sich im Grunde auf die substanzlose Einlassung, der Kläger und sein Sohn sähen sich immer am Wochenende. Während Corona sei das nicht so gut gegangen, es sei eine schwierige Zeit gewesen. Manchmal hole er ihn ab und sage nicht, was sie planten, manchmal erzähle er ihr, was sie gemacht hätten. Die Besuche dauerten ungefähr fünf bis sechs Stunden. Die Geburtstage feiere der Kläger mit F. immer einen Tag nach dem eigentlichen Geburtstag. Ab und zu schenke der Kläger F. auch Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel eine Jacke.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Zum anderen ist der Senat von der Unglaubhaftigkeit der entsprechenden Einlassungen überzeugt, weil in diesen Widersprüche, Ungereimtheiten und Plausibilitätsdefizite deutlich zu Tage treten. Im Einzelnen: Noch im erstinstanzlichen Verfahren gab Frau Q. die schriftliche Erklärung ab, der Kläger sei regelmäßig dabei, wenn sie mit F. zum Arzt müsse. Im Gegensatz dazu behauptete sie im verwaltungsgerichtlichen Erörterungstermin, der Kläger sei noch nie mit F. beim Arzt gewesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte sie dann, der Kläger sei mit ihr und F. einmal beim Arzt gewesen. Der Kläger wiederum wich der Frage des Senats, ob er überhaupt schon einmal mit F. beim Arzt gewesen sei, aus und gab an, F. sei so gut wie nie krank, wenn er Fieber habe, bekomme er entsprechenden Sirup von S. Im Verwaltungsverfahren hatte der Kläger noch behauptet, im ersten Lebensjahr sei F. oft beim Kinderarzt gewesen, da es in der Wohnung Schimmel gegeben habe. Dieses unterschiedliche Vorbringen konnte der Kläger auch nach explizitem Vorhalt des Senats nicht plausibel erklären. Er führte lediglich aus, das sei damals in W. gewesen, als sie Schimmel in der Wohnung gehabt hätten. Weiterhin differieren die Angaben des Klägers und Frau Q. zu den Namen der Kinderärzte von F. Während der Kläger meint, dieser heiße Dr. K., erklärte Frau Q., es handele sich um Dr. S. bzw. nachfolgend um Frau Dr. B.. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass der Kläger nicht einmal sagen konnte, welcher Arzt F. beschnitten hat. Der entsprechenden Nachfrage des Senats wich der Kläger - wie auch oben aufgeführten anderen Fragen - aus und trug vor, er sei nicht dabei gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Es habe sich um einen sehr kurzfristigen Termin beim Arzt gehandelt. Deshalb habe er nicht mitkommen können. Ungereimt ist der Vortrag teilweise, soweit er sich auf die Örtlichkeiten bezieht, wo sich der Kläger mit F. (angeblich) trifft. Gegenüber dem Verwaltungsgericht gab der Kläger im Erörterungstermin an, bei den Treffen mit F. trinke er zunächst bei Frau Q. einen Kaffee („kurze Kaffeerunde“). Dann spiele er mit F. Frau Q. behauptete hingegen im Erörterungstermin, ihre Kinder würden immer bei ihr zu Hause abgeholt. Bei ihr „zu Hause die Treffen, das möchte“ sie nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat führte der Kläger aus, er habe in der Nähe der Wohnung von Frau Q. gearbeitet. Manchmal sei er dort vorbeigegangen. Sie hätten dann Kaffee getrunken und er habe sich nach seinem Sohn erkundigt. Unklar bleibt auch, ob Frau Q. den Kläger und F. begleitet, wenn er mit diesem Ausflüge macht. Der Kläger meint, Frau Q. begleite sie beide manchmal, während Frau Q. dies ausdrücklich verneint. Nicht nachvollziehbar ist für den Senat überdies, warum der Kläger meint, er könne wegen seiner Arbeit nur sehr selten für F. Einkäufe erledigen. Denn selbst wenn der Kläger 40 Stunden pro Woche arbeitete, bliebe ihm bei lebensnaher Betrachtung dennoch ausreichend Zeit, für seinen Sohn einzukaufen. Ebenso bleibt unerfindlich, warum der Kläger aufgrund seiner Arbeitstätigkeit nie in der Lage sein soll, seinen Sohn zum Kindergarten zu bringen oder von dort abzuholen. Jedenfalls während des Urlaubs hätte der Kläger hierzu Zeit.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Schließlich fällt auf, dass der Kläger bezeichnenderweise immer noch bemüht ist, die familiären Beziehungen zu zwei der drei Kindsväter der weiteren Kinder von Frau Q. zu verschleiern. Schon im verwaltungsgerichtlichen Erörterungstermin erklärte der Kläger auf Befragen, er kenne Herrn T1. B2. nicht und wisse auch nicht, wer das sein soll. Auf entsprechenden Vorhalt, wieso er dann mit diesem auf Facebook befreundet sei, erklärte der Kläger lediglich, sein Facebook kennten auch seine Kinder. Auf die Frage des Senats, ob er Herrn T1. B2. kenne, erwiderte der Kläger, er sei hier, um über sein Kind zu sprechen, über ihn spreche er nicht. Auf Nachfrage wiederholte er lediglich, er sei hier, um über sein Kind zu reden, und das solle auch so bleiben.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Aus der Vielzahl der - auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - vorgelegten Fotos ergibt sich nichts für den Kläger Tragfähiges. Soweit diese den Kläger zusammen mit F. zeigen, handelt es sich um schlichte Momentaufnahmen, die keine darüber hinausgehende Aussagekraft besitzen. Ungeachtet dessen lässt sich diesen nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, wann genau sie aufgenommen worden sind.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Die vorstehenden Erwägungen lassen allein den Schluss zu, dass die Aussagen des Klägers und Frau Q. betreffend der angeblichen Ausübung des Sorgerechts seitens des Klägers für F. Q. in Gänze verfahrenstaktischer Natur sind. Sie dienen allein dem Zweck, dem Kläger - und von diesem abgeleitet seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern - (unrechtmäßigerweise) ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen bzw. vorgelegen haben. Der Senat merkt jedoch an, dass er sich unter dem Blickwinkel von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Straftatbeständen der §§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG,</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021- 1 StR 289/20 -, juris, Rn. 41 ff.,</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">nicht unbesehen anschließen wird. Dies bedarf vielmehr einer gesonderten Überprüfung.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">(II.) Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Ziffer 6. des angegriffenen Bescheides) folgt aus §§ 50 und 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">(III.) Das gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 2, 3 und Abs. 3 AufenthG erlassene und auf ein Jahr und sechs Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Änderungsverfügung vom 11. Februar 2022) ist ebenfalls rechtmäßig.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Mit dem Einreise- und Aufenthaltsverbot verfolgt der Gesetzgeber gewichtige spezial- und generalpräventive Gründe, die für das ausweisungsbedingte und für das abschiebungsbedingte Einreiseverbot je gesondert zu bestimmen sind. Das hier betroffene abschiebungsbedingte Verbot hat eine doppelte Zweckrichtung. Es dient zum einen in Bezug auf den betroffenen ausreisepflichtigen Ausländer der Durchsetzung des Vorrangs seiner freiwilligen Ausreise vor der Abschiebung und zum anderen auch in Bezug auf sonstige ausreisepflichtige Ausländer der Förderung der freiwilligen Ausreise. In spezialpräventiver Hinsicht soll der Ausländer aus dem Unionsgebiet ferngehalten werden, weil er Anlass zu Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass diese bei einem künftigen Aufenthalt erneut erforderlich werden. Zugleich soll in generalpräventiver Hinsicht verhindert werden, dass sich andere Ausländer in dem Vorhaben, ebenfalls nicht freiwillig auszureisen, ohne ein an die erforderlich gewordene Vollstreckungsmaßnahme anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestärkt fühlen könnten.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2022- 18 B 632/22 -, juris, Rn. 5, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben genügt die Änderungsverfügung vom 11. Februar 2022. Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) hinsichtlich der Länge der Frist sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</p>
346,364
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M 3 S 22.3909
2022-08-16T00:00:00
2022-08-30T10:01:51
2022-10-17T11:09:36
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <div> <p>I. Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>III. Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p>I.</p> <p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen den Widerruf der Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb ihrer Schule.</p> <p><rd nr="2"/>Die Antragstellerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Mit Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (im Folgenden: das Staatsministerium) vom 20. Juli 2018 wurde der Antragstellerin die Genehmigung erteilt, ab dem Schuljahr 2018/19 in München eine einzügige staatlich genehmigte Realschule mit der Ausbildungsrichtung II, beginnend mit den Jahrgangsstufen 5 und 6 zu errichten und zu betreiben. Ziffer II. des Genehmigungsbescheids beinhaltete mehrere Auflagen.</p> <p><rd nr="3"/>Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 1. Mai 2022 über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Infolgedessen wurden das Mietverhältnis über die Schulräumlichkeiten sowie die Arbeitsverträge mit den Lehrkräften zum 31. Juli 2022 gekündigt. Auch mehrere Eltern hatten die Schulverträge für ihre Kinder gekündigt.</p> <p><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 15. Juni 2022 hörte das Staatsministerium die Antragstellerin zu einem Widerruf der Genehmigung an. Die Antragstellerin nahm in mehreren Schreiben zu den im Anhörungsschreiben aufgeworfenen Fragen Stellung.</p> <p><rd nr="5"/>Mit Bescheid des Staatsministeriums vom 29. Juli 2022 wurde die mit Bescheid vom 20. Juli 2018 erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Schule zum Ablauf des 31. Juli 2022 widerrufen (Ziffer 1) und die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet (Ziffer 2).</p> <p><rd nr="6"/>Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. August 2022, eingegangen am gleichen Tag, ließ die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. Juli 2022 Klage erheben (Verfahren M 3 K 22.3908).</p> <p><rd nr="7"/>Gleichzeitig ließ sie beantragen,</p> <p><rd nr="8"/>die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.</p> <p><rd nr="9"/>Zur Begründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen vortragen, dass sowohl die Finanzierung wie auch der künftige Schulbetrieb im Schuljahr 2022/23 gesichert sei. Der künftige Geschäftsführer werde die monatlichen Defizite ausgleichen, bis die Schule selbst finanziell wieder auf eigenen Beinen stehe. Es sei auch davon auszugehen, dass die Zahl der Schüler von derzeit 30 wieder ansteige, da die Schule viele Anfragen zur Aufnahme neuer Schüler habe. Das Insolvenzgericht habe zwischenzeitlich dem aktuellen Insolvenzplan in der Fassung vom 6. August 2022 mündlich zugestimmt. Es sei davon auszugehen, dass ein entsprechender Beschluss des Insolvenzgerichts ergehen werde und auch die Gläubigerversammlung, die innerhalb der nächsten beiden Wochen geladen werde, dem Insolvenzplan zustimme. Damit könne die Insolvenz noch in diesem Monat beendet werden. Es bestünden keine offenen Gehaltsforderungen der Lehrkräfte. Fast alle bisherigen Lehrkräfte hätten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie ihre bisherige Tätigkeit bei der Schule ab dem 1. August 2022 fortsetzen würden, wenn die Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan zustimme. Weitere Lehrkräfte hätten ab dem 1. September 2022 laufende Arbeitsverträge unterzeichnet. Auch der bisherige Vermieter habe ein Angebot zur Weitervermietung der bisherigen Räumlichkeiten unterbreitet. Es habe mildere Mittel als den Widerruf wie etwa den Erlass entsprechender Auflagen gegeben. Im Übrigen sei die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtswidrig, da kein über das Erlassinteresse tretendes besonderes Vollzugsinteresse bestehe bzw. dargelegt werde. In jedem Fall überwiege selbst bei Zweifeln am Ausgang des Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf Art. 7 GG und die Institutsgarantie des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG das Suspensivinteresse der Antragstellerin.</p> <p><rd nr="10"/>Der Antragsgegner beantragt</p> <p><rd nr="11"/>Antragsablehnung.</p> <p><rd nr="12"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="13"/>1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Mangels Prozessführungsbefugnis des Schuldners im Insolvenzverfahren ist der Antrag bereits unzulässig, in jedem Fall ist der Antrag unbegründet.</p> <p><rd nr="14"/>Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 a) VwGO anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im Übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, B. v. 14.6.2002 - 7 CS 02.776 - juris Rn. 30 m.w.N.).</p> <p><rd nr="15"/>a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist bereits unzulässig, da der Antragstellerin als Schuldnerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, bereits die Prozessführungsbefugnis fehlt.</p> <p><rd nr="16"/>Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Innovative Schulen München gGmbH als Partei kraft Amtes i.S.d. § 62 VwGO (allein) zur Prozessführung befugt (vgl. Czybulka/Siegel in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 14). Nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und hierüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Der Schuldner verliert also mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die materielle und verfahrensrechtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögens (vgl. z.B. VG München, B.v. 24.3.2022 - M 31 K 22.1191 - juris Rn. 4; B.v. 26.7.2019 - M 31 K 18.5116 - juris Rn. 14 m.w.N.). Gleichzeitig ging die Prozessführungsbefugnis der gGmbH auf die mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 1. Mai 2022 eingesetzte Insolvenzverwalterin über, die damit als Partei kraft Amtes klagebefugt ist und als solche im eigenen Namen Rechte eines Dritten, der gGmbH, geltend macht.</p> <p><rd nr="17"/>Der Widerruf der schulrechtlichen Genehmigung, die den Betrieb einer im Vermögen der gGmbH befindlichen Schule betrifft, bezieht sich auch auf einen zur Insolvenzmasse gehörenden wirtschaftlichen Wert. Denn jedenfalls dann, wenn der Widerruf einer Genehmigung wirtschaftlich wesentliche Elemente der Geschäftstätigkeit des Schuldners und damit Vermögenswerte betrifft, aus denen er seine Gläubiger zu befriedigen hat, wirkt sich die Untersagung unmittelbar auf das Vermögen des Schuldners aus (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2006 - 6 C 17/06 - juris Rn. 20). Im vorliegenden Fall wird die gGmbH durch den Widerruf der schulrechtlichen Genehmigung unmittelbar wirtschaftlich beeinträchtigt, denn sie muss infolge des Widerrufs den Betrieb der Realschule einstellen. Damit verkörpert der mit der Anfechtungsklage sowie dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte prozessuale Anspruch auf Aufhebung des Widerrufs bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage einen wirtschaftlichen Wert, der es rechtfertigt, ihn als zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehörend anzusehen (BayVGH, U.v. 18.4.2012 - 10 B 10.2596 - juris Rn. 45f.). Anders als von der Antragstellerin angenommen, handelt es sich nicht um eine von der Insolvenzmasse abtrennbare persönliche Angelegenheit der gGmbH, da es sich beim Betrieb der Schule letztlich gerade um die wirtschaftliche Betätigung der Antragstellerin handelt und sie auch unter ihrer Firma zum Schulbetrieb gehörende Verträge mit Eltern, Lehrkräften, Angestellten sowie dem Vermieter abschließt.</p> <p><rd nr="18"/>Demzufolge geht die auf der falschen Annahme einer persönlichen Angelegenheit gründende Freigabeerklärung ins Leere.</p> <p><rd nr="19"/>Dass der streitgegenständliche Bescheid an die Antragstellerin und nicht an die Insolvenzverwalterin zugestellt worden ist, ist eine Frage der ordnungsgemäßen Bekanntgabe (dazu sogleich unten), kann aber nicht die Prozessführungsbefugnis der gGmbH begründen, weshalb der Antrag bereits unzulässig ist.</p> <p><rd nr="20"/>b) Selbst wenn man von der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ausgehen würde, wäre dieser in der Sache erfolglos. Zum einen sprechen bei summarischer Prüfung die überwiegenden Gründe dafür, dass der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bleiben wird (aa). Aber selbst bei offenen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug das Suspensivinteresse der Antragstellerin (bb).</p> <p><rd nr="21"/>aa) Die Interessensabwägung geht im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragstellerin aus, da sich der Bescheid des Antragsgegners nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweisen dürfte.</p> <p><rd nr="22"/>(1) Inhalts- und Bekanntgabeadressat des streitbefangenen Bescheids i.S.d. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BayVwVfG ist die Antragstellerin. Der Bescheid war für diese bestimmt, da sie als Adressatin der mit Bescheid vom 20. Juli 2018 erteilten Genehmigung nach Ansicht des Antragsgegners den Tatbestand für den Widerruf nach Art. 49 BayVwVfG verwirklicht hat. Ihr gegenüber hat der Antragsgegner das Verwaltungsverfahren betrieben und sie als Partnerin des Verwaltungsrechtsverhältnisses angesehen. Dass dies insolvenzrechtlich einen Verstoß gegen § 80 InsO darstellt (vgl. dazu bereits oben), ist zustellungsrechtlich unerheblich. Ein entsprechender Fehler wirkt sich nicht auf die Bekanntgabe aus (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 23, 30). Der an die Antragstellerin gerichtete Bescheid wird dementsprechend ihr gegenüber auch dann wirksam, wenn dieser nach den Bestimmungen des Insolvenzrechts an den Insolvenzverwalter zu richten gewesen wäre. Dass er dieser - soweit ersichtlich - noch nicht bekannt gegeben worden ist, steht der Rechtmäßigkeit nicht entgegen, da dies noch jederzeit nachholbar ist.</p> <p><rd nr="23"/>(2) Die schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung (Fortbestand der Schule zumindest für den Zeitraum 2022/23 nicht gewährleistet; Interesse der betroffenen Schüler und Lehrkräfte; öffentliches Interesse am gleichwertigen Bildungserfolg der Privatschulen; Vertrauen der Schüler, dass genehmigte Schulen den Anforderungen nachhaltig gerecht werden) genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Tatsache, dass sich hier die Gründe, die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO für den Sofortvollzug berücksichtigt sind, teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsakts decken, steht der Annahme einer ausreichenden Begründung nicht entgegen.</p> <p><rd nr="24"/>(3) Auch in materieller Hinsicht dürfte sich der Bescheid vom 29. Juli 2022 als rechtmäßig erweisen.</p> <p><rd nr="25"/>(a) Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2) oder wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre (Nr. 3). Dies gilt auch für den Widerruf einer nach Art. 92 BayEUG erteilten Genehmigung (Lindner/Stahl, BayEUG, Kommentar, Stand Juni 2022, Rn. 15 zu Art. 92).</p> <p><rd nr="26"/>Muss danach unter den in Art. 7 Abs. 4 GG genannten Voraussetzungen, die auch in Art. 92 Abs. 2 BayEUG enthalten sind, eine private Schule als Ersatzschule genehmigt werden, dann kann die Genehmigung nicht wieder entzogen werden, solange die zur Genehmigung notwendigen Bedingungen erfüllt sind. Die Genehmigungsvoraussetzungen bilden den Rahmen, durch den die dem Staat auch gegenüber den genehmigten Ersatzschulen anzuerkennende Schulaufsicht abgegrenzt wird (BVerwG, U.v. 14.7.1961 - VII C 23.60 - BVerwGE 12, 349, 350). Andererseits folgt aus Art. 92 Abs. 1 BayEUG, dass sich die Genehmigung nicht nur auf den Akt der Errichtung, sondern auch auf den Betrieb der Schule bezieht. Die Genehmigung ist auf Dauer angelegt, weshalb die Schule die Genehmigungsvoraussetzungen ständig erfüllen muss, was mit einer entsprechenden Kontrollbefugnis bzw. - pflicht der Schulaufsichtsbehörde einhergeht (Lindner/Stahl, BayEUG, Kommentar, Stand Juni 2022, Rn. 4 zu Art. 92).</p> <p><rd nr="27"/>Nach der im Eilverfahren gebotenen und aufgrund der dem Gericht vorliegenden Unterlagen möglichen summarischen Prüfung bestehen auch im Hinblick auf Art. 111 Abs. 2 BayEUG, wonach sich Grenzen der staatlichen Schulaufsicht über die privaten Schulen nach Art. 7 GG und Art. 134 BV bestimmen, keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Widerrufs, da die Genehmigungsvoraussetzungen, die im Bescheid vom 20. Juli 2018 teilweise auch als Auflagen aufgeführt sind, nicht (mehr) vorliegen. Insoweit wird auf die Gründe des Bescheids vom 29. Juli 2022 sowie die Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 16. August 2022 Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).</p> <p><rd nr="28"/>Ergänzend ist anzumerken, dass gerade im Hinblick darauf, ob die Antragstellerin Gewähr dafür bietet, dass die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte genügend gesichert ist (vgl. Art. 92 Abs. 2 Nr. 4, 97 BayEUG sowie Auflage II.1.b im Genehmigungsbescheid vom 20.7.2018), erhebliche Zweifel bestehen. Die Genehmigungsvoraussetzung der genügenden Sicherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der Lehrkräfte gem. Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG dient neben dem Schutz des Lehrpersonals auch der im Schüler- und Elterninteresse liegenden Sicherstellung eines geordneten Schulbetriebs (Uhle in BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.5.2022, Rn. 86 zu Art. 7). Mit den im Verfahren vorgelegten Unterlagen konnte die Antragstellerin nicht schlüssig darlegen, dass sie diese Anforderungen erfüllen kann.</p> <p><rd nr="29"/>So ist bereits unklar, ob bzw. welche rechtliche Grundlage dafür besteht, dass der künftige Geschäftsführer, der nach Abschluss des Insolvenzverfahrens die Geschäftsführung der Antragstellerin übernehmen will, die entstehenden Defizite ausgleichen kann und wird. Es ist nicht ersichtlich, bis zu welcher Größenordnung eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit besteht und ob für einen regelmäßigen Defizitausgleich überhaupt eine rechtlich verbindliche Grundlage besteht.</p> <p><rd nr="30"/>Es ist auch nicht dargetan, auf welcher sachlichen Grundlage die Antragstellerin mit einem signifikanten Anstieg der Schülerzahlen rechnet. Bei Betrachtung der Liquiditätsplanung (Anlage 6) fällt auf, dass beginnend mit dem 29. August 2022 mit einem monatlichen Zuwachs von 3 Schülerinnen und Schülern („Zugänge SuS“) gerechnet wird, d.h. sich während des laufenden Schuljahres bis zum 29. Mai 2023 die Anzahl der Schülerinnen und Schüler von derzeit noch 30 (vgl. Antragsschrift vom 10.8.2022, Seite 11) auf 63 mehr als verdoppeln soll. Bereits diese Annahme eines so erheblichen Anstiegs der Schülerzahlen während eines laufenden Schuljahres ist nicht nachvollziehbar. Damit fehlt es jedoch bereits an einer plausiblen Darstellung der sachlichen Grundlage für die durch Schulgeld und Elterndarlehen zu generierenden Einnahmen.</p> <p><rd nr="31"/>Soweit im Antrag von einer Vielzahl an Interessenten die Rede ist, bleibt die Antragstellerin bereits den Nachweis dafür schuldig, um wie viele Interessenten es sich tatsächlich handelt und wie viele dieser Interessenten vier Wochen vor Schulbeginn überhaupt noch auf der Suche nach einem Platz in einer Schule sind. Nachdem sich auf der Homepage der Antragstellerin auch keinerlei Hinweise zur ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation befinden (www.innovative-schulen-muenchen.de; abgerufen am 16.8.2022), ist zudem völlig offen, ob und wie viele Eltern, die Interesse an einem Platz in der Realschule der Antragstellerin bekundet haben, bei Kenntnis der aktuellen Sachlage überhaupt bereit sind, einen Vertrag abzuschließen und ob dann tatsächlich mit einem signifikanten Zuwachs an Schülern zu rechnen ist.</p> <p><rd nr="32"/>Dass auf dieser nicht schlüssigen Finanzierung eine auch im Hinblick auf die nicht kalkulierbaren Energiekosten für den Schulbetrieb im kommenden Winter eine Gewähr dafür bestehen soll, dass die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Lehrkräfte genügend gesichert ist und überdies eine wirtschaftliche Grundlage dafür besteht, dass der Schulbetrieb überhaupt während des gesamten Schuljahrs aufrechterhalten werden kann, ist nicht ersichtlich.</p> <p><rd nr="33"/>(bb) Selbst wenn man die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs als offen ansehen würde und eine allgemeine Interessenabwägung über den Ausgang des vorliegenden Eilverfahrens entscheiden müsste, würde diese Interessenabwägung zuungunsten der Antragstellerin ausfallen.</p> <p><rd nr="34"/>Auszugehen ist dabei davon, dass sich hier zwei grundrechtlich geschützte Rechtspositionen gegenüberstehen: Einerseits die durch Art. 7 Abs. 4 GG geschützte Privatschulfreiheit und andererseits die Rechte der Kinder auf Erziehung und Bildung (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG) bzw. der Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 126 BV).</p> <p><rd nr="35"/>Art. 7 GG enthält zwar Einrichtungsgarantien, Grundrechtsnormen und Auslegungsregeln für den Bereich des Schulrechts (BVerfG, U.v. 26.3.1957 - 2 BvG 1/55 - BVerfGE 6, 309,355). Das Grundrecht der Privatschulfreiheit bedeutet allerdings nicht, dass die Privatschule eine staatsfreie Schule ist. Vielmehr unterliegt sie der staatlichen Schulaufsicht, die zu überwachen hat, ob die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG eingehalten werden (vgl. Art. 111 Abs. 2 BayEUG).</p> <p><rd nr="36"/>Der Genehmigungsvorbehalt für Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG hat gerade auch den Sinn, neben den Schülern die Allgemeinheit vor unzureichenden Bildungseinrichtungen und Defiziten im Bildungserfolg zu schützen (BVerfG. B.v. 14.11.1969 - 1 BvL 24/64 - juris Rn. 28; B.v. 8.6.2011 - 1 BvR 759/08 - juris Rn. 15). Daher sichert der Vorbehalt das Interesse von Schülern und der Allgemeinheit daran, dass private Schulen anstelle öffentlicher Schulen ohne Einbuße an schulischen Standards, die im Bereich des öffentlichen Schulwesens in Bezug auf Lehrerausbildung, Einrichtungen und Lehrziele bestehen, besucht werden können (BVerwG, U.v. 30.1.2013 - 6 C 6/12 - juris Rn. 27; Uhle in BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.5.2022 - Rn. 81a zu Art. 7).</p> <p><rd nr="37"/>Maßgeblich für die Bestimmung des Gewichts in der vorliegenden Abwägung ist, wie hoch das Risiko zu veranschlagen ist, dass es während eines (vorläufigen) Weiterbetriebs der Schule zu erneuten finanziellen Schwierigkeiten der Antragstellerin kommt und es dadurch für die Lehrkräfte im Hinblick auf Art. 92 Abs. 2 Nr. 4 BayEUG, insbesondere aber für die Schülerinnen und Schüler während des laufenden Schuljahres nicht auszuschließen ist, dass der Schulbetrieb gar nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten stattfinden kann. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass eine vorläufige Schließung der Schule im Falle eines Obsiegens der Antragstellerin in der Hauptsache für diese erhebliche Nachteile zur Folge hätte. So ließe sich der mit der Schließung der Schule verbundene Weggang der Schüler und der Lehrkräfte allenfalls nur unter Schwierigkeiten wieder rückgängig machen.</p> <p><rd nr="38"/>Andererseits korreliert mit der aufgrund Art. 129 BV und Art. 35 BayEUG bestehenden Schulpflicht der Anspruch von Schülern und Eltern, dass im Wege der Schulaufsicht sicherzustellen ist, dass in den der Schulaufsicht unterliegenden Schulen eine Gewähr dafür besteht, dass die schulpflichtigen Kinder in diesen Schulen entsprechend den Anforderungen der BV und des BayEUG unterrichtet werden und so dort ihre Schulpflicht erfüllen können und die Schule während des gesamten Schuljahres die Gewähr dafür bietet, einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb aufrecht erhalten zu können.</p> <p><rd nr="39"/>Die Antragstellerin hat - wie bereits ausgeführt - mit den vorgelegten Unterlagen nicht darlegen können, dass diese Anforderungen sichergestellt sind.</p> <p><rd nr="40"/>In die Abwägung ist zu Lasten der Antragstellerin auch einzustellen, dass aufgrund der derzeitigen Sachlage davon auszugehen ist, dass zum Beginn des Unterrichts nach dem Ende der Sommerferien am 13. September 2022 im seit dem 1. August 2022 laufenden Schuljahr 2022/23 noch überhaupt keine verlässliche Anzahl an Lehrkräften und auch kein wirksamer Mietvertrag vorliegen werden.</p> <p><rd nr="41"/>Laut telefonischer Auskunft des Richters am Insolvenzgericht ist ein Erörterungs- und Abstimmungstermin übe den Insolvenzplan nach § 235 InsO für den 31. August 2022 anberaumt. Selbst wenn man mit der Antragstellerseite darin übereinstimmen würde, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme des Insolvenzplans spricht, so bestünde gemäß § 253 InsO gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde. Für diese besteht gemäß § 6 Abs. 1, § 4 InsO i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Frist von zwei Wochen, so dass der Insolvenzplan bis zum Beginn des Unterrichts am 13. September 2022 gar nicht rechtskräftig werden kann.</p> <p><rd nr="42"/>Damit kommen jedoch wesentliche Säulen des mit der Antragsschrift dargestellten Konzepts der Antragstellerin nicht zum Tragen. Insoweit ist auf die im Anlagenkonvolut A 17 vorgelegten „Arbeitsverträge unter aufschiebender Bedingung“ hinzuweisen. Darin wird den Lehrkräften ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt, das für den Fall besteht, dass die Bestätigung des Insolvenzplans bis zum Ende der Sommerferien (12.9.2022) noch nicht rechtskräftig sein sollte. Es ist also gar nicht absehbar, ob und wie viele Lehrkräfte auf der Basis der unter aufschiebender Bedingung abgeschlossener Arbeitsverträge überhaupt beschäftigt wären.</p> <p><rd nr="43"/>Auch im Hinblick auf die Lehrkräfte, die bisher noch keinen Arbeitsvertrag mit der Antragstellerin hatten, fehlt es derzeit teilweise an aussagekräftigen Unterlagen, inwieweit diese Lehrkräfte in den Fächern, für die sie eingeplant sind, unterrichten können bzw. eine Duldung dieser Lehrkräfte durch das Staatsministerium überhaupt möglich ist (vgl. Antragserwiderung vom 16.8.2022, S. 9). Bereits in der Vergangenheit wurden mehrfach von der Antragstellerin gemeldeten Lehrern mangels einer den Anforderungen des Art. 94 BayEUG entsprechenden pädagogischen und fachlichen Ausbildung keine Unterrichtsgenehmigung erteilt.</p> <p><rd nr="44"/>Auch ein wirksames Mietverhältnis über die bisherigen schulischen Räumlichkeiten „Am Moosfeld“ würde zum Beginn des Unterrichts nicht bestehen, da das aufschiebend bedingte Angebot des Vermieters vom 31. März 2022 ebenfalls die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans zur Voraussetzung hat (Anlage A 4a).</p> <p><rd nr="45"/>Unabhängig davon stellt sich mit Blick auf § 80 InsO auch die Frage, inwieweit die mit der Antragstellerin und nicht mit der Insolvenzverwalterin geschlossenen aufschiebend bedingten Arbeitsverträge derzeit überhaupt Wirksamkeit entfalten können.</p> <p><rd nr="46"/>Zu Lasten der Antragstellerin ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner dem Interesse der Schule in der Vergangenheit bereits insoweit Rechnung getragen hat, als der Schulbetrieb trotz der bereits bestehenden Schwierigkeiten bis zum Abschluss des Schuljahres 2021/22 aufrechterhalten werden konnte.</p> <p><rd nr="47"/>Aufgrund der Tatsache, dass Schüler, die zu Beginn des Unterrichts im neuen Schuljahr 2022/23 (wieder) Gefahr laufen, an der Schule der Antragstellerin ihre Schulpflicht nicht bzw. nicht dauerhaft erfüllen zu können, hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids der Schulaufsicht - deren Aufgabe es ist, diesen Gefahren zu begegnen - den Vorrang gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin. Der streitgegenständliche Bescheid bezweckt gerade auch den Schutz von Rechten der Lehrer und Schüler. Auch mögliche Schwierigkeiten, die bei der Suche nach einer neuen Schule für die Schüler, die derzeit noch einen Schulvertrag mit der Antragstellerin haben, kurz vor Beginn des Schuljahres bestehen, stehen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug nicht entgegen, sondern sind gerade ein Argument dafür. Trotz der Ferienzeit sind die Aussichten, sich jetzt erfolgreich um einen Platz in einer anderen Schule gegebenenfalls mit Hilfe der Schulaufsicht zu bemühen, besser als wenn dies erst zu Beginn des Unterrichts am 13. September 2022 erfolgt, wenn sich dann zeigt, dass in der Schule der Antragstellerin gar kein ordnungsgemäßer Unterricht möglich ist und ein Schulwechsel erforderlich wird. Die Schwierigkeiten, Plätze an Schulen zu finden, wären zudem noch größer, wenn sich bis dahin tatsächlich noch Eltern dazu entscheiden würden, ihre Kinder erstmals an der Schule der Antragstellerin anzumelden und auch für diese dann noch freie Plätze an anderen Schulen gefunden werden müssten. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Lehrkräfte, bei denen ebenfalls anzunehmen ist, dass vor Ende der Ferien die Chance, eine neue Anstellung zu finden, größer sein wird als erst zu Beginn der Unterrichtszeit.</p> <p><rd nr="48"/>Angesichts der nicht plausibel dargelegten Leistungsfähigkeit der Schule und die aufgrund der Vielzahl von Unklarheiten im Konzept der Antragstellerin anzustellende Prognose, dass ein ordnungsgemäßer Schulstart und im Anschluss daran ein ordnungsgemäßer Schulbetrieb wohl nicht stattfinden kann, darf der Versuch der Antragstellerin, die - wie das Insolvenzverfahren zeigt - bereits in der Vergangenheit finanzielle Schwierigkeiten hatte, sich wirtschaftlich zu konsolidieren, nicht auf dem Rücken schulpflichtiger Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte stattfinden.</p> <p><rd nr="49"/>2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher ebenso wie der Hilfsantrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.</p> <p><rd nr="50"/>3. Die Streitwertfestsetzung beruht unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters des Verfahrens auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 38.1 und 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.</p> </div>
346,310
vg-dusseldorf-2022-08-16-2-k-882121
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2 K 8821/21
2022-08-16T00:00:00
2022-08-26T10:01:15
2022-10-17T11:09:28
Urteil
ECLI:DE:VGD:2022:0816.2K8821.21.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die Klage wird abgewiesen.</strong></p> <p><strong>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger war Studierender des Einstellungsjahrgangs 202X im Studiengang „Polizeivollzugsdienst“ (B.A.) an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (im Folgenden HSPV).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen des Studiums hatte der Kläger eine Prüfungsleistung (Klausur) im Modul GS 6 (Verkehrssicherheitsarbeit) zu absolvieren. Am 00.00.2021 nahm er an einer Wiederholungsprüfung in diesem Modul teil. Im Anschluss an die Klausur führte die Aufsicht - Frau M.    G.          - eine Hilfsmittelkontrolle bei dem Kläger durch. Hierzu stellte sie fest: <em>„Beim Herrn (…) habe ich die beigefügte Karteikarte gefunden und bei Herrn L.     den weißen Zettel. Der weiße Zettel war mit einem blauen Post-It versehen und im “Ordner“ (als Hilfsmittel zugelassen) abgeheftet. Als ich den weißen Zettel bei Herrn L.     gefunden habe, sagte dieser, dass es sinnlos sei und ich erklärte, dass ich den Zettel mit seiner Klausur abgebe und andere Leute prüfen, ob das für seine Klausur “verwendbar“ war. Daraufhin sagte Herr L.     : “Gut, das ist nicht der Fall.“.“</em></p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Unter dem 4. November 2021 führte die HSPV gegenüber dem Kläger aus, dass angesichts des geschilderten Sachverhaltes der Verdacht bestehen würde, dass sich der Kläger ordnungswidrig im Sinne von § 20 StudO-BA Teil A verhalten haben könnte und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese nahm der Kläger unter dem 5. November 2021 wahr. Er führte aus unter anderem aus: <em>„In der Tat befand sich in meinem Polizei-Fach-Handbuch ein weißes Blatt Papier mit Ausführungen zu den Sonder- und Wegerechten. Hierbei handelt es sich um eine von mir gefertigte Zusammenfassung, welche ich zum Lernen genutzt habe. Diese Zusammenfassung sollte in keiner Weise als Hilfsmittel in einer Klausur dienen. Das ist auch der Grund, warum der Zettel nicht versteckt oder „getarnt“, sondern mit einem blauen Post-It markiert war. Zudem handelte es sich um ein normales weißes Blatt Papier (entgegen dem Papierfarbton des Polizei-Fach-Handbuchs), welches handschriftlich verfasst wurde. Um mich bestmöglich auf die bevorstehenden Klausuren vorzubereiten, habe ich einige solcher Schriftstücke mit verschiedenen Themenschwerpunkten vorbereitet und in meinem Polizei-Fach-Handbuch abgeheftet. So hatte ich immer alle relevanten Themen griffbereit. Diese Zusammenfassungen habe ich eigentlich immer mit einem roten Post-It versehen, um sie vor den Klausuren leichter zu finden und zu entfernen. Bei dem in Rede stehenden Schriftstück habe ich anscheinend versehentlich einen blauen Post-It verwendet und diesen nicht als Lernzusammenfassung erkannt und demnach auch nicht aus meinem Polizei-Fach-Handbuch entfernt. (…)“</em></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 30. November 2021 bewertete die HSPV die Prüfungsleistung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StudO-BA Teil A mit „nicht ausreichend“ (5,0) und stellte fest, dass die Modulprüfung damit endgültig nicht bestanden und eine Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen ist. Zur Begründung führte die HSPV aus, der Kläger habe ein verbotenes Hilfsmittel während der Klausurbearbeitung mit sich geführt. Dies stelle ein ordnungswidriges Verhalten dar. Der Prüfungsausschuss habe in seinen „Hinweisen zu ordnungswidrigem Verhalten und Täuschungsversuchen“ den sog. Spickzettel ausdrücklich als unzulässiges Hilfsmittel qualifiziert. Ob der Spickzettel tatsächlich für die Klausurbearbeitung herangezogen worden sei, sei nicht von Bedeutung. Es reiche bereits aus, dass der Betroffene es in Reichweite gehabt habe. Der Inhalt müsse ferner geeignet gewesen sein, dem Prüfling zusätzliches Wissen zu vermitteln oder bereits bekanntes Wissen schneller und präziser abrufen zu können. Auf dem Spickzettel des Klägers hätten sich Ausführungen zu Sonder- und Wegerechten befunden, die einen Bezug zu der im Streit stehenden verkehrsrechtlichen Klausur aufgewiesen hätten. Der Kläger habe auch mit dem notwendigen Vorsatz gehandelt. Bereits der Besitz spreche für ein bewusstes Mitsichführen. Bei Betrachtung des Einzelfalles sei das vorliegende Verhalten in der Form zu ahnden, dass die Klausur mit „nicht ausreichend“ (5,0) bewertet werde. Bei der Ermessensausübung sei insoweit die Intensität der Täuschungshandlung sowie der Verschuldensgrad berücksichtigt worden.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 29. Dezember 2021 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führt er aus, es fehle an dem erforderlichen Täuschungsvorsatz. Hierfür sprächen bereits die objektiven Umstände. Abgesehen davon, dass es sich bei dem in Rede stehenden Zettel nicht um einen Spickzettel, sondern um einen Lernzettel gehandelt habe, hätte der Kläger wegen des blauen Post-It und dem Umstand, dass sich seine Ausführungen auf weißem Papier befunden hätten, ohne weiteres damit rechnen müssen, dass der vermeintliche Spickzettel bei einer Kontrolle sofort auffallen würde. Dies spreche gegen einen Täuschungsvorsatz. Zudem sei der angegriffene Bescheid ermessensfehlerhaft. Denn dem Kläger hätte vielmehr auch die Wiederholung der Klausur im Modul GS 6 aufgegeben werden können.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung vom 30. November 2021 zu verpflichten, das Prüfungsverfahren fortzusetzen,</strong></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>hilfsweise, das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung vom 30. November 2021 zu verpflichten, ihm eine erneute Wiederholungsprüfung im Modul GS 6 zu gewähren.</strong></p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beantragt,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Es trägt vor, auf dem Spickzettel hätten sich mit den Ausführungen zu Sonder- und Wegerechten Inhalte befunden, die typischerweise zu den Prüfungsgegenständen einer GS 6 – Klausur gehörten. Für die rechtliche Bewertung als unzulässiges Hilfsmittel sei es im Übrigen unbeachtlich, ob man den Zettel als Spickzettel oder Lernzettel bezeichne. Der erforderliche Eventualvorsatz folge aus der Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises. Danach stelle bereits das Mitsichführen eines verbotenen Hilfsmittels eine Tatsache dar, die für den ersten Anschein eines entsprechenden Vorsatzes spreche.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kammer konnte gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter entscheiden, weil sie ihm den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6. Juli 2022 zur Entscheidung übertragen hat.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage hat insgesamt keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">1. Die Klage ist mit dem Hauptantrag unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 30. November 2021 und Fortsetzung des Studiums. Der angegriffene Bescheid ist nicht rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StudO-BA Teil A sind Studienleistungen in Modulen oder Teilmodulen, die schlechter als ausreichend (4,0) oder mit „nicht bestanden“ bewertet wurden, nicht bestanden und können einmal wiederholt werden, sofern nicht nachfolgend etwas anderes bestimmt ist. Wird in einer Studienleistungen auch in der Wiederholung eine Bewertung von mindestens ausreichend (4,0) bzw. „bestanden“ nicht erreicht, ist die Studienleistung endgültig nicht bestanden. Die Fortsetzung des Studiums ist ausgeschlossen (§ 13 Abs. 2 Sätze 3 und 4 StudO-BA Teil A). Soweit es ein ordnungswidriges Verhalten anbelangt, regelt § 20 Abs. 1 StudO-BA Teil A, dass als Folgen eines ordnungswidrigen Verhaltens, insbesondere eines Täuschungsversuchs z.B. durch Mitführen oder sonstiges Nutzen nicht zugelassener Hilfsmittel, nach den Umständen des Einzelfalles ausgesprochen werden können: 1. der Kandidatin oder dem Kandidaten wird die Wiederholung der Studienleistung aufgegeben, 2. die Studienleistung, auf die sich die Ordnungswidrigkeit bezieht, wird mit „nicht ausreichend“ bewertet, 3. in besonders schweren Fällen, wie beispielsweise der wiederholten Täuschung im Rahmen der Erbringung eines Leistungsnachweises, wird die Kandidatin oder der Kandidat von einer Wiederholung der Studienleistung ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Nach Maßgabe dieser Regelungen ist die Bewertung der Wiederholungsklausur des Klägers im Modul GS 6 mit „nicht ausreichend“ (5,0) im Streitfall nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">1.1. Es liegt ein Täuschungsversuch im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 StudO-BA Teil A vor. Denn der Kläger hat - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - während der von ihm am 3. November 2021 angefertigten Klausur ein unzulässiges Hilfsmittel bei sich geführt. In dem in der Klausur GS  6 als Hilfsmittel zugelassenen Polizei-Fach-Handbuch hat sich ein vom ihm handschriftlich beschriebenes Blatt befunden, auf dem sich Ausführungen zu Sonder- und Wegerechten befunden haben. Nach Ziffer 2 Abs. 1 der Allgemeinen Bestimmungen über die Benutzung von Hilfsmitteln bei Aufsichtsarbeiten für den Studiengang Polizeivollzugsdienst (B.A.; gültig ab dem Einstellungsjahrgang 2019) sind Kommentierungen, Texterläuterungen, Musterlösungen, schematische und systematische Darstellungen sowie Aufzeichnungen von Fällen mit Lösungen grundsätzlich als verbotene Hilfsmittel eingestuft. In den Hilfsmitteln sind sämtliche Markierungen, handschriftliche Notizen, Unterstreichungen und anderweitige Hervorhebungen verboten (vgl. Ziffer 5 Abs. 1 der Hilfsmittelbestimmungen). Zudem dürfen Post-Its nach Ziffer 5 Abs. 2 der vorgenannten Bestimmungen nur verwendet werden, wenn sie den Anfang eines Gesetzes kennzeichnen und allein auf dessen Fundort hinweisen; eine anderweitige Verwendung ist ausgeschlossen. Hiergegen hat der Kläger verstoßen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">1.2. Der Kläger hat zur Überzeugung des Einzelrichters auch vorsätzlich gehandelt. Der bedingte Vorsatz des Klägers hinsichtlich des Mitführens eines nicht zugelassenen Hilfsmittels ergibt sich in Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises. Jedem Prüfungsteilnehmer ist bekannt, dass das Auffinden eines unzulässigen Hilfsmittels in einer Prüfung zu Sanktionen führen kann. Jeder Prüfling wird daher darauf bedacht sein, unzulässige Hilfsmittel aus seinem direkten Umfeld zu entfernen. Befindet sich dennoch ein unzulässiges Hilfsmittel in seinem Besitz, ist von einem bewussten Mitführen auszugehen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG München, Beschluss vom 29. Juni 2021 - 3 E 21.3300 -, juris, Rn. 35 ff; OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2021 - 6 B 1868/20 -, juris, Rn. 8ff.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger ist es nicht gelungen, diesen Beweis des ersten Anscheins zu entkräften. Widersprüchlich ist sein Vorbringen, es mangele bereits deswegen an einem Täuschungsvorsatz, weil es sich bei dem in Rede stehenden Lernzettel um ein (beschriebenes) weißes Blatt Papier handele, während die Blätter des Polizei-Fach-Handbuchs eine hiervon abweichende Farbe aufweisen würden. Er hätte daher – wenn er Täuschungsvorsatz besessen hätte – jederzeit damit rechnen müssen, dass dieses Blatt – wegen der andersartigen Farbgestaltung und dem hierauf angebrachten blauen Post-It– der Klausuraufsicht ohne weiteres auffallen würde. Wenn dem so sein sollte, dann hätte das Blatt aber eben auch dem Kläger auffallen müssen. Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen widersprüchlich ist, trifft es aber in dieser Allgemeinheit auch im Tatsächlichen nicht zu. Es verhält sich keinesfalls so, dass der Lernzettel des Klägers auffällig war. Der Einzelrichter hat den Originalzettel im Verhandlungstermin in den Blick genommen und ihn in das Polizei-Fach-Handbuch eingeheftet. Hierbei wurde deutlich, dass der vom Kläger verwendete Lernzettel etwas geringere Ausmaße hat, als die Seiten der Loseblattsammlung. Der Zettel springt demnach gerade nicht ins Auge. Auch der Umstand, dass der Kläger diesen Zettel mit einem blauen Post-It versehen hat, stützt sein Vorbringen nicht. Denn die Verwendung von Post-Its ist - wie festgestellt - grundsätzlich zulässig und stellt für sich gesehen keinen Anlass für eine Hilfsmittelkontrolle dar. Der Vortrag des Klägers, es könne nicht auf einen Täuschungsvorsatz geschlossen werden, weil der Lernzettel doch als solcher ohne weiteres erkennbar und eben nicht „versteckt“ gewesen sei, trifft demnach so nicht zu. Unabhängig davon, dass der Kläger den Anscheinsbeweis nicht entkräftet hat, steht auch zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger bewusst getäuscht hat. Sein Vorbringen ist verfahrensangepasst. Der Kläger hat dargetan, dass er von ihm angefertigte Lernzettel grundsätzlich mit roten Post-Its versehen habe, damit er sie als solche erkennen und vor der Klausur aus dem Polizei-Fach-Handbuch entfernen kann. Lediglich im Streitfall habe er - vielleicht, weil ihm die roten Post-Its ausgegangen seien - einen blauen Post-It verwendet. Damit habe er aber auch zulässigerweise den Anfang von Gesetzestexten markiert. Vor der Klausur habe seine Loseblattsammlung lediglich blaue Post-Its aufgewiesen. Er habe daher keinen Anlass gehabt, die Sammlung noch einmal auf Lernzettel zu durchsuchen. Er sei davon ausgegangen, dass alle Post-Its lediglich den Anfang von Gesetzestexten hervorheben. Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Wenn der Kläger im Zuge der Klausurvorbereitung farblich unterschiedliche Post-Its verwendet haben will, dann hätte es nahegelegen, die mit den Post-Its im Handbuch versehenen Stellen noch einmal auf das Vorhandensein von Lernzetteln zu überprüfen. Aus welchem Grunde der Kläger dies nicht getan hat, ist nicht ersichtlich. Überdies spricht für einen Täuschungsvorsatz, dass der Lernzettel etwas geringere Ausmaße aufweist, als die verlagsseitig gedruckten Blätter des Polizei-Fach-Handbuchs. Damit war der Lernzettel - entgegen dem Vorbringen des Klägers - gleichsam in der Loseblattsammlung „versteckt“. Wenn der Kläger nicht nur verschiedenfarbige Post-Its verwendet, sondern auch noch unzulässige Hilfsmittel in das Polizei-Fach-Handbuch im Zuge der Klausurvorbereitung eingeheftet hat, dann hätte es sich aufgedrängt, das Handbuch vor der Klausur mit einer besonderen Sorgfalt noch einmal zu überprüfen. Dies hat der Kläger aber nicht getan. Hinzu kommt, dass es sich bei der Wiederholungsprüfung um den „letzten Versuch“ gehandelt hat, so dass auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes eine besondere Sorgfalt angebracht gewesen wäre. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass es sich bei dem Verhalten des Klägers nicht lediglich um eine Nachlässigkeit, sondern vielmehr um einen bewussten Täuschungsversuch gehandelt hat.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Nicht nachvollziehbar ist schlussendlich der Vortrag des Klägers, bereits aufgrund der Gestaltung des Zettels sei davon auszugehen, dass es an dem erforderlichen Täuschungsvorsatz mangele. Denn der Zettel sei kein Spickzettel, sondern ein Lernzettel. Selbstredend können auch kurze textliche Zusammenfassungen als Spickzettel beziehungsweise unzulässiges Hilfsmittel dienen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">1.3. Nicht zu beanstanden ist, dass die HSPV den Täuschungsversuch des Klägers nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StudO-BA Teil A in der Weise geahndet hat, dass die Klausur mit „nicht ausreichend“ bewertet worden ist. Diese Sanktion ist weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig. Entsprechend dem hier nicht entkräfteten ersten Anschein spricht das Mitführen eines Spickzettels während einer Klausur dafür, dass dies zu Täuschungszwecken geschieht. Angesichts der auch von der HSPV insoweit angeführten Intensität der vom Kläger vorgenommenen Täuschungshandlung ist die vorgenannte Sanktion nicht rechtsfehlerhaft.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">2. Die Klage hat auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg, weil der angegriffene Bescheid der HSPV vom 30. November 2021 aus den unter 1. dargestellten Gründen rechtmäßig ist und dem Kläger daher kein Anspruch auf Einräumung einer (weiteren) Wiederholungsprüfung im Modul GS 6 zusteht.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen,</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">1.              wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">2.              wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">3.              wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">4.              wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">5.              wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss:</strong></p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</strong></p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,275
vghbw-2022-08-16-10-s-282921
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10 S 2829/21
2022-08-16T00:00:00
2022-08-23T10:01:11
2022-10-17T11:09:22
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 5. August 2021 - 5 K 3006/20 - wird zurückgewiesen.</p><p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><p>Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.734.500,00 EUR festgesetzt.</p><p/> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Die Beteiligten streiten um die sofortige Vollziehbarkeit einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Bei den Antragstellern Ziff. 2 und 3 handelt es sich um die ehemaligen Geschäftsführer der Antragstellerin Ziff. 1, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in … eine Verwertungs- und Behandlungsanlage für Leichtschrott, Altfahrzeuge, Elektrogeräte und Altholz betreibt (sog. „Shredderwerk“).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="3"/>Am Vormittag des 30.08.2007 kam es auf der Metallschrottlagerfläche des Shredderwerks zu einem Brand. Bei den bis zum 03.09.2007 andauernden Löscharbeiten kam es zeitweise zum Einsatz von Löschschäumen, die per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) enthielten. Hiervon brachte die Feuerwehr rund 130.000 l auf das Betriebsgrundstück der Antragstellerin Ziff. 1 auf.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>Im Frühjahr 2012 wurden im Trinkwasserbrunnen der nördlich des Betriebsgrundstücks donauabwärts gelegenen Gemeinde Ertingen erhöhte PFC-Konzentrationen festgestellt, als deren Ursache in der Folge der Schaummitteleinsatz bei den Löscharbeiten auf dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin Ziff. 1 im Jahr 2007 ermittelt wurde. In der Folge ergingen gegen die Antragstellerin Ziff. 1 mehrere Bescheide, welche die Sanierungsuntersuchung bzw. entsprechende Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand hatten (Bescheide des Landratsamts Sigmaringen vom 12.04.2013, 19.03.2014, 08.07.2014 und 01.08.2014 sowie Widerspruchsbescheide des Regierungspräsidiums Tübingen vom 03.06.2014, 17.10.2014 und 22.12.2014). Mit weiteren Bescheiden vom 28.09.2017 und vom 06.07.2018 verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin Ziff. 1 zur Erstellung eines Sanierungsplans und zur Überwachung der von ihrem Betriebsgrundstück ausgehenden, abstromig verlaufenden PFC-Grundwasserschadstofffahne. Dabei ging es von einer auf die Annahme von Verstößen gegen die für den Betrieb des Shredderwerks erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung sowie gegen Prüfpflichten nach der Eigenkontrollverordnung (EKVO) gründenden Handlungsstörereigenschaft der Antragstellerin Ziff. 1 aus. Zur Frage der Störerauswahl heißt es in der Begründung der Bescheide, eine vorrangige Inanspruchnahme der Antragsteller Ziff. 2 und 3 - ebenfalls als Handlungsstörer - scheide aus, da eine solche auch unter dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr erst im Falle einer wirtschaftlichen Existenzbedrohung der Antragstellerin Ziff. 1 in Erwägung zu ziehen sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Unter dem 27.05.2019 legte die … GmbH im Auftrag der Antragstellerin Ziff. 1 einen Sanierungsplan vor, der den Einbau einer Dichtwand („Mixed-in-place“) in Kombination mit einer Grundwasserentnahme durch „Pump-and-Treat“ als Sanierungskonzept vorsieht. Im Auftrag des Landratsamts nahm die … GmbH am 02.08.2019 zu dem Sanierungsplan - auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der darin vorgesehenen Maßnahmen - Stellung. Die Altlasten-Bewertungskommission bestätigte in ihrer Sitzung vom 16.09.2019 die geplante Sanierung als grundsätzlich zielführend.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Am 24.02.2020 übersandte das Landratsamt dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin Ziff. 1 den Entwurf einer hierauf basierenden Sanierungsanordnung. Mit am 03.08.2020 bei der Antragstellerin Ziff. 1 eingegangenem Schreiben vom 30.07.2020 hörte das Landratsamt sodann auch die Antragsteller Ziff. 2 und 3 zum Erlass einer entsprechenden Sanierungsanordnung auch ihnen gegenüber an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis 07.08.2020. Mit Telefax vom 05.08.2020 bat deren Prozessbevollmächtigter um Verlängerung der Stellungnahmefrist, da diese faktisch nur vier Tage umfasse und der Komplexität der Angelegenheit damit nicht angemessen sei. Mit Schreiben vom 10.08.2020 lehnte das Landratsamt eine Fristverlängerung ab. Der Sachverhalt betreffend das Brandereignis aus dem Jahr 2007 sei den Antragstellern Ziff. 2 und 3 als Geschäftsführern der Antragstellerin Ziff. 1 hinreichend und umfassend bekannt. Außerdem seien in dem bereits am 27.02.2020 im Rahmen der Anhörung der Antragstellerin Ziff. 1 übersandten Anordnungsentwurf die Erwägungen für die Bejahung der Handlungsstörereigenschaft der Geschäftsführer schon ausführlich dargestellt worden. Hieran habe sich durch die nun beabsichtigte Mitverpflichtung der Antragsteller Ziff. 2 und 3 nichts geändert. Die Frist zur Anhörung sei auch deswegen nicht zu kurz bemessen gewesen, weil der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller Ziff. 2 und 3 bereits für die Antragstellerin Ziff. 1 ausführlich Stellung genommen habe. Insgesamt handle es sich um Anordnungsinhalte, die lange bekannt und zu denen die Argumente ausgetauscht seien, sodass sich in einem nochmals verlängerten Anhörungsverfahren entscheidend Neues nicht ergeben könne. Im Interesse der Allgemeinheit sei es deshalb geboten, nach den langwierigen Untersuchungen und Verfahren nun ohne weiteren Zeitverzug schnell in eine Sanierung einzusteigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>Am 12.08.2020 erließ das Landratsamt die streitgegenständliche Sanierungsanordnung, mit der neben der Antragstellerin Ziff. 1 auch die Antragsteller Ziff. 2 und 3 zu der Sanierung entsprechend dem vorliegenden Sanierungsplan und dem diesen betreffenden Beschluss der Altlastenbewertungskommission verpflichtet wurden. Hierfür wurden u. a. - unter Anordnung des Sofortvollzugs - die Errichtung der dort vorgesehenen Sanierungsanlagen und deren zunächst dreijähriger Betrieb angeordnet. Für die Zeit danach wurde eine Anschlussentscheidung angekündigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>Die Antragsteller legten gegen die Anordnung am 31.08.2020 jeweils Widerspruch ein. Eine Entscheidung über die Widersprüche erfolgte bislang nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>Am 17.09.2020 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Eilrechtsschutz nachgesucht und beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen Ziff. 1 bis 5 des Bescheids vom 12.08.2020 wiederherzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="10"/>Mit dem den Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildenden Beschluss vom 05.08.2021 hat das Verwaltungsgericht dem Eilantrag der Antragsteller Ziff. 2 und 3 stattgegeben und die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche wiederhergestellt. Zur Begründung heißt es, das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse, weil der angefochtene Bescheid ihnen gegenüber derzeit formell rechtswidrig sei. Er leide an einem formellen Anhörungsmangel, der sich daraus ergebe, dass die den Antragstellern gesetzte Stellungnahmefrist jedenfalls zu knapp bemessen gewesen sei. Dieser Mangel sei weder unbeachtlich noch bislang geheilt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>Gegen den ihm am 19.08.2021 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat der Antragsgegner am 02.09.2021 Beschwerde eingelegt und diese am 20.09.2021, einem Montag, begründet. Er wiederholt zunächst seinen erstinstanzlichen Vortrag und führt aus, auch eine kurze Anhörungsfrist könne angemessen sein. Dabei sei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass den Antragstellern als bisherigen Geschäftsführern der Sachverhalt betreffend das Brandereignis aus dem Jahr 2007 auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin Ziff. 1 und dessen Folgen vollständig bekannt gewesen sei. Sie hätten zudem denselben Bevollmächtigten beauftragt, welcher im Rahmen der Anhörung der Antragsteller u. a. auf seine Ausführungen für die Antragstellerin Ziff. 1 verwiesen habe. Insgesamt sei davon auszugehen, dass alle Antragsteller gleichgerichtete Interessen verfolgten. Da die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Sanierungspflichtigen nicht zwingend in die Ermessenerwägungen auf der Primärebene einzustellen gewesen sei, könne ferner nicht nachvollzogen werden, inwieweit sich ein unterstellter Anhörungsmangel auf die Ermessensausübung ausgewirkt haben könnte. Auch das Ausscheiden der Antragsteller als Geschäftsführer zum 11.02.2021 ändere hieran nichts, da es bei der Bestimmung polizeipflichtiger Personen nicht auf eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit ankomme. Ein unterstellter Anhörungsmangel sei jedenfalls unbeachtlich. Denn es könne in Anbetracht der erfolgten ausführlichen Prüfung und Bejahung der Handlungsstörereigenschaft der Antragsteller und der nicht zwingend erforderlichen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter Würdigung des hypothetischen Vortrags der Antragsteller ausgeschlossen werden, dass eine weitergehende Anhörung rechtlich Auswirkungen gehabt hätte. Schließlich stelle sich die Frage, ob ein unterstellter Anhörungsmangel nicht bereits im laufenden Verfahren geheilt worden sei. Eine Heilung sei jedenfalls durch die zwischenzeitliche Nachholung der Anhörung erfolgt. In deren Rahmen hätten die Antragsteller nichts Neues vorgetragen, so dass an der Ermessensausübung zur Störerauswahl festgehalten werde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>Das Landratsamt hat die Antragsteller mit Schreiben vom 15.10.2021 erneut zu der streitigen Sanierungsanordnung angehört. Diese haben sich hierzu mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.11.2021 geäußert.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="13"/>Mit Schreiben vom 19.01.2022 hat das Regierungspräsidium die Antragsteller im Rahmen des laufenden Widerspruchsverfahrens erneut angehört und ihnen Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme gegeben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="14"/>Die Antragsteller Ziff. 2 und 3 sind der Beschwerde entgegengetreten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>Für die weiteren Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die hierzu vorgelegten Anlagen verwiesen. Dem Senat lagen außerdem die Akten des Verwaltungsgerichts zum erstinstanzlichen Antragsverfahren und die Verwaltungsakten des Landratsamts vor.</td></tr></table> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>Die Beschwerde wurde fristgerecht erhoben (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und begründet (§ 146 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 57 Abs. 2 VwGO sowie § 222 Abs. 1 und 2 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB) und ist auch sonst zulässig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Auf Grundlage der in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, kommt eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht in Betracht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>1. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, der angefochtene Bescheid sei aufgrund eines Anhörungsmangels formell rechtswidrig (Beschlussabdruck S. 70 ff.). Sie entkräftet insbesondere nicht die Argumentation des Verwaltungsgerichts, eine faktisch nur (allenfalls) vier Werktage betragende Frist zur Stellungnahme werde der Komplexität der Angelegenheit nicht gerecht und genüge den dem Anhörungserfordernis gemäß § 28 Abs. 1 LVwVfG zugrundeliegenden fundamentalen Grundsätzen der Gewährung rechtlichen Gehörs sowie eines fairen Verfahrens nicht. Anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass den Antragstellern Ziff. 2 und 3 aufgrund ihrer früheren Stellung als Geschäftsführer der Antragstellerin Ziff. 1 die Vorgänge aus dem bodenschutzrechtlichen Verwaltungsverfahren in Bezug auf die PFC-Verunreinigung, ihre Verursachung sowie die in Betracht gezogenen Sanierungsmaßnahmen vollständig bekannt gewesen sein mögen. Auch ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die Antragsteller insoweit gegenüber der Behörde gleichgerichtete Interessen verfolgen und sie deswegen denselben Verfahrensbevollmächtigten beauftragt haben, der für die Antragstellerin Ziff. 1 bereits zum Entwurf der bodenschutzrechtlichen Anordnung Stellung genommen hatte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>Der Antragsgegner geht in diesem Zusammenhang bereits nicht in der gebotenen Weise auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses ein, wonach den Antragstellern auch persönlich ausreichend Gelegenheit zu geben war, sich ggf. auch individuell anwaltlich vertreten und beraten zu lassen und zu ihrer jeweiligen eigenen Rechtsposition vorzutragen. Dies gelte sowohl für die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Inanspruchnahme als Verhaltensstörer als auch die für die vorzunehmende Ermessensausübung, insbesondere die Störerauswahl, relevanten Gesichtspunkte. So habe den Antragstellern etwa eine ausreichende Äußerungsmöglichkeit zu der Frage gegeben werden müssen, ob und ggf. wie sie tatsächlich individuell und persönlich die maßgeblichen Vorgänge im Betrieb (mit-)bestimmt hätten. Sachverhaltsinformationen zur Stellung im Betrieb sowie ggf. auch zu den Vermögensverhältnissen könnten darüber hinaus durchaus auch weiterführende und wertvolle Gesichtspunkte für die Störerauswahl erbringen (Beschlussabdruck S. 73 f.). Es habe ferner nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden können, dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin Ziff. 1 auch das Mandat für die Antragsteller Ziff. 2 und 3 übernehmen werde, zumal gerade wegen der unterschiedlichen oder womöglich sogar gegenläufigen Interessen von in Anspruch genommenen Störern eine eigenständige und jeweils gänzlich unabhängige Positionierung im Verfahren möglich oder sogar erwartbar gewesen sei (Beschlussabdruck S. 71 f.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="20"/>Die Beschwerdebegründung berücksichtigt vor diesem Hintergrund nicht hinreichend die Unterschiede zwischen den in dem angefochtenen Bescheid angenommenen Verhaltensverantwortlichkeiten der jeweiligen Antragsteller sowie ihre hinsichtlich der Störerauswahl - zumindest auch - gegenläufigen Interessen. Dabei hat das Landratsamt selbst in der Bescheidbegründung - insoweit zutreffend - zwischen den Verantwortlichkeiten der Antragstellerin Ziff. 1 und der Antragsteller Ziff. 2 und 3 unterschieden. Zu den dabei relevanten Gesichtspunkten hätte es aber auch den Antragstellern Ziff. 2 und 3 - jeweils gesondert - ausreichend Gelegenheit zu individuellen Stellungnahmen geben müssen. Es liegt auf der Hand, dass in Fragen der individuellen Verantwortlichkeit und der persönlichen ermessensrelevanten Umstände die vom Prozessbevollmächtigten der Antragsteller für die Antragstellerin Ziff. 1 vorgebrachten Gesichtspunkte keine erschöpfende Äußerung darstellen konnten und dem Anhörungserfordernis damit ersichtlich nicht bereits Genüge getan war. Sie erfolgten ohnehin ausdrücklich nur vorsorglich und unter dem Eindruck der kurz bemessenen Äußerungsfrist. Dies gilt umso mehr, als das Landratsamt selbst - worauf das Verwaltungsgericht ebenfalls bereits hingewiesen hat (Beschlussabdruck S. 73) - eine Inanspruchnahme der Antragsteller in den vorangegangenen Bescheiden stets hintangestellt hatte. Die Antragsteller konnten daher - auch nachdem in Bezug auf die Sanierungsanordnung zunächst nur die Antragstellerin Ziff. 1 angehört worden war - mit ihrer eigenen Heranziehung zu der Sanierung bis zum Zugang des entsprechenden Anhörungsschreibens vom 30.07.2020 in keiner Weise rechnen. In diesem Zusammenhang muss nicht darauf eingegangen werden, wann genau dieses den Antragstellern persönlich zugegangen ist, nachdem es seitens des Landratsamts trotz ihres zwischenzeitlichen Ausscheidens als Geschäftsführer fälschlicherweise an die Adresse der Antragstellerin Ziff. 1 geschickt worden war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="21"/>Es ist ferner offensichtlich, dass nicht nur die Frage der Handlungsstörereigenschaft allein anhand der persönlichen Verhaltensverantwortlichkeit beantwortet werden kann, sondern dass es auch für die vom Landratsamt in erster Linie am Effektivitätsgedanken ausgerichtete Störerauswahl maßgeblich auf individuelle Gesichtspunkte ankommen musste. In diesem Zusammenhang dürfte es in der Tat eine Rolle spielen, ob und ggf. inwieweit die Antragsteller nach ihrem Ausscheiden als Geschäftsführer über Zugriffsmöglichkeiten auf das Sanierungsgrundstück bzw. Einfluss auf die ggf. bei der Sanierung zu berücksichtigenden betrieblichen Abläufe verfügen und wie es um ihre finanzielle Leistungsfähigkeit bestellt ist. Irrelevant ist es in diesem Zusammenhang, ob das Landratsamt rechtlich dazu verpflichtet war, die finanzielle Belastung für die Antragsteller im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen. Ebenso, wie eine ordnungsgemäße Ermessensausübung einer ausreichenden Ermittlung der Tatsachengrundlage in Bezug auf die Ermessensgrundlagen erfordert (vgl. hierzu Senatsurteil vom 11.05.2021 - 10 S 709/19 - ZUR 2021, 701 = juris Rn. 59), dient die Anhörungspflicht gemäß § 28 Abs. 1 LVwVfG in diesem Zusammenhang auch dazu, dem Betroffenen die Gelegenheit zu geben, auf von der Behörde bislang nicht berücksichtigte Gesichtspunkte hinzuweisen, die für die Ermessensausübung relevant sein können. Diese Funktion konnte die durchgeführte Anhörung angesichts der auch nach Ansicht des Senats evident zu kurz bemessenen Äußerungsfrist ersichtlich nicht erfüllen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="22"/>Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 LVwVfG hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht verneint. Es kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse erforderlich gewesen wäre und das Landratsamt deswegen von einer ordnungsgemäßen Anhörung der Antragsteller absehen durfte (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG). Vielmehr hat es die eingetretene Zeitverzögerung selbst zu verantworten, indem es zunächst nur die Antragstellerin Ziff. 1 angehört und sich danach offenbar erst kurzfristig entschieden hat, daneben auch die Antragsteller Ziff. 2 und 3 zu der Sanierung heranziehen zu wollen (vgl. hierzu die ausführlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf S. 72 f. des Beschlussabdrucks).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="23"/>2. Das Verwaltungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass der Anhörungsmangel nicht gemäß § 46 LVwVfG unbeachtlich war. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Anhörungspflicht die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Beschwerdebegründung setzt sich insoweit bereits nicht substantiell mit den Gründen des angegriffenen Beschlusses auseinander (vgl. Beschlussabdruck S. 76 f.). Darüber hinaus kann bei Entscheidungen, bei denen der Behörde wie hier ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, in aller Regel gerade nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Beachtung des Anhörungserfordernisses zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. OVG Bremen, Beschlüsse vom 14.07.2022 - 2 B 79/22 - juris Rn. 36 und vom 08.06.2020 - 2 B 86/20 - juris Rn. 12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.07.2018 - 4 S 3.18 - juris Rn. 6 - auch in Bezug auf Beurteilungsspielräume; in diesem Sinne auch BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 20). Insbesondere liegt hier kein Fall der rechtlichen Alternativlosigkeit vor (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.11.2021 - 1 S 3252/20 - juris Rn. 74 f. m. w. N.). Im Gegenteil war eine ordnungsgemäße Anhörung gerade im vorliegenden Fall, in dem eine Heranziehung der Antragsteller zuvor stets als nachrangig ausgeschlossen worden war, in besonderer Weise dazu angetan, dem Landratsamt zunächst erst eine ausreichende Grundlage für seine Ermessensentscheidung zu verschaffen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="24"/>3. Schließlich kann von einer Heilung des Anhörungsfehlers im Beschwerdeverfahren nicht ausgegangen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="25"/>a) Der Anhörungsmangel wurde nicht durch die Äußerungsmöglichkeiten der Antragsteller im gerichtlichen Eilverfahren geheilt. Denn allein durch diese wurde die fehlerhaft durchgeführte Anhörung nicht im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG nachgeholt. Eine solche Heilung setzt vielmehr voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 18 und vom 24.06.2010 - 3 C 14.09 - BVerwGE 137, 199 Rn. 37). Denn die Nachholung einer rechtswidrig unterlassenen bzw. fehlerhaften Anhörung unterscheidet sich prozedural von einem parallel anhängigen gerichtlichen Verfahren und kann eine Heilung nur bewirken, wenn sie in einem selbständigen formalen Nachholungsverfahren erfolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 12.10.2021 - 10 S 3/21 - VBlBW 2022, 208 = juris Rn. 11).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="26"/>b) Von einer Heilung kann auch nicht deswegen ausgegangen werden, weil sowohl das Landratsamt mit Schreiben vom 15.10.2021 als auch das Regierungspräsidium mit Schreiben vom 02.11.2021 den Antragstellern erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben haben und die Antragsteller sich mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.11.2021 ergänzend geäußert haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="27"/>aa) Es spricht schon Vieles dafür, dass es sich hierbei um Gesichtspunkte handelt, die im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigen werden können. Es besteht zwar im Grundsatz ein Wahlrecht zwischen der Beschwerde und einem Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO wegen veränderter Umstände wie der vom Antragsgegner geltend gemachten Nachholung der Anhörung (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 80 VwGO Rn. 552 m. w. N.). So sind entscheidungserhebliche Tatsachen, auf die sich der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO beruft, auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.07.2017 - 2 S 1258/17 - NVwZ-RR 2017, 801 Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 146 VwGO Rn. 13c; zuletzt NdsOVG, Beschluss vom 06.04.2022 - 14 ME 180/22 - juris Rn. 14 m. w. N.). Dabei sind aber die prozessualen Restriktionen zu berücksichtigen, denen die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a und 123 VwGO auch sonst unterliegt. So ist der Senat bei der Entscheidung über die Beschwerde auf die Prüfung der innerhalb der Begründungsfrist vorgetragenen Gründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO). Die einmonatige Beschwerdebegründungsfrist ist hier allerdings bereits am 20.09.2021 und damit deutlich vor Versand der neuerlichen Anhörungsschreiben abgelaufen (§ 146 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 57 Abs. 2 VwGO sowie § 222 Abs. 1 und 2 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB); über eine Nachholung der Anhörung hat der Antragsgegner den Senat auch erst am 07.12.2021 informiert. Nach den allgemeinen Regeln ist solches qualitativ neues Vorbringen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist bei der Beschwerdeentscheidung nicht zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.08.2020 - 10 S 2941/19 - NuR 2021, 135 = juris Rn. 10 m. w. N.). Dies muss streng genommen auch für die Geltendmachung neuer Tatsachen gelten, zumal den Beteiligten insoweit die Möglichkeit des Vorgehens nach § 80 Abs. 7 VwGO offen steht und sie deswegen nicht rechtsschutzlos gestellt sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="28"/>bb) Selbst wenn man aber nach Ablauf der Beschwerdebegründungfrist eingetretene neue Tatsachen für berücksichtigungsfähig halten wollte (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 29 sowie die Übersichten bei Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO § 146 Rn. 99 ff. und Berkemann, DVBl. 2021, 559, jew. m. w. N. zur einschlägigen Rspr. und Lit.), kann eine Heilung des Anhörungsmangels derzeit nicht angenommen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="29"/>Mit den Schreiben des Landratsamts sowie des Regierungspräsidiums (vgl. zur Zuständigkeit auch der Widerspruchsbehörde für die Heilung nach § 45 Abs. 1 LVwVfG BVerwG, Urteil vom 17.08.1982 - 1 C 22.81 - BVerwGE 66, 111 = juris Rn. 18; Beschluss vom 18.02.1991 - 7 B 15.91 - NVwZ-RR 1991, 337; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 78 m. w. N.) wurden die Antragsteller nunmehr nachträglich nochmals zu der bereits erlassenen Sanierungsanordnung angehört und wurde ihnen Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme gegeben. Allein dies sowie der Umstand, dass sich die Antragsteller daraufhin nochmals geäußert haben, bewirkt aber nicht bereits eine Heilung des Anhörungsmangels gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG. Der Antragsgegner nimmt insoweit nicht hinreichend in den Blick, dass die Nachholung der Anhörung aus zwei eigenständigen Verfahrensschritten besteht. Die Behörde muss dem Betroffenen im ersten Schritt eine vollwertige Äußerungsmöglichkeit in einem ergebnisoffenen Heilungsverfahren einräumen. Im zweiten Schritt muss sie eine Entscheidung darüber treffen und dem Betroffenen auch mitteilen, ob sie den erlassenen Verwaltungsakt auch unter Berücksichtigung der im Rahmen der nachgeholten Anhörung vorgetragenen Argumente aufrechterhält (vgl. Emmenegger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 45 Rn. 108 m. w. N.). Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller zwar nun die Gelegenheit erhalten, alle Gesichtspunkte vorzutragen, die ihrer Ansicht nach im Zusammenhang mit ihrer Heranziehung zu der Sanierung als verhaltensverantwortliche Störer eine Rolle spielen. Es fehlt aber noch immer an einer behördlichen Würdigung ihrer Stellungnahme im Hinblick auf die Frage der Aufrechterhaltung der ihnen gegenüber erfolgten bodenschutzrechtlichen Anordnung. Hierzu genügt nicht der Vortrag des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren, die Antragsteller hätten inhaltlich nichts Neues vorgetragen. Denn dieser lässt - ungeachtet der Frage, ob hierin überhaupt eine behördliche Entscheidung im Sinne des zweiten Verfahrensschritts gesehen werden kann - jedenfalls jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der immerhin neunseitigen Stellungnahme der Antragsteller vom 02.11.2021 vermissen. Eine solche wird auch nicht durch den Verweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheids vom 12.08.2020 ausgeglichen, welche die nun abgegebene Stellungnahme naturgemäß noch nicht berücksichtigen konnte. An einer Entscheidung über die Aufrechterhaltung der bodenschutzrechtlichen Anordnung fehlt es auch hinsichtlich der vom Regierungspräsidium zusätzlich eingeleiteten nachträglichen Anhörung. Auch insoweit ist das Anhörungsverfahren nicht vollständig nachgeholt, weil es bislang jedenfalls an einer abschließenden Entscheidung über die Aufrechterhaltung des angefochtenen Bescheids fehlt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="30"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="31"/>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an den voraussichtlichen Investitions- und Betriebskosten bezogen auf die ersten drei Jahre des Anlagenbetriebs, wie sie im Sanierungsplan (dort S. 56 ff.) geschätzt werden. Entsprechend der Empfehlung in Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der sich hieraus errechnende Gesamtbetrag von 2.734.500,00 EUR für das Eilverfahren zu halbieren. Die sich daraus für jeden der beiden Beschwerdeführer errechnenden Streitwerte von jeweils 1.367.250,00 EUR sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="32"/>Nach § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. Von einer solchen Zusammenrechnung ist bei einer subjektiven Klage- bzw. Antragshäufung wie hier nur dann abzusehen, wenn die jeweils verfolgten Anträge keine selbstständige Bedeutung haben, sie mithin wirtschaftlich denselben Gegenstand betreffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.09.1981 - 1 C 23.81 - DÖV 1982, 410). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist von der Anwendung des § 39 Abs. 1 GKG danach nicht etwa abzusehen, weil die Anträge auf ein wirtschaftlich identisches und nicht teilbares, mithin einheitlich zu betrachtendes Begehren gerichtet wären. Eine solche wirtschaftliche Identität des Streitgegenstands ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Sanierung insgesamt nur einmal durchgeführt werden muss und § 24 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG zwischen den Pflichtigen einen Ausgleichsanspruch statuiert, der zu einem gesamtschuldtypischen Innenausgleich führt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="33"/>Der Antragsgegner übersieht, dass es vorliegend nicht etwa um eine aus dem Miteigentum an einem sanierungspflichtigen Grundstück folgende Zustandsverantwortlichkeit geht, in Bezug auf die unter bestimmten Umständen eine Rechtsgemeinschaft und hieran anknüpfend eine Identität des Streitgegenstands anzunehmen sein mag (vgl. für die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme von Ehegatten als Miteigentümer für grundstücksbezogene Beitragspflichten etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - 9 B 5.08 - juris Rn. 1). Die vorliegenden Streitgegenstände sind, anders als der Antragsgegner meint, auch sonst nicht grundstücksbezogen. Im Streit stehen vielmehr Sanierungspflichten, die gemäß § 4 Abs. 3 BBodSchG an eine jeweils persönliche Handlungsverantwortlichkeit der Antragsteller anknüpfen; es geht um die jeweilige Polizeipflichtigkeit der Antragsteller als Handlungs- bzw. Verhaltensstörer. Diese kann im Ergebnis ganz unterschiedlich ausgestaltet sein und ist deswegen entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners auch teilbar, ohne dass dabei es darauf ankäme, dass die angeordnete Sanierung insgesamt nur einmal geschuldet ist. Zumindest zum Teil dürfte die Interessenlage der Antragsteller zudem auch gegenläufiger Natur sein, weil etwa die Feststellung der Verhaltensverantwortlichkeit eines Antragstellers faktisch zu einer Entlastung des anderen führen mag. Auch dies spricht gegen die Annahme einer Rechtsgemeinschaft ebenso wie einer Identität des Streitgegenstands. Denn es geht nicht um eine Kollektivverantwortlichkeit der Antragsteller und die Antragsteller berufen sich auch nicht auf Rechtspositionen, die sie nur gemeinschaftlich geltend machen können (vgl. insoweit OVG Schleswig, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 O 1/17 - juris Rn. 8 f.). Die Sanierungsverantwortlichkeit kann - anders etwa als bei Versammlungsauflösungen (vgl. insoweit VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.07.2017 - 1 S 1529/16 - NVwZ-RR 2017, 943) - bei mehreren Pflichtigen auch nicht nur gemeinsam befolgt werden. Letztlich ist das Verhältnis der Antragsteller nicht anders zu beurteilen als dasjenige zu etwaigen weiteren nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 BBodSchG Sanierungspflichtigen, wobei auch in Bezug auf solche weiteren Störer ggf. - unabhängig von ihrer förmlichen Heranziehung durch die Bodenschutzbehörde - ein Ausgleichsanspruch und damit ein entsprechendes Gesamtschuldverhältnis bestehen könnte. Auch der einschlägigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung kann diesbezüglich bei vergleichender Betrachtung nichts anderes entnommen werden. Der Antragsgegner unterscheidet insoweit schon nicht hinreichend zwischen gegen Gesamtschuldner gerichtete, gleichartige Ansprüche einerseits, bei denen eine Zusammenrechnung unterbleibt, und einer Personenmehrheit auf Kläger- bzw. Antragstellerseite wie hier andererseits, bei der die Zusammenrechnung nach § 39 Abs. 1 GKG nur unterbleiben kann, wenn die von den Klägern jeweils verfolgten Ansprüche wirtschaftlich identisch sind (vgl. BGH, Beschluss vom 16.07.2015 - IX ZR 136/14 - juris; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, § 39 GKG Rn. 17). Letzteres ist nicht der Fall. Insbesondere beruht die gemeinsame Antragstellung im vorliegenden Fall nicht etwa auf rechtlichen Gründen, sondern allein auf einem entsprechenden Entschluss der Antragsteller, die ihre Aussetzungsbegehren ebenso gut in getrennten Eilrechtsverfahren verfolgen könnten (vgl. hierzu Kunze in Posser/Wolf, BeckOK VwGO, § 162 Rn. 10a).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="34"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,274
vghbw-2022-08-16-10-s-280121
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10 S 2801/21
2022-08-16T00:00:00
2022-08-23T10:01:10
2022-10-17T11:09:22
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p/> <p>Die Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 5. August 2021 - 5 K 3006/20 - wird zurückgewiesen.</p> <p/> <p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p/> <p>Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.367.250,00 EUR festgesetzt.</p> <p/> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>I.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Die Beteiligten streiten um die sofortige Vollziehbarkeit einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Bei der Antragstellerin Ziff. 1, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, handelt es sich um die Betreiberin einer Verwertungs- und Behandlungsanlage für Leichtschrott, Altfahrzeuge, Elektrogeräte und Altholz in … (sog. „Shredderwerk“). Grundlage des Betriebs dieser Anlage ist eine vom Landratsamt Sigmaringen unter dem 17.11.1998/26.10.1999 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Betrieb (Weiterbetrieb) der bestehenden Shredderanlage (Eisenshredder) mit den Komponenten Altautobehandlungsanlage einschließlich Lagerflächen, Shredderanlage mit Handsortierung sowie NE-Abscheidung einschließlich Lagerbereichen. Diese ersetzte einen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Tübingen vom 22.03.1983, mit dem die Errichtung und der Betrieb eines Schrott- und Autowrackplatzes mit Shredderanlage an gleicher Stelle befristet bis zum 31.12.1999 genehmigt worden war. Der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sind zahlreiche Nebenbestimmungen beigefügt; u. a. wurde die Lagerhöhe für die Shredderanlage auf 8 m beschränkt (Nebenbestimmung A.5.). Hinsichtlich der wasserrechtlichen Vorschriften wurde auf wasserrechtliche Entscheidungen vom 02.02.1990 und 30.08.1993 verwiesen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="3"/>Mit Schreiben vom 04.05.2007 forderte das Landratsamt die Antragstellerin auf, die damals festgestellte Lagerhöhe im Shredderwerk von „mindestens 12 m“ auf die genehmigten 8 m zu reduzieren. Die Antragstellerin antwortete mit Schreiben vom 08.05.2007, die „etwas überhöhte“ Lagerhöhe resultiere aus einem ungewöhnlich hohen Eingang von Schrott im November und Dezember 2006; sie arbeite mit Hochdruck daran, die erlaubte Höhe auf der gesamten Lagerfläche schnellstens zu erreichen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>Am Vormittag des 30.08.2007 kam es auf der Metallschrottlagerfläche der Antragstellerin zu einem Brand. Nach dem gegen 11:00 Uhr eingegangenen Notruf wurde zunächst die Freiwillige Feuerwehr … alarmiert, die im Rahmen der Löscharbeiten später landkreisübergreifend durch Feuerwehren aus der gesamten Umgebung unterstützt wurde; die Einsatzleitung wurde zwischenzeitlich durch den Kreisbrandmeister übernommen. Nachdem die bis dahin durchgeführten Löscharbeiten erfolglos geblieben waren und der Brand u. a. infolge einer Durchzündung an den Außenseiten der Halde gelagerter Schrott-Pkw nach Auffassung der Einsatzleitung außer Kontrolle geraten war, entschied sich diese gegen 18:00 Uhr zu einem umfangreichen Schaumangriff. Hierzu wurden aus dem gesamten Landesgebiet und zum Teil darüber hinaus Schaummittel zusammengezogen. Der Schaumangriff begann gegen 21:45 Uhr und endete etwa um 16:00 Uhr am Folgetag. Dabei kamen rund 130.000 l an Löschschäumen zum Einsatz, die per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) enthielten. Die weiteren Löscharbeiten dauerten noch bis zum Abend des 03.09.2007 an.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Im Zusammenhang mit dem Brandereignis wurde gegen die Geschäftsführer der Antragstellerin, die Antragsteller Ziff. 2 und 3, strafrechtlich ermittelt, die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Anklageerhebung wegen des Tatvorwurfs der fahrlässigen Brandstiftung jedoch abgelehnt (Beschluss des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 17.03.2009 - 2 Ds 13 Js 1220/08 -).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Die fachliche Bewertung des Schaumeinsatzes, insbesondere dessen Erforderlichkeit und Angemessenheit sowie seine fachgerechte Ausführung, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Hierzu liegen ein (im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen eingeholtes) Gutachten der Sachverständigen … vom 24.10.2007, ein Einsatzbericht des Kreisbrandmeisters und des Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr … (Hack/Baumhauer, Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2008, S. 273 ff.), ein vom Landratsamt in Auftrag gegebenes Gutachten des Sachverständigen … vom 13.06.2018, ein im Auftrag der Antragstellerin erstelltes Gutachten des Sachverständigen … vom 20.03.2019 sowie eine Stellungnahme des Bezirksbrandmeisters … vom November 2019 vor. Auf deren jeweiligen Inhalt wird verwiesen. Ein beim Landgericht Ravensburg in dieser Sache anhängiger Amtshaftungsprozess ist derzeit ausgesetzt (Beschluss vom 10.01.2022 - 4 O 94/20 -).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>Im Frühjahr 2012 wurden im Trinkwasserbrunnen der nördlich des Betriebsgrundstücks donauabwärts gelegenen Gemeinde Ertingen erhöhte PFC-Konzentrationen festgestellt, als deren Ursache in der Folge der Schaummitteleinsatz zur Löschung des Brands auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin ermittelt wurde. Im Rahmen der Ursachenermittlungen legte die Antragstellerin Unterlagen betreffend eine bereits im Jahr 2008 erfolgten Dichtheitskontrolle der Kanalisation auf ihrem Betriebsgelände vor. Bei dieser wurden Längs- und Querrisse an den Leitungen festgestellt. In mehreren Leitungsabschnitten mussten die Druckprüfungen abgebrochen werden, da der Wasserverlust bzw. der Druckabfall zu hoch war (Leitungsprotokolle der … GmbH über Kanalbefahrungen im Februar und März 2008).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>In der Folge ergingen gegen die Antragstellerin mehrere Bescheide, welche die Sanierungsuntersuchung bzw. entsprechende Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand hatten (Bescheide des Landratsamts Sigmaringen vom 12.04.2013, 19.03.2014, 08.07.2014 und 01.08.2014 sowie Widerspruchsbescheide des Regierungspräsidiums Tübingen vom 03.06.2014, 17.10.2014 und 22.12.2014). In diesem Zusammenhang vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen geführte Klageverfahren (Az. 8 K 2144/14, 8 K 4524/14, 8 K 77/15 und 8 K 203/15) beendeten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2016 mit folgendem Vergleich:</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="9"/><em>„1. Für die streitgegenständlichen Sanierungsuntersuchungen, die bereits verfügten weiteren Sanierungsuntersuchungen und auf der Basis von Nr. 1 der Anlage 3 zu § 6 Abs. 3 BBodSchV noch anzuordnenden Sanierungsuntersuchungen wird als Obergrenze der Kostentragung der Klägerin (für die Sanierungsuntersuchungen) ein Wert von 225.000.- EUR festgelegt.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="10"/><em>2. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass zum Inhalt der Sanierungsmaßnahmen und zur Kostentragung für die Sanierung Verhandlungen mit dem Ziel einer gütlichen Einigung geführt werden sollen.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="11"/><em>Zu diesen Verhandlungen weist das Gericht auf Folgendes hin:</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="12"/><em>Im Rahmen der Verhandlungen sind insb. folgende Gesichtspunkte zu erörtern, die im Falle einer durch Verwaltungsakts verfügten Sanierungsanordnung im Rahmen des auszuübenden Ermessens zu berücksichtigen sind:</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="13"/><em>- Bei der Kostentragung für eine Sanierung ist die Rechtsprechung des BVerfG zur Belastungsobergrenze zu beachten, namentlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zu beachten.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="14"/><em>- Zur konkreten Wertobergrenze kann derzeit keine Aussage gemacht werden.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="15"/><em>- Das Brandereignis 2007 war ein außergewöhnliches Ereignis.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="16"/><em>- Nach Auffassung der Kammer kann nicht verkannt werden, dass sich in dem Brand letztlich eine Gefahr realisiert hat, die der Betriebsart innewohnt.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="17"/><em>- Andererseits kann nach derzeitigem Sachstand nicht von grober Fahrlässigkeit der Klägerin ausgegangen werden.“</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>Mit Bescheid vom 28.09.2017 verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin zur Erstellung eines Sanierungsplans basierend auf Sanierungsuntersuchungen der … GmbH & Co. KG vom 15.11.2013, vom 14.04.2016 und vom 21.04.2017 sowie eines Beschlusses der Altlastenbewertungskommission vom 25.04.2017. Letzterer bestimmt als Sanierungsziel, dass die im Erlass „Vorläufige GFS-Werte PFC für das Grundwasser und Sickerwasser aus schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten“ des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg vom 17.06.2015 aufgeführten vorläufigen Geringfügigkeitsschwellenwerte und der Bewertungsindex der Quotientensumme PFC für das Schutzgut Grundwasser im Abstrom einzuhalten seien; als maximale Emissionen aus dem Schadensherd (Emax-W-Wert) würden die aus den vorläufigen Geringfügigkeitsschwellenwerten abgeleiteten Emissionswerte der einzelnen PFC-Parameter zugelassen. Als geeignete Sanierungsvariante werde das „Pump-and-Treat“-Verfahren empfohlen. Die Entwicklung der Schadstofffahne bedürfe der weiteren Beobachtung im Rahmen eines Grundwassermonitorings. Mit weiterem Bescheid vom 06.07.2018 verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin zur Überwachung der von ihrem Betriebsgrundstück ausgehenden, abstromig verlaufenden PFC-Grundwasserschadstofffahne für einen Zeitraum von drei Jahren mittels halbjährlicher Probenentnahmen und Abstichmessungen sowie analytischen Untersuchungen auf PFC und Messung der Vorortparameter Leitfähigkeit, pH-Wert und Temperatur. Die gegen die Bescheide von der Antragstellerin erhobenen Widersprüche wies das Regierungspräsidium mit Widerspruchsbescheiden vom 08.07.2020 und vom 16.11.2020 zurück. Die insoweit beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahren (Az. 5 K 2409/20 und 5 K 4533/20) sind derzeit ruhend gestellt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>Unter dem 27.05.2019 legte die … GmbH im Auftrag der Antragstellerin einen Sanierungsplan vor, der den Einbau einer Dichtwand („Mixed-in-place“) in Kombination mit einer Grundwasserentnahme durch „Pump-and-Treat“ als Sanierungskonzept vorsieht. Die im Sanierungsplan formulierten Reinigungsziele orientieren sich an den Geringfügigkeitsschwellenwerten (GFS) bzw. den gesundheitlichen Orientierungswerten (GOW) des sog. PFC-Erlasses (Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Erlass „Anwendung der Geringfügigkeitsschwellenwerte (GFS-Werte) für per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) zur Beurteilung nachteiliger Veränderungen der Beschaffenheit des Grund- und Sickerwassers aus schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten“ vom 21.08.2018). Der Sanierungsplan beinhaltet eine Kostenschätzung, der zufolge für die Errichtung der Anlagen Investitionskosten von ca. 2.226.000,00 EUR netto anfallen. Die Betriebskosten beliefen sich abhängig von der Dauer des Anlagenbetriebs auf netto 760.000,00 EUR (für fünf Jahre), 1.490.000,00 EUR (für zehn Jahre), 2.730.000,00 EUR (für 20 Jahre) bzw. 3.270.000 EUR (für 25 Jahre). Für die Maßnahmen nach Abschluss der Sanierung kämen nochmals ca. 189.000 EUR netto hinzu. Die tatsächliche Kostenentwicklung könne nach einer Laufzeit der Sanierungsmaßnahme von circa einem Jahr besser abgeschätzt werden, da der PFC-Konzentrationsentwicklung hierbei eine entscheidende Bedeutung zukomme.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="20"/>Die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin ist zwischen den Beteiligten umstritten. Hierzu liegen Gutachten des Wirtschaftsprüfers … (… GmbH) vom 19.11.2018 (im Auftrag des Landratsamts) einerseits und des Wirtschaftsprüfers Dr. … (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft …) vom 26.04.2021 (im Auftrag der Antragstellerin) andererseits vor, auf die jeweils Bezug genommen wird. Die Antragstellerin hat außerdem Schreiben ihrer Hausbanken vorgelegt, in denen eine Finanzierung des Sanierungsvorhabens abgelehnt wird (Schreiben der … - Kreissparkasse … vom 19.04.2021 und vom 23.04.2021 sowie der … Bank AG vom 19.04.2021). Darüber hinaus liegt eine Stellungnahme von Dr. … (…) vom 07.06.2019 vor, die sich mit Verhältnismäßigkeitsaspekten der PFC-Sanierung nach den Konzeptvorstellungen von … befasst.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="21"/>Im Auftrag des Landratsamts nahm die … GmbH am 02.08.2019 zu dem Sanierungsplan - auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der darin vorgesehenen Maßnahmen - Stellung. Die Altlasten-Bewertungskommission bestätigte in ihrer Sitzung vom 16.09.2019 die geplante Sanierung als grundsätzlich zielführend.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="22"/>Nach Anhörung der Antragstellerin erließ das Landratsamt am 12.08.2020 die hier gegenständliche Sanierungsanordnung, die sich daneben auch an die Antragsteller Ziff. 2 und 3 als Pflichtige richtet. Diese hat, soweit ihre Vollziehung angeordnet ist (betrifft Ziff. 1 bis 5 der Anordnung, vgl. Ziff. 11 der Anordnung), folgenden Wortlaut:</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="23"/><em>„1. Aufgrund der durch das Brandereignis vom 30.08.2007 bis zum 03.09.2007 auf dem Betriebsgelände der Firma … GmbH verursachten schädlichen Bodenveränderung sowie der durch die schädliche Bodenveränderung verursachten Grundwasserverunreinigung durch PFC werden die</em></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="24"/><em>- Firma … GmbH sowie</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="25"/><em>- die Geschäftsführer der Firma … GmbH, Herr … und Herr … (im Folgenden Geschäftsführer),</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="26"/><em>verpflichtet, basierend auf dem Sanierungsplan der Firma … GmbH vom 27.05.2019 sowie dem in der Sitzung der Bewertungskommission für Altlasten am 16.09.2019 gefassten Beschluss die erforderliche Sanierung des Grundwasserschadens auf dem Flurstück … auf Gemarkung … der Gemeinde … vorzunehmen.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="27"/><em>2. Der Ablauf- und Zeitplan in Anlage 9 des Sanierungsplanes ist zu beachten und aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Zeit mit einer zeitlichen Verschiebung von 9 Monaten einzuhalten. Erhebliche Änderungen sind dem Landratsamt Sigmaringen, Fachbereich Umwelt und Arbeitsschutz, mitzuteilen. Weitere wie die in Ziffer 2. Satz 1 beschriebene Abweichungen sind vorab vorzutragen und zu begründen und nach Billigung durch die Genehmigungsbehörde im Ablauf- und Zeitplan entsprechend zu aktualisieren.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="28"/><em>3. Die unter Durchführung der Maßnahmen unter Punkten 1 und 2 errichtete Sanierungsanlage ist zunächst für drei Jahre auf eigene Kosten vollumfänglich zu betreiben. Für die anschließende Zeit eines erforderlichen Sanierungsbetriebes ergeht sodann aufbauend auf den fachtechnischen Erkenntnissen aus dem bis dahin erfolgten Sanierungsbetrieb eine gesonderte Anschlussentscheidung.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="29"/><em>4. Der Baubeginn der Sanierungsanlage (Dichtwand, Entnahme- und Infiltrationsbrunnen, Wasseraufbereitungsanlage) und deren Fertigstellung sowie der Beginn der hydraulischen Sanierung sind dem Landratsamt Sigmaringen, Fachbereich Umwelt und Arbeitsschutz, jeweils mindestens zwei Wochen vorab schriftlich oder elektronisch mitzuteilen.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="30"/><em>Im Falle der vorübergehenden Unterbrechung sowie dem Auftreten von Widrigkeiten jeglicher Art, welche die planmäßige Durchführung der Sanierungsmaßnahmen gefährden, ist das Landratsamt Sigmaringen, Fachbereich Umwelt und Arbeitsschutz, umgehend zu benachrichtigen.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="31"/><em>5. Durch eine gezielte bzw. gesteuerte Wiedereinleitung des gereinigten Wassers ist sicherzustellen, dass die bestehende Fließrichtung der Schadstofffahne nicht geändert wird bzw. keinesfalls in nördliche Richtung in die Nähe der Wasserfassungen Binzwangen und Zaunwiesen abdriftet. Hierzu sind vor Beginn und während der Maßnahmen detaillierte Grundwassergleichenpläne im Bereich des Shredderwerkes zu erstellen.“</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="32"/>Hinsichtlich des Sanierungsziels enthält die Anordnung folgende Bestimmung:</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="33"/><em>„7. Das Sanierungsziel gilt als erreicht bei Einhaltung der Sanierungszielwerte an 4 von 6 Entnahmebrunnen 2 x hintereinander und Einhaltung der Sanierungszielwerte im berechneten arithmetischen Mittel aller 6 Entnahmebrunnen 2 x hintereinander unter folgenden Bedingungen:</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="34"/><em>a) Es ist davon auszugehen, dass bei jedem Grundwasseranstieg erneut Schadstoffe aus dem Grundwasserwechselbereich ausgewaschen werden. Daher muss der Grundwasserspiegel an der Referenzmessstelle ... mindestens den mittleren 10-jährigen Grundwasserhochstand von 538,84 m ü. NN haben. Dieser wurde aus der per Datenlogger in der Messstelle ermittelten Messreihe vom 01.01.2009 bis einschließlich 18.06.2019 abgeleitet. Das Landratsamt Sigmaringen behält sich vor, Änderungen vorzunehmen, sofern die weitere Beobachtung der Grundwassermessstelle Grund zur Annahme einer derzeit noch nicht absehbaren dauerhaften Veränderung des Grundwasserregimes ergibt.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="35"/><em>b) Zwischen den Beprobungen muss mindestens ein Zeitraum von 6 Monaten liegen.</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="36"/><em>c) Bei der Beurteilung sind die Einzelparameter und die Quotientensumme (≤ 1) gemäß dem Erlass des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg „Anwendung der Geringfügigkeitsschwellenwerte (GES-Werte) für per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) zur Beurteilung nachteiliger Veränderungen der Beschaffenheit des Grund- und Sickerwassers aus schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten“ vom 21.08.2018 zu berücksichtigen.“</em></td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="37"/>Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Anordnung beruhe auf §§ 4 Abs. 3, 10 Abs. 1 BBodSchG, wonach die Antragstellerin nicht nur als Zustands-, sondern auch als Handlungsstörerin für die eingetretene PFC-Belastung des Bodens und des Grundwassers sanierungspflichtig sei. Der Großbrand, die Löschmaßnahmen in Form des Einsatzes von 130 m<sup>3</sup> PFC-haltigen Löschschaumkonzentrats und die daraus resultierenden Boden- und Grundwasserverunreinigungen stellten sich als typische Folge des risikohaften und rechtswidrigen Verhaltens der Antragstellerin dar. Diese habe gegen die ihr erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung verstoßen, indem sie die maximal zulässige Lagerhöhe von 8 m - mit nach der vom Landeskriminalamt durchgeführten 3-D-Laservermessung 19 m - erheblich überschritten und nicht von der Genehmigung abgedeckte Abfälle angenommen habe. Die Begrenzung der Lagerhöhe sei Ausdruck des Vorsorgeprinzips zur Vermeidung von Bränden und solle gewährleisten, dass sich ein potenziell auftretender Brand nicht unkontrolliert ausbreiten könne, indem ein relativ schnelles Vordringen zum Brandherd ermöglicht werde. Im Rahmen der straf- und verwaltungsrechtlichen Aufarbeitung des Brandereignisses sei ferner festgestellt worden, dass sich in dem bei Ausbruch des Brandes entladenen Eisenbahnwaggon Restmengen an sog. Mischschrott befunden hätten, in denen noch 66 unter Druck stehende Spraydosen sowie zahlreiche Lackgebinde und Gebinde mit brennbarem Inhalt enthalten gewesen seien. Ein weiterer, noch voll beladener Eisenbahnwaggon mit Mischschrott habe nicht unbeträchtliche Mengen an Gebinden (Olfässer, Blechkanister, Spraydosen etc.) mit brennbaren und auch chemisch reaktiven Substanzen enthalten. Die Annahme dieser Abfälle sei nicht von der Genehmigung abgedeckt und habe auch gegen die betriebsinternen Annahmekriterien der Antragstellerin sowie die AVV verstoßen. Durch die Annahme leicht entflammbarer und explosiver Stoffe sei die Gefahr von bekanntermaßen ohnehin regelmäßig auftretenden Verpuffungen noch verstärkt und die Brandgefahr potenziert worden. Die Brandentzündung habe sich nur aufgrund der hohen Brandlast (unzulässige Höhe, Menge und Ausmaß des Schrottlagers, unzulässige Abfallarten) zu einem Großbrand mit diesem Ausmaß entwickeln können. Ferner habe die Antragstellerin gegen die Eigenkontrollverordnung von Abwasseranlagen (EKVO) verstoßen, nach der sie verpflichtet gewesen sei, alle fünf Jahre die vor dem Endkontrollschacht befindlichen Abwasserkanäle auf Dichtheit zu prüfen. Die maßgebliche Prüffrist habe am 01.01.2001 begonnen und am 31.01.2005 geendet. Eine Prüfung habe aber erst im Februar und März 2008, also nach dem Brand, stattgefunden. Dabei seien erhebliche Mängel an den Kanälen festgestellt worden. Es sei davon auszugehen, dass ein unkontrolliertes Austreten der Schadstoffe vermieden oder zumindest eingedämmt worden wäre, wenn die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zur Eigenkontrolle ordnungsgemäß nachgekommen wäre. Schließlich bleibe festzuhalten, dass das Brandschutzkonzept des Betriebes und die Kapazität der Löschwasserrückhalteanlage mit der Haldenhöhe, dem Lagervolumen und den zulässigen Abfallarten eng verknüpft sei. Aufgrund der vorliegenden Verstöße habe die angefallene Löschwassermenge nicht durch die auf einen ordnungsgemäßen Betrieb ausgelegte Löschwasserrückhalteanlage (3 Becken mit insgesamt 700 m<sup>3</sup> Rückhaltevolumen) aufgenommen werden können. Insoweit habe die Antragstellerin selbst die Ursache für das Versickern des Löschwassers gesetzt und trage damit die Verantwortung. Im Rahmen der Störerauswahl sei unter dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr - neben den Antragstellern Ziff. 2 und 3 - die Antragstellerin zu der Sanierung heranzuziehen. Denn diese habe die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, auf die Gefahrenquelle einzuwirken. Sie kenne zudem die örtlichen und sachlichen Gegebenheiten und Zusammenhänge und könne daher rasch reagieren. So könne sie durch eine entsprechende Gestaltung der von ihr bestimmten Betriebsabläufe eine zügige Schadensminimierung sowie die Sanierung bzw. entsprechende Sanierungsmaßnahmen direkt durchführen bzw. aktiv unterstützen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Haftungsbegrenzung beim Zustandsstörer sei hier unerheblich, da die Antragstellerin und deren Geschäftsführer als Handlungsstörer und gerade nicht „nur“ als Zustandsstörer in Anspruch genommen würden. Da mehrere Handlungsstörer einstandspflichtig seien, wäre eine Heranziehung der Allgemeinheit zur Kostentragung der Sanierung der durch die Handlungsstörer verursachten schädlichen Bodenveränderung sowie der durch die schädliche Bodenveränderung verursachten Grundwasserverunreinigung unverhältnismäßig.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="38"/>Die Antragsteller legten gegen die Anordnung am 31.08.2020 jeweils Widerspruch ein. Eine Entscheidung über die Widersprüche erfolgte bislang nicht.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="39"/>Am 17.09.2020 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Eilrechtsschutz nachgesucht und beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen Ziff. 1 bis 5 des Bescheids vom 12.08.2020 wiederherzustellen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="40"/>Mit dem den Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildenden Beschluss vom 05.08.2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag der Antragstellerin abgelehnt. Der angegriffene Bescheid sei, soweit er sich gegen die Antragstellerin richte, voraussichtlich rechtmäßig. Die streitgegenständlichen Ziff. 1 bis 5 der bodenschutzrechtlichen Anordnung fänden ihre Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG. Ein vorrangiger Anspruch auf Verbindlichkeitserklärung des vorliegenden Sanierungsplans gemäß § 13 Abs. 6 BBodSchG bestehe nicht, zumal es zur Durchsetzung des Sanierungsplanes neben der Verbindlichkeitserklärung ohnehin noch einer Anordnung nach § 16 Abs. 1 i. V. m. § 10 BBodSchG bedürfe, wenn der Verpflichtete die Sanierung wie hier nicht freiwillig vollziehe. In formeller Hinsicht sei der Bescheid hinreichend bestimmt, inhaltlich klar und auch vollziehbar. Insbesondere rüge die Antragstellerin zu Unrecht die zeitliche Beschränkung des angeordneten Betriebs der zu erstellenden Sanierungsanlage auf zunächst drei Jahre in Verbindung mit der Ankündigung einer für die sich anschließende Zeit „sodann aufbauend auf den fachtechnischen Erkenntnissen aus dem bis dahin erfolgten Sanierungsbetrieb“ ergehenden Anschlussentscheidung als zu unbestimmt. Ihre Bestimmtheitsrügen in Bezug auf Ziff. 7 der Anordnung gingen schon deswegen ins Leere, weil insoweit keine sofortige Vollziehung angeordnet sei. Dass mit der zunächst lediglich auf drei Jahre nach Inbetriebnahme der Sanierungsanlage beschränkten zeitlichen Geltungsdauer der Sanierungsanordnung die festgelegten Sanierungszielwerte aller Voraussicht nach nicht erreicht werden könnten, führe nicht dazu, dass die durch die Teilmaßnahme nicht zu leistenden, weitergehend verfügten Sanierungszielwerte gewissermaßen in der Luft hingen, was die zu ihrer Erreichung geeigneten, erforderlichen und im engeren Sinne verhältnismäßigen Mittel angehe. Denn es liege bereits ein im Grundsatz jedenfalls hinsichtlich der Mittel abschließender Sanierungsplan vor, sodass hinsichtlich des Wegs zur Zielerreichung kein Zweifel mehr bestehe und allenfalls noch Feinjustierungen erforderlich werden könnten. Es spreche jedenfalls vieles dafür, die nähere Bestimmung von Sanierungszielwerten in Ziff. 7 der streitigen Anordnung nur als „perspektivische Ankündigung eines angestrebten Sanierungszustandes“ zu qualifizieren. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung gegenüber der Antragstellerin lägen aller Voraussicht nach vor. Mangels einer Festsetzung von Maßnahmewerten, Prüfwerten oder Vorsorgewerten und mangels hinreichend gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse über Grenzwerte, ab denen eine Gesundheitsgefahr von PFC/PFT sicher anzunehmen sei, sei aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt insoweit den PFC-Erlass vom 21.08.2018 herangezogen habe. Auch inhaltlich sei die angeordnete Umsetzung des Sanierungsplans mit einem Sanierungsbetrieb zunächst für die ersten drei Jahre jedenfalls im Eilverfahren nicht zu beanstanden. Es handle sich aller Voraussicht nach um eine notwendige Maßnahme. Auch die Inanspruchnahme der Antragstellerin nicht nur als Zustands-, sondern auch als Handlungs- bzw. Verhaltensstörerin auf der Primärebene der Gefahrbeseitigung könne bei summarischer Prüfung der Sachlage im Eilverfahren nicht in einer Weise in Frage gestellt werden, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung geboten wäre. Eine der Antragstellerin zuzurechnende Verhaltensverantwortlichkeit sei voraussichtlich jedenfalls deshalb anzunehmen, weil nach Aktenlage derzeit vieles dafür spreche, dass unmittelbar vor bzw. bei dem Brandereignis ein Verstoß gegen die in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung festgesetzte maximale Lagerhöhe für die Shredderanlage von 8 m vorgelegen habe, und weil die Antragstellerin vor dem Brandereignis ihren Verpflichtungen aus der Eigenkontrollverordnung zur Dichtheitsprüfung von Abwasserkanälen nicht fristgerecht nachgekommen sei. Es sei fachlich ohne Weiteres nachvollziehbar, dass auch die Höhe des Schrottbergs negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Brandbekämpfung gehabe habe. An dem Verstoß gegen die EKVO ändere es nichts, wenn womöglich nicht ausgeschlossen werden könne, dass die später festgestellten Undichtigkeiten vielleicht auch Folge des Brandes oder der Hitzeeinwirkung sein oder die Undichtigkeiten ggf. auch sonst konkret erst danach entstanden sein könnten. Letztlich habe sich gerade eine Gefahr realisiert, zu deren Abwendung die regelmäßigen Dichtigkeitsprüfungen vorgeschrieben gewesen seien. Der Qualifikation der Antragstellerin als Verhaltensstörerin könne voraussichtlich auch nicht der am 17.11.2016 geschlossene gerichtliche Vergleich entgegengehalten werden. Dem Regelungsgehalt der darin übernommenen Verpflichtungen könne im Wege der Auslegung voraussichtlich nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden, dass ein auch und gerade hierauf bezogener Rechtsbindungswille vorhanden gewesen sei. Schließlich sei auch die Ermessensausübung des Landratsamts, die zur Auswahl der Antragstellerin als pflichtiger Störerin geführt habe, im Eilverfahren nicht zu beanstanden. Das Landratsamt habe die Verantwortlichkeit weiterer etwaiger Störer umfänglich untersucht. Die dem im Tatsächlichen zugrundeliegenden Annahmen seien zwar zwischen den Beteiligten teilweise streitig, insbesondere hinsichtlich der Frage der Verantwortlichkeit für den Schaummitteleinsatz und dessen Zulässigkeit und konkrete Durchführung. Die letztverbindliche Klärung dieser Fragen könne das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren jedoch nicht leisten. Es genüge insoweit bis auf Weiteres die Feststellung, dass voraussichtlich zumindest die Antragstellerin nicht nur Zustands-, sondern auch Handlungsstörerin sei und dass eine alleinige oder zentrale Verantwortlichkeit eines anderen Störers derzeit jedenfalls nicht auf der Hand liege. Grundsätzlich sei der Einsatz des Schaummittels als solcher auf Grundlage der Rechtslage im August/September 2007 nicht zu beanstanden. Ob die damals im Einsatz getroffenen Einzelfallentscheidungen zum Schaummitteleinsatz letztlich - retrospektiv - zu beanstanden und ob dem Landratsamt für die Zeit nach dem Brandereignis Versäumnisse bei der womöglich gebotenen Aufklärung von Umwelteinwirkungen des Löscheinsatzes anzulasten seien, die ebenfalls zur Annahme einer Störereigenschaft führen könnten, bedürfe unter Umständen vertiefter Klärung. Gleichwohl könne von überwiegenden Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin nicht ausgegangen werden, weil sich derzeit zumindest ihre eigene (Mit-)Verantwortlichkeit nicht bestreiten lasse und weil sachverständige Stellungnahmen vorlägen, die in plausibler Weise die Sichtweise des Antragsgegners bestätigen. Mit Blick auf mögliche Defizite im Zusammenhang mit dem Verhalten der Behörden nach dem Löscheinsatz und das Unterlassen von Erkundungsuntersuchungen zur Frage einer Grundwassergefährdung müsse sich auch die Antragstellerin vorhalten lassen, die Behörden über Jahre offenbar nicht über das negative Ergebnis der Dichtigkeitsprüfung ihres Leitungsnetzes nach der EKVO in Kenntnis gesetzt zu haben. Die Sichtweise des Landratsamts, die Feuerwehr und auch die mit der Angelegenheit nachgehend befassten Behörden dürften sich im Ausgangspunkt auf das Vorhandensein und die Funktionsfähigkeit eines Löschwasserauffangsystems verlassen, entbehre nicht einer gewissen Plausibilität, auch wenn es im Einsatz zu gefährlichem Umgang mit dem Schaummittel gekommen sein sollte. Eine rechtlich zwingende Pflicht, eine unterstellte fehlende ausreichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragstellerin bereits auf der Ebene der Störerauswahl zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, sei nicht ersichtlich. Ein wirtschaftliches Unvermögen betreffe nicht die Rechtmäßigkeit einer bodenschutzrechtlichen Anordnung, sondern ihre Durchsetzbarkeit. Die materielle Rechtmäßigkeit einer bodenschutzrechtlichen Anordnung hänge auch nicht davon ab, ob der im Falle ihrer Vollstreckung durch die Ersatzvornahme entstehende Erstattungsanspruch im Zeitpunkt seines Entstehens realisierbar sei. Mit Blick auf die Ermessensausübung und den Effektivitätsgrundsatz genüge es, dass sich das Landratsamt vor Bescheiderlass tatsächlich um eine Ermittlung der insoweit maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage in der Sphäre der Antragstellerin bemüht und die Erstellung des Berichts einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Belastbarkeit veranlasst habe. Dieses werde durch die von der Antragstellerin vorgelegte Stellungnahme nicht erschüttert. Es bestünden auch keine bereits im Eilverfahren durchgreifenden rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Heranziehung der Antragstellerin. Insbesondere sei die Ankündigung einer gesonderten Anschlussentscheidung aufbauend auf den fachtechnischen Erkenntnissen aus den ersten drei Jahren des Sanierungsbetriebs auch und gerade unter Verhältnismäßigkeitsaspekten dahingehend zu verstehen, dass bei dann möglicher konkreter Abschätzung auch etwa der laufenden Kosten der weiteren Sanierung die endgültige Sanierungszielerreichung auch unter Berücksichtigung individueller Zumutbarkeitsgesichtspunkte auf Seiten des Sanierungspflichtigen nochmals überdacht werde. Auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie müsse es mit Blick auf den mit den Verstößen gegen die genehmigte Lagerhöhe und gegen die Vorgaben der EKVO jedenfalls einhergehenden erheblichen Grad der Fahrlässigkeit vorläufig bei einer unbeschränkten Haftung der Antragstellerin verbleiben. Über die summarische Rechtmäßigkeitsprüfung hinaus neige die Kammer dazu, auch bei einer ohne Weiteres vertretbaren Annahme insgesamt offener Erfolgsaussichten und einer für diese Alternative gebotenen reinen Folgenabwägung derzeit dem Vollzugsinteresse den Vorrang einzuräumen. Zwar sei das finanzielle Interesse der Antragstellerin, von den Kosten des Sanierungsbeginns zumindest so lange verschont zu bleiben, bis ihre Verantwortlichkeit sowie die Zweck- und Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen abschließend geklärt seien, gewichtig, weil ihre wirtschaftliche Existenz durchaus als ernstlich gefährdet anzusehen sein könne. Demgegenüber sei aber das öffentliche Interesse an einer möglichst zeitnahen Aufnahme des Sanierungsbetriebs nach jahrelanger Vorbereitung zur Erarbeitung eines bestmöglichen, effektiven und nach Möglichkeit zugleich finanziell zumutbaren Sanierungskonzepts als höherwertig einzustufen, zumal auch die Sanierung bis zur Beseitigung des Umweltschadens noch Jahre bis Jahrzehnte dauern werde. Mit Blick auf die sich gerade wegen der nachvollziehbaren Liquiditätsprobleme der Antragstellerin verdichtende Wahrscheinlichkeit der Erforderlichkeit einer Ersatzvornahme gehe es mit dem Sofortvollzug der Sanierungsanordnung möglicherweise letztlich einstweilen „nur“ um die Aufrechterhaltung der Titulierungsoption hinsichtlich der Kosten der Ersatzvornahme.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="41"/>Gegen den ihr am 19.08.2021 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin am 30.08.2021 Beschwerde eingelegt und diese am 16.09.2021 begründet. Zusammengefasst rügt die Antragstellerin eine unzureichende Begründung der Sofortvollzugsanordnung sowie formelle und materielle Mängel des angefochtenen Bescheids. In formeller Hinsicht sei das Landratsamt in Anbetracht der eigenen Störerhaftung des Landkreises für den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids schon nicht zuständig gewesen, sondern gemäß § 16 Abs. 3 LBodSchAG sei die sachliche Zuständigkeit des Regierungspräsidiums begründet gewesen. In materieller Hinsicht könne sie entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts beanspruchen, dass im Sinne von § 13 Abs. 6 BBodSchG ein für verbindlich erklärter Sanierungsplan erstellt werde, in dem die Überschaubarkeit und Festlegung des Zeit- und Kostenaufwands für die Sanierung verbindlich geregelt werde. Vor dem Hintergrund des Gesetzesvorbehalts hätten die Sanierungsziele nicht auf Grundlage eines ministeriellen Erlasses festgelegt werden dürfen. Die Anordnung sei ferner in wesentlichen Teilen nicht nachvollziehbar und auf eine unmögliche Leistung gerichtet, was insbesondere die zeitliche Perspektive und den notwendigen Vorlauf für die Umsetzung der Maßnahmen betreffe. Die Anordnung leide außerdem an Bestimmtheitsmängeln; dies betreffe die Bezugnahme auf „Drittunterlagen“ und die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ebenso wie die Beschränkung der Maßnahme auf zunächst drei Jahre und deren unmittelbare Wechselbeziehung mit den festgelegten Sanierungszielen. Die Antragstellerin könne nicht als Handlungsstörerin zu der Sanierung herangezogen werden, sondern es bestehe nur eine Zustandsverantwortlichkeit für das Betriebsgrundstück. Sie habe die Bodenverunreinigung nicht unmittelbar verursacht, da sie die Löscharbeiten weder selbst vorgenommen habe noch ihr die Toxität der eingesetzten Löschmittel bekannt gewesen sei. Ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenhang mit dem Brandereignis liege nicht vor. Sie habe auch mit Blick auf die ihr vorgeworfenen Verstöße gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung und die Eigenkontrollverordnung die Gefahrenschwelle nicht überschritten. Der Brandherd habe sich in einem vorgelagerten kleineren Haufwerk befunden, das die Grenze von 8 m nicht überschritten habe. Verstöße gegen die Betriebsgenehmigung ließen sich jedenfalls nicht beweisen und beruhten letztlich auf Mutmaßungen von zum Teil nicht qualifizierten Sachverständigen. Darüber hinaus habe es sich bei der Vorhaltung des Shreddermaterials schon nicht um eine Lagerung im immissionsschutzrechtlichen Sinne gehandelt. Entscheidend für die Brandbekämpfung sei auch nicht die Lagerhöhe, sondern die Gesamtlagerkapazität, die das genehmigte Maß aber nicht überschritten habe. Im Übrigen sei nicht eine etwaige „marginale“ Erhöhung der Lagerhöhe kausal für die entstandene Kontamination von Boden und Grundwasser, sondern der exzessive Einsatz PFC-haltiger Löschmittel. Eine Kontrollpflicht der Kanäle nach § 2 Abs. 1 EKVO i. V. m. Anhang 2 Nr. 1.1 und 3.4 habe nicht bestanden, da für die Abwässer des Betriebs Anforderungen nach § 7a WHG a. F. nicht festgelegt gewesen seien. Insbesondere sei § 1 Abs. 1 AbwV i. V. m. Anhang 49 (mineralölhaltiges Abwasser) nicht anwendbar, weil auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin Fahrzeuge und Fahrzeugteile nur in einem sehr untergeordneten Verhältnis verarbeitet würden. Darüber hinaus fehle es an einem Ursachenzusammenhang zwischen einer etwaigen Leckage und dem eingetretenen Schaden. Bereits 2007 sei allen Beteiligten klar gewesen, dass die Löschwasserrückhalteanlage durch die massive Hitzeeinwirkung beschädigt gewesen sei. Ungeachtet dessen bestehe kein ausreichender Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen den der Antragstellerin vorgeworfenen Verstößen und der Kontamination, weil bei sachgerechter Ausführung der Löscharbeiten kein PFC-haltiges Löschwasser in Boden und Grundwasser gelangt wäre. Das Fehlverhalten der Feuerwehr könne der Antragstellerin deswegen nicht zugerechnet werden. Schließlich ergebe sich die Begrenzung auf eine Zustandsstörerhaftung der Antragstellerin aus dem gerichtlichen Vergleich vom 17.11.2016, der entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch insoweit mit Rechtsbindungswillen geschlossen worden sei. Es lägen zudem Ermessensfehler vor. Das Verwaltungsgericht habe schwerwiegende Versäumnisse der beteiligten Behörden nicht hinreichend gewürdigt und aus diesen deswegen zu Unrecht keine Verhaltensstörereigenschaft abgeleitet. Dabei habe es seinen Schlussfolgerungen einseitig die „Parteigutachten“ der Antragsgegnerseite zugrunde gelegt. Dies betreffe insbesondere den exzessiven Einsatz von Schaummitteln, der „grundsätzlich falsch“ und auch unverhältnismäßig gewesen sowie unsachgemäß durchgeführt worden sei, aber auch das Verhalten der Behörden im Nachgang des Brandes. Da das Brandereignis schon lange zurückliege, könne ferner der Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht mehr vorrangig zählen, zumal die Liquidität des Landes als deutlich besser einzustufen sei als diejenige der Antragstellerin. Das Landratsamt habe deren fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit - gerade auch vor dem Hintergrund des im Jahr 2016 abgeschlossenen Vergleichs - nicht hinreichend berücksichtigt. Die unbeschränkte Heranziehung der Antragstellerin zu der Sanierung erweise sich mit Blick hierauf als unverhältnismäßig und sei ohne einen Kostenvorbehalt unzumutbar. Sie stelle einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar und habe insoweit auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Es bestünden außerdem Zweifel an der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Sanierungsmaßnahme, da es keine Erfahrungen mit der Dekontamination PFC-haltiger Mittel gebe und eine Trinkwassergefährdung aktuell gar nicht mehr bestehe.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="42"/>Am 07.01.2022 hat die Antragstellerin die Begründung ihrer Beschwerde weiter vertieft.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="43"/>Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="44"/>Für die weiteren Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die hierzu vorgelegten Anlagen verwiesen. Dem Senat lagen außerdem die Akten des Verwaltungsgerichts zu dem erstinstanzlichen Antragsverfahren sowie zu den Verfahren 5 K 4533/20, 5 K 2409/20, 8 K 77/15, 8 K 4524/14, 8 K 2144/14, 5 K 1815/10 und 5 K 1885/09, die Verwaltungsakten des Landratsamts (8 Bände) sowie zwei Bände Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums vor.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>II.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="45"/>Die fristgerecht erhobene (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) sowie auch sonst zulässige Beschwerde der Antragstellerin Ziff. 1 hat keinen Erfolg. Auf Grundlage der in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, kommt eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht in Betracht. Der Senat berücksichtigt dabei auch die mit Schriftsatz vom 07.01.2022 - nach Ablauf der Beschwerdebegründungfrist - vorgetragenen Argumente, soweit sie sich auf eine Vertiefung der fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe beschränken und kein qualitativ neues Vorbringen darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.08.2020 - 10 S 2941/19 - NuR 2021, 135 = juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 19, 29 f.; Rudisile in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 146 VwGO Rn. 13a m. w. N.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="46"/>1. Das Verwaltungsgericht hat das formale Begründungserfordernis für die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu Recht als erfüllt angesehen. Diese Vorschrift normiert lediglich eine - von der materiellen Prüfung des Bestehens eines Sofortvollzugsinteresses zu unterscheidende - formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Ob die von der Behörde insoweit angeführten Erwägungen inhaltlich zutreffen, ist für die Einhaltung des Begründungserfordernisses hingegen nicht von Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 11.12.2014 - 10 S 473/14 - NuR 2015, 418 = juris Rn. 7, Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 80 VwGO Rn. 246 m. w. N.). Dies ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auch sonst nicht entscheidend, da das Gericht hier eine eigene Interessenabwägung vornimmt, ohne auf eine Überprüfung der von der Behörde vorgebrachten Gründe beschränkt zu sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22.11.2004 - 10 S 2182/04 - VBlBW 2005, 279 = juris Rn. 3 und vom 24.01.2012 - 10 S 3175/11 - NJW 2012, 3321 = juris Rn. 7). Die Mindestanforderungen an die schriftliche Begründung der Sofortvollzugsanordnung ergeben sich aus der Funktion des Begründungserfordernisses. Dieses besteht einerseits darin, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie dazu veranlassen, mit der erforderlichen Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Beteiligten den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Andererseits soll dem Betroffenen die Kenntnis der für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe vermittelt werden. Hieraus folgt, dass aus der gegebenen Begründung hinreichend nachvollziehbar hervorgehen muss, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist und welche nach Ansicht der Behörde das Aussetzungsinteresse des Betroffenen überwiegenden Interessen für sie leitend waren. Nur pauschale oder formelhafte, für jede beliebige Fallgestaltung passende Wendungen genügen dementsprechend nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2016 - 3 S 2225/15 - VBlBW 2016, 375 = juris Rn. 8; Schoch a. a. O. Rn. 247 f. m. w. N.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="47"/>Ausgehend hiervon ist der Vortrag der Antragstellerin, die Begründung der Sofortvollzugsanordnung sei unzureichend, weil sich aus ihr nicht zuletzt mit Blick auf den zwischenzeitlichen Zeitablauf und die Verfügbarkeit alternativer Grundwasserreservoirs für die Nachbargemeinde tatsächlich kein besonderes Vollzugsinteresse ergebe, zur Darlegung eines Begründungsmangels schon im Ansatz nicht geeignet (vgl. insoweit auch Senatsbeschluss vom 06.08.2020 - 10 S 1509/20 - NJW 2021, 250 Rn. 5). Dass die gegebene Begründung aber formelhaft und pauschal wäre, behauptet die Antragstellerin nur, ohne in der gebotenen Weise auf die gegenteilige Würdigung des Verwaltungsgerichts einzugehen. Dieses hat nach Auseinandersetzung mit der die Sofortvollzugsanordnung in dem angefochtenen Bescheid betreffenden Begründung (dort S. 39) ausgeführt (Beschlussabdruck S. 39), das Landratsamt leite aus der mit Blick auf Grundwasseranstiege latenten Gefahr für die Trinkwasserfassungen und damit für Gesundheit und Leben durch ein erhöhtes Austreten von Schadstoffen nachvollziehbar die Erforderlichkeit einer schnellen, effektiven und wirtschaftlichen Gefahrenabwehr ab. Das Landratsamt sei sich mithin des Ausnahmecharakters des Sofortvollzugs wie auch des korrespondierenden Begründungserfordernisses bewusst gewesen und habe daran auch mit vertiefter Begründung in seiner gesonderten nachfolgenden Entscheidung vom 02.10.2020 zu einer Vollzugsaussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO festgehalten. Diesen Ausführungen, denen sich der Senat vollumfänglich anschließt, ist mit Blick auf die Beschwerdebegründung nichts Weiteres hinzuzufügen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="48"/>2. Die Beschwerdebegründung stellt auch die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht durchgreifend in Frage, indem sie die Zuständigkeit des Landratsamts unter Hinweis auf § 16 Abs. 3 Satz 2 LBodSchAG bestreitet. Danach ist abweichend von der allgemeinen sachlichen Zuständigkeit der unteren Bodenschutz- und Altlastenbehörde (§ 16 Abs. 3 Satz 1 LBodSchAG) - hier also des Landratsamts (§ 16 Abs. 2 Nr. 3 LBodSchAG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 LVG) - die höhere Bodenschutz- und Altlastenbehörde - d. h. das Regierungspräsidium (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 LBodSchAG) - zuständig, wenn die Gebietskörperschaft, für deren Bezirk die untere Bodenschutz- und Altlastenbehörde zuständig ist, oder eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, an der die Gebietskörperschaft mit mehr als 50 vom Hundert beteiligt ist, Antragsteller oder Adressat einer Anordnung oder sonstigen Maßnahme nach Bodenschutz- oder Altlastenrecht ist. Die Voraussetzungen für diese Sonderzuständigkeit des Regierungspräsidiums sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil der Landkreis Sigmaringen, dessen Landratsamt den angefochtenen Bescheid erlassen hat, nicht zugleich Adressat einer darin verfügten bodenschutzrechtlichen Anordnung ist. Das Landratsamt hatte eine Störereigenschaft des Landkreises in dem angefochtenen Bescheid vielmehr gerade verneint (dort S. 28 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 16 Abs. 3 Satz 2 LBodSchAG auch nicht analog auf andere Fälle anzuwenden, in denen die Möglichkeit besteht bzw. es nicht auszuschließen ist, dass den Rechtsträger der handelnden Behörde selbst als Störer eine Verpflichtung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG treffen könnte. Insbesondere folgt weder aus dem Rechtsstaatsprinzip noch aus dem Willkürverbot ein allgemeines Verbot der Entscheidung in eigener Sache (vgl. Senatsbeschluss vom 27.07.2021 - 10 S 1540/21 - juris Rn. 3 m. w. N.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="49"/>3. In materieller Hinsicht greifen die Einwände der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ebenfalls sämtlich nicht durch.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="50"/>a) Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die angefochtene bodenschutzrechtliche Anordnung aller Voraussicht nach auf § 10 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 3 BBodSchG gestützt werden konnte.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="51"/>aa) An der Anwendbarkeit dieser Ermächtigungsgrundlage ändert die Wiederholung der gegenteiligen Auffassung der Antragstellerin, die Verbindlichkeitserklärung des - bzw. eines - Sanierungsplans gemäß § 13 Abs. 6 Satz 1 BBodSchG, hier in Verbindung mit § 4 Satz 2 LBodSchAG, sei vorrangig, nichts. Ungeachtet dessen, dass sich die Beschwerdebegründung auch insoweit nicht hinreichend mit den Gründen der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auseinandersetzt, übergeht sie bereits im Ausgangspunkt, dass bereits ein von ihr selbst vorgelegter Sanierungsplan der … GmbH vom 27.05.2019 vorliegt, der - neben dem Protokoll der Sitzung der Altlasten-Bewertungskommission vom 16.09.2019 - ausdrücklich Grundlage und Bestandteil des angefochtenen Bescheids ist (vgl. dort S. 4) und dessen Umsetzung die bodenschutzrechtliche Anordnung gerade dient. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zudem bereits darauf hingewiesen, dass auf die Verbindlichkeitserklärung eines Sanierungsplans kein Anspruch besteht und in der vorliegenden Konstellation hinzukommt, dass selbst im Falle einer Verbindlichkeitserklärung - daneben - eine behördliche Anordnung zur Durchsetzung des Sanierungsplans erforderlich gewesen wäre, da eine freiwillige Umsetzung desselben hier nicht zu erwarten war (Beschlussabdruck S. 40; vgl. hierzu auch Spieth in Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, § 13 BBodSchG Rn. 44). Aus diesen zutreffenden Hinweisen folgt zugleich, dass die Verbindlichkeitserklärung des Sanierungsplans und eine behördliche Sanierungsanordnung keineswegs in einem derartigen gegenseitigen Ausschließlichkeitsverhältnis stehen, wie dies die Beschwerdebegründung zu suggerieren versucht. Dem entspricht auch, dass die Sanierungsverpflichtung aus § 4 Abs. 3 BBodSchG, deren Durchsetzung der angefochtene Bescheid dient, durch die Verbindlichkeitserklärung nicht etwa entfällt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 14.07.2021 - 10 S 141/20 - NuR 2022, 193 = juris Rn. 60; Senatsbeschluss vom 23.03.2021 - 10 S 140/20 - VBlBW 2021, 419 = juris Rn. 8 ff.; BayVGH, Beschluss vom 28.09.2012 - 22 ZB 11.1581 - NuR 2013, 62 = juris Rn. 21 f.). Die Bedeutung einer Verbindlicherklärung liegt vor diesem Hintergrund vielmehr hauptsächlich in dem vor allem mit der Konzentrationswirkung (§ 13 Abs. 6 Satz 2 BBodSchG) verbundenen Gewinn an Rechtssicherheit für den Sanierungspflichtigen wie für die Behörde (vgl. BayVGH, a. a. O. Rn. 21 m. w. N.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="52"/>bb) Die Behauptung einer unzureichenden gesetzlichen Grundlage für die bodenschutzrechtliche Anordnung kann die Beschwerdebegründung ebenso wenig auf den Vortrag stützen, aufgrund des Gesetzesvorbehalts - bzw. des Wesentlichkeitsgrundsatzes - habe das Landratsamt sich bei der Festsetzung der Sanierungsziele nicht an den Maßgaben des PFC-Erlasses vom 21.08.2018 orientieren dürfen. Dieses Vorbringen kann der Beschwerde schon deswegen nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Festsetzung der Sanierungsziele (Ziff. 7 der bodenschutzrechtlichen Anordnung) - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls bereits ausgeführt hat (Beschlussabdruck S. 43) - an der streitigen Sofortvollzugsanordnung bereits nicht teilnimmt, d. h. die Antragstellerin insoweit auch keine sofortige Vollziehung zu vergegenwärtigen hat. Darüber hinaus würde die grundsätzliche Anwendbarkeit der bodenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn sich das Landratsamt für die Festsetzung der Sanierungsziele nicht an dem PFC-Erlass hätte orientieren dürfen. Allenfalls könnten sich hieraus vielmehr Zweifel an der von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG vorausgesetzten Notwendigkeit der angeordneten Maßnahmen ergeben. Die Bedenken der Antragstellerin an der Heranziehung des PFC-Erlasses teilt der Senat im Übrigen aus den vom Verwaltungsgericht bereits dargelegten Gründen (vgl. Beschlussabdruck S. 46 sowie die dortigen Nachweise) bei der im Eilverfahren nur möglichen überschlägigen Betrachtung nicht.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="53"/>b) Dass die Verfügung in Ziff. 2 der bodenschutzrechtlichen Anordnung - wie die Antragstellerin meint - auf eine unmögliche Leistung gerichtet und letztere deswegen „in wesentlichen Teilen“ nicht vollziehbar wäre, kann der Senat nicht nachvollziehen. Das Landratsamt bezieht sich insoweit auf den Zeit- und Ablaufplan in Anlage 9 des - von der Antragstellerin selbst in Auftrag gegebenen und vorgelegten - Sanierungsplans vom 27.05.2019, sieht aber - ausgehend von der bereits bei Bescheiderlass eingetretenen Zeitverzögerung - eine Verschiebung um neun Monate vor. Die Antragstellerin räumt selbst ein, dass sich die maßgeblichen Zeithorizonte danach einfach und präzise berechnen lassen. Sie kann aber auch nicht damit gehört werden, dass auch unter Beachtung der neunmonatigen Verschiebung „Maßnahmen umgesetzt werden müssten, die weitaus einen größeren Zeitvorlauf beanspruchten als den von der Behörde unterstellten“. Die Kritik der Antragstellerin an dem von ihr selbst beauftragten Sachverständigenbüro - nicht vom Landratsamt - ausgearbeiteten Zeit- und Ablaufplan beschränkt sich inhaltlich auf pauschale Behauptungen und Mutmaßungen. Demgegenüber zeigt die Beschwerdebegründung einen erhöhten Zeitbedarf im Einzelnen schon nicht substantiiert auf. Darüber hinaus hat bereits das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen (Beschlussabdruck S. 41), dass die Sätze 2 und 3 der Verfügung in Ziff. 2 der bodenschutzrechtlichen Anordnung der Notwendigkeit etwaiger Abweichungen vom Ablauf- und Zeitplan sowie dessen entsprechende Aktualisierung gerade ermöglichen bzw. diesem Erfordernis Rechnung tragen. An diesem Verständnis bestehen auch für den Senat keinerlei Zweifel. Die Verfügung Ziff. 2 schafft vielmehr gerade die - wie bei anderen Bauvorhaben auch hier naturgemäß erforderliche - Flexibilität, indem sie ein Procedere für Anpassungen des Zeit- und Ablaufplans etabliert und hierfür die Darlegung der Gründe sowie die Billigung der Genehmigungsbehörde voraussetzt (Satz 3). Dieses ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass (nur) erhebliche Änderungen des Zeit- und Ablaufplans (überhaupt) dem Landratsamt mitzuteilen sind (Satz 2). Die Befürchtung der Antragstellerin, ihr könne gleichwohl Unmögliches - weil innerhalb der gesetzten Fristen nicht Realisierbares - abverlangt werden, erscheint in Anbetracht dessen nicht begründet und wird durch die angegriffene Verfügung jedenfalls nicht gestützt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="54"/>c) Wie das Verwaltungsgericht vermag ferner auch der Senat keine Mängel in der Bestimmtheit der für sofort vollziehbar erklärten und deswegen im Eilverfahren streitgegenständlichen Verfügungen der bodenschutzrechtlichen Anordnung festzustellen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="55"/>Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende und in § 37 Abs. 1 LVwVfG einfachgesetzlich verankerte Bestimmtheitsgrundsatz erfordert, dass der Regelungsgehalt nach Art und Umfang aus sich heraus erkennbar und verständlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2015 - 7 C 15.13 - Buchholz 406.254 UmwRG Nr 16 = juris Rn. 39). Dies setzt zum einen voraus, dass der Adressat des Verwaltungsakts in die Lage versetzt wird zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille unzweideutig erkennbar und keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist; zum anderen muss der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (vgl. BVerwG, Urteile vom 02.07.2008 - 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259, und vom 15.02.1990 - 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335; Beschluss vom 13.10.2010 - 7 B 50.10 - juris Rn. 8 m. w. N.). Welche Anforderungen danach jeweils für das notwendige Maß an Bestimmtheit zu stellen sind, richtet sich maßgeblich nach dem jeweils anwendbaren materiellen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.2013 - 8 C 21.12 - BVerwGE 148, 146; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.2020 - 3 S 2590/18 - juris Rn. 35). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln ist und es deswegen genügt, wenn er sich aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 25.04.2001 - 6 C 6.00 - BVerwGE 114, 160, und vom 16.10.2013 - 8 C 21.12 -, BVerwGE 148, 146 sowie Senatsurteil vom 11.05.2021 - 10 S 709/19 - ZUR 2021, 701 = juris Rn. 34).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="56"/>aa) Nach diesen Maßstäben legt die Antragstellerin mit der Wiederholung ihrer bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumente, die Verfügung Ziff. 1 der bodenschutzrechtlichen Anordnung sei mit der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Erforderlichkeit („erforderliche Sanierung“) und der Bezugnahme auf Drittunterlagen („basierend auf dem Sanierungsplan sowie dem in der Sitzung der Bewertungskommission für Altlasten vom 16.09.2019 gefassten Beschluss“) zu unbestimmt, keinen Bestimmtheitsmangel dar. Denn aus dieser Formulierung und der Bezugnahme auf den Sanierungsplan, der als solcher durch die Altlastenbewertungskommission gebilligt wurde, ergibt sich klar und eindeutig, dass mit der „erforderlichen Sanierung“ diejenige gemeint ist, die im Sanierungsplan vorgeschlagen und beschrieben wird. Dies wird durch die im Rahmen der Auslegung ergänzend heranzuziehende Begründung des angefochtenen Bescheids unterstrichen, in der es u. a. heißt, in der Sitzung der Altlastenbewertungskommission sei die grundsätzliche Zustimmung zum gewählten Sanierungsverfahren mit einer Kombination aus einer Dichtwand im Mixed-in-Place-Verfahren und einer Abreinigung des Grundwassers mittels Pump-and-Treat-Verfahren ausgesprochen worden […], so dass im Interesse einer effizienten Gefahrenabwehr im mehrstufigen Planungsprozess zur tatsächlichen Sanierung überzugehen sei, nachdem nun mit dem Sanierungsplan der Firma … GmbH eine gründliche und fachgerechte Sanierungsplanung als Grundlage für die konkret durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen vorliege (vgl. Bescheidabdruck S. 34). In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Sanierungsplan, der eine Darstellung der durchzuführenden Maßnahmen (S. 25 ff.), eine nähere Erläuterung der einzelnen Elemente und des Ablaufs der Sanierung (S. 27 ff.), Schichtenverzeichnisse, Bohrprofile und Ausbaupläne (Anlage 6) sowie Beschreibungen der einzelnen Sanierungsmaßnahmen (Anlage 7) und des Bauablaufs (Anlage 8), beinhaltet, ebenso wie das Protokoll der Sitzung der Altlastenbewertungskommission vom 16.09.2018 ausdrücklich Grundlage und Bestandteil der bodenschutzrechtlichen Anordnung sind (vgl. dort S. 4). Angesichts dessen sind Art und Umfang der von der Antragstellerin nach der Verfügung in Ziff. 1 der bodenschutzrechtlichen Anordnung durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont klar und eindeutig bestimmt. Als fernliegend muss hingegen die von der Antragstellerin geäußerte Befürchtung betrachtet werden, das Landratsamt könne von ihr auf Grundlage dieser Verfügung die Durchführung weiterer, in dem angefochtenen Bescheid selbst gar nicht genannter Maßnahmen fordern.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="57"/>Soweit die Antragstellerin daneben auf vermeintliche Unklarheiten verweist, die sich aus der Stellungnahme der Altlastenbewertungskommission zu den Sanierungszielen ergeben sollen, kann dies der Beschwerde schon deswegen nicht zum Erfolg verhelfen, weil hiermit die Verfügung in Ziff. 7 der bodenschutzrechtlichen Anordnung angesprochen ist, die nicht sofort vollziehbar ist und deswegen auch nicht zum Streitgegenstand des vorliegenden Eilverfahrens gehört. Insoweit ist freilich darauf hinzuweisen, dass Unklarheiten in Bezug auf das Sanierungsziel deswegen ausgeschlossen sein dürften, weil dieses in der Verfügung Ziff. 7 - in Übereinstimmung mit der Empfehlung der Altlastenkommission - ausdrücklich formuliert wird.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="58"/>bb) Die Regelungen in Ziff. 1 und 2 der bodenschutzrechtlichen Anordnung sind auch nicht deswegen unbestimmt, weil die Verpflichtung der Antragstellerin zur Durchführung der angeordneten Maßnahmen zunächst auf drei Jahre befristet ist und das Landratsamt für die Zeit danach eine Anschlussentscheidung in Aussicht gestellt hat (vgl. Ziff. 3). Denn die zeitliche Befristung und damit zugleich der Umfang der Inanspruchnahme der Antragstellerin durch den angefochtenen Bescheid ergibt sich klar und eindeutig aus der Verfügung Ziff. 3 der bodenschutzrechtlichen Anordnung. Die - derzeit offene - Frage, mit welchen weiteren Sanierungsverpflichtungen die Antragstellerin im Rahmen der angekündigten Anschlussentscheidung rechnen muss, betrifft demgegenüber nicht die Bestimmtheit der streitgegenständlichen Regelungen und ist für das vorliegende Verfahren auch sonst nicht entscheidungserheblich. Eine solche Anschlussentscheidung müsste die Antragstellerin ggf. vielmehr separat anfechten. Unmittelbar belastet ist die Antragstellerin derzeit ausschließlich durch die für sofort vollziehbar erklärte Anordnung der Errichtung und des Betriebs der im Sanierungsplan beschriebenen Anlagen für die Dauer von drei Jahren. Die Ungewissheit in Bezug auf künftige weitere auf sie zukommende Sanierungskosten mag die Antragstellerin in wirtschaftlicher Hinsicht zwar faktisch schon jetzt belasten. Hieraus folgt jedoch - wie das Verwaltungsgericht schon ausgeführt hat (Beschlussabdruck S. 42) - keine rechtlich relevante Unklarheit des Regelungsgehalts der streitgegenständlichen Verfügungen. Im Übrigen ergeben sich gewisse Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit einer auf § 4 Abs. 3 BBodSchG beruhenden Sanierungsverantwortlichkeit schon aus der Natur der Sache und des bei Altlastensanierungen regelmäßig schwer im Vorhinein abzuschätzenden Sanierungsaufwands. Ein Sanierungsverantwortlicher muss daher auch sonst stets mit einer Heranziehung zu - hier zunächst nur in Aussicht gestellten - weitergehenden Sanierungsmaßnahmen rechnen. Dies beruht allerdings nicht auf der streitgegenständlichen bodenschutzrechtlichen Anordnung, sondern der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Sanierungsverantwortlichkeit gemäß § 4 Abs. 3 BBodSchG (vgl. - in Bezug auf eine kumulative Heranziehung neben anderen Störern - Senatsbeschluss vom 23.03.2021 - 10 S 140/20 - VBlBW 2021, 419 = juris Rn. 8 ff.; BayVGH, Beschluss vom 28.09.2012 - 22 ZB 11.1581 - NuR 2013, 62 = juris Rn. 21). Dies räumt die Antragstellerin selbst ein, wenn sie ausführen lässt, die Behörde besitze „jegliche Freiheit, im Wege einer Änderungsanordnung neue Gesetzesvorschriften oder wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Sanierungsmethoden etc. in ein laufendes Verwaltungsverfahren einzubringen“ (Beschwerdebegründung vom 16.09.2021 S. 8). Nicht zu übersehen ist ferner, dass die zeitliche Begrenzung des Sanierungsbetriebs auf zunächst drei Jahre im Vergleich mit der Alternative einer Betriebsverpflichtung bis zum Erreichen der festgesetzten Sanierungszielwerte (Verfügung Ziff. 7) die Antragstellerin letztlich begünstigt. Die zeitliche Begrenzung ermöglicht es der Bodenschutzbehörde, den Erfolg der Maßnahmen nach der angeordneten Betriebsdauer zu evaluieren und basierend auf deren fachtechnischer Bewertung Art und Umfang der weiter erforderlichen Maßnahmen festzusetzen (vgl. hierzu die Begründung auf S. 34 des angefochtenen Bescheids). Dies trägt daneben dem Umstand Rechnung, dass sich ausweislich des Sanierungsplans aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Entwicklung der PFC-Konzentration auch die Entwicklung der Betriebskosten erst nach einer Laufzeit der Sanierungsmaßnahme von circa einem Jahr genauer abschätzen lässt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="59"/>cc) Ein Bestimmtheitsmangel ergibt sich schließlich auch nicht aus den von der Antragstellerin vorgetragenen „Wechselbeziehungen“ bzw. Widersprüchlichkeiten zwischen den Verfügungen Ziff. 3 und 7 der bodenschutzrechtlichen Anordnung, d. h. der Kombination aus einer zunächst auf drei Jahre begrenzten Betriebspflicht der Sanierungsanlagen und der Festlegung von Zielwerten der Sanierung, mögen diese auch innerhalb einer dreijährigen Betriebszeit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreichbar sein (vgl. hierzu bereits S. 44 des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts). Am Regelungsgehalt der bodenschutzrechtlichen Anordnung kann insoweit kein Zweifel bestehen, da diese eindeutig einen (nur) dreijährigen Sanierungsbetrieb anordnet (Ziff. 3) und die Sanierungsziele dabei (erst dann) erreicht sind, wenn die in Ziff. 7 festgesetzten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Senat vermag auch keinen Widerspruch zu erkennen zwischen der Ankündigung einer (aller Voraussicht nach notwendigen) Anschlussentscheidung und der verbindlichen Regelung von (innerhalb der angeordneten dreijährigen Betriebsdauer aller Voraussicht nach nicht erreichbaren) Sanierungszielwerten.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="60"/>Die Frage, ob die festgelegten Zielwerte entsprechend der Auffassung des Verwaltungsgerichts (Beschlussabdruck S. 44) rechtlich als perspektivische Ankündigung zu qualifizieren sind, ist für die Beurteilung ihrer Bestimmtheit ohne Belang. Gleiches gilt für die weiteren diesbezüglichen Beanstandungen in der Beschwerdebegründung wie das von der Antragstellerin vermisste Fehlen einer „Öffnungsklausel“, das ersichtlich allenfalls für die Frage der Verhältnismäßigkeit der festgelegten Zielwerte relevant sein kann. Aber auch soweit die Antragstellerin Bestimmtheitsmängel der Verfügung Ziff. 7 der bodenschutzrechtlichen Anordnung geltend macht, muss dem im Beschwerdeverfahren nicht nachgegangen werden. Denn diese wären im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entscheidungsrelevant, da die dortige Regelung nicht an der behördlichen Sofortvollzugsanordnung teilnimmt und der Widerspruch der Antragstellerin insoweit mithin bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ohnehin scheidet ein Bestimmtheitsmangel mit Blick auf die in der Beschwerde angeführte Begrifflichkeit des 10-jährigen Grundwasserhochstands ganz offensichtlich aus, weil dieser in der angefochtenen Verfügung höhenmäßig mit 538,84 m über NN exakt definiert wird.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="61"/>d) Die Beschwerdebegründung stellt auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG voraussichtlich erfüllt sind und die Antragstellerin als Handlungs- bzw. Verhaltensstörerin gemäß § 4 Abs. 3 BBodSchG sanierungspflichtig ist, nicht durchgreifend in Frage.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="62"/>aa) Am Vorliegen einer sanierungsbedürftigen schädlichen Bodenveränderung (§ 2 Abs. 3 BBodSchG) können nach den durchgeführten Sanierungsuntersuchungen und in Anbetracht der bereits eingetretenen und nicht zuletzt am Trinkwasserbrunnen Ertingen gemessenen Grundwasserverunreinigung objektiv keine ernstlichen Zweifel bestehen (vgl. hierzu etwa die zusammenfassende Darstellung auf S. 20 ff. des Sanierungsplans vom 27.05.2019). In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob die festgelegten - wenngleich nicht sofort vollziehbaren - Sanierungsziele in Ziff. 7 der bodenschutzrechtlichen Anordnung einer vertieften rechtlichen Prüfung standhalten werden. Insbesondere muss nicht näher darauf eingegangen werden, ob sich das Landratsamt insoweit an den im PFC-Erlass genannten Geringfügigkeitsschwellenwerten orientieren durfte, auf die freilich auch der von der Antragstellerin vorgelegte Sanierungsplan Bezug nimmt (vgl. dort S. 23) und woran der Senat wie bereits ausgeführt (oben 3. a) bb)) keine wesentlichen Bedenken hat.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="63"/>Ebenso wenig bestehen für den Senat vernünftige Zweifel an der Notwendigkeit einer Sanierung der PFC-Kontamination. Insbesondere kann die „Trinkwassergefährdung“ - anders als die Antragstellerin meint - angesichts der festgestellten Schadstofffahne sowie auch der vom Landratsamt in der Beschwerdeerwiderung mitgeteilten Beprobungsergebnisse des Grundwassermonitorings keineswegs als gebannt angesehen werden. Die Schädlichkeit und damit die Sanierungsbedürftigkeit der Grundwasserverunreinigung wird auch nicht dadurch relativiert, dass die Gemeinde Ertingen zwischenzeitlich auf andere Trinkwasserquellen ausgewichen sein mag und dort - bislang - keine Verunreinigung festgestellt worden sein mögen. Dies räumt in der Sache letztlich auch die Antragstellerin ein, indem sie das Bestehen ihre Eigenschaft als Zustandsstörerin in der Beschwerdebegründung einräumt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="64"/>bb) Die mit der Beschwerde angeführten Argumente greifen auch nicht durch, soweit sie sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts richten, das Landratsamt habe die Antragstellerin voraussichtlich zu Recht als Verursacherin der schädlichen Bodenveränderung in Anspruch genommen (Beschlussabdruck S. 48 ff.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="65"/>(1) Die Sanierungsverantwortlichkeit der Antragstellerin als Handlungs- bzw. Verhaltensstörerin ist nicht aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 17.11.2016 ausgeschlossen. Dies gilt ungeachtet der Auslegung dieses Vergleichs schon deswegen, weil sich die Haftung des Verursachers einer schädlichen Bodenveränderung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ebenso wenig, wie die bodenschutzrechtliche Störerhaftung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG verwirkt werden kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 07.08.2013 - 7 B 9.13 - juris Rn. 10 und vom 28.02.2008 - 7 B 12.08 - Buchholz 451.222 § 4 BBodSchG Nr. 6 Rn. 7; Senatsurteil vom 01.04.2008 - 10 S 1388/06 - NVwZ-RR 2008, 696 <699> m. w. N.) oder durch eine Heranziehung anderer Pflichtiger beseitigt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 23.03.2021 - 10 S 140/20 - VBlBW 2021, 419 = juris Rn. 8 ff.; BayVGH, Beschluss vom 28.09.2012 - 22 ZB 11.1581 - NuR 2013, 62 = juris Rn. 21 f.), obliegt sie der Disposition der Bodenschutzbehörde bzw. der Beteiligten an einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren. Mangels einer solchen Dispositionsbefugnis konnte sie - wie auch in anderen Fällen abstrakter Polizeipflichtigkeit - für die Zukunft nicht rechtswirksam durch einen Vergleich ausgeschlossen werden (vgl. hierzu auch VG Hannover, Urteil vom 24.11.2009 - 4 A 2022/09 - juris Rn. 38; VG Göttingen, Beschluss vom 02.06.2004 - 4 B 206/03 - juris Rn. 28).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="66"/>(2) Der Beurteilung des notwendigen Ursachenzusammenhangs, d. h. einer hinreichend engen Kausalitätsbeziehung zwischen einem Verursachungsbeitrag der Antragstellerin und der eingetretenen schädlichen Bodenveränderung, hat das Verwaltungsgericht zutreffend eine wertende, an den Kriterien des Überschreitens der Gefahrenschwelle und eines Unmittelbarkeitszusammenhangs ausgerichtete Betrachtung zugrunde gelegt. Ausreichend ist insoweit ein maßgeblicher Mitverursachungsbeitrag des in Anspruch Genommenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.08.2015 - 10 S 980/15 - VBlBW 2016, 108, - 10 S 1131/15 - GewArch 2015, 506, jew. juris Rn. 12; Giesberts/Hilf in BeckOK Umweltrecht, § 4 BBodSchG Rn. 22; Versteyl in Versteyl/Sondermann, BBodSchG, § 4 Rn. 42 ff.). Entscheidend ist, dass dessen Handeln bei wertender Betrachtung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15.05.2018 - 22 CS 18.556 - juris Rn. 22; zum Abfallrecht BVerwG, Beschluss vom 12.04.2006 - 7 B 30.06 - juris Rn. 4), d. h. für sich genommen ein Einschreiten der Bodenschutzbehörde unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt (vgl. Senatsurteile vom 22.02.2005 - 10 S 1478/03 - VBlBW 2005, 388 und vom 19.10.1993 - 10 S 2045/91 - NVwZ-RR 1994, 565; Senatsbeschluss vom 03.09.2002 - 10 S 957/02 - NVwZ-RR 2003, 103). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert dabei das Vorliegen eines erheblichen Verursachungsbeitrags (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.2006 - 7 C 3.05 - BVerwGE 125, 325; BayVGH, Beschluss vom 18.04.2007 - 22 ZB 07.222 - NVwZ-RR 2007, 670 sowie - zur Gesetzesbegründung - BT-Drs. 13/6701, S. 34). Um dies annehmen zu können, müssen zumindest objektive Faktoren als tragfähige Indizien vorhanden sein, die den Schluss rechtfertigen, zwischen dem Verhalten des in Anspruch Genommenen und der eingetretenen Gefahrenlage bestehe eine gesicherte Ursachenbeziehung (vgl. zum Ganzen auch Senatsbeschluss vom 29.03.2019 - 10 S 2788/17 - VBlBW 2020, 76 = juris Rn. 7 m. w. N.).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="67"/>(a) Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, hieran gemessen sei eine der Antragstellerin zuzurechnende Verhaltensverantwortlichkeit voraussichtlich jedenfalls deshalb anzunehmen, weil nach Aktenlage derzeit Vieles dafür spreche, dass unmittelbar vor bzw. bei dem Brandereignis ein Verstoß gegen die in der Nebenbestimmung A.5 zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 17.11.1998/26.10.1999 festgesetzte maximale Lagerhöhe für die Shredderanlage von 8 m vorlag, und weil die Antragstellerin vor dem Brandereignis ihren Verpflichtungen aus der Eigenkontrollverordnung zur Dichtheitsprüfung von Abwasserkanälen nicht fristgerecht nachgekommen sein dürfte, setzt die Beschwerdebegründung dem nichts Durchgreifendes entgegen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="68"/>(aa) Der notwendige Unmittelbarkeitszusammenhang wird nicht schon dadurch grundlegend in Frage gestellt, dass die Antragstellerin selbst keinen Löschschaum auf ihr Betriebsgrundstück aufgebracht hat und auch das strafrechtliche Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Brandstiftung für die Betroffenen ohne Folgen geblieben ist. Entscheidend ist nach den vorstehend genannten Maßstäben vielmehr, ob die Antragstellerin ihrerseits die Gefahrenschwelle überschritten hat und ihr daher nach wertender Betrachtung die Folgen des Löscheinsatzes zuzurechnen sind. Dies wäre zwar nicht der Fall, wenn eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vorläge, was der Fall wäre, wenn der Umweltschaden maßgeblich auf ein Fehlverhalten Dritter, hier der Feuerwehr bzw. der Behörden zurückzuführen wäre, mit dem die Antragstellerin nicht zu rechnen brauchte. Dass der Einsatzleitung fachtechnische Fehler, insbesondere eine unsachgemäße Verwendung der eingesetzten Schaummittel nach Grund und Art der Ausführung, vorzuwerfen wären, die sich bei wertender Betrachtung als alleinige Ursache der schädlichen Bodenveränderung darstellen und jeden anderen Ursachenzusammenhang unterbrechen, lässt sich auch auf Grundlage des Beschwerdevorbringens jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren nicht feststellen. Gleiches gilt für das von der Antragstellerin daneben gerügte Versagen der beteiligten Behörden.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="69"/>Soweit sich die Antragstellerin - wenn auch im Wesentlichen erst in dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorgelegten Schriftsatz vom 07.01.2022 - auf die ihrer Meinung (anders etwa Gutachten ... vom 13.06.2018 S. 17) nach bereits zum Zeitpunkt des Brandereignisses Ende August 2007 in der Fachwelt bekannte Gefährlichkeit von PFC-haltigen Löschschäumen bezieht, berücksichtigt sie jedenfalls nicht hinreichend, dass die Elfte Verordnung zur Änderung chemikalienrechtlicher Verordnungen vom 12.10.2007 (BGBl. I S. 2382), mit der in Umsetzung der Richtlinie 2006/22/EG vom 12.12.2006 (ABl. 2006 L 372 S. 32) das Inverkehrbringen von PFOS-haltigen Stoffen und Zubereitungen verboten wurde (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ChemVerbotsV 2003 i. V. m. Abschnitt 32 des Anhangs), erst am 26.10.2007 in Kraft getreten ist (Art. 4 der Änderungsverordnung) und die Verwendung vor dem 27.12.2006 in den Verkehr gebrachter Feuerlöschschäume selbst danach noch bis zum 27.06.2011 erlaubt war (§ 18 Abs. 1 Satz 1 GefStoffV 2004 i. V. m. Anhang IV Nr. 32 Abs. 3). Aus diesem Umstand, auf den bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (Beschlussabdruck S. 57 f. m. w. N.), ergibt sich, dass die Verwendung derartiger Löschschäume zur Brandbekämpfung keineswegs per se den Zurechnungszusammenhang unterbrach, sofern der Antragstellerin ihrerseits eine Überschreitung der Gefahrenschwelle vorzuwerfen war.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="70"/>Die fachtechnische Bewertung des Feuerwehreinsatzes einschließlich seiner Zweck- und Verhältnismäßigkeit sowie der Art seiner Durchführung wiederum ist zwischen den Beteiligten nach wie vor umstritten und Gegenstand mehrerer sich widersprechender Fachgutachten bzw. sachverständiger Stellungnahmen. Wie das Verwaltungsgericht (Beschlussabdruck S. 58) sieht sich auch der Senat zu einer abschließenden Klärung im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens außerstande. Mit den - maßgeblich im Übrigen auch insoweit erst mit Schriftsatz vom 07.01.2022 vorgetragenen - Ausführungen zu den vermeintlichen Fehlern im Zusammenhang mit dem Einsatz der Schaummittel („völlige Verkennung der Sachlage“, „vollkommen ungeeignete und unverhältnismäßige Löschmaßnahmen“) wiederholt die Antragstellerin im Wesentlichen ihre eigene Bewertung bzw. diejenigen des von ihr beauftragten Sachverständigen. Hieraus lässt sich nichts entnehmen, was die gegenteiligen fachlichen Bewertungen - die für den Senat zumindest ebenso plausibel erscheinen - erschüttern könnte. Darüber hinaus berücksichtigt das Beschwerdevorbringen auch nicht hinreichend, dass es für die Frage der fachgerechten Durchführung von Brandbekämpfungsmaßnahmen der Feuerwehr wie hier des Schaummitteleinsatzes nicht auf eine retrospektiv aus der ex post-Perspektive durchgeführte Bewertung ankommt (in diese Richtung allerdings auch S. 58 des angegriffenen Beschlusses). Maßgeblich ist vielmehr die im Gefahrenabwehrrecht auf der Primärebene allgemein gebotene ex ante-Sicht, so dass für die Prüfung, ob das Vorgehen rechtmäßig war, auf den Sach- und Kenntnisstand im Zeitpunkt des betreffenden Feuerwehreinsatzes abzustellen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2020 - 1 S 2712/19 - juris Rn. 35 m. w. N.). Jedenfalls ausgehend hiervon spricht - auf Grundlage der entsprechenden Einlassungen der Sachverständigen sowie auch unter Berücksichtigung der gegenteiligen Einschätzung des Sachverständigen ... - doch Einiges dafür, dass sich die Einsatzleitung zu dem Schaumeinsatz genötigt sehen durfte, weil der Brand aufgrund von Durchzündungen außer Kontrolle geraten war (vgl. hierzu etwa die Darstellung von Hack/Baumhauer in ihrem „Einsatzbericht“, Deutsche Feuerwehrzeitung 2008, 594, 596 ff.). Zumindest plausibel erscheint es in diesem Zusammenhang ferner, dass zum Schutz der Bevölkerung und auch der Umwelt - selbst bei durch die Brandabgase bei der Einsatzentscheidung noch nicht überschrittenen Grenzwerten - sowie auch der Betriebsanlagen der Antragstellerin, das Ziel verfolgt wurde, den Brand so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen. Hieran ändert auch die - im Übrigen ohnehin erst mit dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 07.01.2022 angestellte - Schadensbetrachtung nichts, da sie allein den Wert des gelagerten Schrotts berücksichtigt. Ferner erscheint auch die Entscheidung der Einsatzleitung, auf die aufwändige Einrichtung einer zweiten Löschwasserversorgung bei bereits erfolgter Nutzung des in der Löschwasserrückhaltung aufgefangenen Wassers zu verzichten (vgl. hierzu Hack/Baumhauer S. 279), durchaus nachvollziehbar. Auf die weiteren von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände zu Einzelheiten des Löscheinsatzes ist an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Eine endgültige fachtechnische Klärung kann im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht erfolgen. Allerdings wird die ordnungsgemäße Durchführung des Löscheinsatzes nicht so grundlegend und ohne die Notwendigkeit einer weiteren sachverständigen Aufklärung greifbar in Frage gestellt, dass ein den Zurechnungszusammenhang zu den der Antragstellerin vorgeworfenen Rechtsverstößen unterbrechender schwerwiegender Feuerwehrfehler mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könnte. Im Gegenteil erscheinen die der Einsatzentscheidung zugrundeliegenden Erwägungen zumindest aus der ex ante-Perspektive nach wie vor durchaus schlüssig.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="71"/>Eine unzureichende Feuerwehr- bzw. Katastrophenschutzplanung bzw. Behördenfehler im Nachgang des Brandeinsatzes dürften den Zurechnungszusammenhang ebenfalls nicht unterbrechen. Hinsichtlich der Feuerwehr- und Katastrophenschutzplanung lässt die Antragstellerin bereits unberücksichtigt, dass sich die diesbezüglichen Dispositionen ersichtlich nur auf den genehmigten Betrieb des Shredderwerks beziehen mussten, den sie nach Auffassung des Landratsamts aber gerade überschritten hat. In Bezug auf die behördliche Nachbearbeitung des Brandereignisses dürften etwaige Versäumnisse - insbesondere unterlassene frühzeitige Erkundungsuntersuchungen - selbst dann, wenn sie den Behörden vorzuwerfen wären, allenfalls zu einer Vertiefung des bereits eingetretenen Grundwasserschadens geführt haben, indem nicht frühzeitig Eindämmungsmaßnahmen ergriffen wurden. Dies würde eine Verhaltensverantwortlichkeit der Antragstellerin aber nicht beseitigen oder gar ausschließen. Darüber hinaus ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, dass die eingetretene Verzögerung zumindest auch maßgeblich von der Antragstellerin mitverursacht wurde, indem diese die Ergebnisse der im Jahr 2008 durchgeführten Dichtigkeitsprüfung der Kanalisation auf ihrem Betriebsgelände bis nach der Entdeckung des Grundwasserschadens im Jahr 2012 zurückgehalten und die Behörden somit jahrelang nicht über die festgestellten Leckagen informiert hat (Beschlussabdruck S. 58). Insoweit wäre dementsprechend aller Voraussicht nach zumindest von einer Mitursächlichkeit des Verhaltens der Antragstellerin auszugehen, auch wenn die Antragstellerin eine hinreichende Aufnahmekapazität der Entwässerungsanlagen und des Löschwasserrückhaltesystems weiterhin bestreitet.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="72"/>(bb) Die der Antragstellerin vorgeworfenen Verstöße gegen die Vorgaben zur maximalen Haldenhöhe und die Prüfpflichten nach der EKVO und ihre (Mit-) Ursächlichkeit für die schädliche Bodenveränderung werden durch die Beschwerdebegründung nicht ausgeräumt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="73"/>(i) Dass die zugelassene Höhe des Lagers für die Shredderanlage von 8 m gemäß der Nebenbestimmung A.5. zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 17.11.1998/26.10.1999 im vorliegenden Fall überschritten wurde, erscheint überwiegend wahrscheinlich. Hierauf deutet neben der vom Landeskriminalamt durchgeführten Messung, die eine Höhe von 19 m ergab, auch der im Vorfeld zwischen dem Landratsamt und der Antragstellerin geführte Schriftverkehr hin. Aus diesem ergibt sich, dass schon im Mai 2007 eine mit 12 m überhöhte Haldenhöhe festgestellt wurde, deren kurzfristige Reduzierung auf das genehmigte Maß die Antragstellerin zugesagt hatte, die aber wohl nicht erfolgte. Der Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Haldenhöhe wird auch durch die von der Antragstellerin mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Berechnungen nicht nachvollziehbar entkräftet. Ungeachtet dessen, dass diese auf einem einzigen Bildausschnitt und damit einer Momentaufnahme eines Teilausschnitts nach bereits entstandenem Brand sowie zum Teil nicht nachvollziehbaren Maßannahmen beruhen, kommen auch diese auf Höhen von 10,12 m und 8,76 m, die ihrerseits das Höchstmaß nicht einhalten. Die Antragstellerin kann ferner auch nicht damit gehört werden, die Höhe der Schrotthalde sei nicht fixierbar gewesen, da es sich bei dieser um ein gleichsam dynamisches Gebilde handle. Denn für die Einhaltung der - insoweit eindeutigen - Vorgaben der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung war allein sie als Betreiberin der Anlage verantwortlich. Wenig nachvollziehbar ist schließlich die Behauptung der Antragstellerin, bei der in Brand geratenen Schrotthalde habe es sich nicht um eine Lagerung im immissionsschutzrechtlichen Sinn gehandelt. Denn zum einen bezieht die bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung den Betrieb der Lagerflächen ausdrücklich mit ein und regelt die in Rede stehende Nebenbestimmung gerade die Lagerhöhe für die Shredderanlage. Zum anderen fällt unter den Begriff des Lagerns bei im Sinne von § 4 BImSchG genehmigungspflichtigen Abfallentsorgungsanlagen auch das Zwischenlagern der Abfälle vor ihrer Verwertung oder Endlagerung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.10.2014 - 1 S 1327/13 - VBlBW 2015, 207 = juris Rn. 51; Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 8a).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="74"/>Wie für das Verwaltungsgericht (Beschlussabdruck S. 51 f.) ist ferner auch für den Senat nachvollziehbar und auch überwiegend wahrscheinlich, dass die Haldenhöhe Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Brandbekämpfung hatte, gerade was die Zugänglichkeit des Brandherds und dessen Isolierung betraf, und dass aufgrund der Überschreitung letztlich der Schaummitteleinsatz nötig wurde. Anderes ergibt sich nicht aus der gegenteiligen Behauptung der Antragstellerin, entscheidend für die Brandbekämpfung sei die Gesamtlagerkapazität, die sie nicht überschritten habe. Es liegt nahe, dass neben der Gesamtmenge an für die Shredderung vorgehaltenen Schrotts zumindest auch dessen Zugänglichkeit für die Einsatzkräfte relevant für die Dauer und den Erfolg der Brandbekämpfung sein kann. Dies wird auch nicht dadurch entscheidend relativiert, dass die Antragstellerin allenfalls eine „marginale“ Überschreitung einräumen möchte. Denn die Gefahrenschwelle dürfte insoweit an den Vorgaben der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung festzumachen sein, der eine entsprechende fachrechtliche Bewertung zugrunde liegt. Für deren Einhaltung war wie bereits ausgeführt die Antragstellerin verantwortlich, so dass ihr die Vorwerfbarkeit der Höhenüberschreitung entgegen der Beschwerdebegründung selbst dann zurechenbar wäre, wenn eine entsprechende Beanstandung seitens der Immissionsschutzbehörde - anders als hier jedoch geschehen - nicht erfolgt wäre.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="75"/>(ii) Der vom Verwaltungsgericht angenommene Verstoß gegen Kontrollpflichten der Antragstellerin nach der EKVO wird durch die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht ausgeräumt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist hier von der Anwendbarkeit von § 2 Abs. 1 EKVO i. V. m. Nr. 3.4 des Anhangs 2 in der damals geltenden Fassung und damit einer alle fünf Jahre (ab dem 01.01.2001) durchzuführenden Prüfung der nicht einsehbaren Abwasserkanäle, -leitungen oder -becken vor dem Endkontrollschacht auszugehen. Die Antragstellerin kann insbesondere nicht damit gehört werden, Anhang 49 zur AbwV, der im Sinne von § 7a WHG 2002 (jetzt § 57 WHG) für mineralölhaltiges Abwasser Anforderungen formuliert, sei deswegen nicht einschlägig, weil sie nur „in sehr untergeordnetem Verhältnis“ Fahrzeuge oder Fahrzeugteile verarbeite. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sich die ihr erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ausdrücklich auf den Betrieb einer Altautobehandlungsanlage bezieht. Im Übrigen werden gemäß Anhang 51 zur AbwV auch sonst für die oberirdische Ablagerung von Abfällen Anforderungen formuliert, die ansonsten ggf. zu beachten wären.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="76"/>Entgegen der Auffassung der Beschwerde spricht auch Vieles dafür, dass die Antragstellerin mit der Nichtbeachtung ihrer Eigenkontrollpflichten die Gefahrenschwelle überschritten hat. Ob die Leckagen letztlich erst bei dem Brand oder schon vorher entstanden sind, kann dabei im Beschwerdeverfahren nicht aufgeklärt werden. Angesichts anderslautender gutachterlicher Einschätzungen drängt sich jedenfalls die Auffassung der Antragstellerin nicht auf, es habe für die Feuerwehr offensichtlich sein müssen, dass das Löschwasserrückhaltesystem auf dem Betriebsgrundstück die Menge des eingesetzten Löschschaums nicht aufnehmen können würde. So wird etwa nach dem Gutachten des Sachverständigen … vom 13.06.2018 das Risiko einer Überschreitung des Auffangvolumens der vorhandenen Löschwasserrückhaltung durchaus bei der Einsatzplanung berücksichtigt (vgl. dort S. 14). Entscheidend für die Annahme einer Überschreitung der Gefahrenschwelle in diesem Zusammenhang ist aber ohnehin, dass - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (Beschlussabdruck S. 52) - der Zustand des Leitungsnetzes aufgrund der Missachtung der Eigenkontrollpflichten durch die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Brandes unbekannt war, was für sich genommen schon die Gefahrenschwelle überschreiten dürfte. Aufgrund dieses Kontrollverstoßes fällt es letztlich auch der Antragstellerin zur Last, wenn sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lässt, ob das Abwasserleitungsnetz bzw. die Löschwasserrückhaltung vor dem Brandereignis einwandfrei funktioniert haben. Sie kann unter diesen Umständen aller Voraussicht nach auch den Zurechnungszusammenhang nicht mit Erfolg in Frage stellen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="77"/>(b) Darüber hinaus steht mit der Annahme von Abfällen, die nicht von der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gedeckt sind, ein weiterer Verursachungsbeitrag der Antragstellerin in Rede, auf den die Störereigenschaft der Antragstellerin in dem angefochtenen Bescheid selbständig tragend gestützt wurde (vgl. Bescheidabdruck S. 20 f.). Auch wenn das Verwaltungsgericht offengelassen hat, ob eine Verhaltensverantwortlichkeit der Antragstellerin auch daraus abzuleiten ist (Beschlussabdruck S. 53), könnte die Beschwerde insoweit nur dann Erfolg haben, wenn dies nicht der Fall wäre. Die innerhalb der Begründungsfrist vorgelegte und deswegen diesbezüglich allein berücksichtigungsfähige Beschwerdebegründung verhält sich hierzu jedoch nicht.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="78"/>e) Die Beschwerde hat schließlich auch keinen Erfolg, soweit sie sich auf Ermessensfehler des Landratsamts stützt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="79"/>aa) Die streitgegenständlichen Verfügungen sind aller Voraussicht nach nicht deswegen ermessensfehlerhaft, weil sich das Landratsamt durch den gerichtlichen Vergleich vom 17.11.2016 selbst dahingehend gebunden hätte, die Antragstellerin - ausgehend letztlich von einer bloßen Zustandsstörerhaftung - nur bis zu einer - dort im Übrigen nicht näher bestimmten - Belastungsobergrenze zu der Sanierung heranzuziehen. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich keine durchschlagenden Zweifel an der Richtigkeit der überzeugenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts, denen zufolge der betreffenden Passage unter Ziff. 2 des Vergleichs kein von einem entsprechenden Rechtsbindungswillen getragener Regelungscharakter zukommt (Beschlussabdruck S. 53 f.). Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht daraus, dass die in Rede stehende Passage nicht als Vorbemerkung formuliert ist und vermeintlich für die Beteiligten bindende Vorgaben enthält („ist […] zu beachten“) sowie die dort in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Aussage zum Grad der Fahrlässigkeit gerade die Zustandsstörerhaftung betrifft. Bei der fraglichen Passage handelt es sich vielmehr ausdrücklich um einen Hinweis des Verwaltungsgerichts („weist das Gericht auf Folgendes hin“), der sich auf die Einigung unter Ziff. 2 des Vergleichs bezieht, in dem die Beteiligten vereinbart hatten, zum Inhalt der Sanierungsmaßnahmen und zur Kostentragung für die Sanierung Verhandlungen mit dem Ziel einer gütlichen Einigung aufzunehmen. Es lassen sich der fraglichen Passage folglich nur - letztlich unverbindliche - Handlungsanweisungen für die vereinbarten Einigungsgespräche entnehmen, nicht aber bindende Regelungen für eine damals noch gar nicht absehbare Sanierungsanordnung. Neben dem Umstand, dass die Passage trotz ihrer etwas ungewöhnlichen Verortung unter Ziff. 2 des Vergleichs und einzelner in Bezug auf die Frage einer bindenden Wirkung möglicherweise missverständlicher Formulierungen ausdrücklich als gerichtlicher Hinweis bezeichnet ist, weist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zudem zu Recht darauf hin, dass zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses auch die fachlichen Erkenntnisse über Aufwand und Kosten der Sanierung noch nicht so weit gediehen waren, dass die Annahme einer insoweit bindenden Vergleichsvereinbarung naheliegen würde. So wurde insbesondere der die Grundlage der bodenschutzrechtlichen Anordnung bildende Sanierungsplan erst am 27.05.2019 erstellt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="80"/>Mit der Frage der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin und der Zumutbarkeit ihrer Inanspruchnahme hat sich das Landratsamt demgegenüber im Rahmen seiner Erwägungen zur Störerauswahl beschäftigt (Bescheidabdruck S. 32 ff.) und dabei auch sachverständige Unterstützung herangezogen (vgl. insoweit auch S. 68 des angegriffenen Beschlusses).</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="81"/>bb) Die Beschwerde wendet sich auch sonst erfolglos gegen die Überlegungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Ermessenserwägungen des Landratsamts.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="82"/>(1) Eine fehlerhafte Störerauswahl lässt sich auch auf Grundlage der Beschwerdebegründung nicht feststellen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="83"/>Das Landratsamt hat sich für die Auswahl der Antragstellerin als Sanierungspflichtige maßgeblich auf den Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr gestützt. Dies ist im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Denn bei der Bodensanierung nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz stellen sich in erster Linie Fragen der Effektivität. Dementsprechend hat sich die Störerauswahl auf der Primärebene leitend an den Erfordernissen einer effektive Gefahrenabwehr zu orientieren und muss - auch angesichts auf der Sekundärebene ggf. bestehender Ausgleichsansprüche (§ 24 Abs. 2 BBodSchG) - nicht notwendig bereits das Ziel einer nach Verursachungsbeiträgen gerechten Lastenverteilung verfolgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.08.2013 - 7 B 9.13 - juris; Senatsurteile vom 18.12.2012 - 10 S 744/12 - VBlBW 2013, 189 und vom 13.03.2014 - 10 S 2210/12 - juris Rn. 30; Senatsbeschluss vom 23.03.2021 - 10 S 140/20 - VBlBW 2021, 419 = juris Rn. 8; SächsOVG, Urteil vom 17.07.2020 - 4 A 525/18 - juris; Giesberts/Hilf in Giesberts/Reinhardt a. a. O. § 4 Rn. 54 ff. m. w. N.). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin tritt der Effektivitätsgrundsatz auch nicht dadurch in den Hintergrund, dass das Brandereignis und damit die Ursache der zu sanierenden schädlichen Bodenveränderung schon lange zurückliegt. Entsprechende zeitliche Abstände, die - gerade bei Altlasten (§ 2 Abs. 5 BBodSchG) sogar noch deutlich größer sein können als hier - zwischen dem Ursprung einer Bodenverunreinigung und seiner Entdeckung und anschließenden Sanierung treten im Bodenschutzrecht vielmehr regelmäßig auf. Dies mindert indessen nicht im geringsten die Notwendigkeit einer möglichst zügigen und effektiven Sanierung, um einer weiteren Gefährdung von Mensch und Umwelt entgegenzuwirken.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="84"/>Das Landratsamt hat sich ferner - wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat (Beschlussabdruck S. 56 ff.) - umfassend mit der Frage einer etwaigen Verhaltensverantwortlichkeit anderer Störer einschließlich des Landes, des Landkreises sowie der Gemeinde … als Trägerin der Feuerwehr befasst. Sie hat eine solche mit auch aus Sicht des Senats voraussichtlich vertretbaren, jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint. Dies betrifft aus den bereits genannten Gründen (siehe oben unter II. 3. d) bb) (2) (a) (aa)) auch die fachtechnische Bewertung des Schaummitteleinsatzes. Schon deswegen ergibt sich aus den von der Antragstellerin angeführten Gesichtspunkten der Erfahrung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anderer, der öffentlichen Hand zuzurechnender Störer nichts, was die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Ermessensentscheidung in Frage stellen würde. Die Antragstellerin berücksichtigt in diesem Zusammenhang zudem nicht hinreichend, dass das Landratsamt unter Effektivitätsgesichtspunkten auch die rechtlichen und tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten der Antragstellerin auf das Sanierungsgrundstück berücksichtigt hat. So könne sie durch eine entsprechende Gestaltung der von ihr bestimmten Betriebsabläufe eine zügige Schadensminimierung sowie die Sanierung bzw. entsprechende Sanierungsmaßnahmen direkt durchführen bzw. aktiv unterstützen. Dies ist unter Ermessensgesichtspunkten aus den vom Verwaltungsgericht bereits genannten Gründen (Beschlussabdruck S. 58 f.) aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden. Schließlich ist auch der Hinweis der Antragstellerin auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 10.06.2010 - 22 ZB 09.1928 - NVwZ-RR 2010, 760) nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Denn diese bezog sich mit der Störerauswahl zwischen einem privaten Grundstückseigentümer als (bloßem) Zustandsstörer und einer handlungsverantwortlichen Gebietskörperschaft auf einen mit dem vorliegenden nicht vergleichbaren Sachverhalt.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="85"/>(2) Die Beschwerdebegründung stellt auch die Verhältnismäßigkeit der sofort vollziehbaren bodenschutzrechtlichen Anordnungen nicht durchgreifend in Frage.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="86"/>Die Antragstellerin wirft dem Verwaltungsgericht zu Unrecht vor, es habe ihre fehlende ausreichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht hinreichend gewürdigt. Das Verwaltungsgericht hat sich vielmehr in ausführlicher Weise mit den vorliegenden Gutachten zur Frage ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beschäftigt (Beschlussabdruck S. 60 ff.). Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung schon nicht hinreichend auseinander. Soweit sie auf die ablehnende Haltung ihrer Hausbanken zu einer Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen verweist, die eine finanzielle Obergrenze forderten, berücksichtigt sie zudem nicht hinreichend, dass die hier streitgegenständlichen Anordnungen ausschließlich die Errichtung sowie einen dreijährigen Betrieb der Sanierungsanlagen - nicht aber den anschließenden Weiterbetrieb - betreffen. Dessen Kosten lassen sich auf Grundlage der Betrachtungen des Sanierungsplans aber ohne Weiteres beziffern. Die Antragstellerin übergeht ferner, dass sie als Handlungs- bzw. Verhaltensstörerin in Anspruch genommen werden soll, weswegen ein Kostenvorbehalt im Sinne einer Obergrenze - auch aus verfassungsrechtlicher Sicht mit Blick auf die Eigentumsgarantie und den Schutz ihres eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs - nicht zu verlangen sein dürfte. Denn wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat (Beschlussabdruck S. 66), muss der Verhaltensstörer - anders als der bloße Zustandsstörer, dessen Verantwortlichkeit in der Regel mit dem Verlust des Eigentums oder der Sachherrschaft endet und den sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG ergebenden Grenzen unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.02.2000 - 1 BvR 242/91 u.a. -, BVerfGE 102, 1; Senatsurteil vom 13.03.2014 - 10 S 2210/12 - ESVGH 64, 254 = juris Rn. 48) - für sein Gefahrverursachendes Handeln oder pflichtwidriges Unterlassen unbeschränkt einstehen.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="87"/>Der Senat kann entgegen der insoweit nur knappen Ausführungen in der Beschwerdebegründung auch mit Blick auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit sowie die Angemessenheit der angeordneten Sanierungsmaßnahmen keine Unverhältnismäßigkeit erkennen. Diese berücksichtigen insbesondere nicht hinreichend, dass die angeordneten Sanierungsmaßnahmen auf ausführlichen Untersuchung und Planung beruhen, an der die Antragstellerin im Übrigen selbst beteiligt war, zumal auf Grundlage des zunächst angeordneten dreijährigen Sanierungsbetriebs durchaus ggf. erforderliche Anpassungen vorgenommen werden können. Auch an der Notwendigkeit der Sanierung mit Blick auf die Gefährdung des Grundwassers besteht objektiv kein Anlass zu Zweifeln.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="88"/>4. Die Beschwerde kann schließlich auch deswegen keinen Erfolg haben, weil sie sich nicht in der gebotenen Weise mit der - ihrerseits selbständig tragenden - Erwägung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, dem öffentlichen Vollzugsinteresse sei auch bei einer reinen Folgenabwägung der Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin einzuräumen (Beschlussabdruck S. 69). Das Verwaltungsgericht ist zu der Einschätzung gelangt, das Interesse an einer möglichst zeitnahen Aufnahme des Sanierungsbetriebs nach jahrelanger Vorbereitung zur Erarbeitung eines bestmöglichen, effektiven und nach Möglichkeit zugleich finanziell zumutbaren Sanierungskonzepts sei als höherwertig einzustufen als die ihrerseits durchaus gewichtigen wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin. Dabei sei in den Blick zu nehmen, dass die Sanierung bis zur Beseitigung des Umweltschadens noch Jahre bis Jahrzehnte dauern werde. Gerade angesichts der angeführten Liquiditätsprobleme der Antragstellerin und der sich daraus ergebenden Wahrscheinlichkeit der Erforderlichkeit einer Ersatzvornahme gehe es mit dem Sofortvollzug der Sanierungsanordnung möglicherweise einstweilen „nur“ um die Aufrechterhaltung der Titulierungsoption hinsichtlich der Kosten der Ersatzvornahme. Eine hinreichende Auseinandersetzung der Antragstellerin hiermit kann nicht darin gesehen werden, dass sie - bezugnehmend im Wesentlichen auf die Begründung der Sofortvollzugsanordnung - darauf hingewiesen hat, dass seit dem Brandereignis im Jahre 2007 zwischenzeitlich Jahre vergangen seien und die Gefahr für die Trinkwasserversorgung der Gemeinde Ertingen aufgrund des Ausweichens auf andere Trinkwasserreservoirs inzwischen gebannt sei, an denen trotz kontinuierlicher Prüfung keine Belastungen festzustellen gewesen seien. Denn der Sanierungsbedarf wird hierdurch ebenso wenig substantiiert in Frage gestellt wie das Erfordernis eines zeitnahen Sanierungsbeginns, wobei das Verwaltungsgericht gerade auf den durch die aufwendige Planung bereits eingetretenen Zeitverlust und den zu erwartenden Zeithorizont bis zur Erreichung der Sanierungsziele abgestellt hat. Auf das Argument der einstweilen faktisch bloßen Titulierungsfunktion geht die Beschwerde ebenso wenig ein. Sie zeigt auch nicht auf, welche Rolle es in diesem Zusammenhang spielen soll, dass ein zivilgerichtliches Verfahren zwischen den Beteiligten vergleichsweise beendet worden sei.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>III.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="89"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="90"/>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an den voraussichtlichen Investitions- und Betriebskosten bezogen auf die ersten drei Jahre des Anlagenbetriebs, wie sie im Sanierungsplan (dort S. 56 ff.) geschätzt werden. Entsprechend der Empfehlung in Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der sich hieraus errechnende Gesamtbetrag von 2.734.500,00 EUR für das Eilverfahren zu halbieren.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="91"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr></table>
346,251
ovgnrw-2022-08-16-19-a-73521
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19 A 735/21
2022-08-16T00:00:00
2022-08-20T10:01:08
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0816.19A735.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Berufungszulassung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Die Kläger stützen ihren Antrag auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 VwGO. Keiner dieser Gründe liegt vor. Die Berufung ist weder nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (I.) noch nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (II.) noch nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen der gerügten Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (III.) zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I. Aus der Zulassungsbegründung ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. statt vieler BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 7. Juli 2021 - 1 BvR 2356/19 -, NVwZ-RR 2021, 961, juris, Rn. 23, vom 16. April 2020 ‑ 1 BvR 2705/16 ‑, NVwZ-RR 2020, 905, juris, Rn. 21, und Beschluss vom 18. Juni 2019 ‑ 1 BvR 587/17 -, BVerfGE 151, 173, juris, Rn. 28 ff.; VerfGH NRW, Beschlüsse vom 13. Oktober 2020 ‑ VerfGH 82/20.VB-2 ‑, juris, Rn. 19, und vom 17. Dezember 2019 ‑ VerfGH 56/19.VB-3 -, NVwZ-RR 2020, 377, juris, Rn. 17 ff., jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 oder § 10 StAG hätten, weil ihre Identität und Staatsangehörigkeit nicht geklärt seien. Insbesondere könne nicht festgestellt werden, dass die Kläger tatsächlich wie von ihnen behauptet zur Gruppe der in Syrien behördlich nicht registrierten Maktumin gehörten und staatenlos seien. Es spreche alles dafür, dass es sich bei den vorgelegten, offenbar erst 15 Jahre nach der Ausreise der Kläger aus Syrien beschafften Bescheinigungen um Fälschungen oder Gefälligkeitsbescheinigungen handele. Die eigenen Angaben der Kläger zu ihrer Abstammung und ihren familiären Verhältnissen seien unzureichend und teilweise widersprüchlich. Es sei auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen den Klägern nähere Angaben nicht möglich oder nicht zumutbar sein sollten. Die Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen könnten den unzureichenden Vortrag der Kläger nicht ausgleichen, da sie sich darauf beschränkten, die allgemeinen Angaben der Kläger zu bestätigen, und zudem ebenfalls nicht frei von Widersprüchen seien.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kläger stellen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass ihre Identität und Staatsangehörigkeit nicht geklärt seien, mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht schlüssig in Frage.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts entspricht den Maßgaben aus dem von den Klägern angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2020 - 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, juris, und ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich geprüft, ob die Identität und Staatsangehörigkeit der Kläger aufgrund der von ihnen vorgelegten Dokumente, der Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen und ihres eigenen Vorbringens als geklärt angesehen werden können, und hat überzeugend und klar begründet, warum dies nicht der Fall ist. Der Einwand der Kläger, das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass die Identität eines Einbürgerungsbewerbers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch auf der Grundlage von Zeugenaussagen und seines persönlichen Vorbringens als geklärt angesehen werden könne, ist angesichts dieser Begründung des angefochtenen Urteils unzutreffend.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Zudem verkennen die Kläger die Maßstäbe aus der von ihnen angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, soweit sie ausführen, dass bei der Bewertung der von ihnen vorgelegten Dokumente zu berücksichtigen sei, dass ihnen offizielle staatliche Dokumente nicht ausgestellt würden. Der Umstand, dass dem Einbürgerungsbewerber die Erlangung amtlicher Identitätsdokumente nicht möglich oder zumutbar ist, erlaubt die Berücksichtigung sonstiger Beweismittel, aber entbindet nicht von der Prüfung, ob diese Beweismittel geeignet sind, die Angaben zu seiner Person zu belegen, insbesondere in sich stimmig sind und auch bei einer Gesamtbetrachtung im Einklang mit seinen eigenen Angaben zu seiner Person und seinem übrigen Vorbringen stehen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 - 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, juris, Rn. 19 ff.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">2. Die weiteren Einwände der Kläger, das Verwaltungsgericht habe die von ihnen vorgelegten Dokumente, die Zeugenaussagen und ihr persönliches Vorbringen falsch bewertet, stellen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht schlüssig in Frage.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme und der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Erstgerichts allein genügt nicht zur Begründung ernstlicher Zweifel. Soweit sich das tatsächliche Vorbringen im Zulassungsverfahren – wie dies vorliegend der Fall ist – auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung bezieht, kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Bay. VGH, Beschluss vom 5. Juli 2016 - 10 ZB 14.1402 -, juris, Rn. 6 m. w. N.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Juni 2012 - 18 A 1459/11 -, StAZ 2013, 61, juris, Rn. 9; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23. November 2021 - 10 S 4275/20 -, juris, Rn. 4; zur verfahrensrechtlichen Rüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 VwGO vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 5 B 36.14 -, juris, Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dass derartige Mängel der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung vorliegen, zeigen die Kläger mit ihrer Zulassungsbegründung nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">a) Dies gilt zunächst für die Einwendungen der Kläger gegen die Bewertung der undatierten Bescheinigungen des Bürgermeisters der Stadtteile B.          und J.   T.    der Stadt B1.      im Bezirk R.        , die die Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegt haben.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheinigungen unter anderem deshalb keinen Nachweiswert beigemessen, weil entsprechende amtliche Bescheinigungen nicht zu erhalten seien, wenn die Betroffenen nicht mehr vor Ort in Syrien seien, Fälschungen derartiger Dokumente oder Gefälligkeitsbescheinigungen dagegen leicht zu beschaffen seien und nicht nachvollziehbar sei, wie der Bürgermeister die Richtigkeit der Verbindung der angehefteten aktuellen Passbilder der Kläger mit den angegebenen Personendaten überprüft habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Bürgermeister die Übereinstimmung einer etwaigen Erinnerung an die zuletzt im Alter von sieben und acht Jahren in Syrien befindlichen Kläger mit den auf den Bescheinigungen angebrachten Passbildern der erwachsenen Kläger bewerkstelligt habe.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diese Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Der Einwand der Kläger, nicht jede von einem Stadtteilbürgermeister ausgestellte Bescheinigung könne als Gefälligkeitsschreiben abgetan werden, das Schreiben müsse einer sorgfältigen Echtheitsprüfung unterzogen werden, geht an der einzelfallbezogenen Begründung des Verwaltungsgerichts vorbei und ersetzt keine plausible Antwort auf die nach wie vor offene Frage der Personaldatenprüfung durch den Bürgermeister. Soweit die Kläger damit zugleich sinngemäß rügen, dass das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, den Sachverhalt weiter aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO), zeigen sie nicht auf, dass und gegebenenfalls welche konkrete weitere Beweiserhebung sich dem Verwaltungsgericht angesichts der benannten klaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fälschung oder Gefälligkeitsbescheinigung hätte aufdrängen müssen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">b) Die Kläger zeigen ebenfalls nicht auf, dass die verwaltungsgerichtliche Überzeugungsbildung im Hinblick auf die Bewertung ihres persönlichen Vorbringens und der Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen mangelhaft ist.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Zeugenaussagen und das persönliche Vorbringen der Kläger nicht als geeignet angesehen, die Angaben zu ihrer Person zu belegen, weil sie sich letztlich auf nicht näher erläuterte Behauptungen zu ihrer Herkunft beschränkten, sie zudem gewisse Unstimmigkeiten und Widersprüche aufwiesen, es trotz entsprechender Hinweise des Beklagten und des Gerichts an einer klaren und eingehenden Darlegung der familiären Verhältnisse fehle, die Rückschlüsse auf die Identität der Kläger ermöglichen könnte, und die Kläger nicht dargelegt hätten, aus welchen Gründen ihnen nähere Angaben unmöglich oder unzumutbar sein sollten. Vielmehr hätten die Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst erklärt, ihre Eltern gar nicht über die familiären Verhältnisse befragt zu haben.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Diese Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Die Kläger wenden dagegen nur pauschal ein, dass die Richterin „dem Vortrag dieser einfachen Menschen einfach nicht gerecht geworden“ sei. Im Prinzip hätten sie nicht anderes gesagt, als dass sie aus N.      stammten, einem Dorf, in dem „zum überwiegenden Teil nur syrische Jeziden gewohnt“ hätten. Ob die Familie oder einzelne Personen der Familie aus der Türkei oder eben aus Syrien kämen, seien „für diese einfachen Menschen eher völlig unbedeutende Marginalien, die kaum oder gar nicht in der Familie diskutiert oder gar problematisiert“ würden. Die Unstimmigkeiten bezögen sich nur auf die Einstufung als „Maktumin“, die aber im Grunde für die Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit keine Rolle spiele.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit diesem Zulassungsvorbringen sind gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten in der Beweiswürdigung nicht ansatzweise aufgezeigt. Die Kläger legen im Gegenteil noch nicht einmal dar, inwieweit ihre schlichten Behauptungen, aus dem Ort N.      in Syrien zu stammen und staatenlos zu sein, die von den vernommenen Zeugen ebenfalls nur pauschal bestätigt wurden, ausreichend gewesen sein sollten, dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass die von ihnen angegebenen Personalien richtig sind. Der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ihnen nähere Angaben zu ihren familiären Verhältnissen möglich und zumutbar gewesen wären, sind die Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Auch insoweit beschränkt sich ihr Vortrag auf allgemein gehaltene Behauptungen zu den einfachen Lebensverhältnissen ihrer Familie in Syrien, die sie weder belegt noch substantiiert erläutert haben. Dass sie ihre Eltern nach ihren familiären Verhältnissen oder diesbezüglichen Nachweisen gefragt hätten, haben die Kläger auch im Zulassungsverfahren nicht vorgetragen. Die überzeugende Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass die unzureichende Mitwirkung der Kläger bei der Beweiswürdigung zu ihren Lasten zu berücksichtigen ist, steht auch im Einklang mit der von ihnen angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020, a. a. O., Rn. 21.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">II. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen bedarf es neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- oder Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. April 2020 - 1 BvR 2705/16 -, NVwZ-RR 2020, 905, juris, Rn. 23, und Beschluss vom 18. Juni 2019 - 1 BvR 587/17 -, BVerfGE 151, 173, juris, Rn. 33, jeweils m. w. N.; BVerwG, Beschlüsse vom 22. September 2020 - 1 B 39.20 -, juris, Rn. 3, und vom 2. Dezember 2019 - 2 B 21.19 -, juris, Rn. 4 m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2022 - 19 A 1035/21 -, juris, Rn. 19, vom 30. November 2021 - 19 A 4532/19 -, juris, Rn. 12, vom 30. September 2021 - 19 A 958/21 -, juris, Rn. 27, vom 9. September 2021 - 19 A 3347/20 -, juris, Rn. 23, vom 2. Juli 2021 - 19 A 1113/20 -, juris, Rn. 32, und vom 6. Januar 2021 - 19 A 4359/19 -, juris, Rn. 21, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnen die Kläger die Frage,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">„wie solche Personengruppen, denen im Heimatland keine Personendokumente, wie sie hier in Deutschland für die Einbürgerung verlangt werden, ausgestellt werden, ihre Identität auf andere Weise nachweisen können.“</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Diese Frage ist durch die von den Klägern selbst angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in allgemeiner Form geklärt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020, a. a. O., Rn. 17 ff.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Kläger legen nicht dar, welchen weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf das vorliegende Verfahren aufwerfen soll.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">III. Die Abweichungsrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genügt schon nicht dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Darlegung einer Divergenz setzt voraus, dass die Kläger einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennen, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Behaupten die Kläger hingegen ausschließlich, das Verwaltungsgericht habe einen divergenzfähigen Rechts- oder Tatsachensatz fehlerhaft oder gar nicht angewendet, liegt darin, selbst wenn diese Behauptung zuträfe, lediglich ein Subsumtionsfehler des Verwaltungsgerichts, aber keine Abweichung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO: BVerwG, Beschlüsse vom 16. September 2020 - 8 B 22.20 ‑, juris, Rn. 4, vom 8. September 2020 ‑ 1 B 31.20 ‑, juris, Rn. 22, und vom 17. Dezember 2019 - 9 B 52.18 ‑, NVwZ-RR 2020, 331, juris, Rn. 3; zu § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO und § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG: OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Oktober 2021 - 19 A 592/21.A -, juris, Rn. 23, vom 2. Juli 2021 - 19 A 1113/20 -, juris, Rn. 38, vom 1. Juni 2021 ‑ 19 A 497/21.A -, juris, Rn. 14, vom 19. Mai 2021 - 19 A 642/20.A ‑, juris, Rn. 18, und vom 16. Juli 2020 - 19 A 1035/19 -, juris, Rn. 3, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Ausführungen der Kläger erschöpfen sich darin, geltend zu machen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2020 - 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, juris, in Einklang stehe. Hierin liegt die Rüge allenfalls eines einzelfallbezogenen Subsumtionsfehlers des Verwaltungsgerichts. Welchen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll, lässt sich der Antragsbegründung nicht entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Prüfung vielmehr sogar ausdrücklich die von den Klägern zitierten Maßstäbe aus dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrundegelegt.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Die Bedeutung der Einbürgerung für die Kläger, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat in ständiger Praxis in Anlehnung an Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage, S. 11) mit dem doppelten Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG für jeden Kläger.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,736
lg-hagen-2022-08-15-4-t-122
{ "id": 810, "name": "Landgericht Hagen", "slug": "lg-hagen", "city": 430, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
4 T 1/22
2022-08-15T00:00:00
2022-09-28T10:01:15
2022-10-17T11:10:37
Beschluss
ECLI:DE:LGHA:2022:0815.4T1.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 06.04.2022 aufgehoben.</p> <p>Das Verfahren wird an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen zum Zwecke der Entscheidung über eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 6 GVG an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht.</p> <p>Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.</p> <p>Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>4 T 1/2210 C 389/21Amtsgericht Hagen</p> </td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">In dem Prozesskostenhilfeverfahren</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">des Herrn L, I 2, 58091 Hagen,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Antragsteller und Beschwerdeführer,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">gegen</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Herrn L2, T-Straße, 58097 Hagen,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Antragsgegner und Beschwerdegegner,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Prozessbevollmächtigte:                            Rechtsanwälte B & Partner</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">hat die 4. Zivilkammer Hagenam 15.09.2022durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. X, den Richter am Landgericht Dr. L4 und die Richterin Dr. L3</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><strong>beschlossen:</strong></p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 06.04.2022 aufgehoben.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Verfahren wird an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen zum Zwecke der Entscheidung über eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 6 GVG an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen bzgl. der landwirtschaftlichen Güter des 2018 mit letztem Wohnsitz in Hagen verstorbenen W L (nachfolgend: Erblasser).</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Erblasser war bei seinem Tod Eigentümer des im Grundbuch des Amtsgerichts Hagen von E Blatt 1234 eingetragenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes mit Hofstelle, für den im Grundbuch ein Hofvermerk eingetragen ist. Der Grundbesitz besteht nach dem Inhalt des Grundbuches und laut Mitteilung der Landwirtschaftskammer aus ca. 11 ha Acker, 2 ha Dauergrünland und 17 ha Forst. Der Einheitswert des Hofes wurde vom Finanzamt mit 51.200 DM mitgeteilt.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Erblasser war bis zu seinem Tod verheiratet mit M L. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, und zwar der Antragsteller, Frau B W, geb. L, und der Antragsgegner.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit notariellem Testament vom 24.04.2018, UR-Nr. E75/2018 des Notars F in G setzte der Erblasser den Antragsgegner sowohl zum Hoferben als auch zu seinem Alleinerben seines hoffreien Vermögens ein.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 19.11.2019 erteilte das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht dem Antragsgegner Hoffolgezeugnis und Erbschein.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Mit seiner am 29.12.2021 beim Amtsgericht Hagen eingegangenen „Klage – Stufenklage“ beantragt der Antragsteller,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">den Beklagten/Antragsgegner zu verurteilen,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">1.       Auskunft zu geben aufgrund des Testamentes des Erblassers mit der Urkundennummer E75/2018 über die übertragenen land- und forstwirtschaftlichen Güter,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">• über die übertragenen Waldflächen, den Bestand der Alters- und der Baumgattung in Bezug zu den jeweiligen Parzellen,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">• über das übertragene „Anlage- und Umlaufvermögen",</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">• über das übertragene und selbstgenutzte Grünland, sowie die bei der Landwirtschaftskammer beantragten Basis- und Greeningsprämienansprüche</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">• über das übertragene und selbstgenutzte Ackerland, sowie die bei der Landwirtschaftskammer NRW beantragten Basis- und Greeninprämienansprüche</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">2.       an den Kläger/Antragsteller einen Pflichtteilsanspruch zu zahlen, welcher nach Auskunftserteilung bestimmt wird.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Ferner hat der Antragsteller unter dem 29.12.2021 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwecks Prozess- und Verfahrenskostenhilfe eingereicht.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner die Klage zur Stellungnahme im Prozesskostenhilfeverfahren übersandt.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner ist dem Prozesskostenhilfeantrag entgegengetreten. Er macht unter Hinweis auf das ihm erteilte Hoffolgezeugnis und den im Grundbuch eingetragenen Hofvermerk geltend, die landwirtschaftliche Grundbesitzung nebst Hofstelle sei Hof im Sinne der Höfeordnung. Etwaige Pflichtteilsansprüche würden sich lediglich nach Maßgabe des 1,5-fachen Einheitswertes bemessen. Anders als der Antragsteller meine, habe der Betrieb auch nicht seine Eigenschaft als Hof im Sinne der Höfeordnung verloren.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht Hagen hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 06.04.2022 mit der Begründung zurückgewiesen, der Grundbesitz sei mindestens 40.000 € Wert, „sodass der Pflichtteil bei ½ jedenfalls 20000 Euro wertig sein dürfte (§ 71 GVG, § 114 ZPO)“.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen, dem Antragsteller am 13.04.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 12.05.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde vom 25.04.2022.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Mit Verfügung vom 23.05.2022 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen mit der Begründung, dass nach dem Klagevorbringen der Streitwert weit über die Zuständigkeitsgrenze zum Landgericht hinausgehe.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung der Beschwerde.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">1. Die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO sowie fristgerecht nach § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">a) Die Annahme des Amtsgerichts, es sei sachlich unzuständig, sachlich zuständig sei das Landgericht, weil der Streitwert über 5.000 € liege, ist rechtsfehlerhaft.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Annahme eines Streitwertes von 20.000 € und einer sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts beruht auf einer vom Amtsgericht unzutreffend angenommenen Pflichtteilsquote.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die vom Amtsgericht angenommene Pflichtteilsquote von ½ trifft nicht zu. Vielmehr beläuft sich die Pflichtteilsquote des Antragstellers, die gemäß gem. § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB die Hälfte des dem Pflichtteilsberechtigten im Falle gesetzlicher Erbfolge zustehenden gesetzlichen Erbteils beträgt, auf lediglich 1/12.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Der Erblasser hinterließ neben seiner mit ihm im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehefrau, die er testamentarisch mit einem Vermächtnis bedacht hat und welche bei gesetzlicher Erbfolge einen Erbteil von 1/2 gem. §§ 1931 Abs. 1, 1. Fall, 1371 Abs. 1 BGB erworben hätte, drei Kinder. Diese hätten im Falle gesetzlicher Erbfolge Erbteile von je 1/6 erworben; die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB) beträgt mithin 1/12.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dafür, dass der Antragsteller – von der vorstehenden Berechnung abweichend – eine höhere als die ihm zustehende Pflichtteilsquote geltend machen wollte, was für die Bestimmung des Streitwertes relevant wäre, ist nichts ersichtlich. Vielmehr nimmt die Klageschrift auf das Testament des Erblassers, aus dem sich die Statusangaben der Familie ergeben, Bezug, weshalb die Klageschrift so zu verstehen ist, dass der Kläger seinen sich aus den mitgeteilten Statusangaben der Familie zu errechnenden Anteil verlangt.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage einer Pflichtteilsquote von 1/12 beträgt selbst bei dem vom Amtsgericht angenommenen Nachlasswert von 40.000 € der Streitwert der Leistungsstufe der Stufenklage lediglich 3.333,33 €. Mithin übersteigt der Zuständigkeitsstreitwert der Stufenklage auch unter Berücksichtigung der beim Zuständigkeitsstreitwert nach § 5 ZPO vorzunehmenden Wertaddition  (OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2016 – I-32 SA 49/16 –, Rn. 21, juris;  Herget in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 3, Rn. 16_160) und des mit allenfalls 1/4 des Wertes der Leistungsstufe – mithin 833,33 € – anzusetzenden Wertes der Auskunftsstufe nicht die Wertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG von 5.000 €.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Überdies ist die angefochtene Entscheidung aber auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft aus der Annahme der eigenen Unzuständigkeit als Konsequenz die sofortige Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuches gezogen hat. Richtigerweise hätte das Amtsgericht vor einer Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuchs mit der Begründung, es selbst sei sachlich unzuständig, auf die aus seiner Sicht bestehende Unzuständigkeit  hinweisen und einen Verweisungsantrag anregen müssen. Fehlt nämlich für die Hauptsache die Zuständigkeit, so ist das angerufene Gericht gem. § 127 Abs. 1 S. 2, 1. Hs ZPO auch nicht für die Prozesskostenhilfeentscheidung zuständig und hat es deshalb vor einer Entscheidung hierauf hinzuweisen und eine Verweisung an das zuständige Gericht anzuregen. Erst wenn nach Hinweis und Anregung ein im Falle örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit notwendiger Verweisungsantrag nicht gestellt wird, kann das PKH-Gesuch abgelehnt werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.11.2002 – 2 WF 93/02 –, Rn. 11, juris; Schultzky in: Zöller, ZPO, § 127 Rn. 5). Gegen diese im Falle sachlicher Unzuständigkeit gebotene Verfahrensweise hat das Amtsgericht verstoßen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">b) Die auf der Annahme der eigenen Unzuständigkeit beruhende Entscheidung des Amtsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">aa) Vorliegend sind allerdings weder das Amtsgericht Hagen noch das Landgericht Hagen funktionell zuständig. Vielmehr ist für den Rechtsstreit ausschließlich das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – funktionell zuständig.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Nach § 18 Abs. 1 HöfeO sind für die Entscheidung über alle Anträge und Streitigkeiten, die sich bei Anwendung der Höfeordnung ergeben, die Landwirtschaftsgerichte zuständig. Nach § 1 Nr. 5 LwVfG gilt dies insbesondere für das sog. Anerbenrecht.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Unter das Anerbenrecht fallen dabei auch die auf einen Hof bezogenen Pflichtteilsansprüche gem. §§ 2303 ff. BGB (Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 37; v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 184; Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, 11. Aufl. 2015, HöfeO § 18 Rn. 2). Denn bezogen auf den Hof enthält § 12 Abs. 10 HöfO den Pflichtteilsanspruch modifizierende Sonderregelungen. In Abgrenzung hierzu sind die Prozessgerichte für Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche bezogen auf das hoffreie Vermögen zuständig (Düsing/Martinez, a.a.O Rn. 38; Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann a.a.O. Rn. 2).</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Schwierigkeiten bereitet die Zuständigkeitsabgrenzung – nicht nur bei Pflichtteilsansprüchen sondern stets – dann, wenn der Antragsteller seinen Sachantrag mit Tatsachen begründet, die sowohl ein höferechtliches Begehren als auch einen bürgerlich-rechtlichen Klagegrund ausfüllen (Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 36). Auf Grund der weiten Formulierung des § 18 Abs. 1 HöfeO sind indes alle Angelegenheiten, die in tatsächlicher Hinsicht jedenfalls <em>auch</em> einen höferechtlichen Bezug aufweisen, allein den Landwirtschaftsgerichten zugewiesen (Düsing/Martinez, a.a.O. Rn. 36). Mithin sind die Landwirtschaftsgerichte nach § 1 Nr. 5 LwVfG immer dann zuständig sein, wenn zumindest für eine von mehreren nach dem Tatsachenvortrag des Antragstellers/Klägers in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen jedenfalls auch höferechtliche Vorschriften streitentscheidend sind. Das Landwirtschaftsgericht hat dann den Rechtsstreit gem. § 17 Abs. 2 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden (OLG Hamm, Beschl. v. 05.3.2002 – 10 W 73/01, BeckRS 2002, 17486 Rn. 10; OLG Köln, Beschl. v. 17.06. 2013 – 23 U 12/09, BeckRS 2014, 11269; Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1  Rn. 36; v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 181; Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, 11. Aufl. 2015, HöfeO § 18 Rn. 5). Demgegenüber gehören Verfahren vor das allgemeine Prozessgericht, wenn zwar ein Hof iSd HöfeO Streitgegenstand ist, es bei den streitentscheidenden Fragen jedoch um Tatsachen geht, die keine höferechtlichen Vorschriften berühren, sondern allein bürgerlich-rechtliche Gesichtspunkte betreffen. Ein solcher Fall ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn der Antragsteller in erster Linie Ansprüche auf eine Norm des BGB stützt, hierfür streitentscheidend aber eine höferechtliche Frage ist (OLG Köln Beschl. v. 17.6.2013 – 23 U 12/09, BeckRS 2014, 11269, unter Ziff. II. 1.a); Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1  Rn. 36; v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 182). Demgegenüber ist eine auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen gerichtete Klage rein bürgerrechtlich zu beurteilen mit der Folge der Zuständigkeit des Prozessgerichts, wenn der Hofvermerk im Todeszeitpunkt rechtskräftig – aufgrund einer Hofaufgabeerklärung des Eigentümers mit der Folge des Verlustes der Hofeigenschaft gem. § 1 Abs. 4 HöfeO – gelöscht wurde (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 03.11.1988 – 10 WLw 32/87, BeckRS 1988, 30984580). Gleichsam kommt eine Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts nicht in Frage, wenn der Verlust der Hofeigenschaft unstreitig ist (OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2019 – 10 W 43/19, BeckRS 2019, 11545, Rn 16).</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall der Anwendungsbereich der § 18 Abs. 1 HöfeO, § 1 Nr. 5 LwVfG eröffnet. Es liegt eine Streitigkeit über das Anerbenrecht, nämlich über Pflichtteilsansprüche bezogen auf den Hof vor. Dies folgt schon daraus, dass der Antragsteller in seiner Klageschrift zwar sein Begehren primär auf die Ansicht stützt, es liege trotz eingetragenen Hofvermerks kein Hof mehr vor, er aber gleichwohl unbedingt – sinngemäß auch für den Fall, dass noch ein Hof besteht – seinen Pflichtteil bezogen auf die Hofgrundstücke und -gegenstände verlangt. Insoweit nennt die Klageschrift selbst keinerlei Normen, sondern das uneingeschränkte Begehren nach der Zahlung des Pflichtteils bezogen auf die zum Hof gehörenden Grundstücke und Gegenstände. Dem Antragsteller steht insoweit sowohl bei Vorliegen eines Hofes ein Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB – dann unter Modifikation des § 12 Abs. 10 HöfeO – zu, als auch im Falle des lebzeitigen Wegfalls der Hofeigenschaft. Abgesehen davon wäre es aufgrund des einheitlichen Streitgegenstandes – Auskunfts-/Leistungsantrag bezogen auf den Klagegrund der streitgegenständlichen Hofgrundstücke und -gegenstände – prozessual auch nicht möglich, diesen allein durch Nennung bestimmter Gesetzesvorschriften auf die Anwendung selbiger zu beschränken. Denn im Rahmen desselben Streitgegenstands hat das Gericht stets den Sachverhalt insgesamt rechtlich zu beurteilen, und zwar im vorliegenden Falle auch gem. §§ 17a Abs. 6, 17 Abs. 2 GVG. Mithin weist das zur Entscheidung gestellte Pflichtteilsbegehren bezogen auf die Hofgrundstücke zumindest <em>auch</em> einen höferechtlichen Bezug auf, weil es auch Ansprüche im Falle des Vorliegens der Hofeigenschaft umfasst. Hinzu kommt, dass der durch Hoffolgezeugnis als Hoferbe ausgewiesene Antragsgegner einwendet, es handele sich um einen Hof im Sinne der Höfeordnung, und dass ein Hofvermerk im Grundbuch eingetragen ist, weshalb gem. § 5 HöfeVfO die Vermutung für die durch den Vermerk ausgewiesene Hofeigenschaft – und damit auch eine Vermutung für die Anwendbarkeit der Höfeordnung – spricht. Der Hofvermerk wurde gerade nicht lebzeitig aufgrund Hofaufgabeerklärung des Eigentümers (mit der Folge des § 1 Abs. 4 HöfeO) gelöscht und es ist gerade nicht unstreitig, dass kein Hof vorliegt. Vielmehr ist in beiderlei Hinsicht der umgekehrte Fall gegeben. Die streitentscheidende Frage ist mithin, ob dem Antragsteller ein uneingeschränkter Pflichtteilsanspruch oder – wegen Vorliegen eines Hofes – ein nach § 12 Abs. 10 HöfeO modifizierter Pflichtteilsanspruch zusteht. Diese Frage ist gerade höferechtlicher Art und nach höferechtlichen Vorschriften, die für die Qualifikation des Hofes als solchen im Sinne der Höfeordnung maßgeblich sind (§§ 1 bis 3 HöfeO), zu entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Mithin macht der Antragsteller auf einen Hof bezogene Pflichtteilsansprüche geltend und sind höferechtliche Rechtsfragen streitentscheidend.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ist für den Rechtsstreit ausschließlich das Landwirtschaftsgericht funktionell zuständig.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">bb) Angesichts der funktionellen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Hagen (und des Landgerichts Hagen) erweist sich die angefochtene Entscheidung, mit welcher der Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen wurde, gleichwohl auch nicht im Ergebnis als richtig.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Denn Folge der funktionellen Unzuständigkeit hätte nicht die Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuches durch das unzuständige Amtsgericht Hagen sein dürfen. Vielmehr hätte sich das Amtsgericht Hagen aufgrund der funktionellen Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts von Amts wegen hinsichtlich des anhängigen Rechtsstreits für funktionell unzuständig erklären und diesen nach § 17a Abs. 6 GVG von Amts wegen an das gem. § 18 Abs. 1 HöfeO, § 1 Nr. 5 LwVfG zuständige Landwirtschaftsgericht verweisen müssen, wobei gem. §§ 8, 10 LwVfG iVm § 1 Nr. 2 v) der Verordnung zur Übertragung von Landwirtschaftssachen (NRW) örtlich das Amtsgericht Schwelm als Landwirtschaftsgericht zuständig ist.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Insoweit gelten gemäß § 17a Abs. 6 GVG die Vorschriften über die Rechtswegverweisung für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend, wobei es sich hierbei um eine Frage der funktionellen Zuständigkeit handelt, die insbesondere das Verhältnis von Amts- bzw. Landgericht als Prozessgericht zu den Familien-/FGG-Abteilungen der Amtsgerichte (Musielak/Voit/Wittschier, 19. Aufl. 2022, GVG § 17a) und insoweit auch das Verhältnis von Amts-/Landgericht als Prozessgericht zum Landwirtschaftsgericht als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit betrifft (OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2019 – 10 W 43/19, BeckRS 2019, 11545 Rn. 13; BeckOK GVG, 15. Ed. 2022, § 17a Rn. 18).</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">3. Der Kammer ist es allerdings verwehrt, die nach § 17a Abs. 6 GVG gebotene Verweisung an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – selbst im Rahmen der Beschwerdeentscheidung auszusprechen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Zwar ist es in einem <em>isolierten Prozesskostenhilfeverfahren</em> möglich, das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren in entsprechender Anwendung des § 17a GVG an das funktionell zuständige Gericht zu verweisen. In einem solchen Fall kann dies auch das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Entscheidung über eine bei ihm anhängige PKH-Beschwerde anordnen (BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 276/20 –, Rn. 14, juris). Ist allerdings bereits ein <em>Rechtsstreit in erster Instanz anhängig</em> und gelangt nach Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe lediglich die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe in die Rechtsmittelinstanz, ist das Beschwerdegericht nicht dazu befugt, das Prozesskostenhilfeverfahren isoliert an das Gericht eines anderen Rechtswegs zu verweisen, während der Rechtsstreit selbst noch in erster Instanz des ursprünglich beschrittenen Rechtswegs anhängig ist. In einem solchen Fall ist vielmehr die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe aufzuheben und das Hauptsacheverfahren durch das erstinstanzliche Gericht an das Gericht des anderen Rechtszugs zu verweisen, welches dann auch über die Prozesskostenhilfe entscheidet (BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 276/20 –, Rn. 16, juris; Musielak/Voit/Wittschier, 19. Aufl. 2022, GVG § 17a Rn. 5; Lückemann in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, Vorb zu §§ 17-17c, Rn. 12). Dies gilt nicht nur im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 17a Abs. 1 bis 5 GVG für die Rechtswegverweisung, sondern auch im entsprechenden Anwendungsbereich der Verweisungsvorschrift gem. § 17a Abs. 6 GVG (BGH a.a.O.).</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Entscheidend für die richtige Verfahrensweise in erster Instanz und im Verfahren der PKH-Beschwerde ist mithin die Frage, ob ein <em>isolierter Prozesskostenhilfeantrag</em> vorliegt oder ob zusammen mit dem Prozesskostenhilfeantrag bereits Klage eingereicht wurde mit der Folge, dass ein <em>Rechtsstreit bereits anhängig</em> ist. Bei gleichzeitiger Einreichung einer Klage neben einem PKH-Antrag wird auch der Rechtsstreits als solcher anhängig, es sei denn, der Antragsteller stellt eindeutig klar, dass er den Klageantrag nur bedingt für den Fall der PKH-Bewilligung stellen will (BGH, Beschl. v. 17.12.2008 – XII ZB 185/08 –, Rn. 9, juris; Schultzky in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 117 Rn. 11). Dies kann durch die Erklärung geschehen, über die PKH solle vorab entschieden werden oder die Klage solle erst nach Bewilligung der PKH erhoben werden. Eine Klarstellung geschieht auch dadurch, dass die Klageschrift als Entwurf oder als „beabsichtigte Klage“ bezeichnet oder dass sie nicht unterschrieben wird. Eine Klage wird hingegen zugleich anhängig, wenn der Kläger in dem als „Klage“ bezeichneten Schriftsatz erklärt, es werde „ferner“ oder „weiterhin“ PKH beantragt (Schultzky in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 117 Rn. 11).</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vorliegend handelt es sich um einen Fall der gleichzeitigen Einreichung der Klage und des Prozesskostenhilfeantrags, wobei von einem bereits anhängig gewordenen Rechtsstreit auszugehen ist. Insoweit hat der Antragsteller seine Klage am 29.12.2021 bereits in von ihm unterzeichneter Form, also gerade nicht nur als Entwurf eingereicht. Die Klage enthält zudem nicht einmal eine erkennbare Verknüpfung, geschweige denn eine Bedingung im Verhältnis zu dem zeitgleich ausgefüllt eingereichten Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, mit welchem insoweit auch nur konkludent um Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht wurde. Mangels jedweden Anhaltspunktes für eine bloß bedingte Klageeinreichung ist somit bereits der Rechtsstreit anhängig geworden.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vorgenannten liegt mithin kein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vor, der isoliert verwiesen werden könnte, sondern es liegt ein in erster Instanz bereits anhängig gewordener Rechtsstreit vor, wobei lediglich das Prozesskostenhilfeverfahren in die Beschwerdeinstanz gelangt ist.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Dies schließt eine Verweisung durch das Beschwerdegericht, dem ausschließlich die Beschwerde im PKH-Verfahren angefallen ist, aus und zwingt das Beschwerdegericht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, mit dem Prozesskostenhilfe versagt wurde, sowie ferner dazu, die weitergehenden Anordnungen in der Sache gem. § 572 Abs. 3 ZPO dem Amtsgericht zu übertragen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.04.2011 – 10 W 2/11 –, juris). Infolge der Zurückverweisung hat das Amtsgericht dann über die Verweisung des Rechtsstreits (nicht nur des Prozesskostenhilfeverfahrens) an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – zu entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">4. Für das weitere Verfahren weist die Kammer auf Folgendes hin:</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Nach § 17a Abs. 6 GVG wird sich das Amtsgericht von Amts wegen aus den oben unter Ziff. 2b) genannten Gründen für funktionell unzuständig zu erklären und zugleich <em>den Rechtsstreit</em> als solchen – nicht nur das Prozesskostenhilfeverfahren – an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht zu verweisen haben. Die Verweisung des Rechtsstreits umfasst auch das Prozesskostenhilfeverfahren.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Kammer weist ferner darauf hin, dass der Verweisungsbeschluss gemäß § 17a Abs. 6, Abs. 4 S. 2 GVG zu begründen ist, wobei wegen der Einzelheiten der Begründung eine Bezugnahme auf die Entscheidung der Kammer möglich ist. Der Verweisungsbeschluss unterliegt der Anfechtbarkeit nach § 17a Abs. 4 S. 3 GVG.</p> <span class="absatzRechts">68</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Dr. X</p> </td> <td><p>Dr. L4</p> </td> <td><p>Dr. L3</p> </td> </tr> <tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table>
346,684
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{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
1 A 1693/19
2022-08-15T00:00:00
2022-09-23T10:01:18
2022-10-17T11:10:30
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.1A1693.19.00
<h2>Tenor</h2> <p>Das angegriffene Urteil wird geändert.</p> <p>Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 7. März 2018 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Bewilligung weiteren Mietzuschusses für den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 31. Dezember 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beklagte zu 70 vom Hundert und der Kläger zu 30 vom Hundert.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p> <p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Tatbestand</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger wurde als Soldat auf Zeit zum 1. Juli 2005 zum „Deutsch-Französischen Heeresfliegerausbildungszentrum TIGER“ in M.    , Frankreich, versetzt. Dort mietete er ab dem 1. Oktober 2005 eine unmöblierte Wohnung für eine monatliche Miete von 750 Euro an.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf seinen Antrag vom 16. April 2005 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 dem Grunde nach einen Mietzuschuss gemäß § 57 BBesG in der Fassung vom 6. August 2002. Ausweislich dieses Bescheides sollte für die Berechnung des Mietzuschusses eine monatliche fiktive Leerraummiete i. H. v. 670 Euro („Mietobergrenze eines Alleinstehenden“) zugrundegelegt werden, da der Kläger nicht die günstigste Möglichkeit der Wohnraumbeschaffung genutzt habe.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Aufgrund vertraglicher Mieterhöhungen wurde die ursprünglich festgesetzte fiktive Leerraummiete in der Folgezeit angehoben. So wurde die Leerraummiete mit Bescheid vom 9. Oktober 2007 rückwirkend zum 1. Oktober 2007 auf 691,39 Euro und mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 rückwirkend zum 1. Oktober 2008 auf 707,86 Euro festgesetzt. Das Mietverhältnis endete mit Ablauf des Monats August 2013, nachdem der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland zurückversetzt worden war. Während der Mietdauer erhielt der Kläger ferner Zuschüsse zu Mietnebenkosten auf der Grundlage der ursprünglichen Mietobergrenze von 670 Euro.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 13. April 2015 beantragte der Kläger unter Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2015 – 2 C 13.13 –, juris, die Neuberechnung und Nachzahlung von Mietzuschuss. Der Berechnung des Zuschusses müsse die jeweils aktuelle – zwischenzeitlich erhöhte – Mietobergrenze zugrunde gelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. April 2015 ab. Nach den einschlägigen Arbeitshinweisen sei die Mietobergrenze anzuwenden, die zu Beginn der dienstlichen Maßnahme des Mietzuschussberechtigten festgesetzt worden sei, hier also 670 Euro. Ein „Hineinwachsen“ in die fortgeschriebene Mietobergrenze komme nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 4. Mai 2015 Widerspruch ein.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 22. Januar 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass unter Berücksichtigung der für Besoldungsansprüche geltenden dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB die ihm zu zahlenden Mietzuschüsse rückwirkend ab dem 1. Januar 2012 zu überprüfen seien und sein Antrag auf Neufestsetzung der Mietzuschüsse erneut zu bescheiden sei. Die hierbei zu berücksichtigende Mietobergrenze werde ebenfalls ab dem 1. Januar 2012 auf 800,00 Euro festgesetzt, so dass ab diesem Tag die tatsächlich von dem Kläger gezahlte Miete (792,37 Euro) anzusetzen sei. Ebenfalls mit Bescheid vom 22. Januar 2016 wurden die Zuschüsse zu den Mietnebenkosten „Nachbarschaftsrisikoversicherung“ und „Wohnraumsteuer“ neu berechnet und dem Kläger ein Betrag von 88,30 Euro nachgezahlt.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Gegen die Bescheide vom 22. Januar 2016 legte der Kläger mit Schreiben vom 4. April 2016 „Widerspruch“ ein. Zur Begründung führte er aus, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe ihm ein Anspruch auf Neu- bzw. Nachberechnung des Mietzuschusses unter fortlaufender Berücksichtigung der jeweils geltenden Mietobergrenze für den Zeitraum von September 2005 bis Dezember 2011 zu.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte wertete diesen „Widerspruch“ als Beschwerde und wies diese mit Bescheid vom 15. September 2017 zurück. Zur Begründung führte sie aus, das Bundesministerium der Verteidigung habe mit Erlass vom 6. November 2015 festgelegt, dass auf Antrag Mietzuschussbewilligungen bis zum Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren zu überprüfen und unter Anwendung der aktuellen Rechtsprechung zu bescheiden seien. Die dreijährige Regelverjährungsfrist beginne grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt habe oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Da im Fall des Klägers eine Fristberechnung für die Vergangenheit erfolge, beginne die regelmäßige Verjährungsfrist nicht mit dem Ablauf, sondern mit dem Beginn des Jahres, in dem er diese Kenntnis erlangt habe. Die Frist beginne daher am 1. Januar 2015. Der Kläger habe von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2015 Kenntnis erlangt. Eine Nachberechnung des Mietzuschuss komme daher lediglich für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2012 in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 20. Oktober 2017 Klage erhoben und zu ihrer Begründung sein Vorbringen aus dem Beschwerdeverfahren vertieft. Ursprünglich hat der Kläger sinngemäß beantragt, die Beklagte unter entsprechender (Teil-)Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 22. Januar 2016 sowie des Beschwerdebescheides vom 15. September 2017 zu verpflichten, den Mietzuschuss betreffend den Zeitraum vom 1. September 2005 bis zum 31. Dezember 2011 erneut zu berechnen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 14. Februar 2018 hat die Beklagte den Bescheid vom 24. April 2015 und den „Bescheid (…) vom 22. Januar 2016 (…), soweit er nicht bestandskräftig ist, in Gestalt des Beschwerdebescheides (…) vom 15. September 2017“ mit der Begründung aufgehoben, eine Neuberechnung des Mietzuschusses sei versagt worden, weil ein Hineinwachsen in die Mietobergrenze nicht möglich sei. Dies verstoße gegen geltendes Recht. Der Bescheid vom 22. Januar 2016 sei aus demselben Grund rechtswidrig. Die Bundeswehrverwaltungsstelle in Frankreich, Außenstelle M.    , sei angewiesen worden, über den Antrag des Klägers auf „Nachberechnung des Mietzuschusses für den Zeitraum 9/2005 bis 12/2011 ermessensfehlerfrei zu entscheiden“.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 7. März 2018 hat die Beklagte eine Neufestsetzung des Mietzuschusses für den Zeitraum von September 2005 bis Dezember 2011 erneut abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 VwVfG, das mit bestandskräftigem Bewilligungsbescheid vom 27. Oktober 2005 seinen Abschluss gefunden habe. Aus Gründen der Rechtssicherheit, des Rechtsfriedens, der Verfahrensökonomie sowie der Möglichkeit, rechtzeitig das Wiederaufgreifen des Verfahrens zu beantragen, werde die Einrede der Verjährung erhoben. Der Anspruch auf „Hineinwachsen“ der fiktiven Miete in die später höhere Mietobergrenze sei jeweils in dem Jahr entstanden, in dem die höhere Mietobergrenze durch die zuständige Behörde festgelegt worden sei. Der Kläger habe von den anspruchsbegründenden Umständen regelmäßig im gleichen Jahr Kenntnis erlangt oder hätte diese Kenntnis erlangen können. Die Mieten richteten sich unter anderem nach den örtlichen Gegebenheiten und seien daher einem stetigen Wandel unterzogen. Deshalb würden auch die Mietobergrenzen im Rahmen von jährlichen Erkundigungen überprüft und neu festgesetzt. Dem Kläger dürfte bekannt gewesen sein, dass Mieten sich regelmäßig ändern könnten und somit auch die Mieterobergrenzen angepasst würden. Hiernach hätte sich der Kläger auch erkundigen können. Bei Antragstellung seien daher alle Ansprüche auf „Hineinwachsen“ in die geänderte Mietobergrenze für die Jahre 2005 bis 2011 verjährt gewesen. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 22. Januar 2015 – 2 C 13.13 – nicht verlangt, dass Mietzuschuss ohne Rücksicht auf Verjährungsfristen geltend gemacht werden könne.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2018 die angegriffenen Bescheide zum Teil aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat sodann sinngemäß beantragt,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verpflichten, für den Zeitraum von September 2005 bis einschließlich Dezember 2011 eine Nachberechnung des ihm zustehenden Mietzuschusses durchzuführen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Zu der von ihr erhobenen Verjährungseinrede hat die Beklagte ergänzend vorgetragen: Der Kläger habe bereits „zwei Mal zuvor eine Erhöhung beantragt“. Auch im vorliegenden Fall hätte er einen Antrag stellen und gegen einen etwaigen Bescheid vorgehen können. Eine bloße Nachfrage wäre für ihn auch ohne weiteres möglich gewesen. Mietobergrenzen und deren Erhöhung würden im Zuständigkeitsbereich bekannt gegeben. Es bestehe auch die Verpflichtung, sich hierüber zu informieren. Der Fall sei mit dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen nicht vergleichbar. Darüber hinaus stehe einem Anspruch des Klägers auch der „Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung“ entgegen. Da die Alimentation einen gegenwärtigen Bedarf decken solle, könne der Beamte nicht erwarten, Besoldungsleistungen für zurückliegende Haushaltsjahre zu erhalten, solange er sich mit der gesetzlichen Alimentation zufriedengegeben habe.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit Urteil vom 12. März 2019 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, für den Zeitraum von Oktober 2005 bis einschließlich Dezember 2011 eine Nachberechnung des dem Kläger zustehenden Mietzuschusses durchzuführen und im Übrigen (betreffend den Monat September 2005) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, hinsichtlich des Monats September 2005 habe die Klage keinen Erfolg, weil das streitgegenständliche Mietverhältnis ausweislich des Mietvertrages erst am 1. Oktober 2005 begonnen habe. Im Übrigen sei die Klage zulässig und begründet. Der Kläger habe einen Anspruch auf Nachberechnung des für seine damalige Wohnung in M.     gewährten Mietzuschusses aus § 57 Abs. 1 Satz 1 BBesG (bis zum 30. Juni 2010) bzw. § 54 Abs. 1 Satz 1 BBesG (ab dem 1. Juli 2010). Dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Mietzuschuss für den vorbezeichneten Zeitraum zustehe, habe die Beklagte bereits mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 anerkannt. Die Höhe des Zuschusses sei jedoch unzutreffend berechnet worden, da ausschließlich die zu Beginn des Mietverhältnisses bestehende Mietobergrenze von 670 Euro zugrundegelegt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei jedoch nicht die zu Beginn des Mietverhältnisses gültige Mietobergrenze anzuwenden, sondern die fortgeschriebene, für den jeweiligen Monat geltende. Ein „Einfrieren“ des zuschussfähigen Mietanteils auf die im Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses geltenden Sätze sei in § 57 BBesG bzw. § 54 BBesG ebenso wenig vorgesehen wie eine Differenzierung zwischen Neuvermietungen und Bestandsmieten. Die Beklagte habe für den vorgenannten Zeitraum bislang nicht überprüft, ob angesichts der jährlichen Neufestsetzung der Mietobergrenze eine Anpassung des dem Kläger gewährten Mietzuschusses vorzunehmen sei.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch sei nicht verjährt. Für beamtenrechtliche Besoldungsansprüche und damit auch für Mietzuschüsse als Teil der Auslandsbesoldung (§ 1 Abs. 2 Nr. 6 BBesG) gelte die dreijährige Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Die Verjährungsfristfrist beginne mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt habe oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der Anspruch des Klägers auf Anpassung des Mietzuschusses sei jeweils zu dem Zeitpunkt entstanden, zu welchem die Mietobergrenze von der zuständigen Stelle angehoben worden sei. Besoldungsansprüche entstünden gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BBesG grundsätzlich monatlich im Voraus. Die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen jedoch nicht vor. Maßgeblich sei, ob dem Kläger die in den Jahren 2005 bis 2011 erfolgten Anpassungen der Mietobergrenze als jeweils anspruchsbegründende Umstände bekannt waren oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt waren. Eine positive Kenntnis des Klägers werde von der Beklagten weder behauptet noch sei sie im Übrigen ersichtlich. Die Unkenntnis des Klägers beruhe auch nicht auf grober Fahrlässigkeit. Diese setze einen schwerwiegenden und objektiv sowie subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liege demnach nur dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehle, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder nicht das beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, etwa wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt hätten und er leicht zugängliche Informationen nicht genutzt hätte. Sollte sich – wie zu unterstellen sei – der Kläger für den streitbefangenen Zeitraum bei der Beklagten nicht nach etwaigen Veränderungen der Mietobergrenze erkundigt haben, liege darin jedenfalls kein grob fahrlässiger, also schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in diesem Sinne. Dass der Kläger von den Anpassungen der Mietobergrenze Kenntnis habe erlangen „können“ bzw. sich entsprechend erkundigen „können“, begründe allenfalls auf ein (einfach) fahrlässiges Verhalten. Abgesehen hiervon seien keine Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die zu der Schlussfolgerung führen könnten, dass ein Unterlassen der Erkundigung „geradezu unverständlich“ gewesen sei. Im Gegenteil sei davon auszugehen, dass dem Kläger noch nicht einmal einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden könne. Insbesondere sei er im streitbefangenen Zeitraum nicht aufgrund als bekannt vorauszusetzender Rechtsprechung gehalten gewesen, regelmäßige Erkundigungen über die jeweils aktuelle Höhe der Mietobergrenze einzuholen. Das Bundesverwaltungsgericht habe erst mit Urteil vom 22. Januar 2015 entschieden, dass Bedienstete in nach Anmietung der Auslandswohnung erhöhte Mietobergrenzen „hineinwachsen“ könnten, während die Vorinstanzen einen entsprechenden Anspruch noch abgelehnt hätten. Zudem stehe einer solchen Erkundigungspflicht die damalige Verwaltungspraxis der Beklagten entgegen, die noch bis zum Jahr 2016 als Berechnungsgrundlage ausschließlich auf die zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses geltende Mietobergrenze abgestellt habe. Die Beklagte habe nicht dargelegt, aus welchem Grund sich der Kläger habe veranlasst sehen sollen, sich Kenntnis von den jährlichen Fortschreibungen der Mietobergrenze zu verschaffen. Der Hinweis, der Kläger habe „zwei Mal zuvor eine Erhöhung beantragt“, führe ebenfalls nicht weiter. Diese Anträge hätten auf vertraglichen Mieterhöhungen, nicht aber auf Änderungen der Mietobergrenze beruht. Dass dem Kläger eine bloße Nachfrage ohne weiteres möglich gewesen sei, führe allein ebenfalls nicht zu einer grob fahrlässigen Unkenntnis. Hinzutreten müssten vielmehr Umstände, welche die unterlassene Erkundigung als schlechterdings unverständlich erscheinen ließen. Auch der Einwand der Beklagten, Mietobergrenzen bzw. deren Erhöhung würden „im Zuständigkeitsbereich bekannt gegeben“, genüge nicht der Darlegungslast der Beklagten, zumal sich im gesamten Verwaltungsvorgang keine Hinweise für eine entsprechende Bekanntgabe an den Kläger fänden. Etwas anderes folge auch nicht aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 16. Januar 2018 – 6 K 250/15 –. Im Hinblick auf die Problematik des Verjährungsbeginns liege dieser Entscheidung eine andere Sachverhaltskonstellation zugrunde. Während der dortige anspruchsbegründende Umstand (Verwendung auf einem höherwertigen Dienstpostens) dem Beamten ohne weiteres von Beginn an bekannt gewesen sei, setze die vorliegend maßgebliche Kenntnis der Fortschreibung der Mietobergrenze aufgrund ihrer „externen“, also außerhalb des Beamtenverhältnisses liegenden Natur eine gezielte Erkundigung des Beamten voraus. Der Anspruch entfalle auch nicht aufgrund des Grundsatzes der zeitnahen Geltendmachung. Dieser finde ausschließlich Anwendung auf Ansprüche „außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Besoldung“. Der vorliegend streitige Anspruch auf Mietkostenzuschuss sei jedoch Bestandteil der gesetzlich normierten Besoldung.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung der mit Beschluss vom 24. Februar 2022 zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger keinen Anspruch auf Nachbewilligung von Mietzuschusses für den Zeitraum Oktober 2005 bis Dezember 2011. Der Ablehnungsbescheid vom 22. Januar 2016 in Form des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2017 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Anspruch auf Neuberechnung stehe bereits die Bestandskraft der Bewilligungsbescheide vom 27. Oktober 2005, 9. Oktober 2007 und 23. Oktober 2008 entgegen. Dem Kläger sei seinerzeit auf seinen Antrag Mietzuschuss auf Grundlage der zu dieser Zeit geltenden Mietobergrenze gezahlt worden. Die Möglichkeit, eine teurere Wohnung anzumieten und auf ein „Hineinwachsen“ in die künftige höhere Mietobergrenze zu spekulieren, habe zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden. Soweit die Miete daher die zum Zeitpunkt der Anmietung geltende Mietobergrenze überschritten habe, gehe dies grundsätzlich zulasten des Klägers. Spätere Änderungen der Mietobergrenzen hätten hierauf keine Auswirkungen. Eine spätere Änderung der Rechtsprechung habe grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit von bestandskräftigen Bescheiden. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Korrektur bestandskräftig gewordener, aber inhaltlich unrichtiger Entscheidungen bestehe nicht. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit sei nur ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes gegeben, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ sei. Diese Voraussetzung liege ersichtlich nicht vor. Der Kläger habe die seinerzeit geltende Mietobergrenze gekannt und in diesem Rahmen eine Wohnung anmieten können. Falls ein Betroffener ausnahmsweise innerhalb des Rahmens keine adäquate Wohnung finde, könne auch eine teurere Wohnung anerkannt werden. Der Kläger habe jedoch bewusst eine teurere Wohnung angemietet und nicht geltend gemacht, er habe unterhalb der Mietobergrenze keine Wohnung finden können. Auch müsse sich die Beklagte bei bestandskräftigen Bescheiden nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Aufgrund der Bestandskraft der Bewilligungsbescheide fehle es bereits an einem Anspruch des Klägers. Ein Leistungsverweigerungsrecht müsse daher nicht geltend gemacht werden. Des Weiteren nehme das Gericht fehlerhaft an, es gelte die kenntnisabhängige dreijährige Regelverjährung der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Es verkenne, dass es auf eine Kenntnis des Klägers nicht ankomme, da eine Neubescheidung für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2012 zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei. Das Bundesministerium der Verteidigung habe mit Erlass vom 16. Dezember 2015 die antragsbearbeitenden Stellen angewiesen, das Urteil auf alle Bewilligungen ab dem Tag des Urteils (22. Januar 2015) anzuwenden. Für Altfälle, die zuvor unanfechtbar geworden seien, sei angewiesen worden, diese auf Antrag im Rahmen der Verjährungsfristen neu zu bescheiden. Der Erlass beziehe sich dabei auf die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist, d. h. rückwirkend bis 2012. Eine weiter in die Vergangenheit reichende Prüfung sei erkennbar nicht beabsichtigt gewesen und auch nicht praktiziert worden. Mit der getroffenen Regelung habe die Beklagte den Antragstellern vielmehr aus Kulanz entgegenkommen wollen, ohne dass diese rechtlich hierauf einen Anspruch gehabt hätten. Keinesfalls könne diese Regelung so verstanden werden, dass die Beklagte alle Altfälle unabhängig davon wie viele Jahre die Bescheidung zurückliege, neu habe regeln wollen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Er verteidigt die angegriffene Entscheidung und trägt ergänzend vor: Das Verwaltungsgericht sei nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Insbesondere habe es den Bescheid vom 14. Februar 2018, in dem dem Kläger mitgeteilt worden sei, sein Antrag auf Nachberechnung des Mietzuschusses für den Zeitraum September 2005 bis Dezember 2011 werde ermessensfehlerfrei neu beschieden, im Tatbestand aufgeführt. Die Berufungsbegründung setze sich auch mit den Urteilsgründen betreffend die Einrede der Verjährung nicht auseinander. Die Verjährung sei nach dem eigenen ausführlichen Vortrag der Beklagten zu beachten. Entgegen dem Vortrag der Beklagten sei in dem Erlass des Bundesministeriums für Verteidigung vom 16. Dezember 2015 nicht darauf abgestellt worden, dass die Bestandskraft der betroffenen Bewilligungsbescheide noch keine drei Jahre zurückliege. Vielmehr werde darauf abgestellt, dass Anträge auf Nachberechnung im Rahmen der Verjährungsfrist erneut zu bescheiden seien. Damit lege die Beklagte selbst die Regelverjährung zugrunde. Die weiteren Ausführungen der Beklagten zum Verjährungsbeginn seien widersprüchlich. Einerseits trage sie vor, man habe bewusst von der Veröffentlichung der Mietobergrenzen abgesehen, um die damit verbundenen Folgen zu verhindern. Andererseits behaupte die Beklagte, dass sich die Anhebung schnell herumspreche. Auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Überprüfungspflicht des Klägers setze die Beklagte mit der Berufungsbegründung nichts Durchgreifendes entgegen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (1 Heft) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe</span></p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung der Beklagten ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Klage mit dem sinngemäßen Antrag,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 7. März 2018 zu verpflichten, die Bescheide vom 27. Oktober 2005, vom 9. Oktober 2007 und vom 23. Oktober 2008 zurückzunehmen, soweit sie die Mietobergrenze festsetzen, und dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2011 Mietzuschuss auf der Grundlage der jeweils geltenden Mietobergrenzen zu bewilligen (dazu I.),</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">ist nur teilweise begründet.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Bescheide vom 27. Oktober 2005, vom 9. Oktober 2007 und vom 23. Oktober 2008. Die Beklagte ist verpflichtet, seinen Antrag auf (teilweise) Rücknahme und Neubewilligung des Mietzuschusses betreffend den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 31. Dezember 2011 neu zu bescheiden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Der Bescheid vom 7. März 2018 war entsprechend aufzuheben (dazu II.).</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">I. Der erstinstanzlich ausdrücklich gestellte Klageantrag ist in der o. a. Weise auszulegen und klarstellend um den implizit mit enthaltenen Antrag zu ergänzen, die Beklagte zu verpflichten, die ursprünglichen Bewilligungsbescheide vom 27. Oktober 2005 sowie die Änderungsbescheide vom 9. Oktober 2007 und vom 23. Oktober 2008 zurückzunehmen, soweit sie die maßgebliche (fiktive) monatliche Leerraummiete bestimmen. Die begehrte Neubewilligung von Mietzuschuss für den streitgegenständlichen Zeitraum auf der Grundlage der geänderten Mietobergrenzen setzt die entsprechende Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide notwendig voraus, weil die Mietobergrenze in Form der fiktiven monatlichen Leeraummiete dort – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – verbindlich auf eine Höhe von 670 Euro festgesetzt bzw. auf dieser Grundlage fortgeschrieben wurde. Der Kläger hat die Aufhebung der Bewilligungsbescheide mit Schreiben vom 13. April 2015 in der Sache auch beantragt. Davon geht auch die Beklagte sowohl in dem Bescheid vom 14. Februar 2018 mit der Anweisung an die zuständige Stelle, über den Antrag des Klägers auf „Nachberechnung des Mietzuschusses für den Zeitraum 9/2005 bis 12/2011 ermessensfehlerfrei zu entscheiden“, als auch in dem Bescheid vom 7. März 2018 betreffend die – abgelehnte – Wiederaufnahme des Verfahrens aus. Die Einbeziehung des erst nach Klageerhebung ergangenen Bescheides vom 7. März 2018 ist nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 Fall 1 ZPO zulässig, jedenfalls aber sachdienlich im Sinne von § 91 Abs. 1 Fall 2 VwGO. Dieser Bescheid ist in der Sache an die Stelle der mit Bescheid vom 14. Februar 2018 aufgehobenen Bescheide vom 24. April 2015, vom 22. Januar 2016 und vom 15. September 2017 getreten, ohne dass sich damit die im Klageverfahren maßgeblichen Streitfragen geändert hätten.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Der Kläger musste den Bescheid vom 7. März 2018 – ungeachtet dessen, dass er nach Ablauf der Frist des § 75 Satz 2 VwGO jederzeit hätte Untätigkeitsklage erheben können – auch nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbeziehen. Zwar gilt die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich auch bei der Einbeziehung eines Bescheides in ein Verwaltungsgerichtsverfahren im Wege der Klageänderung. Eine Klagefrist muss allerdings dann nicht eingehalten werden, wenn die nach der Änderung oder Ersetzung verbleibenden Bestandteile des ursprünglich und fristgerecht angefochtenen Bescheides und die Regelungsbestandteile des Änderungs- oder Ersetzungsbescheides nach materiellem Recht unteilbar sind.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1997– 3 C 35.96 –, juris, Rn. 35 ff.; und vom 11. November 2020 – 8 C 22.19 –, juris, Rn. 25 f.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Dies ist hier der Fall.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">II. Der Bescheid der Beklagten vom 7. März 2018 ist teilweise rechtswidrig. Die Bescheide vom 27. Oktober 2005, vom 9. Oktober 2007 sowie vom 23. Oktober 2008 sind bezogen auf den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 31. Dezember 2011 rechtswidrig (dazu 1.). Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf entsprechende Rücknahme der Bescheide, sondern lediglich Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags (dazu 2.). Die Beklagte hat ihr Ermessen bislang nicht fehlerfrei ausgeübt (dazu 3.).</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">1. Nach § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein unanfechtbarer, also bestandskräftiger rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden (sog. Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen bezogen auf den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis zum 28. Februar 2006 nicht vor. Insoweit fehlt es schon an einer Rechtswidrigkeit des – hier allein maßgeblichen – Bescheides vom 27. Oktober 2005.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Nach §§ 52 Abs. 1 Sätze 1 und 3 Nr. 3,  57 Abs. 1 Satz 1 BBesG in der Fassung vom 6. August 2002 und §§ 52 Abs. 1 Sätze 1 und 3 Nr. 3, 54 Abs. 1 Satz 1 BBesG in der Fassung vom 5. Februar 2009 erhalten Beamte, Richter und – wie hier – Soldaten mit dienstlichem und tatsächlichem Wohnsitz im Ausland neben den Dienstbezügen, die ihnen bei einer Verwendung im Inland zustehen, Auslandsdienstbezüge u. a. in Form eines Mietzuschusses. Der Mietzuschuss wird gewährt, wenn die Miete für den als notwendig anerkannten leeren Wohnraum (zuschussfähige Miete) 18 Prozent der Summe aus Grundgehalt, Familienzuschlag der Stufe 1, Amts-, Stellen-, Ausgleichs- und Überleitungszulagen mit Ausnahme des Kaufkraftausgleichs übersteigt. Bei der Berechnung des Mietzuschusses muss die zu berücksichtigende Miete geänderten Mietobergrenzen angepasst werden. Erhöht sich der zuschussfähige Mietanteil im Rahmen der regelmäßigen Anpassung der Mietobergrenzen, ist auch der Mietzuschuss entsprechend nachzuführen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2015 – 2 C13.13 –, juris, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Einer solchen Anpassung bedurfte es bis zum 28. Februar 2006 nicht. Die Festsetzung der fiktiven Leeraummiete in Höhe von 670 Euro entsprach der bis dahin gültigen Mietobergrenze. Wie sich aus der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23. März 2022 vorgelegten Übersicht ergibt, wurde die einschlägige Mietobergrenze erst im März 2006 angehoben. Dafür dass die ursprünglich maßgebliche Mietobergrenze rechtswidrig gewesen sein könnte, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Bezogen auf den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 31. Dezember 2011 sind die Bescheide allerdings rechtswidrig, soweit sie die fiktive Leerraummiete weiter auf der Grundlage der am 27. Oktober 2005 geltenden Mietobergrenze festsetzen bzw. fortschreiben. Die ab März 2006 erfolgten Änderungen der Mietobergrenze blieben unberücksichtigt.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">2. Die Beklagte ist (nur) verpflichtet, den Antrag des Klägers insoweit neu zu bescheiden. Die Rücknahme der Bescheide steht gemäß § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Ermessen der Beklagten. Dieses ist nicht zugunsten des Klägers „auf Null“, also auf einen Anspruch auf Rücknahme, reduziert.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">a) Wie das in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnete Rücknahmeermessen belegt, ist der zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führende Rechtsverstoß als solcher prinzipiell noch kein ausreichender Grund für eine Ermessensreduzierung. Vielmehr räumt der Gesetzgeber bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes bzw. dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit– jeweils als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips – einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr (im Ausgangspunkt) gleichberechtigt nebeneinander. Dementsprechend gibt es auch keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 –, juris, Rn. 80, und Beschluss vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 1982/01 –, juris, Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011– 2 C 50.09 –, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 A 2021/13 –, juris, Rn. 56.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist. Ob solches angenommen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 9. September 2021 – 2 C 1.20 –, juris, Rn. 28; vom 24. Februar 2011 – 2 C 50.09 –, juris, Rn. 11, jeweils m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 A 2021/13 –, juris, Rn. 58.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Unbeschadet der insoweit – zumindest als etwaiges Korrektiv – stets gebotenen Betrachtung des Einzelfalles haben sich in der Rechtsprechung bestimmte Fallgruppen herausgebildet, in denen im Allgemeinen zu bejahen ist, dass eine Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes unerträglich ist. Hierunter fällt etwa, dass die Aufrechterhaltung als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, als Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheint, dass der Verwaltungsakt schon im Erlasszeitpunkt offensichtlich rechtswidrig war oder dass das einschlägige Fachrecht dem Rücknahmeermessen eine bestimmte Richtung vorgibt.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 2021 – 2 C 1.20 –, , Rn. 29 m. w. N.; Hamb. OVG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 1 Bf 10/12 , juris, Rn. 37, OVG NRW, Urteil vom 20. Januar 2016– 1 A 2021/13 –, juris, Rn. 60 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist für die Abwägung der oben genannten widerstreitenden Rechtsgüter auch von Bedeutung, ob es um eine Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit, namentlich schon vom Erlasszeitpunkt an, oder aber (nur) um eine solche mit Wirkung von einem späteren Zeitpunkt an bzw. für die Zukunft geht.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – 4 S 1790/10 –, juris, Rn. 31 ff. bzw. 41 ff.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit kommt dabei vor allem bezogen auf die Vergangenheit ein besonderes und insoweit zumeist überwiegendes Gewicht zu. Das hat vor allem Bedeutung für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Eine zeitliche Zäsur besonderer Art greift für die Fallgruppe der bestandskräftigen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, deren Rechtswidrigkeit darauf beruht, dass sie auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen sind, wobei die Frage eines Verfassungsverstoßes im Zeitpunkt ihres Erlasses noch nicht abschließend geklärt war. Insoweit gilt, dass es unter Orientierung an der gesetzlichen Wertung des § 79 Abs. 2 BVerfGG für die Determinierung des Rücknahmeermessens maßgeblich auf den Zeitpunkt des Nichtigkeitsausspruchs durch das Bundesverfassungsgericht ankommt. Während die Verwaltung für die vor diesem Zeitpunkt liegende Zeit die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung ermessensfehlerfrei ablehnen kann, wenn nicht sogar ablehnen muss (Rückabwicklungsverbot), setzt sich für die Zeit danach der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit im Konfliktfall gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit durch, ist also der bestandskräftige Verwaltungsakt im Regelfall ab diesem Zeitpunkt an die sich aus der Nichtigerklärung ergebende Rechtslage anzupassen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Oktober 2020 – 2 C 7.20 –, juris, Rn. 46 ff, vom 25. Oktober 2012– 2 C 59.11 –, juris, Rn. 20 ff., vom 26. September 2012 – 2 C 48.11 –, juris, Rn. 24 ff., und auch bereits vom 24. Februar 2011 – 2 C 50.09 –, juris, Rn. 15, sowie den Beschluss vom 8. Mai 2013 – 2 B 5.13 –, juris, Rn. 10 f., OVG NRW, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 A 2021/13 –, juris, Rn. 66.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Das gilt auch bei entsprechend eindeutigen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts. Der Verwaltungsakt ist dabei in der Regel ab dem Beginn des Kalendermonats nach der Gerichtsentscheidung zurückzunehmen, aufgrund der eine Rechtsfrage als abschließend geklärt angesehen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 18.19 –, juris, Rn. 52.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">b) Hiervon ausgehend ist das Ermessen nicht zugunsten des Klägers „auf Null“ reduziert.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">aa) Dass der Mietzuschuss anhand einer fehlerhaften fiktiven Leerraummiete berechnet wurde, ist zunächst nicht schlechthin unerträglich. Der Fehler wirkt sich nur auf einen abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum aus, nicht aber auf die Zeit nach dem 1. Januar 2012. Ab diesem Zeitpunkt hat die Beklagte dem Kläger Mietzuschuss auf der Grundlage der tatsächlich gezahlten Miete gewährt. Auch ist nicht ersichtlich, dass die fehlerhafte Festsetzung der Mietobergrenze gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben verstößt. Die Festsetzungen waren ferner nicht schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses offensichtlich rechtswidrig. Auch ab März 2006 war die Rechtswidrigkeit der Festsetzung sowie ihrer Fortschreibung in den Änderungsbescheiden vom 9. Oktober 2007 und vom 23. Oktober 2008 zumindest nicht offensichtlich. Die Praxis der Beklagten, der Berechnung des Mietzuschusses die gegebenenfalls anhand von Mieterhöhungen fortgeschriebene, bei Mietvertragsbeginn festgesetzte fiktive Leerraummiete zugrundezulegen, ist sowohl vom Verwaltungsgericht Köln als auch vom erkennenden Senat gebilligt worden.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Köln, Urteil vom 24. September 2009– 15 K 3113/07 –, juris, Rn. 45 ff.; OVG NRW, Urteil vom 5. Dezember 2012 – 1 A 2629/09 –, juris, Rn. 53 ff.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">bb) Auch das einschlägige Fachrecht, hier das Bundesbesoldungsgesetz, gibt für die Ausübung des Rücknahmeermessens keine bestimmte Richtung vor.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">cc) Eine Beschränkung des Rücknahmeermessens der Beklagten folgt ferner nicht aus deren Verwaltungspraxis. Die Beklagte hat ihr Ermessen nicht aufgrund des Erlasses vom 16. Dezember 2015 generalisierend dahingehend gebunden, die Grundsätze aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2015 – 2 C 13.13 – auf Antrag auf Altfälle, die vor dem 22. Januar 2015 unanfechtbar geworden sind, anzuwenden, wenn der jeweilige materielle Anspruch auf Mietzuschuss noch nicht verjährt ist. Zwar ist in dem Erlass vorgegeben, solche Altfälle seien im Rahmen der Verjährungsfristen erneut zu bescheiden. Die Beklagte hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, diese Vorgabe sei so ausgelegt und nach ihrer Verwaltungspraxis allgemein gehandhabt worden, dass Altfälle, die vor dem 22. Januar 2015 unanfechtbar abgeschlossen worden seien, lediglich „rückwirkend bis 2012“ neu beschieden worden seien. Eine weiter in die Vergangenheit reichende Prüfung sei nicht praktiziert worden. Es ist danach auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte vergleichbare Fälle unterschiedlich behandelt hätte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie bestandskräftig abgeschlossene Bewilligungsverfahren für Zeiträume vor dem 1. Januar 2012 grundsätzlich nicht wieder aufgegriffen hat.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">dd) Schließlich ist auch die Fallgruppe eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, dessen Rechtswidrigkeit darauf beruht, dass er auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen ist, nicht einschlägig. Zwar hat die Festsetzung einer fiktiven Leerraummiete bzw. deren Fortschreibung Dauerwirkung. Deren Rechtswidrigkeit beruht jedoch nicht darauf, dass sie sich ihrerseits auf ein verfassungswidriges Gesetz stützen, sondern auf der unzutreffenden Anwendung des einfachen Besoldungsrechtes. Dass bei der Berechnung des Mietzuschusses die zu berücksichtigende Miete geänderten Mietobergrenzen angepasst werden muss, ist zudem erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2015 abschließend geklärt worden. Der hier streitgegenständliche Zeitraum liegt vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Eine Rücknahme kommt daher (im Regelfall) nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">III. Die Beklagte hat ihr (Rücknahme)Ermessen in dem Bescheid vom 7. März 2018 fehlerhaft ausgeübt. Der Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie (Neu)Bescheidung seines Antrages besteht daher fort.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">1. Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Ermessensfehlerhaft sind demnach insbesondere auch solche Verwaltungsakte, bei deren Erlass die Behörde von in Wahrheit nicht vorliegenden Tatsachen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Denn für den Ermessensfehlgebrauch macht es keinen Unterschied, ob ein Irrtum der Behörde sich auf die tatsächlichen Grundlagen oder den rechtlichen Rahmen der von ihr zu treffenden Entscheidung bezieht.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2016 – 6 C 24.15 –, juris, Rn. 33; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 114 Rn. 65.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">2. Die Ermessenserwägungen der Beklagten leiden an einem Ermessensfehler in Form eines Ermessensfehlgebrauchs. Die Beklagte ist bei ihrer Entscheidung, das Bewilligungsverfahren nicht wiederaufzugreifen und die Festsetzungen der fiktiven Leerraummiete nicht zurückzunehmen, von der unzutreffenden rechtlichen Einschätzung ausgegangen, der materielle Anspruch des Klägers auf Mietzuschuss sei verjährt.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">a) Die Beklagte hat allerdings zutreffend die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches angewandt. Ansprüche auf Besoldung, zu der gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 6 BBesG auch der Mietzuschuss als Teil der Auslandsbesoldung gehört, verjähren, soweit – wie hier – keine besonderen Verjährungsregelungen vorhanden sind, in Anwendung der Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 21. November 2019– 2 B 23.19 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 2021 – 1 A 4819/18 –, juris, Rn. 28.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">b) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB jedoch jedenfalls nicht vor Ergehen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2015 – 2 C 13.13 –, juris, zu laufen begonnen. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">aa) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger positive Kenntnis von dem anspruchsbegründenden Umstand, hier der Erhöhung der Mietobergrenze, hatte, bestehen – wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend herausgearbeitet hat – nicht und werden auch von der Beklagten nicht substantiiert behauptet. Soweit die Beklagte ausgeführt hat, Änderungen der Mietobergrenzen würden „im Zuständigkeitsbereich bekannt gegeben“, bedeutet das lediglich, dass die Beklagte nachgeordnete Stellen von der Änderung der Mietobergrenzen in Kenntnis gesetzt hat. Dass sie auch die betroffenen Soldaten selbst informiert hat, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten selbst nicht behauptet.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">bb) Dem Kläger war die Erhöhung der Mietobergrenzen auch nicht grob fahrlässig unbekannt im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners, wobei es auf eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht ankommt.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20 –, juris, Rn. 14 f. m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 A 3400/20 –, juris, Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Nach diesem Maßstab waren dem Kläger die geänderten Mietobergrenzen nicht aus grober Fahrlässigkeit unbekannt. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bestand für ihn nicht im Ansatz Veranlassung, sich bei der Beklagten nach Erhöhungen der Mietobergrenzen zu erkundigen. Solche Nachfragen waren für den Kläger bereits deshalb nicht angezeigt, weil die Beklagte nach ihrer von ihr selbst so bezeichneten „ständigen Verwaltungspraxis“ ein „Hineinwachsen in die erhöhte Mietobergrenze“ nicht zuließ. Eine Erkundigung nach eventuellen Erhöhungen der Mietobergrenze konnte dem Kläger aus seiner damaligen Sicht daher weder tatsächlich noch rechtlich einen Vorteil verschaffen. Auch konnte er die Rechtswidrigkeit dieser Verwaltungspraxis im hier maßgeblichen Zeitraum noch nicht erkennen. Die einzige in diesem Zeitraum ergangene Gerichtsentscheidung, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 24. September 2009 – 15 K 3113/07 –, juris, stützte diese Verwaltungspraxis. Erst nach Ergehen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2015 – 2 C 13.13 –, juris, bestand für den Kläger Veranlassung, sich an die Beklagte zu wenden. Dies hat er mit Schreiben vom 13. April 2015 auch getan, ohne dass ihm – jedenfalls nach Aktenlage – die Erhöhungen der Mietobergrenze zuvor zur Kenntnis gebracht worden wären. Unabhängig davon ist angesichts der Verwaltungspraxis der Beklagten auch zweifelhaft, dass der Kläger auf eine etwaige Nachfrage hin über die Erhöhungen der Mietobergrenze informiert worden wäre, da diese nach der damaligen Rechtsauffassung der Beklagten, an der sie noch im Bescheid vom 24. April 2015 festgehalten hatte, auf den Fall des Klägers keine Anwendung fanden.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">c) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht nach der absoluten Verjährungsfrist des § 199 Abs. 4 BGB verjährt. Nach dieser Vorschrift verjähren andere Ansprüche als die nach den § 199 Abs. 2 bis 3a BGB ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an. Diese Höchstfrist gilt für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Mietzuschuss, da er als Besoldungsanspruch weder zu den Schadensersatzansprüchen gemäß § 199 Abs. 2 oder 3 BGB gehört, noch auf einem Erbfall beruht oder die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt (§ 199 Abs. 3a BGB). Der streitgegenständliche Anspruch entsteht gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 1 Abs. 2 Nr. 6 BBesG monatlich im Voraus. Die zehnjährige Verjährungsfrist des Anspruchs auf Mietzuschuss für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31  Dezember 2011 lief daher grundsätzlich jeweils monatlich zwischen dem 1. März 2016 bis zum 1. Dezember 2021 ab. Der Ablauf der Verjährung wurde jedoch spätestens durch die Erhebung des Widerspruchs mit Schreiben vom 4. Mai 2015 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB gehemmt.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Hemmung der Verjährung durch Widerspruchserhebung: BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 – 2 C 20.19 –, juris, Rn. 33 ff. und OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 2021 – 1 A 4819/18 –, juris, Rn. 30.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG nicht vorliegen.</p>
346,662
ovgnrw-2022-08-15-2-a-118022
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2 A 1180/22
2022-08-15T00:00:00
2022-09-22T10:01:44
2022-10-17T11:10:26
Anerkenntnisurteil
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.2A1180.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsverfolgung zweiter Instanz wird abgelehnt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon, dass der Kläger nicht die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hat, fehlt es der beabsichtigten Rechtsverfolgung in zweiter Instanz unter Anlegung der für die Gewährung von Prozesskostenhilfe geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu etwa BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 2003 – 1 BvR 1152/02 – NJW 2003, 3190 = juris Rn. 10, und vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 –, NJW 2000, 1936 = juris Rn. 16, sowie VerfGH NRW, Beschluss vom 30. April 2019 - 2/19.VB-2 -, juris Rn. 24 ff., m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">jedenfalls an der gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Insbesondere durfte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Ergänzung des Urteils durch Beschluss verwerfen, da ein - hier gegebener - (offensichtlich) unzulässiger Ergänzungsantrag (analog §§ 144 Abs. 1, 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO) in dieser Weise ohne mündliche Verhandlung verworfen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2018 – 2 C 36.16 -, NvwZ-RR 2018, 592 = juris Rn. 5, und BFH, Beschluss vom 4. August 2014 – VII R 28/13 -, juris Rn. 1, beide unter Bezugnahme auf den bereits vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2011 – 3 C 14.11 -, juris Rn.13 ff.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Ein Verfahrensfehler i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt daher nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des die Klageanträge (vollständig) abweisenden erstinstanzlichen Urteils vom 30. März 2022 dürfte der Kläger nicht mehr geltend machen können, da dieses Urteil bereits rechtskräftig geworden ist. Ungeachtet dessen bestehen auch keine ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an dieser Klageabweisung.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. März 2022 die Klage mit den Anträgen,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">die Festsetzungsbescheide vom 1. Juli 2012, 2. November 2012, 1. Februar 2013, 1. August 2015 und 3. August 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2019 und den Festsetzungsbescheid vom 2. September 2021 aufzuheben,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Bescheide vom 22. Juli 2019 und 24. Juli 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn von der Beitragspflicht zu befreien,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">nicht nur vollumfänglich beschieden, sondern auch in der Sache zu Recht abgewiesen.       </p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Festsetzungsbescheide ergibt sich dies daraus, dass diese rechtmäßig sind. Der Kläger war in dem von diesem Bescheiden erfassten Zeiträumen (Februar 2012 bis Juli 2019) Inhaber der Wohnung L.--------straße 9 in C.         und hatte dort unter dem 9. November 2011 ein Radio und ein Fernsehgerät angemeldet. Er ist damit insbesondere rundfunkbeitragspflichtig gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV. Ein etwaiger Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht ist im Zusammenhang mit der Anfechtungsklage gegen einen Festsetzungsbescheid unerheblich, wie das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil (dort S. 6 f.) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2019 – 6 C 10.18 -, juris, im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Hierauf wird Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebühren- bzw. –beitragspflicht auf der Grundlage des § 6 Abs. 3 RuFuGebStV bzw. § 4 Abs. 6 RBStV. Über den diesbezüglichen Klageantrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht auch befunden, wie sich unschwer aus dem Urteilstenor entnehmen lässt, mit dem die Klage mit den im Tatbestand wiedergegebenen Klageanträgen abgewiesen wird. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht auf S. 8 f. der Urteilsgründe – auch unter Heranziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 2022 – 1 BvR 1089/18 -, juris Rn. 16 und 27 f. - ausdrücklich ausgeführt, der Kläger habe keinen Befreiungsanspruch. Dabei ist hervorzuheben, dass das Existenzminimum nicht zur Begleichung des Rundfunkbeitrags eingesetzt werden muss. Allerdings sind danach die Landesrundfunkanstalten (nur) bei <em>nachweislich</em> einkommensschwachen Gebühren- bzw. Beitragsschuldnern gehalten, im Rahmen der Prüfung eines besonderen Härtefalls (vgl. etwa § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV) eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen. Maßgeblich ist allein, dass "ein Betroffener nur über ein den sozialrechtlichen Regelsätzen entsprechendes oder sie unterschreitendes Einkommen verfügt <span style="text-decoration:underline">und nicht auf Vermögen zurückgreifen kann</span>" (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 2022, a.a.O. Rn. 27 [Hervorhebung nicht im Original]. Nachweise, dass er zu dieser Personengruppe zu zählen sein könnte, fehlen beim Kläger. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt; hierauf wird Bezug genommen. Der Kläger hat sich auf die Behauptung beschränkt, er beziehe keine Einkünfte, was jedenfalls in dieser Form nicht ausreicht. Zwar hat er ab dem 1. Februar 2012 keinen Anspruch auf die Leistung von Arbeitslosengeld II. Die Klage des Klägers gegen den – <em>wegen fehlender Offenlegung des Vermögens</em> – ablehnenden Bescheid des Jobcenters Arbeitplus C.         vom 10. April 2012 ist mit Gerichtsbescheid des Sozialgerichts E.       vom 22. Februar 2019 – S 9 AS 1646/12 - abgewiesen worden, die dagegen eingelegte Berufung des Klägers wurde mit Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 28. Oktober 2021 – L 6 AS 491/19 – (juris) zurückgewiesen; hierbei hat das Landessozialgericht (a. a. O., juris Rn. 43 a. E.) u. a. ausgeführt, der Kläger habe "zur Höhe des Vermächtnisses und den genauen Zuflusszeitpunkten … ausdrücklich keine Angaben gemacht, um `seine Daten vor unberechtigten staatlichen Zugriffen zu schützen`". Einen Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das zuletzt genannte Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen, hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 30. Mai 2022 – B 4 AS 40/22 BH – (juris) mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Insbesondere hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass er im genannten Sinne nicht auf Vermögen zurückgreifen kann. Denn er hat offenbar einen Vermächtnisanspruch erworben und hatte hierauf 38.529,18 Euro ausgezahlt bekommen; die Auszahlung weiterer 50.000,- Euro war augenscheinlich beabsichtigt. Warum es ihm trotzdem (seinerzeit oder heute) unmöglich sein sollte, auf (z. B. dieses) Vermögen zurückzugreifen, trägt der Kläger nicht vor und dies ist auch sonst nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zu keiner anderen Beurteilung führt das Schreiben des Klägers vom 2. August 2022, das im Übrigen auch über den hier zu entscheidenden Streitgegenstand hinausginge und ggf. beim Verwaltungsgericht anzubringen wäre.                </p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO)</p>
346,661
ovgnrw-2022-08-15-11-a-157222a
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11 A 1572/22.A
2022-08-15T00:00:00
2022-09-22T10:01:44
2022-10-17T11:10:26
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.11A1572.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I. Die geltend gemachte Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird nicht gemäß den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt. Der Kläger macht geltend, die Vorinstanz sei vom Urteil des beschließenden Senats vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, abgewichen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit der Benennung dieser konkreten Entscheidung wird zwar einem der Erfordernisse des Darlegens einer Divergenzrüge Genüge getan.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 4. November 1991 - 7 B 53.91 -, NVwZ 1992, 661 = juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit dem behaupteten Tatsachensatz,</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">„dass einem Dublin-III-Rückkehrer ‚für den Fall seiner Rückkehr nach Italien die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK droht‘. Der Senat ist davon überzeugt, dass ein solcher Rückkehrer ‚mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in Italien in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine elementarsten Bedürfnisse (‚Bett, Brot, Seife‘) für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können‘. Noch im italienischen Asylverfahren befindliche bzw. in Italien schutzberechtigte Kläger werden im Falle einer Rücküberstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und einer damit verbundenen Versorgung erhalten werden, auch keine andere menschenwürdige Unterkunft finden und sich nicht aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern versorgen können.“,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">wird eine Divergenzrüge nicht im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt. Denn der Zulassungsantrag verdeutlicht nicht, dass die erste Instanz einen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz aufgestellt hätte, der einem ebensolchen Satz in dem als Referenzentscheidung bezeichneten Urteil des erkennenden Gerichts widerspräche.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Eine solche Feststellung bezüglich sog. Dublin-Rückkehrern hat der beschließende Senat in dem mit dem Zulassungsantrag genannten Urteil schon nicht getroffen, da Gegenstand jenes Verfahrens eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gegenüber einem in Italien anerkannten Schutzberechtigten war.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Sofern der Kläger beabsichtigt haben sollte, eine Divergenz zum Urteil des beschließenden Senats ebenfalls vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, geltend zu machen, so zeigt er nicht auf, dass in dieser Entscheidung ein solcher Satz in dieser Allgemeinheit für alle Dublin-Rückkehrer aufgestellt worden wäre.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Entscheidend hat der beschließende Senat darauf abgestellt, dass ein Kläger, der vor seiner Antragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Italien gestellt hat, im Falle einer im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgenden Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 vorliegen. Danach kann der zuständige Präfekt die Aberkennung von Betreuungsmaßnahmen anordnen, wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin im zugeteilten Empfangszentrum nicht erscheint oder dieses ohne vorherige Mitteilung verlässt (Art. 23 Nr. 1a) oder wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin nicht zur Anhörung erscheint, obwohl er/sie darüber informiert worden ist (Art. 23 Nr. 1 b).</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 60 ff. m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Von dieser Prämisse ist auch das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil ausgegangen (Urteilsabdruck, S. 10 f.).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">II. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wird nicht entsprechend den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff. = juris, Rn. 16 (zu § 32 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG a. F.), und Beschlüsse vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f., sowie vom 19. Juli 2011 - 10 B 10.11, 10 PKH 4.11 -, juris, Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Kläger formuliert schon keine tatsächliche oder rechtliche Frage, die für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die sinngemäß für grundsätzlich bedeutsam erachte Frage,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">ob auch ein Kläger, der vor seiner Antragstellung in Deutschland keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, im Falle einer im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgenden Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und der damit verbundenen Versorgung haben wird,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">bedarf nicht im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung. Sie ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats - verneinend - geklärt.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschluss vom 15. Juli 2022 - 11 A 1138/21.A -, juris.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">III. Die geltend gemachte Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) greift nicht durch.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Einen Gehörsverstoß legt der Kläger nicht mit dem Einwand dar, es hätte sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen müssen, dass eine gutachterliche Klärung der Frage geboten sei, ob ein Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung sich für Erstantragsteller im Gegensatz zu anerkannten Flüchtlingen unproblematisch gestalten bzw. aufgrund einfach zu erlangender Erwerbstätigkeit überflüssig würde.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts ist kein Berufungszulassungsgrund im asylverfahrensrechtlichen Sinn. Eine mögliche Verletzung der dem Gericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört grundsätzlich nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 31. März 2003 - 11 A 3518/02.A -, juris, Rn. 4 ff., m. w. N., und vom 15. Februar 2018 - 13 A 342/18.A -, juris, Rn. 22 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Eine unterbliebene, allerdings gebotene Sachverhaltsaufklärung kann zwar im Einzelfall einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen. Ein solcher Einzelfall liegt hier aber nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der Kläger macht geltend, auch Personen, die in Italien noch nicht als Schutzberechtigte anerkannt seien, erhielten keinen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung. Es bestehe oft Obdachlosigkeit für Wochen, bis Asylantragsteller untergebracht würden. Für den Fall der Aufnahme bestünde nur eine geringe Chance auf einen Platz in einer Einrichtungen des SAI, in der nur - im Gegensatz zur einer Einrichtung des CAS - eine ausreichende psychologische Unterstützung und Integrationsleistungen gewährt würden. Zudem drohe dem auf psychologische Unterstützung angewiesenen Kläger bei einer Behandlung schon der Verlust des Einrichtungsplatzes, sofern er dafür die Unterkunft für eine Nacht verlassen müsse.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Insoweit kann er sich auf einen Gehörsverstoß nicht berufen, weil es ihm im gesamten gerichtlichen Verfahren offen gestanden hätte, förmliche Beweisanträge zu stellen, um sich selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Juli 1983 - 9 B 10275.83 -, Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 9, S. 4 = juris, Rn. 5, und vom 13. Januar 2000 - 9 B 2.00 -, Buchholz 310 § 133 (n. F.) VwGO Nr. 53, S. 13 f. = juris, Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Von dieser Möglichkeit hat er ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung keinen Gebrauch gemacht. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Die nunmehr erhobene Aufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juni 2001 - 4 B 41.01 -, NVwZ-RR 2001, 713 (714) = juris, Rn. 15, und vom 21. Mai 2014 - 6 B 24.14 -, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, wäre nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Rüge muss allerdings insoweit schlüssig aufzeigen, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Es muss ferner dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer günstigeren Entscheidung hätte führen können.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss 21. Mai 2014 - 6 B 24.14 -, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 63, S. 91 = juris, Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die hiernach erforderlichen Darlegungen enthält der Zulassungsantrag nicht, so dass eine Verfahrensrüge schon deshalb ins Leere ginge.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt und im Einzelnen unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel begründet, dass dem Kläger ein Recht auf Unterbringung zustehe, das er auch aufgrund der bisher fehlenden Asylantragstellung in Italien nicht verloren habe. Soweit behauptet werde, es drohe „oftmals“ über Wochen bis zur offiziellen Antragsabgabe Obdachlosigkeit, fehle es an jeglichen Belegen. Der für Dublin-Verfahren Italien zuständigen Kammer sei aus mehreren Hundert Verfahren kein Fall bekannt, in dem eine Person, die in Italien erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, zunächst bis zur offiziellen Antragstellung obdachlos geblieben wäre. Es seien auch keine besonderen individuellen Umstände ersichtlich, die die Feststellung einer beachtlich wahrscheinlichen Gefahr gebieten würden, der Kläger sei im Falle eines - unterstellten - erfolgreichen Abschlusses seines Asylverfahrens in Italien von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bedroht. Die besonderen Probleme, die sich Personen stellten, die als Schutzberechtigte nach Italien zurückkehrten, ergäben sich so für den Kläger nicht, da dieser zunächst das reguläre Asylverfahren durchlaufen werde und diesen Zeitraum sowie den Anschlusszeitraum im Falle der Zuerkennung der Schutzberechtigung nutzen könne, um Maßnahmen zu ergreifen, die es ihm ermöglichten, sich anschließend aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. Mit ihrer Anerkennung hätten Schutzberechtigte ein Recht auf Zugang zu einem SAI-Projekt. Diese Projekte sollten Sprachkurse, Arbeitsintegrationsprogramme, psychologische Unterstützung, juristische Beratung und andere Leistungen anbieten. Darüber hinaus sehe das Gesetz Nr. 173/2020 zusätzliche Integrationsmaßnahmen vor, die am Ende des Aufnahmezeitraums im SAI-Netzwerk durch die zuständigen Verwaltungen im Rahmen ihrer jeweiligen personellen und finanziellen Ressourcen angeboten würden. Diese Angebote sähen u. a. Sprachtraining mit dem Ziel, die italienische Sprache mindestens auf dem Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen zu beherrschen, sowie Aufklärung über öffentliche Dienstleistungen und zur Arbeitsvermittlung vor (Urteilsabdruck, S. 10 - 12). Es sei davon auszugehen, dass der Kläger nach dem - unterstellten - erfolgreichen Abschluss seines Asylverfahrens in Italien seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten könne, auch wenn eine erfolgreiche Arbeitssuche schwierig sein möge. Die erforderlichen grundlegenden Kenntnisse der italienischen Sprache könne er in den nach der Zuerkennung eines Schutzstatus vorgesehenen Integrationsmaßnahmen erwerben. Darüber hinaus verfüge er über eine höhere Schulbildung und einen Hochschulabschluss in sozialer Arbeit sowie mehrjährige praktische Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern. So habe er nach seinen Angaben im Iran zuletzt als Sekretär des Chefs in einer Firma gearbeitet, die Computerprogramme entwickelt habe. Davor sei er, wie auch derzeit in Deutschland, in einem Restaurant tätig gewesen. Er habe auch in einem Geschäft für Computerhandel und -reparatur gearbeitet und durch seine praktische Tätigkeit Computerkenntnisse erworben. Fünf Jahre lang sei er bei der Kooperative des Wohnungsamts tätig gewesen (Urteilsabdruck, S. 15). Für die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung der geltend gemachten Erkrankung durch eine Abschiebung nach Italien sei mit Blick darauf nichts ersichtlich, dass auch in Italien eine umfassende Gesundheitsfürsorge bestehe, die Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitärem Schutz stehenden Personen gleichermaßen wie italienischen Staatsbürgern zugänglich sei. Nach der Auskunftslage funktionierten die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung. Eine kostenfreie medizinische Versorgung stehe auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht seien. Eine Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiere dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhielten. Die Notambulanz sei für alle Personen in Italien kostenfrei. Selbst bei der Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen sei, bestehe demnach die Möglichkeit der Behandlung (Urteilsabdruck, S. 16 f.).</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Diese Ausführungen sind nachvollziehbar und von Willkür frei. Mit ihnen und insbesondere den Erkenntnismitteln setzt sich der Zulassungsantrag nicht substantiiert auseinander. Insbesondere zur Feststellung, dass der Kläger seinen auch durchsetzbaren Anspruch auf Unterbringung nicht verloren habe, verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Der vom Verwaltungsgericht aufgrund der eigenen Kenntnisse aus vergleichbaren Verfahren verneinten drohenden Obdachlosigkeit bei Ankunft stellt der Kläger lediglich die unbelegte Behauptung des Gegenteils gegenüber. Im Hinblick auf die zu erwartenden Lebensbedingungen bei einer unterstellten Anerkennung geht das Zulassungsvorbringen nicht auf die Feststellungen ein, es sei zu erwarten, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten könne.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">IV. Der Kläger macht sinngemäß geltend, das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung. Das Verwaltungsgericht habe „überraschend“ angenommen, dass ein Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung sich für Erstantragsteller im Gegensatz zu anerkannten Flüchtlingen unproblematisch gestalten bzw. aufgrund einfach zu erlangender Erwerbstätigkeit überflüssig würde.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Mit diesem Vorbringen wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs infolge einer unzulässigen Überraschungsentscheidung nicht schlüssig dargelegt. Grundsätzlich ist das Gericht nicht verpflichtet, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - 9 B 614.99 -, Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 = juris, Rn. 5, und vom 26. November 2001 - 1 B 347.01 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52 = juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 -, NJW 2017, 3218 (3219) = juris, Rn. 51; BVerwG, Urteil vom 10. April 1991 - 8 C 106.89 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235, = juris, Rn. 8, und Beschlüsse vom 18. Juni 2010 - 8 B 16.10 -, juris, Rn. 9, vom 23. Dezember 1991 - 5 B 80.91 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241, = juris, Rn. 3, sowie vom 11. Mai 1999  - 9 B 1076.98 -, juris, Rn. 10, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Hieran gemessen hat das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung dem Verfahren keine Wende gegeben, mit welcher der Kläger nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Im Übrigen kann die Rüge einer unzulässigen Überraschungsentscheidung hier auch deshalb nicht zum Erfolg führen, weil es an der erforderlichen Darlegung dessen fehlt, was auf den vermissten Hinweis des Verwaltungsgerichts noch vorgetragen worden wäre.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Der Zulassungsantrag wendet sich letztlich im Gewande der Gehörsrüge gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung. Damit kann die Zulassung der Berufung nicht erreicht werden.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">IV. Der Zulassungsantrag bleibt auch im Übrigen ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache dem prozessualen Asylverfahrensrecht fremd ist (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG, § 84 Abs. 3 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,331
lg-arnsberg-2022-08-15-5-t-12322
{ "id": 801, "name": "Landgericht Arnsberg", "slug": "lg-arnsberg", "city": 384, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
5 T 123/22
2022-08-15T00:00:00
2022-08-27T10:01:30
2022-10-17T11:09:32
Beschluss
ECLI:DE:LGAR:2022:0815.5T123.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 09.06.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 02.05.2022 (24 XVII 74/14) dahingehend abgeändert, dass die aus der Landeskasse an die Betreuerin C K zu zahlende Vergütung für den Zeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 auf 1539 € festgesetzt wird.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.</p> <p>Beschwerdewert: 621 €</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist langjährige gesetzliche Betreuerin des Beteiligten zu 1), der wegen einer paranoiden Schizophrenie in einer Außenwohngruppe des T e.V. in B lebt. Bei dieser Einrichtung handelt es sich um eine besondere Wohnform der Eingliederungshilfe im Sinne des § 42a Abs. 2 A. 1 Nr.2 SGB XII in Trägerschaft des T e.V. Der insoweit mit dem T abgeschlossene Vertrag wurde zur Umsetzung der gesetzlichen Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 01.01.2020 mit Vertrag vom 18.12.2019 neu gefasst. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe (Bl. 125 ff. des Vergütungsheftes) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Da der Betreute mittellos ist, wird die Vergütung der Beschwerdeführerin von der Staatskasse bezahlt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragte mit ihrem Antrag vom 22.09.2021 eine Vergütung für den Zeitraum vom 23.06. bis 22.09.2021 von insgesamt 513 € aus der Staatskasse und gab dabei an, der Betreute lebe in einer „anderen Wohnform“.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 22.12.2021 beantragte sie für den Zeitraum vom 23.09. bis 22.12.2021 und mit Schreiben vom 22.03.2022 für den Zeitraum vom 23.12.2021 bis zum 22.03.2022 jeweils eine Vergütung von insgesamt 513 € aus der Staatskasse.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss vom 02.05.2022 für den gesamten Abrechnungszeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 eine Betreuervergütung in Höhe von insgesamt 918 € festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Betroffene lebe in einer der stationären Einrichtung gleichgestellten Wohnform - wie dies die Beschwerdekammer des Landgerichts in einem gleich gelagerten Fall mit Beschluss vom 24.06.2021 (I-5 T 83/21) entschieden habe.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 09.06.2022. Zur Begründung führt sie aus, der Betroffene lebe weder in einer stationären Einrichtung noch in einer der stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 S. 3 VBVG, sondern in einer „anderen Wohnform“. Zur Begründung führt sie aus, der Betroffene lebe in der Außenwohngruppe in einem eigenen Zimmer, welches er selbst aufzuräumen und zu putzen habe. Der Betroffene werde nur dort unterstützt, wo es notwendig sei. Die Unterstützung erfolge als Assistenz und werde nicht von den Mitarbeitern des T übernommen. Der Betroffene werde durch Heil- und Erziehungspfleger unterstützt, welche gerade keine Fachkräfte seien.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die ärztliche und medizinisch-pflegerische Versorgung des Betroffenen sei in Absprache mit ihm und der Bezugsbetreuerin des T durch die Betreuerin zu organisieren. Das Konzept der Außenwohngruppe sei auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet und ziele auf das Leben außerhalb des T ab.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Mitarbeiter des T e.V. befänden sich nicht ständig vor Ort, sondern kämen lediglich zweimal täglich vorbei. Das T halte keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung der Bewohner der externen Wohngruppe vor. Der Betroffene könne nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen, wie es ihm in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 16.06.2021 (XII ZB 46/21) festgestellt, dass ambulant betreute Wohnformen den stationären Einrichtungen nur dann gleichgestellt werden sollten, wenn der Anbieter der umfassenden Pflege- und Betreuungsleistungen nicht frei wählbar sei und eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder Betreuungskräfte vorgehalten werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der angehörte Vertreter der Landeskasse bezieht sich auf den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 24.06.2021 (I-5 T 83/21) und vertritt die Auffassung, dass die Eingliederungshilfe der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 VBVG entspreche.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.07.2022 nicht abgeholfen und sie dem Landgericht Arnsberg - Beschwerdekammer- zur Entscheidung vorgelegt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren ist den Beteiligten noch einmal Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben worden, von der sie jedoch keinen Gebrauch gemacht haben.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist gemäß § 61 Abs. 1 FamFG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € übersteigt. Darüber hinaus ist die Beschwerde auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat darüber hinaus in vollem Umfang Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Vergütung der Beteiligten zu 2) ist für den Zeitraum vom 23.06.2021 bis zum 22.03.2022 auf insgesamt 1539 € festzusetzen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Vergütungsanspruch ergibt sich nach Grund und Höhe aus den §§ 1908i, 1836 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 5a des Vormünder und- Betreuervergütungsgesetzes (VBVG).</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die einem Betreuer zu bewilligende Vergütung ist gem. § 4 Abs. 1 VBVG nach monatlichen Fallpauschalen zu bestimmen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt werden. Die Vergütung der Beteiligten zu 2) richtet sich – wie vom Amtsgericht bereits bei der Festsetzung der Vergütung zugrunde gelegt wurde – unstreitig nach der Vergütungstabelle C.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Höhe der Fallpauschalen richtet sich gem. § 5 Abs. 1 nach der Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort und dem Vermögensstatuts des Betreuten.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Bei der Höhe der der Beteiligten zu 2) zu vergütenden Fallpauschale ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin die Betreuung bereits seit September 2014 führt, sodass die Dauer der Betreuung 25 Monate überschreitet, § 5 Abs. 2 S. 1 VBVG.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Weiter ist bei der Bemessung der Fallpauschale der gewöhnliche Aufenthalt des Betreuten maßgeblich, § 5 Abs. 1 Nr. 2 VBVG. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betreuten ist wiederum zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits zu unterscheiden.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Stationäre Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 VBVG sind ambulant betreute Wohnformen entgeltliche Angebote, die dem Zweck dienen, Volljährigen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt oder einer Wohnung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme extern angebotener entgeltlicher Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege zu ermöglichen. Sie sind stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht frei wählbar ist.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei der Außenwohngruppe, in welcher der Betreute lebt, nicht um eine stationäre Einrichtung oder einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform entsprechend der vorgenannten Legaldefinition. Vielmehr war bei der Bemessung der Fallpauschale zugrunde zu legen, dass die Außenwohngruppe als sonstige Wohnform einzuordnen ist.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Insoweit hält die Kammer an ihrer in einem gleich gelagerten Beschwerdeverfahren (I-5 T 83/21), welches einen identischen Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe des T betraf, geäußerten Rechtsauffassung im Beschluss vom 24.06.2021 nicht mehr fest. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung waren der Kammer die Beschlüsse des Bundesgerichtshofes vom 02.06.2021 (XII ZB 582/21) und vom 16.06.2021 (XII ZB 46/21) noch nicht bekannt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt, ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021. 22331). Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht angenommen werden, dass es sich bei dem von dem Betroffenen angemieteten Zimmer in der Außenwohngruppe um eine stationäre Einrichtung bzw. dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform handelt, weil von dem Träger der Einrichtung tatsächliche Betreuung oder Pflege nicht in dem Maß zur Verfügung gestellt oder vorgehalten wird, sodass dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abgenommen wird. Die Leistungen, die der Betreute aufgrund des mit dem T e.V. geschlossenen Vertrags zusteht, beschränken sich auf die Überlassung eines Zimmers in einer Außenwohngruppe verbunden mit Assistenzleistungen, welche – je nach Bedarf – von der Motivation bis zur stellvertretenden Ausführung reichen. Seitens der Einrichtung werden körperbezogene Pflegeleistungen sowie behandlungspflegerische Maßnahmen übernommen, soweit diese keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse erfordern. Bei Bedarf ist das T bei der Vermittlung erforderlicher therapeutischer Hilfen behilflich. Das T erbringt Fachleistungen im Rahmen der Hauswirtschaft – je nach Bedarf- als Assistenzleistungen oder übernimmt diese vollständig. Zudem umfassen die Pflegeleistungen die Zubereitung und Bereitstellung von Mahlzeiten, Wäscheversorgung, Reinigung von Privatwäsche sowie die Grundreinigung des persönlichen Wohnraums und der Gemeinschaftsräumlichkeiten.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zwar verkennt die Kammer nicht, dass in einem erheblichen Umfang Leistungen angeboten werden, die dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten erleichtern. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Einordnung als stationären Einrichtung oder einer solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform aber entscheidend, dass der Träger der Einrichtung eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Außenwohngruppe vorhält. Dafür genügt es nicht, dass die für die Unterstützung der Bewohner zuständigen Fachkräfte während der üblichen Büroöffnungszeiten in der Einrichtung anwesend sind und darüber hinaus nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft besteht, da die Betreuten gerade nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen können, wie es in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021, 22331). So ist es hier. Der T e.V. hält gerade keine Rund-um- die-Uhr-Versorgung in der Außenwohngruppe in B vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte sind nicht ständig, sondern nur zweimal täglich in der Außenwohngruppe anwesend, da das Konzept der Wohngruppe nach den Angaben des T e.V. auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet ist und darauf abzielt, auf das Leben außerhalb des T vorzubereiten.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Betreute war schließlich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts im Vergütungszeitraum mittelos, § 5 Abs. 4 VBVG.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG i.V.m. Nr. C 5.2.1 der Vergütungstabelle C beträgt die einem Betreuer zu bewilligende monatliche Fallpauschale, wenn der Betreute – wie hier – seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einer stationären Einrichtung oder einen solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform hat, ab dem 25. Monat der Betreuung für einen vermögenslosen Betreuten 171,00 EUR. Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 23.06.2021 bis 22.03.2022 ergibt sich somit eine festzusetzende Vergütung von 1539 €.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen einer Zulassung nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die für die Abgrenzung zwischen stationären Einrichtungen und diesen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen sowie anderen Wohnformen wesentlichen Punkte sind inzwischen durch die obergerichtliche Rechtsprechung entschieden.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben. Die Entscheidung ist rechtskräftig.</p>
346,300
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2 B 41/22
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Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0815.2B41.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragssteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Der Streitwert wird auf 15.000€ festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid für ein als Reihenendhaus ausgeführtes Wohnhaus mit einer Wohneinheit.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller sind Eigentümer der Grundstücke xxx und xxx in xxx (Flurstücke x und x der Flur x Gemarkung x), die – wie auf dem nachfolgenden Foto wiedergegeben – westlich anschließend an das Wohnhaus ... … mit zwei Wohnhäusern mit derselben Firsthöhe wie das Haus x bebaut sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><img xmlns:xs="http://www.w3.org/2001/XMLSchema" src="/jportal/docs/anlage/r/bilder/ovgnw/mwre220006856/bild1.jpg" class="docLayoutGraphicScale" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"><a xmlns:xs="http://www.w3.org/2001/XMLSchema" target="_blank" class="Overl" title="Abbildung, öffnet in neuem Fenster"><br><span>Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen</span></a></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Der Beigeladene beabsichtigt, auf seinem Grundstück x in x (Flurstück x der Flur x, Gemarkung x), das bisher mit einem Reihenendhaus bebaut ist, das vorhandene Reihenendhaus u.a. durch Erneuerung des Daches, was zu einer Erhöhung dessen Firsthöhe führen wird, zu sanieren und daran anschließend ein neues Reihenendhaus mit einer Wohneinheit anzubauen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p><strong>>hier befindet sich eine Skizze<</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Das Vorhaben soll mit seiner nördlichen Außenwand einen Abstand von 21 m zur Straße (Bebauungstiefe) und auf einer Länge von 9 m mit einem Abstand zur östlichen Grundstücksgrenze von 3 m und auf einer Länge von 4 m mit einem Abstand von 3,50 m bei Firsthöhen von 9,03 m (giebelständiger Teil) und 7,25 m (traufständiger hinterer Teil) errichtet werden, wobei sich für den 9 m langen giebelständigen Teil mit im oberen krüppelwalmartigen Abschnitt mit einer Dachneigung von 45° eine Wandhöhe von 6,39 m bis zum Beginn des Krüppelwalmabschnitts und für den 4 m langen traufständigen rückwärtigen Anbau mit einem 51° geneigten Satteldach eine Wandhöhe von 3,63 m zuzüglich 3,64 m für das Dach ergeben. Das bisherige Reihenendhaus auf dem Vorhabengrundstück weist eine Firsthöhe von 7,68 m auf, und soll im Rahmen einer Sanierung ein neues wärmegedämmtes Dach mit einer Firsthöhe von dann 8,03 m erhalten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p><strong>>hier befinden sich 3 Skizzen<</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Für die Errichtung des Neubaus eines Reihenendhauses mit einer Firsthöhe von seinerzeit noch geplanten 9,19 bzw. 7,44 m wurde dem Beigeladenen vom Antragsgegner am 08.10.2021 zunächst ein positiver Bauvorbescheid erteilt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Auf einen entsprechenden Bauantrag vom 12.02.2022 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen für das gesamte Vorhaben – sowohl des Neubaus mit Firsthöhen nun von 9,03 bzw. 7,25 m als auch der Sanierung des vorhandenen Reihenendhauses unter Erhöhung des Daches auf 8,03 m - am 24.03.2022 im vereinfachten Verfahren nach § 69 LBO die im Parallelverfahren xxx streitbefangene Baugenehmigung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Weder das Vorhabengrundstück noch das Grundstück der Antragsteller liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller erhoben mit anwaltlichen Schreiben vom x gegen den dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid vom x bzw. vom x gegen die erteilte Baugenehmigung vom x Widerspruch.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Am x – und x im Parallelverfahren x (Streitgegenstand Baugenehmigung vom 24.03.2022) - haben die Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung tragen sie vor, sie würden durch das Bauvorhaben massiv beeinträchtigt. Der Anbau solle nördlich der faktischen Baugrenze errichtet werden. Der geplante Anbau sei auf dem Grundstück zurückversetzt. Gleichzeitig sei er bedeutend höher als die Nachbarhäuser und habe einen erheblich größeren Baukörper. Mit Schattenwurf und einem Gefühl des Eingemauertseins sei auf ihren Grundstücken zu rechnen. Der Blick in den hinteren Teil der Grundstücke sei verstellt. Von der Straße aus sei eine einheitliche Flucht nicht mehr gegeben. Von der Terrasse bzw. vom Garten aus blickten sie auf den Rücken des versetzten Teils des Neubaus. Ihr Reihenhaus sei 7,68 m hoch. Wenn das Bauvorhaben durchgeführt werde, werde sich der Altbau durch die Höhersetzung des Daches auf 8,03 m erhöhen. Dadurch ergebe sich eine Stufe zwischen ihrem Reihenhaus und dem Reihenhaus des Beigeladenen. Eine weitere Stufe von 1 m ergebe sich dann zum Neubau. Dieser treppenförmige Verlauf der Dächer sei für sie nicht tragbar. In diesen optischen und räumlichen Veränderungen zeige sich die besondere Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens. Das Reihenhaus werde geradezu verunstaltet. Dies zeige sich auch in einem Wertverlust. In der Nachbarschaft stoße das Bauvorhaben wegen der Hinterlandbebauung und der Höhe auf keine Zustimmung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller beantragen,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches gegen den dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid vom 08.10.2021 anzuordnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Zur Begründung trägt er vor, das genehmigte Vorhaben füge sich in die Umgebung ein und sei nicht rücksichtslos. Der Bauvorbescheid sei rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Der Beigeladene hat nicht Stellung genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Einen Antrag der Eigentümer des östlich des Vorhabens belegenen Grundstücks xxx auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 24.03.2022 hat die Kammer mit Beschluss vom 23.06.2022 im Verfahren xxx abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht ist mit Beschluss vom 28.07.2022 (xxx) als unzulässig verworfen worden. Darin ist zu den Einwänden der seinerzeitigen Antragsteller Folgendes ausgeführt worden:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>„Mit ihrem Vorbringen, das dem Beigeladenen genehmigte Vorhaben verstoße gegen nachbarrechtliche Vorschriften, weil es mit seiner gegenüber der Umgebungsbebauung deutlich größeren Höhenausdehnung (9,03 m gegenüber 7,89 m bzw. 7,68 m) sowie seiner nach Norden versetzten, die bisherige (faktische) hintere Baugrenze überschreitenden Anordnung eine erdrückende Wirkung auf ihr Wohngrundstück erzeuge und ihnen den freien Blick verstelle, treten die Antragsteller der Einschätzung des Verwaltungsgerichts entgegen, das streitgegenständliche Vorhaben verletze seinen Ausmaßen und seiner Lage nach nicht das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. ...</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme stellt, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Es verlangt eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem durch dieses Gebot begünstigten Nachbarn und andererseits dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Bauherrn nach Lage der Dinge zuzumuten ist, und ist verletzt, wenn diese Abwägung ergibt, dass das Vorhaben dem Nachbarn gegenüber als rücksichtslos anzusehen ist, weil die mit dem Vorhaben verbundenen Folgen die Grenzen des dem Nachbarn unter den gegebenen Umständen Zumutbaren überschreiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977 - 4 C 22.75 -, Rn. 22, juris). Das ist – an diesen Grundsätzen gemessen – vorliegend nicht der Fall. Die von den Antragstellern explizit angesprochenen Maße (Höhenvergleich und größere Längenausdehnung des Vorhabens in den hinteren Grundstücksbereich hinein als die Bestandsbebauung – sog. Bebauungstiefe –) führen nach dem erkennbaren Sachstand auf keine erdrückende Wirkung des Vorhabens. Eine erdrückende Wirkung wird regelmäßig anerkannt, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, ferner wenn das neue Bauvorhaben etwa eine Abriegelungswirkung oder das Gefühl des „Eingemauertseins“ erzeugt. Vom Neubauvorhaben muss aufgrund der Massivität und Lage eine qualifizierte, handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen. Das ist auch etwa dann der Fall, wenn es derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (zusammenfassend: Beschluss des Senats vom 18.04.2019 - 1 MB 5/19 - m.w.N, n.v.). Keiner der vorgenannten Fallgestaltungen lässt sich die vorliegende Bebauungssituation auch nur ansatzweise zuordnen. Beide in ihrer Form „gespiegelten“ Gebäude sind eingeschossig und mit ihrer jeweils überwiegend giebelständigen Seite in vergleichbarer Weise in einem Abstand von 3 m, das Vorhaben teilweise sogar mit einem Abstand von 3,50 m, von der gemeinsamen Grundstücksgrenze positioniert. Zwar differiert die max. Gebäudehöhe beider Gebäude um 1,14 m. Dies führt indes erkennbar nicht auf eine Wirkung des Erdrückt- oder Eingemauertseins. Besagte Höhendifferenz lässt das Vorhaben keineswegs als derart übermächtig erscheinen, dass das freistehende Wohnhaus der Antragsteller und deren Grundstück nur noch als eine vom Vorhaben dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen würde. Eine „Dramatik“, wie sie die vom Verwaltungsgericht zur Beschreibung einer Ausnahmesituation angeführten Begriffe bzw. Bilder („Gefängnishofsituation“, „Eingemauertsein“, „erdrücken“, „erschlagen“, „Luft zum Atmen nehmen“) verdeutlichen sollen, liegt offensichtlich nicht vor. Das gilt auch in Ansehung der Unterschiede hinsichtlich der Bebauungstiefen beider Gebäude. Diesbezüglich lässt sich ebenso wenig feststellen, dass die durch den um ca. 3 m gegenüber dem Wohnhaus der Antragsteller nach Norden verschobenen Standort des Vorhabens bedingte entsprechend größere Bebauungstiefe (21 m gegenüber 18 m) die Grenzen des den Antragstellern Zumutbaren überschritte. Insofern folgt der Senat der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass bei dieser Größenordnung – auch in der Zusammenschau beider Kriterien (Höhe, Bebauungstiefe) – nicht erkennbar ist, dass etwa die vorhabenbedingten Verschattungswirkungen über das hinausgehen, was in bebauten Ortslagen unvermeidlich und von einem Nachbarn daher hinzunehmen ist. Hinzu kommt – und auch darauf verweist das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Abwägung des gegenseitig Zumutbaren zu Recht –, dass die Antragsteller stets damit rechnen mussten, dass das Vorhabengrundstück der baulichen Ausnutzung ihres Grundstücks vergleichbar zur gemeinsamen Grundstücksgrenze hin giebelständig und unter Wahrung bloß der Mindestabstandflächen bebaut werden würde. Auch was die freie Aussicht anbetrifft, lässt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts keine Fehlbewertung entnehmen. Bei Wahrung der Abstandflächen muss ein Nachbar regelmäßig auch die insoweit eintretenden Folgewirkungen hinnehmen. Das Rücksichtnahmegebot vermittelt in der Regel keinen Schutz vor einer Verschlechterung der freien Aussicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.01.1983 - 4 B 224.82 -, Rn. 5, juris). Der freie Ausblick ist nur in besonderen, seltenen Ausnahmefällen rechtlich geschützt; vorliegend fehlen – auch unter Berücksichtigung des in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Fotomaterials – entsprechende Ansatzpunkte völlig. Soweit die Antragsteller das ihrer Ansicht nach „erschreckende“, „aggressive“ Erscheinungsbild des von der Umgebungsbebauung hinsichtlich Höhe und Bebauungstiefe abweichenden Vorhabens monieren, sprechen sie wohl den vom Verwaltungsgericht zutreffend verneinten sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruch [Beschl.-Abdr. S. 10 ff.] an. Auch nach der Rechtsprechung des Senats gibt es einen „Anspruch auf Erhaltung der Gebietsprägung“ in dem den Antragstellern offensichtlich vorschwebenden Sinn einer „Beibehaltung des für das Baugebiet charakteristischen harmonischen Erscheinungsbilds“ – hier in Gestalt einer vorrangigen Bebauung mit Häusern in etwa gleicher Höhenausdehnung und Platzierung – nicht (vgl. Beschlüsse vom 08.01.2018 - 1 MB 23/17 -, Rn. 6, juris, und vom 31.03.2020 - 1 MR 3/20 -, n.v.). Eine Gebietsprägung lässt sich allenfalls aus der zulässigen Art der baulichen Nutzung im Sinne der Baunutzungsverordnung ableiten; die von den Antragstellern für jenen Anspruch bemühten Parameter betreffen demgegenüber das Maß der baulichen Nutzung bzw. die überbaubare Grundstücksfläche, mithin ausschließlich Kriterien, die allein in einem – hier unstreitig nicht vorliegenden – überplanten Gebiet und dort auch nur bei entsprechendem ausdrücklichen Planungswillen der Gemeinde drittschützende Wirkung vermitteln können. Die Größe des Vorhabens, welches sich vom Wohngebäude der Antragsteller im Wesentlichen im Übrigen nur hinsichtlich seiner Höhenausdehnung unterscheidet, sowie seine Belegenheit auf dem Grundstück (überbaubare Grundstücksfläche, Bebauungstiefe) begründen keinen Widerspruch zur Zweckbestimmung des – soweit ersichtlich – (auch) durch Wohnnutzung geprägten Baugebiets. Ein Vorhaben, das wie dasjenige des Beigeladenen, im zu betrachtenden Baugebiet allgemein zulässig ist, wahrt gerade die Zweckbestimmung des Baugebiets und kann deshalb in aller Regel auch nicht an einem Gebietsgewährleistungsanspruch scheitern (vgl. Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 21.07.2015 - 1 MB 16/15 -, n.v.).“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom xxx gegen den dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid vom xxx anzuordnen, ist zulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Denn nach §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 - 3 VwGO entfällt. Das ist der Fall, da dem Widerspruch der Antragsteller gegen einen Bauvorbescheid nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Die gerichtliche Entscheidung ergeht nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse des beigeladenen Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung des ihm erteilten Bauvorbescheids einschließlich der damit verknüpften Befreiungen vom maßgeblichen Bebauungsplan einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung des Bauvorbescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bauvorbescheids in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob der angefochtene Bauvorbescheid insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist der Bauvorbescheid allein daraufhin zu untersuchen, ob er gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch einen Bauvorbescheid allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse des Beigeladenen, den ihm erteilten Bauvorbescheid sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs der Antragsteller ausnutzen zu können. Denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der angefochtene Bauvorbescheid des Antragsgegners vom xxx Nachbarrechte der Antragsteller verletzt, vielmehr ist offensichtlich, dass das nicht der Fall ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>So wahrt der angefochtene Bauvorbescheid die Vorschriften über einzuhaltende Abstandsflächen. Da die Antragsteller mit ihren Grundstücken von dem geplanten Neubau durch das zu sanierende Reihenhaus getrennt liegen, ist dies offenkundig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Der Bauvorbescheid verstößt auch nicht etwa gegen das im vorliegenden Fall gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Begriff des „Einfügens“ enthaltene Rücksichtnahmegebot.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Bei der hier streitgegenständlichen Bebauung ist das Rücksichtnahmegebot in seiner besonderen Ausprägung der Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beachten, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich über das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich zur Anwendung kommen können (BVerwG, Urt. v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – Rn. 12). Die Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung sind auch auf die hier anzutreffende Reihenhausbebauung anzuwenden, da die Häuserzeile, zu der die Wohnhäuser der Antragsteller und das schon vorhandene Gebäude des Beigeladenen gehören und an die das streitgegenständliche Vorhaben grenzständig angebaut werden soll, im Bestand als bauliche Einheit wirkt und die Einzelhäuser quantitativ sowie qualitativ in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.2015 – 4 B 65.14 – Rn. 6). Das besondere Nachbarschaftsverhältnis mit dem Erfordernis eines gegenseitigen Interessensausgleichs gilt auch für die benachbarten Häuser einer Hausgruppe i.S.v. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (BVerwG, Beschl. v. 19.3.2015 – 4 B 65.14 – Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Ist ein unbeplanter Innenbereich in offener Bauweise bebaut, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen im Sinne von § 22 Abs. 2 BauNVO den maßgeblichen Rahmen bilden, fügt sich ein grenzständiges Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich nicht nach der Bauweise ein, wenn es unter Beseitigung eines bestehenden Doppelhauses grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus zu bilden (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 –; Urt. v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – ). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus einen wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Danach bindet dieser Verzicht die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessensausgleichs ein, wodurch die Baufreiheit zugleich erweitert und beschränkt wird. Einerseits wird durch die Möglichkeit des Grenzanbaus die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke erhöht, was aber durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, erkauft wird (BVerwG, Urt. v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – Rn. 22 m.w.N.). Diese Interessenlage rechtfertigt es, dem Bauherrn eine Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen, die eine grenzständige Bebauung ausschließt, wenn er den bisher durch das Doppelhaus gezogenen Rahmen überschreitet und der Doppelhauscharakter durch die Änderung entfällt. Ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (BVerwG, Urt. v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – Rn. 13 m.w.N.). Demnach liegt eine bauliche Einheit vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtkörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden müssen. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (VGH München, Urt. v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind. In quantitativer Hinsicht können bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschoßzahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und -breite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen sein. In qualitativer Hinsicht kommt es u.a. auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an. Bei den quantitativen Kriterien ist allerdings eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen (BVerwG, Urt. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – Rn. 15). Es ist qualitativ insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes entscheidend, auf die umgebende Bebauung kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – Rn. 14 ff.). Die beiden „Haushälften“ können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Allerdings liegt es laut Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – Rn. 17) nahe, bei der Gebäudehöhe ein Verhältnis als Ausgangspunkt zu wählen, weil dieses nach außen besonders sichtbar wird. Eine gemeinsame Gebäudehöhe ist für das Maß der Übereinstimmung beider Gebäude deshalb von besonderer Bedeutung. Für eine feste oder indizielle Grenze von 50 % fehlt indes jeder Anhalt. Bei der Bautiefe liegt es anders: Ob ein Versprung durch unterschiedliche Bautiefen den Eindruck eines gemeinsamen Baukörpers aufhebt und das Grenzgrundstück abriegelt, hängt nur zum Teil davon ab, auf welcher Länge die Gebäude aneinandergebaut sind, namentlich, wenn die Länge der gemeinsamen Wand nicht sichtbar ist. Es sind regelmäßig weitere Kriterien in Betracht zu ziehen, etwa die Höhe der einseitig grenzständigen Wand sowie die Frage, ob der Versprung in voller Länge auf einer Gebäudeseite auftritt oder in jeweils geringerem Maße Vorder- und Rückseite belastet. Diese Einwände sprechen auch gegen einen mathematisch-prozentualen Maßstab beim oberirdischen Brutto-Raumvolumen, weil dieses durch Gebäudehöhe und Bautiefe maßgeblich mitbestimmt wird. Schließlich macht es für das Maß an hinnehmbarer Abweichung keinen Unterschied, ob die Gebäude ursprünglich übereinstimmend eingeschossig oder übereinstimmend zweigeschossig sind. Insoweit ist die Betrachtung eines Verhältnisses als Ausgangspunkt verfehlt (BVerwG, Urt. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – Rn. 17).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Nach diesen Maßgaben überschreitet das grenzständige Vorhaben des Beigeladenen den gegenwärtig durch die Reihenhausbebauung gezogenen Rahmen nach Auffassung der Kammer – noch – nicht. Die vorhandene Reihenhausbauweise schließt nämlich auch eine Veränderung der Kubatur einer einzelnen Gebäudescheibe nicht aus, solange ein Mindestmaß an Übereinstimmung verbleibt, bei dem der Hausgruppencharakter erkennbar bleibt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 01.06.2021, - 1 ME 137/20 – Rn 22). Das ist hier der Fall.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>So stellt sich die im Bauvorbescheid ausgewiesene Firsthöhe von 9,19 m nicht als den Gesamteindruck der Reihenhauszeile wesentlich beeinflussend dar. Auch das für Hausgruppen gerade nicht untypische Zurücktreten des neuen Reihenendhauses gegenüber der vorhandenen Bauflucht um 3 m und das damit auf der Nordseite korrespondierende Vortreten der Rückwand um ca. 1,70 m lässt den Eindruck des Hausgruppencharakters unberührt. Jedenfalls kann noch nicht die Rede davon sein, dass kein Mindestmaß an Übereinstimmung mehr verbleibt, bei dem der Hausgruppencharakter erkennbar bleibt. Auch wenn die flächenmäßige Ausdehnung des Neubaus die Grundflächen der zwei Reihenhausscheiben auf den Grundstücken xxx und xxx deutlich überschreitet, rechtfertigt dies deshalb noch keine andere Beurteilung, da schon die bisher vorhandene Reihenhauszeile bzw. Hausgruppe keineswegs durch deren Kleingliedrigkeit geprägt wird, sondern bereits das westliche Reihenendhaus der Antragsteller auf dem Grundstück xxx fast die doppelte überbaute Fläche aufweist wie die beiden Reihenhausscheiben auf den Grundstücken xxx und xxx. Dabei ist im Übrigen nicht allein von der ursprünglich genehmigten Ausgestaltung auszugehen, sondern – unabhängig davon, dass die in das Haus Nr. xxx von der Genehmigung her noch integrierte Garage schon Bestandteil der Kubatur der Reihenhauszeile war – zu berücksichtigen, dass die Garage inzwischen offenbar als Wohnraum genutzt wird.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p><strong>>hier befindet sich eine Skizze<</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Insofern vermag auch der rückwärtige Anbau als Teil des neuen Reihenendhauses den letztendlich noch verbleibenden Hausgruppencharakter nicht in einer solchen Weise zu beeinflussen, dass nicht mehr von einem Mindestmaß an Übereinstimmung ausgegangen werden könnte. So hat auch das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht im Fall des in der nachfolgenden Skizze wiedergegebenen rückwärtigen, immerhin zweigeschossigen Anbaus an ein ansonsten eingeschossiges Doppelhaus noch angenommen, dass dadurch der Doppelhauscharakter noch nicht verloren geht (Beschl. v. xxx -).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Auch im Übrigen ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch den in vorgenannter Weise beschränkt überprüfbaren angefochtenen Bescheid über die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens offensichtlich nicht gegeben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>So können sich die Antragsteller nicht mit Erfolg auf einen sog. Gebietserhaltungs- oder Gebietsbewahrungsanspruch berufen. Dieser Anspruch wird durch die Zulassung eines mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch eine „Verfremdung“ des Gebiets eingeleitet und damit das nachbarliche Austauschverhältnis gestört wird, das auf dem Gedanken beruht, dass sich jeder Grundstückseigentümer davor schützen können muss, dass er über die durch die Festsetzung einer Gebietsart normierte oder aus einer wie hier faktisch vorhandenen Gebietsart eines allgemeinen Wohngebietes oder eines Mischgebietes sich ergebenden Beschränkung seiner Baufreiheit hinaus durch eine nicht zulässige Nutzung eines anderen Grundstückseigentümers nochmals zusätzlich belastet wird (BVerwG, Urt. 16.9.1993, - 4 C 28.91 -; Urt. v. 23.08.1996, - 4 C 13.94 -; OVG Schleswig, Beschl. v. 07.06.1999, - 1 M 119/98 -). Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, Beschl. v. 15.09.2020 – 4 B 46/19 –, Rn. 5).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Ein solches seiner <span style="text-decoration:underline">Art</span> nach gebietsunverträgliches Vorhaben liegt mit dem der Beigeladenen genehmigten Wohnbauvorhaben, das von der Nutzungsart her lediglich zum Hinzutreten einer weiteren Wohneinheit führt, jedoch offenkundig nicht vor. Als Nutzungsart kennt die Baunutzungsverordnung nur das „Wohnen“ als solches, ohne dahingehend zu differenzieren, ob diese Nutzung in freistehenden Einfamilien-, Doppel- oder Mehrfamilienhäusern erfolgt. Ohnehin können sich die Antragsteller nicht gegenüber einer Genehmigung für eine Wohnnutzung mit Erfolg auf die Verletzung eigener Rechte durch die Art der baulichen Nutzung berufen, wenn sie selbst ihr Grundstück auch zum Wohnen nutzen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Ebenso wenig begründet der Umstand, dass das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen vom Maß, insbesondere der Gebäudehöhe teilweise etwas größer ausfällt als die bereits im Umfeld vorhandenen Gebäude, einen Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch (OVG Schleswig, Beschl. vom 15.01.2013 - 1 MB 46/12 -, Beschl. v. 25.10.2012 - 1 MB 38/12 -).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Einen darüber hinausgehenden Gebietsprägungserhaltungsanspruch des Inhalts, dass dieser unabhängig von der Art der Nutzung des geplanten Bauvorhabens einen Abwehranspruch vermittelt, weil das Vorhaben einem für das Baugebiet charakteristischen harmonischen Erscheinungsbild, etwa im Sinne einer vorrangigen Bebauung mit Häusern mit geringer Größe, nicht entspricht, erkennen weder die Kammer noch das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung an (z. B. Beschl. v. 17.12.2012 - 2 B 88/12 -; v. 29.01.2014 - 2 B 6/14 -; v. 24.02.2014 - 2 B 12/14 -; v. 04.07.2017 – 2 B 25/17; OVG Schleswig, Beschl. v. 12.05.2020, - 1 MB 9/20 – Rn 6; Beschl. v. 21.07.2015 – 1 MB 16/15 -; s. a. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.5.2014, - 1 ME 47/14 -;).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Daher kommt es für das vorliegende Verfahren auch nicht darauf an, ob durch das geplante Bauvorhaben aus Sicht der Antragsteller das Erscheinungsbild der näheren Umgebung beeinträchtigt wird. Dieses behauptete Erscheinungsbild resultiert allein aus Kriterien, die das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche betreffen. Bei diesen Kriterien handelt es sich aber nach allgemeiner Auffassung der Verwaltungsgerichte um solche, die nur im überplanten Gebiet und auch nur dann bei Feststellung eines entsprechenden ausdrücklichen planerischen Willens der Gemeinde Drittschutz vermitteln können (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 12.05.2020, - 1 MB 9/20 – Rn 6; Beschl. v. 25.10.2012, - 1 MB 38/12 -, Beschl. v. 25.10.2012, - 1 MB 38/12 -). Abweichungen von den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung sind nämlich mit Abweichungen über die Art der baulichen Nutzung nicht vergleichbar. Sie lassen in der Regel den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Zum Schutz der Nachbarn ist im unbeplanten Innenbereich insoweit das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot ausreichend, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt. Bei Abweichungen vom „einfügsamen“ Maß der Nutzung, wie dies von den Antragstellern hinsichtlich der Höhe des genehmigten Baukörpers gerügt wird, bietet - allein - das drittschützende Rücksichtnahmegebot ausreichenden Schutz (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 25.10.2012, - 1 MB 38/12 - juris). Insofern bedarf es im vorliegenden Fall insbesondere keiner Prüfung, ob das genehmigte Vorhaben tatsächlich über den in der näheren Umgebung vorgegebenen Rahmen hinsichtlich der vorgenannten Maß-Kriterien hinausgeht und sich deshalb im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nicht einfügt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Nach der Rechtsprechung der Kammer und des Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgerichts kommt auch der überbaubaren Grundstücksfläche (hier der Bebauungstiefe) keine nachbarschützende Bedeutung zu, es sei denn, ein Bebauungsplan oder seine Begründung sind insoweit ausdrücklich nachbarschützend ausgerichtet (OVG Schleswig, Beschl. v. 24.06.2014 - 1 MB 8/14 -; Beschl. v. 22.04.2015 - 1 MB 9/15 -; Beschl. v. 30.04.2009, - 1 MB 10/09 -; Beschl. v. 20.12.1993, - 1 M 71/93 -; VG Schleswig, Beschl. v. 19.04.2016 - 2 B 33/16 – und v. 22.04.2016, - 2 B 34/16 –). Besteht - wie hier - kein Bebauungsplan, bleibt es bei dem Grundsatz, dass weder eine Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung noch eine Abweichung von der überbaubaren Grundstücksfläche oder der (faktischen) Baugrenze nachbarrechtliche Abwehrrechte auslöst. Zum Schutze der Nachbarn ist daher auch insoweit das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot ausreichend, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Das Wohnbauvorhaben des Beigeladenen verletzt seinen Ausmaßen und seiner Lage nach auch nicht das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Welche Anforderung das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - 4 C 22/75 -, Rn. 22).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Soweit ein Bauvorhaben die landesrechtlichen Abstandvorschriften einhält, scheidet die Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebotes der Rücksichtnahme hinsichtlich der Wirkungen des Baukörpers im Regelfall aus (<span style="text-decoration:underline">OVG Schleswig, Beschl. v. 13.07.2021, - 1 MB 14/21 -; Beschl. v. 11.11.2010 - 1 MB 16/10</span> -, Rn. 14; <span style="text-decoration:underline">Urt. v. 20.01.2005 - 1 LB 23/04</span> -, Rn. 44; <span style="text-decoration:underline">BVerwG, Beschl. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98</span> -, Rn. 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p>Unter besonderen Umständen kann ein Bauvorhaben - ausnahmsweise - auch dann rücksichtslos sein, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandflächen gewahrt sind. Dies kommt in Betracht bei „bedrängender“ oder (gar) „erdrückender“ Wirkung einer baulichen Anlage oder in Fällen, die - absehbar - zu gravierenden, allein durch die Abstandflächenwahrung nicht zu bewältigenden Nutzungskonflikten führen (<span style="text-decoration:underline">OVG Schleswig, Beschl. v. 11.11.2010 - 1 MB 16/10</span> -, Rn. 15 mwN).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass nachbarliche Belange in unzumutbarer Weise beeinträchtigt sein können, wenn ein Nachbaranwesen durch die Ausmaße eines Bauvorhabens, seine massive Gestaltung oder seine Lage unangemessen benachteiligt und geradezu „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“ würde. Mit anderen Worten wird dies dann angenommen, wenn die baulichen Dimensionen des „erdrückenden Gebäudes“ aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von dem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, oder das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort das Gefühl des Eingemauertseins oder der Gefängnishofsituation hervorruft. Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert oder dem Nachbarn (sehr) unbequem ist, reicht jedoch nicht aus. Die in den gewählten Ausdrücken bzw. Bildern („Gefängnishofsituation“, „Eingemauertsein“, „erdrücken“, „erschlagen“, „Luft zum Atmen nehmen“) liegende „Dramatik“ ist danach vielmehr ernst zu nehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, Rn. 24 und v. 13.01.2010 - 1 ME 237/09 -, Rn. 14; s.a. Beschl. der Kammer v. 21.02.2011 - 2 B 8/11 -, v. 02.02.2012 - 2 B 1/12 -, v. 28.06.2012 - 2 B 30/12 - und v. 08.12.2014 - 2 B 85/14 -; st Rspr. OVG Schleswig, Beschl. v. 27.11.2020, - 1 LA 85/19 -; Beschl. v. 31.03.2020, - 1 MR 2/20 -, Rn. 15 mwN). Ob eine solche Wirkung vorliegt oder nicht, kann nur unter wertender Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Neben den Ausmaßen der betreffenden Baukörper in ihrem Verhältnis zueinander kann auch deren jeweilige Lage eine maßgebliche Rolle spielen. Im Rahmen dieser Bewertung ist regelmäßig auch die Entfernung zwischen den Baukörpern beziehungsweise die Entfernung der "erdrückenden" baulichen Anlage zu den Grenzen des "erdrückten" Grundstücks von Bedeutung. Zusätzlich kann von Belang sein, wie die angrenzenden Flächen genutzt sind, insbesondere ob die "erdrückende" bauliche Anlage für sich steht oder ob sie von anderen Baukörpern vergleichbarer Dimension umgeben ist, die zu der "erdrückenden Wirkung" noch beitragen und diese verstärken können.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>Nach diesen Grundsätzen vermag die Lage und die Größe der Gebäude auf den Grundstücken zueinander eine baurechtlich als rücksichtslos einzustufende Wirkung nicht zu begründen. Dass die Voraussetzungen für die Annahme einer erdrückenden Wirkung im o.g. Sinne nicht vorliegen, ist offensichtlich. Insbesondere stellt sich das Vorhabengebäude gegenüber den ebenfalls eingeschossigen Gebäuden der Antragsteller selbst unter Berücksichtigung der etwas größeren Firsthöhe keinesfalls als übermächtig dar. Es erscheint zudem ausgeschlossen, dass durch die längere Bebauungstiefe des Vorhabens eine damit verbundene unzumutbare Beeinträchtigung der Grundstücke der Antragsteller, die was den rückwärtigen Anbau mit einer Firsthöhe von 7,25 m in mindestens über 13 m Entfernung eintreten könnte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p>Eine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der Tagesbelichtung eines Grundstücks wird im Baurecht ohnehin nicht gewährleistet. Im Übrigen geht die mit dem Vorhaben einhergehende Verschattungswirkung nicht über das hinaus, was in bebauten Ortslagen unvermeidlich und von einem Nachbarn daher hinzunehmen ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p>Das Rücksichtnahmegebot vermittelt in der Regel weder einen Schutz vor Verschlechterung der freien Aussicht noch vor Einsichtsmöglichkeiten (BVerwG, Beschl. v. 03.01.1983 – 4 B 224.82 –, Rn. 5; OVG Schleswig, Beschl. v. 13.07.2021, - 1 MB 14/21 -; Beschl. v. 16.10.2009 – 1 LA 42/09 –, Rn. 11). Da angesichts der konkreten Gegebenheiten das Fehlen eines freien Ausblicks jedenfalls nicht zu einer bedrängenden oder erdrückenden Wirkung führt und auch keine besonders schutzwürdige und außergewöhnliche Aussichtslage gegeben ist (vgl. dazu OVG Schleswig, Beschl. v. 01.02.2017 – 1 LA 49/16 –, Rn. 9 f.), ist ein Ausnahmefall nicht ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_51">51</a></dt> <dd><p>Das vorläufige Rechtsschutzgesuch der Antragsteller war nach alldem mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_52">52</a></dt> <dd><p>Es entsprach hier der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil er sich nicht durch das Stellen eines eigenen Sachantrages nach § 154 Abs. 3 VwGO am Kostenrisiko des vorliegenden Verfahrens beteiligt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_53">53</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG, wobei die Kammer unter Berücksichtigung der geltend gemachten Beeinträchtigungen der Wohnhäuser der Antragsteller von einem Streitwert in Höhe von 30.000 € (15.000 € je Wohnhaus, dessen Beeinträchtigung geltend gemacht wird) für das Hauptsacheverfahren ausgeht, der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war.</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,286
ovgnrw-2022-08-15-8-e-56122
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
8 E 561/22
2022-08-15T00:00:00
2022-08-24T10:01:05
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.8E561.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. August 2022 wird zurückgewiesen.</p> <p>Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Über die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. August 2022 entscheidet die Berichterstatterin gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Hs. 2 GKG als Einzelrichterin.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die von den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin aus eigenem Recht (§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG) erhobene Beschwerde mit dem Ziel, den vom Verwaltungsgericht für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 2.400,- Euro festgesetzten Streitwert auf 4.800,- Euro heraufzusetzen, ist bereits unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) nicht übersteigt. Ausgehend von dem im erstinstanzlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 2.400,- Euro festgesetzten Streitwert betragen die streitwertabhängigen Anwaltsgebühren 288,60 Euro (1,3 x 222,- Euro, vgl. die Gebührentabelle Anlage 2 i. V. m. Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG). Hinzu kommen die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikation (Nr. 7002 der Anlage 1 zum RVG: max. 20,- Euro) und die Umsatzsteuer i. H. v. 19 %. Daraus ergibt sich ein Betrag von 367,23 Euro. Bei Ansatz eines Streitwerts von 4.800,- Euro erhöht sich die (einfache) Gebühr nach der Gebührentabelle Anlage 2 zum RVG auf 334,- Euro. Daraus ergibt sich ein Gesamtbetrag von 540,50 Euro (1,3 x 334, zzgl. 20 Euro Telekommunikationspauschale und USt.) Der sich aus der Differenz dieser Beträge ergebende Beschwerdewert übersteigt damit 200,- Euro nicht.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon wäre die Streitwertbeschwerde auch unbegründet. Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass, die Streitwertpraxis des Senats, wonach in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend Fahrtenbuchauflagen die Hälfte des im Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Betrags (400,- Euro für jeden Monat der Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage) anzusetzen ist (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013),</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">ebenso vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 25. April 2022 - 11 CS 22.549 -, juris Rn. 18; Hamb. OVG, Beschluss vom 23. September 2021 - 4 Bs 140/21 <a href="https://www.juris.testa-de.net/perma?d=MWRE210003615">-, juris</a> Rn. 47; Nds. OVG, Beschluss vom 14. April 2021 - 12 ME 39/21 -, juris Rn. 20; OVG Saarl., Beschluss vom 18. Juli 2016 - 1 B 131/16 -, juris Rn. 41; OVG Sachs.-A., Beschluss vom 23. März 2021 - 3 M 19/21 -, juris Rn. 24; Sächs. OVG, Beschluss vom 10. Januar 2020 - 6 B 297/19 -, juris Rn. 6,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">zu ändern.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei ist grundsätzlich auch zu berücksichtigen, ob der begehrte vorläufige Rechtsschutz nach seinen Wirkungen der Bedeutung der Hauptsache gleichkommt. Dem entspricht, dass die Anhebung des Streitwerts im Falle einer Vorwegnahme der Hauptsache auch nach den ohnehin nicht bindenden Empfehlungen des Streitwertkatalogs nicht zwingend, sondern lediglich fakultativ ist (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013). Zwar mag es zutreffen, dass in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung angeordnet ist und die Pflicht zur Führung des Fahrtenbuchs mit der Zustellung der Anordnung wirksam wird, wegen der begrenzten Dauer der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs, hinsichtlich eines Teils dieses Zeitraums bis zur Entscheidung im Klageverfahren eine Vorwegnahme der Hauptsache eintritt, worauf die vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin angeführte, abweichende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg abstellt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. Februar 2009 - 10 S 3350/08 -, <span style="text-decoration:underline">juris</span> Rn. 6; ebenso: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. August 2015 - 10 S 278/15 -, <span style="text-decoration:underline">juris</span> Rn. 22; vgl. auch Thür. OVG, Beschluss vom 20. September 2018 - 2 EO 378/18 -, <span style="text-decoration:underline">juris</span> Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">In welchem Umfang dies der Fall sein wird, lässt sich jedoch bei Eingang des Verfahrens und damit zu dem für die Streitwertberechnung nach den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. § 40 GKG maßgeblichen Zeitpunkt nicht absehen. Gerade bei Fahrtenbuchanordnungen für die Dauer von - wie hier - 12 Monaten ist nach den Erfahrungen des Senats aber nicht regelmäßig anzunehmen, dass sich die Fahrtenbuchanordnung vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren insgesamt erledigen wird.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,285
ovgnrw-2022-08-15-9-a-51720
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
9 A 517/20
2022-08-15T00:00:00
2022-08-24T10:01:04
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.9A517.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin stellt in ihrem Betrieb im Gebiet des Beklagten Fleischerzeugnisse her und vertreibt diese bundesweit über den Einzelhandel, u. a. das Produkt „Geflügel Salami“.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf der Vorderseite der Fertigverpackung dieses Produkts befindet sich auf einer transparenten Folie unterhalb des Logos der Klägerin die Angabe „Geflügel Salami“. Auf der Rückseite der Verpackung erfolgt ‑ oberhalb des Zutatenverzeichnisses und der Nährwertangaben ‑ in Fettdruck die Angabe „Geflügel Salami“ und darunter in kleinerer Schrift und nicht in Fettdruck die Angabe „mit Schweinespeck“. Im Zutatenverzeichnis ist als Zutat zunächst Putenfleisch aufgeführt, sodann Schweinespeck, gefolgt von weiteren Zutaten wie etwa Speisesalz, Traubenzucker, Gewürze und Zusatzstoffe. Ferner wird dort angegeben, dass 100 g Salami aus 124 g Putenfleisch und 13 g Schweinespeck hergestellt werden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Seit Herbst 2016 gingen dem Beklagten als für die Lebensmittelüberwachung zuständige Behörde zu klägerischen Produkten mehrere Beanstandungen unterschiedlicher Untersuchungseinrichtungen zu. In Bezug auf das Produkt „Geflügel Salami“ rügten das hessische Landeslabor und das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Ostwestfalen-Lippe mit Prüfberichten vom 21. Oktober 2016, vom 23. Mai 2017 und vom 9. Juni 2017 einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 (irreführende Informationen über ein Lebensmittel). Auf der Vorderseite der Verpackung werde das Produkt als „Geflügel Salami“ bezeichnet, während es sich nach den Angaben auf der Rückseite der Verpackung um „Geflügel Salami mit Schweinespeck“ handele. Bei der Bezeichnung „Geflügel Salami“ erwarte der Verbraucher nicht die Verwendung von Schweinespeck, die auf der Rückseite der Verpackung aber beschrieben werde. Auch die Verbraucherzentrale NRW wandte sich im Mai 2017 an den Beklagten mit dem Hinweis auf eine Verbraucherbeschwerde. Der Verbraucher sehe sich durch die Aufmachung des Produkts „Geflügel Salami“ getäuscht, weil der Wortlaut auf der Sichtseite der Packung keinen Anhaltspunkt vermittele, dass in dem Produkt Teile vom Schwein enthalten seien.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Daraufhin leitete der Beklagte mit Schreiben vom 29. September 2017 gegen drei Geschäftsführer der Klägerin ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 ein.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Im November 2017 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Minden erhoben mit dem Begehren, festzustellen, dass das Produkt „Geflügel Salami“, das Gegenstand der Beanstandung des Beklagten vom 29. September 2017 sei, in objektiver Hinsicht nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 verstoße.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht Minden hat die Klage durch Urteil vom 22. Januar 2020 abgewiesen. Die Feststellungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Die auf der Verpackung des Produkts „Geflügel Salami“ befindlichen Informationen seien nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 irreführend, weshalb der Klägerin kein Anspruch auf die begehrte Feststellung zustehe. Dagegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1. Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) 1169/2011 bejaht, ohne dass die Richtigkeit dieser Einschätzung durch das Zulassungsvorbringen schlüssig in Frage gestellt wird.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (ABl. L 304 S. 18) dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angeführt hat, ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Verbraucher durch die betreffende Information irregeführt wird, auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Es kommt darauf an, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 ‑ C‑195/14 ‑, juris Rn. 36 (zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13); BVerwG, Beschluss vom 19. September 2016 ‑ 3 B 52.15 ‑, juris Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran stellt das Zulassungsvorbringen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Informationen auf der Verpackung des streitgegenständlichen Lebensmittels irreführend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 seien, nicht schlüssig in Frage.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">a. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Verbraucher erwarte aufgrund der Bezeichnung des Produkts als „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung in nicht zutreffender Weise, das Produkt enthalte nur Geflügel, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei der Bestimmung der Erwartung des maßgeblichen Durchschnittsverbrauchers hat das Verwaltungsgericht zunächst ‑ was die Klägerin im Ausgangspunkt nicht beanstandet ‑ auf die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs zurückgegriffen. Diese Leitsätze sind keine Rechtsnormen, können aber als Orientierung zur Ermittlung der Verbrauchererwartung herangezogen werden.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2012 ‑ 3 C 17.12 ‑, NVwZ-RR 2013, 141 = juris Rn. 22, und Beschluss vom 5. April 2011 ‑ 3 B 79.10 ‑, LRE 63, 110 = juris Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Seine Auffassung, dass der Verbraucher bei einem Fleischerzeugnis mit der Bezeichnung „Geflügel Salami“ die Verwendung ausschließlich von Geflügel erwarte, hat das Verwaltungsgericht dem Leitsatz Nr. I. 2.11.4 für Fleisch und Fleischerzeugnisse entnommen. Nach Absatz 1 Satz 1 dieses Leitsatzes werden Fleischerzeugnisse (…), in deren Bezeichnung des Lebensmittels auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, ausschließlich aus Teilen der Tierarten Huhn und/oder Pute (= Truthuhn) hergestellt. Nach Absatz 3 wird, wenn Geflügelfleischerzeugnisse unter Mitverwendung von anderen Tierarten hergestellt werden, auf diese Tierart in der Bezeichnung des Lebensmittels hingewiesen, z. B. „Geflügel-Wiener Würstchen mit Rindfleisch“, „Puten-Leberwurst mit 20 % Schweinefleisch“.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Verbrauchererwartung wird durch das Zulassungsvorbringen nicht schlüssig in Frage stellt. Die Klägerin meint, der Wortlaut von Nr. I. 2.11.4 der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse sei nicht eindeutig und eine systematische und historische Auslegung dieses Leitsatzes ergebe, dass nur die Verwendung von „Fleisch“ (einer anderen Tierart als Huhn und/oder Pute) im Sinne der Nr. I. 1.1 Satz 1 der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse, also letztlich von Skelettmuskulatur, kenntlich gemacht werden müsse. Bei dem hier streitgegenständlichen Produkt „Geflügel Salami“ werde aber neben Geflügel nur Schweinespeck verwendet, bei dem es sich nicht um Fleisch im Sinne der Nr. I. 1.1 Satz 1 handele.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Damit wird die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht schlüssig in Frage gestellt, dass der Verbraucher bei der Bezeichnung „Geflügel Salami“ erwarte, das Produkt enthalte „nur Geflügel“ (Urteilsabdruck S. 12) und „keine Teile anderer Tierarten als Huhn bzw. Pute“ (Urteilsabdruck S. 18) und damit auch nicht die Verwendung von Schweinespeck.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Leitsatz Nr. I. 2.11.4 ist insoweit eindeutig. In Absatz 1 Satz 1 ist ausgeführt, dass Fleischerzeugnisse, in deren Bezeichnung auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, ausschließlich aus Teilen der Tierarten Huhn und/oder Pute hergestellt werden. Auch Absatz 3 dieses Leitsatzes spricht lediglich von der Mitverwendung von anderen Tierarten, auf die in der Bezeichnung hingewiesen wird. Welche Teile der anderen Tiere mitverwendet werden, ist danach unerheblich. Die von der Klägerin angeführte unterschiedliche Definition des Fleischbegriffs als alle Teile von Tieren, die zum Genuss bestimmt sind (Nr. I. 1 Satz 1 der Leitsätze), oder ‑ bei der gewerbsmäßigen Herstellung von Fleischerzeugnissen ‑ als Skelettmuskulatur mit anhaftendem oder eingelagertem Fett- und Bindegewebe sowie eingelagerten Lymphknoten, Nerven, Gefäßen und Schweinespeicheldrüsen (Nr. I. 1.1 Satz 1 der Leitsätze), ist danach hier irrelevant.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dass etwas anderes für die Verwendung von Därmen als Wursthülle oder von sonstigen Wursthüllen gelten mag (vgl. Leitsatz Nr. I. 2.11.2), ist unerheblich, da es hier um die Verbrauchererwartung im Hinblick auf die Zusammensetzung des Fleischerzeugnisses selbst geht und nicht um die Erwartung in Bezug auf eine etwaige Wursthülle.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Klägerin, der Leitsatz Nr. I. 2.11.3 zu Zusatzbezeichnungen wie „rein“ und vergleichbaren Hinweisen wäre nicht erforderlich oder derartige Zusatzbezeichnungen sogar irreführend nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der VO (EU) Nr. 1169/2011, wenn sich die ausschließliche Verwendung von Fleisch einer bestimmten Tierart bereits aus der Bezeichnung des Lebensmittels ergeben müsse, führt ebenfalls nicht weiter. Die Klägerin setzt sich schon mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auseinander, Nr. I. 2.11.3 gelte für alle Tierarten, während Nr. I. 2.11.4 für Geflügelfleischerzeugnisse eine besondere Verkehrserwartung beschreibe. Überdies stellt die Möglichkeit des Herstellers, soweit zulässig, eine Zusatzbezeichnung anzugeben, nicht in Frage, dass der Durchschnittsverbraucher dann, wenn bei der Bezeichnung des Lebensmittels auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, auch ohne eine Zusatzbezeichnung wie „rein“ die ausschließliche Verwendung von Geflügel erwartet.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Klägerin, dass es ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten nur zwei Beschwerden von Verbrauchern gegeben habe, diese Anzahl an Beschwerden im Verhältnis zu der Anzahl der verkauften Produkte jedoch gegen Null gehe, begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Annahme einer Irreführung der Verbraucher durch die Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung des Produkts. Die maßgebliche Erwartung des Durchschnittsverbrauchers ist grundsätzlich unabhängig davon zu bestimmen, ob und wie viele Verbraucher das Produkt tatsächlich wegen einer irreführenden Angabe beanstanden. Liegen allerdings solche Verbraucherbeschwerden vor, kann das als Indiz für eine irreführende Information berücksichtigt werden. Nichts anderes hat im Ergebnis das Verwaltungsgericht angenommen. Es hat entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung insbesondere nicht angenommen, dass zwei Verbraucher, die ihre Meinung aktiv äußern, die Verbrauchererwartung bestimmen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Anders als die Klägerin meint, hat das Verwaltungsgericht von ihr auch nicht die „Führung eines Negativbeweises“ in dem Sinne verlangt, dass keine irreführende Information vorliege. Es hat die maßgebliche Verbrauchererwartung vielmehrselbständig ermittelt. Neben der Orientierung an den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse und dem Hinweis auf eine Beanstandung durch die Verbraucherzentrale NRW hat es insoweit weiter berücksichtigt, dass auch die zur Entscheidung berufenen Richter als potentielle Verbraucher bei der Bezeichnung der Salami als „Geflügel Salami“ nicht die Verwendung von Schweinspeck erwarteten. Im Hinblick auf den Einwand der Klägerin, das Produkt werde millionenfach an zufriedene Kunden verkauft, hat es ausgeführt, dass durch eine (erfolgreiche) Vermarkung nicht sicher feststellbar sei, in welchem Bewusstsein die Verbraucher ihre Kaufentscheidung getroffen hätten. Es sei auch nicht sicher feststellbar, ob flächendeckende Kundenbeanstandungen mangels beanstandungsbedürftiger Umstände oder aufgrund des damit einhergehenden Aufwands unterblieben. Außerdem könne die Vermarktung des Produkts gerade deshalb erfolgreich verlaufen, weil die Verbraucher aufgrund der Aufmachung der Verpackung falsche Vorstellungen von dem Erzeugnis hätten. Dass diese Erwägungen unzutreffend sein könnten, zeigt die Antragsbegründung nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">b. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass eine etwaige irreführende Angabe auf der Vorderseite der Verpackung jedenfalls durch die Angaben auf der Rückseite der Verpackung beseitigt würde, weil dort auf die Verwendung von Schweinespeck sowohl durch einen (freiwilligen) Zusatz zu der Bezeichnung „Geflügel Salami“ als auch durch die Nennung von Schweinespeck im Zutatenverzeichnis hingewiesen werde.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Urteil vom 4. Juni 2015 ‑ C-195/14 ‑, juris Rn. 36 ff.,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">angenommen, dass bei der Prüfung einer etwaigen Irreführung u. a. die Platzierung der Angaben auf der Verpackung zu berücksichtigen sei. Danach seien bei der von der Klägerin gewählten Verpackungsgestaltung die Angaben auf der Rückseite der Verpackung zur Verwendung von Schweinespeck in dem Produkt nicht geeignet, den falschen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Zusammensetzung bzw. der Art und Identität des Lebensmittels wegen der Angabe auf der Vorderseite der Verpackung zu berichtigen. Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher werde durch die Verpackungsgestaltung zunächst nahezu ausschließlich mit der Bezeichnung „Geflügel Salami“ konfrontiert. Dies löse bei ihm die Fehlvorstellung aus, das Produkt enthalte nur Bestandteile der Tierarten Huhn oder Pute. Nehme der Verbraucher dann auch die Rückseite der Verpackung zur Kenntnis, werde er mit dazu im Widerspruch stehenden Angaben konfrontiert, nämlich damit, dass das Produkt auch Schweinespeck enthalte. Bei solchen widersprüchlichen oder missverständlichen Angaben sei regelmäßig, so auch hier, von einer Irreführung auszugehen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Diese Annahmen stellt die Antragsbegründung nicht schlüssig in Frage. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Verbrauchererwartung bei dem streitgegenständlichen Produkt ‑ unter Berücksichtigung seiner Aufmachung insgesamt - maßgeblich durch die (isolierte) Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung beeinflusst wird. Der falsche Eindruck, der dadurch beim Verbraucher in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels erweckt wird (ausschließliche Verwendung von Geflügel), wird durch die Kenntlichmachung, dass in dem Produkt (auch) Bestandteile vom Schwein enthalten sind, (nur) auf der Rückseite der Verpackung nicht berichtigt. Das gilt auch im Hinblick auf den Einwand der Klägerin, die Information, dass in dem Produkt Schweinspeck enthalten ist, ergebe sich nicht nur aus dem Zutatenverzeichnis, sondern zusätzlich dazu noch aus dem Zusatz „mit Schweinespeck“ zu der Bezeichnung „Geflügel Salami“ oberhalb des Zutatenverzeichnisses. Dieser Einwand stellt die auch vom Verwaltungsgericht angenommene maßgebliche Beeinflussung der Verbrauchererwartung durch die konkrete Gestaltung der Verpackungsvorderseite nicht in Frage.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">c. Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass es auf die Beantwortung der Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorliege, nicht ankomme, greift ebenfalls nicht durch. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Frage, ob die Bezeichnung des streitgegenständlichen Lebensmittels den Anforderungen der genannten Vorschrift entspricht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich ist.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Gegenstand der Feststellungsklage ist nach dem Begehren der Klägerin allein die Frage, ob die Informationen auf der Verpackung des Produkts „Geflügel Salami“ irreführend gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 sind. Maßgeblich hierfür ist, ob die ‑ von der Klägerin gewählte ‑ Gesamtaufmachung des Produkts zu einer Irreführung des Verbrauchers im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 führen kann. Nicht zur Entscheidung gestellt ist dagegen die Frage, ob das Produkt mit einer Angabe nach Nr. 4 des Anhangs VI Teil A der VO (EU) Nr. 1169/2011 zu versehen ist. Im Übrigen ist auch eine Irreführung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der VO (EU) Nr. 1169/2011 weder von dem Beklagten in seinem Schreiben vom 29. September 2017 behauptet noch vom Verwaltungsgericht geprüft oder gar bejaht worden.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Anders als die Klägerin meint, führt der Umstand, dass bei der Bezeichnung eines Lebensmittels die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 eingehalten sind, für sich genommen nicht dazu, dass die Informationen über das Lebensmittel insgesamt unionsrechtlich zulässig wären. Denn das Unionsrecht normiert in Art. 7 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1169/2011 daneben, dass Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein dürfen. Eine „Information über Lebensmittel“ ist dabei jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und dem Endverbraucher durch ein Etikett oder in anderer Form zur Verfügung gestellt wird (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011). Irreführende Informationen über Lebensmittel sind danach unionsrechtlich unzulässig. Das gilt wegen der insoweit maßgeblichen Gesamtbetrachtung auch dann, wenn die Bezeichnung des Lebensmittels als Teil einer Information über ein Lebensmittel ‑ isoliert betrachtet ‑ den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 entspricht. Die Frage, ob im konkreten Fall eine Irreführung vorliegt, ist demnach unabhängig davon zu beantworten, ob die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 eingehalten sind.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2017 ‑ 5 Bs 61/17 ‑. Im Gegenteil hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht in diesem (Eilbeschwerde-)Verfahren, dessen Streitgegenstand im Übrigen ‑ anders als hier ‑ eine behördliche Verfügung war, mit der der dortigen Antragstellerin eine Kennzeichnung nach Anhang VI Teil A der VO (EU) Nr. 1169/2011 aufgegeben worden war, die (weitere) Prüfung, ob ein Verstoß gegen das allgemeine Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorliegt, gerade unabhängig von der Frage nach der Einhaltung der Vorgaben des Anhangs VI Teil A der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorgenommen. Es hat ausgeführt, dass (auch) dann, wenn ein Hersteller die besonderen Vorgaben über verpflichtende Informationen über Lebensmittel in Art. 9 ff. der VO (EU) Nr. 1169/2011 einhalte, ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1169/2011 nicht ausgeschlossen sei. Es erscheine denkbar, dass trotz erfolgter Einhaltung der Vorgaben in Art. 9 ff. der VO (EU) Nr. 1169/2011 die äußerliche Gestaltung einer Verpackung irreführend wirken könne, sofern sie den Verbraucher trotz inhaltlich an sich zutreffender Angaben zu in wesentlicher Hinsicht falschen Eindrücken über das Lebensmittel verleite. Es bedürfe dann allerdings seitens der Lebensmittelüberwachungsbehörde einer stichhaltigen, auf die Besonderheiten der einzelnen Verpackung eingehenden Begründung, weshalb sie trotz Einhaltung der Vorgaben in Art. 9 ff. der VO (EU) Nr. 1169/2011 eine Irreführung der Verbraucher annimmt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hamb. OVG, Beschluss vom 16. Mai 2017 ‑ 5 Bs 61/17 ‑, LRE 74, 413 = juris Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht eine solche Irreführung aufgrund der konkreten Aufmachung des streitgegenständlichen Produkts angenommen, namentlich wegen der (isolierten) Angabe „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung, der damit verbundenen Verbrauchererwartung, das Produkt enthalte ausschließlich Geflügel, sowie der hierzu im Widerspruch stehenden Angaben auf der Rückseite der Verpackung zur Verwendung auch von Schweinespeck. Auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts kommt es in diesem Fall aber nicht darauf an, ob die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 eingehalten sind.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die von der Klägerin behauptete Entscheidungserheblichkeit der Frage nach der korrekten Kennzeichnung des Lebensmittels mit einem Zusatz nach Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 ergibt sich auch nicht aus dem von ihr weiter angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1992 ‑ 3 C 33.89 ‑. Das Bundesverwaltungsgericht hat dort zu dem inzwischen außer Kraft getretenen § 17 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 und Satz 1 Buchst. b LMBG ausgeführt, dass der Begriff der Irreführung dahin auszulegen sei, dass die Verwendung einer (unions‑)rechtlich zulässigen Bezeichnung für sich genommen nicht den Tatbestand der genannten nationalen Norm erfülle.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 ‑ 3 C 33.89 ‑, BVerwGE 89, 320 = juris Rn. 40.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Daraus ergibt sich nichts für den vorliegenden Fall, in dem es nicht um eine Kollision von nationalem Recht mit Unionsrecht geht, sondern in dem allein Unionsrecht in Rede steht.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. Juli 2019 ‑ 13 LA 11/19 ‑, a. a. O., juris Rn. 21 und 47.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Zu der Auslegung und Anwendung des inzwischen geltenden Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 verhält sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Im Übrigen ist eine irreführende Information über ein Lebensmittel, wie ausgeführt, (auch) unionsrechtlich nicht zulässig.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern; der Ausgang des Rechtsstreits muss als offen erscheinen. Das ist ‑ wie oben ausgeführt ‑ nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Ermittlung der Verbrauchererwartung begründet im vorliegenden Fall keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art. Anders als die Klägerin offenbar meint, sind hierfür insbesondere keine speziellen Kenntnisse über die „Verwendung bestimmter Bestandteile bei der Herstellung einer Salami aus technologischen Gründen“ erforderlich. Auch die Heranziehung der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse zur Ermittlung der Verbrauchererwartung wirft im vorliegenden Fall, wie ausgeführt, keine besonderen Schwierigkeiten auf.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dass es um „das Zusammenspiel verschiedener unionsrechtlicher Vorschriften“ gehe, wie die Klägerin geltend macht, vermag die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nicht zu begründen. Die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht ist für sich genommen nicht besonders schwierig.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die von der Klägerin als besonders schwierig bezeichnete Frage, ob eine dem Unionsrecht, konkret Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011, entsprechende Bezeichnung als irreführend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 beurteilt werden kann, lässt sich im Zulassungsverfahren ‑ bejahend ‑ beantworten. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob eine Irreführung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorliegt, ist, wie ausgeführt, ob die Gesamtaufmachung des Lebensmittels geeignet ist, den Durchschnittsverbraucher zu der irrtümlichen Annahme zu verleiten, dass das Erzeugnis eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat. Das kann im Einzelfall auch dann zu bejahen sein, wenn die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 eingehalten sind.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">So auch Hamb. OVG, Beschluss vom 16. Mai 2017 ‑ 5 Bs 61/17 ‑, a. a. O. (zu Anhang VI Teil A Nr. 2 der VO (EU) Nr. 1169/2011).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">3. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">a. Die von der Klägerin formulierte Frage,</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">ob aufgrund der Angabe „Geflügel“ i. V. m. der Bezeichnung eines Fleischerzeugnisses die ausschließliche Verwendung von Fleisch im Sinne der Leitsatzziffer I.1 zugelassen ist, oder ob nach Leitsatzziffer 2.11.4 ausschließlich die Verwendung von Fleisch anderer Tierarten in der Bezeichnung kenntlich gemacht werden muss, wobei Fleisch in diesem Fall im Sinne der Leitsatzziffer I.1.1 zu verstehen ist,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">würde sich in dieser Form nicht entscheidungserheblich stellen. Die angesprochenen Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs sind keine Rechtsnormen, die für bestimmte Lebensmittel, hier Fleisch und Fleischerzeugnisse, rechtsverbindlich etwa regeln, welche Zutaten bei der Herstellung verwendet werden dürfen, oder wie die Bezeichnung eines Fleischerzeugnisses zu erfolgen hat. Wie ausgeführt, können die Leitsätze allerdings bei der Ermittlung der Verbrauchererwartung herangezogen werden, wenn es um die Frage einer irreführenden Information über das Lebensmittel geht. Welcher grundsätzliche Klärungsbedarf in diesem Zusammenhang bestehen sollte, legt die Klägerin nicht dar. Sollte die Frage auf das Verständnis des Leitsatzes Nr. I. 2.11.4, und zwar darauf zielen, ob dieser nur die Mitverwendung von Fleisch im Sinne von Nr. I. 1.1 erfasst, lässt sie sich aufgrund der klaren Aussage des Leitsatzes Nr. I. 2.11.4 wie oben ausgeführt (Ziff. 1. a.) ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">b. Die Klägerin hält weiter für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">ob ein grundsätzliches Irreführungspotenzial, das auf der Verpackungsvorderseite seinen Ursprung hat, durch eine Angabe auf der Verpackungsrückseite beseitigt werden kann, wenn eine der verwendeten Zutaten nur auf der Rückseite der Verpackung, dafür aber in Verbindung mit der Bezeichnung angegeben ist, insbesondere wenn sich für den Verbraucher relevante Informationen wie die Angabe zur Haltbarkeit und zur Füllmenge nicht auf der Verpackungsvorderseite befinden, so dass davon auszugehen ist, dass der Verbraucher die Verpackungsrückseite in jedem Fall zur Kenntnis nehmen wird.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die damit angesprochene Frage, ob eine besondere Kenntlichmachung auf der Rückseite der Verpackung eines Lebensmittels eine Irreführung des Verbrauchers durch eine andere Angabe auf der Vorderseite der Verpackung ausschließt, ist einer grundsätzlichen Klärung jedoch nicht zugänglich. Ihre Beantwortung hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab und ist insbesondere unter Berücksichtigung aller Elemente der Aufmachung des konkreten Produkts zu beantworten.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">c. Die Frage,</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">ob auf die Verwendung einer bestimmten Zutat in der Bezeichnung hingewiesen werden muss, wenn dies nach Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 nicht erforderlich ist oder, wenn man die Erforderlichkeit einer solchen Angabe nach Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 unterstellt, ob ein entsprechender Hinweis nach Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 überall wiederholt werden muss, wo die Bezeichnung des Lebensmittels angegeben wird,</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">ist nicht entscheidungserheblich. Die ‑ hier allein streitgegenständliche ‑ Frage, ob eine Irreführung vorliegt, ist, wie ausgeführt, unabhängig davon zu beantworten, ob die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 eingehalten sind.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">4. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) vorliegt. Die Darlegung einer Abweichung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 ‑ 1 B 46.18 u. a. ‑, juris Rn. 11 (zu § 132 VwGO); OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 2020 ‑ 9 A 2787/19 ‑, juris Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">a. Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht weiche von einem Rechtssatz ab, den das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Januar 1992 ‑ 3 C 33.89 ‑ aufgestellt habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil entschieden, dass eine den europäischen Vorschriften des Lebensmittelrechts entsprechende Bezeichnung nicht als irreführend beurteilt werden könne. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhe demgegenüber auf der Annahme, dass eine den Vorschriften des europäischen Lebensmittelrechts entsprechende Bezeichnung gleichwohl als irreführend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 beurteilt werden könne.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Einen derartigen Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht aufgestellt. Es hat insbesondere die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorliegt, offen gelassen, und ist weiter davon ausgegangen, dass die konkrete Aufmachung des streitgegenständlichen Produkts „Geflügel Salami“ nach Unionsrecht unzulässig sei, weil sie irreführend sei. Im Übrigen hat es auch angenommen, dass die Bezeichnung „Geflügel Salami“ auf der Vorderseite der Verpackung nicht unionsrechtlichen Vorgaben entspreche. Dass das Verwaltungsgericht im konkreten Fall eine Irreführung bejaht hat und die Klägerin diese Auffassung nicht teilt, begründet keine Divergenz.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon ist der Rechtssatz, den die Klägerin dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entnimmt, ‑ wie sie selbst einräumt ‑ nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt worden. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verhält sich zu dem inzwischen außer Kraft getretenen § 17 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 und Satz 2 Buchst. b LMBG; das Verwaltungsgericht hat Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 angewendet. Rechtlich unterscheiden sich die beiden Entscheidungen, wie bereits ausgeführt, zudem insoweit, als es in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall um eine Kollision von nationalem Recht mit Unionsrecht ging, im konkreten Fall aber allein Unionsrecht in Rede steht.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">b. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, von dessen Rechtsprechung (Beschluss vom 16. Mai 2017 ‑ 5 Bs 61/17 ‑) die Klägerin eine Abweichung geltend macht, ist bereits kein divergenzfähiges Gericht im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, weil es sich nicht um dasjenige Oberverwaltungsgericht handelt, das dem Verwaltungsgericht im Instanzenzug übergeordnet ist.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
346,284
ovgnrw-2022-08-15-19-a-143920
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19 A 1439/20
2022-08-15T00:00:00
2022-08-24T10:01:04
2022-10-17T11:09:24
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.19A1439.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.</p> <p>Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leisten.</p> <p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zu 1. ist am    00.00.0000 im Dorf P.           (B.          ), Kreis C.        (C1.        ), Gebiet N.         in der damaligen Sowjetunion, Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik, geboren. Er ist ukrainischer Staatsangehöriger. Die Kläger zu 2. und 5. sind seine am         00.00.0000 und am   00.00.0000 ehelich geborenen Söhne, der Kläger zu 3. und die Klägerin zu 4. sind die am       00.00.0000 und am          00.00.0000 ehelich geborenen Kinder des Klägers zu 2., die Klägerin zu 6. ist die am      00.00.0000 ehelich geborene Tochter des Klägers zu 5.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zu 1. ist Sohn des am     00.00.0000 geborenen Landwirts Q.       B1.            („T.         “) N1.     und der ukrainischen Volkszugehörigen B2.    G.          N1.     , geb. U.          . Beide haben am 30. Oktober 1934 vor dem Standesamt C.        (C1.        ) geheiratet. Aus der Ehe gingen außer dem Kläger zu 1. der am      00.00.0000 geborene Bruder W.      und die am          00.00.0000 geborene Schwester N2.     hervor. Der Gebietskommissar des Generalbezirks O.         des Reichskommissariats Ukraine in X.           nahm Q.       B3.           N1.     am 24. Oktober 1943 unter Nr. XXX in die Abteilung 2 der Deutschen Volksliste der Ukraine (DVL Ukraine) auf und stellte ihm zugleich einen blauen Volkslistenausweis aus. Auch seine drei Kinder trug er in diesen Ausweis ein. Seine Ehefrau nahm er unter Nr. XXX in die Abteilung 3 der DVL Ukraine auf und stellte ihr einen grünen Volkslistenausweis aus.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Unter dem 13. Januar 1945 beantragte Q.       B3.           N1.     als „N1.     T.         “ die Einbürgerung für sich, seine Ehefrau und seine drei Kinder bei der Einwandererzentralstelle M.             (heute M1.    /Republik Polen). Er gab an, von Geburt bis 1942 in B.          , Gebiet P1.      , gelebt zu haben und dann nach T1.        im Gebiet O.         umgezogen zu sein. Am 30. Oktober 1943 habe er T1.        verlassen und sei dann „unterwegs ins Reich“ gewesen. Er sprach nach der Feststellung des aufnehmenden Sachbearbeiters der Einwandererzentralstelle „gut deutsch“. In der Stellungnahme des Volkstumssachverständigen heißt es, der Ehemann sei Deutscher und habe sein „Deutschtum bewahrt“. Die Ehefrau sei Ukrainerin und nicht eingedeutscht, da sie kein Deutsch spreche. Die Kinder sprächen, laut Aussagen des Mannes, auch kein Deutsch. Die Familie sei nicht eingedeutscht, es bestünden Bedenken gegen die Einbürgerung. Die Einwandererzentralstelle erließ mit dem Vermerk „Mischfall, Nicht eingedeutscht“ unter dem 13. Januar 1945 einen Zurückstellungsbescheid und legte darin dem Vater schriftlich nahe, nach Ablauf eines Jahres erneut die Einbürgerung zu beantragen. Sie könne dem Antrag derzeit noch nicht stattgeben. Zu den beiden Volkslistenausweisen vermerkte die Einwandererzentralstelle: „D. V. L.-Ausweise werden einbehalten.“</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Durch rechtskräftiges Urteil vom 1. September 2004 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises an den am    00.00.0000 nichtehelich geborenen und später legitimierten Sohn N3.       des Bruders W.      des Klägers zu 1. (10 K 6574/03 VG Köln). Der Bruder W.      habe als damals noch minderjähriges Kind durch seine Volkslisteneintragung mit seinem Vater Q.       B3.           N1.     die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Für eine Eintragung des Vaters in die Abteilungen 1 oder 2 der DVL Ukraine hätten die Voraussetzungen vorgelegen. Er sei deutscher Volkszugehöriger gewesen, weil er nach den Feststellungen der Einwandererzentralstelle gut Deutsch gesprochen und sich sein „Deutschtum bewahrt“ habe. Er sei auch nicht als Umsiedler von der Anwendung der DVL Ukraine ausgenommen gewesen, weil sein Volkslistenausweis im Zeitpunkt seiner Umsiedlung in den X1.         bereits ausgestellt gewesen sei. Da der Bruder W.      bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der damaligen UdSSR im Juni 1941 noch nicht bekenntnisfähig gewesen sei, komme es auf die volkstumsmäßige Bekenntnislage innerhalb seiner Familie zu diesem Zeitpunkt an. Der die Familie in volkstumsmäßiger Hinsicht prägende Elternteil sei der Vater Q.       B3.           N1.     gewesen. Unerheblich sei, dass dieser selbst später ebenfalls wohl nur die russische Sprache erlernt habe. Denn bei einem im fraglichen Zeitpunkt bekenntnisunfähigen Frühgeborenen komme es auf seine spätere Entwicklung nicht an.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 14. Februar 2011 beantragten die Kläger beim Bundesverwaltungsamt die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen. Auf Anfrage des Bundesverwaltungsamts übermittelte das Bundesarchiv im Juni 2015 den Zurückstellungsbescheid vom 13. Januar 1945, den Einbürgerungsantrag, das Personalblatt der Einwandererzentralstelle sowie die 1945 verfassten handschriftlichen Lebensläufe der Eheleute Q.       B3.           und B2.    G1.         N1.     , die es auch schon im Verfahren betreffend den Neffen N3.       des Klägers zu 1. übermittelt hatte.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit sechs Bescheiden vom 16. Dezember 2015 stellte das Bundesverwaltungsamt in Bezug auf die Kläger unter Nr. 1 des jeweiligen Bescheids fest, dass sie oder er „nicht deutsche Staatsangehörige“ oder „nicht deutscher Staatsangehöriger“ seien. Zur Begründung führte es aus, aus den Dokumenten des Bundesarchivs hätten sich keine Unterlagen über eine tatsächlich vollzogene Einzeleinbürgerung des Klägers zu 1. und seiner Eltern ermitteln lassen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kläger erhoben am 13. Januar 2016 ohne Begründung Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheiden vom 21. August 2017, zugestellt am 18. September 2017, wies das Bundesverwaltungsamt die Widersprüche zurück und verwies zur Begründung auf die Erläuterungen in den Ausgangsbescheiden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben am 18. September 2017 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben sinngemäß beantragt,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide des Bundesverwaltungsamts vom 16. Dezember 2015 und seiner Widerspruchsbescheide vom 21. August 2017 zu verpflichten, ihre deutsche Staatsangehörigkeit festzustellen und ihnen Staatsangehörigkeitsausweise auszustellen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Sie hat geltend gemacht, Q.       B3.           N1.     habe am maßgeblichen Stichtag des 21. Juni 1941 nicht der einheimischen Wohnbevölkerung des später errichteten Reichskommissariats Ukraine angehört. Nach seinen Angaben im Einbürgerungsantrag vom 13. Januar 1945 sei er von seiner Geburt an bis 1942 in B.          im Gebiet P1.      ansässig gewesen. Das Gebiet P1.      habe zu U1.             , dem an Rumänien abgetretenen Teil der Ukraine gehört, nicht hingegen zum Reichskommissariat Ukraine. Jedenfalls der Kläger zu 1. sei am genannten Stichtag dort nicht ansässig gewesen, weil er erst 1942 geboren sei. Die beiden Volkslistenausweise seien den Eltern des Klägers zu 1. erst nach ihrer Umsiedlung auf das Gebiet des Reichskommissariats Ukraine im Gebiet O.         ausgestellt worden. Die Entscheidung der Einwandererzentralstelle im Januar 1945, auch den Volkslistenausweis des Vaters „einzubehalten“, erkläre sich nur daraus, sie habe jeglichen Rechtsschein beseitigen wollen, dass es sich bei ihm um einen deutschen Staatsangehörigen handeln könne. Wäre dies der Fall gewesen, sei zudem sein Einbürgerungsantrag vom 13. Januar 1945 überflüssig und gegenstandslos gewesen. Vermutlich habe sich anhand des Lebenslaufs des Vaters und seiner detaillierten Wohnsitzangaben schnell aufgeklärt, dass er aus einem Gebiet außerhalb des Reichskommissariats Ukraine zugezogen und der Volkslistenausweis irrtümlich ausgestellt worden sei.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit den angefochtenen sechs Urteilen hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit der Kläger verpflichtet. Es sei von der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1. auszugehen, weil er als eines der drei Kinder des Q.       B3.           N1.     in dessen Volkslistenausweis aufgeführt gewesen sei, was bedeute, dass er in dieselbe Abteilung der DVL Ukraine eingetragen gewesen sei wie sein Vater. Dem Staatsangehörigkeitserwerb des Klägers zu 1. stehe auch nicht entgegen, dass er wegen seiner Geburt erst am 8. März 1942 am 21. Juni 1941 noch nicht im Reichskommissariat Ukraine habe ansässig sein können. Denn es habe der damaligen Verwaltungspraxis entsprochen, auch später geborene Kinder in die Volksliste aufzunehmen. Der Kläger zu 1. sei auch deutscher Volkszugehöriger. Da er ein bekenntnisunfähiges Kleinkind gewesen sei, sei die Bekenntnislage in der Familie maßgebend gewesen, ohne dass es auf die spätere Entwicklung ankomme.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gegen die ihr am 8. April 2020 zugestellten Urteile hat die Beklagte am 30. April 2020 Berufungszulassung beantragt. Der Senat hat die sechs Berufungszulassungsverfahren verbunden. Mit Beschluss vom 3. Juni 2022 hat der Senat die Berufung zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung zu Unrecht die Rechtsauffassung zugrunde gelegt, der Kläger zu 1. sei ein bekenntnisunfähiger Frühgeborener, dem die Bekenntnislage seiner Familie zuzurechnen sei. Tatsächlich sei er hingegen ein sog. Spätgeborener, weil er erst nach Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geboren sei. Bei ihm trete an die Stelle eines eigenen Bekenntnisses ein durch die Überlieferung volksdeutschen Bewusstseins hergestellter Bekenntniszusammenhang. Dieser setze voraus, dass die Eltern oder ein Elternteil sich im maßgebenden Zeitpunkt zum deutschen Volkstum bekannt hätten. Mit der hieraus resultierenden Bekenntnislage müsse sich der Spätgeborene identifizieren. Dies lasse sich für den Kläger zu 1. nicht feststellen. Im Gegenteil hätten Ermittlungen über die deutsche Botschaft Kiew inzwischen ergeben, dass der Kläger zu 1. im Heiratsregister und in den Geburtsregistereinträgen zu seinen Söhnen mit ukrainischer Nationalität geführt werde. Auch seine und seines Vaters Eintragungen in die DVL Ukraine hätten für den Kläger zu 1. zu keinem Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit geführt. Die hierfür maßgebliche gesetzliche Bestimmung aus der Nachkriegszeit über die Anerkennung der nationalsozialistischen Sammeleinbürgerungen sei völkerrechtswidrig, soweit sie auch das Gebiet der Ukraine betreffe. Deutschland habe dieses Gebiet im Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu den übrigen dort genannten Gebieten lediglich okkupiert, aber nicht in sein Staatsgebiet eingegliedert. Zudem habe die ehemalige Sowjetunion für die Bevölkerung der Ukraine im Vergleich zu den anderen Staaten keine Bereitschaft gezeigt, auf ihre Staatsbürger zu verzichten. Die einschränkungslose Anerkennung der Staatsangehörigkeitserwerbe in der Ukraine überschreite die völkerrechtliche Willkürgrenze, nach welcher kein Staat die Staatsangehörigen eines fremden Staats gegen dessen Willen ohne rechtfertigenden Grund zu seinen Staatsangehörigen erklären dürfe. Das Grundgesetz gebiete eine einschränkende Auslegung der Anerkennungsregelung für die Ukraine dahingehend, dass sie keine Anwendung auf Personen finde, die in der ehemaligen Sowjetunion (Ukraine) verblieben und niemals nach Deutschland mehr gelangt seien.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">die angefochtenen Urteile zu ändern und die Klagen abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Sie verteidigen die angefochtenen Urteile mit dem Hinweis, dass die Beklagte im Verfahren betreffend W.      N1.     keine Veranlassung für eine Rechtsmitteleinlegung gesehen habe und auch die angefochtenen Urteile mit nachvollziehbarer Begründung zum selben Ergebnis kämen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesverwaltungsamts Bezug.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Berufungsverfahren ist entscheidungsreif. Insbesondere ist keine Unterbrechung des Verfahrens des Klägers zu 1. nach § 173 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO dadurch eingetreten, dass sein Unterbevollmächtigter im Schriftsatz vom 27. Juli 2022 als noch ungesicherte Information vorsorglich mitgeteilt hat, dem Hauptbevollmächtigten sei eine Information zugegangen, nach welcher der Kläger zu 1. zwischenzeitlich verstorben sein solle. Nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO tritt eine Unterbrechung des Verfahrens nicht ein, wenn ‑ wie hier ‑ eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfindet. Weder die Bevollmächtigten der Klägerseite noch die Beklagte haben einen Antrag auf Anordnung der Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO gestellt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Berufung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2, 3, § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den im Berufungszulassungsverfahren verbundenen Klagen im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Sie sind als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Das Begehren der Kläger ist sowohl auf die Verpflichtung der Beklagten zur Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen als auch zusätzlich auf die Anfechtung der behördlichen Negativfeststellungen in Bezug auf ihre jeweilige deutsche Staatsangehörigkeit gerichtet. Das Bundesverwaltungsamt hat mit Schriftsatz vom 29. Juli 2022 sinngemäß klargestellt, dass die Formulierungen im Tenor zu 1. der Bescheide vom 16. Dezember 2015 als verbindliche Negativfeststellungen im Sinn des § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG, nicht lediglich als schlichte Antragsablehnungen gemeint sind.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Ebenso das Bundesverwaltungsamt bereits in BVerwG, Urteil vom 30. März 2021 ‑ 1 C 28.20 ‑, BVerwGE 172, 109, juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2020 ‑ 19 A 169/19 ‑, juris, Rn. 26, anders hingegen im Sinn einer schlichten Antragsablehnung in OVG NRW, Urteile vom 27. Februar 2019 ‑ 19 A 1999/16 ‑, juris, Rn. 24, und vom 22. Juni 2017 ‑ 19 A 781/16 ‑, juris, Rn. 24; zur Auslegung als Negativfeststellung vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Dezember 2020 ‑ 19 E 85/20 ‑, juris, Rn. 7, und vom 22. November 2019 ‑ 19 E 911/19 ‑, juris, Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Bescheide des Bundesverwaltungsamts vom 16. Dezember 2015 in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 21. August 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Für die belastenden verbindlichen Negativfeststellungen im Sinn des § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG im Tenor zu 1. der angefochtenen sechs Bescheide gilt dies schon deshalb, weil ein öffentliches Interesse im Sinn dieser Vorschrift weder ersichtlich noch vom Bundesverwaltungsamt geltend gemacht ist. Unzutreffend ist seine im Schriftsatz vom 29. Juli 2022 vertretene Rechtsauffassung, die Kläger hätten ihr Begehren mit den Formblattanträgen vom 28. Juli 2015 geändert („Antragsänderung“). Jedenfalls ergibt sich offensichtlich weder daraus noch aus anderen erkennbaren Umständen ein öffentliches Interesse im Sinn des § 30 Abs. 1 Satz 3 StAG. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger aktuell bereits im Besitz deutscher Ausweisdokumente sind, für deren Ungültigerklärung und Einziehung auf pass- oder ausweisrechtlicher Rechtsgrundlage eine die zuständige Behörde nach § 30 Abs. 1 Satz 2 StAG bindende Negativfeststellung als Grundlage dienen könnte.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 14. April 2022 ‑ 19 B 330/22 ‑, juris, Rn. 15 f., vom 12. April 2022 ‑ 19 B 329/22 ‑, juris, Rn. 33, vom 22. November 2019, a. a. O., Rn. 3, und vom 18. Januar 2013 ‑ 19 A 2953/11 ‑, juris, Rn. 3 f.; VG Berlin, Urteil vom 7. Dezember 2016 ‑ 2 K 433.15 ‑, juris, Rn. 17 f.; zu weitgehend hingegen VG Stuttgart, Beschluss vom 2. März 2022 ‑ 4 K 40/21 ‑, juris, Rn. 15; VG Hannover, Urteil vom 18. November 2016 ‑ 10 A 12381/14 ‑, juris, Rn. 24.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Auch die in den Negativfeststellungen sinngemäß zugleich enthaltenen Antragsablehnungen sind rechtswidrig. Die Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte auf verbindliche behördliche Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und auf Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen nach § 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StAG. Nach diesen Vorschriften stellt die Staatsangehörigkeitsbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis aus, wenn sie auf Antrag das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit feststellt. Die Kläger können diese Feststellung beanspruchen. Sie haben im Sinn des § 30 Abs. 2 Satz 1 StAG mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass sie im Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung deutsche Staatsangehörige sind. Das gilt sowohl für den Kläger zu 1. (A.) als auch für die übrigen Kläger, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit jeweils von ihm ableiten (B.).</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">A. Der Kläger zu 1. hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch seine Geburt am    00.00.0000 im Wege eines Abstammungserwerbs nach § 4 Abs. 1 RuStAG in der damals noch geltenden Ursprungsfassung vom 22. Juli 1913 (RGBl. I S. 583) erworben. Nach dieser Fassung, die bis 1974 in Kraft war, erwarb das eheliche Kind eines Deutschen durch Geburt die Staatsangehörigkeit des Vaters, das uneheliche Kind einer Deutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter. Der Kläger zu 1. konnte hiernach durch seine Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit nur von seinem Vater Q.       B3.           N1.     erwerben, weil er ehelich geboren ist. Seine Eltern hatten am 30. Oktober 1934 vor dem Standesamt C.        (C1.        ) geheiratet.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Q.       B3.           N1.     war im Zeitpunkt der Geburt des Klägers zu 1. am   00.00.0000 deutscher Staatsangehöriger. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit mit Rückwirkung auf den 21. Juni 1941 dadurch erworben, dass der Gebietskommissar des Generalbezirks O.         des Reichskommissariats Ukraine in X.           ihn am 24. Oktober 1943 unter Nr. XXX in die Abteilung 2 der DVL Ukraine aufnahm und ihm darüber den blauen Volkslistenausweis ausstellte, in den er auch seine drei Kinder eintrug.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Nach § 1 Abs. 1 Buchst. f des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (1. StAngRegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl. I S. 65) sind die deutschen Volkszugehörigen, denen die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund der Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine (DVL-VO Ukraine) eingetragenen Personen vom 19. Mai 1943 (RGBl. I S. 321) verliehen worden ist, nach Maßgabe dieser Bestimmungen deutsche Staatsangehörige geworden, es sei denn, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch ausdrückliche Erklärung ausgeschlagen haben oder noch ausschlagen. Dasselbe galt nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des 1. StAngRegG für die Ehefrau und die Kinder eines Ausschlagungsberechtigten, soweit sie nach deutschem Recht ihre Staatsangehörigkeit von ihm ableiteten, unabhängig davon, ob er von seinem Ausschlagungsrecht Gebrauch machte.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">1. StAngRegG mit Erläuterungen abgedruckt bei Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 1966, S. 248 ff., DVL-VO Ukraine abgedruckt ebenda, S. 545 ff., sowie bei von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, 138. Aktualisierung Juni 2022, Abschnitt C 20.1.3.8.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Auch nach der Aufhebung des 1. StAngRegG mit Wirkung vom 15. Dezember 2010 durch Art. 2 des Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1864) bleiben dessen Bestimmungen weiterhin der staatsangehörigkeitsrechtliche Maßstab für den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit von Personen, deren deutsche Staatsangehörigkeit von Vorfahren abhängt, die das 1. StAngRegG erfasste. Denn dieses Bereinigungsgesetz sollte den inzwischen weitgehend gegenstandslos gewordenen Regelungsinhalt des 1. StAngRegG mit Wirkung für die Zukunft aufheben, in der Vergangenheit bereits bewirkte Rechtsfolgen hingegen unangetastet lassen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/2279 vom 23. Juni 2010, Einzelbegründung zu Art. 2, S. 29; ebenso VG Köln, Urteile vom 6. Dezember 2011 ‑ 10 K 6147/10 ‑, juris, Rn. 26, und vom 30. März 2011 ‑ 10 K 6829/10 ‑, juris, Rn. 22 ff. (jeweils zur DVL Ost).</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach § 1 DVL-VO Ukraine erwarben die ehemaligen Staatsangehörigen der UdSSR und die Staatenlosen deutscher Volkszugehörigkeit, die die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 und 2 der Deutschen Volksliste der Ukraine erfüllten und am 21. Juni 1941 im Gebiet des Reichskommissariats Ukraine ansässig waren, ohne Rücksicht auf den Tag ihrer Aufnahme mit Wirkung vom 21. Juni 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch einen deutschen Volkszugehörigen auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG i. V. m. der DVL-VO Ukraine setzte als konstitutives Erwerbselement eine Eintragung in die DVL Ukraine voraus. Es genügte nicht, dass eine solche Person lediglich die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilungen 1 oder 2 der DVL Ukraine erfüllte, wenn sie nicht zugleich auch eingetragen worden war.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 ‑ 5 C 3.05 ‑, BVerwGE 126, 283, juris, Rn. 16; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. April 2008 ‑ 12 A 2336/06 ‑, juris, Rn. 19, vom 10. März 2008 ‑ 12 A 3158/06 ‑, juris, Rn. 14, und vom 12. Juli 2007 ‑ 12 A 836/05 ‑, juris, Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben hat die Aufnahme des Vaters des Klägers zu 1., Q.       B3.           N1.     , in die Abteilung 2 der DVL Ukraine am 24. Oktober 1943 in seiner Person den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit mit Rückwirkung auf den 21. Juni 1941 bewirkt. Er war deutscher Volkszugehöriger im Sinn des § 1 DVL-VO Ukraine (I.) und am 21. Juni 1941 im Gebiet des Reichskommissariats Ukraine ansässig (II.). Seinem Staatsangehörigkeitserwerb stand keine Umsiedlereigenschaft nach § 3 DVL-VO Ukraine entgegen (III.). Rechtsfolge seines auf den 21. Juni 1941 zurückwirkenden Staatsangehörigkeitserwerbs war für den Kläger zu 1. ein auf seine Geburt zurückwirkender Abstammungserwerb nach § 4 Abs. 1 RuStAG 1913 (IV.) Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsamts ist § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG mit diesem Inhalt mit höherrangigem Recht vereinbar (V.).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">I. Q.       B3.           N1.     war am 24. Oktober 1943 deutscher Volkszugehöriger im Sinn des § 1 DVL-VO Ukraine. Auch § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG erkennt den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Aufnahme in die DVL Ukraine nur dann als rechtswirksam an, wenn der Aufgenommene deutscher Volkszugehöriger war. Dieser Begriff ist mit demjenigen des deutschen Volkszugehörigen in § 6 BVFG in der bis 1992 geltenden Fassung identisch.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 15. März 1994 ‑ 9 C 340.93 ‑, BVerwGE 95, 228, juris, Rn. 11 m. w. N., Beschlüsse vom 27. August 1997 ‑ 9 B 312.97 ‑, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 89, juris, Rn. 4, und vom 11. März 1993 ‑ 9 B 100.92 ‑, juris, Rn. 3; VG Köln, Urteile vom 20. März 2013 ‑ 10 K 6782/11 ‑, juris, Rn. 54, und vom 6. Dezember 2011, a. a. O., Rn. 29; vgl. auch Lichter/Hoffmann, a. a. O., § 1, Rn. 6 (S. 262).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Nach § 6 BVFG a. F. war deutscher Volkszugehöriger im Sinn des BVFG, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wurde.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass Q.       B3.           N1.     diese Voraussetzungen erfüllte. Er war bekenntnisfähige Person, weil er am 23. März 1905 geboren und damit erklärungsfähig war, als mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die ehemalige Sowjetunion am 22. Juni 1941 auch die allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen der sowjetischen Behörden gegen die in ihrem Machtbereich lebende deutsche Bevölkerung begannen.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Zu diesem Zeitpunkt vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2019 ‑ 1 C 43.18 ‑, BVerwGE 167, 9, juris, Rn. 29, und vom 13. Juni 1995 ‑ 9 C 392.94 ‑, BVerwGE 98, 367, juris, Rn. 22 f., Beschluss vom 22. Dezember 2021 ‑ 1 B 62.21 ‑, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Q.       B3.           N1.     hatte sich in der Zeit unmittelbar vor diesem Angriff, in § 1 DVL-VO Ukraine gekennzeichnet mit dem Stichtag 21. Juni 1941 (Vorabend dieses Angriffs), zum deutschen Volkstum bekannt. Das lässt sich aus der Stellungnahme des Volkstumssachverständigen zu seinem Einbürgerungsantrag vom 13. Januar 1945 rückschließen. Darin heißt es, er sei „Deutscher“ und habe sich sein „Deutschtum bewahrt“. Dieses Bekenntnis des Q.       B3.           N1.     zum deutschen Volkstum wurde bestätigt dadurch, dass er von ausschließlich deutschen Eltern und Großeltern abstammte und nach den Feststellungen des aufnehmenden Sachbearbeiters der Einwandererzentralstelle „gut deutsch“ sprach. Auch das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit dieser Würdigung in seinem rechtskräftigen Urteil vom 1. September 2004 betreffend seinen am    00.00.0000 geborenen Enkel N3.       (Neffe des Klägers zu 1.) keine Zweifel daran gehabt, dass es sich bei dessen Großvater väterlicherseits um einen deutschen Volkszugehörigen handelte (S. 7 des Urteils).</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist demgegenüber im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang die Argumentation des Bundesverwaltungsamts im Berufungszulassungsverfahren und zuletzt in der Berufungsbegründung vom 24. Juni 2022 zur deutschen Volkszugehörigkeit auch des Klägers zu 1. selbst. Insbesondere kann der Senat offen lassen, ob das Verwaltungsgericht auch dessen deutsche Volkszugehörigkeit zu Recht nach den für Frühgeborene geltenden Maßstäben beurteilt und bejaht hat, obwohl er im Gegensatz zu seinem am      00.00.0000 geborenen Bruder W.      (Vater von N3.       ) erst nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geboren ist (  00.00.0000). Ebenso ist für das Bekenntnis des Q.       B3.           N1.     zum deutschen Volkstum unerheblich, ob entsprechend der vom Bundesverwaltungsamt zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung für die westlich des E.      lebende deutsche Bevölkerung von einem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem 22. Juni 1941 auszugehen ist und ob diese Rechtsprechung mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang steht.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">So zuletzt für P1.      OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2022 ‑ 11 A 2097/20 ‑, n. v., S. 10 des Urteils; VG Köln, Urteile vom 20. August 2019 ‑ 7 K 12586/17 ‑, juris, Rn. 30 m. w. N., vom 6. Februar 2018 ‑ 7 K 2674/16 ‑, Rn. 41, und vom 27. September 2017 ‑ 10 K 4297/15 ‑, juris, Rn. 26; vgl. auch Sächs. OVG, Urteil vom 24. Mai 2005 ‑ 4 B 170/04 ‑, juris, Rn. 42 f.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">II. Q.       B3.           N1.     war auch im Sinn des § 1 DVL-VO Ukraine am 21. Juni 1941 im Gebiet des Reichskommissariats Ukraine ansässig.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Zu diesem Tatbestandsmerkmal vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. August 1989 ‑ 1 B 120.89 ‑, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Dies hat das Bundesverwaltungsamt in tatsächlicher Hinsicht inzwischen mit der Mitteilung sinngemäß eingeräumt, „der Geburtsort des Klägers zu 1. in B.          /Kreis C1.        [liege] auf dem Gebiet des damaligen Reichskommissariats Ukraine“, die Rechtsprechung zur Nichtzugehörigkeit des damaligen U1.             zum Reichskommissariat Ukraine gelte nicht für den Kläger zu 1., da es „zwar Dörfer mit dem Namen B4.          auf dem Gebiet des damaligen U1.             und des damaligen Reichskommissariats Ukraine gibt, allerdings nur ein Kreis C1.        vorhanden ist“ (Berufungsbegründung vom 24. Juni 2022, S. 2 f.). Hierin liegt die sachverständige Auskunft des Bundesverwaltungsamts als Fachbehörde, dass das Dorf B.          (P.           , B4.          ) im Kreis C1.        (C.        ), welches Q.       B3.           N1.     als seinen Geburts- und ständigen Wohnort bis 1942 angegeben hat (also auch als ständigen Wohnort am 21. Juni 1941 und zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers zu 1. in B.          am 8. März 1942), außerhalb von U1.             im Gebiet N.         lag, also im Generalbezirk O.         des Reichskommissariats Ukraine.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Diese örtliche Zuordnung durch das Bundesverwaltungsamt entspricht derjenigen im Verfahren betreffend den am    00.00.0000 geborenen Neffen N3.       des Klägers zu 1. In diesem Verfahren hatte das Bundesverwaltungsamt anhand der lfd. Nr. XX des systematischen Verzeichnisses im Ortsnamenverzeichnis der Ukraine und auf Grund der Administrativen Karten der Ukrainischen SSR aus den Jahren 1941 bis 1943 bereits festgestellt, dass der Kreis (S.     ) C2.         zum Gebiet (P2.      ) P1.      und zum Reichskommissariat Ukraine gehörte (Vermerk vom 30. Januar 2002, Bl. 75 der Beiakte Heft 3a, Auszug aus der Verwaltungskarte der Ukrainischen Sowjetrepublik, Stand Anfang 1941, Bl. 79 der Beiakte Heft 3a). Der Kreis gehörte zu dem (kleineren) Teil des Gebiets P1.      damaliger Ausdehnung, welches zu diesem Zeitpunkt bis über den südlichen C3.   und die Stadt X.           nach Nordosten hinausreichte. Für diesen Teil kann die für den größeren Teil dieses Gebiets getroffene Feststellung der obergerichtlichen Rechtsprechung keine Anwendung finden, das Gebiet P1.      habe zu U1.             gehört, das nur noch formal als Teil der Ukrainischen SSR Bestandteil des Staatsgebiets der UdSSR gewesen sei, faktisch aber seit September 1941 unter rumänischer Verwaltung gestanden und außerhalb des Reichskommissariats Ukraine gelegen habe.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 12. November 2009 ‑ 12 A 2193/08 ‑, juris, Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13. Mai 1996 ‑ 16 S 158/96 ‑, juris, Rn. 7; vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 3. Februar 2006 ‑ L 4 R 57/05 ‑, juris, Rn. 119 ff.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage der genannten sachverständigen Auskunft des Bundesverwaltungsamts ist der Senat in tatsächlicher Hinsicht der Überzeugung, dass Q.       B3.           N1.     mit seinem Umzug nach T1.        im Gebiet N.         im Jahr 1942 innerhalb des Gebiets des damaligen Reichskommissariats Ukraine umgezogen ist. Mit seinen eigenen früheren Feststellungen aus dem Jahr 2002 unvereinbar ist hingegen die zwischenzeitliche anderslautende tatsächliche Würdigung des Bundesverwaltungsamts, Q.       B3.           N1.     sei erst nach dem 21. Juni 1941 aus einem Gebiet außerhalb des Reichskommissariats Ukraine zugezogen, weshalb man ihm und seiner Familie die Volkslistenausweise irrtümlich ausgestellt habe und sich dieser Irrtum dann im Januar 1945 im Reichsgau X2.          anhand seines Lebenslaufs und seiner detaillierten Wohnsitzangaben „schnell aufgeklärt“ habe, was wiederum erkläre, dass man ihn trotz Vorlage der beiden Volkslistenausweise erneut einen Einbürgerungsantrag habe stellen lassen. Dieses Verhalten der Einwandererzentralstelle im Januar 1945 erklärt sich aus der veränderten Kriegslage zu diesem Zeitpunkt, nicht hingegen aus einem nachträglichen Zuzug des Q.       B3.           N1.     in das Gebiet des Reichskommissariats Ukraine von einem außerhalb gelegenen ständigen Wohnort.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Im Januar 1945 hatte sich die militärische Situation gegenüber derjenigen im Oktober 1943 insofern grundlegend verändert, als die Sowjetarmee die Ukraine während dieses Zeitraums vollständig zurückerobert hatte. Wegen des schnellen Vorrückens der sowjetischen Truppen mussten die deutschen Behörden die Erfassung der deutschen Volkszugehörigen in der Ukraine und deren Eintragung in die verschiedenen Abteilungen der DVL Ukraine zu einem Zeitpunkt vorzeitig abbrechen, als erst wenige der in Betracht kommenden Personen in die Volksliste eingetragen waren. Zudem hatte ein Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle in einer Besprechung am 19. Oktober 1943 festgestellt, dass Volkslistenausweise auch an Personen ausgestellt worden waren, die als „reine Ukrainer“ nicht einmal ansatzweise die Voraussetzungen für eine Eintragung erfüllten.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 12. Juli 2007, a. a. O., Rn. 51 ff.; Bundesarchiv, Schreiben an das Bundesverwaltungsamt vom 10. November 1970, S. 3 (Bl. 201 der Beiakte Heft 3b).</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">III. Q.       B3.           N1.     war am 24. Oktober 1943 auch nicht nach § 3 DVL-VO Ukraine als Umsiedler von einem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Eintragung in die DVL Ukraine auf der Grundlage des § 1 DVL-VO Ukraine ausgeschlossen. Nach § 3 DVL-VO Ukraine galt die in den §§ 1 und 2 getroffene Regelung nicht für die Umsiedler. Umsiedler in diesem Sinn waren Volksdeutsche, die am 22. Juni 1941 ihren Wohnsitz in den besetzten russischen Gebieten außerhalb der früheren Umsiedlungsgebiete hatten, welche das SS-Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle zwecks Ansiedlung im Reichsgebiet oder im Generalgouvernement entweder schon dorthin umgesiedelt hatte oder, wenn sie schon früher als Flüchtlinge oder Ostarbeiter nach Deutschland gelangt waren, zur Umsiedlung zugelassen und denen die Einwandererzentralstelle M.             nach ihrer „Durchschleusung“ zu diesem Zweck einen Umsiedlerausweis ausgestellt hatte.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Nr. I der Anordnung Nr. 4/I/43 des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums, Stabshauptamt, vom 9. April 1943 (Bl. 195 der Beiakte Heft 3b); Bundesarchiv, Schreiben an das Bundesverwaltungsamt vom 2. Juni 1970, S. 1 (Bl. 196 der Beiakte Heft 3b).</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Hatte die Volksdeutsche Mittelstelle einen deutschen Volkszugehörigen umgesiedelt oder zur Umsiedlung zugelassen und hatte die Einwandererzentralstelle ihm zu diesem Zweck einen Umsiedlerausweis ausgestellt, erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht schon durch diese Maßnahmen oder durch seinen Umzug in das Reichsgebiet, sondern in der Regel erst durch eine nach seiner Neuansiedlung vollzogene Einzeleinbürgerung nach § 8 RuStAG 1913, also durch Aushändigung einer Einbürgerungsurkunde nach § 16 RuStAG 1913, die in der Regel bereits die Einwandererzentralstelle ausfertigte und dann nach der Neuansiedlung an die für den Zielort zuständige Einbürgerungsbehörde zur Aushändigung verschickte.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Dazu Bay. VGH, Urteil vom 21. August 1998 ‑ 5 B 95.3448 ‑, juris, Rn. 26, 28; Lichter/Hoffmann, a. a. O., S. 547 ff.; zur vergleichbaren Verfahrensweise bei deutschen Volkszugehörigen im Generalgouvernement vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 2017 ‑ 19 A 781/16 ‑, juris, Rn. 57 ff.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Q.       B3.           N1.     war danach am 24. Oktober 1943 kein Umsiedler im Sinn des § 3 DVL-VO Ukraine, weil sich aus den Dokumenten des Bundesarchivs keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Volksdeutsche Mittelstelle ihn und seine Familie zuvor zur Umsiedlung zugelassen und die Einwandererzentralstelle ihm zu diesem Zweck einen Umsiedlerausweis ausgestellt hatte. Im Gegenteil liegt eine derartige Annahme fern, weil es dann jedenfalls für seine und seiner Familie Übersiedlung von T1.        im Generalbezirk O.         des Reichskommissariats Ukraine in das Reichsgebiet keiner (dann zusätzlichen) Ausstellung von Volkslistenausweisen bedurft hätte. Q.       B3.           N1.     und seine Familie wären vielmehr bereits im Besitz deutscher Ausweisdokumente gewesen, die ihnen eine solche Übersiedlung ermöglicht hätten. Auch der unmittelbare zeitliche Zusammenhang mit seiner Evakuierung von dort am 30. Oktober 1943 und seiner anschließenden Übersiedlung in den S1.         X2.          zwischen dem 30. Oktober 1943 und Februar 1944 („unterwegs ins Reich“) spricht dafür, dass der Gebietskommissar des Generalbezirks O.         in X.           hierfür eine staatsangehörigkeitsrechtliche Grundlage schaffen wollte, und dagegen, dass diese Übersiedlung auf einer zuvor ausgesprochenen Zulassung zur Umsiedlung durch die Volksdeutsche Mittelstelle beruhte.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Das hat das Verwaltungsgericht in seinem rechtskräftigen Urteil vom 1. September 2004 betreffend den am 8. Juli 1960 geborenen Enkel N3.       des Q.       B3.           N1.     zutreffend näher ausgeführt. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht darin überzeugend auf die Erläuterung des Reichsministers des Innern in seinem Schreiben vom 1. März 1943 hingewiesen (Bl. 143 der Beiakte Heft 3a), nach welcher er den § 3 DVL-VO Ukraine in den damaligen Entwurf der DVL-VO Ukraine lediglich zu dem Zweck eingefügt habe, „Überschneidungen und Unklarheiten über die Zuständigkeit zur Einbürgerung und über den Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitserwerbs“ zu vermeiden. Weder das angesprochene Zuständigkeitsproblem noch die Frage des Erwerbszeitpunkts konnten sich jedoch bei deutschen Volkszugehörigen stellen, denen der Gebietskommissar bereits einen blauen Volkslistenausweis mit Erwerbsdatum ausgestellt hatte.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Angesichts dieser Umstände rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beklagten auch die Tatsache keinen Rückschluss auf eine Umsiedlereigenschaft des Q.       B3.           N1.     am 24. Oktober 1943, dass die Einwandererzentralstelle M.             ihn am 13. Januar 1945 erneut einen Einbürgerungsantrag stellen ließ, hierfür ein für „Umsiedler“ vorgesehenes Formular verwendete, die Familie unter den „Umsiedler-Nummern“ XX XX XX bis XX XX XX führte, ihnen als Ergebnis ihrer Prüfung den Zurückstellungsbescheid vom selben Tag erteilte und die beiden Volkslistenausweise einbehielt. Diese Vorgehensweise erklärt sich vielmehr aus der zuvor erwähnten grundlegenden Veränderung der militärischen Situation im Januar 1945 gegenüber derjenigen im Oktober 1943.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Sowohl die militärische Lage als auch die erwähnten fehlerhaften Ausstellungen von Volkslistenausweisen an „reine Ukrainer“ veranlassten die deutschen Behörden, die Abwicklung des Volkslistenverfahrens aus der Ukraine heraus in den S1.         X2.          zu verlegen. Die betroffenen deutschen Volkszugehörigen wurden „vorübergehend aus dem Reichskommissariat Ukraine herausgeführt“. Nur formal galten sie dadurch als „Umsiedler“, deren weitere Erfassung man der Einwandererzentralstelle M.             übertrug. Dazu gehörten wegen der genannten Fehlerfassungen namentlich auch diejenigen deutschen Volkszugehörigen, die bereits in die DVL Ukraine aufgenommen waren, einen blauen Volkslistenausweis erhalten hatten und die dadurch mit Wirkung vom 21. Juni 1941 deutsche Staatsangehörige geworden waren (im zitierten Schreiben des Bundesarchivs vom 10. November 1970 als erste Gruppe bezeichnet). Die Einwandererzentralstelle sollte in Zusammenarbeit mit Beamten des Reichskommissariats Ukraine auch diese Gruppe nochmals überprüfen, um ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren. Da sie ihre Heimat nur vorübergehend verlassen sollten, wurden sie in den von der Einwandererzentralstelle durchgeführten Verfahren den Umsiedlern im Sinn des § 3 DVL-VO Ukraine nur formal gleichgestellt.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Bundesarchiv, Schreiben an das Bundesverwaltungsamt vom 10. November 1970, S. 3 f. (Bl. 201 der Beiakte Heft 3b).</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Weder lässt dieses Verhalten der Einwandererzentralstelle M.             im Januar 1945 einen Rückschluss auf eine Umsiedlereigenschaft des Q.       B3.           N1.     am 24. Oktober 1943 im materiellen Sinn zu noch vermochte es an seiner mit Wirkung vom 21. Juni 1941 erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit etwas zu ändern. Insbesondere erfüllten die Erteilung des Zurückstellungsbescheids und die Einziehung seines blauen Volkslistenausweises keinen der Verlustgründe in § 17 RuStAG 1913. Namentlich der Verlust durch Ausspruch der Behörde nach § 17 Nr. 4, §§ 27 bis 29 RuStAG 1913 setzte einen Auslandsaufenthalt oder einen Eintritt in ausländische Staatsdienste voraus. In der Person des Q.       B3.           N1.     fehlte es am 13. Januar 1945 nicht nur an diesen Voraussetzungen, sondern auch an dem in diesen Vorschriften vorgesehenen „Beschluss der Zentralbehörde“, dass der Betreffende seiner Staatsangehörigkeit „verlustig erklärt“ werde. Dass das Verhalten der Einwandererzentralstelle gegenüber dem Kläger zu 1. im Januar 1945 weder eine Unwirksamkeit des Staatsangehörigkeitserwerbs nach § 1 DVL-VO Ukraine zur Folge hatte noch eine förmliche Entscheidung über den Entzug einer zunächst erworbenen Staatsangehörigkeit beinhaltete, hat auch das Verwaltungsgericht in seinem rechtskräftigen Urteil 10 K 6574/03 vom 1. September 2004 bereits zutreffend ausgeführt (S. 8 f. des Urteils).</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">IV. Rechtsfolge des auf den 21. Juni 1941 zurückwirkenden Staatsangehörigkeitserwerbs des Q.       B3.           N1.     nach § 1 DVL-VO Ukraine und § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG war ein Abstammungserwerb des Klägers zu 1. nach § 4 Abs. 1 RuStAG 1913, der auf den Zeitpunkt seiner Geburt am    00.00.0000 zurückwirkte. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck sowohl der ausdrücklichen Anordnung in § 1 DVL-VO Ukraine, dass der Staatsangehörigkeitserwerb durch Aufnahme in die Abteilungen 1 oder 2 „ohne Rücksicht auf den Tag ihrer Aufnahme mit Wirkung vom 21. Juni 1941“ stattfinden soll, als auch der ausdrücklichen Anordnung in § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG, dass die in die DVL Ukraine aufgenommenen deutschen Volkszugehörigen „nach Maßgabe dieser Bestimmungen“ deutsche Staatsangehörige geworden sind. Mit dieser Wendung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei der Anwendung des § 1 Abs. 1 des 1. StAngRegG die Vorschriften über die Sammeleinbürgerungen während des Kriegs, hier also § 1 DVL-VO Ukraine, in vollem Umfang zu beachten sind, vor allem für die Abgrenzung des von einer Sammeleinbürgerung erfassten Personenkreises.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Lichter/Hoffmann, a. a. O., § 1, Rn. 8 (S. 263).</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Kinder eines sammeleingebürgerten deutschen Volkszugehörigen haben danach die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß §§ 4, 5 oder 6 RuStAG 1913 in der jeweils geltenden Fassung erworben.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Lichter/Hoffmann, a. a. O., § 1, Rn. 14 (S. 265).</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">In Übereinstimmung mit dieser Würdigung hat auch das Bundesverwaltungsamt in dem Verfahren betreffend den am    00.00.0000 geborenen Enkel N3.       des Q.       B3.           N1.     zutreffend angenommen, dass er und seine Kinder durch ihre Aufnahme in die Abteilung 2 der DVL-Ukraine „die deutsche Staatsangehörigkeit bereits mit Wirkung vom 21. Juni 1941 erlangt hatten“, und der blaue Volkslistenausweis des Q.       B3.           N1.     „nur deklaratorischen Charakter“ besaß (Vermerk vom 30. Januar 2002, Bl. 76 der Beiakte Heft 3a).</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">V. Mit dem vorgenannten Inhalt ist die Anerkennungsregelung in § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG über die innerstaatliche Wirksamkeit der Staatsangehörigkeitserwerbe auf der Grundlage der DVL-VO Ukraine entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsamts auch mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts vereinbar, die nach Art. 25 Satz 1 GG Bestandteil des Bundesrechts sind und nach dessen Satz 2 den Gesetzen vorgehen.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinn des Art. 25 GG gehört insbesondere der völkerrechtliche Grundsatz, dass jeder Staat grundsätzlich nach seinem Ermessen regelt, wann und unter welchen Voraussetzungen jemand seine Staatsangehörigkeit erwirbt oder verliert. Das Ermessen des Staates, diese Angelegenheiten zu regeln, wird durch das allgemeine Völkerrecht begrenzt. Danach darf jeder Staat seine Staatsangehörigkeit nur an Personen verleihen, die zu ihm in einer näheren tatsächlichen Beziehung stehen. Nach der Staatenpraxis ist als eine solche Beziehung u. a. die Abstammung von einem Staatsangehörigen oder die Geburt auf dem Staatsgebiet anerkannt. Eine Sammeleinbürgerung von Personen in einem völkerrechtswidrig annektierten oder militärisch besetzen Gebiet, welche Volkszugehörige des annektierenden oder besetzenden Staates sind, ist wirksam, soweit der Staat, dessen Gebiet annektiert oder besetzt wurde, die betreffenden Personen nicht mehr als seine Staatsangehörigen in Anspruch nimmt oder ihnen den funktionell wirksamen Schutz seiner Staatsangehörigkeit vorenthält und diese ständig den Willen bekunden, als Staatsangehörige des annektierenden oder besetzenden Staates behandelt zu werden.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 1974 ‑ 1 BvL 22/71 u. a. ‑, BVerfGE 37, 217, juris, Rn. 3, und vom 28. Mai 1952 ‑ 1 BvR 213/51 ‑, BVerfGE 1, 322, juris, Rn. 17, 25; BVerwG, Urteile vom 15. März 1994 ‑ 9 C 340.93 ‑, BVerwGE 95, 228, juris, Rn. 8 (Polen), und vom 24. Februar 1966 ‑ I C 21.64 ‑, BVerwGE 23, 274, juris, Rn. 8 ff. (Jugoslawien).</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Mit diesen Maßstäben steht die Anerkennungsregelung in § 1 Abs. 1 Buchst. f des 1. StAngRegG im Einklang. Denn die ehemalige Sowjetunion hat den deutschen Volkszugehörigen aus dem ehemaligen Reichskommissariat Ukraine nach Kriegsende den funktionell wirksamen Schutz ihrer Staatsangehörigkeit vorenthalten. Die etwa 250.000 Ukrainedeutschen, welche die deutschen Behörden während des Kriegs vor den heranrückenden sowjetischen Truppen in das Reichsgebiet, insbesondere in den S1.         X2.          evakuiert hatte, hat die ehemalige Sowjetunion auf der Grundlage von Dekreten des Obersten Sowjet enteignet und entgegen einem Bericht des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (Narodnyj kommissariat wnutrennich del, NKWD) von 1945 nicht „nach Hause entlassen“, sondern meist in Viehwaggons überwiegend in die schon vor und während des Kriegs eingerichteten Verbannungsgebiete für Volksdeutsche im asiatischen Teil des Landes (Sibirien, Kasachstan) deportiert („repatriiert“) und dort unter Vorenthaltung sämtlicher Bürgerrechte in paramilitärisch bewachten „Sondersiedlungen“ interniert, die dem NKWD unterstanden und die sie nur zum Arbeitseinsatz in der „Arbeitsarmee“, also zur Zwangsarbeit, verlassen durften. Ein Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjet vom 26. November 1948 schrieb diesen rechtlosen Zustand der Volksdeutschen auf „ewige Zeiten“ fest. Diese Maßnahmen führten zu einer auch äußerlich sichtbaren Ausgrenzung der Volksdeutschen als Verräter, Faschisten oder Feinde des Sowjetvolks aus dem Kreis der übrigen Bevölkerung. Dieses Stigma, das den Volksdeutschen nicht nur aus offizieller Sicht, sondern auch aus der Sicht der übrigen Bevölkerung anhaftete, wirkte auch ein Jahrzehnt nach Kriegsende weiter fort, als das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR mit Dekret vom 13. Dezember 1955 die „Sondersiedlungen“ aufhob.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Dazu BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995, a. a. O., Rn. 24 f. m. w. N. aus der historischen Literatur; Sächs. OVG, Urteil vom 24. Mai 2005, a. a. O., Rn. 42; ferner Eisfeld, Herdt (Hrsg.), Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956, S. 19 ff.; Brandes, Flucht und Vertreibung (1938–1950), in: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2011, http://www.ieg-ego.eu/brandesd-2011-de, Rn. 2, 13 (zuletzt abgerufen am 15. August 2022).</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Unter diesen Umständen steht es mit dem völkerrechtlichen Willkürverbot bei der Verleihung der eigenen Staatsangehörigkeit im Einklang, dass der deutsche Gesetzgeber den in ihrem früheren Heimatland recht- und schutzlos gewordenen und wegen ihres Deutschtums verfolgten Personen im Jahr 1955 Zuflucht und Schutz geboten hat, indem er ihre auf Grund der DVL Ukraine erworbene deutsche Staatsangehörigkeit anerkannte.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">VG Köln, Urteile vom 1. September 2004 ‑ 10 K 4538/03 ‑, juris, Rn. 17, und ‑ 10 K 6574/03 ‑, n. v., S. 6 des Urteils; Hoffmann, Völkerrechtliche Vorgaben für die Verleihung der Staatsangehörigkeit, Tübingen 2022, S. 290 (allgemein zu den Sammeleinbürgerungen nach § 1 Abs. 1 des 1. StAngRegG); a. A. VG Stuttgart, Urteile vom 23. Juli 2008 ‑ 11 K 4247/07 ‑, juris, Rn. 41 („von der (ehemaligen) Sowjetunion rechtmäßig als ihre Staatsangehörigen in Anspruch genommen“), und vom 9. Juni 2005 ‑ 11 K 1139/04 ‑, juris, Rn. 34; offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006, a. a. O., Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Angesichts der erwähnten historischen Tatsachen rechtfertigen die vom Bundesverwaltungsamt in den Mittelpunkt seiner Argumentation gerückten Umstände keine andere völkerrechtliche Beurteilung, dass das Deutsche Reich die Gebiete der heutigen Ukraine im Gegensatz zu den übrigen in § 1 Abs. 1 des 1. StAngRegG genannten Gebieten lediglich okkupiert, aber nicht in das Reichsgebiet eingegliedert hatte, die deutsche Bevölkerung in diesen Gebieten wegen der vor dem Einmarsch der Wehrmacht vollzogenen Deportationen von vornherein nur teilweise unter die Kontrolle der deutschen Annexions- und Besatzungsmacht geraten war und die ehemalige Sowjetunion anders als andere Staaten des damaligen Ostblocks keine Bereitschaft zeigte, auf ihre vom nationalsozialistischen Deutschland als deutsche Staatsangehörige in Anspruch genommenen Staatsbürger zu verzichten, sondern sie im Gegenteil ‑ mit Unterstützung und Billigung durch die westlichen Besatzungsmächte ‑ aus Deutschland in die damalige Sowjetunion zurückverbrachte.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Zu diesen Unterschieden BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006, a. a. O., Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich ist vielmehr das Gesamtverhalten des damaligen sowjetischen Staates gegenüber der deutschen Volksgruppe am Schluss des Kriegs und in der Nachkriegszeit unter dem Gesichtspunkt, ob er diesen Personen weiterhin eine funktionell wirksame Staatsangehörigkeit zubilligte. Fehlt es daran, ist unerheblich, ob dieser Staat gegenüber den deutschen Volkszugehörigen eine kollektive Ausbürgerung förmlich verfügt oder nur rechtliche Grundlagen für weitgehende in diese Richtung zielende Maßnahmen geschaffen hat.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1966, a. a. O., Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">B. Hat der Kläger zu 1. danach durch seine Geburt am    00.00.0000 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, haben auch die übrigen Kläger als seine Kinder und Enkel durch ihre ehelichen Geburten in den Jahren zwischen 1966 und 1997 kraft Abstammungserwerbs nach § 4 Abs. 1 RuStAG in der im jeweiligen Geburtszeitpunkt geltenden Fassung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zu 1. hat seine durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit insbesondere nicht nachträglich im Zeitraum bis zur Geburt seiner beiden Söhne, der Kläger zu 2. und 5., in den Jahren 1966 und 1968 wieder verloren. Das gilt namentlich für einen Verlust durch die Einbehaltung der Volkslistenausweise und die Erteilung des Zurückstellungsbescheids vom 13. Januar 1945, den das Bundesverwaltungsamt in seiner Berufungsbegründung als nachträglichen Verlustgrund für den Kläger zu 1. geltend macht. Dieses nur auf den ersten Blick widersprüchliche Verhalten der Einwandererzentralstelle im Januar 1945 hatte für sich betrachtet keine Unwirksamkeit des Staatsangehörigkeitserwerbs nach § 1 DVL-VO Ukraine zur Folge. Ebenso wenig handelte es sich hierbei auch um eine förmliche Entscheidung mit dem Ziel eines Entzugs der zunächst erworbenen Staatsangehörigkeit gegenüber Q.       B3.           N1.     (s. oben zu A. III.).</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.</p>
346,283
lagham-2022-08-15-8-ta-7422
{ "id": 794, "name": "Landesarbeitsgericht Hamm", "slug": "lagham", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Arbeitsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
8 Ta 74/22
2022-08-15T00:00:00
2022-08-24T10:01:03
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:LAGHAM:2022:0815.8TA74.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20. Januar 2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld ebenfalls vom 20. Januar 2022 – 7 Ca 1777/21 – wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">                                                                          <strong>G r ü n d e :</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Gegenstand der Beschwerde ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch streitiges Urteil erledigtes Bestandsschutzverfahren.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist seit 2006 bei der Beklagten, die eine Drogeriemarktkette führt, nach zwischenzeitlicher Übernahme von Aufgaben in der Filialleitung zuletzt wieder als Verkäuferin in Teilzeit gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von durchschnittlich 1.812,00 € beschäftigt. Unter dem 16. September 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst fristlos, mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 – ausdrücklich vorsorglich und hilfsweise – ordentlich zum 28. Februar 2022. Zur Begründung bezog sich die Beklagte jeweils auf identische Gründe im Verhalten der Klägerin. Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Januar 2022 erkannte das Arbeitsgericht auf die Rechtsunwirksamkeit beider Kündigungen. Mit am gleichen Tage verkündetem Beschluss setzte es den Gebührenstreitwert für das Verfahren erster Instanz auf 5.436,00 € (Vierteljahresverdienst) fest.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Festsetzung wenden sich die Beschwerdeführer, welche die Klägerin im Prozess anwaltlich vertreten haben, mit ihrem noch am 20. Januar 2022 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf. Nach ihrer Auffassung ist vorliegend je Kündigung ein Gebührenstreitwert dieser Höhe festzusetzen, weshalb sich der Verfahrenswert auf insgesamt 10.872,00 € belaufe. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass der Beendigungszeitpunkt beider Kündigungen um mehr als 3 Monate divergiere. Zudem bezieht sich die Beschwerde zum Verhältnis einer fristlosen zur ordentlichen Kündigung auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg aus dem Jahr 2014, wonach eine Addition der Einzelwerte zu erfolgen habe. Außerdem könne vorliegend nicht von einem identischen Kündigungssachverhalt ausgegangen werden. Denn die außerordentliche Kündigung sei ohne, die ordentliche Kündigung hingegen nach Anhörung des Betriebsrats erfolgt, was ganz unterschiedliche rechtliche und damit auch wirtschaftliche Folgen zeitige.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beschwerdeführer wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht aufgerufene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">9</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">1. Das Arbeitsgericht hat den gem. § 63 Abs. 2 GKG festgesetzten Gebührenstreitwert, der nach § 32 Abs. 1 RVG vorliegend auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich ist, in Anwendung der Begrenzungsvorschrift des § 42 Abs. 2 S. 1 HS 1 GKG zutreffend auf insgesamt 5.436,00 € (Vierteljahresverdienst) bemessen. Dies entspricht dem Vorschlag nach I. Nr. 21.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der gegenwärtig aktuellen Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a.: NZA 2018, 495 ff), dem auch die Beschwerdekammer insoweit wie im Übrigen in ständiger Spruchpraxis folgt.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">11</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2. Diese Empfehlung trägt dem in § 42 Abs. 2 S. 1 HS 1 GKG verankerten Begrenzungswillen des Gesetzgebers und zugleich dem Gedanken des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG Rechnung. Denn über die auf der Grundlage eines identischen Lebenssachverhalts ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung soll das Arbeitsverhältnis zwar über zwei in ein Hilfsverhältnis gestellte gesonderte Wege, gleichwohl aber im Ergebnis nur einmal und in Folge der aufgrund eines bestimmten Sachverhalts beruhenden einheitlichen Willensbildung des Kündigenden beendet werden. Zu einer Entscheidung über den die ordentliche Kündigung betreffenden Antrag kommt das Gericht dabei nur, wenn nicht schon die außerordentliche Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Der die ordentliche Kündigung betreffende Antrag oder Antragsteil ist danach als unechter Hilfsantrag für den Fall zu verstehen, dass der gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Antrag Erfolg hat. Kommt es zur Entscheidung auch darüber, dann betrifft der weitere Antrag wirtschaftlich betrachtet mit der umfassenderen Klärung der Bestandsfrage ein im Ausgangspunkt identisches, jedoch im Ergebnis weitergehendes Interesse der klagenden Partei, nämlich den Erhalt bzw. das Fortbestehen ein- und desselben Arbeitsverhältnisses auch über den ordentlichen Kündigungstermin hinaus.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Angesichts des einheitlichen, zur Begründung beider Gestaltungswege jeweils herangezogenen Kündigungssachverhalts und der dargestellten wirtschaftlichen Folgen verfolgt der Antrag zur ordentlichen Kündigung damit ein verbundenes Interesse, welches die Abwendung der außerordentlichen Kündigung notwendig inkorporiert, was die Einzelwerte beider Anträge ineinander aufgehen lässt und insgesamt auf das Vierteljahreseinkommen begrenzt. Die Zusammenrechnung der Einzelwerte einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung kommt danach gem. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung nach § 140 BGB zum einem der hilfsweisen ordentlichen Kündigung entsprechenden Kündigungstermin führen würde (LAG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2007 – 6 Ta 357/07 – juris m. w. N.).</p> <span class="absatzRechts">14</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">3. Folgt man hingegen der von der Beschwerde vertretenen Auffassung, hinge der vom Gesetz verfolgte Schutzzweck von dem Zufall ab, ob der Arbeitgeber eine auf dieselben Gründe gestützte außerordentliche und ordentliche Kündigung in einer Erklärung verbindet oder zeitnah in zwei gesonderten Erklärungen ausspricht. Zwar können im letztgenannten Fall Erklärungsmängel gesondert für jede der Kündigungserklärungen zu prüfen sein. Dennoch überwiegt der Gesichtspunkt eines einheitlichen Lebenssachverhalts erkennbar. Denn es entspricht der Üblichkeit und der Interessenlage des Kündigenden, eine außerordentliche Kündigung um eine auf dieselben Gründe gestützte vorsorgliche ordentliche Kündigung zu ergänzen. Ob dies im Einzelfall durch eine einheitliche Erklärung oder durch zwei gesonderte Erklärungen erfolgt, kann demgegenüber nicht von durchgreifender Bedeutung sein (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Mai 2018 – 4 Ta 124/18 – juris). Vor diesem Hintergrund kommt es – entgegen der Auffassung der Beschwerde – auch nicht darauf an, ob wegen der einen Kündigung ein bestimmter Unwirksamkeitsgrund eingreift, wegen der anderen hingegen nicht, weil der Prüfungsumfang insoweit bei der Wertbestimmung insoweit keine Rolle spielt (LAG Köln, Beschluss vom 14. September 2020 – 2 Ta 137/20 – juris).</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">16</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">4. Soweit die Beschwerde mit der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 27. November 2014 – 5 Ta 168/14 (juris) argumentiert, beruht dies auf einer Fehlinterpretation der zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation. Dort war zunächst eine ordentliche Kündigung aus Februar zum 30. September des Jahres ausgesprochen, die dann durch eine gesondert motivierte, am 18. September des Jahres in der laufenden Kündigungsfrist zugegangene außerordentliche Kündigung „überholt“ worden ist, was – auch und gerade nach den Empfehlungen des Streitwertkatalogs (siehe dort I. Nr. 21.3) – zwei zu addierende Wertansätze nach der Differenzmethode erfordert. Im Übrigen hat die beim dortigen Landesarbeitsgericht befasste Beschwerdekammer ausdrücklich klargestellt, dass sie den Vorschlägen des Streitwertkatalogs zur Bemessung des Gesamtwerts bei einer Mehrheit von Kündigungen folgen wird (siehe dort Rz 14) und die mit der außerordentlichen Kündigung verbundene hilfsweise ordentliche Kündigung zu Ende April des Folgejahres unter Hinweis auf I. Nr. 20.1 des Streitwertkatalogs in der Fassung des Jahres 2014 bei der Bestimmung des Gesamtwerts gerade unberücksichtigt gelassen (siehe dort Rz 15).</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">18</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">5. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Entscheidung ist nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG kein Rechtsmittel statthaft.</p>
346,252
ovgnrw-2022-08-15-11-b-75121a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
11 B 751/21.A
2022-08-15T00:00:00
2022-08-20T10:01:10
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0815.11B751.21A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Erinnerung wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die von der Antragsgegnerin nach den §§ 165, 151 VwGO beantragte Entscheidung des Gerichts (Kostenerinnerung), über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat, nachdem er auch die dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss zugrunde liegende Kostenentscheidung in entsprechender Besetzung getroffen hatte,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu etwa Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 5. Auflage 2018, § 165 Rn. 22, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auf deren Antrag zu Recht auf 413,64 Euro festgesetzt. Diese geltend gemachten Gebühren und Auslagen des für die Antragsteller im Verfahren nach § 80b Abs. 2 VwGO tätigen Prozessbevollmächtigten sind erstattungsfähig.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dem Erstattungsanspruch der Antragsteller steht nicht entgegen, dass ihre Prozessbevollmächtigten gemäß § 15 Abs. 2 RVG Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern dürfen. Nach § 16 Nr. 5 RVG sind das Verfahren über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, über den Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einstweiligen Anordnung, über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, über die Aufhebung der Vollziehung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts und jedes Verfahren über deren Abänderung, Aufhebung oder Widerruf „dieselbe Angelegenheit“.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verfahren zur Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80b Abs. 2 VwGO unterfällt bereits dem Wortlaut nach nicht dieser Norm. Es stellt kein Verfahren über die „Abänderung, Aufhebung oder Widerruf“ eines Verfahrens über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Aufhebung der Vollziehung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts dar.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Eine über den eindeutigen Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung ist nicht geboten.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">So aber Bay. VGH, Beschluss vom 24. März 2020 - 7 M 20.50002 -, BayVBl 2020, 610 = juris, Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Einer solchen steht der im Wortlaut des § 16 Nr. 5 RVG eindeutige und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte objektivierte Wille des Gesetzgebers entgegen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Wortlautgrenze auch BVerwG, Urteil vom 19. April 1972 - VI C 5.70 -, BVerwGE, 40, 78, 80= juris, Rn. 26.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Eine analoge Anwendung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Hierfür fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Formulierung ist nach der amtlichen Begründung so gewählt, dass die Regelung „auch Verfahren nach den §§ 80 und 80a VwGO“ erfasst.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 190.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Sie soll zwar nach der Gesetzesbegründung „sämtliche Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz“ betreffen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BT-Drucksache 17/11471, S. 267; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 24. März 2020 - 7 M 20.50002 -, BayVBl 2020, 610 = juris, Rn. 3.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ein solches Verständnis hat sich jedoch nicht im Wortlaut der Norm niedergeschlagen. Vielmehr zählt sie die jeweiligen Verfahren, auf die sie Anwendung finden soll, einzeln auf, ohne dass das Verfahren über die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung nach § 80b Abs. 2 VwGO in das Gesetz aufgenommen worden wäre. Von einer Planwidrigkeit kann insbesondere deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Regelung des § 16 RVG einer Vielzahl von Änderungen und Ausweitungen ihres Anwendungsbereichs unterworfen wurde, ohne dass jedoch auch Verfahren nach § 80b Abs. 2 VwGO erfasst worden sind.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. zuletzt Erweiterung auf den „Widerruf“ durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung vom 21. November 2016, BGBl. I 2016, 2591.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2003 - 7 KSt 6.03, 7 VR 1.02 -, AGS 2003, 456 (457) = juris, ergibt sich nicht anderes. Er betrifft eine andere prozessuale Konstellation, nämlich einen Kostenfestsetzungsantrag in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren, in dem die Antragsteller in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 VwGO die Änderung eines die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts sowie die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehrt hatten. Dass das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren über die Änderungsanträge und das vorangegangene, beim Verwaltungsgericht überwiegend erfolgreiche vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 114 Abs. 6 Satz 1BRAGO a. F. i. V. m. § 40 Abs. 2 BRAGO a. F. als gebührenrechtliche Einheit bewertet hat, lässt für die vorliegende Konstellation keinen Rückschluss zu.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,507
lg-koln-2022-08-12-10-o-3021
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10 O 30/21
2022-08-12T00:00:00
2022-09-10T10:01:24
2022-10-17T11:10:00
Urteil
ECLI:DE:LGK:2022:0812.10O30.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>1. Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, an den Kläger 50.525,36 € nebst Zinsen hieraus in Hohe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.03.2022 zu bezahlen Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeuges des Modells N des Herstellers D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000.</p> <p>2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>3. Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Kläger zu ¾ und die Beklagte zu 2. zu ¼. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. tragen der Kläger und die Beklagte zu 2. jeweils zu ½.</p> <p>4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollsteckbar.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel-Skandal“.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger kaufte am 11.07.2018 ein Wohnmobil der Marke D N für 59.000 € als Neufahrzeug. Basisfahrzeug ist ein G. Der Motor inklusive der Motorsteuerung und der Abgasreinigung wurde von der Beklagten zu 2. gefertigt und verbaut.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat nachträglich eine Aufbaubatterie im Wert von 420,- € einbauen lassen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1. ist aus einer Fusion der G und des Q Konzerns entstanden. Sie ist eine Holdinggesellschaft, die keine Fahrzeuge produziert, und 100 %iges Mutterunternehmen der Beklagten zu 2.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das streitgegenständliche Fahrzeug weist einen aktuellen Kilometerstand von 45 227 km auf.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Abschalteinrichtung verbaut, die insbesondere dergestalt funktioniere, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abgeschaltet werden, wobei der Testzyklus 21 Minute dauere (Bl. 23 ff., 250 ff., 470 ff. d.A.).</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Er meint, die Beklagte zu 1. sei die Hauptverantwortliche und müsse jedenfalls als Herstellerin gelten (im Einzelnen: Bl. 119 ff., 194 ff, d.A.).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zunächst beantragt, festzustellen, dass die Beklagte [zu 1.] verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs des Modells N des Herstellers D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 durch die Beklagte zu 1. resulieren.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 15.10.2021, den Beklagten zugestellt am 21.10.2021, hat er die Klage gegen die Beklagte zu 2. erweitert und – neben dem nunmehr gestellten Hauptantrag – hilfsweise für den Fall, dass die Feststellungsanträge unzulässig sein sollte, beantragt:</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">2. Die Beklagtenparteien werden verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">bezüglich des Fahrzeugs des Modells N des Herstellers D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens € 14.750,00 betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">3. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenparteien verpflichtet sind, der Klägerpartei weiteren Schadensersatz, der über diesen Betrag hinausgeht, zu</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs des Modells N des Herstellers D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 durch die Beklagtenparteien resultieren.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">4. Die Beklagtenparteien werden verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils € 3.291,54 freizustellen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Er beantragt seit der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2022 nunmehr:</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerpartei</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Beklagten in dem Fahrzeug des Modells N des Herstellers</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">a) unzulässige Abschalteinrichtungen wie z.B.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">die Parameter der Abgasrückführung so verändert, dass die Abgasrückführung nur innerhalb eines Temperaturrahmens zwischen 20°C und 30°C und nur auf dem Prüfstand optimal funktioniert, während unterhalb 20°C bis 5°C sowie außerhalb der NEFZ-Prüfsituation eine stufenweise Abrampung der Abgasrückführungsrate bis hin zur kompletten Reduktion auf Null erfolgt (sog. Thermofenster),</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt einer Abschaltlogik, welche die Abgasrückführungsrate nach 22</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Minuten nach dem Motorstart und dem Beginn des NEFZ-Modus auf Null</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">reduziert,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt einer Hysterese, welche alle 10 Sekunden nach dem Auftreten einer oder mehrerer der nachfolgenden Störgrößen sucht, sodass gegebenenfalls nach 15 Sekunden oder nach einer Häufigkeit von 5 Mal oder mehr die Abgasreinigung eingestellt wird, wobei es sich bei diesen Störgrößen um</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">- einen Lenkwinkel größer als 30°,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">- eine Geschwindigkeit an der Hinterachse größer als 3,9 km/h,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">- eine Gaspedal-Stellung größer als 80,00049% handelt</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">oder</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt eines weiteren Timers, welcher nach 4 Minuten nach Auftreten</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">einer oder mehrerer der nachfolgenden Störgrößen die Abgasreinigung einstellt, wobei es sich bei diesen Störgrößen um</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">- ein Drehmoment über 34 kW (höher als 300/340 Nm),</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">- eine Geschwindigkeit, welche die für den NEFZ-Zyklus typische Geschwindigkeit überschreitet und auf ein Verlassen der Prüfsituation hindeutet,</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">- einen Bremsvorgang, welcher öfter als 20 Mal erfolgt, handelt,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt noch zusätzlicher Timer-Strategien, welche durch das Einbringen von Zeitpuffer sicherstellen sollen, dass die Abgasreinigung nicht vorschnell trotz andauernder Prüfsituation abgeschaltet wird,</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">- in Gestalt eines AGR-Kennfeldes, welches sicherstellen soll, dass die Abgasreinigung im Straßenverkehr auch innerhalb des o.g. Thermofensters</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">ausgeschaltet wird,</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">verbaut haben, mit ihrer Billigung oder auf ihre Anweisung hin verbaut wurden und hierdurch die Emissionswerte auf dem Rollenprüfstand, welcher</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">stets 1180 Sekunden dauert, innerhalb eines Temperaturrahmens zwischen 20°C und 30°C stattfindet, mit einer vorgeschriebenen Standzeit von 25% und einer Antriebsleistung von maximal 34 kW bzw. einer Geschwindigkeit bis maximal 120 km/h erfolgt, reduziert werden.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">b) ein On-Board-Diagnosesystem einsetzen, welches dahingehend</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">programmiert war, die Erhöhung der Emissionswerte infolge der Abschaltung der Abgasrückführungsrate entgegen der bestehenden gesetzlichen Überwachungspflicht in Bezug auf die abgasbeeinflussenden Systeme nicht anzuzeigen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><em>und hilfsweise für den Fall, dass der Feststellungsantrag unzulässig sein sollte:</em></p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klagepartei € 59.420,00 nebst Zinsen hieraus in Hohe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">des Modells N des Herstellers D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeuges.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klagepartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schaden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">4. Es wird feststellt, dass die Beklagten sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs im Verzug befinden.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">5. Die Beklagten werden verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Hohe von € 3.291,54 freizustellen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beklagten beantragen,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Sie behaupten, es gebe keine Abschaltung der Abgasrückführung (Bl. 411 d.A.).</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Sie meinen, den vermeintlichen Ansprüchen stünde die EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs entgegen (im Einzelnen: Bl. 299 ff. d.A.).</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Sie berufen sich auf die Einrede der Verjährung, da der Kläger – so behaupten sie – im Erwerbszeitpunkt bereits gewusst habe, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom sog. Dieselskandal betroffen sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist teilweise zulässig und begründet.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">I. Die Klage gegen die Beklagte zu 1. ist jedenfalls vollumfänglich unbegründet, da es an deren Passivlegitimation fehlt.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht Frankfurt a.M. hat im Urteil vom 11.01.2022 (Az. 2-18 O 68/21 = BeckRS 2022, 14950 Rn. 28-31, beck-online) in einem ähnlich gelagerten Fall ausgeführt:</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">„Es fehlt insoweit bereits an der Passivlegitimation.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Dies folgt zunächst daraus, dass die Beklagte zu 2) weder das streitgegenständliche Fahrzeug noch den Motor konstruiert, hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht hat. Die Beklagte zu 2) ist insbesondere nicht als „Herstellerin“ oder im weitesten Sinne als produzierende Gesellschaft des streitgegenständlichen (Basis-)Fahrzeuges bzw. des Motors, der nach den klägerischen Behauptungen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sein soll, anzusehen (vgl. LG Freiburg, Urteil vom 27.08.2021 - 4 O 5/21). Vielmehr weist die EG-Übereinstimmungsbescheinigung die Beklagte zu 3) als Herstellerin des Basisfahrzeuges aus und ist damit Herstellerin im Sinne des Art. 3 Abs. 27 der Richtlinie 2007/46/EG.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Der Umstand, dass sich die Beklagte zu 2) öffentlichkeitswirksam als Mutter- bzw. Dachgesellschaft verschiedener Automarken und in ihrer Eigendarstellung als Automobilhersteller ausgibt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. „Hersteller“ sind nur die einzelnen in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung aufgeführten Gesellschaften, nicht aber die hiervon zu unterscheidende Konzernmutter bzw. Holdinggesellschaft. Eine generelle Einstandspflicht von Konzernunternehmen für die Verbindlichkeiten anderer Konzernunternehmen (Konzernhaftung), ist dem deutschen Recht für den Regelfall fremd. Vielmehr haften nach dem so genannten Trennungsprinzip selbst im Vertragskonzern für die Verbindlichkeiten der einzelnen Konzernglieder grundsätzlich nur diese, nicht dagegen die anderen Konzernunternehmen einschließlich der Muttergesellschaft. Ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip, wonach der Konzern generell als Rechtseinheit behandelt werden soll, besteht nicht (OLG Oldenburg, Urteil vom 16.10.2020 - 11 U 2/20, BeckRS 2020, 26911 - Rn. 59).</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Allein die Stellung als Organmitglied bei der Konzernmutter genügt auch nicht, um eine Involvierung in Entscheidungen der Konzerntöchter oder gar Kenntnis und Billigung von Handlungen innerhalb von Tochtergesellschaften anzunehmen bzw. zu vermuten. So ist insbesondere die Behauptung, die Beklagte zu 2) habe aufgrund ihrer Konzernleitungsmacht, welche sich in der 100 %igen Beteiligung an der Beklagten zu 3) manifestiere, die Anweisungen über die Entwicklung und den Einsatz von Manipulationssoftware erteilt und die Kontrolle über die Vorgänge behalten. Hinreichend konkreter Vortrag zur Beteiligung der Beklagten zu 2) an einer Entscheidung zum Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung, der nicht fernab konkreter Anhaltspunkte ins Blaue hineingehalten wurde, fehlt (ausführlich: OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 30.08.2021, Az.: 2 U 109/21). Es ist insbesondere unzureichend, auf eine vermeintlich bestehende Logik abzustellen, wonach es nur die Muttergesellschaft sein könne, die über den Einsatz von Manipulationssoftware entscheide. Denn selbst wenn man der Eigendarstellung der Beklagten zu 2) entnehmen wollte, dass diese tatsächlich auch einzelne operative und strategische Entscheidungen treffe, besagt dies doch in der Tat noch überhaupt nichts zu den konkreten Entscheidungswegen in einem weltweit tätigen Automobilkonzern, der in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen mit verschiedenen Marken in rechtlich eigenständigen Gesellschaften zugleich unterschiedliche (Abgas-)Normen zu beachten hat. Selbst bei Annahme einer gewissen personellen Kongruenz ist daher bereits nicht hinreichend dargetan oder ersichtlich, dass es sich bei der Beklagten zu 2) um einen operativ in das Geschäft der Konzerntöchter eingreifenden „Hersteller“ und nicht nur - wie von Beklagtenseite vorgetragen - um eine reine Holdinggesellschaft handelt.“</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Dem schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung auch für den hier zu entscheidenden Fall an.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">II. Der als Hauptantrag gestellt Feststellungsantrag – ebenso wie der hilfsweise gestellte Antrag zu 3. – ist unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Zum einen ist kein Feststellungsinteresse ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, welcher Schaden dem Kläger droht, den er nicht bereits jetzt geltend machen kann.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen bestehen auch Bedenken an der Bestimmtheit des Klageantrags, da unklar ist, in welchem Verhältnis (und/oder) die einzelnen geltend gemachten Abschalteinrichtungen zueinander stehen sollen.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">III. Der Hilfsantrag zu 2. ist gegen die Beklagte zu 2. teilweise begründet.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">1. Die Beklagte zu 2. hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Der eingebaute Timer der Abgasreinigung stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">In Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 wird „Abschalteinrichtung“ definiert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 2. hat – insbesondere bei Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH im Urteil v. 14.7.2022 (Az. C-128/20, Tz. 24 ff. = BeckRS 2022, 16622 Rn. 24, beck-online) – eine Einrichtung in das Fahrzeug eingebaut, die die Abgasreinigung für den Prüfzyklus verändert. Die Beklagte zu 2. ist dem substantiierten Vortrag des Klägers, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abgeschaltet wird, nicht hinreichend entgegengetreten. Im normalen Fahrzeugbetrieb ist sodann üblicherweise nicht zu erwarten, dass das Fahrzeug immer weniger als 22 Minuten läuft, sodass die Abgasreinigung im Prüfzyklus – dauerhafte Abgasreinigung – zu der im normalen Fahrbetrieb – Abgasreinigung nur in den ersten 22 Fahrzeugbetriebsminuten – verändert wurde.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Diesbezüglich liegt auch eine sittenwidrige Schädigung vor.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 11; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15; vom 12. März 2020 -VII ZR 236/19, VersR 2020, 1120 Rn. 24; jeweils m.w.N.). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 11; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn.29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 12 und vom 19.Januar 2021- VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 14; Urteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020,1715 Rn. 29 und vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15).</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2021 - VI ZR 257/20, juris Rn. 20; vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, juris Rn. 21; vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19, juris Rn. 19 und vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 16 ff.).</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt deshalb voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20, juris Rn. 21 und vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, juris Rn. 22; Beschlüsse vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, juris Rn. 28 und vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, juris Rn. 19).</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für den Motorhersteller handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, juris Rn. 28; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 16).</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">(zum Ganzen: OLG Koblenz, Beschluss vom 16.06.2022 – 16 U 131/22 = BeckRS 2022, 14792 Rn. 16-19, beck-online)</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist von einer sittenwidrigen Schädigung auszugehen. Zwar mag in den Fällen des sog. Thermofensters davon auszugehen sein, dass die KFZ-Hersteller nicht von der Unzulässigkeit wussten, womit der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit entfiele. Vorliegend ist die Sachlage aber anders: Es liegt auf der Hand, dass eine Aktivierung der Abgasreinigung <em>nur</em> für die Dauer des Prüfzyklus nicht zulässig ist, weshalb davon auszugehen ist, dass auch die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten zu 2. dies zumindest billigend in Kauf genommen haben.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Dem steht auch nicht die Typengenehmigung der italienischen Zulassungsbehörde entgegen. Denn es entfällt die Tatbestandswirkung einer Typengenehmigung jedenfalls dann, wenn diese arglistig oder jedenfalls mit falschen oder unrichtigen Angaben erwirkt worden ist (vgl. LG Dortmund Urt. v. 3.5.2022 – 3 O 542/20, BeckRS 2022, 16389 Rn. 29, beck-online). Die Beklagte hat vorliegend schon nicht vorgetragen, dass sie die italienische Zulassungsbehörde von der Funktionsweise der Timerfunktion unterrichtet habe und diese <em>auch deshalb</em> die Typengenehmigung erteilt habe.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">2. Die Beklagte zu 2. hat dem Kläger nach § 826 i.V.m. den §§ 249 f. BGB den entstandenen Schaden zu ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Der hier relevante Schaden besteht im Kaufvertragsabschluss (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 44 ff. d.A.).</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Die – im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnenden (vgl. Az. VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962, Rn. 64 ff.) – Gebrauchsvorteile des Klägers sind mit 8.894,64 € anzusetzen und in Abzug zu bringen. Dabei hat das Gericht den unstreitigen aktuellen Kilometerstand von 45 227 km abzüglich der bei Kauf bereits vorhandenen Laufleistung von 0 km, also vom Kläger selbst zurückgelegter 45 227 km zugrunde gelegt.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat die zu erwartende Gesamtlaufleistung gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km geschätzt, sodass die bei Kauf noch verbleibende Restlaufzeit unter Abzug der zurückgelegten Laufleistung von 0 km noch 300 000 km betrug. Denn nach Einschätzung des Gerichts kann eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km bei einem als langlebig geltenden Dieselfahrzeug in einem Wohnmobil typischerweise erwartet werden.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung bei gebrauchten Kraftfahrzeugen berechnet sich nach zutreffender Rechtsauffassung noch folgender Methode (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl., Rz. 1753 ff.):</p> <span class="absatzRechts">85</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td rowspan="2"><p>Gebrauchsvorteil =</p> </td> <td><p><span style="text-decoration:underline">Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer</span></p> </td> </tr> <tr><td><p>Voraussichtl. Restlaufleistung</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">In dieser Berechnung kommt zum Ausdruck, dass die Parteien mit dem von ihnen vereinbarten Kaufpreis in der Regel den noch verbleibenden Nutzungswert des Gebrauchtwagens abbilden, welcher sich in der Restlaufzeit des Fahrzeuges bei guter, durchschnittlicher Behandlung ausdrückt. Die in der gleichmäßigen Aufteilung auf die gefahrenen Kilometer sich ergebende lineare Wertschwundberechnung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Reinking/Eggert, a.a.O., Rz. 643 ff.). Soweit in der Praxis generalisierende Faustformel verwendet werden, wonach die Nutzungsentschädigung für Pkw gemäß § 287 ZPO nach der Gesamtlaufleistung für je 1000 km auf 0,3 % bis 1 % des Anschaffungspreises zu schätzen ist (vgl. Palandt-Grüneberg § 346 RZ. 10 mwN), liegt dem eine fixe Gesamtfahrleistung – je nach anzusetzendem Prozentsatz zwischen 100.000 km und 333.333 km zugrunde. Der höchste Wert entspricht annähernd der vom Gericht zugrunde gelegten Gesamtlaufleistung.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist als Kaufpreis 59.000,- € zugrunde zu legen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Nach der allgemein anerkannten Formel der linearen Wertschwundberechnung (Gebrauchsvorteil =  Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer : voraussichtliche Gesamtlaufleistung) - ergibt sich im konkreten Fall ein Betrag von 8.894,64 € (59.000,-  € x 45 227 km : 300 000 km).</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Nach Abzug einer Nutzungsvergütung von 8.894,64 € vom Schadensbetrag von 59.420,- € (Kaufpreis zzgl. Aufwendungen) verbleibt ein tatsächlich zurück zu zahlender Betrag von <strong>50.525,36 €</strong>.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">3. Die Forderung ist auch durchsetzbar und nicht verjährt.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bereits beim Kaufvertragsschluss Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hatte.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">4. Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach Rechtshängigkeit des Zahlungsantrags zu, dem 04.03.2022.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">IV.  Der Antrag zu 4. ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er der Beklagten zu 2. das streitgegenständliche KFZ annahmeverzugsbegründend angeboten hat, insbesondere unter Anrechnung der korrekten Nutzungsentschädigung (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962 Rn. 85, beck-online).</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">V. Der Antrag zu 5. ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat schon kein anwaltliches Tätigwerden vorgetragen.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">VI. Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 100 ZPO die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus § 709 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 59.420,00 EUR festgesetzt.</p>
346,429
sg-dortmund-2022-08-12-s-31-as-5122
{ "id": 833, "name": "Sozialgericht Dortmund", "slug": "sg-dortmund", "city": 407, "state": 12, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
S 31 AS 51/22
2022-08-12T00:00:00
2022-09-06T10:01:14
2022-10-17T11:09:46
Beschluss
ECLI:DE:SGDO:2022:0812.S31AS51.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I:</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger wurden mit Bescheiden vom 12. Oktober, 27. Oktober und 27. November 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2021 in der Fassung des Bescheides vom 16. Februar 2022 Leistungen für Oktober 2021 bis September 2022 bewilligt. Dabei setzte der Beklagte den Regelsatz für 2021 - 446,00 Euro - und für 2022 - 449,00 Euro - an.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Dagegen hat der Kläger am 07. Januar 2022 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Regelsätze für 2021 und für 2022 seien verfassungswidrig zu niedrig. Dazu zitiert er aus der Entscheidung des SG Karlsruhe S 12 AS 711/21 ER (abgedruckt in juris) und aus einem Gutachten von Prof. Lenze vom 30. September 2021. Eine Bezifferung des gegenüber dem Regelsatz begehrten Mehrbetrages könne nicht erfolgen. Es würden höhere Leistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen begehrt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Außerdem seien zu geringe Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligt worden.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Soweit der Rechtsstreit Kosten der Unterkunft und Heizung betrifft, ist er abgetrennt worden und läuft nunmehr unter dem Az. S 31 AS 2047/22.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte des Beklagten.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><strong>II:</strong></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Prozesskostenhilfe konnte gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff ZPO nicht bewilligt werden. Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Regelleistung. Die Bemessung der Regelsätze für 2021 und für 2022 entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. Beschluss des LSG Essen vom  31.03.2022, L 2 AS 330/22 B ER, in juris). Die Kammer schließt sich der überzeugenden Entscheidung des LSG Essen an.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung der Leistungen ein Gestaltungsspielraum zu. Die verfassungsrechtliche Kontrolle bei der Prüfung der Höhe des Regelsatzes beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Dies ist weder für 2021 noch für 2022 der Fall.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Regelsatz für 2011 verfassungsgemäß ist (Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, in BVerfGE 137, 34-103). Der Regelsatz betrug damals 364,00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nach dem statistischen Bundesamt beträgt die Inflationsrate von 2011 bis 2021 15,8% und von 2011 bis Juli 2022 22,6% (durchschnittliche Inflationsrate für Januar bis Juli 2022 6.8%). Dabei sind 2022 wesentliche Preistreiber die Preissteigerungen für Heizung und Kraftstoffe (vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 272 vom 29. Juni 2022). Bei Beziehern von Leistungen nach SGB II werden die Heizkosten jedoch separat, unabhängig vom Regelsatz, übernommen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Eine Erhöhung des Regelsatzbetrages für 2011 von 364,00 Euro um die Prozentsätze der Inflation ergibt für 2021 421,51 Euro und für 2022 446,26 Euro.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Diese Beträge liegen unter den Regelsätzen für 2021 und für 2022. Für 2022 kommen noch 200,00 Euro Einmalbewilligung gemäß § 73 SGB II in der Fassung ab 01. Juni 2022 hinzu. Dies macht einen monatlichen Betrag von 16,67 Euro aus. Damit belaufen sich die Leistungen für 2022 auf monatlich 465,67 Euro.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe befasst sich nicht mit der Höhe der Regelleistung, sondern mit dem Einmalbetrag für 2021 gem. § 70 SGB II. Die Ausführungen von Prof. Lenze, der Regelsatz für 2022 sei zu gering, teilt die Kammer nicht.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro übersteigt oder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe bei dem</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Sozialgericht Dortmund,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ruhrallee 1-3,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">44139 Dortmund,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zweigertstraße 54,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">45130 Essen</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-dortmund.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.</p>
346,402
vg-arnsberg-2022-08-12-9-k-66722
{ "id": 841, "name": "Verwaltungsgericht Arnsberg", "slug": "vg-arnsberg", "city": 384, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
9 K 667/22
2022-08-12T00:00:00
2022-09-02T10:01:26
2022-10-17T11:09:41
Urteil
ECLI:DE:VGAR:2022:0812.9K667.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beklagte wird verpflichtet, die vom Kläger an der Beklagten im auf den Erwerb des akademischen Grads eines Bachelor of Science gerichteten Studiengang „Informatik“ erbrachte Prüfungsleistung im Modul 63085 „Fachpraktikum Internetsicherheit“ zur Ersetzung der Prüfungsleistung im Modul 63581 „Fachpraktikum IT-Sicherheit“ im vom Kläger belegten Studiengang „Praktische Informatik“ mit dem Ziel der Erlangung des akademischen Grads eines Master of Science anzuerkennen.</p> <p>Der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2021 und deren Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2022 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegensteht.</p> <p>Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Dieses Urteil ist für den Kläger wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Prüfungsleistung zur Ersetzung einer im von ihm belegten Studiengang geforderten Prüfungsleistung.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger studiert an der Beklagten im Studiengang „Praktische Informatik“ mit dem Ziel der Erlangung des akademischen Grads eines Master of Science und im Studiengang „Informatik“ mit dem Ziel des Erwerbs des Grades eines Bachelor of Science. Der Kläger hat zudem das Studium der Rechtswissenschaft im Bundesgebiet mit dem ersten juristischen Staatsexamen abgeschlossen, aufgrund dessen er auch zum Masterstudium zugelassen worden ist.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Modulbeschreibung des Moduls 63085 „Fachpraktikum Internetsicherheit“ im amtlichen Modulhandbuch der Beklagten hat folgenden Inhalt:</p> <span class="absatzRechts">5</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Lehrveranstaltung(en)</p> </td> <td><p>01527 Fachpraktikum Internetsicherheit</p> </td> </tr> <tr><td><p>Detaillierter Zeitaufwand</p> </td> <td><p>Bearbeitung Aufgaben Phase 1: 150 Stunden</p> <p>Bearbeitung Aufgaben Phase 2: 100 Stunden</p> <p>Dokumentation u. Präsentation: 50 Stunden</p> </td> </tr> <tr><td><p>Qualifikationsziele</p> </td> <td><p>Nach erfolgreicher Bearbeitung können Studierende die üblichen Werkzeuge der Internetsicherheit bedienen und konfigurieren. Sie sind in der Lage, die Grundlagen der Funktionsfähigkeit von Firewalls nach Änderungen der Konfiguration zu überprüfen. Sie kennen die relevanten Log-Dateien und können die Bedeutung von Einträgen interpretieren. Die Studierenden sind in der Lage, sich in einem Team zu organisieren, effizient an der Lösung einer Aufgabe zu arbeiten, und die dabei auftretenden Differenzen einer Lösung zuzuführen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können ihre Entscheidungen und Maßnahmen bei Administration und Installation von einigen Werkzeugen der Internetsicherheit begründen und präsentieren.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Inhalte</p> </td> <td><p>In diesem Fachpraktikum werden die im Modul "Sicherheit im Internet" vermittelten Kenntnisse anhand praktischer Aufgabenstellungen angewendet werden. Jede/r</p> <p>Praktikumsteilnehmerin und -teilnehmer erhält Zugang zu einem zentralen Übungsrechner, auf dem er einen eigenen virtuellen Linux-Rechner schützen soll. Hierzu sind ein gesicherter Zugang (VPN), eine Firewall, ein Application-Level Gateway, ein Instrusion Detection System und weitere Werkzeuge zur Sicherung zu installieren, zu konfigurieren und zu testen. Anschließend wird in Gruppen eine etwas größere Aufgabenstellung wie die Installation und Konfiguration eines VPN zwischen mehreren Gruppen kollaborativ gelöst. Zu Beginn des Semesters erhalten die angenommenen Studierenden die Beschreibungen der Aufgabenstellungen sowie entsprechende Literaturhinweise und Zugang zum Übungsrechner. Die erarbeiteten Lösungen werden am Ende des Semesters in einer Präsenzphase in Hagen vorgestellt und mit den Betreuern diskutiert.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Inhaltliche</p> <p>Voraussetzung</p> </td> <td><p>- Erfolgreicher Abschluss des Moduls 63512 "Sicherheit im Internet" (Kurse 01866 und 01868) oder äquivalente Kenntnisse</p> <p>- Erfahrungen im Umgang mit Linux/Unix auf Shell-Ebene</p> <p>- Zugriff auf einen Rechner mit Internet-Zugang</p> </td> </tr> <tr><td><p>Lehr- und</p> <p>Betreuungsformen</p> </td> <td><p>internetgestütztes Diskussionsforum</p> <p>Betreuung und Beratung durch Lehrende</p> <p>Zusatzmaterial</p> </td> </tr> <tr><td><p>Formale Voraussetzung</p> </td> <td><p>Studieneingangsphase ist abgeschlossen, die Module Grundpraktikum Programmierung, Grundlagen der Theoretischen Informatik und Softwaresysteme sind bestanden</p> </td> </tr> <tr><td><p>Verwendung des Moduls</p> </td> <td><p>B. Sc. Informatik</p> </td> </tr> <tr><td><p>Prüfung</p> </td> <td><p>erfolgreich bearbeitete</p> <p>Praktikumsaufgabe</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Modulbeschreibung des Moduls 63581 „Fachpraktikum IT-Sicherheit“ im amtlichen Modulhandbuch der Beklagten hat folgenden Inhalt:</p> <span class="absatzRechts">7</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Lehrveranstaltung(en)</p> </td> <td><p>01599 Fachpraktikum IT-Sicherheit</p> </td> </tr> <tr><td><p>Detaillierter Zeitaufwand</p> </td> <td><p>Bearbeitung Aufgaben Phase 1: 150 Stunden</p> <p>Bearbeitung Aufgaben Phase 2: 100 Stunden</p> <p>Dokumentation u. Präsentation: 50 Stunden</p> </td> </tr> <tr><td><p>Qualifikationsziele</p> </td> <td><p>Nach erfolgreicher Bearbeitung können Studierende die üblichen Werkzeuge der IT-Sicherheit bedienen und konfigurieren. Sie sind in der Lage, die Grundlagen der Funktionsfähigkeit von Firewalls nach Änderungen der Konfiguration zu überprüfen. Sie kennen die relevanten Log-Dateien und können die Bedeutung von Einträgen interpretieren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind in der Lage, sich in einem Team zu organisieren, effizient an der Lösung einer Aufgabe zu arbeiten, und die dabei auftretenden Differenzen einer Lösung zuzuführen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können ihre Entscheidungen und Maßnahmen bei Administration und Installation von einigen Werkzeugen der IT-Sicherheit begründen und präsentieren.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Inhalte</p> </td> <td><p>In diesem Fachpraktikum sollen die in den Kursen Sicherheit im Internet I+II vermittelten Kenntnisse anhand praktischer Aufgabenstellungen angewendet werden. Jede/r Praktikumsteilnehmerin/-teilnehmer erhält Zugang zu einem zentralen Übungsrechner, auf dem er einen eigenen virtuellen Linux-Rechner schützen soll. Hierzu sind ein gesicherter Zugang (VPN), eine Firewall, ein Application-Level Gateway, ein Intrusion Detection System und weitere Werkzeuge zur Sicherung zu installieren, zu konfigurieren und zu testen. Anschließend wird in Gruppen eine größere Aufgabenstellung wie die Installation und Konfigurationen eines VPN zwischen mehreren Gruppen kollaborativ gelöst. Neben diesen Arbeiten obliegt auch die Organisation des Managements dieses Projekts den Studierenden. Die erarbeiteten Lösungen werden versioniert (z.B. cvs, subversion) und am Ende des Semesters in einer</p> <p>Präsenzphase in Hagen vorgestellt und mit den Betreuern diskutiert.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Inhaltliche</p> <p>Voraussetzung</p> </td> <td><p>Erfolgreiche Bearbeitung eines der Module 63512 "Sicherheit im Internet" (01866)</p> <p>oder 64312 "Sicherheit - Safety & Security" (01867) bzw. äquivalente Kenntnisse</p> </td> </tr> <tr><td><p>Lehr- und</p> <p>Betreuungsformen</p> </td> <td><p>Betreuung und Beratung durch Lehrende</p> <p>Studientag/e</p> <p>internetgestütztes Diskussionsforum</p> </td> </tr> <tr><td><p>Formale Voraussetzung</p> </td> <td><p>mindestens zwei Wahlmodulprüfungen müssen bestanden sein</p> </td> </tr> <tr><td><p>Prüfung</p> </td> <td><p>M.Sc. Informatik</p> <p>M.Sc. Praktische Informatik</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragte am 27. September 2021 unter anderem die Anerkennung des Moduls 63085 „Fachpraktikum Internetsicherheit“ aus dem von ihm besuchten Bachelor-Studiengang zur Ersetzung des Moduls 63581 „Fachpraktikum IT-Sicherheit“.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 4. November 2021 lehnte die Beklagte u.a. die Anerkennung dieser Modulprüfungsleistung mit der Begründung ab, dass eine Anerkennung nicht möglich sei, da ein wesentlicher Unterschied in den jeweils vermittelten Kompetenzen bestehe. Im Masterfachpraktikum werde etwa die Organisation des Managements des Projekts und die Versionierung (z.B. cvs, subversion) der erarbeiteten Lösungen von den Studierenden gefordert. Im Bachelorfachpraktikum sei dies nicht der Fall. Die in diesem Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung weist als statthaften Rechtsbehelf den Widerspruch aus.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Hiergegen erhob der Kläger am 29. November 2021 Widerspruch und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen der Anerkennung seien gegeben, da kein wesentlicher Unterschied in den Leistungen bestehe. Dies zeige sich bereits daran, dass die Modulbeschreibungstexte weitgehend identisch seien. Die angeführten Unterschiede seien nicht wesentlich, sondern beträfen allenfalls einen untergeordneten Teil der Gesamtleistung. Das Fachpraktikum bestehe nach den insoweit wörtlich übereinstimmenden Modulbeschreibungstexten aus zwei Phasen: einer identisch beschriebenen Phase auf dem zentralen Übungsrechner (Phase 1) und der anschließenden kollaborativen lnstallation und Konfiguration eines VPN zwischen mehreren Gruppen (Phase 2). Nur bezüglich der zweiten Phase finde sich in der Beschreibung des Fachpraktikums „lT-Sicherheit“ zusätzlich die Formulierung „Neben diesen Arbeiten obliegt auch die Organisation des Managements dieses Projekts den Studierenden. Die erarbeiteten Lösungen werden versioniert (z.B. cvs, subversion)“. Schon die Einleitung „neben“ zeige, dass es sich um einen untergeordneten Teil handele. Auch hätten die zusätzlichen Anforderungen nicht dazu geführt, dass für die Bearbeitung der zusätzlichen Aufgaben in Phase 2 zusätzlicher Zeitaufwand berechnet werde: ln beiden Fachpraktika werde für die Aufgaben der Phase 2 jeweils eine Stunde angesetzt. Die zusätzlichen Anforderungen seien daher nach dem Vergleich der beiden Modulbeschreibungen mit Null Stunden Zeitaufwand anzusetzen – also jedenfalls untergeordnet. Dieser geringe Unterschied zeige sich schon darin, dass die „zusätzlichen“ Anforderungen auch im Fachpraktikum „lnternetsicherheit“ bearbeitet werden müssten, also die entsprechenden Kompetenzen im vorliegenden Fall sogar erbracht worden seien. So seien bezüglich des Managements des Projekts keine Vorgaben gemacht worden. Es sei also zwingend selbst zu organisieren und zu managen gewesen. Die Darstellung dieser Organisation und des Managements sei auch Teil der Anforderungen an die Dokumentation als zentrale Prüfungsleistung. Jedenfalls in der Gruppe des Klägers seien die erarbeiteten Lösungen auch mittels Sharepoint versioniert worden. Für den Fall, dass die Versionierung bei der Anerkennung nicht zu berücksichtigen sei, da sie nicht explizit gefordert werde, werde beantragt, das Fachpraktikum „lnternetsicherheit“ in der Gesamtschau mit dem Programmierpraktikum aus dem Sommersemester 2019, bei dem ein SVN-System Verwendung gefunden habe, auf das Fachpraktikum „lT-Sicherheit“ anzuerkennen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Widerspruchsverfahren holte das Prüfungsamt der Fakultät für Mathematik und Informatik eine unter dem 3. Dezember 2021 abgefasste Stellungnahme des L1.      ein. Dieser führte in seiner Funktion als Fachvertreter des Moduls aus:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">„Die in den beiden Fachpraktika Internetsicherheit (Kurs 01527, Modul 63085) und IT-Sicherheit (Kurs 01599, Modul 63581) vermittelten Kompetenzen unterscheiden sich. Zwar sind die Beschreibungen der beiden Praktika nahezu gleich, allerdings werden in den beiden Phasen unterschiedliche Aufgabenstellungen mit unterschiedlichem Kompetenzgewinn bearbeitet, was das oberflächliche Argument des Widerspruchs, dass Gleichheit der Beschreibungen Gleichheit der Kompetenzen impliziere, widerlegt. Die Unterschiede werden an den folgenden Beispielen illustriert:</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">In Phase 1 von Kurs 01599 werden unter anderem zwei Aufgaben hinsichtlich <em>offensive behaviour</em> gestellt (Telnet mitschneiden und sich mithilfe der erlangten Informationen einloggen, Remote Code Execution bei ungesichertem PHP). Die erlangten Kompetenzen, die in Richtung Penetration Testing angesiedelt sind, gehen über den Bereich der Aufgaben von Kurs 01527, die den Schutz von Rechnersystemen durch Installation bzw. Konfiguration von Werkzeugen der IT-Sicherheit umfassen, hinaus.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In Phase 2 ist der Unterschied noch deutlicher. In Kurs 01527 wählen die Teilnehmer eine VPN-Software aus mehreren bekannten VPN-Systemen aus und schließen damit mehrere Rechner zu einem VPN zusammen. Der Nachweis erfolgt durch die Demonstration von Netzwerk-Verkehr von TCP, UDP und ICMP-Paketen. In Kurs 01599 setzen die Praktikumsgruppen einen Mailserver auf, analysieren dessen Funktionalität und Sicherheitseigenschaften bzw. -schwächen, und verbessern den Sicherheitsstatus in einer von mehreren möglichen Dimensionen durch weitere Konfiguration bzw. Hinzufügung von Sicherheitsmechanismen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Über die fachlichen Unterschiede der Kompetenzen hinaus sind die beschriebenen (und, ohne dies hier auszuführen, auch weitere) Kompetenzen gemäß DQR auf unterschiedlichen Niveaus angesiedelt und auch deshalb unterschiedlich. In Kurs 01527 ist Niveau 6 angepeilt, in Kurs 01599 aber Niveau 7, denn speziell in Phase 2 ist die Aufgabenstellung in Kurs 01599 offen formuliert im Vergleich zur Aufgabenstellung in Kurs 01527.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Gegenüber den genannten Unterschieden kann dahingestellt bleiben, ob die Nutzung eines Versionierungssystems eine untergeordnete Kompetenz darstellt, wobei das Argument im Widerspruch in sich fehlerhaft ist. Das Hinzufügen einer Aufgabe zu einer Reihe voriger Aufgaben bei gleichem Gesamtzeitumfang bedeutet keineswegs notwendigerweise, dass für die zusätzliche Aufgabe „0 Stunden Zeitaufwand“ eingeplant ist. Zwar wäre dies eine gültige Lösung bezüglich des Gesamtzeitaufwands, aber sicher keine sinnvolle. Sie fußt auf der fehlerhaften Annahme, dass die Vermittlung einer Kompetenz nur in einer unverrückbar festgelegten Anzahl von Zeiteinheiten vermittelt werden kann und übersieht zum Beispiel Effekte wie Synergien. Die in Anwendung kommende und weitaus sinnvollere Lösung, die allerdings dem Beschwerdeführer entgangen zu sein scheint, ist die, den Aufwand für bisherige Aufgaben angemessen zu reduzieren, so dass insgesamt in einer gleichen Gesamtzeit sowohl die bisher vermittelten als auch die zusätzlichen Kompetenzen vermittelt werden können.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Ich fasse meine Stellungnahme wie folgt zusammen:</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">-          die in den unterschiedlichen Fachpraktika vermittelten Kompetenzen sind unterschiedlich,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">-          der negative Anerkennungsbescheid erging folglich zu Recht, und der Widerspruch ist abzuweisen,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">-          eine Ableitung von Kompetenzgleichheit aus Gleichheit von (Kurz-)Beschreibungen ist methodisch falsch, ebenso wie die Methode der 'Zeitsubtraktion aus Unterschieden in Beschreibungen‘,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">-          den Modulverantwortlichen könnte nahegelegt werden, eine griffigere Darlegung der unterschiedlichen              vermittelten Kompetenzen in den Modulbeschreibungen zu erwägen.“</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Widerspruch sei unbegründet, da – wie die Stellungnahme des L1.      zeige – wesentliche Unterschiede zwischen der anzuerkennenden und der zu ersetzenden Modulprüfungsleistung bestünden.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 15. Februar 2022 die vorliegende Klage erheben lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, vertieft und u. a. wie folgt ergänzt: Die Modulbeschreibungen seien im Wesentlichen identisch. Dies habe auch der Fachvertreter der Beklagten erkannt, als dieser die „griffige“ Darlegung der unterschiedlichen vermittelten Kompetenzen nahegelegt habe. Nur hinsichtlich der zweiten Arbeitsphase bestehe ein gewisser Unterschied mit Blick auf die Versionierung, die „neben“ – also als unwesentlicher Teil – den Arbeiten erfolgen solle. Dieser Unterschied spiegele sich aber auch nicht in der Bemessung des Zeitaufwands wider. Damit könne kein wesentlicher Unterschied bestehen. Maßgeblich sei auch nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer auf die Modulbeschreibungen abzustellen, da diese prüfungsrechtliche Rechtsquellen darstellten. Auch die Vorqualifikationen aus den Modulbeschreibungen stützten das Fehlen wesentlicher Unterschiede. Auch im Bachelorstudiengang habe keine intensivere Betreuung stattgefunden. Auch im Bachelorpraktikum würden die Organisation im Team und die Begründung der Entscheidungen und Maßnahmen als Qualifikationsziel definiert.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt (wörtlich),</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 14. September 2021 unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">              hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, das Fachpraktikum “63581 IT-Sicherheit” unter Verwendung des Fachpraktikums “63085 Fachpraktikum Internetsicherheit” im Masterstudiengang Praktische Informatik anzuerkennen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">              die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass für eine Schwerpunktsetzung im Bereich „Sicherheit“ die Beklagte zwei Fachpraktika anbiete, die sich wesentlich unterschieden und aus diesem Grund auch als eigenständige unterschiedliche Module angeboten würden. Das Modul 63085 „Fachpraktikum Internetsicherheit“ richte sich ausschließlich an Bachelorstudierende, also quasi „Anfänger“, und werde entsprechend nur im Curriculum und Modulhandbuch für den Bachelorstudiengang „Informatik“ ausgewiesen. Der Teilnehmerkreis des zulassungsbeschränkten Angebots sei auf die Bachelorstudierenden der Informatik beschränkt und die Verwendung des Moduls ausweislich des Modulhandbuchs auch nur im Bachelorstudiengang „Informatik“ möglich. Das Modul 63581 „Fachpraktikum IT-Sicherheit“ richte sich hingegen ausschließlich an Masterstudierende, also quasi „Fortgeschrittene“, und werde entsprechend nur in den Curricula und Modulhandbüchern des Masterstudiengangs „Informatik“ und des Masterstudiengangs „Praktische Informatik“ aufgeführt. Der Teilnehmerkreis des zulassungsbeschränkten Angebots sei auf die Masterstudierenden der Informatik und der Praktischen Informatik beschränkt und die Verwendung des Moduls ausweislich der Modulhandbücher auch nur in diesen beiden Masterstudiengängen möglich. Hinsichtlich der Inhalte gebe es bei den beiden Fachpraktika Übereinstimmungen zum groben Rahmen der beiden Prüfungen, die notwendigerweise daraus resultierten, dass es sich thematisch um denselben Schwerpunkt handele. Die Inhalte und Prüfungen unterschieden sich jedoch hinsichtlich ihrer Anforderungen und Tiefe. So würden u.a. die Bachelorstudierenden in ihrem Fachpraktikum von den Lehrenden noch intensiver betreut und angeleitet, wohingegen es zur Aufgabe der Masterstudierenden in ihrem Fachpraktikum gehöre, auch das Projektmanagement zu organisieren. Aus den unterschiedlichen Vorqualifikationen der Teilnehmer und den unterschiedlichen Prüfungsanforderungen resultierten auch unterschiedliche Erwartungshorizonte der Prüfer, sodass eine Verwendung des Bachelor-Fachpraktikums im Masterstudiengang ausgeschlossen werden müsse. Deshalb bestünden zwischen der anzuerkennenden und der zu ersetzenden Prüfungsleistung wesentliche Unterschiede, die den geltend gemachten Anerkennungsanspruch ausschlössen. Die festgestellten wesentlichen Unterschiede würden auch durch die Hinweise des Klägers auf die teilweise übereinstimmenden Texte in den beiden Modulbeschreibungen der Beklagten nicht erschüttert. Die textlichen Übereinstimmungen resultierten notwendigerweise aus der Tatsache, dass es sich thematisch um denselben Schwerpunkt handele und beträfen lediglich den groben Rahmen der Prüfung, innerhalb dessen dann die konkreten Prüfungsleistungen (Installation/Konfiguration sowie die anschließende größere Aufgabenstellung) erbracht und bewertet würden. Hinsichtlich der konkreten Prüfungsinhalte, deren Tiefe und des Erwartungshorizontes der Prüfer gäben die vom Kläger angeführten Textpassagen keine Auskunft. Auch richteten sich die Studiengänge auf unterschiedliche Ziele; so solle der Bachelorstudiengang gründliche, der Masterstudiengang hingegen vertiefte Fachkenntnisse vermitteln.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten – der Kläger mit der Klageschrift, die Beklagte mit Schriftsätzen vom 9. August 2022 – haben der Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer und durch Urteil im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe</span></strong></p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong>              Der Berichterstatter entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2-3 VwGO anstelle der Kammer und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren durch Urteil.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong>              Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong>              Die Sachentscheidungsvoraussetzungen der hier bei sachdienlicher Auslegung zutreffend als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erhobenen Klage sind erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong>              Die vorliegende Klage ist unter sachdienlicher Auslegung der Klageschrift und des Klagebegründungsschriftsatzes vom 28. März 2022 sowie unter Berücksichtigung des weiteren klägerischen Vorbringens als auf den Erlass eines die vom Kläger im Einzelnen bezeichnete Prüfungsleistung anerkennenden Verwaltungsakts zielende Verpflichtungsklage im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO erhoben worden (vgl. §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Im Falle der Anerkennung von studiengangsfremden Prüfungsleistungen auf Grundlage des § 63a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz – HG –) in Verbindung mit der einschlägigen – dem entsprechenden – Rechtsgrundlage im Satzungsrecht der jeweiligen Hochschule ersetzt die anerkannte Leistung eine im aufnehmenden Studiengang geforderte Leistung. Denn die Zielsetzung der Leistungsanerkennung besteht in ihrer Bezogenheit auf die Fortsetzung des Studiums, das Ablegen von Prüfungen, die Aufnahme eines weiteren Studiums oder die Zulassung zur Promotion, namentlich also auf an der Hochschule zu erbringende weitere Leistungen darin, zukunfts- bzw. gegenwartsgewandt geforderte Leistungen zu ersetzen und nicht etwa in der Vergangenheit erbrachte Leistungen als solche zu erhalten und einem Studenten so die Mitnahme jedweder sinnbildlicher „Früchte“ einer früheren Prüfungsleistung ohne weitere inhaltliche Prüfung in einen anderen beliebigen Studiengang zu ermöglichen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 76, mit Verweis auf: Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), Beck’scher Online-Kommentar-Hochschulrecht Nordrhein-Westfalen (beckOK-HochschulR NRW), § 63a Rn. 5, s. auch ebda. Rn. 28 unter Abgrenzung von der Anerkennung von Studienabschlüssen (jeweils Stand: 1. September 2021); vgl. hierzu auch: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 9. Januar 2018 – 6 B 63.17 –, juris Rn. 9; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 21, m.w.N.; Beschluss vom 11. April 2014 – 14 B 250/14 –, beck-online.Rechtsprechung (beckRS) 2014, 50777.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dies hat Auswirkungen auf die an die Bestimmtheit des den Klagegegenstand bezeichnenden (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Klageantrags zu stellenden Anforderungen. Es bedarf für die hinreichende Bezeichnung des Klagegegenstands, der bei der Verpflichtungsklage in dem geltend gemachten Anspruch auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts besteht,</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu: BVerwG, Urteile vom 23. Juni 2020 – 9 A 22.19 –, beckRS 2020, 31032, Rn. 20, vom 28. April 2016 – 4 A 2.15 –, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2016, 1325 <1326> Rn. 21, vom 22. September 2016 – 2 C 17.15 –, NVwZ-RR 2017, 148 <149> Rn. 13, vom 31. August 2011 – 8 C 15.10 –, Landes- und Kommunalverwaltung (LKV) 2012, 34 <35 f.> Rn. 20, vom 8. Dezember 1992 – 1 C 12.92 –, NVwZ 1993, 672 <673>, und vom 5. Dezember 1985 – 6 C 22.84 –, NVwZ 1986, 293 <294>; VG (Verwaltungsgericht) Arnsberg, Urteil vom 20. April 2021 – 9 K 1398/18 –, n.v.,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">der Bezeichnung, welche Prüfungsleistung des Ursprungsstudiengangs welche Modulprüfung des Aufnahmestudiengangs ersetzen soll.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Denn der jeweils in Rede stehende prozessuale Anspruch setzt sich zusammen aus der erstrebten Rechtsfolge, die im Klageantrag zum Ausdruck kommt und dem Klagegrund, d.h. dem Sachverhalt, aus dem sie sich ergeben soll,</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteile vom 30. Januar 2013 – 8 C 2.12 –, NVwZ-RR 2013, 489 <490> Rn. 12, vom 31. August 2011 – 8 C 15.10 –, LKV 2012, 34 <35 f.> Rn. 20, vom 8. Dezember 1992 – 1 C 12.92 –, NVwZ 1993, 672 <673>, vom 5. November 1985 – 6 C 22.84 –, NVwZ 1986, 293 <294>;</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">hier aus dem anzuerkennenden und dem zu ersetzenden Modul. Denn durch die einmalige Anerkennung einer Prüfungsleistung als Ersatz für eine im Aufnahmestudiengang zu erbringende Prüfungsleistung geht der jeweilige Student für die Ersetzung weiterer Modulprüfungen der einmal zur Ersetzung anerkannten Prüfungsleistung in dem Sinne verlustig, dass deren Anerkennung zur Ersetzung weiterer Module des Aufnahmestudiengangs ausscheidet.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl.: Kammerurteil vom 18. Februar 2014 – 9 K 709/12 –, juris Rn. 19, m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich für die Bestimmung des rechtlichen Klagebegehrens ist das aus dem mit der Klageschrift ggf. angekündigten Antrag und der Klagebegründung hervorgehende tatsächliche Begehren des jeweiligen Klägers, welches im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des bisherigen Verlaufs des Rechtsstreits einer sachdienlichen Auslegung im Rahmen der Wortlautgrenze zugänglich ist.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">              Vgl. zur Bestimmung des Streitgegenstands: OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2010 – 18 A 2928/09 –, juris Rn. 3; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ.), Urteil vom 26. Oktober 2016 – A 9 S 908/13 –, juris Rn. 31.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Es ist bei der sachdienlichen Auslegung des Klagebegehrens und des formulierten Antrags zu berücksichtigen, dass anhand des ursprünglichen Antrags im Verwaltungsverfahren lediglich über die Anerkennung einer konkreten Prüfungsleistung – ggf. in der Gesamtschau mit einer weiteren konkret bezeichneten Prüfungsleistung – zur Ersetzung einer ebenfalls konkret bezeichneten Prüfungsleistung – abgesehen von der hier nicht verfahrensgegenständlichen Anerkennungsentscheidung – entschieden worden ist und diese Versagungsentscheidung das Klagebegehren widerspiegelt. Anders verhielte es sich wohl, wenn verschiedene Prüfungsleistungen zur Ersetzung wiederum verschiedener Prüfungsleistungen zur Anerkennung gestellt worden wären, was allerdings vorliegend keiner weiteren Erörterung oder Vertiefung bedarf.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt geht aus dem klagebegründenden Vorbringen hervor, dass das Fachpraktikum „IT-Sicherheit“ durch die Anerkennung des Fachpraktikums „Internetsicherheit“ ersetzt werden soll. Dies verhilft der Klage zur Zulässigkeit, zumal so der Bescheidungsantrag in dem ihn enthaltenden Schriftsatz vom 28. März 2022 bereits im selben Schriftsatz hin zu einer einzigen begehrten Entscheidung konkretisiert worden ist und so einer sachdienlichen Auslegung hin zu einem konkreten Verpflichtungsantrag zugänglich ist. Damit kann der zunächst formulierte Antrag sachdienlich unter Berücksichtigung des klagebegründenden Vorbringens noch dahingehend ausgelegt werden, dass hier die Verpflichtung der Beklagten zum Streitgegenstand definiert worden ist, obwohl bei anwaltlich vertretenen Klägern der wörtlichen Fassung der Anträge eine besondere Bedeutung zukommt, einer gerichtlichen Auslegung des Begehrens deshalb Grenzen gesetzt sind,</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG Sachs.-Anh.), Beschluss vom 19. August 2009 – 3 L 41/08 –, beckRS 2009, 42299,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">und das Gericht insbesondere nicht legitimiert ist, den Wesensgehalt des Antrags im Wege der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was der Beteiligte erklärtermaßen will, das zu setzen, was er nach Meinung des Gerichts zur Verwirklichung seines Bestrebens wollen sollte oder könnte.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2012 – 9 B 56.11 –, NVwZ 2012, 375 <375 f.>; Beschluss vom 28. August 1989 – 8 B 9.89 –, Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 17; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (Nds. OVG), Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 12 ME 168/19 –, Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft (EnWZ) 2020, 129 <132>; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 19. August 2009 – 3 L 41/08 –, beckRS 2009, 42299.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Die Sache ist auch im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO spruchreif, da die streitentscheidenden Normen des § 63a Abs. 1 Satz 1 HG und § 8 der Prüfungsordnung für den Masterstudiengang „Praktische Informatik“ an der Beklagten vom 1. Oktober 2019 in der Fassung vom 27. September 2021 kein einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) unterfallendes verwaltungsbehördliches Rechtsfolgeermessen einräumen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt erweist sich der im Schriftsatz vom 11. Mai 2022 formulierte Hilfsantrag als offensichtlich fehlerhaft formuliert, da bereits aus dem im Schriftsatz vom 28. März 2022 geführten Vorbringen bereits hervorgeht, dass hilfsweise mit der vorliegenden Klage entsprechend dem im Widerspruchsschreiben des Klägers formulierten Antrag die Anerkennung des genannten Fachpraktikums aus dem Bachelorstudium zusammen mit einer weiteren Prüfungsleistung aus dem Bachelorstudiengang – dem Programmierpraktikum – begehrt wird. Offenbar sollte der im Schriftsatz vom 28. März 2022 fehlerhaft als Bescheidungsantrag gefasste Antrag beide Begehren umfassen, was sodann durch den Hilfsantrag klarstellend korrigiert werden sollte. Unter Berücksichtigung des im Widerspruchsverfahren formulierten – und im Übrigen streng genommen seitens der Beklagten in der Begründung des Widerspruchsbescheids unberücksichtigt gebliebenen – Antrags war auch das auf die gemeinsame Anerkennung dieser beiden Module aus dem Bachelorstudium zur Ersetzung des Fachpraktikums „IT-Sicherheit“ gerichtete Begehren bereits in der Klageschrift angelegt.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong>              Die Klage ist auch fristgerecht erhoben worden. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe eines Verwaltungsakts zu erheben, wenn – wie hier – nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich war. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist hierzu anerkannt, dass ein – ein verwaltungsbehördliches Vorverfahren erforderlich machender – Bewertungsvorgang im Sinne des § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW) in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO dann nicht vorliegt, wenn keine inhaltliche prüfungsrechtliche Bewertungsentscheidung mit einem einer begrenzten gerichtlichen Kontrolldichte unterliegenden Beurteilungsspielraum in Rede steht.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2017 – 14 A 1776/16 –, juris Rn. 27; Beschluss vom 28. Januar 2016 – 14 A 2534/15 –, n.v., Seite 2 ff.; Beschluss vom 22. Januar 2015 – 19 B 1257/14 –, beckRS 2015, 41366; Urteil vom 24. Juli 2013 – 14 A 880/11 –, beckRS 2013, 54182.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Der Widerspruchsbescheid ist frühestens am 13. Januar 2022 zur Post gegeben worden und dies zugrunde gelegt gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in Verbindung mit § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO am 16. Januar 2022 zugestellt worden, sodass die am 15. Februar 2022 erhobene Klage noch binnen der aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr verlängerten, aber auch im Übrigen sonst ab der Zustellung des Widerspruchsbescheids zu berechnenden einmonatigen Klagefrist erhoben worden ist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong>              Der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2021 ist hinsichtlich der hier verfahrensgegenständlichen Versagungsentscheidung und insoweit in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2022 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Anerkennung seiner an der Beklagten im auf den Erwerb des akademischen Grads eines Bachelor of Science gerichteten Studiengang „Informatik“ erbrachten Prüfungsleistung im Modul 63085 „Fachpraktikum Internetsicherheit“ zur Ersetzung der Prüfungsleistung im Modul 63581 „Fachpraktikum IT-Sicherheit“ im von ihm belegten Studiengang „Praktische Informatik“ mit dem Ziel der Erlangung des akademischen Grads eines Master of Science.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong>              Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Prüfungsleistungen aus anderen Studiengängen zur Ersetzung von Prüfungsleistungen in einem Studiengang (Aufnahmestudiengang) ist hier § 63a Abs. 1 Satz 1 HG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1 PO. Maßgeblich für den Anerkennungsanspruch des Klägers ist die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung, bzw. hier zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 82, vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2015 – 7 C 10.13 –, NVwZ 2016, 79 <82> Rn. 34; Beschluss vom 17. Juni 2003 – 4 B 14.03 –, NVwZ-RR 2003, 719 <720>; Urteil vom 24. Januar 1992 – 7 C 24.91 –, NVwZ 1992, 563 <563>; Urteil vom 21. März 1986 – 7 C 71.83 –, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1986, 2329 <2330>; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris, Rn. 20; zusammenfassend auch: Decker, in: Posser/Wolff (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar VwGO (beckOK-VwGO), § 113 Rn. 74 f. (Stand: 1. Juli 2022); Schübel-Pfister, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, 16. Aufl., 2022, § 113 Rn. 57; Wolff, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Aufl., 2018, § 113 VwGO Rn. 102 f.; Riese, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), VwGO, § 113 Rn. 267 (Stand: Juni 2017).</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong>              Gemäß § 63a Abs. 1 Satz 1 HG und der inhaltsgleichen Vorschrift in § 8 Abs. 1 Satz 1 PO werden Prüfungsleistungen, die in Studiengängen an anderen staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen, an staatlichen oder staatlich anerkannten Berufsakademien, in Studiengängen an ausländischen staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen oder in einem anderen Studiengang derselben Hochschule erbracht worden sind, auf Antrag anerkannt, sofern hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen kein wesentlicher Unterschied zu den Leistungen besteht, die ersetzt werden; eine Prüfung der Gleichwertigkeit findet nicht statt.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Bei dem Begriff des „wesentlichen Unterschieds“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer gerichtlichen Auslegung und inhaltlichen Bestimmung im Einzelfall zugänglich ist. Die Frage, ob im Sinne der Norm ein wesentlicher Unterschied der erbrachten zu den zu ersetzenden Prüfungsleistungen vorliegt, unterliegt damit einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">              Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 84; vgl. auch: OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 34; zum früher in Anrechnungssachen maßgeblichen Begriff der „Gleichwertigkeit“: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1993 – 3 C 64.90 –, juris Rn. 41; OVG NRW, Urteil vom 22. November 1996 – 19 A 6861/95 –, n.v., Seite 13; Urteil vom 27. September 1999 – 22 A 3745/98 –, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Bei der Auslegung des gesetzlichen Anerkennungsmerkmals in § 63a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HG, dass „hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen kein wesentlicher Unterschied zu den Leistungen besteht, die ersetzt werden“, sind sowohl das Grundrecht der Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) als auch die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen bzw. Fakultäten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">                Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 87; vgl. auch: OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2017 – 14 A 1776/16 –, juris Rn. 33 f.; Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 23 ff.; zur Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als organisationsrechtliche Institutionsgarantie: Bethge, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl., 2021, Art. 5 Rn. 202.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Hieraus folgt, dass das Grundrecht der freien Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG den Gesetzgeber nicht verpflichtet, die Ersetzung jeder Prüfungsleistung durch eine anderweitig erbrachte gleichwertige Prüfungsleistung oder die Möglichkeit hierzu vorzusehen. Dem Gesetzgeber steht vielmehr in Bezug auf die Prüfungsanforderungen ein Einschätzungsspielraum zu, der bei der Beurteilung ihrer Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Er ist grundsätzlich berechtigt, einen gewissen, sich in vernünftigen Grenzen haltenden Überschuss an Prüfungsanforderungen festzulegen, was die Entscheidung einschließt, inwieweit anderweitig erbrachte Prüfungsleistungen von den Prüfungsanforderungen des aufnehmenden Studiengangs freizustellen sind.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 14. März 1989 – 1 BvR 1033/82 u.a. –, juris Rn. 36, vom 25. Februar 1969 – 1 BvR 224/67 –, juris Rn. 50, vom 17. Juli 1961 – 1 BvL 44/55 –, juris Rn. 49; BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 2018 – 6 B 63.17 –, juris Rn. 19, vom 6. März 1995 – 6 B 3.95 –, juris Rn. 5; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (VerfGH Berlin), Beschluss vom 24. September 2021 – 16/21 –, juris Rn. 30; Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 88.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG,</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">vgl. zu dessen Gewährleistungsgehalten im Hochschul- und Prüfungsrecht: BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 – 1 BvR 419/81 u.a. –, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 84, 34 <45 f.>,</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">bezweckt § 63a Abs. 1 Satz 1. Halbs. 1 HG, dass bereits erbrachte Prüfungsleistungen im Interesse der zweckmäßigen, insbesondere zumutbaren Erreichung ihres berufseröffnenden Ausbildungsziels und im Interesse der Verhinderung unnötiger Inanspruchnahme von Hochschulkapazitäten nicht noch einmal absolviert werden müssen.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 21, m.w.N.; Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 92.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift verfolgt – wie bereits ausgeführt – allerdings nicht den Zweck, allgemeine Prüfungserleichterungen zu gewähren, weil man sich in anderen ähnlichen Prüfungen bereits bewährt hat, sondern schützt lediglich vor unzumutbaren Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen für die Anerkennung.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">              Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 94; vgl. auch: BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 6 B 63.17 –, juris Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 21, m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Denn auf der anderen Seite ist dem gegenüberstehend das in der sich aus Art. 5 Abs. 3 GG ergebenden Selbstverwaltungsgarantie fußende Recht der Hochschulen, Studien- und Prüfungsordnungen zu erlassen – die unter anderem die Zahl der Module, den Inhalt, das Qualifikationsziel, die Lehrform und die Dauer von Prüfungsleistungen sowie die Anerkennung von in anderen Studiengängen oder an anderen Hochschulen erbrachten Leistungen regeln (§ 64 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 6 HG) – zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">              Vgl.: BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2015 – 1 BvR 2218/13 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 29; allgemein zur Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit bei der Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben der Hochschulen: BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 – 6 C 4.16 –, juris Rn. 18 f.; Bethge, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl., 2021, Art. 5 Rn. 211.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Demnach kommt die Verpflichtung einer Hochschule, anderweitig erbrachte Prüfungsleistungen auch für die geforderten Prüfungsleistungen anzuerkennen, nur dann in Betracht, wenn die nach der Prüfungsordnung der Hochschule geforderte Prüfungsleistung der Sache nach bereits erbracht ist. Dies wiederum erfordert eine Übereinstimmung in allen wesentlichen Elementen der geforderten Prüfungsleistung mit der erbrachten Leistung nach Inhalt und Umfang des prüfungsrelevanten Stoffs sowie nach Art und Dauer der Prüfung.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">              Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 98, m.w.N.; vgl. auch: BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 6 B 63.17 –, juris Rn. 9; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris, Rn. 31; Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich (Hrsg.), Prüfungsrecht, 8. Aufl., 2022, Rn. 743.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Hieran hat sich durch die Einfügung des Halbsatzes „eine Gleichwertigkeitsprüfung findet nicht statt“ in § 63a Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. HG nichts geändert.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2021 – 14 E 686/21 –, mit Bezug auf: OVG NRW, Beschluss vom 6. Januar 2021 – 19 A 4359/19 –, juris Rn. 28 ff.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die mit Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2019 (GV. NRW 2019, S. 425, ber. 593) erfolgte Ergänzung des § 63a Abs. 1 Satz 1 HG ändert an den vorstehend genannten Maßstäben nichts. Nach § 63a Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. HG hat der Landesgesetzgeber lediglich klargestellt, dass mit Blick auf die anerkennungsunschädliche Zulässigkeit des Bestehens nicht-wesentlicher Unterschiede ein umstandsloses Anknüpfen an das frühere Erfordernis der Gleichwertigkeit ausscheidet. Soweit es hierzu in der Gesetzesbegründung,</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">              Landtags-Drucksache (LT-Drs.) 17/4668, Seite 176,</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">heißt, dass die nach der Prüfungsordnung der Hochschule geforderte Prüfungsleistung der Sache nach bereits im Wesentlichen erbracht worden sein müsse, mögen auch Unterschiede verbleiben, und dies eine Übereinstimmung in allen wesentlichen Elementen der geforderten Prüfungsleistung mit der erbrachten Leistung nach Inhalt und Umfang des prüfungsrelevanten Stoffs und Art und Dauer der Prüfung erfordere, entspricht dies in vollem Umfang der bisherigen Rechtsprechung zu der unverändert gebliebenen Rechtslage gemäß § 63a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HG. Insbesondere entsprechen diese Ausführungen in der Gesetzesbegründung vollständig der vom Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung,</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">              vgl.: OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –, juris Rn. 31, bestätigt durch: BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 6 B 21.16 –, juris,</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">wiedergegebenen Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Bestehens eines wesentlichen Unterschieds hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen zu den Leistungen, die ersetzt werden sollen gemäß § 63a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HG.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 106.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Insbesondere ist mit dem Begriff des „wesentlichen Unterschieds“ – anders als die Gesetzesbegründung wohl meint – nicht die Annahme verbunden, dass hiervon auch un- bzw. nicht-wesentliche Unterschiede mit umfasst wären. Soweit sich dieses Verständnis nicht bereits aus dem Begriffsteil „wesentlich“ logisch zwingend von selbst ergibt, folgt dies allemal aus der Bezugnahme des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 16. Dezember 2015 (14 A 1263/14, juris Rn. 31 f.) auf den Gesetzesentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 16/5410, Seite 362), in dem ausgeführt wird, dass ein wesentlicher Unterschied nur dann fehle, wenn zwischen der erbrachten Leistung und der Leistung, auf die hin anerkannt werden soll, ein nur unwesentlicher Unterschied bestehe. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen,</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">              vgl.: Beschluss vom 9. Januar 2018 – 6 B 63.17 –, juris Rn. 9, sowie Beschluss vom 22. Juni 2016 – 6 B 21.16 –, juris Rn. 7 f.,</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">den Begriff der Gleichwertigkeit verwendet.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 107 ff.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Der Begriff ist in diesem Zusammenhang ein bloßes Synonym des in § 63a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HG enthaltenen und vom Oberverwaltungsgericht wiedergegebenen Begriffs des „wesentlichen Unterschieds“. Das Bundesverwaltungsgericht stellt insoweit ausdrücklich klar, dass nach dem Normverständnis des Oberverwaltungsgerichts Gleichwertigkeit anzunehmen ist, wenn die Leistungen in allen wesentlichen Elementen, d.h. nach Inhalt und Umfang des prüfungsrelevanten Stoffes sowie nach Art und Dauer der Prüfung, übereinstimmen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">              Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 6 B 21.16 –, juris Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Soweit die Gesetzesbegründung im Nachfolgenden,</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">              LT-Drs. 17/4668, Seite 176 f.,</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">weiter ausführt, dass die Anerkennungsregelung des § 63a Abs. 1 Satz 1 HG damit entgegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Dezember 2015 – 14 A 1263/14 –) keine Prüfung der Gleichwertigkeit der anderweitig absolvierten mit der vorgeschriebenen Prüfung verlange, es daher auch keine Übereinstimmung sowohl des Prüfungsstoffs als auch der Art und Weise der Prüfungen einschließlich der hierfür geltenden Bedingungen bedürfe und Gegenstand der Prüfung auf das Bestehen wesentlicher Unterschiede vielmehr die erworbenen im Vergleich zu den zu erwerbenden Kompetenzen seien, liegt darin kein Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts sowie der Kammer.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 114.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Denn auf eine Prüfung einer Gleichwertigkeit, wie sie in der genannten Gesetzesbegründung im Sinne der Mitumfassung auch nicht-wesentlicher Unterschiede verstanden wird, wird überhaupt nicht abgestellt. Im Übrigen ist es widersprüchlich und bereits deshalb für die Auslegung des Merkmals des wesentlichen Unterschieds nach § 63a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HG unergiebig, dass die Gesetzesbegründung einerseits – wie auch die Rechtsprechung – darauf abstellt, dass eine Übereinstimmung in allen wesentlichen Elementen der geforderten Prüfungsleistung mit der erbrachten Leistung nach Inhalt und Umfang des prüfungsrelevanten Stoffs und Art und Dauer der Prüfung erforderlich sei, andererseits eine Übereinstimmung sowohl des Prüfungsstoffs als auch der Art und Weise der Prüfungen einschließlich der hierfür geltenden Bedingungen nicht verlangt werde. Insoweit bleibt nach der Gesetzesbegründung gerade offen, nach welchen Kriterien ein etwaiger wesentlicher Unterschied zwischen den erworbenen und den zu erwerbenden Kompetenzen bestimmt werden soll.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Kammerurteil vom 23. Februar 2022 – 9 K 1619/20 –, juris Rn. 117; vgl. ebenso: Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 63a Rn. 23a.2 und 23b (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich ist zunächst auf die Prüfungsordnungen und Modulbeschreibungen zu denjenigen Modulen abzustellen, in welchen die anzuerkennende Prüfungsleistung erbracht und die geforderte Prüfungsleistung ersetzt werden soll.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl.: OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2017 – 14 A 1776/16 –, juris Rn. 39.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Kennzeichnend für die – auch hier in Rede stehenden – Bachelor- und Masterstudiengänge ist die Einführung von Modulen, die eine effektivere Strukturierung des Lehrangebots und der einzelnen Lehrveranstaltungen einschließlich der Organisation des Prüfungsverfahrens bewirken sollen. Modularisierung ist die Zusammenfassung von Stoffgebieten zu thematisch und zeitlich abgerundeten, in sich abgeschlossenen und mit Leistungspunkten versehenen abprüfbaren Einheiten.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich (Hrsg.), Prüfungsrecht, 8. Aufl., 2022, Rn. 117.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Die Modularisierung ist – abgesehen von Ausnahmen für Studiengänge, die mit einer staatlichen oder kirchlichen Prüfung abgeschlossen werden (§ 60 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. HG) – im nordrhein-westfälischen Hochschulrecht zwingend vorgeschrieben (§ 60 Abs. 3 HG).</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Vgl., inhaltlich noch weitergehend: Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 60 Rn. 11 (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Module können sich aus verschiedenen Lehr- und Lernformen (z.B. Vorlesungen, Übungen und Praktika) zusammensetzen. Ein Modul kann Inhalte eines einzelnen Semesters oder eines Studienjahres umfassen, sich aber auch über mehrere Semester erstrecken; Fachmodule können in Mikromodule untergliedert werden.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich (Hrsg.), Prüfungsrecht, 8. Aufl., 2022, Rn. 117; Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 60 Rn. 10 (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Das Modul ist insbesondere hinsichtlich seines Inhalts und der Qualifikationsziele in der jeweiligen Studien- und Prüfungsordnung zu beschreiben.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Dieterich, in: Fischer/Jeremias/Dieterich (Hrsg.), Prüfungsrecht, 8. Aufl., 2022, Rn. 117.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Diese sollen Maßgaben enthalten zu Inhalt und Qualifikationsziel des Moduls, Lehrformen, Voraussetzungen für die Teilnahme, Verwendbarkeit des Moduls (innerhalb des Studiengangs und in anderen Studiengängen), Voraussetzungen für die Vergabe von Leistungspunkten, Vergabe von Noten, Häufigkeit des Angebots des Moduls, Arbeitsaufwand und Dauer des Moduls.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 60 Rn. 10.1 (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Die Modulbeschreibungen erweisen sich so als Konkretisierung der von § 64 Abs. 2 HG geforderten Prüfungsordnung, welche u.a. das Ziel des Studiums, den zu verleihenden Hochschulgrad, die Zahl der Module, den Inhalt, das Qualifikationsziel, die Lehrform, die Teilnahmevoraussetzungen, die Arbeitsbelastung und die Dauer der Prüfungsleistungen der Module regeln sollen (§ 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 HG).</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Vgl.: Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 60 Rn. 10.1 (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Anders als die Beklagte meint haben die Modulbeschreibungen deshalb gerade nicht die Funktion, einen groben Rahmen der Prüfung zu umreißen, während sie sich zu den konkreten Prüfungsinhalten nicht verhielten. Dies übersieht die rechtsstaatliche Funktion, welche den Modulbeschreibungen, die grundsätzlich gemäß § 64 Abs. 2 Nr. 2 HG als Teil der Prüfungsordnungen zu erlassen sind, zukommt.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Denn die den Hochschulen im Rahmen ihrer Wissenschafts- und Lehrfreiheit obliegende Bestimmung des Inhalts hat die verfassungsrechtlich im garantierten Recht auf Berufszugang des Art. 12 Abs. 1 GG fußende Funktion, den Inhalt des Studiengangs und damit auch der einzelnen Module festzulegen. Damit muss eine hinreichende Differenzierung zwischen den einzelnen Modulen erfolgen, wenn diese sich materiell voneinander unterscheiden, welche den Studierenden auch vor Augen führt, welche Kompetenzen zur Erlangung des durch den jeweiligen Studiengang vermittelten – den Berufszugang eröffnenden – Abschlusses durch die jeweiligen Module vermittelt werden sollen.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Die Modulbeschreibungen müssen deshalb bereits nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 2 HG als Teil der Prüfungsordnung mit der Folge erlassen werden, dass ihnen hochschulrechtlich durch das einschlägige formelle Gesetzesrecht eine besondere rechtliche Stellung eingeräumt wird, welche auch nicht durch eine Verwaltungspraxis dahingehend aufgehoben oder umgangen werden kann, dass Modulbeschreibungen separat erstellt und nicht förmlich zum Teil der Prüfungsordnung erhoben werden, etwa um ein förmliches Änderungsverfahren zu umgehen.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu Recht kritisch zu solchen Praktiken: Birnbaum, in: v. Coelln/Schemmer (Hrsg), beckOK-HochschulR NRW, § 60 Rn. 18a (Stand: 1. März 2022).</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Für die begehrte Anerkennungsentscheidung unerheblich ist, ob die hier entscheidenden Modulbeschreibungen förmlich Teil der Prüfungsordnung und so bereits formell verbindlich sind oder ob sie sich als vor Art. 3 Abs. 1 GG im Wege einer mittelbaren Außenwirkung Verbindlichkeit genießende Verwaltungspraxis erweisen. In beiden Fällen besteht eine materiell-rechtliche Bindung der Beklagten an die Inhalte dieser Modulbeschreibungen.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Denn es wäre mit dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn die Hochschule einerseits den ausdrücklichen gesetzlichen Regelungsauftrag in § 64 Abs. 2 HG verletzt und die Modulbeschreibungen nicht förmlich als Rechtssatz gestaltet, gleichwohl aber eine verbindliche Verwaltungspraxis vorgebende Modulbeschreibungen veröffentlicht, diese dann aber – etwa in Anerkennungsfällen – im Nachhinein konkretisiert, was in der Stellungnahme vom 3. Dezember 2021 der Sache nach auch zutreffend kritisiert wird. Dies zugrunde gelegt sind die letztlich formlos gefassten Modulbeschreibungen als Ausdruck einer verbindlichen Verwaltungspraxis im Hinblick auf die vermittelten Qualifikationen anzusehen und damit faktisch wie rechtssatzmäßig gefasste Modulbeschreibungen zu behandeln, während die Ausführungen in der Stellungnahme von 3. Dezember 2021 als bloße von den Lehrenden auf dieser Grundlage entwickelte Unterrichtskonzepte anzusehen sind.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Vor diesem hochschulrechtlichen Hintergrund ist, um den Begriff der wesentlichen Unterschiede operabel zu machen, auf die feststehenden Eigenschaften der jeweiligen Module abzustellen, die aus den Modulbeschreibungen hervorgehen. Insoweit können nahezu wörtlich übereinstimmende Modulbeschreibungen eine – nach früherem Duktus – Gleichwertigkeit bzw. nunmehr ein Fehlen wesentlicher Unterschiede mindestens indizieren.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Es handelt sich dabei, wie auch aus der Rechtsprechung der Kammer hervorgeht, zwar stets um eine materielle Betrachtung der Module, welche jedoch in einem ersten Schritt zwingend auf die Modulbeschreibung abstellen muss. Erschöpfen sich diese in übereinstimmenden Ausführungen, ergibt im Regelfall auch eine materielle Betrachtung, dass keine wesentlichen Unterschiede bestehen.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks"><strong>a)</strong>              In dem Modul „Fachpraktikum Internetsicherheit“, dessen Modulprüfung anerkannt werden soll, sollen die im Modul „Sicherheit im Internet“ vermittelten Kenntnisse anhand praktischer Aufgabenstellungen angewendet werden. Jeder Praktikumsteilnehmer erhält hierfür einen Zugang zu einem zentralen Übungsrechner, auf dem er einen eigenen virtuellen Linux-Rechner schützen soll. Hierzu sind nach der Modulbeschreibung ein gesicherter Zugang (VPN), eine Firewall, ein Application-Level Gateway, ein Intrusion Detection System und weitere Werkzeuge zur Sicherung zu installieren, zu konfigurieren und zu testen. Anschließend wird in Gruppen eine etwas größere Aufgabenstellung wie die Installation und Konfiguration eines VPN zwischen mehreren Gruppen kollaborativ gelöst.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Zu Beginn des Semesters erhalten die Studierenden die Beschreibungen der Aufgabenstellungen sowie entsprechende Literaturhinweise und Zugang zum Übungsrechner. Die erarbeiteten Lösungen werden am Ende des Semesters in einer Präsenzphase vorgestellt und mit den Betreuern diskutiert.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Voraussetzungen für dieses Modul sind ein erfolgreicher Abschluss des Moduls „Sicherheit im Internet“ (Kurse 01866 und 01868) oder äquivalente Kenntnisse, Erfahrungen im Umgang mit Linux/Unix auf Shell-Ebene und der Zugriff auf einen Rechner mit Internetzugang.</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Der Gesamtarbeitsaufwand wird mit 300 Stunden bemessen.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Nach erfolgreicher Bearbeitung sollen die Studierenden nach der Modulbeschreibung die üblichen Werkzeuge der Internetsicherheit bedienen und konfigurieren können. Sie sollen in der Lage sein, die Grundlagen der Funktionsfähigkeit von Firewalls nach Änderungen der Konfiguration zu überprüfen. Sie sollen die relevanten Log-Dateien kennen und die Bedeutung von Einträgen interpretieren können. Die Studierenden sollen in der Lage sein, sich in einem Team zu organisieren, effizient an der Lösung einer Aufgabe zu arbeiten, und die dabei auftretenden Differenzen einer Lösung zuzuführen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen nach der Modulbeschreibung ihre Entscheidungen und Maßnahmen bei Administration und Installation von einigen Werkzeugen der Internetsicherheit begründen und präsentieren können.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks"><strong>b)</strong>              In dem Modul „Fachpraktikum IT-Sicherheit“, dessen Modulprüfung ersetzt werden soll, sollen nach der Modulbeschreibung die in den Kursen Sicherheit im Internet I+II vermittelten Kenntnisse anhand praktischer Aufgabenstellungen angewendet werden. Jeder Praktikumsteilnehmer erhält Zugang zu einem zentralen Übungsrechner, auf dem er einen eigenen virtuellen Linux-Rechner schützen soll. Hierzu sind ein gesicherter Zugang (VPN), eine Firewall, ein Application-Level Gateway, ein Intrusion Detection System und weitere Werkzeuge zur Sicherung zu installieren, zu konfigurieren und zu testen. Anschließend wird in Gruppen eine größere Aufgabenstellung wie die Installation und Konfigurationen eines VPN zwischen mehreren Gruppen kollaborativ gelöst. Neben diesen Arbeiten obliegt auch die Organisation des Managements dieses Projekts den Studierenden. Die erarbeiteten Lösungen werden versioniert (z.B. cvs, subversion) und am Ende des Semesters in einer Präsenzphase vorgestellt und mit den Betreuern diskutiert.</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Ausweislich der Modulbeschreibung können Studierende nach erfolgreicher Bearbeitung die üblichen Werkzeuge der IT-Sicherheit bedienen und konfigurieren. Sie sollen in der Lage sein, die Grundlagen der Funktionsfähigkeit von Firewalls nach Änderungen der Konfiguration zu überprüfen. Sie sollen die relevanten Log-Dateien kennen und die Bedeutung von Einträgen interpretieren können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen in der Lage sein, sich in einem Team zu organisieren, effizient an der Lösung einer Aufgabe zu arbeiten, und die dabei auftretenden Differenzen einer Lösung zuzuführen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen ihre Entscheidungen und Maßnahmen bei Administration und Installation von einigen Werkzeugen der IT-Sicherheit begründen und präsentieren können.</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks"><strong>c)</strong>              Es bestehen erkennbare Übereinstimmungen in den Modulbeschreibungen. Die Werkzeuge zur Sicherung des virtuellen Linux-Rechners stimmen soweit anhand der Beschreibung ersichtlich miteinander überein. Auch eine Gruppenarbeit mit einer kollaborativen Lösung ist Gegenstand beider Module. Der Zeitaufwand ist gleich bemessen. Auch die (Selbst-)Organisation ist Gegenstand der Module. Auch genügt bei beiden Modulen als materielle Teilnahmevoraussetzung ausweislich der Formulierung „oder“ die Bearbeitung des Moduls 63512 „Sicherheit im Internet“.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Soweit im Widerspruchsverfahren in der Stellungnahme des Fachvertreters L1.      vom 3. Dezember 2021 ausgeführt wird, dass in Phase 1 des zum Modul 63581 gehörigen Kurses 01599 unter anderem zwei Aufgaben hinsichtlich offensive behaviour gestellt (Telnet mitschneiden und sich mithilfe der erlangten Informationen einloggen, Remote Code Execution bei ungesichertem PHP) würden und die erlangten Kompetenzen, die in Richtung Penetration Testing angesiedelt seien, über den Bereich der Aufgaben des zum Modul 63085 gehörenden Kurses 01527, die den Schutz von Rechnersystemen durch Installation bzw. Konfiguration von Werkzeugen der IT-Sicherheit umfassen, hinausgingen, spiegelt sich dies in der Modulbeschreibung nicht wider. Es mag zutreffen, dass faktisch in der Durchführung der Fachpraktika Unterschiede bestehen. Diese sind für die verbindlich in der Modulbeschreibung genannten Kompetenzen jedoch unerheblich. Anders verhielte es sich, wenn die in dieser Stellungnahme beschriebenen Inhalte – wie in der Stellungnahme selbst zutreffend angeregt – auch Eingang in die Modulbeschreibung gefunden hätten.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Gleiches gilt für die Ausführungen in jener Stellungnahme, dass in Phase 2 der Unterschied noch deutlicher sei, da in Kurs 01527 die Teilnehmer eine VPN-Software aus mehreren bekannten VPN-Systemen auswählten und damit mehrere Rechner zu einem VPN zusammenschlössen. Der Nachweis erfolge durch die Demonstration von Netzwerk-Verkehr von TCP, UDP und ICMP-Paketen, während in Kurs 01599 die Praktikumsgruppen einen Mailserver aufsetzten, dessen Funktionalität und Sicherheitseigenschaften analysierten bzw. schwächten, und den Sicherheitsstatus in einer von mehreren möglichen Dimensionen durch weitere Konfiguration bzw. Hinzufügung von Sicherheitsmechanismen verbesserten.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Es obliegt gemäß § 64 Abs. 2 HG der Beklagten, Modulbeschreibungen, welche nicht lediglich den Studierenden einen Hinweis auf die Inhalte geben sollen, sondern insbesondere die im Studienverlauf durch die jeweiligen Module vermittelten Fähigkeiten und Kompetenzen verbindlich festlegen sollen, so abzufassen, dass eine sachliche Unterscheidbarkeit der einzelnen Module anhand der Modulbeschreibungen gesichert ist.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Insbesondere vor § 63a Abs. 1 HG, welcher mit dem Merkmal des Fehlens wesentlicher Unterschiede eine materielle Betrachtung der Kompetenzen fordert, ist eine Beschreibung nicht nur der Inhalte und des Ablaufs des Moduls im Semester, sondern insbesondere eine verbindliche Festlegung der Qualifikations- bzw. Kompetenzziele nicht nur sinnvoll, sondern rechtlich mit Blick auf § 64 Abs. 2 HG im Sinne einer Amtspflicht geboten.</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Spätere Stellungnahmen über die geplante, von Semester zu Semester und insbesondere bis zum Semesterbeginn faktisch beliebig variable Gestaltung der Modulverwirklichung, wie sie die Stellungnahme von Herrn L1.      vom 3. Dezember 2021 darstellen, sind bereits unter allgemeinen rechtsstaatlichen Aspekten, aber auch fachrechtlich mit Blick auf § 64 Abs. 2 HG im Zusammenhang der modulersetzenden Anerkennung von Prüfungsleistungen unerheblich.</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Denn anderenfalls läge es in der Hand der Hochschule bzw. der mit der Modullehre Beauftragten, die Inhalte im Falle von Anerkennungsanträgen mit der Folge so zu modifizieren, dass wesentliche Unterschiede be- bzw. entstehen. Dabei liegt es dem Gericht fern, bei der Beklagten Anhaltspunkte für einen derartigen Missbrauch anzunehmen oder einen solchen gar zu unterstellen. Allein die theoretische Möglichkeit hierzu genügt indes, um insbesondere nicht vorab festgelegten und so jederzeit beliebig variablen Lehrkonzepten die Relevanz für die von § 63a Abs. 1 HG geforderte vergleichende Betrachtung abzusprechen.</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Eine gefestigte Lehrpraxis als Verwaltungspraxis kann im Verfahren über die modulersetzende Anerkennung von Prüfungsleistungen nur dann Relevanz beanspruchen, wenn die nach dem beschriebenen rechtlichen Maßstab jeweils wertend zu vergleichenden Modulbeschreibungen gänzlich unergiebig sind oder keine Vergleichbarkeit aufweisen oder sonst in diesem Zusammenhang zur Überprüfung, ob wesentliche Unterschiede bestehen, ungeeignet sind. Nur dann kann eine verwaltungsbehördliche oder ggf. gerichtliche Überzeugungsbildung aufgrund einer – letztlich im Wege der Beweiserhebung vorzunehmenden – Sachverhaltsermittlung für die Frage maßgeblich sein, ob die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Um einen solchen Fall handelt es sich im hier zu entscheidenden und insoweit besonders gelagerten Einzelfall nicht, da hier zwei verschiedene Module wortlautgleich beschrieben werden, obwohl sie unterschiedlichen Studiengängen zugeordnet sind.</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Einer Anerkennung der vom Kläger erbrachten Prüfungsleistung steht dabei nicht entgegen, dass der im Herkunftsstudiengang verliehene akademische Grad den Zugang zum aufnehmenden Studiengang vermittelt. Denn der erfolgreiche Abschluss des Bachelor-Studiengangs „Informatik“ ist nur eine Möglichkeit der Erfüllung der in § 4 PO geregelten Zugangsvoraussetzungen, wie der Fall des Klägers, der beide Studiengänge parallel belegt und auch belegen durfte, zeigt. Denn im Falle des Klägers war es der Abschluss seines rechtswissenschaftlichen Studiums, welcher unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 PO den Zugang zum Studiengang eröffnete.</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Deshalb kann jedenfalls im vorliegenden Fall nicht aus dem Unterschied der Studiengangsziele des Erwerbs der „für die Berufspraxis notwendigen gründlichen Fachkenntnisse“ (§ 1 Satz 3 der Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang „Informatik“ an der Beklagten vom 1. Oktober 2019) einerseits und der „für die Berufspraxis notwendigen vertieften Fachkenntnisse“ (§ 1 Satz 4 PO), welche „neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden“ darstellen, die „über ihre bislang erworbenen hinausgehen“ (§ 1 Satz 3 PO), andererseits eine grundsätzliche Wesensverschiedenheit der einzelnen Module hergeleitet werden.</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Denn der Abschluss des Bachelor-Studiengangs „Informatik“ als solcher wird nicht für den hier aufnehmenden Masterstudiengang vorausgesetzt; auch werden die Kenntnisse und Fähigkeiten jenes Studiengangs nicht ausdrücklich als Mindestvoraussetzung definiert. Vielmehr genügt auch ein mathematik- und informatikfremder Studiengang mit mindestens 180 ECTS-Punkten, wenn die Zulassungsbewerber die erforderlichen Mathematik- und Informatikinhalte an der Beklagten nachgeholt haben (§ 4 Abs. 3 PO). Hierfür müssen nach § 4 Abs. 3 PO vor der Aufnahme des Studiums 30 ECTS-Punkte aus ausgewählten Bachelormodulen gemäß Anlage 2 der Prüfungsordnung erfolgreich bestanden sein.</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Das Fachpraktikum, dessen Anerkennung begehrt wird, ist in dieser Anlage nicht enthalten. Damit kann nicht der Schluss gezogen werden, dass dieses Fachpraktikum ein Qualifikationsziel vermitteln würde, welches für den Masterstudiengang mit der Folge erforderlich wäre, dass dessen Module materiell darüber hinausgehen würden. Derartiges ist weder in der Studiengangsgestaltung in der Prüfungsordnung noch anhand der Modulbeschreibung ersichtlich, wobei es der Beklagten unbenommen bleibt, entsprechende Klarstellungen für die Zukunft vorzunehmen, was mit Blick das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot auch geboten sein dürfte und aufgrund des § 64 Abs. 2 HG in Rechtssatzform erfolgen muss.</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Im Modul 63581 sollen die erarbeiteten Lösungen nach der Modulbeschreibung zwar versioniert werden. Eine Versionierung ist im Modul 63085 nicht ausdrücklich vorgesehen. Dies vermag indes keinen wesentlichen Unterschied darzustellen, weshalb es nicht darauf ankommt, ob – was indes vom Kläger nicht hinreichend und insbesondere für das Gericht prüffähig dargetan worden ist – in der Gesamtschau mit dem von ihm absolvierten „Programmierpraktikum“ aus dem Sommersemester 2019, worauf der insoweit wohl einen offensichtlichen Schreibfehler enthaltende Hilfsantrag zielt, eine Anerkennung in Betracht kommt.</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">Allerdings ist hier entsprechend der für die Beklagte verbindlichen Modulbeschreibung darauf abzustellen, dass die nach den übrigen Beschreibungen übereinstimmenden Inhalte innerhalb desselben zeitlichen Rahmens gelehrt werden. Zwar könnte entsprechend der klageerwidernden Argumentation der Beklagten anhand der in den Prüfungsordnungen definierten Qualifikationsziele ein Unterschied hergeleitet werden, nicht jedoch in Fällen wie dem des Klägers, in welchem der konkrete oder ein im Wesentlichen inhaltsgleicher Bachelorstudiengang nicht zwingende Zulassungsvoraussetzung für den aufnehmenden Studiengang ist. Deshalb sind auch Masterstudierende des hier aufnehmenden Studiengangs weder als Anfänger noch als Fortgeschrittene im Sinne des klageerwidernden Beklagtenvorbringens anzusehen.</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Soweit klageerwidernd vorgebracht wird, dass die Modulbeschreibung des zu ersetzenden Moduls auch die Organisation des Managements des Projekts anführt, hat die Beklagte nicht substantiiert dargetan, dass es sich hierbei um einen wesentlichen Unterschied im Sinne einer erheblich weitergehenden Kompetenz handeln würde. Derartiges kann auch nicht der fachlichen Stellungnahme von Herrn L1.      entnommen werden. Diese geht auf eine durch das zu ersetzende Modul vermittelte und hervorgehobene Qualifikation im Hinblick auf eine Projektorganisation nicht ein. Dies findet insoweit auch in der Formulierung der Modulbeschreibung Bestätigung, wonach diese Organisation „neben“ den anderen Inhalten und Qualifikationen den Studierenden obliegen soll.</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Klage nach alledem bereits hinsichtlich des Hauptantrags Erfolg hat und der Kläger insoweit obsiegt, ist über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks"><strong>C.</strong>              Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks"><strong>D.</strong>              Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks"><strong>E.</strong>              Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht sind nicht ersichtlich (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3-4 in Verbindung mit 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg) Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen,</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">1.              wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">2.              wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">3.              wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">4.              wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">5.              wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Zulassungsantrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster) einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung und dessen Begründung können in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen vor dem Oberverwaltungsgericht als Bevollmächtigte zugelassen.</p>
346,394
vg-freiburg-2022-08-12-4-k-82922
{ "id": 157, "name": "Verwaltungsgericht Freiburg", "slug": "vg-freiburg", "city": 109, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 K 829/22
2022-08-12T00:00:00
2022-09-01T10:01:50
2022-10-17T11:09:40
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Der Antragstellerin zu 2 und dem Antragsteller zu 3 wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und X, beigeordnet.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.02.2022, soweit dieser sie unmittelbar betrifft, wird angeordnet.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Antrag der Antragstellerin zu 1 auf vorläufigen Rechtschutz und Bewilligung von Prozesskostenhilfe hierfür wird abgelehnt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Von den Gerichtskosten tragen die Antragsgegnerin 2/3 und die Antragstellerin zu 1 1/3. Die Antragstellerin zu 1 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Dem Antrag der Antragstellerin zu 1 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht entsprochen werden; denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Dies folgt schon daraus, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin die mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.02.2022 versagte Aufenthaltserlaubnis nunmehr erteilen wird (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 30.06.2022) bzw. in der Zwischenzeit wohl schon erteilt hat. Damit ist das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu 1 an ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den genannten Bescheid entfallen. Für die Kammer besteht auch kein Anlass, einer Erledigungserklärung der Antragstellerin zu 1 weiter entgegenzusehen; denn diese hat sich trotz Aufforderung auf die Erledigungserklärung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 30.06.2022 nicht geäußert. Im Übrigen wären auch bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung der Antragstellerin die auf sie entfallenen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen; denn die Antragsgegnerin hat mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht etwa in der Sache nachgegeben, sondern allein dem Umstand Rechnung getragen, dass die Antragstellerin erst auf wiederholte Aufforderung ihre aktuellen monatlichen Einkünfte aus ihrer Hauptbeschäftigung und einem zuvor nicht näher bezeichneten Minijob dargelegt hat. Ohne diese Nachweise fehlte es für die Verlängerung der am 18.02.2019 ausgelaufenen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19c AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV an einem gesicherten Lebensunterhalt (Regelerfordernis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), ohne dass insoweit eine Ausnahme ersichtlich gewesen wäre; die von der Antragstellerin zu 1geltend gemachten humanitären Erwägungen reichten hierfür ersichtlich nicht aus. Dass die Voraussetzungen für die hilfsweise geltend gemachte Duldung der Antragstellerin zu 1 vorgelegen hätten, ist nicht ersichtlich. Ohne Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19c Abs. 1 AufenthG bestand kein hinreichendes geschütztes Bleibeinteresse der Familie gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK oder Art. 6 Abs. 1 GG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Liegen schon die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin zu 1 nicht vor, kann auch der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz selbst keinen Erfolg haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Dagegen können die Antragsteller zu 2 und 3 Prozesskostenhilfe mit Erfolg beanspruchen; denn ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs haben Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Anträge sind gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 84 Abs. 1 Satz 1 AufenthG statthaft (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.11.2007 - 11 S 2364/07 -, juris Rn. 2) und auch sonst zulässig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Sie sind auch begründet. Denn das private Interesse der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3 an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs überwiegt das öffentliche Interesse an der Fortdauer der sofortigen Vollziehbarkeit der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis, da diese Ablehnung im gegenwärtigen Zeitpunkt mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist bzw. jedenfalls einer Überprüfung im Widerspruchsverfahren bzw. in einem sich ggf. anschließenden Klageverfahren bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Antragsgegnerin stellt nicht in Frage, dass die in § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geregelten Voraussetzungen für einen gesetzlichen Anspruch der beiden Kinder („… ist zu erteilen“) vorliegen. Sie verneint einen solchen Anspruch gleichwohl unter Hinweis auf das gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 AufenthG ergänzend zu berücksichtigende Wohnraumerfordernis („ausreichender Wohnraum“). Dies erscheint der Kammer aber nicht hinreichend gewiss und bedarf deshalb weiterer Klärung in rechtlicher und auch tatsächlicher Hinsicht im Widerspruchsverfahren und einem sich ggf. anschließenden Hauptsacheverfahren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Rechtmäßig wäre die Auffassung der Antragsgegnerin, wenn man hierfür - ausgehend von Nr. 2.4.2 AufenthG-VwV - je Person als Mindestgröße 12 qm zu Grunde zu legen hätte; denn nach Lage der Akten ist der (gesamte) Wohnraum der Antragsteller, bestehend aus einem Zimmer, Küche, Bad, Diele und WC nur 28 qm groß und damit auch nach Abzug von 10% der Mindestgröße von 36 qm noch um 4,4 qm zu klein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Allerdings schließt Nr. 2.4.2 (mit Nr. 2.4.1) AufenthG-VwV die Berücksichtigung einer noch geringeren Wohnraumgröße möglicherweise nicht aus. Vielmehr enthält die Vorschrift Hinweise darauf, dass die Unterschreitensgrenze von zehn Prozent nicht strikt anzuwenden ist („um etwa zehn Prozent“). Darauf deuten etwa Nr. 2.4.0 („menschenwürdige Unterkunft“) und Nr. 2.4.1 Satz 3 der Verwaltungsvorschrift am Ende hin („Die Untergrenze bilden die auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften der Länder, also z.B die Wohnaufsichtsgesetze bzw. oder in Ermangelung solcher Gesetze das allgemeine Polizei- bzw. Ordnungsrecht“). Zwar gibt es in Baden-Württemberg entsprechende normierte Schranken. Dagegen gab bzw. gibt es in einigen Bundesländern wohnungsaufsichtsrechtliche Vorschriften, welche für Personen über sechs Jahre eine Mindestgröße von 9 qm je Person vorsehen, bei deren Unterschreitung die Wohnungsaufsichtsbehörde unter Berücksichtigung der Belange der Bewohner einschreiten könnte bzw. kann (vgl. § 7 Abs. 1 des am 18.04.2020 außer Kraft getretenen Wohnungsaufsichtsgesetz Berlin; § 9 Abs. 1 des am 01.07.2021 außer Kraft getretenen Wohnungsaufsichtsgesetz Nordrhein-Westfalen, § 7 Abs. 2 des zuletzt im Jahr 2017 geänderten Hessischen Wohnungsaufsichtsgesetzes und hierzu VG Berlin, Beschl. v. 10.11.2017 - 10 K 438.16 V -, juris, Rn. 15).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Ein solches Maß hielte die Wohnung der Antragsteller gerade noch ein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>In Baden-Württemberg soll die Fläche der Nebenräume stets bei der Berechnung der Wohnraumgröße zu berücksichtigen sein (vgl. OVG Berl.-Brbg, Urt. v. 25.03.2010 - 3 B 9/08, juris Rn. 27, auch dazu, dass - was fraglich erscheint - insoweit den Ländern ein Beurteilungsspielraum eingeräumt sei). Ferner soll ggf. auch die Ausstattung der Wohn- und Nebenräume von Bedeutung sein (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG Rn. 181 m.w.N.). Möglicherweise ist insoweit dann auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin als alleinerziehende Mutter mit den beiden derzeit 12 und neun Jahre alten Kindern lebt. Schließlich beruht das Wohnraumerfordernis teilweise auf Unionsrecht (vgl. Art. 7 Abs. 1a der Familienzusammenführungsrichtlinie und hierzu Dienelt a.a.O. Rn. 178), dessen Bedeutung für die Auslegung des Begriffs „ausreichend“ ist bisher nicht geklärt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Dass die hiermit angesprochenen Fragen ggf. weiterer Klärung bedürfen, folgt auch daraus, dass es zur Auslegung und Anwendung von § 2 Abs. 4 AufenthG nur sehr wenig Rechtsprechung gibt und keine zu einem Fall, bei der die Wohnungsgröße so knapp überschritten ist wie hier (für drei Personen um etwas mehr als 4 qm).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Stünde das Wohnraumerfordernis einer Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, bliebe insoweit nur noch ein Verstoß der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3 gegen das Visumerfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG; denn sie sind im September 2019 nicht mit einem für einen Daueraufenthalt erforderlichen Visum eingereist. Jedoch könnte die Antragsgegnerin hiervon bereits gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 (wegen des gesetzlichen Anspruchs gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) absehen; entsprechende Ermessenserwägungen hat sie insoweit aber noch nicht angestellt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dabei ist der Auffangstreitwert wegen der Vorläufigkeit der begehrten Entscheidung jeweils zu halbieren.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,387
vg-dusseldorf-2022-08-12-18-l-156522
{ "id": 842, "name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf", "slug": "vg-dusseldorf", "city": 413, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
18 L 1565/22
2022-08-12T00:00:00
2022-09-01T10:01:41
2022-10-17T11:09:39
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0812.18L1565.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird einschließlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ungeachtet der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung  wie aus den nachfolgenden Ausführungen ersichtlich  nicht die nach den §§ 166 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten bietet.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Antragstellerin,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin bis zur Entscheidung über die Klage 18 K 5191/22 vorläufig den weiteren Besuch der gymnasialen Oberstufe an der Gesamtschule S.      -N.       zu gestatten,</strong></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dabei lässt das Gericht zunächst offen, ob der Antragstellerin mit Blick auf den Umstand, dass sie die Abiturprüfung im 1. Jahr der Jahrgangsstufe Q2 nicht bestanden und im Wiederholungsjahr der Jahrgangsstufe Q2 die Zulassung zur Abiturprüfung nicht erreicht hat, ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Insoweit bestimmt § 41 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe (APO-GOSt), dass diejenige Schülerin bzw. derjenige Schüler die gymnasiale Oberstufe verlassen muss, der am Ende des Wiederholungsjahrs die Zulassung nicht erreicht oder die Wiederholungsprüfung nicht bestanden hat. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die obere Schulaufsichtsbehörde eine zweite Wiederholung zulassen, wenn besondere Umstände vorliegen. Ein solcher Zulassungsbescheid zugunsten der Antragstellerin liegt derzeit nicht vor, sodass infrage stehen könnte, ob ihr allein die in der Hauptsache begehrte Verlängerung der Höchstverweildauer in der gymnasialen Oberstufe einen rechtlichen Vorteil bringt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Von einer näheren Vertiefung dieser Frage sieht das Gericht indes ab. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind von dem Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 APO-GOSt dauert der Besuch der gymnasialen Oberstufe in der Regel 3, wenigstens 2 und höchstens 4 Jahre. Nach Satz 2 der Vorschrift muss, wer innerhalb der Vierjahresfrist nicht mehr die Zulassung zur Abiturprüfung erlangen kann, die gymnasiale Oberstufe verlassen. § 2 Abs. 1 Satz 3 APO-GOSt bestimmt, dass in Ausnahmefällen, insbesondere bei längerem Unterrichtsversäumnis infolge nicht von der Schülerin oder dem Schüler zu vertretender Umstände, die Dauer des Besuchs der gymnasialen Oberstufe durch die obere Schulaufsichtsbehörde angemessen verlängert werden kann. Insbesondere die letztgenannte Regelung ist im Falle der Antragstellerin auch anwendbar, da die Spezialvorschrift in § 45 Abs. 1 APO-GOSt ausschließlich für das Schuljahr 2020/2021 galt.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, ist der Antragstellerin der Besuch der Gesamtschule S.      -N.       (im Folgenden: Gesamtschule) nicht zu gestatten, obwohl sie die gymnasiale Oberstufe dort unter Wiederholung der Jahrgangsstufe Q2 bereits 4 Jahre, nämlich in den Schuljahren 2018/2019 (EF), 2019/2020 (Q1), 2020/2021 (Q2) sowie 2021/2022 (Wiederholung Q2) besucht hat. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Verlängerung der Höchstverweildauer nach § 2 Absatz 1 Satz 3 APO-GOSt zusteht. Insoweit kann offenbleiben, ob die Vorschrift bei Vorliegen der Voraussetzungen eine gebundenen Anspruch vermittelt oder der Schulaufsichtsbehörde auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen eingeräumt ist („kann“) mit der Folge, dass gegebenenfalls lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der Höchstverweildauer in Betracht kommt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ebenso offenlassend: OVG NRW, Urteil vom 11. Dezember 1992 – 19 A 1559/92 –, n.v., S. 8 des Urteilsabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Denn es ist mit Blick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Norm bereits nicht ersichtlich, dass im Fall der Antragstellerin ein Ausnahmefall vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der sich die Kammer anschließt, geht der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber in den oben genannten Vorschriften davon aus, dass sich ein Schüler, dem es nicht gelingt, innerhalb der Höchstverweildauer von vier Jahren die Leistungsanforderungen der gymnasialen Oberstufe zu erbringen, in der Regel als ungeeignet erwiesen hat, das angestrebte Ausbildungsziel zu erreichen. Vor diesem Hintergrund dürfe die Schulaufsichtsbehörde eine Ausnahme nur dann zulassen, wenn besondere Umstände vorliegen, die dazu führen, dass aus dem Scheitern des betroffenen Schülers an den Leistungsanforderungen nicht auf seine fehlende Eignung geschlossen werden kann. Ein solcher Fall liege etwa bei dem in § 2 Abs. 1 Satz 3 APO-GOSt aufgeführten Regelbeispiel  namentlich bei einem nicht zu vertretenden längeren Unterrichtsversäumnis  vor.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Urteil vom 11. Dezember 1992 – 19 A 1559/92 –, n.v., S. 6 des Urteilsabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus bzw. im Zusammenhang damit setze das Vorliegen eines Ausnahmefalls voraus, dass die bisherigen Leistungen des Schülers die Prognose rechtfertigen, dass das Ausbildungsziel im Rahmen einer angemessenen Verlängerung der Verweildauer in der gymnasialen Oberstufe mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erreicht werden kann.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 29. April 1999 – 19 A 2281/98 –, n.v., S. 2 des Beschlussabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran liegt im Fall der Antragstellerin ein Ausnahmefall nicht vor. Zwar ist eine Erkrankung grundsätzlich geeignet, einen Ausnahmefall zu begründen. Neben dem in § 2 Abs. 1 Satz 3 APO-GOSt genannten Regelbeispiel der unverschuldeten Unterrichtsversäumnis dürfte auch denkbar sein, dass unabhängig von Abwesenheitszeiten eine grundsätzlich vorhandene Leistungsfähigkeit des betreffenden Schülers krankheitsbedingt vorübergehend eingeschränkt war. In diesem Sinne ergibt sich aus der Stellungnahme der Schulleiterin der Gesamtschule vom 31. Mai 2022 auch, dass die Antragstellerin in den Jahrgangsstufen EF und Q1 der gymnasialen Oberstufe sehr gute bis befriedigende Leistungen gezeigt habe und (erst) im Schuljahr 2020/2021, in dem sie erstmalig die Jahrgangsstufe Q2 besucht hat, ein gravierender Leistungsabfall zu verzeichnen gewesen sei. Dort hätten alle Abiturklausuren und die mündliche Abiturprüfung deutliche Defizite aufgewiesen. Im Schuljahr 2021/2022, in dem die Antragstellerin die Jahrgangsstufe Q2 wiederholt habe, habe sie das erforderliche Leistungsniveau dann anhaltend nicht mehr erbringen können. Aus diesen Ausführungen ergibt sich in Zusammenschau mit den weiteren, sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Erkenntnissen, dass der Leistungsabfall der Antragstellerin (voraussichtlich) krankheitsbedingt war.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dies bedarf indes keiner näheren Vertiefung. Denn die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin stellt sich nicht in dem Sinne als lediglich vorübergehend beschränkt dar, dass zu erwarten ist, dass die Antragstellerin bei angemessener Verlängerung der Verweildauer das Ausbildungsziel, namentlich das Abitur, mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erreicht. Dass eine solche Prognose gerechtfertigt ist, hat die  insoweit darlegungs- und beweispflichtige  Antragstellerin weder hinreichend ausdrücklich dargelegt noch glaubhaft gemacht. Vielmehr spricht nach den vorliegenden Unterlagen alles dafür, dass die Antragstellerin weiter erkrankt ist und ihr aufgrund der Erkrankung weder eine angemessene Teilhabe am Unterrichtsgeschehen noch eine hinreichende Leistungserbringung möglich ist. Ausweislich der hier vorliegenden Erkenntnisse kam es bereits im Schuljahr 2020/2021 (erstes Jahr Q2) zu einem gravierenden Leistungsabfall, der zu einem Nichtbestehen der Abiturprüfung führte. Im Schuljahr 2021/2022 zeigte die Antragstellerin sodann ein derart auffälliges Verhalten, dass die Schule den Fall der Antragstellerin zum Gegenstand von Beratungen mit anderen zuständigen Stellen (schulpsychologischer Dienst sowie Dezernat 00 und Dezernat 00 der Bezirksregierung   E.    ) machte. In dem genannten Schuljahr (Wiederholungsjahr Q2) war die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin zudem weiterhin derart beschränkt, dass sie die Zulassung zum Abitur nicht erlangt hat. Nach eigenen Angaben befand sie sich mehrfach in klinischer Behandlung. Ausweislich der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Bescheinigung der M.   -Klinik N1.               vom 3. März 2022 wurde die Antragstellerin dort wegen einer bipolaren affektiven Störung mit gegenwärtig manischer Episode in der Zeit vom 00. Februar 2022 bis zum 00. Februar 2022 stationär behandelt. Dabei habe sie zu diesem Zeitpunkt kein Krankheitsgefühl und keine Krankheitseinsicht gezeigt, sei auf eigenen Wunsch entlassen worden und habe ein nachstationäres Arztgespräch nicht wahrgenommen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin vorträgt, es habe sich um eine krisenhafte Ausnahmesituation gehandelt, und mit der Verwendung der Begriffe „vormals mangelnde Krankheitseinsicht“ und „Wandel“ sinngemäß geltend macht, sie verfüge nunmehr über die Einsicht in ihre Erkrankung, lässt sich die für die Annahme eines Ausnahmefalls i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 APO-GOSt erforderliche Prognose, dass das Ausbildungsziel im Rahmen einer angemessenen Verlängerung der Verweildauer in der gymnasialen Oberstufe mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erreicht werden kann, dennoch nicht treffen. Zunächst hat die Antragstellerin im Sinne einer Glaubhaftmachung ärztliche Belege für ihre nunmehr vorhandene Krankheitseinsicht nicht vorgelegt. Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich und zudem nicht glaubhaft gemacht, dass sie aktuell in einer Weise medikamentös eingestellt ist oder sich einer sonstigen Behandlung unterzieht, die es ihr abweichend von den bisherigen Erfahrungen in den beiden Schuljahren Q2 ermöglicht, nunmehr erfolgreich am Schulleben teilzunehmen. Insoweit wäre selbst bei bereits erfolgter Aufnahme einer Behandlung glaubhaft zu machen, dass diese bereits die entsprechenden Wirkungen erzielt oder jedenfalls sehr kurzfristig erzielen kann <span style="text-decoration:underline">und</span> diese Wirkungen die Antragstellerin in die Lage versetzen, ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder abzurufen. Insoweit ist im Rahmen der für die Annahme eines Ausnahmefalls erforderlichen Prognose zu fordern, dass das Ausbildungsziel innerhalb eines konkret absehbaren Zeitraums mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erreicht werden kann. Eine diesbezügliche Ungewissheit genügt demgegenüber nicht.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">(2)       Prozesskostenhilfe bewilligende Beschlüsse sind für die Beteiligten unanfechtbar. Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sind für die Beteiligten unanfechtbar, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint. Im Übrigen kann gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. Insoweit ist die Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts oder eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt im Beschwerdeverfahren nicht erforderlich. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">(3)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,312
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16 K 1916/20
2022-08-12T00:00:00
2022-08-26T10:01:20
2022-10-17T11:09:29
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0812.16K1916.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist ein am 20.03.2015 gegründeter eingetragener Verein und steht der Partei Alternative für Deutschland (AfD) nahe. Seit 2016 führt er Seminare in der gesamten Bundesrepublik durch. Der Bundesvorstand der AfD erkannte den Kläger mit Beschluss vom 13.04.2018 als ihr nahestehende Stiftung an. Der Beschluss wurde am 30.06.2018 vom AfD-Bundesparteitag bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte gewährt parteinahen Stiftungen Zuwendungen nach dem jeweils gültigen Haushaltsgesetz. Der Kläger beantragte erstmalig am 23.04.2018 die Gewährung einer Zuwendung in Form eines Globalzuschusses in Höhe von 480.000 EUR für das Haushaltsjahr 2018. Dieser Antrag, die entsprechenden Anträge für die Haushaltsjahre 2019 und 2021 sowie die auf diese Anträge ergangenen Ablehnungsbescheide in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide sind Gegenstand des bei der Kammer anhängigen Verfahrens 16 K 2526/19.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Unter dem 25.03.2019 erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde u. a. gegen die vorangegangenen Ablehnungsbescheide für die Förderjahrgänge 2018 und 2019. Mit Beschluss vom 20.05.2019 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (2 BvR 649/19).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 07.05.2019 beantragte der Kläger bei dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) für das Haushaltsjahr 2020 eine Zuwendung in Form eines Globalzuschusses in Höhe von 900.000 EUR aus dem Bundeshaushaltsplan 2020, Einzelplan 06, Kapitel 0601, Titel 685 12-144. Im Bundeshaushaltsplan 2020 wurden die parteinahen Stiftungen, die durch Globalzuschüsse gefördert werden sollten, einzeln aufgelistet. Der Kläger gehörte nicht zu den genannten Stiftungen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Erlass vom 11.06.2019 leitete das BMI den Antrag des Klägers an das Bundesverwaltungsamt (BVA) mit der Bitte um Übernahme zuständigkeitshalber weiter und wies auf die bereits in den Förderjahrgängen 2018 und 2019 aufgeworfenen Rechtsfragen hin. Zu den Einzelheiten des Erlasses wird auf Bl. 1 der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 15.01.2020 lehnte das BVA den Antrag des Klägers für das Haushaltsjahr 2020 ab. Der Bescheid wurde dem Kläger am 30.01.2020 zugestellt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Am 03.03.2020 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 15.01.2020 ein. Zugleich beantragte er hinsichtlich des Widerspruchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, er sei ab dem 15.02.2020 mit erheblichem Fieber erkrankt gewesen. Ab dem 25.02.2020 habe er auf eigenen Wunsch die Arbeit wieder aufgenommen. Er habe jedoch vorrangig andere Fristen zu wahren gehabt und dringende auswärtige Termine wahrnehmen müssen. Daher habe er den Widerspruch erst am 03.03.2020 einlegen können. Ein Organisationsverschulden sei ihm nicht vorzuwerfen, da er die ursprünglich bestehende Organisation krankheitsbedingt nicht habe aufrechterhalten können. Es liege schließlich nur eine Verspätung von 12 Stunden vor.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2020 wies das BVA den Widerspruch als unzulässig zurück und lehnte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Der Widerspruch gegen den am 30.01.2020 zugestellten Ablehnungsbescheid sei verfristet eingelegt worden, da die Widerspruchsfrist aufgrund des vorherigen Wochenendes mit Ablauf des 02.03.2020 geendet habe, der Widerspruch aber erst am 03.03.2020 eingelegt worden sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, da die Verzögerung nicht kausal auf der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruhe. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seien nach dem Ende seiner Erkrankung auch unter Berücksichtigung der übrigen Arbeitsbelastung genügend Arbeitstage verblieben, um den Widerspruch fristgemäß einlegen zu können. Auch seien keine Angaben zu dem Zeitraum von der Zustellung des Ablehnungsbescheids am 30.01.2020 bis zum Zeitpunkt der Erkrankung am 15.02.2020 gemacht worden. Es sei unklar, wann der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten mit der Einlegung des Widerspruchs beauftragt habe. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.03.2020 zugestellt.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 17.04.2020 Klage erhoben und zunächst beantragt, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2020, Az. 000 0 0 – 000, dem Kläger auf dessen Antrag vom 03.03.2020 hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und seinen Widerspruch, ebenfalls vom 03.03.2020, in der Sache zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt der Kläger vor, die Beklagte habe den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen. Der Kläger streite seit 2018 in mehreren Verfahren mit der Beklagten über die Frage, ob dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Globalzuschüsse zustehe. Die Begründungen sowohl des Klägers als auch der Beklagten in den vorgegangenen Verfahren für die Haushaltsjahre 2018 und 2019 seien in weiten Teilen wortlautidentisch mit dem in diesem Verfahren geführten Schriftwechsel. Angesichts dessen sei allen Beteiligten stets klar gewesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch für das Haushaltsjahr 2020 Widerspruch gegen einen Ablehnungsbescheid einlegen würde, welchen die Beklagte mit der gleichen Begründung wie in den vorherigen Jahren zurückweisen würde. Das Widerspruchsverfahren sei daher eine redundante Formsache ohne inhaltliche Bedeutung und seinem Sinn und Zweck nach im hiesigen Verfahren eigentlich überflüssig, sodass dem Kläger die Fristversäumung im Widerspruchsverfahren nicht entgegengehalten werden könne. Es sei nämlich offensichtlich, dass das BVA angesichts der Sachlage einem Widerspruch des Klägers nicht abhelfen könne. Jedenfalls habe ihm die Beklagte für den Widerspruch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgrund von Erkrankung an der Fristwahrung gehindert gewesen sei. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit am 25.02.2020 habe er zunächst vorrangige Fristangelegenheiten bearbeiten müssen, für die es anders als im Widerspruchsverfahren keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebe, darunter Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Zudem habe er am 28.02.2020 an einer Veranstaltung in Konstanz teilnehmen und am 02.03.2020 dringend und unerwartet einen Mandanten aufsuchen müssen. Der Widerspruch sei nur 12 Stunden verspätet gewesen. Die Beklagte verkenne, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Freiberufler und Einzelanwalt eine Vielzahl von Rechtsfällen parallel bearbeiten müsse und der Prozessbevollmächtigte in seiner Arbeitsfähigkeit noch eingeschränkt gewesen sei. Es sei widersinnig, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vorzuhalten, dass er sich nicht um einen Bevollmächtigten bemüht habe, der statt seiner den Widerspruch fertige, da in einem solchen Fall der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Widerspruch auch selbst verfassen könne. Zudem sei der Prozessbevollmächtigte des Klägers Staatsrechtslehrer und übernehme Fälle, die üblicherweise von Universitätsprofessoren vertreten würden, sodass ein Vertreter nicht einfach zu finden sei. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass gegenüber der AfD nahestehenden Staatsrechtslehrern mediale Hetze betrieben werde. Die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags beruhe ersichtlich auf behördlichen Machtmissbrauch aus politischen Gründen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt nunmehr wörtlich,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15.01.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2020 zu verpflichten, den Förderantrag der Klägerin vom 30.04.2019 im Hinblick auf einen Teil des ursprünglich beantragten Förderbetrages in Höhe von 10.000 Euro unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Begründung im Widerspruchsbescheid trägt die Beklagte vor, das Widerspruchsverfahren diene der Entlastung der Gerichte, ermögliche eine zusätzliche Kontrolle des Verwaltungshandelns zugunsten der Bürger und sei insoweit nicht redundant und auch keine bloße Formsache. Der Widerspruch sei erst nach Ablauf der Frist des § 70 VwGO eingelegt worden. Die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung seien nicht glaubhaft gemacht worden. Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 25.02.2020 die Arbeit wieder aufgenommen habe, habe ihm ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, selbst oder durch einen Vertreter formal Widerspruch einzulegen und eine Begründung nachzureichen. Es sei Sache des Prozessbevollmächtigten des Klägers, für den Krankheitsfall Vorkehrungen zu treffen, um eine Vertretung zu ermöglichen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Über den Rechtsstreit konnte im Verwaltungsrechtsweg entschieden werden, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Es liegt insbesondere keine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vor. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf eine Verfassungsbeschwerde des Klägers mit Beschluss vom 20.05.2019 festgestellt, in welchem es ausgeführt hat:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">„a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">aa) Für die Bestimmung der Rechtsnatur des Streits kommt es auf das Rechtsverhältnis an, in dem die geltend gemachten Ansprüche wurzeln; dabei ist maßgebend auf das verfassungsrechtliche Grundverhältnis abzustellen. Auf die Vorstellung des Beschwerdeführers und die von ihm behauptete Rechtsnatur des Streitverhältnisses kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerfGE 42, 103 <110 f., 113>; 62, 295 <313>; 109, 1 <6 f.>).</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis kann nur zwischen Faktoren bestehen, die am Verfassungsleben beteiligt sind (BVerfGE 1, 208 <221>; 27, 240 <245 f.>; vgl. auch BVerfGE 64, 301 <312 f.>). Die geltend gemachten Ansprüche müssen sich aus einem beide Teile umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnis ergeben (vgl. BVerfGE 2, 143 <159>; 13, 54 <72 f.>), mithin aus Rechtsbeziehungen, die zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander bestehen (BVerwGE 36, 218 <228>; 51, 69 <71>).</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">bb) Dies ist beim Beschwerdeführer, einem eingetragenen Verein, nicht der Fall. Er steht zwar der Alternative für Deutschland (AfD) nahe, hebt aber in seiner Verfassungsbeschwerde selbst hervor, dass er von dieser Partei deutlich abgegrenzt, nach seiner Satzung rechtlich selbständig und organisatorisch unabhängig ist. Die Abwehr einer Grundrechtsverletzung ist auch nicht allein deshalb dem Verfassungsrechtskreis zuzurechnen, weil nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Verfassungsorgan gehandelt hat oder weil sich die Maßnahme ihrerseits nach Verfassungsrecht beurteilt (vgl. BVerfGE 1, 208 <221>; 13, 54 <72 f.>; 27, 240 <246>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Oktober 1987 - 2 BvR 64/87 -, NVwZ 1988, S. 817 f.; BVerwG, Urteil vom 28. November 1975 - VII C 53/73 -, NJW 1976, S. 637 <638>; BVerwGE 51, 69 <71>)“</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2019 – 2 BvR 649/19 –, Rn. 3 - 6, juris.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Umstellung des Klageantrags des Klägers von der Verpflichtung, den Widerspruch des Klägers in der Sache zu bescheiden, auf die Verpflichtung zur Neubescheidung des im Verwaltungsverfahren gestellten Sachantrags in Höhe von bis zu 10.000 EUR unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ist zulässig. Die Voraussetzungen einer Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO liegen vor, weil die Klageänderung jedenfalls sachdienlich ist. Eine Klageänderung ist in der Regel als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient, und zwar auch, wenn die geänderte Klage als unbegründet abgewiesen werden müsste. Voraussetzung ist allerdings, dass der Streitstoff im Wesentlichen unverändert bleibt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. August 2005 – 4 C 13.04 –, Rn. 22, juris m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil die Klageänderung einerseits eine Entscheidung über die dem Verfahren zugrunde liegenden rechtlichen Streitpunkte ermöglicht und andererseits auf Basis des bisherigen Streitstoffs entschieden werden kann. Insbesondere eine Verzögerung des Verfahrensabschlusses ist durch die Klageänderung nicht zu befürchten.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass der Kläger den bei der Beklagten geltend gemachten Anspruch nur in einer Höhe von 10.000 EUR gerichtlich geltend macht und sein Klagebegehren gegenüber dem im Verwaltungsverfahren beantragten Betrag insoweit einschränkt. Anders als im Fall der (Teil-)Anfechtungsklage kommt es in einem solchen Fall nicht auf die Frage der Teilbarkeit des Versagungsbescheids der Beklagten an, weil nicht dieser Streitgegenstand der Verpflichtungsklage ist, sondern der begehrte materielle Anspruch.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – 4 C 33.13 –, Rn. 18, juris m. w. N; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 A 796/09 –, Rn. 18, juris; SchochKoVwGO/Riese, 41. EL Juli 2021, VwGO § 113 Rn. 209.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dass eine Teil-Verpflichtungsklage grundsätzlich möglich ist, ergibt sich aus der Formulierung des § 113 Abs. 5 VwGO („soweit“). Daher steht es dem Kläger grundsätzlich frei, diesen Anspruch im Rahmen seiner Disposition in einem geringeren Umfang als im Verwaltungsverfahren gerichtlich geltend zu machen, solange der materielle Anspruch selbst einer teilweisen Geltendmachung zugänglich ist – mit der Konsequenz, dass auch im Erfolgsfalle nur über den Anspruch im rechtshängigen Umfang entschieden wird und einem eventuell darüber hinaus gehenden Anspruch jedenfalls die Bestandskraft des Versagungsbescheids entgegenstünde. Da der Kläger hier einen Anspruch auf Neubescheidung seines auf Geldzahlung gerichteten Förderantrags geltend macht und keine materiellen Gründe gegen die Möglichkeit einer bloß teilweisen Geltendmachung des Anspruchs in Form der Verpflichtungsklage ersichtlich sind, kann der Kläger seinen Klageantrag auf Neubescheidung in der beantragten Höhe beschränken.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Soweit danach über die Klage in der geänderten Form zu entscheiden ist, bleibt sie ohne Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der Zulässigkeit der Klage steht die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 15.01.2020 entgegen. Wird durch einen Versagungsbescheid ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts abgelehnt und erwächst diese Ablehnung in Bestandskraft, führt dies zur Unzulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. September 1994 – 22 A 2426/94 –, Rn. 5, juris; Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichts-ordnung, 8. Aufl. 2021, § 70 VwGO, Rn. 23; Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 42 Rn. 32; Schoch/Schneider/Pietzcker/Marsch, 42. EL Februar 2022, VwGO § 42 Abs. 1 Rn. 118.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO ist vor Erhebung der Verpflichtungsklage die Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Der Widerspruch ist grundsätzlich innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, einzulegen, § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Durchführung des Vorverfahrens war hier nicht entbehrlich. Etwas anderes folgt insbesondere nicht daraus, dass die Beteiligten bereits für die Haushaltsjahre 2018 und 2019 bei im Wesentlichen vergleichbarem Sachverhalt Widerspruchsverfahren durchgeführt haben und die Beklagte die entsprechenden Widersprüche zurückgewiesen hat. Zwar sind neben den in § 68 Abs. 1 VwGO angeordneten gesetzlichen Ausnahmen von der Notwendigkeit eines Vorverfahrens in der ständigen Rechtsprechung weitere ungeschriebene Ausnahmen vorgesehen. Ein Vorverfahren soll danach entbehrlich sein, wenn dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen wurde oder sein Zweck sich ohnehin nicht mehr erreichen lässt.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. August 1993 – 11 C 15.92 –, Rn. 14, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2020 – 12 A 3006/19 –, Rn. 45, juris.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Davon ist etwa dann auszugehen, wenn bei mehreren aufeinander folgenden Zeiträumen und im Wesentlichen unveränderter Sachlage die Behörde über die gleichen Sach- und Rechtsfragen erneut entscheiden würde und der Verwaltungsakt insofern wiederholt wird. Denn in einem solchen Fall wäre es eine nach dem Zweck des Widerspruchsverfahrens, eine Nachprüfung der Verwaltungsentscheidungen zum Rechtsschutz der Bürger und zur Entlastung der Gerichte zu ermöglichen, nicht erforderliche Förmelei, auf die Durchführung eines im Ergebnis ohnehin feststehenden Widerspruchsverfahrens zu bestehen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. NK-VwGO/Max-Emanuel Geis, 5. Aufl. 2018, VwGO § 68 Rn. 173; BeckOK VwGO/Hüttenbrink, 61. Ed. 1.4.2022, VwGO § 68 Rn. 23; SchochKoVwGO/Dolde/Porsch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 68 Rn. 24; SchochKoVwGO/Dolde/Porsch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 68 Rn. 24, 25; Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 68 Rn. 34.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Eine Ausnahme nach dieser Fallgruppe kann aber jedenfalls dann keine Anwendung finden, wenn und soweit sich der Widerspruch gegen eine Ermessensentscheidung richtet. Denn auch bei mehreren aufeinander folgenden Zeiträumen und im Wesentlichen unveränderter Sachlage muss eingeräumtes Ermessen für jede einzelne Entscheidung neu ausgeübt und gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden können.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">So auch: SchochKoVwGO/Dolde/Porsch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 68 Rn. 24; NK-VwGO/Max-Emanuel Geis, 5. Aufl. 2018, VwGO § 68 Rn. 174; offen gelassen bei BVerwG, Urteil. vom 27. Februar 1970 – IV C 28.67, BeckRS 1970, 106668.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Danach war hier das Vorverfahren durchzuführen, weil die Gewährung der vom Kläger beantragten Globalzuschüsse im Ermessen der Beklagten steht und insoweit von der Widerspruchsbehörde eine eigenständige neue Ermessensausübung vorzunehmen war.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Soweit die Kläger sich darauf beruft, dem BVA habe aufgrund der haushaltsrechtlichen Vorgaben kein eigener Entscheidungsspielraum zugestanden, dringt er damit nicht durch. Denn auch wenn die Widerspruchsbehörde grundsätzlich an die Zuweisung der Mittel im Haushaltsgesetz des Bundes gebunden ist, so wäre die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht sinnlos. Auch in einem solchen Fall bestehen für die Widerspruchsbehörde nämlich Möglichkeiten, im Fall der Annahme eines begründeten Widerspruchs Maßnahmen zu ergreifen, die eine Abhilfeentscheidung ermöglichen. Gegebenenfalls ist die zuständige Behörde verpflichtet, auf die Bereitstellung neuer Mittel hinzuwirken und eine über- oder außerplanmäßige Erfüllung eines Förderanspruchs zu ermöglichen, wenn sie im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu dem Schluss kommt, dass die beantragte Zuwendung doch bewilligt werden soll – sei es aus Rechts- oder aus Zweckmäßigkeitserwägungen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Ähnlich Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. Februar 1995 – 1 UE 1660/91 –, Rn. 34, juris hinsichtlich der Verpflichtung eines Dienstherrn, auf die Schaffung von Planstellen hinzuwirken; vgl. auch Huck/Müller/Müller, 3. Aufl. 2020, VwVfG § 40 Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dies gilt insbesondere dann, wenn die Widerspruchsbehörde zu dem Schluss kommt, dass ein Förderanspruch aus Gründen der Gleichbehandlung rechtlich geboten ist.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Es ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte als Widerspruchsbehörde aufgrund politischer Weisungen von vornherein daran gehindert wäre, auf die Schaffung einer Abhilfemöglichkeit hinzuwirken. Insbesondere ist der Einwand des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dem BVA sei aufgrund bestehender Erlasslage bereits angeordnet worden, den Antrag des Klägers und einen eventuellen Widerspruch auf jeden Fall abschlägig zu bescheiden, nicht zutreffend. Eine solche Anordnung liegt in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten nicht vor. Konkret bezogen auf den Förderantrag des Klägers für das Jahr 2020 findet sich insoweit nur ein Erlass des BMI vom 30.04.2019 vor, mit dem das BVA gebeten wurde, den Antrag des Klägers für das Jahr 2020 zuständigkeitshalber zu übernehmen. Eine inhaltliche Anweisung, den Antrag negativ zu bescheiden, findet sich im Erlass nicht. Erst recht finden sich dort keine Angaben zu einem eventuellen Widerspruchsverfahren. Soweit im Erlass Bezug genommen wird auf die Antragsverfahren 2018 und 2019 sowie die zu diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Gerichtsverfahren, kann auch hieraus keine Anweisung abgeleitet werden, nach der zwingend entsprechend der vorherigen Jahrgänge zu verfahren sein müsste. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass zum Erlasszeitpunkt – was der Erlass auch betont – die Haushaltsberatungen für das Jahr 2020 noch nicht abgeschlossen waren.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Hiergegen kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Beklagte im hiesigen Fall eine entsprechende Prüfung bereits für die Haushaltsjahre 2018 und 2019 durchgeführt und einen Anspruch des Klägers verneint hat. Denn wie bereits dargelegt muss auch bei ähnlichen Sachverhalten für jede (Widerspruchs-)Entscheidung das eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausgeübt werden. Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass die Widerspruchsbehörde auch unter Berücksichtigung ihrer vorherigen Entscheidungen eine Änderung ihrer bisherigen Ermessens- und Entscheidungspraxis vornimmt, etwa wenn im späteren Widerspruchsverfahren neue Argumente in die Diskussion eingeführt werden.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Da ein Widerspruchsverfahren nach alledem durchzuführen war, begann die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO am 31.01.2020 zu laufen, da der Ablehnungsbescheid vom 15.01.2020 dem Kläger am 30.01.2020 zugestellt wurde, §§ 55 Abs. 2 VwGO i. V. m. 222 ZPO i. V. m. 187 Abs. 1 BGB. Die Widerspruchsfrist endete damit grundsätzlich mit Ablauf des 29.02.2020, §§ 55 Abs. 2 VwGO i. V. m. 222 ZPO i. V. m. 188 Abs. 3 BGB. Da es sich hierbei um einen Samstag handelte, endete die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, also mit Ablauf des 02.03.2020, §§ 55 Abs. 2 VwGO i. V. m. 222 ZPO i. V. m. 193 BGB. Der Widerspruch des Klägers ging am 03.03.2020 und damit verfristet bei der Beklagten ein.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, §§ 70 Abs. 2, 60 VwGO. Da die Einhaltung der Widerspruchsfrist aufgrund ihrer Wirkungen für die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage darstellt, ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, die Einhaltung der Frist zu überprüfen und hat insoweit auch eigenständig zu prüfen, ob dem Kläger hinsichtlich des Widerspruchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 1983 – 1 C 34.80 –, Rn. 15 ff., juris m. w. N.; NK-VwGO/Max-Emanuel Geis, 5. Aufl. 2018, VwGO § 70 Rn. 56-58 m. w. N. auch zu der Gegenansicht in der Literatur.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Nach den §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 1 – 2 VwGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, und er innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachholt. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen. Diese Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung liegen hier nicht vor, weil die Fristversäumung hinsichtlich der Widerspruchsfrist jedenfalls auf dem Verschulden des Klägers beruht.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Verschuldet ist die Versäumung einer Frist immer dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten müssen sich die Beteiligten dabei wie eigenes zurechnen lassen, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 51 Abs. 2, 85 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2021 – 2 B 59.20 –, Rn. 3, juris m. w. N.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Februar 2022 – 2 A 2940/21 –, Rn. 2 - 5, juris.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Eine schwere Erkrankung kann, insbesondere bei plötzlichem Auftreten, für ihre Dauer ein Wiedereinsetzungsgrund sein, wenn sie den Beteiligten daran hindert, einen Bevollmächtigten zu beauftragen oder – im Falle der Erkrankung des Bevollmächtigten selbst – diesen daran hindert, selbst tätig zu werden oder einen weiteren Bevollmächtigten zu beauftragen.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2021 – 1 A 3230/20 –, Rn. 14, juris.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Unter Anwendung dieses Maßstabs muss sich der Kläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist zurechnen lassen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu im Wesentlichen angegeben, er sei ab dem 15.02.2020 fiebrig erkrankt gewesen und habe die Arbeit am 25.02.2020 wieder aufgenommen. Wann er mit der Einlegung des Widerspruchs mandatiert worden sei, könne er nicht mehr angeben. Vom 25.02.2020 bis zum einschließlich 27.02.2020 habe er vorrangige andere Verfahren bearbeiten müssen, in denen es das Institut der Wiedereinsetzung nicht gebe, darunter Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Am Freitag, dem 28.02.2020 habe er an einer Veranstaltung in Konstanz teilnehmen müssen und sei erst am Samstag, dem 01.03.2020 in der Nacht heimgekehrt. Am Montag, dem 02.03.2020 habe er eigentlich den Widerspruch fertigen wollen, dann aber dringend einen anderen Mandanten aufsuchen müssen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Bereits aus dem eigenen Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers ergibt sich, dass allein seine Erkrankung kein unverschuldetes Hindernis begründen kann. Denn nach den eigenen Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat er zum 25.02.2020 und damit vor Fristablauf die Arbeit wieder aufgenommen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich für den Zeitraum ab dem 25.02.2020 auf die Bearbeitung vorrangiger anderer Fristsachen beruft, macht er letztlich nicht seine Erkrankung, sondern eine akute Arbeitsüberlastung für die Versäumung der Frist verantwortlich. Eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten ist regelmäßig kein Wiedereinsetzungsgrund. Nur dann, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt wird, kommt ein unverschuldetes Hindernis in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. Eyermann/Hoppe, 16. Aufl. 2022, VwGO § 60 Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Grundsätzlich kann auch eine aus einer vorhergehenden Erkrankung resultierende plötzliche und unvorhergesehene Arbeitsüberlastung einen Grund für eine Wiedereinsetzung bieten. Aufgrund ihrer beruflichen Sorgfaltspflicht haben Rechtsanwälte in einem solchen Fall allerdings im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorsorge zu tragen, dass fristwahrende Schriftsätze die Kanzlei rechtzeitig verlassen. Gegebenenfalls sind sie verpflichtet, einen Vertreter zu beauftragen, der die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. NK-VwGO/Detlef Czybulka/Sebastian Kluckert, 5. Aufl. 2018, VwGO § 60 Rn. 76.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Danach liegt hier im Ergebnis keine unverschuldete Versäumung der Widerspruchsfrist vor. Denn während der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit vom 25.02.2020 bis einschließlich dem 02.03.2020 bestand ausreichende Gelegenheit, um entweder selbst fristgerecht Widerspruch einzulegen oder für die Erhebung des Widerspruchs einen Vertreter zu beauftragen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers geltend gemachten besonderen Belastungssituation aufgrund krankheitsbedingten Arbeitsrückstaus.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Zunächst wäre es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen, selbst den Widerspruch einzulegen. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass es zur fristwahrenden Einlegung des Widerspruchs nicht notwendig gewesen wäre, diesen bereits mit einer umfassenden Begründung zu versehen. Vielmehr wäre es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers möglich gewesen, einen lediglich wenige Zeilen umfassenden förmlichen Widerspruch vorab einzulegen und eine Fristverlängerung für die Vorlage der Widerspruchsbegründung zu beantragen. Der Arbeitsaufwand hierfür hätte voraussichtlich nur wenige Minuten betragen. Dabei hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem auf Vorarbeiten aus den vorherigen Förderjahrgängen zurückgreifen können, in denen er den Kläger ebenfalls bereits in den zugehörigen Widerspruchsverfahren vertreten hat.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Blick auf eine krankheitsbegründete Überlastung sogar hieran gehindert gewesen wäre, wäre es ihm möglich gewesen, einen Vertreter mit der Einlegung eines fristwahrenden Widerspruchs zu beauftragen. Dass ihm dies aufgrund der „ständigen politischen Hetze seitens der politischen Konkurrenz und der Massenmedien“ nicht möglich gewesen sein soll, hat der Prozessbevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht. Es ist allgemein bekannt, dass es – auch über den Prozessbevollmächtigten des Klägers hinaus – Rechtsanwälte gibt, die der von der AfD vertretenen politischen Strömung nahestehen. Für die fristwahrende Einlegung eines förmlichen Widerspruchs wäre es auch nicht erforderlich gewesen, einen besonders spezialisierten Rechtsanwalt zu beauftragen, da wie bereits dargelegt ein wenige Zeilen umfassender Widerspruch zur Fristwahrung genügt hätte. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nur versucht hat, einen anderen Rechtsanwalt als Vertreter zu beauftragen.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall nicht einmal eine rechtsanwaltliche Vertretung notwendig gewesen wäre, da es im Widerspruchsverfahren keinen Zwang zur anwaltlichen Vertretung gibt. Daher hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers etwa auch den Kläger durch einen kurzen Anruf veranlassen können, den Widerspruch aufgrund seiner Belastungssituation fristwahrend selbst zu erheben. Dass ihm selbst für einen derartigen kurzen Anruf im Zeitraum vom 25.02.2020 bis einschließlich dem 02.03.2020 kein ausreichender Zeitraum zur Verfügung stand, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere am 27.02.2020, wo der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich nach eigenen Angaben den ganzen Tag auf einer Tagung aufgehalten hat, dürfte ein solcher Anruf – und sei es in einer Tagungspause – ohne Weiteres möglich gewesen sein.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Zu keinem anderen Ergebnis führt das Argument des Klägers, der Widerspruch sei bereits am 03.03.2020 und nur etwa 12 Stunden und 30 Minuten verspätet eingegangen. Es liegt in der Natur von in absoluten Zeiträumen bestimmten Fristen, dass es für die Versäumung der Frist und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen unerheblich ist, ob die Frist um Wochen, Tage, Stunden oder auch nur Minuten versäumt wird. Insoweit gilt allein die Regelung des § 60 Abs. 2 S. 3 VwGO, nach der die versäumte Rechtshandlung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist. Eine besonders zügige Nachholung kann aber – unabhängig von der Frage, ob eine solche hier vorliegt – keinen Einfluss auf die Frage haben, ob eine unverschuldete Fristversäumung im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Ebenfalls dringt der weitere Einwand des Klägers nicht durch, es bedürfe hier nach Sinn und Zweck der Fristenregelung des § 70 VwGO nicht des Schutzes des Vertrauens in die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 15.01.2020, da am Verwaltungsverfahren keine privaten Dritten oder Grundrechtsträger beteiligt seien und Kläger und Beklagte über andere Förderjahrgänge stritten, sodass durch eine Bestandskraft auch kein Rechtsfrieden hergestellt würde. Dass der Eintritt der Bestandskraft eines Verwaltungsakts nicht von der Beteiligung eines Dritten am Verwaltungsrechtsverhältnisses abhängt, ergibt sich aus den Fristenregelungen der §§ 70, 74 VwGO, die Rechtsbehelfsfristen völlig unabhängig von der Beteiligung Dritter vorsehen. Auch endgültiger Rechtsfrieden kann durch die Wirkung der Bestandskraft jedenfalls für das Förderjahr 2020 erreicht werden.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg bleibt es schließlich, wenn der Kläger sich auf eine dem Auswärtigen Amt in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin gewährte Fristverlängerung beruft. Denn dabei handelte es sich um eine in einem gerichtlichen Verfahren durch das zuständige Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme, deren Dauer im Ermessen des Gerichts steht und von diesem unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände festgesetzt und gegebenenfalls auch auf Antrag verlängert werden kann. Eine solche Fristsetzung ist nicht vergleichbar mit einer gesetzlichen Frist, die von der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Gericht gerade nicht verlängert werden kann und wie sie in § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO normiert ist.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. Schoch/Schneider/Dolde/Porsch, 42. EL Februar 2022, VwGO § 70 Rn. 13, 14; BeckOK VwGO/Hüttenbrink, 61. Ed. 1.4.2022, VwGO § 70 Rn. 1.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Wegen der Unzulässigkeit der Klage kommt es nicht mehr darauf an, ob diese gegebenenfalls begründet gewesen wäre und dem Kläger für das Haushaltsjahr 2020 ein Anspruch auf die Bewilligung von Globalzuschüssen für seine gesellschaftspolitische Bildungsarbeit gegen die Beklagte zugestanden hätte.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu aber das Urteil der erkennenden Kammer vom 12. August 2022, – 16 K 2526/19 –, hinsichtlich der Förderjahre 2018, 2019 und 2021.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. 709 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">77</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> </li> <li><span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">10.000 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Betrag entspricht der Höhe der streitigen Geldleistung (§ 52 Abs. 3 GKG).</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,311
vg-koln-2022-08-12-16-k-252619
{ "id": 844, "name": "Verwaltungsgericht Köln", "slug": "vg-koln", "city": 446, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
16 K 2526/19
2022-08-12T00:00:00
2022-08-26T10:01:18
2022-10-17T11:09:29
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0812.16K2526.19.00
<h2>Tenor</h2> <p>Soweit der Kläger sinngemäß die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.</p> <p>Das Urteil ist hinsichtlich des streitigen Teils wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Im Übrigen ist das Urteil wegen der Kosten vollstreckbar.</p> <p>Die Berufung wird zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist ein am 20.03.2015 gegründeter eingetragener Verein und steht der Partei Alternative für Deutschland (AfD) nahe. Seit 2016 führt er Seminare in der gesamten Bundesrepublik durch. Der Bundesvorstand der AfD erkannte den Kläger mit Beschluss vom 13.04.2018 als ihr nahestehende Stiftung an. Der Beschluss wurde am 30.06.2018 vom AfD-Bundesparteitag bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte gewährt parteinahen Stiftungen Zuwendungen nach dem jeweils gültigen Haushaltsgesetz. Mit Erlass vom 03.08.1999 wurde die Zuständigkeit zur Wahrnehmung sämtlicher Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Gewährung von Zuwendungen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit an die vom Deutschen Bundestag bestimmten Stiftungen, die im Einzelnen aufgeführt wurden, mit Wirkung zum 01.01.2000 auf das Bundesverwaltungsamt (BVA) übertragen. Für die Jahre 2018 und 2019 sahen die Bundeshaushaltspläne jeweils im Einzelplan 06, Kapitel 0601 unter dem Titel 685 12-144 für im Plan einzeln genannte parteinahe Stiftungen Globalzuschüsse in Höhe von insgesamt 131.959.000 EUR vor, für das Jahr 2021 sah der entsprechende Bundeshaushaltsplan unter diesem Titel eine Summe von insgesamt 140.959.000 EUR vor. Der Kläger gehörte nicht zu den im jeweiligen Haushaltsplan aufgelisteten parteinahen Stiftungen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 23.04.2018 beantragte der Kläger beim Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) die Gewährung einer Zuwendung in Form eines Globalzuschusses in Höhe von 480.000 EUR für das Haushaltsjahr 2018.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Unter dem 23.05.2018 antwortete das BMI, die Förderung orientiere sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach seien alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Ausgehend von einer gemeinsamen Erklärung der politischen Stiftungen im Jahr 1998, nach der eine dauerhafte politische Grundströmung anzunehmen sei, wenn die der Stiftung nahestehende Partei wiederholt, davon mindestens einmal in Fraktionsstärke, im Deutschen Bundestag vertreten sei, erfolge die Festlegung der Globalzuschüsse aufgrund von Verhandlungen mit Vertretern der Stiftungen sowie den Berichterstattern des Haushaltsausschusses. Nach einigem weiteren Schriftverkehr forderte der Kläger mit Schreiben vom 12.11.2018 vom BMI einen rechtsmittelfähigen Bescheid ein.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Erlass vom 06.12.2018 wies das BMI das BVA an, den Antrag für das Jahr 2018 zu bescheiden, da die zuwendungsrechtliche Abwicklung des entsprechenden Haushaltstitels auf das BVA übertragen sei. Für das Haushaltsjahr 2019 solle dem Kläger mitgeteilt werden, dass das Aufstellverfahren für den Haushalt 2019 noch nicht abgeschlossen sei.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 07.12.2018 lehnte das BVA den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses von 480.000 EUR für das Haushaltsjahr 2018 ab. Zur Begründung führte das BVA aus, das Haushaltsgesetz des Bundes vom 12.07.2018 in Verbindung mit dem Haushaltsplan 2018, Einzelplan 06, Titel 685 12 – 144 lege im Einzelnen verbindlich fest, welche Stiftung in welcher Höhe Zuwendungen erhalte. Weitere Mittel ständen für den beantragten Zuschuss nicht zur Verfügung. Der Bescheid wurde dem Kläger am 13.12.2018 zugestellt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 09.01.2019 legte der Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 07.12.2018 ein. Zur Begründung führte er aus, es komme für den Antrag des Klägers nicht maßgebend auf den Haushaltsplan an, sondern der Anspruch des Klägers ergebe sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar aus dem Grundgesetz, das dem einfachen Haushaltsgesetz vorgehe. Die Nichtberücksichtigung des Klägers widerspreche den Anforderungen des Gleichheitssatzes, weil die ihm nahestehende Partei AfD eine dauerhafte ins Gewicht fallende politische Grundströmung in Deutschland darstelle. Die AfD sei 2017 mit 12,6 % des Stimmen in den Deutschen Bundestags eingezogen und stärkste Oppositionsfraktion. Zum Antragszeitpunkt sei sie in allen 16 Landtagen vertreten gewesen. Anderen Parteien nahestehende Stiftungen würden gefördert, obwohl sie teilweise in deutlich weniger Landtagen und auch mit deutlich weniger Mandatsträgern im Bundestag vertreten seien. Angesichts dessen stelle sich die Nichtberücksichtigung des Klägers als willkürlich dar. Der allgemein in der Diskussion stehende Satz, eine Partei müsse dem Bundestag in zwei aufeinander folgenden Legislaturperioden angehören, um in die Förderung aufgenommen zu werden, habe keine rechtliche Bedeutung, weil er auf eine privatrechtliche Meinungsäußerung von Stiftungsvertretern im Jahr 1998 zurückgehe. Das Merkmal der Dauerhaftigkeit könne der AfD nicht abgesprochen werden, da es außerordentlich unwahrscheinlich sei, dass sie im nächsten Bundestag nicht vertreten sei. Zudem sei auch die der FDP nahestehende Stiftung weiter gefördert worden, obwohl sie dem 18. Deutschen Bundestag nicht angehört habe. Daher könne man dies dem AfD-nahen Kläger nicht vorhalten. Soweit das Haushaltsrecht diesem Ergebnis entgegenstehe, sei es verfassungswidrig. Der Ablehnungsbescheid sei darüber hinaus auch aus einfachrechtlichen Gründen nichtig oder jedenfalls rechtswidrig. Er rühre erkennbar von der falschen Behörde her, weil der Antrag an das BMI gerichtet gewesen sei. Das BVA sei nur für die Auszahlung zuständig, die Bewilligung habe durch das BMI zu erfolgen. Der Bescheid sei zudem unzureichend begründet, weil er keinerlei verfassungsrechtliche Überlegungen des BVA erkennen lasse. Weiterhin sei der Bescheid materiell zu beanstanden, weil es sich bei dem Haushaltsgesetz, auf das der Bescheid alleine abstelle, um ein Gesetz nur im formellen Sinne handle, das gegenüber dem Kläger keine Außenwirkung entfalte. Auf fehlende Haushaltsmittel könne das BVA sich nicht berufen, wenn der Anspruch wie hier unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten sei.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 26.03.2019 wies das BVA den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte das BVA aus, es sei zuständig, da ihm die gesamte administrative Abwicklung, also auch die Bewilligung und Verwendungsnachweisprüfung für den Haushaltstitel 0601 685 12 - 144 übertragen worden sei. Grundsätzlich sei Voraussetzung jeder staatlichen Zuwendung, dass entsprechende Fördermittel im jeweiligen Haushalt veranschlagt und verfügbar seien. Für den Kläger seien im entsprechenden Titel keine Mittel vorgesehen gewesen. Das Haushaltsgesetz sei auch verfassungsmäßig, da Art. 3 Abs. 1 GG nur die Berücksichtigung dauerhafter politischer Strömungen verlange. Von einer Dauerhaftigkeit sei erst auszugehen, wenn eine der Stiftung nahestehende Partei wiederholt in den Bundestag eingezogen sei. Auf die Vertretung der nahestehenden Partei in Landesparlamenten komme es nicht an, da die Globalzuschüsse eine reine Bundesförderung darstellten. Diese Förderpraxis sei auch nicht willkürlich, weil sie eine einheitliche, dauerhafte und transparente Entscheidungspraxis für die Gewährung von Globalzuschüssen für politische Stiftungen gewährleiste.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit weiterem Bescheid vom 26.03.2019 lehnte das BVA den Antrag des Klägers auf Gewährung von Globalzuschüssen in Höhe von 900.000 EUR für das Haushaltsjahr 2019 ab. Zur Begründung wiederholte das BVA im Kern die bereits im Widerspruchsbescheid vom 26.03.2019 dargelegten Gründe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 17.04.2019 wies das BVA mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2019 zurück.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Unter dem 25.03.2019 erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde u. a. gegen die vorangegangenen Ablehnungsbescheide für die Förderjahrgänge 2018 und 2019. Mit Beschluss vom 20.05.2019 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (2 BvR 649/19).</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der zwischenzeitig für das Haushaltsjahr 2020 gestellte Antrag ist Gegenstand des bei der Kammer anhängigen Verfahrens 16 K 1916/20.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 12.08.2020 beantragte der Kläger für das Haushaltsjahr 2021 einen weiteren Globalzuschuss von 900.000 EUR aus dem Bundeshaushaltstitel 685 12-144 sowie eine weitere Zuwendung von 150.000 EUR für die Monate November und Dezember 2021. Diese Anträge lehnte das BVA mit Bescheid vom 26.02.2021 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 31.03.2021 begründete der Kläger ergänzend damit, dass jedenfalls für den Zeitraum nach Beginn der 20. Legislaturperiode die AfD mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit dem Bundestag in zwei aufeinander folgenden Perioden angehören werde, sodass ihr jedenfalls ab diesem Zeitpunkt Globalzuschüsse zustünden. Den Widerspruch wies das BVA mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2021 zurück.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 23.04.2019 Klage erhoben und insoweit zunächst beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2019 zu verpflichten, dem Kläger Zuwendungen zur Unterstützung seiner gesellschaftlichen und demokratischen Bildungsarbeit (Globalmittel) im Haushaltsjahr 2018 in Höhe von 10.000 EUR nachträglich auszuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Am 26.07.2019 hat der Kläger die Klage erstmalig erweitert, sie auf den Ablehnungsbescheid vom 26.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.07.2019 für das Haushaltsjahr 2019 erstreckt und zunächst beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2019 zu verpflichten, dem Kläger Zuwendungen zur Unterstützung seiner gesellschaftlichen und demokratischen Bildungsarbeit (Globalmittel) im Haushaltsjahr 2019 in Höhe von 10.000 EUR nachträglich auszuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Am 12.07.2021 hat der Kläger die Klage erneut erweitert und zunächst beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 11.06.2021 zu verpflichten, dem Kläger Zuwendungen zur Unterstützung seiner gesellschaftlichen und demokratischen Bildungsarbeit (Globalmittel) im Haushaltsjahr 2021 in Höhe von 10.000 EUR nachträglich auszuzahlen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung der Klage trägt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens in den jeweiligen Verwaltungsverfahren vor, es handle sich der Sache nach nicht um eine verwaltungs-, sondern eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Die Zuständigkeitsübertragung auf das BVA sei erfolgt, um dem Streit ein verwaltungsrechtliches Gepräge zu geben, und daher rechtsmissbräuchlich. Das BVA sei sachlich unzuständig, da der Antrag an das BMI gerichtet gewesen sei. Denn es gehe nicht um die Abwicklung eines Haushaltstitels, sondern um die Anerkennung eines entsprechenden Förderanspruchs des Klägers, was nur das BMI leisten könne. Daher seien die Bescheide nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig. Jedenfalls der Bescheid vom 07.12.2019 sei unzureichend begründet, weil er sich zur verfassungsrechtlichen Dimension des Antrags des Klägers nicht äußere. Die Bescheide seien auch materiell zu beanstanden, da dem Kläger ein entsprechender Anspruch unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG zustehe und dieser nicht durch formelles Haushaltsrecht beschränkt werden könne. Die Ablehnung der Anträge sei willkürlich, weil die AfD hinreichend verfestigt sei. Die Maßgabe, eine Förderung nur bei zwei aufeinander folgenden Einzügen der nahestehenden Partei in den Bundestag zu gewähren, sei lediglich eine private Äußerung, die diesen Anspruch nicht beschränke. Die AfD habe dem 18. Deutschen Bundestag zwar noch nicht angehört, dasselbe gelte aber für die FDP, deren parteinahe Stiftung ununterbrochen weitergefördert worden sei. Insoweit verhalte die Beklagte sich widersprüchlich. Zudem könne es in einem Föderalstaat wie der Bundesrepublik nicht allein auf die Ergebnisse von Bundestagswahlen ankommen. Selbst wenn man den pauschalierenden Ansatz von zwei aufeinanderfolgenden Einzügen in den Bundestag berücksichtigen wolle, so habe dies aber aufgrund der Wesentlichkeitstheorie in einem materiellen Parlamentsgesetz geregelt werden müssen. Insoweit sei auch zu beachten, dass die AfD im Mittel über zwei Perioden teilweise deutlich bessere Ergebnisse erzielt habe als andere Parteien, deren nahestehende Stiftungen gefördert würden. Auch in der Bemessung der Höhe der Fördermittel verhalte die Beklagte sich inkonsequent, weil teilweise die Fördermittel zugunsten von Stiftungen massiv erhöht worden seien, obwohl die zugehörigen Parteien bei der letzten Wahl Stimmverluste gehabt hätten. Zumindest für das Jahr 2021 stehe dem Kläger aber ein anteiliger Anspruch zu, weil die AfD nach der Bundestagswahl 2021 zum zweiten Mal in Folge in den Bundestag eingezogen sei. Zwar gehe der Kläger davon aus, dass er einen Anspruch auf eine erheblich höhere Förderung habe, aus Kostengründen beschränke er seine Klage für die jeweiligen Haushaltsjahre aber auf jeweils 10.000 EUR.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt nunmehr wörtlich,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2019 zu verpflichten, den Förderantrag der Klägerin vom 23.04.2018 im Hinblick auf einen Teil des ursprünglich beantragen Förderbetrages in Höhe von 10.000 Euro unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2019 zu verpflichten, den Förderantrag der Klägerin vom 03.07.2018 im Hinblick auf einen Teil des ursprünglich beantragten Förderbetrages in Höhe von 10.000,00 Euro unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden und</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.02.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheid vom 11.06.2021 zu verpflichten, den Förderantrag der Klägerin vom 12.08.2020 im Hinblick auf einen Teil des ursprünglich beantragten Förderbetrages in Höhe von 10.000,00 Euro unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Bescheidbegründungen führt sie aus, das BVA sei für die Entscheidung über die Anträge zuständig gewesen, weil ihm die Aufgabe vom BMI als Rechts- und Fachaufsichtsbehörde übertragen worden sei. Der Kläger habe in der Sache nichts anderes als einen Fördermittelantrag nach §§ 24, 44 BHO gestellt und sei entsprechend beschieden worden. Die Beklagte habe sich am von den Haushaltsgesetzen gesetzten Rahmen zu orientieren, die für den Kläger jeweils keine Fördermittel vorgesehen hätten. Der Kläger habe auch keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Förderung. Es entspreche der dauerhaften Entscheidungs- und Förderpraxis, dass zwei aufeinander folgende Einzüge in den Bundestag notwendig seien, um die Dauerhaftigkeit einer politischen Strömung anzunehmen. Der vom Kläger angestellte Vergleich mit anderen Parteien führe daher nicht weiter, weil ein einmaliges Ausscheiden nicht genüge, um vom Wegfall der Dauerhaftigkeit auszugehen. Der Kläger habe auch keinen anteiligen Anspruch für 2021, weil die Beklagte in ihrer Förderpraxis die Förderung frühestens im Folgejahr der maßgeblichen Bundestagswahl beginne. So sei sie in der Vergangenheit auch mit anderen parteinahen Stiftungen verfahren.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Über den Rechtsstreit konnte im Verwaltungsrechtsweg entschieden werden, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Es liegt insbesondere keine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vor. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf eine Verfassungsbeschwerde des Klägers mit Beschluss vom 20.05.2019 festgestellt, in welchem es ausgeführt hat:</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">„a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">aa) Für die Bestimmung der Rechtsnatur des Streits kommt es auf das Rechtsverhältnis an, in dem die geltend gemachten Ansprüche wurzeln; dabei ist maßgebend auf das verfassungsrechtliche Grundverhältnis abzustellen. Auf die Vorstellung des Beschwerdeführers und die von ihm behauptete Rechtsnatur des Streitverhältnisses kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerfGE 42, 103 <110 f., 113>; 62, 295 <313>; 109, 1 <6 f.>).</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis kann nur zwischen Faktoren bestehen, die am Verfassungsleben beteiligt sind (BVerfGE 1, 208 <221>; 27, 240 <245 f.>; vgl. auch BVerfGE 64, 301 <312 f.>). Die geltend gemachten Ansprüche müssen sich aus einem beide Teile umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnis ergeben (vgl. BVerfGE 2, 143 <159>; 13, 54 <72 f.>), mithin aus Rechtsbeziehungen, die zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander bestehen (BVerwGE 36, 218 <228>; 51, 69 <71>).</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">bb) Dies ist beim Beschwerdeführer, einem eingetragenen Verein, nicht der Fall. Er steht zwar der Alternative für Deutschland (AfD) nahe, hebt aber in seiner Verfassungsbeschwerde selbst hervor, dass er von dieser Partei deutlich abgegrenzt, nach seiner Satzung rechtlich selbständig und organisatorisch unabhängig ist. Die Abwehr einer Grundrechtsverletzung ist auch nicht allein deshalb dem Verfassungsrechtskreis zuzurechnen, weil nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Verfassungsorgan gehandelt hat oder weil sich die Maßnahme ihrerseits nach Verfassungsrecht beurteilt (vgl. BVerfGE 1, 208 <221>; 13, 54 <72 f.>; 27, 240 <246>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Oktober 1987 - 2 BvR 64/87 -, NVwZ 1988, S. 817 f.; BVerwG, Urteil vom 28. November 1975 - VII C 53/73 -, NJW 1976, S. 637 <638>; BVerwGE 51, 69 <71>)“</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2019 – 2 BvR 649/19 –, Rn. 3 – 6, juris.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Umstellung der Klageanträge des Klägers von der Verurteilung zur Zahlung auf die Verpflichtung zur Neubescheidung in Höhe von bis zu 10.000 EUR ist unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 91 VwGO zulässig, weil es sich in der Sache um eine stets zulässige Beschränkung des Klageantrags gemäß § 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO handelt. Von dieser Vorschrift erfasst werden auch qualitative Änderungen des Klageantrags, solange neue und alte Klageart zueinander in einem Verhältnis von maius und minus stehen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. Eyermann/Wöckel, 16. Aufl. 2022, VwGO § 91 Rn. 13 – 14.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Verpflichtung der Beklagten, die Anträge des Klägers in Höhe von 10.000 EUR neu zu bescheiden, stellt ein qualitatives Minus gegenüber dem ursprünglich auf Leistung von jeweils 10.000 EUR gerichteten Klagebegehren des Klägers dar, ohne zu einer inhaltlichen Abwandlung des verfahrensgegenständlichen Streitgegenstands zu führen. Die mit der Beschränkung des Klageantrags verbundene teilweise Klagerücknahme führt dazu, dass das Verfahren insoweit teilweise einzustellen ist, § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. Eyermann/Wöckel, 16. Aufl. 2022, VwGO § 91 Rn. 13; Schoch/Schneider/Clausing, 42. EL Februar 2022, VwGO § 92 Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass der Kläger den bei der Beklagten geltend gemachten Anspruch für die Förderjahre 2018, 2019 und 2021 nur in einer Höhe von jeweils 10.000 EUR gerichtlich geltend macht und sein Klagebegehren gegenüber den im Verwaltungsverfahren beantragten Beträgen insoweit einschränkt. Anders als im Fall der (Teil-)Anfechtungsklage kommt es in einem solchen Fall nicht auf die Frage der Teilbarkeit des Versagungsbescheids der Beklagten an, weil nicht dieser Streitgegenstand der Verpflichtungsklage ist, sondern der begehrte materielle Anspruch.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – 4 C 33.13 –, Rn. 18, juris m. w. N; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 A 796/09 –, Rn. 18, juris; SchochKoVwGO/Riese, 41. EL Juli 2021, VwGO § 113 Rn. 209.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dass eine Teil-Verpflichtungsklage grundsätzlich möglich ist, ergibt sich aus der Formulierung des § 113 Abs. 5 VwGO („soweit“). Daher steht es dem Kläger grundsätzlich frei, diesen Anspruch im Rahmen seiner Disposition in einem geringeren Umfang als im Verwaltungsverfahren gerichtlich geltend zu machen, solange der materielle Anspruch selbst einer teilweisen Geltendmachung zugänglich ist – mit der Konsequenz, dass auch im Erfolgsfalle nur über den Anspruch im rechtshängigen Umfang entschieden wird und einem eventuell darüber hinaus gehenden Anspruch jedenfalls die Bestandskraft des Versagungsbescheids entgegenstünde. Da der Kläger hier einen Anspruch auf Neubescheidung seiner auf Geldzahlung gerichteten Förderanträge verfolgt und keine materiellen Gründe gegen die Möglichkeit einer bloß teilweisen Geltendmachung dieser Ansprüche in Form der Verpflichtungsklage ersichtlich sind, kann der Kläger seinen Klageantrag auf Neubescheidung in der beantragten Höhe beschränken.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Soweit danach noch über die Klage streitig zu entscheiden ist, bleibt sie ohne Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die angegriffenen Bescheide der Beklagten, mit denen eine Förderung des Klägers für die Haushaltsjahre 2018, 2019 und 2021 abgelehnt wurde, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die begehrte Bewilligung von Globalzuschüssen in Höhe von jeweils 10.000 EUR für die Haushaltsjahre 2018, 2019 und 2021, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Zunächst sind die verfahrensgegenständlichen Bescheide in Form der Widerspruchsbescheide vom 26.03.2019, vom 03.07.2019 und vom 11.06.2021 formell nicht zu beanstanden (dazu I.). Auch materiell-rechtlich erfolgte die Ablehnung der Förderanträge des Klägers für die Haushaltsjahre 2018, 2019 und 2021 rechtmäßig (dazu II.).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die verfahrensgegenständlichen Ablehnungsbescheide in Gestalt der jeweils zugehörigen Widerspruchsbescheide wurden von der zuständigen Behörde, nämlich dem BVA erlassen.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Gewährt der Bund wie hier nicht aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung, sondern auf freiwilliger Basis durch Zurverfügungstellung von Mitteln im Haushaltsplan Zuwendungen an Dritte, so bestimmt sich die Zuständigkeit für die Durchführung des Förderverfahrens nach allgemeinen verwaltungsorganisationsrechtlichen Grundsätzen. Danach ist hier für die Durchführung der Förderverfahren hinsichtlich der Gewährung von Globalzuschüssen an parteinahe Stiftungen der Geschäftsbereich des BMI zuständig, weil der Haushaltsgesetzgeber die notwendigen Haushaltsmittel im Etat des BMI eingeplant hat.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. die entsprechenden Einzelpläne des BMI zu den jeweiligen Haushaltsgesetzen,</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">für das Jahr 2018 abrufbar unter: https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2018/soll/epl06.pdf#page=11,</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">für das Jahr 2019 abrufbar unter: https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2019/soll/epl06.pdf#page=11,</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">für das Jahr 2021 abrufbar unter: https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2021/soll/epl06.pdf#page=12.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Allein aus der Zuweisung der Mittel im Etat des BMI folgt aber nicht, dass Anträge auf Gewährung von Globalzuschüssen aus diesem Haushaltstitel unmittelbar vom BMI bearbeitet und beschieden werden müssten. Im Gegenteil ist die unmittelbare Durchführung administrativer Tätigkeit mit Außenwirkung durch die Ministerialverwaltung in ihrer rechtlichen Zulässigkeit bereits umstritten.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu Oebbecke, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 93 m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Gibt es keine gesetzliche oder verfassungsrechtliche Verpflichtung, einen Antrag unmittelbar durch die Ministerialverwaltung zu bescheiden, so ist es im Bereich freiwilliger Aufgabenwahrnehmung wie der Gewährung von Zuwendungen ohne gesetzliche Verpflichtung rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das die Haushaltsmittel verwaltende Ministerium die Aufgabe der Durchführung der Förderverfahren einer nachgeordneten Behörde überträgt. Unter Berücksichtigung dessen ist die Beauftragung des BVA mit der Durchführung der Förderverfahren für die Bewilligung von Globalzuschüssen an parteinahe Stiftungen rechtlich unbedenklich. Die konkrete Zuständigkeit des BVA folgt nach diesen Grundsätzen aus § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverwaltungsamts (BVAG) vom 28.12.1959 (BGBl. I S. 829) i. V. m. dem Erlass des BMI vom 03.08.1999.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Nach § 1 Abs. 3 BVAG erledigt das BVA Verwaltungsaufgaben des Bundes, mit deren Durchführung es vom BMI oder mit seiner Zustimmung von der sachlich zuständigen obersten Bundesbehörde beauftragt wird. Dies ermöglich es dem BMI, durch eine entsprechende Beauftragung verschiedenste Verwaltungsaufgaben dem BVA als zentralem Dienstleister zu übertragen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Ibler, 95. EL Juli 2021, GG Art. 87 Rn. 267; Oebbecke, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 95.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Eine entsprechende Beauftragung stellt der Ministerialerlass des BMI vom 03.08.1999 dar. Dieser sieht vor, dass ab dem 01.01.2000 sämtliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Gewährung von Zuwendungen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit an die vom Deutschen Bundestag bestimmten Stiftungen vom BVA wahrgenommen werden. Zwar benennt der Erlass die zum Erlasszeitpunkt geförderten Stiftungen konkret, hieraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Zuständigkeit des BVA für Förderanträge des nicht im Erlass genannten Klägers nicht ebenfalls beim BVA liegt. Denn der Erlass ist seinem Regelungsziel nach darauf gerichtet, die Abwicklung sämtlicher Aufgaben der Förderung in Form von Globalzuschüssen an parteinahe Stiftungen auf das BVA zu übertragen. Dies umfasst dem Sinn und Zweck der Übertragung nach auch die Bescheidung von Anträgen nicht im Erlass explizit benannter Stiftungen. Der Erlass stellt daher eine nach § 1 Abs. 3 BVAG zulässige Aufgabenübertragung in Form der Generaldelegation dar.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. allgemein zur Zuständigkeitsübertragung durch Delegation Jestaedt, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 48 m. w. N.; speziell zum Begriff der Generaldelegation in Abgrenzung zur Einzeldelegation Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 4 Rn. 41</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man dementgegen davon ausginge, dass die Zuständigkeit für die Anträge des Klägers sich nicht bereits aus dem Erlass vom 03.08.1999 ergäbe, weil man diesen bloß als Einzeldelegation für die Abwicklung der im Erlass konkret genannten Stiftungen verstünde, so bliebe das BVA gleichwohl zuständig, weil jedenfalls der Erlass des BMI vom 06.12.2018, mit welchem das BVA ausdrücklich beauftragt wurde, die Anträge des Klägers zu bescheiden, sowie die auf die späteren Anträge ergangenen Erlasse des BMI die Zuständigkeit des BVA begründen würde. Auch diese Erlasse würden eine hinreichende Beauftragung des BVA nach § 1 Abs. 3 BVAG darstellen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Übertragung der Aufgabe auf das BVA durch Erlass war auch ausreichend. Es bedurfte insbesondere keiner Übertragung der Aufgabe auf das BVA durch Gesetz, weil die Gewährung von Globalzuschüssen an parteinahe Stiftungen eine freiwillige Aufgabe darstellt, die nicht mit Eingriffsbefugnissen im Außenverhältnis einhergeht. Soweit mit der Gewährung von Globalzuschüssen verfassungsrechtliche Fragestellungen einhergehen, betreffen diese eine grundgesetzkonforme Verteilung der zur Verfügung gestellten Mittel insbesondere im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes (dazu unten II.), nicht aber die Zuständigkeit für die administrative Durchführung der Förderverfahren.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger hiergegen einwendet, es gehe ihm nicht um die administrative Abwicklung seiner Anträge, sondern um Erhalt eines Bescheides, aus dem hervorgehe, dass er auch dann einen Anspruch auf Zahlungen aus dem Bundeshaushalt habe, wenn Zahlungen an ihn im Haushaltsplan gar nicht vorgesehen seien, so führt dies nicht zu einer Unzuständigkeit des BVA. Der Kläger hat beim BMI ausdrücklich einen Antrag auf Bewilligung von Globalzuschüssen aus dem Haushaltstitel 685 12 – 144 für das Haushaltsjahr 2018 gestellt. Die Bearbeitung von Anträgen auf Gewährung von Globalzuschüssen aus diesem Titel ist dem BVA wie bereits dargelegt übertragen. Dass der entsprechende Haushaltstitel keine Mittel für den Kläger vorsieht, kann eine Sonderzuständigkeit ausschließlich des BMI nicht begründen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum das BMI weitergehende Kompetenzen haben sollte, die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des Haushaltsplans – und damit eines formellen Gesetzes – festzustellen als das BVA.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom Kläger zitierten Angabe auf der Homepage des BVA, nach der über den Antrag in der Regel das fachlich zuständige Bundesministerium entscheidet. Abgesehen davon, dass es sich um eine allgemeine Information ohne Bezug zu konkreten Förderverfahren und insbesondere ohne Bezug zur Förderung von parteinahen Stiftungen handelt, kann allein eine Aussage auf der Behördenhomepage die Behördenzuständigkeit nicht abändern.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Der pauschale Vorwurf, die Übertragung der Zuständigkeit auf das BVA sei rechtsmissbräuchlich, weil sie dazu diene, den Rechtsstreit „künstlich und wider besseren Wissens auf eine verwaltungsgerichtliche Schiene zu setzen“, dringt ebenfalls nicht durch. Hierfür sind vor dem Hintergrund, dass die Übertragung der generellen Zuständigkeit für die Durchführung der Förderverfahren hinsichtlich der Gewährung von Globalzuschüssen für parteinahe Stiftungen auf das BVA bereits mit Erlass vom 03.08.1999 und damit erheblich vor den verfahrensgegenständlichen Förderanträgen erfolgte, keine Anhaltspunkte ersichtlich. Auch wenn man erst in den späteren Erlassen des BMI eine entsprechende Aufgabenübertragung sähe, wäre dies im Übrigen seitens des BMI weder willkürlich noch rechtsmissbräuchlich, weil es eine nachvollziehbare Überlegung darstellt, auch die Behandlung von Anträgen der nicht im jeweiligen Haushaltsplan genannten Stiftungen dem BVA zu übertragen und hierdurch Zuständigkeit und Sachkompetenz zu konzentrieren. Darüber hinaus ist die Rechtsstreitigkeit aus den bereits dargelegten Gründen nicht verfassungsrechtlicher Art, sodass auch vor diesem Hintergrund der Vorwurf der „rechtsmissbräuchlichen Verschiebung“ ins Leere geht.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Es liegen auch keine entscheidungserheblichen Begründungsfehler hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Bescheide vor. Soweit der Kläger hinsichtlich des Ablehnungsbescheids vom 07.12.2018 für das Haushaltsjahr 2018 rügt, dieser sei nicht ordnungsgemäß begründet gewesen, weil das BVA sich nicht mit den verfassungsrechtlichen Argumenten des Klägers und der Verfassungsmäßigkeit des Haushaltsgesetzes 2018 auseinandergesetzt habe, führt auch dies nicht zu einer formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids. Denn selbst wenn man hier von einer den Anforderungen des § 39 Abs. 1 VwVfG nicht genügenden Begründung ausginge, so wäre ein eventueller diesbezüglicher Begründungsmangel jedenfalls geheilt worden.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG ist die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Dabei kann eine Heilung auch im Widerspruchsverfahren, genauer durch den Widerspruchsbescheid erfolgen, wenn und soweit die von der Widerspruchsbehörde nachträglich gegebenen Begründungselemente auch von der ihr im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zustehenden Abänderungsbefugnis umfasst sind. Unproblematisch ist dies insbesondere dann möglich, wenn die Widerspruchsbehörde mit der Ausgangsbehörde identisch ist.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Vgl. BeckOK VwVfG/Schemmer, 54. Ed. 01.01.2022, VwVfG § 45 Rn. 51; NK-VwVfG/Sigrid Emmenegger, 2. Aufl. 2019, VwVfG § 45 Rn. 93; SchochKoVwGO/Schneider, 1. EL August 2021, VwVfG § 45 Rn. 84.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Hier hat die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsbescheids vom 26.03.2019 die vom Kläger angeführten Argumente aufgenommen und sich mit diesen auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht auseinander gesetzt. Aus den Darlegungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 26.03.2019 wird ohne Weiteres ersichtlich, warum die Beklagte auch einen verfassungsunmittelbaren Anspruch des Klägers nicht annimmt. Weitergehende Ausführungen zum Prozess dieser Überzeugungsbildung bei der Beklagten, beispielsweise durch Einholung von Gutachten, nach denen der Kläger in seiner Klageschrift fragt, gehören nicht zu den das Ergebnis inhaltlich tragenden Gründen der Entscheidung und müssen daher nach § 39 Abs. 1 VwVfG nicht dargelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 39 Rn. 45.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die verfahrensgegenständlichen Bescheide sind auch materiell nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Förderanträge des Klägers für die Haushaltsjahre 2018, 2019 und 2021 zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Bewilligung von Globalzuschüssen für seine gesellschaftspolitische Bildungsarbeit gegen die Beklagte.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Eine einfachgesetzliche Grundlage, aus der der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung von Globalzuschüssen ableiten könnte, existiert nicht. Insbesondere kann der Kläger keine Ansprüche aus der Bereitstellung der Mittel in den Haushaltsplänen des Bundes für die Jahre 2018, 2019 und 2021 ableiten. Denn unabhängig davon, dass es sich bei den lediglich durch förmliches Gesetz festgestellten Haushaltsplänen des Bundes um Gesetze handelt, denen gegenüber Privaten im Außenverhältnis Rechtswirkungen nicht zukommen können,</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 08. April 1997 – 3 C 6.95 –, Rn. 17, juris; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2002 – 3 C 54.01 –, Rn. 22, juris; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 25, juris,</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">sehen die Haushaltspläne, in denen die bereitgestellten Mittel im Einzelnen aufgeschlüsselt bestimmten ausdrücklich benannten Stiftungen zugewiesen werden, auch keine Mittel für den Kläger vor.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Bewilligung von Globalzuschüssen zugunsten des Klägers kommt daher nur aus der von der Beklagten geübten Verwaltungspraxis in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichbehandlungs- und Teilhabeanspruch in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl. speziell zu parteinahen Stiftungen Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. März 2012 – OVG 6 B 19.11 –, Rn. 14, juris; VG Gera, Urteil vom 17. Juni 2006 – 1 K 146/06 Ge –, Rn. 27 ff., juris; allgemein BVerwG, Urteil vom 08. April 1997 – 3 C 6.95 –, Rn. 19, juris; Murswiek, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 73 ff.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Dieser Anspruch ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil für den Kläger konkret keine Haushaltsmittel in den Haushaltsplänen vorgesehen sind. Denn die Haushaltspläne haben nur verwaltungsinterne Bedeutung. Sie ermächtigen die Verwaltung zur Vergabe der vorgesehenen Mittel und sind daher Voraussetzung, um eine rechtmäßige Subventionsvergabe vorsehen zu können. Soweit aber ein Haushaltsplan einen Anspruch auf Gleichberechtigung verletzt, ist er in der gerichtlichen Prüfung außer Betracht zu lassen, soweit er verfassungswidrige Vorgaben für die Mittelverwendung macht.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2002 – 3 C 54.01 –, Rn. 22, juris.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Für die gerichtliche Entscheidung ist es danach unerheblich, ob der Anspruch sich gegen den Haushaltsgesetzgeber richtet, dessen Entscheidung über die Bindungswirkung für die vollziehende Verwaltung mittelbar Außenwirkung erlangt, oder gegen die im Rahmen des ihr (noch) zustehenden Vergabeermessens handelnde Verwaltung.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 25, juris.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Es bedarf hier keiner Erörterung, ob die gleichheitswidrige Nichtbeachtung eines Grundrechtsträgers bei der Zuordnung von Mitteln im Haushaltsplan selbst bereits unmittelbar zu einem unbedingten Leistungsanspruch führt, oder ob dem (Haushalts-)Gesetzgeber die Freiheit belassen werden muss, die Gleichbehandlung statt einer Erweiterung des Kreises der Begünstigten durch einen generellen Wegfall der Begünstigung herzustellen.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu ausführlich Murswiek, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 74.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Denn die vom Haushaltsgesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsermessens festgelegte und von der Beklagten im Rahmen der Antragsbescheidung für die Jahre 2018, 2019 und 2021 umgesetzte Verteilung der Mittel und Nichtberücksichtigung des Klägers verletzt diesen nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten. Sowohl die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, für den Kläger keine Mittel vorzusehen, als auch die Mittelvergabe durch die Beklagte sind mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Nach dem im allgemeinen Gleichheitssatz wurzelnden Willkürverbot dürfen wesentlich gleiche Lebenssachverhalte nicht ohne vernünftigen oder sonst wie einleuchtenden, sachlich gerechtfertigten Grund willkürlich ungleich sowie wesentlich ungleiche Lebenssachverhalte nicht willkürlich gleich behandelt werden.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 16. März 1955 – 2 BvK 1/54 –, Rn. 37, juris; BVerfG, Beschluss vom 24. März 1976 – 2 BvR 804/75 –, Rn. 23, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05. Juli 2013 – 2 BvR 708/12 –, Rn. 26, juris.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf den dem Parlamentsgesetzgeber bei der Bereitstellung von Zuwendungen zustehenden Gestaltungsspielraum sind seine Haushaltsplanungen durch die Gerichte nur eingeschränkt überprüfbar.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 29, juris.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Bildet allein die aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürgrenze den gerichtlichen Prüfungsmaßstab, ist unerheblich, ob es zu der festgestellten Verwaltungspraxis Alternativen gibt, für die gute oder sogar bessere Gründe sprechen. Die unterschiedliche Behandlung von Leistungsempfängern bei Zuwendungen ist bereits dann nicht zu beanstanden, wenn vernünftige Gründe für die Differenzierung bestehen und willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen vermieden werden. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen dem Staat hierbei im weitesten Umfang zu Gebote. Solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebensverhältnisse stützt, kann sie von der Verfassung her nicht beanstandet werden. Eine Verletzung des Willkürverbotes liegt mithin nur dann vor, wenn die maßgeblichen Kriterien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 08. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 –, Rn. 49, juris; BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979 – 1 BvL 97/78 –, Rn. 18, juris.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Diese allgemeinen Grundsätze konkretisierend, hat das Bundesverfassungsgericht speziell zur Förderung parteinaher Stiftungen entschieden, dass der Allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz mit Blick auf die Berührungspunkte zwischen der Tätigkeit der parteinahen Stiftungen einerseits und den langfristigen politischen Zielvorstellungen der ihnen nahestehenden Parteien andererseits gebietet, dass im Rahmen der Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt werden müssen. Die staatliche Förderung müsse der pluralen Struktur der gesellschaftlichen und politischen Kräfte Rechnung tragen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1986 – 2 BvE 5/83 –, Rn. 132, juris; bekräftigt durch BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 2 BvE 4/12 –, Rn. 106 – 108, juris.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Zuwendung bzw. auf eine erneute Bescheidung seiner Förderanträge. Die Beklagte ist willkürfrei davon ausgegangen, dass es sich bei dem Kläger und der ihm nahestehenden Partei AfD jedenfalls in den hier maßgeblichen Förderjahren 2018, 2019 und 2021 nicht um Vertreter einer dauerhaften ins Gewicht fallenden politischen Grundströmung in der Bundesrepublik Deutschland handelt.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Vor dem Hintergrund, dass die Förderung parteinaher Stiftungen auf einem freiwilligen Entschluss des Haushaltsgesetzgebers beruht und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG wurzelt, ist es grundsätzlich Sache des Haushaltsgesetzgebers, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Förderpraxis umzusetzen und gleichheitsgerechte Kriterien zu bestimmen, wann von einer ins Gewicht fallenden politischen Grundströmung auszugehen ist. Diese Kriterien müssen, um den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle zu genügen, selbst objektiv, sachgerecht und willkürfrei bestimmt werden. Die Beklagte geht in ihrer Förderpraxis seit 1998 davon aus, dass eine parteinahe Stiftung dann eine dauerhafte ins Gewicht fallende politische Grundströmung vertritt, wenn die der Stiftung nahestehende Partei in zwei aufeinander folgenden Bundestagswahlen in den Bundestag einzieht. Dieses Kriterium ist mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Das Kriterium des zweifachen aufeinander folgenden Einzugs in den Bundestag ist zunächst für sich sachgerecht und willkürfrei. Es bietet eine praktikable, einfach anzuwendende und auch in der Anwendung politisch neutrale Möglichkeit zur Bestimmung von Dauerhaftigkeit und Gewicht einer politischen Strömung. Durch das Abstellen auf die Ergebnisse von Bundestagswahlen, in welchen der Wille des Staatsvolks mit der Bildung des Staatswillens zusammenfällt,</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1966 – 2 BvF 1/65 –, Rn. 115, juris,</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">und welche die praktisch einzige bedeutsame Möglichkeit des Staatsvolks darstellen, seinen Willen rechtsverbindlich zu äußern,</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Klein/Schwarz, 95. EL Juli 2021, GG Art. 38 Rn. 68,</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">zieht die Beklagte ein taugliches Kriterium heran, um zu bestimmen, ob eine gesellschaftliche Strömung politisch von Relevanz ist. Denn in nichts anderem drückt sich das bundesweite Gewicht einer politischen Strömung deutlicher aus als in der Mobilisierung ihrer Anhänger im Rahmen der Bundestagswahl und dem Umsetzen dieses Gewichts in politischen Einfluss in Form von Mandatsträgern im Parlament. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass bei Bundestagswahlen häufig langfristige Grundüberzeugungen eine größere Rolle spielen als bei anderen Wahlen.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Ähnlich Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 50, juris.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Auch das vom Bundesverfassungsgericht für einen Förderanspruch vorausgesetzte Kriterium der Dauerhaftigkeit vermag das Abstellen auf den zweimal aufeinander folgenden Einzug in den Bundestag sachgerecht zu konkretisieren. Es ist nachvollziehbar und nicht willkürlich, dass die Beklagte den erstmaligen Einzug in den Bundestag nicht genügen lässt, um bereits von einer dauerhaften Grundströmung auszugehen. Denn mit dem Kriterium der Dauerhaftigkeit sollen solche politischen Strömungen ausgeschlossen werden, die nur kurzzeitig zum Beispiel aufgrund aktueller politischer Ereignisse politischen Zuspruch erfahren, denen es aber nicht gelingt, sich langfristig als gestaltende politische Strömung in der Bundesrepublik zu etablieren. Der aufeinander folgende wiederholte Einzug in den Bundestag rechtfertigt demgegenüber die Annahme einer Verfestigung einer neuen politischen Strömung und daher auch die Aufnahme in den Kreis der zu fördernden parteinahen Stiftungen.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Im Fall des Klägers liegt auch kein derartig atypischer Sonderfall vor, dass ein ausnahmsweises Absehen der Voraussetzung des zweifachen Einzugs gerechtfertigt wäre. Die Auffassung der Vorsitzenden des Klägers, die in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, es habe noch keine Partei gegeben, die in so kurzer Zeit so erfolgreich gewesen sei wie die AfD, weshalb das Kriterium des zweimaligen Einzugs auf die AfD nicht passe, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn selbst wenn man die Auffassung, die AfD habe in auffällig kurzer Zeit erhebliche Erfolge bei Wahlen erzielt, teilte, würde dies nämlich keine Aussage darüber zulassen, ob es sich um eine verfestigte Grundströmung oder lediglich um ein – gegebenenfalls auf aktuellen Ereignissen beruhendes – kurzzeitiges außerordentliches politisches Phänomen handelt. In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es umgekehrt genauso Fälle von Parteien, die nach kurzzeitigen teilweise erheblichen Erfolgen bei Wahlen nach einer Legislaturperiode bereits wieder den Einzug in die Parlamente verpasst haben. Erst der wiederholte Einzug rechtfertigt angesichts dessen die Annahme einer dauerhaften Strömung, weil er die Verfestigung der politischen Strömung belegt.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Es ist dabei rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte lediglich auf die Ergebnisse von Bundestagswahlen abstellt und nicht ergänzend die Ergebnisse von Landtagswahlen heranzieht. Es stellt keine sachfremde Erwägung dar, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Förderung um eine Bundesförderung handelt und daher allein bundesweite Ergebnisse maßgeblich sein sollen. Hieran ändert auch der Charakter der Bundesrepublik als Föderalstaat nichts. Denn wie bereits dargelegt ist im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu überprüfen, ob es Alternativen zur Verwaltungspraxis der Beklagten gibt, für die gute Gründe sprechen mögen, sondern nur ob das von der Beklagten gewählte Differenzierungskriterium unter keinem rechtlichen Aspekt mehr vertretbar ist. Eine rechtliche Pflicht – und nur eine solche wäre hier entscheidungserheblich –, die Landtagswahlergebnisse ergänzend in die Prüfung von Dauerhaftigkeit und Gewicht einer politischen Strömung einzubeziehen, lässt sich aus dem föderalstaatlichen Charakter der Bundesrepublik nicht ableiten. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht für einen Gleichbehandlungsanspruch ausdrücklich erhebliches Gewicht einer politischen Grundströmung in der Bundesrepublik Deutschland, also im gesamten Bundesgebiet verlangt. Insoweit lässt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht begründen, dass rein regionale Erfolge bei Landtagswahlen ein zwingendes Kriterium für das Gewicht einer politischen Grundströmung sein müssten.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Danach können auch die Ausführungen des Klägers in der Klageschrift keine willkürliche Ungleichbehandlung belegen, in denen der Kläger die Wahlergebnisse anderer Parteien mit denen der AfD in Vergleich setzt und hierbei über zwei Legislaturperioden Durchschnittswerte errechnet, welche hinsichtlich der AfD teilweise höher ausfallen als die Durchschnittswerte von Parteien, deren nahestehende Stiftungen gefördert würden. Es ist nach dem dargestellten Maßstab, in dem nur eine Willkürkontrolle der von der Beklagten angewandten Kriterien stattfindet, nicht zu beanstanden, dass die Beklagte formal auf den zweifachen Einzug in den Bundestag – also mittelbar auf das Überschreiten der 5%-Hürde oder den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten – abstellt. Bereits das Bundestagswahlrecht selbst lässt es zu, dass Stimmen aufgrund einer formalen Mindestgrenze nicht zu einem Einzug einer Partei in den Bundestag führen. Daher kann es kaum willkürlich sein, wenn auch die Förderpraxis der Beklagten sich an dieser – unstrittig verfassungsrechtlich zulässigen – formalen Hürde orientiert. Eine Durchschnittsrechnung, wie der Kläger sie vorschlägt, wäre methodisch insofern zwar denkbar, es lässt sich jedoch weder verfassungs- noch einfachrechtlich eine Pflicht der Beklagten begründen, genau diese Methode auch anzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis zweier aufeinander folgender Einzüge der nahestehenden Partei in den Deutschen Bundestag ist auch nicht deshalb sachfremd oder willkürlich, weil das Kriterium auf einem in einer „Gemeinsamen Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen“ von Stiftungsvertretern vom 06.11.1998 gemachten Vorschlag beruht. Der Beklagten steht es frei, bei der Bestimmung von Kriterien für eine Förderung Vorschläge von Privaten aufzunehmen, solange die vorgeschlagenen Kriterien selbst den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes genügen, also eine sachgerechte, nachvollziehbare und willkürfreie Differenzierung ermöglichen. Diese Voraussetzungen erfüllt das Kriterium des aufeinander folgenden zweifachen Einzugs in den Bundestag. Der vom Kläger vorgebrachte Einwand, die Gemeinsame Erklärung entfalte als private Meinungsäußerung keine Bindungswirkung, ist für sich genommen zwar rechtlich zutreffend, führt aber nicht zu einem Anspruch des Klägers. Denn im Rahmen der freiwilligen Gewährung von Zuwendungen folgt ein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG nur im Rahmen der von der Verwaltung geübten Verwaltungspraxis. Das Argument des Klägers, eine private Erklärung könne seine verfassungsmäßigen Ansprüche nicht einschränken, liegt danach neben der Sache, weil der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gleichbehandlungsanspruch nicht als verfassungsunmittelbarer unbedingter Zuwendungsanspruch, sondern nur als aus der Verwaltungspraxis abgeleiteter Teilhabeanspruch bestehen kann. Vor diesem Hintergrund schränkt die Gemeinsame Erklärung keine verfassungsrechtlichen Ansprüche des Klägers ein, sondern verfassungsrechtliche Ansprüche des Klägers können erst durch Verwaltungspraxis der Beklagten, die sich rechtmäßig an der Gemeinsamen Erklärung orientiert, begründet werden.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat das Differenzierungskriterium des zweifachen aufeinander folgenden Einzugs der nahestehenden Partei in den Bundestag auch willkürfrei auf den Kläger angewandt. Die dem Kläger nahestehende Partei AfD ist 2017 erstmalig und nach der Bundestagswahl 2021 zum zweiten Mal in den Bundestag eingezogen, sodass der Kläger das für die verfahrensgegenständlichen Förderjahrgänge maßgebliche Förderkriterium erst seitdem erfüllt. Dabei ist es insbesondere auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auch keinen teilweisen Zuschuss für das Jahr 2021 – quasi für den zeitlichen Abschnitt seit der Bundestagswahl 2021 – zuerkannt hat. Denn die Beklagte hat hierzu nachvollziehbar angegeben, dass in ihrer Förderpraxis bisher nie eine parteinahe Stiftung bereits im Jahr der Wahl gefördert wurde, durch welche die nahestehende Partei zum zweiten Mal in Folge in den Bundestag eingezogen ist. Dies hat sie an konkreten Beispielen aus ihrer Förderpraxis belegt. Es ist auch nicht willkürlich, bei der erstmaligen Aufnahme einer parteinahen Stiftung in den Kreis der Förderungsempfänger das Jahr außer Acht zu lassen, in welchem die Bundestagswahl stattfand, deren Ergebnis die Stiftung erstmalig zur Förderung qualifiziert. Es ist legitim, dass der Haushaltsgesetzgeber nicht gleichsam auf Verdacht eine Förderung in das Haushaltsgesetz des Wahljahres aufnimmt und die mit einer Wahl verbundene planerische Unsicherheit vermeidet. Da es keine rechtliche Verpflichtung dazu gibt, parteinahe Stiftungen überhaupt zu fördern, und die Beklagte auch andere parteinahe Stiftungen als den Kläger diesbezüglich nicht anders behandelt hat, ist ein Rechtsverstoß nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen ist eine gleichheitswidrige Behandlung der Anträge des Klägers im Einzelfall nicht gegeben. Soweit der Kläger damit argumentiert, dass er ungleich behandelt werde, weil die der FDP nahestehende Stiftung auch nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag in der Wahlperiode 2013 bis 2017 weitergefördert worden sei, dringt er damit nicht durch. Denn der von ihm angestellte Vergleich zwischen AfD und FDP stellt keine sachgerechte Vergleichsgruppenbildung dar. Hinsichtlich der Förderung des Klägers geht es um die Frage, ob die in der bundesrepublikanischen Geschichte vergleichsweise junge ihm nahestehende Partei AfD sich bereits in solchem Umfang verfestigt hat, dass sie bereits als dauerhafte politische Grundströmung betrachtet werden kann. Es geht also mit anderen Worten darum, erstmalig das notwendige Maß an politischem Einfluss und politischer Stabilität erlangt zu haben, um überhaupt aus Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Aufnahme in den Kreis der durch Globalzuschüsse geförderten parteinahen Stiftungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erlangen zu können. Die FDP dagegen gehörte – abgesehen von der Wahlperiode 2013 – 2017 – allen Deutschen Bundestagen seit 1949 in Fraktionsstärke an. Angesichts dessen ging es bei der FDP und der ihr nahestehenden Stiftung nicht um die erstmalige Begründung einer dauerhaften politischen Grundströmung von Gewicht, sondern um die Frage, ob aufgrund des (einmaligen) Ausscheidens aus dem Bundestag von einem Wegfall der Dauerhaftigkeit oder der politischen Bedeutung der Grundströmung auszugehen war. Diese beiden Situationen sind nicht vergleichbar, sodass schon deswegen die Ablehnung der Förderanträge des Klägers im Verhältnis zur fortlaufenden Bewilligung von Globalmitteln für die der FDP nahestehende Stiftung keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers darstellt. Vor diesem Hintergrund geht auch das Argument des Klägers, es könne nicht sein, dass der Kläger keine Förderung erhalte, obwohl die ihm nahestehende Partei im Zeitraum 2013 bis 2017 Oppositionsführerin gewesen sei, die der FDP nahestehende Stiftung in diesem Zeitraum aber 50 Millionen EUR erhalten habe, obwohl die FDP nicht im Bundestag vertreten gewesen sei, ins Leere.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Schließlich können auch die Ausführungen des Klägers zur Förderungshöhe der Globalzuschüsse an andere parteinahe Stiftungen keine Ungleichbehandlung des Klägers belegen. Denn verfahrensgegenständlich ist hier nicht die angemessene und gleichheitsgerechte Verteilung von Globalzuschüssen innerhalb der förderungsberechtigten parteinahen Stiftungen, sondern allein die Frage, ob der Kläger für sich bereits eine dauerhafte politische Grundströmung erheblichen Gewichts vertritt. Es ist insoweit zu unterscheiden zwischen der Identifikation des begünstigten Personenkreises durch eine sachgerechte Vergleichsgruppenbildung einerseits und der Bildung eines auf den Kreis dieser begünstigten Personen bezogenen sachgerechten Verteilungsschlüssels andererseits.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Ähnlich Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 30, juris.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist es unerheblich, dass die vom Kläger beantragte Summe gegenüber den anderen parteinahen Stiftungen gewährten Zuschüssen, wie der Kläger formuliert, „bescheiden“ sein mag. Denn das Verhältnis der vom Kläger beantragten Summe zu anderen Stiftungen bereits gewährten Globalzuschüssen sagt über die Frage, ob der Kläger dem Grunde nach anspruchsberechtigt ist, nichts aus.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Dahinstehen lässt die Kammer, ob das Kriterium des zweifachen aufeinander folgenden Einzugs in den Bundestag, wie der Kläger meint, einer ausdrücklichen Regelung in einem materiellen Parlamentsgesetz bedarf, da es auch nicht zu einem Erfolg der Klage führen würde, wenn man dieser Ansicht folgen sollte. Denn in diesem Falle wäre die Verwaltungspraxis der Beklagten, Stiftungen Globalzuschüsse zu gewähren, insgesamt rechtswidrig, sodass aus ihr auch unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 GG keine Teilhabeansprüche abgeleitet werden könnten. Bei rechtswidriger Verwaltungspraxis bietet Art. 3 Abs. 1 GG keine Grundlage dafür, ebenfalls rechtswidrig staatliche Leistungen zu erhalten. Daher ist ein unmittelbar aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteter Neubescheidungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Mittelvergabe, an der der Kläger partizipieren will, insgesamt unstatthaft ist.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. März 2012 – OVG 6 B 19.11 –, Rn. 15, juris.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Weitere einfach-rechtliche oder verfassungsunmittelbare Anspruchsgrundlagen, die der Klage zum Erfolg verhelfen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere kann sich der Kläger als parteinahe Stiftung nicht auf die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 GG berufen. Dies verbietet bereits die strikte inhaltliche und organisatorische Trennung zwischen dem Kläger einerseits und der ihm nahestehenden Partei andererseits.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1998 – 3 C 55.96 –, Rn. 38 ff., juris; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2008 – 3 KO 363/08 –, Rn. 27, juris; zweifelnd BeckOK GG/Kluth, 50. Ed. 15.02.2022, GG Art. 21 Rn. 50.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils und auf § 155 Abs. 2 VwGO hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt hinsichtlich des streitigen Teils aus §§ 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. 709 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 S. 1 VwGO. Denn es ist in der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bisher ungeklärt, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren ist, dass Globalzuschüsse an eine parteinahe Stiftung erst gewährt werden, nachdem die nahestehende Partei zweimal in Folge in den Deutschen Bundestag eingezogen ist.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">30.000 €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Betrag entspricht der Höhe der streitigen Geldleistung (§ 52 Abs. 3 GKG).</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,287
ovgnrw-2022-08-12-4-b-6121
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 B 61/21
2022-08-12T00:00:00
2022-08-24T10:01:08
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0812.4B61.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Beiladung des „Königreichs Deutschland“ wird abgelehnt.</p> <p>Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 23.12.2020 geändert.</p> <p>Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 1 K 5342/20 (VG Köln) geführten Klage gegen den Bestätigungsbescheid vom 24.8.2020 wird hinsichtlich der Anordnungen unter I. Nr. 1 und 3 des Bescheids wiederhergestellt und hinsichtlich der unter Nr. 5 und 6 des Bescheids ausgesprochenen Zwangsmittelandrohungen angeordnet.</p> <p>Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Antragstellerin zu ¾ und die Antragsgegnerin zu ¼.</p> <p>Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 10.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat kann trotz zwischenzeitlich erfolgter Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Antragstellerin über die Beschwerde entscheiden. Das Verfahren ist nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Eine Verfahrensunterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO setzt voraus, dass der Streitgegenstand „die Insolvenzmasse betrifft“. Dies ist hier nicht der Fall. Gegenstand des Verfahrens ist eine im Wege des Sofortvollzugs durchgeführte Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Schließung und Versiegelung einer Gaststätte sowie eine erweiterte Gewerbeuntersagung. Die Maßnahmen knüpfen an in der Person der Antragstellerin liegende Umstände an, nämlich daran, dass sie nicht über die erforderliche auch personenbezogene Gaststättenerlaubnis verfüge sowie gewerberechtlich unzuverlässig sei.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.1.2006 ‒ 6 C 21.05 ‒, juris, Rn. 8 ff., OVG NRW, Urteil vom 12.4.2011 – 4 A 1449/08 –, juris Rn. 17, und Beschluss vom 3.12.2018 – 4 B 1233/18 –, juris, Rn. 1 f., m. w. N, jeweils zur Gewerbeuntersagung.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">A. Dem sinngemäßen Antrag, das „Königreich Deutschland“ beizuladen, entspricht der Senat ungeachtet dessen nicht, ob dies überhaupt zulässig wäre.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht einen Dritten beiladen, wenn dessen rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Ein rechtliches Interesse besteht, wenn der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zu dem Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte. Unerheblich ist, ob die Rechtsposition, auf die die Entscheidung einwirken kann, durch öffentliches oder bürgerliches Recht begründet wird.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1981 ‒ 8 C 1.81 u. a. ‒, BVerwGE 64, 67 = juris, Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Senat kann nach Aktenlage bereits nicht feststellen, das „Königreich Deutschland“ könne zu der Antragstellerin in einer solchen Beziehung stehen, dass der Ausgang des Verfahrens seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte. Damit ist es jedenfalls auch nicht nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen. Inhaberin der Gaststätte und Adressatin des Bestätigungsbescheids über die Schließung der Gaststätte ist ausschließlich die Antragstellerin, die nach eigenem Bekunden diesen Betrieb geführt hat und führen möchte. Nur sie hat die Räume zur ausschließlichen Nutzung als Gaststätte gemietet und ist zur vom Vermieter ausdrücklich nicht genehmigten Untervermietung an das „Königreich Deutschland“ mietvertraglich nicht berechtigt. Eine solche ist durch die von der Antragstellerin vorgelegte „Firmen-Anmeldung“ auf einem Vordruck des „Königreichs Deutschland“, in dem sie selbst einen von ihr am 16.7.2020 aufgenommenen Gastronomiebetrieb als Einzelunternehmen „angemeldet“ hat, auch nicht erfolgt. Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag ein Schreiben des „Königreichs Deutschland“ vorgelegt, wonach auch dieses selbst sinngemäß geltend macht, der Rechtsstreit gegen den streitgegenständlichen Bestätigungsbescheid sei allein von der Antragstellerin zu führen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon gibt es für das Vorbringen der Antragstellerin, das „Königreich Deutschland“ betreibe nunmehr diese Lokalität als „Zweckbetrieb“, den sie als Inhaberin nur für das allein verantwortliche Königreich führe, ohne selbst hierfür Verantwortung zu tragen, keine nachvollziehbare Grundlage im geltenden Recht, das die Antragstellerin ausdrücklich vorgibt einzuhalten.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Beim „Königreich Deutschland“ handelt es sich nicht um einen Staat im Sinne des Völkerrechts, der seine eigene Rechtsordnung schaffen könnte. Maßgeblich für das Bestehen eines Staates ist das Vorhandensein eines Staatsvolks, eines Staatsgebiets und einer souveränen Staatsgewalt. Erforderlich ist, dass sich ein auf einem bestimmten Gebiet sesshaftes Volk unter einer selbstgesetzten, von keinem Staat abgeleiteten, effektiv wirksamen und dauerhaften Ordnung organisiert hat.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.9.1993 – 1 C 25.92 –, BVerwGE 94, 185 = juris, Rn. 21.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das „Königreich Deutschland“ erfüllt diese Voraussetzungen nicht und ist als Staat auch völkerrechtlich nicht anerkannt. Es verfügt bereits nicht über ein eigenes Staatsgebiet, sondern nutzt ausschließlich Teile des Bundesgebiets.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Das verantwortliche Betreiben von Zweckbetrieben durch abhängige Inhaber ist dem „Königreich Deutschland“ nach dem im ganzen Bundesgebiet geltenden deutschen Recht auch nicht deshalb möglich, weil die Antragstellerin sich auf seine Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG beruft. Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.9.2014 – 1 BvR 3017/11 –, juris, Rn. 13, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Von dieser Freiheit haben Menschen, die sich dem „Königreich Deutschland“ zugehörig fühlen, schon deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil es bereits an einer von allen Gründungsmitgliedern beschlossenen Vereinssatzung (§§ 25, 27 Abs. 1 BGB) bzw. einem von den Gesellschaftern geschlossenen Gesellschaftsvertrag (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 705 Abs. 1 BGB) fehlt. Vielmehr ergibt sich aus der sogenannten Verfassung des „Königreichs Deutschland“,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl. „Verfassung des Königreichs Deutschland“, abgerufen am 12.8.2022 unter: https://koenigreichdeutschland.org/de/verfassung.html,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">dass Q.     G.      diese als selbsternannter „Oberster Souverän Q.     I.“ und „Freier Souverän und Treuhänder“ „bestimmt und verkündet“ hat und sich gemäß Art. 92 Abs. 1 dieser Verfassung bis zu einer in unbestimmter Zukunft liegenden „Wahl des Königs“ zur Ausübung der sogenannten „obersten Staatsgewalt“ als allein berechtigt ansieht. Auch sonst ist keine dem in Deutschland geltenden Recht entsprechende Organisationsform erkennbar, aus der das „Königreich Deutschland“ auf der Grundlage von Art. 9 GG eigene Rechte im Zusammenhang mit der Führung des Betriebs der Antragstellerin ableiten könnte. Eine Stiftung bürgerlichen Rechts ist es schon deshalb nicht, weil es an einer gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes fehlt.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Auch Art. 11 Abs. 1 EMRK vermittelt keinen weitergehenden Schutz. Die danach gewährte Freiheit, eine Vereinigung zu bilden, darf nach Art. 11 Abs. 2 EMRK Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Gesetzlich vorgesehene Gründungsakte durch alle Personen, die eine Vereinigung bilden möchten, sind in diesem Sinne zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, so dass auf sich beruhen kann, ob die Bildung einer neuen Staatsform, die die Formen einer „direkten aufsteigenden Demokratie in der Organisationsform einer Räterepublik mit einer konstitutionellen Wahlmonarchie vereinigen soll (Art. 3 Verfassung KDR), durch einen Einzelnen, der sich als „Souverän“ versteht, überhaupt in den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK fällt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. allgemein zur Gewährleistung nach Art. 11 EMRK: EGMR, Urteil vom 17.2.2004 – 44158/89 Gorzelik u. a./Polen –, NVwZ 2006, 65, Rn. 88 f.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">B. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig (dazu unten I.), jedoch nur teilweise begründet (dazu unten II.).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">I. Der Antrag ist zulässig. Da die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zu einer Verbesserung der Rechtsstellung der Antragstellerin führen kann, ist ihr Rechtsschutzinteresse zu bejahen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu den Voraussetzungen: OVG NRW, Beschluss vom 16.12.2019 – 4 B 966/19 –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon, dass die Antragstellerin als Adressatin des Bestätigungsbescheids vom 24.8.2020 und Inhaberin der geschlossenen Gaststätte formal beschwert ist, stünden dieser Bescheid und die vorgenommene Schließung bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage während des Klageverfahrens der weiterhin beabsichtigten Fortführung ihrer gewerblichen Tätigkeit nicht mehr entgegen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">II. Die Beschwerde gegen die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die am 29.7.2020 erfolgte und mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.8.2020 unter I. Nr. 2 bestätigte Schließung und Versiegelung des Gaststättenbetriebs der Antragstellerin in der C.        H.          Straße 537 in L.    richtet (dazu unten 1.). Sie ist hingegen bezogen auf die unter I. Nr. 1 und 3 bestätigte erweiterte Gewerbeuntersagung sowie die Zwangsmittelandrohungen unter I. Nr. 5 und 6 begründet (dazu unten 2.).</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1. Die Rechtmäßigkeit der Schließung und Versiegelung der Gaststätte als Maßnahme des Verwaltungszwangs richtet sich nach den §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 66, 69 VwVG NRW. Nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW kann der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Verwaltungszwangsmaßnahmen ohne vorausgehenden Verwaltungsakt sind nur dann zulässig, wenn der Zweck der Maßnahme nicht durch den Erlass eines Verwaltungsakts und die Anordnung der sofortigen Vollziehung erreicht werden kann. Mit einem derartigen sofortigen Vollzug soll einer Gefahr begegnet werden können, die aufgrund außergewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Vorgehen im Sinne des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, also auf der Grundlage eines unanfechtbaren oder sofort vollziehbaren Verwaltungsakts sowie nach vorheriger Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels, nicht zulässt. Ohne das sofortige Tätigwerden der Behörde im Wege des Verwaltungszwangs muss mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Schadens für ein geschütztes Rechtsgut unmittelbar bevorstehen. Eine solche Situation ist insbesondere dann gegeben, wenn die mit einem Einschreiten gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufheben oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die Gefahr wirkungsvoll abzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.6.2015 – 7 A 457/14 –, juris, Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen lagen bei der am 29.7.2020 erfolgten Schließung und Versiegelung der Gaststätte vor. Die Antragsgegnerin hat hierbei als Maßnahme des Verwaltungszwangs nach den §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 66, 69 VwVG NRW innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt [dazu unten a)]. Schließung und Versiegelung waren zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr auch notwendig [dazu unten b)]. Die sinngemäße Erklärung unter I. Nr. 2 des Bestätigungsbescheids, bei Anwendung des gestreckten Verfahrens wäre die Antragstellerin aufgefordert worden, innerhalb eines Monats ab Vollziehbarkeit der Verfügung das Verabreichen alkoholischer Getränke zum Verkehr an Ort und Stelle zu unterlassen, bezog sich ausschließlich auf das ‒ hier nicht gewählte ‒ gestreckte Verfahren. Die dort genannte Frist war mithin für das Vorgehen im Sofortvollzug nach bereits vollzogener Versiegelung von Anfang an ohne eigene Bedeutung [dazu unten c)].</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">a) Die Antragsgegnerin war zu der im Wege der Versiegelung vollstreckten und mit Bescheid vom 24.8.2020 bestätigten Schließung des Gaststättenbetriebs nach § 31 GastG i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO befugt.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Nach § 31 GastG i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben wird. Nach § 1 GastG betreibt ein Gaststättengewerbe, wer im stehenden Gewerbe Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Schankwirtschaft) oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (Speisewirtschaft), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Unverzichtbares Merkmal des Gewerbebegriffes ist dabei die Absicht der Gewinnerzielung.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1985 – 1 C 14.84 –, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Für den Betrieb eines Gaststättengewerbes bedarf es gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG einer Erlaubnis. Nach Absatz 2 der vorgenannten Vorschrift bedarf einer Erlaubnis hingegen u. a. nicht, wer alkoholfreie Getränke, unentgeltliche Kostproben, zubereitete Speisen verabreicht. Die Vorschriften des Gaststättengesetzes über den Ausschank alkoholischer Getränke finden gemäß § 23 Abs. 1 GastG auch auf Vereine und Gesellschaften Anwendung, die kein Gewerbe betreiben; dies gilt nicht für den Ausschank an Arbeitnehmer dieser Vereine oder Gesellschaften. Gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 GastG ist u. a. § 2 GastG nicht anwendbar, wenn in den Fällen des Absatzes 1 alkoholische Getränke in Räumen ausgeschenkt werden, die im Eigentum dieser Vereine oder Gesellschaften stehen oder ihnen mietweise, leihweise oder aus einem anderen Grunde überlassen und nicht Teil eines Gaststättenbetriebes sind.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Nach diesen rechtlichen Maßstäben konnte die Fortsetzung des Betriebs verhindert werden. Der Betrieb der Antragstellerin war ein erlaubnispflichtiges Gaststättengewerbe [dazu unten aa)], für das die Antragstellerin keine Erlaubnis hatte [dazu unten bb)]. Überdies war die Schließung zu Recht gegen sie als Inhaberin und Mieterin der Gaststätte gerichtet und dementsprechend auch ihr gegenüber mit der angegriffenen Verfügung bestätigt worden [dazu unter cc)].</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">aa) Das Lokal „M. ´b. c.“, C.        H.          Straße 537 in L.    , dessen Weiterbetrieb die Antragstellerin beabsichtigt, stellte ein Gaststättengewerbe im Sinne des § 1 Abs.1 GastG dar. In dem Lokal wurden Getränke und Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle mit dem Ziel der Gewinnerzielung verabreicht (Schank- und Speisewirtschaft).</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der Gewinnerzielungsabsicht steht nicht entgegen, dass sich nach Angaben der Antragstellerin die Ein- und Ausgaben des Betriebs die Waage gehalten und gerade so ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihrer Familie sichergestellt hätten. Die Antragstellerin handelte nicht aus rein sozialen oder ideellen Motiven, sondern bestritt schon nach ihrem eigenen Vortrag ihren Lebensunterhalt aus den im Gaststättenbetrieb erwirtschafteten Einnahmen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Betrieb des Gaststättengewerbes der Antragstellerin war weder gemäß § 2 Abs. 2 GastG noch nach § 23 Abs. 2 Satz 1 GastG erlaubnisfrei. Nach den nicht mit durchgreifenden Einwänden in Zweifel gezogenen durch entsprechende Lichtbilder dokumentierten Feststellungen der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in ihrem Lokal sowohl alkoholische Getränke ausgeschenkt als auch vor Ort zubereitete Speisen verabreicht. Aus dem Bericht über die Gaststättenkontrolle vom 29.7.2020 geht hervor, dass vor Ort ein Koch und eine Küchenhilfe, welche in der Küche Speisen zubereiteten, angetroffen, in der Frischetheke frisch zubereitete Antipasti und Kuchen vorgefunden sowie Speise- und Getränkekarten vorgehalten wurden und in einem Regal im Gastraum eine reichhaltige Auswahl an Weinen bereitstand. Die Gaststätte stellt auch kein Vereinslokal im Sinn von § 23 Abs. 2 Satz 1 GastG dar. Sie ist dem „Königreich Deutschland“, das – wie oben ausgeführt – schon kein Verein im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist, vom Eigentümer nicht überlassen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">bb) Die Antragstellerin ist auch nicht Inhaberin der erforderlichen gaststättenrechtlichen Erlaubnis. Es kann dahin stehen, ob die ihr unter dem 16.10.2015 erteilte Gaststättenerlaubnis schon durch die am 1.12.2015 erfolgte Gewerbe-Abmeldung zum 23.10.2015, durch Verzicht oder nach § 8 Satz 1 GastG erloschen ist.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 3.12.1996 – 14 S 2158/96 –, juris, Rn. 22 f.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls hat sich die gaststättenrechtliche Erlaubnis vom 16.10.2015 im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG NRW auf andere Weise erledigt. Die Steuerungsfunktion des Verwaltungsakts geht auch verloren, wenn die an einem Verwaltungsakt Beteiligten – sei es als Behörde, als Adressat oder als unmittelbar oder nur mittelbar Betroffener – übereinstimmend dem ursprünglichen Verwaltungsakt keinerlei tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr beimessen. Das setzt keinen Verzichtswillen voraus, sondern nur "konsensuales" Verhalten. Ähnlich dem Verlust der Wirksamkeit durch Zeitablauf, stellen sich die Beteiligten bewusst auf eine neue, veränderte Sachlage ein, die sie ihrem weiteren Verhalten nunmehr zugrunde legen. Sie verändern übereinstimmend gleichsam die "Geschäftsgrundlage". Die Rechtsordnung nimmt dies hin. Sie hält die Beteiligten keineswegs an einem früheren Verwaltungsakt fest, wenn die Beteiligten diesen als "erledigt" ansehen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.1998 – 4 C 11.97 –, juris, Rn. 14 ff., 17.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten sind im Streitfall übereinstimmend nicht vom Fortbestehen der gaststättenrechtlichen Erlaubnis ausgegangen. Die Antragstellerin hält eine gaststättenrechtliche Erlaubnis für entbehrlich. Sie hat ausdrücklich erklärt, ein Weiterbetrieb einer nach dem Gaststättengesetz erlaubnispflichtigen Gaststätte sei jedenfalls seit dem 28.7.2020 von ihr nicht beabsichtigt. Die Antragsgegnerin hatte bereits aus der Abmeldung des Betriebs zum 23.10.2015 gefolgert, dass die erteilte Gaststättenerlaubnis nicht mehr fortbesteht. Haben sich danach beide Beteiligten jedenfalls seit dem 28.7.2020 in ihrem tatsächlichen Verhalten auf die fehlende Fortgeltung der Gaststättenerlaubnis eingestellt, ist unerheblich, ob sich die Vorstellung der fehlenden Fortgeltung aufgrund eines Rechtsirrtums gebildet hat.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.1998 – 4 C 11.97 –, juris, Rn.19.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">cc) Die unmittelbar vollzogene Schließung richtete sich zu Recht gegen die Antragstellerin, auch wenn sie selbst das „Königreich Deutschland“ als verantwortlichen Betreiber anführt. Inhaberin der Gaststätte ist nach den Ausführungen oben unter A. II. ausschließlich die Antragstellerin. Gewerberechtlich ist das „Königreich Deutschland“ ein nach Art eines „Strohmanns“ vorgeschobener Betriebsverantwortlicher, dem selbst an dem Betrieb keine Rechte zustehen.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Strohmann-Verhältnis BVerwG, Urteil vom 14.7.2003 – 6 C 10.03 –, juris, Rn. 25, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin war selbst Mieterin der Gaststätte, unterhielt die geschäftlichen Beziehungen u. a. zu den Lieferanten und war überdies am Eingang als Inhaberin des Gaststättenbetriebs angegeben. Dass sich die Antragstellerin dabei als Inhaberin eines Zweckbetriebs des „Königreichs Deutschland“ verstanden haben will, dem an dem Betrieb keine eigenen Rechte zustehen können, ist für die Frage ihrer gewerberechtlichen Verantwortlichkeit unerheblich. Nichts anderes ergibt sich aus den Angaben auf ihrer Internetseite und am Ladenlokal, wonach der Zutritt nur für Staatsangehörige und Zugehörige des „Königreichs Deutschland“ vorgesehen sei, mit dem Betreten der Räumlichkeiten aber temporär diese Staatszugehörigkeit erworben werde. Diese Angaben und Hinweise sind nach dem geltenden deutschen Recht unbeachtlich, weil das „Königreich Deutschland“ weder nach Völkerrecht noch unter dem Schutz der Vereinigungsfreiheit zur Setzung entsprechender Regeln befugt ist. Auch aus ihrem Hausrecht steht der Antragstellerin als Betriebsinhaberin nicht das Recht zu, die gesetzlichen Vorgaben zum Betrieb eines Gaststättenbetriebs, unter anderem ausschließlich im Rahmen einer staatlichen Erlaubnis, außer Kraft zu setzen. Dabei ist unerheblich, dass sie rechtsirrig annimmt, sie sei nach deutschem Vereinsrecht zur Betriebsführung ohne Erlaubnis berechtigt.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">b) Die Anwendung des Verwaltungszwangs war auch zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Die mit einem Einschreiten im gestreckten Verfahren gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen hätten die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufgehoben oder wesentlich beeinträchtigt. Die Gefahr einer Fortführung eines unerlaubten Gaststättengewerbes hätte sich gegenwärtig weiter verwirklicht. Die Antragstellerin war nicht bereit, den unerlaubten Gaststättenbetrieb einzustellen, sondern hielt sich zu seiner Fortführung ohne Erlaubnis in Form eines vermeintlichen Vereinslokals für berechtigt. Nachdem sich am 28.7.2020, dem Tag an dem das Lokal als Zweckbetrieb des „Königreichs Deutschland“ eröffnet worden war, Herr G.      als Verantwortlicher ausgegeben hatte, war die Antragstellerin anlässlich der Kontrolle am Folgetag zwar bei der Angabe ihrer Personalien kooperativ, aber nicht mit den ordnungsbehördlichen Maßnahmen einverstanden. In der Fortführung des Betriebs hätte sich überdies nicht nur die Gefahr des Fortbetriebs eines formell rechtswidrigen Gaststättenbetriebs verwirklicht. Vielmehr wäre eine Fortführung durch die Antragstellerin unter der von ihr vorgegebenen Verantwortung des „Königreichs Deutschland“ auch mit materiellem Recht nicht vereinbar gewesen. Schon am Eröffnungstag waren Hygienevorschriften unter dem Vorwand nicht eingehalten worden, neben dem Recht des „Königreichs“ seien keine weiteren Rechte zu beachten. Nach den behördlichen Feststellungen hat sich die Antragstellerin als unzuverlässig für den Betrieb einer Gaststätte erwiesen, weil sie das „Königreich Deutschland“ erkennbar als allein für die Betriebsführung verantwortlich ansah, hierfür selbst keine Verantwortung übernahm und jegliche Bereitschaft fehlte, den Betrieb unter Beachtung des geltenden deutschen Rechts zu führen. Vor diesem Hintergrund bot sie nicht die Gewähr dafür, dass sie ihr Gewerbe künftig in eigener Verantwortung und im Einklang mit dem geltenden Recht ordnungsgemäß betreiben wird.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2022 – 4 B 115/21 –, juris, Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat zudem entgegen anderslautender Beteuerungen unmissverständlich erkennen lassen, sie werde geltende Vorschriften beim Betrieb ihrer Gaststätte nicht beachten. Sie, die sich als Staatsangehörige des „Königreichs Deutschland“ begreift, hatte in ihrer Erklärung vom 27.6.2020 gelobt, die Verfassung und die Gesetze des „Königreiches Deutschland“ zu achten und sich vorbehaltlos für ihren Erhalt einzusetzen. Diese Regeln betrachtet sie im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs als vorrangig. Dies ergab sich schon aus dem Impressum auf der Homepage des Gaststättenbetriebs, auf das sich die Antragstellerin in ihrer Erklärung an Eides statt vom 3.12.2020 selbst bezieht. Darin wurden Gäste darauf hingewiesen, dass sie „für die Dauer der Geschäftsbeziehung […] eine temporäre Zugehörigkeit zum Königreich Deutschland (KDR)“ besäßen und „damit die Verfassung, die Gesetze und die Gerichtsbarkeit des KDR“ nutzten, die sie „bei rechtlichen Schwierigkeiten erstrangig zu wählen“ hätten. Mit der von ihr zu Unrecht erfolgten rechtlichen Einordnung als Vereinslokal des „Königreichs Deutschland“, die sie auch mit Betretungshinweisen in Form nur scheinbarer Zutrittsbeschränkungen („Kein öffentliches Ladengeschäft. Zutritt nur für Staatsangehörige und Zugehörige des Königreichs Deutschland.“ „Hausordnung: Mit dem Betreten der Räumlichkeiten sind sie temporär Staatszugehöriger des Königreichs Deutschland und damit einverstanden. Es entstehen keine weiteren Rechte oder Pflichten.“) zum Ausdruck gebracht hat, hat sie den Betrieb ihrer Gaststätte der für alle Gaststättenbetreiber zum Schutz der Allgemeinheit geltenden Erlaubnispflicht und den sonstigen Vorgaben des geltenden Rechts unzulässigerweise eigenmächtig entzogen. Eine Grundlage für die Annahme, sie werde ihr Gewerbe künftig im Einklang mit dem geltenden Recht ordnungsgemäß betreiben, war damit offenkundig und gegenwärtig nicht mehr gegeben.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">c) Die in I. Nr. 2 des Bestätigungsbescheids erfolgte Fristsetzung von einem Monat ab Vollziehbarkeit der Verfügung vom 24.8.2020 hatte von Anfang an nach bereits vollzogener Schließung und Versiegelung keine eigenständige Bedeutung. Durch die einleitende Begründung unter I. des Bestätigungsbescheids sollte hierdurch nur zum Ausdruck gebracht werden, mit welchem Inhalt die Antragsgegnerin bei Anwendung des gestreckten Verwaltungsverfahrens der Antragstellerin gegenüber die Ordnungsverfügung erlassen hätte. Ungeachtet dessen hätte sich die Fristsetzung, wollte man ihr eine eigenständige Bedeutung beimessen, angesichts der unter I. Nr. 4 ergangenen sofortigen Vollziehung seit langem erledigt, weshalb insofern für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage jedenfalls kein Raum mehr ist.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">2. Bezogen auf die Anordnungen der Bestätigungsverfügung unter I. Nr. 1 und 3 sowie Nr. 5 und 6 ist der Antrag begründet, weil die Voraussetzungen für die Anwendung von Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW insoweit nicht gegeben waren und die Antragstellerin unzulässig davon abgesehen hat, im gestreckten Verwaltungsverfahren vorzugehen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die mit Bescheid vom 24.8.2020 bestätigte erweiterte Gewerbeuntersagung und die Androhung der Zwangsmittel sind rechtswidrig, weil dafür die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG NRW insoweit nicht vorlagen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die erweiterte Gewerbeuntersagung nebst Zwangsmittelandrohung hätte im gestreckten Verfahren gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW erfolgen können, ohne dass sich durch die damit verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufgehoben oder wesentlich beeinträchtigt worden wäre. Mit der erfolgten sofortigen Schließung und Versiegelung des Gaststättenbetriebs der Antragstellerin war ihre selbstständige gewerbliche Tätigkeit bereits sofort wirksam unterbunden. Anhaltspunkte dafür, weshalb daneben eine sofortige erweiterte Gewerbeuntersagung hätte geboten sein können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dasselbe gilt für die Androhung unmittelbaren Zwangs in Form der – bereits erfolgten – zwangsweisen Schließung und Versiegelung der Betriebsräume sowie die Androhung eines Zwangsgelds bei Aufnahme einer von der Gewerbeuntersagung erfassten Tätigkeit. Auch wenn diese Anordnungen ebenfalls als solche mitgeteilt worden sind, die bei Anwendung des gestreckten Verwaltungsverfahrens erlassen worden wären, gehen die Beteiligten sinngemäß in ihrem Vorbringen übereinstimmend davon aus, die Antragstellerin solle tatsächlich einer mit Zwangsmittelandrohungen flankierten erweiterten Gewerbeuntersagung ausgesetzt sein. Zur vorläufigen Beseitigung dieses möglicherweise zu Unrecht entstandenen Rechtsscheins bedarf es der Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Dabei hat der Senat eine Quote zwischen festgesetztem und einem fiktiven Streitwert für die bestätigte Schließung und Versiegelung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von 7.500,00 Euro gebildet.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Die Antragstellerin wendet sich gegen die in der angegriffenen Bestätigungsverfügung auch ausgesprochene erweiterte Gewerbeuntersagung, für die der Streitwert im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes auf mindestens 10.000,00 Euro zu bemessen ist.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.2.2019 – 4 B 114/19 –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Regelungen zur Verhinderung der Fortsetzung des Betriebs im Sinne des § 15 Abs. 2 GewO werden nach ständiger Praxis des Senats bei der Bemessung des Streitwerts nicht berücksichtigt, wenn sie mit einer Entscheidung verbunden sind, die der Fortführung eines Gewerbes entgegen steht.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.5.2016 – 4 B 162/16 –, juris, Rn. 19, in Fällen des Widerrufs oder der Ablehnung einer Gewerbeerlaubnis.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
346,276
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S 9 R 2835/20
2022-08-12T00:00:00
2022-08-23T10:01:11
2022-10-17T11:09:23
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.2020 verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften mit Wirkung der Antragstellung zu gewähren.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten</p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1975 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Arzthelferin und war zuletzt als angestellte Sachbearbeiterin bei der Deutschen Bahn sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 18.03.2019 ist sie wegen psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig erkrankt. Stationäre Krankenbehandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen blieben erfolglos. Die Klägerin beantragte daher am 23.04.2020 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Beklagte zog daraufhin medizinische Unterlagen bei und ließ diese durch die Fachärztin für Psychiatrie und Sozialmedizin Dr. H. auswerten. Diese stellte folgende Funktionsdiagnose: Funktionell mittelgradiger psychischer Systemkomplex mit Depression auf Basis einer posttraumatischen Belastungsstörung und dissoziative Symptome. Trotz dieser Gesundheitsstörungen bestehe weiterhin ein quantitativ uneingeschränktes Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die Beklagte lehnte im Anschluss gestützt darauf den Antrag mit Bescheid vom 16.06.2020 ab.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2020 als unbegründet zurück. Sie war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen sowie erhöhten Anforderungen an die psychomentale Belastbarkeit keine quantitative Leistungsminderung begründbar sei. Eine geistig-seelisch anspruchsarme Tätigkeit sei der Klägerin noch im arbeitstäglichen Umfang von mindestens sechs Stunden zumutbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Dagegen hat die Klägerin am 22.09.2020 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Sie hält sich unter Verweis auf den Entlassbericht der G.-Klinik vom 20.05.2019 und auf den Entlassbericht des K.-Klinikums vom 15.01.2020 für voll erwerbsgemindert. Ihre dissoziative Identitätsstörung habe ein derart erhebliches Ausmaß erreicht, dass an eine geregelte Arbeit nicht mehr zu denken sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Das Gericht hat im Laufe des Klageverfahrens die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Der Dipl.-Psych. Herr R. hat mit sachverständiger Zeugenauskunft vom 12.12.2020 berichtet, die Klägerin sei aufgrund der klinisch bestätigten Vielzahl dissoziativer Amnesien und Identitätswechsel aktuell nicht arbeitsfähig. Durch die Persönlichkeitswechsel sei keine Kontinuität von Aufmerksamkeit und Konzentration und Wissenserwerb bzw. -abruf möglich. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. hat mit sachverständiger Zeugenauskunft vom 14.12.2020 ausgeführt, bei voller Orientierung würden sich immer mnestische Defizite und Lücken im Zeiterleben zeigen. Dissoziative Amnesien hätten, fremdanamnestisch untermauert, auch längere Zeit andauernd eruiert werden können. Die Klägerin finde sich zum Teil an ihr fremden Orten wieder im Sinne einer dissoziativen Fugue. Es bestehe ein Depersonalisationserleben, oft unvorhersehbar ausgelöst durch Hinweisreize auf früher als traumatisierend erlebte Situationen. Aufgrund der Schwere der dissoziativen Erkrankung und der damit verbundenen Beeinträchtigungen sei eine Arbeitsfähigkeit nicht gegeben. Mit einer jahrelangen Behandlungszeit bei gleichzeitig offenem Behandlungsergebnis sei zu rechnen. Die Hausärztin Frau H. hat mit sachverständiger Zeugenauskunft vom 28.12.2020 vertreten, eine körperlich leichte und nervlich wenig belastende Berufstätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens drei Stunden und mehr täglich sei gegenwärtig ausgeschlossen. Die orthopädischen Leiden der Klägerin stünden im Vergleich zur dissoziativen Identitätsstörung nicht im Vordergrund.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Beklagte hat die sachverständigen Zeugenauskünfte der Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie Frau R. zur Auswertung vorgelegt. Diese hat mit sozialmedizinischer Stellungnahme vom 28.01.2021 mitgeteilt, die sachverständigen Zeugenauskünfte könnten nicht überzeugen. Es liege seitens der Hausärztin keine plausible Erklärung für die von ihr – fachfremd – ausgesprochene Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor. Auch die Aussage des behandelnden Psychotherapeuten sei nicht plausibel und konsistent. Denn er benenne nur Symptome, nicht aber aus der Symptomebene abgeleitete Funktionseinschränkungen. Die von Dr. H. angegebenen Befunde seien für eine Leistungsbeurteilung ungenau und diffus. Es sei nicht daran zu zweifeln, dass die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leide. Die Schwere der beschriebenen Symptomatik sei aber nicht nachvollziehbar. Dr. H. beschreibe die Herstellung eines therapeutischen Bündnisses, welches aber bei der beschriebenen schweren Symptomatik kaum herstellbar sein dürfte. Wenn die Klägerin hochmotiviert für die weitere Behandlung sei, dann verfüge sie auch über gute Ressourcen, welche vom Therapeuten im Sinne der Integration ins Leben, damit auch ins Berufsleben, eingesetzt werden sollten. Zuletzt benenne Dr. H. keine Funktionseinschränkungen nach dem etablierten Mini ICF-APP (Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivität- und Partizipationsstörung bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der WHO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Das Gericht hat sodann von Amts wegen ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in Auftrag gegeben. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung am 02.03.2021 mit Gutachten vom 12.04.2021 ausgeführt, die Klägerin sei für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig leistungsfähig. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen. Der psychische Befund sei ebenso unauffällig gewesen. Eine psychische Störung sei nach den diagnostischen Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde bei der Klägerin nicht zu diagnostizieren. Die Kernsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung seien bei der Klägerin weder aktuell zu beobachten noch in den Akten beschrieben. Von den Behandlern sei verschiedentlich das Vorliegen dissoziativer Störungen, alternativ eines zerebralen organischen Anfallsleidens (Epilepsie) in Betracht gezogen, jedoch niemals objektive Befunde erhoben worden, die die eine oder die andere Diagnose tatsächlich begründen könnten. Bei der psychologischen Untersuchung hätten sich im Wesentlichen normgerechte kognitive Leistungen ergeben. Gleichzeitig habe die Klägerin in den entsprechenden Validierungsverfahren jeweils den kritischen Grenzwert für die Annahme negativer Antwortverzerrung bei weitem überschritten, so dass von einem bewussten Manipulationsversuch auszugehen sei. Die Klägerin erscheine suggestibel, habe sie doch im Rahmen der diversen psychotherapeutischen Behandlungen immer mehr Symptome geschildert und schließlich auch demonstriert. Das Verhalten der Klägerin werde auch durch sekundären Krankheitsgewinn aufrechterhalten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Klägerin hat gegen das Gutachten des Prof. Dr. S. mit Schriftsatz vom 14.05.2021 Einwendungen erhoben. Der im Anschluss ergänzend gutachterlich gehörte Prof. Dr. S. hat mit Schreiben vom 08.06.2021 an seiner Expertise vom 12.04.2021 festgehalten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Das Gericht hat sodann auf Kostenrisiko der Klägerin ein Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. in Auftrag gegeben. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung am 10.01.2022 mit Gutachten vom 26.04.2022 ausgeführt, der Klägerin seien ausschließlich Tätigkeiten im Umfang von unter drei Stunden arbeitstäglich unter kontinuierlicher Begleitung und Strukturierung sowie Anleitung und gegebenenfalls Fehlerkontrolle durch Dritte möglich. Grund hierfür sei die ausgeprägte Störung der Bewusstseinskonsistenz durch immer wieder auftretende Wechsel in dissoziierte Persönlichkeitsanteile verbunden mit einer erheblichen Störung von Handlungskontrolle, Kommunikation, Gedächtnis und emotionaler Kontrolle. Die klinische Exploration habe keinen Anlass einer dramatischen oder inszenierten Vorstellung von Symptomen gegeben. Vielmehr habe sich die Klägerin um Klarheit bemüht. Anamnestische Inkonsistenzen bestünden nicht. Die Beschwerdeschilderung sei fast affektdistanziert, sehr konzentriert aber auch mit großer Anstrengung erfolgt. Weiterhin habe sich eine Suggestibilität, z.B. durch mehr Nachfragen nach Beschwerden mehr Schilderungen hervorzurufen, nicht nachweisen lassen. Das Antwortverhalten der Klägerin sei differenziert gewesen. Widersprüchliche Fragen hätten zu Irritation und Nachfragen geführt. Untypische Symptomkombinationen seien nicht aufgetaucht. Die Herangehensweise von Prof. Dr. S. verunmögliche die Diagnose psychischer Erkrankungen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Das Gericht hat Prof. Dr. S. sodann das Gutachten des Dr. W. vom 26.04.2022 mit der Bitte um ergänzende gutachterliche Stellungnahme übersandt. Prof. Dr. S. hat mit Schreiben vom 13.05.2022 an seinem gutachterlichen Ergebnis festgehalten. Dr. W. habe selbst auf körperlichem und neurologischem Gebiet keine Auffälligkeiten feststellen können, behaupte aber ohne Durchführung der entsprechenden testpsychologischen Diagnostik gleichwohl wesentliche kognitive Beeinträchtigungen. Noch schwerer wiege, dass er keine Validierung der angegebenen Beeinträchtigungen durchgeführt habe, sondern diese Beschwerdeangaben unkritisch als Befunde gewertet habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Klägerin erachtet die Klage unter Verweis auf das Gutachten des Dr. W. sowie der Angaben ihrer behandelnden Ärzte weiterhin für begründet. Insbesondere aus dem Befundbericht der Psychologischen Psychotherapeutin Frau K. vom 02.08.2022 ergebe sich deutlich die dissoziative Identitätsstörung (vgl. Gerichtsakte Bl. 347-348).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.2020 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften mit Wirkung der Antragstellung zu gewähren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und stützt sich hierzu im Wesentlichen auf die Ausführungen ihres sozialmedizinischen Dienstes sowie den gutachterlichen Ausführungen des Prof. Dr. S..</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG sowohl zulässig, als auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Sie hat einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 01.05.2020.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>1.Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 des Sechsten Sozialgesetzbuchs (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben – bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen – Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche – ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>2. Davon ausgehend steht der Klägerin eine Erwerbsminderungsrente zu. Eine volle Erwerbsminderung aufgrund der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen ist zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Sie ist nicht mehr in der Lage, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Diese Leistungseinschränkung besteht seit dem 11.04.2019 (Aufnahme in die erste stationäre Behandlung).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Für diese Überzeugung stützt sich die erkennende Kammer auf das umfassend begründete und nachvollziehbare Gutachten des Dr. W. vom 26.04.2022 sowie ergänzend dazu auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. H. vom 11.12.2020 sowie den Befundbericht der Frau K. vom 02.08.2022. Basierend darauf leidet die Klägerin danach unter folgender für ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer wie auch quantitativer Hinsicht bedeutsamen Erkrankung: Dissoziative Identitätsstörung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Störung der Identität umfasst eine deutliche Diskontinuität des Bewusstseins des eigenen Selbst und des Bewusstseins des eigenen Handelns, begleitet von damit verbundenen Veränderungen des Affektes, des Verhaltens, des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung, des Denkens und oder sensorisch/motorischer Funktionen. Der Wechsel in unterschiedliche dissoziierte Persönlichkeitsanteile bringt mit sich, dass die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile für einander in aller Regel eine Amnesie erleben, so dass Inkohärenzen im Selbsterleben mit amnestischen Lücken entstehen, abhängig davon, welcher Persönlichkeitsanteil in Kommunikation treten kann. Abhängig vom Grad der Fragmentierung der Identität gelingt ein Zusammenspiel der Persönlichkeitsanteile relativ rasch, teilweise gelingt dieses Zusammenspiel aber überhaupt nicht, so dass betroffene Menschen in ihrem Alltag nur noch zeitweise auf bestimmte Fähigkeiten zurückgreifen können, die bestimmten Persönlichkeitsanteilen zugeordnet sind, während andere Persönlichkeitsanteile in ihrer Präsenz bestimmte Fähigkeiten nicht wieder aufgreifen können. Darüber hinaus besteht eine potentielle Gefährdung der Erkrankten im Straßenverkehr, so dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, vor allem aber auch das eigene Führen eines PKWs grundsätzlich nicht möglich ist (vgl. S. 44-45 des Gutachtens des Dr. W. vom 26.04.2022).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Dr. W. legt in seinem Gutachten vom 26.04.2022 einen entsprechend beeinträchtigten psychopathologischen Befund dar (vgl. S. 45-47 des Gutachtens). Die körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere Schmerzen im Rahmen der lumbalen Bandscheibenvorfälle sind dagegen zu vernachlässigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>a) Entgegen dem Gutachten des Prof. Dr. S. vermag das Gericht unter Heranziehung des Gutachtens des Dr. W. eine quantitative Leistungsminderung mit dem erforderlichen Vollbeweis festzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Sozialrecht kennt drei Beweismaßstäbe: den Vollbeweis, die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftmachung. Die Die Beweismaßstäbe der Wahrscheinlichkeit oder der Glaubhaftmachung müssen jeweils ausdrücklich im Gesetz angeordnet sein oder sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 15.12.2016, Az.: B 5 RS 4/16 R). Ansonsten gilt – wie auch hier – der Maßstab des Vollbeweises. Vollbeweis bedeutet, dass sich das Gericht grundsätzlich die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen muss (vgl. <em>Keller</em> in: <em>Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt</em>, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, zu § 128 SGG, Rn. 3b). Absolute Gewissheit ist dabei so gut wie nie möglich und auch nicht erforderlich (vgl. Keller, a.a.O). Ausreichend ist daher eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 07.06.2006, Az.: B 2 U 20/04 R; BSG, Urteil vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R). Mit anderen Worten: Gewisse Zweifel sind unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.2012, Az.: B 2 U 2/11 R; BSG, Urteil vom 15.12.2016, Az.: B 9 V 3/15 R).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet – wie z.B. eine posttraumatische Belastungsstörung oder die vorliegende dissoziative Identitätsstörung – ist nicht bereits deshalb im Vollbeweis nachgewiesen, weil sie von einem behandelnden oder begutachtenden Arzt oder Therapeuten in der Diagnoseliste aufgeführt wird; dies stellt für das Gericht zunächst nur einen Anhaltspunkt dafür dar, dass diese Gesundheitsstörung vorliegen könnte (vgl. Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2018, Az.: L 3 U 3108/17, juris Rn. 59). Die Diagnostik von psychiatrischen Erkrankungen fuß weitestgehend auf der Selbst- sowie Fremdbeschreibung. Nichts anderes kann für die Bestimmung der im Rahmen der Prüfung der medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung entscheidenden Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet gelten. Auch diese müssen von fachkundigen Ärzten eigen- (sowie gegebenenfalls) fremdanamnestisch erhoben werden. Soweit die Einlassungen des Patienten/Probanden zu seinem psychischen Beschwerdekomplex glaubhaft sind, können diese als Befund einer psychiatrischen Begutachtung zugrunde gelegt und entsprechend von den Gerichten herangezogen werden. Mit anderen Worten formuliert bedeutet dies: Anamnestische Schilderungen krankheitstypischer Symptome erreichen den Status eines psychopathologischen Befundes, wenn diese glaubhaft sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>An eben dieser Glaubhaftigkeit des Beschwerdevortrags hat das erkennende Gericht im Fall der Klägerin keine vernünftigen Zweifel. Es wird dabei nicht verkannt, dass sich in Anbetracht teilweise schwer nachvollziehbarer oder auch bizarrer Symptomausprägungen im Rahmen schwerer funktioneller psychischer Störungen dem unbefangenen Beobachter immer wieder der Eindruck aufdrängen mag, dass entsprechend erkrankte Menschen Symptome aggravieren würden, sie möglicherweise nur vorspielen würden, möglicherweise suggestibel seien und einen entsprechenden Krankheitsgewinn anstreben würden. Das kann vorliegend jedoch ausgeschlossen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die klinische Exploration durch Dr. W. gab keinen Anlass einer dramatischen oder inszenierten Vorstellung von Symptomen. Die Klägerin zeigte sich gerade bemüht um Klarheit und Darstellung der als merkwürdig erlebten Symptome. Im Hinblick auf tendenziöse Haltungen, die nach Kriterienlisten entsprechend der AWMF-Leitlinie Begutachtung (nach Schneider et al 2012) beurteilt werden können, zeigten sich keine Inkonsistenzen im Selbstbericht zur biografischen Anamnese, auch keine Inkonsistenzen im Hinblick auf Selbstbericht versus Fremdbericht oder Selbstbericht/Fremdbericht versus beobachtbarem Verhalten während der Untersuchungssituation durch Dr. W.. Das Gleiche gilt für die familiäre Anamnese und die berufliche Anamnese. Die Beschwerdeschilderung erfolgte fasst affektdistanziert, sehr konzentriert aber auch mit großer Anstrengung, die Affektdistanzierung brach situationsangemessen und unvorhersehbar, auch für die Klägerin nicht unmittelbar kontrollierbar in der Konfrontation mit traumatisierenden Erinnerungsinhalten. Sowohl im Hinblick auf die Exploration von Krankheitsverlauf, wahrgenommenen Therapien und Behandlungen, der Umsetzung der Behandlung, Krankheitsbewältigungsverhalten bzw. Behandlungswirkung und im Hinblick auf verfügbare psychische Funktionen sowie die Gestaltung von Aktivitäten und Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen zeigten sich weder im Selbstbericht noch im Vergleich von Selbstbericht zu Fremdbericht noch im Vergleich zu beobachtbarem Verhalten während der Untersuchung durch Dr. W. Inkonsistenzen. Weiterhin ließ sich die noch von Prof. Dr. S. vermutete Suggestibilität z.B. durch mehr Nachfragen nach Beschwerden durch Dr. W. entsprechend mehr Schilderungen durch die Klägerin hervorzurufen nicht nachweisen. Das Antwortverhalten war differenziert, widersprüchliche Fragen führten zu Irritation und Nachfragen, untypische Symptomkombinationen tauchten nicht auf, die Klägerin konnte deutlich machen, wenn sie selbst unterschiedliche Erlebensweisen nicht zuordnen konnte. Gegenüber der Population mit einem ähnlichen Störungsbild war die Schilderung der Symptomausprägung weder plakativ noch übertrieben, es wurden keinerlei absurde oder phantastische Symptome im Hinblick auf Traumafolgestörungen geschildert. Die Darstellung war detailliert aber nicht unrealistisch präzise und es musste nach Einzelsymptomen wie in der psychopathologischen Befunderhebung üblich explizit nachgefragt werden, da sie im Spontanbericht nicht auftauchten, die Beantwortung der Nachfragen war in der Regel prompt und wirkte durchgehend nicht übertrieben. Darüber hinaus betreffen alle geschilderten Störungen vor allem Aktivitäten außerhalb ärztlicher Untersuchungen und therapeutischer Kontakte, wobei sie natürlich auch während Untersuchungen und therapeutischer Kontakte auftauchen können. D.h. die Annahme, dass die genannten Störungen nur gelegentlich, insbesondere in dramatischer Weise z.B. bei ärztlichen oder psychotherapeutischen Untersuchungen auftauchen würden ist falsch.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Somit ist davon auszugehen, dass die dissoziative Störung nicht vorgetäuscht wird. Da es sich bei den geschilderten Beschwerden um nicht willkürlich beeinflussbare Veränderungen im Erleben und Verhalten und der Identität geht, können diese wie bei anderen funktionalen psychischen Erkrankungen nicht aus eigener Kraft überwunden werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>b) Wie bereits angedeutet folgt das Gericht dem Gutachten des Prof. Dr. S. trotz dessen umfassenden Einlassungen und ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Prof. Dr. S. ist zwar insofern beizupflichten, dass ein organisches Korrelat für den klägerischen Beschwerdekomplex nicht existiert. Allein hieraus aber ohne weitere Prüfung abzuleiten, dass eine relevante psychische Erkrankung in der Person der Klägerin nicht vorhanden ist, entspricht nicht dem gutachterlichen Standard. Unter dem von Herrn Prof. Dr. S. zugrunde gelegtem Paradigma wären ansonsten psychische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenien, Angsterkrankungen, somatoforme Erkrankungen oder eben Traumafolgeerkrankungen nicht diagnostizierbar, da das Wesen dieser Erkrankungen nach dem heutigen Stand des Wissens ist, dass objektivierbare Befunde neben der konsequenten Erhebung der psychopathologischen Befunde nicht möglich sind. Niemand zweifelt z.B. daran, dass es Albträume gibt. Solche wie auch sonstige Intrusionen oder Flashbacks, die für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und anderer psychischer Krankheiten relevant sein können und entsprechende Einschränkungen in der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit nach sich ziehen können, können nur über die subjektiven Einlassungen des Patienten/Probanden erhoben werden. Eine gegebenenfalls notwendig durchzuführende organische Diagnostik dient lediglich der Abgrenzung zu anderen Begleiterkrankungen (bspw. im Fall der Klägerin: Epilepsie). Da die vorliegende Herangehensweise des Prof. Dr. S. die Befunderhebung im Zusammenhang psychischer Erkrankungen verunmöglicht, können seine Schlussfolgerungen nicht zutreffend sein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die knappen Angaben des Prof. Dr. S. zur Beschwerdevalidierung können in Anbetracht der von Dr. W. durchgeführten umfassenden Konsistenzprüfung (s.o.) die erkennende Kammer nicht überzeugen. Dr. W. weist zurecht auf den Widerspruch im Gutachten des Prof. Dr. S. hin, dass er einerseits unter Verweis auf das Ergebnis des SRSI-Tests angibt, die Befragung der Klägerin sei auch durch strukturierte Interviews oder Fragebögen nicht zu leisten, gleichzeitig aber das Validierungsinstrument ausgerechnet auf eben dieser Fähigkeit basiert. Somit ist die Aussagekraft der eingesetzten Instrumente nicht plausibel. Das Gutachten des Prof. Dr. S. hat es versäumt, die durch Fremdbeobachtung validierte Beschwerdesymptomatik entsprechend zu würdigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die ergänzend auf das Gutachten des Dr. W. eingeholte gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. S. vom 13.05.2022 führt zu keinem Abweichen der Ansicht der erkennenden Kammer. Wenn er bemängelt, dass weder die Untersuchungsdauer der ambulanten Untersuchung am 10.01.2022 dokumentiert sei, noch das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Abschluss der ambulanten Untersuchung verfasst worden ist, so bleibt Prof. Dr. S. eine Erklärung schuldig, inwiefern hierdurch das Gutachten verfälscht wurde. Unstrittig zwischen allen Verfahrensbeteiligten ist, dass die Klägerin im nicht-dissoziierten Zustand nicht leistungsgemindert ist und sich in genau diesem Zustand eine rentenrechtliche Leistungsminderung nicht begründen lässt. Das alleinige Abstellen des Prof. Dr. S. auf diese Befundlage lässt die in Zeiten von Dissoziation bestehende Befundlage wie auch die mit dem Vorgang der Dissoziation verbundenen Beeinträchtigungen (z.B. Amnesie) zu Unrecht außer Acht. Des Weiteren kann das Gericht nicht erkennen, inwiefern Dr. W. Beschwerden und Befund unzulässigerweise vermengt haben soll. Dr. W. erhebt eine geordnete und für den medizinisch laienhaften Leser klar verständliche Anamnese, aufgetrennt in „Aktuelle Beschwerden“, „Aktuelle körperliche Beschwerden“, „Aktueller Tagesablauf und aktuelle Lebenssituation“, „psychiatrische Vorgeschichte“, „vegetative und somatische Anamnese“, „Substanzanamnese“, „Aktuelle Medikation“, „Familienanamnese“, „Biographische Anamnese mit schulischer und beruflicher Entwicklung“. Erst dann folgen ab Seite 31 des Gutachtens die erhobenen Untersuchungsbefunde. Entsprechend obiger Ausführungen durfte Dr. W. die erhobene Anamnese nach Prüfung der Aussagevalidität diese in den psychopathologischen Befund übertragen. Aus der Anamnese sowie den entsprechenden Befund wie auch aus den Einlassungen der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2022 wird deutlich, dass die Klägerin zu unvorhersehbaren Zeiten und Umständen in eine von mehreren kindlichen Persönlichkeiten dissoziiert (das „verspielte Kind“, das „ängstliche Kind“, das „weinerliche Kind“). Sobald die Klägerin in eine kindliche Persönlichkeit dissoziiert, ist sie – eben wie eine Minderjährige – nicht erwerbsfähig. Dies lässt bereits die Problematik der retrograden Amnesie außen vor. Es bedürfte sozusagen ständiger Anleitung und Überwachung der Klägerin, dass diese überhaupt noch eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert abliefern könnte. Gerade diese Notwendigkeit ständiger Kontrolle führt jedoch zur vollen Erwerbsminderung. Ausnahmsweise fußt die Erwerbsminderung wegen einer Dissoziativen Identitätsstörung gerade aus den damit verbundenen und für eine Diagnose notwendigen streng formulierten Symptomkatalog.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Prof. Dr. S. widerspricht sich selbst, wenn er einerseits im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.05.2022 anführt, dass Dr. W. weder ärztliche noch psychologische Validierungsverfahren eingesetzt hat, andererseits aber mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 08.06.2021 auf Beanstandung, das strukturierte Interview SKID sei nicht durchgeführt worden, in Anspruch nehmen möchte, der Gutachter sei in der Auswahl seiner Methoden frei. Letztlich bedurfte es nach Auffassung des Gerichts des zusätzlichen Einsatzes ärztlicher bzw. psychologischer Validierungsverfahren nicht, da Dr. W. bereits über die durchgeführte Konsistenzprüfung (vgl. S. 48 ff. des Gutachtens) eine Aggravation bzw. Simulation ausschließen konnte. Die Testung über den SRSI ist zudem nicht mängelfrei: Wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 12.04.2021 selbst auf Seite 11 darauf hin, dass bei dem verwendeten Cutoff von größer als neun durchschnittlich 62 von 100 Probanden, die keine authentischen Beschwerden schildern, auch als solche korrekt erkannt werden. Das Gericht erachtet es als vernachlässigbar unwahrscheinlich, dass sowohl Dr. W., als auch sämtliche Behandler, allen voran Frau K. einem Irrtum unterlegen sind, mithin die Klägerin, seit sie 20 Jahre alt ist, ihre Beschwerden durchwegs vorgetäuscht haben soll. Denn nichts anderes postuliert Prof. Dr. S.. Gründe, die für eine Validität der klägerischen Beschwerden sprechen könnten, stellt er in seinen gutachterlichen Erwägungen nicht ein. Im Ergebnis folgt aus der von Prof. Dr. S. durchgeführten psychometrischen Testung für die erkennende Kammer nach reiflicher Überlegung gerade nicht, dass der Beschwerdevortrag aggraviert oder gar simuliert ist, sondern dass lediglich eine unbeachtliche Verdeutlichungstendenz nachgewiesen werden konnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Der Klage war nach alledem im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG sowohl zulässig, als auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Sie hat einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 01.05.2020.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>1.Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 des Sechsten Sozialgesetzbuchs (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben – bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen – Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich – bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche – ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>2. Davon ausgehend steht der Klägerin eine Erwerbsminderungsrente zu. Eine volle Erwerbsminderung aufgrund der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen ist zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Sie ist nicht mehr in der Lage, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Diese Leistungseinschränkung besteht seit dem 11.04.2019 (Aufnahme in die erste stationäre Behandlung).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Für diese Überzeugung stützt sich die erkennende Kammer auf das umfassend begründete und nachvollziehbare Gutachten des Dr. W. vom 26.04.2022 sowie ergänzend dazu auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. H. vom 11.12.2020 sowie den Befundbericht der Frau K. vom 02.08.2022. Basierend darauf leidet die Klägerin danach unter folgender für ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer wie auch quantitativer Hinsicht bedeutsamen Erkrankung: Dissoziative Identitätsstörung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Störung der Identität umfasst eine deutliche Diskontinuität des Bewusstseins des eigenen Selbst und des Bewusstseins des eigenen Handelns, begleitet von damit verbundenen Veränderungen des Affektes, des Verhaltens, des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung, des Denkens und oder sensorisch/motorischer Funktionen. Der Wechsel in unterschiedliche dissoziierte Persönlichkeitsanteile bringt mit sich, dass die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile für einander in aller Regel eine Amnesie erleben, so dass Inkohärenzen im Selbsterleben mit amnestischen Lücken entstehen, abhängig davon, welcher Persönlichkeitsanteil in Kommunikation treten kann. Abhängig vom Grad der Fragmentierung der Identität gelingt ein Zusammenspiel der Persönlichkeitsanteile relativ rasch, teilweise gelingt dieses Zusammenspiel aber überhaupt nicht, so dass betroffene Menschen in ihrem Alltag nur noch zeitweise auf bestimmte Fähigkeiten zurückgreifen können, die bestimmten Persönlichkeitsanteilen zugeordnet sind, während andere Persönlichkeitsanteile in ihrer Präsenz bestimmte Fähigkeiten nicht wieder aufgreifen können. Darüber hinaus besteht eine potentielle Gefährdung der Erkrankten im Straßenverkehr, so dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, vor allem aber auch das eigene Führen eines PKWs grundsätzlich nicht möglich ist (vgl. S. 44-45 des Gutachtens des Dr. W. vom 26.04.2022).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Dr. W. legt in seinem Gutachten vom 26.04.2022 einen entsprechend beeinträchtigten psychopathologischen Befund dar (vgl. S. 45-47 des Gutachtens). Die körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere Schmerzen im Rahmen der lumbalen Bandscheibenvorfälle sind dagegen zu vernachlässigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>a) Entgegen dem Gutachten des Prof. Dr. S. vermag das Gericht unter Heranziehung des Gutachtens des Dr. W. eine quantitative Leistungsminderung mit dem erforderlichen Vollbeweis festzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Sozialrecht kennt drei Beweismaßstäbe: den Vollbeweis, die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftmachung. Die Die Beweismaßstäbe der Wahrscheinlichkeit oder der Glaubhaftmachung müssen jeweils ausdrücklich im Gesetz angeordnet sein oder sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 15.12.2016, Az.: B 5 RS 4/16 R). Ansonsten gilt – wie auch hier – der Maßstab des Vollbeweises. Vollbeweis bedeutet, dass sich das Gericht grundsätzlich die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen muss (vgl. <em>Keller</em> in: <em>Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt</em>, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, zu § 128 SGG, Rn. 3b). Absolute Gewissheit ist dabei so gut wie nie möglich und auch nicht erforderlich (vgl. Keller, a.a.O). Ausreichend ist daher eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 07.06.2006, Az.: B 2 U 20/04 R; BSG, Urteil vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R). Mit anderen Worten: Gewisse Zweifel sind unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.2012, Az.: B 2 U 2/11 R; BSG, Urteil vom 15.12.2016, Az.: B 9 V 3/15 R).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet – wie z.B. eine posttraumatische Belastungsstörung oder die vorliegende dissoziative Identitätsstörung – ist nicht bereits deshalb im Vollbeweis nachgewiesen, weil sie von einem behandelnden oder begutachtenden Arzt oder Therapeuten in der Diagnoseliste aufgeführt wird; dies stellt für das Gericht zunächst nur einen Anhaltspunkt dafür dar, dass diese Gesundheitsstörung vorliegen könnte (vgl. Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2018, Az.: L 3 U 3108/17, juris Rn. 59). Die Diagnostik von psychiatrischen Erkrankungen fuß weitestgehend auf der Selbst- sowie Fremdbeschreibung. Nichts anderes kann für die Bestimmung der im Rahmen der Prüfung der medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung entscheidenden Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet gelten. Auch diese müssen von fachkundigen Ärzten eigen- (sowie gegebenenfalls) fremdanamnestisch erhoben werden. Soweit die Einlassungen des Patienten/Probanden zu seinem psychischen Beschwerdekomplex glaubhaft sind, können diese als Befund einer psychiatrischen Begutachtung zugrunde gelegt und entsprechend von den Gerichten herangezogen werden. Mit anderen Worten formuliert bedeutet dies: Anamnestische Schilderungen krankheitstypischer Symptome erreichen den Status eines psychopathologischen Befundes, wenn diese glaubhaft sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>An eben dieser Glaubhaftigkeit des Beschwerdevortrags hat das erkennende Gericht im Fall der Klägerin keine vernünftigen Zweifel. Es wird dabei nicht verkannt, dass sich in Anbetracht teilweise schwer nachvollziehbarer oder auch bizarrer Symptomausprägungen im Rahmen schwerer funktioneller psychischer Störungen dem unbefangenen Beobachter immer wieder der Eindruck aufdrängen mag, dass entsprechend erkrankte Menschen Symptome aggravieren würden, sie möglicherweise nur vorspielen würden, möglicherweise suggestibel seien und einen entsprechenden Krankheitsgewinn anstreben würden. Das kann vorliegend jedoch ausgeschlossen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die klinische Exploration durch Dr. W. gab keinen Anlass einer dramatischen oder inszenierten Vorstellung von Symptomen. Die Klägerin zeigte sich gerade bemüht um Klarheit und Darstellung der als merkwürdig erlebten Symptome. Im Hinblick auf tendenziöse Haltungen, die nach Kriterienlisten entsprechend der AWMF-Leitlinie Begutachtung (nach Schneider et al 2012) beurteilt werden können, zeigten sich keine Inkonsistenzen im Selbstbericht zur biografischen Anamnese, auch keine Inkonsistenzen im Hinblick auf Selbstbericht versus Fremdbericht oder Selbstbericht/Fremdbericht versus beobachtbarem Verhalten während der Untersuchungssituation durch Dr. W.. Das Gleiche gilt für die familiäre Anamnese und die berufliche Anamnese. Die Beschwerdeschilderung erfolgte fasst affektdistanziert, sehr konzentriert aber auch mit großer Anstrengung, die Affektdistanzierung brach situationsangemessen und unvorhersehbar, auch für die Klägerin nicht unmittelbar kontrollierbar in der Konfrontation mit traumatisierenden Erinnerungsinhalten. Sowohl im Hinblick auf die Exploration von Krankheitsverlauf, wahrgenommenen Therapien und Behandlungen, der Umsetzung der Behandlung, Krankheitsbewältigungsverhalten bzw. Behandlungswirkung und im Hinblick auf verfügbare psychische Funktionen sowie die Gestaltung von Aktivitäten und Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen zeigten sich weder im Selbstbericht noch im Vergleich von Selbstbericht zu Fremdbericht noch im Vergleich zu beobachtbarem Verhalten während der Untersuchung durch Dr. W. Inkonsistenzen. Weiterhin ließ sich die noch von Prof. Dr. S. vermutete Suggestibilität z.B. durch mehr Nachfragen nach Beschwerden durch Dr. W. entsprechend mehr Schilderungen durch die Klägerin hervorzurufen nicht nachweisen. Das Antwortverhalten war differenziert, widersprüchliche Fragen führten zu Irritation und Nachfragen, untypische Symptomkombinationen tauchten nicht auf, die Klägerin konnte deutlich machen, wenn sie selbst unterschiedliche Erlebensweisen nicht zuordnen konnte. Gegenüber der Population mit einem ähnlichen Störungsbild war die Schilderung der Symptomausprägung weder plakativ noch übertrieben, es wurden keinerlei absurde oder phantastische Symptome im Hinblick auf Traumafolgestörungen geschildert. Die Darstellung war detailliert aber nicht unrealistisch präzise und es musste nach Einzelsymptomen wie in der psychopathologischen Befunderhebung üblich explizit nachgefragt werden, da sie im Spontanbericht nicht auftauchten, die Beantwortung der Nachfragen war in der Regel prompt und wirkte durchgehend nicht übertrieben. Darüber hinaus betreffen alle geschilderten Störungen vor allem Aktivitäten außerhalb ärztlicher Untersuchungen und therapeutischer Kontakte, wobei sie natürlich auch während Untersuchungen und therapeutischer Kontakte auftauchen können. D.h. die Annahme, dass die genannten Störungen nur gelegentlich, insbesondere in dramatischer Weise z.B. bei ärztlichen oder psychotherapeutischen Untersuchungen auftauchen würden ist falsch.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Somit ist davon auszugehen, dass die dissoziative Störung nicht vorgetäuscht wird. Da es sich bei den geschilderten Beschwerden um nicht willkürlich beeinflussbare Veränderungen im Erleben und Verhalten und der Identität geht, können diese wie bei anderen funktionalen psychischen Erkrankungen nicht aus eigener Kraft überwunden werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>b) Wie bereits angedeutet folgt das Gericht dem Gutachten des Prof. Dr. S. trotz dessen umfassenden Einlassungen und ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Prof. Dr. S. ist zwar insofern beizupflichten, dass ein organisches Korrelat für den klägerischen Beschwerdekomplex nicht existiert. Allein hieraus aber ohne weitere Prüfung abzuleiten, dass eine relevante psychische Erkrankung in der Person der Klägerin nicht vorhanden ist, entspricht nicht dem gutachterlichen Standard. Unter dem von Herrn Prof. Dr. S. zugrunde gelegtem Paradigma wären ansonsten psychische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenien, Angsterkrankungen, somatoforme Erkrankungen oder eben Traumafolgeerkrankungen nicht diagnostizierbar, da das Wesen dieser Erkrankungen nach dem heutigen Stand des Wissens ist, dass objektivierbare Befunde neben der konsequenten Erhebung der psychopathologischen Befunde nicht möglich sind. Niemand zweifelt z.B. daran, dass es Albträume gibt. Solche wie auch sonstige Intrusionen oder Flashbacks, die für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und anderer psychischer Krankheiten relevant sein können und entsprechende Einschränkungen in der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit nach sich ziehen können, können nur über die subjektiven Einlassungen des Patienten/Probanden erhoben werden. Eine gegebenenfalls notwendig durchzuführende organische Diagnostik dient lediglich der Abgrenzung zu anderen Begleiterkrankungen (bspw. im Fall der Klägerin: Epilepsie). Da die vorliegende Herangehensweise des Prof. Dr. S. die Befunderhebung im Zusammenhang psychischer Erkrankungen verunmöglicht, können seine Schlussfolgerungen nicht zutreffend sein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die knappen Angaben des Prof. Dr. S. zur Beschwerdevalidierung können in Anbetracht der von Dr. W. durchgeführten umfassenden Konsistenzprüfung (s.o.) die erkennende Kammer nicht überzeugen. Dr. W. weist zurecht auf den Widerspruch im Gutachten des Prof. Dr. S. hin, dass er einerseits unter Verweis auf das Ergebnis des SRSI-Tests angibt, die Befragung der Klägerin sei auch durch strukturierte Interviews oder Fragebögen nicht zu leisten, gleichzeitig aber das Validierungsinstrument ausgerechnet auf eben dieser Fähigkeit basiert. Somit ist die Aussagekraft der eingesetzten Instrumente nicht plausibel. Das Gutachten des Prof. Dr. S. hat es versäumt, die durch Fremdbeobachtung validierte Beschwerdesymptomatik entsprechend zu würdigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die ergänzend auf das Gutachten des Dr. W. eingeholte gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. S. vom 13.05.2022 führt zu keinem Abweichen der Ansicht der erkennenden Kammer. Wenn er bemängelt, dass weder die Untersuchungsdauer der ambulanten Untersuchung am 10.01.2022 dokumentiert sei, noch das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Abschluss der ambulanten Untersuchung verfasst worden ist, so bleibt Prof. Dr. S. eine Erklärung schuldig, inwiefern hierdurch das Gutachten verfälscht wurde. Unstrittig zwischen allen Verfahrensbeteiligten ist, dass die Klägerin im nicht-dissoziierten Zustand nicht leistungsgemindert ist und sich in genau diesem Zustand eine rentenrechtliche Leistungsminderung nicht begründen lässt. Das alleinige Abstellen des Prof. Dr. S. auf diese Befundlage lässt die in Zeiten von Dissoziation bestehende Befundlage wie auch die mit dem Vorgang der Dissoziation verbundenen Beeinträchtigungen (z.B. Amnesie) zu Unrecht außer Acht. Des Weiteren kann das Gericht nicht erkennen, inwiefern Dr. W. Beschwerden und Befund unzulässigerweise vermengt haben soll. Dr. W. erhebt eine geordnete und für den medizinisch laienhaften Leser klar verständliche Anamnese, aufgetrennt in „Aktuelle Beschwerden“, „Aktuelle körperliche Beschwerden“, „Aktueller Tagesablauf und aktuelle Lebenssituation“, „psychiatrische Vorgeschichte“, „vegetative und somatische Anamnese“, „Substanzanamnese“, „Aktuelle Medikation“, „Familienanamnese“, „Biographische Anamnese mit schulischer und beruflicher Entwicklung“. Erst dann folgen ab Seite 31 des Gutachtens die erhobenen Untersuchungsbefunde. Entsprechend obiger Ausführungen durfte Dr. W. die erhobene Anamnese nach Prüfung der Aussagevalidität diese in den psychopathologischen Befund übertragen. Aus der Anamnese sowie den entsprechenden Befund wie auch aus den Einlassungen der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2022 wird deutlich, dass die Klägerin zu unvorhersehbaren Zeiten und Umständen in eine von mehreren kindlichen Persönlichkeiten dissoziiert (das „verspielte Kind“, das „ängstliche Kind“, das „weinerliche Kind“). Sobald die Klägerin in eine kindliche Persönlichkeit dissoziiert, ist sie – eben wie eine Minderjährige – nicht erwerbsfähig. Dies lässt bereits die Problematik der retrograden Amnesie außen vor. Es bedürfte sozusagen ständiger Anleitung und Überwachung der Klägerin, dass diese überhaupt noch eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert abliefern könnte. Gerade diese Notwendigkeit ständiger Kontrolle führt jedoch zur vollen Erwerbsminderung. Ausnahmsweise fußt die Erwerbsminderung wegen einer Dissoziativen Identitätsstörung gerade aus den damit verbundenen und für eine Diagnose notwendigen streng formulierten Symptomkatalog.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Prof. Dr. S. widerspricht sich selbst, wenn er einerseits im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.05.2022 anführt, dass Dr. W. weder ärztliche noch psychologische Validierungsverfahren eingesetzt hat, andererseits aber mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 08.06.2021 auf Beanstandung, das strukturierte Interview SKID sei nicht durchgeführt worden, in Anspruch nehmen möchte, der Gutachter sei in der Auswahl seiner Methoden frei. Letztlich bedurfte es nach Auffassung des Gerichts des zusätzlichen Einsatzes ärztlicher bzw. psychologischer Validierungsverfahren nicht, da Dr. W. bereits über die durchgeführte Konsistenzprüfung (vgl. S. 48 ff. des Gutachtens) eine Aggravation bzw. Simulation ausschließen konnte. Die Testung über den SRSI ist zudem nicht mängelfrei: Wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 12.04.2021 selbst auf Seite 11 darauf hin, dass bei dem verwendeten Cutoff von größer als neun durchschnittlich 62 von 100 Probanden, die keine authentischen Beschwerden schildern, auch als solche korrekt erkannt werden. Das Gericht erachtet es als vernachlässigbar unwahrscheinlich, dass sowohl Dr. W., als auch sämtliche Behandler, allen voran Frau K. einem Irrtum unterlegen sind, mithin die Klägerin, seit sie 20 Jahre alt ist, ihre Beschwerden durchwegs vorgetäuscht haben soll. Denn nichts anderes postuliert Prof. Dr. S.. Gründe, die für eine Validität der klägerischen Beschwerden sprechen könnten, stellt er in seinen gutachterlichen Erwägungen nicht ein. Im Ergebnis folgt aus der von Prof. Dr. S. durchgeführten psychometrischen Testung für die erkennende Kammer nach reiflicher Überlegung gerade nicht, dass der Beschwerdevortrag aggraviert oder gar simuliert ist, sondern dass lediglich eine unbeachtliche Verdeutlichungstendenz nachgewiesen werden konnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Der Klage war nach alledem im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,253
ovgnrw-2022-08-12-4-b-88822ne
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 B 888/22.NE
2022-08-12T00:00:00
2022-08-20T10:01:11
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0812.4B888.22NE.00
<h2>Tenor</h2> <p>Das Verfahren wird eingestellt.</p> <p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe</span>:</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist das Verfahren gemäß § 87a Abs. 1 und 3 VwGO in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Billigem Ermessen im Sinne dieser Vorschrift entspricht es, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, weil der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses erfolglos geblieben wäre.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dies war hier bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Eine gerichtliche Entscheidung in einem Eilverfahren darüber, ob eine Öffnung von Verkaufsstellen am 7.8.2022 in den Stadtteilen C.    , V.         /G.              erfolgen durfte, war nicht dringend geboten. Das Verbot zur Öffnung von Verkaufsstellen folgte bereits aus den rechtlichen Regelungen (dazu unten 1.). Zweifel an der tatsächlichen Beachtung des Verbots hätte die Antragstellerin auf einfacherem Weg beseitigen können und müssen (dazu unten 2.).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. Aus § 4 Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 1 LÖG NRW i. V. m. Art. 140 GG und Art. 139 WRV folgt ein Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen, die nicht unter die Regelung des § 5 LÖG NRW fallen, an Sonntagen. Eine auf § 6 Abs. 4 Satz 1 LÖG NRW beruhende, eine Ausnahme vom Verbot der Verkaufsstellenöffnung an Sonntagen statuierende ordnungsbehördliche Verordnung muss wie jede Rechtsnorm hinreichend bestimmt sein.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Grundrechtsrelevante Vorschriften müssen in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so klar formuliert sein, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann. Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die erforderlichen Vorgaben ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben müssen; es genügt, dass sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze unter Berücksichtigung gefestigter Rechtsprechung erschließen lassen. An die Bestimmtheit einer Norm sind geringere Anforderungen zu stellen, wenn es sich um eine Regelung handelt, die nicht selbst Pflichten des Normadressaten begründet, sondern anderweitig statuierte Pflichten reduziert und damit den Normadressaten entlastet. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Vorschriften und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.10.2017 – 1 BvR 617/14 –, juris, Rn. 14, vom 27.1.2011 – 1 BvR 3222/09 –, BVerfGK 18, 328 = juris, Rn. 33, vom 22.2.2006 – 2 BvR 1657/05 –, BVerfGK 7, 320 = juris, Rn. 17, vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92 –, BVerfGE 93, 37 = juris, Rn. 168, und vom 28.11.1991 – 2 BvR 1772/89 –, juris, Rn. 4; BVerwG, Beschluss vom 1.12.2009 – 4 B 37.09 –, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran ist die hier streitgegenständliche Ordnungsbehördliche Verordnung über das Offenhalten von Verkaufsstellen in der M. E.          – Ausnahmen vom Ladenschluss – im Jahr 2022 hinreichend bestimmt. Zwar ist im Normtext der Ordnungsbehördlichen Verordnung selbst der Grund für die Freigabe des Sonntags zur Öffnung von Verkaufsstellen nicht gesondert erwähnt. Im Wege der Auslegung ergibt sich jedoch, dass eine Öffnung der Verkaufsstellen in den Stadtteilen C.    , V.         /G.              entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung, auf die die Verordnungsregelung erklärtermaßen gestützt ist, nur im öffentlichen Interesse und zwar aus Anlass und nur bei Stattfinden der Veranstaltung „C.    ist auf der Rolle“ erlaubt war.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Bereits aus dem gesetzlichen Tatbestand des § 6 Abs. 4 Satz 1 LÖG NRW selbst folgt, dass Verkaufsstellen, deren Öffnung nicht anderweitig erlaubt ist, an Sonntagen nur bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses geöffnet sein dürfen. § 6 Abs. 1 Satz 2 LÖG NRW regelt vom Gesetzgeber identifizierte, nicht abschließende Ziele, die im öffentlichen Interesse liegen und somit einzeln oder in Kombination mit anderen gewichtige Sachgründe für eine ausnahmsweise Verkaufsstellenöffnung an Sonn- und Feiertagen darstellen. Diese Tatbestände sind in der Rechtsprechung hinreichend konkretisiert worden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. zusammenfassend OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2020 – 4 B 1443/20.NE –, juris, Rn. 15 ff., 23, m. w. N. auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Für eine danach hier allein in Betracht kommende verordnungsrechtliche Gestattung der Öffnung von Verkaufsstellen zumindest auch im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gewährleistet sein, dass die Veranstaltung als zureichender Sachgrund im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung ‒ und nicht die Ladenöffnung ‒ das öffentliche Bild des betreffenden Sonntags prägt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Da die Verwaltung einer bereits beschlossenen Verordnung nicht nachträglich unter Hinweis auf einen anderen Anlass einen neuen Inhalt geben und sie auf andere Sachgründe stützen konnte,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2020 – 4 B 1443/20.NE –, juris, Rn. 26, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">hatte der Wegfall der ursprünglich geplanten Veranstaltung zur Folge, dass die Ermächtigung zur Verkaufsstellenöffnung entfiel; mit anderen Worten ging die Freigaberegelung ins Leere.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27.11.2020 – 4 B 1879/20.NE –, juris, Rn. 5, und vom 3.9.2021 – 4 B 1427/21.NE –, juris, Rn. 17 f.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Ein anderes Normverständnis ist mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz der Sonntagsruhe nicht vereinbar, weshalb die offen formulierte Freigaberegelung verfassungskonform auch nicht in dem – ausweislich der Entstehungsgeschichte auch gar nicht beabsichtigten – Sinne verstanden werden kann, sie solle unabhängig von der Durchführung der ursprünglich geplanten Anlassveranstaltung die Ladenöffnung an dem angegebenen Sonntag gestatten.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vielmehr war die konkrete, anlassgebende Veranstaltung („C.    ist auf der Rolle“) der der streitgegenständlichen Ordnungsbehördlichen Verordnung zugrunde liegenden Beschlussvorlage OVA/108/2021 zu entnehmen, die jedermann über das Ratsinformationssystem der Antragsgegnerin abrufen konnte.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. https://ris-xxx.itk-yyy.de/sessionnetduebi/getfile.asp?id=426850&type=do.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist, dass der Verordnungsgeber die Norm konkreter fassen und – anders als geschehen – die anlassgebende Veranstaltung im Normtext selbst hätte nennen können. Auch wenn an die Bestimmtheit straf- und bußgeldrechtlicher Normen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, kann jedenfalls die Antragstellerin hieraus nichts für sich herleiten, weil sie als Gewerkschaft nicht einmal potentielle Adressatin von Sanktionsregelungen ist, die bei etwaigen Verstößen gegen das Ladenöffnungsverbot eingreifen. Überdies hat die Antragstellerin selbst als Anlage 2 ihres Antragsschriftsatzes vom 26.7.2022 die Beschlussvorlage, aus der sich die anlassgebende Veranstaltung ergab, vorgelegt und dazu ausgeführt, die Ordnungsbehördliche Verordnung lasse eine Ladenöffnung am 7.8.2022 in den Stadtteilen C.    , V.         /G.              im Zusammenhang mit dem Fest „C.    ist auf der Rolle“ zu. Auch für sie war der nur auf diese Veranstaltung ausgerichtete Regelungszweck also ohne Weiteres erkennbar.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">2. Etwaige Zweifel daran, ob tatsächlich an Geschäftsöffnungen am 7.8.2022 festgehalten werden sollte, nachdem in der S.           Post vom 25.7.2022 die Veranstaltung nur noch für den Zeitraum 4. bis 6.8.2022 angekündigt war, hätte die Antragstellerin durch konkrete Nachfrage bei der Antragsgegnerin und/oder dem Veranstalter ausräumen können und müssen, bevor sie berechtigterweise annehmen durfte, ihre Rechte ohne gerichtliche Hilfe in einem Eilverfahren nicht wahren zu können. Erst wenn dabei außergerichtlich nicht zu klärende unterschiedliche Auffassungen über die Fortgeltung der streitgegenständlichen Freigaberegelung vertreten worden wären, hätte Anlass für eine Anrufung des Gerichts bestanden. Entsprechendes hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Die erkennbar seinerzeit noch nicht aktualisierte Internetseite der Antragsgegnerin war insoweit als ausreichende Erkenntnisquelle unergiebig. Aus ihr ließ sich gerade nicht entnehmen, was nach Einschätzung der Antragsgegnerin aus dem – von dieser nach eigenem Vorbringen zunächst gar nicht zur Kenntnis genommenen – nachträglichen Wegfall der Veranstaltung am 7.8.2022 folgen sollte. Die Antragstellerin hat letztlich keine ausreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass nach der zeitlichen Verkürzung der Anlassveranstaltung bis zum 6.8.2022 die Antragsgegnerin oder die betroffenen Geschäftsinhaber weiterhin von einer Befugnis zur Ladenöffnung auch am 7.8.2022 ausgegangen sein könnten. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin nach Anfrage beim Veranstalter und beim Handelsverband schon mit der Antragserwiderung vom 27.7.2022 die zeitliche Beschränkung der anlassgebenden Veranstaltung bis zum 6.8.2022 sowie die deshalb für den 7.8.2022 nicht mehr vorgesehene Ladenöffnung umgehend bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Eines Ausspruches, dass die Ladenöffnung bereits rechtswidrig ist, weil die anlassgebende Veranstaltung nicht stattfindet, wie die Antragstellerin unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2020 – 4 B 1331/20.NE –, juris,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">meint, bedurfte es hier nicht, weil – anders als in dem von der Antragstellerin herangezogenen Fall – die Antragsgegnerin hier weder vorgerichtlich noch im gerichtlichen Verfahren erklärt hat, die in Rede stehende Verordnungsregelung rechtfertige mit neuer Begründung auch ohne die geplante Veranstaltung eine Ladenöffnung. Sie hat stattdessen ebenso wie die Antragstellerin angenommen, mit dem Wegfall der Veranstaltung scheide eine Ladenöffnung am Sonntag aus.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0812.13A1630.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Aachen vom 13. Juli 2022 wird verworfen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, entgegen § 78 Abs. 7 und Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids dargelegt worden sind.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Auf den dem Kläger am 15. Juli 2022 zugestellten, mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Gerichtsbescheid ist zwar am 29. Juli 2022 – und damit innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 78 Abs. 7 und Abs. 4 Satz 1 AsylG – die Zulassung der Berufung beantragt worden. Eine den Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Begründung, die gemäß § 78 Abs. 7 i. V. m. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG mit dem Antrag und damit innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 78 Abs. 7 zu erfolgen hat,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. April 2022 - 13 A 546/22.A -, n. v., und vom 29. Mai 2018 - 4 A 1232/18.A -, juris, Rn. 2; Nds. OVG, Beschluss vom 20. Februar 2012 - 7 LA 15/12 -, juris, Rn. 4,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist indes unterblieben. Der Kläger legt in seiner Antragsschrift vom 29. Juli 2022 keinen der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Zulassungsgründe dar.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger angekündigt hat, „innerhalb der Begründungsfrist“ zu entscheiden, ob das Verfahren durchgeführt werden soll, besteht für den Senat keine Veranlassung, mit einer Entscheidung über den Zulassungsantrag länger zuzuwarten. Denn eine Verlängerung der mit Blick auf das Darlegungserfordernis nicht eingehaltenen gesetzlichen Frist des § 78 Abs. 7 AsylG ist nach § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 20. Februar 2012 ‑ 7 LA 15/12 -, juris, Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 60 Abs. 1 VwGO ist – ungeachtet des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für einen Wiedereinsetzungsgrund – nicht beantragt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,551
sg-detmold-2022-08-11-s-32-kr-244118
{ "id": 832, "name": "Sozialgericht Detmold", "slug": "sg-detmold", "city": 404, "state": 12, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
S 32 KR 2441/18
2022-08-11T00:00:00
2022-09-14T10:01:33
2022-10-17T11:10:07
Urteil
ECLI:DE:SGDT:2022:0811.S32KR2441.18.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die Klage wird abgewiesen.</strong></p> <p><strong>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten über die Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der 1957 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit Versicherte K S (im Folgenden: Versicherter) wurde in der Zeit vom 00.00.2016 bis 00.00.2016 vollstationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Bei dem Versicherten wurde im Februar 2016 in der Pneumologischen Klinik X in H eine Lungentuberkulose diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine chronische, ansteckende Erkrankung, die durch Bakterien verursacht und durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. Während der stationären Behandlung in der Klinik in H verließ der Versicherte mehrfach unerlaubt den Isolationsbereich und kam mit anderen Patienten in Kontakt. Am 00.00.2016 beantragte das Gesundheitsamt des M-E-Kreises daher die zwangsweise Absonderung des Versicherten nach § 30 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Mit Beschluss des Amtsgerichtes E vom 00.00.2016 wurde die einstweilige, zwangsweise Unterbringung des Versicherten in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses für die Dauer von sechs Wochen angeordnet. Zur Begründung verwies das Gericht auf § 30 Abs. 2 IfSG, die Voraussetzungen dieser Norm seien erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 00.00.2016 wurde der Versicherte zur Fortführung der antituberkulösen Therapie unter Isolationsbedingungen in die geschlossene Infektionsabteilung der Klägerin verlegt. Mit Schreiben vom 00.00.2016 teilte das Gesundheitsamt des M-E-Kreises der Klägerin mit, dass Kostenträger für die Absonderung des Versicherten der Kreisausschuss des M-E-Kreises sei. Der Unterbringungsbeschluss wurde am 00.00.2016 verlängert und am 00.00.2016 durch das Amtsgericht Q aufgehoben. Zur Begründung der Aufhebung führte das Amtsgericht Q aus, dass der Versicherte nach Mitteilung der behandelnden Ärzte nicht mehr infektiös sei. Infolgedessen wurde der Versicherte am 00.00.2016 entlassen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin stellte der Beklagten für die stationäre Behandlung des Versicherten unter Zugrundelegung der DRG E76A (Tuberkulose, mehr als 14 Belegungstage) Kosten in Höhe von 27.667,42 EUR in Rechnung. Die Beklagte beglich diese zunächst vollständig, leitete jedoch ein Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 21.11.2016 durch Dr. Q zu dem Ergebnis, dass die stationäre Behandlung des Versicherten nur bis zum 00.00.2016 plausibel sei. Ab diesem Tag sei der Versicherte nicht mehr infektiös gewesen. Es habe keine medizinische Notwendigkeit der stationären weiteren Betreuung bestanden.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte teilte der Klägerin unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten mit, dass sich ihr Erstattungsanspruch auf 1.446,48 EUR belaufe. Die Beklagte nahm anschließend am 04.01.2017 eine Aufrechnung dieses Erstattungsanspruches mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin aus dem Behandlungsfall der Versicherten B T (Behandlungszeitraum: 30.11.2016 – 06.12.2016) vor.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dagegen richtet sich die am 28.11.2018 erhobene Klage. Die Klägerin meint, ein Erstattungsanspruch der Beklagten bestehe nicht, da ihr der Vergütungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten S in voller Höhe zustehe. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass sie den Versicherten aufgrund des Unterbringungsbeschlusses nicht früher habe entlassen können oder dürfen. Bereits auf Grundlage des Beschlusses sei die gesamte Verweildauer indiziert. Darüber hinaus habe bei dem Versicherten insgesamt ein deutlich reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand bei fortbestehender Weglauftendenz und Uneinsichtigkeit gegenüber medikamentösen und pflegerischen Maßnahmen bestanden. Auch aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Versicherten habe weiterhin akutstationärer Behandlungsbedarf bestanden. Der Versicherte sei außerdem obdachlos und in psychisch schlechter Verfassung gewesen. Trotz intensiver Bemühungen sei erst ab dem 01.09.2016 eine adäquate Lösung zur Unterbringung des Versicherten gefunden worden. Die Klägerin nimmt Bezug auf eine Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Detmold vom 08.01.2017 (Aktenzeichen S 24 KR 296/16) zu einem ähnlich gelagerten Fall sowie auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.11.2015 (B 1 KR 18/15 R).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Klägerin beantragt,</strong></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.446,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2017 zu zahlen.</strong></p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Beklagte beantragt,</strong></p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beruft sich auf die Ausführungen des MDK. Es bestünde keine medizinische Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung über den 24.08.2016 hinaus. Soweit die stationäre Behandlung ausschließlich der Einhaltung von Quarantänemaßnahmen gemäß § 30 IfSG diene, sei die Beklagte hierfür gemäß § 69 IfSG nicht Kostenträger.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines nach Aktenlage erstellten ärztlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. Kontogianni, Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg. Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten vom 26.01.2022 zu dem Ergebnis, dass der Versicherte unabhängig von dem Unterbringungsbeschluss aus medizinischer Sicht am 24.08.2016 habe entlassen werden können. Die antituberkulöse Therapie sei am 24.08.2016 abgeschlossen und der Versicherte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr infektiös gewesen. Eine klinische Verschlechterung des Versicherten oder weitere akute Ereignisse, die ggf. einen Aufenthalt über den 24.08.2016 medizinisch gerechtfertigt hätten, könnten nicht festgestellt werden. Über den 24.08.2016 hinaus seien auch keine konkreten Mittel des Krankenhauses angewendet worden. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die ebenfalls beigezogenen Patientenunterlagen zum Behandlungsfall des Versicherten S verwiesen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Streitgegenstand ist vorliegend nicht die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung des Versicherten S in der Zeit vom 00.00.2016 bis 00.00.2016, weil dieser Anspruch durch Erfüllung erloschen ist. Gegenstand der Klage ist vielmehr die Frage, ob der Beklagten aus diesem Behandlungsfall ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zusteht, den sie im Wege der Aufrechnung geltend gemacht hat. Bei der zu Grunde liegenden unstreitigen Hauptforderung, mit der die Aufrechnung erklärt wurde, handelt es sich um eine Vergütung aus dem Behandlungsfall der Versicherten T vom 00.00.2016 bis 00.00.2016; um die Vergütung aus diesem Behandlungsfall bis zur Höhe der Klageforderung geht es vorliegend.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unmittelbar zulässig, denn es geht bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten für Versicherte gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (st. Rspr., vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R –, juris).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist jedoch unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung von 1.446,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.01.2017 verlangen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegenüber einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten. Der Behandlungspflicht des zugelassenen Krankenhauses nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) und der Bundespflegesatzverordnung festgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R –; BSG, Urteil vom 29.04.2010 – B 3 KR 11/09 R –, jeweils juris). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch einen Versicherten. Da der Zahlungsanspruch des zugelassenen Krankenhauses jedoch in aller Regel mit dem Naturalleistungsanspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung korrespondiert, müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhauspflegebedürftigkeit im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorliegen (Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 30.01.2002 – L 4 KR 110/00 –, juris).</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Erforderlichkeit der hier streitigen stationären Behandlung der Versicherten Schwarze und die ordnungsgemäße Abrechnung dieses Falles sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Vergütungsanspruch aus diesem Behandlungsfall ist daher entstanden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Dieser Vergütungsanspruch ist aber in Höhe der Klageforderung von 1.446,48 EUR dadurch erloschen, dass die Beklagte wirksam mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten S analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung erklärte. Schulden nach dieser Norm zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Ferner darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein und muss wirksam erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Aufrechnung wurde wirksam erklärt. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 04.01.2017 ergibt sich eindeutig, mit welcher Forderung in welcher Höhe aufgerechnet wurde. Die Aufrechnung ist außerdem nicht durch ein gesetzliches oder vertraglich vereinbartes Verbot ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Es bestand außerdem eine Aufrechnungslage. Der Vergütungsanspruch der Klägerin (Hauptforderung) und der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (Gegenforderung) erfüllen die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit analog § 387 BGB. Die Hauptforderung ist zudem erfüllbar. Die Gegenforderung der Beklagten ist schließlich auch wirksam, fällig und durchsetzbar.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, denn die Abrechnungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind öffentlich-rechtlich geprägt. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung – §§ 812 ff. BGB –, mit der der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als dass beide Ansprüche dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung dienen. Diesbezüglich ist allgemein anerkannt, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, zurückgefordert werden können (vgl. BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R –, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die ihr in Rechnung gestellten und bezahlten Kosten des stationären Aufenthalts ihres Versicherten S im Krankenhaus der Klägerin teilweise – in Höhe der streitigen Klageforderung von 1.446,48 EUR – ohne Rechtsgrund geleistet.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die stationäre Behandlung des Versicherten vom 11.03.2016 bis 01.09.2016 war nur vom 11.03.2016 bis 24.08.2016 erforderlich im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach umfasst der Sachleistungsanspruch des Versicherten vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Nach einem Beschluss des Großen Senats des BSG richtet sich die Entscheidung, ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen (Großer Senat BSG, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06 –, juris).</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dass die vollstationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten in der Zeit ab dem 00.00.2016 medizinisch nicht mehr erforderlich war, schlussfolgert die Kammer aus dem überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. L vom 26.01.2022. Demnach war der Versicherte ab dem 00.00.2016 nicht mehr infektiös und die antituberkulöse Therapie abgeschlossen. Eine klinische Verschlechterung des Versicherten oder weitere akute Ereignisse, die ggf. einen Aufenthalt über den 00.00.2016 medizinisch gerechtfertigt hätten, konnte die Sachverständige anhand der Behandlungsunterlagen nicht feststellen. Über den 00.00.2016 hinaus wurden auch keine konkreten Mittel des Krankenhauses angewendet und waren daher offensichtlich auch nicht notwendig.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe für eine stationäre Behandlung über den 00.00.2016 hinaus können die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens aus Sicht der Kammer auch nicht entkräften. Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Versicherte obdachlos und in psychisch schlechter Verfassung war und trotz intensiver Bemühungen zunächst keine Organisation oder Einrichtung zu finden war, die sich um den Versicherten nach Entlassung kümmern konnte und eine adäquate Lösung erst am 01.09.2016 gefunden wurde, begründet dies keine medizinische Notwendigkeit für den stationären Aufenthalt über den 00.00.2016 hinaus. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe sind sozialer und organisatorischer Art, die eine Behandlungsnotwendigkeit im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht begründen können. Denn das BSG hat insoweit entschieden, dass es nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Krankenversicherung gehört, die für eine erfolgreiche Krankenbehandlung notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen oder diesbezügliche Defizite durch Erweiterung des gesetzlichen Leistungsspektrums auszugleichen. Die Krankenkassen haben auch keine Möglichkeit, strukturelle Mängel außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu beheben, etwa eine Unterversorgung bei den Betreuungseinrichtungen für psychisch schwer kranke Patienten (vgl. BSG, Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 20/15 R –, juris). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung und der überzeugenden Begründung ausdrücklich an.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Soweit psychische Erkrankungen des Versicherten vorgelegen haben, war eine Behandlung und Versorgung dieser Erkrankungen nicht an die Mittel des Krankenhauses gebunden. Vielmehr wäre sodann ggf. eine Unterbringung und Behandlung in einer psychiatrischen Einrichtung medizinisch notwendig gewesen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Auch der richterliche Unterbringungsbeschluss vom 10.03.2016 und dessen Verlängerung vom 21.04.2016 kann die Notwendigkeit einer stationären Behandlung über den 00.00.2016 hinaus nicht begründen. Denn der Unterbringungsbeschluss stellt keinen medizinischen Grund für eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit dar. Sofern eine stationäre Behandlung nur aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses aus Infektionsschutzgründen und damit zur Gefahrenabwehr i.S.v. § 30 IfSG erfolgt, ist die Krankenkasse für die so entstandenen Kosten nicht der richtige Kostenschuldner, sondern gem. § 69 Nr. 8 IfSG der öffentliche Kostenträger (vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 14.03.2018 – 14 K 65.15 –, juris). Die Klägerin ist durch das Gesundheitsamt des M-E-Kreises auch – ohne dass dies entscheidungserheblich wäre – darauf hingewiesen worden, dass Kostenträger für die Absonderung des Versicherten der M-E-Kreis ist.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Abgrenzung, ob Kosten nach § 39 SGB V oder nach den §§ 30, 69 IfSG anfallen und damit, ob die Krankenkasse Kostenträger ist oder die Kosten aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten sind, ist davon abhängig, ob die stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen erforderlich gewesen ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.03.1977 – I C 36/70 –, juris, m.w.N.). Liegen medizinische Gründe im Sinne von § 39 SGB V vor, fallen die Kosten als Heilbehandlungskosten zu Lasten der Krankenkasse an. Ist aus medizinischer Sicht eine stationäre Behandlung nicht notwendig und erfolgt die stationäre Unterbringung aus Infektionsschutzgründen im Sinne von § 30 IfSG, handelt es sich um Absonderungskosten (vgl. auch Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 14.03.2018 – 14 K 65.15 –, juris; Eckhart in Eckhart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, 12. Edition 2022, IfSG § 69 Rn. 19). Dies zugrunde gelegt, handelt es sich bei den hier noch streitigen Kosten um Absonderungskosten, die nicht zu Lasten der Krankenkasse anfallen konnten. Gemäß der vorherigen Ausführungen war eine stationäre Behandlung über den 24.08.2016 hinaus aus medizinischen Gründen nicht erforderlich. Der Unterbringungsbeschluss vom 10.03.2016 wurde ausweislich der Begründung zum Schutz von Dritten vor einer Ansteckung durch den Versicherten und gem. § 30 Abs. 2 IfSG erlassen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des SG Detmold vom 08.12.2017 (S 24 KR 296/16) und des BSG vom 17.11.2015 (B 1 KR 18/15 R) gilt hier nichts anderes. Der von der 24. Kammer des SG Detmold entschiedene Sachverhalt lag insofern anders, als dass dort auch individuell-medizinische Gründe für den stationären Aufenthalt vorlagen und durch den Sachverständigen bestätigt wurden. Es war gerade kein Fall der reinen Absonderung zur Gefahrenabwehr. Im vom BSG entschiedenen Fall war die ambulante Durchführung einer Radiojodtherapie strahlenschutzrechtlich nicht zulässig. Das BSG hat entschieden, dass die stationäre Behandlung des Versicherten erforderlich und wirtschaftlich war. Eine stationäre Krankenhausbehandlung sei aus allein medizinischen Gründen auch dann erforderlich, wenn die medizinisch notwendige Versorgung aus Gründen der Rechtsordnung nur stationär erbracht werden darf. Die GKV dürfe bei der Erfüllung ihrer Aufgabe die rechtlichen Strukturvorgaben nicht außer Acht lassen. In einem solchen Fall sei die Krankenhausbehandlung im Rechtssinne aus allein medizinischen Gründen erforderlich. Dieser Fall ist mit dem hier streitgegenständlichen Fall jedoch nicht vergleichbar. In dem vom BSG entschiedenen Fall war die Radiojodtherapie über den gesamten Zeitraum des stationären Aufenthaltes durchzuführen. Im hier streitigen Fall des Versicherten S war die Tuberkulosebehandlung jedoch am 00.00.2016 beendet. Die zwangsweise stationäre Unterbringung war aus medizinischen Gründen ab dem 00.00.2016 nicht mehr erforderlich. Infolgedessen kann die Weiterbehandlung über diesen Behandlungstag hinaus im Rechtssinne nicht als erforderlich angesehen werden.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus stellt der Unterbringungsbeschluss auch keinen „Grund der Rechtsordnung“ im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BSG dar, der die medizinische Notwendigkeit und Erforderlichkeit für den stationären Aufenthalt begründen könnte. Zwar darf die Krankenkasse bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die rechtlichen Strukturvorgaben nicht außer Acht lassen. Die rechtlichen Strukturen aus dem Infektionsschutzgesetz geben hier jedoch gerade vor, dass die Krankenkasse nicht Kostenträger für Absonderungskosten ist. Würde allein ein Unterbringungsbeschluss i.S.v. § 30 IfSG die medizinische Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung begründen und damit die Krankenkasse als Kostenträger in die Verantwortung nehmen können, würde § 69 IfSG leer laufen. Die Heranziehung eines auf Grundlage von § 30 IfSG erlassenen Unterbringungsbeschlusses als medizinischer Grund für die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung würde damit § 69 IfSG und dem Willen des Gesetzgebers widersprechen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Da bereits ein Anspruch auf die Hauptforderung entfällt, kommt auch ein akzessorischer Zinsanspruch nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.</p>
346,501
vg-munster-2022-08-11-7-k-247920
{ "id": 846, "name": "Verwaltungsgericht Münster", "slug": "vg-munster", "city": 471, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 K 2479/20
2022-08-11T00:00:00
2022-09-09T10:01:17
2022-10-17T11:09:59
Urteil
ECLI:DE:VGMS:2022:0811.7K2479.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2016 und die Veranlagungsjahre 2017 bis 2020.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat seinen melderechtlichen Hauptwohnsitz in Q.      und ist seit dem 1. Oktober 2016 unter der postalischen Anschrift „M.---------straße 000“ in N.       mit einem Nebenwohnsitz gemeldet. Die Wohnung steht in seinem Eigentum und enthält – nach seinen Angaben – unter anderem ein Zimmer, welches ausschließlich als Arbeitszimmer genutzt wird.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 17. März 2017 setzte die Beklagte die Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2017 in Höhe von insgesamt 1.386,- Euro fest. Mit Bescheid vom 22. Januar 2018 setzte die Beklagte die Zweitwohnungssteuer für das Veranlagungsjahr 2018 in Höhe von 1.188,- Euro fest. Mit Bescheid vom 23. Januar 2019 setzte sie die Zweitwohnungssteuer für das Veranlagungsjahr 2019 in Höhe von 1.188,- Euro fest. Mit Bescheid vom 23. Januar 2020 setzte sie die Zweitwohnungssteuer für das Veranlagungsjahr 2020 in Höhe von 1.118,- Euro fest. Dabei legte die Beklagte als Bemessungsgrundlage jeweils eine monatliche Nettokaltmiete in Höhe von 997,04 Euro zugrunde, die sie unter Berücksichtigung des Städtischen Mietspiegels und einer Abfrage eines Online-Wohnungsbörse-Mietspiegels im Wege der Schätzung ermittelt hatte.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung der Zweitwohnungssteuer erfolgte auf der Grundlage der Satzung der Stadt N.       über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer vom 8. Dezember 2010 (ZwStS). Diese enthält u.a. folgende Regelungen:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>„§ 1 Steuergegenstand</strong></p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Stadt N.       erhebt eine Zweitwohnungssteuer für das Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet. Maßgeblich dafür ist die meldepflichtige Nebenwohnung.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 2 Begriff der Zweitwohnung</strong></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">(1) Zweitwohnung ist jede Wohnung im Sinne des Absatzes 3, die</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">a) dem Eigentümer, Hauptmieter oder sonstigen Berechtigten als Nebenwohnung im Sinne des Meldegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen dient, [….]</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">(4) Eine Wohnung dient als Nebenwohnung im Sinne des Meldegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen, wenn sie von einer dort mit Nebenwohnung gemeldeten Person zum Zwecke des persönlichen Lebensbedarfs bewohnt wird.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 3 Persönliche Steuerpflicht</strong></p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">(1) Steuerpflichtig ist, wer im Stadtgebiet eine Zweitwohnung oder mehrere Wohnungen innehat. Inhaber einer Zweitwohnung ist derjenige/diejenige, dessen/deren melderechtliche Verhältnisse die Beurteilung der Wohnung als Zweitwohnung bewirken oder der Inhaber einer Zweitwohnung im Sinne von § 2 Abs. 1 ist. Als Inhaber/Inhaberin einer Zweitwohnung gilt die Person, der die Verfügungsbefugnis über die Wohnung als Eigentümer/Eigentümerin oder Mieter/Mieterin oder als sonstige dauernutzungsberechtigte Person zusteht. Dies gilt auch bei unentgeltlicher Nutzung. […]</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">(5) Nicht steuerpflichtig ist ein/-e amtierende/-r kommunale/-r Mandatsträger/-in einer anderen Gemeinde, der/die durch die Anmeldung des Erstwohnsitzes in N.       sein/ihr Mandat aufgrund Gesetzes verlieren würde. Die Steuerpflicht endet mit der ordnungsgemäßen Aufstellung des/der Bewerbers/-in für das Mandat nach dem jeweiligen Wahlgesetz und beginnt erneut im Falle der Erfolglosigkeit der Wahl des/-r Bewerbers/-in.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 4 Bemessungsgrundlage</strong></p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">(1) Die Steuer bemisst sich nach der aufgrund des Mietvertrages im Besteuerungszeitraum gemäß § 6 Abs. 1 geschuldeten Nettokaltmiete. […]</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">(4) Statt des Betrages nach Abs. 1 gilt als jährliche Nettokaltmiete für solche Wohnungen, die eigengenutzt, ungenutzt, zum vorübergehenden Gebrauch unentgeltlich oder unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, die übliche Miete. Die übliche Miete wird in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 5 Steuersatz</strong></p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Steuer beträgt 10 vom Hundert der Bemessungsgrundlage (§ 4).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 6 Besteuerungszeitraum, Entstehung, Beginn und Ende der Steuerpflicht, Fälligkeit</strong></p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">(1) Die Zweitwohnungssteuer ist eine Jahressteuer. Besteuerungszeitraum ist das Kalenderjahr. Die Steuer entsteht mit dem Zeitpunkt des Beginns der Steuerpflicht für den Rest des Kalenderjahres. Im Übrigen entsteht die Steuer mit Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">(2) Besteht die Steuerpflicht nicht während des gesamten Kalenderjahres, beginnt die Steuerpflicht mit dem ersten Tag des Monats, der auf den Zeitpunkt folgt, mit dem die Beurteilung der Wohnung als Zweitwohnung beginnt. […]</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">(4) Die Steuer wird zu je einem Viertel ihres Jahresbetrages am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November fällig.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>§ 7 Festsetzung der Steuer</strong></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">(1) Die Stadt N.       setzt die Steuer durch Steuerbescheid fest. In dem Bescheid kann bestimmt werden, dass er auch für künftige Zeitabschnitte gilt, solange sich die Bemessungsgrundlagen und der Steuerbetrag nicht ändern.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">(2) Der Steuerbetrag wird auf volle Euro abgerundet. Ergibt sich ein nicht durch 12 teilbarer Betrag, so ist die Steuer auf den nächstniedrigen durch 12 teilbaren vollen Eurobetrag abzurunden.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">(3) Die Steuer wird für ein Kalenderjahr oder - wenn die Steuerpflicht erst während des Kalenderjahres beginnt - für den Rest des Kalenderjahres durch Bescheid festgesetzt.“</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gegen den Bescheid vom 17. März 2017 legte der Kläger am 20. April 2017, gegen den Bescheid vom 22. Januar 2018 am 12. Februar 2018, gegen den Bescheid vom 23. Januar 2019 am 5. Februar 2019 und gegen den Bescheid vom 23. Januar 2020 am 30. Januar 2020 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er jeweils im Wesentlichen aus, die Bescheide seien bereits mangels hinreichender Bestimmtheit formell rechtswidrig, weil sie über keine Begründung verfügten und nicht erkennen ließen, wie der Wert der Jahresnettokaltmiete ermittelt worden sei. Im Übrigen seien sie auch materiell rechtswidrig, da die Festsetzung der Zweitwohnungssteuer auf einer Rechtsgrundlage beruhe, die mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. Die Satzung sei verfassungswidrig, weil mit ihr Vorgänge besteuert würden, die der Einkommenserzielung dienten. Eines der drei Zimmer seiner Wohnung werde als Arbeitszimmer genutzt. Der darauf entfallende Aufwand dürfe daher nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Soweit Mandatsträger anderer Kommunen von der Zweitwohnungssteuer ausgenommen seien, verstoße die Satzung auch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Bei direkten Steuern bedürften Steuerbefreiungen einer besonderen Rechtfertigung. Solche Gründe könnten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts auch in auf Verhaltenslenkung gerichteten Zwecken liegen. Allerdings müsse das so geförderte Verhalten rechtmäßig sein. Im Falle des § 3 Abs. 5 Satz 1 ZwStS seien nur zwei Konstellationen denkbar. Entweder habe der Mandatsträger zu Recht in einem anderen Ort seinen Erst- und in N.       seinen Zweitwohnsitz oder er müsse sich melderechtlich eigentlich ummelden. Im erstgenannten Fall sei die steuerliche Leistungsfähigkeit nicht anders zu beurteilen als diejenige anderer Personen, die ebenfalls einen entsprechenden Aufwand bestritten, um eine Zweitwohnung zu unterhalten. In letzterem Fall werde durch die Vorschrift des § 3 Abs. 5 Satz 1 ZwStS offensichtlich ein Anreiz gegeben, von der an sich rechtlich gebotenen Ummeldung abzusehen, um das Mandat in einer anderen Gemeinde zu erhalten. Der verfolgte Lenkungszweck wäre dann auf ein rechtswidriges Verhalten gerichtet. Damit werde die Steuer nicht gleichmäßig erhoben.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte half den Widersprüchen des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2020 insoweit ab, als sie die Bemessungsgrundlage für die Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. März 2017 auf 940,39 Euro, für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. Dezember 2017 auf 939,36 Euro, für das Veranlagungsjahr 2018 auf 939,36 Euro, für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum  31. März 2019 auf 939,36 Euro, für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 31. Dezember 2019 auf 978,50 Euro und für das Veranlagungsjahr 2020 auf 978,50 Euro herabsetzte. Im Übrigen wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie insoweit aus, der Kläger könne mit seinem Vorbringen in Bezug auf die formelle Rechtmäßigkeit der Bescheide nicht durchdringen. Die Bescheide seien inhaltlich hinreichend bestimmt. Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers führten nicht zum Erfolg der Widersprüche. Die Zweitwohnungssteuersatzung sei nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil sie den Aufwand, der der Einkommenserzielung diene, nicht von der Bemessungsgrundlage ausnehme. Denn auf die berufliche Veranlassung dürfe bei der Prüfung der Steuerpflicht nicht abgestellt werden. Die berufliche Nutzung einer Zweitwohnung sei für die Einordnung der Zweitwohnungssteuer als Aufwandsteuer unerheblich. Auch werde der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG durch die Erhebung der Zweitwohnungssteuer nicht verletzt. Die Befreiung von der Zweitwohnungssteuer für Mandatsträger nach § 3 Abs. 5 ZwStS begründe keine gleichheitswidrige Entlastung gegenüber jenen Steuerpflichtigen, die mit derselben steuerlichen Leistungsfähigkeit einer solchen Pflicht unterlägen, da die Aufwandsteuer unabhängig von dem Grund und Anlass für den betriebenen Aufwand erhoben werde. Der Steuergesetzgeber dürfe mit einer Steuer – neben dem Zweck Einnahmen zu erzielen – auch Lenkungszwecke außerhalb des Steuerbereichs verfolgen, ohne dass es dazu einer besonderen Normgebungskompetenz bedürfe. Voraussetzung sei nur, dass dadurch keine Regelungen getroffen würden, die der Sachmaterie, auf die lenkend eingewirkt werden solle, widersprächen. Dies sei hier nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Mit Zweitwohnungssteuerbescheid vom 29. Oktober 2020 setzte die Beklagte –unter Berücksichtigung der mit dem Widerspruchsbescheid jeweils geänderten Bemessungsgrundlage – die Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2016 auf 188,- Euro, für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März 2017 auf 282,- Euro, für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. Dezember 2017 auf 837,- Euro, für das Veranlagungsjahr 2018 auf 1.116,- Euro, für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 31. März 2019 auf 279,- Euro, für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 31. Dezember 2019 auf 873,- Euro und für das Veranlagungsjahr 2020 auf 1.164,- Euro fest.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat gegen die Bescheide vom 17. März 2017, 22. Januar 2018, 23. Januar 2019 und 23. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2020 am 29. Oktober 2020 Klage erhoben, soweit die Beklagte den Widersprüchen nicht abgeholfen hatte. Den Bescheid vom 29. Oktober 2020 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11. November 2020 in das Verfahren einbezogen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger – unter Berufung auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren – ergänzend im Wesentlichen Folgendes vor:</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Zweitwohnungssteuersatzung sei nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, sodass die angefochtenen Bescheide einer Rechtsgrundlage entbehrten. Ein rechtfertigender Grund für die mit § 3 Abs. 5 Satz 1 ZwStS verbundene Ungleichbehandlung anderer Inhaber einer Zweitwohnung sei nicht ersichtlich. Für den Mandatsverlust komme es nach dem Kommunalwahlgesetz darauf an, an welchem Ort der Mandatsträger tatsächlich seine Hauptwohnung innehabe. Der in § 3 Abs. 5 Satz 1 ZwStS genannte Mandatsverlust könne nur dann eintreten, wenn der Mandatsträger tatsächlich seine Hauptwohnung in N.       und seinen Zweitwohnsitz in einer anderen Gemeinde unterhalte. In diesem Falle trete der Verlust des Mandats in der anderen Gemeinde kraft Gesetzes zu Recht ein. Verfüge der Mandatsträger in N.       allerdings tatsächlich über eine Zweitwohnung, dann bringe er damit in gleicher Weise wie andere Inhaber einer Zweitwohnung seine besondere Leistungsfähigkeit durch das Innehaben der Zweitwohnung zum Ausdruck. Der mit der Erhebung der Zweitwohnungssteuer verfolgte Lenkungszweck, die mit Nebenwohnsitz Gemeldeten, tatsächlich aber mit Hauptwohnsitz in N.       lebenden Personen zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu veranlassen, habe bei dieser Personengruppe ein besonderes Gewicht. Nach Art. 28 Abs. 1 GG müsse in den Gemeinden das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sei. Die örtliche Wohnbevölkerung könne ein Mandatsträger allerdings nur repräsentieren, wenn er dieser angehöre. Entsprechend müsse er seinen Hauptwohnsitz im Gemeindegebiet haben. Diese Personengruppe von der Zweitwohnungssteuer freizustellen, sei daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Auch der weitere Lenkungszweck der Zweitwohnungssteuer, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen, um dadurch das Wohnungsangebot für die einheimische Bevölkerung zu erhöhen, rechtfertige die Ausnahme nicht. Angesichts der eklatanten Wohnungsnot in N.       – gerade für Studierende – komme dieser Ausnahme auch ungeachtet der geringen Zahl der Steuerbefreiten ein nicht unerhebliches Gewicht zu.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">die Bescheide der Beklagten vom 17. März 2017, vom 22. Januar 2018, vom 23. Januar 2019 und vom 23. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2020 aufzuheben.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Sie tritt der Klage entgegen und führt dazu im Hinblick auf § 3 Abs. 5 Satz 1 ZwStS aus, der Anteil derjenigen Zweitwohnungssteuerverpflichteten, der sich auf die Befreiung berufen habe, habe im Jahr 2016 bei 1,23 Prozent, im Jahr 2017 bei 0,9 Prozent, im Jahr 2018 bei 0,68 Prozent, im Jahr 2019 bei 0,69 Prozent und im Jahr 2020 bei 0,49 Prozent gelegen. Diese Befreiung entlaste die ganz Wenigen, die sich andernorts ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagierten und das mit solcher Leidenschaft täten, dass sie dafür sogar in Kauf nähmen, am Ort ihrer Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit eine Zweitwohnung unterhalten zu müssen, an den sie gerade nicht den Lebensmittelpunkt verlegen wollten. Dies leiste keiner Gesetzesübertretung Vorschub, sondern sei als Förderung vorbildlichen Verhaltens sachlich gerechtfertigt.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 28. Juni 2022 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 23. Juni 2022 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</span></strong></p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ihr Einverständnis erklärt haben.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist – auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2020 richtet – zulässig. Insbesondere konnte der Kläger den Bescheid vom 29. Oktober 2020 in das Verfahren einbeziehen. Denn die gemeinsame Verfolgung des Rechtsschutzes gegen die angefochtenen Bescheide der Beklagten in einem Verfahren stellt einen Fall der – sukzessiven – objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO dar, die jedenfalls als sachdienlich im Sinne des § 91 Abs. 1, 2. Alt. VwGO zu erachten ist, weil sie geeignet ist, den sachlichen Streit zwischen den Beteiligten über die Berechtigung zur Veranlagung des Klägers zur Zweitwohnungssteuer endgültig zu klären.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 31.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2020 kein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO durchgeführt hat. Denn ein solches war vorliegend ausnahmsweise entbehrlich. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus dann der Fall, wenn dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 2010 – 8 C 21.09  –, juris, Rn. 24 m. w. N.; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 68 Rn. 169.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen ist dem Zweck des Vorverfahrens bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide vom 17. März 2017, 22. Januar 2018, 23. Januar 2019 und 23. Januar 2020 vollumfänglich – und damit auch in dem Umfang, in dem der Kläger mit dem Bescheid vom 29. Oktober 2020 für die streitbefangenen Veranlagungszeiträume zur Zweitwohnungssteuer herangezogen worden ist – in dem bereits durchgeführten Widerspruchsverfahren überprüft hat. Der Streitstoff, der damit Gegenstand eines weiteren Widerspruchsverfahrens betreffend den Bescheid vom 29. Oktober 2020 sein könnte, entspräche diesem Verfahren und stellte sich als bloße Wiederholung der bereits durchgeführten sachlichen Überprüfung dar, ohne dass Anlass bestünde, in eine erneute Überprüfung einzutreten.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Einbeziehung des Bescheides vom 29. Oktober 2020 mit Schriftsatz vom 11. November 2020 wahrt schließlich auch die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist jedoch unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Veranlagung des Klägers zur Zweitwohnungssteuer für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2020 mit Bescheiden vom 17. März 2017, 22. Januar 2018, 23. Januar 2019 und 23. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2020 und des Bescheides vom 29. Oktober 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Veranlagung zur Zweitwohnungssteuer findet ihre Rechtsgrundlage in der zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Zweitwohnungssteuersatzung der Stadt N.       . Gemäß § 1 Satz 1 ZwStS erhebt die Stadt N.       eine Zweitwohnungssteuer für das Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet. Zweitwohnung im Sinne der Zweitwohnungssteuersatzung ist gemäß § 2 Abs. 1 jede Wohnung, die u. a. dem Eigentümer als Nebenwohnung im Sinne des Meldegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen dient. Eine Wohnung dient nach § 2 Abs. 4 Satz 1 ZwStS als Nebenwohnung im Sinne des Meldegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen, wenn sie von einer dort mit Nebenwohnung gemeldeten Person zum Zweck des persönlichen Lebensbedarfs bewohnt wird. Steuerpflichtig ist nach § 3 Abs. 1 ZwStS, wer im Stadtgebiet eine Zweitwohnung innehat. Inhaber einer Zweitwohnung ist derjenige/diejenige, dessen/deren melderechtliche Verhältnisse die Beurteilung der Wohnung als Zweitwohnung bewirken oder der Inhaber einer Zweitwohnung im Sinne von § 2 Abs. 1 ist. Als Inhaber/Inhaberin einer Zweitwohnung gilt die Person, der die Verfügungsbefugnis über die Wohnung als Eigentümer/Eigentümerin oder Mieter/Mieterin oder als sonstige dauernutzungsberechtigte Person zusteht. Die Steuer beträgt nach § 5 ZwStS 10 v. H. der Bemessungsgrundlage. Die Steuer bemisst sich gemäß § 4 Abs. 4 ZwStS – soweit nicht nach § 4 Abs. 1 ZwStS auf die aufgrund des Mietvertrages im Besteuerungszeitraum geschuldete Nettokaltmiete abgestellt werden kann – nach der üblichen Miete. Die übliche Miete wird in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Diese Regelungen der Zweitwohnungssteuersatzung, gegen deren formelle Wirksamkeit keine Bedenken bestehen, sind auch materiell beanstandungsfrei, insbesondere sind sie mit höherrangigem Landesrecht vereinbar und entsprechen auch den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG N.       , Urteil vom 14. Oktober 2015 – 9 K 399/15 –, juris, Rn. 21 ff., nachgehend: OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 14 A 2703/15 – n. v.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Satzung findet ihre rechtliche Grundlage in § 7 und § 41 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen sowie in § 1, § 2, § 3, § 17 und § 20 Kommunalabgabengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW). Danach sind die Gemeinden berechtigt, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln und Steuern zu erheben. Sie sind u. a. berechtigt, örtliche Aufwandsteuern im Sinne von Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW zu erheben. Bei der auf der Grundlage der Zweitwohnungssteuersatzung erhobenen Zweitwohnungssteuer handelt es sich um eine zulässige Aufwandsteuer in diesem Sinne. Die Aufwandsteuer soll die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit treffen. Ausschlag gebendes Merkmal der Aufwandsteuer ist deshalb der Konsum in Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel verwendet werden. Der Aufwand im Sinne von Konsum ist typischerweise Ausdruck und Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ohne dass es darauf ankäme, von wem und mit welchen Mitteln dieser finanziert und welchen Zwecken er des Näheren dient. Im Konsum äußert sich in der Regel die Leistungsfähigkeit. Ob der Aufwand im Einzelfall die Leistungsfähigkeit überschreitet, ist für die Steuerpflicht unerheblich. Das Innehaben einer Zweitwohnung ist ein Zustand, der gewöhnlich die Verwendung finanzieller Mittel erfordert und in der Regel wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Eine solche Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Zweitwohnung selbst bewohnt. Unerheblich für die Einordnung einer Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer im Sinne von Art. 105 Abs. 2a GG ist, dass das Innehaben der Zweitwohnung durch eine Berufsausübung veranlasst wurde und nach Maßgabe des Einkommensteuerrechts als Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung abzuziehen ist. Belastungsgrund für den steuerbaren Aufwand ist damit allein der im Konsum bestimmter Güter zum Ausdruck kommende äußere Eindruck einer besonderen Leistungsfähigkeit, ohne Rücksicht auf den persönlichen Anlass, den Grund oder das Motiv für den betriebenen Aufwand.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2010 – 1 BvR 2664/09 –, juris, Rn. 50 f. m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Aus diesem Grunde verliert die von der Beklagten auf der Grundlage der Zweitwohnungssteuersatzung erhobene Zweitwohnungssteuer ihren Charakter als Aufwandsteuer nicht deshalb, weil sie durch die Besteuerung des Arbeitszimmers des Klägers die (teilweise) berufsbedingte Nutzung der Wohnung des Klägers nicht von der Besteuerung ausnimmt. Jedenfalls durch Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG wird die Beklagte nicht zu einer entsprechenden Differenzierung bzw. zur Ausnahme solcher Tatbestände von der Besteuerung, die – wie der Kläger unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2012 – 9 CN 1.11 –, juris, Rn. 14,</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">vorträgt – der Einkommenserzielung dienen, verpflichtet.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. nunmehr für beruflich veranlasste Hotelübernachtungen: BVerfG, Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 89, 141.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Zweitwohnungssteuersatzung ist auch nicht deshalb mit Verfassungsrecht unvereinbar, weil sie eine Ausnahme von der Besteuerung für kommunale Mandatsträger anderer Gemeinden in § 3 Abs. 5 ZwStS vorsieht. Darin ist – auch ungeachtet der Frage, ob sich der Kläger überhaupt auf einen solchen berufen kann – kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Der allgemeine Gleichheitssatz ist grundsätzlich schon kein Instrument, das es Steuerpflichtigen erlaubt, die anderen eingeräumte, die eigene Steuerpflicht nicht betreffende Steuervergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Art. 3 Abs. 1 GG verleiht einzelnen Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf die verfassungsrechtliche Kontrolle einer Norm im Hinblick auf solche Regelungen, die das eigene Steuerverhältnis nicht betreffen.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 97 und Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 133.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Anderes gilt nur dann, wenn die Dritten gewährten Steuervergünstigungen für eine gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt übergreifende Bedeutung haben. Dies ist der Fall, wenn die nur einer Gruppe gewährten Vergünstigungen nach Zahl oder Umfang ein solches Ausmaß erreichen oder nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Steuer solches Gewicht haben, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit der Privilegierungsnorm die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt ist, die von dieser Privilegierungsnorm an sich nicht erfasst werden.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 98 und Beschluss vom 22. März 2022 –1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 133.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen ist der Ausnahmetatbestand mit Blick auf eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG hier schon nicht rügefähig. Denn ihm kommt eine tatsächliche übergreifende Bedeutung nicht zu. Die Beklagte hat dargelegt, dass in den streitbefangenen Veranlagungsjahren der Anteil derer, die von dem Ausnahmetatbestand profitierten, deutlich unterhalb von zwei Prozent aller Zweitwohnungssteuerpflichtigen, in den Veranlagungsjahren 2017 bis 2020 sogar unterhalb von einem Prozent (2016: 1,23 %; 2017: 0,9 %; 2018: 0,68 %; 2019: 0,69 %; 2020: 0,49 %), lag. Das Gericht kann angesichts dieses geringen Anteils nicht erkennen, dass der Ausnahmetatbestand für die Besteuerungsgrundlage prägend ist und im Falle der Gleichheitswidrigkeit des § 3 Abs. 5 ZwStS die Verfassungsmäßigkeit der gesamten Besteuerungsgrundlage in Frage stünde. Vielmehr handelt es sich bei der Ausnahme um einen isolierbaren Einzelpunkt der Steuer. Entfiele die Ausnahme, hätte die Beklagte ersichtlich keinen Anlass, erneut zu prüfen, ob und wie sie das Innehaben einer Zweitwohnung in Zukunft besteuern möchte.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Vgl. hingegen zur Annahme einer übergreifenden Bedeutung für beruflich veranlasste Hotelübernachtungen: BVerfG, Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15  –, juris, Rn. 134.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen wahrt die Regelung des § 3 Abs. 5 ZwStS die an sie zu stellenden Maßstäbe des Gleichheitssatzes im Steuerrecht. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 121 und Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 122.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Normgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 122 und Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 123.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Der Gleichheitssatz belässt dem Normgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 123 und Beschluss vom 22. März 2022 – 1 BvR 2868/15 u. a. –, juris, Rn. 124.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Der Normgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen. Führt ein Steuergesetz zu einer steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Normgeber das Verhalten der Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 124.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Normgeber weitgehend frei. Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält. Er darf Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet zunächst aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Umstände stützt und insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, juris, Rn. 125.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen konnte die Beklagte in Wahrnehmung des dargelegten weitreichenden Entscheidungsspielraums kommunale Mandatsträger anderer Gemeinden von der Besteuerung ausnehmen, ohne dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen. Bei diesem Ausnahmetatbestand handelt es sich zwar um eine Abweichung von der – mit der Wahl des Steuergegenstandes „Innehaben einer Zweitwohnung“ – einmal getroffenen Belastungsentscheidung. Die Ausnahmeentscheidung erfolgt jedoch aus sachgerechten Gründen der Förderung des Gemeinwohls und verfolgt damit einen legitimen Zweck. Der Normgeber kann das Innehaben eines kommunalen Mandats als Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung bei der Aufwandbesteuerung wählen und Zweitwohnungen von kommunalen Mandatsträgern von der Besteuerung ausnehmen, mit dem Ziel, den mit der Zweitwohnungssteuer zulässigerweise,</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">siehe dazu BVerwG, Urteil vom 17. September 2008 – 9 C 17.07 –, juris, Rn. 19 und Beschluss vom 27. Oktober 2003 – 9 B 102.03 –, juris, Rn. 5,</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">auch verfolgten Zweck, den Betroffenen zur Verlegung seines Erstwohnsitzes in die Gemeinde, in der er bislang nur einen Zweitwohnsitz unterhält, zu bewegen, nicht auch auf Mandatsträger anderer Gemeinden zu erstrecken. Derjenige, der in einer anderen Gemeinde ein politisches Ehrenamt innehat, soll – zur Erhaltung und Förderung dieses, dem Gemeinwohl dienenden Verhaltens – gerade nicht zu einer Verlegung seines Erstwohnsitzes – und damit auch seines Lebensmittelpunktes – aufgrund einer zusätzlichen Abgabenlast bewegt werden. Der Betroffene soll sich nicht unter dem Druck der Abgabenlast dazu entschließen müssen, seinen Erstwohnsitz zu verlegen und so – etwa auf der Grundlage von § 37 Nr. 2 i. V. m. § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen – sein von der Beklagten aus Gemeinwohlgesichtspunkten für erhaltenswürdig erachtetes politisches Mandat verlieren. Insoweit soll die Regelung ihrem Zweck nach gerade nicht solche Personen privilegieren, die – wie sie der Kläger mit seiner Argumentation ausschließlich im Blick hat – ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt bereits in N.       haben und diesen melderechtlich nur deshalb nicht als solchen angeben, weil ihnen in der Folge der Mandatsverlust drohte. Die Ausnahme von der Besteuerung knüpft zeitlich viel früher an, indem sie bereits diesem Auseinanderfallen von tatsächlichem und melderechtlich zum Ausdruck gebrachten Lebensmittelpunkt zuvorkommt. Auf diese Weise ermöglicht sie dem Mandatsträger, sich für die Gemeinde zu engagieren, der er sich am stärksten verbunden fühlt und dort auch seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt zu unterhalten, und zwar unbelastet von der Abgabenlast, die ihm für eine – etwa aus beruflichen Gründen – in N.       gehaltene Zweitwohnung auferlegt würde. Dieser Sachgrund erlaubt eine unter Art. 3 Abs. 1 GG zulässige Differenzierung bei der Aufwandbesteuerung. Er rechtfertigt, die durch das Innehaben einer Zweitwohnung zum Ausdruck gebrachte Leistungsfähigkeit ausnahmsweise nicht zu besteuern und angesichts der äußerst geringen Anzahl der durch die Regelung Privilegierten die mit der Zweitwohnungssteuer verfolgten Zwecke – auch die vom Kläger angeführte Eindämmung der Wohnungsnot der einheimischen Bevölkerung,</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">vgl. VGH BW, Beschluss vom 28. Dezember 1992 – 2 S 1557/90 –, juris, Rn. 31, –</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">zurücktreten zu lassen.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">In Ansehung von Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich schließlich für die Beklagte auch keine strengeren Bindungen an den Gleichheitssatz.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die danach wirksame Satzung wurde auch rechtsfehlerfrei angewandt. Die Bescheide vom 17. März 2017, 22. Januar 2018, 23. Januar 2019 und 23. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2020 und der Bescheid vom 29. Oktober 2020 sind sowohl formell als auch materiell rechtmäßig. In formeller Hinsicht genügen sie den Anforderungen der § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG NRW i. V. m. § 119 Abs. 1 Abgabenordnung an ihre hinreichende Bestimmtheit. Den diesbezüglichen Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2020, auf den das Gericht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug nimmt, kann mit der erforderlichen Genauigkeit die Berechnung des Wertes der Jahresnettokaltmiete entnommen werden. Die Festsetzung der Zweitwohnungssteuer ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hatte für die Zeit, die der Steuerfestsetzung hier zu Grunde gelegt worden ist, eine melderechtlich als Zweitwohnung gemeldete Wohnung unter der postalischen Bezeichnung „M.---------straße 000“ in N.       inne. Als Eigentümer stand ihm die erforderliche Verfügungsbefugnis zu. Die Veranlagung ist auch der Höhe nach – soweit sie noch streitbefangen ist – nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Vorgaben der § 4 Abs. 4 und § 7 ZwStS. Dass die danach von der Beklagten unter Rückgriff auf den städtischen Mietspiegel vorgenommene Schätzung der für die klägerische Wohnung erzielbaren Nettokaltmiete in fehlerhafter Weise erfolgt wäre, etwa weil sie auf falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht, wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen oder unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hätte, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen.</p>
346,332
lg-kleve-2022-08-11-120-qs-5622
{ "id": 811, "name": "Landgericht Kleve", "slug": "lg-kleve", "city": 445, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
120 Qs 56/22
2022-08-11T00:00:00
2022-08-27T10:01:31
2022-10-17T11:09:32
Beschluss
ECLI:DE:LGKLE:2022:0811.120QS56.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse als unbegründet verworfen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p> <h1><strong>I.</strong>                          </h1> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts mehrerer Diebstahlstaten sowie des Erschleichens von Leistungen. Auf ihren Antrag erließ das Amtsgericht Geldern am 21.04.2022 einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Dieser Haftbefehl konnte bislang nicht vollstreckt werden.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Daher beantragte die Staatsanwaltschaft am 07.07.2022 bei dem Amtsgericht Kleve den Erlass eines Europäischen Haftbefehls. Diesen Antrag wies das Amtsgericht Kleve mit Beschluss vom 25.07.2022 zurück und begründete seine Entscheidung damit, dass es für die begehrte Maßnahme nicht zuständig sei; dies sei vielmehr das Amtsgericht Geldern.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss vom 25.07.2022 wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde vom 01.08.2022. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass das Amtsgericht Kleve als das Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft für die begehrte Entscheidung zuständig sei.</p> <h1><strong>II.</strong>                       </h1> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Amtsgericht Kleve hat es zu Recht abgelehnt, den von der Staatsanwaltschaft beantragten Europäischen Haftbefehl zu erlassen. Zuständig ist vielmehr das Amtsgericht Geldern.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dies folgt aus § 126 Abs. 1 StPO, weil das Amtsgericht, welches den (deutschen) Haftbefehl erlassen hat, vor Erhebung der öffentlichen Klage auch für alle weiteren gerichtlichen Maßnahmen zuständig ist, die die Untersuchungshaft betreffen. Die Anwendbarkeit der Vorschriften der Strafprozessordnung folgt aus § 77 Abs. 1 IRG. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen enthält keine rechtliche Grundlage für den Erlass des Europäischen Haftbefehls (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 06.02.2020 – 2 Ws 13/20 –, Rn. 5, Juris).</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Europäische Haftbefehl umfasst das Ersuchen an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, den Beschuldigten aufgrund des nationalen Haftbefehls festzunehmen und dem Gericht zu übergeben, und stellt damit inhaltlich eine Ausschreibung des Beschuldigten zur Festnahme im Sinne des § 131 StPO dar (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 06.02.2020 – 2 Ws 13/20 –, Rn. 6, Juris). Eine derartige Maßnahme betrifft die im nationalen Haftbefehl angeordnete Untersuchungshaft (Böhm/Werner, in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 126 Rn. 3; Gärtner, in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 126 Rn. 8).</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei einem Europäischen Haftbefehl um ein von dem deutschen Haftbefehl unabhängiges Rechtsinstrument handelt. Die Verwendung des Worts „Haftbefehl“ legt diese Annahme zwar nahe. Jedoch geht im Hinblick auf die nationale Haftanordnung der Europäische Haftbefehl dieser nach und setzt diese voraus (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.07.2090 – 1 Ws 203/19 – Rn. 3 mit weiteren Nachweisen; OLG Celle, Beschluss vom 16.04.2009 – 2 VAs 3/09 – Rn. 4; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 31.01.2020 – 2 Ws 96/19 und andere – Rn. 11-12; alle vorstehenden Entscheidungen zitiert nach Juris). Auch der Europäische Gerichtshof hat die Abhängigkeit des Europäischen Haftbefehls von der nationalen Entscheidung zuletzt noch mit Urteil vom 13.01.2021 hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass ein Europäischer Haftbefehl als ungültig anzusehen ist, wenn er nicht auf einem nationalen Haftbefehl oder einer anderen vollstreckbaren justiziellen Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 beruht (EuGH, Urteil vom 13.01.2021 – C-414/20 PPU – Rn. 47-57, Juris).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund dringt die Beschwerde nicht mit der Erwägung durch, dass die Staatsanwaltschaft vor Erhebung der öffentlichen Klage nach § 162 Abs. 1 S. 1 StPO die Vornahme einer gerichtlichen Untersuchungshandlung auch bei dem Amtsgericht beantragen kann, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat. Dies gilt in Fällen wie dem vorliegenden nicht, in denen die Staatsanwaltschaft bereits zuvor von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Haftbefehl bei demjenigen Gericht zu erwirken, in dem sich der Beschuldigte aufhält (vgl. dazu § 125 Abs. 1 StPO, § 162 Abs. 1 S. 2 StPO). Denn wie im Vorstehenden ausgeführt worden ist, ist der Europäische Haftbefehl keine Entscheidung, die unabhängig neben der nationalen Haftanordnung steht, sondern von dieser abhängig. Das Gericht, welches den nationalen Haftbefehl erlassen hat, bleibt daher nach § 126 Abs. 1 S. 1 StPO bis zur Erhebung der öffentlichen Klage für die mit der Untersuchungshaft zusammenhängenden Folgeentscheidungen zuständig.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.</p> <span class="absatzRechts">11</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>T1</p> </td> <td><p>T2</p> </td> <td><p>Dr. T</p> </td> </tr> <tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ausgefertigt</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">(XY) J</p>
346,289
ag-dortmund-2022-08-11-729-owi-265-js-8812
{ "id": 647, "name": "Amtsgericht Dortmund", "slug": "ag-dortmund", "city": 407, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Amtsgericht" }
729 OWi-265 Js 881/22-62/22
2022-08-11T00:00:00
2022-08-24T10:01:10
2022-10-17T11:09:25
Urteil
ECLI:DE:AGDO:2022:0811.729OWI265JS881.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Betroffene wird wegen der im Bußgeldbescheid der Stadt Dortmund vom 14.04.2022 genannten Tat zu einer <strong>Geldbuße von 600,00 € </strong>verurteilt.</p> <p>Ihm wird gestattet, die Geldbuße in monatlichen Teilbeträgen von 30,00 € jeweils bis zum 5. eines Monats, beginnend mit dem 1. des Folgemonats nach Erhalt der Zahlungsaufforderung, zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn ein Teilbetrag nicht rechtzeitig gezahlt wird.</p> <p>Dem Betroffenen wird für die Dauer von 3 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene.</p> <p>(§§ 24 a, 25 StVG)</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Leitsatzvorschlag:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Einspruch gegen einen mit Fahrverbot versehenen Bußgeldbescheid kann auf die Geldbußenhöhe beschränkt werden.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nach einer Beschränkung der des Einspruchs auf die Höhe der Geldbuße ist es gleichwohl zulässig und geboten, ein bestehen bleibendes Fahrverbot im tatrichterlichen Urteil klarstellend zu tenorieren.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><em>AG Dortmund, Urt. v. 11.8.2022 - 729 OWi-265 Js 881/22-62/22</em></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>G r ü n d e:</strong></p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Betroffene ist geschieden und Vater dreier Kinder, die bei der Kindesmutter leben. Der Betroffene erhält nach eigenen Angaben etwa 1.200,00 € Arbeitslosengeld I, nachdem er am 01.10.2021 arbeitslos geworden ist. Nach Unterhaltszahlung verbleiben ihm 984,00 € hiervon für seinen Lebensunterhalt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Betroffene ist wie folgt vorbelastet:</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Aufgrund eines Verstoßes vom 08.11.2017 gegen § 24 a StVG (der Betroffene hatte Cannabis konsumiert) wurde gegen ihn am 11.12.2017 (Rechtskraft: 28.12.2017; Tilgung: 28.12.2022) ein Bußgeld von 550,00 € und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach daraufhin verwaltungsrechtlich erfolgter Fahrerlaubnisentziehung und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde gegen den Betroffenen durch die Stadt Dortmund am 20.08.2019 (Rechtskraft: 06.09.2019) wegen eines Geschwindigkeits-verstoßes als LKW-Fahrer ein Bußgeld von 140,00 € und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach erklärter Einspruchsbeschränkung auf die Höhe der Geldbuße stand in der Sache fest, dass der Angeklagte am 01.03.2022 um 11.20 Uhr in Dortmund, T-Platz, als Führer eines PKW unter der Wirkung eines berauschenden</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mittels am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat. Sein Blut wies eine</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">THC-Konzentration von 11,3 ng/ml auf.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend hat sich der Betroffene gemäß §§ 24 a Abs. II, III StVG ordnungswidrig verhalten.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Angesichts der vorliegenden Voreintragungen und der als Einspruchsbeschränkung auf die Höhe der Geldbuße zu wertenden Teilrücknahme des Einspruchs (hierzu: Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021,  § 67 Rn. 35) war auch die Festsetzung des 3-monatigen Fahrverbotes nach § 25 StVG, wie sie in dem angefochtenen Bußgeldbescheid enthalten war, bestandskräftig. Zwar besteht zwischen Fahrverbot und Geldbuße anerkanntermaßen eine Wechselwirkung (so etwa: OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 26.4.2022 – 3 Ss OWi 415/22, BeckRS 2022, 9906; OLG Hamm Beschl. v. 3.3.2022 – 5 RBs 48/22, BeckRS 2022, 5633 ; BayObLG Beschl. v. 23.4.2019 – 202 ObOWi 460/19, BeckRS 2019, 7481; Halecker Der „Denkzettel“ Fahrverbot, 2009, S. 233; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 4 - Verhältnis Geldbuße/Fahrverbot, Rn. 2; BeckOK OWiG/Euler, 35. Ed. 1.7.2022, StVG § 25 Rn. 1). Doch gilt diese nach herrschender Meinung nur einseitig. Während ein Absehen vom vorgesehenen Regelfahrverbot eine erhöhte Bußgeldandrohung zur Folge haben kann (§ 4 Abs. IV BKatV) gilt umgekehrt nicht, dass eine herabgesetzte Geldbuße zu einem erhöhten Fahrverbot führen kann, insbesondere dann nicht, wenn ohnehin das höchst mögliche Fahrverbot von 3 Monaten festgesetzt wurde. Die h.M., nimmt so richtigerweise eine Beschränkbarkeit des Einspruchs innerhalb des Rechtsfolgeausspruchs mit Geldbuße und Fahrverbot auf die Geldbußenhöhe an (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 67 Rn. 34g; OLG Brandenburg Beschl. v. 28.2.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 28/22, BeckRS 2022, 5849; OLG Hamm, Beschl. v. 16. 1. 2012 - III-2 RBs 141/11, BeckRS 2012, 8582  = DAR 2012, 28; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 11. 2016 - IV-2 RBs 157/16, DAR 2017, 92; AG Dortmund Urt. v. 18.7.2017 – 729 OWi-267 Js #####/####/17, BeckRS 2017, 121849; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 21 – Besonderheiten des OWi-Verfahrensrechts, Rn. 6; a.A. für atypische Verstöße: Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl. 2022, § 67 Rn. 60).</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat klarstellend im Urteilstenor das 3-Monats-Fahrverbot nebst Schonfrist (§ 25 Abs. 2a StVG) gleichwohl tenoriert.  Eine derartige Klarstellung ist nach Einspruchsbeschränkung zulässig und geboten. Sie hat keinen eigenständigen und über den Bußgeldbescheid hinausgehenden vollstreckungsfähigen Inhalt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ferner hat es eine Geldbuße von nur 600,00 € festgesetzt und damit die Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € aus dem Bußgeldbescheid reduziert aufgrund der wirtschaft-lichen und persönlichen Verhältnisse des Betroffenen. Das Gericht hat zudem aus denselben Erwägungen eine Ratenzahlungsgewährung vorgenommen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.</p>
346,288
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{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
13 C 7/22 und 13 C 8/22
2022-08-11T00:00:00
2022-08-24T10:01:09
2022-10-17T11:09:24
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0811.13C7.22UND13C8.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die im Rubrum aufgeführten Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.</p> <p>Auf die Beschwerden der Antragsteller werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 31. Mai 2022 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragsteller vorläufig zum Studium der Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des WS 2021/2022 zuzulassen und die Antragsteller einzuschreiben, sofern sie innerhalb von 10 Werktagen nach Bekanntgabe der Zulassung durch Zustellung mit Postzustellungsurkunde bzw. durch Zustellung gegen Empfangsbekenntnis des bevollmächtigten Rechtsanwalts die Immatrikulation bei der Antragsgegnerin beantragen und sie die allgemeinen Immatrikulationsvoraussetzungen erfüllen.</p> <p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Kosten der erstinstanzlichen Verfahren tragen die Antragsteller jeweils zu 16/17 und die Antragsgegnerin zu 1/17.</p> <p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird für die Zeit bis zur Verbindung für jedes der verbundenen Verfahren auf 5.000 Euro und für die Zeit ab der Verbindung auf insgesamt 10.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die auf dasselbe Ziel gerichteten Begehren der Antrag-steller gemäß § 93 Satz 1 VwGO in gemeinsamer Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerden sind zulässig und begründet. Die zur Begründung der Beschwerden fristgemäß dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es, die angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts zu ändern. Die im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmende Prüfung ergibt, dass über die vom Verwaltungsgericht berechneten und bereits vergebenen Studienplätze hinaus zwei weitere nicht besetzte Studienplätze vorhanden sind. Insoweit haben die Antragsteller mit ihrem Beschwerdevorbringen sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller rügen zu Recht den Ansatz eines Lehrdeputats in Höhe von fünf DS nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV NRW in der hier wegen § 5 Abs. 1 KapVO maßgeblichen bis zum 28. September 2021 geltenden Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Lehrverpflichtungsverordnung vom 1. Juli 2016 (GV. NRW. 526) - LVV NRW a.F.- für PD Dr. I.       . Die Antragsgegnerin hat nicht schlüssig und in sich widerspruchsfrei aufgezeigt, dass diesem zu mindestens drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstaufgaben ohne Lehraufgaben obliegen (1.). Nach der Senatsrechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Nr. 10, 11 LVV NRW a.F. hat dies einen Ansatz von vier zusätzlichen DS zur Folge (2.), was zu zwei zusätzlichen Studienplätzen führt, die an die Antragsteller vergeben werden können (3.).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Ausweislich der von der Antragsgegnerin übersandten Tätigkeitsbeschreibung vom 20. Juli 2021 obliegen PD Dr. I.       Aufgaben zu 25 % im Bereich der Lehre , zu 45 % im Bereich des Managements und der Organisation der Lehre, zu 25 % im Bereich der Forschung und zu 5 % im Bereich der Arbeitssicherheit. Als Aufgaben im Bereich des Managements und der Organisation der Lehre werden u.a. die „Organisation, Durchführung und Korrektur von Klausuren und Prüfungen des Fachs“ angeführt. Die Antragsteller machen zu Recht geltend, dass die Durchführung und Korrektur von Klausuren der Lehre zuzuordnen sind.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">a) Zu den nicht in der Lehrverpflichtungsverordnung im Einzelnen definierten Lehraufgaben gehört die Abhaltung von Lehrveranstaltungen (insbes. Vorlesungen, Übungen, Seminare und Kolloquien), deren inhaltliche und methodische Ausgestaltung und die damit im Zusammenhang stehende oder auch auf andere Weise erfolgende Äußerung wissenschaftlicher Erkenntnisse.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 -, juris, Rn. 93 f.; von Coelln in: Leuze/Epping, Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 18. Lieferung 11.2020, § 3 HG NRW, Rn. 49; Geis in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht - Band 3, 4. Aufl. 2021, Vierzehntes Kapitel § 85 E. I. Lehre, Rn. 77.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zu den Lehraufgaben gehört zudem der für die Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltung anfallende Aufwand. Dieser wird, da er je nach Veranstaltungsart sehr unterschiedlich sein kann (vgl. § 2 Abs. 2, 3, § 4 Abs. 2, 6 LVV NRW a.F. bzw. § 2 Abs. 2, 3, § 4 Abs. 2, 6 LVV NRW in der seit dem seit dem 1. Dezember 2021 geltenden Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Lehrverpflichtungsverordnung vom 17. November 2021 (GV. NRW. S. 1222) - LVV NRW n.F. -), kapazitätsrechtlich über einen Anrechnungsfaktor bei der Bemessung des auf den Studiengang entfallenden Ausbildungsaufwands (vgl. § 13 KapVO) berücksichtigt. Spiegelbildlich fließen die Vor- und Nachbereitungszeiten in das nach der Lehrverpflichtungsverordnung für die Lehre maßgebliche Lehrdeputat ein.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Prüfungen und Klausuren, die die Studierenden nach der Prüfungsordnung für den erfolgreichen Besuch der Lehrveranstaltung nachzuweisen haben, sind Bestandteil der Lehrveranstaltung.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. entsprechend Bay. VGH, Beschluss vom 12. September 1984 - 7 CE 84 A. 1563 -, DÖV 1985, 496 (497), wonach Prüfungen als Kontrolle des Lernerfolgs in unmittelbaren Zusammenhang mit der Lehre stehen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben (etwa die Klausurerstellung, die Klausuraufsicht und die Klausurkorrektur) gelten im Anwendungsbereich der Lehrverpflichtungsverordnung deshalb ebenfalls als Lehraufgabe.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. demgegenüber zur Frage, ob die Abnahme von (Abschluss-)Prüfungen vom Begriff der wissenschaftlichen Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG umfasst ist und § 35 Abs. 1 HG NRW, insoweit als er die Abnahme von Prüfungen neben der Lehre als Aufgabe der Hochschullehrer ausdrücklich benennt, konstitutiv ist, einerseits Epping, in Leuze/Epping, Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 18. Lieferung November 2020, § 35 HG NRW, Rn. 123 f., m.w.N., der dies verneint, sowie andererseits Geis in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht - Band 3, 4. Aufl. 2021, Vierzehntes Kapitel § 85 E. I. Lehre, Rn. 79, wonach die Lehrfreiheit Prüfungstätigkeiten umfasst.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Diese Einschätzung steht im Einklang mit § 4 Abs. 5 LVV NRW in der seit dem 29. September 2021 geltenden Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Lehrverpflichtungsverordnung vom 8. September 2021 (GV. NRW. S. 1100), wonach der für die Betreuung von Studienabschlussarbeiten und vergleichbaren Studienarbeiten notwendige Aufwand bis zu einem Umfang von drei DS angerechnet werden kann. Im Gegensatz zu Ermäßigungen für Belastungen aufgrund der Wahrnehmung von Dienstaufgaben außerhalb der Lehre (vgl. § 5 LVV NRW a.F., n.F.), ermöglichen es die in der Lehrverpflichtungsverordnung vorgesehenen Anrechnungsmöglichkeiten besonderen Situationen innerhalb der Lehre Rechnung zu tragen, so etwa bezogen auf die Art der Veranstaltung (vgl. § 4 Abs. 2 LVV NRW a.F., n.F.: Vorlesungen, Übungen, Seminare, Kolloquien, Repetitorien, seminaristischer Unterricht, Praktika), die Lehrform (vgl. § 4 Abs. 6 und 7 LVV NRW n.F. für digital gestützte Lehrveranstaltungen, § 4 Abs. 6 LVV NRW a.F. für die Erstellung und Betreuung von Multimediaangeboten und von virtuell durchgeführten Lehrveranstaltungen) oder die Anzahl der beteiligten Lehrenden oder Lehreinheiten (§ 4 Abs. 4 LVV NRW a.F., n.F.).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon gehört die Durchführung und Korrektur von Klausuren und Prüfungen des Fachs zur Lehre. Diese Tätigkeiten werden von PD Dr. I.       wahrgenommen. Dies hat die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 27. Juni 2022 bestätigt und dazu ausgeführt, dass dieser u.a. Klausurfragen eigenverantwortlich plane, erstelle und diese dann gemeinsam mit Prof. Dr. F.          bzw. nach Abstimmung mit Prof. Dr. F.          korrigiere.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Warum die Antragsgegnerin im Übrigen die „Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Klausuren Physiologie I (2. Sem.) und Physiologie III (4. Semester)“ in der Tätigkeitsbeschreibung für Prof. Dr. G.     der Lehre zuordnet, diese Zuordnung für die nahezu wortgleich beschriebene Tätigkeit des PD Dr. I.       hingegen nicht gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. Ihre mit Schriftsatz vom 29. Juli 2022 erfolgten ergänzenden Erläuterungen, wonach die Tätigkeiten von PD Dr. I.       bzgl. der Vorbereitung, Durchführung und Organisation der Klausuren weit über das hinausgingen, was Herr Prof. Dr. G.     bzgl. der Vorbereitung, Durchführung und Organisation der Klausuren als Aufgaben wahrnehme, sind unergiebig. Sie zeigen zwar auf, dass dem PD Dr. I.       weitergehende Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der Organisation, der Durchführung und der Auswertung der Klausuren im Fach medizinische Psychologie und Soziologie obliegen als Prof. Dr. G.     . Hieraus folgt aber nicht, dass die Durchführung und Korrektur der Klausuren inhaltlich nicht mehr Tätigkeiten wären, die der Lehre zuzuordnen sind. Zu diesen Tätigkeiten des PD Dr. I.       verhält sich der Schriftsatz der Antragsgegnerin im Übrigen auch nicht.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">2. Nach der Senatsrechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV NRW a.F. ist die Ermäßigung des auf eine volle Stelle bezogenen Lehrdeputats von neun auf fünf DS nur gerechtfertigt, wenn eine einzelfallbezogene Betrachtung der den in § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV NRW benannten Personen zugewiesenen Aufgaben eine solche rechtfertigt. Ist dies - wie hier - nicht der Fall, bleibt es bei dem Grundsatz, dass sich das auf die Stelle entfallende Lehrdeputat - abstrakt - nach § 3 Abs. 1 Nr. 10 LVV NRW a.F. bestimmt und mit 9 DS anzusetzen ist.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2021 - 13 C 5/21 -, juris, Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">3. Daraus errechnen sich, die Parameter des Verwaltungsgerichts im Übrigen zugrunde gelegt, bei einem Curriculareigenanteil von 1,84 und einer Schwundquote von 0,96 anstelle der vom Verwaltungsgericht berechneten 346 Studienplätze 350 Studienplätze:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">(305,30 DS + 4 DS) x 2 = 618,6 DS</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">618,6 DS: 1,84 = 336,19 (gerundet 336 Studienplätze)</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">336 : 0,96 = 350 Studienplätze</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vergeben hat die Antragsgegnerin nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts 348 Studienplätze, sodass weitere zwei Studienplätze zur Verfügung stehen, die vorläufig an die Antragsteller vergeben werden können. An dieser Vergabe sieht der Senat sich nicht durch § 33 Satz 4 VergabeVO NRW gehindert.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 13 C 66/19 -, juris, Rn. 27.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Auf die von den Antragstellern darüber hinaus erhobenen Rügen kommt es nach alldem nicht mehr an.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt für das Beschwerdeverfahren aus § 154 Abs. 1 VwGO und für das erstinstanzliche Verfahren aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für das erstinstanzliche Verfahren ist es gerechtfertigt, die Verteilung der Kosten im Verhältnis des teilweisen Obsiegens und Unterliegens vorzunehmen und diese verhältnismäßige Teilung nach der Loschance auszurichten, das heißt dem Verhältnis der Anzahl der in das Losverfahren einzubeziehenden Antragsteller (34) und der errechneten weiteren Studienplätze außerhalb der festgesetzten Kapazität (2).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 39 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,254
ovgnrw-2022-08-11-22-a-149220
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22 A 1492/20
2022-08-11T00:00:00
2022-08-20T10:01:13
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0811.22A1492.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Beigeladene zu 1. trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2., die nicht erstattungsfähig sind.</p> <p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 985.676,25 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Beigeladenen zu 1. auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substanziierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Juli 2019 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windenergieanlagen - davon sollen zwei auf dem Gebiet der Beigeladenen zu 1. (WEA 3 und 5) und drei auf dem Gebiet der Beigeladenen zu 2. (WEA 1, 2 und 4) errichtet werden - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden; zur Begründung hat es, soweit mit Blick auf das Zulassungsvorbringen von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt: Der Erteilung der beantragten Genehmigung stünden die Konzentrationszonenplanung der Beigeladenen zu 1. und das von ihr wegen der Ausschlusswirkung einer solchen Planung (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB) versagte gemeindliche Einvernehmen nicht entgegen. Sowohl die im Jahr 2002 erfolgte Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen zu 1. als auch die im Jahr 1998 erfolgte 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans litten jeweils an einem durchgreifenden Bekanntmachungsfehler, weil sie nicht den an die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügten. Die Genehmigung sei auch nicht aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen. Dies gelte sowohl für die Frage der verkehrlichen Erschließung als auch für das landschaftsrechtliche Bauverbot.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Diesen im Einzelnen jeweils näher begründeten Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt das unmittelbar allein die Anlagen WEA 3 und 5 betreffende Zulassungsvorbringen der Beigeladenen zu 1. nichts Erhebliches entgegen, das im vorgenannten Sinne zu ernstlichen Zweifeln an der (Ergebnis‑)Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führen könnte. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob und wie sich solche Zweifel auf die Zulässigkeit des Antrags hinsichtlich der Anlagen WEA 1, 2 und 4 auswirkten, kommt es deshalb nicht an.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">a) Entgegen der Annahme der Beigeladenen zu 1. ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass ihre Flächennutzungsplanung jedenfalls insoweit unwirksam ist, als mit ihr die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeigeführt werden sollen. Sowohl die im Jahr 2002 erfolgte Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen zu 1. als auch die im Jahr 1998 erfolgte 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans leiden jeweils bereits an einem durchgreifenden Bekanntmachungsfehler. Sie genügen insoweit nicht den an die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">aa) Nach § 6 Abs. 1 BauGB bedarf der Flächennutzungsplan der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ist die Erteilung der Genehmigung ortsüblich bekannt zu machen. Mit dieser Bekanntmachung wird der Flächennutzungsplan nach Satz 2 der Vorschrift wirksam.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB muss geeignet sein, den vom Gesetz geforderten Hinweiszweck (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB) zu erfüllen. Bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, die die Qualität einer Rechtsvorschrift besitzen,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">vgl. nur BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 24, und vom 13. Dezember 2018 ‑ 4 CN 3.18 -, juris Rn. 29, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">ist es aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, dass den Adressaten der Bekanntmachung der räumliche Geltungsbereich dieser Darstellungen hinreichend deutlich gemacht wird. Das ist bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der gesamte Außenbereich der Gemeinde. Dabei reicht es für eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der Genehmigung nicht aus, dass sich aus ihr - sei es ausdrücklich oder im Wege der Auslegung - ergibt, der Flächennutzungsplan gelte für das gesamte Gemeindegebiet. Erforderlich ist auch, dass die mit der Ausweisung von Konzentrationszonen einhergehende unmittelbar rechtsverbindliche Ausschlusswirkung für Windenergieanlagen im übrigen Gemeindegebiet und damit das Inkrafttreten neuen Bebauungsrechts bereits in der Bekanntmachung der Genehmigung selbst hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 16 f., und Beschluss vom 17. Februar 2022 ‑ 4 BN 39.21 -, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 10. Mai 2021 ‑ 2 D 100/19.NE -, juris Rn. 55, und vom 21. Januar 2019 - 10 D 23/17.NE -, juris Rn. 57.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Denn ausgehend davon, dass der Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan (§ 1 Abs. 2 BauGB) im Grundsatz keinen förmlichen Normcharakter hat und auch keine für den Einzelnen verbindlichen Regelungen enthält,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1990 ‑ 4 N 3.88 -, juris Rn. 11 ff., m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">besteht ohne einen zureichenden Hinweis auf die Rechtsqualität für den potenziell betroffenen Normadressaten auch kein Anlass, abweichend vom gesetzlichen Regelfall mit verbindlichen Regelungsinhalten für das gesamte Gemeindegebiet zu rechnen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Geringere Anforderungen an die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ergeben sich - entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1. - auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Offenlagebekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BauGB im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Flächennutzungsplans, der die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für sich in Anspruch nimmt. Danach genüge die Offenlagebekanntmachung den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie hinreichend kenntlich mache, dass die Grenzen des Geltungsbereichs des in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplans mit den Gemeindegrenzen übereinstimmen sollen. Dass und an welcher Stelle Konzentrationszonen dargestellt werden sollen, müsse aus der Bekanntmachung nicht hervorgehen. Wer sich Kenntnis davon verschaffen wolle, ob der Flächennutzungsplan Darstellungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB enthalte, dessen Aufmerksamkeit werde durch den Hinweis auf Ort und Dauer der Auslegung auf die Planunterlagen gelenkt, die insoweit nähere Auskunft gäben. Die Bekanntmachung müsse eine solche Detailinformation nicht vorwegnehmen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 ‑ 4 C 15.01 -, juris Rn. 14 f., und Beschluss vom 17. September 2008 ‑ 4 BN 22.08 -, juris Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen, dass das Bundesverwaltungsgericht an diesen Aussagen für die Anstoßwirkung der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht mehr festhält,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 21 a. E.,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">kommt eine Übertragung dieser Anforderungen auf die Bekanntmachung der Genehmigung des Flächennutzungsplans wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der Offenlagebekanntmachung nach § 3 Abs. 2 BauGB einerseits und der Schlussbekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB andererseits (erst recht) nicht in Betracht. Während mit ersterer im Sinne einer Anstoßwirkung der interessierte Bürger dazu ermuntert werden soll, sich über die gemeindlichen Planungsabsichten zu informieren und gegebenenfalls mit Anregungen und Bedenken zur Planung beizutragen,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 ‑ 4 C 22.80 -, juris Rn. 19, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">soll letztere in den Fällen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Weise das Inkrafttreten verbindlicher Regelungen erkennbar machen. Hierzu gehört - wie bereits ausgeführt - eine hinreichende Information der Normadressaten über den Geltungsbereich der getroffenen Darstellungen des Flächennutzungsplans und ihren Rechtscharakter. Hierin liegt zugleich der entscheidende Unterschied zwischen der Schlussbekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB und der Ersatzverkündung eines Bebauungsplans gemäß § 10 Abs. 3 BauGB, weshalb die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht, wonach die insoweit zu stellenden Anforderungen in der Regel insgesamt geringer seien als die für die Erfüllung der Anstoßfunktion im Sinne des § 3 Abs. 2 BauGB erforderlichen Angaben,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 ‑ 4 C 22.80 -, juris Rn. 19,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1. nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragbar ist. Der Bebauungsplan wird als Satzung erlassen (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB) und enthält stets für die betroffenen Bürger rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung (vgl. §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Damit kommt ihm ‑ insoweit anders als dem Flächennutzungsplan - ungeachtet seines Regelungsinhalts immer der Charakter einer verbindlichen Rechtsnorm zu, weshalb es eines diesbezüglichen Hinweises in der Schlussbekanntmachung nach § 10 Abs. 3 BauGB nicht bedarf. Eine derartige rechtliche Verbindlichkeit besitzt der Flächennutzungsplan nach der gesetzlichen Grundkonzeption als vorbereitender Bauleitplan aus sich heraus jedoch gerade nicht. Demgemäß müssen die von ihm Betroffenen zwar mit Darstellungen für das ganze Gemeindegebiet rechnen, allerdings regelmäßig nicht auch damit, dass ihnen ausnahmsweise unmittelbare Rechtsnormqualität zukommt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Verwendung des Begriffs der Konzentrationszone ist nicht ausreichend, um auf die angestrebte, den gesamten Außenbereich einer Gemeinde betreffende Wirkung hinzuweisen. Der Begriff mag sich in der Rechts- und Planungspraxis etabliert haben, er ist aber weder Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs, noch verwendet ihn das Gesetz. Mit seiner Verwendung in einer Bekanntmachung wird nicht hinreichend verdeutlicht, dass Anlagen außerhalb dieser Zonen unzulässig sind.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 2.19 -, juris Rn. 13 ff.; OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 133 ff.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">bb) Nach diesen Maßgaben erfüllen weder die Bekanntmachung der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen zu 1. vom 2. Januar 2003 noch die Bekanntmachung der 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans ‑ „Darstellung von Konzentrationszonen für Windenergieanlagen“ - vom 8. Dezember 1998 den mit Blick auf die Rechtswirkungen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vorausgesetzten Hinweiszweck und führen aufgrund dieses Ewigkeitsmangels - vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 und § 215 Abs. 1 BauGB in der zum Zeitpunkt der Bekanntmachungen maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 27. August 1997 (BGBl. I, S. 2141) - insoweit zur Unwirksamkeit der Flächennutzungsplanung.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung der Neuaufstellung vom 2. Januar 2003 enthält keinerlei Hinweis darauf, dass der Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen mit Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB umfasst. Namentlich taucht dieser Begriff - entgegen der zumindest erstinstanzlich vertretenen Annahme der Beigeladenen zu 1. - dort nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung der 28. Änderung vom 8. Dezember 1998 stellt im als Anlage beigefügten Übersichtsplan nicht den gesamten Außenbereich der Stadt P.    , sondern nur einen Teil - nämlich das Gebiet um S. - dar. Unter der Überschrift „Plangebietsbeschreibung“ wird das Plangebiet im Textteil zudem ausdrücklich dahingehend beschrieben, dass dessen Grenzen bzw. „die von der Planung betroffenen Grundstücke in der Nähe der Ortschaften S. und O.              “ „aus dem der Bekanntmachung als Anlage beigefügten Übersichtsplan ersichtlich“ seien.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2022 - 7 B 304/22.AK -, juris Rn. 29.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">cc) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ferner geklärt, dass die Anforderungen an die Bekanntmachung im Anwendungsbereich von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB nicht deckungsgleich sind. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt für den Beginn der Antragsfrist maßgeblich auf die Bekanntmachung ab und knüpft diese an den Zeitpunkt, zu dem die unterlandesgesetzliche Norm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht wird. Die vom Normgeber vorgenommene Handlung muss dabei nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntgabe entsprechen. Ausreichend ist vielmehr, dass den potentiell Antragsbefugten die Möglichkeit eröffnet ist, sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsnorm verlässlich Kenntnis zu verschaffen. Demgegenüber ist nur eine - jedenfalls im Wesentlichen - rechtmäßige Bekanntmachung geeignet, den in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB vorausgesetzten und von § 5 Abs. 5 Satz 1 BauGB angestrebten Hinweiszweck zu erfüllen. Abstriche können lediglich insoweit gemacht werden, als die Wirksamkeit des Flächennutzungsplans nicht schon dann zu verneinen ist, wenn das Verfahren an irgendeinem - noch so kleinen - Bekanntmachungsfehler leidet.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2022 ‑ 4 BN 39.21 -, juris Rn. 4 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund unterschiedlicher Zweckrichtungen bestehen die von der Beigeladenen zu 1. auf den Seiten 12 ff. der Begründung ihres Zulassungsantrags angeführten Widersprüchlichkeiten nicht.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Zusammenhang bereits OVG NRW, Urteil vom 7. März 2019 - 2 D 36/18.NE -, juris Rn. 27 ff.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ob die Flächennutzungsplanung der Beigeladenen zu 1. an weiteren, ihre Unwirksamkeit begründenden - beachtlichen - Mängeln leidet, bedarf danach keiner Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">b) Die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, die Genehmigung sei nicht aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen, begegnet ebenfalls keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">aa) Dies gilt zunächst in Bezug auf den               Einwand der Beigeladenen zu 1., die Erschließung der Anlagen WEA 3 und 5 sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht gesichert.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine - derzeit nicht vorhandene - ausreichende Erschließung der beiden Vorhabenstandorte spätestens bis zur Gebrauchsabnahme funktionsfähig angelegt werden könne und es sich nicht aufdränge, dass die Beigeladene zu 1. ein (bislang nicht vorliegendes) Erschließungsangebot der Klägerin in jedem Fall ablehnen dürfe. Diese unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Urteile vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 -, juris Rn. 40, vom 31. Oktober 1990 - 4 C 45.88 -, juris Rn. 19, und vom 30. August 1985 - 4 C 48.81 -, juris Rn. 20,</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">näher begründeten Annahmen hat die Beigeladene zu 1. mit ihrem Vorbringen im Zulassungsverfahren nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(1) Ausgehend davon, dass der Flächennutzungsplanung mangels einer ordnungsgemäßen Schlussbekanntmachung der Genehmigung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB - wie vorstehend ausgeführt - keine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zukommt, vermag die Beigeladene zu 1. mit ihrem Verweis, die Vorhabenstandorte lägen nicht innerhalb einer Konzentrationszone und es sei ihr unzumutbar, entgegen ihren wirksamen Planungsvorstellungen zu handeln, eine fehlende Zumutbarkeit eines (durch die Klägerin noch vorzulegenden) Erschließungsangebots von vornherein nicht zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">(2) Ohne Erfolg macht die Beigeladene zu 1. geltend, ihr sei die Annahme eines Erschließungsangebots nicht zumutbar, weil die in ihrem Eigentum stehenden, nicht als öffentliche Verkehrswege gewidmeten Wirtschaftswege nach deren Zweckbestimmung ausschließlich dem forstwirtschaftlichen Verkehr dienten; gestützt hierauf sei sie auch berechtigt, deren Nutzung zur Erschließung der Anlagen WEA 3 und 5 zu untersagen.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Anders als die Beigeladene zu 1. wohl annimmt, findet sich das von ihr auf Seite 17 im zweiten Absatz der Antragsbegründung genannte Argument des Verwaltungsgerichts in dem hier angegriffenen Urteil so nicht. Auch im Übrigen legt das Zulassungsvorbringen nicht dar, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. Danach habe sich eine Gemeinde mit der Herstellung einer Erschließung jedenfalls abzufinden, wenn ihr nach dem Ausbau des Weges keine weiteren unwirtschaftlichen Aufwendungen entstünden und ihr die Annahme des Angebots auch nicht aus sonstigen Gründen, z. B. weil der Wegeausbau als solcher gegen öffentliche Belange verstoße, unzumutbar sei. Dass dieser, aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">vgl. Urteil vom 30. August 1985 ‑ 4 C 48.81 -, juris Rn. 20,</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">abgeleitete Maßstab unzutreffend sein könnte, stellt die Beigeladene zu 1. nicht mit schlüssigen Argumenten in Frage. Alleine der Hinweis, das Bundesverwaltungsgericht habe in dieser Entscheidung nicht über die hier vorliegende Konstellation entschieden, in der es um die Erschließung eines Vorhabens gehe, das der Zweckbestimmung des Weges von vornherein widerspreche, reicht insoweit nicht aus. Auch die von der Beigeladenen zu 1. wohl unternommene Binnendifferenzierung zwischen nach § 35 Abs. 1 BauGB gleichermaßen privilegierten Vorhaben überzeugt nicht. Hat die Beigeladene zu 1. die hier in Rede stehenden Wirtschaftswege für den forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben, ist sie bei der Entscheidung über die Zulassung weiteren Anliegerverkehrs aus Gründen der Gleichbehandlung gehalten, sich ebenfalls an dem Zweck der Privilegierungstatbestände in § 35 Abs. 1 BauGB zu orientieren. Es steht demgemäß nicht in ihrem Belieben, eine Benutzung der Wirtschaftswege zum Zwecke der Erschließung der Windenergieanlage als einem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich gleichermaßen privilegierten Vorhaben unter Hinweis auf eine fehlende Zweckbestimmung von vornherein auszuschließen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2008 ‑ 10 A 1060/06 -, juris Rn. 82, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Gründe, die die Inanspruchnahme dieser Wege entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts als für sie unabwendbar unzumutbar erscheinen lassen könnten bzw. sie berechtigten, der Klägerin den Anliegerverkehr zu ihren Vorhabengrundstücken zu untersagen, hat die Beigeladene zu 1. (auch) mit ihrer Antragsbegründung nicht geltend gemacht. Dies gilt zunächst hinsichtlich des Vortrags, die vorhandenen Wirtschaftswege müssten nicht nur ertüchtigt, sondern teilweise auch verbreitert werden. Insoweit hat bereits das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend darauf abgestellt, dass die Erschließung nicht von der Beigeladenen zu 1. selbst vorgenommen werden muss und sie sich auch nur dann mit der Herstellung einer Erschließung abzufinden hat, wenn ihr nach dem Ausbau der Wege keine weiteren unwirtschaftlichen Aufwendungen entstehen werden. Hierauf geht das Zulassungsvorbringen mit keinem Wort ein. Aus dem nicht weiter erläuterten Hinweis auf „umfangreiche Rodungen“ kann weder auf das konkrete Ausmaß dieser Rodungen noch überhaupt darauf geschlossen werden, dass die hiervon betroffenen Grundstücksflächen im Eigentum der Beigeladenen zu 1. stehen. Sofern die Beigeladene zu 1. weiter der Sache nach geltend macht, mit der Nutzung der Wirtschaftswege für die Erschließung der Anlagen WEA 3 und 5 gehe eine Intensivierung des Verkehrs einher, die sie verhindern könne, fehlt es an der ‑ auch von der Antragsbegründung für erforderlich gehaltenen - Auseinandersetzung mit den hier gegebenen Einzelfallumständen. Namentlich geht die Beigeladene zu 1. nicht darauf ein, dass nach Errichtung der beiden Anlagen kein werktäglicher (motorisierter) Pendelverkehr zu den Vorhabenstandorten stattfinden wird, vielmehr nur mit einem regelmäßig auf wenige Tage des Jahres beschränkten Anliegerverkehr zu Wartungs- bzw. Reparaturzwecken zu rechnen ist. Inwiefern hiermit eine Intensivierung des Verkehrs verbunden sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Entsprechendes gilt für die nicht weiter begründete Berufung der Beigeladenen zu 1. auf eine Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts; eine nähere Auseinandersetzung wäre schon deswegen erforderlich gewesen, weil dieses Recht nur im Rahmen der Gesetze und damit nicht vorbehaltlos gewährleistet ist und nichts dafür spricht, dass durch die Benutzung der hier in Rede stehenden Wirtschaftswege der unantastbare Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung der Beigeladenen zu 1. betroffen sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">bb) Das Zulassungsvorbringen weckt auch in Bezug auf ein der Erteilung der beantragten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung entgegenstehendes Bauverbot in einem Landschaftsschutzgebiet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte als die für die Entscheidung über die Erteilung einer in einem Landschaftsplan vorgesehenen Ausnahme oder einer Befreiung nach § 67 BNatSchG von einem Bauverbot in einem Landschaftsschutzgebiet zuständige Behörde hat seine Entscheidung in dem angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2019 nicht auf diesen Versagungsgrund gestützt; auch im Übrigen enthält der Bescheid keine diesbezüglichen Erwägungen. Der Beklagte hat sich aber im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 30. Juni 2020 den Ausführungen der Beigeladenen zu 1. in ihrer Antragsbegründung vom 23. Juni 2020 vollumfänglich angeschlossen, wodurch er sich die dortigen Wertungen zu Eigen gemacht haben dürfte. Seine Einschätzung beruhte indes auf einer Rechtslage, die sich zwischenzeitlich entscheidend geändert hat. Da diese Änderung nach dem insoweit maßgeblichen materiellen Recht im Rahmen einer Bescheidungsklage in einem Berufungsverfahren zu berücksichtigen wäre, ist sie auch im Zulassungsverfahren grundsätzlich berücksichtigungsfähig.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 257, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Mit Wirkung vom 29. Juli 2022 ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) durch Art. 1 des Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor vom 20. Juli 2022 (BGBl. I, S. 1237) geändert worden (vgl. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens Art. 20 Abs. 2 Nr. 1 des vorgenannten Gesetzes). Gemäß § 2 Satz 1 EEG liegen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen - hierzu gehören gemäß der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 1 EEG auch Windenergieanlagen - sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sollen, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. In der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 162/22, 176 f.) wird insoweit ausgeführt, dass staatliche Behörden dieses überragende öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen müssten. Dies betreffe jede einzelne Anlage einschließlich dazugehöriger Nebenanlagen, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht würden. Konkret sollten die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen u. a. gegenüber dem Landschaftsbild, Denkmalschutz oder im Forst‑, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bau- oder Straßenrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden. Besonders im planungsrechtlichen Außenbereich, wenn keine Ausschlussplanung erfolgt sei, müsse dem Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Schutzgüterabwägung Rechnung getragen werden. Öffentliche Interessen könnten in diesem Fall den erneuerbaren Energien als wesentlicher Teil des Klimaschutzgebotes nur dann entgegenstehen, wenn sie mit einem dem Art. 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang gesetzlich verankert bzw. gesetzlich geschützt seien oder einen gleichwertigen Rang besäßen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 ‑ 1 BvR 1187/17 -, juris Leitsatz 3: Der Ausbau erneuerbarer Energien dient dem Klimaschutzziel des Art. 20a GG und dem Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels, weil mit dem dadurch CO<sub>2</sub>-emissionsfrei erzeugten Strom der Verbrauch fossiler Energieträger zur Stromgewinnung und in anderen Sektoren wie etwa Verkehr, Industrie und Gebäude verringert werden kann. Der Ausbau erneuerbarer Energien dient zugleich dem Gemeinwohlziel der Sicherung der Stromversorgung, weil er zur Deckung des infolge des Klimaschutzziels entstehenden Bedarfs an emissionsfrei erzeugtem Strom beiträgt und überdies die Abhängigkeit von Energieimporten verringert.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vor dem Hintergrund dieser für die hier von dem Beklagten zu treffende Abwägungsentscheidung bedeutenden Gesetzesänderung kann auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Beigeladenen zu 1. nicht angenommen werden, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer im zwischenzeitlich in Kraft getretenen Landschaftsplan Nr. 5 vorgesehenen Ausnahme oder einer Befreiung nach § 67 BNatSchG - sollte eine solche im hiesigen Genehmigungsverfahren nach Art. 1 Nr. 2, Art. 3 Abs. 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I, S. 1362) überhaupt noch zu treffen sein - offensichtlich nicht vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">2. Aus den unter 1. genannten Gründen liegen auch die von der Beigeladenen zu 1. geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nicht vor (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Antragsbegründung zeigt keine Fragen auf, die sich nicht im Zulassungsverfahren beantworten und den Ausgang eines etwaigen Berufungsverfahrens als zumindest offen erscheinen ließen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">3. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die von der Beigeladenen zu 1. für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen,</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">a) Ist in der Bekanntmachung eines gesamträumlich aufgestellten Flächennutzungsplans, der neben Darstellungen zur Steuerung von Windenergieanlagen mit der Wirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB (Konzentrationszonen) auch zahlreiche weitere Darstellungen von Sonderbauflächen enthält, nicht nur ein Hinweis auf die Geltung des Flächennutzungsplans im gesamten Gemeindegebiet, sondern auch ein Hinweis auf die Lage der Konzentrationszonen im Gemeindegebiet und die Rechtswirkung der Konzentrationszonen erforderlich?</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">b) Ist der räumliche Geltungsbereich eines sachlichen Teilflächennutzungsplans zur Steuerung von Windenergieanlagen durch einen Hinweis in der Bekanntmachung auf die Lage der Konzentrationszonen und die Verwendung des Begriffs „Konzentrationszone" hinreichend verdeutlicht?</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">sind ungeachtet ihrer Entscheidungserheblichkeit jedenfalls nicht (mehr) klärungsbedürftig. Sie lassen sich auf Grundlage bereits vorliegender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts ohne Weiteres in dem unter 1. a) aufgezeigten Sinne beantworten. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf legt das Zulassungsvorbingen nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. sind aus Gründen der Billigkeit nicht erstattungsfähig, weil diese sich nicht in das Zulassungsverfahren eingebracht hat.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.4 i. V. m. Nr. 19.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und orientiert sich an den geschätzten (Netto-)Herstellungskosten.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das angefochtene Urteil rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
346,218
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12 U 364/21
2022-08-11T00:00:00
2022-08-17T10:00:51
2022-10-17T11:09:15
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 29.11.2021 (3 O 144/15) unter Aufrechterhaltung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>1. Die Beklagten werden verurteilt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass von dem Erdreich einschließlich der Befestigungen und Abstützungen auf ihrem Grundstück (Flurstück …), das sich oberhalb einer gedachten Fläche zwischen der Krone der bestehenden Stützmauer und der westlichen Oberkante der Terrasse des auf dem Grundstück der Beklagten vorhanden Wohngebäudes befindet, keine Schädigung des Grundstücks der Klägerin (Grundstück Flurstück …) durch Absturz oder Pressung des Bodens ausgeht und eine solche Schädigung ausgeschlossen ist.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>2.  Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>II. Die weitergehenden Berufungen beider Parteien werden zurückgewiesen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>III. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für die Hangabsicherung an der Grenze ihrer Grundstücke.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks R-straße 29, Flustück-Nr. …, in B. Die beiden Beklagten sind Eigentümer des Nachbargrundstücks R-straße 31, Flurstück-Nr. …. Der Beklagte Ziff. 2 und der Ehemann der Klägerin waren Brüder und erhielten ursprünglich je eines dieser beiden Grundstücke, die damals schon Bauland waren, im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Zur Verdeutlichung der räumlichen Situation wird auf den im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens vorgelegten Lageplan verwiesen (Anlage K 1 im Verfahren 3 OH 11/16).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Das Grundstück der Klägerin liegt tiefer als das Grundstück der Beklagten. Das Ausmaß der Hanglage und deren Veränderung in der Vergangenheit ist zwischen den Parteien streitig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Im Jahre 1968 ließen die Klägerin und ihr Ehemann auf ihrem Grundstück ein Haus errichten. In diesem Zusammenhang wurde das Grundstück der Klägerin an der Grenze zum Grundstück der Beklagten abgebaggert und eingeebnet. Zur Hangabsicherung wurde eine Stützmauer errichtet, wobei der hierfür erforderliche Arbeitsraum nach Abschluss der Arbeiten mit Aushubmaterial verfüllt wurde. Die Stützmauer besteht im südlichen Teil, im Bereich des Tankraumes, aus stahlbewehrtem Beton; im nördlichen Teil ist die Wand gemauert. Zum Zustand im Bereich der Stützmauer im Jahr 1975 wird auf das entsprechende Lichtbild (Anlage B 1 im Verfahren 3 OH 11/16) Bezug genommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>In den 1970er Jahren – der genaue Baubeginn steht zwischen den Parteien im Streit – errichteten die Beklagten auf ihrem Grundstück ebenfalls ein Haus.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Im Jahr 1983 ließen die Beklagten oberhalb der vorgenannten Stützmauer zwei Reihen Steine (U-Steine) ohne Zustimmung der Klägerin aufsetzen. Zur Verdeutlichung der damaligen Situation wird auf das entsprechende Lichtbild (Anlage B 2 im Verfahren 3 OH 11/16) Bezug genommen. Inwieweit die Beklagten auch eine Hinterfüllung dieser Steine mit zusätzlichen Erdreich vorgenommen haben, steht zwischen den Parteien im Streit. Mit Schreiben vom 19.07.1983 wies der Ehemann der Klägerin auf die Gefahren hin, die sich aus seiner Sicht durch dieses Vorgehen ergaben (Anlage K 2 im Verfahren 3 OH 11/16).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Ab dem Jahr 1986 zeigten sich bei der bis dahin nach außen intakten Stützmauer zunächst im nördlichen Bereich Ausbauchungen und auch eine Schrägstellung. Hinsichtlich der damaligen Situation im Bereich der Stützmauer wird auf das entsprechende Lichtbild (Anlage B 3 im Verfahren 3 OH 11/16) verwiesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Im Jahr 2006 oder 2007 wurden auf dem Grundstück der Beklagten am Hang oberhalb der aufgesetzten Betonsteine hölzerne Palisaden eingerammt und dahinter zum Zwecke einer Bepflanzung ca. 1 m³ weiteres Erdreich eingebracht. Hinsichtlich der sich hiernach ergebenden Situation im Hangbereich wird auf die beiden entsprechenden Lichtbilder (Anlagen B 4 und B 5 im Verfahren 3 OH 11/16) verwiesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Seit den Jahren 2008 und 2009 nahmen die Verformungen der vorgenannten Stützmauer zu und sie zeigt auch Risse. Es besteht die Gefahr, dass die Mauer sich weiter neigt und schließlich durchbricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Antragsschrift vom 20.02.2012 leiteten die Beklagten gegen die Klägerin vor dem Landgericht Baden-Baden ein selbstständiges Beweisverfahren ein, welches die Feststellung der Neigung der Stützmauer, die Gefahr ihres Durchbruchs und die Ermittlung der Ursachen hierfür betraf (3 OH 11/16). In diesem Verfahren wurden insgesamt vier Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. G eingeholt (Gutachten vom 08.10.2012; 1. Ergänzungsgutachten vom 27.09.2013; 2. Ergänzungsgutachten vom 27.01.2014; 3. Ergänzungsgutachten vom 24.09.2015). Dieser wurde im Termin vom 15.03.2013 und vom 08.03.2016 mündlich angehört. Mit Beschluss vom 15.12.2016 wurde der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens auf 30.345 EUR festgesetzt und das Verfahren damit abgeschlossen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Klägerin hat behauptet, die 1968 errichtete Stützmauer bestehe auch im gemauerten nördlichen Teil aus stahlbewehrtem Beton und befinde sich vollständig auf ihrem Grundstück. Bis zur Errichtung des Wohnhauses auf dem Grundstück der Beklagten habe die Steigung der Böschung hinter der Mauer zwischen 20 und 25 Grad betragen und die Stützmauer sei standsicher gewesen. Im Jahr 1983 hätten die Beklagten die von ihnen gesetzten Betonsteine zugleich mit zusätzlichen Erdreich hinterfüllt und damit die Steigung des Grundstücks auf 35 Grad erhöht. Erst durch das Setzen der Betonsteine und später der Palisaden und die dabei vorgenommenen Aufschüttungen sei die Standsicherheit der Stützmauer beeinträchtigt und die Bruchgefahr hervorgerufen worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Klägerin hat zuletzt beantragt:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass eine Schädigung des Nachbargrundstücks der Klägerin (Grdstck-Flstck Nr.: …) durch Absturz oder Pressung des Bodens i.S. §§ 9, 10 NRG ausgeschlossen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, durch geeignete Maßnahmen die im Eigentum der Klägerin stehende Mauer der Klägerin auf dem Nachbargrundstück GrdstckFlstck Nr.: …) zum Beklagtengrundstück (Grdstck-Flstck Nr.: …) in den baulichen Zustand zurückzuversetzen, in dem sie sich laut dritter Ergänzung des Sachverständigengutachtens G - Seite 17 - vor Auflage der U-Steine durch die Beklagten befand, nämlich Standsicherheit: mindestens 2,025 und gerade in Wasser und Senkel.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>Hilfsweise:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>In einen baulichen Zustand zurückzuversetzen, in dem sie entsprechend den Regeln der Technik wieder Standsicherheit mindestens > 2,0 hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Beklagten haben beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="18"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Sie haben behauptet, die streitgegenständliche Stützmauer sei in Teilen auf dem Grundstück der Beklagten errichtet worden. Die Hangsituation entspreche bis auf die U-Steine und die Palisaden weiterhin der Lage in der Vergangenheit, insbesondere sei die Steigung des Hanges im Wesentlichen unverändert geblieben. Vor dem Setzen der U-Steine sei im Hang abgegraben worden, um eine Ebene zu schaffen, und nach Setzung der Steine sei das zuvor entfernte Erdreich hinter den Steinen verfüllt worden. Zusätzliches Erdreich sei nicht aufgetragen worden. Die Stützmauer sei schon im Zeitpunkt ihrer Errichtung nicht ausreichend gewesen, um dem Druck des Hanges dauerhaft standzuhalten. Ihre Höhe sei von Anfang an zu gering und eine Errichtung in Leichtbauweise unzureichend gewesen. Zudem hätten schon im Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer eine eventuelle Bebauung des höhergelegenen Grundstücks und die sich dann ergebenden Lasten berücksichtigt werden müssen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Das Landgericht hat dem Antrag Ziffer 1 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Klägerin habe gegen die Beklagten Anspruch auf die mit Klagantrag Ziffer 1 in zulässiger Weise begehrte Hangabsicherung aus § 1004 Abs. 1 BGB. Sie sei Eigentümerin der Mauer, weil diese auf ihrem Grundstück stehe. Dass die Mauer Belastungen ausgesetzt sei, die zu Ausbauchungen und Rissbildungen führten, stehe außer Streit. Zur Frage der Verantwortlichkeit hat das Landgericht Beweis erhoben durch ein weiteres schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. G vom 15.05.2018, dessen mündliche Anhörung am 24.02.2017, ein geologisches Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. O vom 16.06.2021 sowie die Vernehmung des Zeugen Rolf B. Auf dieser Grundlage hat es sich die Überzeugung gebildet, dass die Beklagten Handlungs-, jedenfalls aber Zustandsstörer seien. Der Sachverständige G habe bereits im selbstständigen Beweisverfahren 3 OH 11/16 überzeugend ausgeführt, dass die Stützmauer 1975 bei einer Geländeneigung von 20 bis 25 Grad standsicher gewesen sei, dass die Standsicherheit erst durch Aufbringung zusätzlichen Erdreichs auf dem Grundstück der Beklagten reduziert worden und schließlich unter 1,0 gefallen sei. Hieran habe der Sachverständige in der Folge stets festgehalten. Das Gericht sei aufgrund der vorgelegten Bilder davon überzeugt, dass die Beklagten die U-Steine hinterfüllt und damit ihr Grundstück und die Hangneigung erhöht hätten. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen G vom 11.04.2012 ergebe sich auch aus den Baueingabeunterlagen ein Gefälle von 20 bis 25 Grad. Zudem spreche der Zeitablauf dafür, dass die Standsicherheit erst durch spätere Auffüllungen beeinträchtigt worden sei. Denn die Mauer habe 20 Jahre unbeeinträchtigt gestanden, bevor sie – drei Jahre nach Setzung der U-Steine – 1986 erstmals Ausformungen gezeigt habe. Diese Überzeugung habe der Vortrag der Beklagten und ihre gegenbeweislich angebotenen Beweismittel nicht erschüttern können. Insbesondere habe das geologische Gutachten des Sachverständigen O den Vortrag der Beklagten nicht gestützt, vielmehr sei auch dieser zum Ergebnis gekommen, dass es eine Änderung der Steigung gegeben haben müsse. Die Angaben des Zeugen Rolf B seien unergiebig gewesen. Der Beseitigungsanspruch sei nicht wegen § 909 BGB ausgeschlossen. Es stelle zwar eine Vertiefung im Sinne dieser Vorschrift dar, wenn lediglich der Hangfuß abgegraben werde; die von der Klägerin und ihrem Ehemann errichtete Stützmauer sei aber ausreichend gewesen, auch im Hinblick auf eine zu erwartende Bebauung des hangaufwärts gelegenen Grundstücks. Dem Sachverständigen G zufolge habe die Bebauung auf dem Grundstück der Beklagten – einschließlich deren Terrasse – den Geländedruck auf die Stützmauer nicht erhöht. Das Aufsetzen der U-Steine und die weitere Aufschüttung des Grundstücks seien aber keine zu erwartende Nutzung, auf die die Stützmauer hätte ausgerichtet werden müssen. Die Verantwortung dafür sei vielmehr nach § 907 BGB und § 9 NRG den Beklagten zugewiesen, was auch ein Mitverschulden der Klägerin ausschließe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Der mit Antrag Ziffer 2 verfolgte Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Stützmauer stehe der Klägerin dagegen nicht zu. Die Beklagten hätten nach § 1004 Abs. 1 BGB die fortdauernde Beeinträchtigung zu beenden; dazu gehöre aber nicht zwingend ein umgestaltender Eingriff in die Stützmauer selbst. Die Wiederherstellung der Stützmauer könne nur als schadensrechtliche Naturalrestitution nach §§ 823 Abs. 1, 249 BGB verlangt werden; zum dafür erforderlichen Verschulden der Beklagten habe die Klägerin aber nichts vorgetragen. Die Beklagten hätten als Laien nicht erkennen müssen, dass durch das Setzen der U-Steine und deren Hinterfüllung das Eigentum der Klägerin beeinträchtigt würde. Das Schreiben des Ehemannes der Klägerin vom 19.07.1983 hätte den Beklagten zwar Anlass geben können, die Steine und die Auffüllung wieder zu beseitigen. Es stehe aber nicht fest, dass dadurch die Eigentumsbeeinträchtigung vermieden worden wäre; vielmehr sei es möglich, dass die Standsicherheit der Mauer durch das Auffüllen bereits irrevisibel auf ca. 1,0 gefallen sei. Soweit das Belassen der Steine die Standsicherheit weiter beeinträchtigt habe, könne dies den geltend gemachten Anspruch – der sich auf Wiederherstellung des Zustandes vor dem Auffüllen richte – nicht tragen. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 9 NRG BW ergebe sich kein Wiederherstellungsanspruch der Klägerin. Denn es sei nicht nachgewiesen, dass die Stützmauer vor dem Setzen der U-Steine die begehrte Standsicherheit von mindestens 2,0 aufgewiesen habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Hiergegen wenden sich beide Parteien.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Die Klägerin macht geltend, der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB bestehe unabhängig von der Frage, ob die Mauer ganz auf dem Grundstück der Klägerin stehe. Sofern das nicht der Fall sei, handle es sich um einen Überbau, der die Rechtsfolgen der §§ 912ff. BGB auslöse, aber nicht zu einer Eigentumsverschiebung führe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts folge auch der Anspruch auf Wiederherstellung verschuldensunabhängig aus § 1004 Abs. 1 BGB. Der Unterschied zur deliktischen Haftung liege nur darin, dass nach § 1004 BGB nur die Wiederherstellung der von der Eigentumsbeeinträchtigung betroffenen, nicht auch sonstiger Sachen verlangt werden könne.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Überdies habe das Landgericht zu Unrecht eine deliktische Verantwortlichkeit der Beklagten verneint. Der Beklagte sei schon kein Laie, sondern gelernter Maurer und habe die Standsicherheit der Mauer einschätzen können. Das Landgericht habe überdies verkannt, dass die Widerrechtlichkeit der Rechtsgutsverletzung im Rahmen des § 823 BGB indiziert sei und sich das Verschulden nur auf die Rechtsgutsverletzung, nicht auch auf den eingetretenen Schaden beziehen müsse. Die Annahme des Landgerichts, es sei nicht auszuschließen, dass schon das Aufsetzen der Mauer die Standsicherheit beeinträchtigt habe, stehe in Widerspruch zu den zuvor getroffenen Feststellungen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Soweit die Beklagten mit ihrer Berufung geltend machten, es sei nicht hinreichend zwischen den verschiedenen Mauerabschnitten unterschieden worden, verweist die Klägerin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Behauptung, der nördliche Mauerabschnitt bestehe nur aus Bimsstein und sei zu niedrig, sei durch die Sachverständigen bereits widerlegt. Soweit die Beklagten nunmehr – erstmals – auf einen im Jahr 1990/1991 abgelehnten Bauantrag für eine Zufahrt abstellten, sei dies verspätet und unerheblich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="28"/>das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Beklagten (über die erstinstanzlich zuerkannte Verpflichtung, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass eine Schädigung des Nachbargrundstücks der Klägerin (GrdstckFlstck Nr.: …) durch Absturz oder Pressung des Bodens i.S. §§ 9, 10 NRG ausgeschlossen ist) zu verurteilen,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/>durch geeignete Maßnahmen die Mauer der Klägerin auf dem Nachbargrundstück (GrdstckFlstck Nr.: …) zum beklagtischen Grundstück (GrdstckFlstck Nr.: …) in den baulichen Zustand zurück zu versetzen, in dem sie sich laut 3. Ergänzung des Sachverständigengutachtens G – Seite 17 – vor Auflage der U-Steine durch die Beklagten befand, nämlich Standsicherheit: mind. 2,025 und gerade in Wasser und Senkel.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>hilfsweise:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="31"/>in einen baulichen Zustand zurückzuversetzen, in dem sie entsprechend den Regeln der Technik wieder Standsicherheit, mind. > 2,0 hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="32"/>höchsthilfsweise:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="33"/>den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="34"/>und</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="35"/>die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Beklagten beantragen,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="37"/>die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="38"/>das Urteil des Landgerichtes B vom 29.11.2021, Az.: 3 O 144/15 aufzuheben, soweit im Tenor zu Ziffer 1 eine Verurteilung der Beklagten erfolgt ist, und die Klage abzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Sie machen geltend, das Landgericht habe nicht zwischen den beiden Abschnitten der Stützmauer unterschieden. Die Betonwand im Bereich des Tankraumes habe – unstreitig – zu keinem Zeitpunkt eine Veränderung erfahren und sei dauerhaft standsicher. Dagegen sei die Stützmauer im nördlichen Teil von Anfang an ein „Leichtgewicht“ aus Hohlblock-Bimsstein ohne Beton- oder Stahleinlage und zudem zu niedrig gewesen. Dies sei von Anfang an unzureichend gewesen. Es habe in der Verantwortung der Klägerin und ihres Ehemannes gelegen, die Abgrabung und Vertiefung so abzusichern, dass das höhergelegene Grundstück auch bei der zu erwartenden Bebauung einschließlich der Bodenmodellierung im zulässigen Umfang eine hinreichende Stütze hat. Das Aufsetzen der U-Steine sei aufgrund der zu geringen Mauerhöhe notwendig gewesen, um die erwartbaren Bodenabschwemmungen aufzufangen. Das Einbringen der Palisaden habe zu keiner weiteren Belastung der Stützmauer geführt. Unstreitig habe die steile Hanglage der Errichtung einer Zufahrt mit Wendeplatte auf dem Grundstück der Klägerin entgegengestanden. Zudem sei die Mauer bereits im Rahmen der Beweiserhebung im selbstständigen Beweisverfahren teilsaniert und die Standsicherheit erhöht worden.</td></tr></table> <table><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Beide Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Beklagten ist auch zu einem geringen Teil begründet und führt zur Änderung des erstinstanzlichen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.</td></tr></table> <table><tr><td>1.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Dem Klagantrag Ziffer 1 hat das Landgericht zu Recht stattgegeben. Die Klägerin kann nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen, dass die Beklagten die bestehende Störung in Gestalt des vom höhergelegenen Grundstück ausgehenden Geländedrucks beseitigen. Dies gilt jedoch - insoweit gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil einschränkend - nur, soweit das Bodenniveau auf dem Grundstück der Beklagten oder dort stehende Befestigungen oder Abstützungen, insbesondere die Palisaden, die gedachte Fläche zwischen der Krone der jetzt bestehenden Stützmauer und der westlichen Oberkante der Terrasse auf dem Grundstück der Beklagten übersteigt. Bis zu diesem Oberflächenniveau hat die Klägerin selbst sicherzustellen, dass die Stützmauer hinreichend standsicher ist, um die vom Hang ausgehende Last aufzufangen.</td></tr></table> <table><tr><td>a.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Das Grundstück der Klägerin wird dadurch im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB beeinträchtigt, dass vom höhergelegenen Grundstück der Beklagten ein Geländedruck ausgeht, der die Belastungsgrenze der an der Grenze errichteten Stützmauer übersteigt, so dass diese einzustürzen droht (vgl. zum Verdichtungsdruck als Grundstücksbeeinträchtigung BGH, Beschluss vom 12.06.2014 - V ZR 308/13, juris Rn. 8). Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.</td></tr></table> <table><tr><td>b.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Für diesen Zustand sind die Beklagten sowohl als Handlungs- als auch als Zustandsstörer insoweit verantwortlich, als sie ihr Grundstück über die Fläche hinaus erhöht haben, die zwischen dem natürlichen Bodenniveau an der Grundstücksgrenze - das der Krone der jetzigen Stützmauer entspricht - und der westlichen Vorderkante ihrer Terrasse liegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass beide Parteien durch Umgestaltungen ihrer Grundstücke zu der jetzt eingetretenen Störungslage beigetragen haben: Die Klägerin durch das Abgraben ihres Grundstücks und die Errichtung der Stützmauer beim Bau ihres Wohnhauses im Jahre 1968; die Beklagten durch die Modellierung des oberhalb der Grenzmauer liegenden Hanges beim Bau ihres Wohnhauses in den 1970er Jahren, das Aufsetzen der U-Steine 1983, das Einrammen der Palisaden im Jahr 2006 oder 2007 und die damit jeweils verbundene Veränderung des Hangprofils. Es gilt deshalb, die Verantwortungsanteile beider Parteien voneinander abzugrenzen: Die Klägerin kann von den Beklagten die Beseitigung der Störung nur insoweit verlangen, als sie nicht selbst für die Sicherung des Hanges zu sorgen hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Abgrenzung der Verantwortlichkeitsspähren richtet sich in der vorliegenden Konstellation nach § 909 BGB. Soweit die Klägerin nach dieser Vorschrift selbst für die Grundstückssicherung gegen Absturz zu sorgen hat, stehen ihr keine Ansprüche gegen die Beklagten zu (aa.). Weitergehende Umgestaltungen auf dem Grundstück der Beklagten, die einen zusätzlichen Druck auf die Stützmauer auslösen, muss die Klägerin aber nicht dulden (bb.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>aa. Die Klägerin hat nach § 909 BGB für eine genügende anderweitige Befestigung zu sorgen, soweit das Grundstück der Beklagten durch die Abgrabung an der Grundstücksgrenze seine Stütze verloren hat. Daher fällt die Abstützung des Abhangs bis zum Niveau der Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der westlichen Kante der Terrasse am Wohnhaus der Beklagten in die Verantwortung der Klägerin.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>(1) Das Abgraben eines Hangfußes stellt eine Vertiefung im Sinne des § 909 BGB dar (BGH, Urteil vom 28.01.1972 - V ZR 20/70; BGH, Urteil vom 07.02.1980 – III ZR 153/78). Nach dieser Vorschrift hat der vertiefende Eigentümer eine genügende anderweitige Befestigung des Nachbargrundstücks herzustellen und diese auch in ordentlichem Zustand zu halten (Vollkommer, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.04.2022, § 1004 Rn. 28). Die Befestigungsmaßnahme muss auf dem zu vertiefenden Grundstück liegen (BGH, Urteil vom 27.05.1997 – V ZR 197/96, juris Rn. 8; Brückner, in: Münchener Kommentar-BGB, 8. Aufl., § 909 Rn. 25; Vollkommer, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.04.2022, § 909 Rn. 26) und den Stützverlust vollständig ausgleichen (Fritzsche, in: BeckOK-BGB, Stand: 01.02.2022, § 909 Rn. 12). Die Schutzvorkehrungen dürfen dabei nicht nur auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vertiefung ausgerichtet werden, vielmehr sind auch weitere Entwicklungen auf dem höherliegenden Grundstück zu berücksichtigen. Die Befestigung muss so geartet sein, dass der Boden des Nachbargrundstücks auch eine Belastung mit solchen weiteren Anlagen verträgt, mit deren Errichtung nach den gesamten Umständen, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, vernünftigerweise zu rechnen ist; handelt es sich, wie im vorliegenden Fall, um ein Baugrundstück, dann ist zugleich die Möglichkeit einer künftigen Bebauung, die über den bisherigen Umfang hinausgeht, in Rechnung zu stellen. Allerdings darf in der Errichtung des neuen Bauwerks keine ganz ungewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnutzung des Grundes und Bodens liegen (BGH, Urteil vom 03.05.1968 – V ZR 229/64, juris Rn. 19; vgl. auch BGH, Urteil vom 25.10.1974 – V ZR 47/70, juris Rn. 8; Brückner, in: Münchener Kommentar-BGB, 8. Aufl. 2020, § 909 Rn. 24).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Hang nach der Vertiefung ausreichend befestigt wurde, trägt die Klägerin, weil sie als Anspruchstellerin nach § 1004 Abs. 1 BGB die Beeinträchtigung nachzuweisen hat (Fritzsche, in: BeckOK-BGB, Stand: 01.02.2022, § 1004 Rn. 131) und auch als vertiefende Eigentümerin beweisen muss, zeitgleich mit der Vertiefung für eine genügende anderweitige Stütze gesorgt zu haben (Vollkommer, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.04.2022, § 909 Rn. 65, 63; Brückner, in: Münchener Kommentar-BGB, 8. Aufl., 2020, § 909 Rn. 50; Fritzsche, in: BeckOK-BGB, Stand: 01.02.2022, § 909 Rn. 29 zu Recht entgegen Herrler, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 909 Rn. 2 und Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 909 Nr. 2d; die dort genannte Entscheidung des BGH, Urteil vom 24.02.1978 – V ZR 95/75, betrifft nicht die Beweislast, sondern die Bestimmtheit des Klagantrags; auch die Konstellation eines Anscheinsbeweises – vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.1999 – 22 U 208/98 – liegt hier nicht vor).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(2) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin für eine Absicherung zu sorgen, die auf ihrem Grundstück liegt, bis zur ursprünglichen Geländeoberfläche an der gemeinsamen Grundstücksgrenze reicht und ausreichend standsicher ist, um nicht nur das natürlich gewachsene Grundstück der Beklagten abzustützen, sondern auch dem zusätzlichen Druck standzuhalten, der durch eine nach den örtlichen Verhältnissen schon bei Errichtung der Stützmauer im Jahr 1968 zu erwartende Bebauung hervorgerufen wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Diesen Anforderungen entspricht die streitgegenständliche Stützmauer nach ihrer Lage und Höhe. Sie steht – soweit hier streitgegenständlich – vollständig auf dem Grundstück der Klägerin. Dies ergibt sich aus der Vermessung durch den Sachverständigen G (Gutachten vom 29.04.2015, 3 OH 11/16, Seite 11f.; 18), wurde in der Folge von den Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen und auch vom Landgericht festgestellt. Die Mauer hat auch die geschuldete Höhe, weil ihre Krone dem ursprünglichen Geländeverlauf entspricht. Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Bild, das im selbstständigen Beweisverfahren (3 OH 11/16) als Anlage B1 vorgelegt wurde und den Zustand im Jahr 1975 zeigt, und ist zwischen den Parteien auch nicht umstritten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Die Standfestigkeit war und ist darauf auszulegen, dass die Mauer der Last bis zu einem Geländeverlauf unterhalb der gedachten Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der westlichen Oberkante der Terrasse auf dem Grundstück der Beklagten standhält. Dabei kann offen bleiben, ob – wie die Beklagten vortragen – das Oberflächenniveau beim Bau ihres Wohnhauses unverändert blieb oder – wie die Klägerin behauptet – das Gelände unterhalb der Terrasse aufgefüllt wurde. Denn in jedem Fall war mit einer Bebauung, wie sie tatsächlich erfolgt ist, nach den örtlichen Verhältnissen vernünftigerweise zu rechnen und in der Errichtung des Wohnhauses der Beklagten einschließlich der dabei ggf. vorgenommenen Oberflächengestaltung lag keine ganz ungewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnützung des Grund und Bodens.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Dabei ist im Ausgangspunkt unstreitig, dass die Terrasse am Wohnhaus der Beklagten tatsächlich nicht freischwebend errichtet wurde, sondern von Anfang an mit Erdreich unterfüllt war. Der daraus anzuleitende Geländeverlauf von der Außenkante der Terrasse bis zur Krone der Stützmauer ist in Anlage 12 zum 4. Ergänzungsgutachten vom 15.05.2018 mit hellblauer Farbe eingetragen; der Sachverständige hat hierfür eine Steigung von 35° errechnet. Weshalb der Sachverständige diese Linie als „zusätzlich untersuchten Geländeverlauf“ bezeichnet und den aus seiner Sicht „wahrscheinlichen Geländeverlauf 1975“ mit einer grünen Linie eingetragen hat, die von der Krone der Stützmauer zum Schnittpunkt zwischen der Oberkante der Terrasse und der Hauswand führt, bedarf keiner weiteren Klärung. Denn es ist unstreitig, dass die Geländeoberfläche nach Fertigstellung des Wohnhauses – ob aufgefüllt oder nicht – bis an die Vorderkante der Terrasse reichte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Mit einer solchen Gestaltung war nach den örtlichen Verhältnissen vernünftigerweise zu rechnen. Bei einer Bebauung in Hanglage ist es in gewissem Umfang üblich, den aufwärtsliegenden Hang abzugraben und den abwärtsliegenden Hang aufzufüllen. Hier ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die tatsächliche Bebauung durch die Beklagte in den 1970er Jahren – auch mit einer Geländeauffüllung bis zur Außenkante der Terrasse – das ortsübliche Maß überstiegen hätte. Jedenfalls lag darin keine ganz ungewöhnliche, den Rahmen bestimmungsmäßiger Inanspruchnahme offensichtlich überschreitende Ausnützung des Grund und Bodens.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Die in erster Instanz umstrittene Frage, wie das Wohnhaus der Beklagten geplant und genehmigt worden war, bedurfte in diesem Zusammenhang keiner Klärung. Insoweit lassen die Süd- und Nordansichten zum Bauantrag der Beklagten, die diese mit Schriftsatz vom 15.05.2017 eingereicht haben (Anlage 4 zum 4. Ergänzungsgutachten vom 15.05.20128, 3 O 144/15), eine Unterfüllung der Terrasse und eine entsprechende Auffüllung des darunterliegenden Hanges bis zur Grundstücksgrenze erkennen, wenn auch mit einer Aussparung unterhalb der Terrasse. Demgegenüber hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.05.2017 vorgetragen, die Lage des Gebäudes sei auf Wunsch der Beklagten gegenüber der Planung verändert worden. Dieser Einwand ist unerheblich und der Vernehmung des von der Klägerin für die Planung benannten Zeugen F bedurfte es nicht. Zwar könnte eine öffentlich-rechtliche Baugenehmigung als Indiz für die Ortsüblichkeit des Bauvorhabens und deren Ablehnung als Gegenindiz gewertet werden. Beides gilt aber nur für Gestaltungen, die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch geprüft wurden. Letzteres ist nicht der Fall, wenn – wie hier von der Klägerin behauptet – die Bauausführung von den eingereichten Plänen abweicht. Gegen die Ortsüblichkeit spräche es dann nur, wenn sich die Behörden, Anwohner oder Dritte bei oder nach der Bauausführung gegen die so nicht geplante und genehmigte Gestaltung gewandt hätten. Dies ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr ist unstreitig, dass gerade die Klägerin und ihr Ehemann gegen die tatsächliche Bauausführung – mit Unterfüllung der Terrasse – keine Einwände erhoben, sondern sich erst gegen das Aufsetzen der U-Steine im Jahr 1983 gewehrt haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>bb. Soweit der Hang über die Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der Außenkante der Terrasse (hellblaue Linie in Anlage 12 zum 4. Ergänzungsgutachten vom 15.05.2018) hinaus aufgefüllt und erhöht wurde und dadurch weiterer Druck auf die Stützmauer ausgelöst wird, fällt dies aber in die Verantwortlichkeit der Beklagten und die Klägerin kann nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB Beseitigung der Störung verlangen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Insoweit sind die Beklagten Verhaltens- und Zustandsstörer, da sämtliche Veränderungen oberhalb der Stützmauer auf ihrem Grundstück liegen und von ihnen verursacht wurden. Auf die zwischen den Parteien weiterhin umstrittene Frage, ob die Beklagten das Gelände hinter den U-Steinen aktiv und mit zusätzlichem Bodenaushub aufgefüllt haben, kommt es dabei nicht an. Selbst wenn die Beklagten – wie sie behaupten – die U-Steine lediglich mit bereits zuvor vorhandenem Material hinterfüllt haben sollten und das weitere Anwachsen des Bodenniveaus auf die natürliche Bodenerosion zurückginge, wäre dies im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB den Beklagten zuzurechnen, weil sie diese Entwicklung durch das Setzen der U-Steine in Gang gesetzt und aufrechterhalten haben. Entsprechendes gilt für das Setzen der Palisaden und deren Hinterfüllung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Von dem Geländeteil, der oberhalb der Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der Außenkante der Terrasse (hellblaue Linie in Anlage 12 zum 4. Ergänzungsgutachten vom 15.05.2018) liegt, geht ein erheblicher Druck auf die Stützmauer aus. Dem 4. Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 15.05.2018 ist zu entnehmen, dass die Maßnahmen seit 1983 – also die Erhöhung des Bodenniveaus über die in Anlage 12 eingetragene hellblaue Linie hinaus bis zum jetzigen Stadium – die rechnerische Standsicherheit der Stützmauer von 1,49 (Berechnung für die in Anlage 12 eingetragene hellblaue Linie, Lastfall 12.3) auf unter 1 gesenkt haben. Das bedeutet, wie der Sachverständige ausgeführt hat, dass insbesondere die Erhöhung des Geländeniveaus bis zur Oberkante der U-Steine die zuvor noch vorhandenen Sicherheitsreserven aufgezehrt hat und die Stützwand rechnerisch nicht mehr standsicher ist (Gutachten vom 15.05.2018, S. 17f.). Diese Einschätzung hat der Sachverständige bereits in seinem ersten Gutachten vom 08.10.2012 vertreten (ibid. S. 16f.) und daran durchweg festgehalten. Die Dicke der Mauer und ihre Beschaffenheit (ohne Stahlbewehrung und Betonverfüllung) sowie die Kohärenz des Bodens, über die zu Beginn noch Unsicherheit bestand und die erst im Rahmen des 3. Ergänzungsgutachtens vom 24.09.2015 geklärt wurden, hatten insoweit nur graduelle Auswirkungen. Die Ableitung des Sachverständigen stimmt damit überein, dass – unstreitig – eine Verformung der Mauer bis zum Setzen der U-Steine nicht zu beobachten war, aber alsbald danach, im Jahr 1986, bemerkt wurde. Ungeachtet all dessen ist der Umstand, dass von der Erhöhung des Geländes bis zur Oberkante der U-Steine ein erheblicher Druck auf die Stützmauer ausgeht, offensichtlich und steht auch nicht im Streit; umstritten waren und sind lediglich das Ausmaß und die rechtliche Verantwortlichkeit.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Soweit die Beklagten nach wie vor die Berechnungen des Sachverständigen in Zweifel ziehen, bedürfen diese Einwände keiner weiteren Klärung. Ungeachtet des genauen Ausmaßes sind die Beklagten für jeglichen zusätzlichen Druck verantwortlich, den die weitere Erhöhung des Geländes seit 1983 hervorruft, und die Klägerin muss dies nicht hinnehmen, sondern kann nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB Beseitigung verlangen. Denn die Verantwortung der Klägerin für die Standsicherheit der Stützmauer aus § 909 BGB endet bei einem Geländeniveau bis zur Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der Außenkante der Terrasse. Soweit die Standsicherheit der Stützmauer durch weitere Erhöhungen reduziert wird, geht von der Vertiefung des Grundstücks der Klägerin keine Beeinträchtigung des obenliegenden Grundstücks aus (vgl. Spohnheimer, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.05.2022, § 1004 Rn. 205, aber auch Vollkommer, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.04.2022, § 909 Rn. 24), vielmehr wird umgekehrt das tiefer liegende Grundstück durch eine Gestaltung des höherliegenden beeinträchtigt. Insoweit bedarf es auch keiner Aufklärung, ob die Stützmauer bis 1983 die erforderliche Standsicherheit – nach dem Sachverständigengutachten einen Wert von ~ 2,025 – eingehalten hat oder nicht. Selbst wenn dies nicht mehr der Fall war – wovon nach dem Sachverständigengutachten auszugehen ist –, muss die Klägerin nicht hinnehmen, dass die damals noch vorhandenen, wenn auch zu geringen, Sicherheitsreserven durch weitere Erhöhungen vollständig aufgezehrt wurden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>cc. Soweit die Beklagten ihr Grundstück bis zur gemeinsamen Grenze über das genannte Oberflächenniveau erhöht haben, müssen sie nach § 9 Abs. 1 NRG Baden-Württemberg sicherstellen, dass eine Schädigung des Nachbargrundstücks durch Absturz oder Pressung des Bodens ausgeschlossen ist. Das war beantragt und ist - ohne die normative Grundlage - im Tenor weiterhin auszusprechen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>dd. Ob die Beklagten ihrer Verpflichtung nachkommen, indem sie den Boden bis zu dem im Tenor genannten Niveau abtragen, oder ob sie sonstige Vorkehrungen treffen, die die Vorgaben der §§ 9, 10 NRG Baden-Württemberg einhalten müssen, bleibt ihnen überlassen.</td></tr></table> <table><tr><td>c.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Eine Mitverursachung muss sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen, soweit der Geländedruck in Frage steht, der von dem Gelände oberhalb der Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der Außenkante der Terrasse ausgelöst wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Im Rahmen des § 1004 BGB ist bei einer Mitverantwortung des gestörten Eigentümers grundsätzlich die Vorschrift des § 254 BGB entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass die Verurteilung zur Beseitigung durch die Feststellung beschränkt wird, dass sich der beeinträchtigte Eigentümer in Höhe seiner Haftungsquote an den Kosten der Beseitigung zu beteiligen hat (BGH, Urteil vom 18.04.1997 - V ZR 28/96, juris Rn. 11ff.). Für den hier in Frage stehenden Geländeanteil trägt die Klägerin aber keine Mitverantwortung. Sie hat die Erhöhung über die Fläche zwischen der Krone der Stützmauer und der Außenkante der Terrasse weder mit veranlasst, noch war sie damit einverstanden. Ob die Stützmauer ausreichend war, um – wie nach § 909 BGB erforderlich – die Last des unterhalb dieser Fläche liegenden Geländes aufzufangen, ist auch insoweit unerheblich. Denn dies kann weder eine Mitverantwortung für den zusätzlich ausgelösten Geländedruck noch eine Duldungspflicht der Klägerin begründen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Auch die von den Beklagten in der Berufung aufgeworfene Frage, welcher Mauerteil wie stark betroffen ist, stellt sich nicht. Dass es sich um zwei unterschiedliche Mauerabschnitte mit unterschiedlicher Standsicherheit handelt, ist unstreitig. Die Klägerin hat aber – in beiden Instanzen – klargestellt, dass die Mauer in ihrer gesamten Länge in die Klage einbezogen sein soll. Ihr Beseitigungsanspruch ist – wie ausgeführt – nicht davon abhängig, welche Standsicherheit die verschiedenen Mauerabschnitte haben oder hatten: Auch wenn oder soweit die Stützmauer die erforderliche Standsicherheit aufweist, muss die Klägerin eine Verringerung der Sicherheitsreserven durch unzulässige Maßnahmen der Beklagten nicht hinnehmen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Gegen die Beklagten besteht ein jeweils eigenständiger Beseitigungsanspruch; sie waren deshalb nicht als Gesamtschuldner zu verurteilen (Raff, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1004 Rn. 183, 244; Fritzsche, in: BeckOK-BGB, Stand: 01.02.2022, § 1004 Rn. 23).</td></tr></table> <table><tr><td>2.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Den Klagantrag Ziffer 2 hat das Landgericht zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Wiederherstellung der Mauer.</td></tr></table> <table><tr><td>a.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Zu Recht hat das Landgericht insoweit erkannt, dass ein Wiederherstellungsanspruch nicht nach § 1004 Abs. 1 BGB, sondern nur nach § 823 BGB in Frage kommt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Beseitigung solcher Eigentumsbeeinträchtigungen, die zwangsläufig durch die Beseitigung der primären Störung entstehen. Erfordert etwa die Beseitigung störender Baumwurzeln, die von dem Nachbargrundstück in eine Abwasserleitung eingedrungen sind, die Zerstörung dieser Leitung, hat der Störer eine neue Abwasserleitung zu verlegen (BGH, Urteil vom 04.02.2005 – V ZR 142/04, juris Rn. 9). Hiervon zu unterscheiden sind Beeinträchtigungen, die als weitere Folge der primären Störung entstanden sind. Die Beseitigung solcher weiterer Schäden, die als Folgen aus dem störenden Eingriff in das fremde Eigentum entstehen, kann ausschließlich im Wege des Schadensersatzes verlangt werden (BGH a.a.O. sowie BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 98/03, juris Rn. 8). Um eine solche weitergehende Folge der primären Störung handelt es sich im vorliegenden Fall. Die Störung liegt in dem Geländedruck, der von der zusätzlichen Erhöhung des Grundstücks der Beklagten ausgelöst wurde. Diese Störung kann durch das Abtragen des Geländes oder sonstige Sicherungsmaßnahmen beseitigt werden, ohne dass dazu die Stützmauer beseitigt werden müsste. Denn zur Beseitigung oder Veränderung des Grundstücks unterhalb des oben genannten Niveaus sind die Beklagten nicht verpflichtet.</td></tr></table> <table><tr><td>b.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht auch erkannt, dass ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB auf Wiederherstellung der Mauer ausscheidet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>aa. Ungeachtet der Frage, ob ein Schadensersatz dem Grunde nach besteht, kann die Klägerin die begehrte Wiederherstellung der Mauer nach § 249 Abs. 1 BGB mit einer Standsicherheit von mindestens 2,025, bzw. nach dem Hilfsantrag 2,0 nicht verlangen, weil die bisherige Mauer diese Standfestigkeit nicht aufwies.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Standsicherheit keine absolute Größe darstellt, sondern das Verhältnis zwischen der Tragkraft der Mauer und den auf sie einwirkenden Kräften widerspiegelt. Der angegebene Wert ist deshalb auf das im Tenor angegebene Grundstücksniveau zu beziehen, dessen Absicherung die Mauer sicherstellen muss. Eine Mauer von geringerer Standsicherheit darf die Klägerin weder selbst im Verhältnis zu den Beklagten errichten oder unterhalten, noch kann sie ihre Wiederherstellung im Wege des Schadensersatzes verlangen. Zwar richtet sich der Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich auf die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Dieser Anspruch ist aber ausgeschlossen und verwandelt sich in einen Geldersatzanspruch, wenn die Herstellung nicht möglich ist. Ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Naturalherstellung in Rechtsgüter Dritter eingreifen würde und der Berechtigte nicht einwilligt (Flume, in: BeckOK-BGB, Stand: 01.02.2022, § 251 Rn. 16; BGH, Urteil vom 15.02.2008 - V ZR 17/07, juris Rn. 12). Dasselbe folgt aus der Arglisteinrede nach § 242 BGB: Die Klägerin kann von den Beklagten nicht Wiederherstellung eines Zustandes verlangen, der von diesen nicht zu dulden ist und der zum eingetretenen Schaden mit beigetragen hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>So liegt der Fall hier. Die Beklagten müssen die Stützmauer in der bisherigen Ausführung nicht dulden und sind – wie ihr Vortrag eindeutig erkennen lässt – mit deren Wiederherstellung ohne eine Verbesserung der Standfestigkeit auch nicht einverstanden. Die jetzige Stützmauer hat nicht die technisch gebotene und von der Klägerin im Antrag geforderte Standsicherheit von mindestens 2,025 bzw. 2,0, bezogen auf das maßgebliche Geländeniveau. Das ergibt sich aus den Standsicherheitsberechnungen des Sachverständigen G im 4. Ergänzungsgutachten vom 15.05.2018 (3 O 144/15). Wie oben ausgeführt, endet die Berechnung der Standfestigkeit für den Geländeverlauf, der zur Außenkante der Terrasse führt und in Anlage 12 zum 4. Ergänzungsgutachten hellblau eingetragen ist („zusätzlich untersuchter Geländeverlauf ohne U-Steine mit 35° ab Stützwand“), mit einer Standfestigkeit von 1,49. Erforderlich ist nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik ein Sicherheitsniveau von über 2,0 (4. Ergänzungsgutachten, Seite 15). Es besteht kein Anlass, an der Berechnung des Sachverständigen zu zweifeln. Insbesondere wurden zuvor, im Rahmen des 3. Ergänzungsgutachtens vom 24.09.2015, die bis dahin bestehende Unsicherheit über die Dicke der Mauer und ihre Beschaffenheit (ohne Stahlbewehrung und Betonverfüllung) geklärt und außerdem die Kohärenz des Bodens labortechnisch bestimmt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Soweit die Klägerin im Termin vom 30.06.2022 und mit Schriftsatz vom 18.07.2022 hat einwenden lassen, der Sachverständige habe auf S. 17f. seines Gutachtens vom 15.05.2018 (3 O 144/15), im selbstständigen Beweisverfahren (3 OH 6/12, Erörterungstermin vom 08.03.2016) und im erstinstanzlichen Verfahren (3 O 144/15, Verhandlungstermin vom 24.02.2017) stets gleichbleibend ausgeführt, die Mauer habe noch im Jahr 1975 - nach der Bebauung des oben liegenden Grundstücks - die erforderliche Standsicherheit gehabt und diese erst mit dem Aufsetzen der U-Steine und deren Hinterfüllung verloren, geht dies fehl. Die Ausführungen des Sachverständigen beruhen durchweg auf dessen Annahme, der Geländeverlauf sei nach der Bebauung durch die Beklagten bis zum Aufsetzen der U-Steine so gewesen wie von ihm in Anlage 12 mit grüner Farbe eingezeichnet („wahrscheinlichen Geländeverlauf 1975“, Steigung 25°). Hierfür weisen seine Berechnungen eine Standfestigkeit von 1,90 und somit - annähernd - die geforderte Standsicherheit aus. Für die rechtliche Bewertung maßgeblich ist aber nicht der vom Sachverständigen angenommene „wahrscheinliche Geländeverlauf 1975“, sondern derjenige, auf den die Mauer nach den Maßstäben des § 909 BGB auszulegen war. Dabei handelt es sich nicht um eine tatsächliche Frage, die dem Sachverständigenbeweis zugänglich wäre, sondern um eine rechtliche Frage, die vom Senat zu klären ist. Sie ist - wie oben ausgeführt - dahin zu beantworten, dass die Mauer von Anfang an auf einen Geländeverlauf zwischen der Mauerkrone und der Außenkante zur Terrasse auszurichten war. Dieses Geländeniveau ist im Sachverständigengutachten vom 15.05.2018 (3 O 144/15) nicht grün, sondern hellblau dargestellt (Steigung 35°) und wurde vom Sachverständigen weder bei den Ausführungen, auf die die Klägerin verweist, noch in seiner Auswertung im Text auf S. 17f. des Gutachtens vom 15.05.2018 (3 O 144/15) berücksichtigt. Der Sachverständige hat dafür aber eine Standfestigkeitsberechnung durchgeführt, die mit 1,49 endet. Dieser Wert liegt unter dem geforderten (~ 2,0), woraus auch ohne sachverständige Auswertung zu folgern ist, dass die vorhandene Stützmauer, bezogen auf das maßgebliche Niveau, die geforderte Standfestigkeit von Anfang an nicht aufwies.</td></tr></table> <table><tr><td>bb.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>Für das weitere Vorgehen der Parteien weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass mit diesem Urteil Geldersatzansprüche der Klägerin wegen der Beschädigung der Mauer nach § 249 Abs. 2 BGB - die im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht werden - nicht ausgeschlossen sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>(1) Das Verschulden der Beklagten und die Kausalität können mit den Erwägungen im erstinstanzlichen Urteil nicht verneint werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Das Landgericht hat den Vortrag der Klägerin zum Verschulden für unzureichend erachtet, weil sich daraus nicht ergebe, dass die Beklagten bei der Errichtung der Mauer als Laien die Gefahr für die Stützmauer hätten erkennen können und müssen. Dies überzeugt nicht: Dass sich durch eine Erhöhung des Geländes, wie sie durch das Setzen der U-Steine und deren Hinterfüllung – gleich, ob von den Beklagten aktiv vorgenommen oder infolge der Erosion zu erwarten – der Druck auf die Stützmauer erhöhen würde, dürfte auch für einen Laien ersichtlich gewesen sein; dies gilt umso mehr für den Beklagten als gelerntem Maurer. Spätestens mit dem Schreiben des Ehemannes der Klägerin vom 19.07.1983 (3 OH 11/16, Anlage K2) wurden die Beklagten eindeutig auf die Gefährdung aufmerksam gemacht. Dass sie hierauf nicht reagierten, sondern es bei der Situation beließen, begründet jedenfalls den Vorwurf schuldhaften Unterlassens. Hiervon ist auch das Landgericht zu Recht ausgegangen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Entgegen den weiteren Ausführungen des Landgerichts fehlt es selbst dann nicht an der Kausalität, wenn die Beklagten erst ab dem Zugang des Schreibens vom 19.07.1983 ein Verschuldensvorwurf treffen sollte. Zwar besteht insoweit – entgegen der Berufungsbegründung der Klägerin – kein Widerspruch innerhalb des Urteils. Das Landgericht ist durchweg davon ausgegangen, dass das Aufsetzen der U-Steine und deren Hinterfüllung Ursache für den eingetretenen Schaden war. Die Ablehnung des Antrags Ziffer 2 hat es – insoweit widerspruchsfrei – darauf gestützt, es könne nicht festgestellt werden, dass erst das pflichtwidrige Aufrechterhalten des Gefahrenzustandes nach Zugang des Schreibens vom 19.07.1983 den Schaden verursacht habe. Zu Unrecht hat das Landgericht dabei jedoch darauf abgestellt, dass die Standsicherheit der Mauer möglicherweise bereits vor Zugang des Schreibens auf unter 1,0 gefallen sei. Auslöser für den Schadensersatzanspruch ist nicht die Reduktion der Standsicherheit, sondern die Substanzverletzung. Beides fällt nicht zusammen. Die Standsicherheit der Mauer beschreibt lediglich das rechnerische Verhältnis zwischen der Tragkraft der Mauer und den auf sie einwirkenden Kräften. Eine Standsicherheit von ≤ 1,0 bedeutet, dass rechnerisch ein Bruch der Mauer zu erwarten ist (vgl. Gutachten vom 08.10.2012, S. 12f.), aber nicht, dass er bereits eingetreten ist. Dass es in der kurzen Zeit zwischen dem Aufsetzen der U-Steine und dem Zugang des Schreibens vom 19.07.1983 zu Substanzschäden an der Mauer gekommen sei, haben weder die Beklagten behauptet, noch geben die Feststellungen des Sachverständigen oder der zeitliche Ablauf Anlass zu dieser Annahme. Die ersten Anzeigen für Substanzschäden sind erst drei Jahre später, im Jahr 1986, zu Tage getreten. Nach alledem ist ein Schadenseintritt vor Zugang des Schreibens vom 19.07.1983 eine rein theoretische Möglichkeit.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>(2) Bei der Berechnung eines Ersatzanspruchs in Geld ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nur verlangen kann, so gestellt zu werden, wie sie ohne die Schädigung stand (§ 249 Abs. 1, 2 BGB). Da die Stützmauer auch in unbeschädigtem Zustand nicht die erforderliche Standsicherheit hatte, wäre die Klägerin auch ohne die Beschädigung zur Ertüchtigung der Mauer bis zur erforderlichen Standsicherheit auf eigene Kosten verpflichtet gewesen. Kostenersatz nach § 249 Abs. 2 BGB kann die Klägerin deshalb nur verlangen, soweit die ohnehin geschuldete Ertüchtigung der Mauer infolge der schuldhaft durch die Beklagten verursachten Beschädigung höhere Kosten verursacht. Soweit die zu geringe Standsicherheit für die Entstehung des eingetretenen Schadens mitursächlich war, kann ein von den Beklagten nachzuweisendes Mitverschulden der Klägerin oder ihres Ehemannes nach § 254 BGB zu berücksichtigen sein.</td></tr></table> <table><tr><td>3.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 97 Abs. 1 ZPO. Der Senat misst beiden Klaganträgen einen nahezu gleichen Wert bei. Soweit in der Berufung die Verurteilung zu Klagantrag Ziffer 1 eingeschränkt wurde, fällt dies nicht erheblich ins Gewicht. Die Einschränkung beruht auf der oben dargestellten normativen Verantwortungsabgrenzung zwischen den Parteien. Diese war auch im Klagantrag und in der Verurteilung durch das Landgericht bereits angelegt, indem auf die Maßstäbe der §§ 9, 10 NRG Baden-Württemberg abgestellt wurde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), bestand nicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr></table>
346,198
vg-schleswig-holsteinisches-2022-08-11-12-b-4022
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12 B 40/22
2022-08-11T00:00:00
2022-08-17T10:00:21
2022-10-17T17:56:00
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0811.12B40.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 16.372,20 € festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag des Antragstellers,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">der Antragsgegnerin zu untersagen, den ausgeschriebenen Dienstposten beim Lehrbereich Aus- und Fortbildung der Bundespolizeiakademie für einen Fachlehrer, Fachgruppe Einsatzführung gem. Stellenausschreibung xxx, bis zum Erlass einer erneuten Auswahlentscheidung mit dem Beigeladenen zu besetzen,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>bleibt ohne Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint (Satz 2). Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der gewährten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Selbst wenn der streitbefangene Dienstposten – wegen der besonderen Größe der Behörde der Antragsgegnerin – jederzeit durch Versetzung oder Umsetzung des Beigeladenen wieder freigemacht werden könnte, besteht für den Antragsteller die Gefahr, dass der Beigeladene einen Bewährungsvorsprung erlangen könnte. Ein solcher Bewährungsvorsprung könnte die Chancen des Antragstellers bei einem späteren Auswahlverfahren zu seinen Lasten verändern (vgl. nur: OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.05.2022 – 5 ME 161/21 –, juris Rn. 32). Zwar besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Ausblendung eines Bewährungsvorsprunges. Generell blenden Gerichte den Bewährungsvorsprung aber nicht von Amts wegen aus. Es handelt sich ausschließlich um eine Option, die der Dienstherr von sich aus in Anspruch nehmen muss, indem er den unterlegenen Bewerbern zusagt, einen eventuellen Bewährungs- oder Erfahrungsvorsprung des ausgewählten Bewerbers in einem weiteren Auswahlverfahren auszublenden, sollte sich die erste Auswahlentscheidung als rechtswidrig erweisen. Diese Entscheidung liegt in seinem weiten Organisationsermessen und kann vom Dienstherrn getroffen werden, wenn er dies zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der betreffenden Behörde oder Dienststelle für erforderlich hält (BVerwG, Beschluss vom 12.12.2017 – 2 VR 2.16 –, juris Rn. 28). Dieser Möglichkeit ist die Antragsgegnerin vorliegend nicht nachgekommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch ist in beamtenrechtlichen Konkurrentenverfahren glaubhaft gemacht, wenn der unterlegene Bewerber darlegt, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft war und seine Aussichten, bei erneuter Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, seine Auswahl mithin möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 – BvR 857/02 –, juris Rn. 83; BVerwG, Beschluss vom 20.01.2004 – 2 VR 3.03 –, juris Rn.8; OVG Schleswig, Beschluss vom 28.04.2017 – 2 MB 5/17 –, n.v.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin begegnet keinen rechtlichen Bedenken.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller erfüllt nicht die konstitutiven Voraussetzungen des Anforderungsprofils der Stellenausschreibung. Bei dem in der Stellenausschreibung enthaltenen Anforderungsprofil ist der Dienstherr an die gesetzlichen Vorgaben gebunden und damit – soweit eine an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Dienstpostenvergabe in Rede steht – auch zur Einhaltung des Grundsatzes der Bestenauslese verpflichtet. Hiermit ist eine Einengung des Bewerberfeldes aufgrund der besonderen Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens grundsätzlich nicht vereinbar. Ausnahmen hiervon sind nur dann zulässig, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20.06.2013 – 2 VR 1.13 –, juris Rn. 27 und vom 19.12.2014 – 2 VR 1.14 –, juris Rn. 20).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Auswahlentscheidung beruht dabei in erster Linie auf der Bewertung der unmittelbar leistungsbezogenen, durch Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen persönlichen Merkmale, die in Bezug zu dem Anforderungsprofil des jeweiligen Dienstpostens gesetzt werden. Erst dieser Vergleich ermöglicht die Prognose, dass der in Betracht kommende Beamte den nach der Dienstpostenbeschreibung anfallenden Aufgaben besser als andere Interessenten gerecht und damit auch für ein höherwertiges Amt geeignet sein wird. Dabei können Anforderungsprofile unterschiedliche Rechtsqualität aufweisen. Entscheidend kommt es darauf an, ob derartige Qualifikationserfordernisse konstitutiven (zwingenden) oder lediglich deklaratorischen (beschreibenden) Charakter haben. Letztere informieren den möglichen Bewerber über den Dienstposten und die auf ihn zukommenden Aufgaben. Ihrer bedarf es häufig nicht unbedingt, denn vielfach ergibt sich das beschreibende Anforderungsprofil ohne Weiteres aus dem angestrebten Amt. Bei einem lediglich beschreibenden Anforderungsprofil handelt es sich um ein Kriterium, das einen Beurteilungsvorsprung ausgleichen kann. Das konstitutive Anforderungsprofil zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass es für die Bestenauslese einen ganz neuen, von den dienstlichen Beurteilungen/Arbeitszeugnissen jedenfalls von Ausgangspunkt her abgekoppelten Maßstab enthält. Bei diesem speziellen, konstitutiven Anforderungsprofil einerseits und den dienstlichen Beurteilungen/Arbeitszeugnissen andererseits handelt es sich vom Ansatz her um unterschiedliche Modelle und Maßstäbe für die Auswahl nach dem Leistungsprinzip. Wer ein solches konstitutives Anforderungsprofil nicht erfüllt, kommt für die Auswahl von vornherein nicht in Betracht, mag er auch besser beurteilt sein. Erst wenn es darum geht, ggf. eine Auswahl unter mehreren, das konstitutive Anforderungsprofil erfüllenden Bewerbern zu treffen, kommt den dienstlichen Beurteilungen (wieder) Bedeutung zu (Beschluss der Kammer vom 12.02.2020 – 12 B 80/19 –, juris Rn. 12).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Konstitutiv sind solche Anforderungen, deren Vorliegen anhand objektiv überprüfbarer Fakten – also insbesondere ohne gebotene Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume des Dienstherrn – als tatsächlich gegeben und letztlich eindeutig und unschwer festgestellt werden können und die deshalb im Falle ihrer Nichterfüllung einen vernünftigen potentiellen Bewerber davon abhalten, um die Stelle oder Funktion zu konkurrieren. Lässt die Formulierung einer Anforderung hingegen einem potentiellen Bewerber auch bei ihrer Nichterfüllung noch Aussicht auf Erfolg, weil sie entweder ausdrücklich nicht zwingend vorliegen muss oder sich etwa erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten, das betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils näher in den Blick nehmenden Werturteils erschließt, erweist sich diese Anforderung nicht als konstitutiv, sondern lediglich als deklaratorisch (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 17.06.2019 – 2 MB 32/18 –, juris Rn. 9 f.; VGH Mannheim, Beschluss vom 07.12.2010 – 4 S 2057/10 –, juris Rn. 4 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Dem Dienstherrn steht es im Rahmen seines (weiten) Organisationsermessens zu, als Maßstab für die Auswahl der Bewerber bei der Besetzung einer Stelle besondere – sachgerechte – Anforderungen aufzustellen, die dann ein konstitutives Anforderungsprofilmerkmal bilden. Danach sind die einzelnen Bewerber untereinander zu vergleichen. Die nach dem Grundsatz der Bestenauslese anzulegenden Maßstäbe des Leistungsprinzips werden insoweit nicht beschränkt, sondern konkretisiert und zugleich modifiziert. Beschränkt wird nur der diesen Maßstäben unterfallende Bewerberkreis. Zwingende Profilmerkmale liegen in der Art eines Filters gegenständlich und zeitlich vor dem eigentlichen Bewerbungsverfahrensanspruch (vgl. VGH München, Beschluss vom 27.03.2008 – 3 CE 08.352 –, juris Rn. 34).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Hieran gemessen durfte die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen dessen Nichterfüllung des Merkmals „mindestens drei Verwendungen in unterschiedlichen Bereichen im gehobenen Polizeivollzugsdienst gem. Ziffer 9.1.2.3 Personalentwicklungskonzept (PEK) und der dazugehörigen Anlage, davon mindestens eine auf einem Dienstposten der Bewertung nach BesGr. A 10-12 BBesO, nach Abschluss der laufbahnrechtlichen Probezeit oder ein bereits übertragener Dienstposten mit mindestens der Endbewertung nach BesGr. A 13g BBesO“ von der eigentlichen Auswahl für die Besetzung des streitgegenständlichen Dienstpostens ausschließen. Dieses konstitutive Anforderungsmerkmal verstößt nicht gegen den Grundsatz der Bestenauslese aus Art. 33 Abs. 2 GG. Bei dem Merkmal der Verwendungsbreite handelt es sich um ein allgemeines Merkmal, das auf Ziffer 9.1.2.3 des Personalentwicklungskonzepts der Antragsgegnerin basiert. Danach erfordert eine Besetzung von Dienstposten mit der Endbewertung nach Besoldungsgruppe A 11-13g BBesO in der Regel mindestens drei Verwendungen in unterschiedlichen Bereichen nach Abschluss der laufbahnrechtlichen Probezeit. Dies steht im Einklang mit § 46 Abs. 2 Nr. 7 BLV, wonach ein die „Fähigkeiten und Kenntnisse erweiternder regelmäßiger Wechsel der Verwendung“ zu fördern ist. Das Personalentwicklungskonzept der Antragsgegnerin stellt ein im Organisationsermessen des Dienstherrn stehendes Mittel der Personalentwicklung und -planung dar (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 BLV). Ein derartiges Konzept sorgt für ein transparentes Beförderungssystem, indem den Bediensteten im Voraus die Voraussetzungen und damit auch die eigenen Möglichkeiten aufgezeigt werden, unter denen berufliches Fortkommen gelingen kann. Der Begriff des Wechsels der Verwendung ist hinreichend bestimmt, da die unterschiedlichen Verwendungsbereiche in der Anlage zu Ziffer 9.1.2.3 des Personalentwicklungskonzeptes im Einzelnen aufgelistet sind. Das Konzept genügt den Anforderungen des Art. 33 GG und kann zur Grundlage einer späteren Beförderungsentscheidung gemacht werden, weil die im Personalentwicklungskonzept genannten Voraussetzungen grundsätzlich von jedem entsprechend qualifizierten Bediensteten erfüllt werden können, indem die für ein Fortkommen erforderlichen Stellen (Verwendungen) regelmäßig durch Ausschreibungen vergeben werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.10.2011 – 2 VR 4.11 –, juris Rn. 35). Es besteht daher für jeden entsprechend qualifizierten Beamten des gehobenen Polizeivollzugsdienstes – auch für den Antragsteller – die Möglichkeit, die geforderte Verwendungsbreite zu erlangen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.08.2021 – 6 CE 21.1278 –, juris Rn. 20; VGH Kassel, Beschluss vom 05.07.2022 – 1 B 647/22 –, juris Rn. 63; OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.07.2017 – 5 ME 23.17 –, juris Rn. 24).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Etwas anderes ergibt sich auch nicht zugunsten des Antragstellers, weil er wegen seiner Tätigkeit im Personalrat zu 100% von seinen dienstlichen Verpflichtungen freigestellt ist. Insbesondere ist durch ein solches Anforderungsprofil nicht das Benachteiligungsverbot aus § 10 BPersVG verletzt. Hiernach dürfen Personen, die Aufgaben oder Befugnisse nach diesem Gesetz wahrnehmen, dabei nicht behindert und deswegen nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Die Vorschrift normiert neben einem Benachteiligungsverbot auch ein Begünstigungsverbot. Um im Vergleich zu anderen Bewerbern nicht benachteiligt zu werden, muss der Dienstherr eine Prognose erstellen, wie der berufliche Werdegang ohne die Freistellung verlaufen wäre (vgl. zur fiktiven Nachzeichnung der Laufbahn: BVerwG, Beschluss vom 30.06.2014 – 2 B 11.14 –, juris Rn. 13). Dem Antragsteller fehlen – dies ist unstreitig – zwei weitere Verwendungen. Diese können dem Antragsteller nicht im Rahmen einer fiktiven Nachzeichnung anerkannt werden, da ihn dies in rechtswidriger Weise begünstigen würde. Es stand dem Antragsteller frei, sich auf andere Stellen zu bewerben, um die geforderte Verwendungsbreite zu erwerben. Es spricht nichts dagegen, dass der Antragsteller bei einer hypothetischen Zusage weiterhin als freigestelltes Personalratsmitglied hätte arbeiten können. In diesem Fall hätte ihm die weitere Verwendung im Wege einer fiktiven Nachzeichnung gutgeschrieben werden können (vgl. BAG, Urteil vom 14.07.2010 – 7 AZR 359/09 –, juris Rn. 25). Der Antragsteller hat sich jedoch nicht auf eine entsprechende Stelle beworben. Die Antragsgegnerin hätte ihn daher gegenüber anderen Beamten in vergleichbarer Position begünstigt, wenn sie ihm die notwendige Verwendungsbreite zuerkannt hätte. Die konstitutiven Anforderungsmerkmale stehen auch in einem hinreichenden Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Stelle (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.10.2011 – 2 VR 4.11 –, juris Rn. 35). Die Antragsgegnerin führt hierzu aus, dass Dienstposten mit der Endbewertung nach Besoldungsgruppe A 13g BBesO – wie vorliegend – mit einem hohen Maß an Verantwortung verbunden seien und einen weitreichenden Erfahrungsschatz voraussetzten. Zweck des Anforderungsmerkmals sei die Gewährleistung der inneren Sicherheit durch Auswahl von Beamten mit hinreichender Führungs- und Verwendungserfahrung. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Dienstpostens als Fachlehrer hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt, dass die geforderten Verwendungen dem Bewerber ein entsprechend breit gefächertes Wissen im Bereich der gesamten Organisation der Bundespolizei vermittelten sowie zu der Fähigkeit führten, Lehrinhalte aus den künftigen Verwendungsbereichen der Anwärter zu vermitteln. Das in der Ausschreibung geforderte Merkmal einer Verwendungsbreite und die hiermit einhergehenden dienstlichen Erfahrungen befähigen den Bediensteten besser, das nächsthöhere Statusamt auszufüllen, weshalb das Merkmal geeignet ist, eine zuverlässigere Beurteilung des Leistungsvermögens und eine besser fundierte Prognose über die voraussichtliche Bewährung in einem höheren Amt zu gewährleisten (vgl. VGH München, Beschluss vom 10.08.2021 – 6 CE 21.1278 –, juris Rn. 21; OVG Münster, Beschluss vom 23.05.2016 – 1 A 839/15 –, juris Rn. 18).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Da der Antragsteller das Anforderungsprofil der Stellenausschreibung nicht erfüllt, kommt er für die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht in Betracht. Seine Nichtberücksichtigung für den Dienstposten ist daher nicht zu beanstanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da dieser keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes beträgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG ein Viertel der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (vgl.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>OVG Schleswig, Beschluss vom 21.10.2019 – 2 MB 3/19 –, juris Rn. 90 m.w.N.).</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,626
olgd-2022-08-10-3-kart-7521
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3 Kart 75/21
2022-08-10T00:00:00
2022-09-20T10:01:55
2022-10-17T11:10:19
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART75.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 2. März 2021 (BK6-20-289) wird teilweise als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur und der weiteren Beteiligten trägt die Beschwerdeführerin.</p> <p>Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.</p> <p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf … Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss der Bundesnetzagentur vom 2. März 2021 (BK6-20-289), mit dem ein auf § 31 EnWG gestützter Antrag zurückgewiesen bzw. abgelehnt wurde.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist als Energielieferantin tätig. Die weitere Beteiligte betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz mit etwa … angeschlossenen Entnahmestellen und dies im Wesentlichen auf dem Gebiet der Stadt S. Zwischen der Beschwerdeführerin und der weiteren Beteiligten besteht ein Lieferantenrahmenvertrag zur Ausgestaltung der Netznutzung.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit zwei Schreiben vom 7. September 2020 („1. Mahnung“) forderte die weitere Beteiligte von der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf Rechnungsnummern und Verrechnung eines Guthabens die Bezahlung von - seit dem 31. Juli oder 31. August 2020 angeblich fälligen - Netzentgelten in Höhe von 736,98 Euro (Strom) und … Euro (Gas). In den Schreiben heißt es jeweils auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Zum Ausgleich des Gesamtbetrages setzen wir Ihnen hiermit eine Nachfrist zum</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">14.09.2020.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Sollten wir bis zum oben genannten Termin keinen Zahlungseingang verzeichnen können, behalten wir uns den Netzzugangsentzug nach Maßgabe des zwischen uns geschlossenen Netznutzungsvertrages vor.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Faxschreiben vom 14. September 2020 erklärte die Beschwerdeführerin gegenüber der weiteren Beteiligten, die Überweisung „heute“ vorzunehmen, aber ein Missbrauchsverfahren einleiten zu wollen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Gemäß ihrer Ankündigung stellte die Beschwerdeführerin taggleich „für den Bereich Strom“ bei der Bundesnetzagentur einen Antrag im Sinne des § 31 EnWG, während sie sich „für den Bereich Gas“ an die Landesregulierungsbehörde mit der - letztlich erfolglosen - Anregung einer Verfahrensverbindung wandte. Die Beschwerdeführerin begründete ihr Begehren im Wesentlichen damit, dass die weitere Beteiligte am 7. September 2020 Turnusrechnungen angemahnt habe, bei denen eine eindeutige Zuordnung der angerechneten Abschlagsrechnungen nicht möglich sei. Ohne nachvollziehbare Ausweisung aller darin enthaltenen Abschlagsrechnungen sei eine automatisierte Verarbeitung ausgeschlossen, und in Ermangelung einer Liste sei sie auch zu einer manuellen Bearbeitung nicht im Stande. Die Abschlagsrechnungen seien außerdem unzulässig, weil ein falscher Mehrwertsteuersatz (19 %) berechnet worden sei. Im Zuge eines zur Gewährleistung von Rechtssicherheit initiierten einstweiligen Verfügungsverfahrens … sei das dort angerufene Gericht zu der Auffassung gelangt, dass eine Rechnungskürzung durch den Adressaten, eine Berichtigung nach § 31 Abs. 5 UStDV oder aber eine Zahlung unter Vorbehalt in Betracht komme. Sie habe sich dazu entschieden, von der letztgenannten Option Gebrauch zu machen, wobei die dazu erforderliche Umstellung des IT-Systems in Ermangelung von Vorgaben der Bundesnetzagentur zum INVOIC-REMADV-Verfahren „bis Ende letzte Woche gedauert“ habe. Damit sei allein die weitere Beteiligte für die Mehrkosten und Verzögerung verantwortlich. Gerügt werde auch ein Verstoß gegen das INVOIC-REMADV-Verfahren, da in keinem der Fälle ein Klärungsprozess erfolgt sei und auch keine positive REMADV vorliege. Darüber hinaus sei die gesetzte Frist angesichts ihrer Kürze offensichtlich missbräuchlich, und schließlich habe die weitere Beteiligte zwei Rechnungen mit Guthaben „vergessen“. Die Bundesnetzagentur möge daher feststellen, dass die Mahnung unzulässig und die Mehrkosten von der weiteren Beteiligten zu tragen seien.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die im behördlichen Verfahren um Stellungnahme gebetene weitere Beteiligte wies mit anwaltlichem Schreiben vom 6. November 2020 unter anderem darauf hin, dass bislang keine Regelung in Kraft getreten sei, aufgrund derer eine weitere Aufschlüsselung einer Schlussrechnung zu erfolgen habe. In ihren Turnusrechnungen würden regelmäßig alle im abgerechneten Zeitraum eingegangenen Abschlagszahlungen berücksichtigt. Zahlungen nach Schlussrechnungserstellung kämen im nachfolgenden Zeitraum zur Verrechnung.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Bei den im Mahnschreiben vom 7. September 2020 für die Sparte Strom aufgeführten und dort an zweiter bis fünfter Stelle genannten Rechnungen habe es sich um Turnusrechnungen gehandelt, welche seitens der Beschwerdeführerin im Rahmen der REMADV-Marktkommunikation mit dem Grund „Z04 vorausbezahlter Betrag falsch“ reklamiert worden seien. Mit E-Mails vom 20. Juli und 18. August 2020 seien der Beschwerdeführerin die berücksichtigten Abschläge erläutert worden.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Bei den weiteren Rechnungen habe es sich um die Anforderung von Abschlagszahlungen gehandelt. Richtig sei, dass darin der Mehrwertsteuersatz von 19 % ausgewiesen worden sei. Allerdings ergebe sich aus der Anwendungshilfe des BDEW und dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums zur befristeten Absenkung des allgemeinen und ermäßigten Umsatzsteuersatzes zum 1. Juli 2020 (III C 2 - S 7030/20/10009 : 004) im Zuge des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29. Juni 2020, dass die Berücksichtigung des korrekten Steuersatzes erst in der Schlussrechnung finanzbehördlich nicht beanstandet werde.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin könne sich auch nicht auf eine angeblich zu kurz bemessene Frist berufen, da die Mahnung vom 7. September 2019 auch per E-Mail versandt worden sei, und weil die Beschwerdeführerin selbst zu einer rechtzeitigen Überweisung im Stande gewesen sei.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Mit dem eingangs genannten Beschluss vom 2. März 2021 wies die Bundesnetzagentur den Antrag der Beschwerdeführerin zum Teil als unzulässig zurück und lehnte ihn im Übrigen als unbegründet ab. Auszugsweise heißt es in dem - hier insgesamt in Bezug genommenen - Beschluss:</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 07.09.2020 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin … zur Zahlung ausstehender Netznutzungsentgelte … auf. … Die Antragsgegnerin verschickte dieses Schreiben auf dem Postweg und vorab am 07.09.2020 auch per E-Mail. …</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin beantragt wörtlich:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">„Die Regulierungsbehörde bescheidet die Antragsgegnerin</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">a) es existieren zum Zeitpunkt der Verfassung keine offenen Beträge, insoweit solche bestehen ist die Antragsgegnerin ursächlich für die verzögerte Bearbeitung verantwortlich</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">b) ein Grund für die Androhung der Kündigung des Netzzugangs existiert nicht</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">c) Mehrkosten der Antragstellerin auf Grund des Verhaltens der Antragsgegnerin trägt die Antragsgegnerin.“</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Durchführung eines Besonderen Missbrauchsverfahrens … ist bereits teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. …</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auf Grundlage der Antragsbegründung … begehrt die Antragstellerin … zunächst die Feststellung, dass … keine fälligen Rechnungen der Antragsgegnerin zur Begleichung von Netznutzungsentgelten vorgelegen haben … insbesondere …, dass es … an einer konkreten Auflistung gezahlter Abschläge fehle …, ferner … dass die … seit dem 01.07.2020 erstellten Abschlagsrechnungen aufgrund der ausgewiesenen Mehrwertsteuer nicht gültig gewesen seien …, dass die Antragsgegnerin im Schreiben vom 07.09.2020 unberechtigterweise einen möglichen Entzug der Netznutzung in Aussicht gestellt habe und die gesetzte Frist zur Begleichung zu kurz gewesen sei. Außerdem begehrt die Antragstellerin eine Erstattung von Mehrkosten sowie die Feststellung, dass zwei Rechnungen zu ihren Gunsten durch die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt worden seien.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin … geltend macht, dass sich die Antragsgegnerin … aufgrund der Ausweisung eines Mehrwertsteuersatzes in Höhe von 19 % missbräuchlich verhalten habe und die Rechnungen seitdem deswegen unzulässig gewesen seien, ist der Antrag bereits unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">… Bei verständiger Würdigung rügt die Antragstellerin insoweit nicht einen Verstoß gegen energierechtliche Vorgaben, deren Einhaltung nach § 31 EnWG zu prüfen wäre, sondern gegen steuerliche Normen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">… Auch soweit die Antragstellerin auf die Erstattung behaupteter Mehrkosten … abzielt, ist der Antrag nicht zulässig. …</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Insbesondere auf Basis des Vortrages der Antragstellerin lässt sich vorliegend … eine strukturelle und andauernde Nichtbeachtung der in der GPKE festgelegten Prozesse zur Netznutzungsabrechnung seitens der Antragsgegnerin nicht feststellen. …</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">… Maßgeblich ist bereits, dass weder die GPKE noch der Netznutzungsvertrag in der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt maßgeblichen Fassung eine rechtliche Verpflichtung normieren, wonach zusammen mit einer Turnusabrechnung eine Liste der im Einzelnen angerechneten Abschläge zur Verfügung zu stellen ist. …</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann … jedenfalls bezüglich der der Mahnung vom 07.09.2020 zugrundeliegenden Rechnungsposten ABC01..., ABC011…, ABC0110…, ABC22… und ABC33… von der grundsätzlichen Durchführung eines Klärungsprozesses nach den Vorgaben der GPKE … ausgegangen werden. Die Antragsgegnerin reagierte auf die Reklamation der Antragstellerin mit dem Grund „Z04 vorausbezahlter Betrag falsch“ in Übereinstimmung mit den Regelungen der GPKE, indem sie sich mit E-Mail … an die Antragstellerin wandte. … Folglich hätte es ab diesen Zeitpunkten der Antragstellerin oblegen, auf die Erläuterungen mit weiteren bilateralen Rücksprachen … zu reagieren.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Ferner ist hervorzuheben, dass die Einleitung … eines Klärungsprozesses … die Fälligkeit der gestellten Netznutzungsrechnung nicht automatisch entfallen lässt. …</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man … zu Gunsten der Antragstellerin davon ausginge, dass bei einzelnen … Rechnungsposten ein Klärungsprozess … nicht vollumfänglich erfolgt sein sollte, würde dies für sich genommen noch nicht zur Begründetheit des Missbrauchsantrages führen. Denn es kann nicht in jedem als Einzelfall vorgetragenen Regelverstoß gegen die Beschreibung festgelegter Methoden … automatisch ein von § 31 EnWG erfasster Verstoß gesehen werden.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">… in § 13 Nr. 5 lit. a des Netznutzungsvertrags [wird] normiert, dass ein wichtiger Grund, der zur Kündigung des Netzzugangs berechtigt, die Androhung des Entzugs des Netzzugangs als Konsequenz eines Fehlverhaltens gerade … [voraussetzt]. … Aus dem bloßen in Aussicht stellen einer vertraglich vorgesehenen Konsequenz kann ... nicht ohne Weiteres auf die Widerrechtlichkeit der Androhung geschlossen werden. …</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Das Begehr der Antragstellerin, die Unzulässigkeit der gesetzten Frist zur Begleichung der Rechnung festzustellen, ist ebenfalls nicht begründet. … Im Einzelfall kann es erforderlich sein, dass die Beschlusskammer in energierechtlichen Missbrauchsverfahren … auch an sich vornehmlich zivilrechtlich geprägte … [Fragestellungen] entscheidet. …</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">… Sofern beispielsweise eine Zahlungsfrist unangemessen kurz gesetzt wurde, um bei deren mangelnder Wahrung missbräuchlich das Entstehen eines Kündigungsgrundes zu fördern und darauf gestützt den Netzzugang zu beenden, kann dies nicht nur zur  Unwirksamkeit der Kündigung führen, sondern im Ergebnis auch einen durch die Beschlusskammer festzustellenden Verstoß gegen § 20 EnWG darstellen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">… Insofern ist … zu beachten, dass die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 07.09.2020 lediglich auf die grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Entzugs des Netzzugangs hingewiesen hat. …</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">… Auch der Vortrag der Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin zwei Rechnungen zu ihren Gunsten nicht verrechnet habe, ist … unbeachtlich. … Der behauptete Anspruch wird weder dem Grunde noch der Höhe nach substantiiert. Ohne jeglichen sachlichen Anknüpfungspunkt ist es der Beschlusskammer schlechterdings unmöglich festzustellen, ob ein Tatbestand im Sinne des § 31 EnWG vorliegt. …</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die am 6. April 2021 von der Beschwerdeführerin eingelegte und mit Schriftsatz vom 6. Juni 2021 begründete Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht unter Bezugnahme auf den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 21. Dezember 2020 (BK6-20-160) aus dem Verfahren zur Weiterentwicklung der Netzzugangsbedingungen Strom geltend, dass die Bundesnetzagentur darin selbst die Erforderlichkeit einer nachvollziehbaren Ausweisung aller Abschlagsrechnungen in der Schlussrechnung anerkannt habe. Eben dies habe sie aufgrund der bundesweit einmaligen Art und Weise der Rechnungstellung der weiteren Beteiligten verlangt. Dementsprechend werde die Bundesnetzagentur aufgefordert, den Teil der Konsultationsakten vorzulegen, aus dem hervorgehe, weshalb der entsprechende Passus in den ab dem 1. April 2022 anzuwendenden Netznutzungsvertrag aufgenommen worden sei.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Bei der weiteren Beteiligten ergebe sich das Problem gerade daraus, dass sie 12 Abschlagsrechnungen versende an Stelle von branchenüblichen 11 Rechnungen. Veranschaulicht werde dies etwa anhand einer Abrechnung vom 16. April 2021. Die Behauptung der weiteren Beteiligten, dass die Zahlung auf die Abschlagsrechnung vom 17. März 2020 der vorherigen Periode zugeordnet worden sei, sei weder für Menschen noch für Computer zu erkennen. Die Prüfung der Rechnung müsse daher fehlschlagen. Die Rechnung sei mithin nicht bestätigungsfähig. Aufzulösen sei die Problematik nur durch die Verwendung von maximal 11 Abschlagsrechnungen, die Stornierung von abrechnungsperiodenüberschneidenden Abschlagsrechnungen oder aber die Bereitstellung einer detaillierten Liste. Die letztgenannte Option sei aber nicht sinnvoll, weil damit unnötige Aufwendungen einhergingen. In dem dargestellten Abrechnungsverhalten liege ein systematischer und auf Dauer angelegter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 EnWG. Es werde bewusst auf die Herbeiführung eines zusätzlichen manuellen Aufwands abgezielt. Dabei sei auch zu bedenken, dass die von der Bundesnetzagentur festgelegten Prozesses faktisch von den Verbänden der „klassischen“ Energiewirtschaft bestimmt würden.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Ebenso missbräuchlich sei das Verhalten der weiteren Beteiligten im Vorfeld des Entzugs des Netzzugangs im September 2020 gewesen. Mit den in der Antragsschrift dargestellten Zeitabläufen habe die Bundesnetzagentur sich nicht auseinandergesetzt. Bei realistischer Betrachtung sei sie überhaupt nicht dazu in der Lage gewesen, das zu tun, was die weitere Beteiligte gewollt habe, um den Entzug des Netzzugangs zu vermeiden. Die Bundesnetzagentur habe die dahinterstehende Diskriminierungsabsicht verkannt.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">den angefochtenen Beschluss vom 2. März 2021 (BK6-20-289) aufzuheben und die Bundesnetzagentur zu verpflichten, sie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Sie weist darauf hin, dass die Feststellungen zur teilweisen Unzulässigkeit des Antrags im Beschluss vom 2. März 2021 bereits nicht angegriffen würden.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beschwerdeführerin sich auf den Inhalt des Netznutzungsvertrags nach Maßgabe des Beschlusses vom 21. Dezember 2020 (BK6-20-160) berufe, sei dies irrelevant, weil der neue Vertrag erst ab dem 1. April 2022 anwendbar sei. Eine Verpflichtung, eine detaillierte Auflistung zur Verfügung zu stellen, habe bis dahin nicht bestanden. Entsprechendes gelte für die Forderung, 11 an Stelle von 12 Abschlagsrechnungen zu erstellen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die weitere Beteiligte mit ihrer Praxis bewusst einen Wettbewerbsnachteil der Beschwerdeführerin herbeiführen wolle, zumal sie ihr Abrechnungsverhalten offenbar gegenüber allen ihren Netzkunden betreibe.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Nicht zu beanstanden sei schließlich die Zahlungsfrist gewesen. Deren Angemessenheit folge schon daraus, dass die Beschwerdeführerin eine Zahlung innerhalb der Frist angekündigt habe.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die weitere Beteiligte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">              die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Sie verteidigt den Beschluss vom 2. März 2021 im Wesentlichen unter Wiederholung der behördlichen Entscheidungsgründe.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schriftsätze nebst Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Verhandlungsprotokoll vom 22. Juni 2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong></p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur teilweise zulässig. Soweit sie zulässig ist, erweist sich das Begehren als unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Es fehlt an dem Zulässigkeitserfordernis einer Beschwerdebegründung, soweit die Beschwerde einerseits umfassend eingelegt worden ist, andererseits aber zu wesentlichen Inhalten des - ein Tätigwerden insgesamt ablehnenden - Beschlusses vom 2. März 2021 schweigt. Der Begründungsmangel betrifft die im Beschluss enthaltene Prüfung, ob das besondere Missbrauchsverfahren im Sinne von § 31 EnWG aufgrund des Ausweises eines Mehrwertsteuersatzes von 19 % seit dem 1. Juli 2020 und der begehrten Erstattung von Mehrkosten eröffnet sei, ob der GPKE-Geschäftsprozess „Netznutzungsabrechnung“ missachtet worden sei, weil Klärungsaktivitäten und die Erteilung einer positiven REMADV unterblieben seien, ob die Ankündigung eines möglichen Entzugs der Netznutzung missbräuchlich gewesen sei, und ob Guthaben „vergessen“ worden seien. In diesem Umfang ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (siehe Senatsbeschluss vom 17. Januar 2019 - VI-3 Kart 902/18 (V), juris Rn. 8; Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG 3. Auflage § 78 Rn. 7 [§ 522 Abs. 1 ZPO analog]).</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Nach § 78 Abs. 3 Satz 1 EnWG ist die Beschwerde zu begründen. Der Mindestinhalt der Beschwerdebegründung wird in § 78 Abs. 4 EnWG umschrieben, wonach es einer Erklärung zum Umfang der Anfechtung sowie der Angabe der Tatsachen und Beweismittel bedarf, auf die sich die Beschwerde stützt. Mit dieser Regelung, die zu weiten Teilen auf die Anfechtungsbeschwerde zugeschnitten ist, aber sinngemäß auch auf andere Beschwerdearten Anwendung findet (Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 78 EnWG Rn. 12), ist der Gesetzgeber über die Anforderungen einer verwaltungsprozessualen Klage gemäß § 82 VwGO hinausgegangen, bei der - unter anderem - die Bezeichnung der zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel lediglich Gegenstand einer sogenannten Soll-Vorgabe ist.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Zwar sind auch mit § 78 Abs. 4 EnWG keine überzogenen Begründungsanforderungen verbunden. So ist eine Beschwerde nach dem EnWG nicht etwa an den Voraussetzungen einer zulässigen zivilprozessualen Berufung zu messen (BeckOK-EnWG/van Rossum, § 78 Rn. 22 [Stand: 1. März 2022]), die insbesondere einen Angriff auf die tragenden Erwägungen des Erstgerichts und die Darlegung erfordert, weshalb diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 - III ZB 19/18, NJW-RR 2019, 180 Rn. 10 m.w.N.). Es bedarf gleichwohl aber eines Mindestmaßes an sachlichen Darlegungen, die die Beschwerde stützen (BeckOK-EnWG/van Rossum aaO Rn. 25; Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 78 EnWG Rn. 12; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Auflage § 66 GWB Rn. 14; ebenso - jedenfalls für die hier eingelegte Verpflichtungsbeschwerde - Boos in Theobald/Kühling, Energierecht § 78 EnWG Rn. 15 in Abgrenzung zu Rn. 18 [Werkstand: 113. Ergänzungslieferung]). Unzureichend ist deshalb die bloße pauschale Bezugnahme auf das Vorbringen im behördlichen Verfahren (Huber in Kment, EnWG 2. Auflage § 78 Rn. 6; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 - Verg W 12/05, juris Rn. 78).</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Die Beschwerdebegründung genügt danach den Mindestanforderungen, soweit darin die Praxis der weiteren Beteiligten, 12 Abschlagsrechnungen innerhalb einer Abrechnungsperiode zu übermitteln, die durch Beschluss vom 21. Dezember 2020 (BK6-20-160) getroffene Regelung zur nachvollziehbaren Ausweisung aller in der Schlussrechnung enthaltenen Abschlagsrechnungen sowie die angeblich unzulässige Bemessung der am 7. September 2020 gesetzten Frist erörtert werden.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Die weiteren im Beschluss vom 2. März 2021 geprüften Verhaltensweisen bzw. Punkte werden in der Beschwerdebegründung demgegenüber nicht weiter aufgegriffen. Hinsichtlich dieser Teile des Streitstoffs erschöpft sich die Begründung (dort Seite 11) in einer pauschalen und damit unzureichenden Bezugnahme auf den „gesamten Vortrag in dem … Missbrauchsverfahren“, der zum Vortrag im Beschwerdeverfahren erhoben werden soll. Eine über diese Bezugnahme hinausgehende Beschwerdebegründung ergibt sich auch nicht aus Seite 10 des Begründungsschriftsatzes. Zwar wird dort das Verhalten der weiteren Beteiligten im „Vorfeld des Entzugs des Netzzugangs im September 2020“ als missbräuchlich bezeichnet und auf die Antragsschrift vom 14. September 2020 verwiesen. Dieser Teil der Beschwerdebegründung betrifft aber zweifelsfrei - wie die weiteren dazugehörigen Ausführungen zeigen - allein den zeitlichen Ablauf, d.h. die angeblich missbräuchliche Fristbemessung.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> Die Wahrung des Begründungserfordernisses kann auch nicht mit der - für sich genommen zutreffenden - Erwägung gestützt werden, dass § 78 Abs. 4 Nr. 2 EnWG die Festlegung des Streitgegenstands bezweckt (BGH, Beschluss vom 6. November 2012 - EnVR 101/10, juris Rn. 30; wohl nur begrifflich anders Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Auflage § 66 GWB Rn. 14: „Klarstellung des Streitstoffs“) und den Beschwerdeführer nicht daran hindert, sich auf solche Elemente des dem Beschwerdebegehren zugrunde liegenden Sachverhalts zu berufen, auf die er sich erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 78 Abs. 3 Satz 2 EnWG gestützt hat (BGH, Beschluss vom 6. November 2012 aaO Rn. 29). Denn die so lautende Rechtsprechung ist im Zusammenhang mit Verpflichtungsbeschwerden gegen die Bestimmung von Erlösobergrenzen ergangen. Deren Streitgegenstand ist gekennzeichnet durch das Begehren des Beschwerdeführers, die Verwaltungsentscheidung aufzuheben und eine ihm günstigere Entscheidung zu veranlassen, und durch den Sachverhalt, der dem Bescheid zugrunde liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. April 2015 - EnVR 16/14, EnWZ 2015, 331 Rn. 17; vom 6. November 2012 aaO Rn. 29; siehe hierzu auch Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG 3. Auflage § 78 Rn. 6). Hingegen zeichnet sich ein Verfahren nach § 31 EnWG gerade dadurch aus, dass wegen eines spezifizierten Verhaltens eines Netzbetreibers eine regulierungsbehördliche Überprüfung und die Ergreifung von Maßnahmen beantragt werden.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 EnWG können Personen oder Personenvereinigungen, deren Interessen durch das Verhalten eines Betreibers von Energieversorgungsnetzen erheblich berührt werden, bei der Regulierungsbehörde einen Antrag auf Überprüfung dieses Verhaltens stellen. Die Regelung beruht auf europarechtlichen Vorgaben (etwa gemäß Art. 37 Abs. 11 RL 2009/72/EG bzw. Art. 60 Abs. 2 RL (EU) 2019/944), die davon ausgehen, dass die Regulierungsbehörde als Streitbeilegungsstelle fungiert (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 18; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 80). Wortlaut und Zweck erhellen, dass es auf ein konkretes Verhalten des Netzbetreibers ankommt, was folgerichtig in dem bei der Regulierungsbehörde zu stellenden Antrag unter Angabe der im Einzelnen anzuführenden Gründe für die Zweifel an der Rechtmäßigkeit zu umschreiben ist (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EnWG). Diese Verfahrensausgestaltung führt zwar nicht dazu, dass jede einzelne beanstandete Handlung des Netzbetreibers isoliert zu betrachten wäre und einen selbständigen Antragsgegenstand bildete. Vielmehr kann namentlich ein fortgesetztes gleichförmiges Verhalten Ausdruck eines einheitlichen Lebenssachverhalts sein (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - EnVR 22/17, juris Rn. 23). Knüpft ein auf § 31 EnWG gestützter Antrag aber an mehrere unterschiedliche Verhaltensweisen des Netzbetreibers an, so kann es sich jeweils um abgrenzbare selbständige Teile des Streitstoffs (im Unterschied zu bloßen Elementen eines Streitgegenstands) handeln, selbst wenn die angeblichen Verstöße vom Beschwerdeführer einem gemeinsamen Oberbegriff - etwa der Verpflichtung zur „korrekten Abrechnung“ - zugeordnet werden. Unter solchen Umständen hat sich die Beschwerdebegründung in Anlehnung an die Rechtsprechung zur zivilprozessualen Berufungsbegründung (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 11 m.w.N.) auf alle vom Begehren umfassten Teile des Streitstoffs zu erstrecken (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 - Verg W 12/05, juris Rn. 78).</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Danach ist die umfassend eingelegte Beschwerde unzulässig, soweit sie sich nicht näher dazu verhält, dass im Beschluss vom 2. März 2021 geprüft worden ist, ob das Missbrauchsverfahren im Sinne von § 31 EnWG aufgrund des Ausweises eines Mehrwertsteuersatzes von 19 % seit dem 1. Juli 2020 und der begehrten Erstattung von Mehrkosten eröffnet sei, ob der GPKE-Geschäftsprozess „Netznutzungsabrechnung“ missachtet worden sei, weil Klärungsaktivitäten und die Erteilung einer positiven REMADV unterblieben seien, ob die Ankündigung eines möglichen Entzugs der Netznutzung missbräuchlich gewesen sei, und ob Guthaben „vergessen“ worden seien. Denn hierbei handelt es sich um Prüfungspunkte, die von den weiteren Verfahrensgegenständen - d.h. der ständigen Abrechnungspraxis in Form von 12 Abschlagsrechnungen zuzüglich einer Turnusrechnung sowie der Fristbemessung vom 7. September 2020 - abgrenzbar und einer selbständigen Beurteilung zugänglich sind.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Selbständigkeit der bezeichneten Antragsgegenstände ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beschwerdeführerin jedenfalls im behördlichen Verfahren unter Formulierung negativer Feststellungsanträge („es existieren … keine offenen Beträge … ein Grund für die Androhung der Kündigung des Netzzugangs besteht nicht“) der Auffassung gewesen sein dürfte, dass (nahezu) alle angeblichen und im Beschluss vom 2. März 2021 erörterten Zuwiderhandlungen einen Einfluss auf den Bestand, die Fälligkeit oder Durchsetzbarkeit der vom Zahlungsverlangen vom 7. September 2020 umfassten Forderungen hatten.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">In inhaltlicher Hinsicht ist das besondere Missbrauchsverfahren gemäß § 31 EnWG auf eine Überprüfung beschränkt, ob und inwieweit ein gerügtes Verhalten eines Netzbetreibers mit den Bestimmungen in §§ 17 bis 28a EnWG, den auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie den nach § 29 EnWG festgelegten oder genehmigten Bedingungen und Methoden übereinstimmt (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 EnWG; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 81). So sind etwa die Verpflichtung zur Installation dezentraler Messeinrichtungen (BGH, Beschluss vom 14. April 2015 - EnVR 45/13, juris Rn. 20 ff.), der Anspruch auf Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 15 ff.), die Zulässigkeit von Kapazitätsbeschränkungen (BGH, Beschluss vom 1. September 2020 - EnVR 7/19, juris Rn. 14) oder die Weigerung zur Zahlung von sogenannten vermiedenen Netzentgelten nach § 18 Abs. 1 StromNEV (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 aaO Rn. 83) als taugliche Verfahrensgegenstände angesehen worden. Ferner hat der Bundesgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesnetzagentur sich im Verfahren nach § 31 EnWG auf die Prüfung beschränken könne, ob das beanstandete Verhalten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften in Einklang stehe, also nicht etwa gehalten sei, den Antragsgegner zur Erstattung zu Unrecht vereinnahmter Entgelte zu verpflichten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - EnVR 22/17, juris Rn. 26), und dass ein schuldrechtlicher Auskunftsanspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2015 - EnVR 18/14, juris Rn. 20) oder ein Schadensersatzanspruch nicht Gegenstand eines Missbrauchsverfahrens sein könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2020 aaO Rn. 49).</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Diese Begrenzung des Verfahrensgegenstands schließt zwar weder eine Prüfung nicht-energierechtlicher (z.B. zivilrechtlicher) Vorfragen aus (BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 - EnVR 10/13, juris Rn. 50) noch wird die Aufsichtsbefugnis der Regulierungsbehörde durch eine gleichzeitige Zuständigkeit der Zivilgerichte eingeschränkt (BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 aaO Rn. 16; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 aaO Rn. 93 m.w.N.). Das bedeutet aber nicht, dass die Vertragskonformität des Verhaltens der weiteren Beteiligten als solche einer umfassenden - den Zivilprozess ersetzenden - Überprüfung im Sinne des § 31 EnWG unterliegt, nur weil der Inhalt des zwischen ihr und der Beschwerdeführerin bestehenden Lieferantenrahmenvertrags durch Festlegungen der Bundesnetzagentur vorgegeben wird (zurückgehend auf den Beschluss vom 16. April 2015 [BK6-13-042], abgeändert etwa durch Beschluss vom 20. Dezember 2017 [BK6-17-168]). Die mögliche, aber nicht immer tunliche (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 19) Prüfung von nicht-energierechtlichen Bestimmungen betrifft Vorfragen der angeblichen Zuwiderhandlung im Sinne von § 31 EnWG. Das besondere Missbrauchsverfahren dient also nicht umgekehrt dazu, die schuldrechtlichen Auswirkungen von Verstößen gegen die von § 31 EnWG erfassten Bestimmungen umfassend zu klären. Dementsprechend kann aus einer angeblichen schuldrechtlichen Rechtslage auch nicht auf die Einheitlichkeit des Streitgegenstands geschlossen werden.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ist es nicht zu beanstanden (und wird von der Beschwerdeführerin ersichtlich auch gebilligt), dass die Bundesnetzagentur hier die Frage der steuerlichen Richtigkeit der Rechnungen, den Vorwurf des Unterlassens gebotener Klärungsaktivitäten, das behauptete „Vergessen“ von Guthaben sowie die generelle Abrechnungspraxis der weiteren Beteiligten jeweils als selbständige Antragsgegenstände - also nicht als bloße Vorfragen eines Zahlungsverzugs der Beschwerdeführerin - qualifiziert hat. Entsprechendes gilt, soweit im Beschluss vom 2. März 2021 auch das Schadensersatzbegehren, die Androhung des Entzugs des Netzzugangs und die Bemessung der Frist eigenständig geprüft worden sind. Danach hätte sich aber auch die Beschwerdebegründung auf alle Antragsgegenstände erstrecken müssen.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Soweit die Beschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Es kann dahinstehen, ob die Fristbemessung vom 7. September 2020 als solche überhaupt tauglicher Gegenstand eines Missbrauchsverfahrens sein kann. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, weshalb hier in der Fristbemessung ein von § 31 EnWG erfasster Verstoß - etwa gegen § 20 EnWG - liegen soll.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Im Einklang mit dem bereits aufgezeigten Grundsatz, das Verfahren nach § 31 EnWG diene nicht der umfassenden - den Zivilprozess ersetzenden - Überprüfung der Vertragskonformität des Verhaltens des Netzbetreibers, hat der Senat bereits in seinem auf eine Beschwerde eines Schwesterunternehmens der Beschwerdeführerin ergangenen Beschluss vom 23. Juni 2021 (VI-3 Kart 880/19 (V), S. 12 ff.) Ausführungen zum Prüfungsmaßstab bei einer Kündigung eines Lieferantenrahmenvertrags gemacht. Als missbräuchlich im Sinne von § 31 EnWG kann sich eine auf Zahlungsverzug gestützte Kündigung danach nur unter gesteigerten Anforderungen erweisen, etwa bei einer offensichtlich unwirksamen und in Schädigungsabsicht ausgesprochenen Kündigung (aaO S. 12). Entsprechendes muss auch bei der vorgelagerten Frage einer Zahlungsfristbemessung gelten. Selbst wenn man aber eine an den Zivilprozess angelehnte Prüfung vornimmt, so vermag der Senat die von der Beschwerdeführerin behauptete Unangemessenheit nicht zu erkennen. Die Beschwerdeführerin übergeht bei ihren Ausführungen den Umstand, dass das Schreiben vom 7. September 2020 unstreitig nicht nur per Post, sondern vorab per E-Mail verschickt worden ist (vgl. S. 3 des Beschlusses vom 2. März 2021), und dass sie selbst im Stande war, innerhalb der bis zum 14. September 2020 gesetzten Frist eine Zahlung anzukündigen.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Erfolglos bleibt die Beschwerde auch, soweit sie sich gegen die Praxis der weiteren Beteiligten richtet, 12 Abschlagsrechnungen nebst Turnusabrechnungen zu übersenden mit der Maßgabe, dass das Fälligkeitsdatum der letzten Abschlagsrechnung bereits in der neuen Abrechnungsperiode liegt.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Zu Gunsten der Beschwerdeführerin kann unterstellt werden, dass ihre Betroffenheit - eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags nach § 31 EnWG - nicht in einer verfahrensrelevanten Weise wegen der Ergänzung des Netznutzungsvertrags durch Beschluss vom 21. Dezember 2020 (BK6-20-160) entfallen ist, laut der die Schlussrechnung „nachvollziehbar alle enthaltenen Abschlagsrechnungen der Abrechnungsperiode unter Bezeichnung der Rechnungsnummern“ ausweist. Denn die Beschwerde bleibt schon aus anderen Gründen ohne Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur hat in dem angegriffenen Beschluss dargelegt, dass weder der Netznutzungsvertrag in der im fraglichen Zeitraum maßgeblichen Fassung noch die Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE, konsolidierte Lesefassung, gültig ab dem 1. April 2020) eine Verpflichtung zur Erstellung von maximal 11 Abschlagsrechnungen oder zur Übermittlung einer detaillierten Auflistung angerechneter Abschläge vorgesehen haben. Hiergegen wendet die Beschwerdeführerin sich mit Recht nicht. Ihr geht und ging es ersichtlich darum, eine von ihr als branchenüblich bezeichnete Praxis im gewünschten Sinn festzuschreiben. Ob eine solche Regelung sinnvoll wäre und dem Ziel der Massengeschäftstauglichkeit besser Rechnung trüge als die von der weiteren Beteiligten etwa mit Schreiben vom 6. November 2020 erläuterte Praxis, ist indes keine Frage des Verfahrens nach § 31 EnWG, in dem es - vorbehaltlich des hier nicht einschlägigen Sonderfalls des § 31 Abs. 1 Satz 3 EnWG - allein auf eine Zuwiderhandlung bzw. einen Missbrauch des Netzbetreibers ankommt. Dieser Grundsatz kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass eine als unbefriedigend empfundene Rechts- und Festlegungslage in eine systematische und bewusste Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit durch den Netzbetreiber umgedeutet wird.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 90 Satz 1 EnWG. Da die Beschwerde keinen Erfolg hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tragen hat. Dies gilt angesichts ihres wesentlichen Beitrags zur Verfahrensförderung durch konstruktiven Sachvortrag sowie des kontradiktorischen Charakters des besonderen Missbrauchsverfahrens auch für die Auslagen der weiteren Beteiligten (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 188).</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks"><strong>IV.</strong> Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss - die hinsichtlich der Teilverwerfung nicht etwa kraft Gesetzes analog § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO stattfindet - war nicht zuzulassen. Es fehlt an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 86 Abs. 2 EnWG. Insbesondere haben die entscheidungserheblichen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung, weil deren richtige Beantwortung nicht zweifelhaft ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - KVZ 40/05, juris Rn. 2; Senatsbeschluss vom 27. April 2022 - VI-3 Kart 87/21 (V), juris Rn. 81).</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong>V.</strong> Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO auf … Euro festzusetzen. Soweit die weitere Beteiligte darauf verwiesen hat, dass ihr Aufwand hoch gewesen sei, rechtfertigt dies für sich genommen nicht die von der weiteren Beteiligten angeregte Wertfestsetzung auf … Euro. Denn maßgeblich ist im Ausgangspunkt das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführerin.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung</span>:</strong></p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 1. Januar 2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist durch einen beim Oberlandesgericht Düsseldorf oder beim Bundesgerichtshof einzureichenden Schriftsatz binnen einem Monat zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts (Bundesgerichtshof) verlängert werden. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§ 87 Abs. 4 Satz 1, § 80 Satz 2 EnWG).</p>
346,612
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L 3 SB 417/22
2022-08-10T00:00:00
2022-09-17T10:01:55
2022-10-17T11:10:17
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12.01.2022 wird zurückgewiesen.</strong></p><p><strong>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.</strong></p><p/> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist die Zurückweisung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Verfahrensbevollmächtigter in einem auf die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Verwaltungsverfahren streitig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Beklagte stellte bei der im Jahr 1963 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 12.08.2020 den GdB mit 40 seit dem 04.10.2019 fest. Die Klägerin legte hiergegen, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 19.08.2020 Widerspruch ein und beantragte zudem eine „Überprüfung der Altbescheide und zwar sämtlicher Altbescheide“ gemäß § 44 SGB X. Sie legte die auf ihren Prozessbevollmächtigten ausgestellte Vollmacht vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Der Beklagte hörte den Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf dessen beabsichtigte Zurückweisung als Bevollmächtigter mit Schreiben vom 02.09.2020 an und leitete eine Mehrfertigung dieses Schreibens der Klägerin zur Kenntnisnahme weiter. Eine Antwort hierauf erfolgte nicht. Daraufhin wies der Beklagte mit dem an den Prozessbevollmächtigten gerichteten Bescheid vom 24.11.2020 diesen als Bevollmächtigten nach § 13 Abs. 5 SGB X zurück. Der Prozessbevollmächtigte sei als Rentenberater gemäß § 3 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nur dann befugt aufzutreten, wenn ein konkreter Zusammenhang mit Rentenfragen bestehe. Dieser konkrete Zusammenhang sei vorliegend jedoch aufgrund des Lebensalters der Klägerin zu verneinen. Ferner ordnete der Beklagte gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Hiergegen wurde am 15.12.2020 Widerspruch eingelegt. Die angekündigte Antragstellung sowie Begründung des Widerspruches erfolgten trotz Erinnerung mit Schreiben vom 02.02.2021 nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Beklagte wies mit dem an den Prozessbevollmächtigten gerichteten Widerspruchsbescheid vom 11.08.2021 dessen Widerspruch im Zurückweisungsverfahren nach § 13 Abs. 5 SGB X als unbegründet zurück. Erneut wurde die sofortige Vollziehung der Zurückweisungsentscheidung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die Klägerin hat, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, gegen den Bescheid vom 24.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021 am 17.08.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen, dass sie – deren bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht vom 17.08.2020 auch für das Klageverfahren gelte – zwar nicht Adressatin des Zurückweisungsbescheides sei, es sich aber um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handele, der sie in ihren subjektiven Rechten verletze, weshalb § 56a SGG nicht anwendbar sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, § 56a SGG stehe einer isolierten Klage gegen von ihm, dem Beklagten, vorgenommene Verfahrenshandlungen entgegen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Das SG Heilbronn hat mit Gerichtsbescheid vom 12.01.2022 die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Es hat auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 26.06.2020 (L 8 SB 3970/19) verwiesen, wonach die vertretene Person die Zurückweisung nicht isoliert, also unabhängig von der Sachentscheidung, anfechten könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Gegen den ihr am 15.01.2022 zugestellten Gerichtsbescheid des SG Heilbronn hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 15.02.2022 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat weder einen Antrag gestellt, noch ihre Berufung begründet. Der Beklagte hat ebenfalls keinen Antrag gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Auf die Anregung des Berichterstatters, die Berufung vor dem Hintergrund zurückzunehmen, dass auch der 12. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 12.07.2021 (L 12 SB 340/21) in einer gleich gelagerten Konstellation – ebenso wie bereits der 8. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 26.06.2020 (L 8 SB 3970/19, juris) – die Klage eines behinderten Menschen gegen einen seinen Bevollmächtigten zurückweisenden Bescheid als unzulässig angesehen habe und das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Beschluss vom 23.02.2022 (B 9 SB 53/21 B, juris) die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen habe, ist keine Reaktion der Klägerin erfolgt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Gegenstand ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Heilbronn vom 12.01.2022 und des die Zurückweisung ihres Bevollmächtigten regelnden Bescheides des Beklagten vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte oder eines abweichenden Antrags geht der Senat davon aus, dass die Klägerin das im Widerspruchs- und Klageverfahren verfolgte Begehren, nämlich die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung des Beklagten, auch im Berufungsverfahren weiterverfolgt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Zunächst ist festzuhalten, dass sowohl die Klage wie auch die Berufung ausschließlich im Namen der Klägerin, dabei vertreten durch den Bevollmächtigten, erhoben beziehungsweise eingelegt worden sind und nicht etwa (auch) im Namen des Bevollmächtigten in eigener Sache. Dies ergibt sich unmissverständlich aus dem Antrag im Klageverfahren sowie aus der hierzu vorgetragenen Begründung, die Klage werde im Namen der Klägerin geführt, da es sich um Verwaltungsakte mit Drittwirkung handele, aus der im Klageverfahren erfolgten Inbezugnahme auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht und auch aus der jeweiligen Bezeichnung der Rechtssache mit „H P, ... – Klägerin und Berufungsklägerin ...“.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die danach von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen den Zurückweisungsbescheid vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021, gerichtet an den Bevollmächtigten, ist unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Gemäß § 13 Abs. 5 SGB X sind Bevollmächtigte und Beistände in einem Verwaltungsverfahren durch die Behörde zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen. Hierauf gestützt hat der Beklagte den Bevollmächtigten mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021 zurückgewiesen. Die Zurückweisung stellt gegenüber dem Zurückgewiesenen einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der von diesem mit dem entsprechenden Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) angefochten werden kann (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 22; ebenso Sächsisches LSG, Urteil vom 07.01.2021 – L 3 AL 176/17, juris Rn. 31; siehe auch Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 44).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Der Vertretene kann die Zurückweisung dagegen nicht isoliert, also unabhängig von der Sachentscheidung, anfechten. Denn der Bescheid über die Zurückweisung richtet sich unmittelbar an den Bevollmächtigten oder Beistand und kann damit nur von diesem selbst isoliert angefochten werden. Dies verdeutlicht auch die Regelung in § 13 Abs. 7 Satz 1 SGB X, wonach die Zurückweisung dem Vertretenen (lediglich) schriftlich mitzuteilen ist. Diese Mitteilung stellt nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keinen isoliert anfechtbaren Verwaltungsakt dar (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 23; siehe auch: Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand: 13.08.2018, § 13 Rn. 27; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 44; Roller in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 13 Rn. 17). Damit ist die Anfechtungsklage der Klägerin, gerichtet gegen den Bescheid über die Zurückweisung ihres Prozessbevollmächtigten, von vornherein nicht statthaft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Dieses Ergebnis, wie aber auch die Unzulässigkeit sonstiger in Betracht kommender Klagen, insbesondere einer (Fortsetzungs-)Feststellungsklage, wird durch § 56a SGG bestätigt. Nach § 56a Satz 1 SGG können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Nach § 56a Satz 2 SGG gilt dies nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Verfahrenshandlungen im Sinne des § 56a SGG sind diejenigen behördlichen Maßnahmen, die Teil eines Verwaltungsverfahrens sind – wobei der Begriff weit, über § 8 SGB X hinaus, auszulegen ist – und keine Sachentscheidung darstellen, sondern diese vorbereiten. Erfasst werden somit vorbereitende Handlungen, die auf eine mit Rechtsbehelfen kontrollierbare, das konkrete Verfahren abschließende Sachentscheidung gerichtet sind und das Ziel verfolgen, diese Entscheidung zu fördern (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 24; siehe auch: Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, Stand: 15.06.2022, § 56a Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Keine Verfahrenshandlungen im Sinne des § 56a SGG sind dagegen Handlungen, die über das jeweilige Verwaltungsverfahren hinaus unmittelbare Rechtswirkungen zeitigen und eine eigenständige Entscheidung darstellen, selbst wenn sie als Zwischenschritte hin zu einer späteren Sachentscheidung erscheinen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 25; siehe auch: Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, Stand: 15.06.2022, § 56a Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Danach gilt hier folgendes: Die Zurückweisung des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren zeitigt für die Klägerin keine, über das Verwaltungsverfahren hinausgehende, unmittelbare Rechtswirkung und stellt deshalb keine eigenständige Entscheidung im Sinne des § 56a Satz 2 SGG dar. Die Zurückweisung ist auch nicht selbstständig vollstreckbar. Damit ist § 56a Satz 1 SGG vorliegend einschlägig. Die Zurückweisung ist deshalb für die Klägerin zulässigerweise erst mit der Sachentscheidung anfechtbar (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris 26; Mutschler in Kasseler Kommentar, Werkstand: 117. EL Dezember 2021, § 13 Rn. 26; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand: 13.08.2018, § 13 Rn. 27; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 45; Roller in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 13 Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Klägerin kann somit zulässigerweise nicht im Wege einer isolierten Klage gegen die Zurückweisung ihres Bevollmächtigten vorgehen, weshalb ihr Berufungsbegehren ohne Erfolg bleibt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung war daher zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1, 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenpflichtig. Zwar ist gemäß § 183 Satz 1 SGG das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte, Leistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Der genannte einschränkende Satzteil zeigt aber, dass die Kostenprivilegierung nicht alle Rechtsstreitigkeiten von behinderten Menschen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit umfasst. Vielmehr kommt es auf den jeweiligen Streitgegenstand an. Entscheidend ist, ob um ein Recht gestritten wird, das gerade behinderten Menschen in dieser Eigenschaft zusteht (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 12; BSG, Beschluss vom 06.06.2016 – B 13 SF 11/16 S - juris Rn. 8). Dies ist vorliegend nicht der Fall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Gegenstand ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Heilbronn vom 12.01.2022 und des die Zurückweisung ihres Bevollmächtigten regelnden Bescheides des Beklagten vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte oder eines abweichenden Antrags geht der Senat davon aus, dass die Klägerin das im Widerspruchs- und Klageverfahren verfolgte Begehren, nämlich die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung des Beklagten, auch im Berufungsverfahren weiterverfolgt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Zunächst ist festzuhalten, dass sowohl die Klage wie auch die Berufung ausschließlich im Namen der Klägerin, dabei vertreten durch den Bevollmächtigten, erhoben beziehungsweise eingelegt worden sind und nicht etwa (auch) im Namen des Bevollmächtigten in eigener Sache. Dies ergibt sich unmissverständlich aus dem Antrag im Klageverfahren sowie aus der hierzu vorgetragenen Begründung, die Klage werde im Namen der Klägerin geführt, da es sich um Verwaltungsakte mit Drittwirkung handele, aus der im Klageverfahren erfolgten Inbezugnahme auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht und auch aus der jeweiligen Bezeichnung der Rechtssache mit „H P, ... – Klägerin und Berufungsklägerin ...“.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die danach von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen den Zurückweisungsbescheid vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021, gerichtet an den Bevollmächtigten, ist unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Gemäß § 13 Abs. 5 SGB X sind Bevollmächtigte und Beistände in einem Verwaltungsverfahren durch die Behörde zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen. Hierauf gestützt hat der Beklagte den Bevollmächtigten mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 24.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2021 zurückgewiesen. Die Zurückweisung stellt gegenüber dem Zurückgewiesenen einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der von diesem mit dem entsprechenden Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) angefochten werden kann (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 22; ebenso Sächsisches LSG, Urteil vom 07.01.2021 – L 3 AL 176/17, juris Rn. 31; siehe auch Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 44).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Der Vertretene kann die Zurückweisung dagegen nicht isoliert, also unabhängig von der Sachentscheidung, anfechten. Denn der Bescheid über die Zurückweisung richtet sich unmittelbar an den Bevollmächtigten oder Beistand und kann damit nur von diesem selbst isoliert angefochten werden. Dies verdeutlicht auch die Regelung in § 13 Abs. 7 Satz 1 SGB X, wonach die Zurückweisung dem Vertretenen (lediglich) schriftlich mitzuteilen ist. Diese Mitteilung stellt nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keinen isoliert anfechtbaren Verwaltungsakt dar (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 23; siehe auch: Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand: 13.08.2018, § 13 Rn. 27; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 44; Roller in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 13 Rn. 17). Damit ist die Anfechtungsklage der Klägerin, gerichtet gegen den Bescheid über die Zurückweisung ihres Prozessbevollmächtigten, von vornherein nicht statthaft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Dieses Ergebnis, wie aber auch die Unzulässigkeit sonstiger in Betracht kommender Klagen, insbesondere einer (Fortsetzungs-)Feststellungsklage, wird durch § 56a SGG bestätigt. Nach § 56a Satz 1 SGG können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Nach § 56a Satz 2 SGG gilt dies nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Verfahrenshandlungen im Sinne des § 56a SGG sind diejenigen behördlichen Maßnahmen, die Teil eines Verwaltungsverfahrens sind – wobei der Begriff weit, über § 8 SGB X hinaus, auszulegen ist – und keine Sachentscheidung darstellen, sondern diese vorbereiten. Erfasst werden somit vorbereitende Handlungen, die auf eine mit Rechtsbehelfen kontrollierbare, das konkrete Verfahren abschließende Sachentscheidung gerichtet sind und das Ziel verfolgen, diese Entscheidung zu fördern (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 24; siehe auch: Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, Stand: 15.06.2022, § 56a Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Keine Verfahrenshandlungen im Sinne des § 56a SGG sind dagegen Handlungen, die über das jeweilige Verwaltungsverfahren hinaus unmittelbare Rechtswirkungen zeitigen und eine eigenständige Entscheidung darstellen, selbst wenn sie als Zwischenschritte hin zu einer späteren Sachentscheidung erscheinen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris Rn. 25; siehe auch: Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, Stand: 15.06.2022, § 56a Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Danach gilt hier folgendes: Die Zurückweisung des Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren zeitigt für die Klägerin keine, über das Verwaltungsverfahren hinausgehende, unmittelbare Rechtswirkung und stellt deshalb keine eigenständige Entscheidung im Sinne des § 56a Satz 2 SGG dar. Die Zurückweisung ist auch nicht selbstständig vollstreckbar. Damit ist § 56a Satz 1 SGG vorliegend einschlägig. Die Zurückweisung ist deshalb für die Klägerin zulässigerweise erst mit der Sachentscheidung anfechtbar (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2021 – L 12 SB 340/21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2020 – L 8 SB 3970/19, juris 26; Mutschler in Kasseler Kommentar, Werkstand: 117. EL Dezember 2021, § 13 Rn. 26; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand: 13.08.2018, § 13 Rn. 27; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 06/09, § 13 SGB X Rn. 45; Roller in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 13 Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Klägerin kann somit zulässigerweise nicht im Wege einer isolierten Klage gegen die Zurückweisung ihres Bevollmächtigten vorgehen, weshalb ihr Berufungsbegehren ohne Erfolg bleibt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung war daher zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1, 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG gerichtskostenpflichtig. Zwar ist gemäß § 183 Satz 1 SGG das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte, Leistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Der genannte einschränkende Satzteil zeigt aber, dass die Kostenprivilegierung nicht alle Rechtsstreitigkeiten von behinderten Menschen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit umfasst. Vielmehr kommt es auf den jeweiligen Streitgegenstand an. Entscheidend ist, ob um ein Recht gestritten wird, das gerade behinderten Menschen in dieser Eigenschaft zusteht (BSG, Beschluss vom 23.02.2022 – B 9 SB 53/21 B, juris Rn. 12; BSG, Beschluss vom 06.06.2016 – B 13 SF 11/16 S - juris Rn. 8). Dies ist vorliegend nicht der Fall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
346,611
lsgbw-2022-08-10-l-3-sb-221
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L 3 SB 2/21
2022-08-10T00:00:00
2022-09-17T10:01:54
2022-10-17T11:10:17
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p><strong>Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.11.2020 wird zurückgewiesen.</strong></p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p><strong>Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</strong></p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin streitig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die im Jahr 1990 geborene Klägerin wurde am 20.02.2015 auf dem Zebrastreifen als Fußgängerin auf dem Weg zur Arbeit von einem Auto von rechts erfasst. Sie zog sich dabei neben einer erstgradigen offenen proximalen Oberarmtrümmerfraktur rechts mehrere komplexe Beckenfrakturen (dislozierte Acetabulumfraktur rechts, Fraktur des Os ilium rechts, Sprengung der IS-Fuge rechts sowie Impfaktion und Fraktur des Os pubis links) zu, die zunächst notfallmäßig im Klinikum H sowie anschließend regulär in der BG Klinik L im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 20.02.2015 bis zum 07.04.2015 operativ versorgt wurden. Der Unfall ist als Arbeitsunfall anerkannt. Wegen der Unfallfolgen bezieht die Klägerin seit dem 30.01.2017 Verletztenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vom Hundert (v.H.) (Bescheide der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft <VBG> vom 13.09.2017 sowie vom 17.01.2018). Das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 13.09.2017 (vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 40) sowie das anschließende Klageverfahren vor dem SG Heilbronn (Az. S 13 U 1599/18) blieben erfolglos.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Am 18.05.2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten unter Berufung auf die erlittenen Frakturen und die psychische Belastung durch den Unfall unter Vorlage eines psychologischen Berichts der BG Klinik L vom 26.03.2015, eines Operationsberichts vom 25.02.2015, eines stationären Aufnahmeberichts vom 07.04.2015 sowie eines Befundberichts der BG Klinik L vom 07.04.2015 die Feststellung ihres GdB ab dem 20.02.2015. Der Beklagte zog ergänzend den Entlassungsbericht der BG Klinik L vom 18.05.2015 bei. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2015 berücksichtigte H als Funktionsbeeinträchtigungen eine Gebrauchseinschränkung des rechten Armes mit einem Einzel-GdB von 30 sowie eine Gebrauchseinschränkung des rechten Beines mit einem Einzel-GdB von 10. Eine seelische Störung bedinge keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Der Gesamt-GdB betrage 30.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15.06.2015 bei der Klägerin einen GdB von 30 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b EStG seit dem 20.02.2015 fest und führte aus, gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) könnten nicht festgestellt werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, der Beklagte habe keinerlei Auskünfte über ihre Gesundheitsstörungen bei W in H, der BG Klinik in L und der SLK-Klinik in H eingeholt, obgleich sie in ihrem Antrag darum gebeten habe. Sie müsse deshalb davon ausgehen, dass bei der Entscheidung von unvollständigen Informationen ausgegangen worden sei, und bitte um Neuentscheidung über die Höhe des GdB/die Feststellung eines Merkzeichens.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der Beklagte zog Befundberichte des W bei und bat die VBG L1 um Übersendung des letzten maßgeblichen ärztlichen Gutachtens über die Klägerin. Die VBG teilte mit Schreiben vom 29.07.2015 sowie vom 14.12.2015 mit, dass bisher noch keine Begutachtung eingeleitet und auch noch kein Bescheid erteilt worden sei. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.02.2016 beurteilte M die neu vorgelegten Unterlagen als wenig aussagekräftig und regte die Anforderung neuer Unterlagen an. Auf erneute Anfrage des Beklagten teilte die VBG mit Schreiben vom 29.06.2016 mit, die Klägerin führe derzeit eine stufenweise Wiedereingliederung bei ihrem alten Arbeitgeber durch und ein Gutachten werde erst in Auftrag gegeben, wenn die Klägerin wieder arbeitsfähig sei. Auf die Anfrage des Beklagten zu den sie aktuell behandelnden Ärzten teilte die Klägerin mit Schreiben vom 14.09.2016 mit, sie habe alle behandelnden Ärzte in ihrem Antrag eingetragen und sei dort bis heute weiterhin in Behandlung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Schreiben vom 03.03.2017 übersandte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin weitere medizinische Unterlagen, u.a. den Reha-Abschlussbericht der BG Klinik L vom 20.01.2017 mit der Diagnose Zustand nach Polytraumatisierung, eine Behandlungsübersicht des W vom 05.08.2016 und den Bericht der BG-Klinik L über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 11.07.2016 bis zum 15.07.2016 mit den Diagnosen Bewegungs- und Belastungsdefizit nach operativ versorgter proximaler Humerusfraktur rechts mit Pseudarthrosenverlauf mit zuletzt Pseudarthrosenresektion, Spongiosaplastik vom Beckenkamm links, Anlage von BMP 2 sowie additive PHILOS-Platte im Juli 2015, komplexe Beckenverletzung mit dislozierter Acetabulumfraktur rechts, Fraktur Os ileum rechts, Ileosacralfugensprengung rechts und Impfaktion und Fraktur des OS pubis links, plattenosteosynthetische Versorgung erfolgt, postoperative L5-Parese mit hoher Nervus ischiadicus-Teilläsion, Läsion Nervus obturatorius und Nervus cutaneus femoris links, Anpassungsstörung, arterielle Hypertonie. Die Prozessbevollmächtigte teilte mit, betreffend die Bewegungseinschränkung des Schultergelenks sei von einem Einzel-GdB von 40, betreffend die Bewegungseinschränkung im Bereich des/r Beckens/Hüfte von einem Einzel-GdB von zumindest 30, betreffend den Nervus cutaneus femoris von einem Einzel-GdB von 10, betreffend den Nervus ischiadicus von einem Einzel-GdB von zumindest 30 und betreffend den Nervus obturatorius von einem Einzel-GdB von 20 auszugehen. Schließlich müsse auch die Anpassungsstörung Berücksichtigung finden, für die von einem Einzel-GdB von 20 auszugehen sei. Unter Berücksichtigung der Einzel-GdB sei daher zumindest ein Gesamt-GdB von 50 zu berücksichtigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Nach Auswertung der neuen medizinischen Unterlagen verneinte die Versorgungsärztin S in ihrer Stellungnahme vom 14.06.2017 eine wesentliche Befundveränderung und beurteilte die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes weiterhin mit einem Einzel-GdB von 30 und die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines weiterhin mit einem Einzel-GdB von 10. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.2017 zurück. Zur Begründung führte er aus, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang erfasst und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 30 angemessen bewertet worden. Bezüglich der Gebrauchseinschränkungen des rechten Armes und Beines ergäben sich keine Hinweise, die ein Abweichen von der bisherigen Beurteilung rechtfertigen könnten. Beschrieben sei eine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der rechten Schulter bei Abduktion/Adduktion 80/0/20° und Außen-/Innenrotation 10/0/70°. Neurologische Ausfallerscheinungen seien ärztlicherseits nicht belegt. Eine wesentliche Befundänderung am rechten Bein sei nicht aufgetreten. Die klinische Symptomatik sei insgesamt bereits ausreichend bewertet. Für die Feststellung des Merkzeichens G erfülle die Klägerin bereits die Grundvoraussetzung nicht, weil der GdB weniger als 50 betrage und sie damit nicht schwerbehindert im Sinne des SGB IX sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Hiergegen hat die Klägerin am 21.07.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben, zur Begründung ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und darauf hingewiesen, dass eine seelische Störung nicht berücksichtigt worden sei. Sie sei nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt. Sie könne die rechte Hand nicht über 90 Grad bewegen und leide unter ständigen Rückenschmerzen, da sie durch die Lähmung des rechten Fußes und teilweise des Beines nicht richtig laufen könne. Aufgrund der Verspannungen leide sie mindestens drei Mal die Woche unter Kopfschmerzen, könne nur noch kurze Strecken mit dem Auto fahren, langes Sitzen ohne Pause sei nicht möglich. Sie könne sich nicht mehr sportlich betätigen und leide unter Zukunftsängsten und Schmerzen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Das SG Heilbronn hat sodann die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Diplompsychologin S1 hat unter dem 22.01.2018 mitgeteilt, die Klägerin habe sich vom 21.09.2015 bis zum 24.04.2017 niederfrequent in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Es seien insgesamt 19 Sitzungen durchgeführt worden. Die Behandlung habe der psychotherapeutischen Begleitung der Klägerin bei der Verarbeitung und Akzeptanzentwicklung bezüglich der unfallbedingten körperlichen Langzeitschäden, der chronischen Schmerzsymptomatik und dem Umgang mit verletzungsabhängigen Zukunftsängsten gedient. Die körperliche Belastbarkeit sei beeinträchtigt, daraus resultierten Ängste und negative Gedanken, der Schweregrad sei leicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit schriftlicher sachverständiger Zeugenaussage vom 12.02.2018 hat W ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine Chondropathia patellae rechts bei Quadricepsschwäche bei Beinschwäche rechts, eine proximale Humerustrümmerfraktur rechts mit bleibender Funktionsstörung der rechten Schulter, ein Zustand nach Acetabulumfraktur rechts mit beginnender Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte, eine leichte Parese L5 rechts mit Ischialgie und ein neuropathischer Schmerz rechtes Bein unter Dronabinol (Cannabis). Es bestehe ein Druckschmerz über der Rotatorenmanschette. Die Bewegungsmaße der rechten Schulter betrügen im Vorheben/Rückführen 80/0/20°, in der Abduktion/Adduktion 80/0/20° und in der Außen-/Innenrotation 20/0/80°. Es bestehe eine deutliche Kraftminderung. Die Bewegungsmaße der Hüfte betrügen in der Extension/Flexion 0/0/90°, in der Abduktion/Adduktion 20/0/20° und in der Außen-/Innenrotation 20/0/20°. Die Dauerschmerzen der Beine und die Funktionsstörung der Schulter rechts bewirkten eine gewisse Erschöpfungsreaktion der Klägerin. Die Kniebeschwerden seien als gering einzustufen. Die Funktionsstörung der rechten Schulter sei schwergradig, nicht im Bewegungsausmaß dokumentiert sei eine 50-prozentige Kraftminderung der rechten Schulter. Die Nervenschäden am rechten Bein seien mindestens mittelgradig, dies ergebe sich allein aus der Art der eingenommenen Medikamente (Lyrica und Dronabinol – Cannabis). Die Hüftschädigung rechts sei als geringgradig einzustufen. Der GdB von 30 wegen der Schulter sei im Zusammenhang mit der Kraftminderung korrekt. Der GdB sei für die Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines aufgrund der Schmerzen und der Lähmung sei mit 20 und die Einschränkung wegen der rechten Hüfte und des rechten Beines sei mit 10 zu werten. Der Gesamt-GdB werde mit 40 eingeschätzt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Auf Grundlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von G, in der die Funktionsbehinderung des Schultergelenkes und die Gebrauchseinschränkung des Armes mit einem Einzel-GdB von 30 und die Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes und die Gebrauchseinschränkung des Beines mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet worden sind, hat der Beklagte mit Schreiben vom 27.06.2018 ein Vergleichsangebot unterbreitet, den GdB ab dem 20.02.2015 mit 40 festzustellen. Die Klägerin hat das Vergleichsangebot abgelehnt und angeregt, die Akte der VBG L1 beizuziehen, die bereits von einer MdE um 40 v.H. ausgehe. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen im Leben der Gesellschaft sei von einem Gesamt-GdB von zumindest 50 auszugehen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Das SG Heilbronn hat daraufhin die neu von der Klägerin benannte S2 als sachverständige Zeugin befragt, die unter dem 05.09.2019 mitgeteilt hat, die Klägerin leide unter einem HWS-/LWS-/BWS-Syndrom, Skoliose, Depression sowie einer Gräser- und Getreidepollenallergie. Den Schweregrad und die Höhe des GdB könne sie nicht beurteilen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat anschließend das Erste Rentengutachten der BG-Klinik L1 (G1, S3) vom 27.02.2017, den Bescheid der VBG vom 13.09.2017 über eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 40 v.H., das neurologische Gutachten des F vom 08.05.2017, das Zweite Rentengutachten der BG-Klinik L1 vom 30.10.2017 (G1, D), das Gutachten des F vom 04.12.2017 sowie die abschließende Stellungnahme des G1 vom 15.12.2017 zur Gesamt-MdE vorgelegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>In dem Zweiten Rentengutachten vom 30.10.2017 ist G1 zu dem Ergebnis gekommen, es bestünden noch die folgenden wesentlichen Unfallfolgen mit funktionellen Einschränkungen: eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit in allen Bewegungsebenen, ein Kraftdefizit der rechten oberen Extremität, eine Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks in der Seitwärtsführung und in der Rotation im Vergleich zur Gegenseite, eine Fußheber- und Großzehenheberschwäche rechts, geklagte Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beines und eine Umfangsminderung im Bereich des rechten Unterschenkels. Die MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet hat er mit 30 v.H. eingeschätzt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>In dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 04.12.2017 hat F die Gesamt-MdE auf neurologischem Fachgebiet unter funktionellen Aspekten unter Berücksichtigung der leichtgradigen sensomotorischen Defizite und der zum Teil neuropathischen Schmerzen mit 20 v.H. bewertet. Dabei berücksichtigte er eine Einzel-MdE um 15 v.H. für die motorisch weitgehend remittierte Nervus ischiadikus-Teilläsion rechts mit funktionell irrelevanter, minimaler Fuß- und Zehenheberschwäche und Hypästhesie des rechten Fußes und mit neuropathischen Schmerzen mit dauerhaftem Schmerzmittelbedarf sowie eine Einzel-MdE um 10 v.H. für die hochgradige Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie der proximalen Oberschenkelvorder-Außenseite. Die Anpassungsstörung sei erfolgreich ambulant behandelt worden, mit vollständiger Rückbildung der Symptomatik und Beendigung der Therapie „im Sommer diesen Jahres“ ohne antidepressive Medikamente.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Nach Eingang des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens hat G1 in einer weiteren Stellungnahme vom 15.12.2017 die Gesamt-MdE mit 40 v.H. bewertet und ausgeführt, auf unfallchirurgischem und neurologischem Fachgebiet sei von einem funktionellen Endzustand auszugehen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Unter Berufung auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.04.2020 hat der Beklagte an dem Vergleichsangebot vom 27.06.2018 festgehalten und ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der übersandten BG-Rentengutachten könne keine für die Klägerin günstigere Beurteilung getroffen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Mit Schreiben vom 18.06.2020 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, aufgrund der vorliegenden Behinderungen im Bereich des Beckens ergäben sich Komplikationen hinsichtlich der aktuellen Schwangerschaft der Klägerin, und hat die Befragung der Frauenärztin A, des W sowie des S-F als sachverständige Zeugen beantragt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>In seiner erneuten sachverständigen Zeugenaussage vom 10.07.2020 hat W den Gesamt-GdB weiterhin mit 40 bewertet und mitgeteilt, dass sich die Beschwerden nicht wesentlich geändert hätten. Die Hüftschädigung rechts sei als gering aber chronisch progredient einzustufen (Extension/Flexion 0-0-100°, Abduktion/Adduktion 10-0-10°, Außen-/Innenrotation 20-0-10°).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die A hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 07.07.2020 ausgeführt, die Klägerin leide seit dem Unfall unter Becken-, Unterbauch- und körperlichen Schmerzen. Die Schmerzen führten zu depressiven Verstimmungen und dazu, dass eine Sectio erforderlich werde, um das Becken nicht weiter durch eine spontane Geburt zu gefährden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>S-F (Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der BG Klinik L) hat am 04.08.2020 unter Bezugnahme auf das Gutachten des G1 vom 30.10.2017 mitgeteilt, bei der Klägerin bestünden Einschränkungen der Schultergelenksbeweglichkeit in allen Bewegungsebenen, ein Kraftdefizit der rechten oberen Extremität, Bewegungseinschränkungen des rechten Hüftgelenks in der Seitwärtsführung und in der Rotation im Vergleich zur Gegenseite, eine Fußheber- und Großzehenheberschwäche rechts, geklagte Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beines, eine Umfangsminderung im Bereich des rechten Unterschenkels. Es bestehe eine verminderte Beweglichkeit und Einsatzfähigkeit des rechten Armes. Durch die Beckenverletzung bestehe u.a. die Möglichkeit von Problemen im Rahmen einer normalen Geburt. Die Beweglichkeit und Sensibilität seien am rechten Bein vermindert mit der Gefahr des Stolperns oder von Verletzungen. Die Auswirkungen am rechten Arm, am Becken und an der unteren Extremität seien als schwer zu bezeichnen. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei die MdE mit 30 v.H. und auf neurologischem Fachgebiet mit 20 v.H. eingeschätzt worden. Integrierend sei eine Gesamt-MdE um 40 v.H. vorgeschlagen worden. Vorgeschlagen werde eine Begutachtung auf gynäkologischem Fachgebiet, auf die Problematik des gefährdeten natürlichen Geburtsvorgangs werde hingewiesen. Der Aussage beigefügt war ein Schreiben des Ärztlichen Direktors der BG-Unfallklinik L, G1, vom 11.12.2019, wonach aufgrund der unfallbedingten Narbenbildung aus ärztlicher Sicht von dem Versuch abzuraten sei, ein Kind auf natürlichem Wege zu gebären, da es durch die fehlenden Möglichkeiten der Erweiterung des Beckens zu Problemen in Bezug auf den Geburtsfortschritt kommen könne.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Der Beklagte hat an seinem Vergleichsangebot festgehalten und eine versorgungsärztliche Stellungnahme von S4 vom 20.09.2020 vorgelegt, worin dieser ausführt, aus versorgungsmedizinischer Sicht ergebe sich aufgrund der umfangreichen Unterlagen ein Einzel-GdB von 30 für die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes sowie ein Einzel-GdB von 30 für die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und den Beckenschaden. Den Gesamt-GdB hat er mit 40 ab dem 20.02.2015 bewertet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2020 hat das SG Heilbronn den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 verurteilt, den GdB mit 40. seit dem 20.02.2015 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und die Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenks seien mit einem Einzel-GdB von 30 und die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und der Hüfte-/Beckenschaden seien mit einem Einzel-GdB von 30 angemessen bewertet. Auf psychiatrischem Fachgebiet lasse sich anhand der objektiven Befunde kein Einzel-GdB nachweisen. Der Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter/des rechten Armes werde durch die weitere Beeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Gebrauchseinschränkung des rechten Beines und des Hüftschadens sowie des Beckenschadens nicht um mehr als zehn Punkte erhöht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gegen den vom SG Heilbronn gemäß dem aktenkundigen Abvermerk am 30.11.2020 gegen Empfangsbekenntnis zur Post gegebenen und ihrer Prozessbevollmächtigten nach deren Angaben am 07.12.2020 zugegangenen (Empfangsbekenntnis nicht aktenkundig) Gerichtsbescheid des SG Heilbronn hat die Klägerin am 30.12.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, unter Berücksichtigung der vorliegenden Diagnosen sei hinsichtlich des Funktionssystems „Haltung-und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten“ betreffend der Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes von einem Einzel-GdB von 40, betreffend der Bewegungseinschränkung im Bereich des/r Beckens/Hüfte von einem Einzel-GdB von zumindest 30, für den Nervus cutaneus femoris von einem Einzel-GdB von 10, betreffend den Nervus ischiadicus von einem Einzel-GdB von zumindest 30 auszugehen und betreffend den Nervus obturatorios ein Einzel-GdB von 20 zu beachten. Schließlich müsse auch die Anpassungsstörung mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Die Klägerin sei inzwischen Mutter eines Kindes. Eine Ausdehnung des Beckens, wie normalerweise dies auch in einer jeden Schwangerschaft geschehe, sei aufgrund der dort erfolgten Plattenosteosynthese nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe daher unter entsprechenden, erheblichen Schmerzen gelitten. Eine normale Geburt sei aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen ausgeschlossen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="28"/>den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.11.2020 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit mindestens 50 seit dem 20.02.2015 festzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Er verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids des SG Heilbronn, das den vorliegenden medizinischen Sachverhalt zutreffend gewürdigt habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>In der nichtöffentlichen Sitzung am 14.06.2021 hat die Klägerin erklärt, aktuell nicht regelmäßig Schmerzmittel einzunehmen, sondern nur bei Bedarf Ibuprofen 600, was zwei bis drei Mal die Woche vorkomme. Sie habe zweimal pro Woche Physiotherapie und bekomme Massagen, insbesondere wegen der Rückenproblematik und ihrer Armbeschwerden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Senat hat die Verwaltungsakten der VBG mit weiteren medizinischen Unterlagen – u.a. den im Klageverfahren S 13 U 1599/18 eingeholten Gutachten auf orthopädischem (Gutachten des C vom 09.11.2018) und auf nervenärztlichem Gebiet (Gutachten der E vom 20.03.2019) – beigezogen.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>1. Die Berufung ist binnen der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden. Zwar ist eine wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 202 SGG i.V.m. § 174 Abs. 1, 2 und 4 ZPO (i.d.F. bis 31.12.2021) nicht belegt, der Gerichtsbescheid ist jedoch nachweislich des Abvermerks am 30.11.2020 zur Post gegeben worden und kann damit frühestens am 01.12.2020 zugegangen sein. Die frühestens am 02.12.2020 beginnende Monatsfrist hätte erst mit Ablauf des 01.01.2021 geendet (§ 64 Abs. 1 bis 3 SGG).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Abänderung des auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Heilbronn vom 27.11.2020 sowie die Abänderung des angefochtenen Bescheides des Beklagten vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 und die Verpflichtung des Beklagten, bei der Klägerin einen GdB von mindestens 50 festzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>3. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Feststellung eines höheren GdB seit dem 20.02.2015 ist § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Obwohl hier ausschließlich Folgen eines von der zuständigen VBG anerkannten und entschädigten Arbeitsunfalls im Streit stehen, greift § 152 Abs. 2 SGB IX bzw. die bis zum 31.12.2017 geltende Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IX hier nicht ein. Hiernach sind Feststellungen nach § 152 Abs. 1 SGB IX bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 152 Abs. 1 SGB IX bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. glaubhaft macht. Eine solche Feststellung gilt zugleich als Feststellung des GdB. Das hieraus resultierende Feststellungsverbot u.a. bei Rentenbescheiden gesetzlicher Unfallversicherungsträger samt Bindung der Verwaltung an die dort getroffenen Feststellungen (zu den Einzelheiten, auch zum Folgenden, vgl. Oppermann in: Hauck/Noftz SGB IX, Werkstand 2. Ergänzungslieferung 2022, § 152 Rn. 46 m.w.N.; Greiner in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Auflage 2020, § 152 Rn. 29; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage, § 152 SGB IX, Stand: 15.02.2019, Rn. 37; Dau in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 6. Auflage 2022, § 152 Rn. 32) greift hier jedoch nicht. Denn dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die bereits anderweit vorgenommene MdE-Bewertung übernommen werden soll, sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung maßgebend. Hier hat bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.2017 jedoch noch keine anderweitige – bestands- oder rechtskräftige – Feststellung der MdE, eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) oder GdB vorgelegen. Diese ist seitens des hier zuständigen Unfallversicherungsträgers erst mit Bescheid über Rente als vorläufige Entschädigung vom 13.09.2017 vorgenommen worden. Eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgte anderweitige Feststellung aber vermag die Rechtswirkungen des § 152 Abs. 2 SGB IX bzw. dessen Vorgängervorschrift § 69 Abs. 2 SGB IX a.F. schon dem Wortlaut nach nicht (mehr) auszulösen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>a) Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>b) Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des GdS im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>c) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>4. Unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>a. Im Funktionssystem „Arme“ liegen bei der Klägerin keine funktionellen Einschränkungen vor, die einen höheren Einzel-GdB als 30 bedingen. Der Senat stützt sich insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten des G1 auf unfallchirurgischem Fachgebiet vom 27.02.2017 und 30.10.2017 und das Gutachten des C vom 09.11.2018, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von G vom 11.04.2020, die als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>aa) Das SG Heilbronn hat in seinem Gerichtsbescheid vom 27.11.2020 zutreffend dargelegt, dass die Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenks mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall ausweislich des Ersten und Zweiten Rentengutachtens von G1 aus dem Jahr 2017 sowie der sachverständigen Zeugenaussage von W ein mehrfacher Oberarmkopfbruch (Humeruskopfmehrfragmentfraktur) rechts mit bleibender Funktionsstörung der rechten Schulter.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>bb) Ausweislich der zuletzt durch W am 10.07.2020 mitgeteilten Beweglichkeitsprüfung hat bei der Klägerin in Bezug auf die rechte Schulter eine Beweglichkeit des Arms beim Vorheben/Rückführen von 80/0/20° (Normalmaß 150-170/0/40°), bei der Abduktion/Adduktion (seitwärts/körperwärts Heben) von 80/0/20° (Normalmaß 180/0/40°) und bei Außen/Innenrotation von 20/0/80° (Normalmaß 40-60/0/90°) bestanden. Aus dem Befundbericht vom 02.07.2020 ergibt sich sogar ein Abduktionswert von 100° und auch die zuvor erhobenen Bewegungsmaße in den Untersuchungen von G1 anlässlich des Ersten Rentengutachtens (Untersuchungstag 24.02.2017) und des Zweiten Rentengutachtens (Untersuchungstag 23.10.2017) sowie bei der Untersuchung durch C (Untersuchungstag 05.11.2018) sind etwas besser gewesen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10 und bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten, so dass für die Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter allein ein GdB von 20 vorliegt. Allerdings liegt bei der Klägerin als Rechtshänderin nach Überzeugung des Senats eine deutliche Kraftminderung vor, die von G1 mit einem Kraftgrad von 3/5 für die Supraspinatussehne und 5/5 für die übrige Rotatorenmanschette sowie von W mit 50 % angegeben wird. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1, gehört zu den GdB-relevanten Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen neben der Bewegungsbehinderung auch die Minderbelastbarkeit von Haltungs- und Bewegungsorganen. Aufgrund der zu den Bewegungseinschränkungen der Schulter hinzukommenden Kraftminderung des rechten Arms beurteilt der Senat die Beeinträchtigungen der Klägerin im Funktionssystem „Arme“ daher in Übereinstimmung mit der Einschätzung des sachverständigen Zeugen W sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme von G vom 11.04.2020 mit einem Einzel-GdB von 30.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>cc) Die aus dem Zweiten Rentengutachten von G1 ersichtliche aktive Handgelenksbeweglichkeit handrückenwärts/hohlhandwärts rechts von 60/0/70° (so auch im Gutachten von C bestätigt) und passiv 80/0/90° mit seitengleich frei durchführbarer Fingergelenksbeweglichkeit führt nicht zu einer Erhöhung des GdB, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 30/0/40°) mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten sind und eine vergleichbare Einschränkung bei der Klägerin nicht vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>b. Die Behinderungen im Funktionssystem „Beine“ sind ebenfalls mit keinem höheren Einzel-GdB als 30 zu bewerten. Der Senat stützt sich bei der Bewertung der Funktionsstörungen an den Beinen hinsichtlich der klinischen Befundlage insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten auf unfallchirurgischem Fachgebiet des G1 vom 27.02.2017 und vom 30.10.2017, die neurologischen Gutachten des F vom 08.05.2017 und vom 04.12.2017 sowie das Gutachten des C vom 09.11.2018.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>aa) Die Hüftgelenksbeweglichkeit der Klägerin ist bei der zweiten Begutachtungsuntersuchung durch G1 am 23.10.2017 bei der Streckung/Beugung mit 10/0/120° beidseits frei durchführbar gewesen, was sich bei der Begutachtung durch C im November 2018 im Wesentlichen bestätigt hat (links 135/0/0° und rechts 115/0/0°). Lediglich das Abspreizen rechts sowie die Einwärtsdrehung bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts sind im Vergleich zur Gegenseite endgradig eingeschränkt gewesen. Auch bei der Untersuchung durch W am 02.07.2020 waren Extension und Flexion des rechten Hüftgelenks frei bei gleichzeitiger Einschränkung der Abduktion/Adduktion von 20/0/20° (Normalmaß 30-45/0/20-30°) und der Außen-/Innenrotation von 40/0/20° (Normalmaß 50-60/0/30-40°). Die dokumentierten Einschränkungen der rechten Hüfte beurteilt der Senat in Übereinstimmung mit W als gering, so dass nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen ist. Es sind keine Bewegungseinschränkungen ersichtlich, die einen Einzel-GdB von 20 ausfüllen könnten (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>bb) Auch ein Beckenschaden mit funktionellen Auswirkungen liegt bei der Klägerin nicht vor, so dass insoweit kein GdB zu vergeben ist. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.10 sind Beckenschäden ohne funktionelle Auswirkungen mit einem Einzel-GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (z. B. stabiler Beckenring, degenerative Veränderungen der Kreuz-Darmbeingelenke) mit einem Einzel-GdB von 10 und mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen (z.B. instabiler Beckenring einschließlich Sekundärarthrose) mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Röntgenaufnahmen im Rahmen der ersten Rentenbegutachtung vom 24.02.2017 und der Begutachtung von C am 05.11.2018 haben regelrecht einliegendes Osteosynthesematerial und konsolidierte Frakturen ohne Verschiebung der Beckenhälften gezeigt. Ein fortgeschrittener Gelenkverschleiß der Hüfte ist nicht erkennbar gewesen. Bei der Folgebegutachtung am 23.10.2017 durch G1 und bei der Begutachtung von C hat kein Druckschmerz über dem Becken bestanden, die Iliosakralgelenk(ISG)-Provokationstests (zur Diagnose von Schmerzen im ISG) sind negativ ausgefallen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Des Weiteren liegt keine funktionelle Auswirkung darin, dass G1 der Klägerin aufgrund der operativen Stabilisierung des ISG mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie der ausgeprägten Narbenbildung auch über die Symphyse hinweg eine Geburt mittels Kaiserschnitt empfohlen hat (Schreiben vom 11.12.2019). Die medizinische Notwendigkeit einer Kaiserschnittgeburt bedingt keinen GdB. Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen Eingriff im Einzelfall und keine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung mit Teilhabebeeinträchtigung. Nur wenn der Kaiserschnitt zu dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen führt, könnten diese mit einem GdB bewertet werden. Dafür aber hat der Senat auch nach inzwischen erfolgter Geburt eines Kindes der Klägerin keine Anhaltspunkte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Die andauernde Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Aufweitung der Schambeinfuge (Symphyse) sowie des Iliosakralgelenks, wie sie für einen normalen Geburtsvorgang nötig wäre, durch die Folgen der operativen Versorgung mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie ausgeprägte Narbenbildung in dem Bereich stellt zwar eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten bestehende Gesundheitsstörung dar, allerdings resultiert auch daraus kein GdB. Denn die geschilderte Beeinträchtigung wirkt sich sowohl ausweislich der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des S-F vom 04.08.2020 als auch des dieser beigefügten Schreibens des G1 vom 11.12.2019 auf den Geburtsvorgang als punktuelles Ereignis in der Weise aus, dass sie das medizinische Erfordernis einer Kaiserschnittgeburt begründet, so dass der Klägerin von einer Spontangeburt aus ärztlicher Sicht abzuraten war. Einer Einschränkung in der Art und Weise der Geburt hat indes der Verordnungsgeber in den VG, Teil B, Nr. 14 keine GdB-Relevanz beigemessen. Lediglich die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit als solcher kommt hiernach eine GdB-begründende oder -erhöhende Wirkung zu (vgl. etwa Nr. 14.3, 14.5 und 14.6). Diese aber ist im Falle der Klägerin nicht beeinträchtigt, was durch die zwischenzeitlich erfolgte Geburt eines Kindes der Klägerin erwiesen ist. Da der Senat keinen Grund hat, an der übereinstimmend geäußerten Einschätzung von S-F und G1 zu zweifeln, hat es der vom sachverständigen Zeugen S-F vorgeschlagenen Begutachtung auf gynäkologischem Fachgebiet nicht bedurft. Der Beckenschaden ist daher in Übereinstimmung mit den sachverständigen Zeugenaussagen des W nicht mit einem GdB zu bewerten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>cc) Auch die anlässlich der ersten Begutachtung durch G1 gemessene verkürzte Beinlänge von rechts 87 cm gegenüber links 88,5 cm kann nicht zu einer Erhöhung des GdB im Funktionssystem „Beine“ führen, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 eine Beinverkürzung bis zu 2,5 cm mit einem GdB von 0 zu bewerten ist. Hinzu kommt, dass die Beinlänge bei der zweiten Rentenbegutachtung nahezu seitengleich gewesen ist und sich ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten gezeigt hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>dd) In Bezug auf die Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin sind die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen während des gesamten hier zu beurteilenden Zeitraums vom 20.02.2015 bis zur letzten mündlichen Verhandlung mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Maßgeblich für die Höhe des GdB sind insbesondere die sich aus der Teilläsion des Ischiasnervs rechts ergebenden Beeinträchtigungen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>(1) Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall eine motorisch weitestgehend remittierte Nervus ischiadikus(Ischiasnerv)-Teilläsion rechts mit minimaler Fuß- und Zehenheberschwäche und Hypästhesie (Sensibilitätsstörung) des rechten Fußes und mit neuropathischen Schmerzen mit dauerhaftem Schmerzmittelbedarf sowie eine hochgradige Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie (verringerte Schmerzempfindung) der proximalen Oberschenkelvorder-Außenseite. Der Senat stützt sich diesbezüglich auf die überzeugenden Ausführungen in dem neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 sowie dem nervenärztlichen Gutachten der E vom 20.03.2019, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>(2) Die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis führt laut den Gutachten des F und der E bei der Klägerin zu einer hochgradigen, schmerzlosen Sensibilitätsstörung und verringerter Schmerzempfindung an der rechten Oberschenkelvorder-Außenseite proximal in einem ca. handtellergroßen Areal, das dem Versorgungsgebiet des Nervs entspricht. Für diese Schädigung kann höchstens ein GdB von 10 festgestellt werden, wobei diese Bewertung nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 bereits einem vollständigen Nervenausfall des Nervus cutaneus femoris lateralis entspricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>(3) Deutlich größere Beeinträchtigungen für die Klägerin basieren stattdessen auf der Teilläsion des Ischiasnervs rechts. Insoweit beträgt der GdB 30. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird die Höhe des GdB für Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane in erster Linie durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer Organsysteme bestimmt. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Laut den klinischen Untersuchungsbefunden im neurologischen Gutachten von F und im nervenärztlichen Gutachten der E besteht bei der Klägerin eine Sensibilitätsstörung, die streifenförmig an der rechten Unterschenkel-Außenseite, am Fußrücken sowie streckseitig an den Zehen I bis V verläuft. Hinzu kommt eine Pallästhesie (Vibrationsempfinden) an Teilen des Großzehengrundgelenks, dem Kniegelenk und Teilen des Beckenkamms beidseits.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ist ein vollständiger Ausfall des Nervus ischiadicus proximal mit einem GdB von 60, distal (Ausfall der Nerven peroneus communis und tibialis) mit einem GdB von 50 zu bewerten. Bei der Klägerin liegt ein Teilausfall des Nervs vor, der nach den VG entsprechend geringer zu bewerten ist. Die Teilläsion des Nervus ischiadicus rechts ist motorisch weitestgehend remittiert. Verblieben ist laut dem überzeugenden neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 eine minimale, funktionell irrelevante Schwäche der Fuß- und Zehenhebung rechts bei ansonsten allseits voller Kraftentfaltung und normotrypher Muskulatur. Zudem liegt eine schmerzlose Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Nervus peroneus rechts an der Unterschenkelaußenseite und dem Fußrücken und eine leichte Hyp- und Dysästhesie der Fußsohle und der Zehen rechts beugeseitig im Versorgungsgebiet des Nervus tibialis vor. Bei der Begutachtung durch E am 06.03.2019 hat sich der Untersuchungsbefund als im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Befund des F aus Dezember 2017 gezeigt. Unter Mitberücksichtigung der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein beurteilt der Senat die funktionellen Auswirkungen der Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin einschließlich der dauerhaften Schmerzen als mittelgradig und sieht einen Einzel-GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs rechts als sachgerecht, aber auch ausreichend an. Der Senat stützt seine Überzeugung dabei auf die übereinstimmende Einschätzung des sachverständigen Zeugen W und des Versorgungsarztes S4 (Stellungnahme vom 20.09.2020). Auch wenn die Klägerin laut der sachverständigen Zeugenaussage des W vom 10.07.2020 zuletzt keine Medikamente mehr wegen der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein eingenommen hat, entnimmt der Senat den beiden Gutachten von F vom 08.05.2017 und 04.12.2017 im Vergleich zu dem Gutachten, das E am 20.03.2019 erstattet hat, und der sachverständigen Zeugenaussage des W, dass hinsichtlich der Schmerzsymptomatik keine wesentliche Befundänderung eingetreten ist. So hat die Klägerin im Rahmen der neurologischen Untersuchung am 22.11.2017 angegeben, dass es bei längeren Strecken zu starken Schmerzen im rechten Fuß komme und der Fuß abends in Ruhe oder nach längerem Sitzen immer wieder einschlafe und sie Parästhesien und ein „komisches Gefühl“ im rechten Fuß spüre. Dieser fühle sich tagsüber permanent kalt an, verfärbe sich abends rot und sei dann heiß, was sie beim Einschlafen störe. Wegen der Schmerzen könne sie auch keine Schuhe mit Absätzen tragen. Gegenüber E hat die Klägerin am 06.03.2019 über stechende Schmerzen im Bereich der rechten Leiste bei Belastung sowie Druckschmerzen bei längerem Laufen geklagt, ferner über ein taubes Gefühl und eine Sensibilitätsstörung im rechten Oberschenkel sowie ein „pelziges Gefühl“ unterhalb des Knies. Nachts brenne der Fuß, tagsüber sei er kalt. Ihre Gehstrecke sei auf 2 km limitiert. W hat den Befund auf Nachfrage am 10.07.2020 als „unverändert“ bezeichnet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>(4) Soweit die Klägerin in der Klage- und Berufungsbegründung vorgetragen hat, der Nervus obturatorius sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Laut dem neurologischen Gutachten von F vom 04.12.2017 hat die konservative Weiterbehandlung nach dem Unfall zu einer raschen, vollständigen Remission der ursprünglichen Nervus obturatorius-Parese geführt. Hinzu kommt, dass dieser Nerv in den VG nicht aufgeführt ist und insoweit auch keine funktionellen Einschränkungen mehr ersichtlich sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs einschließlich der dauerhaften Schmerzen sowie jeweils einem Einzel-GdB von 10 für die Bewegungseinschränkungen der Hüfte rechts und die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis ergibt sich für das Funktionssystem „Beine“ ein GdB von 30.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>c. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ liegen keine Beeinträchtigungen vor, die einer GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden können.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>aa) Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt unter Berücksichtigung der objektiven Befunde kein Einzel-GdB vor. Aus dem psychologischen Bericht der BG-Klinik L vom 26.03.2015 geht zwar hervor, dass die Klägerin durch den Unfall und dessen Folgen emotional belastet gewesen ist. Im weitere Verlauf ist auch eine Anpassungsstörung diagnostiziert worden (s. psychologischer Konsilbericht vom 27.04.2015, BG-Berichte vom 27.07.2015, 10.01.2016, 31.03.2016 und 08.07.2016, die eine ambulante Psychotherapie bei der S1 nach sich gezogen hat. Diese hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 22.01.2018 angegeben, die Klägerin von September 2015 bis April 2017 niederfrequent (insgesamt 19 Sitzungen) psychotherapeutisch behandelt zu haben, wobei die Behandlung der Verarbeitung und Akzeptanzentwicklung bezüglich der unfallbedingten körperlichen Langzeitschäden, der chronischen Schmerzsymptomatik und dem Umgang mit verletzungsabhängigen Zukunftsängsten gedient habe. Der anfängliche Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung habe nicht bestätigt werden können. Die Beeinträchtigungen hat S1 als leicht bezeichnet. Eine medikamentöse Behandlung der psychischen Beeinträchtigungen ist nicht dokumentiert. Nach dieser ambulanten Behandlung ist im Sommer 2017 eine vollständige Rückbildung der Symptomatik erfolgt. Dafür spricht nicht nur die Beendigung der Therapie durch S1 im April 2017, sondern der Senat stützt sich hier auf die überzeugenden Ausführungen des F, der in seinem zweiten Gutachten vom 04.12.2017 einen unauffälligen psychopathologischen Befund erhoben und überzeugend ausgeführt hat, dass die psychoreaktive Störung klinisch und anamnestisch erwartungsgemäß vollständig abgeklungen ist. Auch aus dem im Klageverfahren S 13 U 1599/18 eingeholten Gutachten der E, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, ergibt sich, dass die Anpassungsstörung seit 2017 als remittiert zu betrachten ist. Damit liegt keine psychische Erkrankung mehr vor, die nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB zu bewerten wäre. Aber auch für den Zeitraum vom 20.02.2015 bis zur Remission der Anpassungsstörung im April 2017 kann der Argumentation der Klägerin, soweit sie die Anpassungsstörung in der Berufungsbegründung mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, nicht gefolgt werden. Denn nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 und schwere Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 80 bis 100 zu bewerten. Hier hat es sich um eine nur leichte Anpassungsstörung aus konkretem Anlass (Unfallereignis) ohne das Erfordernis medikamentöser Therapie gehandelt, die unter niederfrequenter psychotherapeutischer Behandlung in 26 Monaten remittiert ist. Ein GdB von 20 lässt sich damit nicht begründen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>bb) Auch für die wiederkehrenden Kopfschmerzen, die bei der Klägerin nach dem Joggen oder bei der Arbeit auftreten, ist kein GdB festzustellen. Zwar nimmt die Klägerin deswegen nach eigenen Angaben an etwa sieben Tagen im Monat Ibuprofen 600 ein (Gutachten F), es handelt sich jedoch nach der überzeugenden Diagnose von F um episodische Spannungskopfschmerzen. Eine – nach den VG, Teil B, Nr. 2.3 mit einem GdB zu berücksichtigende – Migräne ist ärztlicherseits nicht festgestellt worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>d) Den Gesamt-GdB hat das SG Heilbronn zutreffend mit 40 festgestellt. Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 jeweils für das Funktionssystem „Arme“ sowie das Funktionssystem „Beine“ liegt bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 40 vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Nach den VG, Teil A, Nr. 3 d) ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Allerdings ist bei der Beurteilung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zu beachten, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auch besonders nachteilig auf eine andere auswirken kann. Besteht ein GdB von 30 und kommt ein weiterer GdB von 30 hinzu, kann dies dann zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte führen, wenn eine wesentliche Zunahme der Behinderung vorliegt (vgl. Urteil des Senats vom 24.10.2018 – L 3 SB 5/17, juris Rn. 37).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die sich aus den Gesundheitsstörungen des rechten Beines ergebenden Einschränkungen wirken sich nicht besonders nachteilig auf die Einschränkung durch die Schulter aus. Es besteht trotz der Einschränkungen durch die Sensibilitätsstörungen, Missempfindungen und Schmerzen ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten. Weiterhin ist zuletzt keine Medikation der neuropathischen Schmerzen erfolgt, die Klägerin treibt regelmäßig Sport und es kommt erst bei längeren Strecken zu Schmerzen im rechten Fuß. Daraus folgt, dass zwar eine zusätzliche Beeinträchtigung vorliegt, diese führt aber bei der Klägerin nach Überzeugung des Senats nicht zu einer so wesentlichen Zunahme der Behinderung, dass eine Schwerbehinderung zu bejahen wäre. Der sachverständige Zeuge W sowie der Versorgungsarzt S4 haben unter Würdigung der orthopädischen Einschränkungen der Klägerin wiederholt ebenfalls einen Gesamt-GdB von 40 als sachgerecht befürwortet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Dass der Gesamt-GdB der Klägerin nicht mit mindestens 50 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Das Ausmaß einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung wird durch die bei der Klägerin dokumentierten Einschränkungen nicht erreicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 22.04.2020 zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>1. Die Berufung ist binnen der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden. Zwar ist eine wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 202 SGG i.V.m. § 174 Abs. 1, 2 und 4 ZPO (i.d.F. bis 31.12.2021) nicht belegt, der Gerichtsbescheid ist jedoch nachweislich des Abvermerks am 30.11.2020 zur Post gegeben worden und kann damit frühestens am 01.12.2020 zugegangen sein. Die frühestens am 02.12.2020 beginnende Monatsfrist hätte erst mit Ablauf des 01.01.2021 geendet (§ 64 Abs. 1 bis 3 SGG).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Abänderung des auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Heilbronn vom 27.11.2020 sowie die Abänderung des angefochtenen Bescheides des Beklagten vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 und die Verpflichtung des Beklagten, bei der Klägerin einen GdB von mindestens 50 festzustellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>3. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Feststellung eines höheren GdB seit dem 20.02.2015 ist § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Obwohl hier ausschließlich Folgen eines von der zuständigen VBG anerkannten und entschädigten Arbeitsunfalls im Streit stehen, greift § 152 Abs. 2 SGB IX bzw. die bis zum 31.12.2017 geltende Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IX hier nicht ein. Hiernach sind Feststellungen nach § 152 Abs. 1 SGB IX bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 152 Abs. 1 SGB IX bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. glaubhaft macht. Eine solche Feststellung gilt zugleich als Feststellung des GdB. Das hieraus resultierende Feststellungsverbot u.a. bei Rentenbescheiden gesetzlicher Unfallversicherungsträger samt Bindung der Verwaltung an die dort getroffenen Feststellungen (zu den Einzelheiten, auch zum Folgenden, vgl. Oppermann in: Hauck/Noftz SGB IX, Werkstand 2. Ergänzungslieferung 2022, § 152 Rn. 46 m.w.N.; Greiner in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Auflage 2020, § 152 Rn. 29; Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage, § 152 SGB IX, Stand: 15.02.2019, Rn. 37; Dau in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 6. Auflage 2022, § 152 Rn. 32) greift hier jedoch nicht. Denn dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die bereits anderweit vorgenommene MdE-Bewertung übernommen werden soll, sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung maßgebend. Hier hat bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.2017 jedoch noch keine anderweitige – bestands- oder rechtskräftige – Feststellung der MdE, eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) oder GdB vorgelegen. Diese ist seitens des hier zuständigen Unfallversicherungsträgers erst mit Bescheid über Rente als vorläufige Entschädigung vom 13.09.2017 vorgenommen worden. Eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgte anderweitige Feststellung aber vermag die Rechtswirkungen des § 152 Abs. 2 SGB IX bzw. dessen Vorgängervorschrift § 69 Abs. 2 SGB IX a.F. schon dem Wortlaut nach nicht (mehr) auszulösen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>a) Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>b) Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des GdS im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>c) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>4. Unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>a. Im Funktionssystem „Arme“ liegen bei der Klägerin keine funktionellen Einschränkungen vor, die einen höheren Einzel-GdB als 30 bedingen. Der Senat stützt sich insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten des G1 auf unfallchirurgischem Fachgebiet vom 27.02.2017 und 30.10.2017 und das Gutachten des C vom 09.11.2018, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von G vom 11.04.2020, die als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>aa) Das SG Heilbronn hat in seinem Gerichtsbescheid vom 27.11.2020 zutreffend dargelegt, dass die Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenks mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall ausweislich des Ersten und Zweiten Rentengutachtens von G1 aus dem Jahr 2017 sowie der sachverständigen Zeugenaussage von W ein mehrfacher Oberarmkopfbruch (Humeruskopfmehrfragmentfraktur) rechts mit bleibender Funktionsstörung der rechten Schulter.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>bb) Ausweislich der zuletzt durch W am 10.07.2020 mitgeteilten Beweglichkeitsprüfung hat bei der Klägerin in Bezug auf die rechte Schulter eine Beweglichkeit des Arms beim Vorheben/Rückführen von 80/0/20° (Normalmaß 150-170/0/40°), bei der Abduktion/Adduktion (seitwärts/körperwärts Heben) von 80/0/20° (Normalmaß 180/0/40°) und bei Außen/Innenrotation von 20/0/80° (Normalmaß 40-60/0/90°) bestanden. Aus dem Befundbericht vom 02.07.2020 ergibt sich sogar ein Abduktionswert von 100° und auch die zuvor erhobenen Bewegungsmaße in den Untersuchungen von G1 anlässlich des Ersten Rentengutachtens (Untersuchungstag 24.02.2017) und des Zweiten Rentengutachtens (Untersuchungstag 23.10.2017) sowie bei der Untersuchung durch C (Untersuchungstag 05.11.2018) sind etwas besser gewesen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10 und bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten, so dass für die Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter allein ein GdB von 20 vorliegt. Allerdings liegt bei der Klägerin als Rechtshänderin nach Überzeugung des Senats eine deutliche Kraftminderung vor, die von G1 mit einem Kraftgrad von 3/5 für die Supraspinatussehne und 5/5 für die übrige Rotatorenmanschette sowie von W mit 50 % angegeben wird. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1, gehört zu den GdB-relevanten Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen neben der Bewegungsbehinderung auch die Minderbelastbarkeit von Haltungs- und Bewegungsorganen. Aufgrund der zu den Bewegungseinschränkungen der Schulter hinzukommenden Kraftminderung des rechten Arms beurteilt der Senat die Beeinträchtigungen der Klägerin im Funktionssystem „Arme“ daher in Übereinstimmung mit der Einschätzung des sachverständigen Zeugen W sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme von G vom 11.04.2020 mit einem Einzel-GdB von 30.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>cc) Die aus dem Zweiten Rentengutachten von G1 ersichtliche aktive Handgelenksbeweglichkeit handrückenwärts/hohlhandwärts rechts von 60/0/70° (so auch im Gutachten von C bestätigt) und passiv 80/0/90° mit seitengleich frei durchführbarer Fingergelenksbeweglichkeit führt nicht zu einer Erhöhung des GdB, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 Bewegungseinschränkungen des Handgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 30/0/40°) mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten sind und eine vergleichbare Einschränkung bei der Klägerin nicht vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>b. Die Behinderungen im Funktionssystem „Beine“ sind ebenfalls mit keinem höheren Einzel-GdB als 30 zu bewerten. Der Senat stützt sich bei der Bewertung der Funktionsstörungen an den Beinen hinsichtlich der klinischen Befundlage insoweit auf die sachverständige Zeugenaussage des W, auf die beiden Rentengutachten auf unfallchirurgischem Fachgebiet des G1 vom 27.02.2017 und vom 30.10.2017, die neurologischen Gutachten des F vom 08.05.2017 und vom 04.12.2017 sowie das Gutachten des C vom 09.11.2018.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>aa) Die Hüftgelenksbeweglichkeit der Klägerin ist bei der zweiten Begutachtungsuntersuchung durch G1 am 23.10.2017 bei der Streckung/Beugung mit 10/0/120° beidseits frei durchführbar gewesen, was sich bei der Begutachtung durch C im November 2018 im Wesentlichen bestätigt hat (links 135/0/0° und rechts 115/0/0°). Lediglich das Abspreizen rechts sowie die Einwärtsdrehung bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts sind im Vergleich zur Gegenseite endgradig eingeschränkt gewesen. Auch bei der Untersuchung durch W am 02.07.2020 waren Extension und Flexion des rechten Hüftgelenks frei bei gleichzeitiger Einschränkung der Abduktion/Adduktion von 20/0/20° (Normalmaß 30-45/0/20-30°) und der Außen-/Innenrotation von 40/0/20° (Normalmaß 50-60/0/30-40°). Die dokumentierten Einschränkungen der rechten Hüfte beurteilt der Senat in Übereinstimmung mit W als gering, so dass nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen ist. Es sind keine Bewegungseinschränkungen ersichtlich, die einen Einzel-GdB von 20 ausfüllen könnten (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>bb) Auch ein Beckenschaden mit funktionellen Auswirkungen liegt bei der Klägerin nicht vor, so dass insoweit kein GdB zu vergeben ist. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.10 sind Beckenschäden ohne funktionelle Auswirkungen mit einem Einzel-GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (z. B. stabiler Beckenring, degenerative Veränderungen der Kreuz-Darmbeingelenke) mit einem Einzel-GdB von 10 und mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen (z.B. instabiler Beckenring einschließlich Sekundärarthrose) mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Röntgenaufnahmen im Rahmen der ersten Rentenbegutachtung vom 24.02.2017 und der Begutachtung von C am 05.11.2018 haben regelrecht einliegendes Osteosynthesematerial und konsolidierte Frakturen ohne Verschiebung der Beckenhälften gezeigt. Ein fortgeschrittener Gelenkverschleiß der Hüfte ist nicht erkennbar gewesen. Bei der Folgebegutachtung am 23.10.2017 durch G1 und bei der Begutachtung von C hat kein Druckschmerz über dem Becken bestanden, die Iliosakralgelenk(ISG)-Provokationstests (zur Diagnose von Schmerzen im ISG) sind negativ ausgefallen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Des Weiteren liegt keine funktionelle Auswirkung darin, dass G1 der Klägerin aufgrund der operativen Stabilisierung des ISG mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie der ausgeprägten Narbenbildung auch über die Symphyse hinweg eine Geburt mittels Kaiserschnitt empfohlen hat (Schreiben vom 11.12.2019). Die medizinische Notwendigkeit einer Kaiserschnittgeburt bedingt keinen GdB. Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen Eingriff im Einzelfall und keine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung mit Teilhabebeeinträchtigung. Nur wenn der Kaiserschnitt zu dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen führt, könnten diese mit einem GdB bewertet werden. Dafür aber hat der Senat auch nach inzwischen erfolgter Geburt eines Kindes der Klägerin keine Anhaltspunkte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Die andauernde Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Aufweitung der Schambeinfuge (Symphyse) sowie des Iliosakralgelenks, wie sie für einen normalen Geburtsvorgang nötig wäre, durch die Folgen der operativen Versorgung mittels überbrückender Plattenosteosynthese sowie ausgeprägte Narbenbildung in dem Bereich stellt zwar eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten bestehende Gesundheitsstörung dar, allerdings resultiert auch daraus kein GdB. Denn die geschilderte Beeinträchtigung wirkt sich sowohl ausweislich der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des S-F vom 04.08.2020 als auch des dieser beigefügten Schreibens des G1 vom 11.12.2019 auf den Geburtsvorgang als punktuelles Ereignis in der Weise aus, dass sie das medizinische Erfordernis einer Kaiserschnittgeburt begründet, so dass der Klägerin von einer Spontangeburt aus ärztlicher Sicht abzuraten war. Einer Einschränkung in der Art und Weise der Geburt hat indes der Verordnungsgeber in den VG, Teil B, Nr. 14 keine GdB-Relevanz beigemessen. Lediglich die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit als solcher kommt hiernach eine GdB-begründende oder -erhöhende Wirkung zu (vgl. etwa Nr. 14.3, 14.5 und 14.6). Diese aber ist im Falle der Klägerin nicht beeinträchtigt, was durch die zwischenzeitlich erfolgte Geburt eines Kindes der Klägerin erwiesen ist. Da der Senat keinen Grund hat, an der übereinstimmend geäußerten Einschätzung von S-F und G1 zu zweifeln, hat es der vom sachverständigen Zeugen S-F vorgeschlagenen Begutachtung auf gynäkologischem Fachgebiet nicht bedurft. Der Beckenschaden ist daher in Übereinstimmung mit den sachverständigen Zeugenaussagen des W nicht mit einem GdB zu bewerten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>cc) Auch die anlässlich der ersten Begutachtung durch G1 gemessene verkürzte Beinlänge von rechts 87 cm gegenüber links 88,5 cm kann nicht zu einer Erhöhung des GdB im Funktionssystem „Beine“ führen, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 eine Beinverkürzung bis zu 2,5 cm mit einem GdB von 0 zu bewerten ist. Hinzu kommt, dass die Beinlänge bei der zweiten Rentenbegutachtung nahezu seitengleich gewesen ist und sich ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten gezeigt hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>dd) In Bezug auf die Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin sind die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen während des gesamten hier zu beurteilenden Zeitraums vom 20.02.2015 bis zur letzten mündlichen Verhandlung mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Maßgeblich für die Höhe des GdB sind insbesondere die sich aus der Teilläsion des Ischiasnervs rechts ergebenden Beeinträchtigungen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>(1) Bei der Klägerin bestehen im Nachgang zu dem Unfall eine motorisch weitestgehend remittierte Nervus ischiadikus(Ischiasnerv)-Teilläsion rechts mit minimaler Fuß- und Zehenheberschwäche und Hypästhesie (Sensibilitätsstörung) des rechten Fußes und mit neuropathischen Schmerzen mit dauerhaftem Schmerzmittelbedarf sowie eine hochgradige Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts mit Hypästhesie und Hypalgesie (verringerte Schmerzempfindung) der proximalen Oberschenkelvorder-Außenseite. Der Senat stützt sich diesbezüglich auf die überzeugenden Ausführungen in dem neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 sowie dem nervenärztlichen Gutachten der E vom 20.03.2019, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>(2) Die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis führt laut den Gutachten des F und der E bei der Klägerin zu einer hochgradigen, schmerzlosen Sensibilitätsstörung und verringerter Schmerzempfindung an der rechten Oberschenkelvorder-Außenseite proximal in einem ca. handtellergroßen Areal, das dem Versorgungsgebiet des Nervs entspricht. Für diese Schädigung kann höchstens ein GdB von 10 festgestellt werden, wobei diese Bewertung nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 bereits einem vollständigen Nervenausfall des Nervus cutaneus femoris lateralis entspricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>(3) Deutlich größere Beeinträchtigungen für die Klägerin basieren stattdessen auf der Teilläsion des Ischiasnervs rechts. Insoweit beträgt der GdB 30. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird die Höhe des GdB für Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane in erster Linie durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer Organsysteme bestimmt. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Laut den klinischen Untersuchungsbefunden im neurologischen Gutachten von F und im nervenärztlichen Gutachten der E besteht bei der Klägerin eine Sensibilitätsstörung, die streifenförmig an der rechten Unterschenkel-Außenseite, am Fußrücken sowie streckseitig an den Zehen I bis V verläuft. Hinzu kommt eine Pallästhesie (Vibrationsempfinden) an Teilen des Großzehengrundgelenks, dem Kniegelenk und Teilen des Beckenkamms beidseits.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ist ein vollständiger Ausfall des Nervus ischiadicus proximal mit einem GdB von 60, distal (Ausfall der Nerven peroneus communis und tibialis) mit einem GdB von 50 zu bewerten. Bei der Klägerin liegt ein Teilausfall des Nervs vor, der nach den VG entsprechend geringer zu bewerten ist. Die Teilläsion des Nervus ischiadicus rechts ist motorisch weitestgehend remittiert. Verblieben ist laut dem überzeugenden neurologischen Gutachten des F vom 04.12.2017 eine minimale, funktionell irrelevante Schwäche der Fuß- und Zehenhebung rechts bei ansonsten allseits voller Kraftentfaltung und normotrypher Muskulatur. Zudem liegt eine schmerzlose Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Nervus peroneus rechts an der Unterschenkelaußenseite und dem Fußrücken und eine leichte Hyp- und Dysästhesie der Fußsohle und der Zehen rechts beugeseitig im Versorgungsgebiet des Nervus tibialis vor. Bei der Begutachtung durch E am 06.03.2019 hat sich der Untersuchungsbefund als im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Befund des F aus Dezember 2017 gezeigt. Unter Mitberücksichtigung der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein beurteilt der Senat die funktionellen Auswirkungen der Nervenschäden am rechten Bein der Klägerin einschließlich der dauerhaften Schmerzen als mittelgradig und sieht einen Einzel-GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs rechts als sachgerecht, aber auch ausreichend an. Der Senat stützt seine Überzeugung dabei auf die übereinstimmende Einschätzung des sachverständigen Zeugen W und des Versorgungsarztes S4 (Stellungnahme vom 20.09.2020). Auch wenn die Klägerin laut der sachverständigen Zeugenaussage des W vom 10.07.2020 zuletzt keine Medikamente mehr wegen der neuropathischen Schmerzen im rechten Bein eingenommen hat, entnimmt der Senat den beiden Gutachten von F vom 08.05.2017 und 04.12.2017 im Vergleich zu dem Gutachten, das E am 20.03.2019 erstattet hat, und der sachverständigen Zeugenaussage des W, dass hinsichtlich der Schmerzsymptomatik keine wesentliche Befundänderung eingetreten ist. So hat die Klägerin im Rahmen der neurologischen Untersuchung am 22.11.2017 angegeben, dass es bei längeren Strecken zu starken Schmerzen im rechten Fuß komme und der Fuß abends in Ruhe oder nach längerem Sitzen immer wieder einschlafe und sie Parästhesien und ein „komisches Gefühl“ im rechten Fuß spüre. Dieser fühle sich tagsüber permanent kalt an, verfärbe sich abends rot und sei dann heiß, was sie beim Einschlafen störe. Wegen der Schmerzen könne sie auch keine Schuhe mit Absätzen tragen. Gegenüber E hat die Klägerin am 06.03.2019 über stechende Schmerzen im Bereich der rechten Leiste bei Belastung sowie Druckschmerzen bei längerem Laufen geklagt, ferner über ein taubes Gefühl und eine Sensibilitätsstörung im rechten Oberschenkel sowie ein „pelziges Gefühl“ unterhalb des Knies. Nachts brenne der Fuß, tagsüber sei er kalt. Ihre Gehstrecke sei auf 2 km limitiert. W hat den Befund auf Nachfrage am 10.07.2020 als „unverändert“ bezeichnet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>(4) Soweit die Klägerin in der Klage- und Berufungsbegründung vorgetragen hat, der Nervus obturatorius sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Laut dem neurologischen Gutachten von F vom 04.12.2017 hat die konservative Weiterbehandlung nach dem Unfall zu einer raschen, vollständigen Remission der ursprünglichen Nervus obturatorius-Parese geführt. Hinzu kommt, dass dieser Nerv in den VG nicht aufgeführt ist und insoweit auch keine funktionellen Einschränkungen mehr ersichtlich sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 für die Teilläsion des Ischiasnervs einschließlich der dauerhaften Schmerzen sowie jeweils einem Einzel-GdB von 10 für die Bewegungseinschränkungen der Hüfte rechts und die Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis ergibt sich für das Funktionssystem „Beine“ ein GdB von 30.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>c. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ liegen keine Beeinträchtigungen vor, die einer GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden können.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>aa) Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt unter Berücksichtigung der objektiven Befunde kein Einzel-GdB vor. Aus dem psychologischen Bericht der BG-Klinik L vom 26.03.2015 geht zwar hervor, dass die Klägerin durch den Unfall und dessen Folgen emotional belastet gewesen ist. Im weitere Verlauf ist auch eine Anpassungsstörung diagnostiziert worden (s. psychologischer Konsilbericht vom 27.04.2015, BG-Berichte vom 27.07.2015, 10.01.2016, 31.03.2016 und 08.07.2016, die eine ambulante Psychotherapie bei der S1 nach sich gezogen hat. Diese hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 22.01.2018 angegeben, die Klägerin von September 2015 bis April 2017 niederfrequent (insgesamt 19 Sitzungen) psychotherapeutisch behandelt zu haben, wobei die Behandlung der Verarbeitung und Akzeptanzentwicklung bezüglich der unfallbedingten körperlichen Langzeitschäden, der chronischen Schmerzsymptomatik und dem Umgang mit verletzungsabhängigen Zukunftsängsten gedient habe. Der anfängliche Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung habe nicht bestätigt werden können. Die Beeinträchtigungen hat S1 als leicht bezeichnet. Eine medikamentöse Behandlung der psychischen Beeinträchtigungen ist nicht dokumentiert. Nach dieser ambulanten Behandlung ist im Sommer 2017 eine vollständige Rückbildung der Symptomatik erfolgt. Dafür spricht nicht nur die Beendigung der Therapie durch S1 im April 2017, sondern der Senat stützt sich hier auf die überzeugenden Ausführungen des F, der in seinem zweiten Gutachten vom 04.12.2017 einen unauffälligen psychopathologischen Befund erhoben und überzeugend ausgeführt hat, dass die psychoreaktive Störung klinisch und anamnestisch erwartungsgemäß vollständig abgeklungen ist. Auch aus dem im Klageverfahren S 13 U 1599/18 eingeholten Gutachten der E, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, ergibt sich, dass die Anpassungsstörung seit 2017 als remittiert zu betrachten ist. Damit liegt keine psychische Erkrankung mehr vor, die nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB zu bewerten wäre. Aber auch für den Zeitraum vom 20.02.2015 bis zur Remission der Anpassungsstörung im April 2017 kann der Argumentation der Klägerin, soweit sie die Anpassungsstörung in der Berufungsbegründung mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, nicht gefolgt werden. Denn nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 und schwere Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 80 bis 100 zu bewerten. Hier hat es sich um eine nur leichte Anpassungsstörung aus konkretem Anlass (Unfallereignis) ohne das Erfordernis medikamentöser Therapie gehandelt, die unter niederfrequenter psychotherapeutischer Behandlung in 26 Monaten remittiert ist. Ein GdB von 20 lässt sich damit nicht begründen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>bb) Auch für die wiederkehrenden Kopfschmerzen, die bei der Klägerin nach dem Joggen oder bei der Arbeit auftreten, ist kein GdB festzustellen. Zwar nimmt die Klägerin deswegen nach eigenen Angaben an etwa sieben Tagen im Monat Ibuprofen 600 ein (Gutachten F), es handelt sich jedoch nach der überzeugenden Diagnose von F um episodische Spannungskopfschmerzen. Eine – nach den VG, Teil B, Nr. 2.3 mit einem GdB zu berücksichtigende – Migräne ist ärztlicherseits nicht festgestellt worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>d) Den Gesamt-GdB hat das SG Heilbronn zutreffend mit 40 festgestellt. Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 jeweils für das Funktionssystem „Arme“ sowie das Funktionssystem „Beine“ liegt bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 40 vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Nach den VG, Teil A, Nr. 3 d) ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Allerdings ist bei der Beurteilung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zu beachten, dass sich eine Funktionsbeeinträchtigung auch besonders nachteilig auf eine andere auswirken kann. Besteht ein GdB von 30 und kommt ein weiterer GdB von 30 hinzu, kann dies dann zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte führen, wenn eine wesentliche Zunahme der Behinderung vorliegt (vgl. Urteil des Senats vom 24.10.2018 – L 3 SB 5/17, juris Rn. 37).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die sich aus den Gesundheitsstörungen des rechten Beines ergebenden Einschränkungen wirken sich nicht besonders nachteilig auf die Einschränkung durch die Schulter aus. Es besteht trotz der Einschränkungen durch die Sensibilitätsstörungen, Missempfindungen und Schmerzen ein flüssiges und koordiniertes Gangbild mit erhaltener Schrittlänge und normalem Abrollverhalten. Weiterhin ist zuletzt keine Medikation der neuropathischen Schmerzen erfolgt, die Klägerin treibt regelmäßig Sport und es kommt erst bei längeren Strecken zu Schmerzen im rechten Fuß. Daraus folgt, dass zwar eine zusätzliche Beeinträchtigung vorliegt, diese führt aber bei der Klägerin nach Überzeugung des Senats nicht zu einer so wesentlichen Zunahme der Behinderung, dass eine Schwerbehinderung zu bejahen wäre. Der sachverständige Zeuge W sowie der Versorgungsarzt S4 haben unter Würdigung der orthopädischen Einschränkungen der Klägerin wiederholt ebenfalls einen Gesamt-GdB von 40 als sachgerecht befürwortet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Dass der Gesamt-GdB der Klägerin nicht mit mindestens 50 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Das Ausmaß einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung wird durch die bei der Klägerin dokumentierten Einschränkungen nicht erreicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 22.04.2020 zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,609
lsgbw-2022-08-10-l-3-as-117122-b
{ "id": 128, "name": "Landessozialgericht Baden-Württemberg", "slug": "lsgbw", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
L 3 AS 1171/22 B
2022-08-10T00:00:00
2022-09-17T10:01:53
2022-10-17T11:10:17
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p><strong>Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.04.2022 wird verworfen.</strong></p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p><strong>Die Beschwerden der Antragsteller zu 2 bis 8 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01.04.2022 werden zurückgewiesen.</strong></p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p><strong>Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.</strong></p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>1. Die nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin zu 1 ist mangels Beschwer unzulässig, da ihr mit dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Karlsruhe vom 01.04.2022 antragsgemäß Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung für das Verfahren S 17 AS 695/22 ER bewilligt worden ist, so dass kein Rechtschutzbedürfnis vorliegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>2. Die nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden ihrer Kinder, der Antragsteller zu 2 bis 8 (im Folgenden: Antragsteller), sind zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>a. Die Einbeziehung der Antragsteller ist zwar erst im Erörterungstermin am 04.04.2022 förmlich angezeigt worden, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie der Antrag auf PKH sind unter Gesamtwürdigung des Verfahrensgangs allerdings von Anfang an für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gestellt worden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht mit einer eigenen Klage die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, juris Rn. 11-15). Es handelt sich bei den Ansprüchen der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II um Individualansprüche, die jeweils gesondert und einzeln von dem rechtlich Betroffenen gerichtlich geltend zu machen sind (Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 92 SGG, Stand: 15.06.2022, Rn. 21). Die ausnahmsweise Heranziehung des Meistbegünstigungsprinzips für die Antwort auf die Frage, wer Kläger im Rahmen von Bedarfsgemeinschaften ist, war zwar auf die Zeit bis zum 30.06.2007 befristet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, juris Rn. 11; Urteil vom 30.01.2019 – B 14 AS 12/18 R, juris Rn. 12), jedoch ist auch nach Ablauf dieser Übergangszeit zur Bestimmung des Inhalts einer Klageschrift nicht allein von ihrem Wortlaut und den in ihr enthaltenen Anträgen auszugehen. Vielmehr ist der hinter diesem Wortlaut liegende wahre Wille des Klägers zu erforschen, wofür das gesamte klägerische Vorbringen und alle Umstände des Einzelfalls – ggf. schon das Verwaltungsverfahren – zu berücksichtigen sind und davon auszugehen ist, dass der Kläger eine möglichst weitgehende Verwirklichung seines Begehrens anstrebt (§ 123 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 29; Urteil vom 30.01.2019 – B 14 AS 12/18 R, juris Rn. 11; Urteil vom 08.05.2019 – B 14 AS 15/18 R, juris Rn. 11).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>In Anwendung dieser Maßstäbe lässt sich dem Schreiben vom 14.03.2022 der – zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht anwaltlich vertretenen – Antragstellerin zu 1 entnehmen, dass es ihr von Anfang an um die Heizkosten für die gesamte Bedarfsgemeinschaft ging. So verweist sie auf den 9-Personenhaushalt und schreibt u.a. „Wir müssen mit Brennholz heizen […]“, „Uns verweigert die ARGE […]“ bzw. „[…] Diskriminierung meiner Familie […]“ und „Verstoß gegen Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention) […]“. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz sollte nach dem Willen der Antragstellerin zu 1 daher von vornherein jedenfalls auch für ihre Kinder gelten. Ebenso verhält es sich mit dem PKH-Antrag, der bereits mit Schreiben vom 14.03.2022 gestellt worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin zu 1 in ihrem späteren Schreiben vom 27.03.2022 den Antrag nur für sich formuliert hat („Hiermit beantrage ich mir Prozesskostenhilfe zu Gewähren […]“). Auch hier gilt, dass der hinter diesem Wortlaut liegende wahre Wille vor dem Hintergrund des gesamten Vorbringens und aller Umstände des Einzelfalls zu erforschen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>b. Die Beschwerden sind statthaft. Gegen die von den Antragstellern geltend gemachte subjektive Beschwer, dass über ihre Anträge im angefochtenen PKH-Beschluss nicht entschieden worden ist, können sie nur im Rahmen der Beschwerde vorgehen. Eine Ergänzung des PKH-Beschlusses nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG kommt vorliegend nicht in Betracht, da Grundvoraussetzung für eine derartige Ergänzung stets ist, dass das Gericht über den Rechtsstreit in vollem Umfang entscheiden wollte, versehentlich aber nicht erschöpfend entschieden hat (BSG, Beschluss vom 02.04.2014 – B 3 KR 3/14 B, juris Rn. 8 m.w.N.). Dem Aktenvermerk vom 19.04.2022 zufolge hat das SG Karlsruhe den PKH-Antrag bewusst eng am Wortlaut ausgelegt und nur auf die Antragstellerin zu 1 bezogen, nachdem auf die Nachfrage im Eilverfahren, ob der Antrag für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gestellt werde, binnen einer Woche keine Antwort erfolgt ist. Das bewusste Ausklammern eines Teils des Streitgegenstandes wird von der Regelung des § 140 SGG über die Möglichkeit der Ergänzung nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG jedoch nicht erfasst (BSG, Beschluss vom 02.04.2014 – B 3 KR 3/14 B, juris Rn. 8).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>c. Im Ergebnis sind die Beschwerden der Antragsteller jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen für eine PKH-Bewilligung nicht vorgelegen haben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Grundsätzlich ist über einen Antrag auf Bewilligung von PKH dann zu entscheiden, wenn dieser Antrag vollständig und damit bewilligungsreif ist. Ein bewilligungsreifer Antrag setzt neben der Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechenden Belegen (§ 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO) auch die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO) voraus. Genügt ein PKH-Antrag nicht diesen Erfordernissen des § 117 ZPO, ist er nicht bewilligungsreif (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010 – 1 BvR 362/10, juris Rn. 15; Beschluss des Senats vom 09.05.2022 – L 3 AS 1216/22 B, juris Rn. 12 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Vorliegend sind die PKH-Anträge der Antragsteller weder zum Zeitpunkt des PKH-Beschlusses am 01.04.2022, noch zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung im Erörterungstermin am 04.04.2022 bewilligungsreif gewesen, da keine auf sie lautenden Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt worden sind. Zwar hat die Mutter der Antragsteller am 01.04.2022 eine Erklärung vom 27.03.2022 über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen eingereicht, es wäre jedoch erforderlich gewesen, auch jeweils eine auf die minderjährigen Antragsteller lautende Erklärung vorzulegen (vgl. BSG, Beschluss vom 18.11.2021 – B 1 KR 67/21 B, juris Rn. 3, Ls). Da dies nicht erfolgt ist, konnte das SG Karlsruhe in dem angefochtenen Beschluss ausschließlich über den von der Antragstellerin zu 1 gestellten PKH-Antrag entscheiden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Auch eine rückwirkende Bewilligung von PKH kommt vorliegend nicht in Betracht. Die im Erörterungstermin am 04.04.2022 sachkundig vertretenen Antragsteller haben das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Termin für erledigt erklärt, ohne bis dahin die erforderlichen Erklärungen und Belege vorzulegen. Eine Bewilligung von PKH nach Abschluss der Instanz kommt nur in Betracht, wenn sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligt werden müssen, d.h. der PKH-Antrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinne der Bewilligung entscheidungsreif gewesen ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010 – 1 BvR 362/10, juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Beschluss vom 14.11.2014 – L 16 AS 499/14 B PKH, juris Rn.19). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>4. Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar.</td></tr></table></td></tr></table>
346,601
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3 Kart 117/21
2022-08-10T00:00:00
2022-09-16T10:02:11
2022-10-17T11:10:15
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART117.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 23. September 2021 (BK6-19-037) wird teilweise als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur und der weiteren Beteiligten trägt die Beschwerdeführerin.</p> <p>Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.</p> <p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf … Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss der Bundesnetzagentur vom 23. September 2021 (BK6-19-037), mit dem ein auf § 31 EnWG gestützter Antrag abgelehnt wurde.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist als Energielieferantin tätig. Die weitere Beteiligte betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz mit etwa … angeschlossenen Entnahmestellen und dies im Wesentlichen auf dem Gebiet der Stadt S. Zwischen der Beschwerdeführerin und der weiteren Beteiligten bestand ein Lieferantenrahmenvertrag zur Ausgestaltung der Netznutzung.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">In der zuletzt geltenden Fassung enthielt der vorbezeichnete Lieferantenrahmenvertrag unter anderem die folgenden Bestimmungen:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">§ 11 Vorauszahlung</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Der Netzbetreiber verlangt in begründeten Fällen vom Netznutzer, für Ansprüche aus diesem Vertrag die Zahlung im Voraus zu entrichten. Die Leistung der Vorauszahlung ist gegenüber dem Netznutzer in Textform zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">2. Ein begründeter Fall wird insbesondere angenommen, wenn</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">b. der Netznutzer zweimal in zwölf Monaten mit einer fälligen Zahlung in Verzug war.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">§ 13 Vertragslaufzeit und Kündigung</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">5. Beide Vertragspartner können diesen Vertrag fristlos aus wichtigem Grund kündigen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">a. gegen wesentliche Bestimmungen dieses Vertrages wiederholt trotz Abmahnung unter Androhung des Entzugs des Netzzugangs schwerwiegend verstoßen wird oder</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">b. der Netznutzer seiner Verpflichtung zur Vorauszahlung nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht nachkommt.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 29. Januar 2019 erklärte die weitere Beteiligte gegenüber der Beschwerdeführerin, nunmehr eine monatliche Vorauszahlung zu verlangen, wobei für den Fall der Nichtleistung die Vertragskündigung angedroht werde. Die weitere Beteiligte wies dabei darauf hin, dass die Beschwerdeführerin in den letzten 12 Monaten mindestens zweimal mit der Begleichung von Netzentgeltforderungen in Verzug geraten sei.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Am 7. Februar 2019 beschwerte die Beschwerdeführerin sich bei der Bundesnetzagentur über die weitere Beteiligte „wegen … Nichteinhaltung der Vorgaben zu Pkt. 5.5.2. Zertifikate“ und des als rechtswidrig bezeichneten Versuchs, „die Konsequenzen aus der Nichteinhaltung der Regelungen zum sicheren Austausch von EDIFACT-Übertragungsdateien“ ihr anzulasten. Gleichzeitig teilte die Beschwerdeführerin mit, „ab sofort keine Kommunikation“ mehr durchzuführen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die von der Bundesnetzagentur um Stellungnahme gebetene weitere Beteiligte erklärte am 18. Februar 2019 unter anderem, dass sie entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin ein rechtlich zulässiges Zertifikat verwende. Es sei nicht zu beanstanden, dass das von ihr gebrauchte Zertifikat zur Verschlüsselung und Signatur von E-Mails auf sie als juristische Person ausgestellt, also keine weitere Eintragung einer natürlichen Person im Feld „CN“ erfolgt sei.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit einer E-Mail vom 19. Februar 2019 teilte die weitere Beteiligte - unter gleichzeitiger Ankündigung der Übermittlung einer entsprechenden INVOIC - der Beschwerdeführerin mit, dass sie für den Monat März eine Vorauszahlung für den Bereich Strom in Höhe von 601 Euro verlange. Die Zahlung sei am 5. März 2019 fällig.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 11. März 2019 erklärte die weitere Beteiligte die Kündigung des Lieferantenrahmenvertrags zum Folgetag mit der Begründung, dass eine pünktliche und vollständige Zahlung der Vorauskasse unterblieben sei. Taggleich formulierte die Beschwerdeführerin einen „Antrag auf Eröffnung eines Missbrauchsverfahrens … wegen fristloser Kündigung“. Sie behauptete darin unter anderem, dass eine Abforderung der Vorauszahlung per INVOIC nie eingegangen sei.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Unter dem 16. März 2019 ergänzte die Beschwerdeführerin ihren „Antrag auf Missbrauchsverfahren … auf den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in der Form, dass Abrechnungen mit Beträgen“ zu ihren Gunsten „nicht korrekt abgerechnet werden sowie selbst die Beträge aus den fehlerhaften Abrechnungen … nicht erstattet werden“. Es gehe um insgesamt geschätzte 4.817,28 Euro, welche die weitere Beteiligte rechtswidrig zurückbehalte.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Mit einem dort am 20. März 2019 eingegangenen Antrag ersuchte die Beschwerdeführerin das Landgericht S um einstweiligen Rechtsschutz zum Zwecke der Gewährung des Netzzugangs über den 11. März 2019 hinaus. Sie blieb damit in zwei Instanzen erfolglos. Das Oberlandesgericht Naumburg ging in seinem auf die Berufung der Beschwerdeführerin - dort Verfügungsklägerin - ergangenen Urteil vom 30. August 2019 (7 U 44/19) von der Wirksamkeit der Vertragskündigung aus.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Unter dem 16. Dezember 2019 legte die Beschwerdeführerin beim Senat Untätigkeitsbeschwerde ein. Das dazugehörige Verfahren VI-3 Kart 878/19 (V) endete mit der Beschwerderücknahme in der Verhandlung vom 9. September 2020.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Unter dem 15. September 2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung eines besonderen Missbrauchsverfahrens gemäß § 31 EnWG. Sie nahm Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und machte geltend, dass die weitere Beteiligte bereits die Vorauszahlung ohne Rechtsgrund gefordert habe, was ihr - der Beschwerdeführerin - aufgrund der damit verbundenen Doppelzahlung von Netzentgelten finanzielle Mittel entzogen und zu einer massiven Einschränkung ihres wirtschaftlichen Handlungsspielraums geführt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es gleichzeitig ein zurückbehaltenes Guthaben in Höhe von 4.000 Euro gegeben habe. Sie als Wettbewerberin der Muttergesellschaft der weiteren Beteiligten auszuschalten, sei wohl Ziel gewesen oder zumindest billigend in Kauf genommen worden.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die von der Bundesnetzagentur abermals angehörte weitere Beteiligte erläuterte am 14. Oktober 2020 die Richtigkeit der oberlandesgerichtlichen Entscheidung vom 30. August 2019 und erklärte unter anderem, dass es tatsächlich ein Guthaben aus diversen Mehr- und Mindermengen gebe, aber eine Abforderung mittels REMADV zu keinem Zeitpunkt erfolgt sei. Darauf habe sie auch in einem von der Beschwerdeführerin initiierten und anhängigen Verfahren vor dem Landgericht S (8 O 34/20) hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Mit dem eingangs genannten Beschluss vom 23. September 2021 lehnte die Bundesnetzagentur den Antrag der Beschwerdeführerin ab. In dem - hier insgesamt in Bezug genommenen - Beschluss heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Anforderung von Vorauszahlungen sowie der anschließenden Kündigung des Lieferantenrahmenvertrages Strom.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">… Die Kammer hat … bereits Zweifel am Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen … Die Notwendigkeit … eines … Missbrauchsverfahrens … ist ... dort zu hinterfragen, wo die Antragstellerin - wie hier - bereits parallel zivilgerichtliche Hilfe im Eilverfahren in Bezug auf denselben Streitgegenstand in Anspruch genommen hat und eine Entscheidung in zweiter Instanz erfolgt ist. …</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">… Der Ausspruch der Kündigung des Lieferantenrahmenvertrages ist unter Zugrundelegung des im Rahmen eines regulierungsbehördlichen Missbrauchsverfahrens anzuwendenden Prüfungsmaßstabes nicht als missbräuchlich anzusehen. …</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Steht die Geltendmachung eines Gestaltungsrechtes im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrages zur näheren Ausgestaltung eines energiewirtschaftlichen Anspruchs (hier: Lieferantenrahmenvertrag zur Ausgestaltung der Netznutzung) in Rede, so kommt es bei der Prüfung auf missbräuchliches Verhalten im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 EnWG nicht darauf an, ob unter Zugrundelegung des vollen zivilrechtlichen Prüfungsmaßstabes die Geltendmachung jenes Gestaltungsrechtes berechtigt war. … Dies würde … die für die Entscheidung zeitkritischer Streitbeilegungsverfahren vorgesehenen Ressourcen zweckwidrig blockieren.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Im Kontext eines regulierungsbehördlichen Verfahrens ist daher nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung zu befinden. Streitgegenstand ist vielmehr, ob der Ausspruch der Kündigung gegen die in § 31 EnWG genannten Vorgaben verstößt. Dies ist allenfalls dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen des … Kündigungsgrundes nicht vorliegen und … [der Netzbetreiber] dies erkennen musste; die ausgesprochene Kündigung muss mithin offensichtlich unwirksam und in Schädigungsabsicht ausgesprochen worden sein …</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">… Dieser Fall liegt hier nicht vor. …</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">… Die von der Antragstellerin gegen die Anforderung der Vorauszahlung erhobenen Einwände greifen … nicht durch.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">… Nach zuletzt unbestritten gebliebenem Vortrag der Antragsgegnerin befand sich die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Anforderung der Vorauszahlung mindestens mit der Zahlung der Abschläge April 2018, Juli 2018, November 2018 sowie Dezember 2018 in Verzug. …</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">… Die Antragstellerin kann dem auch nicht entgegenhalten, aufgrund eines angeblichen Verstoßes der Antragsgegnerin gegen Vorgaben zur Signierung und Verschlüsselung elektronischer Netznutzungsabrechnungen im INVOIC-Format aufgrund der Nutzung eines auf eine juristische Person ausgestallten Zertifikates zur Zahlungsverweigerung berechtigt gewesen zu sein.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">… Art. 36 eIDAS-VO [räumt] ausdrücklich die Möglichkeit ein, fortgeschrittene elektronische Siegel einzusetzen, die eine eindeutige Zuordnung zum Siegelersteller ermöglichen. Nach Art. 3 Nr. 24 eIDAS-VO handelt es sich bei einem Siegelersteller um eine juristische Person, weshalb eine Bezugnahme auf eine natürliche Person in diesem Fall nicht erforderlich ist.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">… Die Vorauskasse ist auch ordnungsgemäß durch die Antragsgegnerin angefordert worden …</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">… weder aus dem Lieferantenrahmenvertrag noch aus der … Festlegung zum Lieferantenwechsel … ergab sich eine Verpflichtung zur Anforderung der Vorauszahlung per INVOIC.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Schließlich kann aus dem Verhalten der Antragsgegnerin auch kein Rückschluss auf den von der Antragstellerin vorgetragenen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Stellung nicht korrekter Abrechnung oder durch das Nichtauskehren zu Unrecht gezahlter Beträge gezogen werden.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Eine missbräuchliche Zugangsverweigerung würde … voraussetzen, dass der Netzbetreiber etwa systematisch zu Überzahlungen oder Doppelzahlungen veranlasst bzw. die dem Netznutzer zustehenden Auszahlungen in Schädigungs- und Verdrängungsabsicht verweigert. ...</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die am 19. Oktober 2021 eingelegte und innerhalb verlängerter Frist am 19. Dezember 2021 begründete Beschwerde. Die Beschwerdeführerin meint,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">die Bundesnetzagentur habe in materieller Hinsicht verkannt, dass die angeblich offenen Beträge sehr gering seien und der Rückstand außer Verhältnis stehe zu den mit den verlangten Vorauszahlungen verbundenen Auswirkungen. Letztlich entscheidend sei aber, dass die weitere Beteiligte die Verzögerung verursacht habe, indem sie von unzulässigen Zertifikaten für die Signierung von INVOIC-Rechnungen Gebrauch gemacht habe. Denn die einzuhaltende Zahlungsfrist beruhe auf der systemimmanenten Prämisse, dass die INVOIC-Rechnungen automatisiert geprüft und verarbeitet werden könnten. Wegen der Verwendung unzulässiger Zertifikate habe eine manuelle Prüfung stattfinden müssen. Soweit der Senat in der Vergangenheit zu Unrecht erkannt habe, dass eine rechtlich vorgeschriebene Signatur ohne rechtliche Konsequenzen durch ein einfaches Siegel ersetzt werden könne, dürfe sich dies nicht fortsetzen. Wesentlich Ungleiches dürfe von Gerichten und Behörden nicht gleichbehandelt werden.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">den Beschluss vom 23. September 2021 (BK6-19-037) aufzuheben und die Bundesnetzagentur zu verpflichten, sie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Sie nimmt Bezug auf den Beschluss vom 23. September 2021 und weist darauf hin, dass der darin erläuterte Zahlungsverzug im Vorfeld der Vorauszahlungsforderung unstreitig sei. Aufgrund der Festlegung zur Marktkommunikation vom 20. Dezember 2018 habe zumindest seit dem Jahresbeginn 2019 hinreichende Klarheit über die korrekte Verfahrensweise bei der Entgegennahme signierter elektronischer Netznutzungsrechnungen bestanden. Der Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung habe auch keine missbräuchliche Verweigerung des Netzzugangs im Sinne des § 20 EnWG dargestellt. Die Kündigung sei rechtmäßig gewesen. Insbesondere habe keine Verpflichtung zur Anforderung der Vorauskasse mittels EDIFACT/INVOIC-Nachricht bestanden. Soweit die Beschwerdeführerin die Nichtverwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur beanstande, sei die Unbegründetheit dieses Einwands dem Senatsbeschluss vom 23. Juni 2021 aus dem Parallelverfahren VI-3 Kart 880/19 (V) zu entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Die weitere Beteiligte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">              die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Sie verteidigt den Beschluss vom 23. September 2021 und weist insbesondere auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg hin. Das Verfahren nach § 31 EnWG könne nicht dazu dienen, zivilgerichtliche Entscheidungen zu korrigieren. Überdies hat die weitere Beteiligte im Verfahren … vorgetragen, dass der Rechtsstreit vor dem Landgericht S (8 O 34/20) per Prozessvergleich vom 10. Mai 2021 erledigt worden sei. Mit dem Vergleich seien die wechselseitigen Forderungen aufgerechnet worden. Zu früheren Zeitpunkten sei ihr Versuch, eine Verrechnungsvereinbarung zu treffen, noch gescheitert.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schriftsätze nebst Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Verhandlungsprotokoll vom 22. Juni 2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong></p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur teilweise zulässig. Soweit sie zulässig ist, erweist sich das Begehren als unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Es fehlt an dem Zulässigkeitserfordernis einer Beschwerdebegründung, soweit die Beschwerde einerseits umfassend eingelegt worden ist, andererseits aber zu wesentlichen Inhalten des - ein Tätigwerden insgesamt ablehnenden - Beschlusses vom 23. September 2021 schweigt. Der Begründungsmangel betrifft die im Beschluss enthaltene Prüfung, ob ein „Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Stellung nicht korrekter Abrechnung oder durch das Nichtauskehren zu Unrecht bezahlter Beträge“ vorliegt. In diesem Umfang ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (siehe Senatsbeschluss vom 17. Januar 2019 - VI-3 Kart 902/18 (V), juris Rn. 8; Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG 3. Auflage § 78 Rn. 7 [§ 522 Abs. 1 ZPO analog]).</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Nach § 78 Abs. 3 Satz 1 EnWG ist die Beschwerde zu begründen. Der Mindestinhalt der Beschwerdebegründung wird in § 78 Abs. 4 EnWG umschrieben, wonach es einer Erklärung zum Umfang der Anfechtung sowie der Angabe der Tatsachen und Beweismittel bedarf, auf die sich die Beschwerde stützt. Mit dieser Regelung, die zu weiten Teilen auf die Anfechtungsbeschwerde zugeschnitten ist, aber sinngemäß auch auf andere Beschwerdearten Anwendung findet (Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 78 EnWG Rn. 12), ist der Gesetzgeber über die Anforderungen einer verwaltungsprozessualen Klage gemäß § 82 VwGO hinausgegangen, bei der - unter anderem - die Bezeichnung der zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel lediglich Gegenstand einer sogenannten Soll-Vorgabe ist.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Zwar sind auch mit § 78 Abs. 4 EnWG keine überzogenen Begründungsanforderungen verbunden. So ist eine Beschwerde nach dem EnWG nicht etwa an den Voraussetzungen einer zulässigen zivilprozessualen Berufung zu messen (BeckOK-EnWG/van Rossum, § 78 Rn. 22 [Stand: 1. März 2022]), die insbesondere einen Angriff auf die tragenden Erwägungen des Erstgerichts und die Darlegung erfordert, weshalb diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 - III ZB 19/18, NJW-RR 2019, 180 Rn. 10 m.w.N.). Es bedarf gleichwohl aber eines Mindestmaßes an sachlichen Darlegungen, die die Beschwerde stützen (BeckOK-EnWG/van Rossum aaO Rn. 25; Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 78 EnWG Rn. 12; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Auflage § 66 GWB Rn. 14; ebenso - jedenfalls für die hier eingelegte Verpflichtungsbeschwerde - Boos in Theobald/Kühling, Energierecht § 78 EnWG Rn. 15 in Abgrenzung zu Rn. 18 [Werkstand: 113. Ergänzungslieferung]). Unzureichend ist deshalb die bloße pauschale Bezugnahme auf das Vorbringen im behördlichen Verfahren (Huber in Kment, EnWG 2. Auflage § 78 Rn. 6; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 - Verg W 12/05, juris Rn. 78).</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Die Beschwerdebegründung genügt danach den Mindestanforderungen, soweit darin die Verwendung eines angeblich unzulässigen Zertifikats sowie - wenn auch äußerst knapp - vermeintlich rückständige Beträge als Anlass der Kündigung und die Unverhältnismäßigkeit der Auswirkungen der verlangten Vorauszahlung erörtert werden.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die weiteren im Beschluss vom 10. März 2021 geprüften Verhaltensweisen bzw. Punkte werden in der Beschwerdebegründung hingegen nicht weiter aufgegriffen. Hinsichtlich dieses Teils des Streitstoffs erschöpft sich die Begründung (dort Seite 4) in einer pauschalen und damit unzureichenden Bezugnahme auf den „gesamten Vortrag in dem … Missbrauchsverfahren“, der zum Vortrag im Beschwerdeverfahren erhoben werden soll. Eine über diese Bezugnahme hinausgehende Beschwerdebegründung ergibt sich auch nicht aus Seite 2 des Begründungsschriftsatzes. Die dort zur Zulässigkeit angestellten Erwägungen betreffen allein die nicht tragenden Ausführungen der Bundesnetzagentur zur Bedeutung des einstweiligen Verfügungsverfahrens, in dem es um den Netzzugang nach Kündigung und deren Wirksamkeit ging.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> Die Wahrung des Begründungserfordernisses kann auch nicht mit der - für sich genommen zutreffenden - Erwägung gestützt werden, dass § 78 Abs. 4 Nr. 2 EnWG die Festlegung des Streitgegenstands bezweckt (BGH, Beschluss vom 6. November 2012 - EnVR 101/10, juris Rn. 30; wohl nur begrifflich anders Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Auflage § 66 GWB Rn. 14: „Klarstellung des Streitstoffs“) und den Beschwerdeführer nicht daran hindert, sich auf solche Elemente des dem Beschwerdebegehren zugrunde liegenden Sachverhalts zu berufen, auf die er sich erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 78 Abs. 3 Satz 2 EnWG gestützt hat (BGH, Beschluss vom 6. November 2012 aaO Rn. 29). Denn die so lautende Rechtsprechung ist im Zusammenhang mit Verpflichtungsbeschwerden gegen die Bestimmung von Erlösobergrenzen ergangen. Deren Streitgegenstand ist gekennzeichnet durch das Begehren des Beschwerdeführers, die Verwaltungsentscheidung aufzuheben und eine ihm günstigere Entscheidung zu veranlassen, und durch den Sachverhalt, der dem Bescheid zugrunde liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. April 2015 - EnVR 16/14, EnWZ 2015, 331 Rn. 17; vom 6. November 2012 aaO Rn. 29; siehe hierzu auch Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG 3. Auflage § 78 Rn. 6). Hingegen zeichnet sich ein Verfahren nach § 31 EnWG gerade dadurch aus, dass wegen eines spezifizierten Verhaltens eines Netzbetreibers eine regulierungsbehördliche Überprüfung und die Ergreifung von Maßnahmen beantragt werden.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 EnWG können Personen oder Personenvereinigungen, deren Interessen durch das Verhalten eines Betreibers von Energieversorgungsnetzen erheblich berührt werden, bei der Regulierungsbehörde einen Antrag auf Überprüfung dieses Verhaltens stellen. Die Regelung beruht auf europarechtlichen Vorgaben (etwa gemäß Art. 37 Abs. 11 RL 2009/72/EG bzw. Art. 60 Abs. 2 RL (EU) 2019/944), die davon ausgehen, dass die Regulierungsbehörde als Streitbeilegungsstelle fungiert (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 18; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 80). Wortlaut und Zweck erhellen, dass es auf ein konkretes Verhalten des Netzbetreibers ankommt, was folgerichtig in dem bei der Regulierungsbehörde zu stellenden Antrag unter Angabe der im Einzelnen anzuführenden Gründe für die Zweifel an der Rechtmäßigkeit zu umschreiben ist (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EnWG). Diese Verfahrensausgestaltung führt zwar nicht dazu, dass jede einzelne beanstandete Handlung des Netzbetreibers isoliert zu betrachten wäre und einen selbständigen Antragsgegenstand bildete. Vielmehr kann namentlich ein fortgesetztes gleichförmiges Verhalten Ausdruck eines einheitlichen Lebenssachverhalts sein (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - EnVR 22/17, juris Rn. 23). Knüpft ein auf § 31 EnWG gestützter Antrag aber an mehrere unterschiedliche Verhaltensweisen des Netzbetreibers an, so kann es sich jeweils um abgrenzbare selbständige Teile des Streitstoffs (im Unterschied zu bloßen Elementen eines Streitgegenstands) handeln, selbst wenn die angeblichen Verstöße vom Beschwerdeführer einem gemeinsamen Oberbegriff - etwa der Verpflichtung zur „korrekten Abrechnung“ - zugeordnet werden. Unter solchen Umständen hat sich die Beschwerdebegründung in Anlehnung an die Rechtsprechung zur zivilprozessualen Berufungsbegründung (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 11 m.w.N.) auf alle vom Begehren umfassten Teile des Streitstoffs zu erstrecken (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 - Verg W 12/05, juris Rn. 78).</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Danach ist die umfassend eingelegte Beschwerde unzulässig, soweit sie sich nicht näher dazu verhält, dass im Beschluss vom 23. September 2021 geprüft worden ist, ob ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund der Erstellung unrichtiger Abrechnungen oder des Nichtauskehrens zu Unrecht gezahlter Beträge festzustellen sei. Denn hierbei handelt es sich um einen Teil des Streitstoffs, der von dem in der Beschwerdebegründung thematisierten Verfahrensgegenstand abgrenzbar und einer selbständigen Beurteilung zugänglich ist.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Der - völlig vage geäußerte und inhaltlich nicht weiter nachvollziehbare - Vorwurf des Marktmissbrauchs wegen Nichtauszahlung ist auch nicht deshalb ein bloßes Element des in der Beschwerdebegründung thematisierten Kündigungsrechts, weil ein solches Recht im Einzelfall infolge einer Aufrechnung mit Gegenansprüchen entfallen mag. In inhaltlicher Hinsicht ist das besondere Missbrauchsverfahren gemäß § 31 EnWG auf eine Überprüfung beschränkt, ob und inwieweit ein gerügtes Verhalten eines Netzbetreibers mit den Bestimmungen in §§ 17 bis 28a EnWG, den auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie den nach § 29 EnWG festgelegten oder genehmigten Bedingungen und Methoden übereinstimmt (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 EnWG; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 81). So sind etwa die Verpflichtung zur Installation dezentraler Messeinrichtungen (BGH, Beschluss vom 14. April 2015 - EnVR 45/13, juris Rn. 20 ff.), der Anspruch auf Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 15 ff.), die Zulässigkeit von Kapazitätsbeschränkungen (BGH, Beschluss vom 1. September 2020 - EnVR 7/19, juris Rn. 14) oder die Weigerung zur Zahlung von sogenannten vermiedenen Netzentgelten nach § 18 Abs. 1 StromNEV (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 aaO Rn. 83) als taugliche Verfahrensgegenstände angesehen worden. Ferner hat der Bundesgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesnetzagentur sich im Verfahren nach § 31 EnWG auf die Prüfung beschränken könne, ob das beanstandete Verhalten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften in Einklang stehe, also nicht etwa gehalten sei, den Antragsgegner zur Erstattung zu Unrecht vereinnahmter Entgelte zu verpflichten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - EnVR 22/17, Rn. 26, juris), und dass ein schuldrechtlicher Auskunftsanspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2015 - EnVR 18/14, juris Rn. 20) oder ein Schadensersatzanspruch nicht Gegenstand eines Missbrauchsverfahrens sein könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2020 aaO Rn. 49).</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Diese Begrenzung des Verfahrensgegenstands schließt zwar weder eine Prüfung nicht-energierechtlicher (z.B. zivilrechtlicher) Vorfragen aus (BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 - EnVR 10/13, juris Rn. 50) noch wird die Aufsichtsbefugnis der Regulierungsbehörde durch eine gleichzeitige Zuständigkeit der Zivilgerichte eingeschränkt (BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 aaO Rn. 16; Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 aaO Rn. 93 m.w.N.). Das bedeutet aber nicht, dass die Vertragskonformität des Verhaltens der weiteren Beteiligten als solche einer umfassenden - den Zivilprozess ersetzenden - Überprüfung im Sinne des § 31 EnWG unterliegt, nur weil der Inhalt des zwischen ihr und der Beschwerdeführerin abgeschlossenen - später gekündigten - Lieferantenrahmenvertrags durch Festlegungen der Bundesnetzagentur vorgegeben wird (zurückgehend auf den Beschluss vom 16. April 2015 [BK6-13-042], abgeändert etwa durch Beschluss vom 20. Dezember 2017 [BK6-17-168]). Die mögliche, aber nicht immer tunliche (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 19) Prüfung von nicht-energierechtlichen Bestimmungen betrifft Vorfragen der angeblichen Zuwiderhandlung im Sinne von § 31 EnWG. Das besondere Missbrauchsverfahren dient also nicht umgekehrt dazu, die schuldrechtlichen Auswirkungen von Verstößen gegen die von § 31 EnWG erfassten Bestimmungen umfassend zu klären. Dementsprechend kann aus einer angeblichen schuldrechtlichen Rechtslage auch nicht auf die Einheitlichkeit des Streitgegenstands geschlossen werden.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vorgesagten hat die Bundesnetzagentur den erstmals am 16. März 2019 unterbreiteten Sachverhalt zu Recht nicht allein als bloße Vorfrage qualifiziert, sondern eigenständig abschlägig beschieden, zumal das Begehren der Beschwerdeführerin im behördlichen Verfahren insoweit ersichtlich auf Antragserweiterung gerichtet war. Dann aber hätte sich auch die Beschwerdebegründung hierauf erstrecken müssen.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Soweit die Beschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Dahinstehen kann, ob sich jedenfalls aus dem (nur) von der weiteren Beteiligten erwähnten Abschluss eines Prozessvergleichs am 10. Mai 2021 der Wegfall der Betroffenheit im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EnWG und die Unbegründetheit der Beschwerde ergeben. Denn das von der (zulässigen) Beschwerde umfasste Begehren war von vornherein unbegründet. Insbesondere hat es die Bundesnetzagentur zu Recht abgelehnt, eine missbräuchliche Kündigung des Lieferantenrahmenvertrags festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die Bundesnetzagentur zu Unrecht von Verzug hinsichtlich der Abschlagszahlungen für den April, Juli, November sowie Dezember 2018 ausgegangen sei. Danach besteht für den Senat keine Veranlassung, die Eingangsvoraussetzungen einer Vorauszahlung nach § 11 Nr. 2 Buchst. b des Lieferantenrahmenvertrags in Zweifel zu ziehen. Denn § 78 Abs. 4 Nr. 2 EnWG ist der Grundsatz zu entnehmen, dass das Gericht nicht gehalten ist, nicht angegriffene Feststellungen der Regulierungsbehörde von Amts wegen zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 6. November 2012 - EnVR 101/10, juris Rn. 30).</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Es bestand für die Bundesnetzagentur auch keine Veranlassung, den auf die unstreitige Nichtzahlung der Vorauskasse gestützten Ausspruch der Kündigung mit Blick auf die von der Beschwerdeführerin reklamierten Guthaben als missbräuchlich im Sinne von § 31 EnWG zu bewerten. Die Beschwerdeführerin hat schon nicht geltend gemacht, zu irgendeinem Zeitpunkt gegenüber der weiteren Beteiligten die Aufrechnung erklärt zu haben. Vielmehr sind die von ihr abgeschätzten Beträge offenbar ausschließlich klageweise geltend gemacht worden, wobei gemäß der Darstellung der weiteren Beteiligten die zivilrechtlichen Streitigkeiten inzwischen erledigt worden sind. Abgesehen davon dient das Verfahren nach § 31 EnWG - wie bereits dargelegt - nicht einer den Zivilprozess ersetzenden, umfassenden Überprüfung der Vertragskonformität des Verhaltens der weiteren Beteiligten. Hängt die Wirksamkeit einer Kündigung eines Lieferantenrahmenvertrags von wechselseitigen Zahlungsansprüchen und zivilrechtlich geprägten Vorfragen ab (wie etwa der Reichweite des Aufrechnungsverbots in § 8 Abs. 12 des Lieferantenrahmenvertrags, der zivilrechtlichen Bedeutung einer Nichtabforderung per REMADV oder der Wirkung einer nachträglichen Aufrechnung auf eine bereits erklärte Kündigung, siehe insoweit BGH, Urteil vom 19. September 2018 - VIII ZR 261/17, juris Rn. 45), so ist eine Beurteilung solcher Punkte regelmäßig nicht tunlich (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 - EnVR 12/17, juris Rn. 19), weil der Schwerpunkt des Streits gerade nicht die von § 31 EnWG erfassten Bestimmungen betrifft. Daher hat der Senat bereits zum Ausdruck gebracht, dass unter solchen Umständen im Verfahren nach § 31 EnWG nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung zu entscheiden, sondern vielmehr maßgeblich sei, ob diese offensichtlich unwirksam bzw. in Schädigungsabsicht ausgesprochen worden sei (vgl. dazu im Einzelnen Senatsbeschluss vom 23. Juni 2021 - VI-3 Kart 880/19 (V), S. 12 ff.). Das Vorliegen eben dieser Voraussetzungen hat die Bundesnetzagentur mit Recht verneint.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Auf die Frage nach der grundsätzlichen Verpflichtung der weiteren Beteiligten zur Anforderung der am 19. Februar 2019 bezifferten Vorauszahlung per INVOIC kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die Beschwerdeführerin hatte im fraglichen Zeitraum selbst den elektronischen Datenaustausch eingestellt. Soweit die Beschwerdeführerin meint, sie sei hierzu wegen der Verwendung eines unzulässigen Zertifikats berechtigt gewesen, trifft dies nicht zu. Der Senat nimmt Bezug auf seinen - auf eine andere Beschwerde der Beschwerdeführerin ergangenen - Beschluss vom 23. Juni 2021 aus dem Verfahren VI-3 Kart 880/19 (V), in dem es - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zutreffend - heißt (S. 14 f.):</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">„Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin eine mangelnde Fälligkeit aufgrund einer fehlerhaften Zustellung der Rechnungen, weil ein nicht zulässiges Zertifikat bei der Versendung verwendet worden sei. Sie verkennt insoweit, dass zwischen Zertifikaten mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur, die von einer natürlichen Person erstellt werden und einem fortgeschrittenen elektronischen Siegel, dessen Ersteller eine juristische Person ist, zu differenzieren ist. Da es sich bei der weiteren Beteiligten um eine juristische Person handelt, entspricht die unstreitige Verwendung eines fortgeschrittenen elektronischen Siegels den Vorgaben der eIDAS-VO und es ist nicht zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur diesbezüglich kein missbräuchliches Verhalten angenommen hat.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Gemäß Art. 3 Nr. 9 eIDAS-VO erstellt eine natürliche Person eine elektronische Signatur. Art. 26 lit. a und lit. b) eIDAS-VO schreibt entsprechend vor, dass eine fortgeschrittene elektronische Signatur dem Unterzeichner, mithin einer natürlichen Person, eindeutig zuzuordnen sein und diesen identifizieren muss. Neben dieser elektronischen Signatur für natürliche Personen sieht Art. 36 eIDAS-VO für juristische Personen das fortgeschrittene elektronische Siegel vor. Auch fortgeschrittene elektronische Siegel müssen gemäß Art. 36 lit. a) und lit. b) eIDAS-VO dem Siegelersteller zuzuordnen sein und diesen identifizieren. Der Siegelersteller ist indes gemäß Art. 3 Nr. 24 eIDAS-VO eine juristische Person.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Im Sinne dieser Vorgaben hat die von der Bundesnetzagentur am 20.12.2018 erlassene Festlegung zur Marktkommunikation 2020 (BK6-18-032) in Tenorziffer 5d ausdrücklich klargestellt, dass das Zertifikat auch dann ordnungsgemäß erstellt ist, wenn es die Anforderungen an ein fortgeschrittenes elektronisches Siegel im Sinne der eIDAS-VO erfüllt. Zwar galt diese Fassung erst ab dem 01.04.2019, die Bundesnetzagentur hat aber in der allgemeinen Begründung der Festlegung ausdrücklich dargelegt, dass „diese Präzisierung lediglich die Wiedergabe des auch bislang Gemeinten darstelle“ (S. 49 des Beschlusses, BK6-18-032). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin galt damit nicht, dass bis zum 31.03.2019 zwingend die Verwendung einer Signatur von der Bundesnetzagentur vorgeschrieben war.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu § 126a Abs. 1 BGB. Soweit hiernach der Einsatz einer qualifizierten elektronischen Signatur gefordert wird, greift diese Regelung nur, wenn die elektronische Form eine gesetzlich vorgesehene schriftliche Form gemäß § 126 BGB ersetzen soll. Da Rechnungen nicht der Schriftform des § 126 BGB genügen müssen, greift diese Regelung vorliegend nicht ein.“</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Soweit die Beschwerdeführerin meint, die Kündigung hätte wegen der geringen Höhe der rückständigen Beträge nicht erklärt werden dürfen („völlig außer Verhältnis“), dringt sie auch hiermit nicht durch. Gerade im Fall eines berechtigten Vorauszahlungsverlangens kann nicht schematisch aus der Höhe des Rückstands auf eine rechtsmissbräuchliche Kündigung geschlossen werden, da schon die Vorauszahlung an Verzug anknüpft. Im Übrigen liefe die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung auf eine ungerechtfertigte pauschale Privilegierung sogenannter kleiner Energielieferanten hinaus.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 90 Satz 1 EnWG. Da die Beschwerde keinen Erfolg hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tragen hat. Dies gilt angesichts ihres wesentlichen Beitrags zur Verfahrensförderung durch konstruktiven Sachvortrag sowie des kontradiktorischen Charakters des besonderen Missbrauchsverfahrens auch für die Auslagen der weiteren Beteiligten (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - VI-3 Kart 37/21 (V), juris Rn. 188).</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks"><strong>IV.</strong> Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss - die hinsichtlich der Teilverwerfung nicht etwa kraft Gesetzes analog § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO stattfindet - war nicht zuzulassen. Es fehlt an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 86 Abs. 2 EnWG. Insbesondere haben die entscheidungserheblichen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung, weil deren richtige Beantwortung nicht zweifelhaft ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - KVZ 40/05, juris Rn. 2; Senatsbeschluss vom 27. April 2022 - VI-3 Kart 87/21 (V), juris Rn. 81).</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><strong>V.</strong> Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO auf … Euro festzusetzen. Soweit die weitere Beteiligte darauf verwiesen hat, dass ihr Aufwand hoch gewesen sei, rechtfertigt dies für sich genommen nicht die von der weiteren Beteiligten angeregte Wertfestsetzung auf … Euro. Denn maßgeblich ist im Ausgangspunkt das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführerin.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung</span>:</strong></p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 1. Januar 2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist durch einen beim Oberlandesgericht Düsseldorf oder beim Bundesgerichtshof einzureichenden Schriftsatz binnen einem Monat zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts (Bundesgerichtshof) verlängert werden. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§ 87 Abs. 4 Satz 1, § 80 Satz 2 EnWG).</p>
346,600
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3 Kart 76/21
2022-08-10T00:00:00
2022-09-16T10:02:11
2022-10-17T11:10:15
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART76.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur vom 2. März 2021 (8031 BK6-20-289) wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur trägt die Beschwerdeführerin.</p> <p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf … Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Kostenbescheid der Bundesnetzagentur vom 2. März 2021 (8031 BK6-20-289) anlässlich einer behördlichen Entscheidung über einen zuvor von der Beschwerdeführerin nach § 31 EnWG gestellten Antrag.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Verfahrens nach § 31 EnWG und des anschließenden Beschwerdeverfahrens wird umfassend auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tage aus der Sache VI-3 Kart 75/21 (V) Bezug genommen. Mit diesem wurde die dortige Beschwerde der Beschwerdeführerin teilweise als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur hatte mit dem eingangs genannten Bescheid eine Gebühr von 3.000 Euro festgesetzt. In der - hier insgesamt in Bezug genommenen - Entscheidung heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Kostenschuldner ist gemäß § 91 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2a EnWG im Fall eines besonderen Missbrauchsverfahrens … der Antragsteller, wenn der Antrag abgelehnt wird …</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Bei der Festlegung der Höhe der konkreten Gebühr sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend, wobei der Regulierungsbehörde ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt … Um dem individuell angefallenen Aufwand … gerecht zu werden, hat die Bundesnetzagentur … bewährte Kriterien festgelegt. Diese Aufwandsstunden bilden den entstandenen Verwaltungsaufwand ab.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">9</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Nr.</p> </td> <td><p>Gebührentatbestand</p> </td> <td><p>Aufwandsstufe</p> <p>sehr gering</p> </td> <td><p>… gering</p> </td> <td><p>… durchschnittlich</p> </td> <td><p>… hoch</p> </td> <td><p>… sehr hoch</p> </td> </tr> <tr><td><p>8.</p> </td> <td><p>… § 31 Abs. 3 EnWG</p> </td> <td><p>1.500 €</p> </td> <td><p>3.000 €</p> </td> <td><p>10.000 €</p> </td> <td><p>30.000 €</p> </td> <td><p>90.000 €</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vorliegend stelle ich fest, dass im gegenständlichen Verfahren ein geringer Verwaltungsaufwand … entstanden ist. Die Prüfung … beinhaltete rechtliche und technische Fragestellungen. Die Prüfung, Entscheidungsfindung und Finalisierung des Beschlusses erfolgte mit einem geringen Personal- und Sachaufwand. …</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Zur Bemessung der Gebührenhöhe kann gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 EnWG über den Verwaltungsaufwand hinaus der wirtschaftliche Wert … berücksichtigt werden. …</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">… Vorliegend macht die Bundesnetzagentur von … [ihrem] Ermessen Gebrauch und sieht von einer Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes bei der Gebührenfestsetzung ab.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vorausgegangen war der Gebührenfestsetzung ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs eine Erfassung des zeitlichen Aufwands (37,5 Stunden).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Beschwerde geltend, dass der festgesetzte Betrag in keiner Relation zu dem tatsächlichen Aufwand stehen könne. Die Höhe sei nicht durch das Ermessen der Bundesnetzagentur gedeckt und nicht nachvollziehbar, sondern willkürlich. Weil die Bundesnetzagentur auf einen pauschalen Betrag aus einer selbst gefertigten Tabelle abstelle, habe sie sich gerade nicht - wie erforderlich - mit den Umständen des Einzelfalls befasst. Die Zielsetzung einer Gewinnvermeidung lasse sich nur realisieren, wenn der tatsächliche Aufwand nachvollzogen werde. Nur so werde auch § 91 Abs. 3 Satz 1 EnWG entsprochen. Ohne Kenntnis des tatsächlichen Zeitaufwands könne die Plausibilität der Festsetzung nicht nachvollzogen werden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Allerdings zeige schon eine realitätsnahe Überlegung, dass die Gebührenforderung völlig unangemessen sei. Die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Tätigkeit habe aus Sicht der Beschwerdeführerin maximal fünf Arbeitsstunden in Anspruch genommen, wobei eine Arbeitsstunde eines Beschäftigten des höheren Dienstes mit 60 Euro zu veranschlagen sei. Um bei diesem Stundensatz den Betrag von 3.000 Euro rechtfertigen zu können, hätte ein Aufwand von 50 Stunden betrieben werden müssen. Ein solcher Aufwand werde bestritten. Im Übrigen kranke die Ermessensausübung auch daran, dass eine Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes nicht einmal in die Erwägungen einbezogen worden sei.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">den Gebührenfestsetzungsbescheid vom 2. März 2021 (8031 BK6-20-289) aufzuheben und die Bundesnetzagentur zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">              die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Sie macht geltend, in dem von Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV vorgegebenen Rahmen ein System für eine differenzierte und dem Einzelfall angepasste Gebührenfestsetzung entwickelt zu haben. Einer stundengenauen Dokumentation der Kosten habe es nicht bedurft, jedenfalls weil die Gebühr noch nicht einmal in die Nähe der Mittelgebühr komme. Die maßgeblichen Erwägungen seien im Bescheid aufgezeigt worden.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Insbesondere sei auch das - durch § 91 Abs. 3 Satz 2 EnWG eingeräumte - Ermessen hinsichtlich der Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes oder Nutzens ordnungsgemäß ausgeübt worden. Eine Inäquivalenz sei auch nicht naheliegend gewesen. Die wirtschaftliche Bedeutung könne zwar nicht genau beziffert werden, dürfe aber oberhalb der angefochtenen Gebühr liegen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schriftsätze, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Verhandlungsprotokoll vom 22. Juni 2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong></p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde unterliegt der Zurückweisung.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Der von der Beschwerdeführerin formulierte Antrag entspricht im Wesentlichen einer auf Neubescheidung gerichteten Verpflichtungsbeschwerde (§ 75 Abs. 3 EnWG). Analog § 88 VwGO ist aber nicht der Antragswortlaut, sondern das Begehren maßgeblich. Danach ist die Beschwerde als Anfechtungsbeschwerde statthaft. Denn es geht der Beschwerdeführerin um die Beseitigung eines belastenden Kostenbescheids (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Februar 2011 - VI-3 Kart 274/09 (V), juris Rn. 24).</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ein Bedürfnis für eine Verpflichtungsbeschwerde besteht nicht, auch eingedenk der geltend gemachten Ermessensfehler und der immerhin ansatzweise eingeräumten Gebührenpflicht. Ist ein Gebührenbescheid aufgrund eines Ermessensdefizits rechtswidrig und nicht in einem rechtlich unbedenklichen Umfang teilweise aufrechtzuerhalten, kommt es zur Vollaufhebung. Bei einem eventuell nachfolgenden Neuerlass müsste die Beschwerdeführerin nicht eine Fehlerwiederholung besorgen. Denn eine Bindungswirkung an die in den Entscheidungsgründen dargelegte gerichtliche Rechtsauffassung besteht nicht nur im Fall eines rechtskräftigen Verpflichtungsbeschlusses (zur Übertragbarkeit verwaltungsprozessualer Grundsätze in dieser Konstellation BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 - EnVR 33/19, juris Rn. 19). Vielmehr ist es der Bundesnetzagentur auch nach einer erfolgreichen Anfechtungsbeschwerde untersagt, bei unveränderter Sach- und Rechtslage einen neuen Bescheid aus den gerichtlich missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. zur Anfechtungsklage BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12/92, juris Rn. 12).</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Die Beschwerde ist allerdings unbegründet. Die Bundesnetzagentur hat die Gebühr rechtmäßig festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG erhebt die Regulierungsbehörde Kosten für Amtshandlungen nach § 31 Abs. 2 und 3 EnWG. Kostenschuldner ist der Antragsteller, wenn der Antrag abgelehnt wird (§ 91 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EnWG). Gemäß § 91 Abs. 3 EnWG sind die Gebührensätze - vorbehaltlich einer Ermäßigung aus Gründen der Billigkeit - so zu bemessen, dass die mit den Amtshandlungen verbundenen Kosten gedeckt sind, wobei darüber hinaus der wirtschaftliche Wert, den der Gegenstand der gebührenpflichtigen Handlung hat, berücksichtigt werden kann. Die danach zu erhebenden Gebühren ergeben sich im Einzelnen aus der aufgrund von § 91 Abs. 8 EnWG erlassenen Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen der Bundesnetzagentur nach dem Energiewirtschaftsgesetz vom 14. März 2006 (EnWGKostV). Unter Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV ist geregelt, dass bei Entscheidungen der Regulierungsbehörde nach § 31 Abs. 3 EnWG Gebühren von 500 bis 180.000 Euro anfallen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rahmengebühr mit höherrangigem (etwa Gesetzes- oder Verfassungs-) Recht bestehen nicht.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><strong>2.1.</strong> Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV verstößt insbesondere nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, wobei zu Gunsten der Beschwerdeführerin unterstellt wird, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur (EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-718/18, juris Rn. 112 ff.) für das Gebührenrecht ohne Bedeutung ist, sich aus ihr mithin nicht eine Herabsetzung nationaler - nachfolgend aufgezeigter - Bestimmtheitsanforderungen zu ergeben vermag.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>2.1.1.</strong> Das Bestimmtheitsgebot fordert im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt (BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2018 - 1 BvR 45/15, juris Rn. 17). Unbestimmt ist eine Gebührenbestimmung danach etwa, wenn es an einem Gebührenrahmen fehlt und der Vorschrift auch sonst nicht Bemessungsfaktoren zu entnehmen sind, welche die Gebührenlast zumindest annähernd berechenbar machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7/12, juris Rn. 17). Aber auch bei der - hier erfolgten - Festlegung eines Gebührenrahmens kann ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliegen, namentlich wenn der Gebührenrahmen extrem weit gefasst ist und es an gebotenen näheren Regelungen zur Bemessungsgrundlage und Gebührenhöhe mangelt (vgl. BVerfG aaO Rn. 18 ff.). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht einen speziellen Gebührentatbestand für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, nach welchem die Höchstgebühr mehr als das 3000-fache der Mindestgebühr betrug, als mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar bewertet (vgl. BVerfG aaO).</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>2.1.2.</strong> Die hier maßgebliche Gebührenvorschrift nach Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV wahrt indes noch die sich aus dem Bestimmtheitsgebot ergebenden Anforderungen. Zwar ist der Gebührenrahmen weit gefasst, da die Höchstgebühr immerhin das 360-fache der Mindestgebühr beträgt. Das führt aber hier nicht zur Unbestimmtheit der Gebührenregelung. Denn während bei der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung etwa anhand der Art der beantragten Genehmigung oder der Vorhabenkosten differenziert werden kann (vgl. BVerfG aaO Rn. 21 und 25), ist eine solche vorwegnehmende Konkretisierung in den Fällen des § 31 EnWG nahezu ausgeschlossen. So fehlt es hier an normativ vorab eingrenzbaren Antragsgegenständen, da sich diese nach dem jeweiligen Begehren der Antragsteller richten mit der Folge einer außergewöhnlichen Vielfalt an potentiellen Fallkonstellationen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die gebotene Regelungsdichte wird auch nicht deshalb unterschritten, weil es in der EnWGKostV an weiteren Vorgaben zur Gebührenbemessung in Konkretisierung des § 91 Abs. 3 EnWG fehlt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung bemängelt, dass der dort maßgebliche verordnungsrechtliche Gebührentatbestand nur eine Bandbreite vorgebe, welche die Berücksichtigung des Verwaltungsaufwands und wirtschaftlichen Wertes - d.h. die Kriterien der Ermächtigungsnormen - überhaupt nicht erkennen lasse (vgl. BVerfG aaO Rn. 22 f.). Dies gilt aber nicht gleichermaßen für den weiten - jedoch nicht extrem weiten - Gebührenrahmen nach Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV. Denn vor allem aufgrund des grundsätzlichen Vorrangs des Kostendeckungsprinzips gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 EnWG (Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2020 - VI-3 Kart 16/20 (V), juris Rn. 39), das auch ausweislich der Verordnungsbegründung vom 23. Dezember 2005 (BR-Drucks. 927/05, S. 4) bei Erlass der Anlage zu § 2 EnWGKostV im Mittelpunkt stand, können die Betroffenen in noch ausreichender Weise voraussehen, worauf es bei der Heranziehung des Gebührenrahmens in erster Linie ankommen wird. Die Notwendigkeit einer Differenzierung anhand von Aufwandsstufen liegt danach auf der Hand. Deren eingehende Regelung in der EnWGKostV selbst war verzichtbar.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong>2.2.</strong> Es unterliegt auch keinen Bedenken, dass der verordnungsrechtliche Gebührenrahmen ausweislich der von der Bundesnetzagentur entwickelten Matrix offenbar keiner Dreiteilung dergestalt zugänglich ist, dass die (ungefähre) rechnerische Mitte Fälle mittlerer Art erfasst (vgl. dazu allerdings OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2017 - 9 A 2655/13, juris Rn. 91 ff.). Abermals ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach § 31 EnWG besondere Eigenheiten aufweist und gerade von dem behördlich unbeeinflussbaren Begehren des jeweiligen Antragstellers geprägt wird. Deshalb kann weder dem Verordnungsgeber vorgeworfen werden, er habe gänzlich unterschiedliche Amtshandlungen mit unterschiedlichem Verwaltungsaufwand gleichheitswidrig in einen einheitlichen Gebührenrahmen einbezogen (siehe dazu OVG NRW aaO Rn. 103), noch ergeben sich durchgreifende Bedenken aus der Entwicklung von mehr als drei Aufwandsstufen zum Zwecke der Erfassung der gesamten (typischen) Bandbreite.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks"><strong>2.3.</strong> Die verordnungsrechtliche Vorgabe eines Gebührenrahmens an Stelle einer Zeitgebühr ist auch nicht wegen des Vorrangs des Kostendeckungsprinzips gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 EnWG unzulässig. Zwar wird bisweilen darauf hingewiesen, dass Zeitgebühren besonders eng an den tatsächlichen Personal- oder Sachaufwand anknüpfen, sich also im Gegensatz zu Fest-, Rahmen- oder Wertgebühren nahezu ausschließlich an dem Kostendeckungsprinzip orientieren (so OVG Niedersachsen, Urteil vom 25. Oktober 2001 - 12 LB 1872/01, juris Rn. 19). Der Gebührengesetzgeber verfügt aber innerhalb seiner jeweiligen Regelungskompetenz über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum. Dies betrifft die Entscheidungen darüber, welche individuell zurechenbaren Leistungen der Gesetzgeber einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausgehenden Zwecke er dabei anstreben will (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 1 BvR 645/08, juris Rn. 13; siehe auch BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1997 - 11 C 12/95, juris Rn. 19). Hiermit wäre ein starrer Vorrang der Zeitgebühr unvereinbar (siehe hierzu die Gleichrangigkeit der Gebührenarten in § 11 BGebG trotz der von BT-Drucks. 17/10422, S. 101 hervorgehobenen Bedeutung des Kostendeckungsprinzips).</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>2.4.</strong> Schließlich sind Anhaltspunkte für anderweitige rechtliche Mängel weder dargelegt (vgl. zur Kalkulation BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1/01, juris Rn. 44) noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist die Mindestgebühr von 500 Euro nicht derart hoch, dass im Lichte der Bestimmungen in Art. 37 Abs. 11 RL 2009/72/EG bzw. Art. 60 Abs. 2 RL (EU) 2019/944 von einer abschreckenden Wirkung auszugehen wäre, zumal § 91 Abs. 3 Satz 3 EnWG eine Ermäßigung der Gebühr ermöglicht (siehe hierzu auch OVG Hamburg, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 3 Bf 28/19, juris Rn. 68).</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> An der Rechtmäßigkeit der Gebührenbemessung selbst bestehen keine Zweifel.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.</strong> Es ist nicht zu beanstanden, dass die Gebühr allein anhand der Regelung der Nr. 8 der Anlage zu § 2 EnWGKostV bemessen worden ist, obwohl der auf § 31 EnWG gestützte Antrag teilweise als unzulässig zurückgewiesen worden ist. Eine - gesetzlich ohnehin nicht geregelte, allenfalls in sinngemäßer Anwendung der Kostenteilungsregelung in § 91 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EnWG denkbare - anteilige Festsetzung der Gebühr anhand von Nr. 7 der Anlage zu § 2 EnWGKostV kam nicht in Betracht. Denn dieser Gebührenrahmen (50 Euro bis 5.000 Euro) betrifft nicht sämtliche Fälle der Unzulässigkeit eines Antrags, sondern vielmehr allein die Verfehlung der in § 31 Abs. 2 EnWG genannten Antragsformalien. Darum ging es hier aber nicht.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.</strong> Soweit die Beschwerdeführerin eine willkürliche und nicht nachprüfbare Bewertung des Verwaltungsaufwands behauptet und der Auffassung ist, dass allenfalls fünf Arbeitsstunden berücksichtigungsfähig seien, ist das Vorbringen ungeeignet, die Richtigkeit der von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Einstufung in Zweifel zu ziehen.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Erstens läuft die von der Beschwerdeführerin eingeforderte rein zeitbezogene Betrachtung auf eine unzulässige Gleichsetzung von Zeit- und Rahmengebühren hinaus. Ist die Gebühr - wie hier - anhand eines Gebührenrahmens zu bemessen, ist die Feststellung des Zeitaufwands lediglich ein Anknüpfungspunkt für die Einordnung in den Gebührenrahmen mit Blick darauf, ob sich die Amtshandlung im konkreten Fall als (sehr) einfach, durchschnittlich oder (sehr) aufwändig dargestellt hat (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2017 - 9 A 776/15, juris Rn. 17).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Zweitens ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin zum angeblichen zeitlichen Personalaufwand aufgrund seiner Pauschalität nicht geeignet, die Richtigkeit der von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Einstufung in Zweifel zu ziehen. Ihre Aufwandsschätzung erschöpft sich in Behauptungen ohne jeden Bezug zum konkreten Verfahren. Unter solchen Umständen bedarf es keiner Aufklärung des Zeitaufwands im Einzelnen (vgl. OVG NRW aaO Rn. 30), zumal die Stundendokumentation in der Verwaltungsakte sich als plausibel erweist. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist im Verfahren nach § 31 EnWG ausweislich der dortigen Beschlussgründe umfassend geprüft worden. Eine schlichte Bezugnahme auf frühere Verwaltungsentscheidungen ist nicht erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><strong>3.3.</strong> Die Beschwerdeführerin dringt auch nicht mit ihrem Vorbringen zu einem angeblichen Ermessensausfall durch.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Funktion der von der Bundesnetzagentur hier herangezogenen Matrix besteht in  der Sicherstellung einer einheitlichen und gleichmäßigen Berechnungspraxis (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2020 - VI-3 Kart 19/20 (V), juris Rn. 50). Wesentliche Abweichungen vom Regelfall müssen danach zwar weiterhin berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 1990 - 1 B 114/89, juris Rn. 11). Anhaltspunkte für besondere Umstände sind aber nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Dass die Bundesnetzagentur davon abgesehen hat, über den Verwaltungsaufwand hinaus auch den wirtschaftlichen Wert zu berücksichtigen, führt ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids. Es kann zu Gunsten der Beschwerdeführerin - im Einklang mit dem energiewirtschaftlichen Schrifttum (Wende in Säcker, Berliner Kommentar zum EnWG, 4. Auflage § 91 EnWG Rn. 32) - unterstellt werden, dass die Vorschrift des § 91 Abs. 3 Satz 2 EnWG auch in den  Fällen des § 31 EnWG uneingeschränkt Anwendung findet, obwohl das Verfahren auf den Erlass belastender Maßnahmen gerichtet ist (siehe hierzu OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2017 - 9 A 2655/13, juris Rn. 79 f.). Die alleinige Orientierung am Verwaltungsaufwand war aber auch danach nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere ist ein Missverhältnis zwischen Gebührenhöhe und dem von der Beschwerdeführerin vergeblich erhofften Vorteil nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 90 Satz 1 EnWG.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong>IV.</strong> Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss kam nicht in Betracht. Denn gegen Beschwerdeentscheidungen in Kostensachen nach § 91 EnWG findet die Rechtsbeschwerde nicht statt, da es sich nicht um eine in der Hauptsache erlassene Entscheidung im Sinne des § 86 Abs. 1 EnWG handelt (Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2020 - VI-3 Kart 19/20 (V), juris Rn. 57 m.w.N.; siehe zum Begriff der Hauptsache auch BGH, Beschluss vom 6. Dezember 1962 - KVZ 1/62, juris Rn. 6).</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><strong>V.</strong> Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren war auf … Euro festzusetzen.</p>
346,552
vg-koln-2022-08-10-10-l-115922
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10 L 1159/22
2022-08-10T00:00:00
2022-09-14T10:01:34
2022-10-17T11:10:07
Beschluss
ECLI:DE:VGK:2022:0810.10L1159.22.00
<h2>Tenor</h2> <ul class="ol"><li><p>1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zum Schuljahr 2022/23 vorläufig in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe von C.     Fünfte, Inklusive Gesamtschule der Stadt C1.    aufzunehmen.</p> </li> </ul> <p>Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</p> <p>Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.</p> <p>                2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag des Antragstellers,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe von C.     Fünfte, Inklusive Gesamtschule der Bundesstadt C1.    zum Schuljahr 2022/2023 aufzunehmen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, über den Antrag auf – hilfsweise vorläufige – Aufnahme des Antragstellers in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe von C.     Fünfte, Inklusive Gesamtschule der Bundesstadt C1.    zum Schuljahr 2022/2023 nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei erneut zu entscheiden,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (I.). Hingegen ist der Antrag unbegründet, soweit der Antragsteller einen Anspruch auf endgültige Schulaufnahme verfolgt (II.).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">I. Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen erforderlich ist. Der geltend gemachte Anordnungsanspruch und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der in dem Hauptantrag sinngemäß als Hilfsantrag enthaltene Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners, ihn zum Schuljahr 2022/2023 vorläufig in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe an der inklusiven Gesamtschule C.     Fünfte (im Folgenden: H.  C2.  ) aufzunehmen, ist begründet. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf vorläufige Aufnahme (1.) sowie den Anordnungsgrund (2.) glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Aufnahme in eine Schule ist § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW. Danach entscheidet über die Aufnahme eines Schülers in die Schule die Schulleiterin innerhalb des vom Schulträger hierfür festgelegten Rahmens, insbesondere der Zahl der Parallelklassen pro Jahrgang. Die Aufnahme in eine Schule kann nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW abgelehnt werden, wenn ihre Aufnahmekapazität erschöpft ist.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach der gegenwärtigen Aktenlage hat die Schulleiterin der H.  C2.  den Aufnahmeantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt, weil der sich aus § 46 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW ergebende, auf die Einführungsphase der H.  C2.  bezogene Aufnahmeanspruch des Antragstellers nicht durch den Einwand einer Kapazitätserschöpfung ausgeschlossen ist. Eine Erschöpfung der Aufnahmekapazität lässt sich im vorliegenden Verfahren nicht feststellen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahmekapazität einer Schule ergibt sich aus ihrer Zügigkeit in Verbindung mit der nach § 6 der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG NRW vom 18. März 2005 (GV.NRW. S. 218), in der Änderungsfassung durch Verordnung vom 5. Mai 2021 (GV.NRW. S. 595, 652) ‒ im Folgenden: VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW ‒ zu ermittelnden Klassenstärke. Die Bestimmung der Zügigkeit liegt dabei in der alleinigen Zuständigkeit des Schulträgers. Sie gehört zur Rahmenfestlegung des Schulträgers im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW. Die Zügigkeit einer Schule wird vom Schulträger bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe für die Organisation des örtlichen Schulwesens festgelegt. Ihn trifft nach §§ 81 Abs. 1, 82 SchulG NRW die Verpflichtung, durch schulorganisatorische Maßnahmen angemessene Klassen- und Schulgrößen zu gewährleisten, hierzu die Schulgrößen unter Beachtung von Mindestgrößen festzulegen und sicherzustellen, dass in den Schulen Klassen nach den Vorgaben des Ministeriums (§ 93 Abs. 2 Nr. 3 SchulG NRW) gebildet werden können.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Rahmenfestlegung im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW ist bei der Berechnung der Aufnahmekapazität für einen Schulleiter nach § 59 Abs. 11 Satz 2 SchulG NRW verbindlich,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 19 B 1153/18 ‒, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Schulleiterin hat bei der Ablehnung des Aufnahmeantrags des Antragstellers eine Aufnahmekapazität von 75 Schülerplätzen in der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe zugrunde gelegt. Ausgangspunkt ihrer Berechnung war die Annahme einer dreizügig geführten gymnasialen Oberstufe. Hierzu hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass die Schule in der Sekundarstufe I vierzügig geführt wird und es „üblich“ sei, die gymnasialen Oberstufen der Gesamtschulen mit einer geringeren Zügigkeit zu führen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nach Lage der Akten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zügigkeit für die gymnasiale Oberstufe der H.  C2.  auf drei Züge festgelegt worden ist. Es spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass die H.  C2.  in der gymnasialen Oberstufe vierzügig ist und die Schulleiterin ohne rechtliche Grundlage von einer Reduzierung dieser Zügigkeit ausgegangen ist bzw. diese selbst verfügt hat. Dies legt der in der Beratung befindliche Schulentwicklungsplan allgemeinbildende weiterführende Schulen 2021/22 der Stadt C1.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">- recherchierbar über „Bezugsquelle wurde entfernt“ Stichwort Schulentwicklungsplan -</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">nahe. Er gibt unter anderem einen Überblick über das derzeitige schulische Angebot weiterführender Schulen in C1.    . Soweit in einzelnen Schulen die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II jeweils in unterschiedlicher Zügigkeit geführt werden, wie in dem C3.         -Gymnasium, dem D.    -W.   P.         -Gymnasium, dem D1.     -T.        -Gymnasium, dem F.     -N.      -B.     -Gymnasium, dem G.         -F1.     -Gymnasium und dem U.           -Gymnasium, weist der Schulentwicklungsplan dies in dem Profil dieser Schulen jeweils ausdrücklich aus (S. 102 ff.). Dagegen beschreibt er die H.  C2.  als eine vierzügige Gesamtschule des Gemeinsamen Lernens, die sich im Ausbau zur Sechszügigkeit befindet, ohne hinsichtlich der Zügigkeit zwischen den Sekundarstufen zu differenzieren (S. 118, 119).</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner hat auf entsprechende gerichtliche Aufforderung nicht darlegen können, dass der Schulträger als zuständiger Entscheidungsträger hiervon abweichend eine geringere Zügigkeit für die gymnasiale Oberstufe, etwa eine Dreizügigkeit, festgelegt hat. Er geht nach Anfrage bei dem Schulträger davon aus, dass es keinen separaten Beschluss über die Zügigkeit der gymnasialen Oberstufe dieser Schule gibt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Spricht danach im summarischen Verfahren Überwiegendes für eine Vierzügigkeit der gymnasialen Oberstufe an der H.  C2.  , lässt sich nach Maßgabe der Bestimmungen zur Klassenstärke eine Kapazitätserschöpfung nicht feststellen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 6 Abs. 8 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW beträgt der Klassenfrequenzrichtwert in der gymnasialen Oberstufe 19,5. Bei der Bildung von Grund- und Leistungskursen darf deren durchschnittliche Teilnehmerzahl diesen Wert nicht unterschreiten. Während für die Sekundarstufe I Bandbreiten mit Obergrenzen vorgesehen sind (§ 6 Abs. 4 und 5 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG), gilt für die gymnasiale Oberstufe lediglich ein Wert, der keine Abweichung nach unten zulässt. Er bildet daher keinen unmittelbar begrenzenden Faktor bei der Ermittlung der Aufnahmekapazität. Auch § 82 Abs. 8 SchulG trifft lediglich Festlegungen zu einer Mindestbreite des Jahrgangs im ersten Jahr der Qualifikationsphase. Der Verzicht auf strikte Vorgaben zur Berechnung der Schülerhöchstzahl pro Zug erlaubt es der Schulleiterin, bei der Aufnahme von Schülern in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe eine Zugstärke von mehr als durchschnittlich 19,5 Schülern vorzusehen. Sie hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, um einer zu starken Reduzierung der Jahrgangsbreite im weiteren Verlauf der gymnasialen Oberstufe entgegenzusteuern. Nach Darlegung des Antragsgegners hat sie sich von der Erwägung leiten lassen, dass die Führung der gymnasialen Oberstufe mit entsprechendem Kursangebot von einer ausreichenden Schülerzahl abhängt, die sich jedoch im Verlauf der Oberstufe, insbesondere vor Eintritt in die Qualifikationsphase, erfahrungsgemäß durch Abgänge verringert. Dies ist nicht zu beanstanden. Da der Unterricht während der Einführungsphase in sechs Fächern im Klassenverband stattfindet,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">              vgl. „Bezugsquelle wurde entfernt“</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">ein Zug in dieser Jahrgangsstufe also tatsächlich einer Klasse entspricht, musste die Schulleiterin einen sachgerechten kapazitätsbestimmenden Klassenbildungswert für die Einführungsphase ermitteln. Hierzu hat sie als Klassenhöchstwert den unteren Bandbreitenwert gewählt, der nach § 6 Abs. 5 Satz 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW für die der Einführungsphase vorhergehende Jahrgangsstufe 10 gilt. Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen diese Vorgehensweise ergeben sich im vorliegenden Verfahren nicht. An ihr muss sich die Schulleiterin auch im Rahmen der tatsächlichen Zügigkeit der gymnasialen Oberstufe festhalten lassen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die daraus folgende Grenze von 25 Schülerplätzen pro Zug ergibt, die Vierzügigkeit der gymnasialen Oberstufe zugrunde gelegt, eine Gesamtkapazität von 100 Plätzen, die bislang nicht ausgeschöpft ist. Nach Darlegung des Antragsgegners wechseln 52 Schülerinnen und Schüler der H.  C2.  in die Einführungsphase. 31 Schulplätze sind im Losverfahren an auswärtige Bewerber vergeben worden. Nimmt man die zwei Bewerber hinzu, die dem Protokoll des Losverfahrens zufolge als Geschwister von gelosten Schülern zusätzlich aufgenommen worden sind, verbleiben bei 85 vergebenen Plätzen noch 15 freie Schulplätze.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Nichtausschöpfung der Kapazität führt zu einem vorläufigen Aufnahmeanspruch des Antragstellers. Der Antragsgegner hat keinen Hinweis darauf gegeben, dass neben dem Antragsteller noch ‒ mehr als 14 ‒ weitere Rechtsbehelfsführer um eine Aufnahme in die Einführungsphase der H.  C2.  streiten.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">2. Im Umfang dieses Anordnungsanspruchs hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die einstweilige Anordnung ist zur effektiven Durchsetzung seines Aufnahmeanspruchs erforderlich. Ihm ist angesichts des Unterrichtsbeginns am 10. August 2022 nicht zuzumuten, den Abschluss des Widerspruchsverfahrens und ggfs. eines sich daran anschließenden Klageverfahrens abzuwarten.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">II. Die Kammer geht aufgrund der Fassung des auf Neubescheidung zielenden Hilfsantrags, der zwischen einer Aufnahme und einer hilfsweise vorläufigen Aufnahme differenziert, davon aus, dass der Antragsteller mit dem auf eine Aufnahme in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe der H.  C2.  gerichteten Hauptantrag in erster Linie eine endgültige Aufnahme verfolgt. Der so verstandene Antrag ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ermöglicht unter den dargelegten Voraussetzungen eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes. Die dem Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einzuräumende Rechtsposition steht unter dem Vorbehalt des Ausgangs des in der Hauptsache geführten Widerspruchsverfahrens, ggfs. eines Klageverfahrens. Eine Verpflichtung des Antragsgegners zur endgültigen Aufnahme nähme die Hauptsache nicht nur für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, sondern auch für den sich daran anschließenden Zeitraum vorweg. Ein Bedürfnis hierfür ist auch im Hinblick auf die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht glaubhaft gemacht. Mit der vorläufigen Schulaufnahme sind die Rechte des Antragstellers für die Dauer des Hauptsacheverfahrens gesichert.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer im Eilverfahren die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts in Höhe des Auffangstreitwerts (5.000,00 Euro) zugrunde gelegt hat.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,526
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3 Kart 1203/16
2022-08-10T00:00:00
2022-09-13T10:01:22
2022-10-17T11:10:03
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART1203.16.00
<h2>Tenor</h2> <p>Nachdem die Beschwerdeführerinnen und die Bundesnetzagentur übereinstimmend die Erledigung erklärt haben, trägt die Bundesnetzagentur die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der den Beschwerdeführerinnen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen. Die Beteiligten zu 1 bis 3 tragen ihre Kosten selbst.</p> <p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf … Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>A.</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Zu entscheiden war lediglich noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und dessen Gegenstandswert, nachdem die Beschwerdeführerinnen und die Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 in Abwesenheit der nicht erschienenen Beteiligten zu 1 bis 3 übereinstimmend die Erledigung erklärt haben. Bis dahin haben die Beschwerden sich jeweils mit dem angekündigten Antrag zu 1, jüngst mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 neu gefasst, gegen einen von der Bundesnetzagentur und den Beteiligten zu 1 bis 3 im November 2016 unterzeichneten Vergleichsvertrag gerichtet. Mit diesem sollte eine Ausnahmegenehmigung nach § 28a EnWG abgeändert werden, die von der Bundesnetzagentur im Jahre 2009 für bestimmte Kapazitäten der Ostsee-Anbindungspipeline (im Folgenden: OPAL) erteilt worden war. Die weiteren Beschwerdeanträge haben auf der Zurückweisung von Beiladungsanträgen der Beschwerdeführerinnen beruht. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Die Beteiligten zu 1 bis 3</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligte zu 2 ist die Moskauer Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe, deren Geschäft im Wesentlichen darin besteht, russisches Erdgas zu produzieren, exportieren und transportieren. Die Beteiligte zu 3 ist deren alleinige Tochtergesellschaft nach russischem Recht und Großlieferantin von Erdgas auf dem deutschen und europäischen Markt. Bei der Beteiligten zu 1 handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht, deren Anteile zum Teil mittelbar von der Beteiligten zu 2 gehalten werden oder wurden.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Die Leitungen und die ursprüngliche Freistellung</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zum Zwecke des Transports des russischen Erdgases nutzen die zur Gruppe der Beteiligten zu 2 zählenden Gesellschaften - d.h. vor allem die auf das Exportgeschäft ausgerichtete Beteiligte zu 3 - unter anderem die im Jahre 2011 zunächst mit einem Strang und wenig später vollständig in Betrieb genommene Offshore-Gastransportleitung Nord Stream, deren technische Kapazität etwa 55 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr beträgt. Der Weitertransport des Gases vom Lubminer Anlandepunkt erfolgt zum einen über die Nordeuropäische Erdgasleitung (NEL) und zum anderen mittels der OPAL.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die ebenfalls im Jahre 2011 in Betrieb genommene OPAL war von einer Bruchteilseigentümergemeinschaft errichtet worden, der unter anderem die L GmbH & Co. KG mit einem Anteil von 80 % angehörte. Im Folgenden wurden die vorgenannten 80 % von der A GmbH gehalten, deren Anteile ihrerseits - unmittelbar und mittelbar - zu mehr als 50 % zum Vermögen der F GmbH zählen. Die Beteiligte zu 1 ist Fernleitungsnetzbetreiberin für die auf der Grundlage des erwähnten Miteigentumsanteils geschaffenen Transportkapazitäten. Ihre Anteile werden von der A GmbH gehalten.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die OPAL verläuft über eine Strecke von etwa 470 km in südlicher Richtung unter anderem durch Brandenburg und Sachsen. Ihr Endpunkt befindet sich in der Nähe zur deutsch-tschechischen Grenze im tschechischen Brandov. Die jährliche Einspeisungskapazität in Lubmin beträgt 36,5 Milliarden m<sup>3</sup> (46,3 Millionen kWh/h), die Kapazität des Ausspeisepunkts in Brandov beläuft sich auf 32 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr (40,5 Millionen kWh/h), während ein Netzkopplungspunkt im Umfeld von Groß-Köris in Brandenburg ausweislich der Feststellungen im nachfolgend genannten Beschluss vom 25. Februar 2009 (BK7-08-009) eine Kapazität von 4,5 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr (5,7 Millionen kWh/h) aufweist.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit dem besagten Beschluss lehnte die Bundesnetzagentur die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die NEL ab, nahm aber die auf Grundlage des genannten Miteigentumsanteils auf der OPAL geschaffenen Kapazitäten für eine Einspeisung in Deutschland und eine Ausspeisung in der Tschechischen Republik zu Gunsten der Beteiligten zu 1) für eine Dauer von 22 Jahren ab tatsächlicher Inbetriebnahme unter näher bezeichneten Voraussetzungen von der Regulierung aus. In der - hier insgesamt in Bezug genommenen - Entscheidung heißt es auszugsweise:</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">„1. Die auf Grundlage des Miteigentumsanteils … geschaffenen Kapazitäten werden zugunsten der Antragstellerin nach folgender Maßgabe von der Anwendung der §§ 20 bis 25 EnWG ausgenommen:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">a) Die Ausnahme gilt ausschließlich für Verbindungskapazitäten auf der OPAL mit Entry auf deutschem Staatsgebiet und Exit in Brandov. Hierbei sind unter Verbindungskapazitäten beschränkt zuordenbare Entry- und Exit-Kapazitäten zu verstehen, die nur gebündelt angeboten werden. Sofern die Höhe der angebotenen bzw. gebuchten Entry-Kapazität von der Höhe der angebotenen bzw. gebuchten Exit-Kapazität abweicht, erstreckt sich die Ausnahme insgesamt nur auf den niedrigeren der beiden Werte. …</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nicht ausgenommen sind damit insbesondere Gegenstromtransporte mit Entry in Olbernhau oder Brandov oder sonstige Transporte mit Entry oder Exit innerhalb Deutschlands, die der Versorgung von Letztverbrauchern … oder dem Weitertransport auf bestehenden Transportsystemen (z.B. der JAGAL oder STEGAL) dienen. Etwaige Notausspeisungen … stehen der Ausnahme nicht entgegen.“</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Ausnahmegenehmigung wurde der Europäischen Kommission sodann mitgeteilt, die mit Schreiben vom 12. Juni 2009 (K(2009) 4694) teilweise Bedenken anmeldete. Zwar stehe bei der OPAL der verbindende Charakter eindeutig im Vordergrund angesichts der Ausspeisekapazität innerhalb Deutschlands von lediglich 4,5 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr, und auf die Verbindungskapazitäten sei die Ausnahme auch beschränkt. Es bestünden aber Bedenken, ob die OPAL sich nicht negativ auf den Wettbewerb in der Tschechischen Republik auswirken könne. Eine wirksame Auflage müsse ausschließen, dass die zur Gruppe der Beteiligten zu 2 zählenden Unternehmen die OPAL ausschließlich oder zu ganz überwiegenden Teilen allein nutzten.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund forderte die Europäische Kommission die Bundesnetzagentur gemäß Art. 22 RL 2003/55/EG auf, die Entscheidung vom 25. Februar 2009 innerhalb von vier Wochen teilweise zu ändern. Die verlangte Änderung sah vor, dass Kapazitätsbuchungen durch Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen, die auf einem oder mehreren vor- oder nachgelagerten Gasmärkten, welche die Tschechische Republik oder die Lieferung von Gas in die Tschechische Republik umfassen, marktbeherrschend sind, am Ausspeisepunkt von Deutschland in die Tschechische Republik beschränkt werden, wenn nicht ein sogenanntes Gas-Release-Programm initiiert wird.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur änderte ihre Entscheidung vom 25. Februar 2009 mit Beschluss vom 7. Juli 2009 nach Maßgabe des Verlangens der Europäischen Kommission ab, indem sie unter Ergänzung des ursprünglichen Tenors - Ziffer 1 Buchst. j - die Buchungsmöglichkeit durch Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung auf den relevanten tschechischen Gasmärkten auf 50 % der jährlichen Ausspeisekapazität beschränkte. Diese Kapazitätsobergrenze durfte nach der abändernden Entscheidung jedoch überschritten werden, wenn das betroffene Unternehmen auf der OPAL eine Gasmenge von 3 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr in einem offenen, transparenten und nicht diskriminierenden Verfahren anbieten und die entsprechenden Kapazitätsrechte freigeben sollte.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Im Jahre 2013 wurde die im Beschluss vom 25. Februar 2009 erwähnte GAZELLLE in Betrieb genommen, die seither in Brandov über einen Netzkopplungspunkt mit der OPAL verbunden ist, über tschechisches Staatsgebiet verläuft und in dem bayerischen Waidhaus endet. Deren technische jährliche Ein- und Ausspeisekapazität beträgt 32,81 Milliarden m<sup>3</sup> (41,6 Millionen kWh/h). Sie ist von der Regulierung freigestellt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Bis zur Inbetriebnahme der GAZELLE war ein Bezug russischen Erdgases über Waidhaus nur mittels der BRUDERSCHAFT möglich. Hierbei handelt es sich um ein Leitungssystem, das durch die Ukraine verläuft und sodann über einen Grenzübergangspunkt in Velke Kapusany auf slowakischem und tschechischem Staatsgebiet weitergeführt wird, und dessen technische Kapazität etwa 140 Milliarden m<sup>3</sup>, wenigstens aber noch 132 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr beträgt. Über einen Abzweig nach Norden kann die BRUDERSCHAFT über den Grenzübergangspunkt Drozdowicze das polnische Netz aufspeisen. Betrieben wird die BRUDERSCHAFT auf ukrainischem Gebiet von dem Staatsunternehmen B.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Neben der BRUDERSCHAFT existiert seit dem Jahre 1999 mit der JAMAL eine weitere Importleitung aus Russland, welche den Hauptbestandteil des Transitsystems durch Weißrussland bildet und über den Grenzübergangspunkt in Kondratki nach Polen führt. Nach Überschreiten der deutsch-polnischen Grenze in Mallnow findet die JAMAL Anbindung an die JAGAL, welche ihrerseits mehrere Bundesländer durchquert. Die Kapazitäten der JAMAL (technisch 33 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr) dienen traditionell - d.h. bis zu den jüngsten Entwicklungen - weit überwiegend dem weiteren Transit in Ost-West-Richtung.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Betrieben wird die JAMAL auf polnischem Gebiet von der G S.A., wobei der Transit in der Vergangenheit insbesondere durch einen die Beteiligten zu 2 und 3 bindenden Vertrag aus dem Jahre 1995 geregelt wurde. Seit dem Auslaufen dieses Vertrags im Mai 2020 werden die polnischen JAMAL-Kapazitäten aufgrund regulierter Versteigerungen angeboten.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Im Jahre 2020 wurde außerdem die Turk Stream mit zwei Strängen in Betrieb genommen, welche nahe der türkisch-bulgarischen Grenze anlanden. Dort befinden sich Anschlussleitungen unter anderem nach Bulgarien.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nicht in Betrieb befindlich ist die Nord Stream 2, deren Kapazität der Nord Stream 1 entspricht. Die über die Nord Stream 2 transportierten Gasmengen sollten - im Wesentlichen analog zur OPAL und GAZELLE - mittels der EUGAL und ANTILOPA weitergeleitet werden. Die EUGAL ist allerdings nicht gemäß § 28a EnWG von der Regulierung ganz oder teilweise freigestellt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die OPAL selbst war seit ihrer Inbetriebnahme zu einem signifikanten Teil nicht ausgelastet. Denn von dem im Beschluss vom 7. Juli 2009 vorgesehenen Gas-Release-Programm hatten die zur Gruppe der Beteiligten zu 2 zählenden Unternehmen keinen Gebrauch gemacht. Das wiederum hatte Auswirkungen auf die Auslastung der Nord Stream.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Die Rolle der Beschwerdeführerinnen</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Bei der vom polnischen Staat beherrschten Beschwerdeführerin zu 1 handelt es sich um das größte polnische Gasversorgungsunternehmen. Sie steht - oder stand jedenfalls bis zu den aktuellen Entwicklungen infolge des Krieges in der Ukraine - bis zum Ende des Jahres 2022 vertraglich in einer auf das Jahr 1996 zurückgehenden Lieferbeziehung mit der Beteiligten zu 3, welche insbesondere die Nutzung der JAMAL beinhaltet. Daneben bezieht die Beschwerdeführerin zu 1 ihr Gas unter anderem von der Beschwerdeführerin zu 2, bei der es sich um eine im Jahre 2011 gegründete Tochtergesellschaft handelt, die insbesondere Lieferungen über Mallnow abwickelt. Darüber hinaus hält die Beschwerdeführerin zu 1 unmittelbar 48 % und mittelbar 4 % der Anteile an der E S.A., in deren Eigentum der polnische Abschnitt der JAMAL steht, während die JAMAL-Betreiberin (G S.A.) außerhalb des Konzerns der Beschwerdeführerin zu 1 gegründet worden war. Die weiteren Anteile an der E S.A. zählen zum Vermögen der Beteiligten zu 2. Ihr gehört indirekt auch der weißrussische Abschnitt der Pipeline.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>IV.</strong> Die Abänderung der Freistellungsentscheidung</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten zu 1 bis 3 hatten im April 2013 einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die im Beschluss vom 7. Juli 2009 geregelte Buchungsbeschränkung und das darin vorgesehene Gas-Release-Programm gestellt. Der Antrag wurde allerdings kurz nach seinem Eingang ruhend gestellt.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Oktober 2013 schlossen die Bundesnetzagentur und die Beteiligten zu 1 bis 3 einen öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag, der später (im April und Juli 2014) punktuell durch Nachtragsvereinbarungen abgeändert wurde.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">In der Präambel des Vertrags wurde unter anderem auf die Auffassung der Beteiligten zu 1 bis 3 zu einer angeblich erfolgreichen Entwicklung des tschechischen Marktes Bezug genommen. Der Vertrag sah hiernach - verkürzt - eine Abänderung der bisherigen Freistellungsentscheidung dahingehend vor, dass neben vollständig von der Regulierung ausgenommenen sogenannten gekoppelten Verbindungskapazitäten (15.864.532 kWh/h) weitere Kapazitäten in gleicher Höhe teilreguliert sein sollten. Hierbei handelte es sich um getrennt buchbare, feste dynamisch zuordenbare Einspeise- und Ausspeisekapazitäten in Greifswald bzw. Brandov mit einem unterbrechbaren Zugang zum Virtuellen Handelspunkt (DZK) sowie getrennt buchbare, feste frei zuordenbare Ausspeisekapazitäten in Brandov (FZK). Ausweislich § 1 Abs. 2 Buchst. b sollte die Beteiligte zu 1 verpflichtet sein, die teilregulierten Kapazitäten am Ausspeisepunkt Brandov im Umfang von 1.800.000 kWh/h als FZK und im Übrigen als DZK anzubieten. Weiterhin wurde unter anderem geregelt, dass die Wirksamkeit der Regelungen in § 1 und § 2 des Vertrags unter in § 3 näher beschriebenen aufschiebenden Bedingungen - etwa einer Zustimmung der Europäischen Kommission - stehe. Insoweit kam es jedoch zum Bedingungsausfall.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 13. März 2015 (BK7-13-031) wies die Bundesnetzagentur den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zurück. Dagegen legten die Beteiligten zu 1 bis 3 Beschwerde ein. Das dazugehörige Verfahren VI-3 Kart 92/15 (V) war beim Senat anhängig, endete aber später ohne Sachentscheidung nach Rücknahme der Beschwerden.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Am 11. Mai 2016 schlossen die Bundesnetzagentur und die Beteiligten zu 1 bis 3 abermals einen Vergleichsvertrag, der inhaltlich im Wesentlichen der schon im Jahre 2013 erzielten Einigung entsprach. Mithin wurden erneut unter anderem die teilregulierten Kapazitäten und ferner vereinbart, dass die aufschiebende Bedingung nach § 3 Abs. 2 als ausgefallen gelten sollte, wenn die Europäische Kommission die Änderung des Vertrags oder dessen Widerruf verlangen sollte, wobei die Bindung an die Regelungen in § 4 und § 5 in diesem Fall bestehen bleiben sollte. § 5 sah insbesondere die Aufnahme von Verhandlungen vor, sollten die Regelungen unter § 1 ganz oder teilweise nichtig oder unwirksam sein. Als Ziel solcher Verhandlungen wurde eine Anpassung des Vertrags innerhalb von sechs Monaten beschrieben, die dem Gleichgewicht der Interessen, das dem Vergleichsvertrag zugrunde liege, Rechnung trage. Über den Vertragsabschluss informierte die Bundesnetzagentur am 13. Mai 2016 auf ihrer Internet-Seite unter der Rubrik „Aktuelles“.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Europäische Kommission, welcher der Vertrag umgehend zugeleitet worden war, wies am 31. Mai 2016 auf die für sie geltenden Fristen nach Art. 36 RL 2009/73/EG hin und räumte Dritten die Gelegenheit ein, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu beziehen. Im Juli und September 2016 kam es zu Nachtragsvereinbarungen, um der Dauer der Prüfung durch die Europäische Kommission Rechnung zu tragen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Am 7. Oktober 2016 ging bei der Bundesnetzagentur ein auf den 23. September 2016 datiertes und in englischer Sprache verfasstes Schreiben der Beschwerdeführerin zu 2 ein, in welchem sie unter anderem geltend machte, dass die existierenden Transportwege durch Osteuropa die Versorgung gewährleisteten, und dass ein zivilrechtlicher Vertrag nicht Grundlage einer Ausnahme nach § 28a EnWG sein könne. Die Bundesnetzagentur antwortete per E-Mail vom 13. Oktober 2016.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 28. Oktober 2016 (C(2016) 6950 final) „genehmigte“ die Europäische Kommission die mit dem Vergleichsvertrag verbundenen und ihr vorgelegten Änderungen der Freistellungsentscheidung, allerdings nur unter gewissen Vorbehalten. Im Ergebnis forderte die Europäische Kommission die Bundesnetzagentur im Wesentlichen dazu auf, den Anteil der FZK auf 3.200.000 kWh/h zu erhöhen, wobei es unter näher beschriebenen Voraussetzungen maximal zu einer Verdoppelung kommen sollte (d.h. 6.400.000 kWh/h) mit der weiteren Maßgabe, dass insbesondere Unternehmen, die mehr als 50 % des in Greifswald ankommenden Erdgases kontrollierten, Gebote für FZK nur zum Basispreis abgeben dürften.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Im Nachgang schlossen die Bundesnetzagentur und die Beteiligten zu 1 bis 3 abermals einen (hier insgesamt in Bezug genommenen) Vergleichsvertrag, der Unterschriftsdaten vom 25., 26. und 28. November 2016 aufweist und mit welchem das Änderungsverlangen der Europäischen Kommission umgesetzt werden sollte. Auszugsweise heißt es darin:</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">„In dem … Willen, den Vereinbarungen … im Lichte der Kommissionsentscheidung wieder Geltung zu verschaffen, schließen die Parteien im Wege eines gegenseitigen Nachgebens folgenden öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag:</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">§ 1</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Änderung der OPAL-Freistellungsentscheidung</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">(1) Für den verbleibenden Zeitraum bis zum Ablauf der Frist nach Ziffer 1 lit. h) … wird die OPAL-Freistellungsentscheidung unmittelbar … dahingehend geändert, dass</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">a) die Nebenbestimmungen zu Buchungsbeschränkungen aufgehoben werden,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">b) OGT-Einspeisekapazitäten in Höhe von 15.864.532 kWh/h (d.h. 50 % der OGT-Einspeisekapazitäten) am Einspeisepunkt Greifswald sowie OGT-Ausspeisekapazitäten in gleicher Höhe am Ausspeisepunkt Brandov … sowohl von der Netzzugangsregulierung als auch von der Netzentgeltregulierung ausgenommen werden,</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">c) OGT-Einspeisekapazitäten in Höhe von 15.864.532 kWh/h (d.h. 50 % der OGT-Einspeisekapazitäten) am Einspeisepunkt Greifswald sowie OGT-Ausspeisekapazitäten in gleicher Höhe am Ausspeisepunkt Brandov … von der Netzentgeltregulierung ausgenommen sind … („teilregulierte OGT-Kapazitäten“).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(2) Bis zum 06. März 2017 oder … bis zum Abschluss des ersten Auktionsverfahrens von Jahreskapazitäten … gilt … Folgendes:</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">a) … [Die Beteiligte zu 1] ist berechtigt und verpflichtet, die teilregulierten OGT-Kapazitäten … in Form folgender Kapazitätsprodukte anzubieten:</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">i) feste dynamisch zuordenbare Kapazität („DZK“), bei der feste Kapazitäten für die Einspeisung am Einspeisepunkt Greifswald und feste Kapazitäten für die Ausspeisung am Ausspeisepunkt Brandov mit einem unterbrechbaren Zugang zum Virtuellen Handelspunkt … verbunden sind, sowie</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">ii) feste frei zuordenbare Kapazität („FZK“) für die Ausspeisung am Ausspeisepunkt Brandov, die uneingeschränkt für den Gastransport vom Virtuellen Handelspunkt … zum Ausspeisepunkt Brandov genutzt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">b) … [Die Beteiligte zu 1] ist berechtigt und verpflichtet, die teilregulierten OGT-Kapazitäten als Einspeisekapazitäten am Einspeisepunkt Greifswald ausschließlich als DZK anzubieten.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">… [Die Beteilligte zu 1] ist berechtigt und verpflichtet, die teilregulierten OGT-Kapazitäten als Ausspeisekapazitäten am Ausspeisepunkt Brandov in folgendem Umfang als DZK und FZK anzubieten:</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">i) FZK in einem Umfang von 3.200.000 kWh/h, und</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">ii) DZK in einem Umfang von 12.664.532 kWh/h.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Um das Angebot von FZK … zu gewährleisten, verpflichtet sich … [die Beteiligte zu 3] eine unentgeltliche Lastflusszusage … abzugeben. …</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">… Liegt bei einer jährlichen Auktion … die Nachfrage nach FZK … bei mindestens 90 % des Angebots …, verpflichtet sich … [die Beteiligte zu 1], die bei späteren jährlichen Auktionen angebotene Gesamtmenge …. höchstens auf 6.400.000 kWh/h … zu erhöhen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">(3) Für die Zeit nach dem 06. März 2017 oder … nach dem Abschluss des ersten Auktionsverfahrens von Jahreskapazitäten … gelten die Regelungen in § 1 (2) … fort …</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">(4) … [Die Beteiligten zu 1 bis 3] haben … die Erwartung und das legitime wirtschaftliche Interesse, dass 80 % der teilregulierten OGT-Kapazitäten langfristig angeboten und dementsprechend gebucht und genutzt werden können. …</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">(5) Überspeisungen von Gas … am Netzkopplungspunkt Radeland … berühren weder den Bestand noch die Geltung der Ausnahme …</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">§ 3</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Wirksamwerden des Vergleichsvertrags/Mitteilung an die Europäische Kommission/Aufhebung des neuen Vergleichsvertrags</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">(1) Dieser Vertrag wird durch seine Unterzeichnung … wirksam. … [Die Beteiligte zu 3] hat das Recht, § 1 und § 2 … durch schriftliche Mitteilung an die Bundesnetzagentur bis zum 31. Dezember 2016 zu kündigen …</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Anlage 1: Änderung des Tenors des Beschlusses vom 25. Februar 2009 in der Fassung des Beschlusses vom 7. Juli 2009</span></p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">§ 1</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">…</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">a) Die Ausnahme gilt ausschließlich für Verbindungskapazitäten auf der OPAL. Verbindungskapazitäten sind ohne Rücksicht auf den physischen Gasfluss:</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">aa) beschränkt zuordenbare Einspeisekapazitäten am Einspeisepunkt Greifswald und beschränkt zuordenbare Ausspeisekapazitäten am Ausspeisepunkt Brandov, die gekoppelt angeboten werden („gekoppelte Verbindungskapazitäten“)</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">bb) getrennt buchbare, feste dynamisch zuordenbare Einspeise- und Ausspeisekapazitäten, bei denen feste Kapazitäten für die Einspeisung … und … für die Ausspeisung mit einem unterbrechbaren Zugang zum Virtuellen Handelspunkt … verbunden sind („DZK-Verbindungskapazitäten“); sowie</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">cc) getrennt buchbare, feste frei zuordenbare Ausspeisekapazitäten am Ausspeisepunkt Brandov, die uneingeschränkt für den Gastransport vom Virtuellen Handelspunkt … zum Ausspeisepunkt Brandov genutzt werden können („FZK-Verbindungskapazitäten, zusammen mit den DZK-Verbindungskapazitäten „entkoppelte Verbindungskapazitäten“)</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Sofern bei gekoppelten Verbindungskapazitäten die Höhe der angebotenen Einspeisekapazität von der Höhe der angebotenen Ausspeisekapazität abweicht, erstreckt sich die Ausnahme insgesamt nur auf den niedrigeren der beiden Werte. Nicht ausgenommen sind damit insbesondere (i) Gegenstromtransporte … (ii) Einspeisekapazitäten am Einspeisepunkt Greifswald, bei denen es sich nicht um gekoppelte Verbindungskapazitäten oder DZK-Verbindungskapazitäten handelt, und (iii) Ausspeisekapazitäten, bei denen sich weder um gekoppelte Verbindungskapazitäten noch um entkoppelte Verbindungskapazitäten handelt. Überspeisungen von Gas durch die … [Beteiligte zu 1] am Netzkopplungspunkt Radeland … sowie Notausspeisungen …. berühren weder den Bestand noch die Geltung der Ausnahme …“</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen beantragten mit einem bei der Bundesnetzagentur noch am 28. November 2016 um 23:23 Uhr per Fax eingegangenen anwaltlichen Schreiben unter anderem die Einleitung eines regulierungsbehördlichen Verfahrens und ihre Beiladung. Sie wiesen in dem Schreiben darauf hin, dass eine Änderung der bestehenden Auflagen für die OPAL zu einer Änderung der Gasversorgungsrouten führen könne. So würden derzeit 96 % der JAMAL-Kapazitäten für den Transit genutzt. Bei einer größeren Verlagerung der Transitströme bestehe die Gefahr, dass der Mindestfluss nicht mehr gewährleistet sei oder es zu Netzentgeltsteigerungen komme. Beeinträchtigt werde dadurch auch die Verkaufstätigkeit der Beschwerdeführerin zu 2 im virtuellen Gegenstrom, während eine Stärkung der Marktposition der Beteiligten zu 3 zu erwarten sei. Eine Abkehr von dem Transport durch die Ukraine könne dazu führen, dass der Grenzübergangspunkt Drozdowicze nicht mehr nutzbar wäre. Über diesen würden Gastransporte für die Beschwerdeführerin zu 1 vorgenommen, die vor allem für die Untergrundspeicher in der Region relevant seien.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 machte die Beteiligte zu 3 von ihrer im Vertrag vom 28. November 2016 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, vorzeitig auf ihr Kündigungsrecht nach § 3 zu verzichten. Am 19. Dezember 2016 fand eine Versteigerung von Monatskapazitäten auf der OPAL statt.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 (BK7-16-167) wies die Bundesnetzagentur die Anträge der Beschwerdeführerinnen vom 28. November 2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass das Verfahren durch Unterzeichnung des Vertrags in den Nachmittagsstunden des 28. November 2016 abgeschlossen worden sei. Die Einleitung eines neuen Verfahrens sei nicht zweckdienlich. Eine Beiladung zu einem nicht existenten Verfahren sei nicht möglich. Der Antrag sei zu spät gestellt worden, obwohl das Verfahren - unter anderem infolge der behördlichen Mitteilung im Mai 2016 sowie ausweislich der Eingabe vom 23. September 2016 - bekannt gewesen sei. Es läge außerdem keine erhebliche Betroffenheit vor. Die Mehrnutzung könne insbesondere nicht den Gastransport auf der JAMAL vollständig ersetzen. Bei den Erwägungen der Beschwerdeführerinnen gehe es um bloße Fernwirkungen. Im Übrigen werde durch die zu erwartende Auslastung der OPAL deren Beitrag zur Versorgungssicherheit noch einmal erhöht. Ein Ausfall der bestehenden Transitrouten - z.B. über die Ukraine - sei nicht auszuschließen. Zudem habe sich die Beurteilung der Wettbewerbsauswirkungen in räumlicher Hinsicht auf die Tschechische Republik zu konzentrieren.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks"><strong>V.</strong> Das Geschehen im Folgenden</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Unter anderem die Republik Polen sowie die Beschwerdeführerinnen erhoben Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. November 2016 beim Gericht der Europäischen Union (T-883/16, T-130/17 und T-849/16).</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Im Jahre 2018 bewertete das WTO-Streitschlichtungspanel die Buchungsbeschränkungen nach Maßgabe der Freistellungsentscheidung vom 7. Juli 2009 als eine unzulässige mengenmäßige Beschränkung des Zugangs für russisches Gas. Die Europäische Union legte Rechtsmittel ein, über das von der WTO-Berufungsinstanz bislang nicht entschieden wurde.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Mit Urteil vom 10. September 2019 (T-883/16, juris) erklärte das Gericht der Europäischen Union den Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 auf die Klage der Republik Polen unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Energiesolidarität (Art. 194 Abs. 1 AEUV) für nichtig. Das gegen das vorgenannte Urteil gerichtete Rechtsmittel der Bundesrepublik Deutschland wies der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 15. Juli 2021 (C-848/19, juris) zurück. Die Beschwerdeführerinnen selbst hatten in ihren eigenen Verfahren hingegen keinen Erfolg gehabt, da ihre Klagen bereits als unzulässig erachtet worden waren.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Schon unmittelbar nach der erstinstanzlichen Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union hatte die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 13. September 2019 (BK-08-009-E2) der Beteiligten zu 1 mit sofortiger Wirkung untersagt, Versteigerungen von teilregulierten entkoppelten Verbindungskapazitäten auf der OPAL und entsprechende Transporte vorzunehmen (Tenorziffern 1 und 2). Den Beteiligten zu 2 und zu 3 wurde verboten, derartige Nominierungen abzugeben (Tenorziffer 3). Die dagegen gerichteten Beschwerden blieben im Wesentlichen ohne Erfolg. Der Senat hob den Untersagungsbeschluss mit Beschluss vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris) lediglich insoweit auf, als die Tenorziffer 3 auch die Beteiligte zu 2 einbezogen hatte (vgl. aaO Rn. 104 ff.). Die gegen den vorerwähnten Beschluss gerichteten Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1 und 3 wurden inzwischen durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) zurückgewiesen.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks"><strong>VI.</strong> Der Verlauf des hiesigen Verfahrens</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Bereits mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2016 haben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, die Bundesnetzagentur zur Beendigung des Vertrags zu verpflichten und hilfsweise dessen Nichtigkeit festzustellen. Zugleich haben sie den Senat um einstweiligen Rechtsschutz ersucht.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat zunächst - in Anknüpfung an eine Zwischenentscheidung des Gerichts der Europäischen Union vom 23. Dezember 2016 und unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags - mit Beschluss vom 30. Dezember 2016 die Bundesnetzagentur bis zur Entscheidung über die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, die Wirkungen des Vergleichsvertrags zu suspendieren. Mit Beschluss vom 27. Juni 2017 hat der Senat seine Entscheidung vom 30. Dezember 2016 aufgehoben und Termin zur mündlichen Verhandlung über die Eilanträge bestimmt. Diese hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2017 zurückgewiesen.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">In der Folgezeit ist das Verfahren aufgrund der anhängigen Verfahren vor den europäischen Gerichten einvernehmlich nicht weiter betrieben worden. Nach Rechtskraft der Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 haben die Beschwerdeführerinnen ihr Begehren wieder aufgegriffen.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong>VII.</strong> Das verfahrensmäßige Vorbringen bis zum Frühling / Frühsommer 2022</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen haben ihre Beschwerden in erster Linie - d.h. mit dem Antrag zu 1 - gegen den Vergleichsvertrag vom 28. November 2016 gerichtet, wobei sie primär dessen Beendigung und lediglich hilfsweise die Feststellung seiner Nichtigkeit erstrebt haben. Daneben haben die Beschwerdeführerinnen den ihre Beiladung ablehnenden Beschluss vom 20. Dezember 2016 angegriffen (Antrag zu 2).</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zur Zulässigkeit</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen haben ihre Beschwerden jeweils für insgesamt zulässig gehalten und dies - ausdrücklich oder sinngemäß - wie folgt begründet:</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Sollte es unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis in formeller Hinsicht auf die jeweils rechtzeitige Stellung eines Beiladungsantrags ankommen, sei diese Voraussetzung jedenfalls mit dem am 28. November 2016 um 23:23 Uhr per Fax versandten Schreiben erfüllt. Die in den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 20. Dezember 2016 aufgenommene Sachverhaltsdarstellung zum Vertragsabschluss bereits in den Nachmittagsstunden des 28. November 2016 und das dazugehörige weitere verfahrensmäßige Vorbringen der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 bis 3 werde mit Nichtwissen bestritten. Richtigerweise könne es allerdings ohnehin nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ankommen. Denn wegen des in den Vertrag aufgenommenen einseitigen Kündigungsrechts der Beteiligten zu 3 sei ein eventuelles Verwaltungsverfahren - das freilich willkürlich geführt worden sei und überhaupt nicht als Verfahren bezeichnet werden könne - frühestens mit dem Kündigungsverzicht vom 12. Dezember 2016 zum Abschluss gebracht worden. Außerdem greife der Vertrag in Rechte Dritter ein und sei daher nichtig. Auch deshalb fehle es an einem verfahrensbeendenden Ereignis.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Hilfsweise sei von einer schuldlosen Nichtbeteiligung auszugehen, was sich aus der hier zu verzeichnenden Verfahrensweise der Bundesnetzagentur und den dazugehörigen Begleitumständen ergebe. Um die Irregularität des behördlichen Handelns insgesamt nachvollziehen zu können, sei zu bedenken, dass es schon im Jahre 2013 einen Vergleichsvertrag gegeben habe. Nach dem Bedingungsausfall sei das Wiederaufgreifen durch den Beschluss vom 13. März 2015 zu Recht abgelehnt worden. Gleichwohl habe die Bundesnetzagentur später exakt der von den Beteiligten zu 1 bis 3 erstrebten Abänderung zugestimmt. Über die gesamte Angelegenheit sei weder gemäß 74 Abs. 1 Satz 1 EnWG informiert worden noch sei - anders als im Vorfeld der Freistellungsentscheidung aus dem Jahre 2009 - eine öffentliche Konsultation erfolgt. Gewisse Informationen seien bloß der Internet-Rubrik „Aktuelles“ zu entnehmen gewesen, die freilich stetigen Veränderungen unterliege, nicht aber der Datenbank zu „laufenden Verfahren“. Bemerkenswert sei insbesondere, dass am 13. Mai 2016 lediglich der letzte Akt, d.h. der Vergleichsabschluss öffentlich mitgeteilt worden sei.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vorgesagten seien sie in formeller Hinsicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt beschwerdebefugt und dazu trete eine materielle Beschwerdebefugnis. Die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags berühre erhebliche eigene Interessen und dessen Wirksamkeit sei auch wegen des in § 58 Abs. 1 VwVfG geregelten Zustimmungsbedürfnisses Dritter klärungsbedürftig. Insgesamt könnten sie sich auf eine individuelle und unmittelbare Betroffenheit sowie die Verletzung drittschützender Vorschriften berufen.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Sie stünden jeweils auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen im Wettbewerbsverhältnis zur Unternehmensgruppe der Beteiligten zu 2. Ein Infrastrukturwettbewerb ergebe sich aus dem mittelbaren Teileigentum der Beschwerdeführerin zu 1 an dem polnischen Abschnitt der JAMAL. Daneben ergebe sich ihre Betroffenheit etwa mit Blick auf den Gasbezug über die Beschwerdeführerin zu 2 aus dem tschechischen Markt und dem Marktgebiet Gaspool bzw. Trading Hub, insoweit überwiegend über Mallnow im Wege des virtuellen Gegenstroms. Der Marktanteil der Beschwerdeführerin zu 2 auf dem Markt für polnische Gasimporte habe im Jahre 2015 … % betragen. Die Beteiligte zu 3 sei mit Lieferungen aus östlicher Richtung ihr größter Konkurrent.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus sei zu beachten, dass die Beschwerdeführerin zu 1 und/oder die zu ihrer Gruppen zählenden Gesellschaften auf einer Reihe von polnischen Märkten eine beherrschende Stellung innehätten, woraus sich eine besondere Verantwortung für die Nichtverletzung und die Entwicklung des Wettbewerbs ergebe, und auch mit Blick auf ihre Staatsbeherrschung träfen sie - wie den polnischen Staat selbst - Pflichten in Bezug auf den Wettbewerbsschutz und die Gewährleistung einer sicheren Erdgasversorgung. Dass der Beschwerdeführerin zu 1 gerade im Hinblick auf die Energieversorgungssicherheit eine besondere, einer Beleihung vergleichbare Garantenstellung zukomme, werde namentlich anhand ihrer Satzung und weiteren gesetzlichen Bestimmungen deutlich. Die damit verbundenen Pflichten strahlten auf die gesamte Unternehmensgruppe und damit auch auf die Beschwerdeführerin zu 2 aus.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">In der Sache sei jede regulatorische Begünstigung der OPAL mit erheblichen negativen Folgen verbunden. Dies ergebe sich aus der Gefahr einer Verlagerung von Gasflüssen zum Nachteil der BRUDERSCHAFT und/oder der JAMAL. Auszugehen sei - wie etwa schon in der … Analyse vom 11. Januar 2017 dargelegt - von einem prognostisch im Wesentlichen stagnierenden Gasverbrauch in der Europäischen Union bis zum Jahre 2030 oder gar einer Reduktion auf bloß 321 oder 297 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr. Die Möglichkeit zur stärkeren Nutzung der OPAL führe damit - auch in Verbindung mit anderen absehbaren oder schon umgesetzten Projekten (wie der Turk Stream oder Nord Stream 2) - zu Überkapazitäten auf den in Betracht kommenden Transportrouten, da von dem Vergleichsvertrag gerade die Beteiligten zu 2 und 3 begünstigt würden. Denn die kraft des Vergleichs zusätzlich auf der OPAL buchbaren DZK (12.664.532 kWh/h) seien effektiv nur für die Beteiligte zu 2 oder 3 von Nutzen. Für die Beteiligten zu 2 und 3 bestünden damit angesichts der von ihnen kontrollierten oder faktisch monopolisierten Infrastrukturen vielfältige Möglichkeiten, die Transportmengen nach Belieben umzuschichten. Schon diese Möglichkeit erweise sich als eine konkret bevorstehende Wettbewerbsbeeinträchtigung, wobei die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Vorkommnisse im Lichte früherer Erfahrungen - etwa Liefereinbußen zwischen dem 4. September 2014 und dem 6. März 2015 insbesondere am Übergabepunkt Drozdowicze - und aktueller Entwicklungen zu beurteilen sei.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Hiernach seien vor allem die folgenden Prognosen relevant: Im ersten Szenario werde von einer Verlagerung der Transportwege dergestalt ausgegangen, dass die Mehrnutzung der OPAL und GAZELLE im Umfang von jährlich 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> (d.h. aufgrund der Inanspruchnahme der quasi-monopolisierten DZK) mit einer entsprechend reduzierten Auslastung der BRUDERSCHAFT einhergehe. Dies könne die Betriebsfähigkeit des Übergabepunktes Drozdowicze gefährden, dessen Nutzbarkeit für die Stabilität des polnischen Gastransportsystems außerordentliche Bedeutung habe.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Die weiteren Szenarien beträfen im Wesentlichen Verlagerungen zum Nachteil der JAMAL. Während unter Geltung der bisherigen Freistellungsentscheidung aus dem Jahre 2009 die Netzentgelte ein Gleichgewicht gewährleistet hätten, drohe schon bei einem Rückgang der Transitmenge um 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> unter Zugrundelegung eines Fixkostenanteils von 50 % ein sprunghafter Anstieg der Fernleitungsnetzentgelte in Mallnow und der Kosten für Gasimporte aus Deutschland. Dies wiederum werde mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf die Gastransportkosten an anderen Grenzübergangspunkten im Westen oder Süden haben. Unterstelle man eine Einstellung des Transits über die JAMAL ab dem Jahre 2020 sowie die Nichtbelieferung des polnischen Marktes mit Auslaufen der Lieferbeziehung zum Ende des Jahres 2022, sei mit Kostensteigerungen bis zu … % zu rechnen.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Nach alledem könnten sie sich auf eine materielle Beschwer und auch auf die Verletzung drittschützender Normen berufen. Dabei sei insbesondere die Neufassung des § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG zu bedenken, die wegen der Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen sei und verdeutliche, dass Dritte auch eine Gefährdung der Versorgungssicherheit sowie eine Missachtung des Grundsatzes der Energiesolidarität geltend machen könnten. Ferner ergebe sich eine subjektive Rechtsverletzung aus dem Verfahrensablauf bzw. dem Verfahrensausfall.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zur Begründetheit</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Zur Begründetheit haben die Beschwerdeführerinnen insbesondere vorgetragen: Der Vertrag sei nichtig, weil die Bundesnetzagentur von der Handlungsform des Vertrags Gebrauch gemacht habe, sich aber aus § 29 Abs. 1 EnWG ein Vertragsformverbot ergebe.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die Nichtigkeit des Vertrags folge auch aus § 59 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwVfG. Offensichtlich habe eine Vergleichslage fingiert werden sollen und die Rechtswidrigkeit sei bekannt gewesen. Der Vertrag sei überdies wegen der inzwischen rechtskräftigen Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 zu beenden oder für nichtig zu erklären. Einer eventuellen Heilung stünden insbesondere die Fristenregelungen in Art. 36 RL 2009/73/EG entgegen, die von vornherein nicht eingehalten worden seien (weil der zu überprüfende Vertrag am 11. Mai 2016 geschlossen worden sei) und nach denen ein Fristablauf spätestens am 15. September 2021, d.h. zwei Monate nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Juli 2021, eingetreten sei. Nichtig sei der Vertrag zudem nach § 58 Abs. 1 VwVfG, weil er in Rechte der Beschwerdeführerinnen eingreife. So seien eine Verfahrensbeteiligung und die Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht ermöglicht worden. Dieser Verfahrensfehler stelle sich als so schwerwiegend dar, dass er sich als subjektive Rechtsverletzung verdichte.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Der Vertrag könne im Übrigen vor allem deshalb keinen Bestand haben, weil er den Voraussetzungen des § 28a EnWG nicht entspreche. Insbesondere habe die Bundesnetzagentur im Ansatz verkannt, dass sich die Prüfung der Auswirkungen des Vertrags auf den gesamten europäischen Binnenmarkt hätte erstrecken müssen. Demgegenüber sei allein - unter Verstoß gegen den Grundsatz der Energiesolidarität - der tschechische Markt als relevant erachtet worden.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Begründet seien schließlich auch die Anträge zu 2. Unter anderem weil der Vertrag in Rechte Dritter eingreife, sei das Verfahren noch nicht beendet. Zumindest hätten sie einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens der Beiladungsvoraussetzungen, was auch mit Blick auf spätere denkbare Entscheidungen angezeigt sei.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> Das Vorbringen der Bundesnetzagentur</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur ist der Beschwerde mit einem Zurückweisungsantrag entgegengetreten. Sie hat unter anderem gemeint, dass die Beschwerde mit dem Antrag zu 1 bereits unzulässig sei, insbesondere weil die Beschwerdeführerinnen - wie schon in der Schutzschrift vom 12. Dezember 2016 ausgeführt - nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen seien. Deren Beiladung auf den Antrag vom 28. November 2016 sei nicht mehr möglich gewesen, weil das Verwaltungsverfahren abgeschlossen gewesen sei. In den Mittagsstunden des 28. November 2016 sei der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1 bei ihr eingetroffen. Nach Prüfung und Unterzeichnung durch die Beschlusskammermitglieder seien dem Geschäftsführer der Beteiligten zu 1 in den Nachmittagsstunden die Vertragsexemplare ausgehändigt worden. Weil der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1 - auch ausweislich eines bei der Aushändigung geführten Telefonats - als Empfangsvertreter agiert habe, sei der Vertrag bereits mit Übergabe und nicht erst im Wege eines postalischen Zugangs zustande gekommen. Der Abschluss noch am 28. November 2016 sei allen Beteiligten besonders wichtig gewesen, weil Unklarheiten hinsichtlich der in der RL 2009/73/EG geregelten Monatsfrist hätten vermieden werden sollen.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen bekämpften die Beschwerdeführerinnen paradoxerweise eine verstärkt der Regulierung unterworfene Nutzung der OPAL. Letztlich gehe es den Beschwerdeführerinnen um die schlichte Existenz der OPAL und die Unterbindung eines Wettbewerbs an Transportkapazität, was sich gerade an einem gedachten vollregulierten Betrieb der OPAL zeige. Im vollregulierten System wäre eine Ausspeisekapazität als FZK nicht darstellbar.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Szenarien seien im Übrigen spekulativ und nicht überzeugend. Gerade die Lastflüsse auf der BRUDERSCHAFT und der JAMAL im Zeitraum zwischen dem 28. Juli 2017 und 13. September 2019 sprächen gegen einen Verlagerungseffekt infolge einer erhöhten Auslastung der OPAL. Im Übrigen sei auch eine Gefährdung der Versorgungssicherheit wegen einer - im Verhältnis zur bisherigen Hauptimportroute vernachlässigbaren - Mehrnutzung der OPAL nicht nachvollziehbar, zumal zu bedenken sei, dass die Beschwerdeführerin zu 1 sich im Jahre 2019 bewusst dazu entschieden habe, den mit der Beteiligten zu 3 bestehenden Liefervertrag nicht über das Jahr 2022 hinaus zu verlängern. Der polnische jährliche Importbedarf von etwa 16 oder 17 Milliarden m<sup>3</sup> könne unabhängig von russischem Gas befriedigt werden, und die dazugehörigen Maßnahmen seien bereits bei Vertragsabschluss erkennbar und - gerade unter Berücksichtigung der bis zum Ende des Jahres 2022 währenden Lieferbeziehung zwischen der Beschwerdeführerin zu 1 und der Beteiligten zu 3 - zeitlich umsetzbar gewesen.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beschwerdeführerinnen eine Monopolisierung der OPAL durch die Beteiligten zu 2 und 3 befürchteten, beträfen ihre Erwägungen den falschen Markt. Die Beurteilung habe sich auf den tschechischen Markt zu konzentrieren. Die Prognose einer Überteuerung der Netzentgelte für die Einfuhr von Gas aus Deutschland nach Polen sei im Übrigen unzutreffend und bereits im Ansatz verfehlt. So werde unter anderem übergangen, dass die Kapitalkosten der im Jahre 1999 fertiggestellten JAMAL weitestgehend abgeschrieben sein dürften. Es sei auch nicht Aufgabe einer Regulierungsbehörde, das Geschäftsmodell der Beschwerdeführerin zu 2 vor Veränderungen durch Leitungswettbewerb zu schützen.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde müsse im Übrigen auch nach der rechtskräftigen Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 erfolglos bleiben. Denn auf den Grundsatz der Energiesolidarität, dessen Missachtung nach richterlicher Würdigung tragend gewesen sei, könnten die Beschwerdeführerinnen sich als privatwirtschaftliche Organisationen nicht berufen. Außerdem ergäben sich infolge des Vergleichsvertrags auch in der Sache keine negativen Auswirkungen für die Versorgungssicherheit oder den Wettbewerb. Abgesehen davon sei mit der Nichtigerklärung richtigerweise bloß die in § 58 VwVfG geregelte Rechtsfolge verbunden, d.h. der Vertrag sei unwirksam, aber nicht nichtig, und § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG käme erst recht nicht zur Anwendung. Denn eine eventuelle Missachtung des Grundsatzes der Energiesolidarität sei offensichtlich erst mit dem Urteil vom 10. September 2019 bekannt geworden.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Die Nichtigkeit könne auch nicht aus einem angeblichen Vertragsformverbot hergeleitet werden. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-718/18 geforderte Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde zeige sich gerade daran, dass sie vom Mittel des Vertrags Gebrauch gemacht habe. Zudem könnten die Beschwerdeführerinnen sich auch nicht auf das Unterlassen einer - hier allein in Betracht kommenden - einfachen Beiladung berufen, zumal deren Bedenken bekannt, also ohne Einfluss auf den Inhalt des Vertrags gewesen seien.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks"><strong>4.</strong> Das Vorbringen der Beteiligten zu 1</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Auch die Beteiligte zu 1 ist der Beschwerde mit einem Zurückweisungsantrag entgegengetreten und hat dies insbesondere wie folgt begründet: Die Beschwerdeanträge zu 1 seien bereits unzulässig, weil es richtigerweise auf die Voraussetzungen einer gedachten Anfechtungsbeschwerde ankommen müsse. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Überdies fehle es an einer materiellen Beschwer, und an der Unzulässigkeit der Beschwerde änderte sich auch dann nichts, wenn man im Rahmen der Beschwerdebefugnis schon die Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte genügen lasse. Insbesondere könnten sich private Rechtsträger nicht auf den Grundsatz der Energiesolidarität berufen und auch die in § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG genannte Versorgungssicherheit sowie das darin erwähnte Funktionieren des Erdgasbinnenmarktes hätten keinen drittschützenden Charakter. Denkbar sei ein Drittschutz allenfalls hinsichtlich der gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG zu prüfenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen. Insoweit fehle es jedoch zumindest an einer nachteiligen Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Von wesentlicher Bedeutung sei im Ausgangspunkt, allein die mit der Abänderung der Freistellungsentscheidung verbundenen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Die von den Beschwerdeführerinnen zu weiten Teilen angestellte Gesamtbetrachtung - etwa unter Einbeziehung der Veränderungen durch die Errichtung oder Inbetriebnahme weiterer Pipelines - sei mithin bereits im Ansatz unzutreffend. Die vorgebrachten Indizien für die Wahrscheinlichkeit einer Verlagerung der Gasflüsse seien zudem schon in zeitlicher Hinsicht nicht aussagekräftig. Das gelte etwa für die Mengenreduktion auf der JAMAL am Netzkopplungspunkt Kondratki nach dem Auslaufen des Transitvertrags mit anschließenden bloß sporadischen Buchungen von Kapazitätsprodukten von kurzer Laufzeit, die Umkehr des physischen Gasflusses zwischen dem 30. Oktober und dem 4. November 2021 bzw. das Fehlen eines Flusses am Übergabepunkt Mallnow sowie die Verringerung der Transportmengen auf der BRUDERSCHAFT etwa nach Abschluss des neuen Transitvertrags zwischen der Beteiligten zu 3 und B.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Eine Gefährdung der Versorgungssicherheit Polens sei im Übrigen auch unter Zugrundelegung der von den Beschwerdeführerinnen angeführten Verlagerungsszenarien nicht zu besorgen. Dass eine physische Flussrichtung in Ost-West-Richtung auf der JAMAL gerade nicht erforderlich sei, um die Versorgung zu gewährleisten, ergebe sich schon aus deren eigenen Vortrag. Denn die Umkehr der Flussrichtung zwischen dem 30. Oktober und 4. November 2011 sei offenkundig folgenlos geblieben. Überdies verdeutliche die beschwerdeführereigene Begründung der Nichtverlängerung des Erdgasliefervertrags mit der Beteiligten zu 3, dass die polnische Regierung und damit auch die Beschwerdeführerin zu 1 sich bewusst für Bezugsquellen aus nicht-östlicher Richtung entschlossen hätten. Damit gingen - auch schon im Jahre 2016 absehbare - massive Ausweitungen der Importkapazitäten aus nicht-östlicher Richtung durch den Netzbetreiber G S.A. einher.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Ohne jeden Einfluss sei der Vergleichsvertrag auch auf die Betriebsfähigkeit des ukrainisch-polnischen Grenzübergangspunkts in Drozdowicze. Denn dieser liege an einem Abzweig der BRUDERSCHAFT und werde mithin nicht für Transite genutzt. Er wäre mithin nicht von einer Reduktion von Transitmengen betroffen. Abgesehen davon hätten die seit dem Jahre 2017 erfolgten Ausbaumaßnahmen im polnischen Fernleitungsnetz dazu geführt, dass etwaige zuvor bestehende netzhydraulische Hindernisse für eine Versorgung Südostpolens aus westlicher oder nördlicher Richtung beseitigt worden seien.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Es fehle auch an relevanten Auswirkungen für den Wettbewerb. Es bestehe schon kein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin zu 2 und der Beteiligten zu 3 auf dem relevanten Markt für Erdgaslieferungen nach Polen. Die Beteiligte zu 3 betätige sich auf dem polnischen Upstream-Markt, während die Beschwerdeführerin zu 2 lediglich eine interne Beschaffungsfunktion für die Beschwerdeführerin zu 1 übernehme. Die Beschwerdeführerin zu 1 sei wiederum als marktbeherrschendes Unternehmen auf den nachgelagerten Großhandels- und Endkundenmärkten für Erdgas in Polen tätig.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beschwerdeführerinnen sich gleichwohl auf eine - nicht zu erwartende - subjektiv nachteilhafte Verlagerung zu Lasten der JAMAL beriefen, wäre ein auf den Vertrag zurückzuführender Effekt auf jährlich 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> beschränkt. Die vorgelegten Szenarien bezögen indes fälschlicherweise weitere Ursachenbeiträge - etwa das Auslaufen der bestehenden vertraglichen Beziehungen - in die Beurteilung ein.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Der Vertrag sei auch nicht nichtig oder zu beenden infolge der (rechtskräftigen) Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016. Insbesondere handele es sich bei der besagten Entscheidung nicht um eine Genehmigung, eine Zustimmung oder ein Einvernehmen im Sinne des § 58 Abs. 2 VwVfG, denn Art. 36 Abs. 9 RL 2009/73/EG regele lediglich Eingriffsbefugnisse. Demzufolge bestehe infolge der Nichtigerklärung des Beschlusses lediglich die Verpflichtung der Europäischen Kommission zur Wiederaufnahme ihrer Prüfung. Bis dahin könne der Vertrag entgegen der dem Beschluss vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris) zugrunde liegenden Auffassung des Senats weiter durchgeführt werden.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks"><strong>5.</strong> Das Vorbingen der Beteiligten zu 2 und 3</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten zu 2 und 3 haben ebenfalls schriftlich den Antrag angekündigt, die Beschwerden zurückzuweisen. Auch sie haben gemeint, dass die auf den Vergleichsvertrag bezogenen Beschwerden (Antrag zu 1) schon unzulässig seien. Die auf Vertragsbeendigung gerichtete Leistungsbeschwerde sei bereits unstatthaft. Sofern ein Dritter der Auffassung sei, dass er durch den Vertrag in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werde, habe er dies im Wege einer Feststellungsbeschwerde geltend zu machen.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Aber auch die hier hilfsweise eingelegten Feststellungsbeschwerden seien unzulässig, da es an der formellen und materiellen Beschwer im Sinne von § 75 Abs. 2 EnWG oder  - ersatzweise - an der Möglichkeit einer Verletzung drittschützender Regelungen (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) fehle. Die Beschwerdebefugnis nach § 75 Abs. 2 EnWG sei schon deshalb zu verneinen, weil die Beschwerdeführerinnen es trotz Kenntnis vom Verwaltungsverfahren schuldhaft versäumt hätten, rechtzeitig einen Antrag auf einfache Beiladung zu stellen. Daraus folge zugleich die Unbegründetheit der Beschwerden (Antrag zu 2) gegen die Ablehnung der Beiladung durch Beschluss vom 20. Dezember 2016, und für die hilfsweise begehrte Feststellung fehle es an einem Feststellungsinteresse. Insbesondere sei eine Wiederholungsgefahr weder dargetan noch sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Davon abgesehen fehle es im Hinblick auf den Antrag zu 1 auch an einer materiellen Beschwer. Die Beschwerdeführerinnen seien nicht potentielle Nutzerinnen der OPAL und auch nicht auf dem maßgeblichen - von der OPAL bedienten - tschechischen Absatzmarkt tätig. Ein Infrastrukturwettbewerb scheide schon deshalb aus, weil Betreiberin der JAMAL die G S.A. sei, und überdies bedienten die betreffenden Leitungen auch nicht denselben Markt, seien also nicht funktional austauschbar. Im Kern verfolgten die Beschwerdeführerinnen ein illegitimes Rechtsschutzziel. Aus dem Vergleichsvertrag ergebe sich ein Mehr an Wettbewerb. Bei Lichte betrachtet erstrebten die Beschwerdeführerinnen unter dem Vorwand eines Wettbewerbsschutzes die Perpetuierung einer ineffizienten Unterauslastung, ohne zu berücksichtigen, dass § 28a EnWG nicht vor Konkurrenz durch den regulierten Betrieb einer Transportinfrastruktur schütze.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen seien die vorgebrachten Befürchtungen haltlos. Selbst wenn man die konservative Verbrauchsprognose aus der Analyse vom 11. Januar 2017 zugrunde lege, mache die von den Beschwerdeführerinnen angeführte Verlagerungsmenge von 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr bloß ein Drittel des selbst prognostizierten Mehrbedarfs im Jahre 2030 (ca. 35 Milliarden m<sup>3</sup>) aus. Dabei bleibe die zu erwartende Reduktion der innereuropäischen Förderung - mutmaßlich etwa 9,47 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr - noch unberücksichtigt. Es sei danach nicht plausibel, dass eine Mehrnutzung der OPAL zu einer Minderauslastung der JAMAL oder BRUDERSCHAFT führen würde. Zu bedenken sei im Übrigen, dass mit Blick auf das mittelbare Teileigentum der Beteiligten zu 2 am polnischen Abschnitt ein eigenes wirtschaftliches Nutzungsinteresse an der JAMAL bestehe, auf welche die Beteiligte zu 3 angesichts ihrer Gesamtlieferverpflichtungen ohnehin angewiesen sei. Gegenstromkapazitäten blieben mithin weiterhin gesichert.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Die unterbreiteten Szenarien stünden darüber hinaus zu weiten Teilen nicht in einem Zusammenhang mit der Nutzung der OPAL. Die Beschwerdeführerinnen übersähen bereits im Ansatz, dass sämtliche beschriebenen Verlagerungen zum Nachteil der JAMAL theoretisch schon mithilfe der BRUDERSCHAFT vorgenommen werden könnten. Zudem werde anhand der Regelung zum Gas-Release-Programm in der Freistellungsentscheidung vom 7. Juli 2009 deutlich, dass es unabhängig vom Vergleichsvertrag möglich gewesen sei, Transportmengen zu verteilen.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Aber selbst bei einer hypothetischen Verlagerung im Umfang von jährlich 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> zu Lasten der JAMAL handele es sich bei den prognostizierten Kostensteigerungen in Höhe von … % (für den virtuellen Gasfluss) bzw. … % (für den physischen Transport) um marginale Folgen, zumal diese nur einen Teil der Gesamtkostenkalkulation beträfen und auf verzerrenden Annahmen beruhten.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Nicht plausibel sei weiterhin das Szenario zu etwaigen Verlagerungen zum Nachteil der BRUDERSCHAFT. Das Fehlen eines Auslastungszusammenhangs werde schon deutlich anhand der Lastflüsse im Dezember 2016 und Januar 2017, die in Velke Kapusany auf konstant hohen Niveau geblieben seien. Die dortige Dynamik werde in Wahrheit durch andere Faktoren, wie etwa Entnahmefluktuationen, verursacht und gerade nicht durch eine Mehr- oder Minderauslastung der OPAL.</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon fehle es an einer nachvollziehbaren Darstellung der angeblichen Abhängigkeit des polnischen Südostens von einem einzelnen - auf einem Nebenarm der BRUDERSCHAFT befindlichen - Kopplungspunkt. Es sei schon unerfindlich, weshalb dem angeblichen Problem nicht durch Netzausbaumaßnahmen oder Buchungen bei ukrainischen Lieferanten entgegengewirkt worden sei. Bemerkenswert sei überdies, dass die Beschwerdeführerinnen selbst der Sache nach darlegten, dass sich etwa mit dem Bau der Baltic Pipeline die angebliche Bedeutung des Kopplungspunktes erledigen werde. Ergänzend sei die bis zum Ende des Jahres 2022 bestehende Verpflichtung der Beteiligten zu 3 zur Versorgung dieses Kopplungspunkts mit … Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr zu berücksichtigen. Sie wäre selbstverständlich bereit gewesen, Verhandlungen über Lieferungen auch für den Folgezeitraum aufzunehmen. Die Beschwerdeführerin zu 1 und die Republik Polen hätten sich indes für die Beendigung des Bezugs von russischem Gas entschieden und wollten etwa LNG-Lieferungen in Anspruch nehmen.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Danach seien die Beschwerden mit dem Antrag zu 1 mangels materieller Beschwer unzulässig. Es fehle auch an (der Möglichkeit) einer Verletzung drittschützender Normen. Soweit § 28a EnWG als drittschützende Vorschrift in Betracht zu ziehen sei, komme es auf deren bei Vertragsabschluss geltende Fassung an. Bei der insoweit von den Beschwerdeführerinnen in Ansatz gebrachten Gefährdung der Versorgungssicherheit handele es sich indes um einen zur öffentlichen Sicherheit zählenden, zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Daran ändere auch die angebliche Garantenstellung oder Beleihung der Beschwerdeführerin zu 1 nichts, zumal diese Stellung weder aus den von ihr angeführten Bestimmungen ableitbar noch derartige Verpflichtungen des ausländischen öffentlichen Rechts geeignet seien, vor einem deutschen Gericht eine einklagbare Rechtsposition zu begründen. Nicht drittschützend sei § 28 Abs. 1 Nr. 5 EnWG auch hinsichtlich des darin genannten Wettbewerbs, was gerade durch die Regelung des § 1 EnWG belegt werde, jedenfalls aber zählten die Beschwerdeführerinnen in Ermangelung einer potentiellen Nutzung der OPAL oder eines Infrastrukturwettbewerbs nicht zum geschützten Personenkreis, und weil sie sich gegen Effekte aus der Teilregulierung von Verbindungskapazitäten wendeten, sei auch der sachliche Schutzbereich nicht betroffen. Soweit die Beschwerdeführerinnen sich auf den Grundsatz der Energiesolidarität beriefen, handele es sich wiederum um einen nicht-drittschützenden Rechtssatz, dem eine im Kern hochpolitische Ausgleichs- und Konfliktpräventionsfunktion zukomme. Nach alledem könnten die Beschwerdeführerinnen sich auch nicht auf § 58 Abs. 1 VwVfG stützen, da es den Beschwerdeführerinnen allenfalls - eine Substanz des Vorbringens unterstellt - um faktisch-mittelbare Auswirkungen gehe.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls sei das Feststellungsbegehren aber unbegründet. So scheide ein etwaiges Ermessensdefizit aus, weil sich aus dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerinnen keine wesentlichen Belange ergäben. Dementsprechend sei auch eine Verletzung des Grundsatzes der Energiesolidarität zu verneinen, die auch nicht durch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union präjudiziert werde, da das Gericht der Europäischen Union im Rahmen einer einzelfallbezogenen Beweiswürdigung einen solchen Verstoß (lediglich) der Europäischen Kommission vorgeworfen habe.</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Auf ein (ohnehin nicht drittschützendes) Vertragsformverbot könnten die Beschwerdeführerinnen sich ebenfalls nicht berufen, zumal ein solches weder ausdrücklich geregelt noch aus § 29 Abs. 2 EnWG ableitbar sei, unter anderem weil kraft der Regelung des § 60 VwVfG die Möglichkeit zur Anpassung oder Kündigung eines Vertrags bestehen könne. Es hätten auch die Voraussetzungen des § 55 VwVfG vorgelegen, weil nach Inbetriebnahme der GAZELLE eine Ungewissheit bestanden habe, und insbesondere habe die Beteiligte zu 3 im Sinne eines Nachgebens vertragliche Verpflichtungen übernommen, die zur Gewährleistung des Drittzugangs erforderlich gewesen seien.</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des bisherigen Vorbringens wird auf die jeweiligen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks"><strong>VIII.</strong> Das aktuelle Vorbringen und die übereinstimmende Erledigung</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 haben die Beschwerdeführerinnen angekündigt, nicht mehr ihren bisherigen Antrag zu 1 stellen zu wollen, der dahin formuliert worden ist,</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">die Bundesnetzagentur zu verurteilen, den am 28. November 2016 zwischen ihr und den Beteiligten zu 1 bis 3 geschlossenen Vergleichsvertrag zu beenden,</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">hilfsweise festzustellen, dass der Vergleichsvertrag nichtig sei.</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Vielmehr begehren die Beschwerdeführerinnern insoweit nur noch die Feststellung der Nichtigkeit. Sie halten auch fest an den Anträgen zu 2,</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">die Bundesnetzagentur unter Aufhebung des Beschlusses vom 20. Dezember 2016 (BK7-16-167) zu verpflichten, die Anträge auf Beiladung zu dem regulierungsbehördlichen Verfahren betreffend den streitgegenständlichen Vergleichsvertrag mit der Beteiligten zu 1 u.a. (BK7-08-009 oder zu einem in dieser Sache neu eröffneten Verfahren) gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">hilfsweise festzustellen, dass sie zu diesem Verfahren hätten beigeladen werden müssen.</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Mit dem besagten Schriftsatz haben die Beschwerdeführerinnen unter anderem geltend gemacht, dass der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris Rn. 17) geschützte Interessen Dritter ausdrücklich benannt und mit dem Begriff „Gasversorgungsunternehmen“ natürlich sie gemeint habe.</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022, auf deren Protokoll hier Bezug genommen wird, hat die Bundesnetzagentur eine Erklärung zur Anerkennung der Nichtigkeit des Vertrags vom 28. November 2016 abgegeben. An ihrer Rechtsauffassung zur Unzulässigkeit der Beschwerden hat die Bundesnetzagentur aber festgehalten. Die Beschwerdeführerinnen und die Bundesnetzagentur haben hierauf unter Stellung wechselseitiger Kostenanträge in Abwesenheit der nicht erschienenen Beteiligten zu 1 bis 3 übereinstimmend die Erledigung erklärt.</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks"><strong>B.</strong></p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Auf die übereinstimmenden Erledigungserklärungen war die aus der Beschlussformel ersichtliche Kostenentscheidung zu treffen.</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Erklärt ein Beschwerdeführer die Erledigung des Beschwerdeverfahrens und schließt die Bundesnetzagentur als Beschwerdegegnerin sich dieser Erklärung an, ist gemäß § 90 EnWG in Verbindung mit § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO nur noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden (Senatsbeschluss vom 13. Juli 2016 - VI-3 Kart 99/12 (V), juris Rn. 3). Zu einer solchen übereinstimmenden Erledigung ist es hier in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 gekommen. Dass die Beteiligten zu 1 bis 3 nicht zur Verhandlung erschienen und dementsprechend nicht zugestimmt haben, ist unschädlich (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2009 - EnVZ 52/08, NVwZ-RR 2009, 620 Rn. 7 ff.).</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Während bei einer einseitig gebliebenen Erledigungserklärung (lediglich oder mindestens) die Prüfung zu erfolgen hat, ob Erledigung im Rechtssinne tatsächlich eingetreten ist (vgl. zur Anfechtung einer kartellbehördlichen Entscheidung BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1985 - KVR 1/84, juris Rn. 11; zum Verwaltungsprozessrecht siehe BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 4 C 7/88, juris Rn. 20; zum Zivilprozess BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 16/18, juris Rn. 9), geben die Regelungen in § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO vor, dass eine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu erfolgen habe. Auf die Feststellung eines erledigenden Ereignisses kommt es dabei im Ausgangspunkt nicht an (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 17. Juli 2018 - 5 W 629/18, juris Rn. 9;  BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 91a Rn. 5a [Stand: 1. Juli 2022]). Freilich kann im Rahmen der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen sein, ob es sich um eine ursprünglich zulässige und begründete Beschwerde gehandelt hat, die (allenfalls) durch den nachträglichen Eintritt unzulässig oder unbegründet geworden ist (für gedankliche Ausblendung des erledigenden Ereignisses explizit OLG Hamm, Urteil vom 9. Juli 2010 - 19 U 151/09, juris Rn. 21). Zu erwägen ist unter solchen Umständen allerdings auch, ob durch eine unbillig verzögerte Reaktion auf den Wegfall der Zulässigkeit oder Begründetheit vermeidbare Mehrkosten verursacht worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - KVR 23/98, juris Rn. 11).</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> Nach dem Vorgesagten ergab sich die Kostenpflicht der Bundesnetzagentur daraus, dass die Beschwerden zumindest anfänglich weit überwiegend zulässig und begründet waren. Denn während sich zwar das ursprüngliche, auf Beendigung des Vergleichsvertrags gerichtete Hauptbegehren von vornherein als unzulässig erwiesen hätte, wäre auf die anfänglich hilfsweise gestellten, mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 zum Hauptantrag zu 1 heraufgestuften Feststellungsanträge die Nichtigkeit der mit dem Vertrag verbundenen Änderung der OPAL-Freistellungsentscheidung festzustellen gewesen, freilich vorbehaltlich eines Wegfalls der Zulässigkeit etwa infolge der behördlichen Erklärung im Verhandlungstermin vom 29. Juni 2022. Hieraus hätte sich bei wirtschaftlich-wertender Betrachtung ein voller Beschwerdeerfolg ergeben, wobei auch nicht ins Gewicht fiel, dass die gegen den Beschluss vom 20. Dezember 2016 eingelegten Verpflichtungsbeschwerden (Antrag zu 2) unbegründet, die dazu hilfsweise gestellten Feststellungsanträge unzulässig gewesen wären.</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Dass die vorerwähnte Einschätzung der ursprünglichen Erfolgsaussichten - wie im Folgenden deutlich werden wird - auf einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung beruht, welche die Beantwortung bislang ungeklärter Rechtsfragen einschließt, widerspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben aus § 91a ZPO. Zwar ist es nicht Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden (BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2020 - IV ZB 11/20, NJW-RR 2020, 983 Rn. 7; vom 8. Mai 2012 - VIII ZB 91/11, juris Rn. 7). Daraus ergibt sich aber nicht ein Kostenteilungsanspruch desjenigen Verfahrensbeteiligten, der bei einer sachentscheidungsähnlichen Prüfungs- und Begründungstiefe benachteiligt würde. Der Verzicht auf die Beantwortung ungeklärter Rechtsfragen in der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO beruht in erster Linie auf prozessökonomischen Erwägungen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2004 - VIII ZR 327/03, juris Rn. 11). Es war jedoch gerade nicht unökonomisch, die vom Senat bereits vor Erlass und Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) gebildete und den Beteiligten im Verhandlungstermin unterbreitete Rechtsauffassung der hier zu treffenden Kostenentscheidung zugrunde zu legen.</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.</strong> Die Feststellungsbeschwerden laut Antrag zu 1 wären bis zum eventuellen, hier freilich naheliegenden Wegfall der Beschwer bzw. des Feststellungsinteresses zulässig gewesen, nicht aber die jeweils anfänglich als Hauptbegehren formulierten Leistungsanträge. Einem formalen Misserfolg hätten die Beschwerdeführerin insoweit nur durch die - beabsichtigte und voraussichtlich mögliche - Heraufstufung des anfänglichen Hilfsantrags zum alleinigen Antrag zu 1 entgehen können.</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.1.</strong> Soweit die Beschwerdeführerinnen in erster Linie die Beendigung des Vertrags erstreiten wollten, beruhte ihre Antragsfassung auf einem vom Senat nicht geteilten Verständnis des Rechtsschutzes Dritter gegen öffentlich-rechtliche Verträge. Sofern sich Gegenteiliges insbesondere aus dem Senatsbeschluss vom 30. Dezember 2016 ergeben hat (vgl. dort unter B I 1), hätte der Senat daran nicht festgehalten.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Die allgemeine Leistungsbeschwerde ist im EnWG nicht geregelt, ihre Existenz aber gleichwohl anerkannt, wobei ihre Statthaftigkeit davon abhängt, ob nur durch sie ein lückenloser Rechtsschutz gewährleistet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - KVZ 35/06, juris Rn. 4). Eine Rechtsschutzlücke war hier zu verzeichnen, weil die Beschwerdeführerinnen weder zur Anfechtung des Vertrags vom 28. November 2016 noch zur Einlegung einer Verpflichtungsbeschwerde (§ 75 Abs. 3 EnWG) im Stande gewesen sind. Denn der Vertrag sollte eine anfechtbare Entscheidung im Sinne von § 75 Abs. 1 EnWG ersetzen, und die Bundesnetzagentur wäre nicht verpflichtet (und möglicherweise nicht einmal dazu befugt) gewesen, sich gerade mittels eines einseitig-hoheitlichen Akts vom Vertrag zu lösen. Dementsprechend hatte der ursprüngliche Hauptantrag ein schlicht-hoheitliches Handeln zum Gegenstand, das grundsätzlich der Leistungsbeschwerde zuzuordnen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Oktober 2017 - VI-3 Kart 70/17 (V), juris Rn. 21).</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Hier war indes zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerinnen unter Hinweis auf die Gesetzesbindung der Bundesnetzagentur die anfängliche Rechtswidrigkeit des Vertrags vom 28. November 2016 behaupten haben und daraus einen Beendigungsanspruch ableiten wollten. Die Bindung an Recht und Gesetz wird bei (öffentlich-rechtlichen) Verträgen der öffentlichen Hand allerdings - von (eventuellen) Sonderfällen abgesehen (vgl. dazu § 133 GWB) - nicht mittels eines Lösungsrechts oder einer Vertragsbeendigungspflicht des Hoheitsträgers gewährleistet, sondern - wie insbesondere die Beteiligten zu 2 und 3 zu Recht vorgebracht haben - nach Maßgabe des speziellen Fehlerfolgenregimes der §§ 54 ff. VwVfG. Dementsprechend haben die Beschwerdeführerinnen sich im Kern auch darauf beschränkt, die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Vertrags vom 28. November 2016 darzutun.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Solche rechtlichen Gesichtspunkte wären nach den Maßstäben des Verwaltungsprozessrechts nicht mittels einer Leistungsklage, sondern im Wege der allgemeinen Feststellungsklage geltend zu machen gewesen (vgl. etwa OVG Hamburg, Urteil vom 6. Mai 2015 - 2 Bf 2/12, NJOZ 2016, 154 Rn. 57 f.). Dies gilt auch im Fall des Drittrechtsschutzes. So kann sich aus der Verletzung von Rechtsnormen - etwa drittschützender Bestimmungen - entweder die Unwirksamkeit des Vertrags im Sinne von § 58 Abs. 1 VwVfG (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2019 - V ZR 177/17, juris Rn. 47; VG Arnsberg, Urteil vom 11. Februar 2019 - 8 K 3527/17, juris Rn. 133 ff.; noch weitergehend offenbar BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - KZR 84/20, juris Rn. 40 ff. [Herleitung des Eingriffs bereits aus § 42 Abs. 2 VwGO]) oder aber dessen Nichtigkeit gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 59 Abs. 1 VwVfG ergeben (vgl. jeweils zu Art. 108 Abs. 3 AEUV BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2016 - 10 C 3/15, juris Rn. 13; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2015 - OVG 6 B 24/14, juris Rn. 18 und 21 f.; ebenfalls für Anwendung des § 134 BGB BGH, Urteil vom 5. Dezember 2012 - I ZR 92/11, juris Rn. 34 m.w.N.; siehe ferner Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage § 59 Rn. 73 ff. [zur alternativ in Betracht kommenden Unwirksamkeit gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG] und § 60 Rn. 55 [zum vereinzelt erwogenen Lösungsrecht]). Hat der Dritte mit einem derartigen Feststellungsbegehren Erfolg, ist die Frage nach einer Vertragsbeendigungspflicht des Hoheitsträgers gegenstandslos.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Der nach dem Vorgesagten zu verzeichnende logische Vorrang des rechtsschutzintensiveren Feststellungsantrags hätte - wie vor allem die Beteiligten zu 2 und 3 zutreffend vorgebracht haben - auch hier Geltung beansprucht. Denn zum Zwecke der Gewährleistung eines lückenlosen Rechtsschutzes ist nicht allein die Statthaftigkeit einer Leistungsbeschwerde, sondern auch die Zulässigkeit einer - im EnWG wiederum ungeregelten - Feststellungsbeschwerde anerkannt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. April 2016 - EnVR 25/13, juris Rn. 30; vom 14. August 2008 - KVR 42/07, juris Rn. 80 f.).</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Die Zulässigkeit des Leistungsantrags hätte auch nicht auf das im Senatsbeschluss vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris Rn. 66 ff.) angenommene Umsetzungshindernis infolge der Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 durch das - damals noch nicht rechtskräftige, aber sofort wirksame - Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 10. September 2019 (T-883/16, juris) gestützt werden können. Hieran anknüpfend haben die Beschwerdeführerinnen gemeint, dass das vom Senat bejahte Umsetzungshindernis nicht temporärer Natur und einer Beseitigung zugänglich sei, sondern zur endgültigen Unwirksamkeit des Vertrags geführt habe. Auch insoweit ging es ihnen mithin nicht um eine Vertragskündigung oder -beendigung, die in der Senatsentscheidung vom 26. Mai 2021 (aaO Rn. 85) ohnehin nur beiläufig und zwar im Zusammenhang mit der Frage angesprochen worden ist, ob es angezeigt gewesen wäre, mit dem behördlichen Untersagungsbeschluss bis zum Abschluss einer eventuellen Neubewertung durch die Europäischen Kommission zuzuwarten. Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1 und 3 gegen den genannten Senatsbeschluss mit Beschluss vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen nicht auf ein Umsetzungshindernis, sondern die Nichtigkeit und Unwirksamkeit des Vertrags vom 28. November 2016 abgestellt (aaO Rn. 11 ff.).</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Denkbar wäre ein Leistungsantrag nach alledem allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer nach Abschluss des Vertrags vom 28. November 2016 veränderten Sachlage gewesen, etwa mit der Begründung, dass neu eingetretene Tatsachen (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG) oder nunmehr betrofffene Interessen (§ 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG) die Vertragsbeendigung gebieten. Denn für die Rechtmäßigkeit des Vertrags kommt es - wie allgemein bei der Prüfung eines Gesetzesverstoßes im Sinne von § 134 BGB (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - I ZR 231/10, juris Rn. 21) - im Grundsatz auf die im Zeitpunkt seines Abschlusses maßgeblichen Verhältnisse an (siehe auch BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 8 C 4/11, NVwZ 2013, 209 Rn. 52; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - KVR 14/01, juris Rn. 36; NK-VwVfG/Mann, 2. Auflage § 59 Rn. 54 f.), soweit nicht einem späteren Geschehen ausnahmsweise Rückwirkung zukommt. Dementsprechend ist eine Freistellung im Sinne von § 28a EnWG mit einer prognostischen Bewertung verbunden (siehe dazu Europäische Kommission, SEC (2009) 642 final Rn. 35), etwa soweit gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG (a.F.) zu beurteilen war, ob die Ausnahme sich nicht nachteilig auf den Wettbewerb, das effektive Funktionieren des Erdgasbinnenmarktes oder das effiziente Funktionieren des regulierten Netzes auswirkt, an das die Infrastruktur angeschlossen ist. Stellt sich eine derartige - ursprünglich fehlerfreie - Einschätzung nachträglich als unrichtig heraus, hat das grundsätzlich nicht deren anfängliche Rechtswidrigkeit zur Folge (vgl. aber auch BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13 und 1 BvR 595/14, NVwZ 2019, 52 Rn. 28).</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">Ob und inwieweit nachträglich eingetretene Umstände einen Dritten danach dazu berechtigen könnten, den an einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beteiligten Hoheitsträger zur Prüfung eines eventuellen Lösungsrechts zu veranlassen, wäre hier aber nicht weiter erheblich gewesen. Denn die Beschwerdeführerinnen hatten nicht etwa - jedenfalls nicht primär - einen erst nach dem 28. November 2016 entstandenen Vertragsbeendigungsanspruch geltend gemacht. Vielmehr diente ihr Vorbringen zur Entwicklung des Geschehens seit Anhängigkeit ihrer Beschwerden der Untermauerung ihres Standpunktes, dass der Vertrag bereits bei Abschluss gesetzwidrig gewesen sei.</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.2.</strong> Soweit die Beschwerdeführerinnen mit ihren - nach dem Vorgesagten allein statthaften - Feststellungsbeschwerden wörtlich die Nichtigkeit des auf den 28. November 2016 datierten Vertrags geltend gemacht haben, also bei verständiger Würdigung die Feststellung der Nichtigkeit der vertraglichen Abänderung der Freistellungsentscheidung erstreiten wollten, hätte sich die Beschwerdebefugnis in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 2 EnWG bestimmt. Es wäre mithin darauf angekommen, ob die Beschwerdeführerinnen materiell beschwert und auch im Übrigen nach den zur dieser Regelung entwickelten Grundsätzen beschwerdebefugt waren. Soweit der Senat in den Beschlüssen vom 30. Dezember 2016 und 11. Oktober 2017 die Vorschrift des § 75 Abs. 2 EnWG als nicht einschlägig bezeichnet und vielmehr insbesondere die Frage einer eventuell drittschützenden Wirkung des § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG als maßgeblich erachtet hat, hätte der Senat daran nicht festgehalten. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.2.1.</strong> Richtig ist, dass das Verwaltungsprozessrecht der verfassungsrechtlich verankerten Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht grundsätzlich folgt. Indem § 42 Abs. 2 VwGO dem Kläger abverlangt, eine Verletzung seiner Rechte geltend zu machen, wird das durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebene subjektiv-rechtliche Konzept des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt umgesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1993 - 7 A 3/92, juris Rn. 14). Damit korrespondiert die Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, nach welcher nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit, sondern erst die dadurch bewirkte subjektive Rechtsverletzung des Klägers zur gerichtlichen Aufhebung des von ihm angefochtenen Verwaltungsakts führt. Dementsprechend kommt es bei einer verwaltungsprozessualen Drittanfechtungsklage gerade - und regelmäßig allein - auf die Verletzung drittschützender Normen an (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 11 B 90/95, juris Rn. 3). Ein solcher Drittschutz ist im öffentlichen Wirtschaftsrecht etwa bejaht worden zu Gunsten eines Wettbewerbers eines Beihilfebegünstigten mit Blick auf das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV geregelte beihilferechtliche Durchführungsverbot (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2016 - 10 C 3/15, juris Rn. 13; vom 16. Dezember 2010 - 3 C 44/09, juris Rn. 13 ff.). Ebenfalls verwaltungsprozessual anfechtungsbefugt ist ein Dritter, der unter Bezugnahme auf § 21 TKG die Bedingungen des von ihm genutzten Zugangs zum Netz eines regulierten Unternehmens verbessern und nicht lediglich mittelbare Nachteile für eine von diesem Zugang unabhängige Wettbewerbsposition abwehren will (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2018 - 6 C 50/16, juris Rn. 13). Berücksichtigung finden kann schließlich eine grundrechtsrelevante (unzumutbare) Verwerfung der Konkurrenzverhältnisse durch drittbegünstigendes staatliches Handeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2011 - 3 C 41/10, juris Rn. 21), was im Ausgangspunkt freilich die Grundrechtsberechtigung des Betroffenen voraussetzt, welche hier aufgrund der staatlichen Beherrschung der Beschwerdeführerinnen zumindest nicht selbstverständlich ist (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11, juris Rn. 200).</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.2.2.</strong> Das Rechtsschutzsystem des EnWG ist hingegen anders strukturiert, soweit es um die Anfechtung behördlicher Entscheidungen geht (siehe dazu auch Schütte, EnWZ 2020, 398, 402 f.). Indem § 75 Abs. 2 EnWG die Beschwerdebefugnis an die Beteiligtenstellung knüpft, wird eine Beschwerdemöglichkeit solchen Dritten eröffnet, die auf Antrag eine Beiladung unter Hinweis auf eine erhebliche Berührung ihrer Interessen im Sinne von § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG erwirkt haben und durch die angefochtene Entscheidung materiell beschwert sind. Danach begründet die formale Stellung als Beiladungsbeteiligter zwar für sich genommen noch nicht die Beschwerdebefugnis (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 - EnVR 5/18, juris Rn. 13 m.w.N.). Für die materielle Beschwer genügt es aber, dass der Beteiligte durch die angefochtene Verfügung in seinen wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell betroffen ist. Eine rechtliche Betroffenheit bzw. eine subjektive Rechtsverletzung im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO ist hingegen nicht erforderlich (BGH aaO Rn. 19; Beschluss vom 24. Juni 2003 - KVR 14/01, juris Rn. 15). Damit korrespondiert, dass für eine Beiladung nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG erhebliche wirtschaftliche Interessen ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - EnVR 1/08, juris Rn. 17). Dies wiederum erklärt, weshalb der Begriffskategorie des subjektiven Rechts in Verfahren nach § 75 EnWG regelmäßig eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Hierauf wird meist nur beiläufig Bezug genommen, und zwar soweit es um die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung geht, also die Frage nach einer unmittelbaren Rechtsbetroffenheit des Dritten in Rede steht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - EnVR 52/09, juris Rn. 16 ff.; vom 9. Juli 2019 aaO Rn. 15; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2019 - VI-3 Kart 117/15 (V), juris Rn. 60 ff.; BeckOK-VwGO/Schmidt-Kötters, § 42 Rn. 158.1 [Stand: 1. Oktober 2019]).</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Von einer unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit im vorgenannten Sinn ist allerdings nur ausnahmsweise auszugehen, etwa bei einem unmittelbar regelnden Eingriff in eine bestehende Privatrechtslage (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, juris Rn. 19 f.), nicht aber bei einem bloßen direkten Wettbewerbsverhältnis (vgl. zur Fusionskontrolle BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - KVZ 20/04, juris Rn. 5 f.). Dass vom Vergleichsvertrag für die Beschwerdeführerinnen keine derartige unmittelbare Regelungswirkung ausgeht, also die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nicht vorgelegen haben, hat der Senat in den Beschlüssen vom 30. Dezember 2016 (unter B III 2 3) und 11. Oktober 2017 (unter B II 1 1) zum Ausdruck gebracht. Diese Bewertung ist von den Beschwerdeführerinnen nicht näher in Zweifel gezogen worden, und den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (KZR 84/20 und EnVR 36/21, jeweils juris) ist ebenfalls kein Anhaltspunkt für eine unmittelbare rechtliche Betroffenheit einiger oder aller Marktakteure zu entnehmen. Denn während der Bundesgerichtshof im Verfahren KZR 84/20 - bemerkenswerterweise unter Bezugnahme auf die bei § 42 VwGO geltenden Grundsätze - den drittschützenden Charakter mehrerer eisenbahnrechtlicher Regelungen zu Gunsten von Zugangsberechtigten und (schon) deshalb einen Eingriff im Sinne von § 58 Abs. 1 VwVfG bejaht hat (vgl. aaO Rn. 43), ist dieser Aspekt im Beschluss aus dem nach dem EnWG zu beurteilenden Verfahren EnVR 36/21 unerwähnt geblieben, und dies obwohl offensichtlich nutzungsinteressierte Dritte - zu denen die Beschwerdeführerinnen freilich nicht zählen - von der (Abänderung der) Freistellung der OPAL betroffen sein konnten.</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Mit den aufgezeigten engen Voraussetzungen einer notwendigen Beteiligung im Sinne des EnWG korrespondiert, dass gesetzliche Normen zum Schutz des Wettbewerbs - wie es etwa in Bezug auf § 36 GWB angenommen worden ist - allein im öffentlichen Interesse bestehen können, also dem Wettbewerber nicht zwangsläufig subjektive Rechte verleihen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - KVZ 40/05, juris Rn. 2; kritisch Bremer/Scheffczyk, NZKart 2017, 464, 466). Vergleichbar hierzu hat der Senat die Zweckrichtung des § 1 EnWG - insoweit vom Bundesgerichtshof in der Rechtsbeschwerdeinstanz unbeanstandet (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 - EnVR 5/18, juris Rn. 15 ff.) und entgegen der von den Beschwerdeführerinnen vertretenen Auffassung - dahin gedeutet, dass es dem Gesetzgeber nicht um die Interessen einzelner Netznutzer oder Wettbewerber, sondern um die Förderung der gemeinsamen Nutzerinteressen durch Förderung des Wettbewerbs gegangen sei (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2018 - VI-3 Kart 1202/16 (V), juris Rn. 27; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 51/09, juris Rn. 19 f.). Für den Dritten ergeben sich daraus für sich genommen aber keine Nachteile, weil eben nicht im engeren Sinn seine subjektiven Rechte maßgeblich sind, sondern die Beschwerdebefugnis - wie dargelegt - auf der materiellen Beschwer beruht.</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Freilich werden die so ausgestalteten Rechtsschutzmöglichkeiten des Dritten partiell wiederum eingeschränkt, indem es nicht allein auf dessen materielle Beschwer, sondern auch auf seine formale Beteiligtenstellung ankommt. Ist der Dritte nicht Beteiligter des Verwaltungsverfahrens gewesen und auch nicht im vorerwähnten Sinne rechtlich betroffen, fehlt es regelmäßig an der Befugnis, die Entscheidung der Bundesnetzagentur anzufechten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 51/09, juris Rn. 9 ff.).</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Nach ständiger Rechtsprechung sind allerdings zwei Ausnahmen vom vorgenannten Grundsatz anerkannt. So ist ein Dritter erstens auch dann beschwerdebefugt, wenn in seiner Person die subjektiven Voraussetzungen für eine Beiladung vorliegen, sein (rechtzeitiger) Beiladungsantrag allein aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt worden ist und er geltend machen kann, durch die Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen zu sein (BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - EnVR 1/08, juris Rn. 14 ff.). Entsprechendes gilt zweitens, wenn die Stellung eines Beiladungsantrags unverschuldet versäumt worden ist (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 51/09, juris Rn. 10), etwa weil das Verfahren in der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, juris Rn. 15). Mit dem so ausgestalteten Rechtsschutz ist das der RL 2009/73/EG zu entnehmende Rechtsschutzgebot in einem ausreichenden Maße umgesetzt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 aaO Rn. 21).</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.2.3.</strong> Die vorgenannten Grundsätze wären auch hier zur Anwendung gelangt, obwohl die Beschwerdeführerinnen mit ihrem Antrag zu 1 nicht etwa Anfechtungsbeschwerden eingelegt, sondern den Vertrag vom 28. November 2016 (hilfsweise) mit einer Feststellungsbeschwerde angegriffen haben (so wohl auch - aber ohne Begründung - Boos in Theobald/Kühling, Energierecht § 75 EnWG Rn. 59 [Werkstand: 115. Ergänzungslieferung]).</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die sinngemäße Heranziehung der Regelungen zur Anfechtungsbeschwerdebefugnis hätte nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu allgemeinen Feststellungsanträgen im Beschwerdeverfahren nach dem EnWG gestanden. Zwar soll die Statthaftigkeit solcher Beschwerden nach dem Bundesgerichtshof davon abhängen, ob sie zur Gewährung eines lückenlosen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich sind, und die Zulässigkeit solcher Anträge soll in entsprechender Anwendung der Regelungen der VwGO beurteilt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. April 2016 - EnVR 25/13, juris Rn. 30; vom 14. August 2008 - KVR 42/07, juris Rn. 80 f.). Die Vorschrift des § 75 Abs. 2 EnWG sowie das Kriterium der materiellen Beschwer sind mithin unerwähnt geblieben. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Bundesgerichtshof sich bislang nicht mit der hier maßgeblichen Konstellation des energiewirtschaftsrechtlichen Drittrechtsschutzes gegen einen entscheidungsersetzenden Vertrag zu befassen hatte.</p> <span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Mit der von der Bundesnetzagentur im Mai und November 2016 gewählten Handlungsform sind Besonderheiten solcher Art verbunden gewesen, welche die Heranziehung der für Anfechtungsbeschwerden geltenden Grundsätze geboten hätten.</p> <span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Mittels der formellen Beschwerdevoraussetzungen und des Kriteriums der materiellen Beschwer wird - wie bereits dargelegt - eine bloße wirtschaftliche Betroffenheit im Ergebnis zur wehrfähigen Rechtsposition heraufgestuft (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 23. September 2009 - VI-3 Kart 25/08 (V), juris Rn. 73). Der so ausgestaltete Drittrechtsschutz droht indes bei einer uneingeschränkten Heranziehung der verwaltungsprozessualen Grundsätze verkürzt zu werden, wenn - wie hier - eine Entscheidung im Sinne von § 75 Abs. 1 EnWG durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag ersetzt werden sollte. Eine solche Verkürzung ist jedenfalls dann zu besorgen, wenn man die Zulässigkeit einer Feststellungsklage davon abhängig macht, dass der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein, entweder weil er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen (so BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 6 B 2/11, juris Rn. 6; Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 C 10/08, juris Rn. 24; etwas einschränkend BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 10 C 18/14, juris Rn. 17). Denn bei einer uneingeschränkten Übertragung dieses Prüfungsmaßstabs auf das Feststellungsbeschwerdeverfahren nach dem EnWG könnte zwar ein (möglicher) vertragsmäßiger Eingriff in ein subjektives Recht und das damit eventuell verknüpfte Zustimmungserfordernis im Sinne von § 58 Abs. 1 VwVfG einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - KZR 84/20, juris Rn. 43 ff.; VG Arnsberg, Urteil vom 11. Februar 2019 - 8 K 3527/17, juris Rn. 125 ff.), nicht aber eine bloße (unmittelbare und individuelle) wirtschaftliche Betroffenheit, die für eine Anfechtungsbeschwerde ausreichend gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 - EnVR 5/18, juris Rn. 13 ff.) und den Umfang der materiellen Überprüfung durch das Beschwerdegericht vorgegeben hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - KVR 14/01, juris Rn. 18).</p> <span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Eine Verkürzung des Rechtsschutzes allein aufgrund der behördlichen Handlungsform wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem allgemeinen rechtsstaatlichen Willkürverbot (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 10 C 18/14, juris Rn. 23) nicht zu vereinbaren. Der energiewirtschaftsrechtliche Rechtsschutz wäre lückenhaft, obwohl der Bundesgerichtshof mit der Anerkennung von Feststellungsbeschwerden gerade das Gegenteil zu erreichen erstrebt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2016 - EnVR 25/13, juris Rn. 30). Erst recht wäre eine Verkürzung des Drittrechtsschutzes nicht hinnehmbar, wenn man mit dem Bundesgerichtshof (Beschluss vom 5. April 2022 - EnVR 36/21, juris Rn. 11 ff.) annimmt, dass die Bundesnetzagentur hier nicht einmal dazu befugt war, von dem Mittel eines Vertrags Gebrauch zu machen (zweifelnd zuvor auch Thole in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 28a EnWG Rn. 26). Dabei ergibt sich gerade aus der höchstrichterlichen Herleitung des Vertragsformverbots, dass auch der Bundesgerichtshof Rechtsschutzerschwernisse infolge der Handlungsform missbilligt. Denn er hat in seinem Beschluss vom 5. April 2022 unter anderem aufgezeigt, dass ein Vergleichsvertrag keine ausreichende Begründung für die Freistellung nach § 28a EnWG enthalten könne, was zu einer Beeinträchtigung der Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter führen könne (aaO Rn. 17).</p> <span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks">Nicht entscheidend wäre in diesem Zusammenhang gewesen, ob die Beschwerdeführerinnen sich als vom polnischen Staat beherrschte Unternehmen nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf deutsche Grundrechte (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11, juris Rn. 200; zu Art. 19 Abs. 4 GG; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 22. Februar 2019 - 2 BvR 2203/18, NVwZ 2019, 642 Rn. 18 ff.; BVerwG, Urteil vom 27. September 2018 - 7 C 23/16, NVwZ 2019, 163 Rn. 14) oder aber Unionsgrundrechte hätten berufen können (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18, NJW 2021, 1518 Rn. 36 m.w.N.). Maßgeblich wäre vielmehr gewesen, dass die einfachrechtlichen Regelungen zur Anfechtungsbeschwerdebefugnis den Betroffenen gerade von der - bisweilen komplexen - Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen Interessen und Rechtseingriffen entbinden. Dementsprechend war die in der hiesigen Sache aufgeworfene Frage nach einer eventuell drittschützenden Wirkung der § 28a EnWG und Art. 194 Abs. 1 AUEV und einer darauf beruhenden beiladungsunabhängigen Beschwerdebefugnis (ablehnend zu § 28a EnWG etwa Wegner, Regulierungsfreistellungen für neue Elektrizitäts- und Erdgasinfrastrukturen, S. 292 ff.) dem Beschwerdeverfahren nach dem EnWG - wie bereits dargelegt - typischerweise eher fremd (anschaulich BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - EnVR 1/08, juris Rn. 17, gerade unter Berücksichtigung der Vorinstanz OLG Naumburg, Beschluss vom 14. November 2007 - 1 W 35/06 (EnWG), juris Rn. 17). Denn soweit eine an § 42 Abs. 2 VwGO angelehnte eigenständige Beschwerdebefugnis bejaht wird, wird zumeist bloß die Fallkonstellation einer unmittelbaren Regelungswirkung - etwa im Sinne einer Umgestaltung der Privatrechtslage - in den Blick genommen (siehe hierzu BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, juris Rn. 17 ff.; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Auflage § 63 GWB Rn. 22 f.; Günther/Brucker, NVwZ 2015, 1735, 1737).</p> <span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Ob die aufgezeigte Praxis ausschließlich auf das Fehlen subjektiver Rechte oder deren Umfang (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - KVR 27/04, juris Rn. 26), die im Einzelfall gesehene Möglichkeit anderweitigen Rechtsschutzes (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 51/09, juris Rn. 14) oder aber eben doch auf die Erwägung zurückzuführen ist, dass die formellen Beschwerdevoraussetzungen des § 75 Abs. 2 EnWG bei einer bloß mittelbaren rechtlichen Beeinträchtigung mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sein könnten (vgl. zu materiellen Präklusionsbestimmungen BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80, juris Rn. 75 ff.; siehe aber auch BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 2009 - 1 BvR 1731/05, NVwZ 2009, 1282 Rn. 19), wenn man denn über ein Korrektiv für den Fall einer unverschuldet versäumten Beiladung verfügt, wäre nicht weiter entscheidend gewesen. Denn die hier gesehene Notwendigkeit zur Schließung von Rechtsschutzlücken wäre davon unabhängig gewesen. Sie hätte nicht mithilfe einer Ausdehnung des Kreises der unmittelbar rechtlich betroffenen Dritten oder eines dem Einzelfall geschuldeten Verständnisses subjektiver Rechte gewährleistet werden können, da die Rechte Dritter und deren Betroffenheit sich aus dem materiellen Recht ergeben, also nicht anhand der konkret statthaften Beschwerdeart oder der behördlichen Handlungsweise zu bestimmen sind. Zur Lückenschließung wäre es deshalb angezeigt gewesen, einem materiell beschwerten Dritten ohne Rücksicht auf eine subjektive Rechtsverletzung eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen einen öffentlich-rechtlichen und entscheidungsersetzenden Vertrag der Bundesnetzagentur zu eröffnen und einen solchen Vertrag gegebenenfalls umfassend - allenfalls begrenzt durch den Umfang der konkreten materiellen Beschwer (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - KVR 14/01, juris Rn. 18) - zu überprüfen.</p> <span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.</strong> Unter Anlegung des vorgenannten Maßstabs hätten sich die Feststellungsbeschwerden jedenfalls anfänglich als zulässig erwiesen.</p> <span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.1.</strong> Der Senat hätte - auch eingedenk der Begründung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) - wohl keine Bedenken gehabt, die Beschwerdebefugnis eines durch den Vertrag vom 28. November 2016 materiell beschwerten Dritten im Ausgangspunkt von seiner Beteiligung im Verwaltungsverfahren abhängig zu machen. Denn gerade die damit verbundene vollständige Übertragung der Grundsätze zur Anfechtungsbeschwerdebefugnis wäre dem entscheidungsersetzenden Charakter des Vertrags vom 28. November 2016 gerecht geworden.</p> <span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks">Richtig ist allerdings, dass das Gesetz die in § 9 VwVfG nebeneinander genannten Handlungsformen des Verwaltungsakts und des öffentlich-rechtlichen Vertrags unterschiedlichen Regelungen unterwirft. So fehlt es insbesondere an Vorschriften zur Bestandskraft öffentlich-rechtlicher Verträge mit Auswirkungen für Dritte (zu dahingehenden legislatorischen Empfehlungen siehe den Bericht des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2002, 834, 835). Dementsprechend waren die Beschwerdeführerinnen bei Einlegung ihrer Feststellungsbeschwerden auch nicht an die Frist des § 78 Abs. 1 EnWG gebunden (vgl. Huber in Kment, EnWG 2. Auflage § 78 Rn. 2; Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zur Energierecht, 4. Auflage § 78 EnWG Rn. 5).</p> <span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Diesen rechtlichen Unterschieden zwischen Verwaltungsakt und Vertrag hätte hier aber eine rechtsschutzbezogene Erwägung gegenüber gestanden. Aus der behördlichen Handlungsform sollen sich keine willkürlichen Nachteile für den beschwerdewilligen Dritten ergeben. Solche Nachteile könnten zwar vermieden werden, indem man die Zulässigkeit einer Drittfeststellungsbeschwerde allein von der materiellen Beschwer abhängig machte. Damit wäre aber zugleich - wie die Beteiligten zu 2 und 3 zu Recht vorgebracht haben - eine Bevorteilung verbunden, die dem Sinn der Anerkennung von Feststellungsbeschwerden zuwiderliefe. Denn mit ihnen sollen gerade Rechtsschutzlücken geschlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2016 - EnVR 25/13, juris Rn. 30).</p> <span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">Die Verfahrensweise der Bundesnetzagentur war hier auch nicht derart gesetzeswidrig, dass ihrem Handeln der Charakter eines beteiligungsfähigen behördlichen Verfahrens von vornherein und insgesamt abzusprechen wäre.</p> <span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Richtig ist, dass die behördliche Befugnis zur Freistellung im Sinne von § 28a EnWG - oder zur Abänderung einer solchen Entscheidung - im Wege eines öffentlichen-rechtlichen Vertrags unter verschiedenen Gesichtspunkten bezweifelt worden (so etwa Thole in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 28a EnWG Rn. 26; siehe hierzu auch BVerwG, Urteil vom 21. September 2018 - 6 C 7/17, juris Rn. 69 ff.) und vom Bundesgerichtshof im Beschluss vom 5. April 2022 (EnVR 36/29, juris Rn. 11 ff.) inzwischen ausdrücklich verneint worden ist. Entscheidend wäre aus Sicht des Senats in diesem Zusammenhang aber nicht das Vertragsformverbot, sondern vielmehr die Frage gewesen, ob das konkrete behördliche Handeln insgesamt von solch informeller Natur war (allgemein zum sogenannten informellen Verfahren siehe Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage § 9 Rn. 172 ff.), dass einem Dritten schon unter diesem Gesichtspunkt das Unterlassen eines Beiladungsantrags nicht entgegengehalten werden konnte. Dies wäre nicht der Fall gewesen.</p> <span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Zwar deuteten sowohl die Gespräche im Rahmen der OPAL-Working-Group als auch die offenbare Nichtkonsultation Dritter auf einen informellen Charakter des Handelns der Bundesnetzagentur hin, zumal das von den Beteiligten zu 1 bis 3 beantragte Wiederaufgreifen des Verfahrens zu keinem Zeitpunkt formal beschlossen worden war. Der so begründete Eindruck eines informellen Tätigwerdens wurde noch dadurch verstärkt, dass der Anstoß zur „Wiederbelebung“ des ursprünglichen „Ansatzes“ - d.h. des Vergleichsvertrags aus dem Jahre 2013 - ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs erst am 19. oder 20. April 2016 und damit wenige Wochen vor Unterzeichnung desjenigen Vertragstextes vom 11. Mai 2016 gegeben worden war, der sodann der Europäischen Kommission zur Prüfung zugeleitet wurde. Spätestens mit der hierauf veranlassten Veröffentlichung von Informationen zum Vertragsabschluss sowie der in Gang gesetzten Beteiligung der Europäischen Kommission bewegte sich das Handeln der Bundesnetzagentur indes erkennbar im verfahrensmäßigen Rahmen (zur intertemporalen Anwendbarkeit des Art. 36 RL 2009/73/EG vgl. EuGH, Urteil vom 26. März 2015 - C-596/13, juris Rn. 32 ff.). Dementsprechend gebrauchte die Bundesnetzagentur in ihrer Antwort auf die Eingabe der Beschwerdeführerin zu 2 vom 23. September 2016 den Begriff des „laufenden Verfahrens“.</p> <span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Es unterlag entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen auch keinen Bedenken, dass die Bundesnetzagentur die vorerwähnte schriftliche, in englischer Sprache verfasste Eingabe der Beschwerdeführerin zu 2 vom 23. September 2016 nicht als Beiladungsantrag begriffen hat. Denn darin sind lediglich allgemeine rechtliche Bedenken geäußert worden, ohne dass ein förmlicher Antrag ausdrücklich oder wenigstens sinngemäß gestellt worden wäre (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - KVZ 20/04, juris Rn. 5).</p> <span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen hätten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass sie noch am 28. November 2016 um 23:23 Uhr per Fax ausdrücklich die Beiladung beantragt hatten. Denn eine Beiladung kam zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht, weil der von den Beschwerdeführerinnen angegriffene öffentlich-rechtliche Vergleichsvertrag bereits unterzeichnet worden war.</p> <span class="absatzRechts">175</span><p class="absatzLinks">Zu den nach § 85 Nr. 2 EnWG anwendbaren Bestimmungen zum zivilprozessualen Beweisverfahren zählt die Regelung des § 417 ZPO. Gemäß dieser Vorschrift begründen die von einer Behörde ausgestellten, eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung enthaltenden öffentlichen Urkunden vollen Beweis ihres Inhalts. Der Geltungsbereich dieser Bestimmung beschränkt sich nicht allein auf die in ihr ausdrücklich genannten Urkunden. Vielmehr erfasst sie über ihren Wortlaut hinaus jede auf Außenwirkung gerichtete urkundliche Willenserklärung einer Behörde, die diese innerhalb der Grenzen ihres Amtsbereichs abgibt (BGH, Beschluss vom 4. April 2011 - V ZB 207/10, juris Rn. 19). Zu den von § 417 ZPO einbezogenen Willenserklärungen zählt deshalb auch die behördliche Zustimmung zu einem verwaltungsaktersetzenden Vertrag, dessen Original sich im beigezogenen Verwaltungsvorgang befindet.</p> <span class="absatzRechts">176</span><p class="absatzLinks">Die danach eingreifende Beweiswirkung erstreckt sich auf äußere Umstände, namentlich das - hier auf den 28. November 2016 lautende - Datum der behördlichen Erklärung (Feskorn in Zöller, Zivilprozessordnung 34. Auflage § 417 ZPO Rn. 3 m.w.N.; zu § 416 ZPO vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1990 - II ZR 309/88, juris Rn. 16). Im Wege einer daran anknüpfenden - aber auch einer selbständigen - Gesamtschau hätte der Senat sich von der Richtigkeit des übereinstimmenden und detaillierten Vorbringens der Bundesnetzagentur sowie der Beteiligten zu 1 bis 3 zu den Umständen des Vertragsschlusses einschließlich der Uhrzeit und Empfangsvertretung überzeugt.</p> <span class="absatzRechts">177</span><p class="absatzLinks">So leuchtete es ohne weiteres ein, dass vorsorglich auf den Erlass des Abänderungsverlangens der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 und nicht auf die Zustellung dieser Entscheidung abgestellt wurde, um den Lauf und das Ende der Monatsfrist nach Art. 36 Abs. 9 Unterabsatz 3 RL 2009/73/EG zu bestimmen. Die dazugehörigen Behauptungen der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 und 3 wurden durch den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs bestätigt, da schon in einer E-Mail der Bundesnetzagentur vom 31. Oktober 2016 ausdrücklich auf das Ende der Frist am „28. November 2016“ hingewiesen worden war. Dass gerade in den Nachmittagsstunden des 28. November 2016 - und nicht erst zur Nachtzeit nach 23:23 Uhr - die Unterzeichnung stattgefunden hat, ergab sich ergänzend aus den dokumentierten, bereits am fraglichen Nachmittag ergriffenen Maßnahmen zur Veröffentlichung von Informationen über den Vertragsabschluss. Schließlich datierte auch das an die Europäische Kommission gerichtete Informationsschreiben auf den 28. November 2016. Vor diesem Hintergrund erwies sich die von den Beschwerdeführerinnen hervorgehobene Datumsangabe („30.11.2016“) in den Geschäftsbedingungen der Beteiligten zu 1 - auch eingedenk des weiteren Vorbringens zu eventuellen Verfahrensverstößen - als eine offensichtlich irrtümliche Fehlinformation ohne Aussagekraft.</p> <span class="absatzRechts">178</span><p class="absatzLinks">Der Senat hätte auch nicht die Auffassung der Beschwerdeführerinnen geteilt, dass die Beiladungsanträge zumindest deshalb rechtzeitig waren, weil das Verwaltungsverfahren frühestens mit dem Ablauf der Frist zur Ausübung des der Beteiligten zu 3 eingeräumten Kündigungsrechts beendet worden sei oder gar andauere, weil der Vertrag in Rechte Dritter eingreife und daher nichtig sei.</p> <span class="absatzRechts">179</span><p class="absatzLinks">Zwar mag in dogmatischer Hinsicht der genaue Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses in den Fällen fehlender Zustimmung (§ 58 Abs. 1 VwVfG), unerkannter Vertragsnichtigkeit oder - soweit es um Verwaltungsakte geht - ausstehender Bestandskraft im Einzelnen streitig sein (vgl. dazu Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage § 9 Rn. 193 ff.). Darauf wäre es im hier maßgeblichen Zusammenhang aber nicht angekommen. Entscheidend wäre die spezifische Funktion einer Beiladung im Sinne von § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG gewesen, die insbesondere darin besteht, die behördliche Entscheidung auf eine breitere, den Interessen der anderen Marktbeteiligten Rechnung tragende Grundlage zu stellen (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, juris Rn. 10). Dieser Zweck hätte offensichtlich nicht mehr erfüllt werden können, wenn die Bundesnetzagentur - wie hier am Nachmittag des 28. November 2016 - die letzte behördliche Handlung vorgenommen hat und der Fortbestand der so erzielten Vereinbarung allenfalls noch von Entschlüssen Dritter abhing. Erst recht wäre es nicht angezeigt angewesen, zu Gunsten eines (wirtschaftlich betroffenen) Beschwerdeführers die Nichtigkeit des Vertrags und eine daraus (möglicherweise) abzuleitende Nichtbeendigung des Verfahrens im Zeitpunkt des Beiladungsantrags zu unterstellen. Die Rechtsprechung zu sogenannten doppelrelevanten Tatsachen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Juli 2014 - VIII ZR 376/13, juris Rn. 23 m.w.N.) ist insoweit nicht einschlägig.</p> <span class="absatzRechts">180</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.2.</strong> Indes wäre es für die Frage einer schuldlosen Nichtbeteiligung am behördlichen Verfahren ausnahmsweise nicht auf den - beiladungsspezifisch bestimmten - Verfahrensabschluss in Gestalt der Unterzeichnung und Aushändigung der Vertragsexemplare vom 28. November 2016 und die zuvor ab dem 13. Mai 2016 öffentlich zugänglichen Informationen angekommen. Vielmehr wäre in zeitlicher Hinsicht auf den Abschluss des ersten Teilaktes in Form derjenigen behördlichen Entschließung abzustellen gewesen, die den Gegenstand der Prüfung der Europäischen Kommission bildete.</p> <span class="absatzRechts">181</span><p class="absatzLinks">Der Vergleichsvertrag vom 11. Mai 2016 stand ausweislich des im Verwaltungsvorgang enthaltenen Originals und der darin in Bezug genommenen Vereinbarung vom Oktober 2013 einschließlich des zweiten Nachtrags vom 15. Juli 2014 unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Europäische Kommission bis zum Ablauf einer an die Regelungen des Art. 36 Abs. 9 RL 2009/73/EG angelehnten Frist kein Aufhebungs- oder Änderungsverlangen ausspricht oder aber innerhalb der Frist ausdrücklich zustimmt bzw. verbindlich von einem Aufhebungs- oder Änderungsverlangen absieht. Mit diesem Vereinbarungsbestandteil sollte ersichtlich den - freilich auf einseitig-hoheitliches Handeln zugeschnittenen - Regelungen in Art. 36 Abs. 8 und 9 RL 2009/73/EG und § 28a Abs. 3 Sätze 2 und 4 EnWG (a.F.) Rechnung getragen werden, nach denen die Europäische Kommission innerhalb einer grundsätzlich zweimonatigen Frist beschließen kann, die Änderung oder den Widerruf der Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme im Sinne von § 28a EnWG zu verlangen, und welche der Bundesnetzagentur als nationaler Regulierungsbehörde für den Fall eines solchen Verlangens die Pflicht auferlegen, binnen eines Monats ihre Entscheidung zu ändern oder aufzuheben. Mit dem als Genehmigung formulierten, ausweislich des Verwaltungsvorgangs wegen einer allseits einvernehmlichen Verlängerung noch fristgerechten Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 waren Vorgaben verbunden, die über den Vergleichsvertrag aus dem Mai 2016 hinausgingen. Infolge des Bedingungsausfalls bedurfte es mithin eines Neuabschlusses, der eine einseitig-hoheitliche Abänderung als Schlusspunkt des dreistufig ausgestalteten Prozesses (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Mai 2021 - VI-3 Kart 845/19 (V), juris Rn. 70) nachbilden sollte.</p> <span class="absatzRechts">182</span><p class="absatzLinks">Obwohl es nach dem Vorgesagten erst mit der Unterzeichnung am 28. November 2016 zum endgültigen Verfahrensabschluss kommen konnte, wäre für die Frage einer unverschuldeten Nichtbeteiligung am nationalen Verwaltungsverfahren jedoch ausnahmsweise nicht auf den letzten Akt, sondern vielmehr auf den Vertragsabschluss vom 11. Mai 2016 abzustellen gewesen. Dies hätte sich erstens aus den Besonderheiten einer behördlichen Freistellung nach § 28a EnWG ergeben. Diese zeichnet sich durch den schon angesprochenen dreistufigen Prozess aus, in dessen Rahmen die Erstentscheidung nicht etwa einen bloßen Entwurfscharakter hat, sondern ihr ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Vor diesem Hintergrund wäre zweitens von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, dass mit Blick auf den Inhalt der Vereinbarung vom 11. Mai 2016 nach deren Abschluss mit effektiven Einwirkungsmöglichkeiten Dritter und einer Neubeurteilung auf breiterer Grundlage im nationalen Verfahren nicht mehr zu rechnen war. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">183</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.2.1.</strong> Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris) aufgezeigt (aaO Rn. 67 ff.), dass die Mitwirkung der Europäischen Kommission nach Art. 36 Abs. 8 und 9 RL 2009/73/EG und damit auch die Rechtsnatur des Kommissionsbeschlusses vom 28. Oktober 2016 nicht offensichtlich einer bestimmten rechtlichen Kategorie zugeordnet werden können.</p> <span class="absatzRechts">184</span><p class="absatzLinks">So spricht namentlich der in Art. 36 Abs. 9 Unterabsatz 5 RL 2009/73/EG gebrauchte - auch in die Beschlussformel vom 28. Oktober 2016 aufgenommene - Begriff der Genehmigung dafür, dass die Gewährung einer Ausnahme im Sinne von § 28a EnWG unter einem Erlaubnisvorbehalt steht, also stets eines echten Freigabeaktes der Europäischen Kommission bedarf. Dann ähnelte deren Mitwirkung ihrer verfahrensmäßigen Einbindung im Rahmen der Beihilfenkontrolle nach Art. 108 AEUV, bei der es nach Anmeldung der Beihilfe insbesondere zu einem sogenannten Positivbeschluss oder aber einer Genehmigungsfiktion kommen kann (vgl. Art. 4 Abs. 2 und Abs. 6 VO (EU) 2015/1589). Dem steht allerdings gegenüber, dass Art. 36 RL 2009/73/EG weder ein an Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV und Art. 3 VO (EU) 2015/1589 angelehntes ausdrückliches Durchführungsverbot bis zur abschließenden Entscheidung der Europäischen Kommission normiert noch eine Zustimmungsfiktion (so allerdings offenbar Wegner, Regulierungsfreistellungen für neue Elektrizitäts- und Erdgasinfrastrukturen, S. 288) vorsieht für den Fall, dass eine fristgerechte Beanstandung der Europäischen Kommission unterbleibt (vgl. auch - zur punktuell anders gefassten Vorgängerregelung in Art. 22 RL 2003/55/EG - EuG, Beschluss vom 24. November 2010 - T-317/09, BeckRS 2010, 144324 Rn. 45 ff.; siehe auch EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2019 - C-117/18, BeckRS 2019, 31870 Rn. 42 f.; EuG, Urteil vom 10. September 2019 - T-883/16, juris Rn. 57; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 11. Dezember 2014 - C-596/13, BeckRS 2014, 82615 Rn. 71 [„vorläufig anwendbar“]).</p> <span class="absatzRechts">185</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund hat der Senat in seinem Beschluss vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris) nicht entschieden, ob es sich bei dem rechtskräftig für nichtig erklärten Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 um eine Genehmigung handelte, deren Nichtigkeit zur (schwebenden) Unwirksamkeit des Vergleichsvertrags etwa gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG oder gar zu dessen Nichtigkeit im Sinne von § 59 Abs. 1 VwVfG, § 134 BGB führt (vgl. zu Art. 108 AEUV BGH, Urteil vom 5. Dezember 2012 - I ZR 92/11, juris Rn. 34 m.w.N.; zum dortigen Streitstand Stelkens in Stelkens/Bonk//Sachs, VwVfG 9. Auflage § 59 Rn. 73 ff.), sondern angenommen (aaO Rn. 76 ff.), dass zumindest ein Umsetzungshindernis bestehe. Der Bundesgerichtshof hat diese Begründung zwar nicht geteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - EnVR 36/21, juris), die ihr zugrunde liegende Einschätzung einer unklaren europarechtlichen Rechtslage aber nicht beanstandet, sondern sich dazu nicht näher positioniert (vgl. aaO Rn. 18 ff.).</p> <span class="absatzRechts">186</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.2.2.</strong> Unabhängig von der Frage, ob die Europäische Kommission die ihr mitgeteilte nationale Entscheidung im engeren Sinne genehmigt oder aber - wie von den Beteiligten zu 1 bis 3 weiterhin geltend gemacht worden ist - lediglich prüft, ob sie von Eingriffsbefugnissen Gebrauch machen will, handelt es sich bei der ihr unterbreiteten nationalen Entscheidung allerdings nicht um einen bloßen Entwurf.</p> <span class="absatzRechts">187</span><p class="absatzLinks">Gegen einen Entwurfscharakter spricht bereits der Wortlaut des § 28a Abs. 3 Satz 1 EnWG, der von einer Entscheidung auf Antrag spricht, ergänzt um die weitere Vorgabe in § 28a Abs. 3 Satz 4 EnWG (a.F.), laut der die Entscheidung der Bundesnetzagentur nach Maßgabe einer endgültigen Entscheidung der Europäischen Kommission zu ändern oder aufzuheben sei. Der deutsche Gesetzgeber bewertet die der Europäischen Kommission zur Überprüfung vorgelegte nationale Entschließung mithin als zwar vorläufigen, aber immerhin potentiell endgültigen, insoweit nur noch von einer uneingeschränkten Genehmigung oder dem Nichteingreifen abhängigen Akt. Gerade deshalb bestand Anlass für die in § 28a Abs. 3 EnWG aufgenommene Klarstellung, dass die allgemeinen gesetzlichen Rücknahme- und Widerrufsbefugnisse (§ 48 und § 49 VwVfG) unberührt bleiben sollen.</p> <span class="absatzRechts">188</span><p class="absatzLinks">Das europäische Recht geht ebenfalls zweifelsfrei davon aus, dass es sich bei der nationalen Entscheidung, die sodann gemäß Art. 36 Abs. 8 Satz 2 RL 2009/73/EG mitzuteilen ist, nicht um einen bloßen Entwurf handelt. Zwar ergibt sich aus einer solchen Entscheidung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht eine sogenannte entstandene und endgültig erworbene Position (EuGH, Urteil vom 26. Mai 2015 - C-596/13, juris Rn. 44 siehe dazu auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 11.  Dezember 2014, BeckRS 2014, 82615 Rn. 71 f.). Anhand der detaillierten Regelungen zum Verfahren und den für die Beurteilung bedeutsamen Informationen insbesondere in Art. 36 Abs. 4 und 8 Satz 4 RL 2009/73/EG wird aber deutlich, dass die wesentlichen Bewertungsfragen bereits vor der Mitteilung der - dann in einem zweiten Schritt zu (über-) prüfenden - nationalen Entscheidung im Sinne von Art. 36 Abs. 8 Satz 2 RL 2009/73/EG zu beantworten sind. Dementsprechend ist in Art. 36 Abs. 9 Unterabsatz 3 RL 2009/73/EG nicht von der Anpassung eines Entwurfs, sondern ausdrücklich von der Änderung oder dem Widerruf der Entscheidung die Rede. Es wird mithin vorausgesetzt, dass es im Fall einer Billigung durch die Europäische Kommission - mag diese als Genehmigung formuliert sein oder sich aus dem Nichteinschreiten ergeben - mit der bereits getroffenen nationalen Entscheidung sein Bewenden hat. Anderes lässt sich auch nicht aus dem vom Gerichtshof der Europäischen Union etwa im Urteil vom 4. Dezember 2019 (C-342/18, BeckRS 2019, 31860 Rn. 59) gebrauchten Begriff der Absichtsbekundung herleiten („… le fait que cette autorité aurait manifesté l’intention de procéder à une telle mise en œuvre est sans pertinence …“). Denn dieser Urteilsabschnitt bezog sich erkennbar nicht auf die ursprüngliche Entscheidungsmitteilung der Bundesnetzagentur im Sinne von Art. 36 Abs. 8 Satz 2 RL 2009/73/EG.</p> <span class="absatzRechts">189</span><p class="absatzLinks">Beachtenswert wäre freilich gewesen, dass es sich bei dem Prüfungsgegenstand im Sinne von Art. 36 Abs. 8 Satz 2 RL 2009/73/EG nur um einen potentiell abschließenden Akt handelt. Denn in Abhängigkeit vom konkreten Verlauf kann es zu einer Fortsetzung des Verfahrens im Sinne einer dritten Phase kommen, angestoßen durch ein - eben hier erfolgtes - Änderungsverlangen der Europäischen Kommission.</p> <span class="absatzRechts">190</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof der Europäischen Union unter anderem in seinem Urteil vom 4. Dezember 2019 in der Rechtssache C-117/18 (BeckRS 2019, 31870) hervorgehoben, dass die endgültige Entscheidung nicht von der Europäischen Kommission, sondern der nationalen Behörde getroffen werde (vgl. aaO Rn. 42). Insbesondere soll ein Änderungsverlangen der Europäischen Kommission nicht eine starre Befolgungspflicht auslösen, sondern vielmehr die Notwendigkeit begründen, erneut zu prüfen, ob es ratsam sei, überhaupt eine Ausnahme zu gewähren (vgl. aaO Rn. 43). Der dahinlautenden Richtlinienvorgabe lässt sich zwanglos - jedenfalls mittels einer europarechtskonformen Auslegung des § 28a Abs. 3 Satz 3 EnWG (a.F.) - Rechnung tragen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - EnVR 36/21, juris Rn. 21), und hier war der Bundesnetzagentur eine abermalige Entschlussfassung schon deshalb möglich, weil der ursprüngliche Vergleich aus dem Mai 2016 infolge eines Bedingungsausfalls endgültig unwirksam geworden war.</p> <span class="absatzRechts">191</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.2.3.</strong> Konnte die Bundesnetzagentur von einer Abänderung der Freistellungsentscheidung vom 7. Juli 2009 auch noch im November 2016 absehen, so war es den Beschwerdeführerinnen bis zur Unterzeichnung am 28. November 2016 formal möglich, nicht nur unter Darlegung erheblicher eigener Interessen eine Beiladung zu beantragen, sondern auch auf einen Nichtabschluss des Vertrags hinzuwirken. Gleichwohl wäre das Unterlassen eines Antrags auf Beiladung zum nationalen Verfahren ab dem 11. Mai 2016 nicht mehr vorwerfbar gewesen.</p> <span class="absatzRechts">192</span><p class="absatzLinks">Die formal auch in der letzten Phase des dreistufigen Prozesses nach § 28a EnWG und Art. 36 RL 2009/73/EG bestehende Möglichkeit zur umfassenden mitgliedstaatlichen Neubeurteilung auf breiterer Grundlage im Sinne des Zwecks einer Beiladung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, juris Rn. 10) wird schon im Ausgangspunkt durch die Verfahrensausgestaltung relativiert. Dabei ist nicht allein zu berücksichtigen, dass - wie aufgezeigt - die wesentlichen nationalen Bewertungen bereits vor der Mitteilung gemäß Art. 36 Abs. 8 Satz 2 RL 2009/73/EG vorzunehmen waren. Vielmehr wird das Gewicht der Erstentscheidung ergänzend durch Fristenbestimmungen verdeutlicht, die Ausdruck einer zunehmend auf Beschleunigung ausgerichteten Verfahrensausgestaltung sind. So beträgt die Regeldauer des Prüfverfahrens der Europäischen Kommission lediglich zwei Monate, wobei sich die Kürze der Frist in erster Linie nicht mit deren Verlängerbarkeit, sondern gerade damit erklären lässt, dass die Europäische Kommission bereits über den Beginn der ersten Phase zu informieren ist, indem gemäß Art. 36 Abs. 8 Satz 1 RL 2009/73/EG schon der Antrag auf Gewährung einer Ausnahme unverzüglich nach dessen Eingang zu übermitteln ist. Kommt es zum Abänderungsverlangen, wird in der letzten Phase eine lediglich einmonatige Frist in Gang gesetzt (Art. 36 Abs. 9 Unterabsatz 3 RL 2009/73/EG), die nach der Richtlinie oder dem nationalem Recht bemerkenswerterweise nicht einmal ausgeschöpft werden muss.</p> <span class="absatzRechts">193</span><p class="absatzLinks">Angesichts dieser Verfahrensausgestaltung läge es schon nicht fern, einem Dritten das Unterlassen eines Beiladungsantrags zum nationalen Verfahren generell nur dann vorzuhalten, wenn er hierzu schon in der ersten Phase des dreistufigen Prozesses im Stande gewesen wäre. Denn aufgrund der Kürze des letzten Abschnitts dürfte eine effektive Einwirkung auf die behördliche Entscheidungsfindung im Sinne einer umfassenden Neubewertung eher unwahrscheinlich sein, wenn die Europäische Kommission die nationale (bestenfalls ausführlich begründete) Erstentscheidung - wie hier - zu wesentlichen Teilen gebilligt hat. Ausschlaggebend wäre aber nicht die Frage nach einer generellen Vorverlagerung des für eine schuldhafte Nichtbeteiligung am nationalen Verwaltungsverfahren maßgeblichen Zeitpunktes gewesen. Vielmehr wäre im Lichte des gesetzlichen Gewichts der Erstentscheidung von besonderer Bedeutung gewesen, dass die Bundesnetzagentur und die Beteiligten zu 1 bis 3 ausweislich des Inhalts des Vertrags vom 11. Mai 2016 die Fortgeltung der Verhandlungsklausel ausdrücklich für den Fall eines Änderungsverlangens der Europäischen Kommission und des damit verknüpften Bedingungsausfalls vereinbart hatten.</p> <span class="absatzRechts">194</span><p class="absatzLinks">In der bezeichneten Verhandlungsklausel wurde als ausdrückliches Ziel der Verhandlungen der Abschluss eines angepassten Vertrags bezeichnet, der dem Gleichgewicht der Interessen, das dem Vergleichsvertrag zugrunde gelegen hat, Rechnung tragen sollte. Zu den in Bezug genommenen Interessen zählte damit unter anderem das im Vertrag vom 11. Mai 2016 als „legitim“ bezeichnete Ziel der Beteiligten zu 1 bis 3 an einer langfristigen Buchungsmöglichkeit von 80 % der teilregulierten Kapazitäten (§ 1 Abs. 1 des Vertrags vom 11. Mai 2016 in Verbindung mit § 1 Abs. 4 des Vertrags vom 31. Oktober 2013). Zumindest unter solchen Umständen war einem Dritten das Unterlassen eines Beiladungsantrags nach dem 11. Mai 2016 nicht mehr vorwerfbar. Denn angesichts der vertraglichen Vereinbarungen durfte ein Dritter von einer Determinierung des behördlichen Entscheidungsspielraums entweder kraft rechtlicher Bindung oder aufgrund faktischer Vorabfestlegung der Behörde (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. September 2018 - 6 C 6/17, juris Rn. 75) ausgehen und insbesondere annehmen, dass eine umfassende Neuausübung des Ermessens in der letzten Phase nach dem im Wesentlichen billigenden Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 ausgeschlossen sei. Dabei wäre irrelevant gewesen, dass den Beschwerdeführerinnen der genaue Wortlaut des Vertrags vom 11. Mai 2016 in seiner Gesamtheit nicht bekannt war. Vielmehr hätte es genügt, dass sie die Handlungsform des Vertrags gerade unter dem Gesichtspunkt eines damit verbundenen Abwägungsdefizits beanstandeten und die Einleitung eines durch Verwaltungsakt abzuschließenden Verfahrens erwarteten.</p> <span class="absatzRechts">195</span><p class="absatzLinks">Soweit die Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 nach Erläuterung der Rechtsauffassung des Senats zu bedenken gegeben hat, dass es bei der Beiladung nur auf den formalen Verfahrensabschluss ankomme, man insbesondere nicht auf den Umfang der noch verbliebenen Einwirkungsmöglichkeiten abstelle, hätte auch dies nichts an der Richtigkeit der vorgenannten Beurteilung geändert. Der Senat hätte Dritten nicht die Befugnis abgesprochen, noch kurz vor Vertragsunterzeichnung die Beiladung zu beantragen. Maßgeblich wäre vielmehr die Frage der unverschuldeten Versäumung der Antragstellung gewesen, bei der es - wie schon aufgezeigt - auf die Besonderheiten dieses Einzelfalls im Lichte des Gewichts der Erstentscheidung vom 11. Mai 2016 angekommen wäre.</p> <span class="absatzRechts">196</span><p class="absatzLinks">Entgegen der im Beschluss der Bundesnetzagentur vom 20. Dezember 2016 anklingenden Auffassung (dort S. 14) wäre schließlich nicht von Belang gewesen, ob Dritte und damit auch die Beschwerdeführerinnen auf die Entscheidung der Europäischen Kommission oder deren Nachfragen hätten einwirken können. Denn die Bundesnetzagentur hatte als nationale Behörde die Entscheidungsverantwortung (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2019 - C-117/18, BeckRS 2019, 31870 Rn. 42) und eine dem EnWG entsprechende Beteiligungsmöglichkeit zu gewährleisten.</p> <span class="absatzRechts">197</span><p class="absatzLinks">Wäre es danach in zeitlicher Hinsicht auf die Vorwerfbarkeit der Nichtbeteiligung vor dem 11. Mai 2016 angekommen, so war weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass den Beschwerdeführerinnen schon zu diesem Zeitpunkt die konkrete Möglichkeit einer (abermaligen) vergleichsweisen Abänderung der Freistellungsentscheidung und ein entsprechendes behördlichen Handeln bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Vielmehr ergab sich aus dem Verwaltungsvorgang eine geradezu spontane und dann mit Beschleunigung betriebene Entscheidungsfindung ab dem 19. oder 20. April 2016.</p> <span class="absatzRechts">198</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.</strong> Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 bis 3 waren die Beschwerdeführerinnen jedenfalls ursprünglich auch materiell beschwert. Insbesondere war ihr Rechtsschutzziel - wie im Folgenden aufgezeigt werden wird - nicht offensichtlich unvereinbar mit dem Regelungsgehalt des § 28a EnWG. War das Anliegen danach nicht illegitim, hätten keine Bedenken bestanden, die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerinnen jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Energiesolidarität als anerkennenswert zu qualifizieren, mag es sich hierbei auch um einen Rechtssatz handeln, der formal ausschließlich Unionsorgane und Mitgliedstaaten berechtigt und verpflichtet. Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">199</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.1.</strong> Ob ein Dritter durch eine Freistellung gemäß § 28a EnWG unmittelbar und individuell betroffen ist, ist in erster Linie nach dem Zweck der einschlägigen Bestimmungen zu beurteilen (vgl. bereits Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 2010 - VI-3 Kart 193/09 (V), juris Rn. 16; vom 10. April 2006 - VI-3 Kart 163/06 (V), juris Rn. 11; siehe auch BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 25/06, juris Rn. 16).</p> <span class="absatzRechts">200</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat hierzu in seinem - die ursprüngliche Freistellung der OPAL betreffenden - Beschluss vom 9. Juni 2010 (aaO Rn. 16) ausgeführt, dass die gerichtliche Kontrolle Wettbewerber im Fall einer zu Unrecht erteilten Ausnahme davor schützen solle, dass sie durch die (nicht regulierten) Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang in ihren wirtschaftlichen Gestaltungsräumen eingeschränkt werden. Wegen der besonderen Marktstrukturen und der engen Verzahnung zwischen dem Netzzugang und den vor- und nachgelagerten Märkten könne eine Ausnahme vom regulierten Netzzugang daher eine individuelle und unmittelbare Betroffenheit auf den vor- und nachgelagerten Märkten auslösen. Denkbar sei eine individuelle und unmittelbare Betroffenheit aber auch für den Fall, dass ein unmittelbares Wettbewerbsverhältnis zu dem Netzbetreiber bestehe. Dies vorausgeschickt sei von einer materiellen Beschwer eines Dritten auszugehen, wenn und soweit er durch die gewährte Ausnahme vom regulierten Netzzugang in seinem eigenen unternehmerischen und wettbewerblichen Betätigungsfeld auf dem relevanten Markt - durch drohende negative Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen - nachteilig betroffen sei. Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat der Senat eine materielle Beschwer des damals Beigeladenen - einem potentiellen Anbieter von Gastransportleistungen - verneint, unter anderem weil der Bedarf an Verbindungskapazitäten nach Tschechien durch die vom Beigeladenen geplante Leitung nicht gedeckt werden könne (vgl. aaO Rn. 26)</p> <span class="absatzRechts">201</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.</strong> Obwohl der Senat sich schon im dargestellten Umfang zu den Freistellungsvoraussetzungen nach § 28a EnWG und dem potentiellen Drittrechtsschutz geäußert hat, sind die maßgeblichen Prüfungskriterien noch nicht abschließend geklärt. Dies gilt sowohl für den Fall der erstmaligen Freistellung als auch - und erst recht - für die hier entscheidende Konstellation einer Abänderung einer solchen Ausnahmegenehmigung. Eine solche Klärung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen auch nicht aus dem Hinweis auf beschwerdewillige „Gasversorgungsunternehmen“ im Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris Rn. 17). Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">202</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.1.</strong> Dass der Vergleichsvertrag vom 28. November 2016 zumindest an den Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG zu messen war, hätte der Senat weiterhin für zutreffend gehalten (so schon Senatsbeschluss vom 30. Dezember 2016 unter B III 3 2 1). Dies hätte insbesondere nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung der europäischen Gerichte gestanden. Denn das Gericht der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 10. September 2019 (T-883/16, juris) lediglich die Anwendbarkeit der Unterregelung in Art. 36 Abs. 1 Buchst. a RL 2009/73/EG verneint, weil diese - ebenso wie § 28a Abs. 1 Nr. 1 EnWG - das Erfordernis einer Verbesserung der Versorgungssicherheit auf die Investition beziehe, im Stadium der Abänderung der Ausnahmegenehmigung aber keine neue Investition getätigt worden sei (vgl. aaO Rn. 58). § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG (a.F.) und Art. 36 Abs. 1 Buchst. e RL 2009/73/EG (a.F.) stellen hingegen, soweit danach insbesondere nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb oder das effektive Funktionieren des Erdgasbinnenmarktes zu prüfen sind, auf die Ausnahme als solche ab, um deren Änderung es hier gerade ging.</p> <span class="absatzRechts">203</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.2.</strong> Der Senat hätte im Weiteren keinen Anlass gesehen, die von den Beschwerdeführerinnen zum wesentlichen Ausgangspunkt ihrer Erwägungen gemachte Befürchtung, es könne zu einer signifikanten Verlagerung der physischen Gasflüsse zum Nachteil der JAMAL oder der BRUDERSCHAFT kommen, schon unter dem Gesichtspunkt einer bloßen Spekulation oder in Ermangelung eines rein monokausal nachzuzeichnenden Zusammenhangs zurückzuweisen (in diese Richtung aber EuG, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - T-849/16, BeckRS 2017, 138217 Rn. 41). Dies hätte sich zum einen aus dem Wesen einer auf § 28a EnWG gestützten Entscheidung und zum anderen aus den Umständen des Einzelfalls ergeben.</p> <span class="absatzRechts">204</span><p class="absatzLinks">Eine Freistellung nach § 28a EnWG ist mit einer Prognose verbunden, die gerade angesichts des typischerweise langen Geltungszeitraums einer Ausnahmegenehmigung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist (siehe dazu Europäische Kommission, SEC (2009) 642 final Rn. 35). Stehen solche Unsicherheiten der Erteilung einer Genehmigung zum Vorteil des ausdrücklich beweisbelasteten Antragstellers (§ 28a Abs. 3 Satz 1 EnWG) nicht generell entgegen, so dürfen auch an das Vorbringen eines Dritten keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Dementsprechend wären die Beschwerdeführerinnen nicht - insbesondere nicht bereits im Rahmen der Zulässigkeit ihrer Beschwerden - gehalten gewesen, den lückenlosen Nachweis der konkreten Verwirklichung eines Verlagerungspotentials zu führen, um eine erhebliche gegenwärtige Betroffenheit darzutun (zum letztgenannten Erfordernis Senatsbeschluss vom 25. April 2018 - VI-3 Kart 22/17 (V), juris Rn. 45)</p> <span class="absatzRechts">205</span><p class="absatzLinks">Dass mit der höheren Auslastung der OPAL und der vorgelagerten Nord Stream zumindest ein Verlagerungspotential zu Lasten anderer Transitwege in die Europäische Union verbunden ist, steht - und stand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses - jedoch außer Zweifel. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der OPAL gerade nicht um ein Inselprojekt handelt. Sie dient vielmehr als Verlängerung der Nord Stream und kann ihrerseits laut der Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 wirtschaftlich sinnvoll nur dank der Existenz der GAZELLLE betrieben werden, zumal die von den Verbindungskapazitäten abgegrenzte nationale und regulierte Transportkapazität in üblicher Flussrichtung jedenfalls nach Einschätzung der Europäischen Kommission vom 12. Juni 2009 (K(2009) 4694 Rn. 24) bis zum Vergleichsabschluss auf jährlich 4,5 Milliarden m<sup>3</sup> nach oben hin limitiert gewesen sein dürfte.</p> <span class="absatzRechts">206</span><p class="absatzLinks">Die Steigerung der Auslastung durch Schaffung sogenannter entkoppelter Verbindungskapazitäten (die teils grundlegend kritisch gesehen werden) ist hiernach zumindest geeignet gewesen, die Auslastung anderer Importrouten negativ zu beeinflussen. Denn zum einen war die Möglichkeit eines in der Europäischen Union zukünftig im Wesentlichen stagnierenden Erdgasimportbedarfs nicht auszuschließen. Zum anderen zeichnete sich bereits im Jahre 2016 die Schaffung weiterer Transportwege ab. Dementsprechend wurden sowohl die Errichtung und Inbetriebnahme der OPAL als auch der hier streitgegenständliche Vergleichsvertrag von der Europäischen Kommission gerade deshalb als versorgungssicherheitserhöhend bewertet, weil eine neue Lieferroute geschaffen wurde (so das Schreiben 12. Juni 2009 - K(2009) 4694 Rn. 27 ff.) und die Folgen einer Lieferunterbrechung auf anderen Transitrouten zumindest abgemildert würden (Beschluss vom 28. Oktober 2016 - C(2016) 6950 final Rn. 49 f.). Eben diese Erwägungen lagen auch schon der ursprünglichen Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 zugrunde. So war darin nicht nur angemerkt worden, dass mit der Versorgung über die Nord Stream „teilweise“ eine „Verlagerung bestehender Transporte“ verbunden sei (S. 5). Vielmehr hatten auch eventuelle negative Effekte auf die Entgeltregulierung durch die Minderauslastung existierender Transporten (in Tschechien und der Slowakei) Erwähnung gefunden (vgl. S. 70).</p> <span class="absatzRechts">207</span><p class="absatzLinks">Dass die zukünftige Auslastung der JAMAL und der BRUDERSCHAFT nicht ausschließlich durch eine Mehrnutzung der OPAL vorherbestimmt werden, wäre nach Auffassung des Senats nicht geeignet gewesen, eine relevante Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen zu verneinen. Gewiss hätte insbesondere ein von den Beschwerdeführerinnen zwischenzeitlich prognostizierter Nichtabschluss eines neuen Transitvertrags mit B einen größeren Effekt auf die Flussrouten gehabt als die Ausnutzung der hier in Frage stehenden OPAL-Kapazitäten. Ähnliches mag für die Auswirkungen des neuen Nutzungsregimes des polnischen Abschnitts der JAMAL gelten (vgl. dazu EuG, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - T-849/16, BeckRS 2017, 138217 Rn. 41). Das Vorhandensein mehrerer Einflussfaktoren hätte aber für sich genommen nicht gerechtfertigt, einer gesteigerten OPAL-Auslastung von vornherein die Eignung zur Verursachung relevanter negativer Effekte abzusprechen. Eine solche Betrachtung wäre weder der technisch und wirtschaftlich komplexen Lage noch dem Gedanken möglicher Wechselwirkungen gerecht geworden.</p> <span class="absatzRechts">208</span><p class="absatzLinks">Die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Verlagerungsszenarien wären auch nicht schon deshalb irrelevant gewesen, weil eine vollauslastende Inanspruchnahme der OPAL-Verbindungskapazitäten bereits zuvor - und zwar unter der Voraussetzung der Durchführung eines Gas-Release-Programms - theoretisch denkbar gewesen wäre. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 30. Dezember 2016 (unter B III 3 2 1) ausgeführt, dass nicht eine formale Betrachtung maßgeblich sei (etwa gestützt auf die Erwägung, dass die Teilregulierung der entkoppelten FZK-Verbindungskapazitäten für Dritte auf den ersten Blick ausschließlich vorteilhaft sei), sondern eine wertende Beurteilung stattzufinden habe. Dementsprechend hätte nicht unberücksichtigt bleiben können, dass der Vergleichsvertrag vom 28. November 2016 ausweislich seiner Präambel gerade mit Blick auf die Unterauslastung der OPAL geschlossen wurde, die nach übereinstimmend niedergelegter Einschätzung „weder im Interesse der Investoren bzw. des Betreibers … noch im Interesse der Versorgungssicherheit“ gelegen habe. Vor diesem Hintergrund wäre - entgegen der vor allem von den Beteiligten zu 2 und 3 vertretenen Auffassung - auch nicht ausschlaggebend gewesen, dass die JAMAL bereits zuvor etwa mithilfe der BRUDERSCHAFT hätte „umgangen“ werden können.</p> <span class="absatzRechts">209</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.3.</strong> Die Beschwerdebefugnis hinsichtlich der Feststellungsanträge zu 1 wäre auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines illegitimen, weil auf Verhinderung von Wettbewerb gerichteten und den Prüfungsmaßstab des § 28a EnWG verkennenden Rechtsschutzziels offensichtlich zu verneinen gewesen.</p> <span class="absatzRechts">210</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen haben - ausdrücklich entgegen der Würdigung der Bundesnetzagentur in der Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 - der Sache nach geltend gemacht, der Komplex der Nord Stream, OPAL und GAZELLE müsse als Einheit betrachtet werden, und haben weiterhin gemeint, dass diese Gesamtheit anderen - ganz oder teilweise regulierten - Transitrouten gegenüberzustellen sei. Spezifische Nachteile gerade aufgrund der Teilregulierung der OPAL-Kapazitäten in Gemäßheit des Vergleichsvertrags haben die Beschwerdeführerinnen jedoch allenfalls beiläufig in den Blick genommen (so etwa in Anlage Bf 76 unter 4 2 2). Dementsprechend ist von der Bundesnetzagentur und den Beteiligten zu 1 bis 3 - jeweils mit unterschiedlicher Akzentuierung - für sich genommen zutreffend hervorgehoben worden, dass es den Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen um die von ihnen missbilligte Existenz der OPAL und dies letztlich unter Einbeziehung der Nord Stream gegangen sei.</p> <span class="absatzRechts">211</span><p class="absatzLinks">Das so gestaltete Begehren war jedoch nicht Ausdruck einer illegitimen Absicht zur Perpetuierung der Unterauslastung der OPAL, sondern mit dem Prüfprogramm des § 28a EnWG durchaus zu vereinbaren. Abgesehen davon, dass die hier - zumindest auch - angeführten versorgungssicherheitsbezogenen Aspekte nicht zwangsläufig deckungsgleich mit wettbewerblichen Grundsätzen sein müssen, beurteilt jedenfalls die Bundesnetzagentur die wettbewerblichen Auswirkungen der (konkret) gewährten Ausnahme in ihrer Entscheidungspraxis zu (erstmaligen) Freistellungen anhand eines sogenannten kontrafaktischen Szenarios, in welchem als Vergleichsmaßstab die gedachte Situation der Nichterrichtung der Infrastruktur dient. Nicht abgestellt wird damit auf einen Vergleich mit einem hypothetischen vollregulierten Betrieb (vgl. Beschluss vom 21. Juni 2021 - BK7-18-063-final, S. 31 und 60; so ausdrücklich auch die ursprüngliche OPAL-Freistellung vom 25. Februar 2009, S. 36 f., allerdings nicht durchweg konsequent, vgl. zu Entgelteffekten auf anderen Routen S. 70). Ihre Rechtsauffassung stützt die Bundesnetzagentur vor allem auf § 28a Abs. 1 Nr. 2 EnWG, weil die Gewährung einer Ausnahme danach gerade davon abhängig sei, dass die Investition nur im Fall der Ausnahme getätigt werde (etwas einschränkend dazu wiederum Senatsbeschluss vom 25. August 2021 - VI-3 Kart 211/20 (V), juris Rn. 98). Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen entsprach im Wesentlichen dem beschriebenen Prüfungsmaßstab, soweit sie auf Nachteile infolge einer mit dem Vertrag vom 28. November 2016 befürchteten Mehrnutzung der OPAL sowie einer damit verbundenen Verlagerung von physischen Gasflüssen abstellten, also nicht - wie von den Beteiligten zu 1 bis 3 und der Bundesnetzagentur im hiesigen Verfahren bisweilen eingefordert - gerade die spezifischen Auswirkungen der Freistellung von der Regulierung im Unterschied zu einem gedachten vollregulierten Betrieb der OPAL in den Mittelpunkt rückten.</p> <span class="absatzRechts">212</span><p class="absatzLinks">Wäre die OPAL im kontrafaktischen Szenario danach als nicht existent zu betrachten gewesen, wäre es auch nicht offensichtlich ausgeschlossen, weitere Existenzvoraussetzungen - etwa die Nord Stream und die GAZELLE - ebenfalls hinzuwegzudenken. Zugleich wäre es bei einer solchen Vergleichsbetrachtung nicht zwingend darauf angekommen, ob die Bundesnetzagentur zu Recht von der - beiläufig erwähnten - Möglichkeit ausgegangen ist, über die in der Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 ausdrücklich bezifferten nationalen Kapazitäten hinausgehende regulierte Ausspeisungen „in Abhängigkeit von der Flusssituation in den angrenzenden Fernleitungsnetzen … auf unterbrechbarer Basis“ vorzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">213</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.4.</strong> Eine relevante Beeinträchtigung der Beschwerdeführerinnen wäre auch nicht in geografischer Hinsicht offenkundig zu verneinen gewesen.</p> <span class="absatzRechts">214</span><p class="absatzLinks">In der Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 (dort S. 49 ff.) hat die Bundesnetzagentur gemeint, dass es vor allem auf den tschechischen Absatzmarkt ankomme (im Kern ebenso das Schreiben der Europäischen Kommission vom 12. Juni 2009 - K(2009) 4964), weil die Ausnahme nur für Verbindungskapazitäten erteilt werde, wobei die Effekte eines etwaigen Weitertransports der GAZELLE zuzurechnen und damit nicht maßgeblich seien. Die Beschwerdeführerinnen sind bereits dieser ursprünglichen Bewertung entgegengetreten unter Gegenüberstellung des tschechischen Gasbedarfs und der OPAL-Ausspeisekapazität in Brandov. Eben dieser Gedanke ist in der Literatur gegen die Eigenschaft der OPAL als Verbindungsleitung angeführt worden ist (Däuper/Wöstehoff, ZNER 2009, 99, 101 f.). Ihm wird folgerichtig besondere Aufmerksamkeit zuteil, soweit der Vergleichsvertrag vom 28. November 2016 - etwa über die sogenannten teilregulierten dynamisch zuordenbaren Kapazitäten oder die Überspeisungsklausel - in größerem Maße einen Zugang zum deutschen Marktgebiet eröffnet haben sollte im Vergleich zu denjenigen (regulierten) Transporten, die in der Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 in den Blick genommen und von der die Ausnahme prägenden Verbindungskapazität abgegrenzt worden sind.</p> <span class="absatzRechts">215</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerinnen haben sich indes nicht in erster Linie auf eine Verschlechterung des Wettbewerbs in Deutschland berufen, zumal sie nicht eine Zunahme der Gesamtimportmenge, sondern eine Verlagerung der Gasflüsse prognostizierten. Sie haben vielmehr vor allem auf den polnischen Markt und die dortigen Verhältnisse abgestellt einschließlich einer eigenständig oder im Rahmen des § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG implizit zu berücksichtigenden Gefährdung der Versorgungssicherheit. Ihnen wäre dabei zuzugeben gewesen, dass Art. 36 RL 2009/73/EG und § 28a EnWG - auch in der bei Vertragsabschluss jeweils geltenden Fassung - eine ausdrückliche oder sinngemäße Beschränkung der Prüfung dahin, es seien lediglich Veränderungen der Verhältnisse auf dem unmittelbar geografisch bedienten Markt zu berücksichtigen, nicht zu entnehmen war (so auch bereits Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2017 unter B III 1 2 3 1). Die Neufassung des § 28a Abs. 1 Nr. 5 EnWG durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl. Teil I Nr. 45, S. 2002) in Umsetzung der RL (EU) 2019/692, nach welcher es nunmehr „auf den Wettbewerb auf den jeweiligen Märkten, die wahrscheinlich von der Investition betroffen sein werden“, ankommt, hätte mithin als bloße Klarstellung begriffen werden können, mag in den Gesetzesmaterialien - worauf die Beteiligten zu 2 und 3 hinweisen haben - auch von „neu hinzugekommenen“ Prüfungspunkten die Rede sein (BT-Drucks. 19/13443, S. 11).</p> <span class="absatzRechts">216</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.5.</strong> Schließlich wären die Beschwerdeführerinnen auch in sachlich-persönlicher Hinsicht potentiell erheblich Betroffene im Sinne von § 28a, § 66 Abs. 2 Nr. 3 und § 75 Abs. 2 EnWG gewesen.</p> <span class="absatzRechts">217</span><p class="absatzLinks">Soweit es um die sachliche Betroffenheit geht, ist - wie schon im Beschluss des Senats vom 9. Juni 2010 (VI-3 Kart 193/09 (V), juris Rn. 16) ausgeführt - vor allem auf den vorgelagerten Produzenten- und Exportmarkt sowie den nachgelagerten Ferngasmarkt abzustellen. Der Senat hat allerdings - entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2 bis 3 - eine individuelle Betroffenheit von Importeuren oder Händlern seinerzeit (vgl. aaO Rn. 18) nicht kategorisch von der beabsichtigten Nutzung der freigestellten Infrastruktur abhängig gemacht hat (unter diesem Gesichtspunkt sogar im Wesentlichen für Primärrechtswidrigkeit des Art. 36 RL 2009/73/EG Heller, N&R 2015, 66, 73 ff.). Dementsprechend wäre eine Beschwer der Beschwerdeführerinnen, die entweder mit Gas handeln bzw. dieses insbesondere aus Deutschland nach Polen exportieren (Beschwerdeführerin zu 2) oder Gas (zumindest) beziehen und vertreiben (Beschwerdeführerin zu 1), nicht schon deshalb offensichtlich auszuschließen gewesen, weil sie offenkundig an der Buchung der FZK kein Interesse hatten. Auf ihren weiteren Begründungsansatz, es bestehe auch ein Infrastrukturwettbewerb mit der JAMAL, obwohl die Beschwerdeführerin zu 1 weder unmittelbare Miteigentümerin noch Betreiberin des polnischen Abschnitts der JAMAL ist, wäre es daher nicht zwingend angekommen (gegen ein relevantes Wettbewerbsverhältnis zu [regulierten] Netzbetreibern offenbar Wegner, Regulierungsfreistellungen für neue Elektrizitäts- und Erdgasinfrastrukturen, S. 294).</p> <span class="absatzRechts">218</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.2.6.</strong> Freilich hätte damit noch nicht festgestanden, dass das Ausmaß der von den Beschwerdeführerinnen befürchteten Entwicklungen im Verhältnis zu deren Eintrittswahrscheinlichkeit ausreichend war, um eine gegenwärtige individuelle Betroffenheit zu bejahen (verneint von EuG, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - T-849/16, BeckRS 2017, 138217 Rn. 37 ff.).</p> <span class="absatzRechts">219</span><p class="absatzLinks">So hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2017 unter anderem ausgeführt, dass das Vorbringen zur Notwendigkeit einer Aufspeisung über den Grenzübergangspunkt Drozdowicze und einer angeblichen Gefährdung der Versorgungssicherheit bei einer Reduktion von Transitmengen auf dem Hauptstrang vage geblieben sei, und dass die Richtigkeit der Prognose zu Netzentgeltsteigerungen zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu 2 Zweifeln unterliege. Dabei ist vor allem zu bedenken gewesen, dass die beschwerdeführereigene Kostensteigerungsprognose sich - auch angesichts etwaiger anderer Bezugsquellen - als verhältnismäßig moderat erwiesen hätte, soweit es nur um die Verlagerung von 9,86 Milliarden m<sup>3</sup> pro Jahr zu Lasten der JAMAL gegangen wäre. Dementsprechend hätten sich erst dann gewichtigere Nachteile abgezeichnet, wenn man die vertragsgemäßen Nutzungsmöglichkeiten der OPAL nicht isoliert betrachtet, sondern sie im Wege einer Gesamtschau - wie wohl von den Beschwerdeführerinnen eingefordert - etwa als Teilbeitrag zu einem angeblichen Gesamtanreiz zu missbräuchlichen Handlungen qualifiziert hätte.</p> <span class="absatzRechts">220</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.3.3.</strong> Letztlich wäre es auf die vorgenannten Fragen zu § 28a EnWG aber nicht abschließend angekommen. Denn die von den Beschwerdeführerinnen angestellte Gesamtbetrachtung wäre jedenfalls deshalb zur Begründung ihrer materiellen Beschwer geeignet gewesen, weil der Vertrag vom 28. November 2016 auch am Grundsatz der Energiesolidarität zu messen gewesen wäre. Dieser hätte gerade die Berücksichtigung der von den Beschwerdeführerinnen bezeichneten Gesamtentwicklungen erlaubt und erfordert.</p> <span class="absatzRechts">221</span><p class="absatzLinks">Der Bundesnetzagentur und den Beteiligten zu 1 bis 3 wäre im Ausgangspunkt zuzugeben gewesen, dass der Art. 194 Abs. 1 AEUV zu entnehmende Grundsatz der Energiesolidarität in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung der europäischen Gerichte nicht geeignet sein dürfte, eigene Rechte privatwirtschaftlich tätiger Unternehmen zu begründen. Dafür spricht bereits der Wortlaut des Art. 194 Abs. 1 AEUV. Denn dieser enthält eine Auflistung der von der „Energiepolitik der Union … im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ verfolgten Ziele. Im Einklang mit dieser Formulierung hat der Gerichtshof der Europäischen Union den engen Zusammenhang des Grundsatzes der Energiesolidarität mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 AEUV) erläutert und insbesondere ausgesprochen, dass das Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. September 2019 zu Recht entschieden habe, dass „der Grundsatz der Solidarität Rechte und Pflichten sowohl für die Union als auch für die Mitgliedstaaten beinhalte“ (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 41 und 49).</p> <span class="absatzRechts">222</span><p class="absatzLinks">Der beschriebene rechtliche Gehalt des Art. 194 Abs. 1 AEUV schließt aber nicht aus, dass unter besonderen Umständen ausnahmsweise auch juristische Personen des Privatrechts durch eine Maßnahme einer nationalen Regulierungsbehörde infolge einer Nichtberücksichtigung des Grundsatzes der Energiesolidarität unmittelbar und individuell betroffen sind bzw. erheblich in ihren Interessen berührt werden (§ 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG). Denn insoweit kommt es - wie schon mehrfach dargelegt - auf die Möglichkeit der Verletzung einer gerade den Beschwerdeführer schützenden Norm nicht an (vgl. auch die Prüfung des Art. 194 Abs. 1 AEUV im Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Februar 2022 - T-616/18, juris Rn. 413 ff.).</p> <span class="absatzRechts">223</span><p class="absatzLinks">Auszugehen wäre danach von der Erwägung gewesen, dass sich aus Art. 194 Abs. 1 AEUV eine spezifische Prüfungs- und Abwägungspflicht ergibt (vgl. EuGH aaO Rn. 52 f. und 73), die sich in erster Linie auf die Frage einer Gefahr für die Gasversorgung auf den Märkten der Mitgliedstaaten bezieht, aber hierauf nicht in einem engen Sinn beschränkt ist. Denn das Gericht der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 10. September 2019 (T-883/16, juris) Art. 194 Abs. 1 AEUV nicht etwa deshalb herangezogen, weil es einerseits die von der Republik Polen vorgebrachte Gefährdung der Versorgungssicherheit als relevant erachtete, andererseits aber meinte, dass die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Buchst. a RL 2009/73/EG bei der Abänderung einer Ausnahme nicht weiter zu prüfen seien (vgl. aaO Rn. 58). Vielmehr sprechen sowohl das Gericht der Europäischen Union (aaO Rn. 72 f.) als auch der Gerichtshof der Europäischen Union (aaO Rn. 71) von der Verpflichtung, die Interessen aller möglicherweise betroffenen Akteure zu berücksichtigen, und der Vermeidung von Maßnahmen, die die Interessen der Union und der anderen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Sicherheit und die wirtschaftliche und politische Tragbarkeit der Versorgung sowie die Diversifizierung der Versorgungsquellen beeinträchtigen könnten, um ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und faktischen Solidarität Rechnung zu tragen. Hierbei handelt es sich um Aspekte der energiepolitischen Grundausrichtung eines Mitgliedsstaats (siehe EuG aaO Rn. 82; Gundel, RdE 2020, 75, 77), die wiederum naturgemäß die Handlungsweisen davon berührter Unternehmen zu beeinflussen vermögen.</p> <span class="absatzRechts">224</span><p class="absatzLinks">Freilich eröffnet der Grundsatz der Energiesolidarität nicht Dritten die Möglichkeit, unter pauschaler Berufung auf angebliche Interessen eines einzelnen Mitgliedstaates eine materielle Beschwer darzutun. Dem steht entgegen, dass die aus Art. 194 Abs. 1 AEUV folgende Berücksichtigungs- und Abwägungspflicht nicht etwa ein bestimmtes Ergebnis vorzeichnet, was vor allem in den Schlussanträgen des Generalanwalts Sánchez-Bordana (BeckRS 2021, 4883 Rn. 113 ff.) hervorgehoben worden ist (dazu kritisch Sölter, EuR 2022, 130, 137 f.) und auch in den Urteilen vom 10. September 2019 und 15. Juli 2021 Ausdruck gefunden hat. Denn darin wurde zwar eine Prüfungs- und Abwägungspflicht statuiert, ein absolutes Verbot negativer Auswirkungen auf die besonderen Interessen eines Mitgliedstaats aber ausdrücklich verneint (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 73; EuG, Urteil vom 10.September 2019 - T-883/16, juris Rn. 77). Vor dem Hintergrund dieser möglichen Ergebnisoffenheit der Prüfung einerseits und der Hervorhebung besonderer mitgliedstaatlicher Belange andererseits liegt es nahe, dass eine materielle Beschwer unter dem Gesichtspunkt der Betroffenheit solcher Interessen, die im Rahmen des Grundsatzes der Energiesolidarität Anerkennung finden können, lediglich dann in Betracht kommen wird, wenn der angeblich benachteiligte Mitgliedstaat selbst eine Rechtsverletzung geltend macht. Dies hätte hier indes angesichts der Nichtigkeitsklage der Republik Polen, gestützt auf Art. 263 Abs. 2 AEUV und erhoben im Dezember 2016, außer Zweifel gestanden.</p> <span class="absatzRechts">225</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vorgesagten hätte sich die Betroffenheit erheblicher eigener Interessen der Beschwerdeführerinnen daraus ergeben, dass diejenigen Erwägungen, die in die Verfahren vor den europäischen Gerichten (C-848/19 bzw. T-886/16) den Anlass zur Prüfung des Art. 194 Abs. 1 AEUV gegeben und dort Anerkennung gefunden haben, ausnahmsweise deckungsgleich mit den eigenen wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerinnen waren.</p> <span class="absatzRechts">226</span><p class="absatzLinks">Die Republik Polen hatte sich in dem besagten Verfahren erstens auf die negativen Effekte einer Verlagerung der Gasflüsse zum Nachteil der BRUDERSCHAFT berufen, etwa in Form der Unmöglichkeit der Erfüllung von unternehmerischen Garantiepflichten, sowie zweitens eine potentielle Reduktion oder Unterbrechung der Gasversorgung über die JAMAL angeführt, die wiederum Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Einfuhrkapazitäten nach Polen aus Deutschland und Tschechien, das Tarifniveau für Transporte und die Diversifizierung der Versorgungsquellen in Polen haben würde. Dabei wurde ausdrücklich nicht allein auf die Wirkungen der Auslastungssteigerung der OPAL abgestellt. Vielmehr wurden über die von der Bundesnetzagentur und den Beteiligten zu 1 bis 3 eingeforderte isolierte Betrachtung hinaus auch weitere Ursachenbeiträge - namentlich das Auslaufen der Gastransport- und -lieferverträge - in den Blick genommen (vgl. EuG, Urteil vom 10. September 2019 - T-883/16, juris Rn. 63 f.). Dieses Vorbringen ist vom Gericht der Europäischen Union und dem Gerichtshof der Europäischen Union umfassend aufgegriffen worden, indem gerade nicht allein konkrete Versorgungskrisen als wesentlich erachtet wurden, sondern unter anderem die wirtschaftliche und politische Tragbarkeit der Versorgung sowie die Diversifizierung der Versorgungsquellen als nach Art. 194 Abs. 1 AEUV berücksichtigungsfähige und -pflichtige Aspekte qualifiziert worden sind (siehe EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 71). Damit erstreckte sich das von der Europäischen Kommission nicht erfüllte Prüfprogramm in tatsächlicher Hinsicht gerade auf die von den Beschwerdeführerinnen selbst vorgebrachten eigenen Bedenken gegen eine Mehrauslastung der OPAL im Zuge des Vergleichsvertrags vom 28. November 2016. Aufgrund dieser ausnahmsweisen unmittelbaren Verknüpfung des Vorbringens vor den europäischen Gerichten und im hiesigen Beschwerdeverfahren wären die Deckungsgleichheit der Interessen und deren Erheblichkeit zu bejahen gewesen.</p> <span class="absatzRechts">227</span><p class="absatzLinks">Eine unzulässige Bevorteilung der Beschwerdeführerinnen wäre hiermit nicht verbunden gewesen. Sollte man in diesem Zusammenhang den Rechtsgedanken des Art. 106 Abs. 1 AEUV bemühen, kann mit der Befugnis zur Geltendmachung einer primärrechtlichen Berücksichtigungs- und Abwägungspflicht denknotwendig nicht eine „den Verträgen widersprechende Maßnahme“ verbunden sein, zumal das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen - wie ausführlich aufgezeigt - mit dem Prüfprogramm des § 28a EnWG durchaus in Einklang zu bringen, also nicht Ausdruck eines per se illegitimen Rechtsschutzziels war. Es wäre für die Herleitung der materiellen Beschwer ausdrücklich auch nicht auf die staatliche Beherrschung der Beschwerdeführerinnen angekommen, welche - abweichend von deren bisweilen anklingenden Auffassung - typischerweise mit besonderen Pflichten, nicht aber besonderen Rechten einhergeht (vgl. zu Art. 106 AEUV BVerfG, Beschluss vom 18. August 2020 - 1 BvQ 82/20, juris Rn. 28) und für sich genommen regelmäßig nicht eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit zu begründen vermag (vgl. EuG, Beschluss vom 29. Juni 2006 - T-311/03, BeckRS 2006, 17813 Rn. 64). Ebenfalls wäre irrelevant gewesen, ob sich ein subjektiv-öffentliches Recht bzw. eine Rechtsbetroffenheit aus einer Beleihung nach nationalem Recht (vgl. dazu VG, Trier, Urteil vom 18. Januar 2016 - 6 K 1674/15.TR, juris Rn. 43 m.w.N; siehe auch BeckOK-EnWG/Pompl, § 13d Rn. 11.1. [Stand: 1. April 2022]) und damit vergleichbaren EU-ausländischen Rechtsakten zu ergeben vermag, und ob aus den von der Beschwerdeführerin zu 1 angeführten polnischen Bestimmungen eine solche Stellung abzuleiten gewesen wäre. Ausreichend war bereits die jedenfalls zu bejahende wirtschaftliche Betroffenheit.</p> <span class="absatzRechts">228</span><p class="absatzLinks">Der Senat hätte sich auch nicht deshalb an der Bejahung der Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerinnen gehindert gesehen, weil deren gegen den Kommissionsbeschluss vom 28. Oktober 2016 gerichteten Nichtigkeitsklagen durch das Gericht der Europäischen Union mit Beschlüssen vom 14. Dezember 2017 (T-849/16, BeckRS 2017, 138217 Rn. 31 ff. und 37 ff.) und vom 15. März 2018 (T-130/17) jeweils als unzulässig abgewiesen worden sind (zustimmend dazu Gundel, RdE 2018, 306, 308).</p> <span class="absatzRechts">229</span><p class="absatzLinks">Erstens ging es hier nicht um eine eventuelle Bindung der mitgliedstaatlichen Gerichte an eine Sachentscheidung der europäischen Gerichte zu einem Akt der Europäischen Kommission, da die Nichtigkeitsklagen zum einen mangels Zulässigkeit erfolglos geblieben sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. September 2019 - I ZB 6/19, juris Rn. 16 f.) und zum anderen ein mitgliedstaatlicher Vertrag zu überprüfen war. Zweitens sind die genannten Beschlüsse vom 14. Dezember 2017 und 15. März 2018 vor dem Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 10. September 2019 (T-883/16, juris) ergangen, in welchem erstmals auf den Grundsatz der Energiesolidarität abgestellt wurde. Drittens hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Rechtsmittelentscheidungen (Urteile vom 4. Dezember 2019 - C-342/18, BeckRS 2019, 31860 und C-117/18, BeckRS 2019, 31870) die erstinstanzlichen Beschlüsse allein unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer unmittelbaren Betroffenheit bestätigt, was im Kern auf der Erwägung beruhte, dass es auch im Nachgang zum 28. Oktober 2016 noch im Ermessen der Bundesnetzagentur gestanden habe, von der Gewährung einer Ausnahme abzusehen (vgl. aaO BeckRS 2019, 31860 Rn. 35 ff. und BeckRS 2019, 31870 Rn. 26 ff.; siehe auch EuGH, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - C-181/18, BeckRS 2019, 31840 Rn. 33). Mit der individuellen Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen hat der Gerichtshof der Europäischen Union sich dementsprechend nicht weiter befasst (vgl. aaO BeckRS 2019, 31860 Rn. 66 f. und BeckRS 2019, 31870 Rn. 59 f.) und insbesondere nicht das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu 1 zu ihrer Sonderstellung auf dem polnischen Gasmarkt gewürdigt (vgl. aaO BeckRS 2019, 31860 Rn. 80). Viertens und zuletzt ist zu bedenken, dass die individuelle und unmittelbare Betroffenheit als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zwar eng mit dem Kriterium der materiellen Beschwer verwandt ist, aber eben keine absolute inhaltliche Identität zu verzeichnen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - KVR 14/01, juris Rn. 15: „entspricht im Wesentlichen …“; nur graduell anders BGH, Beschluss vom 30. März 2011 - KVZ 100/10, juris Rn. 12). Auch deshalb waren die Entscheidungsgründe des Gerichts der Europäischen Union nicht etwa präjudiziell für das hiesige Beschwerdeverfahren.</p> <span class="absatzRechts">230</span><p class="absatzLinks"><strong>3.1.3.4.</strong> Freilich drängte sich hier die Möglichkeit auf, dass die nach dem Vorgesagten anfänglich zu bejahende Beschwer im Zuge des Verfahrens entfallen sein könnte (zum maßgeblichen Zeitpunkt siehe BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 25/06, juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. August 2020 - VI-Kart 4/19 (V), juris Rn. 19 ff.; NK-VwGO/Sennekamp, 5. Auflage § 42 Rn. 55).</p> <span class="absatzRechts">231</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Wegfall der Beschwer hätte sich allerdings wohl nicht schon aus den äußeren (namentlich unternehmerischen und technischen) Entwicklungen seit Einlegung der Beschwerden ergeben. Zwar hätte das dazugehörige Vorbringen der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 bis 3 - insbesondere zu der Erschließung neuer Bezugsquellen, dem Netzausbau in Polen und der Nichtverlängerung des Liefervertrags zwischen der Beschwerdeführerin zu 1 und der Beteiligten zu 3 - auf ein zunehmend reduziertes Gewicht der angeführten Bedenken gegen die Mehrnutzung der OPAL hindeuten können (wenngleich die Beschwerdeführerinnen sich durch die Auslastung der JAMAL und BRUDERSCHAFT in jüngster (Vorkriegs-) Zeit geradezu gegenteilig in ihrer Prognose bestätigt fühlten). Für die Rechtmäßigkeit des Vertrags wäre es aber im Ausgangspunkt auf eine ex-ante zutreffende Bewertung angekommen. Die damit verbundene Beschwer der Beschwerdeführerinnen wäre nicht schon aufgrund einer nachträglichen Veränderung einzelner Abwägungsparameter entfallen. Dies hätte gerade auch im Hinblick auf eine eventuelle - von den Beschwerdeführerinnen als Umgehung bezeichnete - Nutzung der EUGAL gegolten, deren (Nicht-) Auslastung von dem gegenwärtigen und zukünftigen Schicksal der Nord Stream 2 abhängt.</p> <span class="absatzRechts">232</span><p class="absatzLinks">Ein Wegfall der Beschwer wegen der Rechtskraft der Senatsentscheidung vom 26. Mai 2021 (VI-3 Kart 845/19 (V), juris) infolge der Zurückweisung der dagegen eingelegten Rechtsbeschwerden durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) wäre denkbar, aber nicht sicher zu bejahen gewesen. So hätte man etwa die Frage aufwerfen können, ob der im dortigen Verfahren streitgegenständliche Untersagungsbeschluss der Bundesnetzagentur vom 13. September 2019 in rechtlicher Hinsicht erschöpfend gewährleistet, dass seither eine Nutzung der OPAL nur noch nach Maßgabe der Freistellungsentscheidungen vom 25. Februar und 7. Juli 2009 erfolgt (was zum Teil in der Literatur bezweifelt worden ist). In jedem Fall wäre zu beachten gewesen, dass die Beschwerdeführerinnen mit ihren Beschwerden ein über den Untersagungsbeschluss vom 13. September 2019 hinausreichendes Rechtsschutzziel verfolgten, indem sie - als im Verfahren VI-3 Kart 845/19 (V) ohnehin Unbeteiligte - einen eigenen verbindlichen Ausspruch zur Nichtigkeit der vergleichsweisen Abänderung der ursprünglichen Freistellungsentscheidung erstreiten wollten. Denn das besagte Verfahren betraf für sich genommen weder die Nichtigkeit des Vertrags oder dessen Aufhebung, sondern bloß die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Untersagung seiner Durchführung (vgl. Senatsbeschluss aaO Rn. 84).</p> <span class="absatzRechts">233</span><p class="absatzLinks">Indes hat die Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 die Erklärung abgegeben, dass auch sie im Anschluss an die inzwischen vorliegende Beschlussbegründung des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) nunmehr den Vertrag vom 28. November 2016 als nichtig ansehen und aus diesem keine Rechtsfolgen mehr herleiten werde. Diese (absprachegemäß zu veröffentlichende) Erklärung ähnelt bei wertender Betrachtung der Aufhebung eines - hier nicht existenten - belastenden Verwaltungsakts, und der Bundesgerichtshof hat das Feststellungsinteresse für eine Feststellungsbeschwerde bereits einmal mit der Begründung verneint, dass die von der Beschwerde aufgeworfene Frage höchstrichterlich geklärt und nicht zu erwarten sei, dass die Bundesnetzagentur gleichwohl weiterhin die gegenteilige Auffassung vertreten werde (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2016 - EnVR 25/13, juris Rn. 37). Im Lichte dieser Erwägungen drängte sich hier ein Fortfall der Zulässigkeit auf, gerade wenn man die im Ausgangspunkt anfechtungsidentisch bestimmte Beschwerdebefugnis auf ihr gerade notwendiges Maß begrenzt.</p> <span class="absatzRechts">234</span><p class="absatzLinks">Angesichts dessen war die übereinstimmende Erledigung angezeigt, ohne dass den Beschwerdeführerinnen eine verzögerte Reaktion vorgeworfen werden konnte, zumal die Frage eines eventuellen Fortfalls der Zulässigkeit jedenfalls vor Abgabe der genannten Erklärung im Verhandlungstermin vom 29. Juni 2022 mit hochkomplexen Überlegungen verbunden war (vgl. dazu auch OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. November 2017 - 6 U 121/17, BeckRS 2017, 135116 Rn. 4).</p> <span class="absatzRechts">235</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.</strong> Die danach jedenfalls ursprünglich zulässigen Feststellungsbeschwerden wären auch begründet gewesen. Die im Vertrag vom 28. November 2016 geregelte Abänderung der ursprünglichen Freistellungsentscheidung zeichnete sich ebenso wie der vorausgegangene Beschluss der Europäischen Kommission vom 28. Oktober 2016 durch eine vollständige Nichtberücksichtigung des hier einschlägigen Grundsatzes der Energiesolidarität aus. Bereits dieser Abwägungsausfall hätte für sich genommen die Feststellung der Nichtigkeit getragen.</p> <span class="absatzRechts">236</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.1.</strong> Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Juli 2021 (C-848/19, juris) ergibt sich zweifelsfrei, dass der ausgemachte und der Europäischen Kommission angelastete Rechtsfehler sich - anders als etwa die Beteiligte zu 1 gemeint hat - nicht in einem bloßen formellen (Verfahrens-) Fehler erschöpfte. Es geht bei dem in Art. 194 Abs. 1 AEUV verorteten Grundsatz der Energiesolidarität gerade nicht allein um eine formale, durch die RL (EU) 2019/692 nunmehr in Art. 36 Abs. 3 Unterabsatz 2 Buchst. a RL 2009/73/EG aufgenommene Pflicht zur Konsultation anderer Mitgliedstaaten. Vielmehr handelt es sich - wie schon dargelegt - um ein materielles Berücksichtigungs- und Abwägungsgebot. Folgerichtig ist das Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. September 2019 (T-883/16, juris Rn. 79 ff.) zur Nichtigerklärung gelangt, ohne dass es auf eine weitere Prüfung der materiellen Rechtslage und die Möglichkeit einer abwägungsfehlerfreien Abänderung der Freistellungsentscheidung nach Maßgabe der Verträge vom 11. Mai  oder 28. November 2016 angekommen wäre.</p> <span class="absatzRechts">237</span><p class="absatzLinks">Dieser Prüfungsmaßstab ist vom Gerichtshof der Europäischen Union nicht beanstandet worden (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris), nachdem zuvor schon Generalanwalt Sánchez-Bordana (BeckRS 2021, 4883 Rn. 159) ausdrücklich hervorgehoben hatte, dass das Gericht der Europäischen Union auf das Fehlen einer Abwägung abgestellt habe, unabhängig davon, „ob sie … zur vollständigen Liberalisierung der OPAL-Gasfernleitung zugunsten … [der Beteiligten zu 2] und der mit ihr verbundenen Unternehmen führen konnte oder nicht“. Dementsprechend wird in der Literatur zu Recht angenommen, dass es den europäischen Gerichten auf den Gesichtspunkt des vollständigen Ermessensausfalls angekommen sei und gerade dies die Primärrechtswidrigkeit zur Folge gehabt habe (vgl. Gundel, EuZW 2021, 758, 763; ders., RdE 2020, 75, 78). Dass der Gerichtshof der Europäischen Union nicht selbst die Tatsachen gewürdigt, sondern nur den darauf bezogenen Rechtsmittelgrund geprüft hat (vgl. aaO Rn. 83), ändert nichts am beschriebenen materiellen Gehalt. Für ein Vorabentscheidungsverfahren hätte vor diesem Hintergrund keine Veranlassung bestanden.</p> <span class="absatzRechts">238</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.2.</strong> Ferner ist aufgrund der zu Art. 36 RL 2009/73/EG ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass der Grundsatz der Energiesolidarität in seiner dargestellten Ausprägung nicht allein von Unionsorganen, sondern insbesondere auch von den nationalen Regulierungsbehörden zu beachten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 41 und 49), und dass die endgültige Entscheidung über eine Abänderung des OPAL-Freistellungsregimes in der Verantwortung der Bundesnetzagentur lag, diese mithin nicht durch die Beurteilung der Europäischen Kommission von ihren Pflichten entbunden worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2019 - C-117/18, BeckRS 2019, 31870 Rn. 42 f.)  Allein folgerichtig und europarechtskonform wäre es deshalb gewesen, die Rechtmäßigkeit und den Bestand des nationalen Umsetzungsaktes anhand derjenigen Grundsätze zu beurteilen, die zum Zwecke der Überprüfung des Kommissionsbeschlusses vom 28. Oktober 2016 herangezogen worden sind. Für ein Vorabentscheidungsverfahren hätte auch insoweit keine Veranlassung bestanden.</p> <span class="absatzRechts">239</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.3.</strong> Nach dem Vorgesagten ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der eine Freistellung nach § 28a EnWG regelt oder eine solche abändert und unter vollständiger Nichtberücksichtigung des im Einzelfall einschlägigen Grundsatzes der Energiesolidarität geschlossen worden ist, nach § 59 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig.</p> <span class="absatzRechts">240</span><p class="absatzLinks">Zwar führt bei verwaltungsrechtlichen Verträgen nicht jeder Rechtsverstoß, sondern nur ein qualifizierter Fall der Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit. Dies ergibt sich aus der im Einzelnen differenzierenden Bestimmung des § 59 VwVfG. Die inhaltliche Unzulässigkeit eines verwaltungsrechtlichen Vertrages bewirkt aber dessen Nichtigkeit, wenn sie sich als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) darstellt (BVerwG, Urteil vom 3. März 1995 - 8 C 32/93, juris Rn. 19). Dem Unionsrecht wird danach lediglich dann zur vollen Geltung verholfen, wenn man eine Art. 194 AEUV nicht genügende nationale verwaltungsaktersetzende Vereinbarung als rückwirkend aufhebbar oder nichtig behandelt. Da dem nationalen Recht ein Aufhebungsanspruch bei verwaltungsaktersetzenden Verträgen indes grundsätzlich fremd ist, sind im Fall der Primärrechtswidrigkeit die Regelungen in § 59 Abs. 1 VwVfG und § 134 BGB anzuwenden. Lediglich hilfsweise ergibt sich aus § 58 VwVfG die der Nichtigkeit gleichstehende Unwirksamkeit, wenn der durch den Grundsatz der Energiesolidarität geschützte Mitgliedstaat - wie hier die Republik Polen - seine Zustimmung endgültig verweigert hat (vgl. Rozek in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht § 58 VwVfG Rn. 26 [Werkstand: 1. August 2021] m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">241</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.4.</strong> Hiernach wäre es - vorbehaltlich der Erledigung - auf die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen zur Feststellung der Nichtigkeit der Abänderung der Freistellungsentscheidung gekommen, weil der Vertrag vom 28. November 2016 geschlossen worden ist, ohne dass nach Art. 194 Abs. 1 AEUV berücksichtigungspflichtige Belange auch nur im Ansatz bedacht worden wären.</p> <span class="absatzRechts">242</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.4.1.</strong> Dass die Bundesnetzagentur die von den Beschwerdeführerinnen und der Republik Polen vorgebrachte Kritik an der Abänderung der Freistellungsentscheidung in ihre Entscheidungsfindung einbezogen und wertend berücksichtigt hat, ist auszuschließen, selbst wenn man unterstellt, dass die fraglichen Bedenken umfassend bekannt waren.</p> <span class="absatzRechts">243</span><p class="absatzLinks">Bereits die ursprüngliche Freistellungsentscheidung vom 25. Februar 2009 zeichnete sich zum einen durch eine deutliche Fokussierung auf den tschechischen Markt und zum anderen dadurch aus, dass das Potential zur Verlagerung von Gasflüssen als ein die Versorgungssicherheit erhöhender Faktor bewertet wurde (vgl. S. 52 und 54). Nur in der nach dem Vorgesagten beschränkten Prüfung der „Verbesserung des Wettbewerbs“ kam die Möglichkeit eines Nebeneinanders von vor- und nachteilhaften Effekten näher zum Ausdruck (vgl. S. 35).</p> <span class="absatzRechts">244</span><p class="absatzLinks">Diese Sichtweise prägte auch den rechtskräftig für nichtig erklärten Kommissionsbeschluss vom 28. Oktober 2016 (C(2006) 6950 final). Zwar war darin (Rn. 49 ff.) unter Gegenüberstellung der technischen Kapazität des ukrainischen Transitwegs und der zusätzlichen OPAL-Kapazität die Nichtnutzung von Alternativstrecken als unwahrscheinlich bewertet worden unter ergänzender Bezugnahme (in Fußnote 20) auf eine frühere Einschätzung der ENTSOG („Der Effekt, der sich aus der Erhöhung der Kapazität auf 100 % ergibt, wird sich darauf beschränken, LNG in Westeuropa zu ersetzen“). Im fraglichen Abschnitt ging es aber allein um das Ausmaß der Verbesserung der Versorgungssicherheit, ohne dass erkennbar die Möglichkeit nicht lediglich neutraler, sondern sogar nachteiliger Effekte in bestimmten Teilen der Europäischen Union erwogen worden wäre.</p> <span class="absatzRechts">245</span><p class="absatzLinks">Deuteten bereits die vorgenannten Gesichtspunkte darauf hin, dass auch die Bundesnetzagentur im Jahre 2016 die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Kritikpunkte (bzw. eine der OPAL-Working-Group möglicherweise bewusste inhaltsgleiche Argumentation der Republik Polen) im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags als von vornherein unerheblich erachtet und damit ausgeblendet hat, wäre die Tatsache eines Abwägungsausfalls noch durch weitere Umstände belegt worden.</p> <span class="absatzRechts">246</span><p class="absatzLinks">So fehlte es im Verwaltungsvorgang an Hinweisen auf eine Würdigung der geäußerten Bedenken vor Unterzeichnung des Vertrags. Sowohl die Eingabe der Beschwerdeführerin zu 2 vom 23. September 2016 als auch eine Pressemitteilung der Beschwerdeführerin zu 1 sind zwar zu den Akten genommen worden. Eine nähere inhaltliche Befassung mit dem Vorbringen war dem Verwaltungsvorgang aber nicht zu entnehmen, auch eingedenk der sehr knappen E-Mail-Antwort vom 13. Oktober 2016, in welcher der Beschwerdeführerin zu 2 ein Missverständnis unterstellt wurde, weil der Vertrag den regulierten Bereich gerade „ausweite“. Die Bundesnetzagentur und die Beteiligten zu 1 bis 3 hätten sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass der Senat in seinem Beschluss vom 30. Dezember 2016 (unter B III 2 3) selbst unter anderem angenommen hat, es sei angesichts der Eingabe vom 23. September 2016 von deren Würdigung auszugehen. Denn der Grundsatz der Energiesolidarität ist im besagten Senatsbeschluss, wie schon die weiteren Ausführungen zu potentiellen Netzausbaumaßnahmen in Polen zeigen, nicht geprüft worden.</p> <span class="absatzRechts">247</span><p class="absatzLinks">Auch die Vergleichsverträge aus dem Oktober 2013 sowie vom 11. Mai und 28. November 2016 enthalten trotz ihrer jeweils ausführlichen Präambel nicht einmal im Ansatz eine auf die Verhältnisse in der Republik Polen bezogene Betrachtung (zum Begründungserfordernis vgl. Art. 36 Abs. 8 Satz 4 Buchst. a RL 2009/73/EG), wohl aber jeweils den apodiktischen Hinweis, dass die dauerhafte Unterauslastung nicht im Interesse der Versorgungssicherheit und der Vollendung des europäischen Binnenmarktes liege. Wiederum wurde mithin die Vollauslastung unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit ausschließlich als positiv bewertet und im Übrigen allein der tschechische Markt berücksichtigt. Die Möglichkeit gegenläufiger Effekte oder einer nachteiligen Betroffenheit anderer Mitgliedstaaten blieb damit erneut unbeachtet.</p> <span class="absatzRechts">248</span><p class="absatzLinks">Dass die Sachargumente der Republik Polen und der Beschwerdeführerinnen von vornherein unberücksichtigt geblieben waren, wäre schließlich durch das verfahrensmäßige Vorbringen der Bundesnetzagentur belegt worden. So ist in der Stellungnahme der Bundesnetzagentur vom 21. Dezember 2016 die Behauptung, der Südosten der polnischen Republik müsse zwingend über die BRUDERSCHAFT versorgt werden, mit „Nichtwissen bestritten“ und hilfsweise pauschal - und damit im Widerspruch zu Art. 194 AEUV - auf die Ausbauverantwortung des polnischen Netzbetreibers hingewiesen worden. Ebenso aussagekräftig war der Inhalt der Schutzschrift vom 12. Dezember 2016, in welcher die Kritik als nicht stichhaltig bezeichnet wurde, weil sie nicht auf einer Betrachtung des tschechischen Marktes basiere und sich - „im Zusammenhang mit der Ausnahmegenehmigung unerheblich“ - gegen eine Umgehung der bisherigen Transitrouten bzw. die Nord Stream richte (S. 5). Gerade diese isolierte Betrachtung der OPAL unter Ausblendung der Nord Stream wurde der Rechtsprechung der europäischen Gerichte jedoch nicht gerecht. Vielmehr hat das Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. September 2019 (T-883/16, juris Rn. 82) die „mittelfristigen Folgen“ der „Übertragung eines Teils der … Erdgasmengen auf den Transportweg Nord Stream 1/OPAL“ angesprochen, und der Gerichtshof der Europäischen Union hat diesen Urteilsabschnitt referiert und die rechtliche Einschätzung der Vorinstanz gebilligt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 90).</p> <span class="absatzRechts">249</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vorgesagten war auszuschließen, dass vereinzelte Bemerkungen der Bundesnetzagentur zum Gewicht der vorgebrachten Bedenken (vgl. etwa S. 16 des Beschlusses vom 20. Dezember 2016 - BK7-16-167 sowie S. 15 der Schutzschrift vom 12. Dezember 2016) Ausdruck einer bei Vertragsabschluss gleichwohl stattgefundenen und die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu Art. 194 Abs. 1 AEUV vorwegnehmenden Abwägung waren.</p> <span class="absatzRechts">250</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.4.2.</strong> Entgegen der - in unterschiedlicher Akzentuierung vorgebrachten - Auffassung der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 bis 3 waren die von den Beschwerdeführerinnen vorgetragenen Bedenken auch nicht derart haltlos, dass - im Sinne (eines Teils) des Rechtsmittels der Bundesrepublik Deutschland gegen das Urteil vom 10. September 2019 (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/19, juris Rn. 75 ff.) - weder eine Prüfung anhand von Art. 194 Abs. 1 AEUV noch dessen Erwähnung (vgl. EuG, Beschluss vom 2. Februar 2022 - T-616/18, juris Rn. 427) veranlasst war.</p> <span class="absatzRechts">251</span><p class="absatzLinks">Zu Lasten der Beschwerdeführerinnen hätte unterstellt werden können, dass die rechtskräftig als defizitär bewertete Entscheidung der Europäischen Kommission nicht zwangsläufig den nationalen Abänderungsakt - hier in Gestalt des Vertrags vom 28. November 2016 - infiziert (vgl. aber nunmehr zu § 58 Abs. 2 VwVfG ohnehin BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - EnVR 36/21, juris Rn. 20 ff.). Es wäre auch nicht darauf angekommen, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zur Abhängigkeit des polnischen Südostens von dem Grenzübergangspunkt Drozdowicze und der Nutzung der BRUDERSCHAFT hinreichend substantiiert, sachlich zutreffend und gegebenenfalls noch aktuell ist. Ebenfalls hätte offenbleiben können, ob die Pflicht zur Berücksichtigung solcher Belange nach der Rechtsprechung der europäischen Gericht in einem ersten Schritt rein formeller Natur ist, das materielle Berücksichtigungs- und Abwägungsgebot mithin erst an die bei einer Sachverhaltsprüfung gewonnenen Erkenntnisse anschließt (vgl. dazu auch Sölter, EuR 2022, 130, 138). Denn es wurde bereits aufgezeigt, dass sich das durch Art. 194 Abs. 1 AEUV vorgezeichnete Prüfprogramm nicht in einer Würdigung der Versorgungssicherheit in anderen Teilen der Europäischen Union erschöpft. Vielmehr geht es ausdrücklich auch um die „wirtschaftliche und politische Tragbarkeit der Versorgung sowie die Diversifizierung der Versorgungsquellen“ (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - C-848/18, juris Rn. 71). Danach stand außer Zweifel, dass die denkbaren Auswirkungen einer gesteigerten Auslastung der OPAL auf die damaligen und zukünftigen Bezugsquellen der polnischen Republik materiell zu würdigen gewesen wären. Die gänzlich unterbliebene Berücksichtigung und Abwägung hätte nicht durch eine nachgeschobene Kritik an der Stichhaltigkeit der von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Analysen - etwa zu den Folgen einer Reduktion des Transits auf der JAMAL - ersetzt werden können.</p> <span class="absatzRechts">252</span><p class="absatzLinks">Letzteres wäre auch dem weiteren Vorbringen der Bundesnetzagentur und der Beteiligten zu 1 bis 3 entgegenzuhalten gewesen, soweit sie - mit unterschiedlicher Akzentuierung - zusammengefasst vorgebracht haben, dass eine Verlagerung der Gasflüsse nicht nachvollziehbar aufgezeigt worden sei, dass die Beschwerdeführerinnen durch eigene vertragliche Entscheidungen und die von ihnen erwähnten Entwicklungen die Irrelevanz der Flussrichtung und das Nichtvorhandensein von Gefährdungen oder wirtschaftlichen Nachteilen faktisch eingestanden hätten, und dass es ausschließlich auf die isoliert zu betrachtenden Wirkungen des Vertrags im Sinne eines Einzelbeitrags ankommen könne. Dieser Vortrag erwies sich als ein unbehelflicher Versuch, den materiellen Gehalt des Grundsatzes der Energiesolidarität in der Ausprägung der Rechtsprechung der europäischen Gerichte in Frage zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">253</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.4.3.</strong> Zuletzt hätten der Feststellung der Nichtigkeit und der damit verbundenen Rückkehr zum Freistellungsregime nach Maßgabe der Entscheidungen vom 25. Februar und 7. Juli 2009 auch nicht die von den Beteiligten zu 2 bis 3 erwähnte Beurteilung des WTO-Streitschlichtungspanels entgegengestanden (vgl. dazu Gundel, EuZW 2021, 758, 762 m.w.N.). Selbst eine finale WTO-Entscheidung würde keine unmittelbar zu beachtende, den Grundsatz der Energiesolidarität verdrängende Bindungswirkung auslösen (Senatsbeschluss vom 26. Mai 2021 - VI-3 Kart 845/19 (V), juris Rn. 94).</p> <span class="absatzRechts">254</span><p class="absatzLinks"><strong>3.2.5.</strong> Ergänzend nimmt der Senat auf die Erwägungen des Bundesgerichtshofs Bezug. Dieser hat die Nichtigkeit des Vertrags vom 28. November 2016 mit überzeugender Begründung aus einem Vertragsformverbot hergeleitet und ist zu dessen Unwirksamkeit auch infolge der Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission gelangt (BGH, Beschluss vom 5. April 2022 - EnVR 36/21, juris Rn. 10 ff.).</p> <span class="absatzRechts">255</span><p class="absatzLinks"><strong>3.3.</strong> Mit den Verpflichtungs- und Feststellungsbeschwerden gemäß des Antrags zu 2 hätten die Beschwerdeführerinnen hingegen jeweils keinen Erfolg gehabt.</p> <span class="absatzRechts">256</span><p class="absatzLinks"><strong>3.3.1.</strong> Die Verpflichtungsbeschwerden wären zurückzuweisen gewesen, weil das Verwaltungsverfahren im Zeitpunkt der Stellung des Beiladungsantrags - wie aufgezeigt - als abgeschlossen zu betrachten war. Die Beschwerdeführerinnen waren nach der Senatsrechtsprechung auch nicht auf die Einlegung der Beschwerde gegen den eine Beiladung ablehnenden Beschluss angewiesen, um ihr Begehren in der Hauptsache geltend machen zu können (vgl. Senatsbeschluss vom 24. März 2021 - VI-3 Kart 2/20 (V), juris Rn. 54).</p> <span class="absatzRechts">257</span><p class="absatzLinks">Einen weitergehenden Anspruch auf Neuentscheidung über die Beiladung etwa zu eventuellen zukünftigen Verfahren hatten die Beschwerdeführerinnen nicht. Zwar hätte die Nichtigkeitsfeststellung der Abänderung der Freistellungsentscheidung nicht unmittelbar die Verhandlungsklausel im Sinne von § 5 des Vertrags vom 28. November 2016 betroffen. Die Vornahme von Neuverhandlungen war aber nicht ersichtlich und ist seit der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2022 (EnVR 36/21, juris) sogar undenkbar. Irrelevant war auch, dass wohl ein weiteres (ruhend gestelltes) Verfahren auf Wiederaufgreifen hinsichtlich der ursprünglichen Freistellungsentscheidung initiiert worden war. Denn die Beiladungsanträge vom 28. November 2016, die wiederum dem Ablehnungsbeschluss vom 20. Dezember 2016 zugrunde lagen, haben sich erkennbar nicht auf derartige Verfahrensphasen bezogen. Abgesehen davon war im Zeitpunkt des Antrags vom 28. November 2016 das im Jahre 2013 begehrte Wiederaufgreifen ohnehin längst abgelehnt worden. Es wäre nach alledem nicht darauf angekommen, ob und unter welchen Voraussetzungen bereits vor einer positiven Entscheidung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens erhebliche Interessen im Sinne von § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG berührt sein können.</p> <span class="absatzRechts">258</span><p class="absatzLinks"><strong>3.3.2.</strong> Nach dem Vorgesagten fehlte es auch an einem Feststellungsinteresse hinsichtlich des Hilfsantrags zu 2. Dass die Beschwerdeführerinnen in Ansehung des konkreten Streitgegenstands als beschwerdebefugt zu erachten waren, hätte sich bereits aus den Ausführungen zur Zulässigkeit der Feststellungsbeschwerden ergeben. Ein anerkennenswertes Bedürfnis für eine darüber hinausgehende Feststellung war nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdeführerinnen selbst vorgetragen haben, zum Zertifzierungsverfahren der Nord Stream 2 … wunschgemäß beigeladen worden zu sein.</p> <span class="absatzRechts">259</span><p class="absatzLinks"><strong>3.4.</strong> Nach alledem entsprach es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerinnen der Bundesnetzagentur aufzuerlegen. Denn soweit die Beschwerden voraussichtlich von vornherein erfolglos geblieben wären, betraf dies einen nach den Rechtsgedanken der § 92 Abs. 2 ZPO und § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG unerheblichen Teil.</p> <span class="absatzRechts">260</span><p class="absatzLinks">Eine gesonderte Kostenentscheidung hinsichtlich des einstweiligen Verfahrens war nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - EnVR 69/21, juris Rn. 20; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. Juli 2017 - 6 Kart 1/17, juris Rn. 78; Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Auflage § 77 EnWG Rn. 17). Es war hier auch nicht angezeigt, den Beschwerdeführerinnen wegen ihres Misserfolgs im Verfahren des Eilrechtsschutzes einen Teil der (Hauptsache-) Kosten aufzuerlegen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2020 - VI-3 Kart 884/19 (V), BeckRS 2020, 26969 Rn. 19).</p> <span class="absatzRechts">261</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beschwerdeführerinnen unter pauschalem Verweis auf die in § 830 Abs. 1 BGB geregelte Gesamtschuld auch eine Kostenerstattungspflicht der Beteiligten zu 1 bis 3 angeregt haben, kam eine dahinlautende Kostenentscheidung nicht in Betracht. Zwar haben die Beteiligten zu 1 bis 3 aktiv und intensiv am Beschwerdeverfahren teilgenommen, Anträge im Eilverfahren gestellt und Sachanträge in der Hauptsache angekündigt, was für die Kostenbelastung eines verwaltungsprozessual Beigeladenen bisweilen als ausreichend erachtet wird, wenn seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung sodann unterbleibt (vgl. Wysk, VwGO 3. Auflage § 154 Rn. 13). Eine (teilweise) Kostenerstattungspflicht des Beteiligten (bejaht im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren von BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - X ZB 8/11, NZBau 2013, 389 Rn. 15; siehe auch BeckOK-KartellR/Rombach, § 71 GWB Rn. 15 [Stand: 1. April 2022]) ist nach der Senatsrechtsprechung aber in aller Regel - und so auch hier - zu verneinen (vgl. zum Verfahren nach § 31 EnWG Senatsbeschluss vom 18. Januar 2017 - VI-3 Kart 148/15 (V), juris Rn. 82). Es gilt der Grundsatz, dass der Nebenbeteiligte weder mit den gerichtlichen Kosten noch mit den Verfahrenskosten anderer Verfahrensbeteiligter zu belasten ist, da er diese Kosten nicht veranlasst hat (BeckOK-EnWG/Pastohr, § 90 Rn. 24 [Stand: 1. Juni 2022]). Soweit die Beschwerdeführerinnen vom Bestehen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungs- bzw. Schadensersatzanspruchs (etwa gemäß § 32 Abs. 3 Satz 1 EnWG) ausgehen und dessen Berücksichtigung in Anlehnung an zivilprozessuale Grundsätze einfordern sollten, wäre ein solcher Anspruch jedenfalls nicht ohne besondere Schwierigkeiten feststellbar (zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 22. November 2001 - VII ZR 405/00, juris Rn. 10; Beschluss vom 1. Oktober 1980 - IVb 613/80, juris Rn. 9).</p> <span class="absatzRechts">262</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren war auf … Euro festzusetzen. Die Wertfestsetzung des Bundesgerichtshofs aus der Sache EnVR 36/21 ( … Euro) stand dem nicht entgegen. Im dortigen Verfahren ging es um das Interesse der hiesigen Beteiligten zu 1 und 3 an einem Betrieb der OPAL nach Maßgabe des Vertrags vom 28. November 2016. Das Interesse der Beschwerdeführerinnen bemaß sich hingegen nach den von ihnen geltend gemachten, namentlich das Gebiet und den Markt der Republik Polen betreffenden Bedenken.</p>
346,508
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2 Ca 747/22
2022-08-10T00:00:00
2022-09-10T10:01:26
2022-10-17T11:10:00
Urteil
ECLI:DE:ARBGBN:2022:0810.2CA747.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>1. Die Beklagte wird verurteilt, 210,35 € brutto nebst Zinsen in Höhe von  5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 06.05.2022 an den Kläger zu zahlen.</p> <p>2. Die Beklagte wird verurteilt, 215,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 17.05.2022 an den Kläger zu zahlen.</p> <p>3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 13 % und die Beklagte zu 87 % zu tragen.</p> <p>4. Der Streitwert wird auf 425,87 € festgesetzt.</p> <p>5. Die Berufung wird gesondert zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufgrund von verschiedenen Zuschlägen und Zulagen hat.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist seit dem 01.05.2021 bei der Beklagten als Werkschutzkraft beschäftigt. Der Stundengrundlohn des Klägers beträgt 17,64 EUR brutto. Für die Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr erhält der Kläger eine Nachtschichtzulage in Höhe von 10 % des Stundengrundlohns der Lohngruppe 7 und mithin in Höhe von 1,44 EUR brutto je Stunde. Für Sonntagsarbeit erhält der Kläger in der Zeit zwischen 00:00 Uhr und 24:00 Uhr einen Zuschlag in Höhe von 50 % seines Stundengrundlohns und mithin in Höhe von 8,82 EUR brutto je Stunde. Schließlich erhält der Kläger für solche Schichten, in denen er als Schichtführer eingeteilt ist, eine Schichtführerzulage in Höhe von 2,12 EUR brutto je Stunde.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Nachtschicht bei der Beklagten beginnt um 18:00 Uhr und endet um 06:00 Uhr am Folgetag.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Tarifvertrag zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 13.11.1997 (im Folgenden: TV Entgeltfortzahlung) enthält unter § 3 nachfolgende Regelung:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><em>„§ 3              Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 1. Mai 1999</em></p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><em>Ab dem 01. Mai 1999 wird ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Entgelt in Höhe von 100 % der tariflichen Vergütung des Arbeitnehmers gezahlt.<sup>[1]</sup></em></p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><em>Die 100% berechnen sich nach der Lohngruppe des Arbeitnehmers, in die er eingruppiert ist.</em></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><em>Es gilt das Lohnausfallprinzip. Leistungen nach Ziffer 3.3.1 und 3.3.2 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW bleiben bei der Ermittlung der tariflichen Vergütung unberücksichtigt.</em></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><em>Mit Ausnahme dieser Regelung und der Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 2. April 1993 gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz in der jeweils gültigen Fassung.</em></p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><em><sup>[1]</sup> Über die weitere Einbeziehung der Sonn- und Feiertagszuschläge in die Berechnungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wird 1998 erneut verhandelt.“</em></p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Kläger nahm am 26.03.2022 die Tätigkeit in der Nachtschicht auf. Im Verlaufe der Nachtschicht traten Symptome einer Corona-Erkrankung auf. Der von dem Kläger daraufhin durchgeführte Schnelltest wies ein positives Testergebnis aus, woraufhin sich der Kläger am 27.03.2022 um 03:30 Uhr in häusliche Absonderung begab. In der Zeit vom 27.03.2022 bis zum 05.04.2022 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 06.04.2022 bis zum 10.04.2022 fehlte der Kläger aufgrund einer Erkrankung seines Kindes.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Kläger war in der Zeit vom 27.03.2022 bis zum 29.03.2022 und am 31.03.2022 als Schichtführer in der Nachtschicht eingeteilt. Am 01.04.2022 war der Kläger in der Nachtschicht eingeteilt, ohne als Schichtführer eingeteilt zu sein. Am 02.04.2022 und am 03.04.2022 war der Kläger als Schichtführer in der Nachtschicht eingeteilt. Schließlich war der Kläger am 05.04.2022 in der Nachtschicht eingeteilt, ohne als Schichtführer eingeteilt zu sein. Insoweit wird auf den Schichtplan des Klägers (Bl. 43 d.A.) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 20.04.2022 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 05.05.2022 zur Zahlung eines weiteren Bruttoentgelts in Höhe von 275,81 EUR für den Kalendermonat März 2022 auf.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung weitere 44,10 EUR brutto als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an den Kläger.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist der Ansicht, dass sich sein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf die Schichtführerzulage sowie den Nachtzuschlag und den Sonntagszuschlag erstrecke. Der Anspruch ergebe sich auf § 3 des TV Entgeltfortzahlung, welcher allgemeinverbindlich sei.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Zwar könne nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG durch Tarifvertrag eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Entgelts festgelegt werden. Nach Auslegung der maßgeblichen Tarifverträge sei jedoch davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien eine Fortzahlung der Schichtleiterzulage sowie der Sonntags- und Nachtzuschläge festgelegt hätten. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung, welche auf das Lohnausfallprinzip verweise. Die „tarifliche Vergütung“ sei nicht mit der Grundvergütung gleichzusetzen und beziehe Zuschläge ein. Diese Formulierung wäre überflüssig, wenn alleine die Grundvergütung zu zahlen sei. Ebenso sei eine „Ermittlung“ der tariflichen Vergütung nicht erforderlich, wenn alleine die Grundvergütung ohne Zuschläge gemeint gewesen sei. Die Festlegung von 100 % der Vergütung sei in Abgrenzung zu der vorherigen Regelung zu verstehen, nach welcher eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % geregelt gewesen sei.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Schließlich spreche auch der tarifliche Gesamtzusammengang für die vorgenannte Auslegung. Denn nach der tariflichen Regelung solle das Lohnausfallprinzip mit der Ausnahme gelten, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht zu zahlen sei. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass keine weiteren Leistungen von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgenommen werden sollten. Insoweit verweist der Kläger auf die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichtes Hamm.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Eintritt der Erschwernisse der Sonn- und Nachtarbeit sowie der Schichtführung sei keine Voraussetzung für die Anwendung des Lohnausfallprinzips.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Für den Kalendermonat März 2022 habe der Kläger Anspruch auf eine weitere Schichtführerzulage im Umfang von insgesamt 44,5 Stunden, einen Nachtzuschlag für 28,5 Stunden sowie einen Sonntagszuschlag für 8,5 Stunden. Hieraus ergebe sich ein weiterer Vergütungsanspruch des Klägers in Höhe von 210,35 EUR brutto.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Für den Kalendermonat April 2022 habe der Kläger Anspruch auf eine weitere Schichtführerzulage im Umfang von insgesamt 30 Stunden, einen Nachtzuschlag für 32 Stunden sowie einen Sonntagszuschlag für 12 Stunden. Hieraus ergebe sich ein weiterer Vergütungsanspruch des Klägers in Höhe von 215,52 EUR brutto.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit der am 24.05.2022 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenen Klage hat der Kläger Zahlungsklage für März 2022 erhoben. Mit Klageerweiterung vom 30.05.2022 hat der Kläger seine Zahlungsklage betreffend des Kalendermonats April 2022 erweitert. Die Parteien haben den Rechtsstreit hinsichtlich einer Entgeltfortzahlung in Höhe von 44,10 EUR brutto im Kammertermin am 10.08.2022 übereinstimmend für erledigt erklärt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt – unter Klagerücknahme im Übrigen – zuletzt:</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1.              Die Beklagte wird verurteilt, 210,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 06.05.2022 an ihn zu zahlen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2.              Die Beklagte wird verurteilt, 215,52 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 17.05.2022 an ihn zu zahlen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie dem Kläger nach dem TV Entgeltfortzahlung einen Entgeltfortzahlung schulde, welche sich auf Basis von 100 % der tariflichen Vergütung des Arbeitnehmers, in die er eingruppiert ist, errechne. Demgemäß müsse sie dem Kläger ausschließlich den Stundengrundlohn von 17,64 EUR fortbezahlen. Ein Anspruch des Klägers auf eine weitere Entgeltfortzahlung für Zuschläge und Zulagen bestehe nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sei dem Arbeitnehmer als Entgeltfortzahlung immer der volle Grundlohn zu zahlen. Hingegen würden Zuschläge und Zulagen nur als Ausgleich für besondere Erschwernisse gezahlt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Entgeltfortzahlung des Klägers werde durch den TV Entgeltfortzahlung auf das Lohnausfallprinzip und damit auf den durch die Erkrankung ausgefallenen Grundlohn beschränkt. Ziel des TV Entgeltfortzahlung sei es, die bis dahin geltende Regelung einer Entgeltfortzahlung, welche unterhalb von 100 Prozent lag, rückgängig zu machen. Die 100 %-ige tarifliche Vergütung richte sich nach der Lohngruppe, in welche der Kläger eingruppiert sei.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe</span></strong></p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">I.              Die erhobene Klage ist zulässig und in der Sache begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen die Beklagte unter Berücksichtigung der Schichtleiterzulage sowie der Nacht- und Sonntagszuschläge.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">1.              Die Zahlungsklage ist mit beiden Anträgen zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 48 Abs. 1a ArbGG, da der Kläger seine Arbeitsleistung gewöhnlicherweise in Bonn erbringt.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">2.              Der Klageantrag zu 1.) ist in der Sache begründet. Der Kläger hat gemäß § 3 TV Entgeltfortzahlung i.V.m. §§ 3, 4 EFZG einen Anspruch auf weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegen die Beklagte in Höhe von 210,35 EUR brutto für den Kalendermonat März 2022.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">a.              Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet der TV Entgeltfortzahlung kraft dessen Allgemeinverbindlichkeit gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 TVG Anwendung.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">              Der TV Entgeltfortzahlung wurde mit Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung vom 30.03.1998 des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Wirkung ab dem 18.02.1998 für allgemeinverbindlich erklärt. Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 TVG erfassen die Rechtsnormen eines Tarifvertrages mit dessen Allgemeinverbindlicherklärung in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Geltungsbereich des TV Entgeltfortzahlung erstreckt sich gemäß § 1 TV Entgeltfortzahlung räumlich auf das Land Nordrhein-Westfalen, fachlich auf alle Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes sowie persönlich auf alle in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">              Der Kläger unterfällt dem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des TV Entgeltfortzahlung. Damit findet der allgemeinverbindliche TV Entgeltfortzahlung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">b.              Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Klägers gemäß § 3 TV Entgeltfortzahlung i.V.m. §§ 3, 4 EFZG erstreckt sich auf die Schichtleiterzulage sowie die Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">              Nach § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Grundsätzlich erhält das Entgeltausfallprinzip dem Arbeitnehmer die volle Vergütung einschließlich etwaiger Zuschläge, wie etwa Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit (vgl. BAG, Urteil vom 14.01.2009 – 5 AZR 89/08, juris, Rn. 11 f). Selbiges gilt für Nachtarbeitszuschläge (vgl. LAG Köln, Urteil vom 12.03.2009 – 7 Sa 1258/08, juris, Rn. 38).</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Es kann jedoch gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG eine von den Absätzen 1, 1a und 3 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage durch Tarifvertrag festgelegt werden. Hierbei können die Tarifvertragsparteien auch regelmäßig zu zahlende Zuschläge, die wegen zusätzlicher Erschwernisse oder besonderer Belastungen gezahlt werden, von der Entgeltfortzahlung ausnehmen (vgl. BAG, Urteil vom 13.03.2002 – 5 AZR 648/00, juris, Rn. 16; vgl. ferner BAG, Urteil vom 27.04.2016 – 5 AZR 229/15, juris, Rn. 19). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Wille, bestimmte Entgeltbestandteile von der Entgeltfortzahlung auszunehmen, hinreichend klaren Niederschlag in dem betreffenden Tarifvertrag gefunden hat (vgl. BAG, Urteil vom 27.04.2016 – 5 AZR 229/15, juris, Rn. 31; vgl. ferner BAG, Urteil vom 20.01.2010 – 5 AZR 53/09, juris, Rn. 12). Fehlt es hingegen an der klaren Regelung einer i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG abweichenden Bemessungsgrundlage, so bleibt es insoweit beim Grundsatz des § 4 Abs. 1 EFZG (BAG, Urteil vom 27.04.2016 – 5 AZR 229/15, juris, Rn. 38).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Eine Auslegung von § 3 TV Entgeltfortzahlung unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze des Bundesarbeitsgerichtes ergibt, dass die Tarifvertragsparteien die Berücksichtigung von Zulagen und Zuschlägen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht ausgeschlossen haben.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (vgl. BAG, Urteil vom 02.11.2016 - 10 AZR 515/15, juris, Rn. 14; BAG, Urteil vom 23.07.2019 – 9 AZR 475/18, Rn. 20; BAG, Urteil vom 19.06.2018 – 9 AZR 564/17, Rn. 17). Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern kann und so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (BAG, Urteil vom 23.07.2019 – 9 AZR 475/18, Rn. 20; BAG, Urteil vom 19.06.2018 – 9 AZR 564/17, Rn. 17). Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen (vgl. BAG, Urteil vom 17.06.2015 - 10 AZR 518/14, juris, Rn. 34). Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 02.11.2016 - 10 AZR 515/15, juris, Rn. 14; BAG, Urteil vom 20.06.2018 – 4 AZR 339/17, juris, Rn. 19; vgl. weiterhin BAG, Urteil vom 28.01.2009 – 4 ABR 92/07, juris, Rn. 26).</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">aa.              Der Wortlaut von § 3 des TV Entgeltfortzahlungsgesetz nimmt Zulagen und Zuschläge der Arbeitnehmer nicht von der Entgeltfortzahlung aus. Vielmehr ist die Vergütung im Falle der Entgeltfortzahlung dem Wortlaut nach uneingeschränkt nach dem Lohnausfallprinzip zu berechnen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">              § 3 TV Entgeltfortzahlung regelt zunächst, dass dem Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit ein Entgelt in Höhe von 100 % der tariflichen Vergütung gezahlt wird. Die tarifliche Vergütung setzt sich zusammen aus einem Stundengrundlohn nach dem allgemeinverbindlichen Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen sowie verschiedenen Zuschlägen gemäß § 3 des ebenfalls allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Nordrhein-Westfalen (vgl. hierzu LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 68; ArbG Bochum, Urteil vom 03.05.2017 – 3 Ca 2048/16, juris, Rn. 55). Damit schließt die „tarifliche Vergütung“ auch Zulagen und Zuschläge ein.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Im Folgenden verweist § 3 TV Entgeltfortzahlung auf das Lohnausfallprinzip. Damit haben sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs bedient, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat. Bei der Verwendung eines Rechtsbegriffes ist dieser Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen ist, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.2015 – 9 AZR 611/14, juris, Rn. 15; LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 70). Nach dem in § 4 des EFZG geregelten Lohnausfallprinzip sind jedoch etwaige Zuschläge von der Entgeltfortzahlung umfasst. Damit verweist der TV Entgeltfortzahlung auch insoweit auf die Gewährung von tariflichen Zuschlägen.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vielmehr bleiben nach dem Wortlaut lediglich konkret bestimmte Vergütungsbestandteile, nämlich Leistungen nach Ziffer 3.3.1 und 3.3.2 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Nordrhein-Westfalen, bei der Ermittlung der tariflichen Vergütung unberücksichtigt. Die Ziffern 3.3.1 und 3.3.2 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Nordrhein-Westfalen, welcher zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Entgeltfortzahlung galt, sah unter Ziffer 3.3.1 die Zahlung eines Urlaubsgeldes sowie in Ziffer 3.3.2 die Zahlung einer Weihnachtszuwendung vor. Eine ausdrückliche Herausnahme von weiteren Zuschlägen und Zulagen ist in § 3 TV Entgeltfortzahlung nicht vorgesehen.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Auch die Wortwahl, dass die tarifliche Vergütung zu „ermitteln“ ist, spricht für die Einbeziehung weiterer Entgeltbestandteile in die Fortzahlung der tariflichen Vergütung. Denn wäre mit der tariflichen Vergütung nur die Grundvergütung ohne Zuschläge gemeint, wäre keine „Ermittlung" der tariflichen Vergütung mehr erforderlich. Die Grundvergütung würde sich unmittelbar aus den Angaben im Lohntarifvertrag ergeben (vgl. ArbG Bochum, Urteil vom 03.05.2017 – 3 Ca 2048/16, juris, Rn. 58).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Schließlich verweist die Protokollnotiz zu § 3 TV Entgeltfortzahlung darauf, dass über die „weitere Einbeziehung“ der Sonn- und Feiertagszuschläge für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 1998 erneut verhandelt werde. Die Frage der „weiteren Einbeziehung" kann sich begrifflich jedoch nur dann stellen, wenn sie bisher schon einbezogen werden sollten, weil anderenfalls über deren (erstmalige) Einbeziehung verhandelt werden müsste (so: LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 68). Eine Änderung der bisherigen Regelung wurde jedoch nicht abgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Damit aber lässt sich schon dem Wortlaut von § 3 TV Entgeltfortzahlung nicht entnehmen, dass die Schichtleiterzulage sowie die Zuschläge für die Nacht- und Sonntagsarbeit bei der Bemessung der tariflichen Vergütung – und mithin der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – unberücksichtigt bleiben sollen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Soweit in § 3 TV Entgeltfortzahlung weiterhin festgelegt ist, dass sich die 100 % der tariflichen Vergütung nach der Lohngruppe des Arbeitnehmers berechnen, in die er eingruppiert ist, so kann auch dieser Regelung nicht entnommen werden, dass Zulagen und Zuschläge nicht zu zahlen sind. Vielmehr wird mit dieser Regelung lediglich zum Ausdruck gebracht, was der Ausgangspunkt der Berechnung ist, nicht jedoch, dass sich die Berechnung ausschließlich nach der Entgeltgruppe des Arbeitnehmers richtet (so: LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 68).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">bb.              Auch die systematische Auslegung von § 3 TV Entgeltfortzahlung spricht deutlich dafür, dass Zulagen und Zuschläge bei der Berechnung der im Krankheitsfall fortzuzahlenden Vergütung zu berücksichtigen sind.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">              Bei der systematischen Auslegung von § 3 TV Entgeltfortzahlung ist insbesondere die Ausnahmeregelung nach Satz 4 zu berücksichtigen. Denn danach soll das Lohnausfallprinzip lediglich mit der Ausnahme gelten, dass Leistungen nach Ziff. 3.3.1 und 3.3.2 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Nordrhein-Westfalen, welcher zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Entgeltfortzahlung galt, nämlich Urlaubsgeld und Weihnachtszuwendung, nicht zu berücksichtigen seien. Dieser Regelung hätte es jedoch nicht bedurft, wenn sich die Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers ohnehin alleine nach dessen Lohngruppe und mithin seiner Grundvergütung richten sollte. Diese Regelung wäre mithin überflüssig (LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 68). Damit aber spricht diese Regelung deutlich dafür, dass außer den ausdrücklich erwähnten Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen keine weiteren Zulagen oder Zuschläge von der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgenommen werden sollten (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 68; ArbG Bochum, Urteil vom 03.05.2017 – 3 Ca 2048/16, juris, Rn. 57).</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">cc.              Schließlich spricht auch eine Auslegung im historischen Zusammenhang der tariflichen Regelungen für die Erfassung von weiteren Entgeltbestandteilen bei der Entgeltfortzahlung. Denn soweit § 3 TV Entgeltfortzahlung auf 100 % der tariflichen Vergütung verweist, ist dies in Abgrenzung zu der zuvor geltenden Regelung in § 2 TV Entgeltfortzahlung zu verstehen, nach der in den ersten zwei Wochen der Arbeitsunfähigkeit lediglich eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % der Vergütung zu zahlen sein sollte. Es sollen daher nicht 100 % der Grundvergütung, sondern 100 % der ermittelten tariflichen Vergütung zu zahlen sein (vgl. ArbG Bochum, Urteil vom 03.05.2017 – 3 Ca 2048/16, juris, Rn. 59).</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">dd.              Insgesamt ergibt die Auslegung von § 3 TV Entgeltfortzahlung, dass sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Lohnausfallprinzip richtet und auch Zulagen und Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit fortzuzahlen sind (so auch: LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 70). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch der Systematik der tariflichen Regelung. Die Tarifvertragsparteien haben keine klare und unmissverständliche Regelung dahingehend getroffen, dass bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Zulagen und Zuschläge auszunehmen sind (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 08.11.2017 – 2 Sa 756/17, juris, Rn. 70).</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">              Damit hat der Kläger gemäß § 3 TV Entgeltfortzahlung i.V.m. §§ 3, 4 EFZG für die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einen Anspruch auf Fortzahlung der Schichtleiterzulage sowie der Zuschläge für die Nacht- und Sonntagsarbeit gegen die Beklagte.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">c.              Dem Kläger steht für den Kalendermonat März 2022 eine weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von insgesamt 210,35 EUR brutto gegen die Beklagte zu.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">              Der Kläger wäre in der Zeit ab dem 27.03.2022 um 03:30 Uhr bis zum 31.03.2022 um 24:00 Uhr insgesamt 44,5 Stunden als Schichtführer, 28,5 Stunden in der Nachtschicht und 8,5 Stunden am Sonntag eingesetzt worden.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">              Damit steht dem Kläger eine weitere Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 27.03.2022 bis zum 31.03.2022 in Höhe von 94,34 EUR brutto als Schichtführerzulage, von 41,04 EUR brutto als Nachtarbeitszuschlag sowie 74,97 EUR brutto als Zuschlag für die Sonntagsarbeit zu. Dies ergibt eine weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von insgesamt 210,35 EUR brutto.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">d.              Der Zinsanspruch der Klägers betreffend der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall folgt aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. Ziffer 6 des Lohntarifvertrages für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen. Die Entgeltansprüche des Klägers werden gemäß Ziffer 6 des Lohntarifvertrages für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen jeweils zum 15. des Folgemonats zur Zahlung fällig. Entsprechend kam die Beklagte zum 16.04.2022 mit der Leistung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Kalendermonat März 2022 in Verzug. Damit ist der geltend gemachte Zinsanspruch ab dem 06.05.2022 berechtigt.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">3.              Der Klageantrag zu 2.) ist ebenfalls in der Sache begründet. Der Kläger hat für den Kalendermonat April 2022 gemäß § 3 TV Entgeltfortzahlung i.V.m. §§ 3, 4 EFZG einen Anspruch auf weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 215,52 EUR brutto gegen die Beklagte.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">a.              Der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 TV Entgeltfortzahlung umfasst nach dem Lohnausfallprinzip auch Zulagen und Zuschläge, die in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers angefallen wären. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen unter Ziffer 2. b. verwiesen werden.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">b.              Dem Kläger steht für den Kalendermonat April 2022 eine weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von insgesamt 215,52 EUR brutto gegen die Beklagte zu.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">              Der Kläger wäre in der Zeit ab dem 01.04.2022 um 00:00 Uhr bis zum 05.04.2022 um 24:00 Uhr insgesamt 30 Stunden als Schichtführer, 32 Stunden in der Nachtschicht und 12 Stunden am Sonntag eingesetzt worden.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">              Damit steht dem Kläger eine weitere Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 01.04.2022 bis zum 05.04.2022 in Höhe von 63,60 EUR brutto als Schichtführerzulage, von 46,08 EUR brutto als Nachtarbeitszuschlag sowie 105,84 EUR brutto als Zuschlag für die Sonntagsarbeit zu. Dies ergibt eine weitere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von insgesamt 215,52 EUR brutto.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">c.              Der Zinsanspruch der Klägers betreffend der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall folgt aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. Ziffer 6 des Lohntarifvertrages für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen. Die Entgeltansprüche des Klägers werden gemäß Ziffer 6 des Lohntarifvertrages für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen jeweils zum 15. des Folgemonats zur Zahlung fällig. In den Monaten, in denen der Fälligkeitstag jedoch auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag fällt, verschiebt sich jedoch die Fälligkeit nach § 193 BGB auf den nachfolgenden Werktag und der Verzug dementsprechend auf den darauffolgenden Werktag (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 21.04.2010 – 10 AZR 288/09, juris, Rn. 31). Entsprechend kam die Beklagte zum 16.05.2022 mit der Leistung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Kalendermonat April 2022 in Verzug. Damit ist der geltend gemachte Zinsanspruch ab dem 17.05.2022 berechtigt.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">II.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 91 Abs. 1, 91a, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil erfolgte gemäß den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO in Höhe der zuletzt geltend gemachten Zahlungsanträge von 425,87 EUR.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die Berufung war vorliegend gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG gesondert zuzulassen.</p>
346,495
olgce-2022-08-10-21-wf-8722
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21 WF 87/22
2022-08-10T00:00:00
2022-09-09T10:01:06
2022-10-17T11:09:57
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div><dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 12. Juli 2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Cuxhaven vom 4. Juli 2022 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung sowie zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.</p></dd> </dl></div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Mitbenutzung der bisherigen Ehewohnung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Beteiligten haben am ... August 2021 geheiratet und lebten seither in der gemeinsam gemieteten Wohnung im M. ... in C. zusammen. Aus der Ehe sind keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen. Der Antragsteller behauptet, die Antragsgegnerin habe ihn kurz nach der Trennung aus der gemeinsamen Ehewohnung herausgeworfen und verweigere ihm seither den Zutritt zur Ehewohnung. Aus diesem Grund habe er ohne Zugriff auf seine persönlichen Sachen die Nächte in Notunterkünften verbringen müssen. Bis er eine neue Wohnung gefunden habe, sei es der Antragsgegnerin zuzumuten, die Wohnung weiterhin mit ihm gemeinsam zu nutzen, zumal es zu keinerlei handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten gekommen sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss dem Antragsteller die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass eine Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB nur in Betracht komme, um eine unbillige Härte zu vermeiden, die vorliegend nicht dargetan sei. Darüber hinaus sei die Wohnungszuweisung in der Regel nicht auf eine Mitbenutzung gerichtet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er in entsprechender Anwendung des § 1361b BGB als Mitmieter einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Mittelsitzes an der Ehewohnung verfolgt. Die Antragsgegnerin habe ohne Vorliegen von triftigen Gründen durch verbotene Eigenmacht ihn aus der Ehewohnung ausgesperrt, ohne selbst einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung zu stellen, zumal eine unbillige Härte nicht gegeben sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Dem Begehren des Antragstellers auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung kann eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht von vornherein abgesprochen werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>1.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die Rechtsverfolgung des Antragstellers ist dahingehend auszulegen, dass dieser nicht eine gerichtliche Regelung zur Überlassung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung oder zur Mitbenutzung begehrt. Hierfür wäre, worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, nach § 1361b Abs. 1 BGB eine unbillige Härte erforderlich. Auch wenn in der Antragsschrift der Verfahrensgegenstand als „wegen Wohnungszuweisung“ umschrieben ist, bringt der Antragsteller in seinem Antrag zu Ziffer 1 sowie in der hierauf bezogenen Antragsbegründung hinreichend zum Ausdruck, dass er nur die Mitbenutzung der Ehewohnung anstrebt, wie sie bis zur Trennung und danach von den Beteiligten gelebt worden sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>2.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Ein Anspruch auf Mitbenutzung und Mitbesitz der Ehewohnung folgt aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB und der dort geregelten Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. BeckOGK/Erbarth, § 1353 Rn. 389 ff.; Grüneberg/Siede, BGB,<br>81. Aufl., § 1353 Rn. 6). Leben die Ehegatten gemeinsam in einer Ehewohnung, so steht Ihnen der Mitbesitz an der Ehewohnung und an den Haushaltsgegenständen unabhängig davon zu, ob sie die Wohnung – wie vorliegend – gemeinsam gemietet haben oder nur ein Ehegatte Partei des Mietvertrages ist. Dieser Anspruch besteht während der intakten Ehe. Das bloße Verlassen der Ehewohnung führt nicht zum Erlöschen des Mitbesitzes, denn eine vorübergehende Abwesenheit berührt diesen nicht (vgl. Götz/Brudermüller/Giers, Die Wohnung in der familienrechtlichen Praxis, 2. Aufl., Rn. 35 ff.). Das Recht auf Mitbesitz entfällt dann, wenn die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung eine abweichende Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen haben oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen ist, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen zu wollen (BGH NJW 1972, 42). Hält sich die Ehefrau vorübergehend in einem Frauenhaus oder bei ihrer Familie im Ausland auf, gibt sie damit nicht den Mitbesitz an der vom Ehemann allein angemieteten Wohnung auf (vgl. LG Freiburg FamRZ 2005, 1252; OLG Frankfurt NZFam 2019, 443, 445).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch auf Mitbesitz an der Ehewohnung nicht bestehen könnte, sind dem bisherigen Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen. Insbesondere wurde der Antragsgegnerin die Ehewohnung nicht durch einvernehmliche Regelung oder auf einen von ihr zu stellenden Antrag durch gerichtliche Entscheidung zur alleinigen Nutzung überlassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Neben dem Anspruch auf Mitbenutzung der Ehewohnung aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ein Anspruch nach § 861 Abs. 1 BGB. Danach kann der Besitzer bzw. Mitbesitzer die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen, wenn der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen wird. Verweigert ein Ehegatte dem anderen den Zutritt zur Ehewohnung, erweist sich dies Verhalten als verbotene Eigenmacht mit der Folge, dass ein Anspruch aus § 861 BGB auf Wiedereinräumung des (Mit)Besitzes besteht (vgl. Götz/Brudermüller/Giers, a.a.O. Rn. 38; AG Neustadt a. Rbge. FamRZ 2005, 1253 [im Fall des Miteigentums]).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>In welchem Verhältnis dieser possessorische Anspruch nach erfolgter Trennung der Ehegatten zu dem Recht auf Überlassung der Ehewohnung nach § 1361b BGB steht, ist auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2017, 22) zur Konkurrenz zum Vindikationsanspruch aus § 985 BGB umstritten (ausführlich Johannsen/Henrich/Althammer/Dürbeck, Familienrechte, 7. Aufl., § 1361 b Rn. 44 f.; Götz/Brudermüller/Giers, a.a.O. Rn. 444 ff.; Hdb.-FamR/Kaßing, 12. Aufl., Kap. 8 Rn. 58 jeweils m.w.Nw.). Die Frage bedarf vorliegend für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsteller keiner abschließenden Beurteilung durch den Senat. Denn nach der Auffassung, die eine freie Anspruchskonkurrenz befürwortet, wäre ein Besitzschutzanspruch aufgrund einer nicht gerechtfertigten Aussperrung des Antragstellers aus der Ehewohnung begründet. Nach der vermittelnden Ansicht sind die Wertungen zum possessorischen Besitzschutz im Rahmen der Sondervorschrift des § 1361b BGB einzubeziehen, sodass vorliegend für den „ausgesperrten“ Ehegatten ebenfalls von der Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung auszugehen ist (vgl. hierzu OLG Frankfurt NZFam 2019, 443, 444 m. krit. Anm. Erbarth [auch zu weiteren verfahrensrechtlichen Aspekten]).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>3.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Ansprüche aus §§ 1353, 1361b BGB auf Einräumung des Mitbesitzes wie auch der Anspruch wegen Besitzentziehung aus § 861 Abs. 1 BGB können gemäß §§ 119 Abs. 1, 49 ff. FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden. Auch in Familienstreitsachen sind danach die Vorschriften über die einstweilige Anordnung anzuwenden. Bei einer Auseinandersetzung der Beteiligten um den Mitbesitz an der Ehewohnung nach §§ 1353, 861 BGB handelt es sich als sonstige Familiensache i.S.v. § 266 FamFG (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1506;<br>Prütting/Helms/Heiter, FamFG, 5. Aufl., § 266 Rn. 54a; Hdb.FamR/Schwonberg,<br>12. Aufl., Kap. 1 Rn. 132) um eine Familienstreitsache gemäß § 113 Abs. 1 FamFG. In Familienstreitsachen kann zur Sicherung eines Anspruchs oder Regelung eines Rechtsverhältnisses auch eine einstweilige Anordnung ergehen, sofern hierfür ein Regelungsbedürfnis besteht (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, FamFG, 6. Aufl., § 119 Rn. 5, 7; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1930). Wird die Wiedereinräumung des Mitbesitzes auf § 1361b Abs. 1 BGB gestützt, handelt es sich um eine Ehewohnungssache als Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die ebenfalls der einstweilige Rechtsschutz über § 49 FamFG eröffnet ist. Unterschiede ergeben sich hingegen für die Frage, ob im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Beschwerde nach § 57 Satz 2 Nr. 5 FamFG statthaft ist, die für eine Familienstreitsache nicht eröffnet wäre (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2006, 873; Schulte-Bunert/<br>Weinreich/Schwonberg, a.a.O., § 49 Rn. 61; § 57 Rn. 16).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>4.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Neben dem erforderlichen Anordnungsanspruch, wie er aus § 1353 Abs. 1 BGB möglich erscheint, besteht nach dem bisherigen Vorbringen bereits deswegen ein Regelungsbedürfnis i.S.v. § 49 Abs. 1 FamFG, weil der Antragsteller nicht über die Möglichkeit verfügt, an einem anderen Ort zu wohnen bzw. auch nur zu übernachten. Vielmehr ist er nach seinem glaubhaft gemachten Vorbringen (§ 51 Abs. 1 Satz 2 FamFG) auf die Nutzung von Notunterkünften angewiesen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass er auch über keinerlei persönliche Gegenstände verfügt, die in der Ehewohnung verblieben sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>III.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Der Senat kann über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht abschließend entscheiden, da das Amtsgericht allein über die hinreichende Erfolgsaussicht befunden und diese verneint hat. Der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners vom 29. Juni 2022 waren die erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt, sodass der Senat diese nicht prüfen kann. Dem Antragsteller wird angeraten, die Erklärung kurzfristig mit den erforderlichen Angaben und Belegen zu vervollständigen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>IV.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE268212022&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
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17 K 4838/20
2022-08-10T00:00:00
2022-09-08T10:01:25
2022-10-17T11:09:56
Urteil
ECLI:DE:VGGE:2022:0810.17K4838.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme der Kläger durch Beamte des Polizeipräsidiums S.              in der Nacht vom 1. Februar 2020 auf den 2. Februar 2020 rechtswidrig gewesen ist.</p> <p>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Kläger begehren die Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer polizeilichen Ingewahrsamnahme.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nachdem das Polizeipräsidium S.              am Abend des 31. Januar 2020 Hinweise darauf erhalten hatte, dass sog. Klimaaktivisten, u.a. aus der bereits im Hambacher Forst aktiven Gruppierung „Ende Gelände“, beabsichtigten, in den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2020 auf dem Gelände des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 in Datteln eine Protestaktion durchzuführen, wurden im Rahmen einer sogenannten besonderen Aufbauorganisation (BAO) polizeiliche Aufklärungskräfte im Umfeld des Steinkohlekraftwerks eingesetzt. Am 1. Februar 2020 um 23:17 Uhr wurden die Kläger in unmittelbarer Nähe des Kraftwerkbereichs auf der M.--------straße in X.       von Polizeikräften in einem Pkw mit auswärtigem Kennzeichen (°° für N°°°°°°°) angetroffen und kontrolliert. Auf Nachfrage der Beamten gaben die Kläger an, dass man auf dem Weg zu Freunden in X.       sei, die man aber namentlich nicht benennen wolle, um niemanden mit „reinzuziehen“. Im Fahrzeug befand sich neben Schlafsäcken und Lebensmitteln ein großer Rucksack mit Wechselkleidung. In der Oberbekleidung des Klägers zu 1., der nach den Feststellungen des Beamten ebenso wie der Kläger zu 3. wetterfeste Kleidung und Wanderschuhe trug, fanden die Beamten eine Stirnlampe. Eine Identitätsfeststellung und ein Abgleich mit polizeilichen Datenbanken ergab, dass die Klägerin zu 2. und der Kläger zu 3. dem in N°°°°°°° ansässigen Institut für U.         und Q.       zuzurechnen waren, welches nach polizeilichen Erkenntnissen eine Nähe zur Bewegung „Ende Gelände“ aufweise und Hinweise auf Teilnahme an einer Störaktion zum Nachteil eines Industrieunternehmens vorlagen. Während der Durchsuchung des Fahrzeugs stellten die Polizeibeamten auf dem Handy des Klägers zu 3. eine Textnachricht mit dem Wortlaut „Viel Erfolg“ fest. Zur Verhinderung der Begehung von Straftaten wurden die Kläger in Gewahrsam genommen und am 2. Februar 2020 gegen 1.45 Uhr in das Polizeipräsidium S.              eingeliefert.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit an das Amtsgericht S.              gerichtetem Faxschreiben beantragte das Polizeipräsidium am Morgen des 2. Februar 2020 gegen 6:00 Uhr eine Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung. Ausweislich eines Vermerks der zuständigen Amtsrichterin vom 2. Februar 2020 bat diese in einem am selben Tag gegen 6.30 Uhr mit einem Beamten des Polizeipräsidiums S.              geführten Telefongespräch um nähere Angaben zur aktuellen Lage vor Ort. Ausweislich des genannten amtsrichterlichen Vermerks meldete sich anschließend das Polizeipräsidium mehrfach telefonisch zurück und gab dabei u.a. an, dass sich ca. 100 Personen aus dem linken Spektrum vor Ort versammelt und das Gelände um das Kraftwerk besetzt hätten. Die Amtsrichterin ordnete sodann mündlich in einem mit einem Beamten des Polizeipräsidiums S.              geführten Telefongespräch an, dass die Kläger um 9:00 Uhr aus dem polizeilichen Gewahrsam zu entlassen seien.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 11. Februar 2020 haben die Kläger beim Amtsgericht S.              jeweils beantragt festzustellen, dass ihre Ingewahrsamnahme rechtswidrig gewesen sei. Ausweislich der vergebenen Registerzeichen wurden die Verfahren vom Amtsgericht als allgemeine Zivilsachen geführt (Az. °° C °°/°°, °° C °°/°° und °° C °°/°° AG S.              ). Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Kläger angefragt hatte, ob im Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung ein Beschluss vorliege, teilte die Berichterstatterin mit Verfügung vom 18. März 2020 (Bl. 31 GA) mit, dass „eine über den bereits vorliegenden Vermerk hinausgehende förmliche Entscheidung“ nicht ergangen sei und bat gleichzeitig um Mitteilung, sofern eine Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG oder ein anderer Rechtsbehelf beabsichtigt sei; der Antrag vom 11. Februar 2020 werde als Feststellungsklage gewertet.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Jeweils mit Schriftsätzen vom 3. April 2020 legten die Kläger sodann beim AG S.              „gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung am 02.02.2020 Beschwerde ein“. Die Verfahren wurden beim AG S.              unter den Aktenzeichen °° °°° °°/°°, °° °°° °°/°° und °° °°° °°/°° (als Beschwerdeverfahren nach FamFG, vgl. Bl. 32 GA) geführt. Mit Schriftsätzen vom 18. Juli 2022 haben die Kläger diese Beschwerden zurückgenommen. Eine Entscheidung des Amtsgerichts über die Beschwerden war bis dahin nicht ergangen. Auf die in den Verfahrensakten enthaltenen Vermerke des Berichterstatters RAG C.        jeweils vom 14. September 2020 wird insoweit Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit Beschlüssen vom 16. Juli 2020 hat das AG S.              die Verfahren °° C °°/°°, °° C °°/°° und °° C °°/°° zunächst an das Verwaltungsgericht N°°°°°°° und auf die sofortigen Beschwerden der Kläger mit Beschlüssen vom 15. Oktober 2020 an das erkennende Gericht verwiesen, wo sie unter den Aktenzeichen 17 K 4838/20 (Kläger zu 1.), 17 K 4839/20 (Kläger zu 3.) und 17 K 4840/20 (Klägerin zu 2.) geführt wurden. Die Kammer hat die Verfahren in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kläger führen zur Begründung ihrer Klage aus, aufgrund der Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Verweisungsbeschlusses sei nunmehr durch das Verwaltungsgericht eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges sei kein Raum mehr.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kläger seien am 1. Februar 2020 nach Datteln gefahren, um eine für den nächsten Tag geplante Aktion von Klimaschutzaktivisten zu beobachten. Die Kläger zu 2. und 3. seien Mitarbeiter des Instituts für U.         und Q.       in N°°°°°°°, die vom Kläger zu 1. am fraglichen Tag begleitet worden seien. Auf dem Weg zur vorgesehenen Unterkunft sei man zum Kraftwerksgelände gefahren, wo bereits ein beträchtliches Polizeiaufgebot zusammengezogen worden sei. Sie seien in Gewahrsam genommen worden, ohne dass ihnen mitgeteilt worden sei, welche konkreten Straftaten man befürchtet habe. Tatsächlich hätten sie keinerlei Straftaten geplant. Erst am 2. Februar 2020 gegen etwa 10.00 Uhr habe man das Polizeipräsidium verlassen können.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW hätten nicht vorgelegen. Es habe an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür gefehlt, dass die Begehung von Straftaten durch die Kläger unmittelbar bevorgestanden habe. Die Kläger hätten weder irgendeine Straftat angekündigt noch Gegenstände mit sich geführt, mit denen Straftaten hätten begangen werden können. Die sich aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 EMRK bzw. der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG ergebenden Anforderungen für die Zulässigkeit präventiven Gewahrsams seien nicht beachtet worden. Ihnen sei nicht eröffnet worden, die Begehung welcher Straftaten aus Sicht der Polizei unmittelbar bevor gestanden habe. Es habe auch an irgendwelchen eindeutigen und aktiven Schritten der Kläger gefehlt, die darauf hätten hindeuten können, dass sie Straftaten begehen werden. Die Ingewahrsamnahme sei auch nicht unerlässlich i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW gewesen. Ein Platzverweis hätte ausgereicht.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">festzustellen, dass ihre Ingewahrsamnahme in der Nacht vom 1. Februar 2020 auf den 2. Februar 2020 rechtswidrig gewesen ist.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei bereits unzulässig, da eine amtsrichterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme vorliege und daher nach der Rechtsprechung des OVG NRW für eine nachträgliche Feststellung der Rechtmäßigkeit durch das Verwaltungsgericht kein Raum sei. Gegen diese amtsrichterliche Entscheidung richte sich offensichtlich auch die von den Klägern am 2. Februar 2020  beim Amtsgericht erhobene Beschwerde. Aufgrund der damit vorliegenden doppelten Rechtshängigkeit sei die vorliegende Klage unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die fragliche Ingewahrsamnahme der Kläger sei auf der Grundlage des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW rechtmäßig gewesen. Die zurückliegenden Protestaktionen unterschiedlicher Gruppen von Klimaaktivisten im Hambacher Forst, u.a. der Gruppierung „Ende Gelände“, hätten zu einem der größten Polizeieinsätze in der Nachkriegsgeschichte geführt. Es sei dort wiederholt zu Straftaten (Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung) gekommen. Bagger und Kohleförderbänder seien besetzt worden. Nachdem entschieden worden sei, dass das Kohlekraftwerk Datteln 4 im Sommer 2020 ans Netz gehen sollte, sei durch Vertreter diverser Gruppierungen, teilweise mit Bezug zur Besetzung des Hambacher Forstes, in sozialen Medien zum Protest aufgerufen worden. Man habe glaubhafte Informationen erhalten, dass am Morgen des 2. Februar 2020 eine medienwirksame Protestaktion auf dem Kraftwerksgelände geplant gewesen sei. Tatsächlich sei das Kraftwerk in den Morgenstunden des 2. Februar 2020 von 102 Personen besetzt worden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Es sei im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme der Kläger angesichts der konkreten „Auffindesituation“ eindeutig erkennbar gewesen, dass diese unmittelbar davor gestanden hätten, rechtswidrig in das Kraftwerksgelände einzudringen und den Betrieb zu stören. Die Verwirklichung der Straftatbestände Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Störung öffentlicher Betriebe habe verhindert werden müssen. Die Einlassung der Kläger, das Geschehen nur beobachten zu wollen, sei als Schutzbehauptung zu werten. Eine Anreise am Vorabend des Geschehens mache bei einer bloßen Absicht, dieses zu beobachten, kaum Sinn. Die Nähe der Kläger zur Bewegung „Ende Gelände“ und die Beteiligung der Kläger zu 2. und 3. an einer gegen die Firma S1.           gerichteten Störaktion im Mai 2019 belege, dass diese vor Hausfriedensbrüchen nicht zurückschrecken würden. Die Nachricht „Viel Erfolg“ auf dem Handy des Klägers zu 3. unterstreiche ebenso wie die mitgeführten Gegenstände und die „szenetypische“ Bekleidung der Kläger, dass man sich nicht als Beobachter, sondern als aktiver Teil der Störaktion vor Ort aufgehalten habe. Den Klägern sei bei ihrer Ingewahrsamnahme auch erläutert worden, was ihnen zur Last gelegt werde. Ein Platzverweis wäre weniger effektiv und angesichts der örtlichen Verhältnisse kaum durchzusetzen gewesen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Klagen der Kläger gegen das gegen sie am 2. Februar 2020 durch das Polizeipräsidium S.              jeweils verfügte Aufenthaltsverbot wird auf die Verfahren °° K °°°/°° (L.    ), °° K °°°/°° (M1.        ) und °° K °°°/°° (M2.   ) verwiesen. Dem von der Klägerin zu 2. gegen das Verbot gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die erkennende Kammer mit Beschluss vom 14. Februar 2020, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,  stattgegeben (°° L °°°/°°).</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Polizeipräsidiums S.              sowie die Gerichtsakten des Amtsgerichts S.              (°° °°° °°/°°, °° °°° °°/°° und °° °° °°/°°) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Für die Prüfung der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO ist wegen der Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts S.              kein Raum mehr. Die Verweisung ist bindend (§ 17a Abs. 2 S. 3 GVG). Etwas anderes könnte nur bei einer willkürlichen Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts angenommen werden, für das die Kammer indes keine Anhaltspunkte sieht.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Frage einer unzulässigen doppelten Rechtshängigkeit der Sache (§ 17 Abs. 1 S. 2 GVG) wegen der von den Klägern beim Amtsgericht S.              eingeleiteten Beschwerdeverfahren nach dem FamFG stellt sich schon deshalb nicht, weil die Kläger ihre Beschwerden inzwischen zurückgenommen haben. Im Übrigen ist zur Klarstellung auszuführen, dass Vieles dafür spricht, dass bei sachgerechter Bewertung der unter dem 11. Februar 2020 gestellten Feststellungsanträge bereits diese als Beschwerden nach §§ 58, 62 FamFG hätten aufgefasst werden können und somit die danach unter dem 3. April 2020 ausdrücklich als solche erhobenen und auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteten und nunmehr zurückgenommenen Beschwerden dem Einwand der doppelten Rechtshängigkeit ausgesetzt waren.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Einwand, die beim Amtsgericht erhobenen Feststellungsklagen seien von vornherein unzulässig gewesen – als Rechtsmittel sei allein die Beschwerde nach dem FamFG in Betracht gekommen – und an dieser Unzulässigkeit habe sich nach Verweisung an das Verwaltungsgericht nichts geändert, greift nicht durch. Das vorliegende nunmehr den Regelungen der VwGO unterliegende Klageverfahren ist im allein maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, wie im Folgenden weiter zu zeigen sein wird, als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Auf lediglich im Zeitpunkt der Klageerhebung etwaig vorliegende Zulässigkeitsmängel kommt es nicht an.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist auch im Übrigen nach Erledigung der polizeilich gegen die Kläger angeordneten Ingewahrsamnahme als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO zulässig. Die Kläger haben wegen des hohen Wertes des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, in das durch die fragliche Ingewahrsamnahme tiefreichend eingegriffen worden ist, nach ständiger Rechtsprechung ein fortwährendes Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - 5 A 1045/09 -, juris Rdnr. 31.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist auch begründet. Die Kläger sind in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 2020 zu Unrecht von Polizeibeamten in Gewahrsam genommen worden.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">An dieser Prüfung ist das Gericht nicht etwa deshalb gehindert, weil das Amtsgericht S.              über die Zulässigkeit (und Fortdauer) der Freiheitsentziehung im Rahmen seiner sich aus § 36 PolG NRW ergebenden Zuständigkeit bereits entschieden hat und diese Entscheidung durch Rücknahme der dagegen von den Klägern erhobenen Beschwerden Rechtskraft erlangt haben könnte. Offen bleiben kann zudem, ob die am 2. Februar 2020 allein mündlich und ohne Anhörung der Kläger ergangene amtsrichterliche Entscheidung, die nicht in einem förmlichen Beschlusss (vgl. § 38 FamFG), sondern allein in einem von der Amtsrichterin gefertigten Vermerk schriftlich festgehalten worden ist, überhaupt eine der Rechtskraft zugängliche Entscheidung darstellt. Eine das Gericht für die hier streitgegenständliche Frage bindende Wirkung käme der „Entscheidung“ wegen ihres rein exekutivistischen Charakters jedenfalls nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu, dass das Tätigwerden des Amtsgerichts nach § 36 PolG NRW keine spruchrichterliche Tätigkeit, sondern vielmehr die Ausübung vollziehender Gewalt darstellt: Bastek in: Möstl/Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 36 PolG , Rdnr. 47;  Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, Kap. L, Rdnr. 43 ff. u.a. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Es kann in der vorliegenden Fallgestaltung daher nicht ernstlich bezweifelt werden, dass die Kläger zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes einen Anspruch darauf haben, den erfolgten Eingriff in ihre Grundrechte spruchrichterlich unter Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem förmlichen Verfahren überprüfen zu lassen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Wendung „unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ ist vor dem Hintergrund des hohen Ranges der Freiheit der Person zu verstehen. Zu den Belangen des Gemeinwohls, gegenüber denen die Freiheit des Einzelnen unter Umständen zurücktreten muss, gehört der Schutz der Allgemeinheit und Einzelner vor mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Straftaten. Der Begriff „unmittelbar bevorstehend“ ist gleichzusetzen mit „unmittelbar bevorstehende Gefahr“ oder „gegenwärtige Gefahr“. Hieraus ergeben sich besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts. Darüber hinaus stellt der Begriff im Regelfall strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad. Demgemäß müssen nachvollziehbare, bestimmte Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit und zudem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und ähnliches reichen hierfür nicht.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - 5 A 1045/09 -, juris, Rdnr. 37 m.w.N. zur insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Es ist bereits fraglich, ob die Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts hier vorlagen. Nach den im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der streitigen Maßnahme der Polizei vorliegenden Informationen sollte die befürchtete Aktion von Klimaaktivisten in den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2020 stattfinden. Zwischen der gegen Mitternacht erfolgten Ingewahrsamnahme der Kläger und dem befürchteten Schadenseintritt lagen mithin mehrere Stunden. Von daher unterliegt die Annahme des Beklagten, die Begehung von Straftaten habe unmittelbar bevorgestanden, gewissen Zweifeln, denen das Gericht jedoch nicht weiter nachgehen muss, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass der hier fragliche Schaden in Gestalt der Begehung von Straftaten durch die Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Es fehlt an hinreichenden Tatsachen, die dem Erfordernis dieses erhöhten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes gerecht werden. Bereits in ihrem Beschluss vom 14. Februar 2020 (Az.: °° L °°°/°°) im Eilverfahren der Klägerin zu 2. betreffend die Vollziehbarkeit des gegen diese verfügten Aufenthalts- und Betretungsverbotes hat die Kammer die im Rahmen des § 34 Abs. 2 PolG NRW anzustellende polizeiliche Gefahrenprognose für voraussichtlich verfehlt erachtet und sogar eine hinreichende Wahrscheinlichkeit,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">also für einen im Vergleich zur Gefahrenprognose, die im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW anzustellen ist, verminderten Wahrscheinlichkeitsgrad,</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">für die Annahme, dass die Begehung von Straftaten zu befürchten waren, in Zweifel gezogen. Diese Bewertung macht sich das Gericht nach erneuter Prüfung auch im Rahmen der hier anzustellenden Gefahrenprognose nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW zu Eigen. Die Situation, in der die Kläger in einem Pkw mit auswärtigem Kennzeichen in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk Datteln 4 in den Abendstunden des 1. Februar 2020 um 23:17 Uhr angetroffen wurden, lässt einen tragfähigen Rückschluss auf von diesen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geplante Straftaten nicht zu. Die im Fahrzeug bzw. bei den Klägern vorgefundenen Gegenstände (Schlafsäcke, Lebensmittel, Stirnlampe) lassen ebenso wie ihre Bekleidung oder die auf dem Handy des Klägers zu 3. vorgefundene Nachricht („Viel Erfolg“) zwar durchaus den Schluss zu, dass sie seinerzeit wegen der geplanten Protestaktion von Klimaaktivisten angereist waren. Das stellen die Kläger auch nicht in Abrede, wenn sie vortragen, sie hätten die Protestaktion beobachten wollen. Für eine Beteiligung der Kläger an strafbaren Handlungen im Rahmen der Aktion geben die soeben beschriebenen Umstände indes nichts Hinreichendes her. An dieser Bewertung ändert sich auch dadurch nichts, wenn man in Rechnung stellt, dass den handelnden Beamten im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der Ingewahrsamnahme die Information vorlag, dass die Kläger dem linken politischen Spektrum angehören und „einer“ der Kläger,</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">vgl. die dem Amtsgericht vorgelegte Begründung des Polizeipräsidiums S.              im Rahmen des Antrages auf gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehungen vom 2. Februar 2020 (Bl. 13 BA 1),</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">„bei einer Störaktion von einem Kraftwerk“ bereits in Erscheinung getreten sein soll. Erkenntnisse über einschlägige Vorstrafen der Kläger lagen (und liegen) nicht vor. Vor diesem Hintergrund stellt auch die vom Beklagten hervorgehobene Nähe der Kläger zur Bewegung „Ende Gelände“ als solche keinen tragfähigen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür dar, dass die Kläger am 2. Februar 2020 im Zusammenhang mit der Protestaktion gegen das Kraftwerk tatsächlich Straftaten begehen wollten. Die Gefahrenprognose der handelnden Polizeibeamten stützt sich letztlich auf bloße, nicht hinreichend tatsachengestützte Vermutungen. Darauf deutet nicht zuletzt die ersichtlich spekulative Erwägung in der oben zitierten Begründung zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehungen hin („Gegenstände, die für eine direkte Störaktion in Gebrauch genommen hätten werden können, wurden nicht aufgefunden. Dies spricht dafür, dass sie im Verlaufe der Nacht weitere Personen treffen wollten oder bereits im Vorhinein Gegenstände verdeckt abgelegt worden waren“).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Schließlich war die Ingewahrsamnahme der Kläger auch nicht „unerlässlich“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW. Unerlässlich ist eine Ingewahrsamnahme als äußerstes Mittel der Gefahrenabwehr nicht bereits dann, wenn sie mangels milderer Mittel mit gleicher Eignung erforderlich ist, sondern nur dann, wenn die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bastek in: Möstl/Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 35 PolG, Rdnr. 47; OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - 5 A 1045/09 -, juris, Rdnr. 45 ff.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Davon ausgehend spricht bereits einiges dafür, dass die Erteilung von Platzverweisen oder der Erlass von Meldeauflagen die Kläger weniger beeinträchtigende Maßnahmen dargestellt hätten, um die möglicherweise bevorstehenden Straftaten zu verhindern. Jedenfalls genügt die Ingewahrsamnahme der Kläger nicht den strengen Anforderungen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. b EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung,</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">vgl. EGMR, Urteil vom 7. März 2013 - 15598/08 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 18. April 2016 - 2 BvR 1833/12 u.a. -, juris.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">die im Rahmen der Prüfung des Erfordernisses der Unerlässlichkeit zu berücksichtigen sind.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 12. Auflage, § 35 Rdnr. 9.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Danach erfordert die Rechtmäßigkeit des Unterbindungsgewahrsams u.a., dass sich der Betroffene unwillig gezeigt hat, die befürchtete Straftat zu unterlassen. Der Betroffene muss, nachdem er auf die konkret zu unterlassende Handlung hingewiesen worden ist, eindeutige und aktive Schritte unternommen haben, die darauf hindeuten, dass er der konkretisierten Verpflichtung nicht nachkommen wird. Zumindest am Letzteren fehlt es hier. Selbst wenn man unterstellt, was die Kläger allerdings bestreiten, dass sie auf die konkret zu unterlassenden Handlungen zur Vermeidung der Verwirklichung von Straftatbeständen hingewiesen worden sind, mangelt es hier an einem entsprechenden aktiven und eindeutigen Verhalten, das darauf hingedeutet hätte, dass die Kläger ihrer Verpflichtung, keine Straftaten zu begehen, nicht erfüllen würden, zumal sich die Kläger bei der gesamten Polizeiaktion kooperativ verhalten hatten. Sie hatten insbesondere nicht unmittelbar zuvor Aktionen oder gar Straftaten begangen, aus denen tragfähig Rückschlüsse dahingehend hätten gezogen werden können, dass sie der Verpflichtung zur Unterlassung strafbarer Handlungen nicht nachkommen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">1.              ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">2.              die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">3.              die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">4.              das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">5.              ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.</p>
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3 Kart 105/21
2022-08-10T00:00:00
2022-09-02T10:01:26
2022-10-17T11:09:42
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART105.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 01.07.2021 (…) wird insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ die Genehmigung als Investitionsmaßnahme abgelehnt worden ist. Die Bundesnetzagentur wird verpflichtet, den Antrag der Beschwerdeführerin vom 31.03.2017 in Gestalt des Änderungsantrags vom 30.06.2020 hinsichtlich dieser Teilmaßnahme unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Verfahrensbeteiligten trägt die Bundesnetzagentur.</p> <p>Der Beschwerdewert wird auf … Euro festgesetzt.</p> <p>Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">A.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin, Betreiberin eines Elektrizitätsübertragungsnetzes, wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die (teilweise) Ablehnung ihres Antrags auf Genehmigung einer Investitionsmaßnahme nach § 23 Abs. 1 ARegV hinsichtlich der Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ aus dem (Gesamt-)Projekt „Maßnahmenpaket 203_1: Umsetzung Sicherungskonzept“ (ursprünglich: „Nationale kritische Infrastruktur“). Die streitgegenständliche Teilmaßnahme zielt auf eine Verstärkung der Objektschutzinfrastruktur gegenüber terroristischen Anschlägen bei acht als nationale kritische Infrastruktur (NKI) eingestuften Umspannwerken (UW) der Beschwerdeführerin.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das (Gesamt-)Projekt ist Bestandteil einer im Jahr 2011 gestarteten Initiative zum Schutz nationaler kritischer Infrastruktur vor namentlich terroristischen Anschlägen. In diesem Kontext führten die Beschwerdeführerin und die anderen Übertragungsnetzbetreiber – in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unter Beteiligung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundesnetzagentur – auf Basis vom BBK vorgegebener Gefährdungs- und Einwirkungsszenarien verschiedene, immer weiter spezifizierte Analysen und Untersuchungen durch, die zunächst darauf abzielten, die konkret als nationale kritische Infrastruktur einzustufenden Anlagen und Anlagenkomponenten der Übertragungsnetze zu ermitteln, deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen auf die Stromversorgung in der Bundesrepublik Deutschland haben kann. Daran anknüpfend erarbeiteten die Übertragungsnetzbetreiber sodann Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen, um diese Netzinfrastruktur gegen entsprechende Angriffe abzusichern. Die Untersuchungen und Analysen wurden bis Ende 2019 abgeschlossen. Die finalen Sicherheitskonzepte der einzelnen Übertragungsnetzbetreiber sowie ein gemeinsamer Bericht nebst gemeinsamem Sicherungskonzept (4-ÜNB-Sicherungskonzept) wurden Ende Juni 2020 vorgelegt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Analysen und Berichte wurden seitens des im BMWi zuständigen Staatssekretärs Y mit Schreiben vom 22.10.2020 (Anlage BF 5) auch im Namen des BMI abgenommen. In dem Schreiben wurde das im Rahmen der Makroanalyse untersuchte Szenario als weiterhin aktuell und eine Erhöhung des Schutz- bzw. Sicherheitsniveaus als ausdrücklich erwünscht bezeichnet. Insbesondere wurde die vorgeschlagene Maßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ für bestehende Umspannwerke ausdrücklich als zum Schutz dieser Anlagen geeignet und erforderlich qualifiziert und eine möglichst zügige Umsetzung angeregt bzw. gefordert. Hinsichtlich der Kostentragung wurde auf die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur und die dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin hatte bereits am 31.03.2017 während des noch laufenden (Analyse-)Prozesses einen Antrag auf Genehmigung einer Investitionsmaßnahme gemäß § 23 Abs. 1 ARegV für das Projekt „Maßnahmenpaket 203_1: „Nationale kritische Infrastruktur“ (Anlage BF 2) gestellt. Diesen hat sie mit Änderungsantrag vom 30.06.2020 (Anlage BF 3) auf Basis ihres eigenen Sicherungskonzepts sowie des 4-ÜNB-Sicherungskonzepts inhaltlich konkretisiert und dabei zudem die Umbenennung des Projekts in „Maßnahmenpaket 203_1: Umsetzung Sicherungskonzept“ beantragt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Folgende Maßnahmen sollten ausweislich des (Änderungs-)Antrags der Beschwerdeführerin umgesetzt werden:</p> <span class="absatzRechts">8</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Maßnahme</strong></p> </td> <td><p><strong>Betroffene Standorte</strong></p> </td> <td><p><strong>Schätzung der Anschaffungs- und Herstellungskosten in Euro</strong></p> </td> </tr> <tr><td><p>Objektschutz/Anlagenhärtung</p> </td> <td><p>UW B, D, E, F_N, F_S, G, K und W</p> </td> <td><p>ca. 44 Mio.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Zusätzlicher 380/220-kV-Transformator, inkl. Errichtung der erforderlichen 380-kV und 220-kV Schaltfelder</p> </td> <td><p>UW B</p> </td> <td><p>ca. 12 Mio.</p> </td> </tr> <tr><td><p>Vorbereitung für Autarkes mobiles Umspannwerk (AMU)</p> </td> <td><p>UW G, E, F_S</p> </td> <td><p>ca. 3 Mio.</p> </td> </tr> <tr><td><p>AMU-Beschaffung</p> </td> <td><p>Beschaffung von 2 AMU</p> </td> <td><p>ca. 50 Mio.</p> </td> </tr> <tr><td><p>AMU-Lager, inkl. Objektschutz</p> </td> <td><p>Errichtung eines Lagers für 2 AMU</p> </td> <td><p>ca. 10 Mio.</p> </td> </tr> <tr><td><p><strong>Gesamt</strong></p> </td> <td></td> <td><p><strong>ca. 119 Mio.</strong></p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die streitgegenständliche Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ beinhaltet präventive Maßnahmen zum Schutz der in den Umspannwerken eingesetzten Primär- und Sekundärtechnik unter Berücksichtigung des von den Bundesbehörden vorgegebenen Bedrohungsszenarios und der besonderen Anforderungen an NKI-Standorten. Dies betrifft einerseits bauliche Härtungsmaßnahmen zur Erhöhung der physischen Widerstandsfähigkeit und andererseits die Installation von Systemen zur Detektion und Alarmverifikation schadhafter Handlungen an Anlagenteilen und Bauwerken. Das Vordringen zur kritischen Infrastruktur soll verhindert, jedenfalls erschwert bzw. verzögert und zugleich aufgedeckt werden. Dies soll unter anderem mittels eines neuen Anlagenzauns, eines Untergrabungs-, Übersteig- und Anfahrschutzes, mit Kameraüberwachungs- und Videotechnik, der Installation von Zutrittssystemen (elektronische Schließung) sowie einer Erhöhung der Einbruchsklassen von Fenstern und Türen in den Gebäuden erreicht werden. Die an den betroffenen Standorten vorhandene Objektschutzinfrastruktur soll dabei teilweise ersetzt werden. Der projektspezifische Ersatzanteil gemäß § 23b Abs. 2b ARegV wurde von der Beschwerdeführerin mit 0,77 % veranschlagt.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur hat mit Beschluss vom 01.07.2021 (…) den Antrag der Beschwerdeführerin – mit Ausnahme der Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ – gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV genehmigt.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Ablehnung der Teilmaßnahme hat sie damit begründet, dass es sich dabei weder um eine Erweiterungs- noch um eine Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 ARegV handele. Es werde weder die physikalische Netzlänge vergrößert noch ein größeres Kapazitäts- bzw. Transportmengenvolumen geschaffen, weshalb keine Erweiterungsinvestition vorläge. Die Erhöhung des Schutzniveaus in Gestalt der beantragten baulichen Härtungsmaßnahmen sowie der Systeme zur Detektion und Verifikation schadhafter Handlungen an Anlagenteilen und Bauwerken führe auch zu keiner Veränderung von für den Netzbetrieb erheblichen technischen Parametern, so dass die Teilmaßnahme auch nicht als Umstrukturierungsinvestition „im Netz“ genehmigungsfähig sei. Mit ihr gehe auch keine Funktionserweiterung des Netzes einher. Die Erhöhung der Verfügbarkeit bzw. der Resilienz bereits bestehender Netzbetriebsmittel sei keine in diesem Sinne eigenständige Funktion. Wirkung, Funktion und Einsatz der betroffenen Umspannwerke blieben im Hinblick auf die Erfüllung der Transportaufgabe auch nach der Umsetzung der Härtungsmaßnahmen unverändert. Es fehle an einem unmittelbaren Bezug zur Transportfunktion des Netzes. Die Zutritts-, Zugangs- und Zugriffsbeschränkungen stellten keine für den Betrieb des Netzes zwingend notwendigen Parameter dar.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die gesetzliche Vorgabe zum sicheren Betrieb des Netzes verpflichte die Netzbetreiber überdies, angemessene Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Anlagen auch vor mutwilligen Angriffen Dritter zu ergreifen. Dies gelte umso mehr, wenn – so wie vorliegend – kritische Infrastruktur betroffen sei. In diesem Fall träfen einen Betreiber höhere bzw. besondere Anforderungen mit der Folge, dass die notwendigen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen zum Kernbereich seines Aufgabenumfangs zählten und als Standardaufgabe einzustufen seien. Auch der Umstand, dass das BMWi die vorgeschlagenen Maßnahmen als erforderlich im Sinne der Sicherheitskonzepte betrachtet habe, führe nicht zu einer Anerkennung als Umstrukturierungsmaßnahme im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die abgelehnte Teilmaßnahme sei auch aus Gründen der Refinanzierung nicht genehmigungsbedürftig. Die entsprechenden Investitionen könnten über das normale Ausgangsniveau der Erlösobergrenze der Anreizregulierung refinanziert werden. Das gemeinsame Sicherungskonzept führe überdies dazu, dass bei allen Übertragungsnetzbetreibern bei entsprechenden Anlagen das gleiche Sicherungsniveau angestrebt werde und es insoweit zu keiner Diskriminierung zwischen den Netzbetreibern und zu keinen Nachteilen im Effizienzvergleich kommen dürfte. Für die Umsetzung der Maßnahmen bzw. die Pflicht der Antragstellerin zum sicheren Betrieb ihres Netzes komme es im Übrigen nicht darauf an, über welches Refinanzierungsinstrument Kosten im Rahmen der Anreizregulierung anerkannt würden.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“. Sie macht geltend, die Bundesnetzagentur habe ihren Antrag hinsichtlich der Teilmaßnahme zu Unrecht zurückgewiesen. Es handele sich um eine Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV. Darunter könne jede für den Netzbetrieb erhebliche Maßnahme fallen, solange durch sie nur – so wie hier – für den Netzbetrieb wesentliche technische Parameter geändert würden. Dazu zähle auch der im Streitfall betroffene Aspekt der Versorgungssicherheit als überragendes Schutzgut des Energiewirtschaftsgesetzes (vgl. § 1 Abs. 1 EnWG). Zu einer ausfallsicheren Energieversorgung gehöre auch eine hinreichende Absicherung der Netze gegen Eingriffe Dritter. Diesem Zweck diene die abgelehnte Teilmaßnahme. Durch sie werde das Risiko erheblich verringert, dass es durch Sabotageaktionen bzw. physische Attacken auf die in besonderem Maße schutzbedürftigen Umspannwerke zu Einschränkungen des Netzbetriebs und damit der Versorgungssicherheit komme.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur sei die Genehmigungsfähigkeit von Investitionsmaßnahmen im Rahmen des § 23 Abs. 1 ARegV auch nicht auf Maßnahmen „im Netz“ beschränkt; dies sei dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Entscheidend sei allein das hier zu bejahende Bestehen eines funktionalen Bezugs zur Transportaufgabe des Netzes. Eine Beschränkung auf Schutzmaßnahmen „im Netz“ wäre zudem weniger effektiv, würde mehrere „Schutzwälle“ außer Acht und die Bedrohung physisch näher an die Schutzobjekte herankommen lassen. Das Schutzgut der Versorgungssicherheit erfordere vielmehr auch die Anerkennung und Einbeziehung effizienter Schutzmaßnahmen „außerhalb des Netzes“ in den Begriff der Umstrukturierungsmaßnahme. Unabhängig davon führten die streitgegenständlichen Sicherungsmaßnahmen auch zu einer qualitativen Verbesserung der Netzbeschaffenheit, indem sie die Güte und Verfügbarkeit einer sicheren Netzinfrastruktur verbesserten und damit die Versorgungssicherheit erhöhten.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Es handele sich auch nicht nur um eine nicht genehmigungsfähige Ersatzbeschaffung. Vielmehr solle durch die streitgegenständliche Teilmaßnahme ein im Verhältnis zum Ist-Zustand neues, qualitativ deutlich erhöhtes Schutz- und Sicherheitsniveau in Bezug auf die Umspannwerke realisiert werden, das ihrer Einstufung als nationale kritische Infrastruktur, den von den Sicherheitsbehörden identifizierten Bedrohungsszenarien und den daraus abgeleiteten Impact- und Makroanalysen Rechnung trage. Es werde ein über eine Grundsicherung von Netzanlagen deutlich hinausgehendes, auf behördlichen Vorgaben beruhendes Schutzniveau erreicht. Durch die zusätzlich zu installierenden bzw. in ihrer Funktion erweiterten Betriebsmittel werde der bisherige Schutz der Versorgungssicherheit vollständig umstrukturiert und der von den Sicherheitsbehörden identifizierten Bedrohungssituation angepasst.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Das BMWi habe eine sicherheitsrelevante Bedrohungslage erkannt und besondere Anforderungen an den Schutz der Anlagen definiert bzw. die Umsetzung bestimmter Sicherheitsmaßnahmen zur Erhöhung des Schutzniveaus angeordnet. Zwar gehöre der Schutz der eigenen Anlagen vor mutwilligen Angriffen Dritter grundsätzlich zu den Standardaufgaben eines jeden Unternehmens, doch sei diese allgemeine Pflicht durch die Vorgaben des BMWi vorliegend nicht nur konkretisiert, sondern in dem beantragten Ausmaß behördlicherseits vorgegeben worden. Insbesondere sei der Bedarf überhaupt erst vom BBK identifiziert worden. Das zugrunde gelegte Bedrohungsszenario sei sehr spezifisch gewesen und hätte von ihr wie den übrigen Übertragungsnetzbetreibern nicht selbst erschlossen werden können. Es zeige eine Ausrichtung auf Anschläge mit möglicherweise terroristischem Hintergrund. Deren Abwehr könne überdies nicht Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber sein.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Fehl gehe auch das gegen die Anerkennung als Umstrukturierungsinvestition angeführte Argument der Bundesnetzagentur, die streitgegenständliche Teilmaßnahme bewirke keine Funktionserweiterung des Netzes. Abzustellen sei insoweit auf den Soll- und nicht auf den Ist-Zustand. Die Teilmaßnahme erhöhe die Resilienz der Umspannwerke gegenüber äußeren Einwirkungen im Interesse der Anlagen- und Versorgungssicherheit, was als relevante Funktionserweiterung zu qualifizieren sei. Eine hohe Anlagenverfügbarkeit sei – wie auch die Bundesnetzagentur einräume – für einen sicheren Netzbetrieb erforderlich. Es handele sich um eine Ausprägung der von den Netzbetreibern gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG zu gewährleistenden Sicherheit der Energieversorgung. Die vorliegende Konstellation unterscheide sich insoweit nicht von Investitionsmaßnahmen, die einem „Schwarzfall“ vorbeugen bzw. die (n-1)-Sicherheit eines Netzsystems gewährleisten sollten und als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 ARegV anerkannt würden.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur bestehe auch der erforderliche funktionale Zusammenhang zum Netzbetrieb. Die Teilmaßnahme betreffe die Sicherheit von neuralgischen Netzkomponenten. Damit sei ein funktionaler Bezug zur Transportaufgabe gegeben. Der sichere, störungsfreie Betrieb der Umspannwerke sei unmittelbarer Bestandteil ihrer Transportaufgabe, die durch die geforderten Nachrüstungen besser erfüllt werden könne. Da den streitgegenständlichen Sicherungsmaßnahmen eine „Notfalleinsatzfunktion“ zukomme, sei maßgeblicher Bezugspunkt für die Frage des Bestehens eines funktionalen Zusammenhangs zum Netzbetrieb der Notfalleintritt, d.h. die Realisierung des zugrunde gelegten Bedrohungsszenarios. Die mit der neuen Objektschutzinfrastruktur versehenen Umspannwerke setzten ihren Betrieb aus netztechnischer Sicht daher gerade nicht unverändert fort. Das Netz befände sich aufgrund der von der Teilmaßnahme umfassten Schutzvorkehrungen vielmehr in einem höhergradig abgesicherten Zustand und sei infolgedessen in der Lage, Eingriffen von außen effektiver zu trotzen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus sei die streitgegenständliche Teilmaßnahme zumindest mittelbar aufgrund Sachzusammenhangs als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 ARegV zu qualifizieren, weil das Anlagensicherheitskonzept einen integralen Bestandteil des Gesamtkonzepts der NKI-Sicherheit darstelle. Überdies verursache dieser ganzheitliche Ansatz die volkswirtschaftlich geringsten Kosten. Es drohe dadurch auch keine „uferlose Ausdehnung“ des Begriffs der Umstrukturierungsinvestition, da ein Sachzusammenhang nicht schon bei jeder untergeordneten, nur nachrangig der Versorgungssicherheit dienenden Maßnahme zu bejahen sei und die von der streitgegenständlichen Teilmaßnahme umfassten Sicherungsmaßnahmen insofern deutlich über das von den §§ 11, 49 EnWG verlangte Maß hinausgingen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">den streitgegenständlichen Beschluss vom 01.07.2021 (…) im Umfang der Teilablehnung aufzuheben und die Beschwerdegegnerin insoweit zu verpflichten, ihren Antrag vom 31.03.2017 in Gestalt des Änderungsantrags vom 30.06.2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">              die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung der Gründe. Die Ablehnung der Genehmigung für die Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ sei zu Recht erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Insbesondere sei die Teilmaßnahme – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – nicht schon deswegen als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 ARegV zu klassifizieren, weil es sich nicht um eine schlichte Ersatzinvestition handele. Der Zweck der normativen Beschränkung der Genehmigungsfähigkeit auf Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen erschöpfe sich nicht darin, allein Ersatzinvestitionen aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Maßnahmen auszugrenzen und somit sämtliche Maßnahmen, die keine Ersatzinvestitionen darstellten, als genehmigungsfähige Erweiterungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen anzuerkennen. Vielmehr müsse es darüber hinaus bei einer Erweiterungsinvestition zu einer Vergrößerung des Netzes und bei einer Umstrukturierungsinvestition zu einer nicht unbedeutenden Veränderung sonstiger für den Netzbetrieb erheblicher technischer Parameter kommen; beides sei hier nicht gegeben. Für die allein in Betracht kommende Anerkennung als Umstrukturierungsinvestition fehle es der Teilmaßnahme insbesondere an dem notwendigen funktionalen Bezug zum Netzbetrieb bzw. zur Transportaufgabe. Aus dem gleichen Grund scheide auch eine Einstufung als Maßnahme der technischen Sicherheit im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV aus, weil der Begriff der Umstrukturierungsinvestition im Regelbeispiel des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV nicht anders auszulegen sei als in § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">§ 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV spreche von „Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen in die Übertragungs- und Fernleitungsnetze“ und unterscheide somit hinsichtlich des Netzbezugs nicht zwischen Erweiterungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen. Entscheidend für die Genehmigungsfähigkeit einer Maßnahme sei, dass es sich um eine Investition „in das Netz“ handele, d.h. dass sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionalität des Netzes stehe. Während Erweiterungsinvestitionen Maßnahmen erfassten, die durch einen quantitativen Ausbau der Netzinfrastruktur einem steigenden Transportbedarf begegneten, bildeten Umstrukturierungsinvestitionen strukturell-qualitative Veränderungen des Netzes ab, die sich auf die Transportfunktion des Netzes auswirkten und diese erhöhten oder verbesserten. Diese Aspekte seien bei der streitgegenständlichen Teilmaßnahme zur Verbesserung des Objektschutzes der Umspannwerke gegenüber äußeren, namentlich terroristischen Angriffen nicht betroffen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin seien auch nicht alle Maßnahmen, die in irgendeiner Art und Weise der Versorgungssicherheit dienten, per se als für den Netzbetreib erhebliche technische Parameter einzustufen, so dass deren Veränderung immer eine Umstrukturierungsinvestition darstellte. Vielmehr müssten sich die Maßnahmen immer auf eine (Netz-)Komponente beziehen, die einen funktionalen Bezug zur Transportaufgabe des Netzes habe, woran es vorliegend fehle. Denn der primäre Zweck der streitgegenständlichen Teilmaßnahme bestehe darin, ein unbefugtes Eindringen in die Umspannwerke und mögliche Angriffe auf diese Anlagen zu verhindern.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Ohne die vorgesehenen Schutzmaßnahmen drohe auch nicht direkt ein Ausfall wesentlicher Netzkomponenten; dazu bedürfe es vielmehr weiterer Zwischenschritte. Der erforderliche unmittelbare Netzbezug könne auch nicht durch das Abstellen auf den Soll-Zustand hergestellt werden. Durch das Erfordernis der „Erheblichkeit für den Netzbetrieb“ werde der Kreis der genehmigungsfähigen Umstrukturierungsinvestitionen vielmehr auf Maßnahmen beschränkt, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionalität des Netzes stünden. Etwas anderes folge auch nicht aus der von der Beschwerdeführerin für ihre Rechtsansicht zitierten Entscheidung des Senats vom 28.02.2018 (VI-3 Kart 136/16 [V], Juris Rn. 32 ff., 37 ff.), wo unter anderem zur Gewährleistung der (n-1)-Sicherheit dienende Betriebsmittel wie Verdichter, Sammelschienen und Schaltfelder als Erweiterungsinvestitionen im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV anerkannt worden seien, weil diese – im Gegensatz zu den hier streitgegenständlichen Objektschutzmaßnahmen – gerade in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Funktionalität des Netzes stünden.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sei die streitgegenständliche Teilmaßnahme auch nicht aufgrund Sachzusammenhangs als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition anzuerkennen. Würde man Maßnahmen allein aufgrund ihres Sachzusammenhangs mit genehmigungsfähigen Teilmaßnahmen als zu genehmigende Umstrukturierungsinvestition einstufen, käme es zu einer nicht mit dem Willen des Verordnungsgebers korrespondierenden erheblichen Erweiterung des Kreises der gemäß § 23 Abs. 1 ARegV genehmigungsfähigen Investitionsmaßnahmen. Dies widerspräche dem Charakter der Investitionsmaßnahme als Privilegierungsinstrument, das als Ausnahme zur Regelfinanzierung konzipiert sei.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin habe den Schutz der Umspannwerke auch nicht aufgrund behördlicher bzw. ministerieller Vorgaben vorzunehmen. Der Schutz der eigenen Anlagen auch vor mutwilligen Angriffen Dritter gehöre vielmehr zu den Standardaufgaben eines jeden Unternehmers. Zwar gälten bei Netzbetreibern besondere Anforderungen, die jedoch bei Betreibern kritischer Infrastruktur – so wie hier – ebenfalls vom Kernbereich des Aufgabenumfangs umfasst seien. Der Umstand, dass das BMWi die Maßnahme als erforderlich im Sinne der Sicherungskonzepte bewertet habe, führe insoweit zu keiner anderen Bewertung bzw. nicht zu einer Einordnung der Teilmaßnahme als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Unzutreffend sei auch die Darstellung der Beschwerdeführerin, aufgrund der Abnahme der Sicherungskonzepte durch das BMWi scheide eine Refinanzierung über das Ausgangsniveau aus. Zunächst sei festzuhalten, dass sich das BMWi in dem Schreiben des Staatssekretärs Y vom 22.10.2020 (Anlage BF 5) zur Kostenanerkennung überhaupt nicht geäußert, sondern insoweit auf die einschlägigen Verwaltungsverfahren verwiesen habe. Des Weiteren habe die zuständige Beschlusskammer auf Seite 7 des angegriffenen Beschlusses ausdrücklich konstatiert, dass die Kosten für derartige Sicherungsmaßnahmen im Ausgangsniveau grundsätzlich berücksichtigungsfähig seien und daher ab der nächsten Regulierungsperiode zu Rückflüssen über die Erlösobergrenze führen könnten.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Verfahrensbeteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Protokoll der Senatssitzung vom 22.06.2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">B.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 01.07.2021 (…) hat in der Sache Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und insoweit zur Verpflichtung der Bundesnetzagentur, den Antrag der Beschwerdeführerin vom 31.03.2017 in der Fassung des Änderungsantrags vom 30.06.2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong> Die Beschwerde ist zulässig.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist als Verpflichtungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 78 Abs. 1, Abs. 3, § 83 Abs. 4 EnWG statthaft. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihr gegen die Ablehnung der Genehmigung für die Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ im Rahmen der beantragten Investitionsmaßnahme „Maßnahmenpaket 203_1: Umsetzung Sicherungskonzept“ (ursprünglich: „Nationale kritische Infrastruktur“) und begehrt insoweit die Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsaufassung des Senats.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong> Die Beschwerde ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur hat es aufgrund eines unzutreffenden Begriffsverständnisses rechtsfehlerhaft abgelehnt, die Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ jedenfalls teilweise unter Ansatz eines Ersatzanteils als notwendige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV anzuerkennen und zu genehmigen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">1.</span></strong> Die Regelungen der Anreizregulierungsverordnung finden auch vor dem Hinter-grund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 02.09.2021 (C-718/18, Juris Rn. 112 ff.) weiterhin Anwendung. Sie sind allerdings angesichts der durch das Unionsrecht geforderten Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur von externen Weisungen anderer öffentlicher oder privater Stellen, wo auch immer möglich und bis zu der den Gerichten durch den Willen des nationalen Gesetzgebers gezogenen Grenze, im Sinne einer Gewährleistung und Sicherung dieser Unabhängigkeit auszulegen. Eine gerichtliche Überprüfung erfolgt im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 08.10.2019 – EnVR 58/18, Juris Rn. 60 ff. – Normativer Regulierungsrahmen) daher im Grundsatz nur noch in Bezug auf den nach diesen Maßstäben fortgeltenden nationalen Regulierungsrahmen sowie anhand unionsrechtlicher Vorgaben (vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.2021 – EnVR 17/20, Juris 13 ff. – Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; v. 09.11.2021 – EnVR 36/20, Juris Rn. 11 – Genehmigung der Investitionsmaßnahme; v. 07.12.2021 – EnVR 22/21, Juris Rn. 8 f.; Senat, Beschl. v. 16.03.2022 – VI-3 Kart 53/19 [V], Juris Rn. 77, 85; v. 23.03.2022 – VI-3 Kart 25/21 [V], Juris Rn. 93).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.</span></strong> Die streitgegenständliche Teilmaßnahme zur Verbesserung des Objektschutzes und der Anlagensicherheit von acht als nationale kritische Infrastruktur eingestuften Umspannwerken der Beschwerdeführerin stellt eine zumindest teilweise genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition in die Übertragungsnetze gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV dar.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">a)</span></strong> Dabei kann dahinstehen, welche Fassung des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblich ist.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Bei einer Verpflichtungsbeschwerde – so wie hier – ist für die Beschwerdeentscheidung an sich grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung des Beschwerdegerichts abzustellen (Johanns/Roesen, in: BerlKommEnR, 4. Aufl., § 83 EnWG Rn. 23; BeckOK EnWG/van Rossum, 2. Ed. 01.03.2022, § 83 Rn. 31 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 04.10.1983 – KVR 2/82, Juris Rn. 23 – Elbe Wochenblatt II; v. 20.04.2010 – KVR 1/09, Juris Rn. 35 – Phonak/GN Store, P). Die Frage nach dem anzuwendenden Recht beantwortet sich indes primär nach dem materiellen Recht, soweit sich diesem, z.B. in Gestalt einer Übergangsregelung, eine Aussage hierzu entnehmen lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42/80, Juris Rn. 12 ff.; v. 17.09.1987 – 7 C 15/85, Juris Rn. 10 m.w.N.; ebenso BGH, Beschl. v. 09.11.2021 – EnVR 36/20, Juris Rn. 18; vgl. auch BeckOK EnWG/van Rossum, a.a.O., § 83 Rn. 31). Hieran gemessen dürfte sich die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Genehmigung für die streitgegenständliche Teilmaßnahme an sich nach der zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung geltenden Fassung des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV vom 27.07.2021 beurteilen. Das materielle Recht, namentlich die Übergangsregelungen in §§ 34 ff. ARegV, insbesondere die Absätze 7, 7a und 11 des § 34 ARegV, treffen für die hier in Rede stehende Teilmaßnahme keine (abweichende) Bestimmung.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Im Ergebnis kann die Frage nach der im Streitfall anwendbaren Fassung des § 23 Abs. 1 ARegV jedoch offenbleiben. Zwar ist die Regelung seit ihrem Inkrafttreten mehrfach geändert worden. Die für die Beurteilung des Streitfalls relevanten Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV sind von diesen Änderungen indes nicht betroffen gewesen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – EnVR 18/12, Juris Rn. 9 f.; v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 13 f.).</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">b)</span></strong> Die Genehmigung von Investitionsmaßnahmen gemäß § 23 Abs. 1 ARegV eröffnet dem Netzbetreiber die Möglichkeit, die Kosten bestimmter Maßnahmen früher in die Festlegung der Erlösobergrenze einfließen zu lassen, als dies nach den allgemeinen Bestimmungen in §§ 4 ff. ARegV möglich wäre. Für die Netzbetreiber hat dies den Vorteil, dass diese Kosten zu einem früheren Zeitpunkt in die Entgeltkalkulation einfließen und damit wieder erwirtschaftet werden können (BGH, a.a.O., Rn. 12 ff., 27 – Genehmigung der Investitionsmaßnahme; BGH, Beschl. v. 14.07.2015 – EnVR 6/14, Juris Rn. 10 ff.; Bacher, WM 2021, Sonderbeilage Nr. 1, 1 [12]).</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">aa)</span></strong> Für die Festlegung der Erlösobergrenze sind grundsätzlich die Kosten maßgeblich, die in dem nach § 6 Abs. 1 ARegV relevanten Basisjahr angefallen sind. Dies ist, sofern sich das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr deckt, das drittletzte Kalenderjahr vor Beginn der Regulierungsperiode. Danach können die Kosten einer Investitionsmaßnahme frühestens in der jeweils nächsten Regulierungsperiode berücksichtigt werden, und selbst dies wäre nur möglich, soweit die Kosten spätestens zwei Jahre vor Beginn dieser Periode angefallen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 14.07.2015 – EnVR 6/14, Juris Rn. 11 – GASCADE Gastransport GmbH; BGH, a.a.O., Rn. 13 – Genehmigung der Investitionsmaßnahme).</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Um eine frühere Berücksichtigung zu ermöglichen, sieht § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ARegV vor, dass Kosten genehmigter Investitionsmaßnahmen, die gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ARegV als nicht beeinflussbare Kostenanteile gelten, bei der jährlichen Anpassung der Erlösobergrenze zu berücksichtigen sind (BGH, a.a.O., Rn. 12 – GASCADE Gastransport GmbH; BGH, a.a.O., Rn. 14 – Genehmigung der Investitionsmaßnahme).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">bb)</span></strong> Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV genehmigt die Bundesnetzagentur Investitionsmaßnahmen für Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen in die Übertragungs- und Fernleitungsnetze, soweit diese Investitionen zur Stabilität des Gesamtsystems, für die Einbindung in das nationale oder internationale Verbundnetz oder für einen bedarfsgerechten Ausbau des Energieversorgungsnetzes nach § 11 ARegV notwendig sind.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">c)</span></strong> Die abgelehnte Teilmaßnahme „Verstärkung von Objektschutzmaßnahmen“ stellt jedenfalls in Teilen eine notwendige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV dar.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">aa)</span></strong> Eine Investitionsmaßnahme ist als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV anzusehen, wenn sie sich nicht im Austausch bereits vorhandener Komponenten und damit zwangsläufig einhergehenden Verbesserungen erschöpft, sondern jedenfalls auch zu einer nicht nur unbedeutenden Vergrößerung des Netzes oder zu einer nicht nur unbedeutenden Veränderung von sonstigen technischen Parametern führt, die für den Betrieb des Netzes erheblich sind (BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – EnVR 18/12, Juris Rn. 32 – 50Hertz Transmission GmbH; v. 12.04.2016 – EnVR 3/15, Juris Rn. 10 – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH; v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 15).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Unter den Begriff der Erweiterungsinvestition ist grundsätzlich jede Maßnahme zu fassen, mit der das Netz in quantitativer oder in qualitativer Hinsicht vergrößert wird, sei es durch Erhöhung der Leitungslänge, sei es durch Steigerung der Übertragungskapazität. Unter den Begriff der Umstrukturierungsinvestition fallen demgegenüber Maßnahmen, mit denen technische Parameter geändert werden, die für den Netzbetrieb erheblich sind, wozu etwa qualitative Verbesserungen der Netzbeschaffenheit zählen (BGH, a.a.O., Rn. 13 f. – 50Hertz Transmission GmbH; BGH, Beschl. v. 29.01.2019 – EnVR 47/17, Juris Rn. 26 – Umstrukturierungsmaßnahme). Eine Erweiterung liegt danach vor, wenn sich die Maßnahme im Wesentlichen darin erschöpft, den Umfang oder die Übertragungskapazität zu vergrößern. Bei einer Umstrukturierung steht demgegenüber eine Veränderung anderer technischer Parameter wie der Qualität, der Verfügbarkeit oder sonstiger Aspekte der Versorgungssicherheit im Vordergrund (BGH, a.a.O., Rn. 27 – Umstrukturierungsmaßnahme).</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">bb)</span></strong> Die streitgegenständliche Teilmaßnahme stellt sich nicht schon deswegen als zu genehmigende Umstrukturierungsinvestition dar, weil sie sich nicht in einer Ersatzbeschaffung im Sinne eines bloßen Austauschs bereits vorhandener Objektschutzeinrichtungen erschöpft.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Zwar sind reine Ersatzbeschaffungen (dazu sogleich noch näher unter hh)) nicht als Investitionsmaßnahmen genehmigungsfähig (vgl. BR-Drs. 417/07, S. 66 f.; BGH, a.a.O., Rn. 19, 32 f. – 50Hertz Transmission GmbH). Daraus folgt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass sämtliche über eine reine Ersatzbeschaffung hinausgehenden Investitionen automatisch zumindest anteilig als Umstrukturierungs- oder Erweiterungsmaßnahme genehmigungsfähig wären. Vielmehr müssen auch diese entweder zu einer Erweiterung des Netzes oder zu einer nicht unbedeutenden Veränderung sonstiger für den Betrieb des Netzes erheblicher Parameter führen (so für Neubeschaffungen Senat, Beschl. v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1.1. [n.v.]).</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">cc)</span></strong> Die Bundesnetzagentur hat die streitgegenständliche Teilmaßnahme zum Objektschutz und zur Anlagensicherheit auch zu Recht nicht als Erweiterungsinvestition eingeordnet (vgl. Beschlussausfertigung [BA], S. 6 – Anlage BF 1). Denn mit ihr wird weder die physikalische Netzlänge vergrößert noch ein größeres Kapazitäts- oder Transportmengenvolumen geschaffen (vgl. auch BGH, a.a.O., Rn. 26 – Umstrukturierungsmaßnahme).</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">dd)</span></strong> Zu Unrecht hat die Bundesnetzagentur der Teilmaßnahme jedoch die zumindest teilweise Anerkennung als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV versagt.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(1)</span></strong> Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats sind als Umstrukturierungsinvestitionen Maßnahmen anzusehen, die – in Abgrenzung zu den auf Vergrößerung der Leitungslänge oder der Übertragungskapazität gerichteten Erweiterungsinvestitionen – zu einer Veränderung von sonstigen für den Netzbetrieb erheblichen technischen Parametern führen. Dazu zählen etwa qualitative Verbesserungen der Netzbeschaffenheit, der Verfügbarkeit oder sonstiger Aspekte der Versorgungssicherheit (BGH, a.a.O., Rn. 26 f., 32 f. m.w.N. – Umstrukturierungsmaßnahme; Senat, Beschl. v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1. vor 1.1. [n.v.]). Bei den beispielhaft genannten Aspekten handelt es sich um keine abschließende Aufzählung, weshalb auch andere Parameter die erforderliche erhebliche Bedeutung für den Netzbetrieb aufweisen können. Gemeinsames und maßgebliches Merkmal aller benannten Parameter ist dabei nach der Rechtsprechung des Senats das Bestehen eines funktionalen Bezugs zur Transportfunktion des Netzes (Senat, Beschl. v. 30.09.2020 – VI-3 Kart 706/19 [V], BeckRS 2020, 51385 Rn. 19 f., 27; v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1.2. [n.v.]).</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV ist dabei nicht auf die zum eigentlichen Übertragungsnetz gehörenden Komponenten (Primärtechnik) beschränkt, sondern erfasst sämtliche für den Betrieb des Netzes wesentlichen Parameter, da eine Umstrukturierungsmaßnahme nur die Veränderung von für den Betrieb des Netzes erheblichen technischen Parametern voraussetzt. Daher können auch Investitionen in die Sekundärtechnik darunterfallen, weil die eigentliche Netzinfrastruktur nicht ohne die notwendige Sekundärtechnik betrieben werden kann (Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 36 ff.; v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1.2. m.w.N. [n.v.]).</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Auch Schadensminderungs- oder -verhütungsmaßnahmen, wie etwa die Anschaffung von Reservebetriebsmitteln (z.B. eines Ersatztransformators), können als genehmigungsfähige Umstrukturierungsmaßnahmen anzusehen sein. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 ARegV schließt ihre Einbeziehung in die Investitionsmaßnahme nicht aus, weil sich ihm nichts dafür entnehmen lässt, dass von der Vorschrift nur für den Betrieb in störungsfreien Zeiten notwendige Maßnahmen erfasst werden sollen (BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 19, 31; vorgehend Senat, Beschl. v. 14.01.2015 – VI-3 Kart 70/13 [V], Juris Rn. 24 ff.).</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(2)</span></strong> Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben stellt sich die Entscheidung der Bundesnetzagentur, die streitgegenständliche Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ nicht zumindest teilweise als Umstrukturierungsinvestition zu qualifizieren, als rechtsfehlerhaft dar. Die Teilmaßnahme betrifft – in Gestalt der Versorgungssicherheit – einen sonstigen für den Betrieb des Netzes erheblichen Parameter mit einem hinreichenden funktionalen Zusammenhang zur eigentlichen Transportaufgabe.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(a)</span></strong> Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ergibt sich die Genehmigungsfähigkeit der streitgegenständlichen Investition nicht aus dem Regelbeispiel in § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV. Maßnahmen des Objektschutzes und der Anlagenhärtung fallen nicht unter den Begriff der technischen Sicherheit.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Den in § 23 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 9 ARegV genannten Regelbeispielen kommt die Funktion zu, den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV zu veranschaulichen und die Rechtsanwendung in typischen Konstellationen zu vereinfachen (BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 15; BGH, a.a.O., Rn. 13 m.w.N. – Umstrukturierungsmaßnahme). Nach dem Regelbeispiel in Nr. 7 sind auch mit erheblichen Kosten verbundene Umstrukturierungsmaßnahmen als Investitionsmaßnahmen genehmigungsfähig, wenn sie zur Gewährleistung der technischen Sicherheit des Netzes erforderlich sind und auf einer landesbehördlichen Anordnung nach § 49 Abs. 5 EnWG oder der landesbehördlichen Bestätigung des Erfordernisses beruhen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Das Regelbeispiel bezieht sich nach seinem eindeutigen Wortlaut allein auf die technische Sicherheit des Netzes (vgl. auch Hansen, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 42). Der besondere Regelungsgehalt des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV besteht darin, die Voraussetzungen zu konkretisieren, unter denen eine Umstrukturierungsmaßnahme aufgrund des mit ihr angestrebten Ziels, die technische Sicherheit nach § 49 Abs. 1 EnWG zu gewährleisten, als genehmigungsfähig anzusehen ist. Während § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV insoweit nur abstrakte Zielsetzungen wie die Stabilität des Gesamtsystems und den bedarfsgerechten Ausbau der Energieversorgungsnetze nennt, wird dies in § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV dahin konkretisiert, dass die technische Sicherheit des Netzes betroffen und zugleich die Notwendigkeit der Maßnahme durch behördliche Anordnung oder Bestätigung dokumentiert sein muss (BGH, a.a.O., Rn. 16 f. – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH).</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">§ 49 Abs. 1 Satz 1 EnWG bestimmt, dass Energieanlagen (vgl. § 3 Nr. 15 EnWG) so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Dies ist der Fall, wenn Schäden für Personen und Sachen mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können (BT-Drs. 13/7274, S. 14; Säcker/König, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 49 EnWG Rn. 17; Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl., § 49 Rn. 4 f.; Görisch, in: Kment, EnWG, 1. Aufl., § 49 Rn. 6; BeckOK EnWG/Strobel, a.a.O., § 49 Rn. 10). Bei der technischen Sicherheit geht es mithin um die Minimierung des vom Betrieb einer Energieanlage ausgehenden Schadensrisikos für Menschen und Sachen (vgl. BT-Drs. 13/7274, S. 14). Dieser Aspekt wird bei der hier in Rede stehenden Teilmaßnahme zum Schutz der Umspannwerke vor namentlich terroristischen Attacken jedoch nicht tangiert (vgl. auch Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]).</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Diese Auslegung wird auch durch die Entstehungsgeschichte des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV bestätigt. So erfolgte die Aufnahme des Regelbeispiels in den Tatbestandskatalog ausweislich der Verordnungsbegründung insbesondere deswegen, damit umfangreiche Maßnahmenprogramme zur Verbesserung der technischen Sicherheit der Elektrizitäts- und Gasnetze wie z.B. der Maststahlsanierung (Thomasstahl) und der Graugussrehabilitation von Gasleitungen im Rahmen von Investitionsbudgets berücksichtigt werden konnten (BR-Drs. 417/07 (Beschl.) v. 21.09.2007, S. 12 f. [Begründung Nr. 21]; Lüdtke-Handjery/Paust/Weyer, in: Holznagel/Schütz, Anreizregulierungsrecht, 2. Aufl., § 23 ARegV Rn. 110; Hansen, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 42; vgl. auch BGH, a.a.O., Rn. 21 f. – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH).</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(b)</span></strong> Die streitgegenständliche Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ berührt jedoch die Versorgungssicherheit. Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit können – wie bereits erwähnt – unter bestimmten Voraussetzungen als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV zu qualifizieren sein (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 26 f., 33 – Umstrukturierungsmaßnahme). Dies ist hier der Fall.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(aa)</span></strong> Bisher hat sich weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine einheitliche Definition der Versorgungssicherheit durchgesetzt (Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 114. EL Januar 2022, § 1 EnWG Rn. 17). Üblicherweise wird darunter jedenfalls die Ermöglichung und Gewährleistung einer der Nachfrage bzw. dem Nutzungsbedarf der Abnehmer gerecht werdende, zuverlässige und möglichst unterbrechungsfreie Versorgung mit Strom bzw. Gas verstanden (vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 1 Rn. 26; Sötebier, in: Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 11 Rn. 24; BeckOK EnWG/Winkler, a.a.O., § 1 Rn. 16 f.; Tüngler, in: Kment, a.a.O., § 11 Rn. 36; Görisch, in: Kment, a.a.O., § 49 Rn. 1; Theobald, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 1 EnWG Rn. 17; van Rienen/Wasser, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 49 EnWG Rn. 11; Säcker, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 1 EnWG Rn. 5, 15). Dieser Faktor der Versorgungssicherheit stellt zugleich einen Teilaspekt des in § 1 Abs. 1 EnWG unter anderem als Gesetzeszweck festgelegten Ziels einer möglichst sicheren Versorgung der Allgemeinheit mit Energie dar (BT-Drs. 13/7274, S. 13 f.; Theobald, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 1 EnWG Rn. 13; Kment, in: Kment, a.a.O., § 1 Rn. 4; Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]).</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">§ 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG verpflichtet die Betreiber von Energieversorgungsnetzen, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz (vgl. § 3 Nr. 16 EnWG) diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten, bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist. Das Gebot der Sicherheit der Energieversorgungsnetze in § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG ist dabei eine wesentliche Voraussetzung für die in § 1 Abs. 1 EnWG geforderte sichere Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas (BeckOK EnWG/Knauff, a.a.O., § 11 Rn. 17). Unter den Begriff der „Sicherheit“ in § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG fällt daher neben der technischen Anlagensicherheit auch der Aspekt der Versorgungssicherheit (Sötebier, in: Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 11 Rn. 23 ff.; BeckOK EnWG/Knauff, a.a.O., § 11 Rn. 17; Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]; vgl. auch Theobald, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 13 ff.; abweichend König, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 20, der den Begriff der „Sicherheit“ wegen des in § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG zusätzlich genannten Begriffs der „Zuverlässigkeit“ ausschließlich auf die technische Anlagensicherheit bezieht und die Versorgungssicherheit vom Begriff der „Zuverlässigkeit“ umfasst sieht).</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">§ 12 Abs. 1 Satz 1 EnWG verpflichtet darüber hinaus speziell die Übertragungsnetzbetreiber, mit dem Betrieb und der Bereitstellung ihrer Übertragungsnetze im nationalen und internationalen Verbund zu einem sicheren und zuverlässigen Elektrizitätsversorgungssystem in ihrer Regelzone und damit zu einer sicheren Energieversorgung beizutragen. Die Norm konkretisiert insoweit bereichsspezifisch die für alle Netzbetreiber geltenden Anforderungen aus § 11 EnWG für die Betreiber von Übertragungsnetzen (vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 56; BeckOK EnWG/Knauff, a.a.O., § 12 Rn. 1 f.; Theobald, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 12 EnWG Rn. 3).</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">§ 13 EnWG stattet hierzu die Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen der ihnen zukommenden Systemverantwortung in einem gestuften System mit den erforderlichen Maßnahmen aus, um Gefährdungen und Störungen der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Gesamtsystems der Elektrizitätsversorgung zu vermeiden oder zu beseitigen. Die Norm konkretisiert die in den §§ 11, 12 EnWG umrissenen Aufgaben und Rechte der Übertragungsnetzbetreiber zur Gewährleistung der Systemsicherheit in ihrer Regelzone (BT-Drs. 15/3917, S. 56 f.; Sötebier, in Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 13 Rn. 1; ferner Tüngler, in: Kment, a.a.O., § 13 Rn. 1 ff.). § 13 EnWG soll die Versorgungssicherheit des Elektrizitätsversorgungssystems sicherstellen und regelt, welche Netzsicherheitsmaßnahmen die Übertragungsnetzbetreiber hierzu ergreifen dürfen und müssen (BeckOK EnWG/Assmann, a.a.O., § 13 Rn. 1, 11).</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(bb)</span></strong> Zur Gewährleistung einer sicheren Versorgung wird nach – soweit ersichtlich – einhelliger Auffassung auch die Vorsorge gezählt, die Energieanlagen durch entsprechende betriebliche Schutzvorkehrungen vor Beschädigungen und anderen äußeren Beeinträchtigungen zu schützen, weil ansonsten eine sichere und zuverlässige Energieversorgung nicht gewährleistet ist (vgl. König, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 22; BeckOK EnWG/Winkler, a.a.O., § 1 Rn. 17; wohl auch Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]).</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Ferner umfasst das Gebot der Sicherheit der Energieversorgungsnetze und damit der Versorgungssicherheit auch die Fähigkeit des Netzes, durch Vorhaltung einer angemessenen Netzstruktur die Versorgung auch bei Problemfällen bzw. Störungen zu gewährleisten (sog. Ausfallsicherheit oder Systemstabilität; Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]; vgl. auch Theobald, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 15), insbesondere durch die grundsätzliche Einhaltung des sog. (n-1)-Kriteriums beim Bau sowie Betrieb. Das heißt, dass das Versorgungsnetz den Ausfall eines Betriebsmittels, etwa einer Stromleitung, eines Transformators oder eines Kraftwerks, zu kompensieren in der Lage sein muss (BT-Drs. 16/10491, S. 9; Tüngler, in: Kment, a.a.O., § 11 Rn. 36; BeckOK EnWG/Knauff, a.a.O., § 11 Rn. 17; Säcker, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 1 EnWG Rn. 5; Hellermann/Hermes, in: Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 1 Rn. 26). Dementsprechend ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Beschaffung und Installation von Reservebetriebsmitteln, etwa eines zweiten 150/380-kV-Transformators in einem Umspannwerk, als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 ARegV anzusehen sein kann, obgleich das Reservebetriebsmittel für die Netzanbindung und den Netzbetrieb in störungsfreien Zeiten nicht erforderlich ist, sondern mit ihm lediglich ein Ausfall des originären Betriebsmittels im Wartungs- oder Störungsfall überbrückt werden soll (BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 12 ff., 29 ff.; vorgehend Senat, Beschl. v. 14.01.2015 – VI-3 Kart 70/13 [V], Juris Rn. 17 ff.). Der Senat erachtet im Einzelfall sogar über das (n-1)-Kriterium hinausgehende Investitionsmaßnahmen für genehmigungsfähig, wenn ein Netz auch unter Einhaltung des (n-1)-Kriteriums ausnahmsweise eine sichere und zuverlässige Versorgung dauerhaft nicht gewährleistet, sondern ein störungsfreier Netzbetrieb zuverlässig nur mit darüberhinausgehenden Reserven und Betriebsmitteln sichergestellt werden kann (vgl. Senat, Beschl. v. 28.02.2018 – VI-3 Kart 136/16 [V], Juris Rn. 27 ff., 41 ff.).</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(cc)</span></strong> Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben lassen sich auch durch physische bzw. terroristische Angriffe auf die Netzinfrastruktur verursachte Beeinträchtigungen und Störungen der Energieversorgung dem Aspekt der Versorgungssicherheit zuordnen (vgl. auch BT-Drs. 17/6072, S. 46; so im Ansatz auch Huerkamp, RdE 2016, 280 [282]), so dass Maßnahmen, die – wie die streitgegenständliche Teilmaßnahme – physische Angriffe von außen auf die entsprechenden Netzassets verhindern bzw. zumindest erschweren und damit das Risiko dadurch bedingter Beeinträchtigungen der Energieversorgung reduzieren sollen, einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit im Sinne einer stets ausreichenden und möglichst unterbrechungsfreien Versorgung der Allgemeinheit mit Energie leisten und daher als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV einzustufen sind (zum erforderlichen funktionalen Bezug zur Transportaufgabe sogleich unter (dd)).</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Teilmaßnahme um eine in technischer Hinsicht für den regulären Betrieb nicht erforderliche Maßnahme zur Schadensverhütung bzw. -minderung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – wie ausgeführt (s.o. B. II. 2. c) dd) (1)) – im Grundsatz ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV umfasst ist (vgl. BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – EnVR 10/15, Juris Rn. 19, 31). Dass die Teilmaßnahme lediglich die Aufrechterhaltung des Status quo, d.h. den unterbrechungs- bzw. störungsfreien Betrieb, sicherstellen soll, hindert ihre Anerkennung als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition nicht. Dies trifft vielmehr auch auf Reservebetriebsmittel zu, ohne dass dieser Aspekt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ihrer Einstufung als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV entgegenstünde.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren bedarf es in diesem Kontext keiner Entscheidung der (Streit-)Frage, ob das Energiewirtschaftsgesetz mit den namentlich in § 1 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 EnWG enthaltenen Bezugnahmen auf eine „sichere“ Versorgung, das „sichere“ Netz bzw. ein „sicheres“ Elektrizitätsversorgungssystem überhaupt eine ausreichende und hinreichend eindeutige gesetzliche Grundlage für eine Verpflichtung der Netzbetreiber zur Eigensicherung ihrer Assets gegen terroristische Angriffe enthält (bejahend König, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 22; BeckOK EnWG/Winkler/Kelly, a.a.O., § 12g Rn. 1; Posser, in: Kment, a.a.O., § 12g Rn. 2 m.w.N.; vgl. auch BT-Drs. 17/6072, S. 46; ablehnend Huerkamp, RdE 2016, 280 [281 ff.]; BeckOK EnWG/Knauff, a.a.O., § 11 Rn. 17). Denn das Bestehen einer expliziten normativen Verpflichtung ist keine (Tatbestands-)Voraussetzung für die Einstufung einer Maßnahme als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV. Ausreichend für die Anerkennung der streitgegenständlichen Teilmaßnahme als genehmigungsfähige Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV ist vielmehr, dass die von der Beschwerdeführerin insoweit geplanten Maßnahmen zum Schutz der als kritische Infrastruktur eingestuften Umspannwerke unstreitig geeignet und erforderlich sind, um diese im Interesse der Sicherheit der Stromversorgung gegen terroristische Bedrohungen abzusichern. Dementsprechend ist durch Staatssekretär Y in seinem Schreiben vom 22.10.2020 (dort S. 3 – Anlage BF 5) namens des BMWi sowie des BMI auch eine möglichst zügige Umsetzung der Maßnahmen (unter anderem „Objektschutz/Anlagenhärtung“) angeregt, wenn nicht mittelbar sogar gefordert worden.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon spricht im Streitfall überdies einiges für das Bestehen einer normativen Verpflichtung der Netzbetreiber zur Eigensicherung ihrer Assets auch gegen terroristische Angriffe und Bedrohungen: So hat der Gesetzgeber im Rahmen der im Jahr 2011 erfolgten Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des § 12g EnWG zum Schutz europäisch kritischer Anlagen in der Gesetzesbegründung geäußert, dass der gesetzliche Auftrag für den Betrieb eines sicheren Netzes grundsätzlich auch einen adäquaten Schutz vor terroristischen Anschlägen umfasse (vgl. BT-Drs. 17/6072, S. 46, 71; dagegen Huerkamp, RdE 2016, 280 [283 ff.]). § 12g EnWG dient der Umsetzung der im Rahmen des „Europäische[n] Programm[s] für den Schutz kritischer Infrastrukturen (EPSKI)“ erlassenen EKI-RL (Richtlinie 2008/114/EG des Rates über die Ermittlung und Ausweisung europäisch kritischer Infrastrukturen und Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern) für den Bereich der Stromversorgung (BeckOK EnWG/Winkler/Kelly, a.a.O., § 12g Rn. 1).</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Auch die Ergänzung des § 11 EnWG um die Absätze 1a bis 1c, wonach der Betrieb eines sicheren Energieversorgungsnetzes bzw. einer Energieanlage insbesondere auch einen angemessenen Schutz gegen Bedrohungen für Telekommunikations- und elektronische Datenverarbeitungssysteme, die für einen sicheren Netzbetrieb notwendig sind, umfasst, spricht für diese Sichtweise (vgl. BT-Drs. 17/6072, S. 66; BT-Drs. 18/4096, S. 33; König, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 11 EnWG Rn. 21, 87 ff., 93 ff., 101 ff.; dagegen Huerkamp, RdE 2016, 280 [283]).</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(dd)</span></strong> Der nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche funktionale Bezug der Investitionsmaßnahme zur Transportaufgabe bzw. Transportfunktion des Netzes (Senat, Beschl. v. 30.09.2020 – VI-3 Kart 706/19 [V], BeckRS 2020, 51385 Rn. 19 f.; v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1.2. [n.v.]) besteht bei der streitgegenständlichen Teilmaßnahme darin, dass durch die hiervon umfassten (Schutz-)Maßnahmen die Resilienz der Umspannwerke als für die Gewährleistung einer sicheren und unterbrechungsfreien Stromversorgung wesentlicher Netzkomponenten gegenüber äußeren Angriffen erhöht wird. Die Beschwerdeführerin hat insoweit zu Recht darauf verwiesen, dass Umspannwerke als Dreh- und Angelpunkte der Stromversorgung neuralgische Punkte darstellen. Sie verbinden Stromleitungen miteinander, transformieren Strom auf verschiedene Spannungsebenen und leiten ihn weiter. Ferner werden mit ihnen die Strom- und Spannungswerte in den Leitungen überwacht und gesteuert, da die Spannung in den Leitungen stets möglichst konstant bleiben muss.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Dass die Teilmaßnahme als solche nicht unmittelbar die für den Transport und die Verteilung der Energie notwendige Infrastruktur (Primär- oder Sekundärtechnik) betrifft, ist – entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur – im Streitfall unschädlich. Ausreichend ist insofern, dass sich die Teilmaßnahme auf die für den Transport und die Verteilung wesentliche Netzinfrastruktur in Gestalt der Umspannwerke bezieht, indem sie deren Widerstandsfähigkeit gegenüber terroristischen Angriffen unter Berücksichtigung des von den Bundesbehörden vorgegebenen Bedrohungsszenarios und damit die potentielle Verfügbarkeit der Umspannwerke erhöht. Dies begründet einen hinreichenden Zusammenhang zur Funktion der Umspannwerke und damit zur Transportaufgabe (vgl. auch Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 36 ff., 49 ff. bezogen auf den Aufbau eines Prozessdatennetzes für das Übertragungsnetz). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es – so wie hier – darum geht, im Einvernehmen mit BMWi, BMI und den Sicherheitsbehörden ein über den allgemeinen Objektschutz von Netzbetriebsmitteln hinausgehendes Sicherheitskonzept zur Reaktion auf terroristische Angriffe zu realisieren.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Soweit der Senat in seinen jüngeren Entscheidungen die Genehmigungsfähigkeit einer Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition vom Vorliegen eines unmittelbaren Zusammenhangs mit der Funktionalität des Netzes abhängig gemacht hat, der nur bei Betroffenheit von Netzkomponenten gegeben sei, die einen funktionalen Bezug zur Transportaufgabe aufwiesen (vgl. Senat, Beschl. v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 1.2. [n.v.] zu einer Abgasreinigungsanlage für eine Verdichterstation; ferner Senat, Beschl. v. 30.09.2020 – VI-3 Kart 706/19 [V], BeckRS 2020, 51385 Rn. 19 f. zur Verlängerung einer 380-kV-Freileitung bis zum Standort des Kunden nebst Zubau eines 380/30-kV-Transformators und eines 380-kV-Schaltfelds), steht diese Rechtsprechung der Einstufung der streitgegenständlichen Teilmaßnahme als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV nicht entgegen. Zwar beinhaltet die Teilmaßnahme – wie ausgeführt – weder eine Investition in die Primär- noch in die für die Erfüllung der Transportfunktion notwendige Sekundärtechnik. Jedoch werden durch sie die für den Netzbetrieb notwendigen Anlagen(-bestandteile) in Gestalt der benannten Umspannwerke besser und effektiver vor äußeren, namentlich terroristischen Angriffen geschützt. Hierdurch wird die Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit dieser essentiellen Netzkomponenten gestärkt, was sich wiederum positiv auf die Transportfunktion des Netzes sowie die Versorgungssicherheit auswirkt, die dadurch erhöht bzw. verbessert werden. Dieser mittelbare Zusammenhang ist im Streitfall ausreichend, weshalb die streitgegenständliche Teilmaßnahme nach Auffassung des Senats – anders als die Abgasreinigung einer Verdichterstation oder die Verlängerung einer 380-kV-Freileitung bis zum Standort des Kunden nebst Zubau eines entsprechenden Transformators und Schaltfelds – als genehmigungsfähige Investitionsmaßnahme im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV zu qualifizieren ist. Denn diese Maßnahmen (Abgasreinigung, Leitungsverlängerung) hatten für die Funktionsfähigkeit des Netzes keinerlei relevante Bedeutung bzw. wiesen nicht einmal einen mittelbaren Bezug zur Transportfunktion des Netzes als solches auf mit dem Ziel und der Wirkung, diese zu erhöhen oder zu verbessern. Vorliegend kommt hinzu, dass ein Ausfall oder eine Störung in einem der als nationale kritische Infrastruktur eingestuften Umspannwerke der Beschwerdeführerin erhebliche Auswirkungen für die Elektrizitätsversorgung und damit die Versorgungssicherheit hätte. Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht des Senats hier ein hinreichender funktionaler Bezug zur Transport- bzw. Versorgungsaufgabe zu bejahen.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Befürchtung der Bundesnetzagentur läuft damit auch die vom Verordnungsgeber mit der Schaffung des § 23 ARegV intendierte Privilegierung von Investitionsmaßnahmen als Ausnahme von der Regelfinanzierung über die Erlösobergrenze nicht leer, weil eben nicht jede Investitionsmaßnahme, die sich nicht in einer Ersatzbeschaffung erschöpft, genehmigungsfähig ist, sondern zusätzlich die Voraussetzungen einer Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition erfüllt sein müssen und diese überdies zur Stabilität des Gesamtsystems, für die Einbindung in das nationale oder internationale Verbundnetz oder für einen bedarfsgerechten Ausbau des Energieversorgungsnetzes nach § 11 EnWG notwendig sein muss (vgl. auch BGH, a.a.O., Rn. 27 ff. – 50Hertz Transmission GmbH; dazu sogleich noch unter ff)).</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Dass die von der streitgegenständlichen Teilmaßnahme erfassten Investitionen zur Verstärkung des Objektschutzes und zur Anlagensicherheit nicht unmittelbar im regulären (ungestörten) Netzbetrieb ihre Wirkung entfalten, sondern erst beim Versuch der Beschädigung oder Zerstörung von Anlagenkomponenten, ist dabei ohne Belang. Die Situation ist mit der Anschaffung und Vorhaltung von Reservebetriebsmitteln vergleichbar, die genehmigungsfähige Investitionsmaßnahmen im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV sein können (s.o. B. II. 2. c) dd) (1)). Auch diese werden nicht sofort und dauerhaft im regulären Netzbetrieb genutzt, sondern lediglich situativ im Störungsfall oder bei Beschädigung entsprechender Anlagenkomponenten, wobei sich dieses Risiko möglicherweise nie realisiert. Dies gilt in entsprechender Weise für die von der streitgegenständlichen Teilmaßnahme erfassten Investitionen, die ihre volle Wirkung und ihren funktionalen Bezug zur Transport- bzw. Versorgungsaufgabe erst dann entfalten, wenn Dritte versuchen sollten, die erfassten Umspannwerke oder Teile von diesen zu beschädigen oder zu zerstören. Für diese Eventualität sollen die Investitionen getätigt und umgesetzt werden, um so die Verfügbarkeit des Elektrizitätsversorgungssystems zu sichern und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(ee)</span></strong> Letztlich sprechen auch der Sinn und Zweck der Regelung in § 23 Abs. 1 ARegV für das hier vertretene weite Verständnis des Transportbezugs.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">§ 23 Abs. 1 ARegV trägt nach der Verordnungsbegründung dem Umstand Rechnung, dass Übertragungs- und Fernleitungsnetze aufgrund technischer Gegebenheiten und gesetzlicher Vorgaben eine Sonderrolle einnehmen, weil ihnen zusätzliche Aufgaben zukommen. Die Genehmigung von Investitionsbudgets bzw. Investitionsmaßnahmen soll die aufgrund dieser Anforderungen notwendigen Erweiterungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen in die Übertragungs- und Fernleitungsnetze erleichtern. Die Beschränkung auf Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen dient dem Zweck, bloße Ersatzinvestitionen aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Maßnahmen auszuschließen, wobei die notwendige Abgrenzung zwischen Ersatzinvestitionen und Erweiterungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen anhand einer prozentualen Aufteilung des Investitionsvorhabens erfolgen kann (vgl. BR-Drs. 417/07, S. 66 f.; BGH, a.a.O., Rn. 19 – 50Hertz Transmission GmbH). Ziel dieser Regelung soll es unter anderem sein, Investitionsanreize für die notwendigen Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen in die Übertragungs- und Fernleitungsnetze zu schaffen (Senat, Beschl. v. 11.04.2011 – VI-3 Kart 276/09 [V], Juris Rn. 61; v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 41; Hansen, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 1 f.; Lüdtke-Handjery/Paust/Weyer, in: Holznagel/Schütz, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 40).</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Zur Erreichung dieses Zwecks ist es erforderlich, aber auch ausreichend, solche Investitionen aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Maßnahmen auszuschließen, mit denen lediglich vorhandene Bestandteile des Netzes durch neue ersetzt werden, ohne dass es zu einer Vergrößerung oder einer sonstigen strukturell-qualitativen Veränderung von erheblichen technischen Parametern kommt (BGH, a.a.O., Rn. 20 – 50Hertz Transmission GmbH). Es erscheint jedoch auch unter diesem Aspekt weder erforderlich noch sachgerecht, ausschließlich solche Investitionsmaßnahmen als genehmigungsfähig anzusehen, die sich unmittelbar auf technische Netzbetriebsmittel bzw. Netzkomponenten beziehen.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesnetzagentur in der angegriffenen Entscheidung die nicht streitgegenständliche Teilmaßnahme „AMU-Lager inklusive Objektschutz“ als Umstrukturierungsinvestition eingeordnet und genehmigt hat (vgl. BA, S. 5 – Anlage BF 1). Dabei handelt es sich ausweislich des Änderungsantrags vom 30.03.2020 (dort S. 3 – Anlage BF 3) um die Errichtung eines Lagers für zwei im Rahmen des Sicherungskonzepts zu beschaffende autarke mobile Umspannwerke (AMU) nebst Maßnahmen zum Objektschutz (Umzäunung etc.) im Umfang von ca. 10 Mio. Euro. Ein relevanter Unterschied zur abgelehnten Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ ist insoweit nicht ersichtlich. Auch bei der genehmigten Teilmaßnahme „AMU-Lager inklusive Objektschutz“ fehlt es an dem von der Bundesnetzagentur für die streitgegenständliche Teilmaßnahme geforderten unmittelbaren Bezug zur Transportfunktion des Netzes. Die Bundesnetzagentur handelt und argumentiert insoweit daher inkonsequent und widersprüchlich.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(ff)</span></strong> Der Umstand, dass nach Auffassung der Bundesnetzagentur der Schutz der wesentlichen Netzinfrastruktur vor mutwilligen Angriffen Dritter, einschließlich terroristischer Attacken, bei Betreibern kritischer Infrastruktur von der allgemeinen gesetzlichen Vorgabe zum sicheren Betrieb des Netzes umfasst ist (vgl. BA, S. 6 – Anlage BF 1), führt insoweit ebenfalls zu keiner abweichenden Bewertung.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn dem so wäre, wofür einiges spricht (s.o. B. II. 2. c) dd) (2) (b) (cc)), schließt dies nicht aus, Maßnahmen des Objekt- und Anlagenschutzes unter bestimmten Voraussetzungen als Umstrukturierungsinvestitionen zu qualifizieren, weil es sich hierbei um keinen Ausschlussgrund für die Einstufung einer Maßnahme als genehmigungsfähige Umstrukturierungs- oder Erweiterungsinvestition handelt. Nach der Verordnungsbegründung trägt die Regelung in § 23 Abs. 1 ARegV – wie soeben ausgeführt – dem Umstand Rechnung, dass die Betreiber von Übertragungs- und Fernleitungsnetzen aufgrund gesetzlicher Anforderungen in erheblichem Umfang zusätzliche, kostenträchtige Aufgaben wahrzunehmen haben, zu deren Durchführung sie durch die sie wirtschaftlich privilegierende Regelung in § 23 Abs. 1 ARegV angehalten werden sollen (BR-Drs. 417/07, S. 66 f.), indem die dafür anfallenden Kosten zu einem früheren Zeitpunkt in die Entgeltkalkulation einfließen und damit wieder erwirtschaftet werden können. Dieser Zweck wird auch und gerade dann gewahrt, wenn die in Rede stehende Investitionsmaßnahme einer gesetzlichen Verpflichtung entspricht. Es besteht jedenfalls kein Anlass, einer solchen Maßnahme allein deswegen die Anerkennung als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV zu versagen. Denn der Grund für die über § 23 ARegV erfolgende Durchbrechung des Budgetprinzips über die Anerkennung von Investitionsmaßnahmen liegt gerade in der Sonderrolle und den damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben der Übertragungsnetzbetreiber sowie den damit einhergehenden, bei ihnen anfallenden Kosten (vgl. BR-Drs. 417/07, S. 66 f.).</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(gg)</span></strong> Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann dahinstehen, ob die streitgegenständliche Teilmaßnahme – entsprechend der Auffassung der Beschwerdeführerin – aufgrund eines untrennbaren Sachzusammenhangs zu den genehmigten netzbezogenen Teilmaßnahmen (z.B. AMU) bzw. als integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts, das nur im Falle der gemeinsamen Durchführung seine notwendigerweise volle Wirkung entfalten könne, mittelbar als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV einzustufen und anzuerkennen ist.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Dagegen spricht, dass es (auch) bei der notwendigen Abgrenzung nicht genehmigungsfähiger Ersatzinvestitionen von dem Grunde nach genehmigungsfähigen Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestitionen auf den konkreten Gegenstand der Investitionsmaßnahme ankommt. Soweit nämlich Investitionen sowohl dem Ersatz vorhandener Komponenten als auch einer Erweiterung oder Umstrukturierung dienen, ist nur ein prozentualer Anteil der Kosten berücksichtigungsfähig (BGH, a.a.O., Rn. 32 ff. – 50HertzTransmission GmbH; BGH, a.a.O., Rn. 22 ff. – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH; vgl. auch BR-Drs. 417/07, S. 66 f.).</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Entsprechendes gilt für die Frage, ob es sich bei einer Investition gemäß § 23 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV um eine Erweiterungs- oder eine Umstrukturierungsmaßnahme handelt (BGH, a.a.O., Rn. 27 f., 36 – Umstrukturierungsmaßnahme), da die Genehmigung von Investitionen für Erweiterungsmaßnahmen nach dieser Bestimmung nicht vorgesehen ist (BGH, a.a.O., Rn. 19 f. – Umstrukturierungsmaßnahme). Für die Frage, ob eine konkrete Investitionsmaßnahme überhaupt als Umstrukturierung zu qualifizieren ist, dürfte angesichts dessen letztlich nicht anderes zu gelten haben.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">hh)</span></strong> Bei der streitgegenständlichen Teilmaßnahme handelt es sich auch nicht nur um einen bloßen Austausch bereits vorhandener Komponenten und damit um eine nicht genehmigungsfähige reine Ersatzbeschaffung.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(1)</span></strong> Ersatzmaßnahmen, die sich im Austausch bereits vorhandener Komponenten und damit zwangsläufig einhergehenden Verbesserungen erschöpfen, sind – wie bereits erwähnt (s.o. B. II. 2. c) bb)) – nicht als Investitionsmaßnahme genehmigungsfähig (vgl. BR-Drs. 417/07, S. 66 f.), weil sie seit jeher zum laufenden Geschäftsbetrieb der Netzbetreiber gehören (BGH, a.a.O., Rn. 19 – 50Hertz Transmission GmbH). Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einer Umstrukturierungs- und einer Ersatzmaßnahme ist nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs eine netz- und keine netzbetreiberbezogene Betrachtung. Um eine klare Abgrenzung zu ermöglichen, müssen die Wirkungen der Investition nicht nur unbedeutend über diejenigen Wirkungen hinausgehen, die mit dem Austausch einer vorhandenen Komponente zwangsläufig verbunden sind; ihnen muss eine gewisse eigenständige Bedeutung zukommen, was in bestimmten Fällen eine wertende Betrachtung erfordern kann, in die alle für den Einzelfall relevanten Umstände einzufließen haben (BGH, a.a.O., Rn. 32 f. – 50Hertz Transmission GmbH; Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 44). Technische Verbesserungen, die mit einer Ersatzbeschaffung im Hinblick auf den weiterentwickelten Stand der Technik notwendigerweise verbunden sind, reichen jedenfalls nicht aus, um eine Umstrukturierungsmaßnahme zu bejahen (BGH, a.a.O., Rn. 43 ff. – 50Hertz Transmission GmbH; BGH, a.a.O., Rn. 25 – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH; Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 44, 51).</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Bei einer Ersatzbeschaffung, die – so wie hier – aus besonderen Gründen vor Ablauf der betriebswirtschaftlich als üblich anzusehenden Nutzungsdauer erfolgt, ist dies anders zu beurteilen, weil der Verbesserungseffekt insoweit früher eintritt und damit über eine reine Ersatzbeschaffung hinausgeht (BGH, a.a.O., Rn. 28 – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH). Nach der allgemeinen Zielsetzung des § 23 Abs. 1 ARegV ist eine Investition nämlich auch dann genehmigungsfähig, wenn sie sowohl als Ersatzinvestition als auch als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition zu qualifizieren ist mit der Folge, dass insoweit ein prozentualer Anteil der Kosten berücksichtigungsfähig ist (BR-Drs. 417/07, S. 67; BGH, a.a.O., Rn. 23 – 50Hertz Transmission GmbH; BGH, a.a.O., Rn. 22 – Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas mbH; vgl. auch Lüdtke-Handjery/Paust/Weyer, in: Holznagel/Schütz, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 81).</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(2)</span></strong> Nach diesen Maßgaben handelt es sich bei der streitgegenständlichen Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ nicht um einen bloßen Austausch bereits vorhandener Komponenten mit den damit zwangsläufig verbundenen Verbesserungen.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin werden im Rahmen der Teilmaßnahme nicht nur bereits vorhandene Objektschutzkomponenten ausgetauscht und durch neuere, dem Stand der Technik entsprechende ersetzt. Vielmehr erfolgt eine Anpassung im Sinne einer (qualitativen) Anhebung des bisherigen Schutzniveaus der Umspannwerke nach Maßgabe der von den Sicherheitsbehörden identifizierten Bedrohungssituation, indem einerseits Komponenten mit neuen Funktionalitäten (z.B. Kameratechnik, Untergrabungsschutz) hinzugefügt und anderseits bislang vorhandene Schutzkomponenten gegen solche mit einer höheren Schutz- bzw. Widerstandsklasse ausgetauscht werden.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(3)</span></strong> Inwieweit im Hinblick darauf, dass an den betroffenen Standorten in gewissem Umfang bereits Vorrichtungen zum Schutz der Umspannwerke vorhanden sind, die im Rahmen der Investitionsmaßnahme teilweise ersetzt werden, zu Lasten der Beschwerdeführerin gemäß § 23 Abs. 2b ARegV ein projektspezifischer Ersatzanteil in Ansatz zu bringen ist (eingehend hierzu Hansen, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 61 ff.), wird die Bundesnetzagentur im Rahmen der Neubescheidung zu beurteilen haben (dazu sogleich noch unter d)). Die Beschlusskammer hat diese Frage in dem angegriffenen Beschluss offengelassen (vgl. BA, S. 8 – Anlage BF 1). Die Beschwerdeführerin hatte in ihrem Änderungsantrag vom 30.06.2020 (dort S. 3 f. – Anlage BF 3) den projektspezifischem Ersatzanteil nach seinerzeitigem Planungsstand mit 0,77 % angegeben.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">ff)</span></strong> Die streitgegenständliche Teilmaßnahme erweist sich auch als notwendig im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(1)</span></strong> Nach der genannten Vorschrift ist nicht jede Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition genehmigungsfähig. Dies bemisst sich vielmehr danach, sofern – so wie hier – keines der in Satz 2 des § 23 Abs. 1 ARegV genannten Regelbeispiele erfüllt ist, ob die Investition zur Stabilität des Gesamtsystems, für die Einbindung in das nationale oder internationale Verbundnetz oder für einen bedarfsgerechten Ausbau des Energieversorgungsnetzes nach § 11 EnWG erforderlich ist (Hansen, in: BerlKommEnR, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 24). Bei der erforderlichen Prüfung der Notwendigkeit für einen der drei genannten Zwecke kann insbesondere von Bedeutung sein, ob konkrete Änderungen der Versorgungs- oder Transportaufgabe oder sonstiger Anforderungen an das Netz eingetreten sind, die die in Rede stehende Maßnahme als erforderlich erscheinen lassen; dass sich die Maßnahme unter irgendwelchen Gesichtspunkten als zweckmäßig darstellt, ist nicht genügend (BGH, a.a.O., Rn. 31 – 50HertzTransmission GmbH; Hummel, in: Theobald/Kühling, a.a.O., § 23 EnWG Rn. 23).</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(2)</span></strong> Die Teilmaßnahme „Objektschutz/Anlagenhärtung“ ist – ebenso wie die von der zuständigen Beschlusskammer in der angegriffenen Entscheidung genehmigten Teilprojekte „Vorbereitung für Autarkes mobiles Umspannwerk (AMU)“, „AMU-Beschaffung“ und „AMU-Lager inklusive Objektschutz“ (vgl. BA, S. 7 f. – Anlage BF 1) – für die Stabilität des Gesamtsystems erforderlich.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(a)</span></strong> Unter Stabilität des Gesamtsystems ist die Zuverlässigkeit bzw. Sicherheit des Gesamtsystems als zusammenhängendes Gebilde interagierender Netze zu verstehen. Dies wird insbesondere bei Rückwirkungen aus Netzen Dritter auf die Netzsituation des Antragstellers, aber auch bei Änderungen technischer Standards angenommen (Senat, Beschl. v. 24.03.2021 – VI-3 Kart 221/20 [V], unter B. II. 3.1. [n.v.]; Lüdtke-Handjery/Paust/Weyer, in: Holznagel/Schütz, a.a.O., § 23 ARegV Rn. 83). Allerdings ist die Genehmigungsfähigkeit von Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestitionen nach der Senatsrechtsprechung insoweit nicht auf Maßnahmen beschränkt, die infolge von Rückwirkungen anderer Netze notwendig werden, weil dem Begriff „Gesamtsystem“ kein feststehender netztechnischer Bedeutungsgehalt zukommt, sondern im allgemeinen Sprachgebrauch unter „Gesamtsystem“ eine Gesamtheit von Elementen – nicht zwingend gleichartiger Natur – zu verstehen ist, die in ihrer Funktion und Wirkung aufeinander abgestimmt sind. „Stabil“ ist ein Gesamtsystem nach dem allgemeinen Sprachverständnis, wenn es bei einer äußeren Störung dieser entgegenwirken kann und danach wieder in seinen Gleichgewichtszustand zurückfindet (Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 61 f.).</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(b)</span></strong> Die Beschwerdeführerin hat hinreichend dargelegt, dass die streitgegenständliche Teilmaßnahme geeignet und erforderlich ist, die Resilienz der Umspannwerke und damit des Gesamtsystems gegenüber physischen Angriffen Dritter nach Maßgabe der den Sicherungskonzepten zugrunde liegenden Bedrohungsszenarien der Sicherheitsbehörden auf die als kritisch eingestufte Netzinfrastruktur zu erhöhen. Die in Rede stehenden Schutzvorkehrungen verringern das Risiko einer dadurch bedingten Beeinträchtigung der Stromversorgung und haben damit zugleich unmittelbare Auswirkungen für die benachbarten Netze und das Gesamtsystem.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">d)</span></strong> Die Sache war vor dem Hintergrund der noch zu treffenden Entscheidung über den Ansatz eines Ersatzanteils nach § 23 Abs. 2b ARegV noch nicht zur Entscheidung reif, weshalb die Bundesnetzagentur – entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin – in analoger Anwendung des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO (lediglich) zu einer Neubescheidung des Antrags in Bezug auf das nicht genehmigte Teilprojekt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu verpflichten war. Dieses Vorgehen entspricht der bisherigen Senatsübung (Senat, Beschl. v. 14.01.2015 – VI-3 Kart 70/13 [V], Juris Rn. 18; v. 12.07.2017 – VI-3 Kart 163/15 [V], Juris Rn. 32 f., 69; v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 31 f., 56; vgl. auch BeckOK EnWG/van Rossum, a.a.O., § 83 Rn. 30 ff.; BeckOK VwGO/Decker, 60. Ed. 01.01.2022, § 113 Rn. 73 f. m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">C.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong> Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong> Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren ist nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung im Einvernehmen mit den Verfahrensbeteiligten auf … Euro festgesetzt worden (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO). Den Maßstab für die Bestimmung des Gegenstandswerts bildete dabei die im Rahmen einer Vergleichsbetrachtung mit und ohne Genehmigung der streitgegenständlichen Teilmaßnahme zu ermittelnde Verbesserung der Erlössituation (vgl. Senat, Beschl. v. 15.11.2017 – VI-3 Kart 60/16 [V], Juris Rn. 65).</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">D.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung war zuzulassen, weil die streitgegenständlichen Fragen, namentlich die Qualifizierung von Objektschutzmaßnahmen als Umstrukturierungsinvestition im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV, grundsätzliche Bedeutung haben (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG).</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§ 88 Abs. 4 Satz 2, § 80 Satz 2 EnWG).</p>
346,358
olgd-2022-08-10-3-kart-10321
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3 Kart 103/21
2022-08-10T00:00:00
2022-08-30T10:01:35
2022-10-17T11:09:35
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0810.3KART103.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Kosten der Bundesnetzagentur trägt die Beschwerdeführerin.</p> <p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf … Euro festgesetzt.</p> <p>Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">A.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist eine der vier deutschen Strom-Übertragungsnetzbetreiber. Am 29.06.2018 beantragte sie bei der Bundesnetzagentur die Anpassung der Erlösobergrenzen der Kalenderjahre 2019 bis 2021 gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a ARegV nach Maßgabe von § 5 ARegV, wobei sie am 05.12.2018 die erzielbaren Erlöse korrigierte und am 10.05.2019 die Ist-Kapitalkosten aus Investitionsmaßnahmen aktualisierte.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 10.05.2019 beantragten alle vier Übertragungsnetzbetreiber gegenüber der Bundesnetzagentur „die Erstattung von Personalkosten gemäß Artikel 75 Abs. 1 CACM Guideline 1222/2015, Artikel 58 FCA Guideline 2016/1719, Artikel 8 Balancing Guideline 2017/2195 sowie Artikel 9 Abs. 1 SO Guideline 2017/1485, die im Rahmen unserer europäischen Mitarbeit in europäischen Initiativen bzw. Projekten in den Jahren 2017-2020 angefallen bzw. zu erwarten sind“ und verwiesen auf im Rahmen der europäischen Marktintegration und durch die fortschreitende Implementierungsphase der Netzwerkkodizes hinzugekommene zusätzliche Aufgaben bzw. Anforderungen. Zudem korrigierte die Beschwerdeführerin ihren Antrag nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a ARegV i.V.m. § 5 ARegV mit Schreiben vom 30.06.2020 dahingehend, dass Personalkosten für europäische Initiativen und Aktivitäten in Höhe von … Euro im Rahmen des Regulierungskontos aus den vorstehend genannten europäischen Vorschriften zu berücksichtigen seien und verwies zu den Hintergründen auf das Schreiben vom 10.05.2019. Infolge eines internen Berechnungsfehlers setzte sie dabei die von ihr errechnete Differenz dieser Personalkosten zu denen des Basisjahrs 2016 und nicht zu denen des für die zweite Regulierungsperiode einschlägigen Basisjahrs 2011 an.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Den Übertragungsnetzbetreibern wurden in den vergangenen Jahren durch die nachstehend im Einzelnen aufgeführten europäischen Leitlinien und Netzkodizes (im Folgenden auch: EU-Verordnungen) zahlreiche neue Aufgaben auferlegt, die seit dem Jahr 2016 die Einstellung neuer Mitarbeiter erforderten:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2015/1222 der Kommission vom 24.07.2015 zur Festlegung einer Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement (CACM-VO),</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2016/1719 der Kommission vom 26.09.2016 zur Festlegung einer Leitlinie für die Vergabe langfristiger Kapazität (FCA-VO),</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2017/1485 der Kommission vom 02.08.2017 zur Festlegung einer Leitlinie für den Übertragungsnetzbetrieb (SO-VO),</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2017/2195 der Kommission vom 23.11.2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem (EB-VO),</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2016/631 der Kommission vom 14.04.2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger (NC RfG),</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2016/1388 der Kommission vom 17.08.2016 zur Festlegung eines Netzkodex für den Lastanschluss (NC DCC),</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2016/1447 der Kommission vom 26.08.2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssysteme und nichtsynchrone Stromerzeugungsanlagen mit Gleichstromanbindung (NC HVDC),</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- Verordnung (EU) 2017/2196 der Kommission vom 24.11.2017 zur Festlegung eines Netzkodex über den Notzustand und den Netzwiederaufbau des Übertragungsnetzes (NC ER).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In Art. 75 CACM-VO, Art. 58 FCA-VO, Art. 8 EB-VO, Art. 9 SO-VO, Art. 8 NC ER, Art. 9 NC RfG, Art. 7 NC HVDC, Art. 8 NC DCC finden sich - im Wortlaut teilweise unterschiedliche - Vorgaben zur Deckung der aufgrund der Verpflichtungen aus der jeweiligen Verordnung angefallenen Kosten.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Durch Beschlüsse vom 21.10.2011 (u.a. Az. BK6-10-204) legte die Bundesnetzagentur das Verfahren der Mitarbeit und die Beteiligung der Beschwerdeführerin bzw. der anderen Übertragungsnetzbetreiber an Projekten der europäischen Initiativen sowie die Bedingungen für die Anerkennung der sich hieraus ergebenden Kosten entsprechend der „Freiwilligen Selbstverpflichtung nach § 11 Abs. 2 ARegV der deutschen Übertragungsnetzbetreiber für den Umgang mit den sich aus der Mitarbeit in Europäischen Initiativen ergebenden Kosten“ (im Folgenden: FSV KEI) rückwirkend seit dem 01.01.2011 als wirksam verfahrensreguliert i.S.d. § 11 Abs. 2 S. 4 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV fest. Nach der FSV KEI (dort S. 5, Bl. 73 VV) werden Personalkosten der deutschen Übertragungsnetzbetreiber von der freiwilligen Selbstverpflichtung nicht berücksichtigt, da diese bereits in der Erlösobergrenze enthalten sind.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Nachdem sie die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 02.02.2021 zu ihrem Antrag nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a i.V.m. § 5 ARegV angehört und die Beschwerdeführerin hierauf mit Schreiben vom 24.02.2021 Stellung genommen hatte, hat die Bundesnetzagentur durch Beschluss vom 31.05.2021 den Regulierungskontosaldo für das Jahr 2017 sowie die Verteilung der Zu- und Abschläge auf die kalenderjährlichen Erlösobergrenzen der Jahre 2019 bis 2021 gemäß Anlage 1 des Beschlusses genehmigt und den Antrag im Übrigen, insbesondere bezogen auf die hier geltend gemachten Personalkosten für europäische Initiativen und Aktivitäten, abgelehnt. Zur Begründung hat sie u.a. ausgeführt, bei diesen Personalmehraufwendungen handele es sich nicht um dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile i.S.d. § 11 Abs. 2 S. 4 ARegV und ein Ansatz etwaiger Mehraufwendungen in der Erlösobergrenze des Kalenderjahres 2017 sei demnach unzulässig. Die Vorgabe, dass die „als angemessen, effizient angefallen und verhältnismäßig eingestuften Kosten“ nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörden zeitnah durch Netzentgelte oder andere geeignete Mechanismen gedeckt würden, erfordere kein Abweichen von der Erstattung effizienter Kosten durch die in den Mitgliedsstaaten geltende Methodik, in Deutschland der Anreizregulierung.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Sie ist der Ansicht, die Beschwerde sei auch mit Blick auf die Personalkosten zulässig, die den bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Betrag in Höhe von … Euro überstiegen. Sie habe unstreitig fristgerecht die Anpassung der Erlösobergrenzen und die Anpassung der Personalkosten beantragt. Weder aus der Anreizregulierungsverordnung noch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gerichts folge die Unzulässigkeit der Erweiterung des Antragsgegenstand. Eine solche sei zudem mit dem Amtsermittlungsgrundsatz nach §§ 82, 83 EnWG unvereinbar. Es sei treuwidrig, wenn sich die Bundesnetzagentur auf die Unzulässigkeit der Erweiterung des Antragsgegenstands berufe, da sie den Antrag dem Grunde nach abgelehnt habe und ihr der Berechnungsfehler aufgefallen wäre, wenn sie den Antrag entsprechend ihren Pflichten aus den EU-Verordnungen geprüft hätte.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur hätte den Regulierungskontosaldo unter Berücksichtigung der ihr, der Beschwerdeführerin, entstandenen Personalmehrkosten genehmigen müssen. Die EU-Verordnungen enthielten jeweils konkrete Vorgaben zur Kostendeckung, so dass sich ihr Anspruch auf Anpassung der Erlösobergrenzen direkt aus diesen ergebe. Tatbestandlich setzten die EU-Verordnungen jeweils voraus, dass Kosten im Zusammenhang mit den bzw. aufgrund der den Übertragungsnetzbetreibern auferlegten Verpflichtungen aus diesen EU-Verordnungen entstanden seien. Hierzu zählten auch die hier streitgegenständlichen Personalmehrkosten, die kausal auf der Umsetzung der Verpflichtungen aus den EU-Verordnungen beruhten und zudem der Höhe nach angemessen, effizient und verhältnismäßig seien. Insoweit bestünden auch keine Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen (Personal-)Kosten. Die rechtsfolgenseitig vorgesehene - teilweise sogar „zeitnahe“ - Kostendeckung erfordere eine Anpassung der Erlösobergrenzen während der laufenden Regulierungsperiode, da andernfalls bereits angefallene Kosten nicht berücksichtigt würden. Eine Auslegung des Begriffs der „Kostendeckung“ ergebe, dass eine Berücksichtigung der Personalkosten allein nach dem Basisjahrprinzip nicht ausreichend sei. Schon vom Wortlaut her müsse eine finanzielle Absicherung und Übernahme <em>aller</em> kausaler Kosten erfolgen, was nicht der Fall sei, wenn eine Berücksichtigung der angefallenen Kosten nur im Basisjahr erfolge und ein Teil der angefallenen Kosten für bis zu 7 Jahre (2017 bis 2023) „ungedeckt“ bliebe. Zudem dienten die EU-Verordnungen ebenso wie die Richtlinie 2009/72/EG (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) und die Verordnung (EG) 714/2009 der Harmonisierung des Energiebinnenmarkts und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Gewährleistung erschwinglicher Energiepreise. Diese Ziele könnten nur erreicht werden, wenn die den Marktteilnehmern auferlegten Verpflichtungen ohne finanzielle Schwierigkeiten und Benachteiligungen umgesetzt werden könnten. Es müssten Anreize für eine bestmögliche Erfüllung der europäischen Vorgaben gesetzt werden, nicht dazu, möglichst wenig in den Personalbedarf zu investieren. Auch die Erwägungsgründe des NC RfG, des NC HVDC und des NC DCC sähen vor, dass die Regulierungsbehörden die Kosten, die den Netzbetreibern bei der Anwendung dieser Verordnungen tatsächlich entstanden seien, in angemessenem Umfang berücksichtigten. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16.07.2020 (C-771/18) verhalte sich nur zu der Frage, ob bestimmte Arten von Kosten von den Netzentgelten gedeckt werden müssten bzw. zum Verbot einer Weitergabe bestimmter Kostenarten, nicht aber dazu, ob wie hier im Rahmen der Netzentgeltregulierung bereits anerkannte Kostenarten auch dann zu berücksichtigen seien, wenn diese Kosten nach dem Basisjahr anfielen und vom Budgetprinzip nicht erfasst würden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Angesichts der konkreten und detaillierten Vorgaben zur Kostendeckung komme es auf die zusätzliche Anwendung der nationalen Vorgaben, insbesondere diejenige der Anreizregulierungsverordnung, nicht an. Soweit die EU-Verordnungen vorsähen, dass eine Deckung der Kosten „nach den Vorgaben der nationalen Regulierungsbehörden“ zu erfolgen habe, handele es sich dabei lediglich um einen Rechtsfolgenverweis des europäischen Gesetzgebers, wie aus einer systematischen Auslegung des Verweises folge, der als Rechtsgrundverweis überflüssig wäre. Auch der bereits aufgezeigte Sinn und Zweck der Kostenregelung spreche für einen Rechtsfolgenverweis. Im Streitfall liege eine Kollision zwischen den Kostenregelungen in den EU-Vorgaben und den nationalen Vorschriften zur Erlösobergrenzenanpassung vor, in der das EU-Recht vorrangig sei, das eine klare und unbedingte Verpflichtung zur Kostendeckung begründe. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das Vorliegen eines detaillierten normativen Rahmens auf Unionsebene für die europäischen Richtlinien bereits bestätigt, nichts anderes müsse auf Verordnungsebene gelten.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Hilfsweise seien die streitgegenständlichen Personalmehrkosten als nicht beeinflussbare Kostenanteile nach § 11 Abs. 2 S. 4 ARegV anzuerkennen, weil diese Kosten einer wirksamen Verfahrensregulierung unterlägen. Die Einstellung zusätzlichen Personals unterfalle dem der Verfahrensregulierung unterliegenden Bereich, da sie insgesamt auf Grundlage der Verordnung (EG) 714/2009 erfolge. Der FSV KEI komme angesichts der tatsächlichen Entwicklungen seit dem Jahr 2011 keine Sperrwirkung zu. Aufgrund der konkreten Vorgaben der EU-Verordnungen habe sie einen Anspruch auf materielle Bereichsregulierung durch vollziehbare Entscheidung der Bundesnetzagentur und anschließende formelle Festlegung nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV hinsichtlich der angefallenen Personalkosten, wobei das Ermessen der Bundesnetzagentur aufgrund der innerstaatlichen Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Interpretation faktisch sowohl hinsichtlich des Aufgriffs- als auch des Entschließungsermessens auf null reduziert sei. Insoweit hätte die Bundesnetzagentur den Sachverhalt von Amts wegen aufklären und tätig werden müssen, spätestens mit ihrem korrigierten Antrag vom 30.06.2020, den die Bundesnetzagentur in einen Antrag auf Einleitung eines Festlegungsverfahrens hätte umdeuten oder jedenfalls einen Hinweis auf das Erfordernis eines solchen Antrags hätte erteilen müssen. Es handele sich bei der Verfahrensregulierung und der materiellen Bereichsregulierung um das einzige verbliebene geeignete Mittel, um Personalmehraufwendungen als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile zu berücksichtigen. Die Abwicklung über das Regulierungskonto oder eine Berücksichtigung der Personalmehraufwendungen über die Härtefallregelung stellten im Vergleich zur Verfahrensregulierung kein geeignetes Mittel dar. Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen personalkostenrelevanten Bereichen ergäben sich weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin behauptet, dass sich der Mehrbedarf an Vollbeschäftigungsäquivalenten (im Folgenden: FTE) im Kalenderjahr 2017 im Vergleich zum Basisjahr 2011 insgesamt auf 16,1 FTE belaufen habe, woraus zusätzliche Personalkosten in Höhe von … Euro resultierten, und trägt hierzu näher vor. Sie ist der Ansicht, dass es der Bundesnetzagentur angesichts ihrer substantiierten Darlegungen möglich gewesen wäre, eine Prüfung der Effizienz der Kosten vorzunehmen, die ihr obliege und die sie bislang verweigert habe.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1. die Bundesnetzagentur zu verpflichten, die Genehmigung des Regulierungskontosaldos 2017 und die Verteilung durch Zu- und Abschläge auf die Erlösobergrenzen der Kalenderjahre 2019 bis 2021 vom 31.05.2021 dahingehend abzuändern, dass die Personalkosten der Beschwerdeführerin für europäische Initiativen bzw. Projekte in Höhe von … Euro im Regulierungskonto der Beschwerdeführerin berücksichtigt werden;</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2. hilfsweise zu Ziffer 1.,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">die Bundesnetzagentur zu verpflichten, bezüglich der Personalkosten der Beschwerdeführerin für europäische Initiativen bzw. Projekte eine Verfahrensregulierung nach § 11 Abs. 3 S. 2 und S. 4 ARegV zu erlassen und diese Personalkosten ohne Zeitverzug als verfahrensreguliert nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV festzustellen;</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">3. hilfsweise zu Ziffer 2.,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">die Bundesnetzagentur zu verpflichten, die Genehmigung des Regulierungskontosaldos 2017 und die Verteilung durch Zu- und Abschläge auf die Erlösobergrenzen der Kalenderjahre 2019 bis 2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur beantragt,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">die Beschwerde zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Bundesnetzagentur ist der Ansicht, die Beschwerdeführerin sei nur in Höhe eines Betrags von … Euro beschwerdebefugt, da sie nur diesen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geltend gemacht habe. Des Weiteren habe sie in ihren Antragsschreiben nur Art. 75 Abs. 1 CACM-VO, Art. 58 FCA-VO, Art. 8 EB-VO und Art. 9 Abs. 1 SO-VO als Anspruchsgrundlagen benannt und die dazugehörigen Lebenssachverhalte dargelegt. Da die Geltendmachung eines eigenen Rechtsanspruchs Zulässigkeitsvoraussetzung für die Verpflichtungsbeschwerde sei, sei jedenfalls nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eine Erweiterung des Antragsgegenstands nicht möglich. Dies folge für das Genehmigungsverfahren nach § 5 ARegV ergänzend aus dem entsprechenden Fachrecht, da nach § 5 Abs. 4 S. 1 ARegV der Antrag neben dem ermittelten Saldo die der Anpassung zugrundeliegenden Daten enthalten müsse. Zudem liefe das Erfordernis einer fristgerechten Antragstellung gemäß § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a, S. 3 ARegV leer, wenn der Netzbetreiber durch eine Beschwerde die Genehmigung des Regulierungskontos „offen“ halten könne.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde sei aber auch unbegründet, da die von ihr vorgenommene Kürzung rechtmäßig sei. Der von der Beschwerdeführerin verlangte „Quasi-Vollkostenersatz“, d.h. die ungeschmälerte Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten, stehe nicht im Einklang mit dem EU-Recht, da er einen wesentlichen Teil der EU-Vorschriften außer Acht lasse.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dass ein Vollkostenansatz von den einschlägigen Vorgaben in den EU-Verordnungen nicht gemeint sei, folge schon daraus, dass jeweils nur die angemessenen, verhältnismäßigen und effizienten Kosten „gedeckt“ werden sollten. Die Kostenvorschriften seien methodenoffen und verlangten lediglich eine kostenorientierte bzw. -reflektierende Betrachtung. Zudem sähen die EU-Vorgaben eine Kostendeckung „nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörde“ vor, teilweise sogar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG. In den Erwägungsgründen des NC RfG, NC HVDC und NC DCC würde zudem jeweils die durch die nationale Regulierungsbehörde festzulegende Methode der Entgeltbildung adressiert. Die unterschiedlichen Vorgaben des EU-Rechts vereinten kosten- und effizienzbasierte Ansätze, die sich ergänzten, nicht gegenseitig ausschlössen. Die Sichtweise der Beschwerdeführerin verkenne, dass die EU-Verordnungen die in der Richtlinie 2009/72/EG vorgegebenen Kriterien, zu denen auch das in Art. 37 Abs. 8 vorgegebene Ziel der (Kosten-)Effizienzsteigerung zähle, das im Budgetprinzip der Anreizregulierungsverordnung zum Tragen komme, konkretisierten. Dies entspreche auch der EU-Normenhierarchie. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 16.07.2020, C-771/19) folge, dass die Vorschriften zur Berücksichtigung einzelner Kostenkategorien in den Netznutzungsentgelten nicht forderten, dass die nationale Regulierungsbehörde bei der Berechnung der Netzzugangsentgelte sämtliche den Netzbetreibern entstandenen Kosten (der Höhe nach) zu berücksichtigen hätte. Wenn „sämtliche“ bzw. „alle“ Kosten einer Kostenkategorie adressiert wären, ergebe sich dies vielmehr eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift, wie etwa Art. 8 Abs. 4 EB-VO zeige. Falsch sei die Aussage der Beschwerdeführerin, ihre Kosten würden gar nicht anerkannt. Das Basisjahr- bzw. Budgetprinzip führe gerade zu einer Entkoppelung von Kosten und Erlösen. Über- und Unterdeckungen seien ihm immanent, die Netzbetreiber könnten jedoch - bei einer typisierenden Gesamtbetrachtung - ihre Kosten finanzieren. Dies geschehe auch zeitnah. Der kostenscharfe Ansatz der Beschwerdeführerin würde in diesem Zusammenhang zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den verschiedenen Kostenkategorien führen, wie gerade das Beispiel der Personalkosten zeige, die sowohl unter die tatsächlichen Kosten i.S.d. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) 714/2009 als auch unter die „Kosten im Zusammenhang mit den in den Artikeln 4 bis 12 genannten Tätigkeiten des ENTSO (Strom)“ i.S.d. Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009 fielen. Im Übrigen dürfte bereits durch die Erarbeitung der EU-Verordnungen erheblicher Personalaufwand im Jahr 2016 entstanden und als aufwandsgleiche Kosten im Basisjahr anerkannt worden sein. Zudem dürfte der Aufwand der Übertragungsnetzbetreiber vor Inkrafttreten der EU-Verordnungen nicht unter die dortigen Kostenvorschriften fallen, sondern nur nach anderen Vorschriften (etwa Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009) erstattungsfähig sein.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Ziele der Verordnung (EG) 714/2009 könnten dem Gerichtshof der Europäischen Union zufolge erreicht werden, ohne dass Netzzugangsentgelte sämtliche den Netzbetreibern tatsächlich entstandenen Kosten widerspiegelten. Die Vorschrift zur Berücksichtigung einzelner Kostenkategorien sei auch bei ihrer Sichtweise nicht obsolet. Sinn und Zweck der streitgegenständlichen Kostenregelungen würden prägnant in den Erwägungsgründen des NC RfT, NC HVDC und des NC DCC zusammengefasst. Die Berücksichtigung von Kosten in „angemessenem Umfang“ und „nach den Vorgaben der Regulierungsbehörde“ sei durch die Vorgaben der nationalen Anreizregulierung sichergestellt. Erwägungsgrund (1) der Richtlinie 2009/72/EG umfasse ausdrücklich die Erzielung von Effizienzgewinnen und wettbewerbsfähigen Preisen. Die Nichtberücksichtigung des - den fehlenden Wettbewerb auf den Energienetzmärkten simulierenden - Effizienzkritieriums bei der Mitarbeit an europäischen Initiativen sei weder mit Erwägungsgrund (1) der Richtlinie 2009/82/EG noch mit Erwägungsgrund (7) der Verordnung (EG) 714/2009 in Einklang zu bringen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Hiervon unabhängig stehe die Berücksichtigung von Personalkosten über das Budgetprinzip im Einklang mit den europäischen Vorgaben. Einen Zielkonflikt zwischen nationaler Anreizregulierung und den europäischen Vorschriften hinsichtlich der (Kosten-)Effizienz bzw. Kostendeckung gebe es wie dargelegt nicht. Zudem habe der Bundesgerichtshof die Vereinbarkeit des Budgetprinzips mit höherrangigem nationalen und EU-Recht in seiner Rechtsprechung zum Kapitalkostenaufschlag bereits bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Es bestehe auch kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Erlass einer Verfahrensregulierung, da die normative Anreizregulierung bereits die Vorgaben des EU-Rechts erfülle. Zudem stehe die FSV KEI der begehrten Verfahrensregulierung entgegen. Die Entstehung von Personalkosten sei des Weiteren in hohem Maße beeinflussbar und könne schon deshalb nicht einer „umfassenden“ Verfahrensregulierung i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 4 ARegV zugeführt werden. Es stellten sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen personalkostenrelevanten Bereichen. Dies gelte auf nationaler Ebene mit Blick auf Personalzusatzkosten, die mit einem t-2-Verzug in die Erlösobergrenze einflössen. Auf europäischer Ebene seien nicht alle in den europäischen Netzkodizes genannten Kosten neu und Personalkosten insoweit bereits über das Basisjahrprinzip in den Erlösobergrenzen enthalten. Systematisch und prozessual sei die Geltendmachung eines Anspruchs auf Verfahrensregulierung im Rahmen einer Beschwerde gegen die Genehmigung des Regulierungskontos falsch verortet.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang und das Protokoll der Senatssitzung Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">B.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong> Die Beschwerde ist mit dem Hauptbeschwerdeantrag allerdings zulässig.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">1.</span></strong> Die Beschwerde ist innerhalb der in § 78 Abs. 1 EnWG vorgesehenen Monatsfrist erhoben worden. Ausweislich der als Anlage BF 12 (Bl. 157 GA) vorgelegten Kopie der Postzustellungsurkunde ist der angefochtene Beschluss vom 16.07.2021 der Beschwerdeführerin am 18.06.2021 zugestellt worden, so dass die Beschwerdeeinlegung am 16.07.2021 fristgemäß erfolgt ist.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">2.</span></strong> Die Verpflichtungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 3 EnWG ist des Weiteren statthaft, da der Antrag auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">3.</span></strong> Die Sachurteilsvoraussetzung des Antragserfordernisses liegt ebenfalls vor.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Verpflichtungsbeschwerde ist dann einschlägig, wenn die Regulierungsbehörde eine beantragte Entscheidung durch eine das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung nach §  73 Abs. 1 S. 1 EnWG abgelehnt hat (Boos in: Theobald/Kühling, Energierecht, 115. EL, § 75 EnWG Rn. 47; vgl. auch Pietzcker/Marsch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. EL, § 42 VwGO Rn. 96 m.w.N.). Wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung, sich mit (vermeintlichen) Ansprüchen des Einzelnen zu befassen (BVerwG, Urteil vom 31.08.1995 - 5 C 11/94, NJW 1996, 1977, 1978; Schmidt-Kötters in: BeckOK VwGO, 61. Edition, § 42 VwGO Rn. 56 m.w.N.). Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geht entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur nicht über das Begehren, das bereits Gegenstand des Antrags der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren war, hinaus, so dass es im Beschwerdeverfahren nicht teilweise an dem erforderlichen erfolglosen Antrag an die Bundesnetzagentur fehlt.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">a)</span></strong> Der Antrag der Beschwerdeführerin nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a i.V.m. § 5 ARegV war dahingehend auszulegen, dass er sich nicht ausschließlich auf die Berücksichtigung der Personalmehrkosten erstreckte, die der Beschwerdeführerin in Umsetzung der im Antragsschreiben zitierten Leitlinien entstanden sind, sondern vielmehr auf sämtliche durch die Mitarbeit in „europäischen Initiativen bzw. Projekten“ im Jahr 2017 entstandenen Kosten. Zwar sind im Antragsschreiben vom 30.06.2020 (Anlage BF 8) und auch in dem darin ausdrücklich in Bezug genommenen Antragsschreiben sämtlicher Übertragungsnetzbetreiber vom 10.05.2019 (Anlage BF 6) nur die Vorgaben zur Kostendeckung in den Leitlinien (Art. 75 Abs. 1 CACM-VO, Art. 58 FCA-VO, Art. 8 EB-VO und Art. 9 Abs. 1 SO-VO) zitiert, nicht auch die korrespondierenden und teilweise inhaltsgleichen Vorgaben in den entsprechenden Netzkodizes. Es wird jedoch aus beiden Schreiben deutlich, dass es der Beschwerdeführerin bzw. sämtlichen Übertragungsnetzbetreibern um die Berücksichtigung der Personalkosten für europäische Initiativen bzw. Projekte im Regulierungskonto insgesamt geht. Die darin enthaltenen Ausführungen zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der beantragten Berücksichtigung (zunehmender Mehraufwand und „Kostendeckungsprinzip“) beanspruchen unterschiedslos für alle EU-Verordnungen Geltung. Zudem heißt es im Schreiben vom 10.05.2019, auf das im Antrag der Beschwerdeführerin vom 30.06.2020 gerade wegen der Hintergründe der gestiegenen Personalkosten ausdrücklich verwiesen wird, dass „seit 2016, durch die fortschreitende Implementierungsphase der Netzwerkkodizes, zusätzliche Anforderungen, wie vor allem Aufgaben zur Entwicklung von geeigneten Methodiken, hinzugekommen (sind)“. Um diesen zusätzlichen Aufgaben gerecht zu werden, hätten seit 2016 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden müssen. Der Antrag auf Berücksichtigung von Kosten erstreckt sich damit ersichtlich auch auf solche Kosten, die aufgrund der Implementierung bzw. Umsetzung der Netzkodizes entstanden sind, da es sonst der diesbezüglichen Ausführungen nicht bedurft hätte.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">b)</span></strong> Unschädlich ist mit Blick auf das Antragserfordernis auch, dass der Beschwerdeführerin ein Fehler bei der Berechnung der Mehrkosten infolge einer Vergleichsbetrachtung mit dem falschen Basisjahr unterlaufen ist, den sie erst im Beschwerdeverfahren korrigiert hat. Zwar konkretisiert § 5 Abs. 4 ARegV den Inhalt des Antrags nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a, S. 3 ARegV dahingehend, dass der Antrag neben dem ermittelten Saldo die der Anpassung zugrunde liegenden Daten enthalten muss. Ziel dieser detaillierten Vorgabe ist es aber, die Bewegungen auf dem Regulierungskonto für die genehmigende Regulierungsbehörde transparent darzustellen (BR-Drs. 296/16, S. 32), was keine abschließende Festlegung des Regulierungskontosaldos der Höhe nach erfordert. Eine Präklusionswirkung, die die Anpassung fehlerhafter Daten oder die Aktualisierungen von Daten nach Ablauf der Antragsfrist ausschließen würde, ist mit der fristgemäßen Antragstellung deshalb nicht verbunden und entspricht im Übrigen auch nicht der regulierungsbehördlichen Praxis.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong> Die Beschwerde bleibt mit dem Hauptbeschwerdeantrag jedoch in der Sache ohne Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">1.</span></strong> Der mit dem Hauptbeschwerdeantrag geltend gemachte Verpflichtungsantrag ist unbegründet, da die Bundesnetzagentur im angefochtenen Beschluss zu Recht davon abgesehen hat, die Personalmehrkosten für europäische Initiativen bzw. Projekte im Regulierungskonto der Beschwerdeführerin für das Jahr 2017 zu berücksichtigen. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für eine Anpassung der Erlösobergrenze aufgrund der streitgegenständlichen Kosten.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">a)</span></strong> Nach den einschlägigen Vorgaben der Anreizregulierungsverordnung können die streitgegenständlichen Personalkosten nicht im Regulierungskonto berücksichtigt werden bzw. sonst Gegenstand einer antragsunabhängigen Anpassung von Erlösobergrenzen sein, wovon auch die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend ausgehen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin begehrt mit dem Hauptantrag eine antragsgebundene Anpassung der Erlösobergrenzen der Kalenderjahr 2019 bis 2021 gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a ARegV nach Maßgabe von § 5 ARegV aufgrund des hierfür fristgemäß nach § 4 Abs. 4 S. 3 ARegV gestellten Antrags. In § 4 Abs. 3 bis 5 ARegV sind die Fälle der nachträglichen Anpassung der Erlösobergrenze abschließend geregelt, so dass insbesondere nachträgliche Änderungen der Erlösobergrenze durch die Regulierungsbehörden auf Grundlage von § 29 Abs. 2 EnWG grundsätzlich ausgeschlossen sind (Meinzenbach in: BerlK-EnR, 4. Aufl., § 4 ARegV Rn. 15 m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Bei den Personalkosten aus europäischen Initiativen bzw. Projekten handelt es sich nicht um von § 4 Abs. 3 bis 5 ARegV erfasste Kosten. Insbesondere handelt es sich nicht um dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile, so dass ein Ansatz etwaiger Mehraufwendungen in der Erlösobergrenze des Kalenderjahres 2017 über das  Regulierungskonto nach § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a i.V.m. § 5 ARegV, wonach Differenzen bei dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 bis 6, 8, 13 und 15 bis 18 sowie Abs. 5 ARegV nachgetragen werden können, ausgeschlossen ist. Auch eine Berücksichtigung im Rahmen einer unternehmensautonomen Anpassung nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ARegV, die bei sonstigen dauerhaft nicht beeinflussbaren Kostenanteilen gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 bis 3 ARegV vorgesehen ist, kommt deshalb nicht in  Betracht.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Personalkosten sind nicht von der abschließenden (hierzu ausführlich Meinzenbach in: BerlK-EnR, 4. Aufl., § 21a EnWG Rn. 195 ff.; Säcker/Sasse in: BerlK-EnR, 4. Aufl., § 11 Rn. 15 m.w.N.) Aufzählung der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kostenanteile umfasst. Dauerhaft nicht beeinflussbare Personalkosten sind nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 ARegV nur die sog. Personalzusatzkosten (Kosten und Erlöse aus betrieblichen und tarifvertraglichen Vereinbarungen zu Lohnzusatz- und Versorgungsleistungen, soweit diese in der Zeit vor dem 31.12.2016 abgeschlossen worden sind). Die streitgegenständlichen Personalkosten unterfallen auch nicht § 11 Abs. 2 S. 2 und 4 ARegV, was voraussetzen würde, dass sie einer wirksamen Verfahrensregulierung unterliegen. Nach der FSV KEI als einzig in Betracht kommender freiwilliger Selbstverpflichtung, die zu einer Festlegung von Kosten als wirksam verfahrensreguliert geführt hat, sind Personalkosten der deutschen Übertragungsnetzbetreiber gerade nicht zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Damit unterfallen die streitgegenständlichen Kosten als beeinflussbarer Kostenanteil im Regelungsgefüge der Anreizregulierungsverordnung dem sog. Budgetprinzip (auch als Basisjahr- oder Fotojahrprinzip bezeichnet). Diese Kosten finden in den Kosten des Basisjahrs (jeweils drei Jahre vor Beginn der jeweiligen Regulierungsperiode), dem sog. Ausgangsniveau, Berücksichtigung, auf dessen Grundlage die Erlösobergrenzen für die einzelnen Jahre der Regulierungsperiode festgelegt werden, ohne dass es unterjährig zu einer Anpassung kommt. Den Netzbetreibern wird insoweit durch die jährliche Erlösobergrenze ein Budget zur Verfügung gestellt, wobei es zu einer zeitlichen Entkoppelung von Kosten und Erlösen kommt (vgl. zur Funktionsweise des Budgetprinzips auch Senat, Beschluss vom 17.03.2020 - VI-3 Kart 166/17 [V], EnWZ 2020, 227 Rn. 44).</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">b)</span></strong> Die Beschwerdeführerin hat zudem keinen Anspruch auf Berücksichtigung der streitgegenständlichen Personalmehraufwendungen für europäische Initiativen bzw. Projekte unmittelbar aus den EU-Verordnungen, was im Regelungsgefüge der Anreizregulierungsverordnung durch eine Anpassung der Erlösobergrenzen gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1a i.V.m. § 5 Abs. 3 ARegV oder auch § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ARegV umzusetzen wäre.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Da die Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung hat, in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, kann ein nicht im nationalen Regulierungsrecht vorgesehener Anspruch auf Berücksichtigung bestimmter Kosten zwar grundsätzlich unmittelbar auf den Regelungsgehalt der EU-Verordnungen gestützt werden. Ein solcher Anspruch besteht jedoch nicht. Da die nach nationalem Regulierungsrecht über das sog. Budgetprinzip erfolgende Anerkennung der streitgegenständlichen Kosten den Vorgaben des europäischen Rechts genügt, kommt eine unmittelbar auf europäisches Recht gestützte Berücksichtigung dieser Kosten nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">aa)</span></strong> Aus den einschlägigen Vorgaben in den EU-Verordnungen zur Kostendeckung folgt zunächst nicht, dass <em>sämtliche</em> dieser Kosten - jedenfalls soweit sie angemessen, verhältnismäßig und effizient sind - bei der Festsetzung der Netzentgelte zu berücksichtigen sind, was durch das Budgetprinzip aufgrund der diesem immanenten zeitlichen Entkoppelung von Kosten nicht sichergestellt ist. Eine Auslegung der einschlägigen Vorgaben in den EU-Verordnungen zur Kostendeckung nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck (zur Auslegungsmethodik EuGH, Urteil vom 25. Januar 2017 - C-640/15, juris Rn. 21 m.w.N.) ergibt vielmehr, dass die dort aufgeführten Kostenkategorien zwar bei der Berechnung der Netzentgelte zu berücksichtigen sind, dies jedoch nicht zwingend vollumfänglich zu geschehen hat.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(1)</span></strong> Nach Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009 werden die Kosten im Zusammenhang mit den in den Artikeln 4 bis 12 genannten Tätigkeiten der ENTSO (Strom), zu denen die hier streitgegenständlichen Aktivitäten der Übertragungsnetzbetreiber zählen, von diesen getragen und bei der Entgeltberechnung berücksichtigt. Die Regulierungsbehörden genehmigen diese Kosten nur dann, wenn sie angemessen und verhältnismäßig sind.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Diese allgemeine Vorgabe wird durch detailliertere Vorgaben zur Kostendeckung in den einzelnen EU-Verordnungen, die auf Grundlage der Verordnung (EG) 714/2009 ergangen sind, ergänzt.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Art. 75 Abs. 1 CACM-VO sieht Folgendes vor:</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><em>„Die Kosten im Zusammenhang mit den ÜNB gemäß Artikel 8 auferlegten Verpflichtungen (…) werden von den zuständigen Regulierungsbehörden geprüft. Als angemessen, effizient angefallen und verhältnismäßig eingestufte Kosten werden nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörde zeitnah durch Netzentgelte oder andere geeignete Mechanismen gedeckt.“</em></p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Dem entspricht im Wesentlichen Art. 58 Abs. 1 FCA-VO, der lediglich allgemein auf die den Übertragungsnetzbetreibern „durch Verpflichtungen aufgrund dieser Verordnung“ entstandenen Kosten Bezug nimmt, die von „allen Regulierungsbehörden“ geprüft werden.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">In Art. 8 EB-VO heißt es unter anderem:</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><em>„(1) Kosten im Zusammenhang mit Verpflichtungen, die Netzbetreibern oder bestimmten Dritten im Einklang mit dieser Verordnung auferlegt wurden, werden gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG von den zuständigen Regulierungsbehörden geprüft.</em></p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><em>(2) Kosten, die nach Ansicht der zuständigen Regulierungsbehörde angemessen und verhältnismäßig sind und denen eines effizienten Netzbetreibers entsprechen, werden nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörden durch Netzentgelte und andere geeignete Mechanismen gedeckt.“</em></p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Art. 8 Abs. 1 des NC ER lautet:</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><em>„Die aufgrund von Verpflichtungen aus dieser Verordnung anfallenden Kosten von Netzbetreibern, die einer Netzentgeltregulierung unterliegen, werden von den relevanten Regulierungsbehörden gemäß Artikel 37 der Richtlinie 2009/72/EG geprüft. Kosten, die der Prüfung zufolge angemessen und verhältnismäßig sind und denen eines effizienten Netzbetreibers entsprechen, werden durch Netzentgelte oder andere geeignete Mechanismen gedeckt.“</em></p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Letzterer Vorschrift entsprechen Art. 9 Abs. 1 SO-VO, Art. 9 Abs. 1 NC RfG, Art. 7 Abs. 1 NC HVDC und Art. 8 Abs. 1 NC DCC mit der Maßgabe, dass dort jeweils die Worte „gemäß Artikel 37 der Richtlinie 2009/72/EG“ fehlen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(2)</span></strong> Dem Wortlaut der vorstehend aufgeführten Vorgaben, der sich auf die allgemeine Nennung der bei der Festsetzung der Netzzugangsentgelte zu berücksichtigenden bzw. zu deckenden Kosten beschränkt, lässt sich nicht entnehmen, dass „alle“ bzw. „sämtliche“ der dort in Bezug genommenen Kosten bei der Berechnung der Netzzugangsentgelte zu berücksichtigen sind (in diesem Sinne zu Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) 714/2009 EuGH, Urteil vom 16.07.2020 - C-771/18, juris Rn. 43). Dies gilt umso mehr, als der Verordnungsgeber in Art. 8 EB-VO in anderem Zusammenhang ausdrücklich „alle Kosten“ in Bezug nimmt, wenn er in Abs. 4 anordnet, dass alle Kosten, die den Marktteilnehmern durch die Erfüllung der Anforderungen dieser Verordnung entstehen, von diesen Marktteilnehmern getragen werden (vgl. auch die Differenzierung zwischen „costs“ bzw. „coûts“ in Abs. 1 und Abs. 2 und „all costs“ bzw. „tous les coûts“ in Art. 4 in der englischen bzw. französischen Sprachfassung der EB-VO).</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Hinzu kommt, dass die in den EU-Verordnungen vorgesehene Deckung der Kosten nicht vorbehaltlos angeordnet wird, sondern schon nach dem Wortlaut der Vorgaben Einschränkungen unterliegt, indem die zu deckenden Kosten nur solche sind, die angemessen und verhältnismäßig sind und denen eines effizienten Netzbetreibers entsprechen, was zudem von den zuständigen Regulierungsbehörden zu prüfen ist. In Art. 8 Abs. 1 EB-VO und Art. 8 Abs. 1 NC ER wird sogar eine Prüfung gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG angeordnet und damit der umfangreiche Aufgaben- und Befugniskatalog der nationalen Regulierungsbehörden im Zusammenhang mit der Netzentgeltbildung in Bezug genommen. Zudem erfolgt die Kostendeckung nach Art. 75 Abs. 1 CACM-VO, Art. 58 Abs. 1 FCA-VO und Art. 8 Abs. 2 EB-VO „nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörde“. Wenn dieser keinerlei inhaltlicher Gestaltungsspielraum zukommen würde, was bei einer zwingenden vollumfänglichen Kostenerstattung der Fall wäre, wäre diese Vorgabe obsolet.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund greift der Verweis der Beschwerdeführerin auf das betriebswirtschaftliche Verständnis des Begriffs der Kostendeckung zu kurz. Zwar ist die Vorgabe der „Deckung der einem Bezugsobjekt zugerechneten Kosten durch die durch dieses erwirtschafteten Erlöse“ (so die Definition des Begriffs „Kostendeckung“ in Gabler Wirtschaftslexikon, abrufbar unter htpps://wirtschaftslexikon.gabler.de/defi-nition/kostendeckung-40497, Abruf am 21.07.2022) mit Blick auf die Abbildung der Kosten konkreter als die Vorgabe in Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) 714/2009, wonach Entgelte bestimmte tatsächliche Kosten „widerspiegeln“ müssen (zum weiten Verständnis der bloßen „Kostenreflektion“ Senat, Beschluss vom 16.09.2020 - VI-3 Kart 750/19 [V], EWeRK 2021, 33 Rn. 141). Aber auch die pauschale Anordnung einer Kostendeckung in diesem Sinne trifft keine belastbare Aussage über das „Wie“ der Kostenerstattung, das, wie die aufgezeigten inhaltlichen Einschränkungen nahelegen, Gestaltungsspielräumen der nationalen Regulierungsbehörde unterliegen kann.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(3)</span></strong> Das bereits im Wortlaut angelegte, im Hinblick auf das „Wie“ der Kostendeckung weite Verständnis der Vorgaben in den EU-Verordnungen wird durch systematische Erwägungen bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(a)</span></strong> Wie vom Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden, finden sich in Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG genaue materielle Vorgaben zur Ausgestaltung der Netzzugangs- und Tarifierungsmethoden (Urteil vom 02.09.2021 - C-718/18, juris Rn. 120 ff.). Nach dessen Absatz 1 sind die Fernleitungs- und Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Berechnungsmethoden anhand transparenter Kriterien zu bestimmen. Nach Absatz 6 lit. a) sind diese Tarife und ihre Berechnungsmethoden sowie die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zu bestimmen, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist. Gemäß Absatz 6 lit. b) müssen die Ausgleichsleistungen möglichst wirtschaftlich sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Elektrizität bzw. Gas auszugleichen, sowie auf faire und nicht diskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden. Des Weiteren müssen die nationalen Regulierungsbehörden bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen sicherstellen, dass für die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen (Absatz 8). Außerdem ergibt sich aus Absatz 10, dass solche Tarife und Berechnungsmethoden angemessen sein und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden müssen.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Wie vom Gerichtshof (a.a.O., Rn. 122 f.) weiter entschieden, werden die vorgenannten Kriterien unter anderem durch die Verordnung (EG) 714/2009 konkretisiert, die wiederum durch mehrere Netzkodizes ergänzt wird, die durch Verordnungen der Kommission eingeführt wurden, so dass insgesamt ein detaillierter normativer Rahmen gegeben ist.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Der Gerichtshof geht mithin von einem einheitlichen normativen Rahmen für die Berücksichtigung von Kosten bei der Entgeltberechnung aus mit der Konsequenz, dass die von den nationalen Regulierungsbehörden zu berücksichtigenden Vorgaben in Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG auch im Rahmen der kostenrechtlichen Bestimmungen der Verordnung (EG) 714/2009 und der darauf basierenden EU-Verordnungen als sog. tertiärem Unionsrecht zu berücksichtigen sind. Aus den Vorgaben in Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG folgt aber gerade keine allein kostenorientierte Netzentgeltbildung, sondern eine solche, die auch die weiteren dort genannten Ansätze, insbesondere die Schaffung von angemessenen Anreizen zur Effizienzsteigerung, mitberücksichtigt (EuGH, Urteil vom 16.07.2020 - C-771/18, juris Rn. 48 ff.).</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass die Kostenregelungen in den EU-Verordnungen die Vorgaben der Richtlinie 2009/72/EG als lex specialis außer Kraft setzen sollen, liegen nicht vor. Vielmehr sprechen die bereits in Bezug genommenen inhaltlichen Einschränkungen bei der Anordnung der Kostendeckung gerade dafür, dass die allgemeinen Vorgaben zur Entgeltbildung in Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG auch im Rahmen dieser Vorschriften Beachtung finden sollen. Besonders deutlich wird dies in der Anordnung in Art. 8 Abs. 1 EB-VO und Art. 8 Abs. 1 NC ER, wonach die Kostenprüfung durch die zuständigen Regulierungsbehörden gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG zu erfolgen hat. Des Weiteren stellt die Anordnung der Kostendeckung „nach den Vorgaben der zuständigen Regulierungsbehörden“ in Art. 75 Abs. 1 CACM-VO, Art. 58 Abs. 1 FCA-VO und Art. 8 Abs. 2 EB-VO eine deutliche Bezugnahme auf die diesen zukommenden Aufgaben und Befugnisse und damit ebenfalls auf Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG dar. Auch der in allen Vorgaben zur Kostendeckung enthaltene gesonderte Prüfauftrag an die nationalen Regulierungsbehörden ist in diesem Sinne zu verstehen. Schließlich wird in Erwägungsgrund (6) des NC RfG, Erwägungsgrund (6) des NC HVDC sowie Erwägungsgrund (5) des NC DCC unmissverständlich auf den der nationalen Regulierungsbehörde durch Art. 37 der Richtlinie 2009/72/EG eröffneten Spielraum bei der Methodik der Netzentgeltberechnung Bezug genommen, wenn es jeweils heißt:</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks"><em>„Die Regulierungsbehörden sollten die Kosten, die den Netzbetreibern bei der Anwendung dieser Verordnung tatsächlich entstanden sind, in angemessenem Umfang berücksichtigen, wenn sie gemäß Artikel 37 Absätze 1 und 6 der Richtlinie 2009/72/EG und Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 Übertragungs- oder Verteilernetzentgelte oder die entsprechenden Methoden festlegen oder genehmigen oder die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen genehmigen.“</em></p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Kosten werden danach also gerade nicht zwingend vollständig, sondern „im angemessenen Umfang“ im Rahmen der Kompetenz der Regulierungsbehörden zur Festlegung und Genehmigung von Netzentgelten bzw. entsprechender Methoden nach Art. 37 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2009/72/EG, zu denen u.a. Art. 37 Abs. 8 der Richtlinie 2009/72/EG weitere inhaltliche Vorgaben enthält, berücksichtigt.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Da die Vorgaben zur Kostendeckung in den EU-Verordnungen inhaltlich im Wesentlichen korrespondieren und jeweils das Gebot ihrer Berücksichtigung bei der Entgeltermittlung in Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009 konkretisieren, ist schließlich nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber ihnen jeweils einen unterschiedlichen Regelungsgehalt zumessen wollten, so dass die vorstehenden Erwägungen auch auf die anderen einschlägigen Leitlinien und Kodizes übertragbar sind.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(b)</span></strong> Die Vorgaben in den EU-Verordnungen zur Deckung der aufgrund der Verpflichtungen aus diesen Verordnungen anfallenden Kosten sind bei dem aufgezeigten Verständnis auch nicht obsolet. Ihnen lässt sich nur entnehmen, dass die dort genannten <em>Kategorien</em> von Kosten bei der Berechnung der Netzzugangsentgelte zu berücksichtigen sind, während Kostenkategorien, bezüglich derer die Berücksichtigung bei der Netzentgeltberechnung nicht ausdrücklich angeordnet ist, auch gänzlich unberücksichtigt bleiben können (EuGH, Urteil vom 16.07.2020 - C-771/18, juris Rn. 42 ff., insbesondere Rn. 44, für Kosten, die auf eine Sondersteuer für Übertragungsnetze und eine Abgabe auf Finanztransaktionen entfallen und deren vollständige Nichtberücksichtigung rechtmäßig ist, da sie keine verpflichtend zu berücksichtigenden Kostenkategorien darstellen). Eine Aussage darüber, ob „sämtliche“ dieser Kosten von der nationalen Regulierungsbehörde zu berücksichtigen sind, ist damit nicht verbunden.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(4)</span></strong> Schließlich rechtfertigen auch teleologische Erwägungen nicht die Annahme, die Anordnung der Kostendeckung in den EU-Verordnungen umfasse die Deckung sämtlicher tatsächlich entstandener Kosten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat vielmehr entschieden, dass die in Art. 1 der Verordnung (EG) 714/2009 festgelegten Ziele, nicht diskriminierende Regeln für den Zugang zu Stromübertragungsnetzen festzulegen und das Entstehen reibungslos funktionierender und transparenter Großhandelsmärkte mit einem hohen Maß an Versorgungssicherheit zu erleichtern, auch wirksam erreicht werden, ohne dass Netzzugangsentgelte sämtliche den Netzbetreibern tatsächlich entstandenen Kosten widerspiegeln müssen (EuGH a.a.O., Rn. 45 ff.). Da diese Feststellung auf die übergeordnete Zielsetzung des Elektrizitätsbinnenmarkts zurückgeht und sich zudem nicht auf bestimmte Kostenkategorien beschränkt, ist sie unmittelbar auf die in Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009 bzw. den EU-Verordnungen aufgeführten Kosten übertragbar.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass die in der Richtlinie 2009/72/EG, der Verordnung (EG) 714/2009 und den EU-Verordnungen genannten Ziele nur erreicht werden könnten, wenn die den Marktteilnehmern auferlegten Verpflichtungen ohne finanzielle Schwierigkeiten und Benachteiligungen umgesetzt werden könnten und es zu Fehlanreizen komme, wenn der Übertragungsnetzbetreiber ein (eigenes) Interesse hätte, eine für ihn wirtschaftlich massiv belastende Umsetzung zu vermeiden, ist abermals zu kurz gegriffen. Sie verkennt, dass sich die unionsrechtlich relevanten Ziele gerade nicht darauf beschränken, den Übertragungsnetzbetreibern durch eine Erstattung sämtlicher Ist-Kosten Anreize zu einer bestmöglichen Erfüllung der europäischen Vorgaben zu setzen. Vielmehr zählen auch die Erreichung von Effizienzgewinnen, wettbewerbsfähigen Preise und höheren Dienstleistungsstandards zu den übergeordneten Zielen, an denen sich die Entgeltbildung zu messen hat.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(5)</span></strong> Eine Verfahrensaussetzung zwecks Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union im Hinblick auf die Auslegung von Art. Art. 75 CACM-VO, Art. 58 FCA-VO, Art. 8 EB-VO, Art. 9 SO-VO, Art. 8 NC ER, Art. 9 NC RfG, Art. 7 NC HVDC, und Art. 8 NC DCC ist nicht veranlasst. Die Auslegung der streitgegenständlichen Vorgaben zur Kostendeckung ist unter Berücksichtigung der vorstehend zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs derartig offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 - C-283/81, BeckRS 2004, 72919 Rn. 21; Urteil vom 01.10.2015 - C-452/14, BeckRS 2015, 81221, Rn. 43 - Doc Generici m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">bb)</span></strong> Die Berücksichtigung der Personalkosten für europäische Initiativen bzw. Projekte nach den Vorgaben der Anreizregulierungsverordnung als nationalem Regulierungsrecht allein über das sog. Budgetprinzip in den Erlösobergrenzen (i.E. bereits vorstehend unter 1.a)) steht auch im Übrigen im Einklang mit den Anforderungen, die das europäische Recht an die Kostendeckung stellt.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(1)</span></strong> Die beanstandete Regulierungspraxis genügt schon deshalb dem Gebot einer Berücksichtigung der Kostenkategorie, wie es aus Art. 11 der Verordnung (EG) 714/2009 bzw. den einschlägigen Vorgaben zur Kostenanerkennung in den EU-Verordnungen folgt (vgl. vorstehend unter b) aa) (3) (b)), weil ein beträchtlicher Teil der der Beschwerdeführerin durch die Teilnahme an europäischen Initiativen bzw. Projekten entstehenden Kosten, die keine Personalkosten sind, als verfahrensregulierte Kosten auf Grundlage der FSV KEI zu einer Erlösobergrenzenanpassung führen. So ist ausweislich der von der Bundesnetzagentur im Verhandlungstermin am 22.06.2022 vorgelegten Übersicht „FSV Kosten europäische Initiativen - Projekte (IST-Kosten)“ (Anlage zum Sitzungsprotokoll, Bl. 202 GA) für das Jahr 2017 bei der Beschwerdeführerin ein Betrag in Höhe von … Euro aufgeführt.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(2)</span></strong> Hiervon abgesehen wird auch der Personalaufwand für die Erfüllung von Aufgaben nach den EU-Verordnungen durch das Budgetprinzip grundsätzlich - und dies zeitnah - berücksichtigt.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Dass ein etwaiger Personal<em>mehr</em>aufwand, der gegenüber dem Basisjahr entsteht, in den Erlösobergrenzen der Regulierungsperiode keine Berücksichtigung findet, führt nicht dazu, dass die streitgegenständlichen Personalkosten strukturell gänzlich unberücksichtigt blieben. Eine gewisse Pauschalität liegt in der Natur des über die Erlösobergrenze zur Verfügung gestellten Budgets, das - anders als ein kostenscharfer Ansatz - zu Über- und Unterdeckungen führen kann. So wird auch ein gegenüber dem Basisjahr reduzierter Personalaufwand nicht in den einzelnen Erlösobergrenzen nachgetragen. Das Budgetprinzip kann sich mit Blick auf die Deckung der streitgegenständlichen Personalkosten in den einzelnen Regulierungsperioden für die Netzbetreiber damit grundsätzlich sowohl wirtschaftlich vorteilhaft als auch nachteilig auswirken. So kann jedenfalls in der Gesamtbetrachtung aller beeinflussbaren Kosten wegen gegenläufiger Entwicklungen einzelner Positionen der Höhe nach das zur Verfügung gestellte Budget zur Deckung sämtlicher Ist-Kosten auskömmlich sein.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 75 Abs. 1 CACM-VO und Art. 58 Abs. 1 FCA-VO aufgestellte Gebot einer „zeitnahen“ Kostendeckung wird ebenfalls nicht verletzt, da das durch das Ausgangsniveau determinierte Budget dem Netzbetreiber in den einzelnen Jahren der jeweiligen Regulierungsperiode unmittelbar zur Kostendeckung zur Verfügung steht. Eine strukturelle zeitliche Verzögerung ist damit im Budgetprinzip nicht angelegt.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">(3)</span></strong> Schließlich führt der hier streitgegenständliche Umstand, dass in den Basisjahren der 2. und 3. Regulierungsperiode Personalkosten aus europäischen Initiativen bzw. Projekten nicht (2011) bzw. noch in geringerem Umfang als in den Folgejahren (2016) angefallen und solche Kosten deshalb nicht bzw. nur in geringerem Umfang in den Erlösobergrenzen enthalten sind, nicht zu einem Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Das anreizregulatorische Budgetprinzip dient dem Zweck der Effizienzsteigerung, dem die nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 37 Abs. 8 der Richtlinie 2009/72/EG im Rahmen der Entgeltbildung ausdrücklich verpflichtet sind. Dass es andere unionsrechtliche Vorgaben zur Entgeltbildung verletzen würde, ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert geltend gemacht, dass das in Art. 37 Nr. 6 lit. a) der Richtlinie 2009/72/EG aufgestellte Gebot, die Netzentgelte oder ihre Methoden so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist, im Streitfall verletzt wäre. Mit Blick auf die im angefochtenen Beschluss ausgewiesenen, im Kalenderjahr 2017 erzielbaren Erlöse der Beschwerdeführerin nach § 4 ARegV in Höhe von … Euro und der Berücksichtigung eines beträchtlichen Anteils von Kosten aus der Mitarbeit in europäischen Initiativen als verfahrensregulierte Kosten ist dies vielmehr fernliegend. Wie vom Bundesgerichtshof bereits entscheiden, lassen sich dem europäischen Recht insoweit keine weitergehenden Anforderungen entnehmen als diejenige, dass die Netzbetreiber - bei einer typisierenden Gesamtbetrachtung - ihre Kosten refinanzieren können und das eingesetzte Kapital angemessen verzinst wird (BGH, Beschluss vom 14.07.2015 - EnVR 6/14, RdE 2015, 463 Rn. 37; Beschluss vom 05.05.2020 - EnVR 59/19, juris Rn. 27, wonach kein Anspruch auf eine Ermöglichung oder den Erhalt positiver Sockeleffekte, die bis zum Ende der 2. Regulierungsperiode durch den regulierungsperiodenbezogenen Budgetansatz bei der Finanzierung von Investitionen entstanden ist, über diesen Zeitraum hinaus besteht).</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">III.</span></strong> Es kann dahinstehen, ob der auf Erlass einer Verfahrensregulierung nach § 11 Abs. 3 S. 2, S. 4 ARegV bezüglich der Personalkosten der Beschwerdeführerin aus europäischen Initiativen bzw. Projekten und auf Feststellung dieser Personalkosten ohne Zeitverzug als verfahrensreguliert nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 ARegV gerichtete Hilfsantrag der Beschwerdeführerin zulässig ist, insbesondere ob dem Antragserfordernis als besonderer Sachurteilungsvoraussetzung (vgl. vorstehend unter I.3.) genügt ist. Der Beschwerdeführerin steht aus den bereits dargelegten Gründen ein solcher Anspruch jedenfalls in der Sache nicht zu. Das der Bundesnetzagentur mit Blick auf eine wirksame Verfahrensregulierung zustehende Regulierungsermessen kann schon deshalb nicht auf null reduziert sein, weil die Berücksichtigung sämtlicher Personalkosten aus europäischen Initiativen bzw. Projekten unionsrechtlich nicht vorgegeben und deshalb auch nicht im nationalen Anreizregulierungsrecht durch eine zwingende Einordnung der Kosten als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile i.S.d. § 11 Abs. 2 ARegV sicherzustellen ist. Damit kann auch offenbleiben, ob die FSV KEI eine Sperrwirkung mit Blick auf die hier streitgegenständlichen Personalkosten aus europäischen Initiativen bzw. Projekten entfaltet und ob die weiteren Voraussetzungen für eine wirksame Verfahrensregulierung nach § 11 Abs. 3 S. 2 ARegV vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">IV.</span></strong> Aus den vorstehenden Erwägungen bleibt auch der äußerst hilfsweise gestellte Bescheidungsantrag in der Sache ohne Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">C.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 S. 2 EnWG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet ihre Grundlage in § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">D.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitentscheidende Frage der Auslegung der Vorgaben zur Kostentragung in den EU-Verordnungen erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Anwendung nationalen Regulierungsrechts und damit grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG hat.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§§ 88 Abs. 4 Satz 2, 80 Satz 2 EnWG).</p>
346,307
ovgni-2022-08-10-1-la-11120
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1 LA 111/20
2022-08-10T00:00:00
2022-08-26T10:00:56
2022-10-17T11:09:28
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 19. Mai 2020 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong> I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Kläger wendet sich gegen eine bauordnungsrechtliche Verfügung, mit der ihm die Beklagte aufgegeben hat, das Dach seines Hauses den Vorgaben der örtlichen Bauvorschriften entsprechend zurückzubauen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße (Flurstück D., Flur E. der Gemarkung F.). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 051 „An der Fuhseaue“ der Gemeinde A-Stadt, in Kraft getreten am 12. Februar 2014, der die Voraussetzungen für die Erweiterung der Ortschaft F. im Südwesten am Übergang zur freien Landschaft schuf. Für das Klägergrundstück ist ein allgemeines Wohngebiet mit maximal zwei Vollgeschossen in offener Bauweise festgesetzt, wobei die Höhe der baulichen Anlage 10 m nicht überschreiten darf. Die in den Bebauungsplan aufgenommene örtliche Bauvorschrift enthält in § 3 Vorgaben zu der Gestaltung der Dachformen:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Für die Dächer der Hauptgebäude sind nur Sattel- und Krüppelwalmdächer sowie gegeneinander versetzte Pultdächer zulässig.<br>Ein Satteldach im Sinne dieser Festsetzung ist ein Dach, das aus zwei Dachflächen mit gemeinsamem horizontalen First und senkrechten Giebelflächen gebildet wird.<br>… [Definitionen ‚Krüppelwalm‘ und ‚gegeneinander versetztes Pultdach‘]<br>Für die Dachflächen ist nur eine beidseitig gleiche Dachneigung von 32°-47° zulässig.<br>Hiervon ausgenommen sind Dächer von Garagen und Nebenanlagen. …“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Nach Erwerb des zunächst unbebauten Grundstücks zeigte der Kläger unter dem 30. Januar 2015 die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage an. In der Baubeschreibung wird unter dem Stichpunkt Dach „Mansarddach, Dachneigung 70° und 32°, Pfanneneindeckung lt ÖBV“ angegeben. Im Anschluss entstand entsprechend der Bauvorlagen ein Einfamilienhaus, dessen Dach im oberen Teil Satteldach (Firstrichtung West-Ost, Neigung 32°) ausgebildet ist. Hieran schließt sich der größere Teil der Dachfläche (Neigung 70°) an, der sowohl auf der Nord- als auch auf der Südseite durch ein Zwerchhaus mit Satteldach umgeben von zwei Gauben unterbrochen wird. Der Abschluss des Daches hat eine Neigung von 45°.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die Gemeinde überprüfte das Gebäude im April 2016 und stellte einen Verstoß gegen die örtliche Bauvorschrift fest, gegen den der Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2017 vorging. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, die örtliche Bauvorschrift sei hinreichend begründet und damit wirksam. Das streitgegenständliche Dach widerspreche mit seinem 70° geneigten Teil der örtlichen Bauvorschrift und die Anordnung sei nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere liege kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn sich diese auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens als offen darstellen. Das ist hier nicht der Fall.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die maßgebliche, auf § 84 Abs. 3 NBauO beruhende örtliche Bauvorschrift sei wirksam. Die Gemeinde A-Stadt verfolgt mit der Vorschrift hinreichend bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten (vgl. zu den Anforderungen Senatsurt. v. 18.9.2014 - 1 KN 123/12 -, BauR 2015, 452 = BRS 82 Nr. 21 = juris Rn. 56 m.w.N.). Aus der Begründung, an deren Inhalt keine überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. Wiechert/Lenz, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 84 Rn. 57), ergibt sich in mehr als nur ausreichender Deutlichkeit, dass es der Gemeinde um die Gestaltung des sensiblen Übergangs zwischen dem bebauten Ortsteil und der Fuhseniederung bzw. der freien Landschaft geht. Ausgehend von bereits vorhandenen Gestaltungselementen (geneigte Dächer) soll die örtliche Bauvorschrift durch Vorgaben zur Gestaltung der Dachformen, der Dacheindeckung und der Einfriedungen an diesem Übergang ein „angemessenes Erscheinungsbild“ gewährleisten. In der Gesamtschau der Regelungen und der Begründung geht es neben der eine gewisse Einheitlichkeit voraussetzenden Harmonie der Bebauung auch um die Förderung des gemeindlichen Ziels der Nutzung regenerativer Energien mittels Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen. Der Einwand des Klägers, diese benötigten ohnehin selbstständige Tragkonstruktionen, die ggf. mit der erforderlichen Neigung zur Sonne ausgeführt werden könnten, dürfte jedenfalls für die von ihm u. a. gewählte Dachneigung von 70° nicht zutreffen. Jedenfalls stellen sich andere als die von der Gemeinde vorgegebenen Dachneigungen mit Blick auf die Nutzung erneuerbarer Energien typischerweise als ungünstiger dar; das reicht zur Rechtfertigung einer örtlichen Bauvorschrift für ein Neubaugebiet, in dem Bauplätze in Kenntnis der Vorgaben erworben werden, aus. Auch die Beschränkung auf drei bestimmte Dachformen begegnet vor diesem Hintergrund keinen Bedenken. Diese entsprechen bzw. ähneln den in der Ortschaft F. typischerweise vorhandenen geneigten Dächern. Soweit der Kläger dies bestreitet, liegen die von ihm für vielgestaltige Dachformen angeführten Beispiele ganz überwiegend außerhalb der Ortschaft F. mit Ausnahme des Gebäudes G. Str. 5. Ein einzelnes Gebäude mit abweichender Dachgestaltung vermag die Annahme der Gemeinde, geneigte Dächer seien typisch, indes nicht zu widerlegen, sondern bestätigt sie im Gegenteil. Das gilt auch dann, wenn man die auf den im Internet verfügbaren Luftbildern erkennbaren (wenigen) weiteren Gebäude mit abweichenden Dachformen berücksichtigt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Kläger hat auch nicht aufgezeigt, dass die Rückbauverfügung - entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts - ermessensfehlerhaft ergangen ist. Zwar verläuft die Fuhse westlich des Baugebiets. Dies ändert aber nichts daran, dass sein Grundstück im Süden an die freie Landschaft, die in die Fuhseniederung übergeht, angrenzt. Wie die von der Beklagten eingereichten Fotos zeigen, ist das Dach trotz der Lärmschutzwand sowohl von Süden als auch von Osten deutlich wahrnehmbar. Daher fördert die Rückbauverfügung jedenfalls das Ziel, den Übergang zwischen Bebauung und freier Landschaft harmonisch zu gestalten. Dies stellt der Kläger mit seinem Vortrag, auch auf dem vorhandenen Dach seien in beträchtlichem Umfang Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen technisch möglich, nicht in Frage.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Einschätzung der Nachahmungsgefahr seitens des Beklagten ist nicht ermessensfehlerhaft. Abgesehen davon, dass die von dem Kläger zitierte „Nachahmungsgefahr über das Baugebiet hinaus“ lediglich die sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid gegebene Begründung, die sich eindeutig auf das von der streitgegenständlichen Bauvorschrift umfasste Baugebiet bezieht, ergänzt, hat der Beklagte mit Blick auf für die Dachform ähnliche Vorgaben machende örtliche Bauvorschriften im Gemeindegebiet nachvollziehbar eine insoweit weitergehende negative Vorbildwirkung dargelegt. Wenn der Kläger vorträgt, von ihm beispielhaft genannte „Gebäude neuzeitlicher Bauart“ mit seinem Dach ähnelnden Dachformen belegten, dass die Gemeinde keine einheitliche Gestaltung der Dachformen anstrebe, verkennt er, dass viele der örtlichen Bauvorschriften im Gemeindegebiet neueren Datums sind und daher auf bereits errichtete Gebäude nicht anzuwenden waren. Dies gilt, wie der Antragsgegner dargelegt hat, für die vom Kläger benannten Gebäude, die - sofern sie überhaupt im räumlichen Geltungsbereich einer örtlichen Bauvorschrift liegen - überwiegend von der örtlichen Bauvorschrift „A-Stadt - Alter Ortskern“ (zulässig nur Sattel- und Krüppelwalmdächer mit beidseitig gleicher Neigung zwischen 30°-50°, s. § 2) aus dem Jahr 2010, im Fall der G. Str. 5 von der örtlichen Bauvorschrift „F. - Alte Neubaugebiete“ (zulässig nur Sattel- und Krüppelwalmdächer, gegeneinander versetzte Pultdächer mit beidseitig gleichen Dachneigungen von 30°-50°, s. § 2 (1) Dachformen) aus dem Jahr 2008 erfasst werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Es liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein solcher Verstoß erfordert ungeachtet des Grundsatzes, dass Gleichheit im Unrecht grundsätzlich nicht gewährleistet ist, dass die Bauaufsichtsbehörde bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten systemwidrig ein Vorgehen gegen vergleichbare Verstöße unterlässt (vgl. Senatsbeschl. v. 17.12.2021 - 1 LA 91/20 -, BauR 2022, 459 = NordÖR 2022, 127 = juris Rn. 29 m.w.N.). Davon kann hier keine Rede sein. Selbst wenn man nicht mit dem Verwaltungsgericht annehmen wollte, dass die Flachdachgaube des Gebäudes A-Straße 31 der örtlichen Bauvorschrift (noch) entspricht, unterscheidet sich der hingenommene Verstoß - unterstellt es handelt sich um einen solchen - deutlich von dem hier vorliegenden. Betroffen ist nicht die Grundform des Daches, sondern allenfalls ein Element; der Verstoß wäre mithin weit weniger schwerwiegend.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006863&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,298
ovgsh-2022-08-10-4-mb-2322-4-o-132
{ "id": 1066, "name": "Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgsh", "city": null, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 MB 23/22, 4 O 13/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-25T10:00:29
2022-10-17T11:09:26
Beschluss
ECLI:DE:OVGSH:2022:0810.4MB23.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag auf Beiladung des Migrationsamtes Bremen wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 31. Mai 2022, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt wird, wird zurückgewiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Auf die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz (11 B 1/22) wird dem Antragsteller unter Abänderung des Beschlusses des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 31. Mai 2022 Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwältin ... ..., Bremen, beigeordnet unter den Bedingungen einer in Schleswig-Holstein ansässigen Prozessbevollmächtigten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt">I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Seit dem negativen Abschluss seines in Schleswig-Holstein betriebenen Asylverfahrens im Jahre 2021 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Wegen eines fehlenden Passes erhielt er vom Antragsgegner Duldungen, zunächst ohne Beschäftigungserlaubnis. Nach Vorlage eines unbefristeten Arbeitsvertrages als Küchenchef in einem Schnellrestaurant eines Cousins in Bremerhaven erhielt er für die Zeit vom 1. Juli bis zum 9. August 2021 – mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit – eine Beschäftigungserlaubnis; danach sollte eine erneute Prüfung stattfinden. Eine Verlängerung der Beschäftigungserlaubnis erfolgte nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 24. August 2021 bat der Antragsteller brieflich, die Duldungsbescheinigung an eine Adresse in Bremen zu versenden. Er wolle sich in Bremerhaven anmelden, da er dort mit seiner Freundin zusammenleben wolle. Der Antragsgegner verfuhr entsprechend und übersandte ihm eine bis zum 28. August 2021 befristete Duldung. Spätere Duldungen, nach Aktenlage zuletzt am 8. November 2021, befristet bis zum 18. November 2021, wurden gemäß § 60b AufenthG erteilt; die Bescheinigung wurde dem Antragsteller wieder an die ihm zugewiesene Wohnung im Kreisgebiet des Antragsgegners übersandt. Am 18. November 2021 wurde die Anschrift des Antragstellers von Polizeibeamten aufgesucht. Sie ermittelten, dass der Antragsteller seit ca. 1,5 Jahren nicht mehr in der Wohnung wohne und einen Nachsendeauftrag nach Bremen gestellt habe. Daraufhin hob das Amt Sch... die Einweisungsverfügung für die Wohnung auf und meldete ihn nach unbekannt ab.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 24. November 2021 bat die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers um Übersendung einer Duldungsbescheinigung nach Bremen und monierte, dass der Antragsgegner auf seinen Duldungsantrag nicht reagiere.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Am 4. Januar 2022 hat der Antragsteller beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht um Eilrechtsschutz nachgesucht und beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldungsbescheinigung gem. § 60a AufenthG zu erteilen,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">dem Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Antragsteller in die Türkei abzuschieben sowie</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">dem Antragsteller für das Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwältin zu bewilligen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Im Antrag selbst gab er die im Kreisgebiet des Antragsgegners liegende Wohnadresse an; im PKH-Antrag eine Adresse in Bremen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Durch Beschluss vom 31. Mai 2022 hat das Verwaltungsgericht den PKH-Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht und die beiden Sachanträge als unzulässig abgelehnt. Es bestünden bereits Zweifel daran, dass der Antragsteller eine ladungsfähige Anschrift angegeben und damit den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt habe. Jedenfalls richteten sich die Anträge nicht gegen den richtigen Antragsgegner; dieser sei für den Antragsteller nicht (mehr) zuständig, weil dieser seinen maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt nach Bremen verlegt habe. Die dem entgegenstehende, mit der Duldung des Antragsgegners gemäß § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG verknüpfte Wohnsitzauflage sei erloschen, weil der Antragsteller zumindest im Juli 2021 seinen Lebensunterhalt habe sichern können. Sollte der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aktuell nicht sichern können, würde die Wohnsitzauflage an seinem derzeitigen Wohnort in Bremen wieder aufleben; anderenfalls bleibe es bei der Zuständigkeit Bremens entsprechend § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde des Antragstellers. Er beantragt nunmehr,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">das Migrationsamt Bremen gemäß § 65 Abs. 2 VwGO beizuladen,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldungsbescheinigung mit der Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit gestattet" und ohne Wohnsitzauflage zu erteilen sowie</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">dem Antragsteller ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Ausgangs- und das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die Beschwerde zurückzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt">II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>I. Eine Beiladung des Migrationsamtes Bremen im Beschwerdeverfahren kommt nicht in Betracht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Die vom Antragsteller geltend gemachte notwendige Beiladung setzt nach § 65 Abs. 2 VwGO voraus, dass Dritte an dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist dann der Fall, wenn die von einem Antragsteller begehrte Sachentscheidung des Gerichts nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte oder Rechtsverhältnisse Dritter gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden oder anders gewendet, wenn die Entscheidung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestalten soll, sie aber ohne deren Beteiligung am Verfahren nicht wirksam gestalten kann (BVerwG, Beschl. v. 29.07.2013 - 4 C 1/13 -, juris Rn. 7; VGH München, Beschl. v. 23.06.2015 - 10 C 15.772 -, juris Rn. 24). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zu entscheiden war lediglich, ob der Antragsgegner (noch) für die Erteilung der begehrten Duldungsbescheinigung zuständig ist und der Antragsteller gegen ihn einen Anspruch auf neuerliche Duldungsbescheinigung hat. Diese Entscheidung betrifft nicht unmittelbar konstitutiv und zwangsläufig etwaige Rechte oder Pflichten der Hansestadt Bremen (als angenommenem Wohnort).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Die Beiladung eines Dritten kann ferner dann notwendig sein, wenn das Begehren auf den Erlass eines mehrstufigen Verwaltungsakts gerichtet ist, der also kraft Gesetzes nur mit Zustimmung oder im Einvernehmen eines anderen, insoweit selbständigen Rechtsträgers oder dessen Behörde erlassen werden darf. In diesem Fall wird die Zustimmung oder das Einvernehmen als Bestandteil des streitigen Rechtsverhältnisses im Falle seiner Verweigerung durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ersetzt (BVerwG, Beschl. v. 29.07.2013 - 4 C 1/13 -, juris Rn. 9). Eine derartige Mitwirkung des zuständigen Migrationsamtes in Bremen an der Feststellung eines Abschiebungsverbots und der Ausstellung der begehrten Duldungsbescheinigung (§ 60a Abs. 2 und 4 AufenthG) mit der gesetzlichen Folge einer Wohnsitzauflage im Kreisgebiet des Antragsgegners (§ 61 Abs. 1d Satz 1 und 2 AufenthG) wäre nicht geboten gewesen. Ein Fall des § 72 Abs. 3 AufenthG liegt nicht vor. Diese Vorschrift bezieht sich nicht auf gesetzliche Beschränkungen und gilt im Übrigen nur bei der Änderung oder Aufhebung von Maßnahmen durch eine andere Behörde als derjenigen, die die Maßnahme angeordnet hat (Senat, Beschl. v. 30.07.2020 - 4 MB 23/20 -, juris Rn. 26). Auch die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 LVwG SH (vgl. § 3 Abs. 3 VwVfG) liegen nicht vor. Danach wäre bei sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens ändernden Umständen eine Zustimmung der neu zuständigen Behörde erforderlich, wenn die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen will. Letzteres liegt im Ermessen der bisher zuständigen Behörde und wurde aufseiten des Antragsgegners offenkundig dahingehend betätigt, das Verfahren gerade nicht fortführen zu wollen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ermessensreduzierung auf Null bestehen im Übrigen nicht, wobei eine solche Ermessensreduzierung keineswegs immer schon dann angenommen werden könnte, wenn die ermessenseröffnenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 3 LVwG SH erfüllt wären (Senat, Beschl. v. 26.09.2014 - 4 O 49/14 -,n.v.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Von einer im Ermessen des Senats stehenden einfachen Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO wird in Anbetracht des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums und des nachfolgend unter II. und III. dargestellten Ergebnisses abgesehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31. Mai 2022, mit dem der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt wird, ist zulässig, soweit sich die Ablehnung auf den erstinstanzlich gestellten und im Beschwerdeverfahren weiter verfolgten Antrag bezieht, den Antragsgegner durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG zu erteilen und dem Antragsgegner zu untersagen, den Antragsteller in die Türkei abzuschieben. Insoweit ist die Beschwerde allerdings unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage. Mit der tragenden Erwägung des Beschlusses setzt sich der Antragsteller entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht auseinander.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Ungeachtet der Frage, ob der Antrag nach § 123 VwGO schon deshalb unzulässig ist, weil der Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich auf die Unzuständigkeit des Antragsgegners abgestellt und dies wiederum maßgeblich darauf gestützt, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Bremen verlegt habe. Die entgegenstehende Wohnsitzauflage gemäß § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG sei erloschen, weil der Antragsteller zumindest im Juli 2021 seinen Lebensunterhalt in Bremen habe sichern können. Ob dies aktuell noch der Fall sei, sei unerheblich. Der Antragsteller begründet seine Beschwerde hingegen lediglich damit, dass sein Lebensunterhalt aktuell nicht gesichert sei, weil er derzeit über keine gültige Duldungsbescheinigung verfüge und keine Beschäftigung aufnehmen dürfe, § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Auch liege keine behördliche Erlaubnis der Beschäftigung vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Insofern kann zwar angenommen werden, dass der Antragsteller die verwaltungsgerichtliche Verneinung der Zuständigkeit des Antragsgegners angreifen will. Sein Vorbringen mag auch in der Sache zutreffen; allerdings waren die von ihm aufgeworfenen Fragen aus Sicht des Verwaltungsgerichts unerheblich. Auf den für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen und ausreichenden Umstand, dass der Lebensunterhalt zumindest im Juli 2021 gesichert gewesen sei und dass dies ausreiche, um zu einem Erlöschen der Wohnsitzauflage – gegebenenfalls unter Wiederaufleben in Bremen – zu führen, geht er in der Beschwerdebegründung nicht ein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>III. Unter diesen Umständen kann der Senat offenlassen, ob der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag eine Antragsänderung i.S.d. § 91 Abs. 1 VwGO durch Einführung eines weiteren Streitgegenstands, gerichtet auf die zusätzlich zur Duldungsbescheinigung zu erteilende Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit gestattet" und dies ohne Wohnsitzauflage, darstellt oder ob insoweit nur eine zulässige Erweiterung des Antragsgegenstandes entsprechend § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO gegeben ist. In beiden Fällen bleibt es bei der Unzulässigkeitsentscheidung des Verwaltungsgerichts:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Im erstgenannten Fall wäre die Antragsänderung unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats dient das Beschwerdeverfahren ausschließlich der rechtlichen Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung, so dass für eine Antragsänderung grundsätzlich kein Raum ist. Denn § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO bestimmen, dass die Beschwerdeführenden die Gründe darzulegen haben, aus denen aus ihrer Sicht die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und dass sie sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen müssen. Zudem prüft der Senat nur die dargelegten Gründe (Senat, Beschl. v. 20.05.2022 - 4 MB 16/22 -, juris Rn. 12; Beschl. v. 01.10.2021 - 4 MB 42/21 -, juris Rn. 19; Beschl. v. 11.01.2017 - 4 MB 43/16 -, juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Sollte vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten oder es sich gemäß des zweitgenannten Falles ohnehin nur um eine zulässige Erweiterung des Antragsgegenstandes handeln, bliebe der Antrag aus den gleichen Gründen wie zu II. ohne Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>IV. Aus den Gründen zu II. und III. kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Rechtsmittels (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht in Betracht. Hierüber kann der Senat auch dann entscheiden, wenn – wie hier – das Verwaltungsgericht auf die diesbezügliche Beschwerde entgegen § 148 Abs. 1 VwGO noch nicht über die Abhilfe entschieden hat. Nach der genannten Vorschrift hat das Verwaltungsgericht grundsätzlich vor der Vorlage an das Oberverwaltungsgericht zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob die Beschwerde zulässig und begründet ist. Trotz der fehlenden Abhilfeentscheidung hält der Senat es unter den hier gegebenen Umständen allerdings nicht für sachdienlich, die Sache zunächst an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Möglichkeit einer Zurückverweisung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO in Fällen formell fehlerhafter sowie fehlender Nichtabhilfeentscheidung zwar anerkannt, allerdings wäre eine solche Zurückverweisung nicht zwingend, sondern stünde im Ermessen des Beschwerdegerichts (OVG Greifswald, Beschl. v. 10.11.2010 - 10 O 92/10 -, juris Rn. 9; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.03.2010 - 6 S 2429/09 -, juris Rn. 3; OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.10.2008 - 2 O 196/08 -, juris Rn. 4; OVG Saarlouis, Beschl. v. 28.09.2007 - 1 D 399/07 -, juris Rn. 12 ff.; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 148 Rn. 14; für die Zurückverweisung, wenn über die Abhilfe nicht entschieden wurde: Rudisile in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 148 Rn. 10). Dabei fällt auch ins Gewicht, das es vornehmliche Aufgabe des Beschwerdegerichts ist, über die eingelegte Beschwerde zu befinden (VGH Mannheim, Beschl. v. 30.03.2010 - 6 S 2429/09 -, juris Rn. 3), nicht aber über die Nichtabhilfe (Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 148 Rn. 14).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Eine Beschleunigung des Verfahrens wäre mit einer Zurückverweisung nicht verbunden. Erst mit Begründung der Beschwerde gegen die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes (§ 146 Abs. 4 VwGO) wurde klargestellt, dass sich die Beschwerde auch gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe richtet – mithin zu einem Zeitpunkt, als die Sache dem Senat wegen dieser Beschwerde bereits vorlag und entscheidungsreif war. Ein besonderes Bedürfnis nach Erhaltung der Instanz ist nicht erkennbar, da keine wesentlichen neuen Tatsachen oder Rechtsfragen aufgeworfen worden sind. Schließlich erachtet der Senat als Beschwerdegericht die Beschwerde im Sinne des § 572 Abs. 3 ZPO aus den vorgenannten Erwägungen unter II. und III. nicht für begründet. Die Zurückverweisung wäre bei alledem ein rein formaler Akt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.10.2012 - 19 ZD 10/12 -, juris Rn. 9).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>V. Erfolgreich ist die Beschwerde hingegen in Bezug auf die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Insoweit wäre dem Antragsteller gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen gewesen. Er kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen. Sein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO erschien auch nicht mutwillig und bot hinreichende Aussicht auf Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>1. Für die Beurteilung dieser Fragen stellt der Senat auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bewilligungsreife ab, ungeachtet des Umstandes, dass die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes nach den Ausführungen zu II. erfolglos bleibt und damit feststeht, dass der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine Erfolgsaussichten hatte (so aber OVG Koblenz, Beschl. v. 05.01.2017 - 7 B 11589/16 -, juris Rn. 12 f.). Zwar wird Prozesskostenhilfe nur für eine "beabsichtigte" Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gewährt, weshalb ihre Bewilligung nach rechtskräftigem Abschluss der kostenverursachenden Instanz nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Eine solche Ausnahme ist aber u.a. dann zu machen, wenn das erstinstanzliche Gericht im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes über einen entscheidungsreifen Prozesskostenhilfeantrag nicht vorab, sondern zeitgleich mit der Hauptsache entschieden hat. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes und zur weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten muss auch hier eine auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags zurückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe für die rechtskräftig abgeschlossene Instanz möglich sein. Anderenfalls könnte eine hinreichende Aussicht auf Erfolg nur dann angenommen werden, wenn die Rechtsverfolgung tatsächlich Erfolg hatte, also in einer Konstellation, in der der unbemittelte Rechtsschutzsuchende der Prozesskostenhilfe gar nicht bedarf, weil die unterlegene Gegenseite kostenpflichtig ist (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.02.2020 - 4 B 946/18 -, juris Rn. 12 und v. 17.03.2010 - 5 E 1700/09 -, juris Rn. 3 - 11, m.w.N.; OVG Bremen LS zum Beschl. v. 04.02.1986 - 2 B 139/85 -, juris).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>2. „Hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht dann, wenn die Erfolgschance in der Hauptsache nicht nur eine entfernte ist. Prozesskostenhilfe ist demgegenüber zu verweigern, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Beschl. v. 09.09.2019 - 4 O 25/19 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Daran gemessen bestanden im Ausgangspunkt hinreichende Erfolgsaussichten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>a. Ob der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zulässig war und die Voraussetzungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfüllt waren, der Antragsteller insbesondere an der von ihm angegeben Wohnanschrift für das Gericht tatsächlich erreichbar gewesen wäre, hat das Verwaltungsgericht zwar bezweifelt, aber letztlich offengelassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>b. Darüber hinaus wirft die Frage nach der Zuständigkeit des Antragsgegners und die davon abhängige Frage nach einem Anspruch auf Erteilung einer Duldungsbescheinigung gegenüber dem Antragsgegner komplexe ausländerrechtliche Fragen auf, die nach Auffassung des Senats nicht von vorneherein eindeutig zu beantworten sind. So erscheint es schon nicht selbstverständlich, nach nur einem Monat erlaubter Erwerbstätigkeit für die Zukunft (so BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 20/09 -, juris Rn. 20) eine Sicherung des Lebensunterhaltes i.S.d. § 61 Abs. 1d Satz 1, § 2 Abs. 3 AufenthG zu prognostizieren, wenn diese bei einem geduldeten Ausländer zugleich zu einem Erlöschen der Wohnsitzauflage und zu einer Verschiebung nicht nur der ausländerrechtlichen, sondern auch der sozialrechtlichen Zuständigkeiten führt. Deshalb ist gerade auch bei geduldeten Ausländern maßgeblich auf die Fähigkeit abzustellen, ihren Lebensunterhalt nicht nur vorübergehend zu bestreiten (vgl. Haedicke in: HTK-AuslR, § 61 AufenthG zu Abs. 1d - Wohnsitzauflage -, Stand: 03.11.2020, Rn. 24 f.). Selbst wenn man dies mit dem Verwaltungsgericht für den Antragsteller annehmen wollte, stellte sich die weitere Frage, ob sein gewöhnlicher Aufenthalt nach Wegfall der nur einmonatigen Lebensunterhaltssicherung tatsächlich am Zuzugsort in Bremen oder nicht doch (wieder) an demjenigen Ort im Kreisgebiet des Antragstellers entstanden ist, an dem er zum Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung über seine Duldung gewohnt hat (so vergleichbar z.B. VG Münster, Beschl. v. 09.04.2018 - 8 L 44/18 -, juris Rn. 12-15 m.w.N.; s.a. Gordzielik in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 61 Rn. 20; beide mit Verweis auf § 61 Abs. 1d Satz 2 AufenthG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Bei einer möglichen Zuständigkeit des Antragsgegners kann auch im Übrigen vom Bestehen eines Anordnungsanspruches ausgegangen werden. Dass die Abschiebung des Antragstellers wegen seiner Passlosigkeit tatsächlich unmöglich ist im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG und dass ihm deshalb gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung auszustellen ist, steht außer Streit. Ob die Duldung dann eine solche nach § 60b Abs. 1 AufenthG ist, weil die Abschiebung aus einem der dort genannten speziellen Gründen tatsächlich nicht vollzogen werden kann, kann dahinstehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Zweifel am Bestehen eines Anordnungsgrundes waren ebenfalls nicht angebracht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
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vghbw-2022-08-10-3-s-13822
{ "id": 161, "name": "Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg", "slug": "vghbw", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
3 S 138/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-24T10:01:20
2022-10-17T11:09:26
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p/><p>Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2021 - 9 K 2411/21 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Die sofortige Vollziehung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung des Landratsamts Göppingen vom 5. Mai 2020 wird angeordnet.</p><p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese auf sich behalten.</p><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 35.000 Euro festgesetzt.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:12pt"><tr><td>I.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr vom Landratsamt Göppingen am 5.5.2020 erteilten wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke Flst.-Nrn. ... und ..., ..., in Bad Boll. Die Grundstücke liegen in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet für ein hundertjähriges Hochwasser (HQ 100). Der Hochwasser-Bemessungspegel beträgt 419,70 m üNN.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Am 5.5.2020 erteilte das Landratsamt Göppingen der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit einer offenen Garage im östlichen Bereich des Erdgeschosses, die eine Zufahrt an der Nordseite des Vorhabens und fünf Öffnungen an der Südseite aufweist. Im westlichen Bereich des Erdgeschosses befinden sich geschlossene Nebenräume. Die gesamte Grundfläche des Vorhabens beträgt ca. 289 m². Die Garage hat eine Grundfläche von ca. 172 m², das Nebengebäude von ca. 117 m². Die Höhenlage des Gebäudes (Erdgeschoss-Fußboden-Oberkante) wird in der Baugenehmigung auf 418,50 m üNN festgelegt (Nebenbestimmung Nr. 38). Mit gleichem Bescheid erteilte das Landratsamt eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG. Der Genehmigung waren Nebenbestimmungen zum Hochwasserschutz beigefügt, die mittlerweile neugefasst wurden. Danach sind der Parkbereich und das Umgebungsgelände so auszubilden, dass dort abklingendes Hochwasser vollständig abläuft (Nr. 9), sämtliche Öffnungen der Garage sind dauerhaft offenzuhalten und auf ein Tor im Einfahrtsbereich ist zu verzichten (Nr. 10), im Parkbereich sind dauerhaft Warnschilder anzubringen, die auf die Hochwassergefahr hinweisen (Nr. 11) und der Nebenraum des Parkbereichs ist hochwassersicher auszubilden (Nr. 12). Nach Erteilung der Baugenehmigung wurde der Altbestand abgebrochen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Beigeladenen sind Eigentümer der in nördlicher Richtung an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke Flst.-Nrn. ... und ... .... Ihre Grundstücke befinden sich ebenfalls im festgesetzten Überschwemmungsgebiet. Das Gelände und die südlich des Bauvorhabens verlaufende Straße ... fallen von Ost nach West leicht ab, um westlich und nördlich des Bauvorhabens wieder geringfügig anzusteigen. Das hier maßgebliche Überschwemmungsgebiet wird durch eine Geländemulde gebildet; das Baugrundstück befindet sich etwa in der Mitte dieser Senke. Die tiefsten Punkte des Überschwemmungsgebiets befinden sich mit einer Höhe von ca. 418,10 m üNN nördlich und nordwestlich des Bauvorhabens. Die Wohngebäude der Beigeladenen liegen nach Aktenlage am Rand der Senke auf einer Höhe zwischen. 418,49 m üNN ... bis 419,30 m üNN ...; die tiefergelegenen Gartenbereiche erstrecken sich bis in die Mitte der Senke.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Baurechts- und die Widerspruchsbehörde haben im Verwaltungsverfahren mehrere Stellungnahmen des Planungsbüros Z. und der Umwelt- und Wasserbehörden des Landratsamts Göppingen und des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Hochwasserschutz eingeholt. Das Planungsbüro teilte mit, die Garage solle offen ausgeführt werden und ein Gefälle in westlicher Richtung aufweisen, so dass das Hochwasser ungehindert abfließen könne. Infolge der offenen Garage bringe das Neubauvorhaben letztlich einen Retentionsraumzuwachs im Vergleich zum Altbestand. Die Fachbehörden kamen zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass ein Verlust von Hochwasserrückhalteraum nicht zu befürchten sei, weil das Vorhaben aufgrund der offenen Garage, die im Hochwasserfall geflutet werde, letztlich einen Retentionsraumgewinn im Vergleich zum Altbestand bringe. Eine nachteilige Veränderung des Wasserabflusses und des Wasserstands sei ebenfalls nicht zu befürchten, weil sich das Vorhaben nicht in einem Strömungsbereich, sondern in einer Senke befinde, die sich bei Hochwasser „vergleichbar einer Badewanne“ füllen werde, bis der Überlauf erreicht sei. Bei Hochwasser werde sich im gesamten Überflutungsbereich ein gleiches rechnerisches Höhenniveau der Hochwasserspiegellagen einstellen. Daraus folge, dass keine maßgeblichen Fließgeschwindigkeiten aufträten und das Vorhaben nicht im Strömungsbereich liege. Es sei davon auszugehen, dass das Vorhaben die Hochwasserspiegellagen nicht messbar beeinflussen werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Hiergegen haben die Beigeladenen unter Vorlage einer sachverständigen Stellungnahme eingewandt, die Berechnung des Retentionsraumverlustes sei fehlerhaft. Es werde insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Fußbodenoberkante des Vorhabens über dem natürlichen Geländeverlauf liege und die Garage insoweit keine Kompensationswirkung habe; auch andere bauliche Maßnahmen mit Retentionsraumverlust - wie etwa die Zufahrt - seien nicht berücksichtigt worden. Die Volumenverdrängung durch den Altbestand sei überschätzt worden, zumal dieser ohnehin nicht mehr berücksichtigt werden könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhoben die Beigeladenen sowohl gegen die Baugenehmigung als auch gegen die wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung Klagen beim Verwaltungsgericht Stuttgart, über die soweit ersichtlich noch nicht entschieden ist (2 K 5970/20 und 9 K 2493/21).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Am 6.5.2021 stellte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart den Antrag, die sofortige Vollziehung der ihr vom Landratsamt Göppingen am 5.5.2020 erteilten wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung anzuordnen. Mit der Antragsbegründung legte sie eine geotechnische Stellungnahme des Ingenieurbüros B. vor. Danach habe eine Neuvermessung der Höhenlagen ergeben, dass sich das Vorhaben am tiefsten Punkt einer Mulde befinde; die Grundstücke der Beigeladenen seien höher gelegen. Im Hochwasserfall werde das Wasser zunächst von Süden und Osten kommend der Straße ... folgen und dann durch die Öffnungen der Garage auf das Vorhabengrundstück strömen. Es treffe zu, dass das natürliche Geländeniveau wohl ca. 24 cm unterhalb der für das Bauvorhaben festgesetzten Erdgeschossfußbodenhöhe verlaufe. Es könne daher prognostisch davon ausgegangen werden, dass der Hochwasserspiegel bis zum Erreichen der Fußbodenoberkante des Vorhabens tatsächlich schneller als vorher ansteige, weil das Vorhaben eine größere Grundfläche als der Altbestand habe, dass sich der Wasseranstieg dann aber im Vergleich zum vorherigen Zustand verlangsame, weil zunächst die Garage geflutet werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Der Antragsgegner hat vor dem Verwaltungsgericht ein Anerkenntnis abgegeben und beantragt, dem Antrag stattzugeben. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Beschluss vom 20.12.2021 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt (9 K 2411/21). Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anerkenntnis sei in der vorliegenden dreipoligen Konstellation unzulässig. Die Erfolgsaussicht der Klage der Beigeladenen werde als offen bewertet. Es müsse nicht beantwortet werden, ob das nachbarschützende wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot zu Lasten der Beigeladenen durch den Verlust von Retentionsraum verletzt werde (§ 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a WHG). Denn es sei bereits offen, ob das Vorhaben den Wasserstand und den Wasserabfluss im Sinne d. § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b WHG nachteilig verändere. Eine nachteilige Beeinflussung liege vor, wenn diese im Wege einer tatsachenbasierten Prognose nicht von der Hand zu weisen sei. Hierzu sei keine Berechnung vorgelegt worden, die sämtliche notwendigerweise zu berücksichtigen Umstände miteinbeziehe. Denn es sei bei der Prognose nicht berücksichtigt worden, dass sich im Falle eines HQ 100 in der Garage und auf den drei weiteren genehmigten Stellplätzen parkende Fahrzeuge und andere Gegenstände befinden könnten, die durch eine Volumenverdrängung nachteilige Auswirkungen auf den Wasserstand und den Wasserabfluss haben könnten. Die Nebenbestimmungen stellten keinen geeigneten Ausgleich im Sinne d. § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG dar, denn es sei nicht sichergestellt, dass die Parkflächen im Hochwasserfall zu räumen seien. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass die Garagenöffnungen im Hochwasserfall von den Bewohnern doch durch Sandsäcke verschlossen würden. Die Nebenbestimmungen richteten sich nur an die Grundstückseigentümerin, nicht aber an künftige Wohnungseigentümer und Mieter. Vor diesem Hintergrund komme den Auskünften und Gutachten der zuständigen Wasserbehörden vorliegend kein Beweiswert zu. Da die Volumenverdrängung durch parkende Fahrzeuge nicht berücksichtigt worden sei, seien diese unvollständig. Außerdem stütze sich die Wasserbehörde des Landratsamts lediglich auf einen Fortbildungshinweis zu vereinfachten Annahmen für kleine Bauvorhaben; es sei aber zweifelhaft, ob es sich vorliegend noch um ein kleines Bauvorhaben in diesem Sinne handele. Im Rahmen einer offenen Interessenabwägung stehe das durch Art. 12, 14 GG geschützte Interesse der Antragstellerin, von der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung ohne Verzögerung Gebrauch machen zu können, dem Schutzauftrag für Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 GG gegenüber. Danach überwiege das Interesse der Beigeladenen daran, dass keine - kaum rückgängig zu machenden - vollendeten Tatsachen geschaffen würden gegenüber den durch den Vollzugsaufschub berührten Interessen der Antragstellerin. Ein Ausnahmefall, der die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertige, liege nicht vor. Das öffentliche Interesse an der Schaffung von Wohnraum könne nicht berücksichtigt werden, da es auch im Rahmen des Hauptsacheverfahrens unerheblich sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Gegen diesen ihr am 20.12.2021 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 3.1.2022 beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben. Die Beschwerde wurde mit Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 20.1.2022, eingegangen am selben Tag, begründet. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter, die sofortige Vollziehung der wasserrechtlichen Anordnung gerichtlich anordnen zu lassen. Mit der Beschwerdebegründung hat sie eine Entscheidung des Landratsamts Göppingen vom 20.1.2022 vorgelegt, in der die Nebenbestimmungen zu den erteilten Genehmigungen wie folgt gefasst wurden:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>„1. Die Ziffer 10 der Nebenbestimmungen wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>Die Genehmigungsinhaberin hat während der gesamten Standzeit des Gebäudes und insbesondere im Falle einer amtlichen Warnung der Hochwasservorhersagezentrale Baden-Württemberg sowie im Hochwasserfall sicherzustellen, dass sämtliche Öffnungen der Garage dauerhaft offengehalten werden. Auf ein Tor im Einfahrtsbereich ist zu verzichten.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>Es sind im Parkbereich dauerhaft Schilder mit dem folgenden Verbotstext anzubringen:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>„Achtung Hochwassergefahr! Im Falle einer Hochwasserwarnung und bei Hochwasser sind alle KFZ und sämtliche Gegenstände von den Parkflächen und Stellflächen zu entfernen. Ein Abstellen von KFZ und Gegenständen ist in den vorgenannten Fällen untersagt. Ferner sind sämtliche Öffnungen der Garage jederzeit und dauerhaft offenzuhalten. Das Verschließen der Öffnungen der Garage durch Gegenstände auch während eines Hochwassers ist verboten!“</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>2. Die Ziffer 11 der Nebenbestimmungen wird aufgehoben.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="17"/>3. Folgende Nebenbestimmungen werden erlassen:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="18"/>3.1 Die Genehmigungsinhaberin hat während der gesamten Standzeit des Gebäudes sicherzustellen, dass die Garage und die Stellflächen im Falle einer amtlichen Warnung der Hochwasservorhersagezentrale Baden-Württemberg vor einem Hochwasserereignis und im Hochwasserfall unverzüglich zu räumen und abgelagerte Gegenstände zu entfernen sind. Ein Abstellen von KFZ und Gegenständen ist untersagt. Die Garage und die Stellflächen sind zu sperren.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="19"/>3.2 Im Parkbereich und im Wohnhaus sind an geeigneter, gut einsehbarer Stelle dauerhaft Warnschilder anzubringen, die auf die bestehende Hochwassergefahr hinweisen und eine Pflicht zur Räumung der Garage und der Stellfläche im Falle einer amtlichen Warnung der Hochwasservorhersagezentrale Baden-Württemberg sowie im Hochwasserfall beinhalten, siehe Ziffer Nr. 10.“</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Der Antragsgegner ist der Beschwerde nicht entgegengetreten. Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Landratsamts Göppingen, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart und die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:12pt"><tr><td>II.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Die von ihr im Beschwerdeverfahren fristgemäß dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben Anlass, der Beschwerde stattzugeben und den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Ergibt die Prüfung des Beschwerdegerichts, dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts dessen Entscheidung - hier die Ablehnung des Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehung - nicht rechtfertigt, hat das Beschwerdegericht umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach den allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist (Senatsbeschl. v. 5.3.2014 - 9 S 183/14 -, juris Rn. 6 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.5.2016 - 8 S 703/16 -, juris Rn. 7 ff.; jeweils m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Diese Prüfung führt zu einem von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichenden Ergebnis. Der Senat misst nach Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aussetzungsinteressen der Beteiligten (§§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) dem privaten Interesse der Antragstellerin, von der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung sofort Gebrauch machen zu dürfen, Vorrang vor dem gegenläufigen Interesse der Beigeladenen bei, vorläufig vom Vollzug der angefochtenen Genehmigung verschont zu bleiben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>1. Der Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Nach § 80a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit des für ihn vorteilhaften Verwaltungsakts anordnen, wenn ein Dritter gegen diesen Verwaltungsakt einen Rechtsbehelf eingelegt hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Wie das Verwaltungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, bedurfte es keines vorherigen Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehung bei der Behörde. Gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO gilt § 80 Abs. 5 bis 8 VwGO entsprechend. Aus dieser Verweisung folgt indes nicht, dass der Begünstigte gemäß § 80 Abs. 6 VwGO auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs dieser Vorschrift immer zuvor einen entsprechenden Antrag ohne Erfolg bei der Behörde gestellt haben muss. Die Verweisung erfasst Fälle der vorliegenden Art nicht (vgl. im Einzelnen VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.8.1996 - 8 S 1954/96 -, VBlBW 1997, 17 und juris Rn. 2; Beschl. v. 6.5.2020 - 8 S 455/20 -, juris Rn. 18 f.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Wie das Verwaltungsgericht weiter zutreffend angenommen hat, fehlt der Antragstellerin auch nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Zwar hat der Antragsgegner zu erkennen gegeben, dass er den Antrag der Antragstellerin für begründet hält. Dies könnte dahingehend zu verstehen sein, dass das Landratsamt dem Antrag stattgegeben hätte, wenn die Antragstellerin ihr Begehren zunächst an die Behörde gerichtet hätte. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass der Antragstellerin kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht, weil sie ihr Ziel auch ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe auf einfachere Art hätte durchsetzen können. Denn hierdurch würde die gesetzliche Systematik unterlaufen, wonach der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung auch und erstmals beim Verwaltungsgericht gestellt werden kann und dieses zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ermächtigt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.8.1996 - 8 S 1954/96 -, VBlBW 1997, 17 und juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>2. Der Antrag ist auch begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>a) § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO ermächtigt das Gericht u.a. dazu, anstelle der Behörde (vgl. § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO) auf Antrag des Adressaten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts anzuordnen. Zur Entscheidung über einen solchen Antrag bedarf es - vergleichbar einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO - einer Abwägung der widerstreitenden Interessen. Einen eigenständigen materiell-rechtlichen Maßstab für die Entscheidung des Gerichts im Verfahren auf Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält § 80a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht. Die Entscheidungskriterien ergeben sich vielmehr aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, auf den § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO Bezug nimmt. Soweit ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug nicht erkennbar ist (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 1. Alt. VwGO), kann danach auch in der hier vorliegenden Fallkonstellation des begünstigenden Verwaltungsakts mit drittbelastender Wirkung die sofortige Vollziehung angeordnet werden, wenn das Interesse des Begünstigten an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Belasteten an der aufschiebenden Wirkung überwiegt. In diesem Rahmen kommt es in erster Linie darauf an, ob der die aufschiebende Wirkung auslösende Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird. Dies ist (nur) dann der Fall, wenn die angefochtene Verfügung rechtswidrig ist und die Beigeladenen hierdurch in eigenen, gerade ihrem Schutz dienenden Rechtsnormen verletzt sind. Umgekehrt kann ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Begünstigten grundsätzlich bejaht werden, wenn der eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und eine Fortdauer der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs dem Begünstigten gegenüber unbillig wäre (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.5.2020 - 8 S 455/20 -, juris Rn. 28). Darüber hinaus gehende Rechtsverletzungen verschaffen dem anfechtenden Dritten grundsätzlich keine im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende Rechtsposition, weil ihm kein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch zukommt (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.5.2020 - 8 S 455/20 -, juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31.03.2016 - 8 B 1341/15 -, DVBl 2016, 714 und juris Rn. 49; jeweils m.w.N.). Ist der Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehbarkeit begehrt wird, allerdings objektiv rechtswidrig, ohne zugleich subjektive Rechte des Dritten zu verletzen, darf das dem Gesetzmäßigkeitsprinzip verpflichtete Gericht (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) die beantragte Vollziehbarkeitsanordnung gleichwohl nicht treffen (Puttler in Sodan/Ziekow, NK-Kommentar VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80a Rn. 27 m.w.N.; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 80a Rn. 63; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 80a Rn. 11, 36). Die sofortige Vollziehung kann daher unabhängig von den Erfolgsaussichten des Nachbarrechtsbehelfs nicht gerichtlich angeordnet werden, wenn die erteilte wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Dies gilt insbesondere, wenn durch die Errichtung einer baulichen Anlage eventuell das Hochwasserrisiko steigt. In diesem Fall steht das Wohl der Allgemeinheit der Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegen und es muss bei dem gesetzlichen Regelfall der aufschiebenden Wirkung verbleiben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>b) Nach diesen Maßgaben ist der Antrag begründet. Das Vollzugsinteresse der Antragstellerin überwiegt gegenüber dem Aufschubinteresse der Beigeladenen und dem öffentlichen Interesse an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>aa) Nach § 78 Abs. 4 Satz 1 WHG ist in festgesetzten Überschwemmungsgebieten die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen nach den §§ 30, 33, 34 und 35 des Baugesetzbuches untersagt. Die zuständige Behörde kann gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG abweichend von Absatz 4 Satz 1 die Errichtung oder Erweiterung einer baulichen Anlage im Einzelfall genehmigen, wenn</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="32"/>1. das Vorhaben</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="33"/>a) die Hochwasserrückhaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt und der Verlust von verlorengehendem Rückhalteraum umfang-, funktions- und zeitgleich ausgeglichen wird,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="34"/>b) den Wasserstand und den Abfluss bei Hochwasser nicht nachteilig verändert,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="35"/>c) den bestehenden Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt und</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="36"/>d) hochwasserangepasst ausgeführt wird oder</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="37"/>2. die nachteiligen Auswirkungen durch Nebenbestimmungen ausgeglichen werden können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Nach § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG sind bei der Prüfung der Voraussetzungen des Satzes 1 auch die Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die Neufassung des § 78 WHG vom 18.8.2021 hat am Wortlaut der hier maßgeblichen Bestimmungen nichts geändert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Während früher umstritten war, ob der Vorgängerfassung des § 78 WHG bzw. den Vorgängerregelungen in älteren Gesetzesfassungen des Wasserhaushaltsgesetzes drittschützende Wirkung zugunsten von Grundstücksnachbarn zukam (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.11.2013 - 5 S 2037/13 -, NVwZ-RR 2014, 265 und juris Rn. 6; Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.12.2015 - 8 ZB 14.1471 -, juris Rn. 7), hat der Gesetzgeber über die am 5.1.2018 in Kraft getretene Neuregelung des § 78 WHG und maßgeblich über § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG n.F. klargestellt, dass bei der Prüfung der wasserrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG auch die Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen sind. Vor dem Hintergrund des Wortlauts der Neuregelung in § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG sowie unter Berücksichtigung des in der Begründung zum Gesetzesentwurf eindeutig zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens ist somit geklärt, dass dem hochwasserrechtlichen Bauverbot sowie den Ausnahmegenehmigungsvoraussetzungen eine drittschützende Wirkung zukommt (vgl. zum Ganzen BT-Drs. 18/10879 S. 27 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 6.2.2019 - 15 CS 18.24 -, juris Rn. 59 m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschl. v. 2.8.2018 - 10 K 266/18 -, juris Rn. 34 ff.; Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 78 WHG Rn. 3, 71).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Gleichwohl können sich die Beigeladenen als Nachbarn nicht auf jede objektive Verletzung der hochwasserrechtlichen Vorschriften berufen. Vielmehr können sie sich nur bei einer Verletzung des hochwasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots, welches nunmehr eindeutig in § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG zum Ausdruck kommt, mit Erfolg gegen die wasserrechtliche Zulassung eines Vorhabens wehren. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Belange der Nachbarschaft bezogen auf die bisher umstrittene Frage, ob die hochwasserrechtlichen Regelungen drittschützend sind, verdeutlicht werden, dass diese Frage - jedenfalls unter Geltung der Neuregelung - zu bejahen ist. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass insoweit der auch unter Geltung der früheren Fassung bei Annahme einer drittschützenden Wirkung herangezogene Maßstab, nämlich die Prüfung des hochwasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots, durch die Neufassung der Vorschrift verändert werden sollte (VG Karlsruhe, Beschl. v. 2.8.2018 - 10 K 266/18 -, juris Rn. 34 ff.). Vielmehr kommt es bei einer Drittanfechtungssituation nach wie vor darauf an, ob das hochwasserrechtliche Rücksichtnahmegebot durch die wasserrechtliche Zulassung eines Bauvorhabens verletzt wird. Dies ist dann der Fall, wenn die angegriffene behördliche Maßnahme zu einer von dem betroffenen Dritten nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung führt (vgl. Senatsbeschl. v. 23.9.2014 - 3 S 784/14 -, juris Rn. 42). Dem Betroffenen muss durch den Verstoß gegen die hochwasserrechtlichen Vorschriften ein nicht nur unerheblicher Nachteil drohen bzw. es müsste hierdurch zu einer unzumutbaren Verschärfung der Hochwassergefahren kommen (Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 78 WHG Rn. 4 m.w.N.; Zloch in Berendes/Frenz/Müggenborg, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl., § 78 Rn. 50).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>bb) Danach hat die Klage der Beigeladenen voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Denn bei summarischer Prüfung ist vorliegend bereits in objektiver Hinsicht kein Verstoß gegen die hochwasserrechtlichen Vorschriften feststellbar, jedenfalls fehlt es aber an einer mehr als geringfügigen Beeinträchtigung der Beigeladenen, so dass ein Verstoß gegen das hochwasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme aller Voraussicht nach zu verneinen sein wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>(1) Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist die wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung rechtmäßig. Die Beschwerde hat die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts insoweit durchgreifend in Zweifel gezogen. Die rechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichts dagegen, dass die Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung mit § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b WHG in Einklang steht, greifen nicht (mehr) durch.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>(aa) Die Wasser- und Umweltbehörden des Landratsamts und des Regierungspräsidiums Stuttgart haben zu den hochwasserrechtlichen Fragen der Baurechts- und der Widerspruchsbehörde und den Einwendungen der Beigeladenen im Einzelnen Stellung genommen und sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung vorliegen, weil gegen das Bauvorhaben keine hochwasserrechtlichen Bedenken bestehen. Danach ist weder eine nachteilige Veränderung des Hochwasserstands, des Hochwasserabflusses und der Strömungsgeschwindigkeit oder -richtung zu befürchten noch geht Hochwasserrückhalteraum verloren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Wie das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausgeführt hat, kommt den amtlichen Sachverständigenaussagen der Fachbehörde für wasserwirtschaftliche Fragen im Verwaltungsprozess grundsätzlich ein hoher Erkenntniswert zu (Senatsurt. v. 15.12.2015 - 3 S 2158/14 -, juris Rn. 109 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.5.2011 - 8 ZB 10.2312 -, BayVBl 2012, 47 und juris Rn. 11). Die Stellungnahmen der Fachbehörden des Landratsamts und des Regierungspräsidiums Stuttgart weisen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts weder erkennbare Mängel auf noch gehen sie von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus. Sie enthalten keine unauflösbaren Widersprüche und es bestehen keine Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen. Die Stellungnahmen werden auch durch die von den Beigeladenen erhobenen Einwendungen nicht erschüttert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Die Bedenken des Verwaltungsgerichts, wonach bei den sachverständigen Äußerungen die Volumenverdrängung und die Behinderung des Wasserabflusses durch geparkte Fahrzeuge und sonstige Gegenstände zu Unrecht unberücksichtigt geblieben seien und durch die Nebenbestimmungen Nrn. 10 und 11 nicht sichergestellt sei, dass die offene Garage von den künftigen Wohnungseigentümern und Mietern im Hochwasserfall nicht doch verschlossen werde, teilt der Senat nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Abgesehen von den von der Antragstellerin aufgezeigten praktischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung, welche Volumina bei Kraftfahrzeugen und mobilen Gegenständen bei den gebotenen hydraulischen Berechnungen ggf. angesetzt werden sollten, bestehen auch durchgreifende Zweifel an dem rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts. Denn § 78 WHG bezieht sich nach Wortlaut und gesetzlicher Systematik auf die Errichtung baulicher Anlagen; Regelungsgegenstand sind Baugebiete und einzelne bauliche Anlagen, d.h. Immobilien. Sonstige Schutzvorschriften sind hingegen in § 78a WHG enthalten, insbesondere ist die dauerhafte Lagerung von (mobilen) Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern oder fortgeschwemmt werden können, nach § 78a WHG Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WHG untersagt. Es erscheint daher zweifelhaft, dass bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG eine mögliche Beeinflussung des Hochwassers durch Fahrzeuge und andere mobile Gegenstände zu berücksichtigen ist. Fraglich ist auch, ob die mittlerweile aufgehobene Nebenbestimmung Nr. 11 (vgl. jetzt 3.1 und 3.2 der Entscheidung vom 20.1.2022) zur Aufstellung von Warnhinweisen anhand ihrer Eignung zum Ausgleich nachteiliger Veränderungen im Sinne des § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WHG zu prüfen ist, wie es das Verwaltungsgericht getan hat. Es dürfte sich nach Wortlaut und Sinn und Zweck eher um eine Konkretisierung der allgemeinen hochwasserrechtlichen Verhaltenspflichten im Sinne von § 5 Abs. 2, § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG handeln. Denn der Antragsgegner ist davon ausgegangen, dass bereits keine auszugleichende nachteilige Veränderung des Wasserstands und des Hochwasserabflusses durch das Gebäude eintritt, und hat ersichtlich verhaltensbezogene Pflichten begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die aufgeworfenen Fragen können aber letztlich dahinstehen. Denn die Bedenken des Verwaltungsgerichts dürften durch die Entscheidung des Landratsamts über die Neufassung der entsprechenden Nebenbestimmungen vom 20.1.2022 ausgeräumt sein. Danach sind parkende Fahrzeuge und sonstige Gegenstände im Hochwasserfall zu entfernen; das Verschließen der Garagenöffnungen ist dauerhaft untersagt. Diese Gebote bzw. Verbote sind von der Genehmigungsinhaberin zeitlich unbegrenzt sicherzustellen und durch entsprechende Schilder im Parkbereich auch künftigen Eigentümern, Mietern und Besuchern bekanntzugeben. Damit dürfte hinreichend sichergestellt sein, dass sich Wasserstand und -abfluss im Hochwasserfall nicht infolge einer zusätzlichen Wasserverdrängung durch Kraftfahrzeuge und andere Gegenstände nachteilig verändern, und dass die Öffnungen der Garage auch im Hochwasserfall nicht verschlossen werden. Der Umstand, dass verhaltensbezogene Gebote und Verbote im Gefahrenfall auch missachtet werden können, kann nicht zur Rechtswidrigkeit der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung führen, die - wie ausgeführt - die Errichtung und Nutzung einer baulichen Anlage, mithin die Frage der Zustandsstörung, betrifft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(bb) Die sachverständigen Äußerungen der Fachbehörden werden - ebenso wenig wie das von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten - durch die Einwendungen der Beigeladenen nicht substantiiert in Frage gestellt, zumal sie diese im Beschwerdeverfahren nicht mehr wiederholt haben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Den Beigeladenen ist allerdings zuzugeben, dass unterschiedliche Zahlenangaben etwa zu den Höhenlagen, den Grundflächen des Altbestands und des Neubaus und der Volumenverdrängung vorliegen und verschiedene Umstände wie etwa die Auffüllung des Geländes bis zum Erdgeschossfußboden zunächst nicht berücksichtigt worden sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Die unterschiedlichen Höhenlagen erklären sich nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerin daraus, dass die Höhenangaben in den Bauvorlagen dem Geoportal Baden-Württemberg entnommen wurden, während die Höhenangaben in dem von ihr vorgelegten Gutachten B. auf einer Neuvermessung des konkreten Geländes durch das Vermessungsbüro W. beruhen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Maßgeblich ist aber, dass ein Verlust von Retentionsraum im Vergleich zum Altbestand auch bei Zugrundelegung der von den Beigeladenen für richtig gehalten Maßangaben und Höhenlagen nicht zu besorgen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Das Umweltschutzamt des Landratsamts Göppingen hat seinen Berechnungen eine Differenz zwischen Geländeoberfläche und Hochwasserbemessungspegel von 1,2 m zugrunde gelegt (Geländeoberfläche 418,5 m üNN, Hochwasserbemessungspegel 419,70 m üNN). Davon ausgehend hat es eine für die Wasserverdrängung anrechenbare Kubatur des Altbestands von 275,52 m³ errechnet (Grundfläche des Altbestands von 229,6 m² <Hauptgebäude 212,6 m² + Nebengebäude 17 m²> x 1,2 m). Den Retentionsraumverlust durch das Bauvorhaben berechnet es in seiner im Widerspruchsverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 4.11.2020 zuletzt mit 170,6 m³. Dabei legt es eine Kubatur des geschlossenen Nebengebäudes im Erdgeschoss von 141,24 m³ zugrunde (Grundfläche Nebengebäude 117,7 m² x 1,2 m) und addiert - entsprechend der Anregung der Beigeladenen - die Wasserverdrängung durch die Zufahrtsrampe (3,4 m³), durch die Außenwände der Garage (14,64 m³) sowie durch eine eventuelle Geländeanhebung für die außenliegenden Stellplätze (2,5 m³). Ein Urgeländeniveau sei hingegen nicht mehr feststellbar. Diese Berechnung ergibt einen erheblichen Volumengewinn von ca. 104,92 m³.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Folgt man der Auffassung der Beigeladenen und des Gutachters der Antragstellerin, dass das ursprüngliche Geländeniveau ca. 0,24 m unter der festgelegten Erdgeschossfußbodenkante von 418,5 m üNN liegt, ist beim Altbau ein Wasserverdrängungsvolumen von ca. 55 m³ (229,6 m² x 0,24 m) und beim Neubau ein Volumen von ca. 69,36 m³ (Gesamtfläche Neubau 289 m² x 0,24 m) hinzuzurechnen. Auch danach ergibt sich ein Volumengewinn (Wasserverdrängung Altbau insgesamt ca. 330,5 m³, Neubau insgesamt ca. 240 m³).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Auch wenn man den Vortrag der Beigeladenen als richtig unterstellt, dass der Altbau allenfalls eine Grundfläche von ca. 200 m² gehabt habe, ergibt sich im Vergleich zum Bauvorhaben kein Verlust von Hochwasserrückhalteraum. Denn danach hätte der Altbestand 288 m³ verdrängt (200 m² x 1,44 m), während der Volumenverlust durch das Bauvorhaben ca. 240 m³ beträgt. Danach wirken sich auch die von den Beigeladenen angenommenen Ungereimtheiten und die zunächst nicht berücksichtigten Baumaßnahmen jedenfalls im Ergebnis nicht nachteilig auf das Hochwasserrückhaltevolumen und den damit korrespondierenden Hochwasserstand aus.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Entsprechendes gilt für die Frage der Versickerung. Zwar hat das Neubauvorhaben eine größere Grundfläche als der Altbestand; es führt daher voraussichtlich zu einer größeren Bodenversiegelung. Die Auswirkungen der Bodenversiegelung im Hochwasserfall sind zwischen den Beteiligten umstritten. Während die Behörden davon ausgehen, dass der Boden im Hochwasserfall gesättigt ist und ohnehin keine Versickerung mehr stattfindet, weisen die Beigeladenen in der Sache zutreffend darauf hin, dass die Bauverbote des § 78 WHG auch die Versickerungsfähigkeit des Bodens erhalten sollen. Da sich das Bauvorhaben allerdings im Wesentlichen auf einer bisher schon versiegelten Grundfläche im Siedlungsbereich befindet, dürfte davon auszugehen sein, dass sich die - ohnehin schon eingeschränkte - Versickerungsfähigkeit des Baugrundstücks nicht in einer Weise verschlechtert, die angesichts des erheblichen Retentionsgewinns durch die Offenhaltung der Garage zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Hochwasserrückhaltung führt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Der Einwand der Beigeladenen, der Altbestand könne nicht mehr berücksichtigt werden, greift jedenfalls in dem hier vorliegenden Siedlungsbereich nicht durch. Der Altbestand wurde in zeitlichem und räumlichen Zusammenhang mit dem Neubauvorhaben beseitigt; der bisherige Zeitablauf beruht lediglich darauf, dass die Beigeladenen Rechtsmittel eingelegt haben. Könnte der bisherige hochwasserrechtliche Zustand in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet in einer derartigen Konstellation nicht mehr berücksichtigt werden, käme dies einem Bauverbot auf einem bisher bebauten Grundstück gleich. Dies wäre mit dem Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG und der hierdurch geschützten Baufreiheit nicht vereinbar. Auch für den Fall einer durch Hochwasser zerstörten baulichen Anlage wird im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, dass es die verfassungsrechtlich geschützten Eigentümerinteressen gebieten, für die Frage einer Beeinträchtigung des Hochwasserschutzes nach § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a - c WHG nicht auf den Zustand ohne die bauliche Anlage, sondern auf den Zustand zur Zeit der beseitigten bisherigen baulichen Anlage abzustellen, wenn der Ersatzbau nach Kubatur und Grundriss weitgehend identisch ist. Führt der Ersatzbau hingegen zu einer Erweiterung gegenüber dem Altbestand, so ist diese an den Anforderungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG zu messen (Hornfischer/Reith, VBlBW 2014, 401, 412; Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 78 WHG Rn. 60; Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 11. Aufl., § 78 Rn. 12). Ähnlich liegt es hier. Der größere Neubau ist zwar an den Anforderungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG zu messen; die Frage, ob die Hochwasserrückhaltung beeinträchtigt wird, darf aber durch einen Vergleich mit dem bisherigen Zustand beantwortet werden. Ob Entsprechendes auch gilt, wenn ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen dem Verlust des Altbestands und dem Neubauvorhaben nicht mehr besteht oder wenn sich ein Grundstück in dem von Bebauung grundsätzlich freizuhaltenden Außenbereich befindet, bedarf hier keiner Entscheidung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Der Senat hat auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, die offene Garage wie einen Rückhalteraum zu behandeln, obgleich Hochwasserrückhalteräume nach der Vorstellung des Wasserhaushaltsgesetzes eher natürliche, d.h. unbebaute und unversiegelte Räume sein dürften. Gleichwohl ist aufgrund der festgesetzten Höhenlage des Erdgeschossfußbodens sichergestellt, dass die Garage im Hochwasserfall geflutet wird und damit - einem Hochwasserrückhalteraum im Sinne des Gesetzes vergleichbar - Wasser aufnimmt, bevor der Hochwasserpegel die Grundstücke der Beigeladenen erreicht. Durch die neugefassten Nebenbestimmungen dürfte zudem hinreichend sichergestellt sein, dass die Garage für die Standzeit des Gebäudes weder durch dauerhafte bauliche Maßnahmen noch durch vorübergehende Maßnahmen im Hochwasserfall verschlossen wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Die Bedenken der Beigeladenen im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Strömungsverhaltens und des Hochwasserabflusses erschließen sich dem Senat nicht. Der Annahme, dass sich das Bauvorhaben in einer Senke befindet, die Höhenspiegellagen im Hochwasserfall an allen maßgeblichen Punkten gleich sind und sich daher zunächst weitgehend gleichmäßig die Senke füllen wird, ohne dass eine wesentliche Veränderung des Strömungsverhaltens durch das Bauvorhaben eintritt, sind die Beigeladenen nicht substantiiert entgegengetreten. Weshalb die Verschiebung der hinteren Baugrenze nach Norden die Hochwasserströme beeinflussen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Die Beigeladenen scheinen zu befürchten, dass das Hochwasser von der Nord- und der Westwand des Bauvorhabens aufgehalten und ggf. auf ihre Grundstücke gedrängt wird. Da der Riesbach aber im Osten des Überflutungsbereichs liegt, wird das Hochwasser nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachtens B. zunächst von Osten kommen und dann - der Straße und dem Geländeverlauf folgend - voraussichtlich aus südlicher, südöstlicher oder südwestlicher Richtung auf das Baugrundstück und die Grundstücke der Beigeladenen fließen. Auch die Beigeladenen haben jedenfalls nicht dargetan, dass das Hochwasser aus nördlicher Richtung kommen könnte und das Bauvorhaben deshalb die Strömungsgeschwindigkeit oder die Strömungsrichtung zu ihrem Nachteil verändern könnte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Bauvorhaben, das ungefähr am tiefsten Punkt der Senke liegen dürfte, den Hochwasserabfluss beeinträchtigt. Soweit die Beigeladenen darauf hinweisen, dass in dem hier maßgeblichen Überschwemmungsgebiet der verdolte Griesbach verläuft, haben sie eine nachteilige Veränderung der Hochwasserströme und des Hochwasserabflusses ebenfalls nicht substantiiert dargelegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>cc) Auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG dürften gegeben sein. Durch die Nebenbestimmungen ist sichergestellt, dass der geschlossene Nebenraum zur Garage im Erdgeschoss hochwassersicher ausgebildet wird (vgl. § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) WHG) und dass das Hochwasser im Parkbereich und im Umgebungsgelände vollständig abläuft. Dass bestehende Hochwasserschutzmaßnahmen beeinträchtigt werden (§ 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) WHG), zeigen die Beigeladenen nicht auf. Soweit sie auf die Versiegelung bisheriger öffentlicher Grünflächen verweisen, hat der Antragsgegner vorgetragen, dass der Spielplatz von der Gemeinde als Sandfläche, d.h. grundsätzlich versickerungsfähig, ausgebildet werden soll. Es besteht kein Anlass, hieran zu zweifeln.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>dd) Auch das Erhaltungsgebot des § 77 WHG steht der Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung nicht entgegen. Danach sind Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten (§ 77 Abs. 1 Satz 1 WHG). Frühere Überschwemmungsgebiete, die als Rückhalteflächen geeignet sind, sollen so weit wie möglich wiederhergestellt werden, wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen (§ 77 Abs. 2 WHG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Die Regelung des § 77 WHG ist grundsätzlich nicht drittschützend, so dass die Berufung auf das Erhaltungsgebot der Klage der Beigeladenen nicht zum Erfolg zu verhelfen vermag. Durch einen etwaigen Verstoß gegen § 77 WHG würden die Beigeladenen allenfalls dann in ihren Rechten verletzt, wenn zugleich gegen das wasserrechtliche Rücksichtnahmeverbot verstoßen würde (Senatsbeschl. v. 23.9.2014 - 3 S 784/14 -, juris Rn. 40 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Ungeachtet dessen dürfte die Regelung aber auch tatbestandlich nicht eingreifen. Zum einen hatte der vorliegende Überschwemmungsbereich voraussichtlich keine Funktion als Rückhalteraum im Sinne dieser Vorschrift mehr, weil er vollständig bebaut war. Als Rückhalteflächen in Sinne des § 77 WHG sind alle Räume eines Überschwemmungsgebiets zu bezeichnen, die bei Überschwemmungen aufgrund ihrer topographischen Beschaffenheit Wasser zurückhalten, sammeln oder schadlos abfließen lassen können, unabhängig davon, ob sie durch die natürliche Geländetopographie oder durch bauliche oder sonstige Maßnahmen entstanden sind. Sie sollen dem Hochwasser den nötigen Raum zur Ausbreitung geben, so dass bebaute Flächen von Hochwasser verschont werden. Konkret sind es regelmäßig die tiefer liegenden und deshalb überschwemmbaren Grundstücke, sofern sie frei von Bebauung sind. Daher greift die Regelung des § 77 WHG regelmäßig nicht im unbeplanten Innenbereich, da die definitionsimmanente Bebauung regelmäßig der Eignung als Rückhaltefläche entgegensteht; Rückhalteflächen im Innenbereich sind daher nur in Ausnahmefällen denkbar (vgl. zum Ganzen Hünnekens in Landmann/Rohmer Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, § 77 WHG Rn. 5; Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 77 WHG Rn. 10 m.w.N.; Schmitt in BeckOK Umweltrecht, 62. Ed. 1.10.2020, WHG § 77 Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Da sich der hier maßgebliche Überschwemmungsbereich im unbeplanten Innenbereich befindet und auch bisher schon bebaut war, hatte er keine Funktion als Rückhaltefläche im Sinne des Gesetzes mehr. Er wird zwar bei einem HQ 100 Hochwasser überflutet und gehört damit begrifflich zu den Überschwemmungsgebieten i. S. d. § 76 Abs. 1 WHG. Ihm kommt jedoch gerade nicht die Funktion einer natürlichen Rückhaltefläche zu, auf der sich Hochwasser zum Schutz bebauter Gebiete ungehindert ausbreiten können soll. Es handelt sich vielmehr um ein Gebiet, das zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum seiner Bewohner gerade vor Hochwasser geschützt werden muss (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 10.1.2012 - 4 B 5078/11 -, juris Rn. 46). Unerheblich ist, ob er zu einem früheren Zeitpunkt diese Funktion hatte. Denn systematisch sind Rückhalteflächen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 WHG nur in dieser Funktion noch bestehende Räume; frühere, mittlerweile funktionslos gewordene Rückhalteflächen sind nach dem Maßstab der Wiederherstellungspflicht nach Absatz 2 zu beurteilen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Hinzu kommt, dass bei festgesetzten Überschwemmungsgebieten die Regelung des § 78 WHG lex specialis ist. Ob die Vorschrift des § 77 WHG neben einem Planungsleitsatz auch als projektbezogene Zulässigkeitsregelung fungiert, ob sie also der Verwirklichung eines baulichen Einzelvorhabens entgegensteht, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten (zum Meinungsstand Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 77 WHG Rn. 10 m.w.N), bedarf hier aber keiner Entscheidung. Die Bedeutung der Vorschrift des § 77 WHG liegt darin, dass sie alle - also auch faktische - Überschwemmungsgebiete nach § 76 WHG betrifft. Im Fall eines konkret festgesetzten Überschwemmungsgebiets begründet hingegen bereits § 78 Abs. 4 WHG ein Bauverbot, von dem nur unter den im einzelnen genannten Voraussetzungen des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG eine Ausnahme genehmigt werden kann. Die detaillierten Bestimmungen des § 78 Abs. 4 und 5 WHG schließen einen Rückgriff auf das allgemeine Erhaltungsgebot des § 77 WHG aus, weil dies zu einer Umgehung der gesetzlichen Ausnahmetatbestände führen würde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>(ee) Schließlich sind auch Ermessensfehler nicht ersichtlich. Es spricht vieles dafür, dass die wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung wegen der betroffenen Eigentümerinteressen im Sinne eines sog. intendierten Ermessens zu erteilen ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen (so die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum, vgl. etwa Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl., § 78 Rn. 4; Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG/AbwAG, 56. EL Juli 2021, § 78 WHG Rn. 57 m.w.N.; Zloch in Berendes/Frenz/Müggenborg, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl., § 78 Rn. 30 ff.; jeweils m.w.N.). Dies bedarf hier aber keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist vorliegend nicht ersichtlich, dass der Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung weitere abwägungserhebliche Belange entgegenstehen, denen mit der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen noch nicht Rechnung getragen ist. Denn nach derzeitigem Sach- und Streitstand werden die Hochwassergefahren durch das Bauvorhaben aller Voraussicht nach nicht in unzumutbarer Weise zu Lasten der Beigeladenen oder zu Lasten des Gemeinwohls verschärft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>(2) Stehen die Interessen der Beigeladenen und das öffentliche Interesse an einem wirksamen Hochwasserschutz der Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach alledem nicht entgegen, überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von dieser Genehmigung alsbald Gebrauch machen zu dürfen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Allerdings hat der Gesetzgeber - anders als bei der Erteilung einer Baugenehmigung nach § 212a BauGB - nicht angeordnet, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG kraft Gesetzes entfällt. Gleichwohl ist auch im Rahmen des § 78 Abs. 5 WHG zu berücksichtigen, dass der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG betroffen ist. Denn § 78 Abs. 4 WHG normiert ein Bauverbot für Einzelvorhaben in festgesetzten Überschwemmungsgebieten, von dem nur unter den Voraussetzungen des Absatz 5 abgewichen werden kann. Es handelt sich bei § 78 Abs. 4 und 5 WHG mithin um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Belastungen. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf dabei nicht ausgehöhlt werden. Zu diesem gehört sowohl die Privatnützigkeit als auch die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand (vgl. zur Bauleitplanung BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 -, juris Rn. 13). Die vorläufige Aufrechterhaltung des gesetzlichen Bauverbots begegnet daher nur dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn hochwasserbedingte Gefahren für Leben und Gesundheit, Eigentum oder erhebliche Sachwerte nicht auszuschließen sind. Stehen aber hochwasserrechtliche Bedenken einem Bauvorhaben im konkreten Fall nicht entgegen, erfordern mithin weder das Wohl der Allgemeinheit noch schützenswerte Belange der Nachbarschaft die einstweilige Aufrechterhaltung des Bauverbots, kommt der grundrechtlich garantierten Baufreiheit, der letztlich auch die Erteilung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG dient, ein höheres Gewicht als dem öffentlichen und privaten Aufschubinteresse zu.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Für die Kostentragungspflicht der Hauptbeteiligten knüpft § 154 Abs. 1 VwGO allein an die Tatsache des (materiellen) Unterliegens an. Unerheblich ist, ob sie einen Antrag gestellt haben. Das gilt namentlich für den Antragsgegner. Er kann einer drohenden Kostenlast nicht dadurch entgehen, dass er von einem Abweisungsantrag absieht (Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 154 Rn. 26).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Die Kosten des Verfahrens fallen auch nicht nach § 156 VwGO der Antragstellerin zur Last. Hat der Beklagte durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben, so fallen dem Kläger gemäß § 156 VwGO die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt. Die Anwendbarkeit dieser Regelung im Eilverfahren unterstellt (bejahend Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, VwGO, § 156 Rn. 22 m.w.N.), wäre dafür Voraussetzung, dass das Anerkenntnis wirksam ist und der Antragsgegner durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Stellung des Antrags gegeben sowie den Anspruch sofort anerkannt hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, bestehen Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Anerkenntnisses in der vorliegenden Konstellation eines dreipoligen Rechtsverhältnisses, weil dies zu einer Rechtsschutzverkürzung zu Lasten der Beigeladenen führen würde. Ungeachtet dessen ist Voraussetzung für ein wirksames Anerkenntnis, dass der Streitgegenstand der Disposition der Beteiligten unterliegt (Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 156 Rn. 5). § 80 a Abs. 3 2. Alternative VwGO ermächtigt das Gericht zur Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts. Die Entscheidungsbefugnis darüber, ob die sofortige Vollziehung nach Abwägung aller gegenläufigen Interessen gerichtlich angeordnet wird, steht mithin dem Gericht und nicht der Verwaltungsbehörde zu; eine Dispositionsbefugnis dergestalt, dass das Gericht aufgrund eines Anerkenntnisses zur gerichtlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gleichsam gezwungen werden kann, besteht mithin nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>Darüber hinaus hat der Antragsgegner durchaus Veranlassung zur Stellung des Antrags gegeben, weil das Landratsamt die sofortige Vollziehung der wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO von Amts wegen behördlich angeordnet hat. Der Umstand, dass die Antragstellerin soweit ersichtlich keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat, ist eine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, das - wie oben ausgeführt - vorliegend nicht verneint werden kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>Es entspricht allerdings nicht der Billigkeit, dem Antragsgegner auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese keinen Antrag gestellt haben und damit kein Kostenrisiko eingegangen sind (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG und folgt dem von den Beteiligten nicht beanstandeten Kostenansatz des Verwaltungsgerichts.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table></td></tr></table>
346,255
ovgnrw-2022-08-10-7-b-57222
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 B 572/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-20T10:01:14
2022-10-17T11:09:20
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0810.7B572.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p> <p>Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 € festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 10.12.2021 insoweit stattgegeben, als sich die Klage gegen "die Genehmigung einer Wärmepumpe auf dem Grundstück der Beigeladenen im Abstand von ca. 3 m zur Grundstücksgrenze des Antragstellers auf dem Grundstück der Beigeladenen richtet"; im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde, mit der der Antragsteller im Wesentlichen geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte dem Antrag insgesamt stattgeben müssen, weil die Baugenehmigung nicht teilbar sei, hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Interessenabwägung nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO fällt unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache insgesamt zulasten des Antragstellers aus.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Klage wird in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dabei geht der Senat davon aus, dass eine Wärmepumpe nicht Bestandteil des zur Genehmigung gestellten Vorhabens der Beigeladenen und nicht von der Baugenehmigung vom 10.12.2021 umfasst ist.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach den dem Senat vorliegenden Baugenehmigungsunterlagen kann nicht zugrunde gelegt werden, dass die Errichtung und der Betrieb einer Wärmepumpe auf dem Grundstück der Beigeladenen durch die angegriffene Baugenehmigung vom 10.12.2021 zugelassen worden ist. In dem mit dem Bauantrag eingereichten Amtlichen Lageplan, der durch einen grünen Stempelaufdruck als zur Baugenehmigung gehörend gekennzeichnet worden ist, ist eine Wärmepumpe nicht eingetragen; dem kommt für die Bestimmung des Genehmigungsumfangs besondere Bedeutung zu, weil der Lageplan nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 12 BauPrüfVO die geplanten baulichen Anlagen, also auch die in Rede stehende Wärmepumpe enthalten muss. Soweit eine Wärmepumpe im eingereichten Erdgeschossplan zeichnerisch dargestellt ist, dürfte dies im Hinblick auf den Hinweis unter Nr. 7 des Bauscheins dahin zu verstehen sein, dass es sich lediglich um eine nachrichtliche Darstellung für eine gegebenenfalls geplante Errichtung einer Wärmepumpe handelt; dem steht auch die beiläufige Erwähnung einer Wärmepumpe im eingereichten Brandschutzgutachten nicht entgegen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Danach kommt es hier nicht darauf an, ob eine Wärmepumpe an dem im Erdgeschossplan nachrichtlich eingetragenen Standort im Abstand von 3 m zur Grenze zwischen dem Grundstück des Antragstellers und der Beigeladenen materiell-rechtlich zulässig wäre.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an Wärmepumpen den Leitfaden der Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz für die Verbesserung des Schutzes gegen Lärm bei stationären Geräten (Klimageräte, Kühlgeräte, Lüftungsgeräte, Luft-Wärme-Pumpen und Mini-Blockheizkraftwerke) vom 28.8.2013 in der Fassung vom 24.3.2020.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Aus den vom Verwaltungsgericht im Einzelnen aufgezeigten - mit der Beschwerde nicht hinreichend angegriffenen - Gründen leidet die Baugenehmigung im Übrigen nicht an sonstigen den Antragsteller betreffenden rechtlichen Mängeln; insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das Vorhaben unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten zulasten des Grundstücks des Antragstellers eröffnet. Dies ergibt sich aus der von der Beigeladenen zitierten Senatsrechtsprechung; danach haben es Grundstückseigentümer in bebauten innerstädtischen Wohngebieten grundsätzlich hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des Rahmens baulich genutzt werden, den das Bauplanungsrecht und das Bauordnungsrecht vorgeben, und dass es dadurch auch zu Einsichtnahmemöglichkeiten kommt, die in bebauten Gebieten üblich sind.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.2.2022</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- 7 B 1842/21 -, juris, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens auch insoweit dem Antragsteller auferlegt werden, als es um die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen geht, denn sie hat im Beschwerdeverfahren einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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vg-dusseldorf-2022-08-10-29-l-167722
{ "id": 842, "name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf", "slug": "vg-dusseldorf", "city": 413, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
29 L 1677/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-17T10:00:45
2022-10-17T11:09:13
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0810.29L1677.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 3. August 2022 gestellte Antrag,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2022 anzuordnen,</strong></p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist vor Klageerhebung zulässig; die Klagefrist ist noch nicht abgelaufen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 80 Rn. 129 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Wegen der gesetzlichen Anordnung des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der Fassung vom 18. März 2022 ist der Antrag auch statthaft.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist jedoch unbegründet. Das Gericht macht von der ihm durch § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO eingeräumten Befugnis, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anzuordnen, Gebrauch, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen (vorerst) verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei der Interessenabwägung spielt neben der gesetzgeberischen Grundentscheidung die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes eine wesentliche Rolle. Ergibt diese – im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts grundsätzlich kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt nach der gesetzgeberischen Wertung das behördliche Vollzugsinteresse. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung vorzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Danach fällt die Interessenabwägung hier zu Lasten des Antragstellers aus.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Es spricht nach summarischer Prüfung bereits Überwiegendes dafür, dass die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2022 rechtmäßig ist.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Anordnung der Absonderung des Antragstellers in Quarantäne wegen Kontakts mit einer positiv auf das Affenpockenvirus getesteten Person ist §§ 28 Abs. 1 S. 1, 30 Abs. 1 S. 2 IfSG. Nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Gemäß § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG kann bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen hier nach summarischer Prüfung vor.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Bei den Affenpocken handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die Krankheit wird durch das Affenpockenvirus verursacht, das von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-Affenpocken/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen Ansteckungsverdächtigen im Sinne des § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG. Ansteckungsverdächtiger ist nach § 2 Nr. 7 IfSG eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahme von Krankheitserregern ist anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt mit einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Ob ein Ansteckungsverdacht zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 –, juris, Rn. 31 ff.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Bei einer Affenpocken-Infektion werden dem Robert Koch-Institut (im folgenden RKI) zufolge, der nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 S. 1 IfSG), unter anderem Personen, die im infektiösen Zeitraum ungeschützten direkten Kontakt oder indirekten Hochrisiko-Kontakt mit einem bestätigten Affenpocken-Fall hatten, als „Kontaktperson“ bezeichnet. Ungeschützter direkter Kontakt oder indirekter Hochrisiko-Kontakt wird beschrieben als direkte Exposition nicht-intakter Haut oder von Schleimhäuten gegenüber einem symptomatischen bestätigten Affenpocken-Fall, dessen Körperflüssigkeiten oder möglicherweise infektiösem Material (inklusive Kleidung, Bettzeug). Dies schließt Mitbewohner (dauerhaft oder zeitweise) von Personen mit einer Affenpocken-Diagnose ein, die während der infektiösen Phase des Patienten mindestens eine Nacht in der Wohnung verbracht haben. Sie werden vom RKI als Kontaktpersonen der Expositionskategorie 3 eingestuft.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Kontaktpersonen_PDF.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit Affenpocken infizierte Personen sind vermutlich infektiös ab Beginn der Prodromalphase, also der Vorphase der Krankheit, oder dem ersten Auftreten von Haut- oder Schleimhautläsionen, je nachdem, was früher eintritt. Typische (aber nicht obligate) Symptome in der Prodromalphase sind Fieber, Kopf-, Muskel-, Rückenschmerzen, geschwollene Lymphknoten. Erkrankte gelten als infektiös, bis Schorf und Krusten abheilen/abfallen und keine neuen Läsionen auftreten, jedoch mindestens für 21 Tage.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Kontaktpersonen_PDF.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller ist danach als Kontaktperson der Expositionskategorie 3 einzuordnen. Er bewohnt mit seinem mit Affenpocken infizierten Ehemann die gemeinsame Wohnung. Bei diesem handelt es sich um einen symptomatischen bestätigten Affenpocken-Fall. Bereits am späten Abend des 24. Juli 2022 hatte der Ehemann des Antragstellers aufkommendes Fieber und eine körperliche Abgeschlagenheit festgestellt. Fieber ist ein Symptom in der Prodromalphase der Affenpocken. Aufgrund des vorgenommenen PCR-Tests steht seit dem 26. Juli 2022 fest, dass sich der Ehegatte des Antragstellers mit Affenpocken infiziert hat. Der Antragsteller hat die gemeinsame Wohnung nicht verlassen, so dass eine direkte Exposition gegenüber seinem Ehemann, dessen Körperflüssigkeiten oder möglicherweise infektiösem Material während der infektiösen Phase des Patienten anzunehmen ist. Dass der Ehegatte des Antragstellers noch in der Nacht des 24. Juli 2022 das eheliche Schlafzimmer verlassen und sich in Isolation im Gästezimmer begeben hatte, schließt eine direkte Exposition nicht aus. Ausdrücklich stellt das RKI nur auf eine gemeinsam in der Wohnung verbrachte Nacht ab, nicht jedoch auf ein- und denselben Raum. Zumindest am späten Abend des 24. Juli 2022, als der Ehemann des Antragstellers die ersten Symptome bei sich festgestellt hatte und dementsprechend möglicherweise schon infektiös war, kann der Antragsteller Kontakt mit kontaminierten Körperflüssigkeiten und/oder infektiösen Tröpfchen gehabt haben. Sein Ehemann hat erst in der Nacht des 24. Juli 2022 das gemeinsame Schlafzimmer verlassen. Zudem ist der Antragsteller möglicherweise bereits vor der freiwilligen Isolierung in der gemeinsamen Wohnung infektiösem Material ausgesetzt gewesen, wozu ausdrücklich Bettzeug gehört, aber auch Kleidung, Handtücher oder Gegenstände wie Essgeschirr.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Affenpocken/affenpocken_gesamt.html;jsessionid=F2D63C79C90D2F9E6DFE5BC3CBD771C8.internet052?nn=16732866; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Zutreffend weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller selbst, ebenso wie die behandelnde Ärztin in der Tropenmedizinischen Ambulanz der Universitätsklinik X.   , offensichtlich angenommen hat, einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen zu sein, denn sonst zählte der Antragsteller nicht zu den Personengruppen, für die eine Impfung empfohlen und verabreicht wird. Zu diesen gehören symptomlose Personen nach engem körperlichen Kontakt über nicht intakte Haut oder über Schleimhäute mit einer an Affenpocken erkrankten Person (z.B. sexuelle Kontakte) und bei längerem ungeschützten Face-to-face-Kontakt mit Abstand weniger als 1 Meter (z.B. Haushaltskontakte).</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-Affenpocken/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Da der Antragsteller nach alledem als Ansteckungsverdächtiger nach § 2 Nr. 7 IfSG einzustufen ist, kommt es auf seinen Einwand, er habe derzeit keine Krankheitssymptome, nicht an.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Anordnung einer Absonderung gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 S. 2 IfSG ist der Antragsgegnerin Ermessen eingeräumt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 –, juris Rn. 24.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin ist bei ihrer Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass die häusliche Absonderung geeignet ist, die Verbreitung der übertragbaren Krankheit zu verhindern und zudem das für die betreffende Person mildeste Mittel darstellt, sodass die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Art und Weise der Unterbringung nicht zu beanstanden sein dürfte.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Gleiches dürfte auch für die 21-tägige Dauer der angeordneten häuslichen Absonderung gelten. Es ist aller Voraussicht nach insbesondere ermessensfehlerfrei, wenn die Antragsgegnerin von einer Verkürzung der regelmäßigen Absonderungsdauer aufgrund der Impfung des Antragstellers gegen Affenpocken am 27. Juli 2022 abgesehen hat. Die unzureichende Datenlage zur Wirksamkeit der Impfung gegen Affenpocken einerseits und die bestehende Gefährdung für die Gesundheit vulnerabler Bevölkerungsgruppen bei einer Verbreitung der Affenpocken andererseits dürfte die Ausschöpfung der regelmäßig vorgesehenen Quarantänedauer von 21 Tagen rechtfertigen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Dauer der angeordneten Quarantäne entspricht den Empfehlungen des RKI für das Management von Kontaktpersonen zu einer an Affenpocken erkrankten Person. Für Kontaktpersonen der Expositionskategorie 3 mit ungeschütztem direkten Kontakt oder indirektem Hochrisiko-Kontakt geht das RKI von einem hohen Infektionsrisiko aus. Diese Kontaktpersonen sollen bis 21 Tage nach letztem Kontakt in häuslicher Umgebung abgesondert werden.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Kontaktpersonen_PDF.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der letzte Kontakt des Antragstellers mit seinem Ehemann war am 24. Juli 2022. Die angeordnete Quarantäne endet am 14. August 2022 und beträgt mithin 21 Tage.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ein Einfluss der postexpositionellen Impfung auf die Quarantänezeit ist den Empfehlungen des RKI nicht zu entnehmen. Zwar wird basierend auf Erkenntnissen aus der Pockenimpfära angenommen, dass bis zu vier Tage nach Exposition durch die Impfung eine Infektion wahrscheinlich verhindert werden kann. Ferner ist davon auszugehen, dass ein guter Basisschutz gegenüber Affenpocken bereits ab 14 Tagen nach Verabreichung der ersten Impfstoffdosis besteht.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Affenpocken/FAQ-Liste_Affenpocken_Impfung.html;jsessionid=5504A9CC82EE26B559AA30DA86B7C024.internet102?nn=16732866; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Auch empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) Personen nach Affenpockenexposition eine postexpositionelle Prophylaxe mit dem Impfstoff Imvanex/Jynneos, mit dem der Antragsteller geimpft wurde.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Jedoch kann bei einer Impfung bis zu vier Tage nach Exposition – wie es hier der Fall war – eine Infektion nur „wahrscheinlich“ verhindert werden.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Affenpocken/FAQ-Liste_Affenpocken_Impfung.html;jsessionid=488070E94AAE3CDD8D8F7CAD1629C0DF.internet111?nn=2375548</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Zudem beruht die Vermutung, mithilfe der Impfung könne eine Infektion mit Affenpocken wahrscheinlich verhindert werden, allein auf Erkenntnissen aus der Pockenimpfära. Soweit aus Untersuchungen in Afrika, wo das Affenpockenvirus endemisch vorkommt, bekannt ist, dass herkömmlicher Pockenimpfstoff zum Schutz vor Affenpocken eine Wirksamkeit von mindestens 85 % gegenüber einer Affenpockeninfektion hat,</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-Affenpocken/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">lassen sich diese Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf die Impfstoffe Imvanex/Jynneos übertragen. Denn dieser Impfstoff ist kein herkömmlicher Pockenimpfstoff, sondern ein sogenannter MVA-Impfstoff, der auf einem abgeschwächten Virus, dem modifizierten Vaccinia-Virus Ankara beruht.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-Affenpocken/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Bezüglich der Wirksamkeit dieses Impfstoffs gegen Affenpocken liegen keine öffentlichen Daten vor. Die Schutzwirkung von Imvanex/Jynneos gegen Pocken- und Affenpocken-Infektionen und Erkrankungen wurde nicht untersucht. Es ist möglich, dass nicht bei allen Impflingen eine vollständige protektive Immunantwort hervorgerufen wird.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/arzneimittel/fachinformation-jynneos-imvanex.pdf?__blob=publicationFile&v=9</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus handelt es sich bei Imvanex/Jynneos um Impfstoffe, die ursprünglich zur Anwendung gegen die klassischen Pocken entwickelt wurden. Imvanex wurde dazu im Jahr 2013 in der Europäischen Union für Personen ab 18 Jahren zugelassen. Zur Anwendung gegen Affenpocken ist der Impfstoff in der Europäischen Union im Gegensatz zu den USA hingegen derzeit noch nicht zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-Affenpocken/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage der aktuell vorhandenen Erkenntnisse liegt eine Infektion des Antragstellers mit Affenpocken trotz seiner Impfung danach weiterhin im Bereich des Möglichen und kann erst nach Ablauf der maximalen Inkubationszeit von 21 Tagen sicher ausgeschlossen werden.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Gleichzeitig liegt ein Ausbruchsgeschehen von Affenpocken vor, das seit Mai 2022 viele Länder weltweit, insbesondere Europa, betrifft. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den internationalen Affenpocken-Ausbruch am 23. Juli 2022 zur "Gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite" (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC) erklärt und Empfehlungen zur Eindämmung und Kontrolle des Ausbruchsgeschehens ausgesprochen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.who.int/news/item/23-07-2022-second-meeting-of-the-international-health-regulations-(2005)-(ihr)-emergency-committee-regarding-the-multi-country-outbreak-of-monkeypox</span>.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Mit Stand 9. August 2022 gibt es in Deutschland 2982 bestätigte Fälle von Affenpocken.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Ausbruch-2022-Situation-Deutschland.html</span>.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Das Besondere an den seit Mai 2022 in verschiedenen Ländern außerhalb Afrikas, darunter auch in Deutschland, registrierten Fällen von Affenpocken ist, dass die Betroffenen zuvor nicht – wie sonst bei Erkrankungsfällen in der Vergangenheit – in afrikanische Länder gereist waren, in denen das Virus endemisch ist, und dass viele Übertragungen offenbar im Rahmen von sexuellen Aktivitäten erfolgt sind.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Affenpocken/affenpocken_gesamt.html;jsessionid=F2D63C79C90D2F9E6DFE5BC3CBD771C8.internet052?nn=16732866</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland schätzt das RKI nach derzeitigen Erkenntnissen als gering ein. Dennoch soll eine weitere Verbreitung der Affenpocken nach den Empfehlungen des RKI jetzt so gut wie möglich verhindert werden – einerseits, um Krankheitsfälle und gegebenenfalls auch schwere Verläufe in der aktuellen Situation zu vermeiden, andererseits, um zu verhindern, dass sich Affenpocken als Infektionskrankheit in Deutschland etablieren. Sollte dies passieren, wäre mittelfristig auch mit Fällen in besonders gefährdeten Gruppen zu rechnen. Außerdem besteht immer ein gewisses Risiko, dass sich das Virus verändert und möglicherweise auch krankmachender werden könnte.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Affenpocken/affenpocken_gesamt.html;jsessionid=F2D63C79C90D2F9E6DFE5BC3CBD771C8.internet052?nn=16732866; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Im Gegensatz zu den seit 1980 ausgerotteten Menschenpocken verlaufen Affenpocken in der Regel zwar deutlich milder. Bei einigen Betroffenen können jedoch schwere Verläufe auftreten. Insbesondere Neugeborene, Kinder, Schwangere, alte Menschen und Menschen mit zugrunde liegenden Immunschwächen können schwer an den Affenpocken erkranken. Gesundheitspersonal ist aufgrund der längeren Virusexposition ebenfalls einem höheren Risiko ausgesetzt. Bei einigen Personen können Affenpocken zu medizinischen Komplikationen und sogar zum Tod führen. Zu den Komplikationen schwerer Fälle von Affenpocken gehören Hautinfektionen, Lungenentzündung, Verwirrtheit und Augeninfektionen, die zu Sehverlust führen können.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Affenpocken/affenpocken_gesamt.html;jsessionid=F2D63C79C90D2F9E6DFE5BC3CBD771C8.internet052?nn=16732866</span>; abgerufen am 9. August 2022.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund dürfte die Anordnung einer 21-tägigen Quarantäne des Antragstellers trotz seiner Impfung zur gebotenen Verhinderung der Verbreitung der Affenpocken erforderlich sein.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Aber selbst wenn man den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache als offen ansehen wollte, führt eine allgemeine Interessenabwägung zu einem klaren Überwiegen des öffentlichen Interesses an dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherung des Gesundheitssystems gegenüber dem kurzfristigen Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers auf Freiheit seiner Person gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz. Würde der Vollzug der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 27. Juli 2022 wie beantragt jedenfalls ab dem 10. August 2022 ausgesetzt und erwiese sich diese später als rechtmäßig, so könnten aufgrund der möglichen schweren Verläufe bis hin zu Todesfällen bei einer Infektion mit dem Affenpockenvirus erhebliche und möglicherweise irreversible Gesundheitsschäden jedenfalls bei den vulnerablen Bevölkerungsgruppen eintreten. Erwiese sich die Ordnungsverfügung in der Hauptsache hingegen als rechtswidrig, wäre die Freiheit des Antragstellers zwar kurzfristig eingeschränkt. Der Schutz der menschlichen Gesundheit wäre aber jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutz als höherrangig einzustufen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer sieht von einer Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des in der Hauptsache maßgeblichen Streitwertes entsprechend Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit,</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">NVwZ 2013, Beilage 2/2013,57 ff.,</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">ab, da die angeordnete häusliche Absonderung am 14. August 2022 endet und der Antrag somit inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,208
vg-dusseldorf-2022-08-10-15-l-97722
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15 L 977/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-17T10:00:45
2022-10-17T11:09:13
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0810.15L977.22.00
<h2>Tenor</h2> <ul class="ol"><li><strong>1.</strong><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> </li> </ul> <p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <ul class="ol"><li><strong>2.</strong><p>Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.</p> </li> </ul><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das am 26. April 2022 gestellte vorläufige Rechtsschutzgesuch, über das nach seiner Begründung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) in Gestalt des Antrags zu befinden ist,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 3246/22 gegen den an die Stadt L.       adressierten Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. April 2022 wiederherzustellen, soweit unter Ziffer 1 und Ziffer 2 des Bescheides in den dort bezeichneten Außengrenzen die Bildung des Eigenjagdbezirks M.       C.     durch die im Eigentum der Stadt L.       stehenden Flächen festgestellt ist,</strong></p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">bleibt erfolglos.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin, die nicht Adressatin des beanstandeten Bescheides und damit Dritte im Sinne des § 80 a Abs. 1 ist, ist als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 123 Abs. 5 VwGO i. V. m. den §§ 80 a Abs. 1 und Abs. 5, 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO zulässig.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Insbesondere ist der Wiederherstellungsantrag statthaft, weil die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der angegriffenen Maßnahme angeordnet hat, die angesichts der mit ihr intendierten Feststellungswirkung zum Bestehen und den Grenzen des Eigenjagdbezirks als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG. NRW. qualifizieren ist, der den in § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 VwGO bezeichneten Regelungsgehalt aufweist.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der rechtlichen Einordnung der Feststellungsentscheidung als Verwaltungsakt steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin die Maßnahme in ihrer aus § 46 Abs. 2 des Landesjagdgesetzes Nordrhein-Westfalen (LJG‑NRW) in der zuletzt durch Artikel 36 des Gesetzes vom 1. Februar 2022 (GV. NRW. S.  122) geänderten Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 1994 (GV. NRW. 1995 S. 2, ber. 1997 S. 56) folgenden Eigenschaft als untere Jagdbehörde gegenüber der kreisfreien Stadt L.       und damit gegenüber ihrem eigenen Rechtsträger erlassen hat. Der Feststellungsentscheidung kommt gleichwohl die für ihre Qualifikation als Verwaltungsakt gemäß § 35 S. 1 VwVfG. NRW. erforderliche Außenwirkung zu.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Eine solche Rechtswirkung besitzt eine Regelung, wenn sie ihrem objektiven Sinngehalt nach nicht nur im behördlichen Innenbereich Wirkungen entfalten soll, sondern darauf abzielt, unmittelbar die Rechtsposition von Rechtssubjekten (Personen) in ihrem allgemeinen Status (als Bürger) verbindlich zu gestalten oder festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa Ramsauer in Kopp / Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 20. Auflage 2019, zu § 35 Rdnr. 124.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend entfaltet eine behördliche Maßnahme gegenüber ihrem Rechtsträger etwa dann Außenwirkung, wenn eine vergleichbare Maßnahme auch gegenüber einem Privatrechtssubjekt hätte ergehen können.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Kommentar, 9. Auflage 2018, zu § 35 Rdnr. 190; so implizit auch etwa für die Erteilung einer Baugenehmigung durch die Gemeinde als Baugenehmigungsbehörde an die Gemeinde als Bauherrin: OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 1998, 10 B 946/98, juris Rdnr. 2 f., und Urteil vom 5. Dezember 1997, 7 A 6206/95, juris Rdnr. 24 ff.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Eben dies gilt für die hier strittige Feststellung, dass und in welchen Grenzen der Eigenjagdbezirk besteht. Gemäß § 7 S. 1 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) in der zuletzt durch Artikel 291 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geänderten Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBl. I S. 2849) bilden ‑ unter den in § 7 BJagdG weiter genannten Voraussetzungen ‑ einen Eigenjagdbezirk Flächen, die im Eigentum ein und derselben Person oder Personengemeinschaft stehen. Unerheblich ist dabei, ob sich die Grundflächen im Eigentum eines Privatrechtssubjekts oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts befinden. Hinsichtlich einer Gebietskörperschaft bezieht sich die Feststellungswirkung der hier in Rede stehenden Art ebenso wie bei sonstigen Regelungsadressaten auf deren fiskalische Rechte und Pflichten, die aus ihrer Stellung als Eigentümerin folgen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin, die zeitgleich mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Feststellungsentscheidung der Antragsgegnerin Klage (15 K 3246/22) mit einem Anfechtungsbegehren (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) erhoben hat, ist auch gemäß § 42 Abs. 2 VwGO antrags‑ bzw. klagebefugt, da sich nach ihrem Vorbringen nicht ausschließen lässt, dass die von der Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid getroffene Feststellung Flächen erfasst, die nicht Teil des Eigenjagdbezirks sind, sondern dem gemeinschaftlichen Jagdbezirk (§ 8 BJagdG) der Antragstellerin angehören. Damit besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass die Maßnahme der Antragsgegnerin die Antragstellerin als Dritte rechtswidrig in dem Recht der Jagdausübung (§ 8 Abs. 5 BJagdG) einschränkt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das Jagdausübungsrecht der Jagdgenossenschaft "gleichsam ein Stück abgespaltenen Eigentums der einzelnen Genossen ist, das erst in der Hand der Genossenschaft als Trägerin zu einem Recht erstarkt". Als konkrete subjektive Rechtsposition, die der Jagdgenossenschaft selbst zusteht, genießt das Jagdausübungsrecht damit den Schutz des Art. 14 GG. Die Jagdgenossenschaft kann sich auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. § 7 Abs. 1 LJG-NRW) auf den eigentumsrechtlichen Schutz ihres Jagdausübungsrechts im gemeinschaftlichen Jagdbezirk berufen, weil sie sich insoweit in der gleichen grundrechtstypischen Gefährdungslage befindet wie Grundstückseigentümer, die nach § 7 BJagdG Inhaber von Eigenjagdbezirken sind.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011, 9 B 97/10, juris Rdnr. 5; BGH, Urteil vom 14. Juni 1982, III ZR 175/80, juris Rdnr. 10, und Urteil vom 4. August 2000, III ZR 328/98, juris Rdnr. 10 ff.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Demzufolge sind Jagdgenossenschaften befugt, sich gegen Vorhaben zu wenden, die das Jagdausübungsrecht beeinträchtigen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">So etwa zur Beeinträchtigung durch planfestgestellte Vorhaben: BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011, 9 B 97/10, juris Rdnr. 5.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Das damit zulässige Rechtsschutzgesuch ist aber nicht begründet.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Gemäß den §§ 80 a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1, 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag des Dritten als Ergebnis einer Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, soweit die Behörde nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet hat. Dabei überwiegt das Aussetzungsinteresse des Drittbetroffenen das Interesse des Adressaten und der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Verfügung, wenn entweder der angegriffene Verwaltungsakt wegen der Verletzung drittschützender Regelungen offensichtlich rechtswidrig ist, weil an der sofortigen Vollziehung einer solchen Regelung kein öffentliches Interesse besteht, oder aber wenn die beanstandete Verfügung bei summarischer Prüfung zwar einer auf die Prüfung drittschützender Normen und Rechtsgrundsätze beschränkten Rechtskontrolle Stand hält, gleichwohl aber das Interesse des Verfügungsadressaten und das Allgemeininteresse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes dem Aufschubinteresse des Drittbetroffenen nicht vorgehen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Keine der beiden genannten Voraussetzungen ist hier erfüllt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der in dem angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen ist vielmehr formell und in dem hier zu prüfenden Umfang auch materiell rechtmäßig.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">In formeller Hinsicht genügt die Vollziehungsanordnung insbesondere den aus § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO folgenden Anforderungen an ihre Begründung.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das Begründungserfordernis bezweckt, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes im Bewusstsein des Ausnahmecharakters der den Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 1 VwGO bewirkenden Vollziehungsanordnung anzuhalten sowie dem Betroffenen die Kenntnis der für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe zu vermitteln, um ihm so die Rechtsverteidigung zu ermöglichen. Aus der Begründung muss mithin nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt. Demgemäß genügen pauschale, nichtssagende formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis nicht. Allerdings ist auch keine Begründung erforderlich, die sich ausschließlich auf den konkreten Einzelfall bezieht oder eine gerade einzelfallbezogen gegebene konkrete Gefahr darlegt. Wenn wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Dabei darf sie sich auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen und darauf Bezug nehmen, wenn ‑ wie es etwa unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr der Fall sein kann ‑ die für den Erlass des Verwaltungsaktes maßgeblichen Gründe gleich denen sind, die für die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen etwa: OVG NRW, Beschluss vom 26. Juni 2019, 20 B 822/18, juris Rdnr. 6 ff.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diesen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen genügt die ‑ allerdings knapp gefasste ‑ Begründung, die die Antragsgegnerin ihrer Anordnung der sofortigen Vollziehung beigefügt hat.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zwar legt die Antragsgegnerin dort mit dem Hinweis auf die nachteiligen Folgen, die sie ohne die ordnungsbehördliche Klärung von Bestand und Grenzen des Eigenjagdbezirks für eine geordnete Jagdausübung und die Sicherstellung von Jagdschutz bzw. Hegeverpflichtung erwartet, zunächst nur die Gründe dar, die aus ihrer Sicht den Erlass der Feststellungsentscheidung erforderlich gemacht haben. Ihre nachfolgenden Ausführungen lassen indes das Bewusstsein erkennen, mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung einem Rechtsbehelf gegen ihre Feststellungsentscheidung den gemäß § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 VwGO als Regelfall verbundenen Suspensiveffekt zu nehmen. Danach gilt es der als abzuwendend angeführten unmittelbaren Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die etwa verunglücktes oder verletztes Wild oder eine Wildseuche ohne Vollzug des Jagdschutzes verursacht, auch "... in der Zwischenzeit ... " zu begegnen, und damit in dem Zeitraum, in dem einem Rechtsbehelf der Suspensiveffekt zukommt.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Auch materiell-rechtlich begegnet die Vollziehungsanordnung als Ergebnis der hier auf die Überprüfung drittschützender Rechtspositionen beschränkten Rechtskontrolle keinen rechtlich durchgreifenden Bedenken.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Feststellungsentscheidung der Antragsgegnerin wird nach Aktenlage der Überprüfung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Stand halten. Nach Lage der Akten erweist sie sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung in Reichweite der hier allein mit Blick auf die eigenen Rechte der Antragstellerin veranlassten Rechtskontrolle als rechtmäßig.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der ‑ später noch zu erörternden ‑ Frage, inwieweit die Feststellungsentscheidung geeignet ist, Rechte der Antragstellerin als Dritte zu verletzen, fehlt es der durch die Antragsgegnerin getroffenen Feststellung weder an der erforderlichen Rechtsgrundlage, noch ist die Feststellungsentscheidung nichtig.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedürfen allerdings feststellende Verwaltungsakte jedenfalls dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn ihr Inhalt etwas als rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht rechtens hält. Hierfür ist aber keine explizite gesetzliche Bestimmung erforderlich. Vielmehr genügt eine Rechtsgrundlage, die sich dem materiellen Recht im Wege der Auslegung entnehmen lässt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1991, 1 B 64/91, juris Rdnr. 3, unter Bezugnahme auf das Urteil vom 29. November 1985, 8 C 105/83, juris Rdnr. 12 und 15.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Danach erfordert die Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin getroffenen Feststellungsentscheidung angesichts der Drittbetroffenheit der Antragstellerin eine rechtliche Grundlage,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">wohl a. A., Feststellungsentscheidungen aber für zulässig erachtend: VG Magdeburg, Urteil vom 11. Dezember 2002, 3 A 171/00, juris Rdnr. 19,</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">die das Jagdrecht aber auch bietet.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Im Ergebnis ebenso, aber ohne Begründung: BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1990, 3 C 113.79, juris Rdnr. 26, und Urteil vom 8. März 1990, 3 C 34/87, juris Rdnr. 15, und OVG NRW, Urteil vom 14. November 2002, 20 A 1834/01, juris Rdnr. 36; Drees / Thies / Müller-Schallenberg, Das Jagdrecht in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand 16. Ergänzungslieferung von August 2021 (Drees / Thies / Müller-Schallenberg), zu § 7 BJagdG / § 5 LJG Anm. I; Frank in Schuck, Bundesjagdgesetz, Kommentar, 3. Auflage 2019 (Schuck), zu § 7 Rdnr. 1; Metzger in Lorz / Metzger / Stöckel, Jagdrecht und Fischereirecht, Kommentar, 4. Auflage 2011 (Lorz / Metzger / Stöckel), zu § 7 Rdnr. 1 unter Hinweis auf das § 3 Thüringer Jagdgesetz in Bezug nehmende Urteil des VG Weimar vom 10. Oktober 1994, 8 K 10/94, juris Rdnr. 15; unter Hinweis auf Art. 3 Bayerisches Jagdgesetz auch: Leonhardt, Jagdrecht, Kommentar, Stand August 2021 (Leonhardt), zu § 7 Anm. 1.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Eine gesetzliche Bestimmung, die die behördliche Feststellung des Bestandes und der Grenzen eines Eigenjagdbezirks ausdrücklich vorsieht, enthalten zwar weder das Bundesjagdgesetz noch ‑ insoweit anders als etwa das landeseigene Jagdrecht in Bayern (Artikel 3 Bayerisches Jagdgesetz) oder in Thüringen (§ 3 Thüringer Jagdgesetz) ‑ das nordrhein-westfälische Jagdrecht.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Befugnis zum Erlass einer solchen Feststellungsentscheidung lässt sich indes im Wege der Auslegung § 5 BJagdG und den §§ 3, 5 und 6 LJG‑NRW entnehmen. Danach kann die Jagdbehörde Jagdbezirke durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundflächen abrunden (§§ 5 Abs. 1 BJagdG, 3 Abs. 3 LJG‑NRW); zudem obliegt es ihr, Eigenjagdbezirke unterhalb der Mindestgröße von 75 ha festzustellen (§ 5 Abs. 3 LJG‑NRW) sowie Jagdbezirke zusammenzulegen (§ 6 Abs. 1 und Abs. 2 LJG‑NRW) oder zu teilen (§ 6 Abs. 3 LJG‑NRW). Diese an die Jagdbehörden gerichteten Ermächtigungen umfassen entsprechend ihrem Sinn und Zweck als Minus die Befugnis, im Interesse einer geordneten Jagdpflege und Jagdausübung (§ 1 BJagdG) nicht nur in Vorbereitung der Prüfung und Entscheidung, ob und inwieweit es einer der vorbezeichneten Maßnahmen bedarf, sondern auch bei Unklarheiten über den Verlauf der Grenzen von Eigenjagdbezirken und gemeinschaftlichen Jagdbezirken diese im Streitfall rechtsverbindlich festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die von der Antragsgegnerin als untere Jagdbehörde getroffene Feststellungsentscheidung ist, anders als die Antragstellerin meint, auch nicht deshalb nichtig im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG. NRW., weil sie Flächen betrifft, die im Eigentum der Antragsgegnerin stehen. Dieser Umstand begründet keinen Fehler der Entscheidung und damit erst Recht keinen solchen, der im Sinne der Vorschrift besonders schwer wiegt und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Fehler offenkundig ist. Insbesondere verletzt der von der Antragstellerin gerügte Sachverhalt kein Verfassungsrecht.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Es verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip oder sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze, wenn die Behörde, die über ein Vorhaben entscheidet, und der Adressat des von ihr erlassenen begünstigenden Verwaltungsakts identisch sind.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Zwar mag es, um Interessenkollisionen und jeden Anschein der Befangenheit einer in eigener Sache tätigen Gemeinde zu vermeiden, rechtspolitisch befriedigender sein, wenn in Feststellungsverfahren der hier in Rede stehenden Art eine Jagdbehörde zuständig ist, die nicht der Gebietskörperschaft angehört, die als Eigentümerin von Grundflächen die Rechte aus einer Eigenjagd für sich in Anspruch nimmt. Rechtlich zwingend ist dies aber nicht. Denn auch andernfalls werden Rechte Dritter nicht verkürzt oder gar vereitelt. Verstößt eine jagdrechtliche Feststellungsentscheidung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die jedenfalls auch dem Schutz des Drittbetroffenen zu dienen bestimmt sind, so kann sich der nachteilig Betroffene hiergegen zur Wehr setzen. Der den Umfang des Schutzes bestimmende rechtliche Maßstab bleibt inhaltlich unverändert. Er hängt nicht davon ab, welche Behörde die Feststellungsentscheidung getroffen hat und wer als deren Adressat auftritt. Die Gemeinde hat, auch wenn sie gleichzeitig als untere Jagdbehörde tätig wird und Eigentümerin von betroffenen Grundflächen ist, die vermeintlich oder tatsächlich einen Eigenjagdbezirk bilden, keine Möglichkeit, sich den materiell-rechtlichen Bindungen zu entziehen, denen sie unterliegt. Eine Jagdgenossenschaft kann ihr gegenüber aus der Verfassung den Anspruch ableiten, dass ihre subjektiven Rechte durch die Feststellungsentscheidung gewahrt bleiben. Dagegen gibt das Grundgesetz nicht verbindlich vor, unter welchen verfahrensrechtlichen Modalitäten dies gewährleistet wird.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. hinsichtlich der Befugnis einer Gemeinde in ihrer Funktion als Baugenehmigungsbehörde Genehmigungen für eigene Bauvorhaben zu erteilen: BVerwG, Beschluss vom 17. März 1998, 4 B 25/98, juris Rdnr. 6, und ‑ ebenfalls die baurechtliche Fallgestaltung betreffend ‑ OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 1998, 10 B 946/98, juris Rdnr. 2.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die durch die Antragsgegnerin gemäß den §§ 7 BJagdG, 5 LJG‑NRW getroffene Feststellung, dass der Eigenjagdbezirk M.       C.     in den in dem Bescheid vom 5. April 2022 bezeichneten Grenzen besteht, verletzt nach Lage der Akten Rechte oder Rechtspositionen der Antragstellerin nicht.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BJagdG bilden einen Eigenjagdbezirk zusammenhängende Grundflächen mit einer land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Fläche von 75 Hektar an, die im Eigentum ein und derselben Person oder einer Personengemeinschaft stehen. Da § 7 Abs. 1 S. 1 BJagdG nur eine zusammenhängende Grundfläche "mit" und nicht "von" land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren 75 Hektar fordert, ist auch kein unmittelbarer Zusammenhang der diesbezüglich nutzbaren Grundflächen geboten; vielmehr genügt es, wenn das Grundeigentum insgesamt zusammenhängt und die zu land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftlichen Zwecken nutzbare Mindestfläche enthält.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Leonhardt, a. a. O., Anm. 4.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Das Tatbestandsmerkmal der Nutzbarkeit der Grundflächen für land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftliche Zwecke ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift weit auszulegen.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Befugnis zur Jagdausübung in gemeinschaftlichen Jagdbezirken (§ 8 Abs. 5 BJagdG) und in Eigenjagdbezirken (§ 7 Abs. 4 BJagdG) knüpft an das Recht zur Jagd an, das gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 BJagdG dem Eigentümer auf seinem Grund und Boden zusteht und untrennbar mit dem Grundeigentum verbunden ist (§ 3 Abs. 1 S. 2 BJagdG), und fällt als Nutzungs‑ und Gestaltungsmöglichkeit, die das Grundeigentum einräumt,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2006, 1 BvR 2084/05, juris Rdnr. 8,</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. Mithin zählt auch die Vorschrift des § 7 BJagdG angesichts ihres das Recht zur Jagdausübung regelnden Gehaltes zu den Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG), die die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen müssen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2006, 1 BvR 2084/05, juris Rdnr. 5.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Da ‑ abgesehen von den Fällen, in denen gemäß § 6 Abs. 1 BJagdG die Jagd ruht ‑ die Befugnis zur Jagdausübung nicht dem Eigentümer der Grundfläche zusteht, sondern der Jagdgenossenschaft des gemeinschaftlichen Jagdbezirks (§ 8 Abs. 5 BJagdG), wenn deren Grundflächen die in § 7 BJagdG und dem jagdlichen Landesrecht normierten Voraussetzungen für den Bestand eines Eigenjagdbezirk nicht erfüllen, sind diese unter Berücksichtigung des Allgemeinwohlinteresses an der Wahrnehmung der mit dem Recht zur Jagdrecht gemäß § 1 BJagdG verbundenen Rechte und Pflichten so auszulegen, dass dieses Recht der Jagd möglichst ungeschmälert bei dem Eigentümer verbleibt.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Dieser Auslegungsansatz lag seit jeher der Anwendung der jagdrechtlichen Bestimmungen über den Bestand von Eigenjagdbezirken zu Grunde.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Bereits § 2 Buchst. a. des Jagdpolizeigesetzes vom 7. März 1850,</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">zitiert nach Preußisches OVG, Urteil vom 21. April 1900, Rep. III. A. 16/99, PrOVGE 37, 298 (300),</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">bestimmte, dass der Besitzer zur eigenen Ausübung des Jagdrechts auf seinem Grund und Boden nur auf solchen Besitzungen befugt war, welche in einem oder mehreren aneinander grenzenden Gemeindebezirken einen land- oder forstwirtschaftlich benutzten Flächenraum von wenigstens 300 Morgen einnahmen und in ihrem Zusammenhang durch kein fremdes Grundstück unterbrochen waren. Der Vorgeschichte des Gesetzes war dabei zu entnehmen, dass durch "... die Worte 'land- oder forstwirtschaftlich benutzt' (...)  nur die Bildung eigener Jagdbezirke aus Eisenbahnen, Chausseen, Deichen und dergleichen zur Ausübung der Jagd nicht geeigneten Grundstücken verhindert werden ..." sollte.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Preußisches OVG, Urteil vom 21. April 1900, Rep. III. A. 16/99, PrOVGE 37, 298 (302).</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Dabei hat der "... Gedanke, andere Grundstücke, bei denen ein solches Bedenken nicht zutrifft, für ungeeignet zu einem eigenen Jagdbezirke bloß deshalb zu erklären, weil sie zu einer anderen wirtschaftlichen Nutzung oder zu einem eine besondere Benutzungsart bedingenden öffentlichen Zwecke bestimmt sind, oder weil auf ihnen die land- und forstwirtschaftliche Nutzung im Sinne der Gewinnung der Früchte ruht, völlig ferngelegen ...".</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Preußisches OVG, Urteil vom 19. Dezember 1901, Rep. III. B. 93/01, PrOVGE 40, 319 (322) zu einem Truppenübungs‑ und Schießplatz als Eigenjagdbezirk (bejaht).</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Hiermit übereinstimmend und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte des § 7 BJagdG ist heute nach dem Wortlaut der Norm für den kraft Gesetzes existierenden Eigenjagdbezirk nicht erforderlich, dass die im Zusammenhang stehenden Grundflächen auch zu land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftlichen Zwecken tatsächlich genutzt werden. Die genügende Nutzbarkeit ist nur ausgeschlossen, wenn und soweit die Grundflächen zu einem Zweck tatsächlich genutzt werden, der es auf Dauer ausschließt, sie für land‑, forst‑ oder fischereiwirtschaftliche Zwecke (nutzbar zu machen und) zu nutzen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Juli 2011, 4 LA 138/10, juris Rdnr. 6; OVG Sachsen Anhalt, Urteil vom 26. Juni 1997, A 1 S 121/96, juris Rdnr. 23; Drees / Thies / Müller-Schallenberg, a. a. O., zu § 7 BJagdG / § 5 LJG Anm. I; Frank in Schuck, a. a. O., zu § 7 Rdnr. 10; Metzger in Lorz / Metzger / Stöckel, a. a. O., zu § 7 Rdnr. 3; Leonhardt, a. a. O., Anm. 4.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Während in diesem Sinne landwirtschaftlich nutzbar eine Fläche ist, die die unmittelbare Nutzung des Bodenertrags erlaubt, und die forstwirtschaftliche Nutzung einer Fläche eine auf den Holzertrag gerichtete planmäßige Bewirtschaftung und Pflege des Waldes verlangt, setzt die fischereiwirtschaftliche Nutzbarkeit die wirtschaftliche Nutzung von Wildfischbeständen in Seen und Flüssen (Binnenfischerei) sowie die Zucht und Haltung von Speise- und Besatzfischen in Teichen (Teichwirtschaft) voraus.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. Leonhardt, a. a. O., Anm. 4.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Schließlich bietet § 7 Abs. 1 S. 1 BJagdG keinen Ansatz, über seinen Wortlaut hinaus die jagdliche Nutzbarkeit für die als zu einem Eigenjagdbezirk zugehörig in Betracht kommenden Grundflächen zu fordern.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2003, 20 A 2106/02, juris Rdnr. 4; Drees / Thies / Müller-Schallenberg, a. a. O., zu § 7 BJagdG / § 5 LJG Anm. I; Frank in Schuck, a. a. O., zu § 7 Rdnr. 10.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Auf Verstöße gegenüber der behördlichen Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 7 BJagdG, 5 LJG‑NRW kann sich eine Jagdgenossenschaft als Dritte berufen, wenn und soweit aus ihrem Nichtvorliegen folgt, dass Grundflächen nicht dem in Rede stehenden Eigenjagdbezirk angehören, sondern ‑ was hier allein von Interesse ist ‑ gemäß § 8 Abs. 1 BJagdG einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk, in dem der Jagdgenossenschaft nach § 8 Abs. 5 BJagdG die Ausübung des Jagdrechts zusteht. Zum Kreis der durch den Tatbestand der §§ 7 BJagdG, 5 LJG‑NRW geschützten Dritten zählt eine Jagdgenossenschaft mithin nur dann, wenn die Grundflächen, deren Zuordnung zum Eigenjagdbezirk strittig ist, ihrem gemeinschaftlichen Jagdbezirk angehören, sollten diese Grundflächen nicht Bestandteil des Eigenjagdbezirks sein.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Danach bleiben die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Feststellungsentscheidung sämtlich erfolglos.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Nach den von der Antragstellerin nicht substantiiert beanstandeten und in dem angegriffenen Bescheid nebst Anlagen dokumentierten Feststellungen der Antragsgegnerin umfassen die von ihr dem Eigenjagdbezirk M.       C.     zugeordneten Grundflächen 227,7 ha, von denen 172,08 ha zusammenhängend in ihrem Eigentum stehen und land‑ bzw. forstwirtschaftlich nutzbar sind.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Anders als die Antragstellerin meint, ergeben sich zu ihren Gunsten keine rechtlich durchgreifenden Bedenken gegen die Feststellungsentscheidung aus dem Umstand, dass die von der Antragsgegnerin festgestellte Grenze des Eigenjagdbezirks im südöstlichen Bereich auch ‑ in der dem Feststellungsbescheid beigefügten Karte grün markierte ‑ Flurstücke einschließt, die nicht im Eigentum der Antragsgegnerin stehen.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Offen bleiben kann, ob ‑ und gegebenenfalls welche ‑ Flächen dieser Flurstücke, die, soweit ihre Flurstücksgrenzen nach dem Grenzverlauf, der in der dem Bescheid beigefügten Arbeitskarte eingezeichnet ist, zugleich die östliche Grenze des Eigenjagdbezirks bilden, nach der tenorierten Feststellung der Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid ‑ wie die Antragstellerin rügt ‑ ohne durchgeführtes Abrundungsverfahren dem Eigenjagdbezirk M.       C.     zugeordnet sind. Nicht gänzlich widerspruchsfrei sind allerdings jedenfalls Tenor und Begründung des angegriffenen Bescheides, wenn ersterer einerseits durch die in Bezug genommene Jagdbezirkskarte mittels einer roten Linie eine Außengrenze des Eigenjagdbezirks festgestellt, welche die Fremdflächen einschließt, und es andererseits nach seiner Begründung hinsichtlich der ‑ dort als jagdbezirksfrei bezeichneten ‑ Fremdflächen einer im Rahmen eines bereits eingeleiteten Verwaltungsverfahrens noch zu erlassenden Abrundungsentscheidung gemäß den §§ 5 Abs. 1 BJagdG, 3 Abs. 3 LJG‑NRW bedarf. Rechtlich zu vertiefen ist dieser Umstand hier indes nicht, da ein dem Feststellungsbescheid insoweit etwa anhaftender Rechtsmangel ungeeignet ist, die Antragstellerin in eigenen Rechten zu verletzen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Nach dem Vortrag der Antragstellerin spricht nichts ernstlich dafür, dass eines der in der Feststellungsentscheidung als Fremdflächen erfassten Flurstücke ‑ auch unter Berücksichtigung der Regelungen der §§ 5 Abs. 2 BJagdG, 3 Abs. 1 LJG‑NRW ‑ eine jagdrechtlich räumlich beachtliche Verbindung zum Jagdbezirk der Antragstellerin aufweist.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Da die südöstliche Grenze des in dem angegriffenen Bescheid festgestellten Eigenjagdbezirks zugleich die Gemeindegrenze bildet, gehören die in dieser Richtung jenseits der Grenzflurstücke in Meerbusch gelegenen Grundflächen nicht demjenigen Gemeindegebiet an, dessen Flächen gemäß § 8 Abs. 1 BJagdG allein den gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Antragstellerin bilden können. Die Fremdflächen bilden zudem schon angesichts ihrer Größe auch keinen weiteren gemeinschaftlichen Jagdbezirk.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Auch kommen die als "Wurmfortsatz" weiter bezeichneten Flächen im Norden und Nordwesten des festgestellten Eigenjagdbezirks angesichts ihres Zuschnitts nicht als Flächen in Betracht, die geeignet sind, den Zusammenhang eines Jagdbezirks nicht zu unterbrechen (§ 5 Abs. 2 Alt. 2 BJagdG) oder den Zusammenhang von Flächen zur Bildung des Jagdbezirks (der Antragstellerin) herzustellen (§§ 5 Abs. 2 Alt. 3, 3 Abs. 1 LJG‑NRW).</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin durch die Bezeichnung von Teilflächen als "Wurmfortsatz" möglicherweise geltend machen will, sie ließen sich nicht dem Eigenjagdbezirk zuordnen, weil ihnen wegen ihres Zuschnitts die Eignung zur Jagd fehle, verhilft auch ein solcher Einwand dem Rechtsschutzgesuch nicht zum Erfolg. Er findet im Gesetz keine Grundlage.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">§ 7 Abs. 1 S. 1 BJagdG stellt ‑ wie oben bereits ausgeführt ‑ außer auf die Eigentumsverhältnisse und die Flächengröße allein auf die land-, forst- oder fischereiwirtschaftliche Nutzbarkeit der Flächen ab und bietet keinen Ansatz, ergänzend den Aspekt der jagdlichen Nutzbarkeit einzelner Teilflächen heranzuziehen. Insofern führt auch ein Rückgriff auf Absatz 6 Satz 3 der Ausführungsverordnung (AusfVO) zu § 6 Reichsjagdgesetz (RJG), wonach Ländereien, die an ihrer breitesten Stelle weniger als 200 m breit, aber mehr als 400 m lang sind, "bei der Berechnung der Größe des Jagdbezirkes nicht mitgerechnet" wurden, nicht weiter. Eine solche Regelung ist nicht geltendes Jagdrecht. Gerade vor dem Hintergrund des früheren Bestehens einer die Mitberechnung bestimmter Flächen betreffenden Sondervorschrift des Reichsjagdrechts hätte aber eine entsprechende ausdrückliche Regelung, wäre sie gewollt gewesen, in einem solchen Grade nahe gelegen, dass sich eine darauf zielende ergänzende Auslegung verbietet. Im Zusammenhang mit den Beratungen zu § 3 Abs. 1 Satz 1 LJG-NRW als der Parallelvorschrift zu § 6 RJG, an die die genannte Regelung der Ausführungsverordnung anknüpfte, ist dergleichen auch nicht einmal erörtert worden.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2003, 20 A 2106/02, juris Rdnr. 4; im Ergebnis ebenso unter Berücksichtigung des Landesjagdrechts in Niedersachsen: OVG Lüneburg, Urteil vom 9. Mai 1984, 14 OVG A 23/81, juris (nur Leitsätze) und Jagdrechtliche Entscheidungen, Band V, SG II Nr. 68.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Unerheblich für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Rechtsfragen ist die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob ‑ und gegebenenfalls wann ‑ die Antragstellerin in der Vergangenheit Flächen des Eigenjagdbezirks rechtswidrig verpachtet hat.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Rechtlich unbeachtlich für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Feststellungsentscheidung ist schließlich auch, ob und inwieweit die Antragsgegnerin in der Vergangenheit auf die eigenständige Ausübung der Jagd auf den streitgegenständlichen Flächen zugunsten der Antragstellerin tatsächlich verzichtet hat. Das nordrhein-westfälische Jagdrecht sieht die Möglichkeit, auf die Ausübung der Jagd rechtswirksam zu verzichten, schon nicht vor. Würde das Landesrecht eine solche Verzichtsregelung enthalten, führte ein ‑ widerruflicher ‑ Verzicht durch den Eigentümer eines Eigenjagdbezirks im Übrigen jedenfalls nicht zum Untergang des Eigenjagdbezirks.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Februar 2002, 8 A 11516/01, Jagdrechtliche Entscheidungen Band XIII, SG II Nr. 150; Frank in Lorz, BJagdG, § 7 Rdnr. 4; Leonhardt, a. a. O., zu § 7 BJagdG Anm. 1.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Spricht damit mangels weiterer substantiierter Einwände der Antragstellerin nach Aktenlage alles dafür, dass die Feststellungsentscheidung in Reichweite eigener Rechte der Antragstellerin einer Rechtskontrolle im Hauptsacheverfahren Stand halten wird, fällt auch die Abwägung der im Übrigen betroffenen Belange trotz der aus § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO folgenden Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht zu ihren Gunsten aus.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Das Jagdrecht ist die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen (Wild), zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sich anzueignen (§ 1 Abs. 1 S. 1 BJagdG), wobei die gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 BJagdG als Pflicht ausgestaltete Hege nach § 1 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BJagdG die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes ebenso zum Ziel hat wie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen und gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 BJagdG so durchzuführen ist, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land‑, forst‑ und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden. Die Ausübung des Jagdrechts dient damit dem im Allgemeininteresse liegenden Schutz des Wildbestandes wie auch dem Schutz vor Wildschäden.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Ein effektiver Schutz der jagdrechtlich zu bewahrenden Rechtsgüter, der wegen der stetigen Entwicklung des Wildbestandes und der hierfür maßgeblichen Rahmenbedingungen regelmäßig keinen Aufschub duldet und dem wegen seiner Bedeutung für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch und Tier ein besonderes Gewicht zukommt, setzt notwendig voraus, dass stets unzweideutig feststeht, wer für die Ausübung des Jagdrechts die Verantwortung trägt. Gegenüber dem sich hieraus ergebenden besonderen Interesse, schon für den Zeitraum bis zur bestandskräftigen Klärung der Jagdbezirksgrenzen verbindlich zu klären, ob das Jagdausübungsrecht auf einer Grundfläche dem Eigentümer einer Eigenjagd (§ 7 Abs. 4 S. 1 BJagdG) oder einer Jagdgenossenschaft (§ 8 Abs. 5 BJagdG) zusteht oder ob auf ihr die Jagd ruht, weil sie keinem Jagdbezirk angehört (§ 6 S. 1 Alt. 1 BJagdG), wiegen die allenfalls finanziellen Interessen der Antragstellerin an der Verpachtung eines Rechts auf Ausübung der Jagd (§ 11 BJagdG) minder schwer. Dies gilt erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass es ihr offen steht, gegebenenfalls Ansprüche auf Ausgleich eines etwa erlittenen Schadens dem Ersatzpflichtigen gegenüber (gerichtlich) geltend zu machen.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und entspricht in der Höhe dem Betrag, der im Streitwertkatalog 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit,</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ‑ Beilage (NVwZ ‑ Beilage) 2/2013, S. 57 ff.,</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">unter Ziffer II. 20.1 für Streitigkeiten um den Bestand und die Abgrenzung von Jagdbezirken ausgewiesenen Betrag von 10.000,00 Euro, der angesichts der bei der im Verfahren zu Gewährung vorläufigen Rechtschutzes erstrebten Entscheidung von nur vorläufigem Charakter um die Hälfte zu reduzieren war.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,207
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12 L 1303/22.A
2022-08-10T00:00:00
2022-08-17T10:00:45
2022-10-17T11:09:13
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0810.12L1303.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 00.00.2001 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wurde er am 12. Februar 2022 von der Bundespolizei in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze aufgegriffen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Eine Abfrage des Eurodac-Systems ergab am 13. Februar 2022 einen Treffer der Kategorie 1 für Polen (PL1211129178089008000/700680188U). Danach hatte der Antragsteller am 29. November 2021 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller gab bei seiner Befragung zum Anlass seiner Einreise nach Deutschland an, er sei mit dem Flugzeug von Bagdad nach Damaskus und dann weiter nach Minsk gereist, von wo aus er mit dem Auto zur polnischen Grenze gebracht worden sei, die er dann zu Fuß überquert habe. Er habe in Polen einen Asylantrag gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei. Er habe den Irak zusammen mit seiner Familie im Oktober 2021 verlassen, weil sie Angst um ihr Leben gehabt hätten. Sein Vater sei von schiitischen Milizen bedroht worden, die ganze Familie sei bedroht worden. Die Bundespolizei ging von einem Schutzersuchen aus und leitete die Niederschrift über die Befragung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) weiter.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dem Antragsteller wurde u.a. eine Belehrung nach § 20 Abs. 1 AsylG ausgehändigt, wonach er sich unverzüglich, spätestens bis zum 14. Februar 2022 in der Erstaufnahmeeinrichtung in E.       , T.-----------allee 0x, melden solle. Dort werde ihm auch die Außenstelle des Bundesamtes genannt, bei der er seinen Asylantrag stellen müsse. Der Antragsteller stellte keinen förmlichen Asylantrag, sondern reiste ausweislich einer Reiseschwundmitteilung bereits am 14. Februar 2022 gemeinsam mit seiner Familie weiter, so dass zunächst keine Registrierung sowie keine EASY-Verteilung durch die Landesdirektion Sachsen erfolgen konnten.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Bundesamt richtete am 18. Februar 2022 ein Wiederaufnahmegesuch an Polen, das die polnischen Behörden mit Schreiben vom 28. Februar 2022 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung akzeptierten.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Bundesamt verzichtete gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) Dublin III-Verordnung auf das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller, da der Antragsteller flüchtig sei (vgl. Vermerk vom 1. März 2022, Bl. 39 des Verwaltungsvorgangs BAMF-Az.: 0000000-438).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 1. März 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Ziffer 3), ordnete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es, gegen den Bescheid könne innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht E.       erhoben werden.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid wurde unter dem 4. März 2022 mit der Bitte um Aushändigung an die Aufnahmeeinrichtung E.       , T.-----------allee 0x, geschickt, wo er am 9. März 2022 einging. Nachdem der Bescheid nicht ausgehändigt werden konnte, schickte die Aufnahmeeinrichtung den Bescheid mit dem Vermerk an das Bundesamt zurück, der Empfänger habe die Aufnahmeeinrichtung verlassen. Sein Aufenthaltsort sei gegenwärtig nicht bekannt. Handschriftlich ist vermerkt: „Entlassen wegen Inaktivität am 16.02.2022.“</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Bundesamt richtete unter dem 1. März 2022 ein Schreiben an die zuständigen polnischen Behörden und teilte mit, eine Überstellung sei derzeit nicht möglich, weil der Antragsteller flüchtig sei. Die Überstellungsfrist werde bis zum 28. August 2023 verlängert.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller wurde durch Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung B.        vom 22. März 2022 der Stadt T1.        zugwiesen. Die Ausländerbehörde T1.        teilte dem Bundesamt am 11. Mai 2022 die aktuelle Adresse des Antragstellers mit und bot an, die Zustellung des Bescheides zu übernehmen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat am 7. Juni 2022 bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2022 erhoben (12 K 4194/22.A) und gleichzeitig einen „Eilantrag“ gestellt. Er trägt vor, ihm sei der Bescheid vom 1. März 2022 ohne Rechtsmittelbelehrung am 23. Mai 2022 ausgehändigt worden. Das Asylverfahren sei ohne seine Zustimmung und gegen seinen Wunsch eingeleitet und durch das Bundesamt ohne sein Wissen durchgeführt worden. Er begehre keinen internationalen Schutzstatus, sondern lediglich vorübergehenden Schutz gemäß § 24 AufenthG. Gemäß UkraineAufenthÜV sei hierfür keine Prüfung nach der Dublin III-Verordnung durchzuführen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat einen Ankunftsnachweis (Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden) der Ausländerbehörde T1.        vom 4. April 2022 vorgelegt. Darin wird er als ukrainischer Staatsangehöriger bezeichnet, der ein Schutzgesuch geäußert habe. Er unterfalle dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022. Somit finde § 24 AufenthG unmittelbar Anwendung. Es werde daher aller Voraussicht nach ein befristeter Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erteilt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin ist der Klage und dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entgegen getreten und beantragt, soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt sei, diesen abzulehnen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Auf Nachfrage des Gerichts hat die Ausländerbehörde T1.        mit Schreiben vom 14. Juli 2022 mitgeteilt, der Antragsteller werde mit der irakischen Staatsangehörigkeit geführt. Ihm sei keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG und keine entsprechende Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte 12 K 4194/22.A sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde T1.        ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit der Kammer für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt sich aus § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG, nachdem die Einzelrichterin den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. August 2022 auf die Kammer übertragen hat.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der am 7. Juni 2022 sinngemäß gestellte „Eilantrag“ des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers ist sachdienlich als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 4194/22.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. März 2022 anzuordnen.</strong></p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat zwar die Wochenfrist zur Stellung des Antrags gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht eingehalten, denn ausgehend von seinen Angaben in der Klage-/Antragsschrift ist ihm der in der Hauptsache angefochtene Bescheid des Bundesamtes am 23. Mai 2022 ausgehändigt worden. Die Wochenfrist ist im vorliegenden Fall aber nicht einschlägig. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Antragsteller der Bescheid mit oder ohne Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Ist dem Antragsteller der Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden, hätte die Wochenfrist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen begonnen mit der Folge, dass gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Jahresfrist gilt, die der Antragsteller eingehalten hat. Ist dem Antragsteller der Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden, wäre ebenfalls die – vom Antragsteller eingehaltene – Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO einschlägig, denn die Belehrung wäre dann unrichtig erteilt worden. In der dem Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist das Verwaltungsgericht E.       als das örtlich zuständige Gericht angegeben. Der Antragsteller wurde aber durch Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung B.        vom 22. März 2022 der Stadt T1.        zugewiesen, so dass die Rechtsmittelbelehrung im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides am 23. Mai 2022 hinsichtlich des örtlich zuständigen Gerichts unrichtig war. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller der Bescheid vom 1. März 2022 mit einer anderen (inhaltlich richtigen) Rechtsmittelbelehrung bekanntgegeben worden ist, lassen sich den vorliegenden Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2022 ist dem Antragsteller nicht bereits in der Aufnahmeeinrichtung E.       wirksam zugestellt worden und bestandskräftig geworden. § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG bestimmt zwar, dass der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen muss, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Dies setzt aber voraus, dass der Ausländer bei der Antragstellung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auf diese Zustellungsvorschriften hingewiesen worden ist (vgl. § 10 Abs. 7 AsylG). Im vorliegenden Fall fehlt es an einer solchen Belehrung. Dem Verwaltungsvorgang des Bundesamtes lässt sich jedenfalls für eine solche Belehrung nichts entnehmen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides vom 1. März 2022 nach § 80 Abs. 5 VwGO liegen im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu diesem Maßstab: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. August 2016 – 12 L 2625/16.A -, juris, Rn. 7, und vom 7. Dezember 2015 – 12 L 3592/15.A –, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus, denn die Anordnung seiner Abschiebung nach Polen in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides begegnet bei Anlegung dieses Maßstabes derzeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Es liegt kein Verfahrensmangel nach europäischem Recht vor, der zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen könnte. Im vorliegenden Fall hat zwar kein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller nach Art. 5 Abs. 1 Dublin III-Verordnung stattgefunden. Die Durchführung einer persönlichen Anhörung war mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) Dublin III-Verordnung aber entbehrlich. Nach dieser Vorschrift darf auf das persönliche Gespräch verzichtet werden, wenn der Antragsteller flüchtig ist.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller war flüchtig, denn er hat sich der Durchführung eines Asyl- bzw. Dublin-Verfahrens bewusst entzogen. Er hat nach seinem Aufgriff durch die Bundespolizei am 12. Februar 2022 unter anderem eine Belehrung nach § 20 Abs. 1 AsylG erhalten, wonach er sich unverzüglich, spätestens bis zum 14. Februar 2022 bei der Erstaufnahmeeinrichtung in E.       , T.-----------allee 0x, melden solle. Dem ist der Antragsteller wohl auch nachgekommen, ausweislich der vorliegenden Reiseschwundmeldung reiste er aber bereits am 14. Februar 2022 mit seiner Familie weiter, ohne einen förmlichen Asylantrag gestellt zu haben und ohne dass eine Registrierung oder eine EASY-Verteilung durch die Landesdirektion Sachsen erfolgen konnte. Danach war der Aufenthalt des Antragstellers unbekannt. Die Erstaufnahmeeinrichtung in E.       teilte dem Bundesamt in der zurückgesandten Empfangsbestätigung zum Bescheid vom 1. März 2022 mit, dass der Antragsteller die Aufnahmeeinrichtung verlassen habe und sein Aufenthaltsort gegenwärtig nicht bekannt sei. Er sei wegen Inaktivität am 16. Februar 2022 entlassen worden.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Soweit der Antragsteller geltend macht, das Asylverfahren sei ohne seine Zustimmung und gegen seinen Wunsch eingeleitet und durch das Bundesamt ohne sein Wissen durchgeführt worden, steht dies der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ebenfalls nicht entgegen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylG. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies gilt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">§ 34a Abs. 1 AsylG ist im vorliegenden Fall einschlägig, ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller in Deutschland keinen förmlichen Asylantrag im Sinne des Asylgesetzes gestellt hat. Es handelt sich um einen sogenannten „Aufgriffsfall“, der vom Anwendungsbereich des § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG erfasst wird. Die Vorschrift wurde im Rahmen der Änderung des Asylverfahrensgesetzes im Jahr 2013 zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) ausdrücklich mit der Begründung eingefügt, dass diese Vorschrift eine gesetzliche Aufgabenzuweisung für das Bundesamt darstelle und der Erfassung der sogenannten „Aufgriffsfälle“ dienen solle, in denen ein Ausländer im Inland angetroffen wird, der in einem anderen Staat – in dem die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31; im Folgenden: Dublin III-Verordnung) Anwendung findet – einen Asylantrag gestellt hat, nicht aber in Deutschland (BT-Drs. 17/13556, S. 7).</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 29. September 2017 – 12 L 3583/17.A -, juris, Rn. 32; VG Ansbach, Beschluss vom 9. September 2021 – AN 17 S 21.50195 -, juris, Rn. 22; VG Bremen, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 5 V 2644/19 -, juris, Rn. 20 m.w.N.; VG München, Beschlüsse vom 29. September 2016 – M 24 S 16.50506 -, juris, Rn. 21, vom 8. Juli 2016 – M 8 S 16.50302 -, juris, Rn. 20 f., und vom 22. Juni 2016 – M 8 S 16.50295 -, juris, Rn. 24.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen von § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG sind hier erfüllt. Der Antragsteller hat in Polen und damit in einem Staat, in dem die Dublin III-Verordnung Anwendung findet, einen Asylantrag gestellt. Dies steht fest aufgrund des ermittelten Eurodac-Treffers der Kategorie 1 im Sinne von Art. 24 Abs. 4 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Abl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 1) (PL1211129178089008000/700680188U). Danach hat der Antragsteller am 29. November 2021 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Polen ist für die Prüfung dieses Antrags auch zuständig. Die Zuständigkeit ist im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 ff. Dublin III-Verordnung – wie hier – nicht nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung, sondern anhand der Voraussetzungen der Art. 20 Abs. 5 und Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b) bis d) Dublin III-Verordnung zu bestimmen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019 – C-582/17 und C-583/17 -, juris, Rn. 57 ff.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Danach folgt die Zuständigkeit Polens daraus, dass der Antragsteller dort ausweislich des ermittelten Eurodac-Treffers am 29. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und die polnischen Behörden dem Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) zugestimmt haben.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin hat Polen rechtzeitig gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Die Vorschrift des Art. 23 Dublin III-Verordnung ist hier einschlägig, wenngleich der Antragsteller in Deutschland keinen förmlichen Asylantrag gestellt hat. Art. 23 Abs. 1 Dublin III-Verordnung setzt indes lediglich voraus, dass eine Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b) bis d) in einem Mitgliedstaat einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung bestimmt, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Die Vorschrift ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus der Dublin III-Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, und, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen sind.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 – C-670/16 -, juris, Rn. 103.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn der Antragsteller hat bei seiner Befragung durch die Bundespolizei zum Anlass seiner Einreise nach Deutschland angegeben, sein Vater und die ganze Familie seien im Heimatstaat bedroht worden. Dieses Vorbringen ist – zu Recht – als Schutzgesuch gewertet worden, so dass die Bundespolizei die Niederschrift über die Befragung an das Bundesamt als zuständige Behörde weitergeleitet hat. Damit gilt ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung im vorliegenden Fall als gestellt.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung bestimmt, dass ein Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung zu stellen ist. Diese Frist ist im vorliegenden Fall eingehalten. Das Bundesamt hat Polen am 18. Februar 2022 und damit innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung vom 13. Februar 2022 um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Die polnischen Behörden haben hierauf fristgerecht innerhalb von zwei Wochen (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung) mit Schreiben vom 28. Februar 2022 geantwortet und ihre Zuständigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung erklärt.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit Polens ist auch noch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift gilt: Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist war zu dem Zeitpunkt, als der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hat, noch nicht abgelaufen und ist seitdem unterbrochen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs am 28. Februar 2022 lag bei Antragstellung am 7. Juni 2022 weniger als sechs Monate zurück. Bei einem – wie hier – rechtzeitig gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung wird die Überstellungsfrist kraft Gesetzes unterbrochen (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) und erst mit dem ablehnenden Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erneut in Lauf gesetzt.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15/15 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2238/15.A –, juris, Rn. 24ff.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzgesuch ist es insofern unerheblich, ob die Antragsgegnerin die Überstellungsfrist am 1. März 2022 wirksam auf 18 Monate verlängert hat.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-Verordnung. Nach diesen Vorschriften gilt: Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf Polen liegen derzeit keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation des Antragstellers systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Das Gemeinsame Europäische Asylsystem geht auf der Grundlage des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon aus, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der EU-Grundrechtecharta finden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 82 f. und 87 bis 89, und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -, juris, Rn. 83 ff.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Überstellung eines Antragstellers oder Schutzberechtigten in einen Mitgliedstaat ist in all jenen Situationen ausgeschlossen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt ist, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zu erfahren.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 98, und vom 19. März 2019 – C-297/17 -, juris, Rn. 87 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 -, juris, Rn. 39; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Dabei ist es für die Anwendung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta gleichgültig, ob das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss besteht.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 88.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist das zuständige Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Derartige Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 der EU-Grundrechtecharta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 87 ff., und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -, juris, Rn. 87 ff., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 -, juris, Rn. 39.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs können systemische Mängel in diesem Sinne erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 der EU‑Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch, vorliegen. Diese müssen aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein, ihm also nicht unbekannt sein können.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 -, juris, Rn. 60, vom 14. November 2013 – C-4/11 -, juris, Rn. 33 ff., und vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 -, NVwZ 2011, 413; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person reichen nicht aus, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Das Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht aus. Schließlich kann der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung tatsächlich der Gefahr ausgesetzt ist, eine gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung zu erfahren.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 -, juris, Rn. 93 f. und 96 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und C-541/17 -, juris, Rn. 39.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Ein Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta liegt daher erst vor, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen („Bett, Brot, Seife“).</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 -, juris, Rn. 12 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 44; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 -, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Der Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta muss dabei unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen. Er liegt mithin nicht vor, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter Zuhilfenahme der bescheidenen Möglichkeiten und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine Existenz aufzubauen.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 47; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 134 f.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Vorgaben ist in Bezug auf Polen nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Überstellung in dieses Land mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im eben beschriebenen Sinne droht. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass in Polen für Dublin-Rückkehrer in der Situation des Antragstellers systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2022 – 5 A 271/22 -, juris, S. 3 ff. des Urteilabdrucks; VG München, Beschluss vom 27. Mai 2022 – M 30 S 22.50276 -, juris, Rn. 23 ff.; VG Wiesbaden, Urteil vom 6. Mai 2022 – 3 K 1656/18.WI.A -, juris, Rn. 27 ff.; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 5 ff. des Urteilabdrucks; VG Stuttgart, Beschluss vom 13. April 2022 – A 8 K 1530/22 -, juris, S. 7 des Urteilabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller wird in Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Zugang zum Asylverfahren haben. Ungeachtet der Frage, ob gegenüber Ausländern, die nicht über amtliche Grenzübergänge ins Land gekommen sind, an der belarussisch-polnischen Grenze illegale Pushbacks stattfinden,</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 7 ff., abrufbar unter: www.milo.bamf.de; Human Rights Watch, „Die Here or Go to Poland“ – Belarus’ and Poland’s Shared Responsibility for Border Abuses, 24. November 2021, S. 11 ff., abrufbar unter: https://www.hrw.org,</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen dem in Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) ohne eine Entscheidung über ihren Asylantrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, können bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. Eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird der Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 4, abrufbar unter: www.milo.bamf.de; AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 37 f., abrufbar unter: https://asylumineurope.org.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Für Asylbewerber besteht ab dem Zeitpunkt der Registrierung (nach Antragstellung) in einem der Erstaufnahmezentren ein Recht auf Versorgung während des gesamten Verfahrens, inklusive einer ersten Beschwerde. Asylbewerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, Mahlzeiten, Taschengeld, Geld für Hygieneartikel und eine Einmalzahlung für Bekleidung. Asylbewerber, die außerhalb der Aufnahmezentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe. Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder, Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 10 ff., abrufbar unter: www.milo.bamf.de.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Eine andere Bewertung der Situation für Asylsuchende in Polen ist auch nicht im Hinblick auf einen aktuellen Bericht von ProAsyl geboten.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. ProAsyl, „Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden“, vom 28. Juli 2022, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/news.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Darin wird zwar argumentiert, Schutzsuchende, die von Polen nach Deutschland weitergeflohen seien, dürften nicht nach Polen zurückgeschoben werden, weil sie dort absehbar systematisch inhaftiert würden und die Haftbedingungen für Geflüchtete in Polen menschenunwürdig und erniedrigend sein könnten. Dies lässt sich der angegebenen Quelle in dieser Allgemeinheit aber nicht entnehmen. Nach dem AIDA-Bericht Polen 2021, Update May 2022, ist eine Inhaftierung zwar in allen Asylverfahren möglich, besonders im Falle eines illegalen Grenzübertritts und auch im Falle eines Transfers unter dem Dublin-Regime.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 91, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Nach den weiteren Ausführungen des Berichts betreffen Inhaftierungen aber in erster Linie Personen nach ihrer illegalen Einreise über die polnisch-belarussische Grenze.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA Country Report: Poland, 2021 Update, Mai 2022, S. 88, abrufbar unter: https://asylumineurope.org.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Ausführungen des Berichts lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass auch Dublin-Rückkehrer systematisch inhaftiert und unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Es kann folglich nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller im Falle einer Überstellung nach Polen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit inhaftiert werden wird.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen ist zudem davon auszugehen, dass dem Antragsteller auch für den Fall, dass er in Polen internationalen Schutz erhalten sollte, keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht. Die Situation anerkannter Schutzberechtigter im zuständigen Mitgliedstaat ist auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 76 ff.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte in Polen stellen sich nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK dar. Ein vom Willen der Schutzberechtigten unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ lässt sich nicht feststellen.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 7. September 2020 – 12 K 17494/17.A –, S. 8 ff. des Urteilabdrucks; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 7 f. des Urteilabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Anerkannten Schutzberechtigten droht in Polen nicht automatisch die Obdachlosigkeit. Sie haben das Recht, sich noch für maximal zwei Monate nach der endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag in den Aufnahmezentren aufzuhalten. Der polnische Staat stellt Schutzberechtigten keine Wohnung zur Verfügung und es herrscht generell ein Mangel an Sozialwohnungen, sowohl für polnische Staatsbürger als auch für Schutzberechtigte. Einige Gemeinden bieten jedes Jahr Wohnungen speziell für Schutzberechtigte an. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Viele NGOs meine, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenüber sehen. Hierzu gibt es aber keine belastbaren Zahlen.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger zwar vollen Zugang zum Arbeitsmarkt, in der Praxis sind jedoch fehlende Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge sowie Diskriminierung ein Problem. Schutzberechtigte können binnen 60 Tagen ab Statuszuerkennung die Teilnahme an einem speziellen Individual Integration Program (IPI), das von den Poviat Family Support Centers (PCPR) angeboten wird, beantragen. Integrationshilfe wird für 12 Monate gewährt. Sie umfasst unter anderem eine Beihilfe für Polnisch-Kurse, Übernahme der Krankenversicherung und Sozialberatung. Abhängig von der Haushaltsgröße erhalten die Teilnehmer zwischen 158 und 317 Euro pro Person in den ersten sechs Monaten und zwischen 149 und 288 Euro pro Person in den zweiten sechs Monaten. Die Teilnehmer werden auch bei der Arbeitssuche und bei der Suche nach Wohnraum unterstützt, gegebenenfalls wird eine Beihilfe für das Mieten einer Wohnung gezahlt.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Schutzberechtigte haben wie polnische Bürger Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem und können Sozialhilfe erhalten, wenn sie eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreiten. Sie haben ebenfalls Zugang zu verschiedenen Familienbeihilfen. In der Praxis bestehen aber auch hier oft Zugangsprobleme aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen, mangelndem Wissen über ihre Rechte und administrative Hürden.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 16 f., abrufbar unter: www.milo.bamf.de.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">International Schutzberechtigte haben ein Recht auf medizinische Versorgung wie polnische Staatsbürger, was bedeutet, dass sie grundsätzlich eine Krankenversicherung haben müssen. Während sie eine Integrationshilfe beziehen, müssen sie sich arbeitslos melden und werden von der öffentlichen Hand krankenversichert. Nach Ende der Integrationshilfe muss die Krankenversicherung entweder von einem etwaigen Arbeitgeber, dem zuständigen Arbeitsamt (wenn der Betreffende arbeitslos gemeldet ist) oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Die administrativen Hürden für den Zugang zu medizinischer Versorgung in Polen gelten als hoch und langwierig.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Polen (Version 2), 7. Dezember 2021, S. 17, abrufbar unter: www.milo.bamf.de.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn sich danach die Situation für Dublin-Rückkehrende bzw. für anerkannt Schutzberechtigte in Polen schwieriger darstellt als in Deutschland, ergibt sich hieraus keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK. Es ist zu berücksichtigen, dass Dublin-Rückkehrer bzw. Schutzberechtigte nicht grundsätzlich schlechter gestellt sind als polnische Staatsbürger. Ein vom eigenen Willen des Asylsuchenden bzw. Schutzberechtigten unabhängiger Automatismus der Verelendung bei einer Rückkehr nach Polen lässt sich nach dem Vorstehenden jedenfalls nicht feststellen. Eine möglicherweise zu besorgende Verschlechterung auch der wirtschaftlichen Situation in Polen im Gegensatz zur Situation in Deutschland ist dem Antragsteller angesichts der oben aufgezeigten hohen Hürden für die Annahme systemischer Mängel zumutbar und rechtlich tolerierbar.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Eine andere Bewertung ist auch nicht im Hinblick auf den derzeit fortdauernden Ukrainekrieg und die sich hieraus ergebenden Flüchtlingsbewegungen nach Polen geboten.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Zwar sind nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 ca. 4,8 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Polen geflohen, die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die für vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzsysteme in Polen registriert sind, beträgt (Stand: 18. Juli 2022) indes „nur“ 1.235.000.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Ferner ist festzustellen, dass zwischen dem 27. Februar 2022 und 9. März 2022 täglich noch zwischen 100.000 und (in der Spitze) 140.000 Menschen zum Schutz vor dem Krieg nach Polen eingereist sind, die täglichen Einreisezahlen seit Mitte März 2022 aber deutlich gesunken sind. Sie lagen seit dem 28. März 2022 bei täglich zwischen 9.000 und 28.000 Personen und zuletzt nur zwischen 16.000 und 21.000 Personen pro Tag.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Zuletzt ist auch eine verstärkte Rückkehr der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in ihr Herkunftsland zu verzeichnen. So haben in der Zeit vom 10. Mai 2022 bis zum 19. Juli 2022 täglich zwischen 20.000 und 30.000 Grenzübertritte in die Ukraine stattgefunden.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Vgl. UNHCR, Flüchtlingssituation in der Ukraine, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 19. Juli 2022.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Zu berücksichtigen ist ferner, dass Schutzsuchende aus der Ukraine aufgrund des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes nicht das üblicherweise vorgesehene Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern in einem vereinfachten Verfahren einen europaweit gültigen vorübergehenden Schutz mit entsprechendem Zugang zum Arbeitsmarkt und etwaigen Sozialleistungen erhalten (können). Die Aktivierung der Richtlinie 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie) soll eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten fördern.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Vgl. Art. 1 der Richtlinie 2001/55/EG (Massenzustrom-Richtlinie); ferner Erwägungsgründe 16 und 20 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 vom 4. März 2022.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Schutzsuchenden aus der Ukraine zu einem beachtlichen Teil in privat organisierten Unterkünften untergebracht werden oder weiterreisen, was im März 2022 dazu führte, dass die von lokalen polnischen Behörden eingerichteten Unterkunftszentren mit einer Kapazität für ca. 280.000 Menschen weitgehend unbewohnt geblieben sind.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Vgl. UNHCR, Situation in der Ukraine: Flash-Update Nr. 1 vom 8. März 2022, S. 4, abrufbar unter: https://data.unhcr.org/en/documents/details/91208, Stand: 26. Juli 2022; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 8 f. des Urteilabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Dem Gericht liegen keine Berichte oder andere Erkenntnismittel vor, wonach es derzeit zu einer Überforderung des polnischen Asylsystems kommen soll, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Ebenso: VG Dresden, Beschluss vom 27. Juni 2022 – 3 L 397/22.A -, juris, Rn. 22 ff.; VG München, Beschluss vom 27. Mai 2022 – M 30 S 22.50276 -, juris, Rn. 31; VG Trier, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 7 L 1051/22.TR -, juris, S. 4 des Urteilabdrucks; VG Lüneburg, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 5 B 31/22 -, juris, S. 8 f. des Urteilabdrucks; VG Stuttgart, Beschluss vom 13. April 2022 – A 8 K 1530/22 -, juris, S. 7 f. des Urteilabdrucks.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat keine aktuellen Erkenntnisse benannt, die die vorstehenden Ausführungen zu den Lebensbedingungen von Asylbewerbern und Personen mit internationalem Schutzstatus in Polen in Frage stellen könnten.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die im Falle der Rückkehr nach Polen als Asylbewerber oder der Zuerkennung internationalen Schutzes hinsichtlich der dann zu erwartenden Lebensverhältnisse auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK schließen lassen könnten, liegen nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Einer Überstellung des Antragstellers nach Polen stehen nach derzeitigem Kenntnisstand keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG ist nach dem zuvor Gesagten nichts ersichtlich. Es liegt auch kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte für ein der Abschiebung nach Polen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen auch im Übrigen keine Bedenken, so dass die Abschiebung des Antragstellers nach Polen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller geltend macht, er begehre lediglich vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG; gemäß UkraineAufenthÜV sei hierfür keine Prüfung nach der Dublin III-Verordnung durchzuführen. Der Antragsteller hat zwar einen Ankunftsnachweis (Bescheinigung zur Vorlage bei Behörden) der Ausländerbehörde T1.        vom 4. April 2022 vorgelegt. Darin wird er als ukrainischer Staatsangehöriger bezeichnet, der ein Schutzgesuch geäußert habe. Er unterfalle dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022. Somit finde § 24 AufenthG unmittelbar Anwendung. Es werde daher aller Voraussicht nach ein befristeter Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erteilt. Ungeachtet der Frage, ob die vom Antragsteller geäußerte Rechtsauffassung zutreffend ist, ist nach derzeitigem Kenntnisstand jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG ist. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Ausländerbehörde T1.        mit Schreiben vom 14. Juli 2022 vielmehr mitgeteilt, der Antragsteller werde mit der irakischen Staatsangehörigkeit geführt. Ihm sei keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG und keine entsprechende Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Die Überstellung des Antragstellers nach Polen ist nach allem rechtlich zulässig und auch tatsächlich möglich. Polen hatte mit Rundschreiben vom 25. Februar 2022 zwar alle eingehenden (Dublin-)Transfers bis auf weiteres suspendiert. Inzwischen haben die zuständigen polnischen Behörden mit Rundschreiben vom 23. Juni 2022 aber mitgeteilt, ab dem 1. August 2022 (Dublin-)Transfers nach Polen wieder aufzunehmen. Ungeachtet dessen hatte Polen im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 28. Februar 2022 – und damit nach dem Rundschreiben vom 25. Februar 2022 – das Wiederaufnahmegesuch vom 18. Februar 2022 ausdrücklich angenommen und der Wiederaufnahme des Antragstellers zugestimmt.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund und mangels aktueller Berichte oder anderer Erkenntnismittel, die eine Überforderung des polnischen Asylsystems, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung aufzeigen, hält das Gericht nicht länger an der Bewertung fest, wonach die Antragsgegnerin – insbesondere aufgrund einer tatsächlichen Unmöglichkeit einer Überstellung nach Polen – zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet sei.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2022 – 12 K 737/22.A -, juris, Rn. 24 ff., und Beschluss vom 12. April 2022 – 12 L 627/22.A -, juris, Rn. 29 ff.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,204
fg-niedersachsisches-2022-08-10-7-k-12021
{ "id": 600, "name": "Niedersächsisches Finanzgericht", "slug": "fg-niedersachsisches", "city": 379, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
7 K 120/21
2022-08-10T00:00:00
2022-08-17T10:00:37
2022-10-17T11:09:13
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der an das Bundesverfassungsgericht gerichtete Vorlagebeschluss vom 18. März 2022 wird aufgehoben, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>I. Mit Beschluss vom 18. März 2022 hat der Senat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 32d Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) –Abgeltungsteuer- in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, als dass sie für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen einen Sondersteuersatz in Höhe von 25 % mit abgeltender Wirkung vorsehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Das Verfahren wird bei dem BVerfG unter dem Aktenzeichen 2 BvL 6/22 geführt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 2. Juni 2022 hat der Beklagte mitgeteilt, dass er geänderte Bescheide erlassen und damit dem Begehren des Klägers entsprochen habe. Er hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der Kläger hat den Rechtstreit mit Schreiben vom 21. Juli 2022 ebenfalls für erledigt erklärt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>II. Das Verfahren hat sich nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten dadurch in der Hauptsache erledigt, dass der Beklagte dem Begehren des Klägers entsprochen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>1. Durch die Erledigung der Hauptsache ist die Entscheidungserheblichkeit in dem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG entfallen, so dass die Vorlage gegenstandslos geworden ist. Der Vorlagebeschluss vom 18. März 2022 war daher aufzuheben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Das Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist ein dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zugewiesenes Zwischenverfahren in einem Prozess, der bei einem anderen Gericht anhängig ist (Gräber/Levedag FGO Kommentar 9. Aufl. Anhang Rz. 63 m.w.N.). Wird dieser Prozess nach Anrufung des BVerfG wegen einer inzwischen eingetretenen Rechtsänderung beendet, ist die vorgelegte Verfassungsfrage nicht mehr entscheidungserheblich. Die bisher zulässige Vorlage wird unstatthaft (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 1970, 1 BvL 9/60, BVerfGE 29, 325). Ist in dem Ausgangsverfahren somit keine Entscheidung mehr zu treffen, ist damit auch dem BVerfG die Möglichkeit genommen, über die ihm zur Prüfung vorgelegte Rechtsfrage zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 19. Juni 1962, 1 BvL 10/57, BVerfGE 14, 140).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>2. Nachdem der Beklagte dem Begehren des Klägers entsprochen hat, waren ihm die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=STRE202275279&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,165
ovgni-2022-08-10-1-mn-5222
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
1 MN 52/22
2022-08-10T00:00:00
2022-08-13T10:01:19
2022-10-17T17:55:54
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 12.500 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong> I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung einer Veränderungssperre, die ihrer Absicht, Dauer- in Ferienwohnraum umzuwandeln, entgegensteht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines zum Dauerwohnen genehmigten Gebäudes in der Ortslage der Antragsgegnerin, für das sie einen Bauantrag zur Umnutzung zum Ferienwohnen gestellt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Das Grundstück der Antragstellerin lag zunächst - wie ein Großteil der Ortslage der Antragsgegnerin - im Geltungsbereich des am 31. Juli 2018 bekannt gemachten Bebauungsplans „Dorf - Teil A“ der Antragsgegnerin, der im Wesentlichen Allgemeine Wohngebiete, Besondere Wohngebiete und Sonstige Sondergebiete mit den Zweckbestimmungen „Tourismus/Ortsmitte“, „Wohnen/Ferienwohnen“ und „Ferienheim/Erholungsheim“ festsetzte sowie Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise und zu den überbaubaren Grundstücksflächen enthielt. Ein wesentliches Ziel dieses Plans war es, sicherzustellen, dass auch in den durch touristische Nutzungen geprägten Teilen der Ortslage Wohnraum zum Dauerwohnen für die Inselbevölkerung erhalten bzw. neu geschaffen würde. Diesen Bebauungsplan erklärte der Senat mit Urteil vom 7. Oktober 2021 - 1 KN 92/19 - aufgrund eines Ausfertigungsmangels sowie verschiedener Bestimmtheits- und festsetzungstechnischer Mängel für unwirksam.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Am 14. Oktober 2021 fasste der Rat der Antragsgegnerin den Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans Nr. 22 - ggf. im weiteren Verlauf des Aufstellungsverfahrens aufzuteilen in mehrere Bebauungspläne - für den Geltungsbereich des aufgehobenen Bebauungsplans „Dorf - Teil A“ „zur nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung und Ordnung und der Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzung für die Sicherung von Dauerwohnraum und dessen Neuschaffung, der Sicherung von Gewerbeflächen im Innendorfbereich, die geordnete Neuschaffung von Gästebeherbergungsflächen in dessen verschiedenen Ausprägungsformen und Sicherung deren Vielfalt sowie der Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge“. Diesen Aufstellungsbeschluss machte die Gemeinde durch Aushang vom 19. Oktober 2021 bis zum 3. Januar 2022 und ergänzend im Amtsblatt des Landkreises Wittmund vom 29. Oktober 2021 bekannt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Ebenfalls am 14. Oktober 2021 beschloss der Rat der Antragsgegnerin zur Sicherung der baurechtlichen und planerischen Ziele des aufzustellenden Bebauungsplans Nr. 22 die streitgegenständliche Veränderungssperre als Satzung. Diese Satzung wurde nach Ausfertigung durch den Allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters am 18. Oktober 2021 im Amtsblatt des Landkreises Wittmund vom 29. Oktober 2021 bekannt gemacht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Am 28. Januar 2022 hat die Antragstellerin die Veränderungssperre mit einem Normenkontrollantrag, am 3. Mai 2022 mit dem vorliegenden Normenkontrolleilantrag angegriffen. Zur Begründung macht sie geltend, der Bekanntmachung der Veränderungssperre sei nicht, wie erforderlich, eine wirksame Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses vorangegangen. § 7 der Hauptsatzung der Antragsgegnerin, der lautet:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt"><em>„§ 7 Verkündungen und öffentliche Bekanntmachungen</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt"><em>(1) Satzungen, Verordnungen, Genehmigungen von Flächennutzungsplänen sowie öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinde werden im Amtsblatt für den Landkreis Wittmund veröffentlicht.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt"><em>(2) Sind Pläne, Karten oder Zeichnungen Bestandteile einer Satzung oder Verordnung, so kann die Verkündung dieser Teile dadurch ersetzt werden, dass sie im Dienstgebäude der Gemeinde während der Dienststunden zur Einsicht ausgelegt werden (Ersatzverkündung). In der Satzung oder Verordnung wird der Inhalt der Pläne, Karten oder Zeichnungen grob umschrieben. Bei Veröffentlichung der Satzung oder Verordnung wird auf die Ersatzverkündung mit Ort, Zeitpunkt und Dauer hingewiesen.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt"><em>(3) Bekanntmachungen im Wege der Amtshilfe und sonstige Bekanntmachungen werden im Aushangkasten des Rathauses veröffentlicht. Die Regelung über die Ersatzverkündung gemäß Abs. 2 gilt entsprechend. Die Aushangfrist beträgt regelmäßig 7 Tage, sofern nichts anderes vorgeschrieben ist.“</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>sei nicht hinreichend bestimmt, da nicht erkennbar sei, wie öffentliche Bekanntmachungen nach Abs. 1 von sonstigen Bekanntmachungen nach Abs. 3 abzugrenzen seien. Hilfsweise sei hier eine öffentliche Bekanntmachung anzunehmen, die der Bekanntmachung der Veränderungssperre nicht vorangegangen, sondern gleichzeitig mit ihr erfolgt sei. Selbst wenn Abs. 3 einschlägig sei, sei die Bekanntmachung unwirksam, da die vorgesehene Aushangfrist von 7 Tagen zu kurz bemessen sei. Die Veränderungssperre sei ferner unwirksam, weil die gesicherte Planung nicht hinreichend konkret sei. Zudem sei die Veränderungssperre unwirksam, weil die gesicherte Planung gegenüber der [sc.: bereits durch frühere Veränderungssperren abgesicherten] früheren Planung, dem Bebauungsplan „Dorf - Teil A“, keine „andere“ i.S. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Der zulässige Normenkontrolleilantrag ist unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind regelmäßig zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans oder der Veränderungssperre bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 28.2.2020 - 1 MN 153/19 -, BauR 2020, 978 = juris Leitsätze 1 und 2 sowie Rn. 15 unter Anschluss an die stRspr des 4. Senats des BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 12; v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 -, BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 -, BauR 2019, 1442 = juris Rn. 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Gemessen daran bleibt der Antrag erfolglos, weil die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren gering sind. Die Veränderungssperre ist voraussichtlich rechtmäßig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>1.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, es fehle an einer wirksamen Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses für den zu sichernden Bebauungsplan vor Bekanntmachung der Veränderungssperre.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Nach § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde zur Sicherung der Planung eine Veränderungssperre beschließen, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist. Der Aufstellungsbeschluss ist mithin materiell-rechtliche Voraussetzung für den Erlass der Veränderungssperre. Fehlt ein Aufstellungsbeschluss, so ist eine gleichwohl erlassene Veränderungssperre nichtig. Dies gilt auch dann, wenn ein Aufstellungsbeschluss zwar gefasst worden, aber entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht ortsüblich bekanntgemacht ist. Nur ein bekanntgemachter Aufstellungsbeschluss ist im Rahmen des § 14 BauGB beachtlich. Denn erst mit seiner Bekanntmachung wirkt er nach außen (BVerwG, Beschl. v. 15.4.1988 - BVerwG 4 N 4.87 - BVerwGE 79, 200; v. 9.2.1989 - 4 B 236.88 -, ZfBR 1989, 171 = juris Rn. 4). Vorliegen muss die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses allerdings erst zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Veränderungssperre, nicht bereits bei der Beschlussfassung über diese (BVerwG, Beschl. v. 9.2.1989 - 4 B 236.88 -, ZfBR 1989, 171 = juris Rn. 5; zum Ganzen auch Senatsbeschl. v. 27.2.2019 - 1 KN 46/18 -, juris Rn. 31). Ortsüblich ist dabei diejenige Form der Bekanntmachung, die nach Landes- oder Gemeinderecht für die Bekanntmachung bestimmt ist, in Ermangelung einer solchen Bestimmung diejenige Form, die in der bekanntmachenden Gemeinde gewöhnlich genutzt wird.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Hier hat die Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss wirksam in der nach § 7 Abs. 3 ihrer Hauptsatzung für „sonstige Bekanntmachungen“ vorgesehenen Form durch Aushang im Aushangkasten des Rathauses bekanntgemacht. Die Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht aufgrund eines Verstoßes gegen den im Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) enthaltenen Bestimmtheitsgrundsatz unwirksam. Dem Bestimmtheitsgrundsatz ist genügt, wenn sich mit den üblichen Auslegungsmitteln der Bedeutungsgehalt der Festsetzung erschließen lässt. In diesem Rahmen fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht bereits dann, wenn mehrere Auslegungsergebnisse jeweils vertretbar wären. Erforderlich ist lediglich, dass eines davon in der Gesamtschau vorzugswürdig ist (Senatsurt. v. 10.11.2021 - 1 LB 78/19 -, BauR 2022, 443 = juris Rn. 43). Die Abgrenzung zwischen den in § 7 Abs. 3 geregelten „sonstigen Bekanntmachungen“ und den in § 7 Abs. 1 zusammen mit der Bekanntmachung von Satzungen, Verordnungen und Genehmigungen von Flächennutzungsplänen geregelten „öffentlichen Bekanntmachungen“ erschließt sich aus der Zusammenschau der Norm mit ihrer Rechtsgrundlage in § 11 NKomVG. Dessen Absatz 1 bis 5 regeln die Bekanntmachung von Satzungen, die in einem Verkündungsblatt, Tageszeitungen oder im Internet erfolgen dürfen, nicht jedoch durch Aushang. Nach § 11 Abs. 6 gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend für Verordnungen, die Genehmigung von Flächennutzungsplänen und „öffentliche Bekanntmachungen der Kommunen nach diesem Gesetz“. § 7 Abs. 1 der Hauptsatzung sollte ersichtlich diese Anforderungen umsetzen; daraus ergibt sich, dass sonstige Bekanntmachungen solche sind, die keine Normbekanntmachungen und keine in der die Bekanntmachung vorsehenden Norm, jedenfalls im NKomVG, als solche bezeichneten öffentlichen Bekanntmachungen sind. Darunter fallen auch ortsübliche Bekanntmachungen wie die des Planaufstellungsbeschlusses nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Die Bekanntmachung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil eine nur siebentägige Aushangfrist den Zweck der Bekanntmachung verfehlte, Öffentlichkeit und Behörden über die Einleitung des Planverfahrens zu unterrichten. Eine Mindestaushangfrist von einer Woche ist vor diesem Hintergrund ausreichend bemessen (vgl. ausführlich Senatsurt. v. 14.8.2009 - 1 KN 219/07 -, NVwZ-RR 2010, 91 = BauR 2010, 67 = juris Rn. 47), zumal in einer kleinen Inselgemeinde wie der Antragsgegnerin mit kurzen, regelmäßig ohne PKW zurückgelegten Wegen, in der damit zu rechnen ist, dass jeder Bürger regelmäßig das zentral in der Ortsmitte gelegene Rathaus passiert. Bestätigt wird dies durch § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB, der für die Auslegungsbekanntmachung ebenfalls eine Mindestfrist von einer Woche vorsieht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Die mit Aushang am 19. Oktober 2021 in Gang gesetzte siebentägige Aushangfrist war bei Bekanntmachung der Veränderungssperre am 29. Oktober 2021 abgelaufen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>2.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Die mit der Veränderungssperre geschützten Planungsabsichten der Antragsgegnerin waren hinreichend konkret.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Eine Veränderungssperre darf nur erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.10.2010 - 4 BN 26.10 -, BRS 76 Nr. 108 = juris Rn. 6; v. 1.10.2009 - 4 BN 34.09 -, Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 29 = juris Rn. 9; Urt. v. 19.2.2004 - 4 CN 16.03 -, BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 17). Dabei sind die Anforderungen an die Planungsabsichten freilich nicht zu überspannen. Erforderlich ist, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (BVerwG, Beschl. v. 5.2.1990 - 4 B 191.89 -, BRS 50 Nr. 103 = NVwZ 1990, 558 = BauR 1990, 335 = juris Rn. 3). Soll der Bebauungsplan Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung enthalten, so erfordert eine hinreichend konkrete Planung darüber hinaus, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre Vorstellungen über diese Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundstücksflächen existieren (BVerwG, Urt. v. 19.2.2004 - 4 CN 13.03 -, BRS 67 Nr. 118 = juris Rn. 15; zum Ganzen zuletzt etwa Senatsurt. v. 27.2.2019 - 1 KN 46/18 -, juris Rn. 35).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Das ist hier der Fall. Der Aufstellungsbeschluss der Antragsgegnerin erging - das zeigen bereits der zeitliche Kontext sowie die ausdrückliche Bezugnahme in der Beschlussvorlage und im Ratsprotokoll - in Reaktion auf das Senatsurteil vom 7. Oktober 2021 - 1 KN 92/19 -, das den Vorgängerplan „Dorf - Teil A“ aufgrund eines Bekanntmachungsmangels, einer bei einigen Festsetzungen ungeeigneten Festsetzungstechnik und einzelnen Bestimmtheitsmängeln für unwirksam erklärt, die Zielsetzung des Plans und auch wesentliche Instrumente zu ihrer Umsetzung aber nicht beanstandet hatte. Das neue Planaufstellungsverfahren soll erkennbar die vom Senat festgestellten Mängel beheben, ohne die Zielsetzung - Sicherung und tendenziell Vermehrung von Dauerwohnraum bei gleichzeitiger Zulassung von Gästebeherbergung und sonstigem tourismusorientiertem Gewerbe - zu ändern. Auch für eine Absicht, die nicht unerheblichen vom Senat für sich genommen unbeanstandet gelassenen Planinhalte grundlegend zu ändern, ist nichts ersichtlich. Damit geht der Detaillierungsgrad der Planungsabsichten sogar deutlich über das für den Erlass einer Veränderungssperre erforderliche Mindestmaß hinaus.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>3.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Die weitere Rüge der Antragstellerin, die Veränderungssperre sei unwirksam, weil mutmaßlich - Exaktes lasse sich mangels Beiziehung entsprechender Aufstellungsvorgänge der Antragsgegnerin nicht sagen - frühere Veränderungssperren die maßgebliche Gesamtgeltungsdauer von insgesamt drei (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BauGB) bzw. bei Vorliegen besonderer Umstände vier Jahren (§ 17 Abs. 2 BauGB) bereits ausgeschöpft hätten, ist unbegründet. Entgegen der sinngemäßen Auffassung der Antragstellerin kann nicht vom erneuten Beschluss der für die ursprüngliche Planung beschlossenen Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB ausgegangen werden mit der Folge, dass die bereits ausgeschöpfte Gesamtgeltungsdauer auf die zulässige Geltungsdauer der streitgegenständlichen Veränderungssperre anzurechnen wäre. § 17 Abs. 3 BauGB erfasst nur Fälle, in denen dieselbe Bauleitplanung mehrfach mit Veränderungssperren abgesichert wird, nicht dagegen Fälle, in denen für dasselbe Plangebiet nacheinander verschiedene Bauleitpläne aufgestellt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 29. März 2007 - 4 BN 11.07 -, NVwZ 2007, 954 = juris Rn. 4 ausgeführt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Die Planung ist auch dann insgesamt eine andere, wenn die Gemeinde für das Gebiet eines - wie hier - wegen der Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen insgesamt für unwirksam erklärten Bebauungsplans einen neuen Aufstellungsbeschluss fasst mit dem Ziel, nur die im Normenkontrollverfahren beanstandeten Festsetzungen zu ändern und es im Übrigen bei den bisherigen Festsetzungen zu belassen.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Unabhängig vom Grad der Übereinstimmung der Festsetzungen bewirke bereits der Umstand, dass die alte Planung mit der Inkraftsetzung formell abgeschlossen worden sei, die Wesensverschiedenheit mit etwaigen späteren Ersatzplanungen. Gemessen an diesen Erwägungen, denen der Senat folgt, ist für eine „Zusammenrechnung“ der Geltungsdauer der für den Bebauungsplan „Dorf - Teil A“ und ggf. dessen Vorgängerpläne erlassenen Veränderungssperren mit der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Veränderungssperre kein Raum.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1 a), 3, 8 g), 17 b) der auf der Internetseite des Gerichts veröffentlichten Streitwertannahmen der Bau- und Immissionsschutzsenate.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006754&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,256
ovgnrw-2022-08-09-4-a-81122
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 A 811/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-20T10:01:15
2022-10-17T11:09:21
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.4A811.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 15.3.2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen weckt nicht die allenfalls sinngemäß geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.10.2020 ‒ 2 BvR 2426/17 ‒, juris, Rn. 34, m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 ‒ 7 AV 4.03 ‒, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 26.11.2020, mit der dem Kläger die weitere selbständige Gewerbeausübung sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person nach § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewO untersagt wurde, sei rechtmäßig, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen des Klägers, die Gewerbeuntersagung lasse sich nicht darauf stützen, dass er keinen Steuerberater mit der Erstellung seiner Steuererklärungen beauftragt und unter anderem deshalb das Finanzamt den Weg der Steuerschätzung gewählt habe, steht der Annahme seiner gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nicht entgegen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtfertigen Steuerrückstände die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn sie sowohl nach ihrer absoluten Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; zudem ist die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, insoweit von Bedeutung.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.4.1997 ‒ 1 B 81.97 ‒, juris, Rn. 5, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dabei ist es für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit ohne Belang, ob die Steuerschulden auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhen. Allein maßgeblich ist hierfür, in welcher Höhe der Gewerbetreibende Steuern nicht gezahlt hat, die er bereits deshalb von Rechts wegen hätte zahlen müssen, weil die ergangenen Steuerbescheide vollziehbar waren. Dabei sind auf Schätzungen beruhende Steuerschulden in gleicher Weise von Bedeutung wie solche, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergeben.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.3.1997 – 1 B 72.97 –, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 6.12.2016 – 4 A 1425/14 –, juris, Rn. 10 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Steuerrückstände rechtfertigen jedoch dann nicht die Annahme der Unzuverlässigkeit, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 –, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 14, und vom 2.2.1982 – 1 C 146.80 –, BVerwGE 65, 1 = juris, Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ein derartiges Sanierungskonzept liegt nach anerkannter Rechtsprechung etwa dann vor, wenn ein verbindlicher und von den Gläubigern akzeptierter Tilgungsplan existiert, dem konkrete Ratenzahlungen und insbesondere das Ende der Rückführung der (gesamten) Rückstände zu entnehmen sind, der Schuldner vereinbarten Ratenzahlungen nachkommt und währenddessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden (können).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8.12.2011 ‒ 4 A 1115/10 ‒, juris, Rn. 52 f., Beschluss vom 30.4.2020 – 4 B 21/20 –, juris, Rn. 10 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">In dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 –, BVerwGE 152, 39 = juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 14.3.2016 – 4 B 17/16 u. a. –, juris, Rn. 4 f., m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">bestanden beim Finanzamt X.         über längere Zeiträume aufgelaufene Rückstände in Höhe von ca. 19.000,00 Euro sowie offene Forderungen der Stadtkasse X.         in Höhe von knapp 5.000,00 Euro. Konkrete Anhaltspunkte für ein den oben genannten Voraussetzungen entsprechendes Sanierungskonzept hat der Kläger weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Insbesondere vermag der Verweis auf die Einnahmeübersichten des Klägers für die Jahre 2018 bis 2021 schon wegen der daraus ersichtlichen geringen Höhe seiner Einkünfte und der sich aus dem Vollstreckungsportal ergebenden sieben Einträge im Schuldnerverzeichnis hierfür keinen Anhalt zu bieten.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
346,225
vg-munchen-2022-08-09-m-18-s-223726
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M 18 S 22.3726
2022-08-09T00:00:00
2022-08-17T10:01:02
2022-10-17T11:09:16
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <div> <p>I. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Inobhutnahme ihrer Tochter aufschiebende Wirkung hat. Die Tochter der Antragstellerin ist dieser zu übergeben.</p> <p>II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p>I.</p> <p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen die Inobhutnahme ihrer Tochter A.</p> <p><rd nr="2"/>Die Antragstellerin hat das alleinige Sorgerecht für ihre Tochter A., geb. am ... 2010. Die elterliche Sorge ist seit mehreren Jahren Gegenstand von zwischen der Antragstellerin und A.s Vater geführten Verfahren am Amtsgericht München - Familiengericht.</p> <p><rd nr="3"/>Am Nachmittag des 25. Juli 2022 fand ein Termin vor dem Amtsgericht München - Familiengericht - statt, an dem sowohl die Antragstellerin als auch der Kindsvater teilnahmen.</p> <p><rd nr="4"/>Am 26. Juli 2022 vormittags teilte der im familiengerichtlichen Verfahren tätige psychologische Sachverständigengutachter Herr Dr. F. der Jugendamtsmitarbeiterin der Antragsgegnerin Frau R. per E-Mail mit, dass sich der Vater von A. telefonisch bei ihm gemeldet und berichtet habe, dass A. ihn mehrfach aufgelöst angerufen hätte, da die Mutter verschwunden wäre und sie Angst hätte, dass die sich etwas antue. Laut Vater wäre die Mutter nicht zu erreichen, er selbst habe sie auch nicht erreicht.</p> <p><rd nr="5"/>Einem in der vorgelegten Behördenakte befindlichen Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2022 zufolge trug sich im weiteren Verlauf des Vormittags Folgendes zu:</p> <p><rd nr="6"/>Frau R. habe beim Familiengericht angerufen, um mitzuteilen, dass die Antragstellerin seit dem Vortag, nach der Verhandlung, verschwunden sei. Die zuständige Richterin sei jedoch nicht persönlich zu erreichen gewesen. In einem darauffolgenden Telefonat mit dem Kindsvater habe dieser berichtet, dass A. ihre Mutter nach der Verhandlung am Vortag telefonisch nicht mehr erreicht habe und sie sich große Sorgen mache. Frau R. habe sodann mit dem Kindsvater vereinbart, dass dieser seine Tochter, die sich beim Abschlussgottesdienst ihrer Schule befinde, abholen solle. Frau R. habe auch mit dem für A. im familiengerichtlichen Verfahren bestellten Verfahrensbeistand telefoniert, welcher eine sofortige Inobhutnahme und Unterbringung beim Vater vorgeschlagen habe. Nach interner Abklärung mit der stellvertretenden Teilregionsleitung im Amt sei dem Kindsvater die Entscheidung, A. in Obhut zu nehmen, mitgeteilt worden.</p> <p><rd nr="7"/>Der Vater von A. holte diese sodann wohl gegen 11:20 Uhr am selben Tag vom Schulgottesdienst ab.</p> <p><rd nr="8"/>Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2022 an den Kindsvater wurde die Inobhutnahme von A. „bestätigt“. Sorgeberechtigte hätten nicht benachrichtigt werden können.</p> <p><rd nr="9"/>Mit weiterem Schreiben vom 26. Juli 2022 wandte sich die Antragsgegnerin zudem mit einem Antrag nach § 8a SGB VIII i.V.m. § 1666 BGB an das Amtsgericht München - Familiengericht - hinsichtlich eines Entzugs der elterlichen Sorge und Beauftragung einer Ergänzungspflegschaft. A. solle vorläufig im Haushalt des Vaters wohnen, bis die Situation geklärt sei. A. müsse dringend vor weiteren impulsiven, für sie nicht nachvollziehbaren Handlungen durch die Kindesmutter geschützt werden.</p> <p><rd nr="10"/>Kurz darauf wurde seitens der Antragsgegnerin eine weitere Stellungnahme an das Familiengericht geschickt. Demnach habe die Antragstellerin gegen 13:00 Uhr bei Frau R. angerufen und erklärt, dass sie am Vortag Kreislaufprobleme gehabt und sich hingelegt habe. Am heutigen Tag sei sie in einem beruflichen Termin gewesen. Sie habe ihre Tochter gegen 9:00 Uhr angerufen, diese sei jedoch nicht ans Telefon gegangen. Frau R. habe die Antragstellerin darüber aufgeklärt, was in der Zwischenzeit in die Wege geleitet worden sei, da davon ausgegangen worden wäre, dass sie verschwunden sei. A. sei in sehr großer Sorge um die Mutter gewesen, dieser empfundener „Kontaktabbruch“ sei emotional sehr belastend gewesen. Alles weitere müsste nun durch das Familiengericht geklärt werden. Der Eilantrag bleibe bestehen, da dringend geklärt werden müsste, wie es zu dieser Situation habe kommen können und wie das Wohl des Kindes in Zukunft geschützt werden könne.</p> <p><rd nr="11"/>Am Abend des 26. Juli 2022 wandte sich die Antragstellerin mit einem Schreiben per Fax an die Antragsgegnerin und beantragte die sofortige Rückführung von A. Sie führte unter anderem aus, dass sie am Vortag um 17:47 Uhr noch einmal mit A. telefoniert habe, bevor diese zu einer Übernachtungsparty in der Schule aufgebrochen sei. Am Morgen des 26. Juli 2022 hätten sie erneut telefonischen Kontakt gehabt hinsichtlich der Dauer des Gottesdienstes. A. habe sie um 8:18 angerufen, dann aber einfach aufgelegt. Kurz darauf habe ihr A. dann eine SMS geschickt, dass der Gottesdienst von 10 bis 12 Uhr dauere. Um 9:04 Uhr habe die Antragstellerin sie dann noch einmal angerufen und bestätigt, dass sie sie von der Kirche abhole. Ab 9:04 Uhr sei sie durchgängig beruflich in einem Beratungsgespräch gewesen. Als sie ihre Tochter um 11:45 Uhr vor der Kirche habe abholen wollen, sei sie nicht da gewesen. Der Kindsvater habe ihr dann telefonisch mitgeteilt, dass A. bei ihm sei und sich die Antragstellerin beim Jugendamt informieren solle.</p> <p><rd nr="12"/>Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Familiengericht - vom 27. Juli 2022 wurde für A. ein Verfahrensbeistand bestellt. Weitere Entscheidungen ergingen bisher nicht.</p> <p><rd nr="13"/>Mit Schreiben vom 28. Juli 2022 legte die Antragstellerin gegen die Inobhutnahme von A. bei der Antragsgegnerin Widerspruch ein und forderte eine Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII an.</p> <p><rd nr="14"/>Am 29. Juli 2022 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München</p> <p><rd nr="15"/>einstweiligen Rechtsschutz gegen die Inobhutnahme ihrer Tochter A.</p> <p><rd nr="16"/>Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Gefährdungssituation bestanden habe. Im Zeitraum vom 25. Juli 2022, 17:47 Uhr, bis 26. Juli 2022, 9:04 Uhr, habe die Antragstellerin dreimal telefonisch mit ihrer Tochter gesprochen. Ein Bedarf für eine Inobhutnahme habe nie vorgelegen. Seit der Übernachtung in der Schule und bis zum Ende des Gottesdienstes sei A. immer unter Aufsicht gewesen und kein Lehrer habe sich bei der Antragstellerin gemeldet. Auch von Dr. F. oder vom Kindsvater habe sie keinen schriftlichen Hinweis oder eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter erhalten, dass sie in deren Augen als vermisst gelte. Da sie berufstätig und viel in Besprechungen auf Managementebene sei, könne sie nicht immer ans Telefon gehen. A. sei derzeit gemäß Umgangsbeschluss bis 20. August 2022 beim Vater.</p> <p><rd nr="17"/>Mit Schriftsatz vom 4. August 2022 beantragte die Antragsgegnerin,</p> <p><rd nr="18"/>den Antrag abzulehnen.</p> <p><rd nr="19"/>Es wurde ausgeführt, dass die Überprüfung des internen Kindesschutzverfahrens ergeben habe, dass das Jugendamt es als erforderlich angesehen habe, A. aufgrund der noch ungeklärten Sorgerechtssituation in Obhut zu nehmen und beim Kindsvater unterzubringen. Dabei wurde zum einen die Feststellung im psychiatrischen Zusatzgutachten vom 20. Dezember 2021 [Anm. des Gerichts: welches im familiengerichtlichen Verfahren eingeholt wurde] berücksichtigt, wonach der Kindsvater von den Eltern die gesünderen Anteile habe und in der Erziehungsfähigkeit nicht eingeschränkt sei. Zum anderen sei die Verhandlung vor dem Familiengericht am 25. Juli 2022 emotional sehr aufgeladen gewesen und ein selbstschädigendes Verhalten der Antragstellerin habe daher nach der Verhandlung nicht ausgeschlossen werden können. Eine Kontaktaufnahme mit der Mutter sei vorerst nicht erfolgt, da von den Beteiligten (Dr. F. dem Verfahrensbeistand, A. und dem Kindsvater) glaubhaft versichert worden sei, dass die Antragstellerin telefonisch nicht erreichbar gewesen sei.</p> <p><rd nr="20"/>Mit Schreiben vom 4. August 2022 legte die Antragstellerin zum Nachweis des telefonischen Kontakts mit A. Photos von SMS und Anrufprotokollen auf ihrem Smartphone vor.</p> <p><rd nr="21"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="22"/>Der sachdienlich ausgelegte Antrag hat Erfolg.</p> <p><rd nr="23"/>Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Inobhutnahme von A. ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass ihrem Widerspruch vom 28. Juli 2022 gegen die ihr mündlich bekanntgegebene Inobhutnahme ihrer Tochter am 26. Juli 2022 aufschiebende Wirkung zukommt.</p> <p><rd nr="24"/>Missachtet eine Behörde die von Gesetzes wegen eingetretene aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt, können die Verwaltungsgerichte in diesen Fällen der sog. faktischen Vollziehung die (ohnehin schon automatisch nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretene) aufschiebende Wirkung nicht anordnen. Sie können aber in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO feststellen, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 120; VG München, B.v. 22.4.2022 - M 18 E 22.1862 - juris Rn. 32 m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine solche Feststellung liegen vor.</p> <p><rd nr="25"/>Die Inobhutnahme stellt für die Antragstellerin einen belastenden Verwaltungsakt gemäß § 31 S. 1 SGB X dar. Der Verwaltungsakt der Inobhutnahme wird gemäß §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB X mit seiner Bekanntgabe an die Sorgeberechtigten, die gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch mündlich erfolgen kann, wirksam (vgl. Dürbeck in Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 42 Rn. 67, 68a). Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Eine Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 SGB VIII wird vom Tatbestand des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht umfasst, die aufschiebende Wirkung entfällt daher auch nicht ausnahmsweise kraft Gesetzes (vgl. VG München, B.v. 21.12.2020 - M 18 S 20.6711 - juris Rn. 22 ff. m.w.N.; Dürbeck in Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 42 Rn. 67; Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 42 Rn. 100).</p> <p><rd nr="26"/>Vorliegend wurde die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin am 26. Juli 2022 mündlich am Telefon über die erfolgte Inobhutnahme ihrer Tochter informiert. Ein schriftlicher Verwaltungsakt liegt nicht vor. Lediglich dem nichtsorgeberechtigten Vater des Kindes wurde seitens der Antragsgegnerin eine schriftliche Bestätigung der Inobhutnahme übersandt. Mit Schreiben vom 28. Juli 2022, bei der Antragsgegnerin eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin vorliegend form- und fristgerecht gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO Widerspruch eingelegt. Diesem kommt nach obigen Ausführungen aufschiebende Wirkung zu.</p> <p><rd nr="27"/>Die Antragsgegnerin hat überdies keine sofortige Vollziehung der Inobhutnahme angeordnet - in diesem Fall hätte zudem eine schriftliche Begründung zu erfolgen (vgl. VG München, B.v. 21.12.2020 - M 18 S 20.6711 - juris Rn. 24; VG Würzburg, B.v. 5.6.2018 - W 3 S 18.745 - juris Rn. 23 m.w.N.; OLG Frankfurt, B.v. 22.1.2019 - 4 WF 145718 - juris - Leitsatz 2, Rn. 15) -, sodass auch aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung nicht entfällt (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).</p> <p><rd nr="28"/>Nachdem die Antragsgegnerin zuletzt in der Antragserwiderung vom 4. August 2022 zum Ausdruck gebracht hat, trotz Widerspruchs der Antragstellerin an der Inobhutnahme festzuhalten und diese weiter zu vollziehen, liegt ein Fall des sog. faktischen Vollzugs vor. Dieser Verstoß gegen § 80 Abs. 1 VwGO führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 80 Rn. 352). Dem Antrag ist daher mit dem aus dem Entscheidungstenor ersichtlichen Inhalt zu entsprechen. Analog § 80 Abs. 5 Satz 3 ist die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen und A. an die sorgeberechtigte Antragstellerin - ggf. angepasst an familiengerichtliche Umgangsbeschlüsse - zu übergeben.</p> <p><rd nr="29"/>Ohne dass es im vorliegenden Fall entscheidungserheblich darauf ankommen würde, hat das Gericht überdies erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erfolgten Inobhutnahme.</p> <p><rd nr="30"/>Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Die Inobhutnahme stellt sich als wesentlicher Eingriff in das grundrechtlich gemäß Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht dar. Sie kommt bei Widerspruch der Personensorgeberechtigten nur in akuten Gefährdungssituationen in Betracht, die eine abwartende Entscheidung des Familiengerichts nicht erlauben; sie ist ultima ratio (vgl. VG München, B.v. 21.12.2020 - M 18 S 20.6711 - juris Rn. 29 m.w.N.).</p> <p><rd nr="31"/>Anhand der lediglich spärlichen Dokumentation der Geschehnisse am 26. Juli 2022 durch die Antragsgegnerin kann das Gericht nicht erkennen, dass der Inobhutnahme eine dringende Gefahr für das Wohl von A. vorausging. Wie von der Antragstellerin vorgetragen war A. durchgehend vom Abend des 25. Juli 2022, an dem sie sich in Absprache mit der Antragstellerin auf einer Übernachtungsparty in der Schule befand, sowie anschließend am Morgen des 26. Juli 2022 im Schulgottesdienst unter Aufsicht. Dass die Antragstellerin in diesem Zeitraum - nach Angaben des Vaters der Tochter - für mehrere Stunden an einem Werktag, an welchem diese für gewöhnlich arbeitet, für ihre Tochter telefonisch nicht erreichbar gewesen war, stellt für sich genommen keine Kindeswohlgefährdung dar. Dafür dass sich die Antragstellerin - so die Vermutung der Antragsgegnerin - nach dem Termin vor dem Familiengericht „etwas antun könnte“, gab es nach Aktenlage keinerlei belastbare Anhaltspunkte. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass die Sorgerechtssituation „ungeklärt“ und eine Inobhutnahme daher erforderlich sei, trifft darüber hinaus nicht zu: bis zu einer anderweitigen Entscheidung des in dieser Frage allein kompetenten Familiengerichts liegt die elterliche Sorge für A. bei der Antragstellerin. Dass in dem vom Familiengericht eingeholten Sachverständigengutachten dem Kindsvater in Hinblick auf dessen Erziehungskompetenz im Vergleich zur Antragstellerin die „gesünderen Anteile“ attestiert wurden, ändert daran nichts und kann eine Inobhutnahme ebenfalls nicht rechtfertigen. Nicht nachvollziehbar erscheint für das Gericht des Weiteren, dass die Antragsgegnerin vorliegend nicht einmal selbst den Versuch unternommen hat, die Antragstellerin zu erreichen und somit die Situation ohne Inobhutnahme des Kindes - nach der Gesetzeskonzeption ultima ratio - zu klären.</p> <p><rd nr="32"/>Selbst wenn man angesichts des raschen Verlaufs der Geschehnisse und der familiengerichtlichen Vorgeschichte von einer drohenden Kindeswohlgefährdung von A. durch eine potentielle Abwesenheit der Antragstellerin ausginge, wäre die Inobhutnahme spätestens nachdem sich die Antragstellerin am Mittag des 26. Juli 2022 bei der Antragsgegnerin gemeldet hatte, zu beenden gewesen. Eine Gefährdungssituation lag zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr vor. Der Verweis auf ein nun in die Wege geleitetes familiengerichtliches Verfahren entbindet die Antragsgegnerin entgegen deren offenbar vertretenen Auffassung nicht davon, immer wieder selbst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Inobhutnahme noch gegeben sind und diese sodann bei Entfallen der angenommenen Gefährdung umgehend zu beenden (vgl. Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 42 SGB VIII (Stand: 02.08.2022), Rn. 233).</p> <p><rd nr="33"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <p><rd nr="34"/>Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.</p> </div>
346,171
ovgnrw-2022-08-09-19-b-86122
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
19 B 861/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-13T10:01:50
2022-10-17T17:55:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.19B861.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p> <p>Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragsteller ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO nur die fristgerecht dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig zu verpflichten, die Antragstellerin zu 1. zum Schuljahr 2022/2023 in die Klasse 5 des Städtischen Gymnasiums B.              H.      aufzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller erfolglos ihre größtenteils schon erstinstanzlich erhobenen Einwände weiter, die Beigeladene habe eine weitere Eingangsklasse bilden und dadurch dessen Aufnahmekapazität über die zugrunde gelegten 150 Schülerplätze hinaus weiter erhöhen müssen (1.). Außerdem habe der Schulleiter das Aufnahmekriterium der Geschlechterausgewogenheit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 APO-S I außer Betracht lassen müssen (2.).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Erfolglos wenden sich die Antragsteller zunächst gegen die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Entscheidung der Beigeladenen sei ermessensfehlerfrei, am fünfzügigen Städtischen Gymnasium B.             H.      zum Schuljahr 2022/2023 keine weitere (sechste) Eingangsklasse zu bilden. Entgegen ihrer Auffassung ist das Organisationsermessen der Beigeladenen aus § 81 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW zur vorübergehenden Erhöhung der Zahl der Parallelklassen durch Bildung einer Mehrklasse nicht in diesem Sinn auf Null reduziert. Zu Unrecht halten sie dem Verwaltungsgericht entgegen, es habe „in verfehlter Weise“ darauf abgestellt, dass das Bildungsangebot der begehrten Schulform zumindest schulträgerübergreifend betrachtet gesichert erscheine, und vertreten pauschal die Rechtsauffassung, darauf komme es nicht an, weil ein wesentlicher Nachteil im Sinn des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nach der Senatsrechtsprechung auch in der Nichtaufnahme an der Wunschschule liegen könne. Bei dieser Argumentation bleibt offen, inwiefern der Ermessensgesichtspunkt der Sicherung des Bildungsangebots der Schulform in zumutbarer Entfernung fehlerhaft sein soll (§ 78 Abs. 4 Satz 3 SchulG NRW), und erst recht, inwiefern sich daraus die behauptete Ermessensreduzierung ergeben soll. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Ermessensentscheidung der Beigeladenen im Gegenteil u. a. deshalb für fehlerfrei gehalten, weil der „marginale“ Überhang von drei Anmeldungen keine Mehrklassenbildung nahelegt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">2. Ebenso wenig dringen die Antragsteller mit ihrem weiteren Einwand durch, der Schulleiter habe das Aufnahmekriterium der Geschlechterausgewogenheit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 APO-S I außer Betracht lassen müssen, weil er mit der Aufnahme aller angemeldeten 68 Jungen, aber nur 82 von 85 angemeldeten Mädchen „letztlich eine Diskriminierung der ‚übrigbleibenden‘ drei Mädchen“, unter ihnen auch der Antragstellerin zu 1. bewirkt habe. Am Maßstab der Senatsrechtsprechung habe er das Aufnahmekriterium nur bei Erreichbarkeit eines paritätischen Aufnahmeverhältnisses heranziehen dürfen. Da die Anmeldezahlen dies hier unmöglich gemacht hätten, habe „das Kriterium der Geschlechterparität vorliegend gerade keine Steuerungswirkung entfalten“ können.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dieser Argumentation hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend entgegen gehalten, dass die Antragsteller mit ihr denjenigen Teil der Senatsrechtsprechung ausblenden, nach welchem der Schulleiter von einer Aufnahme von Jungen und Mädchen in gleicher Anzahl absehen darf, wenn das Verhältnis der Anmeldezahlen keine paritätische Aufnahme ermöglicht (S. 9 des Beschlusses). Mit diesen Ausführungen setzen sich die Antragsteller in ihrer Beschwerdebegründung nicht auseinander.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat hat die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeit für nicht erstattungsfähig erklärt. Sie hat sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weil sie keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Bedeutung der Schulaufnahme für die Antragsteller, auf die es nach § 47, § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertfestsetzung ankommt, bestimmt der Senat in ständiger Ermessenspraxis in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Sonderbeilage Januar, S. 11) im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit der Hälfte des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG, also 2.500,00 Euro.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 2022 ‑ 19 B 56/22 ‑, juris, Rn. 10 m. w. N., vom 27. Mai 2021 ‑ 19 E 428/21 ‑, NVwZ-RR 2021, 696, juris, Rn. 5, und vom 30. November 2016 - 19 B 1066/16 -, NWVBl. 2017, 122, juris, Rn. 47.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,170
ovgnrw-2022-08-09-18-a-132722
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
18 A 1327/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-13T10:01:46
2022-10-17T17:55:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.18A1327.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung wird zugelassen.</p> <p>Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Wie mit der Begründung des Zulassungsantrags dargelegt, bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne sich auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG berufen, weil er eine schutzwürdige Lebensgemeinschaft mit Frau O.        und den aus dieser Beziehung hervorgegangenen beiden minderjährigen Kindern deutscher Staatsangehörigkeit führe, ist nach dem derzeitigen Akteninhalt nicht nachvollziehbar, denn sie entbehrt einer plausiblen Begründung.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hatte mit Klageschriftsatz vom 24. März 2021 vorgetragen, „zurzeit“ eine neue Lebensgefährtin zu haben, mit der er zwei minderjährige Kinder habe. Die Lebensgefährtin sei deutsche Staatsangehörige, so dass auch die Kinder deutsche Staatsangehörige seien. Er kündigte zwar an, „entsprechende Urkunden des Jungendamtes“ vorzulegen, im Nachgang wurden indes entsprechende Dokumente, Urkunden oder Belege nicht zur Gerichtsakte gereicht. Auch den gerichtlichen Aufforderungen vom 9. Dezember 2021 und vom 10. Mai 2022 - dort sogar in Form einer Verfügung gemäß § 87b Abs. 2 VwGO - zur Vorlage entsprechender Belege kam er nicht nach. Der Beklagte hatte in der Zwischenzeit mit Klageerwiderungsschriftsatz vom 22. April 2021 darauf hingewiesen, „hinsichtlich der beiden deutschen Kinder des Klägers, für die er angeblich das Sorgerecht ausüb[e], liegen meiner Behörde keine Erkenntnisse vor“.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der Frage, ob ohne Vorlage jeglicher Dokumente überhaupt die Voraussetzungen von § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG bejaht werden können, erschließt sich nicht, aufgrund welcher „glaubhaften und nachvollziehbaren Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung“ die Kammer zur Überzeugung gelangt ist, die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen vor. Denn das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2022 schweigt hierzu. Diesem lässt sich nicht einmal (ausdrücklich) entnehmen, dass der Kläger überhaupt befragt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">In den Urteilsgründen heißt es über die oben zitierte Formulierung hinaus, insbesondere habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass „ihm eine Überprüfung der Vaterschaft zu den Kindern (Anmerkung des Senats: gemeint sind (wohl) seine angeblichen deutschen Kinder K.    und T.   ) angekündigt worden sei“. Aus dieser Passage lässt sich allerdings nichts ableiten, das für die Behauptungen des Klägers spricht. Im Gegenteil: Sie deutet eher darauf hin, dass die angebliche Vaterschaft keineswegs unstreitig ist. Zur Staatsangehörigkeit der Kinder ergibt sich daraus nichts. Im Übrigen fehlt es an jeglichen nachvollziehbaren Anhaltspunkten dazu, was genau von wem überprüft werden soll und wer dies angekündigt hat.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Plausibel wird die Rechtsauffassung der Kammer auch nicht durch den Hinweis auf das Urteil des Landgerichts L. vom 25. September 2020, nach dem der Kläger „gemeinsam mit seiner aktuellen Partnerin, seiner Mutter, seinem Bruder, seinem ältesten Sohn sowie den beiden jüngsten Kindern in einer Sammelunterkunft in I." zusammenlebt. Denn jenem Urteil lässt sich nicht entnehmen, worauf das Gericht seine diesbezüglichen Erkenntnisse gestützt hat. Abgesehen davon ergibt sich auch aus jenem Urteil nichts zur Staatsangehörigkeit der angeblichen jüngsten Kinder. Die Feststellung hinsichtlich des Zusammenlebens wird bezogen auf den maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt zudem widerlegt durch jüngste Angaben des Klägers, nach denen er in der L.-Straße, seine angebliche Lebensgefährtin nebst angeblicher Kinder jedoch in der M.-Straße in I.     gemeldet ist.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen liegt ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Diese Voraussetzungen sind offensichtlich gegeben, sodass es entsprechender Darlegungen seitens des Beklagten nicht bedarf.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Verfahrensmangel ist darin zu erblicken, dass das Verwaltungsgericht Äußerungen des Klägers im Rahmen einer informatorischen bzw. formlosen Anhörung zu Beweiszwecken verwertet hat, ohne diese aktenkundig zu machen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Dokumentation von Beweisergebnissen folgende Ansätze vertreten:</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach einer neueren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind gemäß § 105 VwGO in Verbindung mit § 160 Abs. 3 Nr. 4 Halbs. 1 ZPO im Protokoll nur die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien festzustellen. Zwar ist die Wiedergabe der Äußerungen eines Verfahrensbeteiligten oder eines Sachbeistands außerhalb einer förmlichen Beteiligtenvernehmung im Rahmen einer formlosen Anhörung zur näheren Darlegung des vorgetragenen Sachverhalts schon nach dem Wortlaut dieser Regelung nicht vorgeschrieben. Eine Verwertung der Äußerungen zu Beweiszwecken ist ohne Protokollierung hingegen ausgeschlossen. Ob Äußerungen zu Beweiszwecken verwertet werden ist danach abzugrenzen, ob diese - beispielsweise in der Gestalt einer näheren Darlegung bzw. Aufklärung eines noch nicht klar oder vollständig vorgetragenen Sachverhalts - lediglich bei der Bildung der richterlichen Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt und damit lediglich als Bestätigung der aus sonstigen Umständen gewonnenen Überzeugung herangezogen werden oder ob die Entscheidung allein bzw. in maßgeblicher Weise auf die Äußerungen gestützt wird.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2018- 9 B 43.16 -, juris, Rn. 59 - 62.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">In der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wurde es als ausreichend angesehen, das Beweisergebnis im Urteil festzuhalten, wenn eine Äußerung zum Zwecke des Beweises im Urteil verwertet wird; der Protokollierung sei jedoch in der Regel der Vorzug zu geben. Diese Anforderungen gelten gerade auch dann, wenn es sich zwar formal um eine bloße informatorische Anhörung handelt, in der Sache jedoch eine Vernehmung zum Zwecke der Beweiserhebung stattfindet.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1969 - VIII C 22.68 - Buchholz 310 § 105 VwGO Nr. 3.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ohne Protokollierung muss indes zumindest das Ergebnis der Befragung in dem Urteil so wiedergegeben werden, dass der gesamte Inhalt der Äußerungen, soweit er für die Entscheidung auch nur von Bedeutung sein kann, erkennbar wird und dass er sich deutlich abhebt von der Würdigung der Äußerungen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es (im Falle fehlender Protokollierung von Erläuterungen eines Sachverständigen) ferner genügen, den Inhalt der entsprechenden Angaben in einem Aktenvermerk des Berichterstatters festzuhalten.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Urteile vom 21. April 1993- XII ZR 126/91 -, juris, Rn. 10, und vom 24. Februar 1987 - VI ZR 295/85 -, juris, Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dem folgt (im Falle einer fehlenden Protokollierung von Zeugenaussagen) auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFH, Beschluss vom 13. Mai 2015 - I B 64/14 -, juris, Rn. 8, und Urteil vom 20. Dezember 2000- III R 63/98 -, juris, Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Senat kann hier offen lassen, welcher Ansicht er zuneigt, denn ein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensfehler ist nach jeder Betrachtungsweise gegeben. Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, die Voraussetzungen von § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG lägen vor, neben dem nicht weiter überprüften Hinweis auf eine (inhaltlich defizitäre) Passage im Urteil des Landgerichts L. vom 25. September 2020 ausschließlich auf die Äußerungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung gestützt. Diese dienten damit Beweiszwecken. Sie hätten folglich zwingend im Wesentlichen dokumentiert werden müssen. Das ist hier jedoch nicht geschehen. Weder im Protokoll noch im Urteil noch an anderer Stelle in der Gerichtsakte sind die Äußerungen des Klägers niedergelegt, an die das Gericht entscheidungserheblich angeknüpft hat.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen. Aufgrund der fehlenden Dokumentation der Äußerungen des Klägers bietet die Gerichtsakte keine geeignete Grundlage für die obergerichtliche Nachprüfung. Die tatsächlichen Grundlagen des angefochtenen Urteils sind damit nicht in vollem Umfang ersichtlich. Es lässt sich nicht ausschließen, dass der Verfahrensfehler einer nicht ordnungsgemäßen Dokumentation der Äußerungen des Klägers sich auf das Ergebnis des angefochtenen Urteils ausgewirkt hat.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Zusammenhang BFH, Urteil vom 20. Dezember 2000 - III R 63/98 -, juris, Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1976- VI C 12.76 -, juris, Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet weiterer Erwägungen ist die unterlassene Rüge der Protokollierung durch die Beteiligten (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m § 295 ZPO) schon deshalb unbeachtlich, weil in Fällen der fehlenden Ersichtlichkeit der tatsächlichen Grundlagen eines angefochtenen Urteils für das Rechtsmittelgericht ein solcher Mangel nicht der für die Anwendung des § 295 ZPO vorauszusetzenden Disposition der Beteiligten unterliegt.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003- VI ZR 309/02 -, juris, Rn. 7, und Urteil vom 21. April 1993 - XII ZR 126/91 -, juris, Rn. 15.</p>
346,169
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6 E 324/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-13T10:01:44
2022-10-17T17:55:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.6E324.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung von drei Richterinnen (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO i. V. m. § 109 Abs. 1 Satz 2 JustG NRW).</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Eine die Zuständigkeit des Einzelrichters bzw. der Einzelrichterin</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">begründende spezialgesetzliche Regelung liegt nicht vor. Die Vorschriften, die bei Kosten- und Streitwertbeschwerden eine Beschwerdeentscheidung des Rechtsmittelgerichts durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter vorsehen, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (vgl. §§ 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2,  68 Abs. 1 Satz 5 GKG, §§ 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2,  56 Abs. 2 Satz 1 RVG), sind im Rahmen der nach § 146 Abs. 1 VwGO erhobenen Beschwerde, die - wie hier - einen die Erinnerung nach den §§ 151, 165 VwGO zurückweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichts betrifft, nicht einschlägig.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.1.2011 - 1 E 32/11 -, juris Rn. 1, vom 2.10.2009 - 13 E 1111/09 -, juris Rn. 2 f. und vom 8.7.2009 - 18 E 1013/08 -, NJW 2009, 2840 = juris Rn. 1 f. jeweils m. w. N.; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 24.9.2021 - 13 OA 362/21 -, juris Rn. 1 und vom 11.6.2007 - 2 OA 433/07 -, juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 19.1.2007 - 24 C 06.2426 -, NVwZ-RR 2007, 497 ff. = juris Rn. 15 ff.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 18.3.2022 mit zutreffenden Gründen zurückgewiesen. Die Klägerin kann weder die Festsetzung einer Erledigungsgebühr (1.) noch die Festsetzung der vollständigen Kopierkosten (2.) beanspruchen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer Erledigungsgebühr.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - VV RVG). Nach Nr. 1002 Satz 1 VV RVG entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung muss in einer besonderen Tätigkeit des Rechtsanwalts liegen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgeht und auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.10.2014 - 12 E 567/14 -, juris Rn. 11, und vom 19.12.2013 - 16 E 204/13 -, juris Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Erforderlich ist darüber hinaus eine für die Erledigung kausale Mitwirkung des Rechtsanwalts. Eine rechtliche Vermutung für die Ursächlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist in Nr. 1002 Satz 1 VV RVG nicht enthalten. Hat der Rechtsanwalt eine auf die Aufhebung oder Abänderung des Verwaltungsakts gerichtete Tätigkeit entfaltet und erfolgt anschließend die Aufhebung oder Abänderung des Verwaltungsakts, so spricht allerdings eine tatsächliche Vermutung für die Ursächlichkeit seines Handelns. Gibt aber der Sachverhalt Anhalt dafür, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts für die Aufhebungs- oder Abänderungsentscheidung der Behörde nicht ursächlich war, ist die Kausalität zu verneinen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2013 - 16 E 204/13 -, a. a. O. Rn. 19.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Davon ausgehend ist hier keine Erledigungsgebühr entstanden. Mit der Erinnerung bzw. mit der Beschwerde sind keine Bemühungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin dargetan worden, die eine für die Erledigung des Verfahrens ursächliche Mitwirkung erkennen lassen. Die Erledigung des Verfahrens beruht vielmehr auf dem gerichtlichen Hinweis vom 22.12.2021, der das beklagte Land veranlasst hat, seinen Bescheid vom 31.5.2021, mit dem es die Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe abgelehnt hat, aufzuheben und die Klägerin im Januar 2022 in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen. Damit hat das beklagte Land ihrem - auf die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe „zum nächstmöglichen Termin“ - gerichteten Klagebegehren vollumfänglich entsprochen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund geht auch der Verweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Entscheidung des Senats vom 30.8.2011 - 6 E 775/11 - an der Sache vorbei. Hiernach kann, worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zutreffend hinweist, eine die Erledigungsgebühr auslösende Mitwirkung darin liegen, dass der Rechtsanwalt den Kläger dahin beraten hat, ein nur teilweise materiell-rechtlich erledigtes Verfahren in Übereinstimmung mit der Beklagtenseite insgesamt für erledigt zu erklären. So liegt der Streitfall aber nicht. Das beklagte Land hat dem Klageantrag - wie ausgeführt - vollumfänglich entsprochen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin irrt, wenn er meint, zur vollumfänglichen Klagelosstellung hätte es einer Ernennung zur Beamtin auf Probe auf einen zurückliegenden Zeitpunkt bedurft. Dies war nicht beantragt und wäre im Übrigen auch rechtlich unmöglich, vgl. § 8 Abs. 4 BeamtStG.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Klägerin, sie hätte das Verfahren im Wege einer Klageerweiterung fortführen können, habe dies auf Anraten ihres Prozessbevollmächtigten jedoch unterlassen, sodass dieser an der Erledigung mitgewirkt habe, verfängt ebenfalls nicht. Denn bei einer - danach nur noch möglichen auf Schadenersatz gerichteten - Klageerweiterung handelt es sich um die Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands. Für die Entstehung der begehrten Erledigungsgebühr kommt es aber darauf an, ob der ursprünglich anhängig gemachte Streitgegenstand durch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten unstreitig erledigt werden konnte. Ohne Belang ist, ob die Klägerin eine weitere ‑ einen anderen Streitgegenstand betreffende - Klage gegen ihren Dienstherrn hätte erheben können.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">2. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg die Dokumentenpauschale für die Ablichtung des gesamten ihrem Prozessbevollmächtigten übersandten Verwaltungsvorgangs geltend machen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, soweit sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sind. Die Erstattungsfähigkeit der Auslagen der Anwälte für Fotokopierkosten richtet sich wiederum nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, Teil 7. Bei Auslagen für Ablichtungen aus den Gerichts- und Behördenakten handelt es sich danach nicht um allgemeine Geschäftskosten, die mit den Gebühren abgegolten werden. Dies ergibt sich aus der Vorbemerkung 7, Abs. 1 von Teil 7 der Anlage 1. Denn Nr. 7000, Auslagentatbestand 1a VV RVG setzt eine gesonderte Pauschale für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten fest, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung geboten ist, ist auf die Sichtweise eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts, der sich mit der betreffenden Akte beschäftigt hat, abzustellen. Dabei muss kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Dem Rechtsanwalt steht ein gewisser Ermessensspielraum zu, denn er und nicht das Gericht, das nachträglich über die Berechnung oder Erstattungsfähigkeit der Dokumentenpauschale zu entscheiden hat, ist für die ihm anvertraute Führung der Rechtssache verantwortlich. Dieses Ermessen muss der Rechtsanwalt aber ausüben. Er darf nicht ohne weiteres die gesamte Behördenakte ablichten. Vielmehr muss er eine grobe Prüfung und vorläufige Bewertung des ihm zur Einsicht überlassenen Materials vornehmen. Denn die Verwaltungsakten enthalten im Allgemeinen zahlreiche Schriftstücke, die auch zu Beginn eines Prozesses für den Rechtsanwalt erkennbar ohne Bedeutung für dessen Ausgang sind. Wenn durch den Rechtsanwalt eine Auswahl der zu kopierenden Dokumente überhaupt nicht erfolgt, widerspricht dies auch dem für die Abrechnung der Dokumentenpauschale im Kostenrecht geltenden Gebot, die Ersatzpflicht Dritter möglichst niedrig zu halten.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Thematik: OVG NRW, Beschluss vom 18.10.2006 - 7 E 1339/05 -, NVwZ-RR 2007, 500 = juris Rn. 28, 33; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.5.2020 - 4 O 42/20 -, juris Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 18.2.2020 - 5 M 19.2487 -, BayVBl 2020, 535 = juris Rn. 6; VG Kassel, Beschluss vom 20.1.2020 - 6 K 2849/16.KS.A -, juris Rn. 5 f.; VG Würzburg, Beschlüsse vom 20.3.2020 - W 7 M 19.1560 -, juris Rn. 14, und vom 4.5.2012 - W 6 M 12.30075 -, juris Rn. 20 ff. m. w. N.; Kunze in: BeckOK, 61. Ed. 1.4.2022, VwGO § 162 Rn. 75.1.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dass die Ablichtung des gesamten Verwaltungsvorganges nach diesen Maßgaben zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war, lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen. Allein der Einwand, dass sich häufig nicht bereits bei Erhalt der Akten, sondern erst im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstelle, welche Gesichtspunkte von Belang seien, genügt nach dem Vorstehenden gerade nicht. Auch das weitere Vorbringen der Klägerin lässt nicht erkennen, dass ihr Prozessbevollmächtigter insoweit sein Ermessen ausgeübt hat. Er hat vielmehr eingeräumt, vor der vollständigen Ablichtung der Akte keine Prüfung vorgenommen zu haben, welche Kopien erforderlich sind, sondern sich für die Vervielfältigung der gesamten Akte entschieden habe, weil dies für ihn einen geringeren Aufwand bedeutet habe als die Akte im Einzelnen auf für das Verfahren relevante Inhalte durchzusehen. Seine eigene Arbeitserleichterung kann jedoch weder zu Lasten des beklagten Landes noch der Staatskasse gehen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Kopie des gesamten Verwaltungsvorgangs sei aufgrund der nur für zwei Tage gewährten Akteneinsicht notwendig gewesen, als nicht geeignet angesehen, sein Vorgehen zu rechtfertigen. Denn dem Prozessbevollmächtigten wurde der Verwaltungsvorgang nicht nur für zwei Tage, sondern für zwei Wochen überlassen. Im Übrigen hätte er auch die Möglichkeit gehabt, um Fristverlängerung nachzusuchen, wenn er auch innerhalb des ihm zur Akteneinsicht gewährten zweiwöchigen Zeitraums keine Kapazitäten zur Sichtung des Verwaltungsvorgangs gehabt hätte.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dahinstehen kann schließlich, ob in dem Zeitraum, in dem ihm die Akten zur Einsichtnahme überlassen worden sind, ein Besprechungstermin mit der Klägerin, wie er geltend macht, nicht möglich gewesen ist. Denn dies steht nicht im Zusammenhang mit der ihn für die Kostenerstattung treffende Obliegenheit, den Verwaltungsvorgang vor einer vollständigen Ablichtung auf Inhalte durchzugehen, die ersichtlich zur Rechtsverteidigung irrelevant sind oder bereits bekannt waren bzw. hätten sein müssen (z. B. eigene Schriftsätze oder Schriftstücke, die der Klägerin vorlagen oder hätten vorliegen müssen). Eine solche Durchsicht war dem Prozessbevollmächtigten auch ohne Besprechung mit der Klägerin zumutbar.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Keiner Entscheidung bedarf, ob die Festsetzung der Kopierkosten danach vollständig hätte abgelehnt werden müssen oder die von dem Urkundsbeamten vorgenommene pauschale hälftige Kürzung rechtlich zulässig ist, da die Klägerin durch die - ihr unter Umständen zu Unrecht zugestandene - hälftige Gewährung der geltend gemachten Dokumentenpauschale jedenfalls nicht beschwert ist und das beklagte Land kein Rechtsmittel gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben hat.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. die Berechtigung zur hälftigen Kürzung bejahend: LSG Bayern, Beschluss vom 8.11.2016 - L 15 SF 256/14 E - juris Rn. 30; VG Würzburg, Beschlüsse vom 20.3.2020 - W 7 M 19.1560 -, a. a. O. Rn. 17 und vom 4.5.2012 - W 6 M 12.30075 -, a. a. O. Rn. 27; VG Augsburg, Beschluss vom 17.10.2012 - Au 7 M 11.1600 -, juris Rn. 15; a. A. zur vollständigen Zurückweisung der Kopierkosten: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.5.2020 - 4 O 42/20 -, a. a. O. Rn. 10; VG Kassel, Beschluss vom 20.1.2020 ‑ 6 K 2849/16.KS.A -, a. a. O. Rn. 7 ff.; VG Dresden, Beschluss vom 21.8.2019 - 12 K 2345/16.A -, juris Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil lediglich die Festgebühr nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG anfällt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,168
ovgnrw-2022-08-09-8-a-375318
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8 A 3753/18
2022-08-09T00:00:00
2022-08-13T10:01:42
2022-10-17T17:55:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.8A3753.18.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen wird abgelehnt.</p> <p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.</p> <p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 15.000,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Dies ist hier nicht der Fall. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dazu I.). Die Rechtssache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf (dazu II.). Die ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu III.) und der Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (dazu IV.) sind schon nicht hinreichend dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">I. Aus der Antragsbegründung ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe das klägerische Begehren falsch ausgelegt, ist unbegründet. Die anwaltlich vertretenen Kläger haben mit der Klageschrift vom 5. April 2017 und in der mündlichen Verhandlung am 22. August 2018 ausdrücklich mit ihrem Hauptantrag begehrt, die Beklagte zu verurteilen, den in der L.    -T.          -Straße in C.          gelegenen Streetball-Platz „zu schließen“. Nur hilfsweise haben sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, um den Streetball-Platz 4,50 m hohe Fangzäune, ausgestattet mit Fangnetzen, auf einer Länge von 12,50 m parallel zum Grundstück L.    -T.          -Straße 14 zu errichten. Anhaltspunkte für die Annahme, dass es ihnen mit dem Hauptantrag, wie sie in der Antragsbegründung ausführen, nicht darum gegangen sei, den Kindern grundsätzlich das Fußballspielen auf dem streitbefangenen Platz zu verbieten, sondern, wie sich aus dem Hilfsantrag ergebe, lediglich darum, dass sichergestellt werde, dass ein Herausfliegen der Bälle und ein Prallen der Bälle auf die Hauswand vermieden werde, ergeben sich bei sachgerechter Auslegung (vgl. § 88 VwGO) des erstinstanzlich gestellten Antrags nicht. Einer anderen als der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Auslegung des Klagebegehrens steht nicht nur der eindeutige Wortlaut des Antrags entgegen, sondern auch der Zusammenhang mit dem Hilfsantrag, der - ausdrücklich auf die Einrichtung eines Ballfangzauns gerichtet - keinen Sinn hätte, wenn schon der Hauptantrag nur auf eine solche Maßnahme gerichtet gewesen wäre.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger sich nicht gegen die bestimmungsgemäße Nutzung des Platzes zum Streetball-Spiel durch Kinder bis 14 Jahre wenden. Aus dem Vortrag der Kläger ergibt sich bereits nicht, dass dabei Bälle an die Hauswand der von ihnen bewohnten Mietwohnung prallen. Aufgrund der Ausgestaltung der Spielstätte (insbesondere der Ausrichtung des Basketballkorbes und dementsprechend der bei dem Spielverlauf zu erwartenden Richtung der Ballwürfe) und des Umstands, dass Bälle beim Street- und Basketballspielen, anders als beim Fußballspielen, nicht mit hoher Geschwindigkeit „geschossen“ werden, sowie des Alters des zugelassenen Nutzerkreises drängt sich ohne diesbezügliche substantiierte Ausführungen der Kläger auch von Amts wegen nicht auf, dass Bälle bei bestimmungsgemäßer Nutzung in Richtung des von den Klägern bewohnten Hauses fliegen, und jedenfalls nicht, dass diese mit solcher Geschwindigkeit gegen das Haus prallen könnten, dass dadurch Beeinträchtigungen der geltend gemachten Art entstehen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Darauf, dass die Kläger mit ihrer Klage Kindern das Fußballspielen auf dem Streetball-Platz nicht verbieten lassen wollen, kommt es für das Verständnis ihres Klagebegehrens schon deswegen nicht an, weil das Fußballspielen dort bereits ausdrücklich verboten ist. Bei dem in Rede stehenden Platz handelt es sich um einen ehemaligen, wesentlich größeren Bolzplatz, der mit Aschebelag sowie Toren ausgestattet war und den die Beklagte im Jahr 2007 aufgrund von Anwohnerbeschwerden verkleinern und zu einem gepflasterten und lediglich mit einem Basketballkorb ausgestatteten Streetball-Platz baulich umgestalten ließ; zugleich beschränkte sie den Nutzerkreis auf Kinder bis 14 Jahre. Ebenso wenig ist für die Auslegung des Klageantrags relevant, ob ‑ wie die Kläger meinen ‑ eine Nutzung der Fläche als Parkplatz mit Blick auf den Parkraumbedarf vorzugswürdig wäre.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon, dass die Kläger den auf Schließung (Beseitigung) des Streetball-Platzes gerichteten Hauptantrag anscheinend nicht (weiter‑)verfolgen wollen, stellt sich allerdings die Frage, ob es auf die Rügen gegen die Klageabweisung bezüglich des Hauptantrags im Zulassungsverfahren überhaupt noch ankommt. Unabhängig davon begründet das Antragsvorbringen auch insoweit jedenfalls keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht das Bestehen eines Abwehranspruchs zu Recht verneint hat.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Soweit das Klagebegehren, wie vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegt, auf die Abwehr von Beeinträchtigungen durch eine nicht bestimmungsgemäße Nutzung des Streetball-Platzes gerichtet ist, zeigt die Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an dem Ergebnis der angegriffenen Entscheidung auf.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat auf den Seiten 6 ff. des Urteilsabdrucks unter Hinweis auf die maßgebliche Rechtsprechung,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">vgl. insbesondere BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1989 - 4 B 26.89 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 10 A 2559/16 -, juris Rn. 10,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">mit eingehender Begründung ausgeführt, dass der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Abwehranspruch den Klägern nach der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zustehe. Eine Beeinträchtigung geschützter subjektiver Rechte der Kläger durch hoheitliches Handeln, die diese nicht zu dulden hätten, liege nicht vor. Dem Anlagenbetreiber seien die Auswirkungen des Anlagenbetriebs zurechenbar, die entweder Folge der bestimmungsgemäßen Nutzung der Einrichtung seien oder die zwar von deren Widmung nicht umfasst seien, die sich der Einrichtungsträger jedoch deshalb zurechnen lassen müsse, weil er durch die Ausgestaltung der Anlage einen relevanten Anreiz für ihre rechtswidrige Inanspruchnahme geschaffen und diesem Anreiz nicht in angemessener und zumutbarer Weise entgegengewirkt habe. Nicht ausreichend sei die generelle Geeignetheit der Anlage, missbräuchlich genutzt zu werden. Öffentlichen Kinder- und Jugendspielplätzen sei die Gefahr nicht bestimmungsgemäßer Nutzung immanent. Störungen solcher Art seien grundsätzlich polizeirechtlich oder ordnungsrechtlich zu beseitigen. Der Betreiber einer öffentlichen Einrichtung oder nicht genehmigungsbedürftigen Anlage sei aber ausnahmsweise für die durch den bestimmungswidrigen Gebrauch verursachten erheblichen Belästigungen dann verantwortlich, wenn er durch die Einrichtung einen besonderen Anreiz zum Missbrauch gegeben habe, wenn in dem bestimmungswidrigen Verhalten eine mit der Einrichtung geschaffene besondere Gefahrenlage zum Ausdruck komme und der Fehlgebrauch sich damit bei einer wertenden Betrachtungsweise als Folge der konkreten Standortentscheidung erweise bzw. als Folge des Betriebs der Einrichtung anzusehen sei oder wenn er eine Einrichtung geschaffen habe, bei der ein Missbrauch durch einen nicht zugelassenen Personenkreis wie auch in der Art der Benutzung wahrscheinlich sei.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben - deren Richtigkeit die Kläger im Zulassungsverfahren nicht infrage stellen - müssten die Kläger die mit einem widmungswidrigen Fußballspielen verbundene Besitzstörung durch das Aufprallen von Bällen gegen Hauswand, Haustür und Fenster nicht hinnehmen. Dies begründe den geltend gemachten Abwehranspruch aber nicht, weil die Beklagte nicht nur das Fußballspielen verboten, sondern auch durch die (quadratische) Form und Größe (12,5 m x 12,5 m) sowie die Gestaltung und Ausstattung des nunmehr asphaltierten Feldes einen Streetball-Platz geschaffen habe, dessen Attraktivität zum Fußballspielen mit dem früheren Bolzplatz nicht mehr vergleichbar sei; der gleichwohl - auch nach der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts - gelegentlich anzunehmende Missbrauch sei der Beklagten daher im Ergebnis nicht zuzurechnen, sondern grundsätzlich polizeirechtlich oder ordnungsrechtlich zu beseitigen. Hinsichtlich der konkret zu ergreifenden Maßnahmen stehe der Beklagten Ermessen zu. In Ausübung dieses Ermessens habe sie regelmäßige Kontrollen durch eigene Bedienstete und durch einen privaten Sicherheitsdienst veranlasst. Dass sie auf angezeigte oder festgestellte Missbräuche nicht reagiert hätte, sei weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die im gerichtlichen Ortstermin angesprochene Möglichkeit, das Ordnungsamt - außerhalb der üblichen Dienstzeiten über einen Bereitschaftsdienst - telefonisch über eine missbräuchliche Nutzung zu informieren, hätten die Kläger bislang offenbar nicht oder nur selten genutzt, obwohl ihnen eine solche Mitwirkung zumutbar sei. Eine die missbräuchliche Nutzung sicher unterbindende Überwachung des Spielplatzes rund um die Uhr sei weder der Polizei noch der Beklagten zumutbar. Bei dieser Sachlage bestehe weder ein Anspruch auf Schließung noch auf die mit dem Hilfsantrag beantragte Errichtung einer Umzäunung.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Diese eingehend und nachvollziehbar begründeten Erwägungen stellt das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">a) Dies gilt zunächst für die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur ermessenfehlerfreien Entscheidung der Beklagten über ein behördliches Einschreiten.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sie die Beklagte trotz des bereits im Jahr 2018 (vgl. das Ortsterminsprotokoll vom 5. Juli 2018 und den ergänzenden Schriftsatz der Beklagten vom 7. August 2018) erfolgten Hinweises auf die ständige Erreichbarkeit des Ordnungsamts bzw. des Bereitschaftsdienstes nicht über Störungen informiert haben, um dieser Gelegenheit zum Einschreiten zu geben, nichts Substantielles entgegengesetzt. Tatsächlich haben sie seit vielen Jahren zwar akribisch notiert, in welchem Zeitraum sowie von wie vielen Personen das Feld jeweils genutzt worden und zu wie vielen Vorfällen es gekommen sei, bei denen Bälle aus dem Spielfeld auf das Grundstück der von ihnen bewohnten Wohnung geflogen seien; das Ordnungsamt der Beklagten haben sie aber auch nach dem Vortrag in ihrem Schriftsatz vom 8. August 2022 nur zweimal kontaktiert, wobei sie in dem einen sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts als auch des Anlasses nicht näher konkretisierten Fall den Ordnungsamtsleiter Herrn T1.        und in dem anderen, auf entsprechende Nachfrage seitens des Senats vom 31. März 2022 geschilderten Fall am 6. Juli 2022 die Mitarbeiterin Frau S.      erreicht haben; Verwaltungskräfte der Beklagten haben daraufhin den Platz kontrolliert und zwei Kinder beim Basketballspielen angetroffen. Anhaltspunkte dafür, dass die seitens der Beklagten zur Abwehr von Störungen ergriffenen Maßnahmen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ermessensfehlerhaft ausgewählt worden sein könnten, weil sie erkennbar unzureichend sind, ergeben sich bei dieser Sachlage, die in einem etwaigen Berufungsverfahren zu berücksichtigen wäre, nicht. Die Kläger zeigen auch keine nachvollziehbaren Gründe dafür auf, weshalb sie trotz der angeblich andauernden Störungen stets davon abgesehen haben, die Beklagte, d. h. das Ordnungsamt oder den Bereitschaftsdienst, über diese Störungen zu informieren, um ihr so Gelegenheit zu geben, das Gespräch mit den Nutzern zu suchen und für Abhilfe zu sorgen. Ihr Vortrag im Schriftsatz vom 8. August 2022, ihnen sei nicht bekannt, ob man unter der allgemeinen Telefonnummer des Bürgerbüros außerhalb der üblichen Dienstzeiten auf ein Band sprechen solle, um den Bereitschaftsdienst zu erreichen, belegt vielmehr, dass sie in der gesamten Zeit, und zwar auch nach dem gerichtlichen Hinweis vom 31. März 2022 keinen ernstlichen Versuch unternommen haben, der Beklagten die Gelegenheit zu geben, gegen missbräuchliche Nutzungen des Platzes einzuschreiten.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Bedenken der Kläger gegen die Effizienz der behördlichen Kontrollen und der Kontrollen durch den privaten Sicherheitsdienst halten sich im Allgemeinen. Obwohl die Kläger die Platznutzung offenkundig regelmäßig beobachten, haben sie keine konkrete Situation bezeichnet, in der ein mit der Kontrolle des Platzes beauftragter Verwaltungsbediensteter oder Angehöriger des Sicherheitsdienstes während einer zweckwidrigen Nutzung des Platzes vor Ort gewesen, aber keine Maßnahmen ergriffen hätte. Ihr Vortrag, die behördlich veranlassten Kontrollen fänden zum Teil zu Zeiten statt, in welchen mit einem Spielen durch Jugendliche gerade nicht zu rechnen sei, weil diese sich dann in der Schule befänden, ist unsubstantiiert und findet im Übrigen in den von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren mit Schreiben vom 26. Juni 2017 und vom 15. August 2017 für den Zeitraum von Mai 2016 bis August 2017 vorgelegten Unterlagen keine Bestätigung.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Weil und solange die Ermessensentscheidung der Beklagten, keine Vorrichtungen baulicher Art gegen überfliegende Bälle zu errichten, sondern im Einzelfall ordnungsbehördlich einzuschreiten, ermessensfehlerfrei ist, besteht kein Anspruch darauf, dass die Beklagte andere als die hier gewählten, ersichtlich nicht ungeeigneten Maßnahmen ergreift. Erst recht besteht kein Anspruch auf Beseitigung des Platzes, was - wie die Kläger wohl selbst erkennen - erst als „ultima ratio“ in Betracht zu ziehen wäre.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">b) Unabhängig davon zeigt das Vorbringen der Kläger auch im Übrigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">aa) Die Ausführungen der Kläger zu der historischen Entwicklung des Spielplatzes an der L.    -T.          -Straße führen nicht weiter. Zwar ist der Platz an der L.    -T.          -Straße mehrere Jahrzehnte als Bolzplatz eingerichtet und bespielt worden. Zu dieser Zeit war der Platz jedoch - wie ausgeführt - deutlich größer und als Ascheplatz mit Fußballtoren sowie einem deutlich höheren Zaun ausgestattet. Durch die völlige Umgestaltung im Jahr 2007 wurde die Spielfläche stark auf ca. 12,5 m x 12,5 m verkleinert, die Spielfläche auf Straßenniveau ohne Fangzaun erhöht, ein neuer Bodenbelag (Pflastersteine statt Asche) gewählt und ein Basketballkorb installiert; Fußballtore wurden nicht neu aufgestellt. Durch die Neugestaltung des Platzes wird erkennbar, dass es sich um einen Streetball-Platz handelt. Im Übrigen spricht wenig dafür, dass sich die heutigen (und erst recht künftigen) Nutzer noch an den Zustand des Platzes im Jahr 2007 werden erinnern können. Ein aus der historischen Entwicklung abzuleitender besonderer Anreiz, den Streetball-Platz bestimmungswidrig zum Fußballspielen zu nutzen, ist nicht erkennbar.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">bb) Nichts anderes folgt aus dem Vortrag der Kläger, dass es entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in C.          für Jugendliche an attraktiven Alternativen zum Fußballspielen fehle. Ausgehend davon, dass der Streetball-Platz objektiv nicht mehr in vergleichbarer Weise zum Fußballspielen einlädt wie der frühere Ascheplatz und dass die jugendlichen Nutzer, über deren Verhalten die Kläger sich beschweren, nach ihren Angaben nicht allein aus der unmittelbaren Nachbarschaft stammten, ist die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, dass es in für diesen Nutzerkreis erreichbarer Nähe ausweislich der auf der Homepage der Beklagten abrufbaren Informationen alternative Bolzplätze gibt, nachvollziehbar. Damit setzt sich die Antragsbegründung auch in Ansehung des Hinweises der Beklagten in der Antragserwiderung vom 10. Dezember 2018 auf die Fußballwiese am D.    B.         Park nicht substantiiert auseinander.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">cc) Dass der Beklagten Beeinträchtigungen der Anwohner durch überfliegende Bälle als von dieser veranlasst oder sonst wie zurechenbar sein könnten und sie deswegen Ballfangvorrichtungen anbringen müsste, ergibt sich auch nicht daraus, dass im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Platzes die früher vorhandenen Ballfangzäune entfernt worden sind. Die Beklagte hat diese Maßnahme nachvollziehbar damit begründet, dass das Aufprallgeräusch von gegen die Zäune geschossenen Fußbällen zu Nachbarbeschwerden geführt habe. Dass Ballfangzäune bei widmungsgerechter Nutzung zum Streetballspielen erforderlich wären, ergibt sich indessen - wie oben schon angemerkt - auch aus dem Vorbringen der Kläger nicht. Der Korb befindet sich an der Südseite des Platzes, so dass Korbwürfe eher parallel zum Verlauf der L.    -T.          -Straße und damit nicht zur Front des von den Klägern bewohnten Hauses, vor allem aber mit deutlich geringerer Wucht und Geschwindigkeit als Ballschüsse beim Fußballspielen zu erwarten sind.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">dd) Die Ausführungen dazu, dass die den Platz umgebende Hecke zum Lärmschutz ungeeignet sei, führen nicht weiter, weil die Hecke nicht zum Schutz vor Lärm gedacht ist, gegen den sich die Kläger im Übrigen auch selbst ausdrücklich nicht wenden. Zum Abfangen von niedrigeren Bällen mag die Hecke zwar sinnvoll sein; nach den vorstehenden Ausführungen spricht aber wenig dafür, dass sie bei bestimmungsgemäßer Nutzung des Platzes dazu erforderlich sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">ee) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, dass die Beklagte eine zweckwidrige Nutzung dadurch begünstige, dass sie Spielmöbel oder auch Bänke, die ein freies Spiel auf dem Platz verhindern würden, nicht aufgestellt habe. Eine derartige Möblierung wäre mit der Zweckbestimmung des Streetballplatzes nicht vereinbar und käme letztlich dessen Schließung für Ballspiele jeglicher Art gleich, die die Kläger nach eigenem Bekunden nicht anstreben.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">II. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kläger verweisen hierzu auf Fragen zu den Einzelheiten von „Immissionen körperlicher Gestalt“ und der Zurechnung von widmungswidriger Nutzung von Spielstätten. Besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ergeben sich hieraus allein aber nicht. Sie sind auch sonst nicht gegeben, weil der Rechtsstreit nach dem Vorstehenden keine Sach- oder Rechtsfragen aufwirft, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu diesem Maßstab: OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Januar 2019 - 8 A 10/17 -, juris Rn. 43 f., und vom 22. März 2021 - 8 A 3518/19 -, juris Rn. 67.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass Bälle keine Immissionen i. S. d. § 3 Abs. 1 und 2 BImSchG oder unwägbare Stoffe i. S. d. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB (sog. Imponderabilien) sind.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. schon Hess. VGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - 6 UE 876/92 -, juris Rn. 36; OVG NRW, Urteile vom 30. März 1989 ‑ 7 A 1976/86 -, DWW 1989, 207, in juris nur Leitsatz, und vom 19. August 1989 - 7 A 1926/86 -, BauR 1989, 715, in juris nur Leitsatz.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Das stellt aber die Anwendbarkeit des vom Verwaltungsgericht hier geprüften öffentlichen-rechtlichen Abwehranspruchs,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">zu dessen möglicher rechtlicher Herleitung vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, juris Rn. 17,</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">gegen Besitzstörungen der hier vorliegenden Art nicht in Frage und wirft auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf. Dass es für Besitzstörungen dieser Art, anders als bei der Beurteilung von Lärmimmissionen - vorbehaltlich des § 22 Abs. 1a BImSchG -, grundsätzlich keine an den Maßstäben des Immissionsschutzrechts orientierte Zumutbarkeitsgrenze gibt, war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unerheblich. Es hat den geltend gemachten Abwehranspruch als unbegründet angesehen, weil die in dem Prallen von Bällen auf die Hauswand, die Haustür und die Fenster der Wohnung Kläger zu sehende Besitzstörung nicht durch die bestimmungsgemäße Nutzung des Streetball-Platzes veranlasst sei und sich die Beklagte zur Abwehr von Störungen, die durch eine widmungswidrige Nutzung veranlasst seien, im Rahmen des ihr zustehenden ordnungsrechtlichen Ermessens für Maßnahmen entschieden habe, die sich nicht als ungeeignet erwiesen hätten.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">III. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht hinreichend dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; außerdem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind also die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung. Im Hinblick auf die Klärungsfähigkeit sind unter anderem Angaben zur Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage in einem Berufungsverfahren erforderlich.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2021 - 8 A 3518/19 -, juris Rn. 70.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Die Antragsbegründung formuliert eine solche Frage nicht. Soweit sie sinngemäß darauf zielt, zu klären, welcher Beurteilungsmaßstab für Einwirkungen von Spielplätzen gelten, bei denen es sich nicht um Lärmimmissionen handelt, fehlt es an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Mit den maßgeblichen Rechtsgrundlagen und der hierzu bereits vorliegenden Rechtsprechung setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander. Zudem ist nicht erkennbar, dass die Frage, wie oben unter II. ausgeführt, im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist. Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass die Kläger Beeinträchtigungen der geltend gemachten Art durch bestimmungswidrige Nutzung des Platzes dulden müssen.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">IV. Die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Eine die Berufung eröffnende Abweichung im Sinne dieser Vorschrift ist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nur dann hinreichend bezeichnet, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz dargelegt wird, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2019 ‑ 8 A 10/17 -, juris Rn. 59.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Sache nach wenden sich die Kläger mit ihrer Divergenzrüge gegen die einzelfallbezogene Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts. Einen abstrakten Grundsatz, mit dem das Verwaltungsgericht den angeführten, Geräuschimmissionen betreffenden Entscheidungen des für baurechtliche Streitigkeiten zuständigen 10. Senats des Oberverwaltungsgerichts widersprochen hätte, zeigt die Antragsbegründung jedoch nicht auf. Die behauptete unrichtige Anwendung eines von dem angerufenen Oberverwaltungsgericht oder dem Bundesverwaltungsgericht entwickelten und in dem angefochtenen Urteil nicht infrage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall betrifft indessen keine Abweichung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 159.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat an Nr. 19.2 i. V. m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wonach bei Klagen eines drittbetroffenen Privaten gegen emittierende Anlagen regelmäßig ein Streitwert in Höhe von 15.000,- Euro festzusetzen ist.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,167
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19 B 882/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-13T10:01:40
2022-10-17T17:55:55
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.19B882.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den Sohn I.     der Antragsteller zum Schuljahr 2022/2023 vorläufig in eine Eingangsklasse der „Grundschule K.        “, einer Gemeinschaftsgrundschule der Stadt F.     , aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht haben (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO). Es bestehe kein Aufnahmeanspruch nach § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS, weil die Aufnahmekapazität für das Schuljahr 2022/2023 nach der Aufnahme derjenigen Schülerinnen und Schüler, für welche die „Grundschule K.        “ die nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart ihrer Gemeinde ist, einerseits sowie der Kinder mit Wohnsitz in der Stadt F.     andererseits bereits erschöpft sei.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diese Würdigung stellen die Antragsteller mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ihren Einwand, dass die in § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS vorgesehene Bevorzugung von Kindern mit Wohnsitz in der Gemeinde nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sei, begründen die Antragsteller nur unter Hinweis auf „§ 46 Abs. 6 SchulG NRW“ (gemeint ist ‑ auch im angefochtenen Beschluss ‑ Abs. 5). Mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS eine landesweit für alle Grundschulen geltende Verordnungsbestimmung sei, die ihre gesetzliche Grundlage in § 46 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW finde, setzen sich die Antragsteller nicht auseinander.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vor dem Hintergrund, dass die Antragsteller gegen die Vereinbarkeit des § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS mit höherrangigem Recht keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken erhoben haben, kommt es auch nicht, wie die Antragsteller unter Ziff. 3. ihres Beschwerdevorbringens meinen, auf die Nichtberücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles an, die eine Ermessensfehlentscheidung begründen würden. Denn nach der genannten Vorschrift sind Kinder mit Wohnsitz in der Gemeinde, in der sich die Schule befindet, vorrangig zu berücksichtigen, ohne dass es auf einen Härtefall oder weitere Ermessenserwägungen nach Satz 4 ankommt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zudem legen die Antragsteller in Bezug auf den geltend gemachten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht dar, dass die Sachverhalte bei der aktuellen Entscheidung über die Aufnahme ihres Sohnes in die „Grundschule K.        “ mit denen bei der Aufnahme seiner Schwester M.    vor zwei Jahren vergleichbar wären.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Antragsteller gebietet der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verankerte Anspruch auf eine tatsächlich und rechtlich wirksame Kontrolle der streitigen Ablehnungsentscheidung schließlich keine „allumfassende Überprüfung“ und auch nicht unabhängig von den Umständen des Einzelfalls „die Kenntnis der vollständigen Adressen sämtlicher angemeldeter und angenommenen Kinder.“ Vielmehr hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG von seinem Aufklärungsermessen nach § 86 Abs. 1 VwGO fehlerfrei Gebrauch gemacht und zutreffend entschieden, dass auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung keine Kenntnis der Wohnanschriften erforderlich ist, solange keine konkreten Anhaltspunkte für eine insoweit fehlerhafte Sachverhaltsermittlung des Schulleiters bei mindestens 18 vorrangig aufgenommenen F.     er Kindern bestehen. Auch in ihrer Beschwerdebegründung benennen die Antragsteller keine solchen Anhaltspunkte.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,148
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11 E 284/22
2022-08-09T00:00:00
2022-08-11T10:00:49
2022-10-17T17:55:52
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0809.11E284.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Rügeverfahrens.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Dieser Anspruch verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2011 ‑ 5 B 5.11 -, juris, unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 28. März 1985 ‑ 1 BvR 1245/84 und 1254/84 -, BVerfGE 69, 233 (246).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör, dessen Durch-setzung die Anhörungsrüge dient, schützt jedoch nicht davor, dass das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 2007 ‑ 8 B 11.07 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben hat der Senat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Kläger macht geltend, der angegriffene Beschluss sei unter Verletzung der Amtsaufklärungspflicht und der richterlichen Hinweispflicht ergangen. Der Senat habe seine Entscheidung nicht auf die inhaltliche Unrichtigkeit der vorgelegten Beweismittel oder die Unschlüssigkeit des Tatsachenvortrags des Klägers stützen dürfen, ohne dem Kläger die Gelegenheit zu geben, seinen Tatsachenvortrag sachdienlich zu ergänzen. Der Hinweis auf die Unschlüssigkeit sei grundsätzlich erforderlich.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Damit übersieht der Kläger, dass der angegriffene Beschluss einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zum Gegenstand hatte, für den andere Maßstäbe gelten als für eine abschließende Sachentscheidung. Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anderem voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife abzustellen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2017 ‑ 2 BvR 496/17 ‑, juris, Rn. 14, mit zahlreichen Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Entscheidungsreife eines Prozesskostenhilfegesuchs tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen durch den Antragsteller sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12. September 2007 ‑ 10 C 39.07, 10 PKH 16.07‑, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 42; ferner etwa Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 166 Rn. 77 f.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Daraus folgt, dass die vom Kläger vermisste weitere Aufklärung des Sachverhalts bzw. die Erteilung eines Hinweises im Hinblick auf die Schlüssigkeit des Vortrags im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorgesehen ist.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Senats im angefochtenen Beschluss, der Vortrag des Klägers sei unschlüssig, beruht auf einer Auswertung des auch dem Kläger bekannten Akteninhalts. Zudem weist der Kläger selbst darauf hin, dass bereits das Bundesverwaltungsamt in seinem Bescheid vom 23. Juni 2021 auf die Unschlüssigkeit des Vortrags hingewiesen habe. Daher hätte es eines (weiteren) Hinweises des Senats gemäß § 86 Abs. 1 und 3 VwGO ohnehin nicht bedurft.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Auf das vom Kläger als übergangen angeführte Vorbringen zu den Voraussetzungen des § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG ist der Senat auf Seite 3 unten des Beschlussabdrucks eingegangen. Einer weiteren Auseinandersetzung bedurfte es ausgehend von seinem – insoweit maßgeblichen – Rechtsstandpunkt nicht.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).</p>
346,604
arbg-arnsberg-2022-08-08-2-ca-2922
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2 Ca 29/22
2022-08-08T00:00:00
2022-09-17T10:01:48
2022-10-17T11:10:16
Urteil
ECLI:DE:ARBGAR:2022:0808.2CA29.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.</p> <p>Der Streitwert wird auf 30.000,-- € festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt vom beklagten Land einen immateriellen Schadensersatz nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen einer von ihm angenommenen Altersdiskriminierung. Weiter sieht sich der Kläger auf Grund einer Behinderung diskriminiert.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 24.06.1952 geborene, schwerbehinderte Kläger war über Jahrzehnte für das beklagte Land als Lehrer tätig. Seit Winter 2018 befindet er sich im Ruhestand, arbeitet aber weiterhin im Rahmen von befristeten Arbeitsverhältnissen als Lehrer für das beklagte Land.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger bewarb sich auf eine von der Schulleitung des Gymnasiums A der Stadt B ausgeschriebene Vertretungsstelle im Umfang von 18 Wochenstunden für den Zeitraum vom 01.02.2022 bis 09.08.2022 mit der Fächerkombination Deutsch und Philosophie/Praktische Philosophie. Die Stelle war im Internetportal des beklagten Landes unter <span style="text-decoration:underline">www.C.nrw.de</span> ausgeschrieben.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist voll ausgebildeter Lehrer mit beiden Staatsexamen. Neben dem Kläger bewarb sich ein weiterer Bewerber, welcher ebenfalls vollumfänglich ausgebildet ist und über beide Staatsexamen verfügt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Sowohl der weitere Bewerber als auch der Kläger wurden zu Vorstellungsgesprächen geladen. Nach Abschluss des in der Schule durchgeführten Auswahlverfahrens für die Vertretungsstelle wurde der Kläger am 04.01.2022 zunächst von der Schulleitung mit dem dafür vorgesehenen Formblatt zur Einstellung vorgeschlagen. Die Bezirksregierung Arnsberg bemängelte daraufhin, dass die vorgelegten Angaben über das Ergebnis des Auswahlverfahrens unvollständig seien, weil unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger die gesetzliche Altersgrenze bereits überschritten hat, weitere Angaben zu den Mitbewerber/-innen benötigt würden.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Wörtlich heißt es in der E-Mail (Anlage zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 19.04.2022, Bl. 66 d. A.):</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><em>„Wenn Sie einen Bewerber zur Einstellung vorschlagen, der die individuelle gesetzliche Altersgrenze überschritten hat, müssen Sie entweder auf der Seite 2 des Antrages bestätigen, dass sich sonst niemand mit einer Lehramtsbefähigung beworben hat oder aber Sie müssen sehr detailliert und nachvollziehbar darlegen und begründen, warum ggfls. vorhandene Mitbewerber/-innen trotz einer vorhandenen Lehramtsbefähigung für die Übernahme der Vertretungsstelle weniger bzw. nicht ausreichend qualifiziert sind.</em></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><em>Ich bitte um entsprechende Ergänzung des vorliegenden Antrages.“</em></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Hintergrund dieser Email war ein Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW vom 26.09.2012 bzw. ein hierauf erstelltes Schreiben der Bezirksregierung vom 11.01.2013 (Anlage zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 19.04.2022, Bl. 80 d. A.) an die Schulleitungen der öffentlichen Gymnasien und Weiterbildungskollegs im Regierungsbezirk Arnsberg.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Schreiben erwähnt einen Überhang an ausgebildeten Bewerberinnen und Bewerbern mit Lehramt, auch für befristete Stellen. Im Hinblick auf die unter C. ausgeschriebenen, befristeten Stellen soll Folgendes gelten:</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><em>„Eine Einstellung oder auch die Verlängerung eines lfd. Vertretungsvertrags mit einer Person, die kein Lehramt hat oder die bereits die Altersgrenze überschritten hat, kommt ab dem 02.02.2013 nur dann in Betracht, wenn eine Ausschreibung ohne Ergebnis geblieben ist.“</em></p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">In einer Antwort-Email vom 07.01.2022 bekräftigte der Schulleiter zwar seine ursprüngliche Entscheidung für den Kläger, da er diesen für besser qualifiziert halte. Er ging aber gleichwohl auf den Hinweis der Bezirksregierung ein, indem er einen Antrag für die Besetzung der Vertretungsstelle durch den weiteren Bewerber mit zwei Staatsexamen beifügte (Anlage B 2 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 19.04.2022, Bl. 65 d. A.).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der weitere Bewerber mit beiden Staatsexamina wurde daraufhin eingestellt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Mit seiner am 19.01.2022 unter anderem per Telefax bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger eine immaterielle Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 30.000,-- € (orientiert an sechs Monatsbezügen der Entgeltgruppe 13, Stufe 6).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beruft sich vor allem darauf, dass er aufgrund seines Alters diskriminiert worden sei. Der Kläger betont, dass er nachgewiesenermaßen wegen seines Alters unmittelbar benachteiligt worden sei. Er hält den Vortrag des beklagten Landes bezüglich einer Zulässigkeit der unmittelbaren Benachteiligung wegen Alters für nicht substantiiert. Er erklärt, dass eine gesetzliche oder tarifliche Altersgrenze für die Bewerbung um eine Vertretungsstelle als tarifbeschäftigte Lehrkraft nicht existiere. Vor allem wehrt sich der Kläger gegen eine Benachteiligung „im Interesse einer ausgewogenen Verteilung der Beschäftigungsmöglichkeit im öffentlichen Schuldienst zwischen den Generationen“ bzw. wegen einer „Perspektive für Berufseinsteiger“. Dazu merkt er an, dass sich Berufseinsteiger ebenso wie andere Bewerbergruppen dem Auswahlverfahren und dem Prinzip der Bestenauslese im öffentlichen Dienst stellen könnten.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Arnsberg sei als Teil der Exekutive überhaupt nicht ermächtigt, im Alleingang eine vorgeblich sozialpolitische Zielsetzung von genannter Tragweite zu implementieren. Die Rundverfügung vom 11.01.2013 widerspreche der Politik der Landesregierung ausdrücklich. Zu einen sei die genannte Dienstanweisung nicht geeignet, die Unterrichtsversorgung an den Schulen sicherzustellen. Zum anderen könne sich die Bezirksregierung nicht auf die Floskel einer sozialpolitischen Zielsetzung stützen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Kläger betont, dass die Bewerbungsmöglichkeit auf Vertretungsstellen der Plattform C ganz ausdrücklich auch für lebensältere Lehrkräfte eröffnet sei, welche bei einem Obsiegen in der Bestenauslese folglich nicht nachträglich durch eine Bewerbergruppeneingrenzung von der Einstellungsbehörde als Nichterfüller zurückgewiesen werden dürften. Die Bewerbungsmöglichkeit auf C sei generell auch für Seiteneinsteiger*innen und sogar für Student*innen eröffnet. Der Kläger hat den Eindruck, dass das beklagte Land von einer „sozialpolitischen Zielsetzung“ nur im Sinne einer allgemeinen Floskel spreche. Es ginge nur darum, eine  Benachteiligung wegen Alters und / oder einer Schwerbehinderung nachträglich zu rechtfertigen. Denn hierbei werde sich lediglich auf ein älteres und noch dazu irrelevantes Urteil des LAG Köln berufen. Der Kläger verweist auch darauf, dass sich lebensältere Kräfte im Rentenalter nur auf befristete Stellen bewerben könnten. Jüngere Bewerber könnten sich hingegen gegebenenfalls auch auf die anderen Stellenportale bewerben. Der Kläger fasst zusammen, dass er trotz eines Obsiegens in der Bestenauslese nicht eingestellt worden sei, und zwar unter fadenscheinigen und nachgewiesenermaßen unhaltbaren Gründen. Die Schaffung einer Perspektive für Berufseinsteiger dürfe nicht dazu benutzt werden, eine Diskriminierung wegen Alters vermeintlich zu rechtfertigen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus erwähnt der Kläger, dass er sich auch als schwerbehinderter Mensch diskriminiert sehe. Der Auswahlkommission sei die Schwerbehinderung ab dem 14.10.2008 mit einem GdB von 50 nach der Auswahlentscheidung bekannt gemacht und der Bescheid umgehend vorgelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">das beklagte Land zu verurteilen, eine Entschädigung nach dem AGG an ihn in Höhe von 30.000,-- € zu zahlen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beantragt,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">    die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land betont zum Sachverhalt, dass die mit E-Mail vom 06.01.2022 geforderte Ergänzung der Angaben hinsichtlich der Bewerbersituation und des Auswahlverfahrens auf einer sozialpolitischen Zielsetzung beruhe, nämlich dem Ziel, im Interesse einer ausgewogenen Verteilung der Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Schuldienst zwischen den Generationen bei der Besetzung auch bei befristeten Stellen eine Perspektive für Berufseinsteiger zu eröffnen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land beruft sich auf ein Urteil des LAG Köln vom 27.06.2012 – 9 Sa 20/12. Zum Auswahlverfahren führt das beklagte Land an, dass sowohl der Kläger als auch der Mitbewerber gleichermaßen die formalen Voraussetzungen für eine Bewerbung und Besetzung der Stelle erfüllten. Die Auswahl sei daher nach Qualifikationserwägungen durchzuführen gewesen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Aufgrund des erheblichen Interesses, für Berufseinsteiger auch im Bereich der Vertretungsstellen eine Perspektive zu eröffnen, seien die öffentlichen Gymnasien und Weiterbildungskollegs seit Januar 2013 dazu angehalten, vor der Besetzung von Vertretungsstellen zunächst durch Ausschreibung zu ermitteln, ob es hierfür entsprechend fertig ausgebildete Lehrkräfte gebe. Die Absage vom 04.03.2013 sei nicht wegen des Alters des Klägers, sondern unter Beachtung der Vorgaben zur Schaffung einer Perspektive für Berufseinsteiger erfolgt. Andere Gesichtspunkte, wie etwa die vorliegende Schwerbehinderung, hätten die Entscheidung ebenfalls nicht beeinflusst. Die Nichtberücksichtigung des Klägers sei vorliegend gerechtfertigt. Somit habe der Kläger keine Benachteiligung im Besetzungsverfahren aufgrund seines Alters erfahren.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schrift-sätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</span></p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Der Kläger unterliegt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist. Ein solcher Anspruch ist ausgeschlossen, da der Kläger weder aufgrund seines Alters noch aufgrund seiner Behinderung diskriminiert wurde.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Es liegt keine Altersdiskriminierung vor.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Allerdings ist sehr wohl eine unmittelbare Ungleichbehandlung des Klägers zu seinen Lasten wegen seines Lebensalters gegeben. Dies ist vorliegend eindeutig daran ablesbar, dass der Kläger von der Auswahlkommission als derjenige Bewerber identifiziert wurde, welcher die beste Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle hatte. Lediglich aufgrund seines Lebensalters wurde ihm die Stelle nach Intervention der Bezirksregierung gleichwohl nicht angeboten.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Allerdings ist zu beachten, dass auch eine unmittelbare Ungleichbehandlung aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Merkmale nicht notwendig eine Diskriminierung bzw. eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG darstellt. Eine Diskriminierung bzw. unerlaubte Benachteiligung liegt vielmehr nur vor, wenn die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vorliegend durfte das Land dem Kläger die begehrte Stelle wegen dessen Lebensalters verwehren, da diese Ungleichbehandlung gemäß § 10 Satz 1 AGG durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt war und zur Erreichung dieses Zieles objektiv angemessen erscheint.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Land, vertreten durch die Bezirksregierung, verfolgt hier das Ziel, jüngeren Bewerberinnen und Bewerbern die Möglichkeit zu geben, den Einstieg in die Lehrertätigkeit über befristete Stellen zu finden. Sie verweist insoweit auf eine sozialpolitische Zielsetzung aber auch auf ihr Interesse an einer ausgewogenen Verteilung der Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Schuldienst.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dabei handelt es sich um Zielsetzungen, welche von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits als legitime Zielsetzungen im Zusammenhang mit der Überprüfung der Zulässigkeit von festen Altersgrenzen in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes erkannt wurden (BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 7 AZR 438/09). Auch der Gesetzgeber betrachtet dieses Ziel als legitim. Dies erschließt sich aus § 10 Satz 3 Ziffer 5 AGG. Diese Regelung legt fest, dass eine Vereinbarung zulässig ist, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann. Die entsprechenden Bestimmungen in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes sind – auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie -zulässig und wirksam (LAG Köln, Urteil vom 27.06.2012 – 9 Sa 20/12).</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Nach Auffassung der Kammer bedingt diese Wertsetzung des Gesetzgebers jedoch, dass auch bei Einstellungen das Alter jedenfalls insoweit berücksichtigt werden darf, dass Bewerberinnen und Bewerber nur nachrangig eingestellt werden dürfen, die bereits eine Rente wegen Alters beantragen können bzw. sich im Ruhestand befinden. Andernfalls wäre der Arbeitgeber regelmäßig gezwungen, Beschäftigte wieder einzustellen, die erst vor kurzem aufgrund der im öffentlichen Dienst geltenden Altersgrenzen ausgeschieden sind. Diese Bewerberinnen und Bewerber dürften regelmäßig aufgrund ihrer jahrzehntelangen Berufserfahrungen besondere Qualifikationen aufweisen, die sich in Zeugnissen und Dienstlichen Beurteilungen wiederspiegeln. Dann wäre die von den Tarifvertragsparteien gewollte und wirksame Altersgrenze im öffentlichen Dienst jedoch faktisch ausgehebelt, da zumindest ein Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welche aufgrund der Altersgrenzen ausscheiden, einen zeitnahen Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machen könnten.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die zu achtende und zu respektierende Entscheidung der Tarifvertragsparteien, eine verbindliche Altersgrenze zu bestimmen und vor dem Hintergrund der höchstrichterlich als wirksam und rechtmäßig befundenen tarifvertraglichen Bestimmungen hierzu durfte die Bezirksregierung vorliegend privilegierende Einstellungsmöglichkeiten für noch nicht im Ruhestand befindliche Bewerberinnen und Bewerber schaffen. Die Entscheidung, Bewerberinnen und Bewerber, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, nur einzustellen, wenn sich keine anderen voll ausgebildeten Lehrkräfte bewerben oder diese aus besonderen Gründen des Einzelfalles nicht geeignet sind, ist somit eine legitime Zielsetzung bei Neueinstellungen, welche die tarifvertraglich festgelegte feste Altersgrenze zu Ende führt und in diesem Sinn Konsequenz des in § 10 Satz 3 Ziffer 5 AGG genannten Rechtfertigungsgrundes ist.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">c)</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Klägers durfte die Bezirksregierung als Organ der Exekutive diese Zielsetzung vornehmen. § 10 AGG richtet sich gleichermaßen an den privaten wie den öffentlichen Arbeitgeber. Das beklagte Land wird hier also nicht als Exekutive im Sinn des öffentlichen Rechts tätig, sondern agiert zivilrechtlich. Darüber hinaus darf die staatliche Exekutive allerdings auch nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben im Rahmen der Gesetze eigene Zielsetzungen verfolgen. Die vorliegende Zielsetzung hält sich an die Grenzen bestehender Gesetzte, da sie die Wertung des § 10 Satz 3 Ziffer 5 AGG zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen auch bei Einstellungen zur Anwendung bringt.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">d)</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die unmittelbare Ungleichbehandlung des Klägers aufgrund seines Lebensalters erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig, da die Einstellungspolitik der Bezirksregierung angemessen und erforderlich im Sinne des § 10 Satz 2 AGG ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Bewerberinnen und Bewerber, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, nicht nur, wie der Kläger in seinen Darstellungen herausstellt, aufgefordert werden, sich zu bewerben, sondern auch durchaus eingestellt werden, wenn keine Bewerberinnen und Bewerber vorhanden sind, die voll ausgebildet sind (zwei Staatsexamen) und die Regelaltersgrenze noch nicht überschritten haben. Ältere Bewerber, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, sind somit nicht generell von einer Einstellung ausgeschlossen. Der Umstand, dass der Kläger selber nach seinem Eintritt in den Ruhestand noch vielfach befristet beschäftigt wurde, veranschaulicht dies. Darüber hinaus ergibt sich gerade im vorliegenden Fall aus der Korrespondenz zwischen der Schulleitung und der Bezirksregierung, dass auch bei Bewerbungen von Lehrkräften, welche voll ausgebildet sind und die Regelaltersgrenze noch nicht überschritten haben, eine Einstellung des älteren Bewerbers möglich ist, wenn sich der jüngere Bewerber aufgrund von Umständen des Einzelfalles als nicht ausreichend qualifiziert erweist (siehe E-Mail der Bezirksregierung vom 06.01.2022). Ältere Bewerberinnen und Bewerber haben somit zwar einen schwereren Stand im Bewerbungsverfahren, sind jedoch andererseits nicht von vornherein chancenlos.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Somit kann der Kläger auch nicht mit seiner Argumentation gehört werden, dass die Stellen, die über C ausgeschrieben werden, gerade für ältere Lehrkräfte offen seien. Entgegen der Auffassung des Klägers steht die Einstellungspolitik der Bezirksregierung dazu in keinem Widerspruch, da in vielen Fällen ältere Arbeitnehmer durchaus Chancen haben.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">e)</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Schließlich überzeugt die Kammer auch nicht der Gedankengang des Klägers, dass lebensältere Bewerberinnen und Bewerber sich nur über die Plattform C bewerben könnten, während jüngere Lehrkräfte sich auch auf die in anderen Portalen ausgeschriebenen Stellen bewerben könnten. Dies ist zwar richtig, jedoch gerade Ausdruck der Absicht der Tarifvertragsparteien, normale Dauerarbeitsverhältnisse nicht mehr mit Bewerberinnen und Bewerbern zu begründen, welche die Regelaltersgrenze überschritten haben.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">f)</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung des beklagten Landes, Bewerberinnen und Bewerber, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, nur nachrangig einzustellen, verstößt auch nicht gegen das Prinzip der Bestenauslese nach Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz, welches besagt, dass die Stellen alleine nach Eignung, Befähigung und Leistung vergeben werden dürfen. Entgegen der Wahrnehmung des Klägers bedeutet Eignung nicht unbedingt, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin nach Einschätzung einer Auswahlkommission die möglichst besten persönlichen Eigenschaften für eine konkrete Stelle bietet.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Für das Merkmal der Eignung kommt es vielmehr vorliegend darüber hinaus auch darauf an, dass die Bewerberin oder der Bewerber ein Lebensalter hat, welches der Umsetzung einer Einstellungspolitik dienlich ist, die die festen Altersgrenzen der Tarifverträge umsetzt. Dies bedeutet vorliegend, dass ehemals beschäftigte Lehrerinnen und Lehrer, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, grundsätzlich nicht mehr beschäftigt werden sollen, sondern stattdessen jüngere Lehrkräfte nachrücken sollen, ersichtlich um langfristig eine ausgewogene Altersstruktur sicherzustellen und die Möglichkeit zu schaffen, auch jüngere Lehrkräfte dauerhaft für den Schuldienst zu gewinnen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Da der Kläger aufgrund seines Lebensalters oberhalb der Regelaltersgrenze nicht positiv zu einer durch die festen Altersgrenzen bezweckten Altersstruktur beitragen kann und möglicherweise jüngere Lehrkräfte im Falle seiner Einstellung nicht gewonnen werden könnten, ist er – wenn auch völlig unverschuldet – vorliegend nicht so gut für die zu besetzende Stelle geeignet gewesen wie der jüngere Mitbewerber, welcher die Stelle erhalten hat.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Da das Merkmal der Eignung vorliegend also auch die Fähigkeit umfasst, mit der eigenen Person positiv zu einer ausgewogenen Altersstruktur beizutragen, war der Mitbewerber trotz eines nach Auffassung der Auswahlkommission weniger überzeugenden Auftretens im Vorstellungsgespräch letztlich doch besser geeignet. Die Einstellung des Mitbewerbers bzw. die Umsetzung der in dem Schreiben der Bezirksregierung vom 11.01.2013 vorgegebenen Einstellungspolitik verstoßen daher nicht gegen den Grundsatz der Bestenauslese des Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Schließlich sieht die Kammer auch keine Veranlassung, die dargestellten Überlegungen auf Stellen zu beschränken, welche unbefristet ausgeschrieben werden. Da das beklagte Land regelmäßig in einem beachtlichen Umfang befristete Stellen mit und ohne Sachgrund vergibt, wird die Altersstruktur auch durch befristet beschäftigte Lehrkräfte spürbar mitgeprägt. Auch die Gewinnung von jüngeren Lehrkräften, bei denen die Hoffnung besteht, dass diese dem Land über längere Zeit zur Verfügung stehen werden, kann über befristete Stellen erfolgen, da befristete Stellen häufig verlängert werden bzw. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kettenbefristungen bis zur Grenze des rechtlich Zulässigen beschäftigt werden oder sogar einen Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis oder einen Seiteneinstieg finden.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Auch der Umstand, dass es vorliegend um eine befristete Stelle ging, ändert somit nichts an den oben genannten Ausführungen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">g)</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kläger zwar aufgrund seines Lebensalters unmittelbar schlechter gestellt wurde, da er die Stelle nur aufgrund eines Lebensalters nicht erhalten hat. Dieser Nachteil war jedoch gerechtfertigt, weil das Land legitime Ziele einer nachhaltigen Personal- und Nachwuchsplanung sowie legitime sozialpolitische Ziele verfolgt, die die vorrangige Einstellung jüngerer Bewerberinnen und Bewerber erfordern. Aus diesem Grund besteht eine Rechtfertigung für die unmittelbare Ungleichbehandlung, so dass keine Diskriminierung bzw. keine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund des Alters vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Weiter ist nicht erkennbar, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung diskriminiert wurde. Insoweit ist noch nicht einmal ersichtlich, dass der Kläger aufgrund einer Behinderung bzw. aufgrund seiner Schwerbehinderteneigenschaft schlechter als andere Bewerberinnen und Bewerber gestellt war bzw. aus diesem Grund die begehrte Stelle nicht erhalten hat. Der Kläger macht keine Ausführungen dazu, warum er glaubt, dass er aufgrund seiner Behinderung benachteiligt worden sein könnte. Ebenfalls kann die Kammer dies aus der vorgelegten Korrespondenz zwischen der Schulleitung und der Bezirksregierung nicht ersehen. Aus dieser ergibt sich vielmehr, dass der Kläger aufgrund seines Alters nicht eingestellt werden sollte.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Da der Kläger zum Vorstellungsgespräch durchaus geladen wurde, ist somit kein Indiz im Sinne des § 22 AGG gegeben, das die Vermutung begründen könnte, dass eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung des Klägers gegeben war.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Auch im Hinblick auf die Behinderung des Klägers ist somit kein Rechtsverstoß erkennbar.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">3.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Der Kläger wurde also weder aufgrund seines Alters noch auf Grund seiner Behinderung diskriminiert. Die Klage ist daher abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Da der Kläger im Verfahren unterliegt hat er gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Der Streitwert entspricht dem eingeklagten Betrag.</p> <h1><strong><span style="text-decoration:underline">RECHTSMITTELBELEHRUNG</span></strong></h1> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei <strong>Berufung</strong> eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die Berufung muss <strong>innerhalb einer Notfrist* von einem Monat</strong> schriftlich oder in elektronischer Form beim</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Landesarbeitsgericht Hamm</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Marker Allee 94</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">59071 Hamm</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Fax: 02381 891-283</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">eingegangen sein.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 64 Abs.  7 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Berufung ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs.  4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Die Berufungsschrift <strong>muss</strong> von einem <strong>Bevollmächtigten</strong> unterzeichnet sein. Als <strong>Bevollmächtigte</strong> sind nur zugelassen:</p> <span class="absatzRechts">78</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsanwälte,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks"><strong>* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.</strong></p>
346,527
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20 K 6907/19
2022-08-08T00:00:00
2022-09-13T10:01:22
2022-10-17T11:10:03
Urteil
ECLI:DE:VGK:2022:0808.20K6907.19.00
<h2>Tenor</h2> <p>Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.</p> <p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist Anhänger des Fußballvereins Borussia Dortmund (im Folgenden: BVB).  Am 26.09.2019 fand in der ersten Fußball-Bundesliga das sog. „Revierderby“ zwischen Schalke 04 und dem BVB in Gelsenkirchen statt. Die Ultra-Fanszenen beider Vereine stehen sich traditionell feindschaftlich gegenüber; in den vergangenen Jahren war es regelmäßig zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rivalisierenden Fangruppen gekommen. Um bei der Rückreise der BVB-Anhänger von Gelsenkirchen nach Dortmund ein Aufeinandertreffen der BVB-Anhänger mit Schalker Fans zu verhindern, begleitete eine der Bundespolizeiinspektion Dortmund unterstellte Hundertschaft der Bundespolizeiabteilung T.     B.        ca. 1150 BVB-Fans, unter denen sich nach polizeilicher Einschätzung ca. 400 „Risikopersonen“ befanden, in einem zusätzlich eingesetzten Zug nach Dortmund zurück. Unter den Fans, die mit dem Zug zum Dortmunder Hauptbahnhof fuhren, befand sich auch der Kläger. Er wurde und wird durch die Polizei nicht als „Risikoperson“ eingestuft, er ist aktives Mitglied der Dortmunder Fanhilfe. Nach der Ankunft des Zuges am Dortmunder Hauptbahnhof wurden die BVB-Fans durch die Polizeibeamten vom Bahnsteig in die Haupthalle des Bahnhofs abgeleitet, den die Fans sodann verlassen sollten. In der Haupthalle des Hauptbahnhofs kam es gegen 19:50 Uhr zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Angehörigen des Dortmunder Fanlagers und einem Schalke-Fan, der den Hauptbahnhof kurz zuvor durch den Südeingang betreten und in Richtung der BVB-Anhänger gespuckt hatte. Die beiden BVB-Anhänger wurden durch Bundespolizisten an Ort und Stelle im Bereich der Fahrplanauskünfte vorläufig festgenommen, der Schalke-Fan konnte sich entfernen. In den folgenden Minuten verblieb eine größere Gruppe von BVB-Anhängern (ca. 200 Personen) in der Nähe der beiden vorläufig festgenommenen BVB-Fans. Einige dieser Personen äußerten deutlich ihren Unmut über die polizeiliche Maßnahme. Polizeibeamte sperrten die Angehörigen dieser Gruppe, die von der Beklagten zum Teil als „Riskopersonen“ eingestuft wurden, von den vorläufig Festgenommenen ab. In der Haupthalle des Bahnhofs befanden sich damit zwar zahlreiche BVB-Anhänger, andere Fahrgäste und Passanten konnten sich an den Fans vorbei jedoch ihren Weg bahnen. Der Kläger selbst hielt sich vor der Polizeikette auf. Er verhielt sich nicht aggressiv, war aber mit der Festnahme der BVB-Fans ebenfalls nicht einverstanden und nahm telefonisch Kontakt zu dem Prozessbevollmächtigten im vorliegenden Verfahren auf, der sich anwaltlich für die Dortmunder Fanhilfe engagiert. Nachdem der Kläger das Telefonat beendet hatte, traf ihn eine von einem Unbekannten geworfene PET-Flasche am Hinterkopf. Bereits kurz zuvor war es zu einem Flaschenwurf in der Haupthalle des Bahnhofs gekommen. Nach den Flaschenwürfen stieg der Geräuschpegel im der Bahnhofshalle unvermittelt deutlich an.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Unmittelbar darauf erfolgte die Räumung der Haupthalle durch die Bundespolizei. Platzverweisungen wurden nicht ausgesprochen und deren zwangsweise Durchsetzung auch nicht angedroht. Bei der Räumung setzten die Polizeibeamten Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Als der Kläger bemerkte, dass sich die Polizeibeamten auf ihn zubewegten, ging er zügig und mit einer beschwichtigenden Handbewegung rückwärts, um den Bahnhof zu verlassen. Ein Polizeibeamter, der privat Boxsport betreibt, löste sich aus der Polizeikette, ging auf den Kläger zu und schlug ihm gezielt mit der behandschuhten linken Faust ins Gesicht. Sodann stieß der Polizeibeamte dem Kläger mit der rechten Faust in die linke Körperseite, woraufhin der Kläger zu Boden ging. Der Kläger erlitt eine Unterkieferfraktur, eine Gehirnerschütterung und mehrere Prellungen. Er musste zweimal operiert werden und konnte monatelang lediglich flüssige und pürierte Nahrung zu sich nehmen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 26.11.2019 Klage erhoben und nach gerichtlicher Aufforderung sein Klagebegehren im Laufe des Verfahrens dahingehend klargestellt, dass beantragt werde, „die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme in der Bahnhofshalle im Zeitraum 19:40 Uhr bis 20:10 Uhr, die sowohl in der konkreten Gestaltung zur Verletzung des Klägers geführt hat als auch in der Gestalt der Einsatzmaßnahme der Räumung des Bahnhofs“  festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ursprünglich hat die Beklagte Klageabweisung mit der Begründung beantragt, dass die Verletzung des Klägers nicht durch die angeordneten Einsatzmaßnahmen verursacht worden seien. Sofern das Handeln eines Polizeibeamten strafrechtlich relevant gewesen sein sollte, habe dies nicht zur Folge, dass die angeordneten polizeilichen Maßnahmen „zur Bereinigung der Lage nach dem Eintreffen der Risikopersonen im Hauptbahnhof Dortmund am 26.10.2019 rechtswidrig waren oder wurden“.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht Dortmund verurteilte den Polizeibeamten am 09.07.2021 wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen (Az. 000 XX -000 XX 000/00-000/00).</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Am 21.02.2022 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Auf den Hinweis des Einzelrichters vom 03.03.2022 hat die Beklagte mit Schreiben vom 16.03.2022 festgestellt, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Bundespolizei gegenüber dem Kläger am 26.10.2019 im Dortmunder Hauptbahnhof rechtswidrig war.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit um die Feststellung der Rechtswidrigkeit des gegen den Kläger angewendeten unmittelbaren Zwangs gestritten worden war.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt nunmehr noch schriftsätzlich sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">festzustellen, dass die Räumung des Dortmunder Hauptbahnhofs am Abend des 26.09.2022 durch die Bundespolizei rechtswidrig war.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">              die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Sie folgt der im Hinweis des Einzelrichters vertretenen Rechtsaufassung, wonach dem Kläger die Klagebefugnis für die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Räumung des Hauptbahnhofs fehlt, soweit es nicht um die Anwendung des unmittelbaren Zwangs gegen den Kläger geht.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte einschließlich der auf den in der Akte befindlichen Datenträger mit Videoaufnahmen und Fotos und der Ablichtungen der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund und des Urteils des Amtsgerichts Dortmund sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"><strong>II</strong>. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Sie ist mangels Klagebefugnis des Klägers bereits unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt neben der – durch die Beklagte bereits getroffenen Feststellung, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen ihn rechtswidrig war – die Feststellung, dass die Räumung des Bahnhofs (gleichsam „insgesamt“) rechtswidrig war. Nach dem klägerischen Vortrag, der durch die Videoaufzeichnungen auf den Datenträgern (Umschläge Bl. 83a und 101 d. A.: Dateipfade: mkü>0004 und bfhü hünfeld>bfhü sta>karte 2.2>private>AVCHD>BMV>Stream>0002) bestätigt wird, sind der Räumung des Bahnhofs nach den Flaschenwürfen keine Platzverweisung(en) nach § 38 BPolG vorausgegangen, auch wenn dies im Verlaufsbericht der Bundespolizei (Bl. 51 d.A.) anders dargestellt wird. Vielmehr haben die Polizeibeamten unmittelbar nach den Flaschenwürfen mit der Räumung des Bahnhofs begonnen, ohne dass dem eine Aufforderung, den Bahnhof zu verlassen, vorausgegangen war. Dies entspricht auch den Feststellungen des Amtsgerichts Dortmund im Urteil vom 09.07.2021. Dieses Vorgehen stellt einen Sofortvollzug im Sinne des § 6 Abs. 2 VwVG dar. Die Art und Weise des Sofortvollzuges gegenüber dem Kläger erfolgte rechtswidrig (dies hat die Beklagte im Laufe des Gerichtsverfahrens ausdrücklich festgestellt), auch wenn die Entscheidung der Beklagten, den Bahnhof im Wege des Sofortvollzugs zu räumen, im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden ist. Nach den Flaschenwürfen war objektiv mit einer weiteren Eskalation zu rechnen, so dass Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt zur Abwendung einer drohenden Gefahr im Sinne von § 6 Abs. 2 VwVG (Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der BVB-Anhänger, der Polizeibeamten und unbeteiligter Reisegäste und Passanten im Bahnhof im Falle einer weiteren Eskalation der Situation) angewendet werden durfte. Dass aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht eine tumultartige Entwicklung der Situation innerhalb stark frequentierter geschlossener Räume unbedingt durch konsequentes Vorgehen der Polizei zu vermeiden ist, liegt klar auf der Hand und entsprach auch den Vorgaben des Einsatzbefehls der Bundespolizeiinspektion Dortmund für den 26.10.2019 (dort war z.B. ausdrücklich auf die mit einer Überfüllung des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs verbundenen Gefahren hingewiesen worden, vgl. Bl. 19ff. d.A.). Da eine gegenüber allen BVB-Anhängern ausgesprochene Platzverweisung nach § 38 BPolG nicht ausgesprochen wurde, ist der Kläger auch nicht Adressat eines entsprechenden Verwaltungsaktes geworden, dessen Rechtmäßigkeit im gerichtlichen Verfahren überprüft bzw. dessen Rechtswidrigkeit festgestellt werden könnte. Doch selbst wenn eine Platzverweisung ausgesprochen worden wäre, wäre ein Feststellungsinteresse des Klägers zu verneinen. Denn eine (auch dem Kläger) erteilte Platzverweisung hätte ihm gegenüber keine diskriminierende Wirkung. Vielmehr wäre eine (unterstellte)  Platzverweisung für jedermann erkennbar nicht aufgrund des Verhaltens des Klägers erfolgt, sondern hätte sich (auch) an ihn als Teil einer Gesamtheit von Personen gerichtet, die zur Beendigung einer sich entwickelnden gefährlichen Situation den Bahnhof verlassen sollten. In der Aufforderung, in der hier in Rede stehenden Situation das Bahnhofsgebäude zu verlassen, könnte auch kein tiefgreifender und folgenschwerer Eingriff in Grundrechte des Klägers gesehen werden, so dass auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes hier kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Gerichtlich zu überprüfen aufgrund der Klageerhebung des Klägers im vorliegenden Fall ist ausschließlich die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen den Kläger; dieser Klagegegenstand hat nach der entsprechenden Feststellung durch die Beklagte indes seine Erledigung gefunden.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ein rechtlich darüber hinausgehendes rechtlich schützenswertes Interesse des Klägers an der Feststellung, dass auch gegenüber anderen BVB-Anhängern unmittelbarer Zwang rechtswidrig angewendet wurde, hat der Kläger nicht. Denn der Kläger kann durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen andere BVB-Anhänger nicht in eigenen Rechten verletzt worden sein.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 161 Abs. 2 VwGO. In Bezug auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil der Klage wäre die  Beklagte in dem Rechtsstreit unterlegen gewesen; durch die Feststellung, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen den Kläger rechtswidrig war, hat die Beklagte sich auch (zu Recht) in die Rolle der Unterlegenen gefügt, so dass es billigem Ermessen entspricht, ihr bezüglich des für erledigt erklärten Teils der Klage die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">27</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> </li> <li><span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">5.000,- €</span></strong></p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,339
vg-freiburg-2022-08-08-8-k-200722
{ "id": 157, "name": "Verwaltungsgericht Freiburg", "slug": "vg-freiburg", "city": 109, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
8 K 2007/22
2022-08-08T00:00:00
2022-08-27T10:01:41
2022-10-17T11:09:33
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.</p><p>Der Streitwert wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.</p><p/> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>I. Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 13.07.2022 zum Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Stellplätzen auf dem Grundstück Flst. Nr. x, Gemarkung x, begehrt, ist gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller fristgerecht Widerspruch gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung erhoben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer sieht nach summarischer Prüfung keine Veranlassung, entgegen der in § 212a Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung die Vollziehung der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 13.07.2022 einstweilen auszusetzen. Die nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt ein Überwiegen des Interesses des Beigeladenen und des öffentlichen Interesses an der Vollziehbarkeit der erteilten Baugenehmigung gegenüber dem gegenläufigen Interesse des Antragstellers, hiervon vorerst verschont zu bleiben. Dies folgt daraus, dass nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der vom Antragsteller erhobene Widerspruch aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird, da die erteilte Baugenehmigung nicht gegen von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen dürfte, auf deren Schutz sich der Antragsteller berufen kann. Für den Erfolg eines Nachbarwiderspruchs ist es - was in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO <em>(„und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist“)</em> hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt - anerkanntermaßen nicht ausreichend, dass ein Bauvorhaben lediglich objektiv-rechtlich rechtswidrig ist. Vielmehr muss das Bauvorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, die auch dem Schutz des Nachbarn und nicht allein dem Interesse der Allgemeinheit dienen (vgl. nur Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., 2019, § 113 Rn. 26 und § 42 Rn. 78, 83, 98 ff. m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Eine Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung aus formell-rechtlichen Gründen ist nicht erkennbar. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht greifen die vom Antragsteller im Rahmen des Angrenzer-Benachrichtigungsverfahrens fristgemäß zur Vermeidung einer materiellen Präklusion hinreichend substantiell vorgebrachten Einwendungen (vgl. zum Darlegungserfordernis VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.11.2017 - 3 S 1933/17 - juris, Rn. 15 ff.) aller Voraussicht nach nicht durch.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>1. Denkmalrechtliche Verstöße der Baugenehmigung, auf die sich der Antragsteller berufen könnte, liegen nicht vor. In formell-rechtlicher Hinsicht ersetzt die Baugenehmigung die denkmalschutzrechtliche Genehmigung, § 7 Abs. 3 DSchG. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist von Bedeutung, dass es sich bei dem Gebäude des Antragstellers um ein einfaches, nicht um ein besonderes (eingetragenes) Kulturdenkmal im Sinne der §§ 12 ff. DSchG handelt. Demzufolge kommt dem Anwesen des Antragstellers kein Umgebungsschutz nach § 15 Abs. 3 DSchG zu (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2007 - 3 S 882/06 - juris, Rn. 24). Anhaltspunkte dafür, dass das Kulturdenkmal des Antragstellers zusammen mit dem Grundstück des Beigeladenen aufgrund eines hinzutretenden weiteren Merkmales (z.B. Konzeption, Planung, Funktionszusammenhang, Gestaltungsprinzip, vgl. dazu Strobl/Sieche/Kemper/Rothemund, Denkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg, 4. Aufl. 2019, § 2 Rn.12 m.w.N.) eine Gesamtheit bzw. Einheit bildete, lassen sich den Akten nicht entnehmen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>a) Der Antragsteller kann sich voraussichtlich nicht mit Erfolg auf § 6 Satz 1 DSchG berufen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Nach § 6 Satz 1 DSchG haben Eigentümer und Besitzer von Kulturdenkmalen diese im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und pfleglich zu behandeln. Diese Vorschrift vermittelt in Verbindung mit dem Schutz des Eigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG Drittschutz zugunsten Eigentümern von Kulturdenkmalen. Darin liegt eine Abweichung vom Grundsatz, dass die Erhaltung von Denkmalen allein im öffentlichen Interesse erfolgt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2007 - 3 S 882/06 - juris, Rn. 23). Denn es ist mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dem Eigentümer eines Kulturdenkmals Pflichten für dessen Erhaltung und Pflege aufzuerlegen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, rechtswidrige Beeinträchtigungen seines Denkmals durch Vorhaben in seiner Umgebung abzuwehren. Jedenfalls wenn ein Vorhaben die Denkmalwürdigkeit eines geschützten Kulturdenkmals erheblich beeinträchtigt, muss der Eigentümer des Kulturdenkmals befugt sein, die denkmalrechtliche Genehmigung des Vorhabens anzufechten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 C 3.08 - juris, Rn. 14 f.). Ob eine solche erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich allein nach dem materiellen Denkmalschutzrecht (BVerwG, Beschluss vom 14.06.2012 - 4 B 22.12 - juris, Rn. 2; VG Freiburg, Beschluss vom 22.12.2009 - 4 K 2089/09 - juris, Rn. 4). Denn durch die Anerkennung einer subjektiven Rechtsposition des Eigentümers eines Kulturdenkmals werden die Grundlagen und Maßstäbe für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit materiell-rechtlich nicht verändert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 C 3.08 - juris, Rn. 18). Bei der Ausgestaltung des Umgebungsschutzes kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 C 3.08 - juris, Rn. 14). Das Gesetz muss nicht jede für das Denkmal nachteilige Veränderung der Umgebung unterbinden oder einer Genehmigungspflicht unterwerfen. Vorhaben in der Umgebung eines Kulturdenkmals, die dessen Denkmalwürdigkeit erheblich beeinträchtigen, dürfen jedoch nur zugelassen werden, wenn das Vorhaben seinerseits durch überwiegende Gründe des Gemeinwohls oder durch überwiegende private Interessen gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 C 3.08 - juris, Rn. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Ein Denkmal wird in diesem Sinne erheblich durch ein Vorhaben beeinträchtigt, wenn sein Gesamteindruck empfindlich gestört wird. Die Beeinträchtigung muss - unterhalb der Schranke einer baurechtlichen Verunstaltung - deutlich wahrnehmbar sein und vom Betrachter als belastend empfunden werden. Diese wertende Einschätzung wird zum einen vom Denkmalwert, zum anderen von der Kategorisierung des Denkmals als wissenschaftlich, künstlerisch oder heimatgeschichtlich bedeutsam, maßgeblich bestimmt. Die Wertigkeit des Denkmals ist in Relation zu setzen zu der Beeinträchtigung seines Erscheinungsbildes. Entscheidend ist das Empfinden des für Belange des Denkmalschutzes aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters, wobei dieser Maßstab kein statischer, sondern ein dynamischer ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 01.09.2011 - 1 S 1070/11 - juris, Rn. 32 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Vorliegend beeinträchtigt das genehmigte Bauvorhaben die Denkmaleigenschaft des aus wissenschaftlichen Gründen geschützten Denkmals des Antragstellers sehr wahrscheinlich nicht erheblich. Dies dürfte sowohl für die Errichtung des nunmehr genehmigten Gebäudes mit den Stellplätzen, als auch für die damit verbundene Entfernung der Natursteintrockenmauer gelten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Gegen eine erhebliche Beeinträchtigung spricht zunächst, dass das Vorhaben des Beigeladenen, zu dem die untere Denkmalschutzbehörde ihre Zustimmung mit Schreiben vom 06.07.2022 erteilt hat, nicht in die Substanz des Denkmals des Antragstellers eingreift. Das Bauvorhaben dürfte angesichts seiner niedrigeren Firsthöhe und seines zumindest vergleichbaren Volumens das Kulturdenkmal des Antragstellers nicht erdrücken, verdrängen oder in seinem Zeugniswert übertönen. Dies gilt voraussichtlich auch deshalb, weil das Gebäude nach den genehmigten Bauvorlagen die Abstandsflächen einhält. Die vom Antragsteller in der Angrenzeranhörung darüber hinaus gerügte Zahl der Wohneinheiten, Fassadengröße und -struktur und Dachform sind voraussichtlich ebenfalls nicht geeignet, einen erheblich beeinträchtigenden Effekt herbeizuführen, denn hiermit werden keine auf den Schutz des eigenen Kulturdenkmals zielenden Einwände geltend gemacht. Zu einem anderen Ergebnis dürfte auch nicht der Umstand führen, dass das Landesamt für Denkmalpflege, dessen Sachverstand ein hoher Stellenwert zukommt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2005 - 1 S 1674/04 - juris, Rn. 24), in seiner Stellungnahme vom 08.06.2022 dem Vorhaben entgegengetreten ist. Denn seine Bedenken bezüglich jeglicher Bebauung des Grundstücks des Beigeladenen bestehen, weil dies nicht mit dem Erscheinungsbild der Gesamtanlage zu vereinbaren sei. Einen Bezug zum Denkmal des Antragstellers stellt das Landesamt jedoch gerade nicht her.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Freifläche sowie die Natursteintrockenmauer dürften - soweit sie denn entlang des Grundstücksrands des Beigeladenen vorhanden ist - voraussichtlich keine solche Relevanz für das Anwesen des Antragstellers haben, dass durch ihre Entfernung dessen Aussagewert, Erinnerungswert oder Assoziationswert (vgl. zu diesen Kategorien: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2005 - 1 S 1674/04 - juris, Rn. 27) und damit der dokumentarische und exemplarische Charakter des Schutzobjekts als eines Zeugnisses der Vergangenheit berührt wäre. Zudem entfernt sich dieser Einwand von dem in Art. 14 Abs. 1 GG - und damit in dem eigenen Grundeigentum des Antragstellers - wurzelnden Abwehranspruch des Antragstellers mit der Folge, dass ihm dieser Einwand auch von Rechts wegen abgeschnitten wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>b) Der Antragsteller kann die Lage seines Anwesens in der Gesamtanlage „x“ voraussichtlich nicht für sich fruchtbar machen, da dieser Umstand wohl keinen Drittschutz vermittelt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Das Erscheinungsbild von Gesamtanlagen wird allein durch § 19 DSchG geschützt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 01.09.2011 - 1 S 1070/11 - juris, Rn. 45). Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 DSchG bedürfen Veränderungen an dem geschützten Bild der Gesamtanlage der Genehmigung der unteren Denkmalschutzbehörde. Durch die Zugehörigkeit eines Denkmals zu einer Gesamtanlage werden für den Eigentümer des Denkmals keine zusätzlichen Erhaltungs- und Pflegepflichten begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Weil der oben dargestellte, durch § 6 Satz 1 DSchG vermittelte Abwehranspruch im Eigentumsrecht wurzelt und Kehrseite der dem Eigentümer des Kulturdenkmals auferlegten Pflichten zu dessen Erhaltung und Pflege ist, dürfte eine Rechtsverletzung des Antragstellers nur dann in Betracht kommen, wenn ein Vorhaben zu einer erheblichen Beeinträchtigung gerade des Eigentumsobjekts führt. Die dem Grundstückseigentum korrespondierende subjektive Rechtsstellung dürfte darauf beschränkt sein, für das Anwesen des Eigentümers erhebliche Beeinträchtigungen für dessen Bestand, Erscheinungsbild oder städtebauliche Wirkung abwehren zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 C 3.08 - juris, Rn. 15 und 23; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.09.2009 - 8 A 10710/09 - juris, Rn. 32). Ein Abwehrrecht um der Gesamtanlage willen hat der Landesgesetzgeber nicht vorgesehen. Weder der Wortlaut des Denkmalschutzgesetzes noch die Materialien enthalten Anhaltspunkte für einen weitergehenden Drittschutz nach baden-württembergischen Landesrecht. Auch der Text der Gesamtanlagensatzung oder deren Begründung geben für eine Erweiterung der Rechtsstellung voraussichtlich nichts her. Eine „Privatisierung“ des grundsätzlich allein im öffentlichen Interesse besehenden Denkmalschutzes bedarf voraussichtlich einer eindeutigeren Grundlage. Gegen die Beschränkung der Abwehrmöglichkeiten eines Denkmaleigentümers, dessen Gebäude Teil einer denkmalgeschützten Gesamtanlage ist, auf eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Belange - mit Blick auf sein Eigentum - durch das Landesdenkmalrecht bestehen auch bundesrechtlich keine Bedenken (BVerwG, Beschluss vom 16.11. 2010 - 4 B 28.10 - juris, Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>2. Das Vorhaben verstößt bei summarischer Prüfung auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>a) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des genehmigten Vorhabens bestimmt sich voraussichtlich nach § 34 BauGB.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Für das betroffene Gebiet besteht kein qualifizierter Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB. Das Vorhaben dürfte sich im Innenbereich befinden. Angesichts der umliegenden Bebauung, insbesondere die x und x, dürfte ein Bebauungszusammenhang bestehen, der das Grundstück des Beigeladenen als - jedenfalls aus bauplanungsrechtlicher Sicht grundsätzlich bebaubare - Baulücke erscheinen lässt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>b) Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Dabei ist anerkannt, dass § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht generell drittschützend ist, sondern ihm nur mittelbar und sehr eingeschränkt über das im Begriff des „Einfügens“ verankerte Rücksichtnahmegebot nachbarschützende Wirkung zukommt (vgl. hierzu und zum Folgenden eingehend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2002 - 3 S 882/02 - juris, Rn. 22 m.w.N.). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des betroffenen Nachbarn, der Intensität der Beeinträchtigung und der Interessen des Bauherrn das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird. Wo die Grenzen des Zumutbaren liegen, welche Anforderungen das Rücksichtnahmegebot mithin genau begründet, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und ist durch eine umfassende Interessenabwägung zu ermitteln. Als allgemeine Leitlinie gilt: Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Ein Verstoß gegen das im Begriff des „Einfügens“ enthaltene bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zu Lasten des Antragstellers - insbesondere durch das Maß der baulichen Nutzung - liegt voraussichtlich nicht vor. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine bauliche Anlage gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstößt, wenn sie wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung eine „erdrückende“ oder „einmauernde“ Wirkung auf ein benachbartes Grundstück hat (vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.02.2018 - 5 S 2130/17 - juris, Rn. 38). Eine solche Wirkung liegt aber nicht schon dann vor, wenn die bisherigen Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung verändert werden; vielmehr muss von dem Bauwerk eine qualifizierte handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.02.2018 - 5 S 2130/17 - juris, Rn. 38). Dies kann nur in Fällen angenommen werden, in denen die neu hinzutretende Bebauung in Höhe und Volumen ein deutliches Übermaß gegenüber dem bestehenden Gebäude besitzt und den Nutzern dieses Gebäudes dadurch gewissermaßen „die Luft zum Atmen“ genommen wird. Für die Annahme einer „erdrückenden Wirkung“ eines Vorhabens besteht somit kein Raum, wenn der geplante Baukörper nicht erheblich höher und größer ist als der des benachbarten Gebäudes (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.09.2015 - 3 S 975/14 - juris, Rn. 29 m.w.N.). Für eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots ist zudem in tatsächlicher Hinsicht in der Regel kein Raum, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenbestimmungen eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128.98 - juris, Rn. 4).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Dies zugrunde gelegt stellt sich das Vorhaben in Bezug auf das nordwestlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Nachbargrundstück des Antragstellers aller Voraussicht nach nicht als „erdrückend“ oder „einmauernd“ dar. Denn das Wohnhaus des Antragstellers überragt das geplante Mehrfamilienhaus des Beigeladenen. Ausgehend von den Lageplänen dürfte das Wohnhaus hinsichtlich der Baumasse mit dem Vorhaben jedenfalls annähernd vergleichbar sein. Die Abstandsflächen sind nach den genehmigten Bauvorlagen, auf die es ankommt, ebenfalls eingehalten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>3. Das Vorhaben des Beigeladenen verstößt aller Voraussicht nach nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>a) Anhaltspunkte dafür, dass die Anzahl der geforderten Kfz-Stellplätze nicht den bauordnungsrechtlichen Vorgaben genügt und deshalb eine durch das Vorhaben ausgelöste „wilde Parksituation“ zu befürchten wäre, die den Verkehr auf der x behindern könnte, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Daran scheint im Übrigen auch der Antragsteller nicht mehr festzuhalten, da er seine diesbezüglichen Einwendungen in seiner Antragsschrift nicht wiederholt hat. Ungeachtet dessen gilt Folgendes:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 LBO ist bei der Errichtung von Gebäuden mit Wohnungen für jede Wohnung ein geeigneter Stellplatz für Kraftfahrzeuge herzustellen (notwendiger Kfz-Stellplatz). Das geplante Mehrfamilienhaus soll ausweislich der genehmigten Grundrisszeichnungen fünf Wohneinheiten aufweisen. Die der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauzeichnungen sehen die Herstellung von acht Kfz-Stellplätzen vor. Für eine Unterschreitung der erforderlichen Stellplatzzahl ist mithin nichts ersichtlich. Die Stellplätze befinden sich vollumfänglich auf dem Grundstück des Beigeladenen. Sollten - wie vom Antragsteller im Anhörungsverfahren geltend gemacht - beim Be- und Entladen oder dem Einladen von Kindern die PKW-Türen in den Ausweichstreifen und damit in den öffentlichen Verkehrsraum ragen, dürfte es sich dabei allenfalls um kurzfristige und damit zu vernachlässigende Beeinträchtigungen handeln.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>b) Soweit der Antragsteller in der Angrenzeranhörung Einwendungen wegen Brandschutz, fehlenden Abstellräumen und mangelnder Barrierefreiheit erhoben hat, ist keine Vorschrift ersichtlich, die insoweit Drittschutz vermitteln würde. Insbesondere sind brandschutzrechtliche Vorschriften nur dann nachbarschützend, wenn sie auch die Ausbreitung eines Brandes auf ein Nachbargebäude verhindern sollen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.1992 - 3 S 2947/91 - juris, Rn. 22). Die vom Antragsteller im Rahmen der Anhörung aufgeführten Aspekte betreffen allesamt den Schutz der Bewohner des zu errichtenden Mehrfamilienhauses, ohne dass ein Drittschutz erkennbar wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen. Denn der Beigeladene hat sowohl einen Antrag gestellt und ist damit ein Kostenrisiko eingegangen, als er auch das Verfahren durch eigenen Vortrag zur Rechtslage wesentlich gefördert hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2011 - 8 S 2567/10 - juris, Ls., Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.02.2019 - 5 S 2487/18 - juris, Rn. 36).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 Satz 2 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die Kammer hält in Anwendung des Rahmenvorschlags in Nr. 9.7.1 das Interesse des Antragstellers als Miteigentümer des Nachbargrundstücks x in der Hauptsache mit dem Mittelwert von 10.000,- EUR für angemessen erfasst (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.2016 - 3 S 2660/15 - juris, Ls. 1, Rn. 9 m.w.N.). Von einer Halbierung des danach anzusetzenden Streitwerts von 10.000,- EUR sieht die Kammer trotz der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ab, da hier die Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird. Denn der Antragsteller wendet sich vor allem gegen die Auswirkungen, die mit dem Baukörper des genehmigten Mehrfamilienhauses selbst verbunden sind und begehrt einen vorläufigen Stopp von dessen Errichtung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.2016 - 3 S 2660/15 - juris, Ls. 3, Rn. 11 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr></table>
346,257
ovgnrw-2022-08-08-22-a-36920
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22 A 369/20
2022-08-08T00:00:00
2022-08-20T10:01:17
2022-10-17T11:09:21
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0808.22A369.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Anträge werden abgelehnt.</p> <p>Der Beklagte und die Beigeladene tragen die im Zulassungsverfahren entstandenen Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu je ½. Im Übrigen findet ein Kostenausgleich nicht statt.</p> <p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 91.980,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO (Beklagter) bzw. § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO (Beigeladene) gestützten Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">1. Ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-)Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich aus den insoweit maßgeblichen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Zulassungsvorbringen des Beklagten und der Beigeladenen nicht.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substanziierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Derartige Zweifel wecken weder das Antragsvorbringen des Beklagten noch das der Beigeladenen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Verpflichtung zur Neubescheidung des auf die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides zur Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-101 (Nabenhöhe 149 m, Gesamthöhe 199,5 m) auf dem Grundstück Gemarkung U.     , Flur 6, Flurstück 85 in L.        gerichteten Antrags der Klägerin im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes vom 11. Oktober 2017, auf die sich der Beklagte bei seiner Ablehnungsentscheidung gestützt habe, sei wegen mindestens eines formellen Fehlers und einer Vielzahl materieller Mängel unwirksam. Zur Begründung einer bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens könne sich der Beklagte auch nicht auf den Flächennutzungsplan der Beigeladenen vom 11. Dezember 2008 oder die 20. Änderung ihres (damaligen) Flächennutzungsplans vom 1. Oktober 1998 berufen. Beide Pläne seien nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden; es habe an einem den Geltungsbereich verdeutlichenden Hinweis und an der Erkennbarkeit einer unmittelbaren Rechtswirkung gefehlt. Im Hinblick auf den Flächennutzungsplan vom 11. Dezember 2008 komme hinzu, dass dieser durch Aushang bekanntgemacht worden sei, ohne dass ein Hinweis hierauf im Amtsblatt oder in einer Tageszeitung erfolgt sei. Zudem litten beide Pläne an durchgreifenden, noch beachtlichen Fehlern im Abwägungsvorgang und im Abwägungsergebnis. Die Kammer habe bereits mehrfach entschieden, dass es (auch) insoweit an einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept fehle.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen im Einzelnen jeweils eingehend begründeten Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzen die Zulassungsvorbringen nichts Erhebliches entgegen, das im oben genannten Sinne zu ernstlichen Zweifeln an der (Ergebnis-)Richtigkeit der Entscheidung führen könnte.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">a) Der Beklagte stellt die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die 1. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen vom 11. Oktober 2017 sei wegen der aufgeführten Vielzahl von Planungsmängeln unwirksam, nicht substanziiert in Frage, sondern beschränkt sich insoweit auf vorliegend ersichtlich nicht zielführende rechtspolitische Erwägungen zu angeblich nicht erfüllbaren Planungsanforderungen. Ausgehend hiervon zeigt der Beklagte dann nicht auf, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, auch die früheren Konzentrationszonenplanungen der Jahre 1998 und 2008 seien unwirksam, in entscheidungserheblicher Weise ernstlich zweifelhaft sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang mag dahinstehen, ob die Darstellung zu angeblichen, nicht aktenkundigen Äußerungen des früheren Vorsitzenden des 8. Senates des beschließenden Gerichts in früheren Verfahren (Seite 4 des Begründungsschriftsatzes vom 2. März 2020) zutrifft. Eine wie immer geartete Bindungs- oder auch nur Präjudizwirkung ergäbe sich daraus jedenfalls nicht.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Soweit sich der Zulassungsvortrag im Anschluss unter 3. c) eingehend mit der Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts (und des Niedersächsischen OVG) zu den auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten, hier nicht erfüllten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntmachung eines Flächennutzungsplanes, der die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeiführen soll, befasst und in diesem Kontext ernstliche Zweifel in erster Linie wegen einer fehlenden höchstrichterlichen Bestätigung geltend macht, genügt der Hinweis, dass diese inzwischen durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 2.19 -, BVerwGE 170, 26 erfolgt ist.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nochmals bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2022 - 4 BN 39.21 -, BauR 2022, 1025 = juris Rn. 7; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2022 - 7 B 304/22.AK -, juris Rn. 25 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 24. Juni 2021 - 12 KN 191/20 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Anschluss daran hat sich auch der 8. Senat des beschließenden Gerichts diese Rechtsprechung zu Eigen gemacht.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, ZNER 2021, 308 = juris Rn. 133 ff.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund sieht der beschließende Senat keinen Anlass, diese gefestigte Rechtsprechung einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen, zumal die inhaltlichen Ausführungen des Beklagten nicht überzeugen können. Dies gilt namentlich für die Überlegungen zu einer Vorrangzonenplanung auf der Ebene der Regionalplanung. Eine solche steht hier nicht in Rede, sodass dahingestellt bleiben kann, wann in einem solchen Fall von einer hinreichenden, den Anforderungen des Rechtsstaatsgebotes genügenden Bekanntmachung ausgegangen werden könnte. Dass dieses zumindest verlangt, dass der Normunterworfene erkennen kann, dass eine Norm mit unmittelbarer Außenwirkung in Kraft gesetzt wird, bedarf aus Sicht des Senats indes keiner weiteren Erläuterung. Eine solche Rechtswirkung ist aber mit einem Flächennutzungsplan regelmäßig gerade nicht verbunden und bedarf deshalb der hinreichenden Verdeutlichung in der Bekanntmachung. Insoweit geht es auch nicht um eine „Anstoßfunktion“, sondern um eine verlässliche Information über das für den Einzelnen geltende Recht. Schon deshalb ist es auch nicht von Belang, ob Kommunen zumindest früher in Verkennung der Rechtslage diese Anforderungen regelmäßig nicht beachtet haben. Dieses dürfte im Übrigen eher damit zusammenhängen, dass trotz der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2003 ‑ 4 CN 6.03 - und vom 21. Oktober 2004 - 4 C 2.04 - die Rechtsnormqualität der Flächennutzungspläne mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht hinreichend gewürdigt wurde. Inwieweit dem hier vertretenen Verständnis der Wortlaut des § 6 Abs. 5 BauGB in Anbetracht der ebenfalls primär auf eine Bekanntmachung der Genehmigung abstellenden Formulierung des § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen sollte, erschließt sich dem Senat im Weiteren nicht.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die unter 3. d) wohl vertretene Auffassung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Bekanntmachungsanforderungen im Hinblick auf die Kennzeichnung, dass eine Ausschlussplanung verfolgt wird, und deren räumliche Konturierung dürften jedenfalls nicht auf die Neuaufstellung des Flächennutzungsplans vom 11. Dezember 2008 angewandt werden, stellt - ungeachtet der unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Erkennbarkeit des ausnahmsweise diesem Flächennutzungsplan in Teilen zukommenden Normcharakters ohnehin fehlenden inhaltlichen Überzeugungskraft der Überlegungen - die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung schon deshalb nicht in Frage, weil das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang entscheidungstragend auch auf einen weiteren Bekanntmachungsmangel in Form der Verletzung des § 4 Abs. 1 lit. c BekanntmVO in der damals (und in der Sache weiterhin, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) geltenden Fassung abgestellt hat. Der für die gewählte Bekanntmachungsform durch Anschlag (Aushang) erforderliche zusätzliche Hinweis im Amtsblatt oder in der Tageszeitung sei offensichtlich nicht erfolgt. Hierauf geht wiederum die Begründung des Zulassungsantrags des Beklagten mit keinem Wort ein; sie zeigt insbesondere nicht auf, dass diese Feststellung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund kommt es letztlich nicht mehr darauf an, ob die in Rede stehenden Planungen auch materiell fehlerhaft und ob diese Mängel ggf. nach § 215 BauGB in der jeweils einschlägigen Fassung unbeachtlich geworden sind. In diesem Zusammenhang merkt der Senat indes an, dass jedenfalls die Änderungsplanung aus dem Jahr 1998 nach den vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Maßstäben des beschließenden Gerichts aus den vom Verwaltungsgericht angeführten, von dem Beklagten als solche nicht in Zweifel gezogenen Gründen offensichtlich an einem Bekanntmachungsmangel leidet, der auf den Hinweis nach § 215 Abs. 2 BauGB a. F. durchschlägt, so dass auch etwaige Rügefristen nicht zu laufen begonnen haben.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2022 - 4 BN 39.21 -, BauR 2022, 1025 = juris Rn. 6 f.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen die bis zum Inkrafttreten des EAG Bau im Jahr 2004 auch Fehler im Abwägungsergebnis erfassende Ausschlussfrist des § 215 BauGB a. F. verfassungskonform einzuschränken ist und ob diese Anforderungen hier gegeben wären, kommt es mithin von vornherein nicht an. Demgegenüber erfassen die seit 2004 geltenden Fassungen des § 215 BauGB Mängel im Abwägungsergebnis nicht (mehr). Einen solchen hat hier indes das Verwaltungsgericht mit Blick auf eine angesichts der Größenrelationen objektiv zumindest naheliegende Feigenblattplanung für den Flächennutzungsplan 2008 in ohne Weiteres nachvollziehbarer Weise konstatiert, ohne dass der Beklagte dem inhaltlich argumentativ entgegengetreten wäre.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Schließlich mag dahinstehen, ob die Auffassung des Beklagten zutrifft, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei deshalb fehlerhaft, weil es aus den Verkündungsmängeln jeweils auf die Unwirksamkeit des Flächennutzungsplanes insgesamt und nicht nur im Hinblick auf die intendierte Ausschlusswirkung geschlossen habe. Denn selbst wenn man die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur zutreffenden Tenorierung im prinzipalen Normenkontrollverfahren auf eine Inzidentprüfung übertragen wollte ‑ was allerdings wegen der fehlenden Allgemeinverbindlichkeit einer solchen inzidenten Feststellung mindestens fernliegt - und den Ausführungen des Verwaltungsgerichts eine solche Aussage entnehmen wollte, wäre dieser Fehler jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn entscheidungstragend war für das Verwaltungsgericht offenkundig allein die fehlende Ausschlusswirkung der Konzentrationszonenplanung, nicht aber die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit sonstiger Darstellungen des Flächennutzungsplans.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen der Beigeladenen. Im Gegensatz zum Beklagten wendet sich die Beigeladene in diesem Zusammenhang ausschließlich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die 1. Änderung des Flächennutzungsplans vom 11. Oktober 2017 sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Es kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht bereits von durchgreifenden formellen Mängeln ausgehen konnte. Insoweit trifft zwar der Einwand der Beigeladenen zu, dass die Offenlegungsbekanntmachung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen der auf die damalige Rechtsprechung des beschließenden Gerichts gestützten Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden ist.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juni 2021 - 4 BN 50.20 -, BauR 2021, 1559 = juris Rn. 4 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2021 - 2 B 1460/21.NE -, juris Rn. 21.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die weitere vom Zulassungsvortrag der Beigeladenen thematisierte Frage, ob ein hinreichender Ausschluss befangener Ratsmitglieder konstatiert werden kann, hat das Verwaltungsgericht hingegen offengelassen. Insoweit merkt der Senat vorsorglich an, dass hieran vor dem Hintergrund des § 31 Abs. 4 GO NRW jedenfalls erhebliche Zweifel bestehen. Ein schlichtes „Abrücken“ der befangenen Ratsmitglieder vom Sitzungstisch dürfte danach offenkundig nicht ausreichen. Zugleich bestehen keine Zweifel daran, dass der Wortlaut des § 31 Abs. 4 GO NRW auch im Gemeindegebiet der Beigeladenen Vorrang vor lokalen Besonderheiten und Traditionen hat. Die Ratsmitglieder wären also jedenfalls gut beraten, sich in Zukunft an diesem Wortlaut des Gesetzes zu orientieren und sich entsprechend zu verhalten.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dies bedurfte hier indes keiner abschließenden Entscheidung, weil das Zulassungsvorbringen jedenfalls keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen lässt, dass das Verwaltungsgericht zu Recht von der materiellen Fehlerhaftigkeit der 1. Änderung des Flächennutzungsplanes vom 11. Oktober 2017 ausgegangen ist. Insoweit hat es zahlreiche Mängel detailliert aufgeführt, die jeweils für sich genommen zur Unwirksamkeit des Flächennutzungsplanes führen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ist das angefochtene Urteil - wie hier - auf mehrere, die Entscheidung jeweils selbstständig tragende Begründungen gestützt, muss in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 196, m. w. N. zur Rechtsprechung.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Angesichts dessen bedarf es an dieser Stelle keiner abschließenden Feststellung, ob diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts in allen Einzelpunkten den Angriffen der Beigeladenen standhalten. Denn es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass die insgesamt wenig substanziierten Einwände der Beigeladenen jede dieser Annahmen zu durchgreifenden Abwägungsmängeln der Flächennutzungsplanung ernstlich zweifelhaft erscheinen ließen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dies gilt schon deshalb, weil die Begründung des Zulassungsantrages sich zu verschiedenen vom Verwaltungsgericht aufgeführten Planungsfehlern überhaupt nicht verhält, sondern lediglich einzelne Aspekte selektiv herausgreift. Sie geht namentlich nicht darauf ein, dass und warum das Verwaltungsgericht mit der Einschätzung fehlliegen könnte, in der Konzentrationszonenplanung seien zu Unrecht im Flächennutzungsplan dargestellte Wohnbauflächen, gemischte Bauflächen und gewerbliche Bauflächen als harte Tabuzonen behandelt worden. Allein die Darstellung im Flächennutzungsplan begründet kein rechtliches oder tatsächliches Hindernis.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. Januar 2020 - 2 D 100/17.NE -, ZNER 2020, 142 = juris Rn. 135 ff., und vom 6. März 2018 - 2 D 95/15.NE -, DVBl. 2018, 950 = juris Rn. 139 ff.; so auch - bezogen auf eine im Flächennutzungsplan dargestellte Vorrangzone für Bodenabbau - Nds. OVG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 12 KN 216/13 -, BauR 2016, 470, 473 f.; für Siedlungsflächen auch Nds. OVG, Urteil vom 13. Juli 2017 - 12 KN 206/15 -, DVBl. 2017, 1303, 1304.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gleiches gilt für die vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung der weichen Tabukriterien bemängelten Vorsorgeabstände zu Siedlungsbereichen und zu FFH-Gebieten, regionalplanerisch festgelegten BSN und Naturschutzgebieten. Die Vorsorgeabstände zu Siedlungsbereichen (weiches Tabu) werden auf Seite 7 des Begründungsschriftsatzes lediglich in der Überschrift angesprochen, jedoch nicht inhaltlich behandelt. Auf die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass und warum die Berücksichtigung von Vorsorgeabständen von 500 bzw. 200 m um Schutzgebiete (Einzelfallkriterium) in der vorliegenden Form jenseits der Frage, ob es sich bei den Gebieten selbst um harte Tabuzonen handelt, nicht nachvollzogen werden könne (Urteilsausfertigung Seiten 29-31), geht die Beigeladene an dieser Stelle ebenfalls nicht ein.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auch soweit sie vom Verwaltungsgericht herausgearbeitete Abwägungsfehler thematisieren, sind die Ausführungen der Zulassungsbegründung jedenfalls weitestgehend nicht geeignet, Zweifel an den einschlägigen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu wecken. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit gilt dies namentlich nicht für die Annahme der Beigeladenen, für die vom Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit Ziel 5 des Gebietsentwicklungsplans für den Regierungsbezirk Detmold - Teilabschnitt: Oberbereich Bielefeld - dargelegten Mängel der Regionalplanung, die sie als solche nicht in Zweifel zieht, sei sie nicht verantwortlich zu machen. Dass die Berufung auf eine vorgebliche Bindung nicht durchgreift, entspricht der ständigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung, die die Beigeladene vollständig ausblendet.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2003 - 4 CN 14.01 -, BVerwGE 117, 351 = juris Rn. 25; OVG NRW, Urteile vom 17. Januar 2019 - 2 D 63/17.NE -, juris Rn. 112 ff., bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 4 BN 30.19 -, ZfBR 2020, 373 = juris, vom 6. März 2018 - 2 D 95/15.NE -, DVBl. 2018, 950 = juris Rn. 131 ff., und vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, ZNER 2009, 284 = juris Rn. 96 ff.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Denn auch eine interne Bindung ändert an der objektivrechtlichen, vom Verwaltungsgericht im Einzelnen im Einklang mit der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts begründeten Feststellung, dass dem Gebietsentwicklungsplan insoweit keine wirksamen Zielfestsetzungen entnommen werden können, nichts. Dies mag allenfalls die subjektive Verantwortung für den damit verbundenen Planungsfehler verlagern; diese Frage spielt im hiesigen Verfahren indes keine Rolle. Denn dies liefe darauf hinaus, dass die potenzielle Rechtsverletzung durch eine unzulässige Negativplanung auf Ebene der Raumordnung durch den hiervon Betroffenen nicht beseitigt werden könnte; eine Anfechtungsmöglichkeit Privater gegen Regionalpläne war in NRW jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben. Ein „Schuldvorwurf“ gegenüber der Beigeladenen ist mit der getroffenen Feststellung demgegenüber nicht verbunden. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht in diesem Kontext auch - zutreffend - ausgeführt, dass der Regionalplan die Vorgaben des Landesentwicklungsplans nicht hinreichend beachtet, an den wiederum die Beigeladene ebenfalls gebunden ist. Mit gleichem Recht wäre im Übrigen nach der Argumentation der Beigeladenen jegliche Inzidentkontrolle eines Bauleitplans in einem Genehmigungsverfahren nicht statthaft, nachdem die Genehmigungsbehörde hieran ebenfalls grundsätzlich gebunden ist. Diese Auffassung wird indes - soweit ersichtlich - zu Recht nicht vertreten.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Ausführungen der Beigeladenen zur aus Sicht des Verwaltungsgerichts fehlerhaften Behandlung von Waldflächen gehen an dessen Argumentation vorbei. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf den Seiten 25-27 seines Urteils dezidiert und detailliert ausgeführt, dass schon nach der Planbegründung selbst eine pauschale Herausnahme sämtlicher Waldflächen nicht gerechtfertigt ist. Auf den prozentualen Anteil der Waldflächen im Stadtgebiet hat das Verwaltungsgericht an dieser Stelle hingegen nicht abgestellt, sondern dies in anderem Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf eine hier nicht gegebene Waldarmut, angesprochen. Im Übrigen liegt es entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht in ihrem freien planerischen Ermessen, ob bzw. in welchem Umfang sie Waldflächen als weiches Tabukriterium heranziehen darf. Insoweit ist sie vielmehr an die Anforderungen an ein schlüssiges Gesamtkonzept bei der planerischen Ausweisung gebunden.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Zusammenhang schon OVG NRW, Urteil vom 6. März 2018 - 2 D 95/15.NE -, DVBl. 2018, 950 = juris Rn. 62, 184 ff.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Diesen ist sie hier indes aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend angeführten Gründen nicht gerecht geworden.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die unter I. 2. a) cc) angesprochenen Potenzialflächen gehen die Überlegungen der Beigeladenen ebenfalls weitestgehend an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts vorbei. Dieses hat nämlich nicht, wie die Beigeladene offenbar meint, die Berücksichtigungsfähigkeit einer Mindestgröße von Vorrangzonen dergestalt, dass sie mindestens drei Windenergieanlagen aufnehmen können, generell verneint, sondern - neben berechtigter Kritik an den ergänzend gewählten Ausnahmekriterien „benachbart“ und „in der örtlichen Erscheinung“ für kleinere Vorrangflächen, die die Beigeladene schlicht ignoriert - im Hinblick auf die dargestellten Vorrangzonen 7 und 8 sowie 1 und 2 festgestellt, dass sich die Beigeladene an eine solche vermeintliche Vorgabe tatsächlich nicht gehalten hat, wie dies bei einem weichen Tabukriterium erforderlich gewesen wäre. Hierauf wiederum geht die Begründung des Zulassungsantrages nicht ein.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Schließlich beruhen auch die Ausführungen unter I. 2. b) auf einer allenfalls partiellen Berücksichtigung der erstinstanzlichen Entscheidung. Zur Frage, ob die Flächennutzungsplanung die Maßgabe erfüllt, der Nutzung der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen, hat das Verwaltungsgericht nicht, wie die Beigeladene wohl annimmt, allein den hier nach Abzug der harten Tabuzonen verbleibenden Anteil der Vorrangflächen von 4,1 % der für die Windkraftnutzung potenziell zur Verfügung stehenden Gemeindefläche für sich genommen und generell als unzureichend betrachtet, sondern im Kern moniert, dass dieser vergleichsweise geringe Anteil der Beigeladenen keinen Anlass gegeben habe, ihr Standortkonzept und die Auswahl der weichen Tabukriterien noch einmal einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dass dies erforderlich ist, entspricht indes langjähriger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 ‑ 4 CN 1.11 -, BVerwGE 145, 231 = juris Rn. 18 f.; OVG NRW, Urteile vom 22. September 2015 ‑ 10 D 82/13.NE -, ZfBR 2016, 52 = juris Rn. 79, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 4 BN 49.15 -, juris Rn. 4 ff., vom 20. Januar 2020 - 2 D 100/17.NE -, BauR 2020, 1120 = juris Rn. 231 ff., vom 24. September 2020 - 7 D 64/18.NE -, juris Rn. 57, und vom 10. Mai 2021 - 2 D 100/19.NE -, juris; vgl. auch VerfGH NRW, Urteil vom 1. Dezember 2020 - VerfGH 10/19 -, ZNER 2021, 56 = juris Rn. 83; Nds. OVG, Urteil vom 7. Februar 2020 - 12 KN 75/18 -, BauR 2020, 758 = juris Rn. 99 ff.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Insoweit hat das Verwaltungsrecht auch zutreffend zugrunde gelegt, dass nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts bei einem entsprechenden Flächenanteil von 10 % regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass mit der Flächennutzungsplanung der Windkraft ausreichend Raum verschafft wird, das gesamträumliche Konzept jedoch umso stärker zu hinterfragen ist, je weiter dieser Wert verfehlt wird.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Ausführlich hierzu OVG NRW, Urteile vom 22. September 2015 ‑ 10 D 82/13.NE -, ZfBR 2016, 52 = juris Rn. 85 ff., und vom 14. März 2019 - 2 D 71/17.NE -, ZUR 2019, 550 = juris Rn. 183 ff.; Tyczewski, BauR 2014, 934, 947.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zweifellos zu Recht angenommen, dass bei der hier vorliegenden deutlichen Verfehlung dieses Anteils eine erneute Prüfung unabdingbar gewesen wäre. Hiermit wiederum setzt sich die Beigeladene nicht auseinander.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">2. Vor diesem Hintergrund weist die Rechtssache auch nicht die von dem Beklagten und der Beigeladenen gesehenen besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Weitergehende, entscheidungserhebliche und nicht bereits unter 1. erschöpfend erörterte Aspekte zeigt jedenfalls das Zulassungsvorbringen des Beklagten nicht auf. Insbesondere sind die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntmachung von Flächennutzungsplänen, die die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeiführen sollen, jedenfalls soweit sie hier von Bedeutung sind, hinreichend geklärt.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber können die Erwägungen der Beigeladenen dazu, dass mit den früheren Flächennutzungsplanungen der Windkraft entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bereits substanzieller Raum geschaffen worden sei, jenseits ihrer fehlenden inhaltlichen Überzeugungskraft aufgrund der auch hier fehlenden Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung und der gefestigten Rechtsprechung im Übrigen, schon deshalb keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründen, weil das Verwaltungsgericht - wie ausgeführt zu Recht - insoweit (auch) von einer Unwirksamkeit der Flächennutzungspläne aus formellen Gründen ausgegangen ist. Hierzu verhält sich die Beigeladene in der Begründung ihres Zulassungsantrages indes mit keinem Wort.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">3. Aus dem Zulassungsvorbringen des Beklagten ergibt sich schließlich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hätte. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Der Beklagte formuliert schon keine konkrete Frage, die aus seiner Sicht klärungsbedürftig sein soll, sondern regt letztlich nur an, auch der - damals zuständige - 8. Senat solle als Immissionsschutzsenat über die in der Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts geklärten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntmachung von Flächennutzungsplänen entscheiden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei gerade nicht um eine immissionsschutzrechtliche Fragestellung handelt und der 8. Senat des beschließenden Gerichts in seinem Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, ZNER 2021, 308 = juris Rn. 133 ff., diese Entscheidung bereits getroffen hat, ist die höchstrichterliche Klärung inzwischen - wie ausgeführt - jedenfalls insoweit erfolgt, wie dies vorliegend entscheidungserheblich sein könnte. Weitergehender Klärungsbedarf besteht mithin nicht mehr.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.4, Nr. 19.1.2 und Nr. 19.1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit der Ablehnung der Zulassungsanträge ist das angefochtene Urteil rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
346,237
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8 K 4232/18
2022-08-08T00:00:00
2022-08-19T10:01:32
2022-10-17T11:09:18
Urteil
ECLI:DE:VGAC:2022:0808.8K4232.18.00
<h2>Tenor</h2> <p>Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.</p> <p>Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Kopien der Sitzungsniederschriften des Ausschusses für Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt zu überlassen, auf die im Schreiben der Beklagten vom 25. September 2018 Bezug genommen worden ist (d.h. der Sitzungen vom 30. November 2016, vom 22. Februar 2017 und vom 29. März 2017 ).</p> <p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt von der Beklagten mehrere Auskünfte im Zusammenhang mit der Errichtung einer Lichtzeichensignalanlage (LSA) zur Kontrolle des Durchfahrtverkehrs in der P nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger und seine Ehefrau führten im Jahr 2013 vor dem erkennenden Gericht ein Klageverfahren - 2 K 2305/13 -, in welchem sie die Verpflichtung der Beklagten begehrten, weitere verkehrsrechtliche Maßnahmen zur tatsächlichen Verkehrsberuhigung der P zu ergreifen. Am 22. September 2016 schlossen sie in diesem Verfahren einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ihren Antrag nach Abschluss der durch den Ausschuss für Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt (ASVU) am 27. April 2016 beschlossenen Vorgehensweise gemäß den Ziffern 2, 3 und 4 der Niederschrift über diese Sitzung, d.h. nach abschließender Beratung gemäß Ziffer 4, neu zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">In der ASVU-Sitzung vom 27. April 2016 wurde die Verwaltung beauftragt, auf der Basis der Ergebnisse einer Bürgerbefragung aus dem Jahr 2015 folgende Maßnahmen zu veranlassen:</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">-          Gespräche mit der ASEAG/dem AVV über den Einsatz von barrierefreien „Kleinbussen“ in dem betroffenen Bereich (Burgstraße) zu führen und die hiermit verbundenen Kosten zu ermitteln.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">-          Einen Fachplaner mit der Erarbeitung eines Konzepts nach den im Schreiben der Fraktionen von CDU und SPD vom 16. März 2016 genannten Vorgaben, einschließlich der Kostenermittlung für die Umsetzung des Konzepts, z.B. Einrichtungs- und Unterhaltungskosten des Verkehrsüberwachungssystems, zu beauftragen (Ziffer 2).</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Außerdem wurde die Verwaltung beauftragt, diese Maßnahmen dem ASVU in seiner nächsten Sitzung zur Beratung vorzulegen und im Anschluss daran eine öffentliche Bürgerbeteiligung durchzuführen, bei der die Maßnahmen vorgestellt und diskutiert werden sollten (Ziffer 3.). Schließlich sollte die Verwaltung auf Basis der Ergebnisse der Bürgerbeteiligung einen abschließenden Vorschlag erstellen und dem ASVU zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen (Ziffer 4).</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In dem in Ziffer 2 genannten Schreiben der Fraktionen von CDU und SPD vom 16. März 2016 heißt es:</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">„Es ist eine externe verkehrstechnische Expertise einzuholen. Das Konzept soll sich wie folgt am Beratungsergebnis orientieren:</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">a)      Der Bereich Burgstraße/Vogelsangstraße wird für den Durchgangsverkehr geschlossen. Dies soll nicht durch Schranken oder Poller erfolgen. Es ist zu prüfen, inwieweit dies mit Mitteln der heutigen Verkehrstelematik umgesetzt werden kann. Denkbar wäre z.B. eine Lösung mit einem zweiseitigen Messsystem, das an einer Stelle für den beidläufigen Verkehr jeweils mit einer Blitzeinheit und einer Kennzeichenkamera ausgestattet ist. (...) Am Beispiel der Stadt Monschau und anderen Städten orientiert ist eine solche Umsetzung möglich. (...)</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">b)      Insgesamt ist zu beachten, dass die Durchfahrt für die Befragten weiter offen bleibt. Auch die Erreichbarkeit der Anlieger für Zulieferer, Besucher muss gewährleistet sein.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">c)       Zudem bitten wir zu prüfen, wie auch bei den Durchfahrtberechtigten die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung wirksamer erreicht werden kann.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">d)      Der Öffentliche Personennahverkehr fährt den Bereich wie bisher weiter an. Mit der X ist zu prüfen, ob die bisherigen großen Busse gänzlich oder außerhalb der Spitzenzeiten durch kleinere, barrierefreie Fahrzeuge ersetzt werden können.“</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In der Folgezeit fanden am 30. November 2016, am 22. Februar 2017 und am 29. März 2017 weitere Sitzungen des ASVU statt, in denen das Thema „Verkehrssituation Q“ auf der Tagesordnung stand. In diesen stellte der von der Beklagten beauftragte Verkehrsplaner, die G, die Untersuchungsergebnisse der von ihm erstellten Verkehrsanalyse anhand einer Präsentation vor,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl.              Anlage 3 zur Niederschrift der Sitzung des ASVU vom 30. November 2016, unter J,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">und beantwortete einen schriftlichen Fragenkatalog der SPD-Fraktion.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. Anlage 1 zur Vorlage TOP A) 5 zur Sitzung des ASVU vom 22. Februar 2017, unter J</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Verwaltung der Beklagten erarbeitete eine Kostenermittlung - zunächst i.H.v. 69.000 €, später korrigiert auf 80.000 € - sowie einen umsetzbaren Vorschlag für die Variante 2 aus der Verkehrsanalyse mit einer LSA in Höhe der E.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl.              Vorlage zur Sitzung des ASVU am 29. März 2022, unter J</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Am 26. April 2017 erfolgte eine Bürgerbeteiligung zur Errichtung einer LSA zur Kontrolle des Durchfahrtverkehrs in der Burgstraße, in der die G die Analyse der Verkehrssituation im Bereich P und die von ihr vorgeschlagene Lösungsmaßnahme - Errichtung einer LSA in der Gebietsmitte mit zwei Varianten - präsentierte.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. Anlage zur Vorlage TOP A) 3 zur Sitzung des ASUV vom 7. Juni 2017, unter J</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">In der Sitzung vom 7. Juni 2017 beschloss der ASUV nach abschließender Beratung, die Verwaltung zu beauftragen, entsprechend den Ausführungen des Verkehrsplaners in der am 26. April 2017 durchgeführten Bürgerbeteiligung eine LSA zur Kontrolle des Durchfahrtsverbots in Höhe der Vogelsangstraße Nr. 4 zu errichten.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Am 29. August 2017 fand ein Ortstermin mit den beteiligten Ämtern und der später mit der Ausführung der LSA beauftragten Firma statt, in dem die Hintergründe der Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen thematisiert wurden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Bau- und Vergabeausschuss (BVA) der Beklagten tagte am 19. Oktober 2017 und beschloss in nicht-öffentlicher Sitzung unter TOP B) 19 die „Vergabe der Bau-leistung zur Errichtung einer LSA zur Kontrolle des Durchfahrtsverbots in der Q“.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Am gleichen Tag beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm eine Kopie der Vorlage zu TOP B) 19 dieser Sitzung des BVA nach dem IFG NRW zu überlassen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 24. November 2017 teilte die Beklagte ihm das Ergebnis der Sitzung des BVA zu TOP B) 19 wie folgt mit:</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">„Der Bau- und Vergabeausschuss beschließt einstimmig, die Vergabe der Bauleistungen zur Errichtung einer Lichtzeichenanlage (LSA) zur Kontrolle des Durchfahrtverbots an die Firma … zu einer Auftragssumme in Höhe von …“</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen erklärte sie, dass eine Kopie der Vorlage nicht zur Verfügung gestellt werden könne, weil gemäß § 7 Abs. 1 IFG NRW ein Antrag auf Informationszugang für Entwürfe zu Entscheidungen, für Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung sowie für Protokolle vertraulicher Beratungen abzulehnen sei. Das gelte auch für die Niederschrift über die Beratung des BVA. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 26. November 2017 wiederholte der Kläger den Antrag und ergänzte ihn dahin, dass er auch die Überlassung einer Kopie des Berichts zu TOP B) 19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 wünsche, der der Niederschrift über die Sitzung als Anlage 9 beigefügt sei.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Mit weiterem Schreiben vom 13. Dezember 2017 bat der Kläger unter Hinweis auf § 4 Abs. 1 IFG NRW um Mitteilung, welche Ergebnisse die Anfang Dezember 2017 durchgeführte Fahrplanänderung der X für die Q gebracht habe.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 verwies die Beklagte auf ihr Schreiben vom 24. November 2017. Ein weitergehender Anspruch bestehe nicht, da es sich um nicht öffentliche Unterlagen handele. Sie verwies den Kläger auf das Recht, die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI NRW) anzurufen. Die Informationen zur Fahrplanänderung der X würden von anderer Seite zugeleitet<em>.</em></p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 1. Januar 2018 stellte der Kläger klar, dass er nur Informationen über den Beratungsgegenstand einschließlich der dazu vorliegenden Sachinformationen sowie über die abschließende Entscheidung des BVA zu TOP B) 19 der Sitzung vom 19. Oktober 2017 erbeten habe. Diese seien gemäß § 7 Abs. 3 IFG NRW zu erteilen. Des Weiteren bat er um Übersendung einer Kopie der Ausschreibungsunterlagen zur LSA in der Q.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 8. Januar 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, welche Einigungspunkte mit der X erzielt worden seien (ab Dezember 2017 Einsatz von Midi-Bussen montags bis freitags auf der Linie 72 bei jeder zweiten Fahrt und ab Februar 2018 Ersatz des Gelenkbusses als Verstärkerfahrt im Schülerverkehr durch Standardlinienbus). Aus Sicht der X seien weitere Maßnahmen (Einsatz weiterer Midibussen auf der Linie 72, Systemumstellung auf Anrufsammeltaxis, Rufbusse oder andere alternative Systeme) nicht möglich bzw. das Vorhalten und Wechseln unterschiedlicher Bustypen logistisch und wirtschaftlich nicht darstellbar. Dass die Linienführung nicht geändert werden solle, sei eine politische Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 1. Februar 2018 teilte die Beklagte mit, dass der Beratungsgegenstand und die abschließende Entscheidung zu TOP B) 19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 dem Kläger, soweit zulässig, bereits mitgeteilt worden seien.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 6. Februar 2018 wandte sich der Kläger an die LDI NRW.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Mit Email vom 5. April 2018 wies die LDI NRW die Beklagte darauf hin, dass Unterlagen, die eine vertrauliche Beratung vorbereiteten, nicht automatisch von dem Verweigerungsgrund des § 7 Abs. 1 IFG NRW umfasst seien. Geschützt werde der Diskussionsverlauf im Beratungsgremium, nicht aber das Diskussionsthema und die Arbeitsgrundlagen, auf deren Basis die Beratung erfolgt sei. Der Begriff des Protokolls erfasse nur die förmliche Niederschrift der wesentlichen Punkte einer Sitzung des Gremiums. Der Antrag des Klägers beziehe sich nicht auf das durch § 7 Abs. 1 IFG NRW geschützte Protokoll, sondern auf Informationen über den Beschlussvorschlag, den zugrunde liegenden Sachverhalt und das Beratungsergebnis. Diese Informationen unterfielen nicht dem Schutzbereich der Vorschrift.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Mit E-Mail vom 23. April 2018 nahm die Beklagte dahin Stellung, dass dem Beschluss des BVA zu TOP B) 19 in der Sitzung vom 19. Oktober 2017 ein Beschluss des ASVU vom 7. Juni 2017 über die Errichtung einer LSA zur Kontrolle des Durchfahrtverbots in Höhe der E vorangegangen sei. Dieser Beschluss und die ihm vorangegangenen Beratungen und Beschlüsse seien öffentlich und dem Kläger bekannt. In der streitgegenständlichen Beschlussvorlage werde auf diese Beschlusslage hingewiesen. Das sei dem Kläger bereits mitgeteilt worden. Darüber hinaus enthalte die Anlage ein Angebot der Firma, die den Auftrag erhalten habe, sowie die diesem Angebot zugrunde liegende technische und wirtschaftliche Kalkulation und die Preise. Diese Daten dürften nicht veröffentlicht werden, da es sich um sensible Unternehmensdaten handele, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stünden, nicht offenkundig seien und an deren Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse des Unternehmens bestehe. Sie gäben Details zur Preiskalkulation preis. Zudem ließen sie Rückschlüsse auf den Bau und die Funktionsfähigkeit der Anlage zu.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Mit E-Mail vom 21. Mai 2018 wies die LDI NRW zu dem Versagungsgrund des Schutzes des Geschäftsgeheimnisses darauf hin, dass ein Gesamtpreis ohne Bezifferung der einzelnen Preiskomponenten keine Rückschlüsse auf die Preiskalkulation zulasse und daher zu offenbaren sei. Zudem enthalte die Stellungnahme keine Ausführungen dazu, inwieweit dem Bieter durch die Offenbarung ein wirtschaftlicher Schaden entstehen würde.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 15. August 2018 bat der Kläger ferner um Mitteilung,</p> <span class="absatzRechts">40</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">wie vielen Fahrzeugen eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Burgstraße erteilt worden sei (Stand: Ende Juli 2018) und</p> </li> <li><span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">wie viele Mitarbeiter mit der Abwicklung der Anträge befasst seien,</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">sowie unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 IFG NRW um Informationen</p> <span class="absatzRechts">44</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">zur Leistungsbeschreibung für die LSA in der P bzw. um Kopien der Ausschreibungsunterlagen und</p> </li> <li><span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">über die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G.</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Mit Mail vom 3. September 2018 teilte die Beklagte der LDI NRW mit, dass das beauftragte Unternehmen eine Einsicht in die Unterlagen ablehne.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 25. September 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die C als Vertragspartnerin für die städtischen Lichtzeichensignalanlagen aufgefordert worden sei, eine Anlage nach den Beschlüssen des ASVU zu konzipieren. Dies sei in Zusammenarbeit mit der K geschehen, die die Erfassungseinrichtungen, d.h. die Kameras und die Auswertungssoftware bereitstelle. Aus diesem Grund sei keine Ausschreibung erfolgt, da Teile der Busanforderungsanlage hätten weiter verwendet werden müssen. Die C habe wie folgt Stellung genommen: Bei der Lichtzeichensignalanlage handele es sich um eine spezielle und einzigartige Anlage. Aufgrund ihrer speziellen Anforderungen seien einzigartige technische Komponenten eingesetzt worden, die speziell für diesen Anwendungsfall bestimmt und angepasst worden seien. Einer Weitergabe von Unterlagen in jeglicher Art und Weise könne nicht zugestimmt werden, da dabei Know-how und betriebsinterne Informationen preisgegeben würden. Nicht weitergegeben werden dürften insbesondere Angebote mit entsprechenden Preisen, Kalkulationsunterlagen mit entsprechenden Preisinformation sowie bauspezifische technische Informationen und Konzepte. Ferner teilte die Beklagte mit, dass dem beauftragten System der Beschluss des ASVU vom 2. Juni 2017 (richtig: 7. Juni 2017) zugrunde liege, der „das Ergebnis einer umfangreichen und umfassenden Beratung des Ausschusses in mehreren Sitzungen“ gewesen sei. Die Sitzungsunterlagen hierzu lägen dem Kläger vor. Das Schreiben war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 wies der Kläger darauf hin, dass ihm nicht „sämtliche Sitzungsunterlagen über die Beratungen des ASVU in mehreren Sitzungen“ vorlägen und bat um deren Übersendung. Er stellte klar, dass er nicht um Unterlagen der C über Know-how, betriebsinterne Vorgänge, Kalkulationsgrundlagen o.ä. gebeten habe. Angefordert habe er nur die Ausschreibungsunterlagen über die Leistungskriterien der LSA, d.h. eine Leistungsbeschreibung über Zweck, Funktion, Arbeitsweise und sonstige Anforderungen, die Grundlage der Vergabe gewesen seien. Sein Antrag vom 15. August 2018 zu den Unterlagen zum Auftrag an die G sei unbearbeitet<strong>.</strong></p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Mit E-Mail vom 17. Oktober 2018 wies die LDI NRW die Beklagte darauf hin, dass im Schreiben vom 25. September 2018 der Informationsantrag vom 15. August 2018 betreffend die Durchfahrtgenehmigungen nicht beschieden worden sei. Im Übrigen habe der Kläger wiederholt um Übersendung eines rechtsmittelfähigen Bescheids hinsichtlich seiner Anträge vom 19. Oktober 2017, vom 3. Dezember 2017 und vom 15. August 2018 gebeten. Die Schreiben der Beklagten vom 24. November 2017 und 15. Dezember 2017 enthielten keine Rechtsbehelfsbelehrung und genügten nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Mit förmlichem Bescheid vom 9. November 2018, zugegangen am 12. November 2018, lehnte die Beklagte den Antrag vom 19. Oktober 2017 auf Überlassung einer Kopie der Vorlage zu TOP B) 19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 und der Anlage 9 zur Sitzungsniederschrift ab. Dem Kläger könnten über die bereits erteilten Auskünfte hinaus keine weiteren Informationen gegeben werden. Ein Antrag auf Informationszugang sei abzulehnen für Entwürfe zu Entscheidungen, für Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung sowie für Protokolle vertraulicher Beratungen. Nach Abschluss des Verfahrens seien die Informationen zugänglich zu machen. Das sei bezüglich des Beschlusses des BVA zu TOP B) 19 erfolgt. Im Übrigen beruhe dieser Beschluss auf einem Beschluss des ASVU vom 7. Juni 2017 zur Errichtung einer LSA zur Kontrolle des Durchfahrtsverbotes in Höhe der Vogelsangstraße 4, der ebenso wie die vorangegangenen Beratungen und Beschlüsse des ASVU öffentlich gewesen und dem Kläger bekannt sei. Darüber hinaus enthielten die Vorlage und ihre Anlage ein Angebot der Firma, die den Auftrag erhalten habe, sowie die diesem Angebot zugrunde liegende technische und wirtschaftliche Kalkulation und die Preise. Diese Daten dürften nicht veröffentlicht werden, da es sich um sensible Unternehmensdaten handele, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stünden, nicht offenkundig seien und an deren Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse des Unternehmens bestehe. Die Daten gäben Details zur Kalkulation preis. Zudem ließen sie Rückschlüsse auf den Bau und die Funktionsfähigkeit der Anlage zu. Das betroffene Unternehmen sei mit deren Weitergabe nicht einverstanden. Bei diesen Informationen handele es sich auch nicht um Informationen über den Beschlussvorschlag, den zugrunde liegenden Sachverhalt oder das Beratungsergebnis.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 12. November 2018 wies die Beklagte darauf hin, dass der Antrag vom 15. August 2018 betreffend die Durchfahrtsgenehmigungen und der Anzahl der befassten Mitarbeiter mit E-Mail vom 7. September 2018 beantwortet worden sei.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 28. November 2018 entgegnete der Kläger, dass dem Antrag betreffend die Durchfahrtgenehmigungen nicht entsprochen worden sei. Er bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Auch bat er um Mitteilung der Zahl der erteilten Durchfahrtgenehmigungen für den Bereich Burgstraße mit Stand 1. November 2018 und um Beantwortung der Frage nach der Anzahl der mit den Verwaltungsvorgängen befassten Mitarbeiter bzw. dem wöchentlichen Zeitaufwand, wozu er auch die Abwicklung der (Nicht-) Ahndungen bei geblitzten Durchfahrten rechne.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 10. Dezember 2018 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Er macht geltend, die Klage sei zulässig, insbesondere habe vor Klageerhebung kein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden müssen. Ihm stünden die beantragten Informationen zu. Er sei als natürliche Person anspruchsberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 IFG NRW, die Beklagte sei auskunftspflichtig i.S.v. § 2 Abs. 1 IFG NRW und die Anträge bezögen sich auf Informationen i.S.v. § 3 IFG NRW. Ein Ausschlussgrund liege nicht vor. Der Antrag könne nicht nach § 5 Abs. 4 IFG NRW damit abgelehnt werden, dass ihm die Informationen bereits zur Verfügung gestellt worden seien oder er sich diese in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen könnten. Sollten Teile der beantragten Informationen allgemein zugänglich sein, wäre die Beklage im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, ihm mitzuteilen, welche Informationen wo zu finden seien. Dies habe sie nicht getan. Anhaltspunkte für einen Ablehnungsgrund nach § 6 IFG NRW seien nicht ersichtlich. Ein Fall des § 7 IFG NRW liege ebenfalls nicht vor. Er begehre keine Entwürfe oder Notizen. Es gehe ihm allein um die Vorlage, die Grundlage für die Beschlussfassung des BVA in der Sitzung vom 19. Oktober 2017 gewesen sei. Diese beinhalte das vorläufige Ergebnis der vorangegangenen Sitzungen des BVA und des ASVU. Sie enthalte auch keine Darstellung des Willensbildungsprozesses. Der Diskussionsverlauf lasse sich ihr nicht entnehmen. Im Übrigen sei sie nach § 7 Abs. 3 IFG NRW nach Abschluss des Verfahrens zugänglich zu machen. Der Ausschlussgrund des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des § 8 IFG NRW stehe ebenfalls nicht entgegen. Weder begehre er die detaillierte Aufschlüsselung des Angebots noch wolle er wissen, wie die LSA konkret funktioniere. Er wolle lediglich darüber informiert werden, welche Eigenschaften einer LSA gewollt gewesen seien und worauf sich die gesuchten Eigenschaften stützten. Darunter fielen nicht die Unterlagen zu den Entscheidungsprozessen. Wenn es keine Ausschreibungsunterlagen gebe, gebe es aber anderen Schriftverkehr mit potentiellen Bietern oder Auftragnehmern, den er sehen wolle. Untersuchungskriterien und -ziele könnten etwas anderes sein als die vorgelegten „Beschlussunterlagen“. Die Beklagte verfüge offenbar nicht über Untersuchungskriterien und -ziele. Er begehre auch keine Informationen über personenbezogene Daten (§ 9 IFG NRW). Die Informationsanträge betreffend die Durchfahrtgenehmigungen und die Fahrplanänderungen habe die Beklagte nicht beschieden. Sie teile auch nicht mit, weshalb die Informationen der Geheimhaltung unterfielen und warum eine teilweise Vorlage oder eine Schwärzung ggf. sensibler Daten nicht möglich sei.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Mit weiterem Bescheid vom 20. Dezember 2018 lehnte die Beklagte den Antrag betreffend die Durchfahrtgenehmigungen für die Q ab. Das Informationsbegehren sei mit Email vom 7. September 2018 beantwortet worden, wonach bis zum damaligen Zeitpunkt 1.321 Durchfahrtsgenehmigungen erteilt worden seien. Soweit der Kläger um Mitteilung des Ist-Zustandes zum 1. November 2018 gebeten habe, sei eine Auskunft nicht möglich, weil die Anzahl der Genehmigungen nicht datenscharf festgehalten werde. Es könne nur der Stand heute mitgeteilt werden. Aktuell seien 1.350 Durchfahrtberechtigte registriert. Sofern der Kläger Informationen zur Anzahl der mit den Verwaltungsvorgängen in Sachen Q befassten Mitarbeitern bzw. dem wöchentlichen Zeitaufwand begehre, könne dazu keine Auskunft erteilt werden, da diese Daten nicht festgehalten würden und damit nicht vorhanden seien. Es seien wechselnde Mitarbeiter mit der Bearbeitung befasst.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2019 hat der Kläger den Bescheid vom 20. Dezember 2018 in die Klage einbezogen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte habe damit seinen Informationsantrag nicht ausreichend beantwortet. Vielmehr stellten sich viele weitere Fragen: So habe die Beklagte den Anstieg der Zahl der Genehmigungen von 1.321 laut Email vom 7. September 2018 auf 1.350 laut Bescheid vom 20. Dezember 2018 nicht nachvollziehbar begründet. Die Auswahlkriterien seien intransparent und ineffektiv, so dass die Vorlage weiterer Unterlagen angemessen sei. Die Mitteilung über die Nichtfeststellbarkeit des Umfangs der Tätigkeit der Mitarbeiter sei nicht nachvollziehbar, da eine umfangreiche Datenpflege insoweit erforderlich sei. Es sei mitzuteilen, wie viele Personen für die Arbeiten abgestellt seien und in welcher Zeit die Arbeiten vorgenommen würden. Ggf. sei dies zu schätzen. Auch wolle er angesichts der Angabe der Beklagten, dass mehrere Mitarbeiter mit den Tätigkeiten befasst seien, als betroffener Anwohner wissen, wie mit den erhobenen Daten unter Berücksichtigung des Datenschutzes umgegangen werde und wer Zugang zu den Daten habe. Auch der Informationsantrag zu den Unterlagen bezüglich der Fahrplanänderungen der ASEAG sei nicht beantwortet.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zunächst schriftsätzlich beantragt,</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 9. November 2018 und vom 20. Dezember 2018 zu verpflichten, ihm die am 19. Oktober 2017, 26. November 2017, 13. Dezember 2017, 1. Januar 2018, 25. Juni 2018 (richtig: 4. Oktober 2018) und 15. August 2018 beantragten Auskünfte zu erteilen, insbesondere</p> <span class="absatzRechts">61</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">1. die Vorlage und die Anlage 9 zur Sitzungsniederschrift zu TOP B) 19 der Sitzung des Bau- und Vergabeausschusses vom 9. Oktober 2017 (Antrag vom 19. Oktober 2017 und vom 26. November 2017),</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">63</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">2. die Ausschreibungsunterlagen zur Lichtzeichensignalanlage in der Q (Antrag vom 1. Januar 2018),</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">65</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">3. die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G (Antrag vom 15. August 2018),</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">67</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">4. die Sitzungsniederschriften des Ausschusses für Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt der Beklagte zum Thema Q (Antrag vom 25. Juni 2018, richtig: 4. Oktober 2018),</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">69</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">5. den Zeitaufwand für die Durchfahrtgenehmigungen und Ahndungen der Verstöße und die Unterlagen (Antrag vom 15. August 2018),</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">71</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">6. die Unterlagen bezüglich der Fahrplanänderung der X für die Q (Antrag vom 13. Dezember 2017).</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 9. November 2018 und vom 20. Dezember 2018 zu verpflichten, ihm die am 19. Oktober 2017, 26. November 2017, 13. Dezember 2017, 1. Januar 2018, 25. Juni 2018 (richtig: 4. Oktober 2018) und 15. August 2018 beantragten Auskünfte, die im Zusammenhang mit der Lichtzeichensignalanlage P stehen und nicht der Geheimhaltung unterliegen, zu erteilen.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat in dem Erörterungstermin der Kammer vom 14. April 2022 die Klageanträge zu Ziffer 5. und 6. zurückgenommen.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Er beantragt nunmehr schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 9. November 2018 und vom 20. Dezember 2018 sowie der formlosen Bescheide vom 24. November 2017, 15. Dezember 2017, 1. Februar 2018 und vom 25. September 2018 zu verpflichten, ihm auf seine Anträge folgende Unterlagen zu überlassen bzw. folgende Auskünfte zu erteilen:</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">1.              eine Kopie der Vorlage und der Anlage 9 zur Sitzungsniederschrift (Bericht) zu TOP B19 der Sitzung des Bau- und Vergabeausschusses vom 19. Oktober 2017 (Antrag vom 19. Oktober 2017 und vom 26. November 2017),</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">2.              Kopie der Ausschreibungsunterlagen zur Lichtzeichensignalanlage in der Q (Antrag vom 1. Januar 2018),</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">3.              Informationen über die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G (Antrag vom 15. August 2018),</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">4.              Kopie sämtlicher Sitzungsniederschriften des Ausschusses für Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt, auf die im Schreiben der Beklagten vom 25. September 2018 Bezug genommen worden ist (Antrag vom 4. Oktober 2018).</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Klageantrags zu 1. nimmt sie auf den Bescheid vom 9. November 2018 Bezug. Ergänzend führt sie aus, dem Kläger seien die Informationen zu dieser Thematik bereits zugänglich gemacht worden. Die darüber hinaus begehrten Informationen könnten ihm wegen des Geheimhaltungsgebotes nicht zugänglich gemacht werden. Es handele sich um geheimhaltungsbedürftige Geschäftsgeheimnisse Dritter. Das Unternehmen habe sein Einverständnis mit der Weitergabe der Informationen nicht erteilt. Was den Klageantrag zu 2. angehe, gebe es keine Ausschreibungsunterlagen zu der LSA. Die Anforderungen seien in einem Ortstermin mit der beauftragten Firma erörtert worden, in dem diese auch ein Aufmaß genommen habe. Soweit der Kläger Informationen zu den Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G begehre (Klageantrag zu 3.), seien diese sämtlich in den Beschlussunterlagen des ASVU enthalten, die öffentlich und auch dem Kläger bekannt seien, da er an allen maßgeblichen Sitzungen des ASVU teilgenommen habe. Bezüglich Klageantrags zu 4. werde auf die Ausführungen zu 3. verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 8. März 2022 hat die Kammer das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Am 14. April 2022 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Die Beteiligten haben in diesem Termin auf mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Im Anschluss an den Erörterungstermin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 die Niederschrift über die Sitzung des ASVU vom 7. Juni 2017 mit den Anlagen 1 bis 3 sowie die Vorlage und die Anlage 9 zur Sitzungsniederschrift zu TOP B) 19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 vorgelegt, wobei in der Vorlage der Name der beauftragten Firma und die Auftragssumme und die Anlage 9, bestehend aus 9 Seiten, jeweils überschrieben mit „M“, vollständig geschwärzt waren. Die Beklagte hat hierzu erläutert, dass es sich bei den geschwärzten Inhalten um technische Spezifikationen und Preise der C handele.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Auf Hinweis der Einzelrichterin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 bestätigt, dass es sich bei den von ihr vorgelegten geschwärzten 9 Seiten zur Vorlage der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 um das Angebot der C handele. Hinsichtlich des Klagantrags zu 2. hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie sämtliche Stellen im Haus gebeten habe, „sämtliche Dokumente, die zur Spezifikation der Anforderungen an die Auftragnehmerin gegeben worden seien (Schreiben, Emails etc.)“, vorzulegen. Schriftliche Unterlagen, etwa ein Vermerk zum Orttermin, lägen bei ihr jedoch nicht vor. In Bezug auf den Klageantrag zu 3. hat die Beklagte mehrere Unterlagen vorgelegt, nämlich den Auftrag der Beklagten vom 4. August 2016 an die G für die Erstellung der „Verkehrsanalyse P“, die Rechnung der G vom 21. Juli 2017, eine E-Mail der G vom 1. August 2017 mit ihren Bankdaten und eine Zahlungsanordnung der Beklagten vom 1. August 2017 an die G - Ingenieurgesellschaft ‑ richtig: G - für „Verkehrsanalyse P“, wobei sämtliche Beträge geschwärzt sind. Die Beklagte hat hierzu mitgeteilt, dass sie sämtliche Stellen im Haus gebeten habe, den Auftrag an die G wegen der Untersuchung vorzulegen. Bezüglich des Klageantrags zu 4. hat sie mitgeteilt, dass die Angelegenheit in den Sitzungen vom 27. April 2016 und vom 7. Juni 2016 (richtig: 2017) beraten worden sei. Die Sitzungsunterlagen hierzu lägen dem Kläger vor.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hält die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen zur Erfüllung seines Informationsbegehrens für nicht ausreichend. Die Beklagte habe nicht erklärt, warum eine ursprünglich mit 69.000 € kalkulierte LSA letztlich 250.000 € gekostet habe und die Auftragsvergabe ohne Ausschreibung erfolgt sei sowie welchen Untersuchungsgegenstand die Beauftragung der G gehabt habe. Hinsichtlich des Klageantrags zu 1. seien die Schwärzungen in der Vorlage zu der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 unzulässig. Die Beklagte habe insoweit keine Verweigerungsgründe vorgetragen, zumal fünf Jahre nach der Beschlussfassung. Im Übrigen sei wegen der Schwärzung gerade unbekannt, ob dort tatsächlich die C und ein Auftragsvolumen von 250.000 € stehe. Die Komplettschwärzung des Angebots der C sei ebenfalls unzulässig. Der Hinweis der Beklagten, dass es sich dabei um technische Spezifikationen und Preise der Firma handele, trage fünf Jahre nach der Beschlussfassung als Begründung nicht, da die Preise gestiegen seien und auch die technischen Anforderungen sich geändert hätten. Allenfalls käme eine Schwärzung einzelner, mit Geheimhaltungsinteressen konkret begründeter Passagen in Betracht. Im Übrigen sei schon unklar, ob es sich bei den geschwärzten Blättern um die Anlage 9 und das Angebot der C handele. Auch werde bestritten, dass die Beklagte überhaupt bei der Firma angefragt habe, ob und in welchem Umfang die Anlage 9 herausgegeben werden könne. Hinsichtlich des Klageantrags zu 2. sei das Informationsbegehren ebenfalls nicht erfüllt. Wenn es keine Ausschreibung gegeben habe, dann müsse es zumindest ein Gesprächsprotokoll zu dem Ortstermin geben, in dem die technischen Anforderungen der Beklagten an die LSA festgelegt worden seien. Dieser sei vorzulegen. Das Klagebegehren zu 3. sei nach wie vor nicht erfüllt. Auch das Klagebegehren zu 4., das auf sämtliche Sitzungsniederschriften des ASVU gerichtet sei, auf die im Schreiben vom 24. September 2018 Bezug genommen werde, sei nicht erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und des anlässlich des Informationsbegehrens des Klägers entstandenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</span></strong></p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Die Kammer kann mit Einverständnis der Beteiligten, welches diese im Erörterungstermin vom 14. April 2022 erklärt haben, ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">I. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat (Klageanträge zu 5. und 6.), war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">II. Hinsichtlich des Klageantrags zu 1. ist die Klage zum Teil unzulässig, zum Teil unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">1. Soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm eine Kopie der <span style="text-decoration:underline">Vorlage</span> zu TOP B19 der Sitzung des BVA der Beklagten vom 19. Oktober 2017 zu überlassen, ist die Klage bereits unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Denn das für jeden Rechtsbehelf erforderliche allgemeine Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Entscheidung liegt im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt er gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) vor. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 die vom Kläger begehrte Vorlage zu TOP B19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 vorgelegt, wobei allerdings der Name der beauftragten Firma und die Auftragssumme geschwärzt waren.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger die Überlassung einer nicht geschwärzten Version der Vorlage, d.h. die Offenlegung des Namens der beauftragten Firma und der Auftragssumme, begehrt, fehlt es auch insoweit an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Beklagte hat dem Kläger bereits mit Schreiben vom 25. September 2018 mitgeteilt, dass die C mit der Errichtung der LSA beauftragt worden sei. In diesem Schreiben hat sie auch die Stellungnahme C zu dem Informationsantrag des Klägers (vgl. Email vom 31. Juli 2018, Blatt 25 des Verwaltungsvorgangs) im Originalwortlaut mitgeteilt. Die Beklagte hat in dem Erörterungstermin vom 14. April 2022 und auch in dem nachfolgenden Schriftsatz vom 29. Juni 2022 nochmals ausdrücklich bestätigt, dass die C den Auftrag zur Errichtung der LSA erhalten hat. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Dem Kläger ist damit der Name der beauftragten Firma bereits bekannt. Eine gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zur Offenlegung des Namens durch Überlassung einer ungeschwärzten Version der Vorlage würde daher nicht zu einer Verbesserung seiner Rechtsposition führen.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Nichts anderes gilt bezüglich der begehrten Offenlegung der Auftragssumme. Diese lässt sich bereits hinreichend klar der Begründung der Finanzierung auf Seite 2 der Vorlage entnehmen (Ansatz im Haushaltsplan mit 240.500 € und korrigierter Kostenansatz der Verwaltung von 250.000 €, der sich mit dem Angebot bestätigt hat). Dies entspricht im Übrigen auch den Kostenschätzungen in der Übersicht der P (240.000 € für eine Säule bzw. 200.000 € für einen Mast), die als Anlage 6 der - dem Kläger bekannten (vgl. sein Schreiben vom 1. Mai 2016 für die Einwohnerfragestunde in der ASVU-Sitzung vom 27. April 2016) - Vorlage für die Sitzung des ASVU vom 27. April 2016 beigefügt war. Zudem hat der Kläger im Erörterungstermin vom 14. April 2014 selbst die Auftragssumme mit 250.000 € als ihm bekannt benannt (vgl. Seite 3, 1. Absatz der Protokolls).</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man das Rechtsschutzinteresse nicht als entfallen ansehen wollte, wäre die Klage insoweit jedenfalls aus den nachfolgenden Gründen unter 2. unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">2. Soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm eine Kopie der <span style="text-decoration:underline">Anlage 9</span> zur Sitzungsniederschrift zu TOP B19 der Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 zu überlassen, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat bereits im Bescheid vom 9. November 2018 sowie im Erörterungstermin vom 14. April 2022 ausgeführt und in den nachfolgenden Schriftsätzen vom 11. Mai 2022 und vom 29. Juni 2022 nochmals ausdrücklich bestätigt, dass es sich bei der Anlage 9 - und bei den von ihr mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 übersandten, vollständig geschwärzten Unterlagen (9 Seiten, jeweils überschrieben mit „M“) - um das Angebot der C nebst Anlagen und bei den geschwärzten hat um technische Spezifikationen und Preise dieser Firma handelt. Die Kammer den keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Der Kläger ist den Angaben der Beklagten auch nicht substantiiert entgegengetreten. Allein der Umstand, dass die Anlage 9 in der Niederschrift über die - öffentliche - Sitzung des BVA vom 19. Oktober 2017 als „Bericht“ bezeichnet wird, vermag solche Zweifel nicht zu begründen. Insbesondere hat die Beklagte auf ausdrückliche Aufforderung des Gerichts im Erörterungstermin vom 14. April 2022 (vgl. Seite 5 der Niederschrift) den Inhalt der Anlage 9 nochmals überprüft und deren Inhalt in dem vorbeschriebenen Sinne bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2018 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch auf Überlassung einer - ungeschwärzten - Kopie der Anlage 9 zu (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger ist als natürliche Person zwar anspruchsberechtigt. Die Beklagte ist als kommunale Behörde auch eine öffentliche Stelle i.S.v. § 2 Abs. 1 IFG NRW und damit anspruchsverpflichtet. Ferner handelt es sich bei der Anlage 9 um amtliche Informationen, d.h. auf Informationsträgern vorhandene Informationen, die im dienstlichen Zusammenhang - hier der Tätigkeit des BVA der Beklagten - erlangt worden sind (vgl. § 3 Satz 1 IFG NRW).</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">b) Der Informationsanspruch ist auch nicht aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Insbesondere enthalten § 14 Abs. 8 VOB/A 2016 bzw. § 14a Abs. 9 VOB/A 2019, wonach in öffentlichen Vergabeverfahren von Bauleistungen abgegebene Angebote und ihre Anlagen - auch bei Freihändiger Vergabe - sorgfältig zu verwahren und ‑ zeitlich unbegrenzt -,</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">vgl.              nur Planker, in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 7. Aufl. (2020), § 14a VOB/A, Rn. 36,</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">geheim zu halten sind (vgl. hierzu näher im Folgenden unter c), keine spezialgesetzliche Bestimmung i.S.v. § 4 Abs. 2 IFG NRW. Denn sie regeln nicht den - anspruchsförmig ausgestalteten - Zugang zu Informationen, sondern schließen ihn aus.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl.              ebenso zu § 17 Abs. 3 VOL/A-EG a.F. und § 5 Abs. 1und 2 VgV: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 - 10 C 24.19 -, juris, Rn. 22; OVG NRW, Urteil vom 21. November 2018 - 15 A 861/17 -, juris, Rn. 74.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Zudem handelt es sich bei der VOB/A, die bei der Vergabe von Bauleistungen im Unterschwellenbereich ‑ wie hier - Anwendung findet, um Verwaltungsvorschriften, d.h. reines Innenrecht und damit nicht um Rechtsvorschriften i.S.v. § 4 Abs. 2 IFG NRW.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl.              zu § 1 Abs. 3 IFG: Schoch, IFG, 2. Aufl. (2016), § 1 Rn. 344.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">c) Dem Informationsanspruch steht jedoch der zwingende Versagungsgrund des § 8 IFG NRW („ist“) i.V.m. § 14 Abs. Abs. 8 VOB/A 2016 bzw. § 14a Abs. 9 VOB/A 2019 entgegen.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Nach § 8 Satz 1 IFG NRW ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch die Übermittlung der Information ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart wird und dadurch ein wirtschaftlicher Schaden entstehen würde. Entsprechendes gilt für Informationen, die wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse geheim zu halten sind (§ 8 Satz 2 IFG NRW). Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Allgemeinheit ein überwiegendes Interesse an der Gewährung des Informationszugangs hat und der eintretende Schaden nur geringfügig wäre (§ 8 Satz 3 IFG NRW).Im Zweifelsfall ist der oder dem Betroffenen vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 8 Satz 4 IFG NRW). Betroffen sein kann auch eine öffentliche Stelle (§ 8 Satz 5 IFG NRW).</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Der Begriff des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses ist im IFG NRW nicht näher definiert, sondern wird von diesem so vorausgesetzt, wie er in der Rechtsprechung entwickelt worden ist (vgl. LT-Drs. 13/1311, S. 13). Daher ist auf Rechtsprechung und Schrifttum zu anderen Vorschriften, die diesen Rechtsbegriff verwenden - u.a. § 2 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen - zurückzugreifen. Danach sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (sinngemäß) alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 -, juris, Rn. 87; <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/WBRE410016125/format/xsl/part/K?oi=9G5aqUKkgH&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 ‑ 7 C 2.09</a> -, juris, Rn. 50; OVG NRW, Urteil vom 21. November 2018 - 15 A 861/17 -, juris, Rn.  91 ff.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. Die Offenlegung der begehrten Informationen muss also die Wettbewerbsposition des betroffenen Unternehmens schwächen und die des Konkurrenten fördern, mithin wettbewerbsrelevant sein.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Vgl.              <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/WBRE410016125/format/xsl/part/K?oi=9G5aqUKkgH&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - 7 C 2.09</a> -, juris, Rn. 50.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Das schutzwürdige Interesse bemisst sich danach, ob ein verständiger Unternehmer Informationen der betreffenden Art geheim halten würde. Davon ist insbesondere bei solchen Informationen auszugehen, die den Kernbereich der betrieblichen Informationssphäre betreffen.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Vgl.              Seidel, in: Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, § 8, Rn. 878 ff.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Schutzwürdig sind insbesondere Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können. Auch konkrete Vertragsgestaltungen können geschützt sein. Weitere Beispiele sind Zeichnungen, Planungsunterlagen und Modelle von technischen Bauten oder Geräten.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 -, juris, Rn. 87; BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 ‑ 20 F 14.10 -, juris, Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Der Ausschlusstatbestand des § 8 Satz 1 IFG NRW setzt zusätzlich voraus, dass durch die Offenbarung der Informationen ein wirtschaftlicher Schaden droht. Ein Schaden ist jede Einbuße an einem Recht oder Rechtsgut. Wirtschaftlich ist der Schaden, wenn letztlich das Vermögen eine Einbuße erleidet. Im Fall der Offenbarung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses wird die Einbuße oftmals in der Schwächung der Wettbewerbssituation bestehen, die sich nur mittelbar auswirkt. Liegt ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung vor, folgt daraus in der Regel auch, dass durch die Offenbarung ein Schaden eintreten würde. Die in Anspruch genommene öffentliche Stelle bzw. der betroffene Dritte müssen konkret und substantiiert deutlich machen, inwiefern sich dessen Wettbewerbssituation durch die Offenbarung des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses nachhaltig verschlechtern würde.</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteile vom 18. August 2015 - 15 A 97/13 -, juris, Rn. 101, und vom 2. Juni 2015 - 15 A 1997/12 -, juris, Rn. 119.</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran hat die Beklagte hinreichend konkret und substantiiert dargelegt, dass es sich bei der Anlage 9, d.h. dem Angebot der C nebst Anlagen und den diesem zugrunde liegenden technischen Spezifikationen und Preisen, um Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse handelt. Es geht insofern um Tatsachen, die auf ein Unternehmen, die C, bezogen sind. Die Informationen sind auch nur einem begrenzten Personenkreis - dem Unternehmen bzw. dessen Mitarbeitern sowie der Beklagten - zugänglich und damit nicht offenkundig. Nach dem mit E-Mail vom 31. Juli 2018 ausdrücklich verlautbarten Willen der C sollen die Unterlagen auch geheim gehalten werden. Schließlich hat das Unternehmen auch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung der Unterlagen. Die Offenlegung des Angebots mit technischen Spezifikationen und Preisen wäre geeignet, ein exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen potentiellen Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. Technische Spezifikationen und technische Details sowie Preise und Preiskalkulationen sind nach den vorstehenden Maßstäben schutzwürdig. Denn aus ihnen können sich für potentielle Konkurrenten am jeweiligen Markt nicht nur für den aktuellen Auftrag, sondern auch für zukünftige Aufträge Rückschlüsse auf die technischen Herstellung des Produkts oder die Preisgestaltung des Unternehmens ergeben, die die Wettbewerbssituation des Konkurrenten insoweit verbessern kann, als dass er Kenntnisse erlangen könnte, durch die sein eigener Betrieb leistungsfähiger bzw. kostengünstiger würde. Er könnte technische oder kaufmännische Kenntnisse erlangen und diese bei seiner eigenen Herstellung oder Preiskalkulation berücksichtigen. Durch solch zusätzliches Wissen könnte er in die Lage versetzt werden, Kunden des Unternehmens durch verbesserte eigene Angebote abzuwerben.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">In welchem Umfang das Angebot der C derart schutzwürdige Daten enthielten, bedarf hier keiner weiteren Aufklärung. Denn das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens in Bezug auf sämtliche Angebotsunterlagen wird abstrakt-generell bereits durch die Vorgaben des Vergaberechts begründet, die im Rahmen von § 8 Satz 1 IFG NRW als Wertungsnormen zu beachten sind.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Vgl.              hierzu: OVG NRW, Urteil vom 21. November 2018 - 15 A 861/17 -, juris, Rn. 114.</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat nach ihren Angaben im Schreiben vom 25. September 2018 und ihren Erläuterungen im Erörterungstermin vom 14. April 2022 seinerzeit allein die C als bestehende Vertragspartnerin der städtischen Lichtzeichensignalanlagen zur Angebotsabgabe für den Bau der in Rede stehenden Anlage aufgefordert und damit der Sache nach eine sog. Freihändige Vergabe der Bauleistung i.S.v. § 3 Abs. 3 VOB/A 2016 bzw. § 3 Nr. 3 VOB/A 2019 ohne Wettbewerb im Unterschwellenbereich (vgl. § 1 Abs. 2 VOB/A-EU, § 106 Abs. 1 und 2 GWB i.V.m. Art. 4 RL 2014/24/EU: 5,186 Mio. €) durchgeführt. Ein Direktauftrag ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens schied aus, da dieser nur bei Bauleistungen bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 3.000 € ohne Umsatzsteuer in Betracht kam (vgl. § 3a Abs. 4 VOB/A 2019), der nach sämtlichen Kalkulationen der Beklagten deutlich überschritten war. Bei einer Freihändigen Vergabe werden Bauleistungen ohne ein förmliches Verfahren (§ 3 Abs. 3 VOB/A 2016) bzw. in einem vereinfachten Verfahren (§ 3 Nr. 3 VOB/A 2019) vergeben. Jedoch sind auch bei einer Freihändigen Vergabe gewisse Mindestverfahrensregeln zu beachten. Unter anderem gelten besondere Geheimhaltungsvorschriften. So sind gemäß § 14a Abs. 9 VOB/A 2016 bzw. § 14a Abs. 9 VOB/A 2019 bei Zulassung schriftlicher Angebote die Angebote und ihre Anlagen sorgfältig zu verwahren und geheim zu halten. Dies gilt auch bei einer Freihändigen Vergabe. Dabei gilt die Geheimhaltungspflicht schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen zeitlich unbegrenzt, d.h. auch nach Abschluss des konkreten Vergabeverfahrens.</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Vgl. Planker, in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 7. Aufl. (2020), § 14a VOB/A, Rn. 36; Stollhoff, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. (2022) § 14 VOB/A Rn. 43; allgemein auch OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2017 - 15 B 832/15 - juris, Rn. 15 ff.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Das Gebot, die Angebote und ihre Anlagen insgesamt geheim zu halten, ist Ausfluss eines strengen Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsgrundsatzes. Es dient vorrangig der Sicherung des geistigen Eigentums der Bieter an ihren Angebotsinhalten, der Wahrung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie der Gewährleistung des Wettbewerbs auch nach Öffnung der Angebote.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Vgl.              VK Lüneburg, Beschluss vom 4. Oktober 2011 - VbK-26/2011 -, Beck-online.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Davon ausgehend unterliegt das Angebot der C insgesamt mit allen seinen Anlagen auch nach Abschluss des damaligen Vergabeverfahrens schon gemäß § 14a Abs. 9 VOB/A 2016 bzw. § 14a Abs. 9 VOB/A 2019 der Geheimhaltung. Dass es sich bei der VOB/A um Verwaltungsvorschriften handelt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn - wie ausgeführt - sind deren Vorschriften bei der Frage, ob die tatbestandliche Voraussetzung des § 8 Satz 1 IFG NRW - Offenbarung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis - erfüllt ist, als allgemeine Wertungsnormen zu beachten, die gerade auch die Beklagte binden, und zwar über Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der allgemeinen Verwaltungspraxis auch im Außenverhältnis. Raum für eine allgemeine Interessenabwägung, die eine Berücksichtigung besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls (z.B. Spezialauftrag) oder auch zeitliche Aspekte ‑ wie der Kläger dies fordert - ermöglichte, besteht insoweit nicht.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Da es sich bei der Preisgestaltung um den Kernbereich von Geschäftsgeheimnissen handelt, umfasst die Vertraulichkeitspflicht des Vergaberechts in Bezug auf Angebote insbesondere auch solche Unterlagen, die schutzwürdige Inhalte des Angebots, namentlich die Preisangabe - wie hier die Vorlage zu TOP B19 der Sitzung des BVA der Beklagten vom 19. Oktober 2017 - wiedergeben.</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Vgl.              ebenso: VG Berlin, Urteil vom 9. März 2017 - 2 K 111.15 -, juris, Rn. 35 sowie nachgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2018 - OVG 12 B 8.17 - juris, Rn. 52.</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Besteht demnach ein berechtigtes Interesse der C an der Geheimhaltung der Anlage 9, d.h. ihres Angebots nebst Anlagen, ist nach den vorstehenden Maßstäben die Möglichkeit des Entstehens eines wirtschaftlichen Schadens regelmäßig - und so auch hier - indiziert.</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Ausnahmeregelung des § 8 Satz 3 IFG NRW eingreift. Anhaltspunkte dafür, dass die Allgemeinheit ein überwiegendes Interesse an der Gewährung des Informationszugangs haben könnte, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil dürfte in einem Fall, in dem - wie hier - Wertungen des Vergaberechts eine Offenbarung generell und ohne zeitliche Begrenzung untersagen, vielmehr ein öffentliches Interesse an dem Nichtbekanntwerden der Information bestehen.</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Vgl.              ähnlich: OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2017 - 15 B 832/15 - juris, Rn. 22.</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der durch die Offenbarung ‑ wegen des berechtigten Interesses der C indiziert - eintretende Schaden nur geringfügig wäre.</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">III. Hinsichtlich des Klageantrags zu 2. ist die Klage zulässig, aber unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Der - formlose - Bescheid der Beklagten vom 25. September 2018, mit dem diese den Antrag des Klägers vom 15. August 2018 auf Überlassung der Ausschreibungsunterlagen für die LSA zur Durchfahrtkontrolle der Sache nach abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aus § 4 Abs. 1 IFG NRW keinen Anspruch auf Überlassung dieser Unterlagen ableiten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Der Informationsanspruch nach § 4 Abs.1 IFG NRW bezieht sich, wie schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift folgt, allein auf bei einer öffentlichen Stelle vorhandene amtliche Informationen. Dies ergibt sich auch aus den Begriffsdefinitionen in § 3 IFG NRW, wonach Informationen im Sinne des Gesetzes alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder auf sonstigen Informationsträgern vorhandenen Informationen sind, die im dienstlichen Zusammenhang erlangt wurden (Satz 1), und Informationsträger alle Medien sind, die Informationen in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form speichern können (Satz 2).</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Vorliegend fehlt es insofern an bei der Beklagten vorhandenen Informationen. Die Beklagte hat dem Kläger bereits im Bescheid vom 25. September 2018 mitgeteilt und auch nochmals im Erörterungstermin vom 14. April 2022 sowie im Schriftsatz vom 11. Mai 2022 erläutert, dass bei der Vergabe der Bauleistung für die in Rede stehende LSA keine öffentliche Ausschreibung stattgefunden habe. Die Vergabe der Bauleistung sei - wie ausgeführt - im Wege einer Freihändigen Vergabe an die C erfolgt. Nach Angaben der Beklagten sei Hintergrund dafür gewesen, dass die Firma Stührenberg Vertragspartnerin der Beklagten für sämtliche Ampelanlagen in der Stadt sei. Insbesondere habe das vorhandene Ampelanforderungssystem für die Busse an die zu errichtende LSA zur Durchfahrtskontrolle angepasst und darin integriert werden müssen. Die (technischen) Anforderungen an die LSA seien im Rahmen eines Ortstermins mit dem beauftragten Unternehmen erörtert worden.</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">Die Kammer hat keinen Anlass, diese Angaben der Beklagten in Zweifel zu ziehen. Auch der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, dass tatsächlich eine öffentliche Ausschreibung bezüglich der LSA stattgefunden hat. Im Gegenteil rügt er gerade, dass die Beklagte rechtswidrig keine öffentliche Ausschreibung durchgeführt habe. Diese von der Klägerseite aufgeworfene Rechtsfrage ist jedoch nicht Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens, welches allein auf die Prüfung der Frage gerichtet ist, ob dem Kläger Informationsansprüche nach dem IFG NRW zustehen.</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Wenn es aber keine öffentliche Ausschreibung zu der Auftragsvergabe der LSA gegeben hat, können auch keine Ausschreibungsunterlagen nebst Leistungsbeschreibung vorhanden sein, deren Überlassung der Kläger nach § 4 Abs. 1 IFG NRW verlangen könnte.</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">Nichts anderes gilt, soweit der Kläger im Erörterungstermin vom 14. April 2022 klargestellt hat, dass er mit „Ausschreibungsunterlagen“ im Klageantrag zu 2. nicht nur Ausschreibungsunterlagen im engeren Sinne, sondern auch solche Unterlagen meine, in denen die Beklagte die technischen Anforderungen für die LSA für den Auftragnehmer beschrieben habe (vgl. Seite 2 und 4 der Sitzungsniederschrift).</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Hierzu hat die Beklagte auf gerichtlichen Hinweis mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 mitgeteilt, dass sämtliche Stellen im Haus gebeten worden seien, „sämtliche Dokumente vorzulegen, die zur Spezifikation der Anforderungen an die Auftragnehmerin gegeben worden seien (Schreiben, Emails etc.)“. Ergebnis der Anfrage sei gewesen, dass schriftliche Unterlagen, insbesondere ein Vermerk zu dem Orttermin, bei ihr nicht vorlägen.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Auch insoweit besteht für die Kammer kein greifbarer Anhalt, die Richtigkeit der Angaben der Beklagten in Zweifel zu ziehen. Auch der Kläger ist diesem Vortrag nicht substantiiert entgegengetreten.</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Sind aber nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten bei ihr keine Unterlagen vorhanden, aus denen sich die technischen Anforderungen entnehmen lassen, die sie der C bezüglich der Konstruktion der LSA vorgegeben hat, geht der Informationsanspruch des Klägers auch insoweit ins Leere. Insbesondere besteht trifft die Beklagten auch keine Pflicht, die vom Kläger begehrten Informationen nachträglich zu beschaffen. Das gilt auch, soweit die Beklagte es ggf. unter Verstoß gegen den Grundsatz der Aktenwahrheit und -vollständigkeit es pflichtwidrig unterlassen haben sollte, die technischen Anforderungen für die LSA zu dokumentieren, insbesondere keinen Vermerk über den Ortstermin gefertigt haben sollte.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Denn „vorhanden“ i.S.v. § 4 Abs. 1 IFG NRW sind nur Informationen, die tatsächlich Bestandteil der Verwaltungsunterlagen der informationspflichtigen Stelle sind. Die Behörde trifft keine Informationsbeschaffungspflicht. Sie ist nicht gehalten, die begehrten Informationen durch Untersuchungen erst zu generieren. Eine inhaltliche bzw. statistische Aufbereitung der vorhandenen Informationen durch die Behörde kann mit dem Informationsanspruch nicht verlangt werden. Lediglich soweit sie die Antworten auf gestellte Fragen aus den vorhandenen Unterlagen mittels einer bloßen Übertragungsleistung heraussuchen muss, ist dies vom Informationsanspruch umfasst.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Vgl.              OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Februar 2022 - 15 E 326/20 -, juris, Rn. 10, und vom 13. Juli 2017 - 15 E 146/17 -, juris, Rn. 15; auch Frankewitsch, in: Pabst/Frankewitsch, IFG NRW, Kommentar, 1. Aufl. (2022), § 4 Rn. 40.</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger begehrten Informationen sind auch nicht etwa deshalb „vorhanden“ i.S.v. §§ 3 und 4 IFG NRW, weil davon auszugehen sein dürfte, dass die Beklagte bzw. deren Verwaltungsmitarbeiter über das entsprechende Wissen verfügen. Durch § 3 IFG NRW werden nur durch Informationsträger gespeicherte Daten erfasst, d.h. es bedarf einer Verkörperung der Information. An einer solchen fehlt es bei schlichtem „Wissen“ von Amtsträgern, insbesondere ist das menschliche Gedächtnis kein „Speichermedium“ i.S.v. § 3 Satz 2 IFG NRW.</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Vgl.              OVG NRW, Beschlusse vom 23. Februar 2022 - 15 E 326/20 -, juris, Rn. 113 ff.</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">IV. Hinsichtlich des Klageantrags zu 3. ist die - ursprünglich mangels Bescheidung des Antrags auf Überlassung von Informationen über die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G vom 15. August 2018 zulässigerweise als Untätigkeitsklage (§ 75 Satz 1 VwGO) erhobene Klage - nachträglich unzulässig geworden.</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 mitgeteilt, dass sie auf den gerichtlichen Hinweis vom 17. Juni 2022 sämtliche Stellen im Haus gebeten habe, den Auftrag an die G wegen der Untersuchung, d.h. die von ihr entsprechend dem Beschluss des ASVU vom 27. April 2016 beauftragte Verkehrsanalyse P vorzulegen. Zugleich hat sie dem Gericht alle ihr in diesem Zusammenhang hausintern überlassenen Unterlagen vorgelegt. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass bei der Beklagten darüber hinaus weitere Unterlagen hinsichtlich der Auftragserteilung G vorhanden sein könnten.</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">Hat die Beklagte jedoch alle bei ihr zu dem der G erteilten Auftrag vorhandenen Unterlagen vorgelegt, ist damit aber das diesbezügliche Informationsbegehren des Klägers erfüllt worden und zugleich auch das für die Klage erforderliche Rechtsschutzinteresse entfallen.</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">Dass die von der Beklagten im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen inhaltlich nicht die Informationen enthalten, die sich der Kläger offenbar mit seinem Informationsantrag versprochen hat - Informationen über die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G - vermag daran nichts zu ändern. Wie bereits ausgeführt, gewährt § 4 Abs. 1 IFG NRW lediglich einen Anspruch auf Überlassung vorhandener amtlicher Informationen, nicht aber auf die Beschaffung nicht vorhandener Informationen oder die Beantwortung bestimmter Fragen, die sich betroffene oder interessierte Bürger im Interesse der Nachvollziehbarkeit, Transparenz und insbesondere auch Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines bestimmten Verwaltungshandelns - hier die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung der Burgstraße - stellen.</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen weist die Kammer, ohne dass es rechtlich darauf ankäme, darauf hin, dass sich die vom Kläger inhaltlich begehrten Informationen über die Untersuchungskriterien und -ziele des Auftrags an die G hinreichend deutlich aus dem Schreiben der Fraktionen von CDU und SPD vom 16. März 2016 ergeben dürften, das Grundlage für den Beschluss des ASVU vom 27. April 2016 über die Beauftragung eines Fachplaners mit der Erstellung einer Verkehrsanalyse und eines Konzepts für ein Verkehrsüberwachungssystem ergeben dürfte. Dort sind alle relevanten Eckpunkt für den von der Verwaltung erteilten Auftrag bereits auf politischer Ebene festgelegt worden. Dieses Schreiben ist dem Kläger bereits im Verfahren - 2 K 2305/13 - vorgelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">V. Hinsichtlich des Klageantrags zu 4. - Überlassung sämtlicher Sitzungsniederschriften des ASVU, auf die im Schreiben der Beklagten vom 25. September 2018 Bezug genommen wird - hat die Klage Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">1. Die Klage ist insoweit als Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig. Der diesbezügliche Antrag des Klägers vom 4. Oktober 2018 ist bis heute nicht beschieden. Insbesondere ist im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung inzwischen auch die dreimonatige Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO abgelaufen.</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht dadurch erledigt, dass diese mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 die Niederschrift über die Sitzung des ASVU vom 7. Juni 2017 nebst Anlagen vorgelegt und mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 darauf hingewiesen hat, dass dem Kläger die Sitzungsunterlagen über die Sitzungen des ASVU vom 27. April 2016 und vom 7. Juni 2016 (richtig: 2017), in denen die Angelegenheit beraten worden sei, bekannt seien.</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Wie die Kammer bereits in ihrem Hinweis vom 17. Juni 2022 ausgeführt hat, hat sich der Klageantrag zu 4. damit nicht erledigt. Dieser ist nach Konkretisierung im Erörterungstermin vom 14. April 2014 auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, ihm eine Kopie sämtlicher Sitzungsniederschriften des ASVU zu überlassen, auf die im Schreiben der Beklagten vom 25. September 2018 Bezug genommen worden ist. In diesem Schreiben heißt es: „Dem beauftragten System liegt ein Beschluss des ASVU vom 2. Juni 2017 (richtig: 7. Juni 2017) zugrunde, der das Ergebnis einer umfangreichen und umfassenden Beratung des ASVU in mehreren Sitzungen war.“ Damit wird offensichtlich auf Beratungen des ASVU in <span style="text-decoration:underline">vorangegangenen</span> Sitzungen Bezug genommen, deren Inhalt dem Kläger bekannt sein soll. Dies entspricht auch den Angaben der Beklagten in ihrer E-Mail an die LDI vom 23. April 2018. Es hat jedoch - wie im Tatbestand dieser Entscheidung dargestellt - nach der dem Kläger bekannten ersten Sitzung vom 27. April 2016 - die Sitzungsniederschrift dazu wurde dem Kläger bereits im Verfahren 2 K 2305/13 überreicht - noch weitere Sitzungen des ASVU gegeben, in denen das Thema „Verkehrssituation Q“ erörtert und das weitere Vorgehen hierzu beschlossen worden ist. Es ist allerdings weder vorgetragen worden noch ist dies sonst ersichtlich, dass die Beklagte dem Kläger die Niederschriften auch dieser Sitzungen des ASVU vom 30. November 2016, vom 22. Februar 2017 und vom 29. März 2017 bereits überlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">2. Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch darauf zu, dass sie ihm auch die begehrten - weiteren - Sitzungsniederschriften des ASVU überlässt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Zunächst war der Informationsantrag des Klägers vom 4. Oktober 2018 auch nicht etwa zu unbestimmt (§ 5 Abs. 1 Satz 3 IFG NRW). Denn im Schreiben der Beklagten vom 25. September 2018 wird der Kläger gerade auf Sitzungsunterlagen von nicht näher bezeichneten Sitzungen des ASVU verwiesen, so dass er seinen Antrag allein wegen der Unbestimmtheit der Angaben der Beklagten nicht näher präzisieren konnte.</p> <span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Dem Informationsanspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW steht insbesondere auch nicht der Verweigerungsgrund des § 5 Abs. 4 IFG NRW entgegen.</p> <span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Nach dieser Vorschrift kann der Antrag abgelehnt werden, wenn die Information der Antragstellerin oder dem Antragsteller bereits zur Verfügung gestellt worden ist (1. Alt.) oder wenn sich die Antragstellerin oder der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann (2. Alt.).</p> <span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks">Hier liegen schon die Tatbestandsvoraussetzungen des im behördlichen Ermessen stehenden („kann“) Versagungsgrundes nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Die erste Alternative der Vorschrift ist nicht erfüllt, weil - wie bereits ausgeführt - weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass dem Kläger die begehrten Informationen, d.h. die Niederschriften auch der Sitzungen des ASVU vom 30. November 2016, vom 22. Februar 2017 und vom 29. März 2017, bereits zur Verfügung gestellt worden sind. Damit ist zwar in erster Linie gemeint, dass die öffentliche Stelle, bei der der Informationsantrag gestellt worden ist, oder eine andere öffentliche Stelle (vgl. LT-Drs. 13/1311, S. 12) dem Antragsteller den Zugang zu den begehrten Informationen schon einmal gewährt hat. Die Regelung ist aber - zumindest analog - auch dann anwendbar, wenn der Antragsteller aus anderen Gründen tatsächlich bereits über die Informationen verfügt. Das folgt aus ihrem Sinn und Zweck, unnötigen Aufwand für die öffentlichen Stellen zu vermeiden.</p> <span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks">Vgl.              OVG NRW, Urteil vom 24. November 2015 - 8 A 1073/14 -, juris, Rn. 66; zum inhaltsgleichen § 9 Abs. 3 IFG: Schoch, IFG, Kommentar, 2. Aufl. (2016), § 9 Rn. 42 f.</p> <span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Dabei ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Antragstellers darzulegen, dass er über die begehrten Informationen nicht bereits verfügt. Vielmehr handelt es sich um einen Ablehnungsgrund, für dessen Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die Darlegungs- und Beweislast trägt, der sich darauf beruft, d.h. die Beklagte. Eine Verschiebung der Darlegungslast auf den Antragsteller kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete, über bloße Vermutungen hinausgehende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er über die begehrten Informationen bereits vollständig verfügt.</p> <span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks">Vgl.              OVG NRW, Urteil vom 24. November 2015 - 8 A 1073/14 -, juris, Rn. 68; zu § 9 Abs. 3 IFG: Schoch, IFG, Kommentar, 2. Aufl. (2016), § 9 Rn. 44.</p> <span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Davon ausgehend hat die Beklagte nicht dargetan, dass der Kläger bereits über die Niederschriften auch der Sitzungen des ASVU vom 30. November 2016, vom 22. Februar 2017 und vom 29. März 2017 verfügt. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, dass sie selbst oder eine andere Stelle ihm diese Unterlagen bereits überlassen hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger über die Sitzungsniederschriften aus anderen Gründen bereits vollständig verfügt, bestehen ebenfalls nicht. Er hat im Verwaltungsverfahren vielmehr ausdrücklich geltend gemacht, dass ihm diese Unterlagen nicht vorliegen. Auch sonst lässt sich seinem Vortrag im Klageverfahren kein Anhalt dafür entnehmen, dass er über die Sitzungsniederschriften bereits verfügt. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger über die Angelegenheit „Verkehrssituation Q“ insgesamt sehr gut informiert ist und ggf. auch in den öffentlichen Sitzungen des ASVU vom 30. November 2016, vom 22. Februar 2017 und vom 29. März 2017 persönlich anwesend gewesen ist, lässt sich ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit schließen, dass ihm die fraglichen Sitzungsniederschriften tatsächlich bereits vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">Die zweite Alternative des § 5 Abs. 4 IFG NRW ist ebenfalls nicht erfüllt. Zwar zählt zu den allgemein zugänglichen Informationsquellen im Sinne der Vorschrift auch das Internet.</p> <span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Vgl.              zu § 9 Abs. 3 IFG: Schoch, IFG, Kommentar, 2. Aufl. (2016), § 9 Rn. 48.</p> <span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Auch hat die Beklagte - wie heute allgemein üblich - sämtliche Einladungen und Niederschriften über die Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse und damit auch die des ASVU auf ihrer Internet unter „J“ eingestellt. Dort sind auch die hier streitgegenständlichen Sitzungsniederschriften zu finden.</p> <span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Es fehlt allerdings an der weiteren Voraussetzung der Vorschrift, dass der Antragsteller die Informationen auch in zumutbarer Weise beschaffen kann. In den Fällen des § 5 Abs. 4, Alt. 2 IFG NRW ist die Behörde schon aufgrund ihrer Beratungspflicht gemäß § 25 VwVfG regelmäßig gehalten, dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände die notwendige Unterstützung für eine zielgerichtete und zielgenaue Suche der betreffenden Informationen in allgemein zugänglichen Quellen zu geben. Ist die begehrte Information im Internet als allgemein zugängliche Quelle zu finden, wird eine pauschale Verweisung hierauf in aller Regel nicht ausreichend sein, weil damit weder der gebotenen Würdigung der individuellen Umstände hinreichend Rechnung getragen noch der Informationszugang vereinfacht wird. Vielmehr muss die informationspflichtige Stelle regelmäßig - und so auch hier - die genaue Fundstelle im Internet angeben, um von der an sich bestehenden Pflicht zur „eigenhändigen“ Informationsgewährung befreit zu werden.</p> <span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">Vgl.                            zu § 9 Abs. 3 IFG: Schoch, IFG, Kommentar, 2. Aufl. (2016), § 9 Rn. 40, 48, 51 ff.</p> <span class="absatzRechts">175</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen, dass der Kläger sich die begehrten Sitzungsniederschriften in zumutbarer Weise aus dem Internet selbst beschaffen konnte. Der Erhalt der begehrten Informationen erforderte schon wegen des ungenauen und pauschalen Verweises der Beklagten im Schreiben vom 25. September 2018 auf dem Kläger angeblich bekannte Sitzungsunterlagen „einer umfangreichen und umfassenden Beratung des ASUV in mehreren Sitzungen“ einen nicht unerheblichen Suchaufwand in sämtlichen im Internet eingestellten Niederschriften des ASUV im Zeitraum vom 27. April 2016 bis zum 7. Juni 2017. Diesen hat letztlich die Kammer im Rahmen der ihr von Amts wegen obliegenden Sachverhaltsaufklärung geleistet. Eine derartige Verfahrenshandhabung seitens der Beklagten entspricht angesichts der ihr nach dem IFG NRW obliegenden Pflichten jedoch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, durch einen im Grundsatz freien Zugang zu Informationen die Transparenz der Verwaltung sowie die Nachvollziehbarkeit, Akzeptanz und auch Kontrolle behördlicher Entscheidungen und der zugrunde liegenden politischen Beschlüsse zu erhöhen (vgl. LT-Drs., 13/1311, S. 1 f.).</p> <span class="absatzRechts">176</span><p class="absatzLinks">VI. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 155 Abs. 2 VwGO. Dabei hat die Kammer das klägerische Interesse an dem Auskunftsbegehren insgesamt mit dem gesetzlichen Auffangstreitwert (5.000,00 €) bemessen und sodann anteilmäßig auf die sechs Klageanträge verteilt (1/6). Hinsichtlich der Klageanträge zu 5. und 6. ergibt sich die Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO, weil der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen hat, hinsichtlich der Klageanträge zu 1. bis 4. aus § 154 Abs. 1 VwGO unter Berücksichtigung des jeweiligen Unterliegens (Klageanträge zu 1. bis 3. Kläger, Klageantrag zu 4. Beklagte). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p>
346,236
olgham-2022-08-08-22-u-12515
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22 U 125/15
2022-08-08T00:00:00
2022-08-19T10:01:32
2022-10-17T11:09:18
Beschluss
ECLI:DE:OLGHAM:2022:0808.22U125.15.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die dem Sachverständigen Dipl.-Ing. O auf seinen Antrag vom 18.01.2022 zu gewährende Entschädigung wird auf 3.472,78 Euro festgesetzt.</p> <p>Im Übrigen wird der Festsetzungsantrag zurückgewiesen.</p> <p>Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller, Dipl.-Ingenieur auf dem Gebiet der Chemischen Verfahrenstechnik, ist mit Beweisbeschluss des Senats vom 07.06.2018 zum Sachverständigen für den Bereich Entsorgung und Verwertung von Abfällen (Bodenaushub und Abbruchmaterial) bestellt worden. Neben ihm hatte der Senat drei weitere Sachverständige, nämlich Dipl.-Geol. N für den Bereich Abbruch, Dipl.-Ing. P für den Bereich Bodenschutz/Sanierung sowie Dipl.-Geol. Q für die Koordination sämtlicher Sachverständiger bestellt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nach Erstattung eines gemeinsamen Gutachtens in schriftlicher Form haben die Sachverständigen im Hinblick auf Einwendungen der Parteien unter dem 30.11.2021 schriftliche Stellungnahmen abgegeben und ihr Gutachten im Senatstermin vom 13.01.2022 erläutert.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 18.01.2022 reichte der Antragsteller eine Honorarrechnung (Abschlagsrechnung) bezogen auf seine Tätigkeiten im Zeitraum von September 2021 bis Januar 2022 ein. Darin stellte er der Landeskasse unter anderem einen Zeitaufwand von 21,5 Stunden für das „Aktenstudium aller zur Verfügung gestellter Unterlagen für Gerichtsverhandlung September 2021 – Januar 2022“, insgesamt einen Zahlbetrag in Höhe von 5.206,25 Euro brutto in Rechnung.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die zuständige Kostenbeamtin wies unter dem 28.01.2022 nach Prüfung und Anhörung des Senats einen Betrag in Höhe von 3.472,77 Euro an. Dabei setzte sie für die geltend gemachte Position „Aktenstudium“ statt der in Rechnung gestellten 21,5 Stunden lediglich 9 Stunden an.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 10.02.2022 erhob der Antragsteller gegen die Kürzung seiner Rechnung von 21 auf 9 für die Position „Aktenstudium“ „Widerspruch“ ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Stunden im Abrechnungszeitraum tatsächlich angefallen und notwendig gewesen seien, um in der Verhandlung absolut verhandlungssicher zu sein. Die vom Gericht angesetzten 9 Stunden seien offensichtlich willkürlich gewählt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Unter dem 11.04.2022 nahm die Landeskasse zu dem Vorbringen des Antragstellers Stellung und erhob keine Einwände gegen die von dem Antragsteller abgerechnete Stundenzahl. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme Bl. 1702 ff. der Gerichtsakte verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 11.05.2022 forderte der Vorsitzende den Antragsteller auf, hinsichtlich der angesetzten 21,5 Stunden für „Aktenstudium“ im Einzelnen (unter Angabe der jeweiligen Zeitkontingente) darzutun, welche erforderlichen abrechnungsfähigen Handlungen hierunter gefallen sind.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Eine Stellungnahme des Antragstellers erfolgte nicht.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der mit Schreiben des Antragstellers vom 10.02.2022 erhobene „Widerspruch“ war als Antrag auf gerichtliche Festsetzung seiner Sachverständigenvergütung i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG auszulegen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zulässig, hat jedoch nur im tenorierten Umfang Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG zur Festsetzung der Entschädigung des Antragstellers befugte Senat hält unter Anwendung der §§ 8, 9 JVEG den von der Kostenbeamtin bereits angewiesenen  Betrag in Höhe von insgesamt 3.472,78 Euro für angemessen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die von dem Sachverständigen geforderte Entschädigung ist nach Auffassung des Gerichts hinsichtlich der Position „Aktenstudium“ übersetzt. Insoweit sind lediglich 9 statt in Rechnung gestellten 21,5 Stunden zu vergüten. Festzusetzen ist demnach für diese Position, unter Zugrundelegung des vom Antragsteller zutreffend gewählten Stundensatzes in Höhe von 115,00 Euro, ein Betrag in Höhe von 1.035,00 Euro netto.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Grundlage des hier zu beurteilenden Vergütungsanspruchs sind die §§ 8, 9, 12 JVEG. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 JVEG erhält der Sachverständige neben dem Ersatz von Fahrtkosten und Entschädigung für sonstigen Aufwand (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 JVEG) für seine Leistung ein Honorar, das nach Stundensätzen zu bemessen ist. Die Höhe des Stundensatzes variiert je nach der Zugehörigkeit des Gutachtens zu einer bestimmten Honorargruppe (§ 9 Abs. 1 JVEG i.V.m. Anlage 1 zu § 9 Abs. 1). Das Honorar wird gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">In Ansatz gebracht werden kann nach der gesetzlichen Regelung nicht die tatsächlich aufgewendete, sondern nur die erforderliche Zeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei als erforderlich nur derjenige Zeitaufwand anzusetzen, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen abgeben zu können. Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffes, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98 –, Rn. 11, juris m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Zwar darf das Gericht grundsätzlich davon ausgehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit als richtig anzunehmen sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Angaben des Sachverständigen jeglicher gerichtlicher Kontrolle entzogen sind. Vielmehr hat eine Plausibilitätsprüfung der Rechnung zu erfolgen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.09.2008 - 10 W 60/08; OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2010, 6 W 168/09; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.03.2016 - 8 Wx 1657/15, BeckRS 2016, 5292; OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.04.2017 - 4 W 1/16, BeckRS 2017, 121169; Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 27). Anlass zur Nachprüfung besteht insbesondere dann, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint (OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2010, 6 W 168/09), die vorgelegte Zeiterfassung widersprüchlich oder unzureichend ist oder der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint und greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er außer jedem Verhältnis zu der tatsächlich erbrachten Leistung steht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.07.2016, 6 WF 336/15, juris; BDZ/Binz, 5. Aufl. 2021, JVEG § 8 Rn. 12). Dabei muss die Rechnung inhaltlich mehr ausweisen als nur die Endsumme der Gesamtvergütung. Um eine Nachprüfbarkeit zu gewährleisten, ist eine angemessene Aufschlüsselung der einzelnen Arbeitsabschnitte vorzunehmen und sind die jeweils darauf entfallenden Stunden und Minuten anzugeben, auch wenn das JVEG insoweit keine Vorgaben enthält (vgl. Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 27). Die mitgeteilte Untergliederung des gesamten Zeitaufwands kann das Gericht an Hand allgemeiner Erfahrungswerte einer Plausibilitätsprüfung unterziehen (vgl. LSG BW Justiz 2005, 91). Erfolgt keine Untergliederung der einzelnen Arbeitsschritte, ist wegen der fehlenden Möglichkeit einer Plausibilitätsprüfung eine Vergütung nicht zu gewähren (vgl. LSG NRW 17. 9. 2015 – L 15 SB 183/15 B, BeckRS 2016, 72616). Ist die vorgelegte Zeiterfassung des Sachverständigen widersprüchlich oder unzureichend, kann das Gericht den Zeitaufwand schätzen und ggf. angemessen kürzen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. 07.2015, 6 W 11/15, BeckRS 2015, 19201; OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2010, 11 W 24/10, BeckRS 2011, 14121; BDZ/Binz, a.a.O.).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von den dargelegten Maßstäben bestand für den Senat Anlass zur Nachprüfung, und zwar zum einen deshalb, weil der Antragsteller den von ihm angesetzten Zeitaufwand für das „Aktenstudium“ unzureichend dargelegt und aufgeschlüsselt hat, zum anderen deshalb, weil die von ihm angesetzte Stundenzahl verglichen mit dem von den übrigen mit der Sache befassten Sachverständigen in Rechnung gestellten Aufwand für das „Aktenstudium“ deutlich übersetzt ist.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Sachverständige hat in seiner Rechnung vom 18.01.2022 für das „Aktenstudium“, ohne näher zu differenzieren, welche erforderlichen abrechnungsfähigen Handlungen (unter Angabe der jeweiligen Zeitkontingente) hierunter gefallen sind, eine Stundenzahl von 21,5 Stunden angesetzt. Aufgrund fehlender Konkretisierung der einzelnen Arbeitsschritte vermag der Senat die abgerechnete Stundenzahl nicht plausibel nachzuvollziehen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass die übrigen, mit der Sache befassten Sachverständigen detailliert nach Handlungen und hierauf entfallende Zeitkontingente aufgeschlüsselte Rechnungen eingereicht haben. Für das Studium der Akten haben die Sachverständigen eine deutlich geringere Stundenzahl angesetzt als von dem Antragsteller in seiner Kostenrechnung geltend gemacht worden ist.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dem Antragsteller ist mit gerichtlichem Schreiben vom 11.05.2022 Gelegenheit gegeben worden, seine Kostenrechnung nachzubessern und seine Arbeitsschritte in Einzelnen darzulegen. Eine Stellungnahme des Antragstellers hierauf erfolgte jedoch nicht, so dass sich der Antragsteller an seiner Angabe, die angegebene Stundenzahl allein für das „Aktenstudium“ aufgewandt zu haben, festhalten lassen muss.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Nach alledem durfte der Senat den Zeitaufwand für das „Aktenstudium“ schätzen und die Rechnung des Sachverständigen angemessen – auf insgesamt 9 Stunden – kürzen. Entgegen des von dem Antragsteller erhobenen Vorwurfs hat die Kostenbeamtin den Zeitaufwand nicht „willkürlich“ festgesetzt. Der Senat hat sich zunächst an allgemeinen Erfahrungssätzen orientiert. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird im Allgemeinen als Richtwert von „Seiten je Stunde“ zugrunde gelegt (Überblick bei Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 32). Dieser variiert, je nach Relevanz des Akteninhalts, von 50 Seiten je Stunde (OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.04.2017, 4 W 1/16), 100 Seiten je Stunde (LSG Thüringen, Beschluss vom 14.02.2018, L 1 JVEG 1060/15, BeckRS 2018, 3496), bis zu 200 Seiten je Stunde (OLG Nürnberg, Beschluss vom 4. März 2016, 8 Wx 1657/15, juris). Dabei muss jedoch besondere Berücksichtigung finden, dass sich die in den vorgenannten Entscheidungen dargelegten Richtwerte auf das erstmalige Aktenstudium und die erstmalige Einarbeitung in den Streitstoff beziehen. Demgegenüber war der Antragsteller seit 2018 mit der vorliegenden Sache betraut und hatte sich bereits bei Erstattung des schriftlichen Gutachtens mit dem Akteninhalt eingehend vertraut gemacht. Die Rechnung des Antragstellers vom 18.01.2022 verhält sich allein zu seinen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erstattung eines ergänzenden Gutachtens im Verhandlungstermin. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz von 9 Stunden ausreichend und angemessen. Dies entspricht im Übrigen auch dem Aufwand, den die übrigen Sachverständigen in ihren jeweiligen Rechnungen für das „Aktenstudium“ - soweit diese Position in Rechnung gestellt wurde - im entsprechenden Zeitraum in Ansatz gebracht haben.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die von dem Antragsteller geltend gemachten Fahrtkosten waren entsprechend §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JVEG auf 100,80 Euro netto (240 km à 0,42 Euro/km) zu kürzen. Hiergegen hat der Antragsteller keine Einwendungen erhoben.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">3.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Vergütung ist insgesamt wie folgt festzusetzen:</p> <span class="absatzRechts">29</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Pos. 1</p> </td> <td><p>Videokonferenzen</p> </td> <td><p>6 Std. à 115,00 Euro</p> </td> <td><p>    690,00 Euro</p> </td> </tr> <tr><td><p>Pos. 2</p> </td> <td><p>Aktenstudium</p> </td> <td><p>9 Std. à 115,00 Euro</p> </td> <td><p> 1.035,00 Euro</p> </td> </tr> <tr><td><p>Pos. 3</p> </td> <td><p>Gerichtstermin 13.01.22</p> </td> <td></td> <td></td> </tr> <tr><td></td> <td><p>Zeitaufwand</p> </td> <td><p>9,5 Std. à 115,00 Euro</p> </td> <td><p> 1.092,50 Euro</p> </td> </tr> <tr><td></td> <td><p>Fahrtkosten</p> </td> <td><p>240 km  à 0,42 Euro</p> </td> <td><p>    100,80 Euro</p> </td> </tr> <tr><td><p>Rechnungssumme netto</p> </td> <td></td> <td></td> <td><p> 2.918,30 Euro</p> </td> </tr> <tr><td><p>zzgl. 19 % MwSt.</p> </td> <td></td> <td></td> <td><p>    554,48 Euro</p> </td> </tr> <tr><td><p>Rechnungssumme brutto</p> </td> <td></td> <td></td> <td><p><strong>3.472,78 Euro</strong></p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">4.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.</p>